14 Thema Gropiusstadt Bauwelt 7 | 2013 Bauwelt 7 | 2013 15

Dazu auf Bauwelt.de | aus dem Bau- welt-Archiv: Rezeption der Gropius- Gropiusstadt | 50 Jahre nach ihrer Gründung erfährt stadt 1968 und 1979 die Grande Dame der deutschen Großsiedlungen eine allmähliche Neubewertung. Künstler und Architekten hinterfragen das Klischee, das größte Wohnungsunter- nehmen plant den Weiterbau. Perspektiven der Gropiusstadt

Editorial Brigitte Schultz

„Gehn wir Gropius?“ hätte sich wohl nicht Und auch wenn Historiker nicht müde werden zu betonen, träumen lassen, dass sein Name einmal synonym für Berlins wie wenig die Gropiusstadt nach unzähligen, auch politisch größtes Einkaufszentrum benutzt werden würde, die „Gropius­ bedingten Planungsänderungen im turbulenten der passagen“. Ob der „Gropius Schnell Imbiss“ unweit des „Gro­ sechziger Jahre noch mit dem gemein hat, was Gropius für die piushauses“ wohl seine Zustimmung gefunden hätte? Tatsäch­ Siedlung vorschwebte, gibt es hier durchaus beeindruckende lich hat er noch nicht einmal die Umbenennung der Siedlung Architektur und teilweise gelungene Freiräume zu entdecken, -- am südlichen Stadtrand Berlins in „Gro­ und Bewohner sprechen stolz von ihrer „weißen Residenz“. piusstadt“ erlebt. Sie erfolgte 1972, zehn Jahre nach der Grund­ Deren Lage im Grünen entschädigt sie für eine lückenhafte In­ steinlegung und drei Jahre nach dem Tod des Architekten. frastruktur. 50 Jahre nach dem euphorischen Baubeginn hat die Die in diesem Heft vorgestellten Projekte bewegen sich Grande Dame der deutschen Großsiedlungen trotz ihres pres­ auf unterschiedlichste Weise in diesem Spannungsfeld. Eine tigeträchtigen Namens mit dem Stigma aller Großsiedlungen vorurteilsfreie Sicht bietet eine Auswahl von Arbeiten, die u.a. zu kämpfen. In der kollektiven Wahrnehmung sind diese zu im Rahmen eines Künstlerresidenzprogramms in der Gropius­ einem unterscheidungslosen Hochhaus-Brei verschmolzen. stadt entstanden (Seite 16). Der persönliche Blick der Fotogra­ Auch in der Gropiusstadt vermuten viele monotone Architek­ fen, der zwischen Ästhetisierung und Sozialstudie changiert, tur, Leerstand, Problemschulen und Kriminalität – oft ohne wird ergänzt durch den analytischen Blick der Architekten. jemals einen Fuß in die Siedlung gesetzt zu haben, die zur Hei­ Die Mitglieder der „Akademie einer neuen Gropiusstadt“ am mat für 36.000 Menschen geworden ist. Doch ein halbes Jahr­ Architekturinstitut der TU Berlin haben zentrale städtebau­ hundert scheint auch eine gute Zeitspanne für eine Neubewer­ liche Komponenten kartiert und neu bewertet (Seite 20) – Un­ tung zu sein. Während die Erstbezieher heute in Rente gehen terlagen, die u.a. als Grundlage für eine Berliner IBA dienen. (sodass der Gang durch die Siedlung wie ein Ausblick auf die Dabei kann die Frage heute nicht mehr sein, ob eine andere Altersstruktur Deutschlands in einigen Jahrzehnten wirkt), ent­ städtebauliche Struktur besser oder schlechter funktioniert deckt eine neue Generation die Utopien des letzten Jahrhun­ hätte. Die schwierige Aufgabe ist vielmehr, die Balance zwi­ derts für sich neu. Nicht nur junge Architekten sind fasziniert schen einer Verklärung des Status quo zum Gesamtkunstwerk von den Formen der städtebaulichen Moderne, die fern der rei­ und einem allzu sorglosen Überschreiben des Vorhandenen bungsarmen Harmonie der historischen Stadt neue Reize und nach heutigen Kriterien auszutarieren. Am weitesten vorge­ Denkanstöße zu bieten scheint. wagt auf dieses unsichere Terrain hat sich bisher der größte Tatsächlich sind die Perspektiven auf Berlins erste Groß­ Vermieter der Gropiusstadt, die Wohnungsgesellschaft degewo. siedlung so vielschichtig wie die dort vertretenen Bauformen, Ihr vielbeachtetes Wettbewerbsverfahren zur Nachverdich­ die vom 30-geschosssigen Wohnhochhaus bis zum Einfamili­ tung der südlichen Gropiusstadt hat Ende letzten Jahres Empö­ enhaus reichen. Auch wenn die Kriminalität gering ist und die rung bei Bewohnern wie Fachleuten ausgelöst. Man kann von Blick auf das halbrunde Gro­ piushaus an der Lipschitz­ Schulen gut, bündeln sich hier andere gesellschaftliche Pro­ Glück reden, dass die Baumaßnahmen am Ende weit weniger allee, daneben das höchste bleme: Ein Quartiersmanagement kümmert sich vor allem um radikal ausfallen werden, als die ersten Entwürfe vermuten Wohnhaus Berlins, das Ideal- die Folgen alltäglicher Armut sowie das nachbarschaftliche Zu- ließen – hat der Verantwortliche doch inzwischen die Mo­ Hochhaus sammenleben von Menschen aus fast 100 Nationen, die sich derne selbst ein Stück weit lieben gelernt, wie er im Interview Foto: Philipp Meuser seit dem Mauerfall zu den Ur-Gropiusstädtern gesellt haben. ab Seite 26 erläutert. ▪