Protokoll-Nr. 19/176

19. Wahlperiode Ausschuss für Gesundheit

Wortprotokoll der 176. Sitzung

Ausschuss für Gesundheit , den 9. Juni 2021, 14:15 Uhr als Kombination aus Präsenzsitzung (Paul-Löbe-Haus, Saal 4 700) und Webex-Meeting

Vorsitz: Erwin Rüddel, MdB

Tagesordnung - Öffentliche Anhörung

Tagesordnungspunkt Seite 4 a) Antrag der Abgeordneten Dr. , Mi- Federführend: Ausschuss für Gesundheit chael Theurer, , weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion der FDP

Notfallversorgung neu denken – Jede Minute zählt BT-Drucksache 19/16037 b) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gon- Federführend: Ausschuss für Gesundheit ther, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-

Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Im Notfall gut versorgt – Patientengerechte Reform der Notfallversorgung BT-Drucksache 19/5909

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Mitglieder des Ausschusses Ordentliche Mitglieder Stellvertretende Mitglieder CDU/CSU Henke, Rudolf Albani, Stephan Hennrich, Michael Brehmer, Heike Irlstorfer, Erich Knoerig, Axel Kippels, Dr. Georg Lezius, Antje Krauß, Alexander Nordt, Kristina Kühne, Dr. Roy Pantel, Sylvia Maag, Karin Schummer, Uwe Monstadt, Dietrich Stracke, , Stephan Straubinger, Max Riebsamen, Lothar Tiemann, Dr. Dietlind Rüddel, Erwin Weiß (Emmendingen), Peter Schmidtke, Dr. Claudia Zimmer, Dr. Matthias Sorge, Tino Zeulner, Emmi SPD Baehrens, Heike Bahr, Ulrike Dittmar, Sabine Baradari, Nezahat Franke, Dr. Edgar Bas, Bärbel Heidenblut, Dirk Freese, Ulrich Mattheis, Hilde Katzmarek, Gabriele Moll, Claudia Steffen, Sonja Amalie Müller, Bettina Tack, Kerstin Stamm-Fibich, Martina Westphal, Bernd Völlers, Marja-Liisa Ziegler, Dagmar AfD Podolay, Paul Viktor Braun, Jürgen Schlund, Dr. Robby Gehrke, Dr. Axel Schneider, Jörg Oehme, Ulrich Spangenberg, Detlev Wildberg, Dr. Heiko Witt, Uwe Wirth, Dr. Christian FDP Aschenberg-Dugnus, Christine Alt, Renata Helling-Plahr, Katrin Kober, Pascal Schinnenburg, Dr. Wieland Nölke, Matthias Ullmann, Dr. Andrew Theurer, Michael Westig, Nicole Willkomm, Katharina DIE LINKE. Gabelmann, Sylvia Krellmann, Jutta Kessler, Dr. Achim Movassat, Niema Weinberg, Harald Schreiber, Eva-Maria Zimmermann, Pia Wagner, Andreas BÜNDNIS 90/DIE Dahmen, Dr. Janosch Hoffmann, Dr. Bettina GRÜNEN Kappert-Gonther, Dr. Kirsten Kurth, Markus Klein-Schmeink, Maria Rottmann, Dr. Manuela Schulz-Asche, Kordula Rüffer, Corinna

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Protokoll-Nr. 19/176

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Die Anwesenheitslisten liegen dem Originalprotokoll bei.

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abwechselnd, in einer festen Reihenfolge an die Beginn 14:17 Uhr Sachverständigen stellen. Die Reihenfolge orien- tiert sich an der Größe der Fraktionen. Es geht im- Der Vorsitzende, Abg. Erwin Rüddel (CDU/CSU): mer eine Frage an einen Sachverständigen oder Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuschaue- eine Sachverständige. Ich darf sowohl die Fragen- rinnen und Zuschauer, sehr verehrte Sachverstän- den als auch die Sachverständigen bitten, sich dige, sehr verehrte Vertreter und Vertreterinnen der möglichst kurz zu fassen. Nur so können wir viele Bundesregierung, ich begrüße alle ganz herzlich zu Fragen stellen und auch beantwortet bekommen. unserer öffentlichen Anhörung hier im Ausschuss Die aufgerufenen Sachverständigen sollen vor der für Gesundheit, wieder in einer Mischung aus Prä- Beantwortung der Frage daran denken, ihr Mikro- senzsitzung und Online-Meeting mit den Sachver- fon und ihre Kamera freizuschalten und sich mit ständigen. Vorab möchte ich die Teilnehmerinnen ihrem Namen und ihrem Verband vorzustellen. So- und Teilnehmer und die Sachverständigen bitten, bald Sie Ihren Redebeitrag beginnen, sind Sie für sich über Webex mit Namen anzumelden. Das ist uns auf dem Videowürfel hier im Saal zu sehen auch gleichzeitig dann die Bestätigung für die Teil- und zu hören. Des Weiteren bitte ich alle im Saal nahme. Das Mikro bitte ausgeschaltet lassen! In der Anwesenden, ihre Mobiltelefone auszuschalten. heutigen Anhörung geht es um zwei Anträge zum Ein Klingeln kostet 5 Euro für einen guten Zweck. Thema Notfallversorgung, nämlich um den Antrag Interessierte Besucher hatten die Gelegenheit, sich der Fraktion der FDP „Notfallversorgung neu den- im Rahmen eines Kontingentes anzumelden und ken – Jede Minute zählt“ und den Antrag der Frak- ohne Rede- und Fragerecht über Webex an dieser tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Im Notfall gut Anhörung teilzunehmen. Nach dieser Sitzung wird versorgt – Patientengerechte Reform der Notfallver- das Webexvideo in die Bundestagsmediathek ein- sorgung“. Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestellt. Ich danke all denen Sachverständigen, die beide Antragsteller gehen davon aus, dass das Sys- eine schriftliche Stellungnahme eingereicht haben. tem der Notfallversorgung in Deutschland refor- Und wir beginnen jetzt mit den Fragen. Und die miert werden muss. Die FDP fordert dazu unter an- erste Frage stellt die FDP-Fraktion. derem telefonisch und telemedizinisch erreichbare integrierte Notfallleitstellen, die eine zentrale Lot- Abg. Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP): Meine erste senfunktion für die Patienten übernehmen. Darüber Frage geht an die Einzelsachverständige (ESVe) hinaus sollen integrierte Notfallzentren als Zentrale Prof. Dr. Jochimsen. Wie bewerten Sie den vorlie- jederzeit zugängliche Einrichtungen der medizini- genden Antrag der Freien Demokraten? schen Notfallversorgung geschaffen und der Ret- tungsdienst als eigenständiger Leistungsbereich beim SGB V hinzugefügt werden. BÜNDNIS 90/ ESVe Prof. Dr. Beate Jochimsen: Den Antrag der DIE GRÜNEN sehen es unter anderem als unerläss- FDP-Fraktion begrüße ich. Er ist anderthalb Jahre lich, dass die Ansiedlung von Notfallpraxen zur jetzt alt. Zu dem Zeitpunkt gab es großen Reformbe- Versorgung ambulanter Notfälle an Krankenhaus- darf bei der Notfallversorgung. Seit diesem Zeit- standorten zwingend vorgeschrieben wird. Der Si- punkt hat sich an diesem großen Reformbedarf cherstellungsauftrag für die integrierte Notfallver- nichts geändert. Die derzeitige Dreiteilung der Not- sorgung soll auf die Länder übertragen werden. fallversorgung erschwert eine bedarfsgerechte Ver- Weiter sollen integrierte Leitstellen etabliert wer- sorgung der Patientinnen und Patienten die Zuord- den und die BÄK darauf hinwirken, dass eine nung zum ambulanten stationären Sektor. Bei gute Fachärztin, ein Facharzt für Notfallmedizin einge- einem Drittel der Patienten, die mit dem Rettungs- führt wird. Eine öffentliche Kampagne der BZgA dienst versorgt werden, ist keine Notfallindikation soll die Bürgerinnen und Bürger über Strukturen gegeben. Sie hätten auch gut ambulant versorgt und Hilfsangebote im Bereich der Notfallversor- werden können. Knappe Ressourcen werden so un- gung informieren. Das in aller Kürze über die In- nötig in Anspruch genommen und ökonomische halte. Alles Weitere werden wir diskutieren. Bevor Fehlanreize entstehen, indem beispielsweise Lehr- wir anfangen kurz einige Informationen zum Ab- fahrten vergütet werden. Eine Aufnahme des Ret- lauf. Die Anhörung dauert insgesamt 60 Minuten. tungsdienstes ins SGB V könnte zumindest Letzte- In dieser Zeit werden die Fraktionen ihre Fragen

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res beheben. Die vorgeschlagene verbindliche Ko- ESV Christof Constantin Chwojka: Liebe Grüße aus operation von Rettungsdienst und dem ärztlichen Österreich. Ja, das ist alles dringend notwendig. Bei Bereitschaftsdienst in integrierten Notfallleitstellen uns ist das schon langgelebte Praxis, wenn ich ei- ist deswegen nötig. In diesen integrierten Notfall- nen Vergleich zwischen Deutschland und Öster- leitstellen sollte nach bundeseinheitlichen Stan- reich ziehe, bitte verstehen Sie das nicht despek- dards die medizinische Ersteinschätzung erfolgen, tierlich, aber bei Ihnen geht es nur um Leitstellen- damit eine optimale patientenwohldienliche Allo- zusammenlegungen, wo ist die Leitstelle, wer ge- kation an die bedarfsgerechten Leistungserbringer winnt, wer verliert. Das ist genau nicht das Thema. ambulant, stationär, Rettungsdienst, vielleicht aber Es geht darum, den Patienten zum Best Point of auch Pflege oder Palliative Care Teams erfolgen Service zu steuern. So ist unser Credo. Da geht es kann. Die inzwischen eingeführte Software SmED nicht darum, wer macht wo was, sondern die Leit- ist ein erster, aber noch kleiner richtiger Schritt in stelle lenkt den Patienten dorthin, wo er hingehört. diese Richtung. Daneben brauchen wir auch die in- Wir haben so den Leitsatz, der Patient soll kriegen, tegrierten Notfallzentren an, in oder unmittelbar was er braucht, und nicht, was er gern hätte. Da ist bei Krankenhäusern mit einer integrierten Anlauf- es wesentlich, dass nicht der Patient wissen muss, stelle, einen Tresen, an dem die qualifizierte Erst- wo er anruft, sondern dass die Leitstelle, das Call- einschätzung erfolgt, und zwar von einer Person, center den Patienten dorthin lenkt. Genau unter die unabhängig von unmittelbaren Interessen eines dem Zweck ist es natürlich völlig unumgänglich, der Stakeholders, also zum Beispiel des Kranken- dass man die Notrufnummern, die 116 117, den hauses, ist. Als Letztes würde ich gerne die große ärztlichen Bereitschaftsdienst, alle in ein System Bedeutung, aus meiner Sicht, der digitalen Vernet- holt. Die müssen nicht unter einem Dach sitzen, zung hervorheben und dabei vor allen Dingen die die müssen in einem System arbeiten und dann an- ePA, der eine wichtige Rolle zukommt. Sie soll be- hand von klar strukturierten Algorithmen den Pati- inhalten ein Notfalldatensatz, der in medizini- enten dorthin kriegen, wo er hingehört und es nicht schem Notfall von Rettungsdiensten benutzt wer- quasi vom Zufall abhängig machen, wo der gerade den kann. Damit das funktioniert, muss die ePA anruft, was für eine Art von Hilfe er kriegt. Also ja, flächendeckend vorhanden sein. Nur dann wird es Sie sind am richtigen Weg und das ist dringend den Rettungsdiensten in Stresssituationen zu Rou- notwendig, meiner Meinung nach. tine gereichen, diesen Notfalldatensatz auch abzu- rufen und zu benutzen. Er muss, wie die ganze ePA vollständig sein und nicht löchrig, damit auch eine Abg. (CDU/CSU): Ich richte qualifizierte umfassende Einschätzung und damit meine Frage an den GKV-Spitzenverband. Wie ist Versorgung der Patientinnen und Patienten erfol- Ihre Bewertung zu dem Vorschlag, den Sicherstel- gen kann. lungsauftrag für eine integrierte Notfallversorgung auf die Länder zu übertragen?

Abg. Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Meine Frage geht an den ESV Chwojka. Sie SV Dr. Wulf-Dietrich Leber (GKV-Spitzenverband): sind Geschäftsführer einer der größten Leitstellen Für uns nicht so sehr die Frage, wer den Auftrag der nicht polizeilichen Gefahrenabwehr im hat, sondern wer es erfüllt. Die Länder haben zum deutschsprachigen Raum und seit vielen Jahren mit Beispiel auch den Auftrag, die Investitionen zu fi- außerordentlich viel Engagement und Erfahrung nanzieren, erfüllen es aber nicht. Insofern sind wir dabei, Leitstellenpersonal auszubilden und Leit- skeptisch, wenn hier ein Auftrag an die Länder stellen modern neu zu organisieren. Meine Frage weiter erfolgt. Ich glaube, es kommt darauf an, den an Sie: Unser Antrag, wie auch der Antrag der FDP, bestehenden Auftrag bei der KV zu konkretisieren, zielt darauf, eine integrierte Leitstellenversorgung zu konkretisieren, dass auch in jedem Eingangsbe- in Deutschland zu etablieren, wo insbesondere die reich eines Krankenhauses eine entsprechende Nummern der 116 117 mit denen der 112 mindes- KV-Notdienstpraxis da ist, damit wir unnötige tens organisatorisch zusammengeführt sind. Inwie- Krankenhausaufenthalte vermeiden und dafür sor- weit ist das sinnvoll und inwieweit ist darüber hin- gen, alles, was fallabschließend behandelt werden aus Reformbedarf im Bereich der Rettungsleitstel- kann, vor Ort im Krankenhausbereich durch die KV len? zu erledigen. Von daher keine weitere Übertragung

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eines abstrakten, nicht definierten Auftrags. Wie mehrfach schon gehört, davon gezeichnet, dass die das konkret im Krankenhausbereich zu geschehen Inanspruchnahme häufig nicht passgenau ist, inso- hat, sollte am besten durch den G-BA definiert wer- fern Ressourcen, die unter Umständen sehr hoch- den. rangig sind, für Dinge verwandt werden, für die sie nicht gebraucht werden. Ich glaube, insofern, ist es richtig, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Abg. (SPD): Meine Frage geht an Notfallversorgung neu organisiert werden kann. Die den Deutschen Berufsverband Rettungsdienst. Wir Integration der Versorgungsstrukturen ist sicherlich haben im Januar eine Novellierung des NotSanG der Weg dahin. Wie weit die Integration geht, vorgenommen, in der wir Regelungen zur Aus- muss, glaube ich, nochmal in Ruhe überlegt wer- übung heilkundlicher Tätigkeiten von Notfallsani- den. Da, finde ich, muss man alle Beteiligten, so ei- täterInnen geregelt haben. Sie schildern in Ihren nen vertragsärztlichen Notdienst wie aber auch der Stellungnahmen, dass es trotzdem weiteren Rege- Notfallversorgung durch die Krankenhäuser die Ge- lungsbedarf beziehungsweise einer Klarstellung be- legenheit geben, das vernünftig miteinander zu er- darf. Bitte schildern Sie uns die Hintergründe und örtern und dafür zu sorgen, dass auch Verantwort- um welche Klarstellung es sich aus Ihrer Sicht han- lichkeiten, Haftungsfragen vernünftig auf der einen delt. Seite geklärt sind und auf der anderen Seite sicher- gestellt wird, dass Patienten angemessen und ideal SV Frank Flanke (Deutscher Berufsverband Ret- versorgt werden. In Bezug auf die Ersteinschätzung tungsdienst e. V. (DBRD)): Ja, es ist tatsächlich so, sind wir der Auffassung, dass automatisierte Erst- dass die Umsetzung bei weitem noch nicht gelebte einschätzungsverfahren definitiv unangebracht Praxis ist, dass es weiterhin häufig an den ärztli- sind und einem qualitätsorientierten Gesundheits- chen Leitern scheitert, dass da wohl auch noch Un- wesen sicher nicht gerecht wird. Sie können unter sicherheiten herrschen, was § 2a angeht. Wir haben Umständen unterstützend miteingesetzt werden, zum Beispiel das Problem in Bayern jetzt gerade ge- aber eine Ersteinschätzung hat definitiv auch unter habt, dass Maßnahmen, die auf 2a berufen ergriffen ärztlicher beruflicher Erfahrung oder zumindest an wurden, und im Anschluss dann arbeitsrechtliche die berufliche Erfahrung auch anderer, im Notfall- Konsequenzen folgten. Wahrscheinlich haben Sie wesen verantwortlich Tätiger, zu geschehen. Ich das alle der Presse verfolgen können dieses Urteil glaube, dass tatsächlich nur auf diese Weise ge- aus Bayern. Hier muss dringend nachgesteuert wer- währleistet werden kann, dass tatsächlich die Men- den. Vielleicht muss man auch den ärztlichen Lei- schen, die Patienten, die sich an das Gesundheits- tern da noch eine gewisse Rechtssicherheit zugeste- wesen wenden, am Schluss dort landen, wo sie ide- hen, um dann das auch am Ende ins Leben zu ru- alerweise versorgt werden sollten. fen, damit wir den Patienten entsprechend helfen können. Abg. Michael Hennrich (CDU/CSU): Ich richte meine Frage an die DKG. Wie bewerten Sie die For- Abg. (AfD): Meine Frage geht derung, die Leitung der integrierten Notfallzentren andie BÄK. Wie sehen Sie die derzeitige Situation an die KV zu übertragen? der Notaufnahme? Welche Probleme, sofern vor- handen, sollten oder könnten sofort behoben wer- SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- den? Speziell dazu: Was halten Sie von den Erst- schaft (DKG)): Wir lehnen eine solche grundsätzli- einschätzungsverfahren im GVWG, was dort vorge- che Zuordnung ganz klar ab. Wir können über- sehen ist, wenn ein Abfragemodul einfach prak- haupt nicht erkennen, welchen Grund und wel- tisch zur Anwendung kommt. Könnte das auch Fol- chen Vorteil es für die Patientinnen und Patienten gen für die Patienten haben, wenn dort nicht indi- bringen soll, wenn ein Vertreter, eine Vertreterin viduell nachgefragt wird? der KV oder eine beauftragte Person die Leitung ei- ner integrierten Notfallaufnahme im Krankenhaus SV Dr. Klaus Reinhardt (Bundesärztekammer übernimmt, die im Wesentlichen mit den personel- (BÄK)): Die aktuelle Situation der Notfallversor- len und sächlichen Strukturen des Krankenhauses gung ist ja im Wesentlichen, das haben wir jetzt ausgestattet ist. Wir sind der Auffassung, dass diese

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integrierten Notfallzentralen und Notfallzentren, steuern. Das wäre wirklich ein Argument für die wenn sie denn geschaffen werden, von denjenigen Aufnahme des Rettungsdienstes als eigenständige geführt werden sollen, der sie letztlich auch insge- Leistung im SGB V. samt verantwortet. Das kann durchaus auch koope- rativ erfolgen, aber es gibt keinen Grund, hierfür eine grundsätzliche Regelung zu treffen, die quasi Abg. (DIE LINKE.): Meine erste die Aussage trifft, die Struktur des Krankenhauses Frage geht an den Deutschen Landkreistag. Da geht durch Vertretung der KV geführt werden. Das ist es um diese Frage der integrierten Notfallzentren. überhaupt nicht inhaltlich zu begründen. Insofern Die FDP fordert, dass das unter der Leitung von der weisen wir auch den Verdacht zurück, dass die KV sein soll. Wie bewerten Sie die Forderung? Krankenhäuser die Notfallaufnahmen nutzen wür- den, um ihre stationären Kapazitäten irgendwie SV Jörg Freese (Deutscher Landkreistag): Wir be- medizinisch nicht notwendig zu füllen. Dafür gibt werten das sehr kritisch. Herr Dr. Gaß hat dazu ei- es weder einen Beleg, noch kann der MDK, der re- gentlich aus Sicht der Krankenhäuser schon alles gelmäßig die stationären Aufnahmen prüft, dies gesagt. Ich will das nicht wiederholen. Es ist im entsprechend belegen. Insofern halten wir das für Grunde gar kein Sinn darin zu erkennen, dass ein völlig unangemessen. letztendlich klinikfremder Mensch diese Organisa- tionseinheit leiten soll und tatsächlich zusammen Abg. Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP): Die nächste arbeitet mit lauter Personal aus dem Krankenhaus Frage geht an die Björn Steiger Stiftung. Der Antrag den ganzen Tag. Insofern bringt es keinen Mehr- FDP fordert einen eigenständigen Leistungsbereich wert, sondern das ist eigentlich nur ein Hemm- im SGB V für den Rettungsdienst. Können Sie sa- schuh für die Organisation. Insofern lehnen wir das gen, wie Sie dazu stehen? ab.

SV Ulrich Schreiner (Björn Steiger Stiftung): Auf Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE.): Meine jeden Fall begrüßen wir das, denn der Rettungs- nächste Frage an die Björn Steiger Stiftung. Welche dienst hat sich weiterentwickelt und der Zusam- besonderen Probleme sehen Sie bei der Notfallver- menhang mit der reinen Transportleistung für stati- sorgung von Kindern und welche Lösungsansätze onäre Behandlungen im SGB V passt einfach gar sehen Sie da? nicht mehr. Auch könnte man bei der Aufnahme im SGB V über das SGB V bundeseinheitliche Vor- SV Ulrich Schreiner (Björn Steiger Stiftung): Kin- gaben für die Qualität des Rettungsdienstes ma- dernotfälle sind mittlerweile ein größeres Problem, chen, was heute komplett fehlt, weil wir haben ei- weil durch die Privatisierung der Kliniken die Vor- nen völlig uneinheitlichen Rettungsdienst in haltung von Kinderbetten nicht mehr so lukrativ Deutschland, also völlig anders der Rettungsdienst ist. Damit gibt es wirklich ein Defizit. Das heißt, in Berlin als der in Stuttgart oder irgendwo auf dem man bräuchte eine bundesweite Planung für eine Land. Es täte den Notfallpatienten mit Sicherheit Versorgungsstruktur von Kinderkliniken und Not- sehr gut, wenn dann auf Bundesebene Qualitätsvor- fallbehandlungen für Kinder und auf der anderen gaben gemacht werden. Was zusätzlich auch dann Seite eventuell über die Kinderarztpraxen eine Ak- kommen kann, ist, dass der Rettungsdienst ambu- tivierung und genau die müssten dann auch vom lante Versorgungen durchführen kann, zum Bei- Rettungsdienst angefahren werden. Allerdings spiel auch Partnerpraxen oder Hausarztpraxen an- müsste man gucken, wie die Kinderarztausbildung fahren darf, was im Moment eigentlich offiziell ist, dass die auch eine entsprechende Notfallerfah- nicht geht. Die Digitalisierung im Gesundheits- rung haben. Die können zwar in der Regel gut mit dienst, die jetzt ja durch Corona auch durchstartet Kindern umgehen, aber Kindernotfälle sind auch und auch durch das KHZG bietet da sehr viele manchmal selbst bei Kinderärzten nicht so die häu- Möglichkeiten. Es gibt auch einen Versuch der figsten. Wir wissen das von einem Kindernotarzt- KV Hessen genau diese Partnerpraxen anzufahren system in der Pfalz, der oft seine Einsätze in Kin- und über die Leitstelle und die KV Patienten zu derarztpraxen fährt.

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Abg. Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- viele Kliniken? Auf dem Land sieht es sicherlich NEN): Meine nächste Frage richtet sich an den ESV anders aus. Aber hier zu einer gemeinsamen Ver- Dr. Poloczek. Sie sind ärztlicher Leiter des Ret- sorgungsplanung zu kommen, wäre eine absolute tungsdienstes in Berlin und gleichzeitig Mitglied Notwendigkeit und es wird nicht mehr gehen in des European EMS Leadership Network, dem Zu- den jetzigen Strukturen. Ein letzter Punkt, der ge- sammenschluss der europäischen großen Rettungs- meinsame Tresen war ja ein großes Schlagwort. Ir- dienste. Wenn Sie gerade mit dieser europäischen gendwie alles, was ich jetzt höre, scheint so zu Perspektive auf den Reformbedarf in Deutschland sein, dass wir vielleicht noch einen gemeinsamen im Bereich des Rettungsdienst schauen: Was muss Tresen haben, aber dahinter sind wieder zwei Per- sich ändern, damit tatsächlich Notfälle, die dann sonen aus zwei Organisationen, das wird nicht nicht mehr in den Rettungsstellen, in den Notauf- funktionieren. Gemeinsamer Tresen heißt ein Tre- nahmen behandelt werden können, durch den Ret- sen und auch eine Verantwortung. tungsdienst qualifiziert anders versorgt werden können? Abg. Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Eine Nachfrage da noch anknüpfend. Es ist ESV Dr. Stefan Poloczek: Wenn man ins europäi- mehrfach auch in anderen Beiträgen angeklungen. sche Ausland schaut, dann fällt doch sehr auf, dass Patienten nicht im Krankenhaus zu versorgen be- ich massiv immer Schwierigkeiten habe, das deut- darf dann auch einer anderen Vergütungsstruktur. sche System zu erklären. Die Sektorengrenzen sind Inwieweit verstehe ich Ihre Aussagen richtig, Herr der absolute Tod für ein gutes Notfallversorgungs- Dr. Poloczek, dass letztlich eine Aufnahme des Ret- system. Das macht sich an vielen Punkten klar. Das tungsdienstes ins SGB V Voraussetzung wäre, um geht los bei den Leitstellen. Da hat Herr Chwojka ambulante Behandlungen, telemedizinische Be- schon was dazu gesagt, dass wir immer noch handlung und auch neue Versorgungsformen durch drüber diskutieren, dass wir unterschiedliche Leit- andere als ärztliche Versorgungsleistung dann über stellen haben und die nicht zusammenbringen. In die Notfallrettung möglich zu machen? den Leitstellen, die ich gut kenne, in Kopenhagen, in London oder so weiter dort laufen die Nummern dort zwar mit verschiedenen Nummern, aber in ei- ESV Dr. Stefan Poloczek: Die Aufnahme als eigenes ner Organisationsstruktur zusammen. Das System Leistungssegment ist sicherlich eine zwingende Vo- kann entscheiden, wo der Patient hin muss. Des raussetzung, weil wir sonst Limitationen haben, die Weiteren ist es ein absoluter Irrglaube, dass wir den wir nicht anders bewältigen können. Aber allein Rettungsdienst einfach nur erlauben, die Patienten mit der Aufnahme und nur mit dem Reinschreiben ambulant zu behandeln und damit die Notaufnah- des Rettungsdienstes ist es nicht getan, sondern na- men entlasten. Wir entlasten vielleicht die Notauf- türlich müssen sich die Vergütungsstrukturen dem- nahmen mit dem einen oder der anderen PatientIn, entsprechend dann orientieren an den alternativen sorgen aber gleichzeitig dafür, dass der Rettungs- Versorgungsmöglichkeiten. Hier ist viel denkbar, dienst länger vor Ort sein muss, weil er sich um die als nur stationäre Aufnahme, ambulante Versor- Aufklärung kümmern muss, dass er eine abschlie- gung. Ich denke da auch an psychosoziale Hilfs- ßende Diagnostik machen muss, was möglich ist dienste, die ganze Verknüpfung mit der Psychiat- mit Telemedizin und so weiter, aber einen erhebli- rie. Hier sehen wir einen enormen Einsatzzuwachs chen zusätzlichen Ressourcenbedarf hat. Deswegen der letzten Jahre. Hier glaube ich, dass es auch brauchen wir unbedingt eine gemeinsame Betrach- nicht nur qualitativ besser wäre, sondern auch kos- tung aller dieser Themen. Drittes Beispiel, die teneffizientere alternative Versorgungsformen ge- Krankenhausplanung, die zu einer Versorgungspla- ben muss. nung erweitert werden muss. ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn ich im Ausland erzähle, dass wir in Abg. Bettina Müller (SPD): Ich habe eine Frage an Berlin sechs Traumazentren haben, 16 Stroke Units den GKV Spitzenverband. Wie kann gewährleistet und 25 Herzkatheterlabore rund um die Uhr beset- werden, dass schwererkrankte Notfallpatienten und zen, dann fragen mich alle ausländischen Kollegen, –patientinnen in ein geeignetes Krankenhaus trans- sag mal nochmal: Wie groß ist Berlin? Ach so 3,5 Millionen Einwohner. Warum braucht ihr da so

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portiert werden? Wie kann das sinnvollerweise ge- die fachspezifische Versorgung nicht ersetzen. Bei regelt werden? Welches digitale System informiert der Notfallversorgung handelt es sich um eine den Rettungsdienst, dass der Patient auch aufge- Querschnittsaufgabe, die typischerweise mit einer nommen werden kann? Zusatzweiterbildung abgebildet wird und mehreren Facharztspezialisierungen offen steht und stehen muss. Für die präklinische Notfallversorgung exis- SV Dr. Wulf-Dietrich Leber (GKV-Spitzenverband): tiert seit langem die Zusatzbezeichnung Notfallme- In der Tat haben wir ein unglaubliches Defizit in dizin, die bundesweit circa 50 000 Ärztinnen und Sachen EDV. Sie können heute am PC jede Ärzte führen. In der Weiterbildungssystematik ist Dschunke auf allen sieben Weltmeeren beobachten, die notfallmedizinische Kompetenz breit abgebildet wo sie hinfährt, wo sie herkommt, aber ein Ret- und unter anderem Inhalt der gebietsspezifischen tungswagen verschwindet vom Bildschirm, wenn Weiterbildung in vielen klinischen Fächern. Mit er über die Kreisgrenze fährt. Das heißt, wir brau- Beschluss vom 121. Deutschen Ärztetag 2018 zur chen ein einheitliches System, einheitlich für alle Musterweiterbildungsordnung wurde explizit für Leitstellen, dass Landräte selber entscheiden, wel- die Notfallversorgung in interdisziplinären Notfall- che EDV angeschafft wird, ist genauso absurd, als aufnahmen die Zusatzweiterbildung „Klinische wenn Landräte ihre eigene Arzneimittelzulassung Akut- und Notfallmedizin“, die auf einem Facharzt machen. Dieses gehört einfach auf eine ordentliche in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversor- höhere Ebene mit einheitlichen Anforderungen, die gung zum Beispiel in den großen Fächern mit ei- dafür sorgt, dass jede Leitstelle entsprechend sämt- nem hohen Anteil an Notfallpatienten aufbaut, neu liche Rettungsmittel im Blick hat. Es gibt hoff- eingeführt. Die Lösung über die Zusatzweiterbil- nungsvolle Vorgänge wie i-bena, wo auch in Echt- dung erlaubt eine hochqualifizierte und adäquate zeit das Krankenhaus mitteilen kann, ob es freie Erstversorgung, Initialtherapie sowie Lotsenfunk- Kapazitäten hat und im Augenblick aufnahmebereit tion für eine anschließende abschließende fachspe- ist. Das heißt also, wir brauchen auf der einen Seite zifische Behandlung. In der Summe muss man sa- eine Definition vom richtigen Krankenhaus, ein gen, sind wir der Auffassung, dass die aktuelle Re- Schlaganfall muss halt in ein Krankenhaus mit gelung, wie von mir jetzt dargestellt, eine ausrei- Stroke Unit und nicht in irgendein Krankenhaus chende und auch sehr vernünftige Form von Not- transportiert werden. Zum zweiten brauchen wir fallmedizin ermöglicht. eine Echtzeitkommunikation per EDV, damit nicht wertvolle Minuten vergehen, weil der Rettungswa- gen umherfährt, um das richtige Krankenhaus zu Abg. (CDU/CSU): Auch meine finden oder umhertelefoniert, um ein aufnahmebe- zweite Frage geht an die BÄK. Vorgeschlagen wird reites Krankenhaus zu finden. Das geht einher na- zudem, dass die zeitweise Tätigkeit in einer Not- türlich mit einer Verpflichtung der Krankenhäuser, fallpraxis als verpflichtenden Teil der Weiterbil- auch in Echtzeit ihre Aufnahmebereitschaft zu do- dung zum Facharzt für Allgemeinmedizin festzu- kumentieren. schreiben. Wie ist Ihre Positionierung dazu?

Abg. Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Meine Frage SV Dr. Klaus Reinhardt (Bundesärztekammer richtet sich an die BÄK. Wie bewerten Sie den Vor- (BÄK)): Aus Sicht der BÄK ist in einer obligate schlag, eine Fachärztin beziehungsweise einen Weiterbildungszeit für die Allgemeinmedizin in ei- Facharzt für Notfallmedizin einzuführen? ner Notfallpraxis nicht erforderlich. Die Allgemein- mediziner sind vorrangig in der ambulanten Ver- sorgung tätig und werden auch dort weitergebildet SV Dr. Klaus Reinhardt (Bundesärztekammer und damit in der Regel erster Ansprechpartner der (BÄK)): Wir würden feststellen, dass die Notfallme- Patienten und Patientinnen. Die Patientengruppen dizin ein interdisziplinäres Geschehen ist und in- und Behandlungsfelder sind ohnehin vielfältig. Die sofern eine hohe fachliche Spezialisierung sowohl Ausgestaltung der Facharztweiterbildung orientiert in den konservativen als aber eben auch in den sich diese Ausrichtung und befähigt insofern auch operativen Fächern. Daher kann eine eigenständige zu einer ersten Akutbehandlung im ambulanten Be- Facharztintensität im Bereich der Notfallmedizin

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reich. Auf Basis ihrer Weiterbildung zum Allge- und die kreisfreien Städte Träger des Rettungs- meinmediziner, neben der eigenen Praxis oder der dienstes, der Notfallversorgung und damit ein fes- Tätigkeit in einem MVZ, ist er erfolgreich auch jetzt ter Bestandteil der Gefahrenabwehr. Mit der Über- schon in Bereitschaftspraxen, im mobilen Bereit- nahme des Rettungsdienstes ins SGB V als eigener schaftsdienst oder in Notfallpraxen an Kliniken tä- Leistungsbereich greifen letztendlich hier die dort tig. Es ist daher aus unserer Sicht nicht ersichtlich vorhandenen Mechanismen. Dies bedeutet letzt- und notwendig, dass die derzeitige Weiterbildung endlich eine Abkehr von der bisherigen Gebühren- in der Allgemeinmedizin nicht zu einer qualifizier- finanzierung der Rettungsdienste … ten Akutversorgung befähigt. Also insofern halten wir die obligate Weiterbildungszeit in einer Notfall- praxis für nicht erforderlich. Abg. (CDU/CSU): Meine Frage geht an den GKV-Spitzenverband. Wie beurteilen Sie den Vorschlag, ein einheitliches Vergütungssys- Abg. (SPD): Meine Frage an den tem für den Bereich der gesamten Notfallversor- GKV-Spitzenverband: Sollte das Rettungswesen ein gung zu etablieren, das die besonderen Versor- eigenständiger Leistungsbereich der GKV im SGB V gungs- und Vorhalteanforderungen berücksichtigt? werden und damit Teil des Gesundheitswesens? Gehen Sie dabei gerne auf das bereits heute beste- hende einheitliche Vergütungssystem für die ambu- lante Notfallversorgung ein. SV Dr. Wulf-Dietrich Leber (GKV-Spitzenverband): Ich hoffe, dass im nächsten Koalitionsvertrag eine Grundgesetzänderung steht, die uns ermöglicht, SV Dr. Wulf-Dietrich Leber (GKV-Spitzenverband): dass das Rettungswesen Teil des Gesundheitswe- In der Tat haben wir schon ein gemeinsames Ver- sens wird. Wir dürfen Rettungswesen nicht einfach gütungssystem. Der EBM gilt sowohl für die Kran- nur als Transport begreifen, sondern die gesund- kenhausnotfallaufnahme als auch für die niederge- heitliche Versorgung beginnt am Unfallort. Dem- lassenen Ärzte. Man braucht aber eventuell eine entsprechend müssen von da an auch unsere Regu- Überarbeitung und Ergänzung dieses Systems. Was larien bringen, damit die Leute an die richtige nicht ordentlich abgebildet ist, das sind mehrstün- Stelle kommen, damit wir ein gestuftes System in dige Beobachtungen. Ich nenne das mal eine Prit- diesem Staat einführen können, was im Wesentli- schenpauschale. Wenn die Mittel eines Kranken- chen durch Vorgaben des G-BA gemeinsam kon- hauses notwendig sind, aber trotzdem eine Auf- struiert werden kann. Man kann nur einheitliche nahme sich aber nicht unbedingt anbietet, dann Systeme bilden, wenn auch bundesweit der ent- brauchen wir eine bessere Abbildung in diesem sprechende Zugriff erhalten ist und nicht jeder System. Insofern würde ich mir eine Erweiterung Landkreis meint, eine Sondersituation zu haben. des jetzigen EBM-Systems und vielleicht auch et- was mehr Pauschalierung in diesem Fall vorstellen.

Abg. Detlev Spangenberg (AfD): Meine Frage geht an den Deutschen Feuerwehrverband. Sie sind in Abg. Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP): Meine der Regel in vielen Fällen zuerst vor Ort, müssen nächste Frage geht an die Björn Steiger Stiftung. koordinieren, auch mit Rettungsdiensten. Welche Wie bewerten Sie die Forderung nach integrierten Erfahrungen haben Sie in der Praxis in der Proble- Notfallzentren? matik Notfallmedizin? Können Sie uns schildern?

SV Ulrich Schreiner (Björn Steiger Stiftung): Wir SV Thomas Weiler (Deutscher Feuerwehrver- unterstützen das natürlich auch, es ist eine unserer band e. V.): Die Anträge, eine angelegte Systemän- Forderungen schon lange. Es passiert heute, dass derung der Notfallversorgung, begrüßen wir grund- ein Patient in einer Notdienstzentrale wartet, dann sätzlich. Mit dieser Systemanpassung geht einher irgendwann behandelt wird und man stellt fest, er die Ausrichtung, dass die KV mehr in der Verant- doch ins Krankenhaus muss, weil dort Röntgen, CT wortung der ambulanten Notfallversorgung macht oder MRT oder Labor ist. Das heißt, er muss ins und der Rettungsdienst um diese Akutfälle entlas- Krankenhaus, wartet in der Notaufnahme. Das tet wird. In fast allen Ländern sind die Landkreise

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würde alles bei integrierten Notfallzentren entfal- den Status quo. Selbstverständlich gibt es kaum Be- len, weil im Prinzip Labor, Röntgen, MRT, all die darf einer Notfallversorgung, aber sicherlich nicht Geschichten des Krankenhauses mitbenutzt werden an der Stelle. könnten. Das hätte für den Patienten ein Riesenvor- teil. Herr Chwojka hat vorhin gesagt, auf der Leit- stelle Best Point of Service, genau das wäre mit den Abg. Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- integrierten Notfallzentren auch. Das heißt, es ist NEN): Ich würde die nächste Frage gerne an die alles in der Nähe erreichbar, was der Patient im Be- ESVe Dr. Johna richten. Wir haben gerade gehört, darfsfall benötigt. Egal, ob er am Schluss als ambu- dass wir ein, nach Ansicht des Landkreistags ein lanter Patient nach Hause geht oder in die statio- hoch professionelles und funktionierendes System näre Behandlung kommt. haben, was keinerlei Änderungen im Bereich der präklinischen Notfallmedizin bedarf. Ähnliches hört man auch teilweise in Bezug auf die stationäre Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE.): Meine Frage Versorgung im Krankenhaus in der Notfallmedizin. geht nochmal an den Deutschen Landkreistag. Sie Inwieweit sieht der Marburger Bund Änderungsbe- betonen in Ihrer Stellungnahme die Nähe des Ret- darf in dem, was an integrierter Notfallmedizin zu- tungsdiensts zum Brand- und Katastrophenschutz. künftig erforderlich wäre in der Präklinik oder in Da würde ich Sie bitten, das kurz auszuführen und der Notaufnahme? vielleicht auch nochmal kurz Stellung zu nehmen zu den Aussagen, die es ja bereits gegeben hat, dass es besser sei, bundeseinheitliche Regelungen in der ESVe Dr. Susanne Johna: Wir sehen als Marburger Notfallversorgung zu etablieren. Bund relevanten Änderungsbedarf. Wir mahnen seit vielen Jahren an, dass die Notfallversorgung zusammengeführt werden muss. Herr Dr. Leber hat SV Jörg Freese (Deutscher Landkreistag): Die Nähe vorhin erwähnt, wie wichtig auch die fallabschlie- zum Brand- und Katastrophenschutz gibt sich his- ßende Behandlung ist in der Notfallversorgung. Das torisch aus der Zuständigkeit der Länder für das ist richtig, denn wir wollen nicht, dass der Patient, Ordnungsrecht. Daher betreiben wir unsere inte- der ärztlich gesehen wird, dann noch wieder zu an- grierten Leitstellen, natürlich auch für alle drei Be- deren Ärzten geschickt wird. Das ist alles ist Res- reiche, was einfach sich auch kostenmäßig und sourcenverschwendung. Wir brauchen die Vernet- auch inhaltlich bewährt hat. Wir sehen da im Mo- zung der Sektoren in diesem Bereich ganz beson- ment keinen Grund, davon abzuweichen. Die Be- ders, wir brauchen sie sonst auch. Insofern ist eine hauptung, es würde alles besser, wenn der G-BA gemeinsame medizinische Anlaufstelle wichtig. das regelt, Entschuldigung Herr Prof. Hecken, Sie Das heißt dann aber auch, dass Ärzte tatsächlich sitzen ja in der Runde, teilen wir nicht. Natürlich vor Ort gemeinsam zusammen arbeiten, in der Re- gelten Standards, und zwar bundesweit einheitli- gel am Krankenhaus, weil das nun mal die Stelle che Standards für die Medizinerinnen und Medizi- ist, die der Patient aufsucht. Es muss sich orientie- ner, die im Einsatz sind, denn es gibt medizinische ren an dem, was der Patient an Versorgung braucht. Leitlinien natürlich auch für diese Einsätze und die Das heißt dann, dass es ganz einfach ist, die Patien- gelten natürlich, und zwar für jeden. Insofern wis- ten, und das wird bei der Notfallversorgung so oft sen wir nicht, was es da einer zusätzlichen Rege- vergessen, die besonders schwer krank sind, das ist lung bedarf. Ob die Hilfsfrist ein oder zwei Minu- sehr schnell klar, dem Rettungsdienst, dem Arzt, ten länger oder kürzer ist, was einer der wesentli- der Patient geht ins Krankenhaus. Es gibt auch Pati- chen Unterschiede der Rettungsdienstgesetze ist, enten, bei denen sehr schnell klar ist, dass sie nur das hat mit Topographie und Besiedlungsdichte leichte Beschwerden haben. Aber dazwischen gibt und vielen anderen Faktoren zu tun. Insofern ist es es sehr viel grau. Das ist oft erst am Ende nach der jetzt gesetzgebungstechnisch wesentlich besser auf Diagnostik in der Notaufnahme klar, dass diese Pa- Landesebene angesiedelt, als wenn der Bund da ir- tienten ambulant verbleiben können. Das heißt, die gendwie eine kompensierte Regelung schaffen Patienten brauchen die Ressourcen des Kranken- würde. Insofern plädieren wir uneingeschränkt für hauses zur Diagnostik und können dann trotzdem ambulant verbleiben. Deswegen ist es wichtig, dass dieses Patienten dann auch tatsächlich, und da

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kam vorhin schon der Vorschlag mit einer verbes- Abg. Dirk Heidenblut (SPD): Meine Frage geht auch serten Vergütung, dem Krankenhaus die Möglich- an die DKG. Sie fordern auskömmliche Vergütung keit gegeben wird, diese notwendige Diagnostik der Vorhaltekosten- und ausreichende Investitions- dann auszumachen und trotzdem dem Patienten kostenfinanzierung. Ist Letzteres im Rahmen der nach dieser Diagnostik oder Überwachung nach bestehenden Finanzierungsaufteilungen GKV/Län- Hause schicken zu können. der realistisch oder sollten hier andere Lösungen gefunden werde?

Abg. Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Die Frage geht an die DKG. Wie bewerten Sie den Vorschlag einer SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- medizinischen Ersteinschätzung unter Nutzung schaft (DKG)): In der Tat, wenn man über die Inves- von Algorithmen-gestützter Systeme durch vom titionsfinanzierung jetzt konkret und ausschließlich Krankenhaus weisungsunabhängiger Kräfte? bezogen auf diese möglicherweise zu etablierenden integrierten Notfallzentralen und Notfallaufnahmen in den Krankenhäusern anspielt, müsste man wahr- SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- scheinlich andere Wege finden. Es gibt durchaus schaft (DKG)): Wir begrüßen zum einen das, was beispielsweise den Weg, der heute von einigen auch in den Anträgen formuliert ist, nämlich, dass Ländern auch schon gewählt wird, über den Struk- im Rahmen dieser telefonischen Leitzentralen eine turfonds derartige Investitionen zu refinanzieren. qualifizierte Beratung und Ersteinschätzung durch Das würden wir durchaus begrüßen. Wir haben in dort anwesende Personen erfolgt, die dann dazu einigen Ländern so eine Art Investitionszuschuss, führt, dass idealerweise eine gute und passende wenn die Krankenhäuser zum Teil gemeinsam mit Steuerung in die entsprechenden Versorgungs- den KVen sogenannte Bereitschaftsdienstzentralen strukturen erfolgt. Die Personen, die dann im Kran- in den Krankenhäusern einrichten. Aber ich kenhaus beispielsweise in der schon vielfach ange- glaube, wenn man hier eine generelle Regelung sprochenen integrierten Notfallzentrale ankommen, trifft, dass man derart integrierte Notfallzentralen bedürfen im Krankenhaus nicht nochmal einem er- in den Häusern schaffen möchte, dann müsste man neuerten Ersteinschätzungsverfahren, denn alle eine konkrete Definition für die Investitionsfinan- Krankenhäuser, die heute der Basisnotfallstufe zu- zierung finden. Der Strukturfonds, wenn er dann geordnete sind, die der G-BA entsprechend defi- dauerhaft etabliert bleibt, wäre aus unserer Sicht niert hat, müssen im Rahmen ihrer Notfallauf- ein geeignetes Instrument, was ja auch von beiden nahme ein entsprechendes Ersteinschätzungsver- refinanziert wird, Bund und Länder. fahren haben, was auf 24 Stunden und sieben Tage in der Woche aktivierbar ist. Insofern brauchen wir hier keine zusätzlichen ergänzenden Ersteinschät- Abg. Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Die Frage geht zungsverfahren. Wesentlich ist aus unserer Sicht an die KBV. Wie ist Ihre Bewertung zum Vorschlag, tatsächlich, die zunächst einmal zu erfolgende den Sicherstellungsauftrag für eine integrierte Not- Steuerung im Rahmen der Erstkontaktaufnahme, fallversorgung auf die Länder zu übertragen? wo der Patient den richtigen Weg zunächst einmal sucht, und dass dort die erste Lenkung erfolgt. In den Krankenhäusern selbst, in der interdisziplinä- Dr. Stephan Hofmeister (Kassenärztliche Bundes- ren Notaufnahme und der integrierten Notfallzent- vereinigung (KBV)): Es ist vorher schon angespro- rale ist die zusätzliche Etablierung eines solchen chen worden. Wir glauben nicht, dass die Übertra- Verfahrens zumindest dann, wenn der Ort das gung des Sicherstellungsauftrags an der Ursache Krankenhaus ist, nicht notwendig. Wie gesagt, alle der Defizite in der Notfallversorgung irgendwas än- Krankenhäuser verfügen über ein solches ver- dert, sondern wir glauben, dass die Vernetzung und pflichtendes Ersteinschätzungsverfahren. die Nutzung der modernen digitalen Möglichkei- ten, auch das vielfach schon angesprochen worden, eigentlich der Lösungsansatz ist. Vernetzung der 116 117 und der 112, Vernetzung des Rettungs- dienstes mit einer vernünftigen Integration der Leistungsfähigkeit der medizinischen Dienste, auch

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des Rettungsdienstes, Partnerpraxen sind angespro- da wird zu investieren sein. Man wird am einen chen worden, die weitere Optimierung der Koope- oder anderen Standort sicher auch baulich was tun ration mit den Krankenhäusern vor Ort. Ich darf sa- müssen, aber wir glauben nicht, dass es nötig ist, gen, dass wir schon an 800 Standorten in Deutsch- das Rad komplett neu zu erfinden, denn ganz so land bereits mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst desolat sieht es ja am Ende doch nicht aus. der KV an Krankenhäusern tätig sind. Wir glauben, dass in dem Rahmen der Sicherstellungsauftrag, und möglichst bundesweit relativ einheitlich, auch Abg. Bettina Müller (SPD): Ich habe noch eine erbracht werden kann, und es nichts bringt, den zu Frage an die KBV. Sie wenden sich gegen die viel- dezentralisieren und jetzt in die Länder zu zu ver- fach vorgeschlagene Zusammenlegung der Rufnum- lagern. mern 116 117 und 112. Worin sehen Sie die kon- kreten Nachteile einer einheitlichen Notfallrufnum- mer? Wäre der Aufwand zur Handhabung unnöti- Abg. Detlev Spangenberg (AfD): Meine Frage geht ger 112-Anrufe ohne Lebensbedrohung nicht ge- auch an die KBV in Ergänzung zu dem, was Sie nauso hoch wie der Aufwand zur Einsatzlenkung eben gesagt haben. Sie haben in Ihrer Stellung- bei einer einheitlichen Rufnummer? nahme festgestellt, dass eine Notfallversorgung nicht dazu führen dürfe, bereits etablierte und funktionierende Strukturen auf eine neue Grund- SV Dr. Stephan Hofmeister (Kassenärztliche Bun- lage zu stellen. Können Sie da ein Beispiel bringen? desvereinigung (KBV)): Wir glauben nicht, dass es Wie stellen Sie sich eine erfolgsversprechende Re- ein großer Vorteil ist, die Nummern zusammenzu- form der Notfallversorgung vor? Welche Ansätze legen, da wir sie technisch hinterher zusammenle- würden aus Ihrer Sicht dabei in die richtige Rich- gen können. Die Bürgerinnen und Bürger haben, tung gehen? glaube ich, gut verstanden, dass es die 110 gibt und die 112. Die 112 ist mit ihrem Hauptaugenmerk auf zum Beispiel Brandschutz, also auf Feuer auch SV Dr. Stephan Hofmeister (Kassenärztliche Bun- schon ausgelastet. Insofern ist es sinnvoll und zu- desvereinigung (KBV)): Das ist für uns eine ganz mutbar, und die Erfahrung in der Pandemie zeigt, wichtige Grundvoraussetzung, dass wir nicht so die 116 117 wird immer mehr wahrgenommen als tun, als hätten wir hier eine katastrophale Notfall- Nummer für präklinische Notfälle. Wenn sich das versorgung und nichts auf dem Hof. So ist es nicht. etabliert, dann ist das eine gute Maßnahme, die Wir haben sehr viel und wir haben vor allem etli- echte Notfallnummer 112 freizulassen für Fälle wie che Mittel und vor allem auch etliches Personal, Opa liegt im Garten Die 116 117 für alles, was nicht Fachpersonal in allen Bereichen, Rettungsdienst im ganz so bedrohlich und lebensnotwendig und akut medizinischen Bereich, ärztlich wie nichtärztlich. ist, das, glaube ich, ist zumutbar. Wenn wir die Die Ressourcen optimal einzusetzen, darum muss technisch zusammenschalten hinterher, ist das es gehen, genau zu schauen, an welchen Standor- auch überhaupt kein Problem, weil mit einem ten ist eigentlich welche Vorhaltung zu welcher Knopfdruck können wir an die Feuerwehr überge- Uhrzeit machbar, sinnvoll, gewünscht und letzt- ben, die Feuerwehr an uns, möglicherweise sitzt endlich auch mit Personal zu hinterlegen. Das zu man sogar in derselben Leitstelle. Das ist also tech- optimieren wird maßgeblich davon abhängen, wie nisch überhaupt kein Problem. gut wir kooperieren, wie wir diese Sektorengrenzen überwinden und dazu dienen, digitale Medien, vor- her wurde es gesagt, die Leitstellen, dafür müssen Abg. Michael Hennrich (CDU/CSU): Ich richte wir nicht neue Häuser bauen zwingend und alle in meine Frage an die DKG. Sehen Sie die Notwendig- ein Haus setzen. Heute ist es digital möglich, so keit, die Zusammenarbeit zwischen den Portalpra- wie wir heute hier auch an verschiedenen Standor- xen und den Notaufnahmen der Krankenhäuser ten wunderbar miteinander kommunizieren, zu durch gesetzliche Vorgaben näher zu regeln? Gehen kommunizieren in Echtzeit mit klarer Verfolgung, Sie dabei bitte auf Ihre Erfahrungen aus der Praxis wer ist wann wo, wer hat wann wo welche Zeit, ein. welche Kompetenz. Dazu brauchen wir möglichst einheitliche Systeme. Daran wird zu arbeiten sein,

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SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- rung und Steuerung vorzunehmen. Wir sehen na- schaft (DKG)): Wir glauben nicht, dass es eine türlich auch die Notwendigkeit, dass diese Leitstel- grundsätzliche bundesweite Regelung geben muss, len dann in der Lage sein müssen, auch den Patien- wie Portalpraxen, also die Bereitschaftsdienstzent- ten entsprechende Angebote zu machen. Damit ralen der KVen und Notfallaufnahmen der Kran- meine ich beispielsweise, dass im Rahmen der üb- kenhäuser zusammenarbeiten. Wir glauben aber, lichen Sprechstundenzeiten diese Leitstellen in der und da unterscheiden wir uns durchaus von einer Lage sein müssen, vermeintliche wirkliche ambu- ganzen Reihe von anderen Positionen, die hier ver- lante Notfälle, die keinen größeren und schwerwie- treten wurden, dass es Aufgabe der Länder sein genden Behandlungsbedarf haben, dann in freie muss, in den Regionen zu beleuchten, welche Ver- Slots vom niedergelassenen Arztpraxen zu integrie- sorgungsangebote, welche Versorgungsmöglichkei- ren, damit diese nicht in den Krankenhäusern und ten für die ambulante Notfallversorgung existieren in den Notaufnahmen der Krankenhäuser ankom- und dann entsprechend aus den Möglichkeiten men, sondern diese Selektion dann auch tatsäch- auszuwählen, wer die Aufgabe in den Regionen je- lich funktioniert, denn nur dann wird ein Patient weils übernehmen sollte, natürlich auch unter fest- oder eine Patientin eine solche Steuerung auch ak- gelegten Qualitätsbedingungen, Erreichbarkeitsbe- zeptieren, wenn man dann auch ein entsprechen- dingungen und ähnlichem. Dann ist es Aufgabe des konkretes Angebot macht. Also das halten wir dieser Akteure vor Ort sich entsprechend zu orga- für eine ganz wichtige Maßnahme. Wie das tech- nisieren. Das passiert in vielen Bundesländern nisch dann gelöst werden kann, dafür gibt es si- schon. Herr Dr. Hofmeister hat ebenfalls darauf cherlich unterschiedliche Möglichkeiten, aber, wir hingewiesen. Wir haben vielfach durchaus sehr glauben, es ist richtig, dass der Patient eine telefo- funktionierende und vertrauensvolle Zusammenar- nische Anlaufstelle hat, die qualifiziert erstein- beiten zwischen Krankenhausstandorten und schätzt, berät und dann entsprechend steuert. KVen. An anderer Stelle macht es der eine für sich ganz alleine für die Region oder der andere, aber wir brauchen, glaube ich, keine Definition und Fi- Abg. Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Meine Frage xierung einer Form von Zusammenarbeit, die sich richtet sich nochmal an die BÄK. Wie ist Ihre Ein- in den Ländern und in den Regionen zum Teil sehr schätzung zu dem Vorschlag, ein bundesweit un- gut und konstruktiv bereits entwickelt hat, sondern verbindliches Heilberufsgesetz zu schaffen, das ei- wir müssen klarstellen, welche Aufgaben zu über- genständige Befugnisse der Notfallsanitäter, Pflege- nehmen sind und das muss natürlich dann auch kräfte und anderer Gesundheitsfachberufe gesetz- von Kooperationsstrukturen erfüllt werden. lich festlegt und dabei an die Regelung zur Aus-, Weiter- und Fortbildung für den Berufszugang an- knüpft? Abg. Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP): Meine nächste Frage geht ebenfalls an die DKG. Wie be- werten Sie die Forderung der FDP nach einer ver- SV Dr. Klaus Reinhardt (Bundesärztekammer besserten telefonischen Beratung und eine Zusam- (BÄK)): Auf den ersten Blick klingt es vielleicht menführung der Leitstellen zur Optimierung der verlockend, die Regelung aller Heilberufe in einem Patientensteuerung? Sehen Sie weitere Defizite in allgemeinen Heilberufegesetz zusammenzufassen. der Patientensteuerung? Das klingt bürgerfreundlich und verspricht leich- tere Lesbarkeit. Aber genau das waren auch die Ziele, die man seinerzeit mit dem SGB einmal ver- SV Dr. Gerald Gaß (Deutsche Krankenhausgesell- bunden hat. Ich muss Ihnen als Abgeordneter des schaft (DKG)): Wir halten das tatsächlich für den Gesundheitsausschusses nicht sagen, dass das beim ersten sowie wichtigen und notwendigen Schritt, SGB nicht wirklich gut gelungen ist. Es ist das Ge- dass im Rahmen der telefonischen Erstkontaktauf- setz, das mit am häufigsten geändert worden ist in nahme des Patienten, der Patientin mit einer ent- Deutschland und bei Weitem nicht das Verständ- sprechenden Leitstelle eine qualifizierte Beratung lichste. Insofern das SGB setzt auf die berufsrechtli- zum einen stattfindet, was konkret wahrscheinlich chen Regelungen auf … So darf ein Arzt als Ver- vorliegt, um dann die entsprechende Vorselektie- tragsarzt nicht selten weniger Leistungen erbringen

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als er im Studium und in anschließenden Weiter- sein. Ich will damit sagen, wir brauchen einheitli- bildungen erlernt hat und beherrscht. Für viele so- che Standards, aber, und das ist häufig so in genannter genehmigungspflichtige Leistungen be- Deutschland, regionale Variabilität, um reagieren nötigt er zusätzliche Qualifikationsnachweise. Ein zu können. Wir brauchen in den Großstädten eher Physiotherapeut benötigt, wenn er bei Kassenpati- eine Konzentration, weil wir dort natürlich nicht enten manuelle Therapien anbieten will, eine Zu- an jedem Krankenhaus, Berlin wurde vorher schon satzqualifikation. …, dass man mit einem allgemei- genannt, so etwas machen können, dafür fehlen nen Heilberufegesetz gar nicht das erreichen kann, einfach die Ressourcen. Wir brauchen in manchen was die Antragsteller wollen, nämlich Klarheit dar- ländlichen Regionen eine Verstärkung sowohl der über, wer im Gesundheitswesen was machen darf Leistungsfähigkeit des Krankenhauses als auch der und kann. Nebenbei, die Regelungen zum Berufs- Vertragsärzte. Deswegen ist für uns die Frage, wer zugang sind bereits jetzt bundesweit verbindlich, das leitet, insofern eher nachrangig. Wenn geklärt daher sehe ich Nachbesserungsbedarf an dieser ist, wie die Kriterien und die Konditionen bei der Stelle eher bei den Heilpraktikern, die wohl be- Auswahl der Patienten, also bei der Triagierung kanntlich gerade keine Heilberufe sind und nicht sind sozusagen. Das ist entscheidend, dass da der der Berufszugangsregel unterliegen. Also insofern Standard gesetzt wird, dass klar wird, was ist am- sind wir der Auffassung, dass eine Gesetzesinitia- bulant zu behandeln, und was muss stationär be- tive in diesem Sinne uns an dieser Stelle nicht wei- handelt werden. terführt.

Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE.): Mine nächste Abg. Sabine Dittmar (SPD): Meine Frage geht an Frage geht an den Deutschen Berufsverband Ret- die KBV. Wie sollte Ihrer Vorstellung nach der Be- tungsdienste. Es geht, das haben wir jetzt gehört, trieb der integrierten Notfallzentren vertraglich und oft um die richtige Zuweisung von PatientInnen in organisatorisch geregelt sein? Wem sollte die Lei- die entsprechenden Versorgungsstrukturen. Welche tung obliegen? Rolle hat dabei der Rettungsdienst bei dieser Lot- senfunktion und welche Rolle könnte er darüber hinaus haben? SV Dr. Stephan Hofmeister (Kassenärztliche Bun- desvereinigung (KBV)): Wir sind im engen Dialog und im Austausch mit den Kolleginnen und Kolle- SV Frank Flanke (Deutscher Berufsverband Ret- gen in den Krankenhäusern, denn die Frage ist, tungsdienst e. V. (DBRD)): Letztendlich ist es so, wenn man räumlich an einem Ort ist, was es an dass wir das Problem haben, dass häufig eine vielen Orten, wie gesagt schon gibt, vielmehr, dass Transportpflicht besteht oder zumindest von den es nur einen Eingang geben darf. Zurzeit haben wir ärztlichen Leitern dort erlassen wird und wir somit oft die Situation, dass wir eine ärztliche Bereit- grundsätzlich immer transportieren müssen. Hier schaftspraxis haben, die zentrale Notaufnahme ha- würden wir uns natürlich eine ganze Menge mehr ben und der Patient kann sich die Tür aussuchen, an Auswahl wünschen. Das darf aber am Ende zu der rein kommt. Herr Chwojka hat es ganz am nicht dazu führen, dass Wege länger werden. Also Anfang gesagt, es sollte nicht der Patient sein, der wenn wir an integrierte Notfallzentren etc. oder aussucht, wo er hingeht, sondern wir sollten ihn Portalpraxen, was auch immer, denken, dann muss steuern, weil wir wissen, welche Ressource am bes- das natürlich auch in kürzester Zeit erreichbar sein, ten ist. Das heißt also ein Eingang und an diesem sonst haben wir wieder ein anderes Problem, näm- gemeinsamen Tresen muss gesteuert werden, dann lich, dass wir deutlich mehr Rettungsmittel brau- hängt es von der Uhrzeit ab, wer ist da, um wie viel chen, weil sie dann aus dem eigentlichen lokalen Uhr, welche Vorhaltung sind nachts. Wenn nur Geschehen raus sind. Das ist so ein bisschen unser drei Leute kommen, wird dort nicht ein einzelner grundsätzliches Problem. Und natürlich die Tatsa- Arzt die ganze Nacht sitzen müssen. Das macht kei- che, dass wir häufig Patienten transportieren, die nen Sinn. Umgekehrt, wenn das eine Region ist, die eigentlich überhaupt nicht in eine Klinik müssen. hochfrequentiert ist, in der viele traumatologische Hier brauchen wir Systeme, um die zu entlasten. Es Notfälle sind, dann muss dort sicher ein Chirurg ist heute schon oft genug gesagt worden, sein, dann wird das Krankenhaus mehr belastet

19. Wahlperiode Protokoll der 176. Sitzung Seite 15 von 16 vom 9. Juni 2021

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wir brauchen die sektorenübergreifende Zusam- angekommen. Man sieht, dass sich alle dem jewei- menarbeit, ansonsten werden wir mit allen Dingen, ligen Thema sehr gut anpassen können. Wir haben die da noch kommen würden, wohlmöglich schei- lange nicht mehr so viel Fragen und Antworten be- tern. kommen in einer Stunde. Man sieht, Notfallversor- gung, Problem erkennen, schnell handeln, hat sich auch übertragen auf diese Anhörung. Außerdem, Abg. Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vielleicht haben das die Sachverständigen nicht so NEN): Meine letzte Frage geht an den Bundesver- sehen können, wir tagen hier im Sitzungssaal des band der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst. Vorhin Landwirtschaftsausschusses unter einer Ern- ist nochmal sehr kritisch angesprochen worden, tekrone. Und diese Erntekrone hat uns immer da- dass doch im Grunde genommen heute alles gut ran erinnert, dass wir irgendwann eine Entschei- funktionieren würde, insbesondere in der Patien- dung treffen müssen, wer der Herr von den Verbän- tensteuerung von unterschiedlichen Leitstellen, die den oder von den Akteuren den Hut aufhaben wird Unterschiedliches tun. Inwieweit sieht Ihr Verband bei der Notfallversorgung. Deshalb haben wir jetzt hier eine Notwendigkeit der stärkeren Verzahnung die Sommerpause und können uns dann anschlie- von 116 117 mit der 112, um Patientensteuerung ßend darauf vorbereiten, hier Entscheidungen zu wirklich vornehmen zu können? treffen. Ich wünsche allen einen schönen Nachmit- tag. SV Prof. Dr. Dr. Alex Lechleuthner (Bundesver- band der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst Deutsch- Schluss der Sitzung: 15:21 Uhr land e. V. (ÄLRD)): Wir sehen aus der täglichen Praxis die Notwendigkeit der besseren Verzahnung der Rettungsleitstellen und der 116 117. Es gibt gez. zahlreiche Projekte, die das bereits realisieren, und zwar sowohl in digitaler Form, dass die getrennt Erwin Rüddel, MdB sind oder auch, wie es Herr Dr. Hofmeister vorhin Vorsitzender schon sagte, in gemeinsamen Leitstellen, weil dann eben nicht mehr der Patient entscheiden muss, was ist das Richtige für mich, sondern weil dann die Fachleute in den jeweiligen angerufenen Zentren sozusagen durchstrukturierte Fragen, das SmED- System ist schon genannt worden, einheitlich her- ausfinden, dort, wo es möglich ist. Was ist das ge- eignete Mittel für diesen Patienten, kann es ein Hausbesuch sein, soll er in eine Praxis gehen, muss der Rettungsdienst kommen? Dadurch können Fehlsteuerungen oder Mehrfachalarmierungen ver- mieden werden. Wie gesagt, ich verweise nochmal auf die bestehenden Modellprojekte, die das eigent- lich eindrucksvoll zeigen und die auch durch Aus- wertung gezeigt haben, dass die Überlappung gar nicht so groß ist, sondern dass es eben einen be- stimmten Bereich, Frau Dr. Johna hat es vorhin als Graubereich bezeichnet, dieser Graubereich muss dann durch Standards und Strukturen beleuchtet werden und dann auch entschieden werden. Und dann ist das eine Verbesserung insgesamt.

Der Vorsitzende, Abg. Erwin Rüddel (CDU/CSU): Vielen Dank. Wir sind am Ende unserer Anhörung

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