Masterstudium Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft

Masterarbeit

Die Funktion von Gerichtsszenen im deutschen Musiktheater der 1920er und 1930er Jahre

Zur Erlangung des Mastergrades an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg

Eingereicht von SOPHIE POUGET 01208725

Gutachter: Univ.-Prof. Dr. MA. Nils Grosch Fachbereich: Kunst- Musik- und Tanzwissenschaft

Studienjahr 2017/2018 Inhalt

1. Einleitung S. 3 2. Theater und Gericht S. 7 2.1. Ethik und Kunst S. 9 3. Gerechtigkeit – eine philosophische Betrachtung S. 13 3.1. Gerechtigkeit als Wert S. 15 3.2. Gerechtigkeit und die Institution Recht S. 19 3.3. Gerechte Strafen S. 24 4. Das epische Theater S. 28 5. Entstehung und Handlung der drei Opern S. 32 5.1. Leben des Orest S. 32 5.1.1. Gerichtsszene S. 35 5.1.2. Leben des Orest – eine epische Lesart S. 37 5.2. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny S. 40 5.2.1. Gerichtsszene S. 43 5.2.2. Mahagonny – eine epische Oper S. 45 5.3. Peer Gynt S. 49 5.3.1. Gerichtszene S. 50 5.3.2. Werner Egk und der Nationalsozialismus S. 51 5.3.3. Der Kontrast zwischen Gut und Böse S. 56 6. Die Gerichtsszenen im Vergleich S. 61 6.1. Vorstellung von Gerechtigkeit S. 65 7. Schluss S. 69 8. Literaturverzeichnis S. 76 9. Quellenverzeichnis S. 82

2

1. Einleitung

Die vorliegende Masterarbeit1 beschäftigt sich mit der Frage, wie Gerechtigkeit auf der Bühne dramaturgisch verhandelt wird. Da Gerechtigkeit selbst nicht dargestellt werden kann, werden innerhalb der Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts geltende Vorstellungen von Werten (Gerechtigkeit als den Menschen konstituierender Wert) und Rechtsstrukturen sowie die Verbindung zwischen der Institution Recht und der Gerechtigkeit als leitende Idee betrachtet. Dies soll anhand dreier Opern der 1920er und 1930er Jahre exemplarisch untersucht werden. Alle drei Beispiele, Leben des Orest von , Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Bertolt Brecht und Kurt Weill und Peer Gynt von Werner Egk, beinhalten eine Gerichtsszene und können daher direkt miteinander verglichen werden. Anstoß zu dieser Themenwahl gab eine im Wintersemester 2016/17 verfasste Seminararbeit zur Oper Peer Gynt, in der die Trollszene von Werner Egk mit der literarischen Vorlage von Henrik Ibsen verglichen wurde. Da sich einige Teile der Seminararbeit, wie etwa die Inhaltszusammenfassung, mit vorliegender Arbeit decken, werden diese aus der Seminararbeit übernommen.

Um die Gerechtigkeitsstrukturen der drei Musiktheaterwerke analysieren zu können, werden im ersten Teil der Masterarbeit philosophische Betrachtungen und Vorstellungen von Gerechtigkeit beleuchtet. Wesentlich ist dabei auch die Verbindung zwischen Ethik und Kunst. Da Überlegungen und Theorien zu Gerechtigkeit im Bereich der Philosophie einen großen Teil bilden und dementsprechend viele verschiedene Ansatzpunkte existieren, versuche ich mich auf Theorien und Vorstellungen von deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts zu beziehen. Wichtige Ansätze ergeben sich auch durch Überlegungen von Rechtswissenschaftlern und Rechtsphilosophen, vor allem in Bezug auf die Frage der Beziehung zwischen Recht als ausübende Institution und Gerechtigkeit als das wichtigste, der Institution zugrunde liegende Ideal. Das erste Kapitel, Theater und Gericht, widmet sich der unmittelbaren Verbindung zwischen dem Theater und Gerichtsszenen, die nicht nur dadurch besteht, dass Gerichtsprozesse als beliebte Theaterszenen häufig eingesetzt werden. Ausgehend von diesen Betrachtungen wird die Beziehung der Bereiche Ethik und Kunst in den Blick genommen, die sich wechselseitig beeinflussen.

1 Aus Übersichtsgründen wird in der gesamten Arbeit ein generisches Maskulinum verwendet; alle personenbezogenen Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen. 3

Das zweite Kapitel bildet den größten theoretischen Teil der Arbeit und stellt eine philosophische Betrachtung von Gerechtigkeit dar. Zentral sind in diesem Kapitel Nicolai Hartmanns Werke Ethik und Ästhetik. Wie bereits oben erwähnt beinhaltet dieses Kapitel verschiedene Aspekte der Gerechtigkeit. Zu Beginn wird versucht, eine Begriffsdefinition zu finden; den ersten Abschnitt bildet die Vorstellung von Gerechtigkeit als ein den Menschen konstituierender Wert. Ein zweiter Abschnitt stellt den Bezug zwischen der Institution Recht und Gerechtigkeit dar und der letzte Teil dieses Kapitels behandelt die Frage nach gerechten Strafen. Da das epische Theater beziehungsweise epische Elemente als eine Gemeinsamkeit der drei betrachteten Opern genannt werden können und vor allem auch in Bezug auf die Verbindung von Moral und Ästhetik thematisch eine große Relevanz für die hier behandelte Fragestellung bilden, wird in einem kurzen Kapitel die Theorie Brechts zum epischen Theater thematisiert. Im Kapitel fünf werden mit Hauptaugenmerk auf die enthaltenen Gerichtsszenen die Entstehung und Handlung der drei betrachteten Opern wiedergegeben. Das anschließende sechste Kapitel vergleicht die drei Gerichtsszenen hinsichtlich unterschiedlicher Aspekte; zentral sind der Verhandlungsinhalt, der Aufbau des Gerichts und das Urteil. Daran anschließend sollen die drei Opern anhand der zur Diskussion gestellten Gerechtigkeitstheorien untersucht werden. Zentral ist die Frage nach den in den Stücken enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen. Das letzte Kapitel dient einer Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse.

Die folgenden Überlegungen fungieren als kurze Einführung in die Arbeit: Sie beleuchten einige politische und künstlerische Veränderungen des frühen 20. Jahrhunderts, wobei keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Diese zum Thema hinführenden Aspekte sind insofern bedeutend, da der Kunst eine gesellschaftsverändernde Wirkung zugesprochen wird und aus diesem Grund gesellschaftliche Kontexte von Bedeutung sind.

Die politischen Veränderungen im frühen 20. Jahrhundert hatten großen Einfluss auf das allgemein kulturelle und vor allem künstlerische Verständnis und Schaffen jener Jahre. Das Politische „diffundiert[e]“ in die Gesellschaft und so verschwand auch die Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre (Bermbach, 2000, S. 8). Die politischen Umbrüche betrafen ganz Europa und beeinflussten das alltägliche Leben erheblich – genannt sei etwa der Untergang des Habsburgerreiches, die damit verbundene Neuordnung Europas und der Erste Weltkrieg sowie das Entstehen der Weimarer Republik. Alle gesellschaftlichen Teilbereiche

4 wurden vernetzt und von den politischen Machthabern kontrolliert und beeinflusst. Dementsprechend konnten sich auch Komponisten nicht politisch indifferent verhalten, jedes Werk wurde als politische Positionierung aufgefasst. Auch die Struktur der Opernwelt veränderte sich: Aus den Hoftheatern wurden Staatstheater. Mit dieser institutionellen Veränderung wandelte sich auch das Opernpublikum, das nun vorwiegend aus „Sozialdemokraten, Liberalen und Zentrum“ bestand und „sich dezidiert vom untergegangenen Wilhelminismus abzusetzen“ versuchte, so Bermbach (Bermbach, 2000, S. 8f.). Trotz der politischen Veränderung blieben die politisch-gesellschaftliche Oberschicht sowie Vertreter der Verwaltung dieselben und behielten ihre konservative Einstellung bei. In den 1920er Jahren veränderte sich die kulturelle Szene Deutschlands, es entstanden unter anderem neue Opern mit ebenfalls „neuen musikalischen Ausdrucksmitteln“ (Bermbach, 2000, S. 9). Bermbach schreibt, dass sich politisch-ästhetische Zuordnungen nicht nach dem häufig zu Hilfe gezogenen Schema: „gesellschaftskritische Stoffe, eine neue Musiksprache, Atonalität, sind als politisch ‚links‘ einzuordnen, und umgekehrt signalisieren unpolitische Stoffe und traditionelle Musiksprache eher die Zugehörigkeit zum bürgerlich-konservativen Lager“ beschreiben lassen sondern sich viel komplexer verhalten (Bermbach, 2000, S. 9).

Dies gilt auch für die von mir zur Diskussion gestellten Komponisten und ihre Werke.

Ernst Krenek etwa kann als Vertreter jener Komponisten genannt werden, die in ihren Werken politische und gesellschaftskritische Inhalte behandelten und eine eigene avantgardistische Musiksprache entwickelten. Trotzdem positionierten sich diese Künstler nicht im radikal ‚linken‘ Lager sondern verstanden sich vielmehr als Vertreter eines „modernitätszugewandten, republikanisch gesinnten, ideologischer Radikalität abgeneigten Bürgertums“ (Bermbach, 2000, S. 10). Kreneks Kompositionen wurden ebenso wie viele Werke anderer Komponisten als ‚entartet‘ eingestuft und folglich verboten (Bermbach, 2000, S. 10). Anders verhielten sich Komponisten wie Kurt Weill, die sich explizit ‚links‘ positionierten und sich in Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht für eine neue Ästhetik des musikalischen Theaters einsetzten. Auch in diesem Fall wurden die Werke und die politische Selbstpositionierung der Komponisten vom Publikum missinterpretiert. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny konnte aufgrund eines von der NSDAP provozierten Skandals und abgesagter Aufführungen nicht mehr zum zeitgenössischen Publikum durchdringen (Bermbach, 2000, S. 11). Als politisch ebenso interessanter Komponist kann Werner Egk genannt werden, der mit seiner Oper Peer Gynt ebenfalls einen Premierenskandal verursachte, jedoch von Adolf Hitler 5 persönlich gefördert und für weitere Aufträge engagiert wurde. Egks Musik war im ‚Dritten Reich‘ willkommen und der Komponist veröffentlichte auch einige das Regime verherrlichende Stücke (u.a. Bayerische Fahnen, Die Hohen Zeichen, Job der Deutschen). Werner Egk repräsentierte aus Sicht der politischen Führer die „künstlerische NS-Moderne“, er wurde offiziell gefördert und pflegte wichtige Kontakte (Custodis/Geiger, 2013, S. 26). Nicht nur sein künstlerisches Talent wurde geschätzt, sondern auch seine politische Gewandtheit und sein Wille zur Anpassung. Dieser Anerkennung verdankte Werner Egk seine großen beruflichen Erfolge (Custodis/Geiger, 2013, S. 27f.). Neben diesen regimebejahenden Stücken schuf Egk Bühnenstücke, deren Bedeutung und Inhalt nicht eindeutig interpretierbar sind. So lässt etwa die Troll-Welt in Peer Gynt eine ambivalente Deutung zu: Sie kann „im NS-Sinn als bösartige Parodie auf die ‚Systemzeit‘“ aufgefasst oder aber als „Karikatur von Regimegrößen“ gedeutet werden (Custodis/Geiger, 2013, S. 21). Aufgrund dieser Mehrdeutigkeit wurde Peer Gynt zur NS-Zeit unterschiedlich rezipiert. Laut Fred Prieberg wurden im Zeitraum von 1933 bis 1944 pro Jahr fünfzehn Uraufführungen neuer deutscher Opern realisiert, wobei nur wenige davon, darunter auch Werner Egks Peer Gynt, das Jahr ihrer Premiere beziehungsweise den Nationalsozialismus überdauerten (Prieberg, 1982, S. 307).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die veränderten politischen und gesellschaftlichen Zustände eine neue Theaterform erforderten. „Die alte dramatische Form ist untauglich, die moderne Wirklichkeit, die den einzelnen in einer komplizierten Verflechtung in politisch-ökonomisch bestimmte Prozesse zeigt, wiederzugeben“ (Joost/Müller/Voges, 1985, S. 132f.).

Am wichtigsten erscheint dabei, dass das Drama nicht mehr in der Lage war, die individuelle Persönlichkeit zu thematisieren (Joost/Müller/Voges, 1985, S. 133f.). So scheint es folgerichtig, dass Dramatiker wie Brecht versuchten, eine neue Theaterform zu entwickeln. Brecht verfolgte einen gesellschaftlichen Funktionswechsel des Theaters. Mithilfe von Werken wie der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny kämpfte er gegen die bürgerliche Ideologie und gegen den reinen Genuss des Opernpublikums (Joost/Müller/Voges, 1985, S. 133f.). Brecht intendierte eine revolutionäre Institutionenkritik – durch das politische Theater wollte er das Theater revolutionieren, ohne dabei die Politik zu theatralisieren. „Kunst wurde zum Mittel politischer Information, Propaganda und Erziehung“; indem geschichtliche Stoffe modernisiert und aktuelle politische Geschehnisse

6 künstlerisch umgesetzt wurden, wurde das Theater zu einer politischen Institution (Joost/Müller/Voges, 1985, S. 135). Einen weiteren Trend im 20. Jahrhundert stellt die Hinwendung zu antiken Stoffen im Theater dar. Der Bezug auf die antike Tragödie bot vielen Künstlern die Möglichkeit für „ihre Suche nach neuer Orientierung oder einem neuen Ursprung, dessen man sich (…) nicht mehr gewiss sein kann“ (Fischer-Lichte/Dreyer, 2007, S. 9). Die Beschäftigung mit der antiken Tragödie konnte dabei helfen, moderne Aspekte des Theaters herauszufordern und Konventionen zu hinterfragen. Außerdem konnten so Themen wie Gewalt, Politik, Gemeinschaft und dergleichen auf einer abstrakten Ebene behandelt werden (Fischer-Lichte/Dreyer, 2007, S. 9).

Diese einleitenden Betrachtungen zu den politischen Veränderungen in den 1920er und 1930er Jahren erheben weder Anspruch auf historische Vollständigkeit, noch können sie in der weiteren Arbeit vertieft werden. Die politischen Neuerungen und Umbrüche sind nur insofern relevant, als sie auch das künstlerische Schaffen beeinflussten und einen veränderten Blick auf das Komponieren und die Musik- und Kunstszene jener Jahre bewirkten. Wie sich im Laufe der Arbeit zeigen wird, setzt sich die zeitgenössische Oper vor allem mit gesellschaftlich relevanten Themen und Missständen auseinander, im Mittelpunkt steht der Mensch im Verhältnis zur Gesellschaft.

2. Theater und Gericht

Ulrich Müller schreibt in einem Aufsatz zum Thema Gericht und Theater, dass die Kunstform Theater, wie wir sie heute kennen, auf „rituelle und religiöse Wurzeln“ zurückgeht (Müller, 1995, S. 67). Im Theater sollten den Menschen religiöse Glaubensinhalte vor Augen geführt und ihnen anschaulich gemacht werden, wobei manche Inhalte theatergeeigneter schienen als andere. Als eine solche theaterwirksame Szene erwies sich die Darstellung von Gerichtsprozessen. Literatur spiegelt auch das Leben und die Wirklichkeit wider: Das Recht ist eine wesentliche Institution, um das Zusammenleben zu regeln und zu organisieren – so spielt das Recht als konstitutiver Bestandteil der Gesellschaft auch in der Literatur eine wesentliche Rolle (Müller, 1995, S. 67f.). Ebenso wie Gerichtsverhandlungen in Literatur und Theater enthalten sind, kann auch eine Gerichtsverhandlung an sich als Theater interpretiert werden. In einem Gerichtsprozess verkörpern verschiedene Personen verschiedene Rollen, die einzelnen Personen vertreten Standpunkte, treten in Interaktionen und Dialogen miteinander

7 auf. Die Handlung ist klar strukturiert und endet mit einem Urteil: „Einer anklagenden Partei steht die beklagte Partei gegenüber, und der Wettbewerb der beiden wird schließlich aufgrund bestehender Normen durch eine übergeordnete Entscheidungsinstanz (den ‚Richter‘) beendet“ (Müller, 1995, S. 68, Hrv. i. O.). Das Ziel eines Gerichtsprozesses ist die Entscheidung über Wahrheit und Unwahrheit; die Verhandlung gleicht einem Wettbewerb und kann sehr dramatisch ablaufen. Ein Prozess kann sowohl tragische als auch komische Elemente enthalten. Wie die Aufzeichnungen einflussreicher lateinisch-römischer Rhetoriker wie Cicero und Quintilian zeigen, beziehen sich die Richtlinien für die Gerichtsrede nicht nur auf den Inhalt der Rede sondern vor allem auch auf die Stimmfärbung, Betonung, Gestik und Kleidung. Diese Art von Rhetorik-Lehrbüchern enthalten fast ausschließlich Gerichtsreden, die Bestimmungen klingen wie Anweisungen an Schauspieler (Müller, 1995, S. 68). Indem das Theater Situationen, menschliche Schicksale und Beziehungen, Fehlverhalten sowie Konsequenzen darstellt, entwickelt es sich in gewissem Sinne selbst zu einem Gericht. Es richtet über bestehende gesellschaftliche Werte, es richtet darüber, was gut oder schlecht ist und zeigt dies dem Publikum auf. Die Verbindung zwischen Theater und Gericht besteht also nicht nur darin, dass sich Gerichtsprozesse als theaterwirksame Szenen erweisen oder dass ein Gerichtsprozess einer Theateraufführung gleicht; im Theater nimmt der Autor die Rolle eines Richters an, dem Publikum wird vor Augen geführt, wie es sich im Idealfall verhalten soll oder im Falle einer Gerichtsszene, welches Verhalten schlecht ist und zu verhängnisvollen Konsequenzen führt.

Außerdem kann ein Gerichtsprozess als performative Äußerung gelesen werden. Der Begründer der Sprechakttheorie, John L. Austin, legte zwei Merkmale fest, die eine sprachliche Äußerung zu einer performativen machen: Etwas zu sagen dient nicht nur dazu, etwas festzustellen oder zu beschreiben, indem etwas gesagt wird, wird eine Handlung vollzogen. Mit einer performativen Äußerung wird „etwas getan und nicht bloß etwas gesagt“ (Austin, 1979, S. 153). Werden Äußerungen in diesem Sinne getätigt, sind sie nicht als wahr oder falsch einzuordnen, sie schaffen einen neuen Sachverhalt (Austin, 1979, S. 153). Eine Performance in diesem Sinne ist ein Sprechakt und keine Beschreibung eines Sachverhaltes; vielmehr wird ein Sachverhalt geschaffen. Handlungen werden mit dem Sprechakt vollzogen und so hat die Sprache nicht mehr nur eine beschreibende Funktion. Damit eine performative Äußerung eine Handlung vollzieht, müssen spezielle Rahmenbedingungen gegeben sein. Eine solche Rahmenbedingung kann ein Gerichtssaal darstellen. Der Richter ist in der Position, mit seinem Urteilsspruch

8 wirklichkeitskonstituierend zu wirken, was bedeutet, dass mit der Äußerung nicht nur etwas festgestellt wird, sondern dass damit eine Wirklichkeit hergestellt wird. Die sprachliche Äußerung ‚Ich verurteile Sie zum Tode‘ ist nicht nur eine Beschreibung oder Feststellung, es bedeutet, dass der Angeklagte tatsächlich, als Konsequenz und Bestrafung für seine Taten, hingerichtet wird. Eine Theateraufführung ist per se eine Performance, die Darsteller beschreiben keinen Sachverhalt, sie stellen nichts fest, sondern sie performen – sowohl mit Worten als auch mit Gesten – was bedeutet, dass sie eine neue Wirklichkeit konstituieren, zumindest für die Dauer der Aufführung. Dabei kann den Zuschauern entweder ein Idealzustand aufgezeigt werden, an dem sie ihr Leben orientieren können, oder, wie es im Falle der hier betrachteten Opern geschieht, auf soziale und gesellschaftliche Missstände hingewiesen werden, was jeden Einzelnen zu einer Reflexion der Wirklichkeit und zum Eingreifen und Verändern der Gesellschaft ermutigen soll.

Aus diesen Betrachtungen zur Verbindung zwischen Theater und Gericht lässt sich auch die Beziehung zwischen Ethik und Kunst ableiten. Ethik ist ein Teilbereich der praktischen Philosophie und beschäftigt sich vorwiegend mit dem menschlichen Handeln. Zentrale Fragestellungen sind unter anderen, was das Gute, was moralisch richtiges Handeln ist und was Gerechtigkeit bedeutet. Die erste ethische Grundfrage lautet: Was sollen wir tun? Diese Frage stellt sich in jeder Situation und zwingt den Menschen zum Handeln. Die Antwort ergibt sich aus dem jeweiligen Verhalten eines Menschen, der alleine für dieses verantwortlich ist. Laut Nicolai Hartmann existiert keine höhere Kraft, die uns in der jeweiligen Situation den richtigen Weg weist und so trägt der Mensch alleine die Konsequenzen seiner Handlung (Hartmann, 1962, S. 1f.). Ethik lehrt den Menschen zu urteilen, aus einer gewissen Distanz die Dinge zu betrachten und dann eine Entscheidung, ein Urteil zu fällen (Hartmann, 1962, S. 3). Ethik versteht sich als eine Art Anleitung zu einem guten Leben, sie stellt moralische Werte, Maxime und Richtlinien auf.

2.1. Ethik und Kunst Wie bereits erwähnt, existiert eine besondere Beziehung zwischen den Bereichen Ethik und Kunst, indem sich diese wechselseitig beeinflussen können. Auch der deutsche Philosoph Nicolai Hartmann beschäftigt sich mit dieser speziellen Verbindung zwischen Ethik und Kunst. Hartmann behandelt in diesem Zusammenhang die verschiedensten Künste, wobei hier

9 nur auf seine Überlegungen zu den Gattungen Dichtung, Drama und Oper eingegangen werden kann. An sich ist die Kunst unabhängig von der Ethik, allerdings greift sie ethische Elemente auf und verarbeitet diese in Kunstwerken. Damit wird ethischen Inhalten Gestalt verliehen, sie werden greifbar und Kunst kann somit als Sprache der Ethik fungieren. Laut Hartmann stellen Werte Ideale dar, doch diese Ideale sind unsichtbar und leblos, bis sie von einem Künstler verarbeitet werden und durch ihn konkrete Gestalt annehmen (Hartmann, 1962, S. 69f.). „Die Geschichte der Künste enthält die Geschichte der sittlichen Ideen. Die Kunst ist das zweite Gesicht der Menschen. (…) Sie zieht den Unschöpferischen nach sich, erzieht und bildet die Kongenialität, öffnet Auge und Herz, richtet den Blick in die Tiefe des ewig Wertvollen und Bedeutsamen, lehrt sehen und teilhaben, wo der banausische Blick achtlos vorübergeht“ (Hartmann, 1962, S. 70).

Im Dichter sieht Hartmann einen Erzieher, einen Wissenden und einen Seher; die Dichtung ist das stärkste Mittel, einen Menschen zu formen2. Zu bedenken ist jedoch, dass die Kunst keine Begriffe verwendet, Dinge werden nicht konkret benannt; Kunst schaut und formt das Geschaute. Es liegt am Rezipienten, die Kunst in Begriffe zu übersetzen, sie nicht nur genießend wahrzunehmen, sondern sie auch zu verstehen (Hartmann, 1962, S. 70). Mit Hartmanns Verständnis von der Verbindung zwischen Ethik und Kunst, können auch Gerichtsprozesse im Theater betrachtet werden. Im Theater wird den Menschen ein falsches Verhalten aufgezeigt und durch einen Rechtsspruch die Konsequenzen des Fehlverhaltens bewusst gemacht. Auf der Bühne wird eine Lebensgeschichte dargestellt, es geht nicht um das einzelne Schicksal, sondern der Zuschauer soll sich der moralischen Vergehen bewusst werden und so moralisch gebildet werden.

In seinem Werk Ästhetik beschreibt Nicolai Hartmann die Dichtkunst als darstellend, ein Sujet behandelnd und als Nachahmung der Wirklichkeit. Durch das Wort als künstlerische Materie wendet sich die Dichtkunst an die Phantasie des Hörers oder Lesers. Hartmann spricht der Dichtung eine hohe Wirkkraft zu, denn die Schrift ist beständig, widerstandsfähig und von Dauer. Nur ein naiver Leser nimmt jedes Wort als gegeben und versteht das Erzählte als

2 In diese Tradition lässt sich auch Brechts Vorstellung der Funktion des epischen Theaters einordnen. Auf der Bühne werden gesellschaftliche Phänomene exemplarisch dargestellt, die den Zuschauer formen sollen, ihn durch eine kritische, distanzierte Haltung dazu bringen, die gesellschaftlichen Missstände zu erkennen und zu verstehen und zu realisieren, dass es an einem selbst liegt, die Welt und die Menschheit zu verändern. Brecht will nicht mehr, dass das Theater als reines Genussmittel gesehen wird, es soll nicht nur der Unterhaltung sondern der moralischen Bildung der Zuschauer dienen. Das Kapitel über das epische Theater wird sich mit diesen und anderen Vorstellungen und Bestimmungen Brechts befassen.

10 wahres Geschehen; liest man ein Werk auf diese Weise, handelt es sich nicht um eine ästhetische Wahrnehmung. Der Sinn des Ausgedrückten liegt nicht wie im Alltag darin, über einen Tatbestand zu berichten, in der Dichtkunst spielt Wahrheit oder Unwahrheit des Gesagten keine Rolle, die Rede besteht um ihrer selbst willen (Hartmann, 1953, S. 102f.). Während die Dichtkunst die Vorstellungskraft der Leser braucht, um Gestalt anzunehmen, wird in der darstellenden Kunst das Wort vergegenständlicht: durch Schauspieler, Gesten und Mimik (Hartmann, 1953, S. 108). Dennoch bleibt die Handlung, das eigentliche Drama im Verborgenen, „[r]eal ist nur das gesprochene Wort, die Mimik und sonstige Bewegungen der Personen, die Geste, der Dialog, kurz, das Sichtbare und Hörbare der Szene“ (Hartmann, 1953, S. 111). Die Handlung wird zwar durch diese wahrnehmbaren Elemente ausgedrückt, liegt aber in den Emotionen, den Schicksalen und Denkformen der dargestellten Rollen (Hartmann, 1953, S. 111). Hartmann nennt die Musik in der zeitgenössischen Oper „das radikalste Mittel der Entwirklichung“, denn die Musik sei weder dramatisch noch gegenständlich (Hartmann, 1953, S. 112). Somit verhindere sie jegliches Aufkommen einer objektiven Realität3 (Hartmann, 1953, S. 112).

In einer weiteren philosophischen Schrift befasst sich Hartmann mit dem Verhältnis zwischen Dichtung und Wahrheit. Wahrheit lässt sich auf drei unterschiedliche Weisen deuten: als historische Wahrheit, die Tatsachen betrifft, die ausgesprochene Wahrheit und schließlich die Lebenswahrheit (Hartmann, 1960, S. 43f.). Die Wahrheit der Dichtung besteht in einer weiteren Abstraktion: Die Wesenswahrheit beschreibt das Wesen der Menschen und kann im Gegensatz zur realen Welt stehen. „Die Wesenswahrheit transzendiert den Bereich der Lebenswahrheit“ (Hartmann, 1960, S. 44). Die Dichtung vermag etwas aufzuzeigen, auf etwas hinzuweisen, was im Leben nicht sichtbar wird. Diese Wesenswahrheit drückt außerdem das Verhältnis zwischen Dichtung und Gesellschaft aus (Hartmann, 1960, S. 44). Einen Dichter interessieren nicht primär die dargestellten Personen, sondern ihre Konflikte und Schicksale, die nicht nur einzelne betreffen sondern stellvertretend für Auseinandersetzungen der Menschen an sich stehen. Dichtungen bieten Lösungsansätze, ohne aber konkrete Anweisungen zu geben, und können somit eine Verwandlung des Lesers oder Hörers bewirken (Hartmann, 1960, S. 48ff.). „Dichtung sagt uns etwas ganz Persönliches über unsere Art, sie führt uns vor uns selbst. So vermag sie zu erschüttern“ (Hartmann, 1960, S.

3 Wie später noch genauer erläutert wird, kritisiert auch Bertolt Brecht dieses Unrealistische; im Allgemeinen zeigen sich einige Parallelen zwischen Hartmanns Vorstellungen zur Funktion und Möglichkeit des Theaters und Brechts Theatertheorie. 11

50f.). Durch die Auseinandersetzung mit Dichtung wird das Erlebte durch das mögliche Erlebbare ergänzt, das Bewusstsein wird so erweitert und der Leser verändert sein Verhältnis zu sich und zur Welt. Dichtung bringt den Menschen auch zur Stellungnahme, sie eröffnet eine neue Art auf alltägliche aber auch außeralltägliche Dinge zu schauen (Hartmann, 1960, S. 51). Die Kunst strebt das Ziel an, die Welt in ihrer Gesamtheit fassbar und verständlich zu machen. Ein Kunstwerk, von einem Künstler geschaffen und einem Rezipienten betrachtet, ist individuell, verweist aber in seiner Tiefe auf größere Zusammenhänge, so Hartmann. Kunstwerke enthalten Weltanschauungen, sie vermitteln und erzeugen im Menschen Dinge, die im Leben nicht erkannt werden können: „So stellt uns die Kunst Dinge gegenüber, die wir sonst nicht zu erschauen vermögen, deren letzte Tiefen aber, auch wenn sie die künstlerische Schau vor unsere Augen rückt, unserem Wissen nicht zugänglich werden“ (Hartmann, 1965, S. 208).

Hartmann spricht demnach der Kunst eine bedeutende Funktion und Kraft zu: Zum einen kann sie dem Menschen dazu verhelfen, auf Dinge aufmerksam zu werden, die er ansonsten nicht wahrgenommen hätte. Zum anderen enthalten Kunstwerke Weltanschauungen und können eine tiefere Erkenntnis vermitteln und die Welt als Ganzes begreifbar machen. Werden Natur und Sittlichkeit zum Stoff von Kunstwerken, ist es nur folgerichtig, dass die in ihnen enthaltenen Werte auch zum Stoff der Kunst werden. Betrachtet man das Verhältnis von ästhetischen und ethischen Werten im Drama, ergibt sich die Frage, wie die sittlichen Werte des Dargestellten in ästhetische Werte umgewandelt werden. Die Antwort ist laut Hartmann, dass die ethischen Werte die Voraussetzung für die ästhetischen bilden: Ist ein Zuschauer moralisch unempfindlich oder mangelt es diesem an einem ausgeprägten Wertgefühl, entgeht ihm die moralische Botschaft des Dramas sowie die dramatische Situation an sich. Ein solcher Zuschauer kann dem Bühnengeschehen nicht folgen und die Kunst dahinter nicht nachvollziehen (Hartmann, 1953, S. 348f.). Voraussetzung dafür, dass die Kunst im Menschen eine Wirkung erzielt, sich ihm auf gewisse Weise offenbart, ist demnach, dass der Mensch moralisch empfindlich ist und über ein Wertbewusstsein verfügt.

Die Auseinandersetzung mit Recht in der Literatur erfolgt nicht nur aus literarischer sondern auch aus philosophischer Sicht. Recht ist ein häufig eingesetztes Motiv in der Dichtung, wobei die Rolle des weisen Richters besonders bedeutend ist. Das erklärt der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch damit, dass das Drama von Antinomien lebt und so das Recht, das aus vielen Antinomien und Antithesen besteht (Sein und Sollen, Freiheit und Ordnung etc.), ein

12 wirksames Motiv ist. Der Umgang mit und die Darstellung von Recht veränderte sich stark vom antiken bis zum modernen Drama. Im antiken Drama galt das Recht dem Einzelnen als unausweichliches Schicksal; eine Auflehnung gegen das Recht erschien aussichtslos. Im zeitgenössischen Drama wird der Konflikt zwischen Recht und Individuum verhandelt – als Bedingung für diese Aufwertung menschlicher Selbstbestimmung nennt Radbruch das Christentum, das den Eigenwert des Menschen bestimmte (Radbruch, 1965, S. 93f.). Diese bedingungslose religiöse Verankerung scheint aus heutiger Sicht zwar überholt, das Ergebnis, dem Menschen einen Eigenwert zuzusprechen, ist jedoch spätestens seit Kant im abendländischen Denken allgemeingültig.

3. Gerechtigkeit – eine philosophische Betrachtung

Im Meyers Großes Konversations-Lexikon aus dem Jahr 1907 wird Gerechtigkeit als menschliche Eigenschaft bestimmt, die ein Handeln bewirkt, das „mit dem Rechten (dem als Norm oder Gesetz allgemein Anerkannten oder Anzuerkennenden) übereinstimmt“ (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1907, S. 629). Im engen Sinn wird Gerechtigkeit als Verhaltensweise gedeutet, die sich über die Rechte anderer definiert. Gerecht handelt also jener, der diese Rechte weder selbst verletzt, noch eine Verletzung anderer duldet. Gerechtigkeit im ethischen Sinne fordert, alle vernunftmäßigen und sozial anerkannten Anschauungen zu achten und die Rechte anderer sowie die eigenen Rechte zu respektieren. Im juristischen Sinne bezeichnet Gerechtigkeit nur das Einhalten der geltenden Gesetze (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1907, S. 629). Für diese Arbeit ist vor allem die ethische Gerechtigkeit von Bedeutung, wobei diese, wie sich zeigen wird, als Grundlage für die juristische Gerechtigkeit dient, demnach auch letztere betrachtet werden muss. In diesem Abschnitt sollen verschiedene Annäherungen an den Begriff Gerechtigkeit und damit verbundene Begriffe wie Werte, Recht und Gewissen erfolgen. Damit zusammen hängt die Frage nach einer gerechten Strafe. Im Zentrum stehen die Überlegungen des deutschen Philosophen Nicolai Hartmann, dessen Hauptwerk Ethik in den 1920er Jahren entstand und so der Entstehungszeit der Opern entspricht. Zunächst wird eine Annäherung an den Begriff Gerechtigkeit durch Überlegungen der bekannten britischen Philosophin und Begründerin der modernen Tugendethik Philippa Foot versucht. Foot behandelt unter anderem die Frage nach Gerechtigkeit. Die Begründung etwas zu tun oder zu unterlassen, weil es ungerecht ist, ist

13 ihrer Meinung nach keine ausreichende Argumentation, da Ungerechtigkeit kein Zustand ist, der selbstverständlich vermieden werden soll, wie etwa Schmerzen oder Langeweile. Damit die Frage ‚Warum soll ich das nicht tun?‘ mit ‚Weil es ungerecht ist‘ beantwortet werden kann, muss Gerechtigkeit ein Wert sein, der für Menschen erstrebenswert beziehungsweise notwendig ist. Damit hängt die Überlegung zusammen, ob gerecht sein einen Wert für die gerecht handelnde Person darstellt (Foot, 1958, S.101). Foot stellt fest, dass die Annahme, ungerecht zu sein sei profitabler als gerecht zu sein zwar zweifelhaft ist, aber sich dennoch zufällig als wahr herausstellen kann. Sie sieht die Schwierigkeit vieler Menschen zu verstehen, dass Gerechtigkeit wertvoller ist als Ungerechtigkeit darin, dass diese Menschen einzelne gerechte Situationen isoliert und nicht in ihrer Gesamtheit betrachten. Denn ein gerechter Mensch kann unter keinen möglichen Umständen ungerecht handeln, selbst wenn dies nur zu Leid und negativen Konsequenzen führt. Verfügt man über Gerechtigkeit als Tugend, bewahrt sie einen davor, gewisse Dinge zu tun, egal welche Folgen dies hat (Foot, 1958, S. 104). Die Motivation oder Begründung dafür, sich gerecht zu verhalten und gerecht zu handeln besteht nicht darin, die Konsequenzen oder Bestrafung eines ungerechten Verhaltens zu fürchten. Dieser Einstellung, nur deshalb gerecht zu sein, um Strafen zu vermeiden, folgt die Überlegung, dass es, gäbe es keine Konsequenzen, auch keinen Grund gäbe, gerecht oder moralisch richtig zu handeln. Das würde dazu führen, dass jeder tun und lassen kann, was ihm beliebt und alle anderen so behandeln kann, wie er möchte. Eine solche Sichtweise lässt sich jedoch mit dem Argument entschärfen, dass es von Vorteil für die handelnde Person sei, gerecht zu anderen zu sein. Der Vorteil scheint zunächst nicht offensichtlich, hängt aber vor allem mit der Tatsache zusammen, dass man nicht sich selbst gegenüber gerecht sein kann, ohne andere gerecht zu behandeln (Bloomfield, 2011, S. 49-53). Aus Bloomfields Abhandlung zur Gerechtigkeit gehen zweierlei Dinge hervor: Erstens wird Selbstrespekt als ein Gewinn verstanden, der dazu führt, ein glückliches Leben zu führen. Zweitens erlangt man Selbstrespekt nur, wenn man gerecht ist, was bedeutet, sich selbst und andere gerecht zu behandeln. Diese Vorzüge sollten theoretisch als ausreichende Motivation genügen, gerecht zu handeln; der Umstand, dass sich Menschen täglich für eine ungerechte Handlungsalternative entscheiden, zeigt allerdings, dass diese Theorie oft in der Praxis scheitert. Die Politikwissenschaftlerin Hanna Fenichel Pitkin beschreibt in einem Artikel aus dem Jahr 1972 die Schwierigkeit, eine angemessene Definition für den Begriff Gerechtigkeit zu finden, folgendermaßen: Gerechtigkeit hat etwas damit zu tun, was Menschen durch den Begriff

14 vermitteln wollen, und dies lässt sich nicht unmittelbar durch Merkmale umschreiben (Fenichel Pitkin, 1972, S. 173). Sie stellt fest, dass Gerechtigkeit nicht in der Mitte zwischen subjektivem Urteil und objektiven Tatsachen liegt sondern bestimmten gesellschaftlichen Standards und Urteilen unterliegt. Dieses Gerechtigkeitskonzept ist teilweise erlernt. Erlernt wird Gerechtigkeit nicht nur durch die Zuschreibungen gerecht und ungerecht, sondern auch durch Situationen, in denen jemandem Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit widerfährt (Fenichel Pitkin, 1972, S. 176). Unterliegt Gerechtigkeit nun bestimmten Vorstellungen, scheint es in jeder Situation möglich zu sein, zu urteilen, ob etwas gerecht ist und warum. Da Gerechtigkeitsvorstellungen immer mit weiteren Komponenten zusammenhängen, muss stets eine Verbindung beschrieben werden, warum ein Tatbestand, eine Situation oder Tat als gerecht beurteilt wird (Fenichel Pitkin, 1972, S. 183-186). Diese Überlegungen bieten den theoretischen Hintergrund für tatsächliches Urteilen über gerechtes und ungerechtes Verhalten; die Schwierigkeit, eine gültige Definition für den Begriff Gerechtigkeit zu finden, zeigt jedoch, dass es in Wirklichkeit nicht so einfach, manchmal sogar unmöglich ist, über gerecht und ungerecht zu urteilen.

Hartmann erachtet, ebenso wie zahlreiche Philosophen von der Antike bis in die Gegenwart, die Gerechtigkeit als zentral für das menschliche Leben. Die erste Aufgabe der Gerechtigkeit ist, gegen die egoistischen Triebe des Menschen zu wirken. Die grundsätzliche Einstellung der Gerechtigkeit ist, dass allen Menschen das gleiche zusteht – seien es Güter, Chancen, soziale Stellung oder Ehre. Das schließt sowohl gleiches Recht als auch gleiche Pflicht für jeden mit ein. Gerechtigkeit ist aber nicht zu verwechseln mit dem objektiv Rechten oder dem idealen Rechten. Gerechtigkeit ist in diesem Sinne ein Gut, das dem Menschen zukommt. Wenn jemand aber gerecht handelt, dann ist Gerechtigkeit ein sittlicher, den Menschen konstituierender Wert (Hartmann, 1962, S. 419). Um diese Definition verständlich zu machen und zu vertiefen, wird im nächsten Abschnitt die Gerechtigkeit als Wert betrachtet und im Rahmen dessen auf Hartmanns Wertetheorie eingegangen.

3.1. Gerechtigkeit als Wert Sittliche Werte beziehen sich in zweierlei Weise auf den Menschen: erstens werden sie von einem rationalen, handelnden Subjekt ausgeführt und gleichzeitig zweitens auf eine andere Person als Objekt bezogen. Sittliche Werte sind in diesem Sinne Werte eines Verhaltens und somit auch immer gegen jemanden gerichtet (Hartmann, 1965, S. 154).

15

Werte, so Hartmann, bestehen unabhängig davon, ob sie in der Wirklichkeit erfüllt werden oder nicht. Sittliche Prinzipien drücken immer einen Idealzustand aus, sie bezeichnen das, was sein sollte aber nicht ist: „Sie treten als Gebote auf, drücken immer ein Nichtseiendes, und eben deswegen ein aktuelles Seinsollendes aus. Das sittlich Gute ist niemals schlechthin wirklich im Leben, der Mensch ist niemals schlechthin, wie er sein soll“ (Hartmann, 1962, S. 57).

In diesem Sinne unterscheidet Hartmann zwischen Gebot und Gesetz. Ersterem kann sich der Mensch widersetzen, während er letzterem – hier versteht Hartmann Gesetze als Naturgesetze – machtlos unterworfen ist und ihm folgen muss (Hartmann, 1962, S. 58). Nicht jeder Mensch verfügt im gleichen Maße über Wertgefühl oder Wertbewusstsein, jedoch lässt sich dieses, ebenso wie andere Phänomene, lehren. Zum primären Wertbewusstsein zählt Hartmann Phänomene wie moralische Akzeptanz oder Ablehnung, Anklage, Selbstvorwurf, Gewissen, Verantwortungsbewusstsein, aber auch Schuldbewusstsein und Reue (Hartmann, 1962, S. 61). Dem Menschen ist ein sittliches Bewusstsein eigen, das abwägt, welche Handlungen auszuführen und welche zu unterlassen sind, das heißt es urteilt einerseits und verurteilt andererseits. Dem Täter wird dabei Schuld und Verantwortung zugewiesen, egal ob es sich um einen selbst oder um eine andere Person handelt. Das beweist die Unabhängigkeit des Wertgefühls: Es unterscheidet zwischen Wertvorstellungen und Wirklichkeit und urteilt über diese Diskrepanzen. Hartmann formuliert dies so: „Die reale Person mit ihren realen und als real erfahrbaren Akten – die empirische Person – sieht sich in Gegensatz gesetzt zu einer Idee der Person, welche die Kraft hat, sie zu verurteilen“ (Hartmann, 1962, S. 133).

Der Mensch versteht diese Idee der Person als sein eigentliches Ich, das empirische Ich sieht die eigenen Fehler und trägt ein belastendes Schuldbewusstsein in sich. Die Unterschiede zwischen der Idee und dem tatsächlichen Ich werden als Verfehlung angesehen. Daraus kann geschlossen werden, dass nicht die Person konstituierend für die Werte ist, sondern dass die Werte die Person konstituieren (Hartmann, 1962, S. 133f.). Das Gewissen dient dazu, Recht und Unrecht, gutes und schlechtes Verhalten aufzuzeigen. Ihm kommt die Rolle des Warnens, Urteilens und Richtens zu, denn „in ihm liegt das sittliche Wesen der Person“ (Hartmann, 1962, S. 134). Schuldbewusstsein entsteht nur als Folge einer Tat, sie entsteht im „sittlichen Vergehen“ (Hartmann, 1962, S. 740). Während man die Verantwortung entweder auf sich nehmen oder von sich weisen kann, ist die Schuld viel endgültiger und unumgänglich. Das Schuldbewusstsein belastet die Person und kann sie zu unterschiedlichen Dingen veranlassen: 16

Die Person beugt sich unter der Last der Schuld und wird manchmal zur Selbstpreisgabe und manchmal zur Verzweiflung getrieben. Das Schuldbewusstsein drückt sich im Gewissen aus, die eigene moralische Haltung spiegelt sich in der Reue wider (Hartmann, 1962, S. 740f.). Damit einhergehend ergibt sich die Frage nach Werten und deren Rangordnung. Wird ein Interesse zu Gunsten eines anderen vernachlässigt, entsteht ein Interessenskonflikt, der ein Urteil verlangt. Geurteilt wird, wie der Rechtswissenschaftler Hans Kelsen schreibt, nicht mit einer rationalen Erkenntnis, sondern anhand von emotionalen Faktoren. Dies ist wiederum eine subjektive Entscheidung und so können Werte oder eine Hierarchisierung von Werten immer nur relativ verstanden werden (Kelsen, 2000, S. 15). Auch Hartmann beschäftigte sich mit einer Hierarchisierung oder Rangordnung der Werte, ist jedoch anders als Kelsen der Ansicht, dass diese allgemeingültig sind. In einem groben Schema bilden in seiner Lehre die Lustwerte die niedrigste Stufe, gefolgt von den Güterwerten, den Vitalwerten und schließlich den sittlichen Werten. Diese bilden nicht die höchst mögliche Stufe, denn den sittlichen Werten sind Werte wie „individuelle Persönlichkeitswerte“ übergeordnet (Hartmann, 1965, S. 167). Eine endgültige Entscheidung über die Rangordnung der Werte lässt sich nicht durch rationales Überlegen fällen, welcher Wert einem anderen unter- oder übergeordnet ist, entscheidet das Wertgefühl. Hartmann definiert die Rangordnung der Werte so: Jener Wert ist höher, der mit einer tieferen Befriedigung zusammenhängt. Materielle Güter können beispielsweise niemals eine ebenso tiefe Befriedigung hervorrufen wie es etwa ästhetische Werte vermögen (Hartmann, 1965, S. 168). Dennoch sind die niedrigeren Werte fundamentaler und existenznotwendig, sie bedingen die höheren Werte, denn wer zum Beispiel hungern muss, kann sich nicht an ästhetischen oder geistigen Werten erfreuen. Die Missachtung oder Verletzung der niederen Werte wiegt schwerer als das Streben nach den höheren Werten; das schlimmste Vergehen, „das schwerste aller Verbrechen“ ist, „[j]emanden seines Lebens zu berauben“ (Hartmann, 1965, S. 170). Der Mord an einem Mitmenschen ist demnach das schlimmste Verbrechen, das jemand begehen kann. Dieser Gedanke wird im Folgenden noch näher betrachtet werden. Das Wertgefühl kann als eine Art Instanz verstanden werden, die den Menschen dazu auffordert, besser zu werden. Das Wertgefühl verbindet den Menschen mit sittlichen Werten und äußert sich im Phänomen Gewissen (Hartmann, 1965, S. 168f.). Wie bereits festgestellt sind in verschiedenen Zeiten und Gesellschaften unterschiedliche Werte vorherrschend. Dies liegt aber laut Hartmann nicht daran, dass sich die Werte ändern, sondern der Wertblick ist es, der sich verändert. Werte sind beständig und unabhängig, nur der Blick auf die an sich seienden Werte wandert im Laufe der Zeit. So verliert das

17

Wertebewusstsein auf der einen Seite Werte, gewinnt aber auf der anderen Seite wieder neue dazu (Hartmann, 1965, S. 176).

Hans Kelsen ist einer der bedeutendsten Verfassungs- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts; in einer Schrift aus dem Jahr 1953 thematisiert er Gerechtigkeit als Problem der Lösung von Interessenskonflikten. Interessenskonflikte entstehen dann, wenn Uneinigkeit über die Rangordnung von Werten besteht und menschliches Verhalten gerechtfertigt werden soll. Der höchste Wert ist das menschliche Leben, demnach ist jegliches Töten, egal ob im Krieg oder durch Vollstreckung der Todesstrafe absolut verboten. Anders verhält es sich laut Kelsen im Falle von Selbstmord: Bei der Frage, ob Selbstmord sittlich gestattet ist, entsteht ein Wertkonflikt zwischen den Werten Leben und Freiheit. Sieht man den Wert des Lebens als höchsten an, ist Selbstmord verwerflich; versteht man die Freiheit als höchsten Wert, ist Selbstmord erlaubt wenn nicht sogar geboten. Kelsen betont jedoch, dass es sich in diesem Fall nicht um ein Werturteil handelt, sondern um eine nur subjektiv gültige Entscheidung (Kelsen, 2000, S. 16f.). Grundsätzlich lässt sich die Frage nach dem höchsten Wert nicht rational beantworten, dennoch hat der Mensch das Bedürfnis, sein Verhalten rational zu rechtfertigen (Kelsen, 2000, S. 22). Es wurde und wird oft versucht, in der Vernunft rationale „Grundprinzipien zu finden, die jene absoluten Werte konstituieren – die aber in Wahrheit von den emotionalen Elementen ihres Bewußtseins konstituiert werden“ (Kelsen, 2000, S. 27). Dieser Versuch, durch Rationalität allgemein gültige Normen zu formulieren, scheiterte im Laufe der Geschichte wiederholt und zeigt, dass Werte dem Menschen nur als relative Werte zugänglich sind. Das bedeutet, dass bei der Gerechtigkeitssuche und Urteilsfindung nie der Anspruch auf endgültige Richtigkeit erhoben werden kann, denn es ist nicht denkbar, „die Möglichkeit eines gegenteiligen Werturteils auszuschließen“ (Kelsen, 2000, S. 49). Es kann keine absolute Gerechtigkeit geben; rational gesehen, gibt es nur verschiedene Interessen, die unweigerlich zu Interessenskonflikten führen. Denen kann entweder damit begegnet werden, dass ein Interesse zu Gunsten des anderen vernachlässigt wird, oder dadurch, dass ein Kompromiss zwischen beiden gefunden wird. Keine der beiden Möglichkeiten ist per se gerecht, da es eben keine absolute, immer geltende Gerechtigkeit gibt. Aus einem solchen relativistischen Wertverständnis kann das Prinzip der Toleranz abgeleitet werden. Unter Toleranz versteht Kelsen das Recht eines jeden, seine Meinung friedlich zu äußern und die Forderung, jede politische und religiöse Anschauung, auch wenn man sie nicht teilt, zu akzeptieren. Toleranz kann in diesem Sinne Gewalt verhindern, keiner wird in Gedanken oder friedlichen Äußerungen und Taten eingeschränkt (Kelsen, 2000, S. 49f.). Kelsen schließt

18 seine Abhandlung mit der Einsicht, dass er nicht bestimmen könne, was Gerechtigkeit sei, das einzige, dessen er sich sicher ist, ist, dass es nur eine relative Gerechtigkeit und niemals eine absolute Gerechtigkeit geben kann (Kelsen, 2000, S. 52). Diese Einstellung, der zufolge keine absoluten Werte existieren und ethische Werte immer im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Strukturen und Konsequenzen betrachtet werden müssen, widerspricht zunächst Hartmanns These von objektiven Werten, die unabhängig von den Menschen bestehen und sich nur in menschlichen Handlungen realisieren. Hartmann beschreibt ethische Werte als apriori, objektiv, vom Menschen und dem realen Sein unabhängig und den Menschen konstituierend. Obwohl sich diese beiden Ansätze auch eindeutig dadurch unterscheiden, dass Kelsen von der Unmöglichkeit, eine Rangordnung von Werten auf rationale Weise zu bestimmen überzeugt ist, während Hartmann genau dies voraussetzt, kann dennoch ein gemeinsames Fazit aus den beiden Standpunkten gezogen werden: Beide Denker erkennen Gerechtigkeit als den Menschen konstituierenden Wert an. Kelsens Beobachtung, dass Wertvorstellungen von Gesellschaft und Zeit abhängen, könnte man mit Hartmanns Wertschau erklären, der zufolge Werte immer gleichermaßen bestehen aber nicht immer auf gleiche Weise erkannt und anerkannt werden. Da nun Gerechtigkeit als Voraussetzung für das menschliche Wesen und auch das menschliche Zusammenleben anerkannt wurde, soll die Frage der Verbindung zwischen Gerechtigkeit und der Institution Recht aufgegriffen werden.

3.2. Gerechtigkeit und die Institution Recht „Alles Recht beruht auf ethischer Grundforderung, auf einem echten geschauten Wert. Alles Recht ist Ausdruck eines ethischen Strebens“ (Hartmann, 1962, S. 65). Das Recht regelt gesellschaftliches Zusammenleben, es gibt vor, was geschehen oder gemacht werden soll und was nicht. Somit ist die Rechtswissenschaft stark auf Werte und Wertverständnis bezogen und damit verbunden; so haben die Begriffe und Elemente der Rechtsprechung eine hohe ethische Bedeutung. Hartmann ist der Meinung, dass das Recht die ethischen Werte als gegeben annimmt, es befasst sich also nicht mit einer Begriffsbestimmung, sondern ist als eine praktische Wissenschaft nur Vermittler der Werte und bestimmt ihre Verhältnisse und Konsequenzen (Hartmann, 1962, S. 65f.). Die Frage nach Gerechtigkeit begleitet jede Gesetzgebung und Rechtsanwendung notwendig wie ein Schatten. Jedes reflektierte Nachdenken über das Recht beinhaltet die Frage, ob man sich dabei an Gerechtigkeitsgeboten orientieren kann und ob diese bereits vor jeder Gesetzgebung existieren. Die Frage nach Gerechtigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch

19 jede Gesellschaft und jedes Rechtssystem und wird besonders dringlich in Zeiten, in denen starkes Unrecht herrscht (Horn, 2011, S. 236). Ebenso wie Hartmann ist auch Horn der Meinung, dass Gerechtigkeit zum sittlichen Bewusstsein des Menschen gehört und somit das menschliche Denken und Handeln konstituiert (Horn, 2011, S. 236). Geht man davon aus, dass Gerechtigkeit bereits vor der Gesetzgebung und unabhängig von ihr existiert, dann ist dennoch ungewiss, ob diese in einer Gesellschaft anerkannt wird oder nicht. Diese gesellschaftliche Anerkennung hängt davon ab, wie Gerechtigkeit in der Gesellschaft verhandelt wird, wie über Fragen der Gerechtigkeit diskutiert wird, oder auch nicht. Ausschlaggebend dafür ist das Staats- und Rechtssystem; in einem totalitären Staat etwa verhindern die Machthaber einen Gerechtigkeits-Dialog oder manipulieren diesen zu ihren eigenen Zwecken. Doch auch in einer demokratischen, offenen Gesellschaft kann es zu einem Stillstand kommen, indem Werte vergessen oder abgelehnt werden. Werte können auch dadurch verloren gehen, dass an alten Formulierungen und Formen festgehalten wird, ohne sie in Bezug auf die aktuelle Gesellschaft zu erneuern. Die Suche nach Gerechtigkeit ist nicht nur ein Erkenntnisvorgang, sondern auch mit der sittlichen Einstellung verbunden (Horn, 2011, S. 251f.). Daraus ergibt sich unmittelbar anschließend die Frage nach gerechten Gesetzen, der Verbindung zwischen Gesetz und Gerechtigkeit. Seit dem 19. Jahrhundert orientiert sich die Rechtsordnung vorwiegend an Gerechtigkeitsgeboten. Im Mittelpunkt dieser stehen die Menschenrechte, wobei diese im späten 19. und im 20. Jahrhundert durch Gesetze eines Sozialstaats ergänzt wurden. Da sich nicht alle Gesetze aus den Gerechtigkeitsgeboten ableiten lassen, werden viele Gesetze auf Grundlage ihrer Zweckmäßigkeit untersucht. Unbestreitbar ist die Tatsache, dass auch Gesetze, die der Einzelne vielleicht als ungerecht empfindet, eingehalten werden müssen, damit die Rechtssicherheit gewährleistet ist (Horn, 2011, S. 252-256). Ein Richter trifft eine Entscheidung immer im Namen des Rechts und darf deshalb nicht seinem eigenen Gerechtigkeitssinn oder dem Rechtsgefühl einer Partei oder Gruppe folgen. Die Rechtsgemeinschaft erwartet von einem Richter Rechtssicherheit. „[D]er Rechtsstaat bemüht sich um gerechte Gesetze. Der Richter im Rechtsstaat bemüht sich um ihre gerechte Anwendung (...). Der Richter darf aber nicht sein persönliches Wertempfinden an die Stelle der Bewertung durch die Rechtsgemeinschaft setzen“ (Horn, 2011, S. 281).

Damit scheint die Aufgabenverteilung im Rechtssystem klar formuliert; der Ursprung der Rechtsordnung liegt in der Gerechtigkeit. Ottfried Höffe schreibt in einer philosophischen Einführung zum Thema Gerechtigkeit, dass der Begriff Gerechtigkeit ursprünglich die Übereinstimmung mit dem Recht bezeichnet und 20 so eine enge Beziehung zwischen Gerechtigkeit und Gerichtswesen besteht. Neben diesem Verständnis von Gerechtigkeit kommt ihr auch eine starke moralische Bedeutung zu. „Sie meint in erster Annäherung sowohl objektiv die inhaltliche Richtigkeit des Rechts als auch subjektiv die Rechtschaffenheit einer Person“ (Höffe, 2001, S. 9). Obwohl in jeder Zeit und Gesellschaft die Menschen nach Gerechtigkeit streben, bleibt die Frage offen, was Gerechtigkeit ist, was sie ausmacht und worin sie besteht (Höffe, 2001, S. 26). Höffe unterscheidet zwischen zwei Aspekten von Gerechtigkeit: Die objektive Gerechtigkeit wirkt in Institutionen, in Recht und Staat – dieser Aspekt kann politische Gerechtigkeit genannt werden. Im subjektiven Sinne beschreibt Gerechtigkeit das subjektive, ständige und freiwillige Einhalten der politischen Gerechtigkeit – hier beschreibt Gerechtigkeit eine moralische Tugend und wird als Charaktereigenschaft verstanden. Dabei gilt es aber zwischen zwei Gerechtigkeitsstufen zu unterscheiden: Wer nur aus Angst vor Strafen gerecht handelt ist auf einer niedrigeren Stufe. Wer auf einer höheren Stufe gerecht ist, handelt aus einer moralischen Gesinnung (Höffe, 2001, S. 30f.). Zur Begründung der politischen Gerechtigkeit schreibt Höffe, dass zunächst geklärt werden muss, unter welchen Bedingungen Gesetze gerecht sind. Diese Frage wirft eine tiefer gehende Frage auf und zwar jene nach der Legitimität eines Staates und Rechtssystems. Höffe schreibt, dass diese den Menschen in seiner Freiheit einschränken: „Wer eine derartige Herrschaft von Menschen über Menschen rechtfertigt, überwindet zwei sich widerstreitende philosophische Richtungen: einen strengen Anarchismus, der jede Herrschaft für illegitim, und einen strengen Rechts- und Staatspositivismus, der eine beliebige Herrschaft für legitim hält“ (Höffe, 2001, S. 61).

Für die Überwindung dieser Kontraste gibt es zwei Argumentationsmuster. Das Kooperationsmodell geht auf Aristoteles zurück; dieses bezieht sich darauf, dass Menschen gegenseitig aufeinander angewiesen und demnach nicht autark sind – demzufolge gründet jegliche menschliche Beziehungen auf Wechselseitigkeit (Höffe, 2001, S. 62). „Die ein Rechts- und Staatswesen legitimierende Gerechtigkeit verbindet die Wechselseitigkeit in der Kooperation mit der Gemeinschaft von Recht und Unrecht“ (Höffe, 2001, S. 63).

Das zweite Modell bezeichnet Höffe als Konfliktmodell und beschreibt es als Ergänzung des Kooperationsmodells. Alle Menschen, die einen Lebensraum teilen, aber nicht in unmittelbarer Beziehung zueinander stehen, lassen sich auf eine Freiheitseinschränkung in dem Sinne ein, dass nicht jeder das Recht auf alles haben kann. Aus dieser freiwilligen Selbsteinschränkung ergibt sich eine Art Gesellschaftsvertrag. Dieser macht deutlich, dass der Staat und das Rechtssystem dem Zusammenleben der Bürger dient (Höffe, 2001, S. 63-66).

21

Die Überlegungen der Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner zum Thema Gerechtigkeit und Recht schließen sich bisher betrachteten Standpunkten an: „Gerechtigkeit ist ein Maßstab für die Gestaltung von Recht“ (Holzleithner, 2009, S. 85). Damit eine Rechtsordnung legitim ist, muss diese, wie auch die vollzogenen Urteile auf allgemeine Zustimmung stoßen. Um ein Verfahren gerecht entscheiden zu können, muss Fairness gewährt sein. Dazu zählen unter anderem ein unparteilicher Richter und die Öffentlichkeit des Verfahrens. Das geschriebene Recht kann auch auf verschiedene Weise interpretiert werden, es gibt verschiedene Lesarten: wörtliche, grammatikalische, historische, teleologische oder systematische (Holzleithner, 2009, S. 95f.). Diese Überlegungen zeigen, dass Gerechtigkeit als Voraussetzung für die Formulierung und Gültigkeit von Gesetzen, von Recht im Allgemeinen, angesehen wird. Offen bleibt jedoch die Frage, wie Gerechtigkeit im Gericht umgesetzt werden kann, welche Auffassung von Gerechtigkeit gilt und wie das Recht interpretiert wird. Bisher wurde zwar die Beziehung zwischen Recht als Institution beziehungsweise gültigen Gesetzen und Gerechtigkeit betrachtet, unbeachtet blieb jedoch die Frage, ob und inwiefern Gesetze moralisch richtig sind. Im Folgenden wird das Thema moralisch richtigen Handelns vertieft. In diesem Bezug wird auch die Verbindung zwischen Moral und Recht hinterfragt.

Gustav Radbruch gilt als einflussreichster Rechtsphilosoph des 20. Jahrhunderts und reflektiert die Begriffe Recht, Moral, Gerechtigkeit und Sittlichkeit folgendermaßen: „Über sittliche Werte kann nur das eigene Gewissen, nicht aber die Rechtsordnung entscheiden, was praktisch die wichtige Folge hat, daß Verstöße gegen das Recht nicht mit entehrenden Strafen geahndet werden dürfen“ (Radbruch, 1965, S. 37).

Hier beschreibt Radbruch jedoch nicht, was er unter entehrenden Strafen im Detail versteht. Den Unterschied zwischen Recht und Moral sieht der Philosoph darin, dass Recht die „Beziehung zwischen den Menschen“ behandelt, während Moral den einzelnen Menschen betrifft (Radbruch, 1965, S. 37, Hrv. i. O.). Außerdem kann man zunächst dem Recht eine Äußerlichkeit, der Moral eine Innerlichkeit zusprechen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass diese Bereiche nicht voneinander getrennt werden können. Zunächst scheint es, dass menschliche Beziehungen durch äußeres Verhalten bestimmt werden; doch das Recht beschäftigt sich auch mit innerem Verhalten (als Beispiel kann die Unterscheidung im Gesetz zwischen Handeln mit Vorsatz und Handeln aus Fahrlässigkeit genannt werden). Moral wertet äußerliche Verhaltensweisen als Ausdruck innerlicher Zustände. Das Recht zielt mit seinen Gesetzen und Strafen auf eine Veränderung im Menschen, dennoch liegt das Hauptinteresse

22 des Rechts gilt nicht dem Inneren des Menschen, sondern es geht darum, die Folgen der inneren Gesinnung zu leiten. Recht ist deshalb insofern auf Äußerlichkeit gerichtet, da es sich um die möglichen äußeren Folgen eines inneren Verhaltens kümmert (Radbruch, 1965, S. 38). Dies beweist deutlich, dass trotz der Unterscheidung zwischen Recht und Moral diese beiden Bereiche unmittelbar miteinander verbunden sind. So gründet die Geltung des Rechts auf der Moral, da jenes ein moralisches Ziel verfolgt. „Recht ist die Möglichkeit der Moral, damit freilich auch zugleich die Möglichkeit der Unmoral, und dadurch von der Moral inhaltlich unterschieden“ (Radbruch, 1965, S. 39, Hrv. i. O.). Zusammenfassend lässt sich wiederholen, dass Recht und Moral inhaltlich verschieden sind, dass sie aber dadurch miteinander verbunden sind, dass Moral das Recht begründet und dass das Recht moralische Ziele verfolgt. Der Jurist Heinrich Weber-Grellet sieht in dieser notwendigen Verbindung zwischen Recht und Moral die Gefahr, dass Moralvorstellungen, die nicht alle teilen, verallgemeinert werden, was zu einer Verrechtlichung der Moral führt. Recht entsteht immer in Zusammenhang mit den Moral- und Wertvorstellungen der Rechtsurheber. „Diese ethische Fundierung enthält aber nicht das Recht selbst, sondern ist nur die Basis, auf der Recht entsteht“ (Weber-Grellet, 2009, S. 146). Es gilt zu differenzieren, was Recht enthalten muss und was es enthalten kann (Weber-Grellet, 2009, S. 146).

Das letzte Kapitel zeigte, was aus einer speziellen philosophischen Sicht unter Werten verstanden wird. Werte sind in diesem Sinne allgemein und objektiv gültig, sie können durch eine Werteschau erkannt und anerkannt werden. Werte bestimmen ein Seinsollen und geben somit auch Rechtsnormen vor. Werte bilden die Grundlage des Rechts, ihr zentrales Anliegen ist die Gerechtigkeit. Im modernen Grundgesetz wird der Großteil der rechtsphilosophischen Forderungen umgesetzt, im Zentrum steht der Schutz der Würde des Menschen. Doch wie in allen philosophischen Teilgebieten lässt sich auch in der Rechtsphilosophie keine endgültige Wahrheit formulieren (Weber-Grellet, 2009, S. 1f.). Neben der Achtung der Menschenwürde stehen außerdem Freiheit, Gleichheit, Demokratie, sowie Rechts- und Sozialstaatlichkeit im Zentrum. Im Sinne eines demokratischen Verfassungsstaats wird eine Trennlinie zwischen Moral und Recht gezogen. Gerechtigkeit bezeichnet den Idealzustand, in dem das Recht vollständig verwirklicht wird (Weber-Grellet, 2009, S. 98f.). Aufgabe des Rechts ist, die für richtig erachteten beziehungsweise als richtig erkannten Werte im täglichen Leben umzusetzen, so

23

Weber-Grellet. „Das Recht ist nicht selbst Wert, sondern nur (ggf.) ‚Träger von Werten‘“ (Weber-Grellet, 2009, S. 148). Ziel des Rechts ist immer die Gerechtigkeit, die sich in konkreten Rechtssprüchen und Rechtsordnungen ausdrückt und für eine faire Lösung im Falle eines Interessenkonflikts sorgt (Weber-Grellet, 2009, S. 175). Wichtig ist außerdem die Vorstellung, Gerechtigkeit beruhe auf einer „Verbindung von Recht und Ethik“ (Weber-Grellet, 2009, S. 101).

All diese Bestimmungen veranschaulichen die starke Verbindung zwischen Gerechtigkeit und der Institution Recht. Die Betrachtungen des letzten Abschnittes zeigen einerseits, dass eine Definition von Gerechtigkeit schwierig ist, und andererseits, dass Gerechtigkeit das Ziel und auch die Grundlage von Recht ist. Die Funktion von Gesetzen ist die Gewährleistung von Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Der Begriff Gerechtigkeit kann auf zwei Weisen verwendet werden: Objektive beziehungsweise politische Gerechtigkeit bezeichnet den Staat, die Institution Recht. Subjektive Gerechtigkeit beschreibt das Einhalten der objektiven Gerechtigkeit und ist so eine Charaktereigenschaft.

3.3. Gerechte Strafen „Der Mensch sieht zwar oft das Gute, vermag es aber aus Schwäche nicht zu tun“ (Hartmann, 1965, S. 164). Es ist eine Tatsache, dass Menschen nicht immer sittlich handeln, dass sie Böses tun. Hartmann schreibt, dass ein solches Verhalten in der Antike (beispielsweise von Sokrates) als Abirren von dem Pfad der Tugend gedeutet wurde und die Idee vorherrschend war, dass etwas Böses nur auf Grund von Unwissenheit oder Irrtum getan wird. Im Christentum wurde dies uminterpretiert, indem man suggerierte, es gäbe eine verführende Macht, die den Menschen wider besseres Wissen zum Bösen verleitet. Sieht man jedoch eine Tendenz zum Bösen als dem Menschen inhärent und spricht man dem Menschen gleichzeitig die Fähigkeit zur Einhaltung der sittlichen Gesetze zu, dann ergibt sich ein stetiger innerer Kampf zwischen Naturgesetz und Sittengesetz (Hartmann, 1965, S. 164f.). Hartmann schreibt weiter, dass der Mensch nicht das Böse intendiert, sondern „[e]r tut nur Böses, indem er beim Erstreben eines Wertes einen anderen, einen höheren, verletzt“ (Hartmann, 1965, S. 166). Gustav Radbruch schrieb in den 1940er Jahren eines der bedeutendsten Werke der Rechtsphilosophie. Auch er ist der Meinung, dass das Ziel des Rechtes und jedes Gesetzgebers die Gerechtigkeit ist. „Die Gerechtigkeit ist ein absoluter Wert gleich dem Wahren, dem Guten, dem Schönen, also auf sich selbst gegründet und nicht von höheren Werten abgeleitet“ (Radbruch, 1965, S. 24). Genauso wie viele andere unterscheidet

24

Radbruch Gerechtigkeit als Tugend, subjektive Gerechtigkeit und objektive Gerechtigkeit. Gerechtigkeit kann deshalb eine menschliche Eigenschaft oder die Beziehung zwischen zwei Dingen oder Subjekten sein; Beispiele dafür sind die Verhältnisse zwischen Schuld und Strafe, Schaden und Ersatz (Radbruch, 1965, S. 24f.). Aus einer Gerechtigkeitsvorstellung lässt sich aber nicht automatisch eine Strafe ableiten: „Gerechtigkeit kann das verhältnismäßige Maß der Strafen immer nur innerhalb eines gegebenen Strafensystems feststellen, aber nicht das Strafensystem selbst“ (Radbruch, 1965, S. 26). Das Einhalten von ethischer Pflicht kann nicht durch Rechtszwang herbeigeführt werden, da die ethische Pflichterfüllung ein freier Akt ist. Das Recht kann also ethische Pflicht nicht erzwingen, Recht kann diese aber ermöglichen: „das Recht ist die Möglichkeit sittlicher Pflichterfüllung“ (Radbruch, 1965, S. 29).

Ebenso wie die Vorstellung von Gerechtigkeit verändern sich auch die Vorstellung und das Ausmaß an Strafen je nach Gesellschaft und Epoche. Nichtsdestoweniger ist das Strafverfahren in jeder Epoche und Gesellschaft gegenwärtig (Höffe, 2001, S. 78). Höffe definiert vier grundsätzliche Bestrebungen von Strafen: „Vergeltung“, „negative Vorkehrung bzw. Prävention, die Abschreckung“, „positive Prävention (Rechtstreue, Rechtsvertrauen, Befriedung)“ und „Wiedereingliederung in die Gesellschaft“ (Höffe, 2001, S. 79). Strafen können in dieser Hinsicht vorbeugend wirken, als eine Art Abschreckung dienen, sie können aber auch als bloße Bestrafung, das heißt Vergeltung, aber auch als Schutzmaßnahme eingesetzt werden. Außerdem müssen Gesetze festgelegt werden und bekannt sein, dass sie, wenn man gegen sie verstößt, eine Strafe nach sich ziehen. Allgemein gültig ist: Eine gerechte Strafe orientiert sich an der Schwere des Vergehens (Höffe, 2001, S. 80f.). Bereits im Alten Testament ist ein Prinzip der Strafe festgelegt, das lange Zeit aufrecht erhalten blieb: ‚Aug um Aug, Zahn um Zahn‘ beschreibt die Vorstellung, dass Gleiches mit Gleichem vergolten werden soll. Dies führt jedoch zum Gesetz der Blutrache; auf eine Straftat wird mit einer anderen Straftat reagiert. Diese Art von Rache wird in der modernen Zeit durch ein anderes Strafverfahren abgelöst: Strafen dienen heute der Legitimation von Gesetzen, sowie dem Ziel, den Täter, aber auch andere potenzielle Täter, von weiteren Vergehen abzuhalten. Eine Strafe aber soll nur dann verhängt werden, wenn der Täter bewusst gehandelt hat und dafür verantwortlich gemacht werden kann (Holzleithner, 2009, S. 97).

Um eine Annäherung an das Problem von gerechten Strafen zu ermöglichen, wird zunächst die Frage nach moralisch richtigem Handeln gestellt.

25

Der Philosoph Otto Neumaier differenziert zwei Moraltheorien: Folgt man einer teleologischen Ethik, ist moralisch richtiges Handeln mit einem außermoralischen Wert verbunden. In diesem Sinne ist eine Handlung richtig, wenn ihre positiven Konsequenzen deutlich gegenüber den negativen überwiegen und die betreffende Handlung zumindest nicht weniger positive Folgen hat als jede andere Handlungsalternative. Eine zweite Moraltheorie ist die deontologische Ethik, in deren Vorstellung moralisch richtiges Handeln nicht von den empirischen Folgen, sondern von Moralprinzipien abhängt. Beide Ansätze sind nicht in ihrer Reinform haltbar: sind nur die empirischen Konsequenzen relevant, kann dies zu ungerechten Vorgehensweisen führen (Lasten und Güter werden beispielsweise auf ungerechte Weise verteilt); lässt man aber die Folgen außer Acht und beruft sich ausschließlich auf Moralprinzipien, kann dies dazu führen, dass Handlungen, die eindeutig unmenschlich sind, als moralisch richtig angesehen werden (zum Beispiel das Foltern von Menschen im Dienste der Wahrheitsfindung). Die teleologische und deontologische Moraltheorie ergänzen einander notwendigerweise und so hängt moralisch richtiges Handeln sowohl von den empirischen Konsequenzen als auch von Moralprinzipien ab (Neumaier, 2008, S. 128f.). Eine Handlung hat moralische Bedeutung, sobald sie andere Lebewesen als den Handelnden selbst betrifft. Betrachtet man die Handlungskonsequenzen, stellt sich zuerst die Frage, was eine Konsequenz beziehungsweise eine Folge ist. Neumaier definiert dies wie folgt: Eine Konsequenz bezeichnet eine Veränderung eines Sachverhalts, die durch eine Handlung hervorgerufen wird. Eine Handlungskonsequenz ist in dem Sinne gut, wenn sie einen Sachverhalt bewirkt, der im Interesse aller betroffenen Personen ist. In diesem Zusammenhang wird zwischen primären und sekundären Interessen unterschieden. Erstere betreffen Interessen am eigenen Leben, alles was nur entfernt oder gar nicht damit zusammenhängt wird als sekundäres Interesse bezeichnet, wobei dies nur eine grobe und allgemeine Kategorisierung ist (Neumaier, 2008, S. 131-135). Ob eine Handlung gerechte Konsequenzen zur Folge hat, ist abhängig von Normsystemen wie Moral und Recht, „denn der Wert der Gerechtigkeit wird im Rahmen einer (ethischen oder juristischen) Theorie der Gerechtigkeit bestimmt“ (Neumaier, 2008, S. 139). Die Verantwortung eines Menschen gegenüber seinen Taten drückt sich im Eingestehen der Tat aus und macht den Täter zu einem verantwortlichen, zurechnungsfähigen Wesen. Versucht sich aber ein wiederholter Straftäter zu entlasten, indem er beteuert, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben, erklärt er sich selbst „als sittlich unzurechnungsfähig“, so Hartmann (Hartmann, 1965, S. 181). Die Grenze der Entschuldigung liegt dort, wo Schuld vorliegt; das Wort ‚Ent-schuldigung‘ impliziert ein Aufheben der

26

Schuld, was wiederum den Menschen zu einem unmündigen Wesen degradiert, das keine sittlichen Werte verfolgen kann und tut, was es tun muss. Ein Schuldiger kann deshalb nur um Verzeihung und niemals um Entschuldigung bitten (Hartmann, 1965, S. 181f.).

Eine prinzipielle Voraussetzung für Strafen ist, dass Gesetze allgemein bekannt sein müssen. Gemäß dem Strafgesetzbuch gilt: „kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz“ (Strafgesetzbuch §1, zitiert nach Höffe, 2001, S. 80). Ziel von Strafen ist die Vorkehrung, dass das Recht nicht missachtet wird; bestraft wird, wenn und weil das Recht verletzt wurde. „Eine Strafe (…) ist nur dann gerecht, wenn sie nach einem gravierenden Rechtsverstoß und seinetwegen erfolgt“ (Höffe, 2001, S. 81). Recht und damit auch Strafen dienen dazu, den Menschen Gerechtigkeit zukommen zu lassen, ihnen soll zu ihrem Recht verholfen werden. Das beinhaltet, Schuldige zu verurteilen und Unschuldige freizusprechen (Höffe, 2001, S. 53). Abermals gilt die Gerechtigkeit als oberstes Ziel: Gesetze und Rechtssysteme dienen der Gerechtigkeit und gründen auf ihr; Strafen werden verhängt, wenn gegen die geltende Rechtsordnung verstoßen wird, sodass die Gerechtigkeit wieder hergestellt wird.

Zusammenfassend können folgende Überlegungen festgehalten werden: Eine Handlung ist moralisch richtig, wenn ihre objektiv voraussehbaren Konsequenzen insgesamt mindestens genauso gut sind wie die Folgen aller verfügbaren Handlungsalternativen. Dabei gilt die Voraussetzung, dass der Handelnde sich der Konsequenzen bewusst ist, dass er als zurechnungsfähiges Subjekt die Folgen kennen sollte. Eine Straftat wird immer von einem sittlich zurechnungsfähigen Wesen begangen und kann niemals entschuldigt, sondern höchstens verziehen werden. Die Schwere der Strafe richtet sich immer nach der Schwere des Vergehens. Strafen verfolgen verschiedene Ziele, sie können als Vergeltung, als Vorkehrung bzw. Prävention und Abschreckung dienen.

Nach diesen philosophischen Betrachtungen zum Thema Gerechtigkeit wird im nächsten Abschnitt aus drei verschiedenen Gründen auf Bertolt Brechts Theorie zum epischen Theater eingegangen. Erstens dient das Kapitel einer Überleitung des theoretischen in den praktischen Teil. Zweitens entsprechen viele Vorstellungen Brechts zu einem neuen Theater auch Nicolai Hartmanns Verständnis von Kunst beziehungsweise Theater. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass von einer Veränderlichkeit des Menschen und der Gesellschaft und von der Möglichkeit, dass dies durch eine Theateraufführung passieren kann, ausgegangen wird.

27

Drittens beinhalten alle drei betrachteten Opern epische Elemente, die verbindend wirken und auf eine allgemeine Veränderung der ästhetischen Mittel jener Jahre hinweisen.

4. Das epische Theater

Im Zuge der Entstehung der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny formulierte Bertolt Brecht erstmals die Unterschiede zwischen einer dramatischen Form des Theaters und dem epischen Theater. Die Hauptmerkmale bestehen darin, dass das epische Theater erzählend und nicht handelnd ist, es macht den Zuschauer zum aktiven Betrachter, der dem Bühnengeschehen gegenüber steht und nicht darin involviert ist. In dieser Theaterform wird der Mensch als veränderlich und verändernd dargestellt, er befindet sich im Prozess und ist kein Fixum. Die Szenen sind nicht miteinander verbunden und aufbauend, sondern stehen jede für sich, die Erzählung verläuft in Kurven anstatt linear. In der klassischen, dramatischen Form bestimme, laut Brecht, das Denken das Sein; im epischen Theater das gesellschaftliche Sein das Denken. Das epische Theatergeschehen appelliere nicht an die Gefühle der Zuschauer, sondern an ihren Verstand (Brecht, 1957, S. 19-22). Brecht versteht die zeitgenössische Oper als Genussmittel; die Gattung Oper beinhalte viele unvernünftige Elemente: Rationale und reale Tatbestände würden angestrebt, durch die Musik allerdings aufgelöst. Das Unvernünftige sei also ein typisches Merkmal der Oper und werde laut Brecht schon dadurch erfüllt, dass ein Mensch auf der Bühne real ist; wenn er jedoch singt, erreiche das den Bereich der Unvernunft. Diese Unvernunft, die Irrealität stehe in direkter proportionaler Beziehung zum Grad des Genusses (Brecht, 1957, S. 16ff.). Die Musik solle in einer epischen Oper den Text auslegen, ihn vermitteln und dazu Stellung nehmen. Der Text solle etwas Lehrhaftes enthalten, er solle Sentimentalität und Moral darstellen. Das beinhaltet nicht nur das gesprochene sondern auch das geschriebene Wort auf der Bühne (Transparente, Projektionen oder Plakate). Als weiteres Anschauungsmittel dient Bildmaterial: Brecht spricht der Musik, dem Text und dem Bild unabhängige und für sich stehende Funktionen zu (Brecht, 1957, S. 21f.). Die Oper entwickelte sich, so Brecht, mehr und mehr zu einem reinen Genussmittel, selbst wenn bildende Elemente darin enthalten sind. Diese würden jedoch durch die Musik zerstört, da die Musik reale Ereignisse (zum Beispiel einen sterbenden Menschen) unvernünftig darstelle (wenn der Mensch im Sterben singt). Als Ursache für diesen Verfall sieht Brecht die Tatsache an, dass sich der Operninhalt immer weiter von der Wirklichkeit und den

28 tatsächlichen gesellschaftlichen Problemen entferne. Die einzige Möglichkeit, die Oper zu erneuern, betrifft aus seiner Sicht den Inhalt: Opernstoffe sollen sich auf aktuelle und reale Geschehnisse der Gegenwart beziehen und diese Problemstellungen thematisieren (Schumacher, 1977, S. 212-216). Dabei kommt der Musik eine vermittelnde Funktion zu: Durch die Musik sollen Inhalte hervorgehoben und der Text ausgelegt werden. Mittels musikalischer Hervorhebungen können Akzente gesetzt und so Stellung bezogen werden (Schumacher, 1977, S. 285). Schumacher stellt zusammenfassend fest: „Die Stücke mit Musik und die epische Oper waren künstlerischer Soziologismus. Die Verschärfung der gesellschaftlichen Gegensätze erzwang konkrete dramatisch- musikalische Abbilder“ (Schumacher, 1977, S. 289).

Folgt man diesem Ansatz, würde das bedeuten, dass die künstlerischen Mittel und Ziele der Oper in gesellschaftlichen und sozialen Kontexten gründen. Durch die Veränderungen in Politik, Staat und Gesellschaft wurde es notwendig, in der Kunst darauf zu reagieren, Missstände und Probleme zu thematisieren. Kittstein charakterisiert Brechts episches Theater folgendermaßen: Das Theater dient zur Belehrung sowie Aufklärung und ist „wirkungsästhetisch ausgerichtet“ (Kittstein, 2012, S. 299). Es solle jedoch nicht bei einer reinen Belehrung bleiben, sondern den Zuschauer ermutigen oder befähigen, in seine soziale Umwelt einzugreifen und Zustände zu verändern. Das epische Theater solle die gesellschaftliche Wirklichkeit auf der Bühne darstellen, und diese Realität solle als Objekt praktischer Arbeit empfunden werden (Kittstein, 2012, S. 299). Das bedeutet, dass das epische Theater beabsichtigt, im Zuschauer die Bereitschaft zu wecken, selbst schöpferisch tätig zu werden, die Gesellschaft und die Welt als veränderbaren Ort wahrzunehmen und an diesem Ort zu arbeiten, ihn zu verbessern. Das epische Theater appelliert demnach einerseits an den menschlichen Verstand und andererseits an seine schöpferische Handlungsbereitschaft.

Eines der wichtigsten Mittel im epischen Theater ist die Verfremdung, die das Verhältnis zwischen Bühne und Publikum beeinflusst. Die auf der Bühne nachgeahmten und inszenierten Vorgänge werden mithilfe der epischen Elemente verfremdet. Es handelt sich um einen dreistufigen Prozess, „der von der anfänglichen oberflächlichen Vertrautheit über die Verfremdung, die das Objekt unvertraut und erklärungsbedürftig werden lässt, zu einer neuen, vertieften Einsicht führt“ (Kittstein, 2012, S. 301). Das erste Ziel des Verfremdungseffektes ist demnach eine Einsicht oder eine Erkenntnis, die ein neues Licht auf vertraute Dinge wirft.

29

Verfremdung kann mithilfe von ästhetischen und künstlerischen Techniken zu einer Irritation bei den Zuschauern führen. Durch Verfremdungseffekte wird eine Distanz zwischen dem Bühnengeschehen und den Zuschauern erzeugt. Die Verfremdung ist eng verwandt mit der Tätigkeit des Zeigens: Im epischen Theater verschmilzt der Schauspieler nicht mit seiner Figur, er präsentiert die Figur dem Zuschauer mit einer kritischen Distanz, die, über diese urteilend, mögliche Handlungsalternativen andeutet (Kittstein, 2012, S. 301f.). Dies bedeutet, dass durch Verfremdungseffekte auf bestimmte Dinge hingewiesen wird, Missstände und alternative Handlungen werden so aufgezeigt. Brecht selbst verwendete den Begriff Verfremdungseffekt für folgende Methode: „Bekannte Vorgänge oder Menschen werden durch die beschriebenen und noch andere Mittel derart ‚verfremdet‘, fremd gemacht, daß der Zuschauer sie wie zum erstenmal ganz neu und damit kritisch sieht“ (Hensel, 1972, S. 101).

Eine solche Verfremdung soll dazu führen, dass sich der Zuschauer über das Dargestellte derartig wundert, dass er die verfremdet dargestellten Zustände ändern will. Der Zuschauer soll sich außerdem über den Menschen wundern, es soll ihm bewusst werden, dass auch der Mensch verändert werden kann (Hensel, 1972, S. 101f.). Ziel eines Verfremdungseffektes ist, „den Zuschauer zum Eingriff in gesellschaftliche Vorgänge, zur Aktivität zu bewegen“ (Hensel, 1972, S. 102). Dies kann als zweites Ziel des Verfremdungseffekts genannt werden: der Zuschauer wird aufgefordert, selbst aktiv zu werden, die Gesellschaft und sich selbst zu verändern. Brecht verwendet den Begriff Verfremdung erkenntnistheoretisch, was bedeutet, dass er mit dem Begriff eine Bedingung für ein Erkennen bestimmt. In der Kunst wirkt diese durch die Produktion und Rezeption; durch spezielle Techniken soll auf die Wirklichkeit hingewiesen werden und zwar auf Tatbestände, die bislang als selbstverständlich, natürlich, gewohnt und bekannt wahrgenommen wurden. Damit diese nun dem Zuschauer auffallen und bewusst werden, werden sie entfremdet, denn es kann nur das verstanden werden, was nicht als unmittelbar gegeben wahrgenommen wird (Knopf, 1980, S. 378f.). Durch Verfremdung werden Dinge als veränderlich erkannt, was die Voraussetzung für ein tatsächliches Eingreifen und Verändern der Wirklichkeit ist. Durch Mittel der Verfremdung schafft Brecht in seinen Stücken bewusst eine Distanz. Diese soll den Unterschied zwischen Kunst und Realität, zwischen Bühne und Welt aufzeigen und so dem Zuschauer klar machen, dass das, was auf der Bühne dargestellt wird, künstlich erzeugt ist und nichts Reales repräsentiert. Das soll dem Zuschauer dazu verhelfen, „den gezeigten Vorgang und seine Künstlichkeit zugleich zu sehen“ (Knopf, 1980, S. 384, Hrv. i.

30

O.). Durch diesen Erkenntnisprozess ist der Zuschauer in der Lage, die auf der Bühne gezeigten Vorgänge zu reflektieren und sich ihnen gegenüber kritisch zu positionieren (Knopf, 1980, S. 384). Ähnliches scheint Walter Benjamin, einer der bedeutendsten Literatur- und Kulturkritiker des 20. Jahrhunderts und außerdem Freund Brechts, zu meinen, wenn er schreibt, das epische Theater sei ein gestisches Theater. Dabei stellt die Geste das Material dar, das im Theater verarbeitet wird. Die Geste ist, anders als die vielschichtigen und mehrdeutigen Aktionen und Äußerungen, erstens unverfälschter, zweitens hat sie einen fixierten Anfangs- und Endpunkt. Benjamin ist der Meinung, dass Gesten vermehrt eingesetzt werden je öfter ein Handelnder unterbrochen wird und so folgert er: „Für das epische Theater steht daher die Unterbrechung der Handlung im Vordergrunde“ (Benjamin, 2007, S. 375). Bei Brecht wird die Unterbrechung vielfach eingesetzt: „retardierende Charakter der Unterbrechung, der episodische Charakter der Umrahmung“ sind charakteristisch für das epische Theater, so Benjamin (Benjamin, 2007, S. 376). Ein weiteres Charakteristikum ist, dass nicht Handlungen sondern Zustände dargestellt werden, wobei diese nicht wirklich wiedergegeben sondern entdeckt werden. Diese Entdeckung geschieht auf Grund der Handlungsunterbrechungen – beziehungsweise mithilfe von Verfremdungseffekten, die, wie eben ausgeführt, einen Erkenntnisprozess bewirken. Bezüglich des episodischen Charakters schreibt Benjamin, dass es im epischen Theater theoretisch immer möglich sein sollte, bei jeder Szene neu einzusteigen und trotzdem die Handlung verfolgen zu können (Benjamin, 2007, S. 376ff.). Obwohl das epische Theater eine belehrende und nicht primär eine unterhaltende Funktion hat, bereitet es dennoch Lust. Die Erkenntnis, dass der Mensch veränderbar und gleichzeitig verändernd ist, dass er zahllose Möglichkeiten hat und dass er überhaupt als Mensch erkannt werden kann, bereitet Lust. Der Prozess der Erkenntnis an sich ist hier lustvoll (Benjamin, 2007, S. 384). Im epischen Theater existiert außerdem eine genaue Vorstellung von einer Art Ideal- Publikum: Das Publikum tritt als Kollektiv auf und es wird dazu veranlasst unmittelbar Stellung zu beziehen. Es solle vor allem entspannt sein. Außerdem soll sich das Publikum nicht, wie im aristotelischen Theater, in den Helden hineinversetzten – die Zuschauer sollen sich nicht einfühlen sondern sie sollen über die Zustände staunen (Benjamin, 2007, S. 386ff.). Wiederholend kann festgestellt werden, dass das epische Theater das Publikum dazu ermutigen möchte, selbst Stellung zu beziehen, selbst schöpferisch tätig zu werden und dadurch sich selbst und die Gesellschaft zu verändern.

31

Dieser kurze Überblick über das epische Theater soll in den folgenden Kapiteln stets mitgedacht werden. Wie bereits erwähnt, werden viele Gemeinsamkeiten zwischen Brechts Theatertheorie und Hartmanns philosophischer Abhandlung über Kunst und Theater sichtbar. Zusammenfassend können einige Hauptmerkmale und Charakteristika eines epischen Theaters genannt werden: im epischen Theater wird davon ausgegangen, dass der Mensch und die Gesellschaft veränderbar sind und dass das Theater eine solche Veränderung hervorrufen kann. Durch das Theater, in dem gesellschaftliche Problemstellungen aufgegriffen werden, wird der Zuschauer zum Nachdenken angeregt, er soll sich nicht in die dargestellten Figuren hineinversetzen, sondern durch eine gewisse Distanz – erzeugt beispielsweise durch Verfremdungseffekte – den eigenen Standpunkt reflektieren; der Zuschauer wird zu einem aktiven Betrachter. Im epischen Theater wird nicht an die Gefühle der Zuschauer, sondern an ihren Verstand appelliert. Indem vor allem moralische Aspekte auf der Bühne verhandelt werden, erhält das Stück etwas Lehrhaftes, es soll den Zuschauer moralisch bilden und formen.

5. Entstehung und Handlung der drei Opern

Dieses Kapitel dient einem Überblick über den Entstehungskontext der jeweiligen Oper, sowie einer verkürzten Darstellung der Operninhalte. Um anschließend einen Vergleich der drei Opern zu ermöglichen, wird besonderes Augenmerk auf die Gerichtsszenen gelegt. Die Behandlung der drei Opern erfolgt in chronologischer Folge orientiert am Datum der Uraufführungen.

5.1. Leben des Orest Die Oper Leben des Orest entstand zwischen August 1928 und Mai 1929 und ist Kreneks zweite von vier Antiken-Opern. Die Uraufführung erfolgte am 19. Januar 1930 im Stadttheater Leipzig. Krenek, der sowohl die Musik als auch das Libretto schrieb, bezieht sich auf Stoffe der griechischen Mythologie – er intendierte jedoch keine Wiederbelebung oder Neuauflage des Orest-Mythos. Vielmehr verwendet Krenek Elemente aus Aischylos Orestie, aus Euripides Iphigenie-Dramen sowie aus dessen (Zuber, 1989, S. 333ff.). In Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters beschreibt Barbara Zuber diese Oper als einen Versuch, „die

32

‚große Oper‘ des 19. Jahrhunderts neu zu beleben: mit heroischem Pathos, virtuoser Koloratur und schwerblütiger Chromatik, die immer wieder in die Atonalität ausschert“ (Zuber, 1989, S. 335). Bis 1931 wurde die Oper an verschiedenen Orten aufgeführt, die politischen Veränderungen der 1930er Jahre verhinderten jedoch eine weitere Verbreitung und so wurde Leben des Orest erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeführt (Zuber, 1989, S. 335).

Die Handlung der Oper beginnt vor dem Trojanischen Krieg und endet etwa zehn Jahre später. Zu Beginn des ersten Aktes steht das Volk kurz vor Kriegsbeginn. Der König tritt vor sein Volk, ruft zum Krieg auf und schickt seine Männer in die Schlacht. Die Bevölkerung versucht, den König umzustimmen, der daraufhin wütend wird und um jeden Preis in den Krieg ziehen will. Um dem Volk seine Überzeugung und seine Kampfbereitschaft zu demonstrieren, erklärt er sich sogar dazu bereit, seinen einzigen Sohn Orest zu opfern. Dies kann die Königin Klytaemnestra noch verhindern und verhilft Orest zusammen mit der Amme Anastasia zur Flucht. Als der König nach Orest ruft, ist dieser bereits entkommen – gedemütigt und von Sinnen, will Agamemnon nun seine Tochter Iphigenie opfern. Als der König zum Schlag ansetzt, ertönt ein Donnerschlag und Iphigenie ist verschwunden. Der zweite Akt spielt in einem nördlichen Königreich, das König Thoas regiert. In der Nacht erscheint ihm Iphigenie, die der König jedoch für eine Göttererscheinung hält. Gleichzeitig kommt Orest mit Anastasia nach Athen, wo ein Jahrmarkt tobt. Orest benimmt sich, als gehöre ihm alles und glaubt, er könne tun und lassen, was er möchte. Dies bringt ihn schnell in Schwierigkeiten. Der dritte Akt spielt wieder in Agamemnons Reich. Dieser kehrt nach zehn Jahren aus dem Krieg zurück. Aegisth, ein Verwandter und Berater des Königs, und Klytaemnestra sind über seine Rückkehr erschrocken, da sie nun ein Paar sind; keiner empfängt den zurückgekehrten König, außer seiner Tochter Elektra, die ihn auch davon abhält, sich das Leben zu nehmen. Der König erkundigt sich nach seinem Sohn Orest und erfährt, dass er nach Phokis geschickt wurde, aber dort nie ankam und auch nicht in die Heimat zurückkehrte. Aegisth bereitet dem König einen Willkommenstrunk vor, den Elektra ihm widerwillig reicht. Agamemnon trinkt und windet sich in Krämpfen, er weiß, dass er vergiftet wurde. Aegisth stellt Agamemnons Tod nun so dar, als hätte Elektra diesen herbeigeführt. Währenddessen befindet sich Orest immer noch auf Wanderschaft in Griechenland. Nachdem er dem Gesang eines Hirten über die Vögel, die südwärts fliegen, gelauscht hat, beschließt er in die Heimat zurückzukehren. Das nächste Bild zeigt das Königreich, Agamemnon liegt in einem Sarg, Elektra ist

33 eingesperrt, wünscht sich ihren Bruder herbei, beweint den Tod des Vaters und verflucht die Mutter und ihren teuflischen Gefährten – gleichzeitig lärmt eine ausgelassene, orgiastische Feier. Orest stößt, nicht wissend, dass er die Heimat bereits erreichte, zu der Totenfeier hinzu und erinnert sich weder des Orts noch der Leute. Elektra jedoch erkennt ihren Bruder und erzählt ihm von den Veränderungen. Orest wird sich bewusst, dass er nun König des Landes ist, lässt sich von den Wachen nicht aufhalten und erschlägt Aegisth und auch seine Mutter Klytaemnestra, die ihn im Sterben verflucht: „Dann sei verflucht! Auf der Erde ruhe nie dein Fuß! Wo du bist, sei deines Bleibens nicht, ewig irr‘ herum, weil du die Mutter umgebracht…“ (Krenek, 1929, S. 44). Die Menge ist außer sich, fürchtet eine erneute Tyrannenherrschaft, wendet sich gegen Orest, den grausamen Muttermörder, und verjagt ihn aus ihrem Reich; Elektra töten sie durch Tritte und Schläge. Der vierte Akt beginnt im Nordland: König Thoas bittet Iphigenie seit nunmehr zehn Jahren, seine Königin zu sein, diese weigert sich und erkennt, dass sie nur Unheil und Leid über den König bringt, dessen Reich langsam auseinander bricht. Als ein Sturm wütet, hört seine Tochter Thamar Hilferufe vom Strand, wo sich Orest in Not befindet. Orest denkt im ersten Moment er sei tot und in der Hölle gelandet. Als ihm Thamar entgegentritt, scheinen sich die beiden ineinander zu verlieben. Als Orest klar wird, dass er noch auf Erden, im Reich Thoas ist, wird ihm auch bewusst, dass ihn sein Fluch auch hier verfolgt und bricht zusammen: „Mord, nur Mord! Ich kann nicht leben ohne Mord“ (Krenek, 1929, S. 52). Thamar sieht in Orest eine Chance, endlich Iphigenie loszuwerden wofür sie ihm die Befreiung seines Fluchs und seines Wahnsinns verspricht. Sie führt ihn zu ihr, seinem Opfer, die sich innständig wünscht, ihr geliebtes Vaterland Griechenland zu sehen und ihren Vater sicher und gesund zu wissen. Orest, getrieben vom Fluch der Mutter, kommt langsam zu sich, als er das Beil gegen seine Schwester Iphigenie erhebt und die Geschwister erkennen einander. Iphigenie will ihren Bruder begleiten und ihm helfen; der König bietet ihnen einen Ausweg: Er möchte Iphigenie heiraten und Thamar mit Orest vermählen. Dieses Angebot kann Orest nicht annehmen und so beschließen sie alle zusammen nach Griechenland zu gehen: „So geben wir unser kleines Leben in die Hand des allwaltenden Schicksals, erwartend demütig, was es uns bringt“ (Krenek, 1929, S. 57). Der fünfte Akt zeigt die Rückkehr nach Griechenland, Orest wird nach Athen vor das Gericht gezerrt. Der Richter fühlt sich außer Stande, ein Urteil zu fällen, daraufhin will sich Orest töten, doch ein Kind, das mit einer der weißen Kugeln (die für den Freispruch stehen) spielte, lässt diese aus Versehen in den Urteilstopf fallen und so wird für Orests Unschuld gestimmt.

34

5.1.1.Gerichtsszene Die Szene spielt vor dem Standbild der Pallas Athene auf dem Marktplatz, das Gericht ist in einem Halbkreis aufgestellt, es besteht aus dem Oberrichter Aristobulos und zwölf Beisitzenden. Aristobulos sitzt direkt vor der Athene-Statue. Vor jedem Beisitzer liegen eine schwarze und eine weiße Kugel, das Gericht wird von vielen Menschen umringt. Orest tritt gemeinsam mit Thoas, Iphigenie und Tamar vor Gericht, begleitet von vier Straßensängern. Abwechselnd mit dem Chor bedauern die Sänger den ‚armen‘ Orest, den nicht das Recht sondern höchstens Gnade retten kann. Orest wird des Mordes an der Mutter und dem Verwandten Aegisth angeklagt, er muss sich für seine Vergehen verantworten. Die Strafe lautet auf Tod. Orest bekennt vor dem Gericht seine Schuld: „Schuldig bin ich, ihr Richter, doch bedenkt, schuldig ist jeder Mensch. Sucht zu ermessen, wie Schicksal sich verkettet, Unheil und Wirrnis Zwang schafft zu handeln, jäh und furchtbar tut sich auf der Abgrund der Tat, und unausweichlich stürzt ein Mensch“ (Krenek, 1929, S. 59).

Orest erzählt von seiner Kindheit, dem autoritären Vater, der ihn aus Eifersucht gefangen hielt, seinem zehnjährigen Herumirren in dunkler Einsamkeit durch ganz Griechenland, seiner Möglichkeit, in einem fernen Land Vergebung und Frieden zu bekommen, und der Tatsache, dass er trotzdem lieber in die Heimat zurückkehrte. Orest bittet nur um eines: die Erlösung von dem Fluch, der auf ihm liegt. Der Oberrichter erkennt die Schwierigkeit in diesem Falle zu richten und ruft die Beisitzenden dazu auf, mit Bedacht über Orests Leben oder Sterben zu urteilen. Diese stimmen sechs für und sechs gegen Orests Freispruch, nun muss Aristobulos entscheiden. Iphigenie, danach Thamar und Thoas treten vor den Richter und bitten ihn, Orest freizusprechen, ihm seine Taten zu vergeben. Auch der Chor setzt sich für Orest ein. Der Oberrichter findet sich in eine schwierige Situation versetzt, er möchte gerecht handeln, sieht sich aber nicht in der Lage, über das Schicksal eines Menschen allein zu entscheiden. Aristobulos zweifelt noch, wie er urteilen soll; er fragt sich, wie er gerecht sein kann, wenn er nicht weiß, was Gerechtigkeit bedeutet: „Wie soll ich armer Mensch über Menschen richten, menschliches Tun, dem meinen gleich, beurteilen, als wär‘ ich Gott“ (Krenek, 1929, S. 61)? Er beschließt, nicht richten zu können, er stellt die Fragen, was Wahrheit, was Gerechtigkeit wirklich ist. Bevor sich Orest selbst töten kann, fällt eine weiße Kugel, mit der ein Kind an der Statue der Athene spielte, in die Wahlurne und entscheidet so über Orests Freiheit. Aristobulos nennt dies eine Entscheidung der Göttin, gesprochen durch das Kind.

35

Sowohl bei der antiken Orestie von Aischylos als auch bei Krenek endet die Abstimmung über Schuld oder Unschuld unentschieden. Bei Aischylos bedeutet dies Orests Freispruch, bei Krenek genügt der Gleichstand nicht. In der Oper Leben des Orest untersteht der Urteilsspruch dem obersten Richter – als dieser dabei ist, nach menschlichem Ermessen zu entscheiden, rollt eine weiße Kugel in die Entscheidungsurne. Juliane Vogel beschreibt diesen Freispruch durch zufälliges Kinderspiel als „unter christlichem Vorzeichen“ stehend und vergleicht die Lage des obersten Richters mit der Position des Pilatus und verweist auf den Psalm 23 im Opernschluss (Vogel, 1990, S. 289). In diesem heißt es: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“ (Bibel, Psalm 23, Vers 4) – bei Krenek spricht Orest: „Ich wanderte durchs dunkle Tal, die Gnade hat mich heimgeführt, die Gnade sei gepriesen und die Macht, die sie gab“ (Krenek, 1929, S. 64). In dieser Modifikation sieht Vogel eine Verbindung des alttestamentarischen Textes mit dem neutestamentarischen Gedanken der Gnade. „Das Land der Sehnsucht öffnet sich zu guter Letzt auf ein südlich gelegenes Jenseits. Das ursprüngliche arkadische Inventar mit Oliven, Lorbeer und Weinstock speist christliche Erlösungsmetaphern, insofern als diese nun jenseits des finsteren Tales gedeihen“ (Vogel, 1990, S. 289).

Laut Vogel hat Krenek ein Erlösungsdrama im Sinne, Orest verwandelt sich von einem herumwandernden Taugenichts zu einem Geläuterten, der am Ende ein begnadigtes Menschenbild symbolisiert (Vogel, 1990, S. 289f.). Außerdem erscheint Orest in der Oper als ein vom Schicksal Getriebener. Er befindet sich nicht in einer „tragischen Schuld[situation]“ und stellt keinen traditionellen „zwischen zwei Notwendigkeiten zerriebenen Helden“ dar (Vogel, 1990, S. 288).

Es ist bezeichnend, dass der Oberrichter sich nicht in der Lage sieht, ein Urteil zu fällen, da er nicht weiß, was Gerechtigkeit ist. Ebenso interessant ist die Tatsache, dass ein kindliches Spiel das endgültige Urteil bestimmt – durch Zufall rollt eine weiße Kugel in die Wahlurne, die schließlich ausschlaggebend für Orests Freispruch ist. „Gnade statt Recht ward dir, lieber Orest“ (Krenek, 1929, S. 64). Wie im Text selbst betont, ist es nicht die Rechtslage, die Orest freispricht, sondern die Gnade. Durch Gnade wurde Orest zurück in die Heimat gebracht, durch Gnade ist er nun frei und kann weiter leben. Diese wird hier als bedeutender gesehen

36 als das Recht4; Aristobulos schließt die Verhandlung mit den Worten: „Das starre Recht wich der Gnade“ (Krenek, 1929, S. 64).

5.1.2. Leben des Orest – eine epische Lesart Kreneks Bearbeitung der Orestie wurde ambivalent aufgenommen. Seine Verarbeitung des Stoffes unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem literarischen antiken Vorbild von Aischylos. Kreneks Textbuch, ist als ein eigenständiges Werk anzusehen, das sich nur schematisch an Aischylos‘ Orestie orientiert (Rogge, 1970, S. 83). „Krenek hat die Antike der Gegenwart angenähert, indem er die Zeit relativierte und im Zeitlosen aufhob. (…) Der Raum löst sich ins Unbegrenzte auf“ (Rogge, 1970, S. 85). Krenek ging es aber laut Rogge nicht darum, einen antiken Stoff in einer zusammengerafften Weise darzustellen, er nennt Leben des Orest einen „Blick durchs Kaleidoskop des Lebens“ (Rogge, 1970, S. 85). Trotz der Verwendung eines mythologischen Stoffes, steht bei Krenek der Mensch mit seinen Stärken und Schwächen im Mittelpunkt. Diese Hervorhebung des Lebens stellt die größte Abweichung der Oper im Vergleich zum antiken Mythos dar. Krenek versieht die Personen aber vor allem Orest mit menschlichen Charakterzügen, wodurch dieser seine Stellung als Archetypus verliert. Orests Schicksal wird nicht mehr als symbolischer Wandel „vom Mutterrecht zur Patriarchie“ sondern als individuelle Lebensgeschichte eines Mörders dargestellt – „Dem Mord ist die mythische Ungeheuerlichkeit genommen“ (Rogge, 1970, S. 85). Diese Feststellung ist wohl am plausibelsten damit begründet, dass Orest nicht getrieben von Rache die Mutter tötet, sich nicht, wie in der Mythologie dazu gezwungen sieht, den Tod des Vaters zu vergelten. Kreneks Orest handelt im Affekt, er tötet die Mutter ohne vom Gedanken der Blutrache getrieben zu werden. Einer weiteren Interpretation Rogges zufolge ging es Krenek darum, das Phänomen der Macht und der politischen Hetze zu thematisieren, ein Zugang, der sich ebenfalls von der antiken Vorlage unterscheidet. Der machtgierige Agamemnon geht so weit, seinen einzigen Sohn zu

4 Die bewusste Hervorhebung der Gnade könnte, neben anderen Indikatoren wie zum Beispiel dem Verweis auf den Psalm 23 oder Orests Beteuerung vor Gericht, dass er zwar schuldig sei, aber bedacht werden solle, dass jeder Mensch schuldig sei (hier könnte eine Verbindung zum Sündenfall hergestellt werden), auf das Christentum verweisen. Gott alleine kann, nach christlicher Auffassung, über den Menschen richten, allenfalls Gnade gewähren und so dem Schuldigen vergeben. Auch in Leben des Orest wird der Urteilsspruch und somit der Freispruch als göttliches Zeichen gesehen. Weitere Textstellen des Chores können als direkter Gottesanruf interpretiert werden: „Friede, Herr, sei uns gnädig und führ‘ uns nicht in diesen Krieg“ (Krenek, 1929, S. 8)! „Er ist im Wahnsinn! Götter, helft“ (Krenek, 1929, S. 14)! „Ein Wunder! Sie ist entrückt, von Göttern gerettet“ (Krenek, 1929, S. 15)! Diese und weitere Stellen weisen auf eine „Synopsis des antiken Mythos mit dem Christentum“ hin (Rogge, 1970, S. 86)

37 opfern, um sein Volk zum Kriegszug zu bewegen (Rogge, 1970, S. 85f.). Als dieser gerettet wird, opfert er seine Tochter Iphigenie. Beide Opfer gelten nicht der Göttin Artemis sondern der König ist bereit, seine Kinder „zur Heiligung des Krieges“ zu töten (Rogge, 1970, S. 86). Dies ist der Grund, warum Rogge die Opferbereitschaft Agamemnons als „Zeichen der Demagogie“ interpretiert (Rogge, 1970, S. 86). Diese Interpretation ist verknüpft mit der Entstehungszeit der Oper; politische Propaganda und Hetze erlebten in Deutschland und Österreich in den 1920er und 1930er Jahren ihren Höhepunkt. Bei Aischylos begeht Orest den Muttermord, um den Vater zu vergelten, bei Krenek handelt Orest nicht aus Rache sondern aus Affekt – Krenek stellt seine Hauptfigur als gewalttätig, vom Leben gezeichnet und verroht dar. Orest ist in der Oper ein Mensch, der durch äußere Einflüsse zu extremen Handlungen getrieben wird, so Rogge. Seine spätere Freisprechung im Gerichtsprozess deutet Rogge als Eingeständnis, dass der Mensch ein irrendes, fehlbares Wesen ist, das angewiesen ist auf Gnade und Vergebung. Der Freispruch Orests, der durch die Kugel eines spielenden Kindes ausgelöst wird, kann als Zufall oder als Schicksal beziehungsweise Eingreifen höherer Mächte gedeutet werden (Rogge, 1970, S. 86f.). „Das Leben. Es ist an die Stelle des entgötterten Mythos getreten. Und nach wie vor bleibt auch bei Krenek die Aussage bestehen, daß menschliche Kompetenz den Fall Orest nicht zu entscheiden vermag“ (Rogge, 1970, S. 87).

Wie bereits oben festgestellt, kann innerhalb des Gerichtsprozesses kein Urteil gefällt werden, da der Richter keine Entscheidung treffen kann, solange er nicht weiß, was Gerechtigkeit bedeutet. Zentrale Bedeutung erhält bei Krenek der Begriff Gnade. Gnade ist einerseits ein zentraler Begriff der christlichen Lehre und andererseits ein wichtiger Bestandteil im Strafsystem. Begnadigung bezeichnet einen Straferlass seitens eines Richters oder Machthabers. Dabei handelt es sich um einen teilweisen oder gänzlichen Erlass der vorgesehenen Strafe bevor der Täter verurteilt wurde (Meyers Konversations-Lexikon, 1905, S. 560-5061). Dies ist bei Orest der Fall, denn die vorgesehene Strafe, ihn zum Tode zu verurteilen, wird ihm erlassen – er wird vom Gericht begnadigt.

Rogge beschreibt die Oper Kreneks als episches Drama, denn der Zuschauer wird einbezogen in das Bühnengeschehen, er ist eingeweiht in die Vorgänge, was dazu führt, dass der Zuschauer das Stück weniger mit Spannung als mit Distanz betrachtet. Ein weiteres episches Element verkörpert der Chor, der die Szenen ankündigt (Rogge, 1970, S. 90). Auch Nils Grosch deutet die Oper in dem Aufsatz Zeitoper, Stilpluralismus und Episches Theater in Ernst Kreneks ‚Leben des Orest‘ als epische Oper. Krenek setzt einen Chor ein, der

38 das griechische Volk repräsentiert und so für die Öffentlichkeit spricht. Der Chor hat auch eine erzählende Funktion: Da zwischen den einzelnen Szenen teilweise mehrere Jahre liegen, unterrichtet der Chor das Publikum über das Geschehen. Diese kurzen, gesungenen Erzählungen stehen sowohl in der Tradition „des antiken als auch des modernen, epischen Theaters“ und können als Zwischenspiele bezeichnet werden (Grosch, 2006, S. 84). Dadurch werden die einzelnen Szenen deutlich voneinander abgehoben, sie sind nach Bildern anstatt nach Akten geordnet, was verdeutlicht, dass die Oper auch in „dramatischer Hinsicht“ von Bildern strukturiert wird (Grosch, 2006, S. 84). Indirekt wurden so, aufgrund der verbindenden epischen Elemente, in zeitgenössischen Sichtweisen die beiden Opern Leben des Orest und Mahagonny auf inhaltlicher Ebene miteinander verglichen. Grosch schreibt zur Verbindung der Oper Leben des Orest mit dem epischen Theater: „Der Begriff des epischen Theaters hatte für die Konzeption von Orest keine Bedeutung, obwohl später immer wieder auf die epischen Elemente in Orest hingewiesen wurde“ (Grosch, 2006, S. 98, Hrv. i. O.). Diese Feststellung bezieht sich auf Brechts Theatertheorie, die er anhand von Mahagonny festmachte und die erst nach der Uraufführung veröffentlicht wurde und demnach erst nach der Entstehung von Leben des Orest erschien. Somit können die in Kreneks Oper enthaltenen epischen Elemente dezidiert nicht als Reaktion auf Brechts Theatertheorie oder seine Oper Mahagonny betrachtet werden. Grosch interpretiert Kreneks Einbeziehung epischer Elemente als Antwort auf das Unterhaltungstheater der 1920er Jahre, das sich vor allem durch den Revue-Stil auszeichnet (Grosch, 2006, S. 98f.). Krenek erzeugt in verschiedenen Szenen mithilfe des Chors eine dramatische Spannung, der Zuschauer erhält einen Wissensvorsprung. Grosch nennt die Technik, die Handlung durch eine Erzählung des Chors zu ersetzen einen „dezente[n] Verfremdungseffekt“ (Grosch, 2006, S. 101). Obwohl Leben des Orest sich nicht auf Brechts Theatertheorie bezieht, kann diese trotzdem auf die Oper angewandt werden, denn Krenek verwendet einige Elemente, die, zumindest aus heutiger Sicht, als epische Elemente interpretiert werden können. Neben dem bereits genannten Element des epischen Chors lassen sich weitere Aspekte aufzeigen, die auf eine epische Oper hinweisen: Krenek beschäftigt sich mit Orest als Mensch und als Produkt einer Gesellschaft. Seine Persönlichkeit wird durch die ständige Auseinandersetzung mit dem sozialen Gefüge, seinem Umfeld, der Machtgier und dem Kriegswahn seines Vaters dargestellt. Zentral ist dabei das Verhältnis zwischen Orest und der Gesellschaft und in welchen Konflikten, moralischer, triebhafter oder seelischer Art, er sich mit ihr befindet (Grosch, 2006, S. 104f.).

39

Sichtweisen im Bereich der Sekundärliteratur scheinen die These, Leben des Orest als epische Oper zu interpretieren, zu bestätigen. Die Oper beschäftigt sich nicht primär mit dem Orest- Mythos, sie erzählt nicht mehr das Schicksal eines archetypischen Königssohns, der den Tod seines Vaters rächen möchte. Leben des Orest behandelt vielmehr das Leben eines jungen Mannes in Verbindung zur Gesellschaft. Der Muttermord resultiert nicht aus Pflicht zur Blutrache sondern ist Ausdruck von Orests Persönlichkeit. In seiner Verteidigung versucht er seine Tat mit seiner schwierigen Kindheit, der brutalen Unterdrückung durch den Vater und seiner notwendigen Flucht durch Griechenland zu rechtfertigen. Episch ist die Oper vor allem aus drei Gründen: Erstens steht Orests Leben und Schicksal exemplarisch für das Verhalten und Zusammenleben der Menschheit. Die Figur des Orest wird als Mensch und gleichzeitig als Ergebnis und Produkt der Gesellschaft dargestellt. Zweitens hat das Opernpublikum eine gewisse Distanz zum Bühnengeschehen, der Atriden Mythos ist weitgehend bekannt, sodass keine mitfühlende Wirkung erzeugt wird und außerdem besteht eine beträchtliche Distanz zum antiken Handlungskontext. Drittens setzt Krenek das Element des epischen Chors ein, der das Publikum einerseits über Geschehnisse zwischen den einzelnen Bildern informiert und andererseits das griechische Volk repräsentiert.

5.2. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny Im Jahr 1927 begann die Zusammenarbeit zwischen Kurt Weill und Bertolt Brecht. Weill sollte für die Baden-Badener Musiktage einen Einakter komponieren und wandte sich an Brecht, dessen kürzlich erschienenes Lustspiel Mann ist Mann ihn sehr beeindruckt hatte. Bereits beim ersten Zusammentreffen wurden die Idee zu Mahagonny und die Vorstellung einer Paradiesstadt entwickelt. Einen Monat später entstand der Gedanke, den Opernstoff zu komprimieren und ein Songspiel daraus zu machen, als Vorläufer sozusagen. Für die Baden- Badener Musiktage schuf Weill dann Mahagonny, ein Songspiel5 nach Texten von Bertolt Brecht (Dümling, 1985, S. 142f.). Die Uraufführung von Mahagonny war für die Krolloper in Berlin geplant, wurde jedoch abgesagt, da der Leiter Otto Klemperer vor allem die Liebesszene im zweiten Akt ablehnte. Die Uraufführung fand schließlich am 9. März 1930 in Leipzig statt und zog einen großen Skandal nach sich. Bereits vor dem Theatergebäude protestierten ‚Braunhemden‘ und

5 Die neu entwickelte Gattung des Songspiels ähnelt in vielen Punkten dem deutschen Singspiel das ebenfalls ein Theaterstück mit „volkstümlichen musikalischen Einlagen“ ist (Dümling, 1985, S. 153). Als weiterer Vorläufer des Songspiels gilt das Liederspiel, in dem sich gesprochene Textpassagen mit Liedern abwechseln. J. F. Reichardt entwickelte um 1800 das Liedspiel und wollte ein Gegenstück zur virtuosen Oper schaffen aber vor allem verfolgte er das Ziel, das Publikum zur Partizipation anzuregen und aus seiner rein rezeptiven Haltung zu lösen (Dümling, 1985, S. 153). 40 während der Vorstellung kamen aus dem Publikum auf ein vermeintliches Signal hin laute Zwischenrufe, Proteste und Gebrülle. Die Uraufführung endete im Chaos, die Störungen waren offensichtlich als politische Demonstration genau geplant und erfolgreich umgesetzt worden (Dümling, 1985, S. 172).

Bevor die Handlung der Oper beginnt, werden Steckbriefe der Personen Leokadja Begbick, Dreieinigkeitsmoses und Fatty auf eine Gardine projiziert; die drei werden der Kuppelei und des betrügerischen Bankrotts bezichtigt, befinden sich jedoch auf der Flucht. Dies ist der Hintergrund der Gründung der Stadt Mahagonny. Auf der Flucht landen die drei in der Wüste und beschließen eine Stadt zu gründen: Die Stadt wurde nur aus einem Grund gegründet: „weil alles so schlecht ist“ (Brecht, 1929, S. 7). Daraufhin entwickelte sich schnell eine Stadt, in der sich auch die ersten ‚Haifische‘ ansiedelten. Die Nachricht dieser neuen Paradiesstadt wurde schnell verbreitet und erreichte auch die großen Städte. Viele Unzufriedene zogen von der ganzen Welt nach Mahagonny, so auch die Männer Jim Mahoney, Jack, Bill und Joe. Gleich zur Begrüßung werden den Männern Mädchen zum Vergnügen präsentiert. Nach einer Weile will Jim die Stadt wieder verlassen, da es ihm an etwas fehlt, er nichts zu tun hat, doch seine Freunde halten ihn zurück. Daraufhin beschimpft er Begbick und macht eine Szene in der ‚Hier-darfst-du‘-Schenke, denn es gefällt ihm nicht in Mahagonny, seine Erwartungen wurden nicht erfüllt, er langweilt sich. Vor der nächsten Szene erscheint auf dem Hintergrund in großer Schrift: „EIN TAIFUN! (…) EIN HURRIKAN IN BEWEGUNG AUF MAHAGONNY“ (Brecht, 1929, S. 24). Angesichts der Naturkatastrophe sind alle Bewohner Mahagonnys verzweifelt, nur Jim nicht, der lächelt: „Und gerade so ist der Mensch: Er muß zerstören, was da ist. Wozu braucht’s da einen Hurrikan? Was ist der Taifun an Schrecken Gegen den Menschen, wenn er seinen Spaß will“ (Brecht, 1929, S. 26)? Daraufhin Begbick: „Schlimm ist der Hurrikan, Schlimmer ist der Taifun, Doch am schlimmsten ist der Mensch“ (Brecht, 1929, S. 26).

In dieser Nacht findet der Holzfäller Jim Mahoney den Schlüssel zu seinem Glück indem er folgende Regel festlegt: „Du darfst“ (Brecht, 1929, S. 30). Trotz dieser neuen Regel gilt nach

41 wie vor die Priorität, dass alle konsumieren und sich amüsieren, was natürlich voraussetzt, Geld zu besitzen.

Auf wundersame Weise macht der Hurrikan in letzter Sekunde noch einen Bogen rund um die Stadt. Die neue Devise lautet ab sofort: „Erstens, vergeßt nicht, kommt das Fressen, Zweitens kommt die Liebe dran, Drittens das Boxen nicht vergessen, Viertens saufen, solang man kann. Vor allem aber achtet scharf, Daß man hier alles dürfen darf“ (Brecht, 1929, S. 34). Jim setzt bei einem Boxkampf auf den falschen Kandidaten und verliert sein ganzes Geld, kann seine Getränkerechnung nicht mehr bezahlen und wird deshalb gefesselt. So wird er vor Gericht verschiedener Vergehen angeklagt, was mit seiner Hinrichtung am elektrischen Stuhl endet. Auf der Leinwand erscheint die Aufschrift: „VIELE MÖGEN DIE NUN FOLGENDE HINRICHTUNG DES JIMMY MAHONEY UNGERN SEHEN. ABER AUCH SIE, MEIN HERR, WÜRDEN UNSERER ANSICHT NACH NICHT FÜR IHN ZAHLEN. SO GROSS IST DIE ACHTUNG VOR GELD IN UNSERER ZEIT“ (Brecht, 1929, S. 52, Hrv. i. O.).

Vor seiner Hinrichtung wird Jim erlaubt, seine irdischen Angelegenheiten zu regeln und er verabschiedet sich von Jenny, der er das Beste wünscht, und übergibt sie seinem Freund Bill – obwohl sich Jenny vor Gericht gegen ihn stellte. Moses gewährt Jim eine letzte Rede: Jim bereut keines seiner Vergehen, er bereut nicht, so gelebt und gehandelt zu haben, wie es ihm beliebt, er bereut nicht, ohne Sorgen gelebt zu haben. Jim ruft alle dazu auf, es ihm gleich zu tun, sein Schicksal soll nicht abschreckend wirken: „Denn auch ich bereue nicht, daß ich getan habe, was mir beliebt“ (Brecht, 1929, S. 54). Da jeder Mensch sterben muss und nach dem Tod nichts mehr kommt, soll jeder so leben, wie es ihm gefällt, ohne Angst und ohne Reue. Er beschwört die Bürger, sich nicht verführen, vertrösten oder betrügen zu lassen, denn es gibt kein Jenseits, Menschen sterben ebenso wie Tiere, sie haben nichts zu befürchten: „Es gibt keine Wiederkehr“, „Es kommt kein Morgen mehr“, „Und es kommt nichts nachher“ (Brecht, 1929, S. 54f.). Nachdem Jim hingerichtet wurde, erscheint Gott in Mahagonny. Gott befiehlt den Bewohnern, zur Hölle zu fahren. Die drei Männer Fatty, Bill und Higgins weigern sich, denn Gott kann ihnen nicht mit der Hölle drohen: „Weil wir immer in der Hölle waren“ (Brecht, 1929, S. 56). Am Ende geht die Stadt Mahagonny in Flammen auf, im Rahmen von 42

Demonstrationen wird Jim Mahoneys Leiche herumgetragen. Immer wieder wird die Phrase „Können einem toten Mann nicht helfen“ wiederholt, die Oper endet mit dem Satz: „Können uns und euch und niemand helfen“ (Brecht, 1929, S. 58f.).

5.2.1. Gerichtsszene Der dritte und damit letzte Akt zeigt zwei Gerichtsprozesse: der erste Prozess behandelt den Fall von Tobby Higgins, der des vorsätzlichen Mordes angeklagt aber freigesprochen wird, da er genug Geld besitzt, das Gericht zu bezahlen und sich so von seiner Verurteilung freizukaufen. Während der Anwalt seine Rede hält, findet ein stummes Gestikulieren zwischen der Richterin Begbick und dem Angeklagten statt, in dem der Betrag ausgehandelt wird. In gleicher Weise wird Jim Mahoneys Gerichtsprozess begonnen – obwohl Jim niemanden getötet hat und er ‚nur‘ des Diebstahls beschuldigt wird, lautet die Anklage genau gleich: „Niemals je Wurde eine Tat verübt So voller Roheit, Jedes menschliche Empfinden Haben schamlos Sie verletzt. Aus dem Herzen der beleidigten Gerechtigkeit Erhebt sich der Schrei nach Sühne. Darum beantrage ich, der Staatsanwalt, Der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen“ (Brecht, 1929, S. 47). Der Chor stimmt abwechselnd für Jimmys Freispruch und Verurteilung; nachdem er nicht auf das Fingerspiel der Begbick eingeht, wird er zum Tode verurteil, denn er hat das schlimmstmögliche Vergehen begangen: Er hat kein Geld. Während des Gerichtsverfahrens wenden sich sowohl sein letzter Freund Bill als auch seine Freundin Jenny von ihm ab, denn, wie Bill ihm beteuert: „Jim, du stehst mir menschlich nah, Aber Geld ist eine andre Sache“ (Brecht, 1929, S. 46). Das zeigt ganz deutlich, welche Rolle Freundschaft und Menschlichkeit spielen und welchen unübertreffbaren Stellenwert Geld in der Gesellschaft hat – Geld zu besitzen, zu konsumieren und sich zu amüsieren sind die wichtigsten Dinge in Mahagonny. Nun werden die Geschädigten vorgeladen. Als erster Anklagepunkt wird Verführung eines Mädchens und das Bezahlen für Liebe genannt – Jims Freundin Jenny tritt als Geschädigte vors Gericht. Der

43 zweite Punkt bezieht sich auf Jims Vergehen, während eines nahenden Taifuns ein lustiges Lied gesungen zu haben, dafür meldet sich kein Geschädigter. Der Chor singt daraufhin, dass, wenn es keine Geschädigten gibt, Hoffnung für Jim besteht. Moses ergänzt die neue Anklage und weist darauf hin, dass sich Jim in jener Nacht wie ein personifizierter Hurrikan aufführte und die ganze Stadt verführte. Bill ergreift auf der Tribüne das Wort und erinnert das Gericht daran, dass es Jim war, der die Gesetze der Glückseligkeit entdeckte, der Chor singt, dass das Grund genug ist, um Jim freizusprechen. Moses unterbricht das, indem er betont, dass ein Freund, auf den Jim sein Geld verwettete, bei einem Preisboxen gestorben ist. Der Chor spricht sich abermals abwechselnd für Jims Freispruch und Jims Hinrichtung aus. Darauf formuliert Moses die Hauptanklage: Diebstahl von drei Flaschen Whiskey und einer Storstange; auf die Frage, warum er nicht bezahlte, antwortet Jim, dass er kein Geld hat. Als Geschädigte melden sich die Stadtgründer Begbick, Fatty und Moses und so wird Jim verurteilt: „indirekter Mord an einem Freund“ (was ihm zwei Tage Haft einbringt), Unruhe stiften (zwei Jahre Ehrverlust), wegen „Verführung eines Mädchens“ (vier Jahre Zuchthaus), „Singen verbotener Lieder“ (was mit zehn Jahren im Kerker bestraft wird), und schließlich wegen Nichtbezahlens von drei Flaschen Whiskey und einer Storstange (Jim wird zum Tode verurteilt) – „Wegen Mangel an Geld,/Was das größte Verbrechen ist,/Das auf dem Erdenrund vorkommt“ (Brecht, 1929, S. 50). Es folgt ein Beifallstosen.

Bei dem Gerichtsprozess ist neben den aktiven Teilnehmern – die Begbick als Richterin, Fatty als Verteidiger, Dreieinigkeitsmoses als Staatsanwalt und Jim als Angeklagter – ein Publikum anwesend. Dieses bezahlt Eintritt, um die Verhandlung ansehen zu können, geworben wird mit der Möglichkeit, „die Gerechtigkeit sprechen zu hören“ (Brecht, 1929, S. 45). Dadurch bekommt die Gerichtsverhandlung einen Eventcharakter, die theatralischen Elemente eines Prozesses werden so deutlich hervorgehoben. Jim wird nicht die Chance gegeben, sich zu rechtfertigen oder zu versuchen, sich zu verteidigen; der Gerichtsprozess verläuft unter unfairen Bedingungen, denn die Richterin handelt weder unparteiisch noch objektiv. So wird Jim also verurteilt, das Gericht ist korrupt, entscheidet weder demokratisch noch wohlwollend, der Angeklagte hat keine Möglichkeit, sich zu verteidigen, als das Gericht zu bestechen – wer kein Geld besitzt, hat keine Chance, keine Rechte und keine Perspektive.

44

5.2.2. Mahagonny – eine epische Oper Brecht schreibt in oben genannter Abhandlung zum epischen Theater, dass die vorherrschende Oper eine kulinarische Oper, ein Genussmittel ist. Die Oper „‚erlebt‘, und sie dient als ‚Erlebnis‘“ (Brecht, 1957, S. 16, Hrv. i. O.). Auch die „Grundhaltung“ in Mahagonny ist eine kulinarische, wie Brecht das nennt, sie nähert sich dem Inhalt in genießerischer Weise, sie ist ein Erlebnis – „Denn: Mahagonny ist ein Spaß“ (Brecht, 1957, S. 16f., Hrv. i. O.). Außerdem entspricht die Oper ganz bewusst dem Unvernünftigen dieser Gattung, das darin gründe, dass rationale und reale Elemente angestrebt aber durch die Musik aufgelöst werden. Dieser Genuss sei nicht nur typisch für die Oper als Genre, der Genuss bilde den Inhalt der Oper Mahagonny (Brecht, 1957, S. 17f.). Brecht schließt seine Anmerkungen zur Oper mit der Feststellung, dass Mahagonny genauso kulinarisch ist, wie es für eine Oper üblich ist, allerdings enthalte sie eine „gesellschaftsändernde Funktion“, da sie „das Kulinarische zur Diskussion“ stelle (Brecht, 1957, S. 28). Brecht hatte bereits zu Beginn der 1920er Jahre die Idee zur Oper Mahagonny6. Seine in diesen Jahren entstandenen Werke sind deutlich von der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und Marxismus geprägt. Brecht experimentierte mit dem Genre Theater und hatte mit Weill folgendes Anliegen gemeinsam: eine Reform des Musiktheaters (Drexel, 2000, S. 605f.). Das kurze Kapitel zu Brechts Theatertheorie verdeutlichte Brechts Intentionen, seine Vorstellungen dazu, wie zeitgenössisches Theater gemacht werden muss, wie es eingesetzt werden soll und wie es auf die Zuschauer wirken kann. In Weills Anmerkungen zu meiner Oper ‚Mahagonny‘ beschreibt der Komponist den Inhalt folgendermaßen: „Der Inhalt dieser Oper ist die Geschichte einer Stadt, ihre Entstehung, ihre ersten Krisen, dann der entscheidende Wendepunkt in ihrer Entwicklung, ihre glanzvolle Zeit

6 „Das Wort ‚Mahagonny‘ bedeutet für Brecht zunächst Spießers Utopia, eine Mischung von Anarchie, Alkohol und Faschismus“ (Dümling, 1985, S. 144, Hrv. i. O.). Das ursprünglich positive Bild von Amerika lud sich immer mehr mit negativen Aspekten auf und so wurde das Wort mehr und mehr mit negativen Assoziationen belastet. Hinzu kamen zwei Naturkatastrophen, die das negative Amerika-Bild verstärkten: Im Jahr 1925 wütete ein Tornado südlich von Chicago; im Sommer des nächsten Jahres tobte ein Hurrikan im Bundesstaat Florida. In einer Mappe mit dem Titel Der Untergang der Paradiesstadt Miami sammelte Brecht Zeitungsausschnitte über den Hurrikan sowie Skizzen seines Verlaufs und dergleichen. Der Einfluss auf den Inhalt von Mahagonny ist unübersehbar. In eben jener Mappe sind auch Ideen zu zwei weiteren Projekten enthalten, einem Hörspiel (Die Sintflut) und einer Oper in vier Akten (Mann aus Manhattan, ursprünglich Sodom und Gomorrha), die schließlich in die Oper Mahagonny einflossen (Dümling, 1985, S. 144). „Brecht verknüpfte sein Traumbild von Amerika (…) mit einer aus aktuellen und biblischen Quellen gespeisten Untergangsvision, der Vorstellung von der Zerstörung einer Stadt oder einer Kultur durch eine Naturkatastrophe“ (Dümling, 1985, S. 145).

45

und ihr Niedergang. Es sind ‚Sittenbilder aus unserer Zeit‘, auf eine vergrößerte Ebene projiziert“ (Weill, 2000, S. 102, Hrv. i. O.).

Weill schreibt, dass dieser Inhalt ein episches Theater ermöglicht, das Textbuch besteht aus abgeschlossenen Szenen, die Zustände darstellen; durch die Musik bekommen diese eine „dramatische Form“ (Weill, 2000. S. 102). Die Geschichte der Stadt ist „ein Gleichnis vom heutigen Leben“, so Weill (Weill, 2000a, S. 104). Die Hauptfigur der Oper stellt die Stadt Mahagonny dar, die durch die menschlichen Bedürfnisse errichtet und durch sie auch zerstört wird. Diese Beziehung ist jedoch wechselwirkend, denn die Entwicklung der Stadt beeinflusst ebenso die darin lebenden Menschen und ihr Handeln, wie umgekehrt. „Daher sind alle Gesänge dieser Oper Ausdruck der Masse, auch dort, wo sie vom einzelnen als dem Sprecher der Masse vorgetragen werden“ (Weill, 2000a, S. 104). Das Schicksal des Einzelnen ist nur insofern relevant und erzählenswert als es das Schicksal der Stadt repräsentiert (Weill, 2000a, S. 104). Diese Feststellungen zeigen ganz deutlich die Bestrebungen von Brecht und Weill ein Werk zu schaffen, das als gesellschaftliches Abbild gelesen werden kann, das Geschehen auf der Bühne ist exemplarisch für das Geschehen in der Wirklichkeit – im Mittelpunkt steht immerzu das moralische Handeln.

Der Musikkritiker Heinrich Strobel schrieb in den 1930ern über die zeitgenössische Oper, dass diese mehr sein müsse als bloßes „ästhetisches Spiel“ – eine moderne Oper solle durch Impulse und Ideen getragen werden, die die Gegenwart betreffen (Strobel, 1980, S. 194). Brecht und Weill gelang seiner Meinung nach die Umsetzung einer solchen neuen Oper am besten, indem sie in Mahagonny mithilfe von aneinandergereihten musikalischen Bildern eine dramatische Handlung erzählen. „Hinter dem Geschehen steht das soziale Problem, mehr noch: steht eine neue Ethik. Sie idealisiert nicht, sondern zeigt die Realitäten. Diese Oper gaukelt nichts vor, sie benebelt und verdummt nicht, sondern entlarvt und rüttelt auf“ (Strobel, 1980, S. 194).

Indem diese Oper den Zuschauer dazu zwingt, sich mit dem Geschehen auseinanderzusetzen, wird er aus seiner gewohnten genießenden Zuschauerposition herausgerissen und mit aktuellen Geschehnissen konfrontiert. Diese Wirkung ist paradigmatisch für die epische Oper und zeigt deutlich die Veränderung der Opernwelt und die damit verbundene Veränderung des Opernpublikums. Der Musikwissenschaftler Eberhard Preußner beschrieb die Oper folgendermaßen: „Mahagonny, das Stück vom Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, demonstrierte den Fall

46 des Opernpublikums und den möglichen Aufstieg der Oper“ (Preußner, 1980, S. 195)! Damit spricht er Mahagonny in erster Linie eine soziologische Wirkung zu. Die Zuschauer wurden zu einer Stellungnahme – nicht nur zur künstlerischen Leistung sondern vor allem zum Inhalt – gedrängt, sie wurden nicht mehr aufgefordert ihre Alltagssorgen draußen zu lassen und für kurze Zeit zu vergessen, die Zuschauer werden gezwungen, sich mit unerfreulichen Dingen der Realität auseinanderzusetzen. Der Zuschauer wird direkt angesprochen und empört sich über die unangenehme Wahrheit, die ihm auf der Bühne präsentiert wird. Indem dieses Stück den Zuschauer derartig einbindet, ergibt sich, dass es „dramatischer in der Publikums- Teilnahme als in ihrer Handlung [ist], die ausgesprochenen soziologischen und politischen Charakter hat“ (Preußner, 1980, S. 195). Dieser Einschätzung zufolge zielt die Oper also vor allem auf eine Neuerung und Veränderung im Opernpublikum. Deutlich hervorgehoben wird abermals die Veränderlichkeit der Menschen und ihrer Ansichten aber auch die Veränderung der Kunstszene. Die Darstellung Mahagonnys ist eine Art Gegenbild, eine „Gegengründung“ zu den realen Städten: „ihrer Zwietracht, ihrer Anonymität“ (Knopf, 1980, S. 65). Mahagonny ist die Stadt der Ruhe und Harmonie, des Genusses und des Konsums (Knopf, 1980, S. 65f.). „Dieses Paradies steht unter dem kapitalistischen Konsum-Gesetz, nach dem an ihm nur teil hat, wer über das nötige Geld verfügt“ (Knopf, 1980, S. 66). Mahagonny gilt außerdem als Gegenbild „zur Welt der Arbeit, der Produktion“ (Knopf, 1980, S. 67). Doch die Freude am Trinken, Lieben und Nichts-Tun verliert schnell ihren Reiz, da sie zur Routine wird. Ein Leben in Einklang und ohne Sorgen entpuppt sich anstelle eines Paradieszustands als sinnloses und unerfülltes Dasein. Angesichts des drohenden Untergangs und der allumfassenden Zerstörung durch den Hurrikan, beschließt Jim, die Stadt selbst zu zerstören und ruft Anarchie aus. Die neue Lebensweise, die alles erlaubt, was sinnliches Vergnügen bereitet, endet in der Selbstzerstörung: „Das neue aktive Ausleben der Genüsse endet freilich konsequent mit dem Tod der Genießer“ (Knopf, 1980, S. 68). Knopf nennt dieses Motiv der Selbstzerstörung passend „Sich-Selbst-Verbrauchen“, jeder konsumiert und vergnügt sich so lange, bis er verbraucht ist, das heißt, bis er stirbt (Knopf, 1980, S. 68). Der Eine fällt im Boxkampf, der Andere frisst oder säuft sich zu Tode; auch Jim Mahoney verbraucht sich selbst, indem er sein gesamtes Geld, das die Existenzgrundlage darstellt, verbraucht. Der Tod Jim Mahoneys symbolisiert gleichzeitig den Untergang der ganzen Stadt: ohne Rücksicht, ohne gegenseitige Hilfe und ohne Erbarmen ist eine Gesellschaft unweigerlich dem Untergang geweiht. Der Untergang der Stadt war demnach in ihrem Entstehungsmoment besiegelt, er „lag in ihrem Prinzip“ (Knopf, 1980, S. 69).

47

Zur Wirkung der Oper lässt sich sagen, dass sie all das erfüllt, was Brecht von einer epischen Oper forderte: Sie erschüttert, sie ruft den Zuschauer dazu auf, selbst aktiv zu handeln, seine eigenen politischen Ansichten zu überdenken und die Gesellschaft und sich selbst verändern zu wollen. Knopf schreibt über die Wirkung von Mahagonny auf den Zuschauer: „es führt dem eingewohnten Opernzuschauer seine ihm eigene Haltung vor: er sucht den selbsterfüllenden Genuß, das ‚L’art pour l’art‘ der reinen Kunst und wird mit ihrer Destruktion konfrontiert, eine Destruktion, die zugleich seine genießende Haltung unmöglich werden läßt“ (Knopf, 1980, S. 69).

Mahagonny kann ein Paradebeispiel einer epischen Oper genannt werden, schließlich entwickelte Brecht in den Anmerkungen zu ihr seine Theorie des epischen Theaters. Dementsprechend beinhaltet die Oper viele Bestimmungen einer epischen Oper: Im epischen Theater ist die Handlung untergeordnet, vorrangig ist nicht das, was geschieht, sondern wie es geschieht. Es wird nicht das Schicksal oder das Leben eines Individuums geschildert, Mahagonny erzählt das kollektive Los einer Stadt. Die Namensgebung – im Original tragen die Hauptfiguren englische Namen, in anderen Versionen deutsche Namen – ist beispielhaft für die Veränderlichkeit des Stückes beziehungsweise für die mögliche Anpassung der Oper an diverse Gesellschaften. Die Figuren sind keine festen Charaktere, ebenso wenig wie die Stadt an einem spezifischen geografischen Ort liegt. Dies alles ist austauschbar, aktualisierbar und kann demnach auf jede Gesellschaft angewandt werden (Scherer, 2010, S. 131f.). „Das Konzept des Epischen Theaters transformiert den Status des dramatischen Texts: Er ist eher als Partitur denn als Vorgabe für die Inszenierung konzipiert, weil sich alle Energien auf die theatrale Umsetzung richten“ (Scherer, 2010, S. 133).

Anders als in der klassischen Oper, in der der Text nebensächlich ist, ist im epischen Theater die Aussage zentral und so ist es auch in der epischen Oper bedeutend, dass der gesungene Text verstanden wird. „Die Sprache ist daher gleichrangig mit der Musik, ihr gilt eine eigene Aufmerksamkeit“ (Scherer, 2010, S. 134). In diesem Sinne wirken auch in Mahagonny einige Passagen eher als Sprechgesang; Bild, Text und Musik werden auf diese Weise in praktischer Umsetzung gleichrangig wahrgenommen. Brecht verwendet häufig Szenentitel, die er auf die Bühne projiziert und die die inhaltliche Kernaussage der Szene vorwegnehmen. Somit erhalten die Zuschauer einen Wissensvorsprung gegenüber den fiktiven Charakteren und verhindern eine Identifikation mit ihnen. Das Hauptinteresse gilt nicht dem Was sondern dem Wie. Das dargestellte Schicksal eines Einzelnen soll im historischen, gesellschaftlichen Zusammenhang gesehen werden (Kittstein, 2012, S. 302). Die Szenenankündigungen sowie der epische Chor werden dazu 48 eingesetzt, um dem Publikum einerseits ein Hintergrundwissen und andererseits einen Wissensvorsprung zu geben. Des Weiteren bauen diese Elemente eine Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum auf, wodurch den Zuschauern der Unterschied zwischen Theatervorstellung und realer Welt bewusst wird, die Zuschauer fühlen sich nicht in die auf der Bühne spielenden Personen ein, sondern betrachten und reflektieren diese kritisch. Als weiteres episches Mittel wird in der Oper ein epischer Chor eingesetzt, der das Volk repräsentiert und die Handlung kommentiert. Handlungseinschübe, die das Publikum informieren sollen und so gleichzeitig Distanz bilden, erscheinen anhand von Projektionen und Schildern. Der Verfremdungseffekt wird insofern eingesetzt, als alle bekannten und weitgehend akzeptierten Moralvorstellungen auf den Kopf gestellt werden, eine ursprüngliche Utopie wird durch die soziale Ungerechtigkeit, die einer Anarchie nahe kommt, zu einer Dystopie: Mahagonny geht am Ende in Flammen auf.

5.3. Peer Gynt Peer Gynt wurde am 24. November 1938 in der Staatsoper Berlin uraufgeführt. Sowohl das Libretto, nach Henrik Ibsens dramatischem Gedicht, als auch die Musik stammen von Werner Egk. Die Oper war ein Auftragswerk der Berliner Staatsoper im Namen von Generalintendant Heinz Tietjen, dem Egk die Oper auch widmete (Voss, 1987, S. 120). Die Handlung spielt im 19. Jahrhundert. Peer Gynt ist ein Träumer und gilt deshalb gesellschaftlich als Taugenichts. Er ist getrieben vom Wunsch nach einem erfüllten Leben. Durch seine Einstellung, nur das zu tun, was ihm beliebt, gerät er in die Welt der Trolle, die keine Moral kennen. Peer Gynt selbst folgt keinerlei Regeln oder Moralvorstellungen, kann jedoch nicht als schlechter Mensch per se beschrieben werden. Trotzdem geht er rücksichtslos und egoistisch durchs Leben, ist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht und verfolgt das Ziel, Kaiser der Welt zu werden. All dies treibt ihn mehr und mehr in die Welt der Trolle, die ihn verfolgen und beeinflussen. Schlussendlich wird Peer Gynt durch die uneingeschränkte Liebe Solveigs gerettet (Voss, 1987, S. 120). Zu Beginn der Oper schleicht sich Peer als ungeladener Gast zur Hochzeitsfeier einer ehemaligen Freundin auf das Schloss Haegstad, wo Mads und Ingrid zusammen mit Freunden und Familie feiern. Peer ist unerwünscht, keiner will seine Gesellschaft. Auf der Feier trifft er zum ersten Mal Solveig und ist sofort von ihr hingerissen. Schließlich raubt er die Braut und flieht mit ihr ins Gebirge, wo er sie dann doch wieder loswerden will. Er trifft eine hässliche Rothaarige, die sich als die Tochter des Troll-Königs entpuppt und Peer heiraten will. Als sie ihre Maske ablegt und ihre schöne Gestalt zum Vorschein kommt, willigt er ein und begleitet

49 sie ins Troll-Reich. Peer und die Rothaarige erscheinen im Troll-Reich; Peer verkündet, er habe schon die Tochter und jetzt wolle er das Reich. Die Trolle lachen, lachen Peer aus, denn er trägt normale Kleidung und hat keinen Schwanz, so wie es bei den Trollen üblich ist. Die Rothaarige gestattet ihm, den Sonntagsschwanz vom Vater anzuziehen, was er dann auch bereitwillig tut (Egk, 1938, S. 21). Sogleich wird ihn der Grundsatz der Trolle gelehrt: „Ich schwöre, daß ich nie etwas anderes tun will, als das, was mir gerade paßt“ (Egk, 1938, S. 22)! Peer antwortet, dass er sich so schon immer aufgeführt habe und somit ihr Mann sei und beschwört sogleich den Grundsatz. Unter Beifall wird Peer von den Trollen mit Eselsohren und Orden geschmückt. Als letztes wird die sogenannte Augenprobe durchgeführt. Eine Kuh und ein Clown maskiert als Ziegenbock treten auf und machen Kunststücke. Peer findet, anders als die Trolle, nichts schön und künstlerisch an diesem Spektakel. Daraufhin will der Dovre-Alte ihm die Augen beschneiden, damit er besser sehen kann (Egk, 1938, S. 22f.). Der Alte erklärt Peer den Sinn der Augenritzung: „Dann erst hast du das rechte Visier, Siehst immer alles genau so wie wir“ (Egk, 1938, S. 23). Das will sich Peer nicht gefallen lassen und möchte die Troll-Welt wieder verlassen. Eine Horde Trolle fällt über ihn her. In Todesangst und Not ruft er nach Solveig, da erklingen aus der Ferne Kirchenglocken und die Trolle verschwinden (Egk, 1938, S. 24). Nachdem er aus dem Troll-Reich verjagt wurde, baut er sich eine Hütte im Gebirge; Solveig wendet sich von all ihren Lieben ab und zieht zu Peer. Dieser wird jedoch von der Rothaarigen verfolgt und flieht deshalb nach Mittelamerika, wo er zu Reichtum kommt. Später kehrt er als armer und alter Mann zurück in seine Heimat und wird im Troll-Reich vor Gericht geführt. In diesem Gericht soll Peer zum neuen Troll-König gekrönt werden. Seine Mutter bittet die Trolle um eine Vertagung der Anklage, bis ein Zeuge gefunden wird, den Peer immer nur gut behandelte. Peer sucht daraufhin Solveig auf – durch ihre Worte wird er erlöst und kann endlich heimkehren.

5.3.1. Gerichtsszene Die Gerichtsszene findet im achten Bild statt und ereignet sich in der Troll-Welt, im „Saal im Berg des Alten“; die Regieanweisung sieht eine lange Tafel vor, in deren Mitte der Alte umgeben von seinen Würdenträgern sitzt (Egk, 1938, S. 41). „Auf der einen Seite eine Art Zeugenbank mit dem eng zusammengedrängten Häufchen der schwarzgekleideten Zeugen“, die sich aus folgenden Personen zusammensetzten: Aase, Mads, Ingrid, den drei Kaufleuten

50

(Egk, 1938, S. 41, Hrv. i. O.). Der Alte heißt Peer willkommen im Reich der Trolle, das er dessen „geheime[s] Vaterland“ nennt (Egk, 1938, S. 41). Peer sträubt sich und verlangt seine Freilassung, doch in diesem Gericht soll er gekrönt werden. Es werden die Zeugen zu den Übeln, die sie durch Peer erlitten, befragt. Peer bittet um Vergebung, er spricht aus Angst und Verzweiflung. Die Zeugen bilden ein Ensemble und antworten gemeinsam: „Kein Mensch, kein Gott macht ungeschehn In Ewigkeit, was einmal war. Die Zeit vergeht wohl Jahr um Jahr, Doch bleibt, was einmal war, bestehn“ (Egk, 1938, S. 43). Im Troll-Reich werden die Personen angehört, die Peers schlechtes Verhalten bezeugen können, die Schaden davon getragen haben und von Peer miserabel behandelt wurden – Ingrid und Mads sowie drei Kaufleute werden angehört, das Gericht befragt auch Peers Mutter Aase, die zwar sein Fehlverhalten eingesteht sich aber für den Sohn einsetzt. Die Trolle scheinen Peers Schicksal zu besiegeln. Der Hoftroll wirft ein, dass ihr Gesetz, im Zweifel der Würdigkeit eines Troll-Königs, zu dem sie Peer krönen wollen, einen Aufschub der Verhandlung vorsieht. Als der Alte befiehlt, Peer mit Schmutz und Kot zu salben, bittet seine Mutter Aase um Vertagung des Gerichts, bis ein Mensch gefunden wird, den Peer immer nur gut behandelte. Tatsächlich wird ihm ein Jahr gegeben, um einen solchen Zeugen zu finden. Das Bild endet mit einem Troll-Gesang: „Wo nichts ist, hat noch keiner was gefunden, Und wer zuletzt lacht, der lacht immer gut! Ja, übers Jahr, da kommt er, bis aufs Blut – Zu uns zurück – gepeinigt und geschunden! Der kommt zu uns gepeinigt und geschunden Wohl übers Jahr zurück ganz ohne Mut! Wo nichts ist, hat noch keiner was gefunden, Und wer zuletzt lacht, der lacht immer gut“ (Egk, 1938, S. 44)!

5.3.2. Werner Egk und der Nationalsozialismus Da die Deutung der Trolle und der Entstehungskontext der Oper sowie Egks musikalische Karriere in enger Verbindung zum Nationalsozialismus stehen, soll im Folgenden der Bezug von Werner Egk beziehungsweise Peer Gynt zu diesem überblicksmäßig zusammengefasst werden.

51

Egk galt bereits früh als junger, beeinflussbarer und talentierter Komponist und Musiker und so wurde er von Heinz Tietjen, Generalintendant der Deutschen Staatsoper in Berlin, die direkt Ministerpräsident Hermann Göring unterstand, als Kapellmeister engagiert (Kater, 2004, S. 17). Tietjen beauftragte Egk mit einer neuen Oper; dieser entschied sich für den Peer Gynt-Stoff (Kater, 2004, S. 18.). Die Resonanz der Opernuraufführung war kontrovers: Auf der einen Seite behandelt die Oper ein ‚nordisches‘ Thema und bediente so jeden Wunsch nach Mythen. Auch die Musik wurde allgemein wohlwollend aufgenommen. Auf der anderen Seite wurde die Figur des Peer Gynt abgelehnt; Peer Gynt ist keine edle heroische Figur und entspricht auch sonst keinen nationalsozialistischen Ideologien, so es diese gab. Vor allem die Trolle stießen auf Ablehnung, sie erinnerten an degenerierte Figuren, wie sie Expressionisten wie etwa George Grosz schufen. Unklar bleibt, ob Egk diese Oper für oder gegen die Nazis geschrieben hat oder ob weder das eine noch das andere zutrifft (Kater, 2004, S. 18). Die Feststellung, Peer sei keine heroische Figur und deshalb von den Nationalsozialisten nicht besonders wohlwollend aufgenommen worden, ist nur eine These und steht im Kontrast zu anderen Interpretationen. Egk interpretiert Peer Gynt als Sieger, als suchende Figur, die zwar auf Abwege gerät, jedoch am Ende durchaus zu einer Heldenfigur wird und sich gegen die Trolle durchsetzt (Englert, 2001, S. 210). Ein Beitrag in dem Buch Musik – Wort – Bild, das Bemerkungen und Gedanken Werner Egks enthält, betrifft die Uraufführung der Oper Peer Gynt. Die Generalprobe fand am 22. November 1938 statt, im Publikum befanden sich Kritiker, Freunde, Opernpublikum und Vertreter der Kulturämter. Während der Probe verließ der Reichsdramaturg den Saal, um zu telefonieren. Nach der Generalprobe entstand diesbezüglich eine große Unruhe, es kursierten unterschiedliche Gerüchte. Auslöser dieser Unruhe war die bereits am 2. November abgehaltene Pressekonferenz (Egk, 1960, S. 205ff.). Die Angaben, die Werner Egk zu besagter Pressekonferenz gibt, sind jedoch mit dem Wissen, dass dieses Buch erst nach 1945 erschien, zu betrachten. Egk behauptete, seine Aussagen wären deutliche Anspielungen darauf gewesen, dass die Trolle die Nationalsozialisten darstellen (Egk, 1960, S. 207). Auch in Die Zeit wartet nicht gibt es Kommentare zur Generalprobe. Egk beschreibt, dass die Aufnahme und Wirkung des Stückes sehr kontrovers waren. „Die einen fürchteten, das Ding könnte ins Auge gehen, die anderen hofften es“ (Egk, 1973, S. 302). Um die zwiespältige Reaktion auf das Bühnenwerk zu veranschaulichen seien hier zwei Kritiken genannt, die stellvertretend betrachtet werden können. Der Musikkritiker und Anhänger Alfred Rosenbergs, Herbert Gerigk, veröffentlichte eine sehr ausführliche und lange Kritik zur Opernuraufführung. Nach einer Abhandlung zu Strawinsky schreibt Gerigk,

52 dass er die Offenheit der Berliner Staatsoper neuen Kompositionen gegenüber begrüße. Er stellt außerdem fest, dass die hohen Erwartungen an die Oper enttäuscht wurden (Gerigk, 1939, S. 86f., zitiert nach: Walter, 1995, S. 202f.). Schnell wird die allgemein negative Einstellung gegenüber Egk deutlich, den Grund, warum die Oper nicht gleich wieder abgesetzt wurde, erklärt Gerigk mit der Großzügigkeit der herrschenden Kunstpolitik und betont gleichzeitig, dass das Ereignis nicht wichtig genug sei, um sich weiter darum zu kümmern. Der Musikkritiker ist der Meinung, dass Peer Gynt auf die Musik der ‚Systemzeit‘ verweise: es würden „peinliche Erinnerungen an eine versunkene und von uns überwundene traurige Epoche der deutschen Musik wach“ (Gerigk, 1939, S. 86f., zitiert nach: Walter, 1995, S. 204). Der Tenor der gesamten Kritik lässt auf eine Ablehnung des Werkes sowie des Komponisten schließen. Gerigks Meinung und Einschätzung, Peer Gynt sei kein Erfolgsstück und deshalb kein Grund zur Aufregung, setzte sich nicht durch. Eine andere Lesart wird in Karl Holls Uraufführungskritik vertreten, die in der regimekritischen Frankfurter Zeitung erschien. In diesem Artikel ist ein versteckter Vorwurf gegen Egk enthalten, er hätte sich zu sehr den nationalsozialistischen Ideologien angepasst und unterworfen, was sich vor allem in der Musik reflektiere. Holl nimmt Ibsen gleichsam in Schutz, bezieht sich nur auf Egks Neugestaltung (Walter, 1995, S. 205f.). Der Kritiker stellt die Komposition in einen deutlichen Zeitbezug: „Der Aktivist Egk, der Mann der Gegenwart, beweist seinen Willen, die Menschen von heute anzuregen, indem er im sichtbaren Spiel die märchenhaften Erscheinungen möglichst kraß als uns vertraute Troll-Gestalten, als Tag-Gespenster unserer modernen Erfahrungswelt maskiert und im hörbaren Spiel ihnen Formen der Volksmusik wie der vulgären Gebrauchsmusik von vorgestern, gestern und heute zuordnet“ (Holl, 1939, zitiert nach: Walter, 1995, S. 206f.).

Damit stellt Holl Egk einerseits als Aktivisten und politisch aktiven Gegenwartskünstler dar, interpretiert aber andererseits die Trolle als Abbild („Tag-Gespenster unserer modernen Erfahrungswelt“) des Nationalsozialismus. Egk hätte laut Holl mehr Beifall verdient, denn dieser wurde ihm nur durch eine Fehlinterpretation mancher Nationalsozialisten verwehrt, die dachten er wolle mit dieser Oper auf die ‚Systemzeit‘ zurückverweisen. Ganz im Gegenteil zeuge Peer Gynt von einem starken Gegenwartsbezug und habe dadurch dokumentarische und zeitbezogene Tendenz (Walter, 1995, S. 208). Bereits diese beiden wiedergegebenen Uraufführungskritiken sowie die Reaktionen auf die Generalprobe zeigen, dass die Resonanz sehr durchwachsen und kontrovers war. Nichtsdestotrotz wurde Peer Gynt von Hitler und Goebbels gefeiert: Hitler und Goebbels, die eine Vorstellung im Januar 1939 besuchten, waren begeistert. In Goebbels Tagebuch ist zu

53 dieser Vorstellung zu lesen, dass er selbst und der Führer sehr angetan waren, sowohl vom Komponisten als auch von der Oper an sich (Goebbels, 1987, S. 567). Diesen Erfolg erklärt Michael Walter folgendermaßen: In jener Zeit existierten klare Vorstellungen zur Aufgabe der Musik, sie untermalt und verstärkt einen Text beziehungsweise eine Handlung. Musik kann also in diesem Zusammenhang einerseits als illustrativ und andererseits als mit einer bestimmten Handlung verknüpft betrachtet werden (Walter, 1995, S. 197f.). Diese Erwartungen an Musik erklären laut Michael Walter Hitlers Anerkennung der Oper Peer Gynt. Egk setzte die Musik diesen Ansprüchen gemäß ein. Die verwendeten modernen, ‚entarteten‘ Episoden sind alle auf negative Figuren oder Situationen bezogen. Walter schreibt, dass die Troll-Welt für Hitler und auch das restliche Publikum die Juden oder Kommunisten darstellte. Folgt man Walters Artikel, ergötzte sich Hitler an den negativen Elementen der Oper, die alle schlechten Welterscheinungen darstellten: „von der jüdisch- kommunistischen Trollwelt, über die habgierigen Kaufleute bis hin zum bestechlichen Präsidenten der Republik“ (Walter, 1995, S. 199). Diese Interpretation war, in Walters Augen, der einzige Grund, wieso Egks moderne Musik goutiert wurde. So verlor die Musik allerdings ihre ästhetische Funktion und wurde auf eine illustrative Ebene beschränkt (Walter, 1995, S. 200). Nach diesem großen Erfolg wurde Egk gebeten, seine Oper bei den Reichsmusiktagen im Mai 1939 in Düsseldorf aufzuführen (Egk, 1973, S. 313). Im Juni 1941 wurde er zum neuen Leiter der Komponistenfachschaft der Reichsmusikkammer ernannt, er befreundete sich schnell mit Parteimitgliedern und erfüllte verschiedene Aufträge von Führern der Schutzstaffel und der Hitlerjugend. In dieser Funktion verfasste er Reden, schrieb oder arrangierte Musikstücke und fungierte als Berater. Egk besuchte sogar als Vertreter des ‚Dritten Reichs‘ das internationale Komponistentreffen (Kater, 2004, S. 24ff.). Neben diesen politischen Vorteilen war Egk der Meinung, er könne durch seine Position einen neuen Musikstil vorantreiben. Laut Kater sah Egk seine wichtigste Aufgabe darin, deutsche Komponisten zu fördern und vor allem neue deutsche Opern hervorzubringen. Um seine Ziele zu erreichen musste er sich dem Regime beugen, mehr noch, er musste sich dazu bekennen. Dafür musste er sich gegen den Expressionismus, gegen Schönberg und die Atonalität im Allgemeinen aber auch gegen frühere Vorbilder wie Kurt Weill stellen (Kater, 2004, S. 26ff.). Egk feierte in dieser Zeit auch außerhalb Deutschlands in den besetzten Ländern große Erfolge (Kater, 2004, S. 28f.). Dank seines Erfolgs wurde Egk vielfach mit Auszeichnungen und großen Geldsummen belohnt, er wurde von der Wehrpflicht befreit und ihm wurde sogar das Kriegsverdienstkreuz verliehen (Kater, 2004, S. 31).

54

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Werner Egk 1945 wegen seiner hohen Stellung in der Reichsmusikkammer von den Amerikanern, die teilweise seine Musik persönlich bewunderten, auf die so genannte schwarze Liste gesetzt, seine Werke fortan verboten. Nach langen Gerichtsprozessen wurde Egk 1947 schließlich „rehabilitiert“ (Kater, 2004, S. 35ff.). Bereits 1948 erlangte er weitere berufliche Erfolge, trotz seiner Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten und trotz des Prozesses zur Entnazifizierung (Jaschinski, 2001, Sp.119).

In dem Beitrag Der Fall Werner Egk. Ein trauriges Beispiel für eine traurig kompromittierte Generation von Fred Prieberg wird Werner Egks Karriere im Nationalsozialismus sowie der Umgang damit nach 1945 besprochen. Werner Egk war kein Mitglied der NSDAP, in seiner Autobiografie Die Zeit wartet nicht versucht er darzustellen, wie seine Erfolge im Nationalsozialismus möglich waren, obwohl er eine regimeablehnende Haltung vertrat. Prieberg betont allerdings, dass jeder Komponist durch Fragebögen die „vorläufige Mitgliedschaft“ der Reichsmusikkammer erhielt, ohne zwingendermaßen einen Ariernachweis zu stellen; die Berufung auf passiven Widerstand durch nicht erbrachten arischen Nachweis wird dadurch hinfällig (Prieberg, 1969, o.S.). Tatsächlich belastend und nachweisbar sind jedoch von Egk verfasste Beiträge in der Zeitschrift Völkische Kultur, in denen er versuchte, sich mit den politischen Machthabern versöhnlich zu stellen. So zitiert er etwa Alfred Lorenz, einen Wagner-Spezialisten und heftigen Antisemiten (Kater, 2004, S. 13). Weiters ist ein eindeutiges Lob für Richard Eichenauers berüchtigtes Buch Musik und Rasse in jenen von Egk verfassten Artikeln zu finden (Prieberg, 1969, o. S.). Diese bewusste Berufung auf bekennende Nationalsozialisten deutet auf eine Angepasstheit und Konformität seitens Egk hin. Auch Egks Biografie sowie seine beeindruckende berufliche Karriere während des Nationalsozialismus machen deutlich, dass der Komponist, zumindest nach außen, regimegetreu lebte und arbeitete. Egks Musik war im ‚Dritten Reich‘ willkommen und der Komponist veröffentlichte auch einige das Regime verherrlichende und preisende Stücke (u.a. Bayerische Fahnen, Die Hohen Zeichen, Job der Deutschen). Neben diesen regimebejahenden Stücken schuf Egk Bühnenstücke, deren Bedeutung und Inhalt nicht eindeutig interpretierbar sind. So lässt etwa die Troll-Welt in Peer Gynt eine ambivalente Deutung zu: Sie kann „im NS-Sinn als bösartige Parodie auf die ‚Systemzeit‘“ aufgefasst oder aber als „Karikatur von Regimegrößen“ gedeutet werden (Custodis / Geiger, 2013, S. 21). Aufgrund dieser Mehrdeutigkeit wurde Peer Gynt zur NS-Zeit, wie bereits erwähnt, unterschiedlich rezipiert.

55

Werner Egk repräsentierte aus Sicht der politischen Führer die „künstlerische NS-Moderne“, er wurde offiziell gefördert und pflegte wichtige Kontakte (Custodis / Geiger, 2013, S. 26). Nicht nur sein künstlerisches Talent wurde geschätzt, sondern auch seine politische Gewandtheit und sein Wille zur Anpassung. Dieser Anerkennung verdankte Werner Egk seine großen beruflichen Erfolge (Custodis / Geiger, 2013, S. 27f.). Diese Fakten zu Werner Egks Leben und Karriere müssen in der Interpretation seiner Stücke, im Speziellen der Oper Peer Gynt mitgedacht und kritisch einbezogen werden.

5.3.3. Der Kontrast zwischen Gut und Böse Henrik Ibsens Peer Gynt ist ein fünfaktiges dramatisches Gedicht, das 1876 in Oslo uraufgeführt wurde. Orientiert an nordischen Sagen vermischt sich die Märchenwelt mit realistischen Darstellungen: Peer Gynt wandert durch die Welt, getrieben von Sehnsüchten und Träumen, und kehrt nach einer langen Irrfahrt als verlorener Sohn zu seiner liebenden Frau heim (Tschulik, 1987, S. 209f.). Das Drama ist eine Kritik an der Menschheit des 19. Jahrhunderts, und kann auch im Sinne einer Lebenslehre verstanden werden. Ibsen hält der Gesellschaft durch seine Troll-Darstellungen einen Spiegel vor. Damit versucht er, die Menschen aus ihrer Lethargie gegenüber Politik, aber auch Menschlichkeit im Allgemeinen, zu reißen. Das Lebensmotto darf eben nicht in einem ‚Sich-Selbst-Genug-Sein‘ begründet sein. Ernst Krause schreibt, dass Ibsen in der Figur des Peer einen typischen Norweger sah, der zwischen Realität und Phantasie wandelt. „So geht Peer seinen Weg nicht eigentlich als ewig Ruheloser, sondern als gnadenloser Versuchender, Schwärmer und Phantast, nicht als Geläuterter, sondern als Gescheiterter“ (Krause, 1971, S. 91). Egks Libretto zu Peer Gynt in drei Akten unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Ibsens fünfaktigem dramatischen Gedicht. Egk sparte sowohl die lyrisch-epischen als auch die mythisch-symbolischen Elemente des Gedichtes aus; er vereinfachte die Handlung. Egk reduzierte die Rolle von Peers Mutter, strich sogar ihre Sterbeszene, und verstärkte dafür die Rolle Solveigs: Sie ist die einzige Lichtgestalt, in ihr wird die reine Güte dargestellt und außerdem verkörpert sie die Mutterliebe und Opferbereitschaft, die bei Ibsen Peers Mutter zukommt. Neben der Hervorhebung des Christlichen, verdeutlicht Egk auch die moralische Bedeutung des Stückes. Er fügt eine Gerichtsszene hinzu, in der sich Peer Gynt mit den Opfern und Zeugen seiner schlechten Taten auseinandersetzen muss. Die eingefügte Gerichtsszene stellt eine Wende in Peers Leben dar. Auf der Suche nach Menschen, die Positives über sein Leben aussagen, kehrt Peer zu Solveig zurück und wird von der Einflussnahme und Verfolgung der Trolle erlöst, von all seinen schlimmen Taten

56 freigesprochen. Die Gerichtsszene bei Egk stellt eine Variation beziehungsweise eine Ausarbeitung der Gestalt des Knopfgießers, der bei Ibsen eine zentrale Bedeutung hat, dar: Dieser begegnet Peer wieder und wieder und fordert von ihm einen Beweis, sein Leben lang er selbst gewesen zu sein. Dafür sucht Peer nun Zeugen und findet den Dovre-Alten, der ihm aber klar macht, dass er immer nur so gehandelt habe wie es ihm beliebte und so ein Leben wie ein Troll und nicht wie ein guter Mensch geführt habe. Verzweifelt kehrt Peer zu Solveig heim, die ihn segnet, ihm vergibt, er schläft gebettet auf ihrem Schoße ein. Nach Egks Anweisungen sollte Peer Gynt nicht von einer Frau erlöst werden, er sollte sich aus freien Stücken entscheiden, Mensch zu sein und sich dem Guten zuzuwenden. Dies offenbart eine der Titelfigur eingeschriebene Zwiespältigkeit: Es existiert ein guter, heimatverbundener, norwegischer Peer aber auch ein skrupelloser, negativ konnotierter Peer in der Ferne. Seine schlechte Seite kommt zwar schon in der Troll-Welt zum Ausdruck, verdeutlicht sich jedoch insbesondere in seinem Verhalten im Ausland. Egk erschafft damit einen scharfen Kontrast zwischen Gut und Böse. Vor allem die weiblichen Hauptfiguren Aase und Solveig werden schön, rein und gütig dargestellt, die Trolle bilden ein dezidiertes Gegenbild zu diesen positiven Figuren. Eine solche Abgrenzung und Kontrastgestaltung lässt sich – in Abkehr von Ibsens Original – als Egks persönliche Interpretation beschreiben (Englert, 2001, S. 208f.). Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse spiegelt sich auch in der Musik wider. Die negativ dargestellten Szenen, sprich alle Parts der Trolle, sind von Musik geprägt, die an jüdische Komponisten wie etwa Offenbach oder auch durch den Aufgriff von Jazz-Elementen oder erotisierenden Rhythmen an, im Sinn nationalsozialistischer Ästhetik, ‚entartete‘ Musik erinnern7. Egk beschreibt die Troll-Welt „in einer musikalischen Sprache der Atonalität und Disparität“ (Englert, 2001, S. 212). Die Melodien von Solveig und Aase sind einfach, melodisch und volksliedmäßig komponiert (Englert, 2001, S. 212). Peer Gynt charakterisiert zumeist eine hohe expressive Stimmlage, Solveig eine diatonische Liedmelodik. In Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters schreibt Egon Voss, dass die Troll-Szenen sich durch eine verzerrte Musik aus der Unterhaltungs- und Tanzmusik auszeichnen, dass als charakteristisch für die Oper die Anlehnung an den Songstil der 1920er Jahre genannt werden kann und dass das Werk insgesamt in enger Verbindung zu Weill und Brecht steht8 (Voss, 1987, S. 121).

7 Bei Egk vermischt sich Ästhetisches mit Moralischem: Peer Gynt sowie Egks musikalisches Schaffen im Allgemeinen wurde im ‚Dritten Reich‘ kontrovers aufgenommen. Das letzte Kapitel zeigte, dass die Positionierung von Egk innerhalb des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle in Bezug auf die Oper Peer Gynt spielt und deshalb mitgedacht werden muss. 8 Eine derartige Verbindung lässt sich auch darin erkennen, dass Egk eine Gerichtsszene der Handlung hinzufügte: Gerichtsszenen spielten – wie diese Masterarbeit zeigt – in jenen Jahren eine wichtige 57

Egk lässt die Tochter des Troll-Königs, die bei Ibsen die Grüngekleidete genannt wird, zur Rothaarigen mutieren. Bekanntermaßen wurden Jahrzehnte lang rothaarige Frauen beschuldigt, Hexen zu sein. Diese Darstellung könnte bewusst die Minderwertigkeit der Welt der Trolle verdeutlichen (Englert, 2001, S. 210). Diese und andere dezidierte Änderungen Egks könnten zur Annahme verleiten, dass auch er die Trolle als ‚minderwertige Rasse‘ darstellen wollte, über die Peer schlussendlich siegt. Tatsächlich beschreibt Egk in der Regieanweisung die Trolle wie folgt: „Die Trolle dürfen keinesfalls als Fabelwesen wirken, trotzdem sie alle mit einem beliebigen Tierschwanz geschmückt sind, sondern als die erschreckende Verkörperung menschlicher Minderwertigkeit. Man muss sich in eine Versammlung von Strebern, Pedanten, Beschränkten, Rohlingen, Sadisten und Gangsters aller Schattierungen versetzt glauben“ (Egk, 1938, S. 20, Hrv. i. O.).

Die Troll-Tochter erscheint zuerst mit einer hässlichen Maske und einem Mantel, der ihre aufreizende Figur verdeckt. Sie begegnet Peer mit der Intention, ihn zu verführen und in ihr Königreich mitzunehmen. Peer möchte eine derartige Frau nicht heiraten, selbst wenn sie ihm zu einem Königreich verhelfen würde. Erst als sie ihre verführerische Schönheit zeigt, willigt Peer in eine Heirat ein und reitet mit ihr auf einem Karussellschwein in das Troll-Reich. Die Rothaarige wird von Beginn an als böse dargestellt, als verwerfliche Verführerin, die ihre Gestalt verändern kann und Peer als Verführtem, als ein von Schönheit und Reichtum geblendetem Jungen – entgegentritt. Sowohl bei Ibsen als auch bei Egk findet ein Verführungstanz statt: bei Ibsen in der Wüste, wo eine afrikanische Schönheit Peer betört, bei Egk in einer Hafenkaschemme in Mittelamerika. Ein Unterschied liegt darin, dass die Tänzerin bei Egk sich in die Rothaarige verwandelt, die Peer auch in der Ferne heimsucht. Egk beschränkt sich in seiner Oper Peer Gynt auf zehn Szenen, konzentriert sich auf Stimmungen und Gefühle. Sein Hauptaugenmerk gilt dem in Peer Gynt enthaltenen Menschengleichnis. Die größte von ihm vorgenommene Veränderung betrifft die Troll-Welt und die Darstellung der Trolle. Peer Gynt wird bei Egk von den Trollen getrieben, sie beeinflussen seinen Weg, sein Handeln, sie sind die dunkle Macht, die hinter allen bösen Entscheidungen Peers steht. Die Trolle sind keine märchenhaften Figuren, sondern Menschen aus der Unterwelt. Die Rothaarige verkörpert die pure und ständige Versuchung (Tschulik, 1987, S. 201ff.).

Rolle in zeitgenössischen epischen Opern und so könnte Peer Gynt als Anlehnung an Weill/Brecht und Krenek beziehungsweise als Referenz auf die epische Oper interpretiert werden. 58

In der Auseinandersetzung mit Ibsens Peer Gynt vertiefte sich Werner Egk in den Stoff und verwandelte das Drama, das im 19. Jahrhundert wohl erzieherische Zwecke verfolgte in eine kritische Auseinandersetzung mit der Realität der 1930er Jahre. Die Troll-Welt dient bei Ibsen als Spiegel der menschlichen Gesellschaft, Peer Gynt wird durch seine Umwelt zum Schlechten verführt. Henrik Ibsen wollte mit seinem Stück die Menschheit verbessern, an alle Lügner, Müßiggänger und Sünder appellieren. Werner Egk nimmt in seiner Interpretation den Trollen alles Märchenhafte und stellt sie real und menschlich dar. Sie sollen das Triebhafte, Unmenschliche und Animalische der Menschheit verkörpern (Krause, 1971, S. 88-91). Die größte Veränderung betrifft das Aussehen, die Erscheinung der Trolle, die explizit keine Fabelwesen sein sollen, sondern ein ‚niederträchtiges‘ Volk, voll grausamer Bräuche. Die Trolle sind in Egks Interpretation menschliche Kreaturen, mit Tierschwänzen, teilweise mit Tiermasken versehen. Sie haben einen eigentümlichen Geschmack, ihre ästhetischen Ideale lassen keine andere Meinung als die ihre zu. In der herangezogenen Sekundärliteratur herrscht Einigkeit, dass die Troll-Welt als Herabwürdigung gedacht war. Uneinigkeit besteht in der Frage, wen die Trolle darstellen und wer durch Egks virtuose und zu Entstehungszeit kritisch gesehene Musik, satirisch angeklagt werden soll. Nach 1945 behaupteten Egk und ihm wohlgesinnte Bekannte, die Trolle stellen ganz klar die Nationalsozialisten dar. Die oppositionelle Meinung beteuert, die Trolle seien in regimetreuer Ausarbeitung Egks eine Darstellung der minderwertigen und ‚niederen Rasse‘ und somit vor allem eine Darstellung der Juden. Risi zieht aus dieser Überlegung folgenden Schluss: Klar sei Egks Weg, die Trolle als erschreckend unmenschliche und missratene Menschen darzustellen und zwar mittels ‚degenerierter‘ und unter damaligem Verständnis ‚entarteter‘ Musik (Risi, 2011, S. 182 - 185). Der Versuch, die Darstellung der Minderwertigkeit der Trolle in der Musik zu suchen, erscheint sehr unkonkret. Die dezidierten Regieanweisungen Egks (die Trolle seien eine erschreckende Verkörperung menschlicher Minderwertigkeit) reichen meines Erachtens aus, um die Intention, die hinter diesen Troll- Darstellungen steckt, zu deuten. Die große Troll-Szene zeichnet sich durch Rhythmik, Wildheit und Parodistik aus, was sich in wilden Tanzelementen entfaltet (Tschulik, 1987, S. 212). Diese Szene könnte als Kritik am Regime gedeutet werden. Für damalige Verhältnisse und das damalige Verständnis von Musik und Musiktheater symbolisierte Peer Gynt wohl die Moderne. Ein um eine Kuh tanzender Ziegenbock, Tiermasken und –schwänze und dergleichen scheinen aus heutiger Sicht Teil des Theaters zu sein, doch in den 1930er Jahren sorgten diese Elemente für Aufsehen und Empörung (Tschulik, 1987, S. 212f). Trotzdem existieren keinerlei Anzeichen

59 dafür, dass die Troll-Szene als Kritik gegen das Regime gedacht war, das Gegenteil ist eher der Fall. Es muss auch berücksichtigt werden, dass die von Tschulik genannten Theaterelemente nur in den negativ konnotierten, sprich in den Szenen der Troll-Welt eingesetzt werden. Die von Egk beabsichtigte „erschreckende Verkörperung menschlicher Minderwertigkeit“ ist in den Regieanweisungen dezidiert vorgesehen (Egk, 1938, S. 20, Hrv. i. O.). Diese enthalten auch Bestimmungen zur Kleidung der Trolle: „Sie tragen heruntergekommene menschliche Gewänder, zum Teil Bestandteile bürgerlicher Kleidung, zum Teil veraltete abgelegte Amtstrachten oder Uniformstücke“ (Egk, 1938, S. 20, Hrv. i. O.). Diese Anweisungen lassen zwar einen gewissen Interpretationsspielraum offen, dennoch scheint die Deutung, die Trolle seien im Sinne des nationalsozialistischen Regimes eine Darstellung einer ‚minderwertigen‘ Menschengruppe durch die zitierten Regieanweisungen plausibel. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die Trolle bei Egk mit den Trollen und der Troll-Welt bei Ibsen vergleicht: Bei Ibsen sind die Trolle bloße Fabelwesen, die zwar böse Charakterzüge verkörpern jedoch nichts weiter als typische Märchenfiguren der nordischen Sagenwelt sind, deren Taten und Eigenschaften zur Belehrung der Menschheit dienen. Sie sollen nicht im Geringsten wie bei Egk eine niederträchtige Sorte Mensch darstellen. Mit dieser Überzeichnung der Charakterzüge und dem verstärkten negativen Auftreten der Trolle, wird der Kontrast zwischen Gut und Böse besonders hervorgehoben. Der Komponist schuf ein Werk, das einen rastlosen Menschen darstellt, auf der Suche nach dem Sinn seiner Existenz. Der Protagonist wird durch dunkle Mächte zu schlechten Entscheidungen gezwungen und schlussendlich durch die Liebe erlöst. Er schafft ein Gleichnis eines zerrissenen Menschen, der sich am Ende vor einem Gericht verantworten und all seinen Fehlern stellen muss. Krause interpretiert das Ende so: Anders als bei Ibsen stirbt Peer Gynt nicht als willensschwacher Mensch, er findet durch Solveigs Liebe zu sich selbst zurück und kehrt im weitesten Sinne heim (Krause, 1971, S. 91f.). Dies ist jedoch nur eine mögliche Lesart. In beiden Texten gibt es keine expliziten Anweisungen, wie das Ende gedeutet werden soll. Diese starken Gegenüberstellungen von Gut und Böse rücken den moralischen Aspekt der Handlung in den Mittelpunkt. In der Gerichtsszene, obwohl darüber verhandelt wird, ob Peer zum König gekrönt werden soll oder nicht, ist das moralische Verhalten ausschlaggebend. Neben der Gerichtsszene und dem Fokus auf das moralische Verhalten, kann eine weitere Verbindung zu den beiden anderen betrachteten Opern hergestellt werden: Auch in der Oper Peer Gynt können epische Elemente erkannt werden: Die Trolle können als verfremdete

60

Menschen interpretiert werden, bei Egk werden sie nicht als Märchenwesen sondern als niederträchtige Menschen dargestellt. Mit dieser Darstellung wird dem Publikum anschaulich gemacht, was ein schlechtes, unsittliches, sogar böses Verhalten ausmacht. Im Sinne von Henrik Ibsen wird auch hier den Menschen ein Spiegel vorgehalten, die Darstellung der Trolle soll die Menschen wachrütteln, sie dazu auffordern, etwas zu verändern und sich und die Gesellschaft als veränderbar wahrzunehmen.

6. Die Gerichtsszenen im Vergleich

Die detaillierte Betrachtung der drei Gerichtsszenen macht diverse Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten deutlich. Interessant sind dabei verschiedene Aspekte: Verhandlungsinhalt, Aufbau des Gerichts, Anklage und Urteil. Alle drei Opern können als politisches Theater bezeichnet werden: Es gibt drei verschiedene Verwendungen der Bezeichnung politisches Theater. Zum einen ist ein Theater eine öffentliche Aufführung, in der eine Gruppe von Schauspielern auf eine Gruppe von Zuschauern trifft. Zum anderen kann politisches Theater eine Aufführung bezeichnen, die eine „prinzipielle Veränderbarkeit von Mensch und Welt voraussetzt“ (Fischer-Lichte, 2005, S. 242). Dies deutet auf eine Beziehung zwischen Menschen und der Gesellschaft hin: Durch politisches Theater kann diese Beziehung beeinflusst werden. Politisches Theater in einer dritten Verwendungsweise bezeichnet ein Theater, das politische Themen behandelt. Die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte ist der Meinung, dass sich aktuell eine vierte Verwendung des Begriffes bildet, die sich auf eine spezielle Ästhetik bezieht. Dabei soll der Zuschauer seine eigenen politischen Standpunkte reflektieren (Fischer-Lichte, 2005, S. 242). In Folge sollen diese Sichtweisen auf die Opern bezogen werden. Alle diese vier Definitionen treffen auf jede der drei Opern zu: Sie alle entstanden in einer Zeit politischer Veränderungen und zielen auf eine Veränderung der Verhältnisse zwischen Menschen und ihrem Verhalten innerhalb der Gesellschaft ab. Wie gerade ausgeführt, ist im ersten Sinn jedes Theater politisch, da Aufführungen immer öffentliche Veranstaltungen sind. Auch die zweite Definition trifft auf die drei Opern zu, da sie alle von einer prinzipiellen Veränderbarkeit der Menschen und der Gesellschaft ausgehen und die Zuschauer in gewisser Weise dazu auffordern, tatsächlich etwas zu verändern. Das politische Theater beabsichtigt, den Zuschauer auf die eine oder andere Art zu beeinflussen, auf ihn zu wirken. Auch die dritte Begriffsdefinition ist zutreffend, da alle drei Stücke durch die Gerichtsprozesse einen

61 politischen Aspekt behandeln, sich mit Macht, Fehlverhalten und Strafen auseinandersetzen. Ebenso die Intention, mithilfe einer speziellen Ästhetik den Zuschauer dazu zu bringen, den eigenen politischen Standpunkt zu reflektieren, lässt sich auf alle drei Opern beziehen. Die Frage, wie diese Bestrebungen umgesetzt werden können, rückt wirkungsästhetische Gesichtspunkte in den Fokus der Aufmerksamkeit. Wirkung beschreibt im Kontext der Theaterwissenschaft den Einfluss, den ein Stück auf den einzelnen Zuschauer oder die ganze Gesellschaft hat. Wirkung steht im Zusammenhang mit den Begriffen Wahrnehmung und Rezeption. Die Wahrnehmung über die menschlichen Sinne bildet die Grundlage für die Wirkung eines Werkes und dessen Rezeption. Die Rezeption bezeichnet die Aneignung eines Werkes, während sich die Wirkung auf die Reaktionen der Rezipienten bezieht. Betrachtet man die drei Begriffe Wahrnehmung, Rezeption und Wirkung, wird deutlich, wie das Theater die Gesellschaft beeinflussen kann und umgekehrt die Gesellschaft das Theater beeinflusst (Pavis, 2005, S. 393f.). Anders als Aristoteles, der der Tragödie eine reinigende Wirkung zusprach, glaubten die Theaterreformer des 18. Jahrhunderts wie Gottsched oder Lessing „an einen moralisierenden Langzeiteffekt von Theateraufführungen“ (Pavis, 2005, S. 394). Im 20. Jahrhundert ist die Bandbreite der intendierten Theaterwirkungen abermals vergrößert worden: Theater intendiert eine Transformation des Zuschauers – politisch, emotional, intellektuell. Die Aktualität, in Metzlers Lexikon für Theatertheorie von Patrice Pavis „Liveness“ genannt, führt zu einer unwiederholbaren Situation, die einen unmittelbaren Austausch zwischen Publikum und Schauspielern ermöglicht (Pavis, 2005, S. 394).

In allen drei Opern steht die Gerichtsszene am Ende der Handlung, allerdings bildet sie nur im Leben des Orest die tatsächliche Schlussszene. Während bei Peer Gynt im Gericht darüber verhandelt wird, ob Peer ein würdiger Anwärter für den Thron des Troll-Reiches ist, wird in den beiden anderen Opern über Leben oder Tod der Protagonisten entschieden. In allen drei Fällen wird vor allem um das moralische Verhalten der Angeklagten ‚verhandelt‘. Zusammenfassend werden die jeweiligen Protagonisten der folgenden Vergehen angeklagt: Orest tötete die eigene Mutter und deren Gefährten, er wird von der Mutter verflucht. Der Hauptanklagepunkt im Fall Jim Mahoneys lautet, dass er kein Geld besitzt, um seine Rechnungen zu begleichen und weiterhin in der Vergnügungsstadt Mahagonny zu konsumieren. Peer führt sein Leben wie es ihm gefällt, rücksichtslos und gaunerhaft – er lebt wie ein Troll und soll deshalb der neue Troll-König werden.

62

In allen drei Opern müssen sich die Angeklagten vor einem Gericht verantworten, das im weitesten Sinn des Wortes aus einem Oberrichter, Beisitzenden, Zeugen und dem Volk, repräsentiert durch den epischen Chor, besteht. Bedeutend scheinen auch die Bühnenanweisungen, die das Umfeld modellieren: Das Gericht bei Krenek ist auf dem Athener Marktplatz errichtet, der Stuhl des Oberrichters steht exakt vor der Statue der Pallas Athene, dem Inbegriff der Demokratie. Die Verhandlung in Mahagonny findet in einem Gerichtssaal statt, die Zuschauertribüne ist wie in einem Amphitheater errichtet. Bei Peer Gynt erfolgt die Gerichtshandlung im Troll-Reich, an einer langen Tafel sitzen die Richter. Das jeweilige Rechtssystem hängt stark mit dem Handlungsort zusammen: Leben des Orest bezieht sich nicht nur durch den mythologischen Stoff auf die griechische Antike, auch bei der Gerichtsszene kommt die antike Demokratievorstellung zur Geltung: Die Richter stimmen demokratisch über das Urteil ab, bei Stimmengleichheit entscheidet der Oberrichter. Außerdem bekommt Orest die Möglichkeit sein Vergehen zu erklären, seine Lebensumstände und Familienverhältnisse werden in der Urteilsfindung berücksichtigt. Bei Mahagonny werden zwei Prozesse geschildert, um dem Zuschauer das Rechtssystem dieser fiktiven Stadt zu vermitteln: Offensichtlich werden Gerichtsprozesse, egal welche Vergehen vorliegen, immer gleich gehandhabt. Während der Staatsanwalt die Anklageschrift verliest, findet ein pantomimisches Feilschen um eine Bestechungssumme zwischen Richterin und Angeklagtem statt. Können diese sich einigen, wird die Klage fallengelassen. Im Fall des Jim Mahoney kann dieser nicht auf den Bestechungsversuch eingehen, schließlich besitzt er kein Geld, weshalb er am Ende auch zum Tode verurteilt wird. Bei Peer Gynt verhält es sich anders, er befindet sich in der Troll-Welt, sein menschliches Fehlverhalten wird durch Zeugen bekräftigt, die aussagen, wie grässlich sich Peer ihnen gegenüber verhielt. All dies weist darauf hin, dass Peer stets rücksichtslos gehandelt hat, nie jemandem Gutes wollte und immer nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war – zusammenfassend: er führte ein Leben wie ein Troll. Um dem Urteil zu entkommen, ist es Peer gestattet nach einem Zeugen zu suchen, dem durch Peer nur Gutes widerfahren ist.

Im Leben des Orest wird Orest schlussendlich freigesprochen, doch nicht etwa, weil er das Gericht mit ausreichenden Argumenten oder Zeugenaussagen überzeugte, sondern durch einen Zufall, durch das Spiel eines Kindes, das aus Versehen einen weißen Stein in die Wahlurne fallen lässt und so den entscheidenden Ausschlag zur Erlösung gibt. Krenek hebt deutlich hervor, dass Orest nicht durch das Recht, sondern allein durch Gnade freigesprochen wird: dadurch wird der Akt der Gnade über die Bedeutung des Rechts gestellt.

63

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny endet mit dem Tod Jims auf dem elektrischen Stuhl – er beteuert in den letzten Momenten seines Lebens, dass er nichts bereue, dass auch seine Mitmenschen nichts bereuen und stets so handeln sollen, dass ihr Dasein ihnen größtmögliches Vergnügen bereitet, denn es gibt, wie er wiederholt betont, keine Wiederkehr, kein Leben nach dem Tod und nichts, wofür es sich lohnt, auf irgendetwas zu verzichten. Peer Gynt wendet sich schließlich an Solveig, durch deren Liebe und Bekundung seines guten Verhaltens er erlöst wird. Das Ende wird bewusst offen gehalten, doch die Erlösung kann auch als eine Art Gnade interpretiert werden, denn Solveig segnet Peer anstatt ihn zu verurteilen. Solveig versichert ihm, dass er all die Zeit in ihrem Glauben, in ihrem Hoffen und in ihrer Liebe war, sie fordert ihn dazu auf, seinen Kopf in ihren Schoß zu legen und zu schlafen, sich auszuruhen.

Dieser Vergleich zeigt, dass sich die drei Gerichtsszenen, oberflächlich betrachtet stark voneinander unterscheiden. Die Rahmenbedingungen der drei Prozesse variieren aufgrund der verschiedenen Handlungsorte nicht nur in ihrem Aufbau sondern auch in ihrem Ablauf. Das Gericht in Leben des Orest tagt in Athen, der Operninhalt kann als mythischer Stoff bezeichnet werden und lässt sich dadurch auch in der Antike und im antiken Rechtssystem verorten. Mahagonny jedoch ist eine fiktive Stadt, mit kapitalistischen Zügen und einem korrupten Rechtssystem. Gerichtsprozesse folgen hier immer demselben Schema, wer genügend Bestechungsgeld besitzt, wird freigesprochen, wer kein Geld hat, zu Tode verurteilt. Die Szene findet zwar in einem Gerichtssaal statt, beinhaltet aber die Regieanweisung, den Zuschauerraum wie ein Amphitheater einzurichten. Den Zuschauern werden Eintrittskarten verkauft, geworben wird damit, die Gerechtigkeit sprechen zu hören. Der gesamte Gerichtsprozess wirkt eher wie ein Spektakel als wie ein Prozess, Ziel einer Verhandlung ist, festzustellen ob und wie viel der Angeklagte in der Lage ist, dem Gericht als Bestechung zu bezahlen. In der Oper Peer Gynt findet der Gerichtsprozess im Troll-Reich statt und wird so auch nach den Regeln der Trolle und nach keinen menschlichen Richtlinien abgehalten. Trotzdem erscheint der Prozess human: Zeugen werden angehört und schlussendlich wird Peer Aufschub des Urteils gewährt. Außerdem könnte man den Gedanken ‚Im Zweifel für den Angeklagten‘ zu entscheiden darin lesen, dass Peer Aufschub gewährt wird, bis sich herausstellt, ob er tatsächlich sein Leben lang ausschließlich der Troll-Devise folgte und seinen einstigen Schwur, immer nur das zu tun was ihm gerade passt, einhielt; oder ob Peer je einem Menschen selbstlos, gütig und rücksichtsvoll begegnete und so kein würdiger Troll-König und doch ein menschliches Wesen ist.

64

Außerdem liegen sehr verschiedene Anklageschriften vor, die von unvergleichbarer Schwere sind. Dennoch haben sie alle etwas gemeinsam: Im Zentrum steht das moralische Handeln und Verhalten der Angeklagten. Um dies näher auszuführen wird in folgendem Abschnitt auf die verschiedenen Vorstellungen und Realisierungen von Gerechtigkeit in den drei Opern eingegangen.

6.1. Vorstellung von Gerechtigkeit Im Folgenden werden die im ersten Teil betrachteten theoretischen Überlegungen zum Thema Gerechtigkeit auf die drei Opern angewandt, wobei sich verschiedene Gerechtigkeitsstrukturen herauskristallisieren. Wie bereits die Überlegungen zur Verbindung zwischen Ethik und Kunst zeigten, fungiert der Dichter als Erzieher, die Dichtung dient der Formung der Menschen. Durch die dargestellten Vorstellungen von Gerechtigkeit wird den Zuschauern veranschaulicht, wodurch sich ein ‚richtiges‘ Handeln auszeichnet, beziehungsweise was ‚schlecht‘ und ‚falsch‘ ist. Dies soll zur moralischen Bildung der Menschheit beitragen. Es ergibt sich die Frage, wie diese moralischen Werte auf der Bühne dargestellt werden können, wie diese sittlichen Werte in ästhetische umgewandelt werden können. Ebenso wie Brecht geht auch der Philosoph Hartmann von einer prinzipiellen Veränderbarkeit des Menschen aus. In dem Sinne können auch Wertgefühl und Wertbewusstsein gelehrt werden. Werte drücken einen Idealzustand aus und zeichnen sich dadurch aus, dass ein aktuelles Nichtseiendes dargestellt wird. Hartmann ist der Meinung, dass das Wertgefühl dem Menschen eigen ist, dass jedoch nicht jeder Mensch im gleichen Maße über ein Wertbewusstsein verfügt. Das fehlende Wertgefühl ist eine typische Eigenschaft der Kunstfigur Peer Gynt. Peer verfügt über kein Gewissen, er verspürt keinerlei Reue und tut, was er will, geht rücksichtslos durch sein Leben und ist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Er verfügt über kein primäres Wertbewusstsein, zu dem Hartmann unter anderen Gewissen, Verantwortungsbewusstsein, Schuldbewusstsein und Reue zählt. Auch die anderen beiden Protagonisten – Jim Mahoney und Orest – scheinen moralisch ungebildet. Alle drei handeln unverantwortlich und ohne an die Konsequenzen ihrer Taten zu denken. Genauso wenig zeigen die Protagonisten Reue, sie haben kein Schuldbewusstsein. Vor Gericht gestehen sie zwar ihre Schuld ein, bereuen aber ihre Taten nicht – mit Ausnahme von Peer, der allerdings aus Angst vor seiner Bestrafung alles beteuert und seine Lebensweise beklagt. Orest versucht sich nicht zu entschuldigen, er will auch keine Buße tun, er gesteht die Morde und bittet aufgrund seiner schweren Kindheit um mildere Strafe. Jim Mahoney schließlich bereut nichts in seinem Leben und ruft am Ende

65 auch noch alle dazu auf, es ihm gleichzutun; keine Reue, kein Verzicht, die Hauptsache ist, sich zu amüsieren. Interessant ist Hartmanns Überlegung zu der Unterscheidung der beiden Worte Entschuldigung und Verzeihung. Keine Tat kann entschuldigt werden, wenn sie von einem sittlich zurechnungsfähigen Wesen begangen wird. Ein Täter, will er als zurechnungsfähiger Mensch angesehen werden, kann höchstens um Verzeihung seiner Taten, die er eingesteht begangen zu haben, bitten. In diesem Sinne kann Peer Gynt als entmündigt gesehen werden, er bittet vor Gericht um Entschuldigung all seiner bösen Taten. Er verleugnet all sein schlechtes Verhalten, da er sich vor den drohenden Konsequenzen fürchtet. Jim Mahoney und Orest versuchen beide nicht um Entschuldigung zu bitten, Mahoney bereut, wie bereits mehrmals erwähnt, gar nichts und bittet weder um Entschuldigung noch um Verzeihung. Orest versucht sein Verhalten insofern zu rechtfertigen als er sich auf seine schwierige Kindheit bezieht aber auch er bittet nicht um Entschuldigung oder Verzeihung, er bittet nur um die Aufhebung des Fluchs. Nach Hartmanns Ansicht kann zusammengefasst werden, dass Peer Gynt sich selbst als sittlich unzurechnungsfähiges Wesen degradiert, was gut mit seinem unverantwortlichen und egoistischen Charakter zusammenpasst. Jim und Orest sind insofern verantwortlich als sie ihre Taten zwar vielleicht nicht bereuen aber zumindest eingestehen. Gemeinsam ist jedoch allen drei Protagonisten, dass sie ihr Leben lang tun und lassen, was sie wollen, ohne Rücksicht auf Konsequenzen handeln und in diesem Sinne moralisch verwerflich leben. Das Wertebewusstsein der Hauptfiguren in den drei Opern ist sehr wenig ausgeprägt. Betrachtet man nun ihr Handeln auf Grund der zwei verschiedenen Moraltheorien, der teleologischen und deontologischen, kann das Handeln von keinem als moralisch richtig bezeichnet werden. Im Gegenteil, alle drei Protagonisten handeln moralisch verwerflich. Gemäß den zwei zusammenspielenden Moraltheorien wird Handeln moralisch anhand der empirisch feststellbaren Konsequenzen und der geltenden Moralprinzipien gemessen. Eine Handlung ist aus moralischer Sicht bedeutsam, sobald sie andere Menschen außer einen selbst betrifft. Eine Handlung ist in diesem Sinne moralisch gut beziehungsweise richtig, wenn sie bestmögliche Folgen nach sich zieht; eine Handlung ist moralisch schlecht oder falsch, wenn sie einen Sachverhalt bewirkt, der nicht im Interesse aller Beteiligten ist. In der Praxis bedeutet dies, dass immer jene Handlungsalternative gewählt werden soll, die, im Vergleich zu allen anderen Alternativen, mehr positive als negative Konsequenzen nach sich zieht.

66

Orest tötet zwei Personen, was per se eine moralisch verwerfliche Tat darstellt – das menschliche Leben hat den höchsten Wert, es zu zerstören stellt das schlimmste Verbrechen dar. Jim Mahoney tut alles und nur das, was ihm Freude bereitet, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Nun lebt er in einer Gesellschaft mit fragwürdigen Moralvorstellungen aber dennoch verletzt er diese und auf Grund seiner Taten kommen verschiedene Personen zu Schaden. Peer schließlich ist verantwortungslos und interessiert sich nicht dafür, welche Folgen sein Handeln für seine Umwelt hat, er tut nur das, was ihm passt. Tatsächlich folgt er keinen Moralvorstellungen, und sein rücksichtsloses Verhalten benachteiligt und beschädigt andere.

Dieser Überblick zeigt wiederholt, dass alle Hauptfiguren der drei Opern gemäß der behandelten Moraltheorien moralisch verwerflich handeln. Auch die Frage, ob Gerechtigkeit herrscht, ob Gerechtigkeit gewahrt wird, muss verneint werden. Die erste und wichtigste Aufgabe der Gerechtigkeit ist, gegen die egoistischen Triebe des Menschen anzukämpfen – daran scheitern die Protagonisten ganz klar. Eine weitere wichtige Ausprägung von Gerechtigkeit ist, dass allen das gleiche zusteht, dass jeder gleiche Rechte und Pflichten hat. In diesem Sinne ist Gerechtigkeit ein Gut, das Menschen in einer gerechten Gesellschaft zukommt. Auch dieses Gut kommt nicht allen Protagonisten zu. Zumindest in der Stadt Mahagonny dürfen nur jene Menschen leben, die genug Geld besitzen, um sich zu amüsieren und um zu konsumieren. Wenn man gerecht handelt, stellt Gerechtigkeit eine Charaktereigenschaft dar, die den Menschen konstituiert, die jedoch wie oben analysiert, in den Protagonisten nicht ausgeprägt wurde.

Die Institution Recht fasst ethische Werte als gegeben auf und wendet diese auf konkrete Fälle und Konsequenzen an. Das Gericht als Rechtsvollstrecker verfolgt das Ziel der Gerechtigkeitsfindung. Trotz der angestrebten, objektiven Fairness kann das Recht auf verschiedene Art interpretiert und ausgelegt werden. Eine wichtige Unterteilung ergibt sich durch die Differenzierung der Begriffe objektive, beziehungsweise politische Gerechtigkeit und subjektive Gerechtigkeit. Erstere bezeichnet das Recht, das in Institutionen und Staat fungiert; subjektive Gerechtigkeit beschreibt das freiwillige Einhalten der objektiven Gerechtigkeit. So kann subjektive Gerechtigkeit als eine Charaktereigenschaft betrachtet werden. Obwohl die objektive Gerechtigkeit in allen drei Opern auf verschiedene Weise dargestellt wird, verfügt keiner der Protagonisten über subjektive Gerechtigkeit. In der Oper

67

Leben des Orest ist die politische Gerechtigkeit an der antiken, mythologischen Rechtsstruktur orientiert. In der literarischen Vorlage von Aischylos werden der Konflikt zwischen Mutter- und Vaterrecht sowie die neue Demokratievorstellungen thematisiert. Bei Krenek dreht sich der Konflikt um die Gerechtigkeitsfindung: Nachdem die Richter abstimmten und es zu einem Gleichstand kommt, muss der Oberrichter eine Entscheidung fällen. Über Orests Urteil wird durch Zufall entschieden, da der Oberrichter nicht in der Lage ist, über das Leben eines Menschen zu urteilen, vor allem nicht, da er nicht weiß, was Gerechtigkeit ist. Anders erscheint die Ausgangslage in Mahagonny und Peer Gynt: In der Stadt Mahagonny gibt es quasi keine objektive Gerechtigkeit, Jim Mahoney formuliert die Formel der Glückseligkeit, jeder soll tun was ihm gefällt, solange man konsumiert und sich amüsiert. Vor Gericht bekommt Jim die Möglichkeit, sich von seinen Vergehen freizukaufen – das Todesurteil erfolgt, da er kein Geld hat, was das größte Verbrechen ist. Peer Gynt steht im Troll-Reich vor Gericht. Unter den Trollen existiert keine objektive Gerechtigkeit und demnach auch keine subjektive. Jeder verhält sich so, wie es ihm gefällt, handelt ohne Reue und Schuld. Peer zeigt erst dann Bedauern, als er sich vor Gericht verantworten muss, ihm vor Augen geführt wird, dass seine Lebensweise der eines Trolls entspricht und die Trolle ihn deshalb für immer als ihren König krönen wollen. Diese Reue erscheint unehrlich, er verfügt über kein Gewissen und wird schließlich nicht durch Buße sondern durch seine Freundin Solveig erlöst. Peer handelt, wie wir bereits gesehen haben, nicht moralisch, er fürchtet nur die Konsequenzen.

Mit der Frage nach Gerechtigkeit geht auch die Frage nach gerechten Strafen einher. Höffe unterscheidet verschiedene Bestrebungen von Strafen: Vergeltung, negative und positive Prävention, sowie die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Eine gerechte Strafe orientiert sich an der Schwere des Vergehens. In Bezug auf die drei Opern erscheinen die Strafen hinsichtlich der Schwere des Vergehens nicht unbedingt fair. Orest wird ganz nach dem Motto Auge um Auge, Zahn um Zahn für den Mord an der Mutter und ihrem Gefährten zum Tode angeklagt – er wird schließlich, wie bereits erwähnt, freigesprochen. Das Prinzip der Blutrache, ein übliches Vorgehen in der antiken Mythologie, wird durch demokratische Ideale ersetzt. Im Falle von Jim Mahoney erscheint das Strafverfahren nicht nur aufgrund der Korruption als äußerst unfair. Diebstahl beziehungsweise Mangel an Geld mit der Todesstrafe zu vergelten, scheint unter keinem möglichen Gesichtspunkt gerecht oder in irgendeiner Weise nachvollziehbar. Peer wird vor dem Hintergrund der Vorstellungen der Troll-Welt angeklagt, seine Bestrafung bedeutet ein ewiges Leben im Troll-Reich, was in Bezug auf

68 seine Vergehen als gerecht erscheint. Er verhält sich sein Leben lang wie ein Troll, lebt und handelt nach ihren Regeln und soll deshalb ihr König werden – eine logische Schlussfolgerung.

7. Schluss

Vorliegende Masterarbeit beschäftigte sich mit dem Thema Gerechtigkeit und der Frage, wie diese auf der Bühne im Musiktheater verhandelt wird. Betrachtet wurden drei verschiedene deutsche Opern, die in den 1920er und 1930er Jahren entstanden: Leben des Orest, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny sowie Peer Gynt. Die Wahl fiel auf diese Werke, da sie alle drei als politisches Theater betrachtet werden können: Inhaltlich enthalten sie als verbindendes Element jeweils eine Gerichtsszene, und haben so einen politischen Inhalt; theoretisch gehen sie alle von einer potentiellen Veränderbarkeit der Menschen und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft aus. Letzteres wurde deutlich von Bertolt Brecht in seiner Theorie zum epischen Theater hervorgehoben, lässt sich aber auch auf die beiden anderen betrachteten Opern anwenden. In der Auseinandersetzung mit Nicolai Hartmanns philosophischen Schriften wurde deutlich, dass die Möglichkeit, den Menschen durch Kunst, vor allem durch Theater zu verändern, eine verbreitete Ansicht des 20. Jahrhunderts darstellt. Die Verbindung von Theater und Gerechtigkeit ergibt sich nicht nur aus den in den Opern enthaltenen Gerichtsprozessen. Gerichtsszenen gelten seit der Antike als theaterwirksame Elemente – ursprünglich hatten Theateraufführungen den Sinn, den Menschen Glaubensinhalte zu vermitteln. Außerdem kann ein Gerichtsprozess selbst als Theater interpretiert werden. Auch in Gerichtsszenen verkörpern verschiedene Personen verschiedene Rollen, sie treten in Interaktion zueinander, sie sprechen vor Publikum. Die Handlung ist klar strukturiert, es gibt einen eindeutigen Start- und Endpunkt. Indem im Theater Gerichtsszenen eingesetzt werden, entwickelt sich der Dichter selbst zu einem Richter. Wenn in Werken Gerechtigkeitsstrukturen verhandelt werden, wird über gesellschaftliche Werte, Verhalten und Handlungen geurteilt. So wird dem Publikum gezeigt, was gut und schlecht, was richtig und was falsch ist und welche Konsequenzen ein falsches Verhalten haben kann. Dies zeigt, dass Gerichtsszenen in der Urform des Theaters verwurzelt sind; die Frage nach Gerechtigkeit begleitet die Menschen seit jeher und spiegelt sich so auch in der Kunst wider. Dies spricht für die Verbindung zwischen den Bereichen Ethik und Kunst,

69 die sich wechselwirkend beeinflussen. Die Kunst ist unabhängig von der Ethik, sie greift aber ethische Elemente auf, verarbeitet diese und gibt ihnen somit Gestalt. Hartmann spricht dem Dichter, ähnlich wie Brecht, die Rolle eines Erziehers, eines Wissenden und Sehers zu; die Dichtkunst ist seiner Meinung nach das stärkste Mittel, um den Menschen zu formen. Im Theater können Aspekte und Sichtweisen des Lebens dargestellt werden, die im realen Leben nicht wahrgenommen werden; die Dichtung weist auf Dinge hin, die ansonsten nicht sichtbar sind. Dem Zuschauer kommt die Aufgabe zu, das Geschaute und Gehörte zu reflektieren, zu verstehen und nicht nur genießend wahrzunehmen. Durch die Auseinandersetzung mit Kunst wird das Erlebte durch das mögliche Erlebbare erweitert, das Bewusstsein des Zuschauers wird vergrößert, er verändert sein Verhältnis zu sich selbst und zur Welt. Außerdem ermöglicht dies dem Leser oder Zuschauer Stellung zu beziehen, einen anderen Blick auf Alltägliches und auch Außeralltägliches zu bekommen. Das zeigt, dass durch Kunst eine Weltanschauung vermittelt werden kann, Kunst verfolgt das Ziel, die Welt in ihrer Gesamtheit verständlich und greifbar zu machen, sie verweist auf Dinge, die im Leben nicht erkannt werden können. Im Theater geht es nicht um das Einzelschicksal, die erzählte Geschichte steht stellvertretend für die Beziehung und Auseinandersetzung zwischen Menschen und zwischen Menschen und der Gesellschaft. Das dritte Kapitel beschäftigte sich mit dem Begriff der Gerechtigkeit aus philosophischer und rechtsphilosophischer Sicht. Die erste Aufgabe der Gerechtigkeit ist, den egoistischen Trieben der Menschen entgegenzuwirken, die Basis ist, dass allen Menschen gleiche Rechte und gleiche Pflichten zustehen. Gerechtigkeit in diesem Sinne ist ein Gut, das dem Menschen zukommt. Verhält sich aber jemand gerecht, dann ist Gerechtigkeit ein sittlicher, den Menschen konstituierender Wert. Aus diesem Grund wurde Hartmanns Werttheorie betrachtet, in der Werte als unabhängige Idealzustände verstanden werden. Nicht jeder Mensch verfügt in gleichen Maßen über ein Wertgefühl, dieses kann jedoch gelehrt werden. Zum primären Wertbewusstsein zählt Hartmann Phänomene wie Gewissen, moralische Akzeptanz und Ablehnung, Selbstvorwurf, Verantwortungsbewusstsein und Reue. Mithilfe des Wertbewusstseins entscheidet der Mensch, welche Handlungen zu tun und welche zu unterlassen sind. Das Gewissen dient dazu, gutes von schlechtem Verhalten zu unterscheiden, es warnt, urteilt und richtet. Im nächsten Abschnitt wurde die Beziehung zwischen Gerechtigkeit und der Institution Recht beleuchtet: Das Ziel und gleichzeitig die Grundlage von Recht und Gesetzen ist die Gerechtigkeit. Dabei gilt die objektive beziehungsweise politische Gerechtigkeit von einer subjektiven Gerechtigkeit zu trennen. Objektive Gerechtigkeit bezeichnet das Recht, den Staat

70 als Institution; subjektive Gerechtigkeit benennt das Einhalten der politischen Gerechtigkeit. In diesem Sinne ist Gerechtigkeit eine Charaktereigenschaft, dabei wird unterschieden, ob jemand aus moralischer Gesinnung gerecht handelt oder da er die Konsequenzen fürchtet. Das Rechtssystem sichert das menschliche Zusammenleben. Um einen fairen Gerichtsprozess zu gewährleisten, muss der Richter unabhängig und unparteiisch, das Verfahren muss öffentlich sein. Dies zeigt die notwendige Beziehung zwischen Recht und Gerechtigkeit; Gerechtigkeit dient als Grundlage für die Gesetzgebung. Damit eine Gesellschaft funktioniert, müssen Gesetze eingehalten werden, was aber nicht bedeutet, dass diese Gesetze moralisch richtig sind. Der bedeutende Rechtsphilosoph Radbruch definierte die Begriffe und die Verbindung von Moral und Recht so, dass Moral den einzelnen Menschen betrifft, während Recht die Beziehung zwischen Menschen regelt. Das Recht verfolgt aber moralische Ziele und gründet auf der Moral. Es stellt sich die Frage, was Recht enthalten kann und was es enthalten muss. Im Mittelpunkt steht aber immer die Menschenwürde, die Freiheit und Demokratie. Damit ein Rechtssystem funktioniert, müssen Gesetze eingehalten werden, wird gegen sie verstoßen, muss ein Strafsystem existieren. Um zu beurteilen, ob ein Handeln moralisch richtig ist, können zwei Moraltheorien herangezogen werden. Moralisch richtiges Handeln hängt sowohl von dessen Konsequenzen (teleologische Moraltheorie) als auch den geltenden Moralprinzipien (deontologische Moraltheorie) ab. Es gilt immer jene Handlungsoption zu wählen, die im Vergleich zu allen anderen die bestmöglichen Konsequenzen mit sich bringt. Strafen dienen dazu, falsches Handeln zu vergelten, sie sind aber auch eine Art Prävention und sollen potentielle Täter vor zukünftigen Straftaten abschrecken. Ob aber eine Strafe gerecht ist, lässt sich nicht automatisch von Gerechtigkeitsvorstellungen ableiten. Allgemein gültig ist, dass sich eine gerechte Strafe immer an der Schwere des Vergehens orientiert. Voraussetzung dafür, dass eine Strafe verhängt werden kann, ist, dass der Täter bewusst gehandelt hat, dass er ein sittlich zurechnungsfähiges, vernünftiges Wesen ist. Alle drei betrachteten Opern enthalten epische Elemente und behandeln moralische Aspekte und aus diesem Grund setzte sich das vierte Kapitel mit Brechts Theatertheorie zum epischen Theater auseinander, bevor im fünften Kapitel zunächst der Inhalt der drei Opern mit besonderem Augenmerk auf die enthaltenen Gerichtsszenen zusammengefasst wurde. In gewisser Weise können alle drei Opern als epische Opern gelesen werden: besonders auffällig und charakteristisch ist der epische Chor, der einerseits das Volk repräsentiert und andererseits dazu dient, das Publikum über Vorgehensweisen zu informieren, ihm einen Wissensvorsprung in der Handlung zu geben; der Chor fungiert teilweise als Zwischenspiel. Ein weiteres episches Element ist, dass von der prinzipiellen Veränderbarkeit des Menschen

71 ausgegangen wird. Außerdem können auch Verfremdungseffekte in den drei Werken erkannt werden. Durch das Einsetzen von Verfremdungseffekten macht der Autor auf bestimmte gesellschaftliche Tatbestände aufmerksam, die so alltäglich und selbstverständlich erscheinen, dass sie nicht mehr wahrgenommen werden. Da nur das erkannt und begriffen werden kann, was nicht als gegeben wahrgenommen wird, verhilft die Verfremdung zu einem Erkenntnisprozess. Der Zuschauer reflektiert so das Gesehene und gleichzeitig gesellschaftliche Tatbestände; dadurch werden Dinge als veränderlich erkannt. Verfremdung dient auch dazu, eine Distanz zwischen Publikum und Bühne aufzuzeigen. Dem Zuschauer soll der Unterschied zwischen Kunst und Realität deutlich bewusst werden, er soll sich nicht in das Bühnengeschehen hineinversetzen sondern es rational betrachten. Distanz kann auch dadurch entstehen, dass das Publikum den Inhalt des Stoffes bereits kennt beziehungsweise durch Aufgreifen eines historischen oder mythologischen Stoffes ein weitgehend bekanntes Thema behandelt wird. Beides trifft auf die Opern Leben des Orest (der Atriden-Mythos ist weitgehend bekannt) und auf Peer Gynt (der Stoff von Henrik Ibsen war im 19. Jahrhundert weit verbreitet und erlangte vor allem im ‚Dritten Reich‘ große Bekanntheit) zu. Im sechsten Kapitel wurden die drei Gerichtsszenen verglichen, was zeigte, dass viele gemeinsame aber auch einige Unterschiede in den Dramaturgien enthalten sind. Das dargestellte Rechtssystem hängt stark mit dem Handlungsort zusammen. Leben des Orest bezieht sich nicht nur durch den mythologischen Stoff auf die griechische Antike, auch in der Gerichtsszene kommen Demokratievorstellungen zur Geltung, die Richter stimmen über das Urteil ab, bei Stimmengleichheit entscheidet der Oberrichter. In der Oper Mahagonny werden zwei Gerichtsprozesse hintereinander gezeigt, Verhandlungen werden in Mahagonny immer gleich abgehalten: Während der Staatsanwalt die Anklage verliest, findet ein pantomimisches Feilschen um die Bestechungssumme zwischen Angeklagtem und Richterin statt. Wird sich auf eine Summe geeinigt, wird die Klage fallengelassen; Jim wird zu Tode verurteilt, da er kein Geld besitzt. Über Peer Gynts Urteil wird im Troll-Reich verhandelt, wo die Regeln der Trolle gelten, die keine Moral kennen; trotzdem werden Zeugen angehört, Peer kommt selbst zu Wort und am Ende wird ihm sogar ein Aufschub gewährt. Im letzten Abschnitt wurden die philosophisch-theoretischen Erkenntnisse der vorherigen Kapitel auf die drei Opern angewandt. In allen drei Opern verfügen die Protagonisten über keine subjektive Gerechtigkeit, die objektive Gerechtigkeit wird auf verschiedene Weise dargestellt. Bei Krenek orientiert sich die objektive Gerechtigkeit an antiken, mythologischen Rechtsstrukturen, zentral ist der Konflikt um die Gerechtigkeitsfindung. Über Orests Urteil wird durch einen Zufall, der auch als Schicksal interpretiert werden könnte, entschieden, die

72

Gnade ist bedeutender als das Recht. Anders als bei Krenek verhält es sich in den Opern Mahagonny und Peer Gynt: in der Stadt Mahagonny gibt es so gut wie keine politische Gerechtigkeit, jeder soll tun was ihm gefällt, solange konsumiert und gefeiert wird. Die Formel ‚Du darfst‘ kann als wichtigstes Gesetz anerkannt werden, das größte Verbrechen ist, kein Geld zu besitzen. Peer Gynt steht im Troll-Reich vor Gericht: Unter den Trollen gibt es keine objektive Gerechtigkeit und demnach auch keine subjektive Gerechtigkeit. Jeder verhält sich so wie es ihm gefällt, ohne Schuld und ohne Reue. Misst man die Strafe am Ausmaß des Vergehens, erscheinen die Urteile beziehungsweise Anklagen nicht besonders gerecht. Orest wird nach dem Prinzip der Blutrache für den Mord an seiner Mutter selbst unter Androhung der Todesstrafe angeklagt. Jim Mahoneys Strafverfahren ist nicht nur aufgrund der Korruption des Gerichts und des gesamten Systems unfair, für den Mangel an Geld zu Tode verurteilt zu werden ist in hohem Maße unmenschlich und ungerecht. Peer wird in einem Troll-Gericht angeklagt, er soll Troll-König werden, da er sich sein Leben lang wie ein Troll verhielt. Er lebt und handelt nach ihren Regeln, das heißt ohne Regeln, und soll deshalb für immer im Troll-Reich bleiben und ihr König werden. Misst man nun die Strafe am Vergehen, so erscheint die Anklage als gerecht.

Die Abhandlung der Masterarbeit zeigte, dass es unmöglich ist, genau eine gültige Definition von Gerechtigkeit zu finden. Gerechtigkeit wurde in Anlehnung an Hartmanns Philosophie als Wert verstanden, der den Menschen konstituiert. Gerechtigkeit wird jedoch nicht nur in der Philosophie als zentrales Element aufgegriffen, die Frage nach Gerechtigkeit wird auch in der Kunst gestellt und verhandelt. Deutlich kann dies mithilfe von Gerichtsszenen geschehen, denn so kann den Zuschauern ein falsches Verhalten vor Augen geführt und durch einen Rechtsspruch die Konsequenzen ihres Fehlverhaltens bewusst gemacht werden. Auf der Bühne wird exemplarisch ein Gerichtsprozess abgehalten, es geht aber nicht um das Einzelschicksal der Protagonisten sondern darum, den Zuschauer auf moralisches Vergehen hinzuweisen und ihn so moralisch zu bilden. Die drei Opern enthalten außerdem eine starke gesellschaftskritische Funktion, was sich vor allem in den Gerichtsprozessen zeigt. Leben des Orest enthält einerseits eine Kritik an einer gewaltsamen Machtherrschaft und andererseits rückt Krenek vor allem das Leben eines Menschen als Produkt der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Orest ist vom Leben gezeichnet, er kehrt schließlich in die Heimat zurück, und wird vor Gericht begnadigt. Damit wird der Aspekt der Gnade besonders hervorgehoben, denn in diesem Fall kann kein Rechtssystem entscheiden, die Frage, was Gerechtigkeit ist, bleibt unbeantwortet.

73

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny kritisiert vor allem die Vormachtstellung des Gelds in der Gesellschaft, das in Mahagonny das wichtigste Gut darstellt und alles andere, selbst den Wert des menschlichen Lebens übertrumpft. Außerdem wird die Konsumgesellschaft kritisiert, der Mensch in seinem rücksichtslosen Verhalten ist viel bedrohlicher und schlimmer als jegliche Naturkatastrophe, denn der Mensch zerstört alles, auch sich selbst. Die Utopie einer anarchistischen Paradiesstadt verwandelt sich schnell in eine Dystopie und geht am Ende in Flammen unter. Durch das bewusste Aussparen einer geografischen oder auch zeitlichen Verankerung der Handlung, spricht das Stück jede moderne Gesellschaft an und ist als Lehrstück universal gültig. Peer Gynt ist ein Menschengleichnis, um Fokus der Kritik steht die Einstellung des Sich- Selbst-Genug-Seins. Durch den starken Kontrast zwischen dem ‚guten‘ Verhalten der Menschen und dem ‚bösen‘ und ‚schlechten‘ Verhalten der Trolle, soll sich die Menschheit bewusst dem Guten zuwenden, sich nicht von der Welt und Lebensweise der Trolle verführen lassen. Unübersehbar ist in allen drei Werken der Aufruf an die Menschheit aktiv zu werden, Missstände in der Gesellschaft und Politik zu erkennen und bewusst einzugreifen. Der Mensch soll sich selbst als veränderbar wahrnehmen und nichts als gegeben und unumstößlich hinnehmen. Die Welt, die Gesellschaft und der Mensch an sich befinden sich im Prozess, sind veränderlich und diese Erkenntnis kann durch Kunst und vor allem durch Theater vermittelt werden. Stellt man nun die Frage nach der Funktion von Gerichtsszenen im Musiktheater, lässt sich an diesen drei Beispielen zeigen, dass die moralische Bildung der Menschen im Mittelpunkt steht. Der Mensch soll durch das Theater aufgefordert werden, sich aktiv zu beteiligen, sei es im alltäglichen oder im politischen Leben. Der Zuschauer soll seinen eigenen politischen Standpunkt reflektieren und sich selbst, die Gesellschaft und die Welt als veränderlich wahrnehmen und sie am Ende auch tatsächlich verändern.

Diese Aspekte sind wohl nicht die einzigen, die in diesen drei umfangreichen und kritischen Werken enthalten sind, die Behandlung aller enthaltenen Themengebieten würde jedoch den Rahmen einer Masterarbeit überschreiten: All diese Fragestellungen könnten auch aus musikwissenschaftlicher Perspektive analysiert werden: Wie in der Abhandlung zu Peer Gynt kurz angesprochen wurde, werden die Kontraste zwischen Gut und Böse auch durch musikalische Ausdrucksmittel hervorgehoben; Ähnliches ließe sich in den beiden anderen Opern ebenfalls untersuchen. Des Weiteren

74 könnten die Opern im Zusammenhang mit den politischen Veränderungen jener Jahre untersucht werden, zum Beispiel könnte man die Opern hinsichtlich ihrer Rezeption im ‚Dritten Reich‘ behandeln. Außerdem werden in den drei Opern weitere philosophische und vor allem ethische Problemstellungen aufgegriffen: Anhand der Werke Mahagonny und Leben des Orest ließe sich etwa die Frage nach der Zulässigkeit der Todesstrafe behandeln. Anhand der drei Opern könnte auch die Frage danach gestellt werden, was ein erfülltes, glückliches Leben ausmachte oder auch wie mit Gewaltakten, Tyrannenherrschaft und Kriegsführung umgegangen wird.

75

8. Literaturverzeichnis

Austin, John Langshaw (1979): Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words), übersetzt und bearbeitet von Eike von Savigny, Philipp Reclam jun., Stuttgart.

Benjamin, Walter (2007): Wahlverwandtschaften: Aufsätze und Reflexionen über deutschsprachige Literatur. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main.

Bermbach, Udo (2000): Über einige Aspekte des Zusammenhangs von Politik, Gesellschaft und Oper im 20. Jahrhundert. In: Bermbach, Udo (Hrg.): Oper im 20. Jahrhundert. Entwicklungstendenzen und Komponisten, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart und Weimar, S. 3- 27.

Bloomfield, Paul (2011): Justice as a Self-Regarding Virtue. In: Philosophy and Phenomenological Research, Vol. 82, Nr. 1, International Phenomenological Society, S. 46- 64.

Brecht, Bertolt (1957): Schriften zum Theater. Über eine nicht-aristotelische Dramatik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.

Custodis, Michael / Geiger, Friedrich (2013): Netzwerke der Entnazifizierung. Kontinuitäten im deutschen Musikleben am Beispiel von Werner Egk, Hilde und Heinrich Strobel. In: Custodis, Michael (Hrsg.): Münsteraner Schriften zur zeitgenössischen Musik. Band 1, Waxmann, Münster / New York / München / Berlin, S. 18-31.

Drexel, Kurt (2000): Musiktheater und Politik. Mahagonny im Spannungsfeld kulturideologischer Richtungskämpfe. In: Csobádi, Peter/Gruber, Gernot/Kühnel, Jürgen et alt. (Hrg.): Mahagonny – Die Stadt als Sujet und Herausforderung des (Musik-)Theaters. Vorträge und Materialien des Salzburger Symposions 1998. In: Müller, Ulrich/Hundsnurscher, Franz/Panagl, Oswald (Hrg.): Wort und Musik. Salzburger Akademische Beiträge, Nr. 44, Verlag Mueller-Speiser, Salzburg, S. 605-624.

Dümling, Albrecht (1985): Laßt euch nicht verführen. Brecht und die Musik. Kindler Verlag, München.

76

Egk, Werner (1960): Musik – Wort – Bild. Texte und Anmerkungen. Betrachtungen und Gedanken. Langen Müller Verlag, München.

Egk, Werner (1973): Die Zeit wartet nicht. Verlag R. S. Schulz, Percha am Starnberger See.

Englert, Uwe (2001). Magus und Rechenmeister. Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reiches. Beiträge zur Nordischen Philologie. Herausgegeben von der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien. Band 30. A. Francke Verlag, Tübingen und Basel.

Fenichel Pitkin, Hanna (1972): Wittgenstein and Justice. On the Significance of Ludwig Wittgenstein for Social and Political Thought. University of California Press, Berkeley, Los Angeles, London.

Fischer-Lichte, Erika (2005): Politisches Theater. In: Fischer-Lichte, Erika/Kolesch, Doris/Warstat, Matthias (Hrg.): Metzler Lexikon Theatertheorie. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar, S. 242-245.

Fischer-Lichte, Erika/Dreyer, Matthias (2007): Antike Tragödie heute. In: Fischer-Lichte, Erika/Dreyer, Matthias (Hrg.): Antike Tragödie heute. Vorträge und Materialien zum Antiken-Projekt des deutschen Theaters. Henschel Verlag, Berlin, S. 8-13.

Foot, Philippa (1958): Moral Belief. In: Proceedings of the Aristotelian Society, New Series, Vol. 59, Oxford University Press on behalf of The Aristotelian Society, S. 83-104.

Gerigk, Herbert (1939): Musikpolitische Umschau. In: Nationalsozialistische Monatshefte 10, S. 86-88. Zitiert nach: Walter, Michael (1995): Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919 – 1945. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart und Weimar.

Goebbels, Joseph (1987): Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. In: Fröhlich, Elke (Hrsg.): Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und in Verbindung mit dem Bundesarchiv. Teil 1: Aufzeichnungen 1924 – 1941, Band 3, 1.1.1937-31.12.1939. K.G. Saur, München, New York, London, Paris.

77

Grosch, Nils (2006): Zeitoper, Stilpluralismus und Episches Theater in Ernst Kreneks Leben des Orest. In: Maurer Zenck, Claudia (Hrg.): „Der zauberhafte, aber schwierige Beruf des Opernschadreibens“. Das Musiktheater Ernst Kreneks. In: Preinfalk, Petra (Hrg.): Ernst Krenek Studien, Band 2, Edition Argus, Schliengen, S. 77 -112.

Hartmann, Nicolai (1953): Ästhetik, 2. Unveränderte Auflage, Walter de Gruyter&Co, Berlin.

Hartmann, Nicolai (1960): Philosophische Gespräche, in: Kleine Vandenboeck-Reihe 3, Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen.

Hartmann, Nicolai (1962): Ethik. 4. Unveränderte Auflage, Walter de Gruyter&Co, Berlin.

Hartmann, Nicolai (1965): Einführung in die Philosophie. Überarbeitete, vom Verfasser genehmigte Nachschrift der Vorlesung im Sommersemester 1949 in Göttingen. 6. Auflage, Verlag Buchhandlung Hanckel, Osnabrück.

Hensel, Georg (1972): Theater der Zeitgenossen. Stücke und Autoren. In: Einmalige Sonderausgabe in der Reihe „Die Bücher der Neunzehn“, Band 205, Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt am Main, Berlin, Wien.

Höffe, Ottfried (2001): Gerechtigkeit. Eine philosophische Einführung. Verlag C.H. Beck, München.

Holl, Karl (1939): Peer Gynt auf der Musikbühne. Zur Uraufführung der Oper von Werner Egk. In: Frankfurter Zeitung v. 26.11.1938. Zitiert nach: Walter, Michael (1995): Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919 – 1945. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart und Weimar.

Holzleithner, Elisabeth (2009): Gerechtigkeit. In: Liessmann, Konrad Paul (Hrg.): Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte, UTB Profile, Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien.

Horn, Norbert (2011): Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie. 5. neu bearbeitete Auflage, C. F. Müller, Heidelberg.

78

Jaschinski, Andreas (2001): Werner Egk. In: Finscher, Ludwig (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Personenteil 6 E-Frau. 2. Neubearbeitete Ausgabe, Bärenreiterverlag, Stuttgart, Sp.117-122.

Joost, Jörg-Wilhelm/Müller, Klaus-Detlef/Voges, Michael (1985): Bertolt Brecht. Epoche- Werk-Wirkung. Herausgegeben von Klaus-Detlef Müller. In: Barner, Wilfried/Grimm, Gunter: Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte, Verlag C.H. Beck München.

Kater, Michael H. (2004): Komponisten im Nationalsozialismus. Acht Porträts. Parthas Verlag Gmbh, Berlin.

Kelsen, Hans (2000): Was ist Gerechtigkeit? Philipp Reclam jun. Stuttgart.

Kittstein, Ulrich (2012): Episches Theater. In: Marx, Peter W. (Hrg.); Handbuch Drama. Theorie, Analyse, Geschichte, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, S. 296-304.

Knopf, Jan (1980): Brecht-Handbuch – Theater – Eine Ästhetik der Widersprüche. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag, Stuttgart.

Krause, Ernst (1971): Werner Egk. Oper und Ballett. Henschelverlag, Berlin. Meyers Großes Konversations-Lexikon (1905): Begnadigung. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2, Leipzig, S. 560-561. Stand: 10.03.2018: http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Begnadigung.

Meyers Großes Konversations-Lexikon (1907): Gerechtigkeit. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7, Leipzig, S. 629. Stand: 14.01.2018: http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Gerechtigkeit?hl=gerechtigkeit.

Müller, Ulrich (1995): „Ich harr zu hören, wie des Streits Urteil ergeht“: Gericht und Theater, Literatur und Gericht. In: Jakob, Raimund/Usteri, Martin/Weimar, Robert (Hrg.): Psyche- Recht-Gesellschaft. Schriften zur Rechtspsychologie, Band 1, Verlag Stämpfli+Cie AG Bern, S. 67-78.

79

Neumaier, Otto (2008): Moralische Verantwortung. Beiträge zur Analyse eines ethischen Begriffs. Ferdinand Schöningh, Paderborn.

Pavis, Patrice (2005): Wirkung. In: Fischer-Lichte, Erika/Kolesch, Doris/Warstat, Matthias (Hrg.): Metzler Lexikon Theatertheorie. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar, S. 393-397.

Preußner, Eberhart (1980): Mahagonny. In: Voigts, Manfred (Hrg.): 100 Texte zu Brecht, Materialien aus der Weimarer Republik. Wilhelm Fink Verlag, München, S. 194-197. Ersterscheinung in: Musik und Gesellschaft, Arbeitsblätter für soziale Musikpflege und Musikpolitik, I. Jahrgang 1930/31, S. 33-34.

Prieberg, Fred K. (1969): Der Fall Werner Egk. Ein trauriges Beispiel für eine traurig kompromittierte Generation. In: DIE ZEIT, 25. April 1969. In: Staatstheater Braunschweig. Spielzeit 2014/2015, Materialien, Peer Gynt. Oper von Werner Egk. Stand: 5.11.2016: http://staatstheater- braunschweig.de/fileadmin/user_upload/Pressemitteilungen/Peer_Gynt_Materialmappe.pdf.

Prieberg, Fred (1982): Musik im NS-Staat. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main.

Radbruch, Gustav (1965): Vorschule der Rechtsphilosophie. Dritte, verbesserte, durch eien Literaturanhang ergänzte Auflage nach dem Tode des Verfassers besorgt von Arhur Kaufmann. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

Risi, Clemens (2011): Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics. In: Fischer-Lichte, Erika / Gronau, Barbara / Weiler, Christel (Hrsg.): Global Ibsen. Performing Multiple Modernities, Routledge, New York / London, S. 176-187.

Rogge, Wolfgang (1970): Ernst Kreneks Opern. Spiegel der Zwanziger Jahre. Karl Heinrich Möseler Verlag, Wolfenbüttel und Zürich.

Scherer, Stefan (2010): Einführung in die Dramen-Analyse. In: Grimm, Gunter E./Bogsal Klaus-Michael (Hrg.): Einführungen Germanistik, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt.

80

Schumacher, Ernst (1977): Die dramatischen Versuche Bertolt Brechts: 1918-1933. Reprint mit einem Nachwort und einem Anhang des Verfassers. Deb Verlag das europäische buch, Westberlin.

Strobel, Heinrich (1980): Neues Operntheater. In: Voigts, Manfred (Hrg.): 100 Texte zu Brecht, Materialien aus der Weimarer Republik. Wilhelm Fink Verlag, München, S.191-194. Ersterscheinung in: Die Szene, XX, Jahrgang 1930, Heft 3, S. 73-75.

Tschulik, Norbert (1987): Musiktheater in Deutschland. Die Oper im 20. Jahrhundert. Österreichischer Bundesverlag, Wien.

Vogel, Juliane (1990): Gerettete Atriden. Zu Ernst Kreneks Das Leben des Orest. In: Csobádi, Peter/Gruber, Gernot/Kühnel, Jürgen, et al. (Hrg.): Antike Mythen im Musiktheater des 20. Jahrhunderts. Gesammelte Vorträge des Salzburger Symposions 1989. In: Müller, Ulrich/Hundsnurscher, Franz/Panagl, Oswald (Hrg.): Wort und Musik. Salzburger akademische Beiträge, Nr. 7, Verlag Ursula Müller-Speiser, Salzburg, S. 281-295.

Voss, Egon (1987): Peer Gynt. In: Dahlhaus, Carl (Hrsg.): Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters. Oper, Operette, Musical, Ballett. Band 2, Werke Donizetti – Henze. Piper, München, S. 119-121.

Walter, Michael (1995): Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919 – 1945. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart und Weimar.

Weber-Grellet (2009): Rechtsphilosophie und Rechtstheorie. 4. überarbeitete Auflage,Verlag Alpmann und Schmidt Juristische Lehrgänge, Münster.

Weill, Kurt (2000): Anmerkungen zu meiner Oper Mahagonny. In: Hinton, Stephen/Schebera, Jürgen (Hrg.): Musik und musikalisches Theater. Gesammelte Schriften. Mit einer Auswahl von Gesprächen und Interviews. Erweiterte und revidierte Neuausgabe, Schott Musik International, Mainz, S. 102. Ersterscheinung in: Die Musik. Berlin, XXII(1929/1930), Nr. 6, März 1930, S. 440/41.

81

Weill, Kurt (2000a): Vorwort zum Regiebuch der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. In: Hinton, Stephen/Schebera, Jürgen (Hrg.): Musik und musikalisches Theater. Gesammelte Schriften. Mit einer Auswahl von Gesprächen und Interviews. Erweiterte und revidierte Neuausgabe, Schott Musik International, Mainz, S. 103-105. Ersterscheinung in: Anbruch. Monatsschrift für moderne Musik. Wien, XII (1930), Nr. 1, Januar 1930, S. 5-7.

Zuber, Barbara (1989): Leben des Orest. Große Oper in fünf Akten (acht Bildern). In: Dahlhaus, Carl und der Universität Bayreuth unter der Leitung von Sieghart Döhring (Hrg.): Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters: Oper – Operette – Musical – Ballett; in 8 Bänden. Band 3 Werke: Henze-Massine, Piper, München, Zürich. S. 333-335.

9. Quellenverzeichnis

Brecht, Bertolt (1929): Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. Oper in drei Akten von Brecht. Musik von Kurt Weill. Universal-Edition A.G. Leipzig, Wien.

Egk, Werner (1938): Peer Gynt. Oper in drei Akten in freier Neugestaltung nach Ibsen. B. Schott’s Söhne, Mainz.

Ibsen, Henrik (1907): Peer Gynt. Ein dramatisches Gedicht. Übersetzt von Christian Morgensetern. In: Volksausgabe in fünf Bänden, Band 2, S. Fischer Verlag, Berlin, In: Projekt Gutenberg: http://gutenberg.spiegel.de/buch/peer-gynt-1716/1. Stand 21.12.2016.

Krenek, Ernst (1929): Leben des Orest. Große Oper in fünf Akten (Acht Bildern). Universal- Edition A.G. Leipzig, Wien.

82

Eidesstaatliche Erklärung Ich versichere an Eides statt, dass ich

 die eingereichte wissenschaftliche Arbeit selbständig verfasst und andere als die angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe;  die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene Unterstützung, einschließlich signifikanter Betreuungshinweise, vollständig offengelegt habe;  die Inhalte, die ich aus Werken Dritter oder eigenen Werken wortwörtlich oder sinngemäß übernommen habe, in geeigneter Form gekennzeichnet und den Ursprung der Information durch möglichst exakte Quellenangaben ersichtlich gemacht habe;  die Arbeit bisher weder im Inland noch im Ausland einer Prüfungsbehörde vorgelegt habe;  die zur Plagiatskontrolle eingereichte digitale Version der Arbeit mit der gedruckten Version übereinstimmt.  Ich bin mir bewusst, dass eine tatsachenwidrige Erklärung rechtliche Folgen haben wird.

(Sophie Pouget) Salzburg, 15. 05. 2018

83