Intervention Provenienz #1 Courbet, Monet, Rodin – Werke aus dem Legat Cornelius Gurlitt

Im Dezember 2016 konnte das Kunstmuseum Bern offiziell das Erbe Sammlungsforschung. Durch sie erweitern wir unser Wissen über von Cornelius Gurlitt (1932–2014) antreten. Der Sohn des deutschen einzelne Werke und die Geschichte der Sammlungen. Sie dient Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895–1956) hatte dem Kunst- der Vermittlung und stärkt den kulturellen Wert von öffentlichem museum einen Bestand von rund 1‘500 Kunstwerken aus dem Nach- Kunstbesitz. Intervention Provenienz #1 lenkt die Aufmerksamkeit lass seines Vaters vermacht, darunter herausragende Grafiken des auf die historischen Erwerbungskontexte von Kunstwerken des Legats deutschen Expressionismus, Werke von Mitgliedern der Familie Gurlitt, Cornelius Gurlitt. den Malern Theodor Louis Heinrich Gurlitt (1802–1897) und Cornelia Gurlitt (1890–1919), sowie Gemälde, Skulpturen und Grafiken der Der «Kunstfund Gurlitt» französischen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts. Für einen begrenzten Zeitraum mischen sich nun in der Intervention Die dem Kunstmuseum Bern vermachten Kunstwerke waren im Novem- Provenienz #1 herausragende Werke der französischen Kunst des 19. ber 2013 als «Schwabinger Kunstfund» bekannt geworden. Dabei Jahrhunderts in die bestehende Museumssammlung. Ihre Präsenta- handelt sich um einen Bestand von 1‘280 Kunstwerken, der bereits tion ist Anlass, exemplarisch Geschichte und Provenienz der einzel- im Frühjahr 2012 in Cornelius Gurlitts Münchner Wohnung im Rahmen nen Werke aufzuzeigen und für die Problematik von Besitzwechseln eines Steuerermittlungsverfahrens sichergestellt worden war. Dies während des Nationalsozialismus (1933–1945) zu sensibilisieren. wurde zunächst geheim gehalten und erst durch einen Bericht der Die Gemälde La Villageoise au chevreau (o. J.) von , Zeitschrift Focus am 3. November 2013 öffentlich bekannt. Durch Waterloo Bridge, temps gris (1903) von sowie die drei weitere Funde in Cornelius Gurlitts Salzburger Haus erhöhte sich die Skulpturen von Auguste Rodin befanden sich nachweislich seit 1945 Anzahl der Kunstwerke auf insgesamt rund 1‘500. Gemeinsam mit der im Besitz von Hildebrand Gurlitt, der während der nationalsozialisti- Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste engagiert sich das schen Diktatur in Deutschland als Kunsthändler tätig gewesen ist. Kunstmuseum Bern seit dem offiziellen Erbantritt für die Erforschung Angesichts der wirtschaftlichen Vorteile, die der Kunsthandel aus der Provenienz der Werke. der Verfolgung von Juden und Regimegegnern im Zeitraum von 1933 bis 1945 gezogen hatte, stellt sich für das Legat Gurlitt die Frage, Cornelius Gurlitt wann und unter welchen historischen Umständen die Werke in Gurlitts Besitz gelangten. Über Cornelius Gurlitt ist nur wenig bekannt, auch lässt sich über sei- Im Verlauf des letzten Jahres konnten für die ausgewählten Werke wich- ne Beweggründe, die Stiftung Kunstmuseum Bern testamentarisch tige Anhaltspunkte hinsichtlich möglicher Vorbesitzer und der Art und zur Alleinerbin seines Vermögens zu bestimmen, lediglich spekulie- Weise der Besitzwechsel rekonstruiert werden. Demzufolge hatte Gurlitt ren. Rolf Nikolaus Cornelius Gurlitt wurde am 28. Dezember 1932 als das Gemälde von Courbet und die Rodin-Skulpturen während des Zwei- Sohn des Kunsthistorikers Hildebrand Gurlitt und der Tänzerin Helene ten Weltkrieges im besetzten Frankreich erworben. Die Provenienz des Gurlitt (geb. Hanke, 1895–1968) in geboren. 1948 liess sich Gemäldes Waterloo Bridge von Monet weist für die Jahre der national- die Familie in Düsseldorf nieder. Nach dem Abitur begann Cornelius sozialistischen Herrschaft in Deutschland eine Lücke auf. ein Studium der Kunstgeschichte in Köln. Gleichzeitig liess er sich Diese Lücken in der Besitzerkette eines Kunstwerks versucht die zum Restaurator ausbilden. Das Studium schloss er nie ab, die Aus- Provenienzforschung zu schliessen. Ziel dieser Forschung ist die bildung hingegen beendete er erfolgreich. In den Jahren 1959 und möglichst vollständige Rekonstruktion der Geschichte eines Arte- 1960 arbeitete er als Gemälderestaurator für das Kunstmuseum fakts, von seiner Entstehung bis zu seinem gegenwärtigen Stand- Düsseldorf. Weitere berufliche Stationen sind nicht bekannt. Bis zur ort. Ein zentraler Bestandteil sind dabei auch die Fragen, ob die Entdeckung der Werke im Jahr 2012 führte er ein zurückgezogenes Stücke Besitzerwechsel in historischen Unrechtskontexten durch- Leben in München und . laufen haben und welche Konsequenzen sich aus einem unfrei- willigen Besitzerwechsel aufgrund politischer Verfolgung für den Hildebrand Gurlitt heutigen Besitzer ergeben. Die immer wieder anzutreffende An- nahme, die Provenienz eines Werks werde nur bei strittigen Fra- Hildebrand Gurlitt (1895–1956) etablierte sich in den 1920er Jahren als gen des Eigentumsverhältnisses relevant und führe zwangsläufig Förderer der Moderne in der deutschen Museumswelt. Dadurch wurde zur Restitution, greift dabei zu kurz. Provenienzforschung ist er zur Zielscheibe der Nationalsozialisten. Bereits 1930 verlor er infol- ge nationalsozialistischer Hetze seine Stelle als Direktor des Museums Zwickau. 1933, im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme, war er als Leiter des Hamburger Kunstvereins politischem Druck aus- gesetzt und kam seiner Entlassung durch eigene Kündigung zuvor. Gurlitt wechselte in den Kunsthandel und eröffnete 1935 unter dem Namen «Kunstkabinett Dr. H. Gurlitt» seine eigene Galerie. Die stetige Ausweitung der Verfolgung von Juden und politischen Gegnern im Nationalsozialismus findet ihren Niederschlag in Gurlitts Biografie. Sein Kunsthandel nahm einen jähen Aufschwung mit der Einziehung von moderner Kunst aus deutschem Museumsbesitz Im «Kunstfund Gurlitt» haben sich viele Werke erhalten, die Gurlitt durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda während der deutschen Besetzung Frankreichs (1940–1944) auf (RMfVP). Im Auftrag des Propagandaministeriums verkaufte Gurlitt die dem dortigen Kunstmarkt erworben hatte. In Zusammenarbeit mit im Rahmen der sogenannten Aktion «Entartete Kunst» (1937–1938) Galeristen und Kunstexperten in Paris, Brüssel und Amsterdam konn- beschlagnahmten Kunstwerke an Sammler, Händler und Institutionen te er zahlreiche Kunstwerke an deutsche Museen vermitteln. Für vor allem im Ausland und trug so zum Erhalt der Werke bei. Parallel zur Privatsammler kaufte er Werke französischer Impressionisten, die Radikalisierung der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik und aufgrund der nationalsozialistischen Zensur in Deutschland schwer der Ausweitung des deutschen Machtbereichs konnte Gurlitt zu- erhältlich waren. Für die Sammlungen des «Führermuseums» erwarb gleich seinen Handel sukzessive immer weiter ausdehnen. Nach der Gurlitt etwa 300 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Tapisserien Besetzung Westeuropas 1940 erstreckte sich sein Geschäftsradius in Frankreich. bis in die Niederlande, Belgien und Frankreich. Ab 1943 bot sich ihm Gelegenheit, Kunstwerke für das geplante «Führermuseum» anzu- Alles Raubkunst? kaufen. Auf Weisung Adolf Hitlers sollte dafür eine Sammlung von Meisterwerken der europäischen Kunst zusammengestellt werden. Bis heute wurden sechs Werke aus dem «Kunstfund Gurlitt» als Der beschlagnahmte und unfreiwillig veräusserte Kunstbesitz von Raubkunst identifiziert. Für drei Gemälde, die bislang an die Nach- Juden in Deutschland, Österreich und den besetzten Gebieten Euro- fahren der rechtmässigen Besitzer restituiert wurden, konnte ein pas bildete das Fundament der Sammlung. verfolgungsbedingter Entzug in Frankreich nachgewiesen werden. Den Alliierten waren Gurlitts Aktivitäten bekannt, dennoch wurden Doch nicht alle Werke, die Gurlitt auf dem französischen Kunst- sie nach Kriegsende nicht geahndet. Nach erfolgreicher Entnazifi- markt ankaufte, stehen unter Raubkunstverdacht. Manche gelang- zierung als «Mitläufer» im Jahr 1947 konnte Gurlitt schnell wieder im ten durch nachweislich unbedenkliche Verkäufe in Gurlitts Besitz. Kunstbetrieb Fuss fassen. Als Leiter des Kunstvereins für die Rhein- Auch wenn es nahe liegt, bei anderen Werken des Kunstfundes einen lande und Westfalen in Düsseldorf engagierte er sich bis zu seinem Raubkunstverdacht anzunehmen, erweist sich der Nachweis dafür Tod im Jahr 1956 für die Rehabilitierung der von den Nationalsozialis- mitunter als schwierig. Bei der Mehrzahl der Werke lassen sich die ten diffamierten Kunst der Moderne. Erwerbungsumstände bislang noch nicht hinreichend rekonstruie- ren, sei es weil entsprechende Dokumente nicht greifbar oder nicht Erwerbungen im besetzten Frankreich (1940–1944) mehr vorhanden sind.

Die Begegnung mit der französischen Kultur während der deutschen Besetzung Frankreichs war prägend für Hildebrand Gurlitts Kunst- geschmack. Erstmals fasste er 1956 diese Entwicklung zusammen: Ausgestellte Werke «Sehen Sie, meine Damen und Herren, ich bin in meinem Leben zwei grossen Ereignissen begegnet: dem Expressionismus, mit dem ich auf- Gustave Courbet (1819–1877) wuchs, als ich in als junger Mensch lebte, und der grossen La Villageoise au chevreau, o. J. [1860] französischen Malerei, die ich später kennen lernte. Ergebnis dieser Öl auf Leinwand, doubliert Begegnung ist: eine Sammlung von modernen Aquarellen, sagen wir Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014, von Barlach bis Klee und Kandinsky. […] Ausserdem entstand eine Provenienz in Abklärung Sammlung französischer Impressionisten und Zeichnungen. Aller- Lost Art-ID 573683 dings, es mussten mancherlei Zufälle kommen, damit alles so gut ging. Zum Beispiel das Dritte Reich, das mich aus meinem Amt ent- Auguste Rodin (1840–1917) liess und mich ‚1000 Jahre‘ lang zum Kunsthändler machte und eine Kauernde (Femme accroupie), 1880 kleine geistige Katastrophe, die das, was ich an Kunst liebte, am Marmor Markt völlig entwertete; dazu eine kleine allgemeine Katastrophe, die Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014 mich dazu brachte, das gesamte Vermögen meiner Familie in beweg- liche Objekte zu verwandeln.» Auguste Rodin (1840–1917) Der Aufbau einer Kunstsammlung erscheint in Gurlitts Worten als Hel- Karyatide mit Urne, 1883 denstück eines Geschäftsmannes, der die «geistige Katastrophe» Terrakotta der Aktion «Entartete Kunst» und «allgemeine Katastrophe» des Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014, Krieges zu nutzen wusste. Dabei unterschlägt er die besatzungs- Provenienz in Abklärung bedingten Vorteile deutscher Händler auf dem französischen Markt. Lost Art-ID 532972 Nach der Kapitulation Frankreichs am 30. Juni 1940 erteilte den Befehl, Kunstwerke in französischem Staatsbesitz und in Auguste Rodin (1840–1917) Privatsammlungen sicherzustellen. Museen, Archive und Bibliothe- Danaide, 1885 ken wurden unter die Aufsicht der Besatzungsmacht gestellt, ganze Bronze Sammlungen und Wohnungseinrichtungen französischer Juden von Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014, deutschen Raubkunstorganisationen systematisch geplündert. Provenienz in Abklärung Französische Kunsthändler jüdischer Abstammung mussten ab Okto- Lost Art-ID 532991 ber 1940 die Geschäftsführung ihrer Galerien an «arische» Verwalter abgeben und wurden damit faktisch enteignet. Vom Ausfuhrver- Claude Monet (1840–1926) bot für Kulturgüter der französischen Regierung waren deutsche Waterloo Bridge, temps gris, 1903 Kunsthändler ausgenommen. Sie erwarben Kunstwerke nicht nur für Öl auf Leinwand das «Führermuseum», sondern auch für die Sammlungen von Nazi- Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014, Grössen wie Adolf Hitler oder Hermann Göring und belieferten deutsche Provenienz in Abklärung Museen, internationale Sammler oder Kunsthändler in Drittländern. Lost Art-ID 532967