Thema

Das Prinzip „Alles oder nichts“: Großprojekte in der Kostenfalle Endet 21 wie Erfurt – Nürnberg? Von Rainer Engel Foto: SBB Foto: Engel

Neubaustrecken in Deutschland: Ein ICE passiert den Neubaustrecken in der Schweiz: „Just in time“ Bahnhof Vaihingen an der Enz. Anschlüsse an andere kommen die Züge jetzt überall an, die Anschlusszüge Züge sind nicht geplant, sondern Zufall. stehen bereit.

➢ Das Geld wird knapp. Die DB streicht zahlreiche ■ Das Trauerspiel im Thüringer Wald Neu- und Ausbauprojekte. Besonders teure, politisch chon kurz nach dem Fall des innerdeutschen Stachel- umstrittene Projekte wie „Stuttgart 21“ und „Nürn- drahts war die Idee fertig: Über Erfurt durch den Thürin- berg – Erfurt“ werden aber unverändert weiter ver- S ger Wald sollte die Schnellbahn führen. Und wie sieht es folgt. Bauruinen, nutzlose Investitionen und vertane heute aus – 15 Jahre danach? Planungskosten prägen das Bild des Eisenbahn- Hunderte Millionen Euro sind nördlich von ver- wesens in Deutschland. Zur Zeit feiert die graben. Einen Nutzen haben sie nicht, denn die Strecke führt Schweiz die erste Etappe eines Großprojekts ganz von Erfurt bis ohne Gleisverbindung durch die Land- anderer Art: Mit „Bahn 2000“ sind unsere Nachbarn schaft. Nicht einmal ein Express-Shuttle von Erfurt nach Schritt für Schritt zum Ziel eines schlüssigen Netzes Ilmenau kann fahren, weil kein Anschluss in die Stadt ein- gelangt. Wann werden die deutschen Politiker bereit geplant ist. Das Geld aus dem Bundeshaushalt fehlt – wahr- sein, ein Gesamtkonzept zu befürworten, das Schritt scheinlich auf Dauer. Schlimmer noch: Die Reisezeit von

für Schritt verwirklicht werden kann? Erfurt nach Nürnberg hat sich zum Fahrplanwechsel drastisch ALLES ODER NICHTS

derFahrgast · 1/2005 5 Großprojekte in der Kostenfalle

verlängert, weil die Anschlüsse in nicht mehr passen. Landschaften. Inzwischen ist dort Ernüchterung eingekehrt. In kann man nicht umsteigen, weil es noch immer zwei Doch so richtig hat sich das bis Stuttgart noch nicht herumge- getrennte Bahnhöfe gibt. sprochen. Das Wachstum hat längst aufgehört. Für Jahrzehnte werden wir und unsere Kinder mit einem demografischen Pro- ■ Bauchlandung ohne Alternative blem fertig werden müssen. Selbst wenn Stuttgart bei der Um- verteilung besser wegkommt als andere Landstriche: Wer mag iese Situation löst jetzt eine Diskussion über Alternativen denn noch sicher sagen, dass all die Wohnungen und Büros aus. Gerade ist eine von einem breiten Zusammenschluss auch verkauft und vermietet werden können? Und selbst wenn D Interessierter getragene Alternativlösung für die Durch- Verkauf und Vermietung gelingen: Die neuen Flächen werden querung des Thüringer Waldes vorgelegt worden. Dafür soll an anderer Stelle dramatische Leerstände zur Folge haben. der alte Scheiteltunnel bei Oberhof einbezogen werden. Und Anderenorts hat man bereits ausgeträumt: In ist der gleich kommen Kritiker und zweifeln an der Machbarkeit. Tiefbahnhof am fehlenden Geld gescheitert. In München Zwar sind Eisenbahnlinien nicht mit ein paar Federstrichen träumt man lieber vom Transrapid. Auch das hat man im auf die Landkarte zu zeichnen, aber die Befreiung von dem Ruhrgebiet bereits aufgegeben. Wer soll das bezahlen? Zwang, ein einziges Projekt auf Biegen und Brechen durchset- zen zu müssen, wird dadurch aufgehoben. Denn mit dem ■ Verschwebt Argument, Alternativen seien nicht machbar, wird nicht das Geld beschafft, das für die ursprüngliche Planung notwendig Wie für Stuttgart 21 wirbt die DB mit viel Geld und Glanzpros- ist. In Thüringen kann man lernen: Wer darauf setzt, dass pekten auch für den Transrapid zum Münchener Flughafen. Großprojekte auf einen Schlag bezahlbar sind, der bekommt Wer die Werbeschriften analysiert, stellt fest, dass nur ein Argu- nur einen Scherbenhaufen, zu dem es keine Alternative gibt. ment wirklich zutrifft: Das Geld aus dem Bundeshaushalt, das für die Magnetbahntechnik zur Verfügung steht, würde nicht ■ Viel investiert, nichts erreicht für eine Express-S-Bahn zur Verfügung stehen. Deshalb werden die Baukosten in den offiziellen Zahlen immer niedriger. Weiter im Osten wird ein ähnliches Trauerspiel aufgeführt. Eine Express-S-Bahn könnte Stück für Stück gebaut werden. Auf der Franken-Sachsen-Magistrale zwischen Nürnberg und Zusammen mit der Weiterführung nach Mühldorf und der wird im Zuckeltempo gefahren. Von Beschleunigung des Fernverkehrs in Richtung nach braucht man noch immer fast zwei Stunden und hätte sie eine weitaus bessere Erschließungswirkung. Die nach fährt der direkte nicht mehr täglich. Plauen, Magnetbahn hingegen wird entweder ganz fertig oder hebt Zwickau und Chemnitz sind abgehängt. gar nicht erst ab. Aus den gleichen Gründen bleibt der Ausbau der Strecke Ham- burg – Berlin für die Verbindung – Stral- ■ Das Prinzip „Alles oder nichts“ sund nutzlos: weil es keinen Zielfahrplan gibt, gibt es auch keine dazu passenden Schienen. So fährt der Zug zwar schneller, aber Was haben die Großprojekte gemeinsam? Es ist das Prin- dann ist die Regionalbahn vor Aumühle im Weg, weil man ihr zip „Alles oder nichts“. Nicht hinsichtlich des politischen kein eigenes Gleis spendiert hat, und der Effekt der teuren Aus- Wollens – Pläne leben davon, dass man alles will –, sondern bauten wird mit Standzeiten in Rostock vergeudet. hinsichtlich des finanziellen Könnens. In beiden Fällen wird berichtet, dass der „Nahverkehr“ schuld Der Metrorapid im Ruhrgebiet ist daran gescheitert. Bevor sei, weil er die Schienen für den schnellen Zug nicht frei- nicht die letzte Fahrbahn gelegt ist, fährt nichts. Das liegt am macht. Aber tatsächlich ist es das fehlende Gesamtkonzept – Prinzip der Magnetbahn, die eine eigene Fahrbahn braucht. die Konflikte wären vorhersehbar gewesen. Für die Schnellfahrstrecke Erfurt – Nürnberg gibt es genauso wenig Hoffnung, weil sie nicht abschnittsweise realisiert wer- ■ Fliegende Träume den kann, sondern nur als Ganzes. Bevor nicht der letzte Tunnel gebohrt, die letzte Brücke gebaut, die letzte Schwelle Der Traum vom Stuttgarter Tiefbahnhof ist noch älter als die gelegt ist, fährt hier nichts. Das kann noch Jahrzehnte dauern. Idee der U-Bahn durch den Thüringer Wald. Beflügelt wurden Südlich von Coburg ist das ganz anders: Hier ist bereits viel die Träume durch die Lage des Flughafens. Dorthin fährt die S- gebaut worden, was auch jetzt schon nützlich ist. Bahn inzwischen in 25 Minuten, aber das genügt nicht. Der ICE muss es sein – wie in Düsseldorf, Köln und Frankfurt. Dass man ■ Auch Stuttgart 21: „Alles oder nichts“ in Frankfurt eine Viertelstunde einkalkulieren muss, um den Weg vom Bahnsteig zum Terminal zurückzulegen, wird nicht Einen Tunnelbahnhof mit zwei anschließenden Tunneln bemerkt. Dass man in Düsseldorf in eine schaukelnde Luftbahn kann man nicht teilweise bauen – jedenfalls nicht nach den steigen und die gleiche Zeit kalkulieren muss, ist unbekannt. jetzigen Plänen. Dennoch wird als erstes der Tunnelbahnhof Und dass man in Köln eine Zeit raubende Schleife abfahren genehmigt und möglicherweise mit dem Bau begonnen, muss, wenn man nicht zum Flughafen will, wird verdrängt. bevor klar ist, ob die Zufahrten finanziert werden können. Doch der Traum vom Tiefbahnhof ist nicht kleinzukriegen. Selbst wenn man das Projekt teilweise verwirklichen könnte: Der zweite Traum ist der von einer blühenden Stadt auf den Es lebt von der Finanzierung durch die vollständige Räu- frei gewordenen Bahnflächen. Als dieser Traum in Stuttgart in mung der oberirdischen Bahnhofsanlagen. Bevor unten nicht traumhafte Zeichnungen umgesetzt wurde, wurde auch wo- alles fertig ist, kann das Projekt nicht bezahlt werden. Keine anders geträumt: in den neuen Bundesländern von blühenden Bank würde solch ein Risiko finanzieren. Nur das Land

6 derFahrgast · 1/2005 Thema

Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart trauen sich das zu. Wer trägt das Risiko? Der Steuerzahler im Ländle. Dabei sind die Risiken mehr als unüberschaubar. Die Deut- sche Bahn AG und der Bundesverkehrsminister wissen das eigentlich sehr gut. Die Neubaustrecke Nürnberg – Ingol- stadt wäre nicht fertig geworden, wenn beide nicht ständig zugebuttert hätten. „Unvorhergesehene geologische Risiken“ Foto: Engel waren die Ursache. Gibt es die in Stuttgart nicht?

■ Der Fahrgast: im Stau oder im Warteraum So manches Großprojekt wird entwertet, weil die letzten Bau- werke nicht vollendet werden. Nach rasender Fahrt steht der ICE von Frankfurt vor Köln im Stau. Nach der Schussfahrt von Nürnberg wird auch hinter der ICE über die Seit 1987 wird diskutiert. Es ist noch kein einziger Stein alte Strecke schleichen und sich die Gleise mit der S-Bahn tei- bewegt worden: Stuttgart Hauptbahnhof. len müssen. Im Dezember hat der Aufsichtsrat der DB weitere solche Sparpläne genehmigt: Der Ausbau von Hanau nach Fulda wird gestrichen – obwohl die Kapazitätsengpässe unüberseh- bar sind. Die Neubaustrecke Frankfurt – wird auf

Eis gelegt, obwohl die vorhandenen Strecken am Ende ihrer Foto: SBB Kapazität angelangt sind. Aber im Thüringer Wald werden jedes Jahr weitere Millionen verbuddelt, ohne dass ein Fertig- stellungstermin in Sicht ist. Es ist noch vergleichsweise harmlos, wenn auf den Effekt von Großinvestitionen eine Weile gewartet werden muss, weil das letzte Stück des Ausbaus noch nicht finanziert werden kann. Aber es zeugt doch von mangelnder Netz- und Finanzpla- nung, wenn solche Engpässe ein Dauerzustand bleiben. Weder bei der DB noch in der Politik gibt es ein Zielkonzept, Seit 1998 wurde gebaut. wie das Eisenbahnnetz in zehn oder 20 Jahren aussehen soll. Es Jetzt ist der Hauptbahnhof fertig. kursieren nur zusammenhanglose Listen, die genauso planlos gestrichen werden: Der Bundesverkehrswegeplan, der nur noch ein unbezahlbarer Wunschzettel ist, oder die Liste der „66 Pro- jekte“ vom Sommer 2004, die als „noch finanzierbar“ zwischen Weise machbar – aber selbst wenn beide noch nicht gebaut Bundesregierung und DB vereinbart wurde und die nun vom sind, sind die anderen Umbauten nicht nutzlos. Genauso die Unternehmensführung und Aufsichtsrat der DB im Dezember Neubaustrecken von Wendlingen nach und von Esslin- wieder zusammengestrichen wurde. Überall fehlt die Angabe, gen nach Wendlingen – jedes Teilstück für sich rechtfertigt was der Ausbau im Netz bringen würde. Es werden „Zielfahr- bereits die Investitionen. zeiten“ wie Supermarktpreise gehandelt: „von Berlin nach Wer den Kopfbahnhof behält, behält auch den Kopf oben Hamburg in 89 Minuten“. Gleichzeitig und über dieselbe Route und das Heft des Handelns in der Hand. Wer aber mit dem verlängert sich von Eberswalde nach die Reisezeit um 15 Kopf durch die Wand – oder in Stuttgart durch den Berg – Minuten und die Wartezeit beim Umsteigen von einer auf zwei will, der wird sich große Beulen holen – selbst wenn er Stunden. Das feiert die Politik dann als großen Fortschritt. schließlich durchkommt.

■ Erfolge mit kleinen Schritten ■ Inseln der Seligen n Zeiten knapper Kassen erreicht man Erfolge mit kleinen Auch in Deutschland gibt es einige „Inseln der Seligen“. Mit Schritten. Autobahnen werden so gebaut: Anschlussstelle kleinen Schritten kommt man hier zum Ziel. Der Rheinland- I um Anschlussstelle kommt hinzu. Mancherorts endet die Pfalz-Takt beispielsweise ist ein solches Netz, in dem Anschlüsse dort, wo die Finanzlage es wollte, und wird nicht funktionieren und auch die Busse eingebunden sind. Im Fran- weitergebaut – aber sie hat für die Region doch ihren Nutzen. kenland geht ein Taktverkehr in Betrieb, der sich sehen lassen Bei der Eisenbahn geht es genauso, wenn auch nicht ganz so kann – allerdings gilt er nur für die Züge. Der vorbildliche All- einfach. Beim Metro-Express im Ruhrgebiet wird man das gäu-Schwaben-Takt bekommt hingegen zwischen Aulendorf erstmals mit einem Großprojekt ausprobieren. PRO BAHN und Kißlegg derbe Löcher, weil es nicht gelungen ist, Bahn und hat dazu die Ideen geliefert. Bus zu koordinieren. Was hier als notwendiges Sparen verkauft Und in Stuttgart? Stück für Stück könnte man einen refor- wird, ist in Wahrheit die Kapitulation vor der Unfähigkeit der mierten Kopfbahnhof schaffen. Das fünfte und sechste Gleis Politik, ein Verkehrsnetz vom Fernzug bis zum Ortsbus durch-

nach Bad Cannstatt und Zuffenhausen sind auf die gleiche gehend zu gestalten. ALLES ODER NICHTS

derFahrgast · 1/2005 7 Großprojekte in der Kostenfalle

➔ ■ Bahn 2000: mit kleinen Schritten zum großen Ziel ■ Keine Entschuldigung: ie Schweizer führen uns vor, dass das Konzept der klei- Noch nicht ganz fertig nen Schritte zum Ziel führt. Über 30 Jahre sind von der D ersten Idee bis zur Verwirklichung von Bahn 2000 ver- Zwar muss angemerkt werden, dass der Ausbau der gangen. Ganz ohne kleine Großprojekte ging es zwar auch Strecke Hamburg – Berlin erst mit der Fertigstellung dort nicht, aber in der Schweiz gibt es keine einzige Bauruine, der Nord-Süd-Verbindung in Berlin vollendet wird. keine vergeudeten Planungskosten, keine nutzlosen Inves- Aber nach den bisherigen Veröffentlichungen verkürzt titionen. Das liegt daran, dass Bahn 2000 auf der Grundlage sich die Fahrzeit von Berlin nach Hamburg nicht ent- eines großen Zielkonzepts verwirklicht wurde: die Vision scheidend. Nur eine Verschiebung der Fahrplanlage eines schlüssigen Netzes. Dass auch in Deutschland ein Kon- der Züge zwischen Hamburg und Berlin oder eine zept wie „Bahn 2000“ machbar ist, hat PRO BAHN mit dem halbstündliche Zugfolge könnte die Schnellzüge in Konzept „Der letzte Fahrplanwechsel“ schon vor Jahren den bereits festliegenden Schleswig-Holstein-Takt nachgewiesen (mehr dazu ab Seite 13). einbinden. Das ist auf der weniger stark frequentierten Sieht man sich demgegenüber den Bundesverkehrswege- Nord-Süd-Strecke durch Berlin leichter möglich als plan an, so zeigt sich, dass er kaum zu mehr taugt als dem auf der überfüllten . Aber integrierte Planun- Nachweis, dass man etwas für die Bahn tue. Aber es fehlen die gen für Knotenzeiten Ausbauten in Deutschland gibt Vision, das Konzept, die Koordination – und der Wille, es nicht. Anschlüsse werden Zufall bleiben. Deutschland wirklich zu modernisieren.

Neu- und Ausbaustrecken in Deutschland und der Schweiz Eröffnungstag 12. Dezember 2004

Deutschland: Bahn 2004 Fahrplan gültig ab 12.12.2004 Schweiz: Bahn 2000 Fahrplan gültig ab 12.12.2004 ICE IC Berlin Zoologischer Garten ab 11.45 HB ab 12.02 Hamburg Hbf an 13.18 Zürich HB an 13.00

Anschluss nach um Wartezeit Anschluss nach um Wartezeit RE Lübeck 14.05 47 Min. 13.14 14 Min. FLX Flensburg 14.43 85 Min. Romanshorn 13.07 7 Min. IC Westerland 2) 13.30 12 Min. St. Gallen 13.10 10 Min. RE – Cuxhaven 14.09 51 Min. 13.12 12 Min. IC 13.46 28 Min. ME Bremen 14.15 62 Min. ICE Lüneburg 13.28 10 Min. ME Lüneburg 13.54 36 Min. Durchschnittliche Wartezeit 41 Minuten Durchschnittliche Wartezeit 10 Minuten

nicht erreichte Anschlüsse Abfahrt Erreichbar durch nicht erreichte Abfahrt Erreichbar durch Anschlüsse ME Bremen 13.15 69 Min. frühere Abfahrt ICE Stuttgart 13.06 27 Min. frühere Abfahrt IC Westerland 1) 13.15 69 Min. frühere Abfahrt RE Kiel 13.20 69 Min. frühere Abfahrt IC Kopenhagen 13.23 69 Min. frühere Abfahrt 1) nur in der Sommersaison 2) nur in der Wintersaison

Die IC-Züge von Bern nach Zürich verkehren halbstündlich, sein. Das wesentlich dichtere Schweizer Netz läßt das Erreichen während zwischen Berlin und Hamburg nur zweistündlich von Zielen direkt und auf dem kürzesten Weg zu (Bern – unterschiedlich schnelle IC- und ICE-Züge verkehren. Luzern, Bern – Lugano), während solche Ziele in Deutschland Während man für Anschlusszüge, die in Zürich nicht erreicht in angemessener Zeit nur über Umwege erreicht werden werden, eine halbe Stunde früher in Bern abfahren muss, muss können (Berlin – Lübeck, – Kiel, – Lüneburg). man in Berlin mehr als eine Stunde früher auf dem Bahnsteig

8 derFahrgast · 1/2005 Fahrgast-Politik

Stuttgart 21: Kopfbahnhof statt Kostenfalle Ein reformierter Kopfbahnhof ist machbar von Volkhard Jung

➢ Das Projekt „Stuttgart 21“ mit dem unterirdischem Durchgangsbahnhof ist viel zu teuer! Ein reformierter Kopf- bahnhof, wie er von Anfang an von den Umweltverbänden vorgeschlagen wur- Fotos: Engel (7) Engel Fotos: de, wäre eine preisgünstigere Lösung. Das Eisenbahnnetz bedarf staatlicher Mittel, und Großprojekte wie „Stuttgart 21“ dürften zurzeit mit staatlichen Mit- teln nicht realisierbar sein. Während das Schienennetz aus dem Bestreben nach schwarzen Zahlen für die DB AG sträflich vernachlässigt wird und sogar Bundesmittel nicht abgerufen werden, nur um die 20 Prozent Eigenanteil der DB AG zu sparen, ist ein Projekt wie der Tunnelbahnhof „Stuttgart 21“ nicht verantwortbar.

Die jetzige Situation

er derzeitige Hauptbahnhof Stuttgart ist ein Kopfbahnhof, der schon 1922 Dmit damals sehr moderner Gleisanlage gebaut wurde. Diese Gleisanlage weist schon sehr viele Überwerfungen (niveaufreie Gleis- kreuzungen) auf. Es sind aber nicht genug, sodass ein- und ausfahrende Züge sich bis- Stuttgart Hauptbahnhof: Der Turm wirbt für Autos. Er soll bleiben – die Deutsche Bahn will weilen behindern und zu zusätzlichen Ver- alles, was an Eisenbahn erinnert, vergraben. spätungen führen. Dies kann man gut vom Turm des Stuttgarter Bahnhofs beobachten. zierung aus Eigenmitteln der DB AG mög- sein, dass Bundesmittel, welche der DB AG Der Tiefbahnhof als Kostenrisiko lich sei, die aus dem Verkauf des frei werden- aus dem Bundeshaushalt zufließen, auf Um- den Geländes herrühren. Noch 2002 wurde wegen in dem Projekt verbaut werden. So elegant der Entwurf des unterirdischen behauptet, die Grundstückserlöse der frei Angenommen, die Gesamtkosten erreichen Durchgangsbahnhofs mit zwei Zufahrten zur gemachten Bahnflächen brächten 1,543 nach G. Stocker [1] eine Höhe von 4 Mrd. geplanten Abstellanlage in Untertürkheim Mrd. Euro ein [5], doch nach Abzug der Frei- Euro, so muss man bei einer Annuität von ist, so verursacht er doch immense Kosten. machungskosten verbleiben gerade mal 0,6 vier Prozent, die für eine Lebensdauer von Die derzeit „offiziellen“ Kostendaten, näm- Mrd. Euro [1]. Auch nach dieser Rechnung 100 Jahren gilt, mit versteckten Kapital- lich nur 2,6 Mrd. Euro, sind fast zehn Jahre soll der Tiefbahnhof mit weiteren 400 Mio. kosten von jährlich 160 Mio. Euro rechnen. alt und lediglich durch die Umrechnung von Euro zinsloser Darlehn – also zu Lasten der Man darf dabei nicht vergessen, dass die DB DM auf Euro korrigiert. Kritik an der Kos- Bilanz der DB – und weiteren 650 Mio. Euro AG bisher 4 Mrd. Euro pro Jahr Zuschuss tenrechnung für die zugrunde liegende Pla- aus anderen öffentlichen Mitteln bezahlt wer- aus dem Bundeshaushalt bekam, der jetzt nung wurde bisher nicht berücksichtigt. Zur- den [5]. Diese wenigen Zahlen zeigen, wie auf 3 Mrd. Euro pro Jahr reduziert wurde. zeit wird nach wie vor offiziell behauptet, dass groß das Finanzrisiko ist und dass es voll und Es sind also versteckte Zuschüsse aus dem es keine Mehrkosten gegenüber den früheren ganz zu Lasten der öffentlichen Hand geht. Bundeshaushalt, welche die DB AG über- Ansätzen gebe, doch nach Pressemeldungen haupt in den Stand setzen, solche Projekte vom Oktober 2003 kursieren Papiere der Fehlkalkulation wie Stuttgart 21 oder auch Nürnberg – DB, die auf Mehrkosten hinweisen. Nach ohne Abschreibung Erfurt – /Leipzig anzufangen. Stocker [1] erreichen die Baukosten eine Nun kann man darüber streiten, ob die Höhe von 4 Mrd. Euro. Bisher wird auch im- Doch wenn sich die vorgenannten Zahlen Veräußerung ehemaliger Bahngrundstücke mer noch offiziell behauptet, dass die Finan- als Fehlkalkulation erweisen, könnte es nicht einem Verkauf von Tafelsilber gleich- ➔

derFahrgast · 1/2005 21 Kopfbahnhof statt Kostenfalle

➔ kommt. Wenn nein, dann müsste der geplante unterirdische Durchgangsbahn- hof die gleiche Leistung erbringen wie der derzeitige Kopfbahnhof mit seinen 16 Bahnsteiggleisen. Nun möge man 0,6 Mrd. Euro von den prognostizierten 4 Mrd. Euro abziehen, dann ergibt sich dennoch eine jährliche Kapitalbelastung von 136 Mio. Euro, die zwar nie gezahlt werden, aber doch für eine Rentabilitätsrechnung be- rücksichtigt werden müssen. Geschenktes Geld ist doch schließlich kein wertloses Geld. Sehr oft werden aber Bundes- bzw. Landesmittel als verlorene Baukostenzu- schüsse betrachtet, wie dies auch bei der 6 Mrd. Euro teuren Neubaustrecke Köln – Rhein/Main geschehen ist. Wenn aber Die Kosten für die Freimachung des zu verkaufenden Bahngeländes werden unterschätzt. Bund, Länder und Gemeinden sich ver- Das Gelände links ist bereits schienenfrei, rechts fahren die Züge zum Hauptbahnhof. schulden, müssen sie Zinsen zahlen. Und Wie viel soll es kosten, bis diese „Landschaft“ an der Wolframstraße an Investoren verkauft die hypothetischen Zinsen müssen bei werden kann? der Nutzen-Kosten-Rechnung Berück- sichtigung finden (Nutzen geteilt durch Kosten ergibt den maßgeblichen Quotien- ten). So wurde z. B. für Stuttgart 21 mit unterirdischem Durchgangsbahnhof der Nutzen-Kosten-Quotient 2,5 errechnet, während die Lösung „reformierter Kopf- bahnhof“ nur mit dem Wert 1,1 berech- net wurde. Ein unabhängiger Gutachter müsste diese Werte neu berechnen und dabei einen unterirdischen Durchgangs- bahnhof gleicher Leistung zugrunde legen und nicht einen solchen mit nur acht Bahnsteiggleisen, in welchem keine Zug- anschlüsse sichergestellt werden können, weil die Züge nur zwei Minuten halten dürfen. Es ist schon des Öfteren hervor- gehoben worden, dass die Reisezeitein- Die Vorteile des Durchgangsbahnhofs: Weite Wege (hier die Treppe zum S-Bahnhof; der Fern- sparung durch Beseitigung des Kopfbahn- bahnhof läge zwar darüber, aber Rolltreppen und Fahrstühle kosten dem Fahrgast Zeit) ... hofs nur zwei bis 2,5 Minuten ausmacht. Hierfür wäre eine Investition von höchs- tens 200 bis 250 Mio. Euro gerechtfertigt.

Vorteile des Durchgangsbahnhofs? och welche anderen Vorteile brächte ein unterirdischer Durchgangsbahnhof Dmit nur acht Bahnsteiggleisen? Von zahlreichen Kritikern wird bezweifelt, dass der Durchgangsbahnhof mit acht Bahn- steiggleisen ausreichende Kapazitäten vor- hält. Zwar gäbe es die Möglichkeit, wie auch im Hauptbahnhof Köln zwei oder gar drei Züge auf einem Bahnsteiggleis halten zu las- sen. Dann aber darf es keine Verspätungen mehr geben, sonst gerät die Reihung der Züge auf einem Bahnsteiggleis durchein- ... und schmale Bahnsteige: So großzügig wie der S-Bahnsteig werden die Bahnsteige im ander. Wer kann aber garantieren, dass es in Fernbahnhof nicht aussehen: Zwischen der Wand des Aufgangs und der Bahnsteigkante Zukunft keine Verspätungen mehr gibt? fehlen an jeder Seite zwei Meter.

22 derFahrgast · 1/2005 Fahrgast-Politik

Ob die Zahl von nur acht Bahnsteiggleisen wirklich ausreicht, muss der künftige Fahr- plan zeigen. Jedenfalls sind kaum Reserven vorhanden für ein hoffentlich doch in Zukunft gestiegenes Schienenverkehrsauf- kommen als umweltfreundliche Alternative zu Auto und Flugzeug. Deswegen sollte man in der Planung auf jeden Fall Raum für eine spätere Erweiterung auf zehn Bahnsteiggleise vorsehen. Auch die Forderung nach einer dritten Tunnelröhre zum Flughafen hinauf, die für die Führung der Gäubahn über den Flug- hafen erforderlich gehalten wird, ist kosten- trächtig, genauso wie die Vermehrung der Zufahrtsgleise von Zuffenhausen aus, wie sie seinerzeit vom Regierungspräsidium ge- Der Blick vom Turm: ein verwirrendes Gleisfeld, über das sich die Züge den Weg suchen. fordert wurde. Der geplante unterirdische Doch der Schein trügt: Ein neu geordneter Kopfbahnhof kann das Vierfache des heutigen Durchgangsbahnhof soll nach den derzei- Fahrplans verkraften und fast doppelt so viel wie der geplante Durchgangsbahnhof. tigen Planungen nur acht Bahnsteiggleise Die Schlangenlinien wären im reformierten Kopfbahnhof Vergangenheit. aufweisen. Die Bahnsteige sind nur mit 10,50 Meter Breite geplant. Eine Bahnsteigbreite von 10,50 Metern ist für einen Neubau nicht zu empfehlen. Wenn man eine Bahnsteigbreite von 13,50 Metern ansetzt, könnten feste Treppen von drei Me- tern Breite und daneben beiderseitige Roll- treppen für Auf- und Abwärtsrichtung von je 1,25 Metern Breite erstellt werden, sodass auf beiden Seiten der Treppenanlage noch vier Meter breite und voll nutzbare Bahnsteige zur Verfügung stehen. Werden feste Treppen und Rolltreppen hintereinander positioniert, kann zwar die Bahnsteigbreite auf elf Meter reduziert werden, die Anlage wird dadurch aber sehr unübersichtlich. Eine neu bewer- tete Kostensumme von 4 Mrd.EUR [1] er- scheint daher nicht unrealistisch. Der wahre Engpass ist der Pragtunnel und die Zufahrtstrecke von Zuffenhausen: Regional- und Hochgeschwindigkeitszüge aus , Frankfurt/Mannheim und müssen sich Der reformierte Kopfbahnhof ein einziges Gleis je Richtung teilen. Dabei soll es bleiben – auch die Zufahrt zum Tiefbahnhof soll nur zweigleisig sein. Die anderen zwei Gleise (links) dienen der S-Bahn. Die Beibehaltung läne für einen reformierten Kopfbahn- des Kopfbahnhofs würde es ermöglichen, zwei weitere Gleise zu vertretbaren Kosten zu bauen. hof sind bereits seit 1996 veröffentlicht P [6], allerdings ist eine betriebliche und bautechnische Prüfung nicht veröffentlicht worden. Der Autor hat sich daher der aufgegeben und die Gleise so verlegt Es wäre auch möglich, zweimal je acht Fern- Mühe unterzogen, den Plan eines refor- werden, dass nur noch die Stützen für die und Regionalgleise zu gestalten. Von diesen mierten Kopfbahnhofs hinsichtlich Be- Bahnsteigüberdachungen Platz finden. Das beiden Gruppen dienen jeweils drei Gleise triebsablauf und technischer Machbarkeit Bahnhofsgebäude hat acht Bögen, die den dem Richtungsverkehr nach und die drei in der Örtlichkeit genau zu prüfen. Das Er- acht Bahnsteigen entsprechen, so wäre auch anderen Gleise der Gegenrichtung von gebnis: Ein Kopfbahnhof mit sehr hoher dem Denkmalschutz Rechnung zu tragen. ● Stuttgart-Feuerbach Leistungsfähigkeit ist machbar (Plan Seite Entscheidend für die Funktionsfähigkeit ❍ Neubaustrecken Mannheim, 27, Details ab Seite 28). eines Kopfbahnhofs ist die funktionsgerechte Karlsruhe Da der derzeitige Kopfbahnhof 16 Bahn- Aufteilung der Gleise in Gruppen und ihr ❍ Ludwigsburg – Heilbronn, steiggleise und acht Bahnsteige aufweist, Anschluss an die zugehörigen Strecken. , Bretten sollte es zur Einsparung von Umbaukosten Folgende Aufteilung bietet sich an: ● Stuttgart-Bad Cannstatt bei dieser Anzahl bleiben, auch wenn die ● 7 Bahnsteiggleise für den Fern- und inter- ❍ Neubaustrecke Fildern, Ulm, Bahnsteige schmal sind. Gegebenenfalls regionalen Verkehr, Tübingen könnten die nicht mehr benötigten Ge- ● 7 Bahnsteiggleise für den Regionalverkehr, ❍ Plochingen, Tübingen, Göppingen päckbahnsteige zugunsten der Bahnsteige ● 2 Gleise für den S-Bahn-Verkehr. ❍ Aalen/Backnang – Nürnberg. ➔

derFahrgast · 1/2005 23 Kopfbahnhof statt Kostenfalle

Ausschnitt aus „Stuttgart 21, Zuführung Ober-/ Untertürkheim“, DB Projektbau 2003. Zeichnung: Jung Zeichnung:

So soll Stuttgart 21 aussehen

Das Konzept Stuttgart 21 sieht vor, dass nur die in einem großen Bogen unterquert werden. Dann S-Bahn aus Richtung Feuerbach in der vorhande- verlaufen die Gleise etwa unter dem jetzigen Güter- nen Lage erhalten bleibt. Aus Richtung Bad Cann- bahnhof in den Tunnel-Fernbahnhof, der quer unter statt soll sie durch einen neuen Tunnel quer unter den jetzigen Gleisen liegen soll. Der Tunnelbahnhof der jetzigen Abstellanlage geführt und in Höhe der soll acht Gleise an vier Bahnsteigen erhalten. Von heutigen Einfädelung der Gäubahn in die Strecke dort führen zwei Gleise mit 28 Promille Steigung von Feuerbach eingefädelt werden. Von hier soll sie zum Flughafenbahnhof auf den Fildern. Die Gäu- in Tieflage bis zum jetzigen Tunnelbahnhof unter bahn soll mit einer Haarnadelkurve angeschlossen dem Hauptbahnhof geführt werden. werden. Die anderen zwei Gleise führen nach Osten Die Fernbahngleise sollen die vorhandenen Tunnel ins Neckartal und schließen in Richtung Esslingen nicht mehr benutzten, sondern von Feuerbach und und Bad Cannstatt an die vorhandenen Strecken Cannstatt aus neu und in einem langen Tunnel tras- an. Hier soll auch ein neuer Abstellbahnhof entste- siert werden. Von Cannstatt aus soll der Rosenstein hen.

Ein viertes Gleis liegt jeweils zwischen Überwerfungen schaffen Ordnung deswegen günstig, weil es nicht nur ein Kor- den Gleisgruppen, sodass auch in dieselbe respondieren am gleichen Bahnsteig in den Richtung zurückgefahren werden kann. in- und auslaufende Gleise werden mit Relationen Mannheim – München und Damit sind Durchbindungen Zürich – Überwerfungen niveaufrei gekreuzt. Karlsruhe – Nürnberg, sondern auch ein Würzburg oder Nürnberg – Ulm möglich. E Dabei wird jeweils das Gleis für die Ein- Korrespondieren der Richtungen Würz- Die S-Bahn erhält eine eigene zweigleisige fahrten früh geteilt, was die Zugfolge bei der burg – Tübingen und Nürnberg – Zürich Wendeanlage, sodass bei Störungen auf der Einfahrt beschleunigt. Die Gäubahn kann geben kann. Wenn Stuttgart zu einem Voll- Stammstrecke der Betrieb aufrechterhalten so angeschlossen werden, dass alle Gleise in knoten im Sinne des integralen Taktfahr- werden kann oder durchgehende Züge beiden Richtungen erreichbar sind. Not- plans wird, können gleichzeitig in den sie- von Cannstatt nach Feuerbach und um- wendig dafür ist nur, dass die Gleise im Be- ben Gleisen des Fernverkehrs auch sieben gekehrt geführt werden können oder in reich der Einfädelung der Gäubahn auf zwei Züge stehen, wobei die ICE-Züge einen Spitzenzeiten zusätzliche Züge verkehren Ebenen liegen, was heute schon der Fall ist. Aufenthalt von vier Minuten haben, die IC- können. Je zwei Bahnsteige für eine Richtung sind Züge einen solchen von zehn Minuten und

24 derFahrgast · 1/2005 Fahrgast-Politik

Der Hauptbahnhof heute

Vom Hauptbahnhof (1) führen die Gleise zunächst geradeaus an bereits aufgelassenen Bahnflächen vorbei (2) bis zur Unterführung Wolframstraße (3). Hier beginnt eine scharfe Kurve von 23 Grad. Der Bahndamm misst hier nur etwas mehr als 80 Meter Breite. Dann verzweigt sich die Stre- cke: Geradeaus fallen die Gleise zum viergleisigen Rosensteintunnel (4) ab. Nach Westen steigen die Gleise an. Im Bogen soll eine neue S-Bahn-Station Satellitenbild: D-Sat 6 - Copyright © 2003, TravelTainment AG TravelTainment 2003, © Copyright - 6 D-Sat Satellitenbild: Mittnachtstraße (5) entstehen. Dann fädelt die Gäubahn nach Süden aus (6), es folgen die S-Bahn-Station Nordbahnhof (7) und die Einfahrt zum viergleisigen Pragtunnel (8) in Rich- tung Feuerbach. Im Gleiswinkel liegt die Abstellanlage Rosensteinpark (9).

In der Unterführung Ehmannstraße gut sichtbar: Die Gleise ver- laufen in zwei Ebenen. Die dritte Ebene (Gleise Richtung Bad Cannstatt) läge parallel zur hier sichtbaren Straße. Damit lassen sich die Fahrwege entwirren und das Gleiswinkel vor den Bahn- steigen vereinfachen.

die IRE-Züge Tübingen – Würzburg und großem Vorteil, dass keine Treppen zu be- nicht verbessert werde. Die Zeit von Aus- Zürich – Nürnberg einen solchen von 16 wältigen sind, sondern um die Prellböcke stieg Stuttgart Hbf bis Flughafen-Bahnhof Minuten. Letztere würden fahrplanmäßig herumgegangen werden kann. Dies ist be- Ausstieg beträgt zurzeit im Mittel 48 Minu- sechs Minuten vor den ICE-Zügen ein- und sonders wichtig für Reisende mit Rollkof- ten. Wenn jedoch die Neubaustrecke Stutt- auch sechs Minuten später ausfahren. fern, mit Kinderwagen und besonders für gart – Ulm kurz vor Esslingen zur Autobahn Dadurch käme der Aufenthalt von 16 Mi- Behinderte. Diesen Vorteil eines Kopfbahn- A 8 auf die Fildern geführt wird, könnte nuten zustande. Bei den IC-Zügen sind es hofs sollte man nicht unterschätzen. Benut- zwischen Scharnhausen und Denkendorf jetzt auch schon zehn Minuten. Diese Auf- zerfreundlichkeit sollte oberstes Gebot sein! ein Verknüpfungsbahnhof entstehen, von enthalte verlängern sich jeweils, wenn die welchem am gleichen Bahnsteig ein S- ICE-Züge Verspätung haben. Aber die An- Der Flughafen-Anschluss Bahnzug zum Flughafenbahnhof verkehrt. schlüsse sind fast immer gewährleistet. Beim Die Fahrzeit von der Ankunft im Stutt- Wechseln der Bahnsteige vom ICE/IC- Nun wird eingewendet, daß bei einem garter Hauptbahnhof betrüge dann nur Bahnsteig zum IR/IRE-Bahnsteig ist es von Kopfbahnhof der Flughafen-Anschluss Lesen Sie auf Seite 27 weiter.

derFahrgast · 1/2005 25 Fahrgast-Politik

➔ 24 Minuten, man käme dafür aber im jetzi- Leistungsfähigkeit erreichen soll. Eine Zu- gen S-Bahnhof unter dem Terminal an. fahrt wäre nur auf einem Gleis möglich, das LITERATUR Unterstellt man, dass von Ulm und Tübin- in die Unterführung hinabführt, was ein Ge- [1] Stocker, G.: Stuttgart 21 in: gen 30 Prozent der Fluggäste kommen und fälle von 40 Promille erforderte. Insofern un- Mohnheim H. und Nagorni, K.: die restlichen 70 Prozent aus dem Stuttgarter terscheidet sich der reformierte Kopfbahnhof Die Zukunft der Bahn zwischen Raum, so sparen die Fluggäste im Mittel bei nicht vom Projekt Stuttgart 21. Da Ein- und Bürgernähe und Börsengang, Halt eines ICE auf den Fildern 30 Minuten Ausfahrtgleise aber voneinander getrennt S. 170-179, Karlsruhe, 2004. Reisezeit ein. Vorausgesetzt ist, dass auch die sind und sich nicht kreuzen, sind Fahrten zur [2] Merkel, E. und Kretschmer, M.: Züge aus Tübingen und Ulm auf dem Fil- Abstellanlage in Untertürkheim nicht stören- Magnetschnellbahnprojekt der-Verknüpfungsbahnhof halten und nicht der als im Fall des Durchgangsbahnhofs. München Hbf – Flughafen. erst in Stuttgart Hbf. Die Zeiteinsparung bei ETR 53 (2004) Heft 10, S. 686-693. Projekt Stuttgart 21 ist ohnehin etwas illuso- ur kurzfristigen Hinterstellung sind [3] Jung, V.: Anbindung von Flughäfen risch, da nur einer von drei ICE am Flug- Z in den Fernverkehrsgruppen jeweils vier an Eisenbahn-Fernstrecken. hafen-Fernbahnhof halten soll. Die S-Bahn Aufstellgleise unterschiedlicher Länge Internationales Verkehrswesen vom Verknüpfungsbahnhof auf den Fildern vorgesehen, auf welchen z. B. ICE-Halb- (lV) 51 (1999) H. 3, S. 77-80. könnte z. B. über den Flughafen über die züge bereitgestellt werden können, die [4] Heller, S. und Schaer, Th.: DisKon- noch zu bauende Rohrer Kurve nach Böb- beim Schwächen eines Zuges bzw. beim Disposition und Konfliktmanagement lingen verkehren und so auch die Gäubahn Verstärken schnell abgezogen und wieder der DB AG. Eisenbahningenieur – nach Zürich an den Flughafen anschließen. zugeführt werden können. Auch könnte EI. 55 (2004) H. 9, S.686-693. Dies wurde bereits in [3] beschrieben. dort ein schadhafter Zug kurz hinterstellt [5] Das Projektmagazin Frühjahr 2002, werden, bis eine zeitlich günstige Zufahrt DB Projekt Süd GmbH. zur Abstellanlage möglich ist. Inwieweit Abstellanlage und Abstellgleise [6] Felix Berschin in: Das bessere auch für den Regionalteil des reformierten Stuttgart 21, 1996, und Klaus Arnoldi Die Abstellanlage am Rosensteinpark müsste Kopfbahnhofs solche bahnsteignahen Ab- in: Die Alternative zu Stuttgart 21, auch bei einem reformierten Kopfbahnhof stellgleise einzurichten sind, müsste noch 2000, beide erschienen bei Umkehr nach Untertürkheim verlegt werden, wenn im Rahmen einer Detailplanung geprüft Stuttgart. der reformierte Kopfbahnhof seine volle werden.

Weitere technische Der reformierte Kopfbahnhof Erläuterungen zu diesem Plan finden Sie im Internet: www.der-fahrgast.de>aktuell Der hier gezeigte Systemplan eines Hoch- leistungs-Kopfbahnhofs berücksichtigt die in Stuttgart gegebenen topografischen Verhältnisse. Der Bahnhof besteht aus: ● dem S-Bahn-Teil (Gleise 1 und 2, links), ● dem Regionalbahnteil (Gleise 3-9, Mitte), ● dem Fernbahnteil (Gleise 10-16, rechts). Regionalbahn- und Fernbahnteil sind iden- tisch, aber spiegelbildlich zueinander an- geordnet. Jede Gleisgruppe besteht aus drei Gleisen. Das Gleis für die Einfahrt wird früh geteilt, das Gleis für die Ausfahrt liegt sind vor den Bahnsteigen möglich. Für Kor- dazwischen. Dadurch wird die Zugfolge respondenzen von Linien (z. B. Karlsruhe – bei der Einfahrt beschleunigt, außerdem Nürnberg und Mannheim – München) steht blockiert ein Zug, der auf einen freien jeweils ein Gleispaar (also insgesamt vier Bahnsteig warten muss, nicht die Einfahrt Gruppen) zur Verfügung: Gleise 3/4, 7/8, für nachfolgende Züge. Die Ausfahrt ist von 11/12, 15/16. Das dritte Gleis kann bevorzugt jedem Gleis behinderungsfrei möglich. Ein mit Zügen belegt werden, die ohne Korres- viertes Gleis (Gleise 6 und 13) liegt jeweils pondenz mit kurzem Halt weiterfahren sollen. zwischen den Gleisgruppen und ermög- Das kurz gehaltene Weichenfeld (nur etwas licht ein Wenden von Zügen in die gleiche mehr als 200 m Länge) liegt noch im geraden Richtung (Bahnsteigwende) und entspre- Abschnitt vor den Bahnsteigen. chende Verbindungen (z. B. Zürich – Würz- burg). Die Gäubahn fädelt in zwei Ebenen Zeichnung ist nicht maßstäblich. Platzverhält- Zeichnung: Jung Zeichnung: ein und erreicht damit kreuzungsfrei alle nisse, Radien und Steigungen wurden jedoch Bahnhofsgleise. Zusätzliche Abstellgleise mit der Örtlichkeit abgeglichen und berechnet.

derFahrgast · 1/2005 27 Kopfbahnhof statt Kostenfalle

INFORMATIONWeichen und Überwerfungen im Detail

in die Überwerfung von einem Einfahrtgleis mit 80 km/h durch- fahren werden können. Eine Weichenverbindung für 50 km/h (1:9, Übergangsbögen 7,5 m, Radius 300 m) zwischen zwei Gleisen mit 4,5 m Gleisabstand beansprucht 81 m. Eine Wei- chenverbindung zwischen zwei Gleisen mit einem Gleisab- stand von 13,5 m (entspricht einem dazwischen liegenden Bahnsteig) benötigt bei einer Wendetangente von 11,4 ° eine Länge von 135 m, eine Gleisverbindung über drei Gleise eine Länge von 176 m.

Der Längenbedarf für Übergangsbögen beträgt in allen drei Fällen im Weichenbereich vor den Bahnsteigen (4,5 m; 13,5 m und 18 m Gleisabstand) für die 300-m-Radien für 50 km/h jeweils nur 7,5 m, wenn die zeitliche Änderung der Zentrifugal- er wichtige Effekt der Entwirrung der Gleise findet durch beschleunigung, der „Ruck auf der Weiche“, auf 1,2 m/s2 einen Knoten in drei Ebenen statt, und zwar sowohl im begrenzt bleiben soll. Ohne Übergangsbögen bei Gegenkurven D Bereich der Einmündung der Gäubahn wie im Bereich, müsste ohnehin ein gerades Gleisstück von 7,5 m Länge ein- in dem sich die Gleise aus Richtung Feuerbach und Bad gefügt werden. So kommt es, dass Übergangsbögen an bei- Cannstatt treffen. den Enden der Bögen nur jeweils 7,5 m Länge im Raum bean- Diese drei Ebenen werden schon heute genutzt, eine davon spruchen (Beispiel: 73,5 m + 7,5 m = 81 m). jeweils von der S-Bahn. Die S-Bahn kann – entsprechend Beim Transrapid [2] wird in Weichenbereichen ein Ruck von 1,0 der auch jetzt verfolgten Planung – zusammen mit dem Bau bis 2,0 m/s2 zugelassen. Damit ist der obige Wert von 1,2 m/s3 einer Station Mittnachtstraße verlegt werden, indem sie einen ein guter Kompromiss. Der Komfortwert beträgt 0,5 m/s3, das neuen Tunnel unter dem Rosenstein und eine neue Neckar- 2,4fache des obigen Wertes. Dann würde man für den Wei- brücke nach Bad Cannstatt erhält. Verzichtet man auf diese chenbereich vor den Bahnsteigen sehr viel mehr Platz benö- teure Variante, so ist es auch möglich, die S-Bahn am östlichen tigen oder bei gleicher Längenausdehnung der Weichenverbin- Rand der heutigen Abstellanlage zu verschwenken, um Platz dung nur mit 40 km/h im 190-m-Bogen fahren dürfen. für die notwendigen Überwerfungen zu schaffen. Für die Steigungen und Gefälle steht mit jeweils mindestens Diese Gleisverbindungen sind zwischen einem 400 m langen 600 m ausreichend Raum zur Verfügung, sodass die bei der Bahnsteig und der Unterführung Wolframstraße auch im Gleis- S-Bahn angewendete Steigung von 40 ‰ nicht erreicht wird. vorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs unterzubringen und Ein Steigungsmaß von 28 ‰ genügt (diese Steigung ist auch für sichern eine komfortable und schnelle Ein- und Ausfahrt. Zu die Neubaustrecke zum Flughafen hinauf vorgesehen, wie in beachten ist, dass in der Regel entweder bei der Einfahrt oder der Ausstellung im Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs dar- bei der Ausfahrt die noch schnelleren geradeaus führenden gestellt wird). Als vertikaler Ausrundungsradius beim Neigungs- Gleise genutzt werden können, allerdings zwingt der 23°- wechsel werden 2.000 m angesetzt; eine Höhendifferenz von Bogen zu einer verminderten Geschwindigkeit, und für lange 7,2 m im Scheitel der Überwerfung wird als ausreichend Übergangsbögen in eine Überhöhung fehlt hier der Platz. angenommen. Damit errechnet sich ein vertikaler Bogen von Ob die Abstellanlage Rosenstein erhalten bleiben kann, ist 56 m Länge, ein gerades Rampenstück mit 28 ‰ Steigung von fraglich. Zwei Gleisverbindungen bleiben vor der Abstellanlage 201 m Länge und ein vertikaler Gegenbogen von ebenfalls 56 m in der Ebene 0: Das Einfahrtgleis aus Richtung Feuerbach Länge. So ergibt sich eine Mindestlänge der Überwerfungs- und das Einfahrtgleis in den Fernbahnteil aus Richtung Bad rampe von 313 m Länge – tatsächlich steht aber die doppelte Cannstatt. Ein Anschluss der Gegenrichtung ist nur mit steilen Strecke zur Verfügung, sodass die zusätzliche Bewältigung Rampen möglich oder unter Verzicht auf die volle Leistungs- der bereits im Gelände vorhandenen Steigungen und Gefälle fähigkeit des Kopfbahnhofs. Es ist daher zu überlegen, ob nicht keine Probleme aufwirft. Die Gesamtlänge der Überwerfungs- ganz auf eine Bahnhofsnahe Abstellanlage verzichtet werden gleise reicht aus für eine Zuglänge von 420 m (15-Wagen-Zug soll. Denn ein weiteres Stück des Rosensteinparks für eine mit Lokomotive) und einen zusätzlichen Durchrutschweg von komplette Abstellanlage zu opfern käme doch dem Verkauf von 200 m, sodass ein Zug, der kein freies Bahnsteiggleis oder Tafelsilber gleich. keine freie Ausfahrt vorfindet, in diesem Bereich zum Halten kommen kann, ohne die Weichen zu blockieren. Während die Weichen vor den Bahnsteigen mit 50 km/h durchfahren werden können, sollte die Weiche zur Einfahrt

26 derFahrgast · 1/2005 Kopfbahnhof statt Kostenfalle

84 statt 52 Züge je Stunde: Viel mehr Leistung für weniger Geld – der reformierte Kopfbahnhof ist viel leistungsfähiger! Ein Exkurs über mathematische Wahrheiten

➢ Während ein Durchgangsbahnhof Stuttgart Hbf – Leistung im Vergleich mit acht Gleisen kaum die prognos- tizierten Zuwächse des Fern- und Re- Durchgangsbahnhof reformierter gionalverkehrs aufnehmen kann und Kopfbahnhof eine spätere Kapazitätserweiterung Gleise 8 16 nicht mehr möglich ist, bietet ein re- formierter Kopfbahnhof nicht nur fast Kapazität Züge je Stunde 52 Züge 84 Züge die doppelte Kapazität, sondern auch davon S-Bahnen je Stunde – 12 Züge einen ungleich flexibleren Betriebs- ablauf. Um das zu erkennen, braucht Trennung von Regional- und man nur etwas mathematisches und Fernverkehr nein ja eisenbahntechnisches Grundwissen. Bahnsteigwende – mit sehr kurzer Wendezeit möglich möglich Bahnsteigbelegungszeit – mit längerer Wendezeit nur durch Umwegfahrt ja ie Belegungsdauer von Bahnsteig- – mit Einhaltung der Taktsymmetrie nein ja gleisen besteht hauptsächlich aus fünf D Komponenten: – kreuzungsfreie Abwicklung nein ja 1. Einfahrtzeit vom Vorsignal des Einfahrt- Linien von > in alle Richtungen nur durch Umwegfahrt ja signals bis zum Halt am Bahnsteig 2. Planmäßiger Aufenthalt Stärken und Schwächen nur auf Kosten der Kapazität ja 3. Zeitpuffer für Verspätungen eines Zuges nahes Abstellen von Zugteilen bzw. Anschlusszuges oder Lokomotiven unmöglich ja 4. Räumzeit des Bahnsteiggleises Dieselfahrzeuge nein ja 5. Konflikte und Abhängigkeiten zu ande- ren Zügen Überholen nein ja Einfahrtzeit und Räumzeit hängen sehr gegenseitiger Anschluss nur auf Kosten der Kapazität ja wesentlich von der zweckmäßigen Auf- stellung der Vorsignale, Einfahrtsignale Optimierung auf integralen Takt nein ja und schließlich der Gleissperrsignale am Ende des Durchrutschweges vor den ersten Weichenzungen ab. Bei den Konflikten gangsbahnhöfen sind kürzere Haltezei- einem Radius von 760 Metern verwen- und Abhängigkeiten kommt es entschei- ten möglich. Ob sie aber für Stuttgart det, sodass ein ICE 3 mit voller Beschleu- dend auf die Gestaltung des gesamten sinnvoll sind, ist eher zweifelhaft, da hier nigung ausfahren kann. Am Ende des Bahnhofs und seiner Gleislagen an. ein starker Passagierwechsel stattfindet Bahnsteigs erreicht er dann eine Ge- Die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit und ein Personalwechsel unter Berück- schwindigkeit von 80 km/h, mit welcher eines Durchgangs- und Kopfbahnhofs lassen sichtigung der Pausenregelungen jeden- er auch die Weichenstraße durchfahren sich – bezogen auf ICE-Züge und Bahn- falls für die Hochgeschwindigkeitszüge kann. Die erreichbare Beschleunigung steige mit 420 Metern Länge – wie folgt sinnvoll ist. Gerade für diese Züge ergibt beträgt 0,63 m/s2 und sollte auch als beschreiben (siehe auch Tabelle auf S. 29): sich kein Zeitvorteil, der weit über eine Verzögerung zugrunde gelegt werden. Es ● Die Einfahrtzeiten vom Vorsignal bis Minute hinausgeht. kann auch mit 80 km/h eingefahren zum Bahnsteigende unterscheiden sich ● Der Zeitpuffer für Verspätungen ist werden, wenn der Zug am Bahnsteigende nicht grundsätzlich. In beiden Fällen soll nicht technisch bedingt und daher iden- zum Stehen kommen soll. Hätte man der Zug am Ende des Bahnsteigs zum tisch zugrunde zu legen [4]. für die Gleisanlage eines Kopfbahnhofs Stehen gekommen sein. Lediglich der bei ● Für das Räumen des Bahnsteigs bis zur genügend Platz, so könnte die Ausfahrt einem Durchgangsbahnhof vorhandene Freigabe der Fahrtrasse ist der zurück- genauso schnell erfolgen wie beim Durch- Durchrutschweg kann eine Einfahrt mit zulegende Weg entscheidend: gangsbahnhof. höherer Geschwindigkeit erlauben. Im Durchgangsbahnhof muss der Zug Die Einfahrt in den Kopfbahnhof vollzieht ● Der planmäßige Aufenthalt wird in 620 Meter zurücklegen (Bahnsteiglänge sich hingegen langsamer: Auf einem Gleis Kopfbahnhöfen mit Personalwechsel plus Durchrutschweg). In modernen mit Prellbock darf nur mit 30 km/h gefah- mit vier Minuten praktiziert. In Durch- Bahnhöfen werden Weichen 1:14 mit ren werden. Vorher muss – je nach Aus-

28 derFahrgast · 1/2005 Fahrgast-Politik legung der Weichen – schon auf 60 km/h aber drei Bahnsteiggleise liegen. Auch der durch schnellere Züge überholen zu lassen bzw. 50 km/h heruntergebremst werden. dritte und gegebenenfalls ein vierter Zug oder Züge zu stärken oder zu schwächen. Trotz dieser Behinderungen beträgt die findet noch ein freies Gleis vor. Sie müssen Jede Verzögerung der Abfahrt eines Zuges – Einfahrzeit vom günstig aufgestellten Vor- nicht warten, bis die vorher eingefahrenen ob wegen zu großen Andrangs, Polizei- signal aus nur 107 Sekunden. Züge abgefahren sind. Die Verspätungspuf- einsatzes, Unfalls oder Personalmangels – Aufgrund dieser Berechnung ergibt sich, fer blockieren nicht den ganzen Bahnhof, schlägt auf alle nachfolgenden Züge voll dass die Leistung eines Durchgangsbahn- sondern verteilen sich auf mehr Gleise und durch. Ein defekter Zug kann nicht an Ort hofs mit acht Gleisen dem eines reformier- sind daher nicht mehr spürbar. und Stelle stehen bleiben, ohne dass der ten Kopfbahnhofs mit elf bis zwölf Gleisen Während die Zufahrt zum Durchgangs- Betrieb zusammenbricht – er muss weg. entspricht. Anders ausgedrückt: Ein refor- bahnhof eine Streckenleistung von 30 Ein besonderes Handicap für Stuttgart ist, mierter Kopfbahnhof Stuttgart hätte die Zügen je Stunde erreichen kann, leisten dass im Durchgangsbahnhof eine Bahn- Kapazität eines zwölfgleisigen Durchgangs- die zwei zugehörigen Richtungsbahnsteige steigwende von Zügen nur auf Kosten der bahnhofs. unter Berücksichtigung des Verspätungs- Kapazität möglich ist und die Züge nach puffers nur zwölf Züge je Stunde. Der refor- der Wende sofort wieder abfahren müssen, Zugfolge mierte Kopfbahnhof kann die Leistung von während im Kopfbahnhof ein Wenden 30 Zügen hingegen voll aufnehmen. Das unter Beachtung der Anforderungen des ie Zugfolge ist von weiteren Um- liegt daran, dass die Zufahrt zu den Bahn- integralen Taktfahrplans möglich ist. ständen abhängig. Wesentlich wird sie steigen sich so früh trifft, dass der zweite Schon heute enden ICE-Züge aus Richtung Dvon dem Punkt bestimmt, an dem die Zug nicht auf den ersten aufläuft, sondern Mannheim hier und fahren nach kurzer Züge anhalten bzw. am langsamsten fahren. fast parallel einfährt und damit genauso Wende wieder zurück. Dafür ist im refor- Im Durchgangsbahnhof ist dies der Bahn- rasch nach dem ersten Zug am Bahnsteig mierten Kopfbahnhof ein eigenes Gleis vor- steig selbst: Die freie Strecke kann bei zum Stehen kommt, wie er auf der Strecke handen, auf dem auch eine etwas längere optimaler Ausnutzung der technischen gefolgt ist. Der Züricher Hauptbahnhof ist Standzeit möglich ist. Im Durchgangsbahn- Möglichkeiten im Zwei-Minuten-Abstand der beste Beleg dafür, dass das funktioniert. hof muss ein endender Zug zwingend in befahren werden (das wird bei der Ausfahrt die Abstellanlage gefahren werden. In die aus Zürich Hbf praktiziert). Während der Betriebsablauf gleiche Richtung zurückfahren kann er nur erste Zug von der Einfahrt bis zur Ausfahrt nach einer Stadtrundfahrt, die die Taktsym- das Gleis über 258 Sekunden belegt, kann Zugleich bietet der reformierte Kopfbahn- metrie empfindlich stört. ein 120 Sekunden später einfahrender Zug hof mit 14 Gleisen und zwei zusätzlichen Da jeder Zug sofort wieder vom Bahnsteig auf das Nachbargleis fahren, ein dritter Zug S-Bahn-Gleisen ganz andere betriebliche abfahren muss, entstehen erhebliche Schwie- kann das erste Gleis aber nicht nach 240 Möglichkeiten als ein achtgleisiger Tief- rigkeiten, ihn in den integralen Taktfahrplan Sekunden wieder belegen. Jede Verspätung bahnhof. Im achtgleisigen Tiefbahnhof zu integrieren. Beispielsweise ist die Gäubahn schlägt voll auf nachfolgende Züge durch. muss jeder Zug gleich weiterfahren. Daher zwingend darauf angewiesen, dass die Kno- Beim reformierten Kopfbahnhof stehen ist es unmöglich, ohne drastische Ver- ten bedient werden. Jeder Zug dorthin muss genauso wie beim Durchgangsbahnhof zwei minderung der Kapazität gegenseitige An- Stuttgart „just in time“ verlassen – und nicht Einfahrtgleise zur Verfügung, hinter denen schlüsse herzustellen, langsamere Züge dann, wenn gerade eine Trasse frei ist.

Belegungszeit Durchgangsbahnhof reformierter Kopfbahnhof Fazit eines Gleises Weg Zeit Weg Zeit Man mag die Detailberechnungen an der Vorm Vorsignal bis zum Halt 1647 m 92 s 1205 m 107 s einen oder anderen Stelle angreifen. Das Halt 120 s 240 s Ergebnis verändert sich aber rechnerisch Verspätungspuffer 300 s 300 s nur um Stellen hinter dem Komma. Immer bleibt das Resultat, dass die berechneten Vom Bahnsteig bis zur Freigabe 625 m 46 s 625 m 54 s Zugzahlen den Durchgangsbahnhof mit Summe Belegungszeit Gleis 558 s 701 s acht Gleisen bereits bis an die Schmerzgrenze Quotient ref. Kopfbahnhof/ auslasten, während im Kopfbahnhof immer Durchgangsbahnhof 1 : 1,26 noch Reserven zur Verfügung stehen. Immer entsprechend 8 Gleise 10,08 Gleise kommt heraus, dass ein Durchgangsbahnhof zwölf Gleise haben müsste, um die Leistung Kapazität – rechnerisch – je Richtung eines reformierten Kopfbahnhofs zu errei- Anzahl der Gleise je Richtung 4 7 (ohne S-Bahn) chen. Dass ein Ausbau des Tunnelbahnhofs Züge je Gleis und Stunde 6,45 5,13 auf zwölf Gleise weder heute noch künftig bezahlbar ist, wird auch von DB-Vertretern Kapazität je Richtung 26 36 eingeräumt: Die Kosten eines so großen Kapazität S-Bahn keine 12 unterirdischen Gewölbes mit den zugehöri- gesamter Bahnhof gen Gleisvorfeldern betrügen fast das Dop- pelte des jetzt geplanten Tiefbahnhofs. Züge je Stunde 52 84 Quotient 1 : 1,58 Dr. Volkhard Jung

derFahrgast · 1/2005 29 Kopfbahnhof statt Kostenfalle

Stuttgart 21: Faustpfand der DB gegen Wettbewerb? Von Rainer Engel

➢ Die Deutsche Bahn AG will den Land die Vergabe aller Regio- großer Gleiskapazität in nur vier Minu- Stuttgarter Hauptbahnhof auf acht nalexpress-Linien im Paket – ohne Wett- ten Entfernung zur Verfügung. Mancher Gleise reduzieren. Verkehrspolitisch bewerb. Die EU-Kommission wird die Regionalzug von Norden endet dort. Ganz bedeutet das eine gravierende Redu- Bundesregierung deswegen vor den Euro- nebenbei: Auch für gab es die Idee zierung der Kapazität und eine akute päischen Gerichtshof zitieren, mit guten eines Tiefbahnhofs, allerdings nur für die Gefährdung des Wettbewerbs auf der Erfolgsaussichten. Fernzüge. Aus Kostengründen hat man den Schiene. Ähnlich hart wird in Hamburg um die Plan aufgegeben. knappen Ressourcen auf der Verbindungs- Wird also in Stuttgart der ICE der DB ie Idee des achtgleisigen Durchgangs- bahn vom Hauptbahnhof nach Altona überhaupt halten dürfen oder bekommen bahnhofs stammt noch aus der Zeit, gekämpft. Darf der Berliner ICE nach der TGV aus , der Express aus Wien, D als es nur eine Bahn gab – die Bundes- Altona fahren oder die Nord-Ostsee-Bahn der Nachtzug nach Mailand oder der Re- bahn. Eine einzige Bahn als Monopol kann von Westerland zum Hauptbahnhof? Der gionalexpress aus Würzburg den Vorzug? ihren Betrieb nach ihren Bedingungen Kampf tobt bereits. Die neu geschaffene Man darf sich ernsthaft vorstellen, dass optimieren. Wettbewerb braucht einen ge- Trassenagentur wird Arbeit bekommen. Fernzüge demnächst in Kornwestheim hal- wissen Überschuss der Ressourcen. ten und über die Güterbahn an der Stadt Die Zeit des Monopols ist vorbei. Die vorbeifahren oder in Bad Cannstatt enden, Europäische Union verlangt den Wettbe- Wird in Stuttgart der ICE weil im Stuttgarter Tiefbahnhof kein Platz werb, den freien Zugang zum Netz, die der DB überhaupt halten dafür ist. Sonderzüge zu Großereignissen Ausschreibung des bezuschussten Regio- werden unmöglich. nalverkehrs. dürfen? Man darf sich Obendrein gefährdet der Tiefbahnhof die Das beste Beispiel, wie Engpässe den Wett- ernsthaft vorstellen, dass Wirtschaftlichkeit des Fern- und Nahver- bewerb behindern, ist die überlastete Ber- kehrs. Zahlreiche Züge wenden heute am liner Stadtbahn. Da ist kein Platz für Fernzüge demnächst in Bahnsteig: der ICE aus Zürich, der Express einen Interconnex oder den Nachtzug aus Kornwestheim halten und aus Tübingen, Würzburg, Singen und Malmö – die müssen draußen bleiben. Die Karlsruhe. Die Züge müssen in den Ab- Äste der Regionalexpress-Linien müssen über die Güterbahn an der stellbahnhof, weil der Tiefbahnhof sofort – dauernd getauscht werden, weil die Züge Stadt vorbeifahren oder in sofort! – wieder geräumt werden muss. Das nirgends Aufenthalt haben können und kostet Millionen, die der Steuerzahler zu dorthin fahren müssen, wo gerade die Bad Cannstatt enden, weil begleichen hat. Strecke frei ist. Damit rechtfertigte das im Stuttgarter Tiefbahnhof Das Verbot von Dieselzügen im Tunnel- bahnhof grenzt zusätzlich Züge aus der kein Platz dafür ist. Region aus – der Express von Stuttgart nach Sigmaringen ist dann Vergangenheit. Direkte Züge nach Friedrichshafen und In Köln sind schon alle Notventile ge- Oberstdorf müssen weiterhin in Ulm PRO BAHN öffnet. Zum Glück gibt es dort 500 Meter umgespannt werden – das sichert der DB in Ihrer Nähe lange Bahnsteige, an denen zwei bis drei Wettbewerbsvorteile. Wenn es in Mün- Regionalzüge hintereinander bereitgestellt chen ein Dieselverbot gäbe, gäbe es keinen werden können, und zusätzlich aus alter „Alex“ nach Oberstdorf. PRO BAHN hat über Zeit zwei Bahnsteige im Untergeschoss des 100 regionale und lokale Bahnhofs Deutz. Gäbe es den nicht, so Obendrein gefährdet der Organisationen. Die aktuelle wäre so manche ICE-Fahrt unmöglich. In Liste finden Sie im Internet: Frankfurt gibt es den Flughafenbahnhof Tiefbahnhof die und den Südbahnhof, ohne die so manches Wirtschaftlichkeit des >>>>>>> nicht ginge. Nicht ohne Grund will die www.pro-bahn.de DB einen Bypass an Mannheim vorbei, Fern- und Nahverkehrs. weil sie weiß, dass der Bahnhof eine Eng- stelle ist. Warum also lässt die DB „Stuttgart 21“ Der ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe nicht sterben? Weil damit die Aufträge mit seinen acht Bahnsteigkanten ist kein für die eigenen Verkehrsunternehmen ge- Gegenbeispiel. Dort gibt es – im Gegensatz sichert werden, genauso wie auf der Ber- zu Stuttgart – keine Fernzüge, die wenden, liner Stadtbahn. Solange „Stuttgart 21“ enden oder beginnen. Für die Regional- lebt, kann die DB ihre Macht in jeder Hin- züge steht der Kasseler Hauptbahnhof mit sicht ausspielen.

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