1 Bereits 1943 hatte Giedion gegenüber McLuhan be­ — klagt, dass Historiker stets nur die «großen Trends und Ideen» zitiert und dabei «die Fakten als vollkommen Sigfried Giedion nutzlose Details vernachlässigt» hätten.7 Giedion hat sei­ und die «Explorations» nen Begriff der «anonymen Geschichte» seit den späten 1920er und im Laufe der 1940er Jahre entwickelt. In Bauen­ Die anonyme Geschichte in Frankreich­ beschrieb er zum ersten Mal architektoni­ der Medien-Architektur 1 sche Formen als «anonym» und «kollektiv»: Der Historiker von Michael Darroch ­müsse auf die Bauten eines traditionellen oder kollektiven Modernismus achten, jene anonymen Konstruktionen, die nicht mit renommierten Architekten identifiziert wer­ den könnten: Fabriken, Brücken wie die Schwebefähre ­Rochefort, Industrieflächen und gewöhnliche Ladenlo­ Während seiner Lehrtätigkeit an der St. Louis University kale.8 In seinem ersten Artikel zur Mechanisierung unter­ und dem Assumption College in Windsor (Kanada) gab scheidet Giedion zwischen europäischer und amerika­ McLuhan Kurse zum Thema «Kultur und Umwelt» durch nischer Mechanisierung im späten 18. Jahrhundert: In eine «Analyse der Szenerie der Gegenwart». Hier wurden Europa sei «einfaches Handwerk» wie Bergbau, Spinnen «Werbeanzeigen, Zeitungen, Bestseller, Kriminalliteratur,­ und Weben mechanisiert worden, wodurch diese Tätigkei­ Filme» mit einem «Muster homogener und rational ge- ten gleichsam zu einem Synonym für Industrie geworden ordneter Kultur» kontrastiert,2 und in mehreren Vorle­ seien. Im Gegensatz dazu habe man in Amerika «kompli­ sungen in Windsor bezeichnete McLuhan seine Ära zum ziertes Handwerk» mechanisiert – vom Betrieb des Müllers ersten Mal als «das Zeitalter der mechanischen Braut».3 bis hin zum Beruf der Haushälterin im 20. Jahrhundert. In der ersten Konzeption von Die mechanische Braut sowie Dass dieses komplizierte Handwerk «geradezu aus dem insgesamt in McLuhans Frühwerk sind Einflüsse aus seiner amerikanischen Leben verschwunden war, hatte enormen Korrespondenz mit Sigfried Giedion (1943 – 46) ebenso Einfluss auf Gewohnheiten und Denken».9 In einem vier­ evident wie aus Giedions Raum, Zeit und Architektur.4 Darin seitigen Manuskript mit dem Titel The Study of Anonymous­ praktiziert der Schweizer Architekturhistoriker bereits sein History (1944) 10 stellte er einen eigenen Begriff der inter­ methodologisches Konzept einer «anonymen Geschich­ disziplinären Forschung auf, um «Untersuchungen­ dar­ te», die er für die Analyse von Kunst, Mechanisierung und über anzustellen, wie das Mosaik des modernen ­Lebens materieller Kultur einsetzte. In der Zeit dieser Korrespon­ entstanden ist».11 Kanonisierte Disziplinen wie Geschichte­ denz forschte Giedion für sein nächstes Buch Die Herrschaft­ und Soziologie, die «selten in irgendeiner ­Weise ver­ der Mechanisierung,5 dessen Konzept der «anonymen Ge­ knüpft» würden, könnten nur einen unvollständigen schichte» für die Explorations-Gruppe um McLuhan von Zu­gang zu unserer «modernen Lebensweise» bieten. zentralem Interesse werden sollte. Im Zeitalter der Mecha­ Histo­riker hätten lediglich ein «isoliertes Verständnis nisierung, so argumentierte Giedion, hatten technologi­ der Techniken einer bestimmten Erfindung» und böten sche Entwicklungen Denken und Fühlen voneinander ge­ ­wenige Einblicke in Phänomene, «die von primärer Bedeu­ trennt; ein Riss, der sich in der Lücke zwischen Natur- und tung für das moderne Leben sind». Im Gegensatz dazu, so Humanwissenschaften und ihren prekären Verbindungen ­Giedion, hätten die modernen Maler gezeigt, dass «die zu menschlichen Ausdrucksformen manifestiert. Giedion Dinge des täglichen Gebrauchs wie Flaschen, Rohre, Kar­ widmet sich der Demonstration dessen, «wie dringend es ten, Tapetenstücke oder gemasertes Holz, Bruchstücke ist, die anonyme Geschichte unserer Epoche zu erforschen der Gips-Dekorationen eines Cafés» einen Einblick in die und dem Einfluß der Mechanisierung auf unsere Lebens­ zeitgenössischen Vorstellungen des modernen Lebens form nachzugehen – ihrer Auswirkung auf unser Wohnen, geben. Materielle Alltagskultur sei die Grundlage dieses unsere Ernährung und unsere Möbel. Erforscht werden neuen Forschungsgebiets, all jene Gegenstände und Do­ müssen auch die Beziehungen zwischen den Methoden, kumente, die «häufig von Historikern übersehen werden, deren man sich in anderen Bereichen bedient – in der die die Erforschung dieser bescheideneren Aspekte der Kunst und dem ganzen Bereich der Visualisierung».6 Geschichte als unwichtig betrachten oder die jenseits ihrer

144 ZfM 11, 2/2014 Wahrnehmung verbleiben […], diese anonyme ­Geschichte the evening is spread out against the sky / Like a patient ist die Basis und das Fundament für alle politischen, etherized upon a table» 16), um die gegenseitige Durch­ ­soziologischen und wirtschaftlichen Ereignisse. Aber die dringung von Effekten zu demonstrieren, eine «Überlage­ ­Geschichte der Evolution unseres Alltags befindet sich rung der Perspektiven, die gleichzeitige Verwendung von außerhalb­ der Sphäre des Historikers, der seine Interes­ zwei Arten von Raum […] alle Künste und alle Sprachen sen auf die großen Entwicklungen, die großen Künstler, sind Techniken, um auf eine Situation durch eine ­andere die großen Erfinder beschränkt».12 zu blicken».17 Seine Sorge ist, dass unser «Denken der Kultur in Begriffen des Buchs» uns «unfähig macht, die Ob McLuhan mit diesem vierseitigen unveröffentlich­ Sprache der technologischen Formen zu lesen», Medien, ten Manuskript schon 1944 in Kontakt gekommen war, die eine «neue globale Landschaft» ausmachen – womit er müsste erst noch herausgefunden werden. Jedenfalls – so bereits eine Umwelt-Metapher aufruft.18 schrieb er es im Dezember 1945 aus Windsor – folge ­seine In Footprints in the Sands of Crime beschreibt McLuhan Arbeit dem Weg Giedions, und daher suchte er dessen zunächst Edgar Allan Poes Seemann in Hinab in den Unterstützung für ein Buchkonzept, dessen Ausarbeitung Maelström­ als jemanden, der «die Fähigkeit einer distan­ der späteren Gestaltung des Buchs Die mechanische Braut zierten Beobachtung» besitzt, die «zu einem wissenschaft­ zugutekam.13 McLuhan fragte, ob Giedion einen Verleger lichen Interesse an dem Verhalten des Strudels wird. Und ­kenne, der Interesse an einem etwa 200seitigen Buch das gibt ihm die Möglichkeit, zu entkommen».19 In Die ­haben könnte, das vielleicht den Titel Illiteracy Unlimited mechanische Braut nahm McLuhan wohl Giedions Wunsch tragen und Artikel wie die folgenden beinhalte: auf, «ein Buch über Poe zu sehen, in dem jeder Absatz […] zu einem ganzen Kapitel vergrößert wird, indem «neue 1. Dagwood’s America (published in Columbia Jan. 1944) ­Koordinaten» hinzugefügt werden, die das «Spektrum von 2. The Innocence of Henry Luce (analysis of Time Life Literatur» wiedergeben». Die Geschichte des Seemanns Fortune [sic]) macht Die mechanische Braut zur zentralen Metapher.20 3. Footprints in the Sands of Crime (the significance of detective fiction – coming out in the Sewanee Review) Poes Seemann rettete sich, indem er die Dynamik 4. The New York Wits (in current Kenyon Review) des Strudels studierte und sie sich zunutze machte. 5. Dale Carnegie in the American grain (essay on the In ähnlicher Weise unternimmt auch das vorliegende cynical core of YMCA ethics) Buch weniger den Versuch, gegen die beachtlichen 6. Scrutiny of Cinema Strömungs- und Druckkräfte anzukämpfen, die sich 7. The Comics as Social Barometers durch die mechanischen Einwirkungen von Presse, 8. Will we get a new Mencken? (Nachlass Giedion, gta Radio, Kino und Werbung um uns herum aufgebaut Archiv [Archiv des Instituts für Geschichte und Theorie haben. Vielmehr versucht es, den Leser in den Mittel­ der Architektur, ETH Zürich]: 43-K-1945-12-22) 14 punkt eines durch diese Kräfte in Rotation versetzten Bildes zu stellen, von wo aus er die Vorgänge be­- Diese acht Kapitel zeichnen viele der Pfade vor, die obachten kann, die gerade ablaufen und in die jeder McLuhan in Die mechanische Braut verfolgt, und sie zeigen verwickelt­ ist.21 überdies die Übergängigkeit von Giedions und McLuhans Gedankengut. McLuhan entwickelt die Vorstellung einer­ Wie Richard Cavell bemerkt, parodiert McLuhan hier den «unlimited illiteracy» in seinem ersten Beitrag für die moralistischen Ton der Werbung und ihre Techniken, ­Explorations, Nr. 1 (1953), Without Literacy, wo er be­ ­«indem er aus ihrem Inneren schreibt, und den Strudel reits auf raum-zeitliche Verflechtungen anspielt: «Wenn aus Poes Maelström-Geschichte rhetorisch verwirklicht».22 sich das siebzehnte Jahrhundert von einer visuellen, plasti-­ Im «Media-Log» der Broschüre Counterblast, erstmals 1954 schen Kultur entfernte, hin zu einer abstrakt-literarischen gedruckt und in Explorations, Nr. 4, republiziert, 23 asso­ Kultur, so scheinen wir uns heute von einer abstrakten ziiert McLuhan den «Presseschreiber» Poe mit der Ver­ Buchkultur zu entfernen, hin zu einer höchst sinnlichen, gegenwärtigung einer «Gleichzeitigkeit aller Teile einer plastisch-bildlichen Kultur».15 Hier zitiert McLuhan Eliots Komposition», woraus «die Umgangsform der Presse mit «erste Zeilen der Poesie» («Let us go then, you and I / When Earth City» besteht: «die Formel für das Verfassen sowohl

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des Kriminalromans wie auch des symbolistischen Ge­ Poetologie und Linguistik sowie Beiträge von Dichtern und dichts. Dies sind die Derivate (eine ‹low› und eine ‹high›) Schriftstellern wie E. E. Cummings und Jorge Luis ­Borges. der neuen technologischen Kultur».24 Um «einen Bericht Die Explorations wurden von Carpenter initiiert und geleitet über die neue technologische Kultur im ­Angelsächsischen und in mehrerer Hinsicht von seinen radikalen anthropo­ schreiben zu können», fährt McLuhan fort, «hat der logischen Studien arktischer Kulturen und deren Raum­ Schweizer Kulturhistoriker Sigfried Giedion das Konzept wahrnehmung gerahmt. Die ersten sechs Ausgaben wur­ der ‹anonymen Geschichte› erfunden».25 den von McLuhan, Tyrwhitt, Easterbrook und Williams mit herausgegeben. In einem Brief an Tyrwhitt vom 29. Okto­ ber 1953 erwähnt McLuhan die Idee, eine vollständige Die «Explorations»-Gruppe: Von der «anonymen Ausgabe zu widmen und eine andere ­Sigfried Geschichte» zum «akustischen Raum» Giedion, die sich hauptsächlich mit dem Wandel von Nach seinem Wechsel zur im Jahr Raum- und Zeit-Mustern befassen sollte.29 Während die 1946 baute McLuhan eine Gruppe von Intellektuellen Media-Bias-Studien von Innis für die Gruppe eindeutig von auf, die sich den Grundlagen einer interdisziplinären und hoher Relevanz waren, strukturierte Giedions Begriff der ­experimentellen Kulturwissenschaft widmete. In einem «anonymen Geschichte» – von McLuhan verfochten und Brief an Harold Innis aus dem Jahr 1951 schrieb er die von Tyrwhitt interpretiert – die formellen und informel­ Ver­dienste für die Entstehung dieses «Kommunikations­ len Diskussionen der Seminarmitglieder, wie Einträge in experiments» Sigfried Giedions Methodik zu.26 Carpenter McLuhans Tagebuch aus dem Jahr 1953 belegen. Dort er­ lernte McLuhan in den späten 1940er Jahren kennen und wähnt er einen «Hart House Library Evening» 30 der Univer­ Tyrwhitt traf ihn zum ersten Mal im November 1952 (zwei­ sität Toronto, der sich mit «anonymer Geschichte» befasst, fellos auf Drängen Giedions).27 Im Jahre 1953 – dem Jahr, «eine neue Kunst für den industrialisierten Menschen».31 in dem durch die Canadian Broadcasting Corporation in Die Sondernummern zu Innis und Giedion wurden nie Kanada das Fernsehen eingeführt wurde – hatte sich be­ verwirklicht, aber Schriften von Innis und Giedion wurden reits eine interdisziplinäre Gruppe gebildet, um Vorein­ in die Explorations aufgenommen, als sich die Zeitschrift zu stellungen (biases) von Kommunikations- und Medien­ einem Ort für Experimente in interdisziplinärem Denken technologien zu untersuchen; zu der Gruppe gehörten entwickelte. Sie brachte so diverse AutorInnen zusam­ Edmund Snow Carpenter (Anthropologie), Jaqueline men wie u. a. Gyorgy Kepes, Dorothy Lee, Fernand Léger, Tyrwhitt (Stadtplanung), Tom Easterbrook (Politikwis­ Jean Piaget, , Robert Graves, Walter Ong senschaft) und Carlton D. Williams (Psychologie). ­Diese und ­Donald Theall. McLuhan wollte, dass Giedion eine WissenschaftlerInnen bewarben sich gemeinsam für ein ­führende Rolle im Explorations-Projekt spielen sollte, und Stipendium der Ford Foundation zur Einrichtung des kul­ obwohl Giedion nie regulärer Beiträger wurde, fanden tur- und kommunikationswissenschaftlichen Seminars seine Konzepte und erkenntnistheoretischen Modelle und erhielten 42.000 Dollar, um «die sich verändernden über seine­ Kollegin und Übersetzerin Jaqueline Tyrwhitt Muster von Sprache und Verhalten in den neuen Medien Eingang in die Zeitschrift. Am 30. August 1953 schrieb der Kommunikation» zu erforschen.28 Tyrwhitt an McLuhan, dass Giedion eine Kopie des bei der Bei ihren Forschungen legte die Gruppe ein besonde­ Ford-Stiftung eingereichten Antrags erhalten habe. res Augenmerk auf die Geschichte der Mechanisierung. Sie suchten Methoden, mit denen die kulturelle und ([…] Obwohl ich eher davon ausgehe, dass er gerade­ technologische Umwelt als aktiven Raum studiert und in in den Höhlen Frankreichs und Spaniens ist, um dem die Eigenschaften und Wirkungen von Medien ana­ Material über ‹die Gemeinschaft menschlichen Er­ lysiert werden könnten, und trugen so zu den Grundlagen fahrens› zu sammeln). Nachdem ich das Programm der Medienwissenschaft bei. Die innovative Zeitschrift erhalten hatte, ging ich nach Zürich und sprach mit ­Explorations mischte Texte von DozentInnen und fortge­ ­Giedion darüber. Seine erste Aussage – mit der wir schrittenen StudentInnen jeder Disziplin: Neben psycho­ alle ja übereinstimmen würden – war, dass das Do­ logischen Studien zu Medienwirkungen auf die Wahr­ kument nicht ganz klar durchdacht sei, und dass das nehmung erschienen dort Schriften über Stadtkultur und tatsächliche Forschungsprogramm noch erarbeitet Stadtgeschichte, Artikel aus der Literaturwissenschaft, werden müsse. Dann konfrontierte er mich mit der

146 ZfM 11, 2/2014 Sigfried Giedion und die «Explorations»

Frage ‹Kommunikation von was?›. Seine eigenen Inte­ akustischen Raums aus den dialogischen Begegnungen ressen in diesem Gebiet beschränken sich auf die ‹ex­ des Seminars, als die Gruppe versuchte, die Disziplin­ pressiven Momente einer Kultur, die die innere ­Natur grenzen zu überschreiten.40 Giedions Einsichten in die des Menschen offenbaren› – mit anderen Worten: auf räumliche Dynamik von Höhlen und Pyramiden in schrift­ die emotionalen Muster unserer Zeit. Dies ist eine losen Gesellschaften passte mit den ethno-linguistischen ­große Aufgabe, und ich glaube, wir müssen zuerst Studien der Kulturanthropologin Dorothy Lee über Er­ einmal eine gemeinsame Sprache innerhalb unserer fahrungen in nicht-linearen Kulturen gut zusammen; der Gruppe etablieren.32 akustische Raum kombinierte Eliots Konzept der «auditi­ ven Vorstellungskraft» mit Moholy-Nagys Verständnis der Die Explorations-Mitglieder versuchten zunächst, in ihrer Vision in Motion (1947) als «ein Synonym für Gleichzeitig­ jeweiligen Disziplin Modelle für solche Kulturforschung zu keit und Raum-Zeit» 41 (oder, wie eines der berühmtesten finden, aber es war der Begriff des «akustischen Raums», Bilder dieses Buchs nahelegt, als ein «ear for an eye»), der letztlich ein «gemeinsames Vokabular» bot. Der erste und mit dem, was Le Corbusier als die «visuelle Akustik» Artikel über «akustischen Raum» in der Explorations, Nr. 4 der Architektur bezeichnet hatte.42 Wie Giedion in Bauen (1955), wird Carlton Williams zugeschrieben, obwohl in Frankreich bemerkt, konzentrierte sich Le Corbusier auf ­Carpenter später erzählte, dass er und McLuhan ohne die gegenseitige Durchdringung von außen und innen Rücksprache mit Williams Aspekte aus Seminardiskussi­ und «die Möglichkeit, ein Gebäude von jedem Punkt aus onen eingefügt hätten.33 Der Artikel wurde in der Antho­ zu spüren – wenn auch nicht ganz zu sehen».43 McLuhan logie Explorations in Communication 34 neu abgedruckt – un­ war außerdem inspiriert von den Schriften des Torontoer mittelbar vor Giedions Beitrag Space Conception in Prehistoric Psychologen E. A. Bott über interrelationale Sinneswahr­ Art, inklusive von Ergänzungen und Änderungen und dies­ nehmung, die dieser aus Flimmer-Fusions-Versuchen mal unter Carpenters und McLuhans Namen.35 Carpenters (­ flicker fusion tests) ableitete.44 McLuhan und Carpenter Erfahrungen bei den Aivilik etwa wurden hier und dort ein­ verfolgten diese vielen Themen in der Explorations, Nr. 8, gefügt, um Williams’ Thesen zu erweitern, und Sätze und die den Untertitel Verbi-Voco-Visual trug, eine Ode an Abschnitte des Artikels werden später in Carpenters Son­ James Joyce (der ein Bekannter Giedions war), um alle derausgabe Explorations, Nr. 9 (1959), 36 und seinem Buch diese Einflüsse zusammenzubringen.45 Eskimo Realities (1973 / 2008) wieder auftauchen.37 Während McLuhans Überzeugung, dass Giedions Studien der dieser Vorfall einige Reibungen in der Gruppe erzeugte, anonymen Geschichte einen neuen begrifflichen Rahmen demonstriert er auch den einfallsreichen und dialogisch für das Verständnis von Technologie bildeten, entfaltet fruchtbaren Betrieb des Seminars. sich über alle Seiten der Explorations. In Notes on Media as Mit der Untersuchung medialer Voreinstellungen als Art Forms behauptet McLuhan, im 20. Jahrhundert hätten einer zentralen Thematik entwickelte die Gruppe eine wir gesehen, «wie James, Pound und Eliot die verbale ­eigene Methodologie, die direkt mit Giedions «anonymer ­Kultur Europas durch ihre technologische Einwirkung auf Geschichte» in Zusammenhang gebracht werden kann. die alte Welt revolutioniert haben. Und auf der anderen Giedion fasst die Umwelt weniger als einen passiven Seite haben Le Corbusier und Giedion unsere technische Raum denn als ein dynamisches und aktives Feld auf: «Das Kultur verbalisiert. Hier, so scheint es, haben wir die ex­ natürliche Sichtfeld [ist] dynamisch […] die Raumwahr­ plizit gewordenen Mittel zur Heilung der Wunden, die die nehmung [nicht] an einen einzelnen Standpunkt gebun­ Renaissance der westlichen Kultur zugefügt hat».46 In New den».38 McLuhan und die Explorations-Forscher schätzten Media as Political Forms argumentiert er, dass Giedion «das Giedions Geschichtsauffassung, die, wie McLuhan später exakte Verfahren angegeben hat, wie der moderne Maler in Die Gutenberg-Galaxis schrieb, nicht so sehr «Ereignisket­ oder Poet sich in Gesellschaft von Wissenschaftlern ver­ ten als […] in einem Wechselspiel stehende Ereigniskonfi­ halten sollte: Übernehme ihre Entdeckungen und verän­ gurationen» betone.39 dere sie für die Zwecke der Kunst. Warum sollte man dies Während McLuhan die raum-zeitlichen Qualitäten allein den Deformationen der Industrie überlassen?».47 des Klangs mit Giedions Begriff des anonymen Lebens In Space, Time, and Poetry – einer klaren Anspielung auf verknüpfte, mitsamt seinen vielfältigen und interpe­ Space, Time, and Architecture 48 – beklagt McLuhan die ­Lücke netrierenden Relationen, entstand die Vorstellung des zwischen der nordamerikanischen offiziellen verbalen

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Ausbildung und der inoffiziellen non-verbalen: «Inoffiziell Unbewusste abgeschoben wurde, jetzt wieder in der Ima­ hat die ­Jugend spontan und enthusiastisch auf die neue gination zeitgenössischer Künstler auftaucht?».54 Explora­ technologische Umwelt reagiert. Ihre Gefühle wurden von tions Nr. 8 beantwortete Giedions Frage damit, dass «uns den neuen Maschinenformen geprägt, die selbst wieder­ die instantane Omnipräsenz elektronisch prozessierter um das Produkt der künstlerischen Vorstellungskraft in ­Information nach tausenden von Jahren schriftlicher Ver­ Mathematik und Physik sind.» 49 arbeitung menschlichen Erfahrens aus diesen uralten Während eines offiziellen Besuchs Giedions beim Mustern herausgerissen und in eine auditive Welt kata­ ­Culture and Communication Seminar im Februar 1955 sprach pultiert hat». Giedion – so die Explorations-Autoren – habe Tyrwhitt das Thema des akustischen Raums an. McLuhan die Ansicht vertreten, dass die «ewige Finsternis» der kommentierte dazu: Höhlen eine andere Raumerfahrung konstituiere, «dass die Höhlenmalereien im visuellen Raum überhaupt nicht Es handelt sich hier um eine explorative These, die es existieren […]. Die Höhlenmaler waren Menschen des vielleicht wert wäre, von anderen überprüft zu werden, auditiven Raums, die ihre Bilder in allen Dimensionen die über andere Arten von Informationen verfügen. gleichzeitig modellierten und choreografierten. Unser Jet- Der Grundüberlegung ist, dass die Rückeroberung Zeitalter wäre ihnen so leicht verständlich gewesen wie des nicht-visuellen Raums durch das Radio und me­ ­einem Eskimo­ ein Jet-Triebwerk».55 chanische Mittel uns vielleicht in einen Bewusst­ seinszustand des prä-literaten Menschen zurückver­ Zu diesem Zeitpunkt – im Jahre 1956 – wäre Giedion kaum setzt hat, von dem man annimmt, dass sein Raum zu der Aussage bereit gewesen, die Höhlenmalereien exis­ viel eher der akustische ist als der visuelle. Genau ge­ tierten nicht im visuellen Raum. Vielmehr schrieb er, diese nommen ent­wickelte sich diese Auffassung aus einer Höhlen besäßen «keinen Raum in unserem Sinne dieses ­Diskussion Ihrer jüngsten Arbeit über die Geschichte Wortes».56 Sechs Jahre später, und zwar im englischspra­ des Raums – ihrer Auffassungen über verschiedene chigen Original von Ewige Gegenwart – The Eternal Present: Grade räumlichen Bewusstseins, wie wir sie verstan­ The Beginnings of Art, revidierte er diese Aussage: «The den haben.50 ­caverns possess no visual space. In them perpetual dark­ ness reigns».57 Hier fügte er einen neuen Abschnitt mit Zu diesem Zeitpunkt zog Giedion es vor, noch nicht seine dem Titel Akustischer Raum ein: Position zu markieren, aber später nahm er eine Diskus­ sion des akustischen Raums in seinen ersten Band von Es wurde richtig beobachtet, daß außer dem optischen ­Ewige Gegenwart auf, der den Untertitel Die Entstehung der Raum – dem Raum, den das Auge umfaßt – etwas exis­ Kunst trägt und auch seinen Artikel Space Conception in tiert, das akustischer Raum genannt werden kann. Er ­Prehistoric Art aus den Explorations Nr. 6 (1956), beinhaltet.51 unterscheidet sich vom optischen Raum dadurch, daß Hier bezieht er sich ausschließlich auf Carpenter, der – wie er keine Leere hat und mit Lauten gefüllt werden kann. er schreibt – der erste war, «der die Anschauungen unse­ Das ist ein Gebiet, in dem keine Wichtigkeit auf Tast­ res Jahrhunderts herangezogen hat, um die Eskimokunst möglichkeiten oder Sichtbarmachung gelegt wird.58 zu verstehen. Dadurch konnte er […] ihre Raumkonzep­ -­ tion erfassen» .52 Giedion bemerkt, dass Le Corbusier der erste war, der von No Upside Down in Eskimo Art, das 24. und letzte «Item» akustischer Architektur sprach, und ordnet den Begriff des der Explorations Nr. 8 Verbi-Voco-Visual (1957) beginnt mit akustischen Raums Carpenters finaler, neunter Ausgabe einem Verweis auf Carpenters Arbeit zu «Raumbegriffen der Explorations zu: der Eskimo», die ohne jegliche Ausbildung die Funktion von Jet-Triebwerken begreifen können; und zwar nicht Es mag sein, daß diese Unberührbarkeit paläolithi­ analytisch durch das Auge, sondern «inklusiv, durch das scher Kunst in ihrer Beziehung zum akustischen Raum Ohr».53 Auf diese Weise greifen McLuhan und ­Carpenter steht. Die Figurationen in den Höhlen erscheinen und Giedions Frage aus den Explorations Nr. 6 auf: «Was ist verschwinden von einem Moment zum andern. Ihr es, das uns von anderen Zeiten unterscheidet? Was ist Charakter ist eher dynamisch als statisch. Sie sind wie es, das, nachdem es unterdrückt und für lange Zeit ins Töne, die kommen und gehen.59

148 ZfM 11, 2/2014 Sigfried Giedion und die «Explorations»

Dieser gemeinsame Schwerpunkt auf Raum und Zeit Carpenter und Giedion: Die «zeitlose Gegen- faszinierte Giedion von Anfang an. In Eternal Life in der wart» und die «ewige Gegenwart» Explorations, Nr. 2 61 untersuchte Carpenter das Verhältnis Edmund Carpenters scharfsinnige anthropologische For­ der Aivilik zur Zeit: «Sie haben den Sinn des Lebens im Pro­ schung über -Kulturen in der kanadischen Arktis gab blem der Zeit gesucht, und die Antwort auf beides in der Giedions Begriff des akustischen Raums (acoustic space) Natur des Menschen und der Definition des Lebens. […] sein solidestes historisches Fundament. Carpenters Erfah­ Denn Leben, sagen sie, ist wichtiger als Zeit. Es kann nicht rungen aus der Teilnahme am Leben der Aivilik in den frü­ verschwinden, denn genauso wie die Geburt ist der Tod ein hen 1950er Jahren hatte grundlegenden Einfluss auf sein Ereignis in der Zeit, und Leben steht über der Zeit. ­Dieser Verständnis des Zusammenspiels der Sinne, nicht-linearer lebendige Glaube – auch wenn er eine ­unformulierte, stil­ Muster sowie Raum-Zeit-Durchdringungen zwischen Men­- le Annahme bleibt – beschreibt das Wesen der Philosophie schen und ihrer Umwelt: der Aivilik.» 62 Trotz des missionarischen Eifers, die christ­ liche Lehre von der Auferstehung zu vermitteln, finden die Früher hatte ich gefragt, ob Platons und Aristoteles’ Aivilik darin nur eine «Bestätigung der zyklischen Reinkar­ ‹Sinneshierarchie› Gegenstücke in tribalen Gesell­ nation».63 In einem Artikel für die Zeitschrift ­Anthropologica schaften haben. Besaß jede Kultur ein einzigartiges beschreibt Carpenter diese Orientierung der Aivilik an der sensorisches Profil? Warum war das Sehen in tribaler Vergangenheit als «zeitlose Gegenwart»: 64 «Geschichte Kunst und tribalem Tanz so oft stumm? War nicht-­ und mythische Realität […] sind für die Aivilik nicht ‹Ver­ repräsentationale Kunst direkte sensorische Program­ gangenheit›. Sie sind für immer gegenwärtig und Teil allen­ mierung? ‹Akustischer Raum› bot einen Hinweis. Wenn gegenwärtigen Seins, sie verleihen all ihren Aktivitäten die ‹Grammatik› des Ohrs Raum strukturieren konnte, und all ihrer Existenz Sinn».65 Auch in seiner Studie Eskimo könnten dann andere sensorische Codes stille Musik, Poetry: Word Magic 66 in der Explorations Nr. 4 gibt Carpenter unsichtbare Kunst, bewegungslosen Tanz erklären? Beispiele für die nicht-lineare zeitliche Charakteristik der Waren die Sinne selbst primäre Medien? 60 Sprache und Kultur der Aivilik. Giedions Verständnis der Geschichte als anonym und dynamisch sowie McLuhans In Carpenters Schriften von den 1950er bis zu den 1970er Enthusiasmus für akustische Konfigurationen und ­Muster Jahren lässt sich eine allmähliche Angleichung zwischen resonierte mit Carpenters Interpretation der Poeten-­ McLuhans und Giedions Denken und seinen eigenen Sprache der Aivilik: Ansätzen zu Kultur und Technologie beobachten. Wäh­ rend sich Carpenters Arbeiten in den 1940er und frühen Ohne Rücksicht auf Chronologie erzählte er Geschich­ 1950er Jahren mit bestimmten Orten, Kunstwerken und ten in Reihenfolgen, wie er wollte. In der Regel begann Geschichten indigener Kulturen in Pennsylvania und der er sozusagen mit der Krise und wob rückwärts und kanadischen Arktis befassen, bewegt sich sein Denken aus vorwärts in der Zeit weiter, mit vielen Auslassungen der Explorations-Zeit und in der Korrespondenz mit Giedion­ und Wiederholungen, mit der stillschweigenden An­ in den späten 1950er Jahren in Richtung philosophischer nahme, dass meine Gedanken in derselben Spur wie Reflexionen über die räumliche und zeitliche Sinnes­ seine liefen und Erklärungen überflüssig waren. Die wahrnehmung der Aivilik. Carpenter und Giedion hatten außergewöhnlichsten Effekte erzeugte er dabei, indem nach Giedions Besuch des Seminars im Februar 1955 eine er Dinge zusammen erzählte, die nicht zeitlich, son­ ­ganze Reihe von Briefen ausgetauscht, und sie trafen sich dern nur in seinem Kopf zusammengehörten – Effekte, nach einem Vortrag Carpenters mit dem Titel Art and the wie sie nur einige unserer raffiniertesten Schriftsteller Aivilik Eskimos wieder, den er 1955 auf einer Konferenz der erzeugen können. Durch diese Gegenüberstellung des ­American Anthropological Association in ­Boston gehalten scheinbar Inkommensurablen verhaftete er Ohr und hatte, während Giedion in Harvard lehrte. Carpenters­ spä­ Phantasie gleichzeitig; er setzte neue Gedanken in tere Interpretation des akustischen Raums setzte einen Gang und verlieh seinen Gedichten Leben und ­Tiefe. Schwerpunkt auf die Raumwahrnehmung der Aivilik. In Leben in dem Sinne, dass er neue Muster schuf. Im früheren Artikeln hatte er ebensoviel Wert auf zeitliches Denken der Eskimo hat dieses nicht-lineare Muster be­ Bewusstsein gelegt. sonderen Wert und nicht die Sequenzialität, Kausalität

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oder der Vergleich. Tiefe hatte es in dem Sinne, dass ohne dabei eine zu stören oder zu verwischen», bei einer jedes Muster in die Vergangenheit eingearbeitet war, «simultanen Wiedergabe von Innen [sic!] und außen».72 nicht als Chronologie oder Geschichte, sondern als eine Zutat, die den Mustern Validität und Wert verlieh.67 Der gewöhnlichste Weg, um gleichzeitig Innen- und Außenseite darzustellen, ist, den Gegenstand transpa­ In Carpenters Darstellungen des «ewigen Lebens» und rent zu zeigen, seine Umrißlinie zu zeichnen und dann der «zeitlosen Gegenwart» der Aivilik fand Giedion einen das Innere einzufügen. In der primitiven Kunst nann­ Denker, dessen Verständnis von den Zusammenhängen ten die Anthropologen dies ‹Röntgenmethode›. In der zwischen prähistorischer Kunst, Gegenwartskunst und heutigen Kunst ist diese Darstellungstechnik selbst­ ­Medien sein eigenes widerspiegelte. Giedions zweibän­ verständlich geworden.73 dige Studie The Eternal Present: The Beginnings of Art (1962) und The Beginnings of Architecture (1964) 68 wurde erstmals Carpenter geht davon aus, dass die Aivilik «‹Röntgen-­ 1957 in der National Gallery of Art in Washington, D.C. Bilder› nutzen, um Objekte, die dem Auge verborgen sind, als A.W. Mellon Lectures in the Fine Arts vertrieben (bemer­ sichtbar zu machen; in sie einzudringen, um so die räum­ kenswerter Weise von Jaqueline Tyrwhitt vor der Publi­ liche Einheit der Dinge zu demonstrieren. […] Alle rele­ kation übersetzt und überarbeitet). Mit dem Untertitel vanten Elemente werden gezeigt, obwohl man sie niemals «A Contribution to Constancy and Change» kehrte Giedion in einem Moment so sehen könnte. […] Der daraus resul­ mit diesen Bänden zu den Begriffen der Transparenz und tierende Effekt vereinigt Raum und Zeit, und die ­visuelle Interpenetration von Formen zurück. «Das Geschehen des Erfahrung wird eine dynamische Erfahrung».74 In einem Heute liegt transparent über den Formationen des Ver­ aus der veröffentlichten Version herausgenommenen und gangenen. Dies zeigt sich handgreiflich in vielen Bildern, von Giedion unterstrichenen Absatz betont Carpenter, die diese Seiten begleiten».69 diese Formen «multipler Perspektive» seien «das sich be­ Im gleichen Jahr 1955, in dem er sich mit Giedion wegende Auge des Beobachters, das hierhin, dorthin und traf, begann Carpenter damit, über die Raumbegriffe dann dort drüben hin blickt, bis der Beobachter selbst der Avilik zu schreiben. Später schickte er Giedion den unbemerkt in die Szene hinein gezogen wird».75 So wie ersten Entwurf des Essays, der in der Explorations, Nr. 5 bei Tyrwhitts Reflexionen über «The Moving Eye» in den als «Space Concepts of the Aivilik Eskimos» publiziert ­Explorations Nr. 4 rekapitulieren auch Carpenters Beschrei­ wurde,70 und außerdem das Manuskript seines Aufsat­ bungen Giedions Ansatz zur Bewegung: zes Art of the Aivilik­ Eskimos. Giedion zeigte besonderes Interesse an Carpenters­ Vortragsmanuskript (dessen In der Prähistorie nimmt das Tier die entscheidende größter Teil im Space Concepts-Essay enthalten ist) und Rolle ein und beherrscht alle Darstellungen der Bewe­ annotierte Abschnitte, die sich mit seinem eigenen Ewige- gung. Die heutige Kunst wird – in bezug auf ihre Dar­ Gegenwart-Projekt überschnitten. Carpenter argumentiert, stellung der Bewegung – von zwei Seiten her genährt. Aivilik-Kunst sei dynamisch, in sich überlappenden und Die erste ist, wie im Gebrauch der Transparenz und der simultanen Formen: «Wenn Figuren überlappen, verleiht Simultaneität gesagt wurde, das Wiedererwachen von ihnen dies Transparenz, etwa wenn ein Ei in einem Vogel langvergessenen Instinkten, und, parallel damit, die oder Kind im Mutterleib dargestellt wird oder wenn zwei Erneuerung gewisser Ausdrucksmittel aus der Urzeit. Ringkämpfer mit vier ausgestreckten Armen gezeigt wer­ Die andere ist Verwendung neuer Ausdrucksmöglich­ den. Diese Transparenz bedeutet mehr als eine optische keiten, die direkt aus dem Herzen der Zeit kommen. Eigenschaft der Darstellung; sie bedeutet die simultane Diese beiden Quellen widersprechen einander in keiner Wahrnehmung verschiedener räumlicher Orte».71 Weise, sie verbinden Konstanz und Wechsel in sich.76 In Ewige Gegenwart belebte Giedion diese Vorstellungen von Transparenz und Durchdringung [i. O. deutsch] wieder Diese «neuen Ausdrucksmittel», die solche Änderungen als eine Methode, die urzeitliche Kunst und Gegenwarts­ ermöglichten, sind nach Ansicht der Explorations-Forscher kunst zusammen bringt. In jedem Zeitalter resultiere in neuen Medien zu finden. Giedion selbst bemerkte im Transparenz aus «Überlagerungen verschiedener Konfi­ Jahre 1955, dass er seine eigene Forschung in ähnlicher gurationen – Körper oder Linien –, eine über der andern, Weise entwickelt hätte:

150 ZfM 11, 2/2014 Sigfried Giedion und die «Explorations»

Dies war etwas, das ich in Die Herrschaft der Mechani­ dieses nicht-linear zu präsentieren. Auf diese Weise sierung nicht tun konnte – also mich in die komplizier­ hoffte ich, eine ‹neutrale› Show zustande zu bekom­ teren Felder begeben, wie zum Beispiel den Einfluss men – und dabei habe ich mich geirrt; wir wissen jetzt, von Film, Radio und Fernsehen auf den Menschen. Ich dass der Inhalt entgegen unseren Erwartungen im würde damit beginnen, indem ich ganz einfach zum Fernsehen genau so zuhause ist wie die nicht-lineare Patentamt ginge, um nachzusehen, was für Ideen in Präsentation.79 den Patenten schlummern, in denen sich die Erfindung des Films abzeichnet. Ich weiß es zwar nicht, aber ich Das Experiment unterstützte eindeutig Innis’ Vorstel­ bin sicher, dass man dort ziemlich interessante Dinge lungen von den spezifischen Voreinstellungen verschie­ herausfinden kann, wenn man nur an den richtigen dener Kommunikationsmedien. Dennoch unterschied Stellen nachschaut.77 sich in Carpenters Augen das Fernsehen – also das Live-­ Fernsehen der frühen 1950er Jahre – von anderen ­Medien Im Jahr 1954 begann Carpenter, sein Verständnis von durch seine Fähigkeit, die Sinne und Künste in einer Akustik und nicht-linearem Zeit-Raum auf zeitgenössische­ Form zu vereinen, die an Giedion erinnern: «Die Kame­ Medien und ihre Voreinstellungen zu übertragen. ­Eternal ras führen den Zuschauer von einer Gesamtansicht zu Life wurde in der Explorations Nr. 2 veröffentlicht – auf einer Nahaufnahme­ und wieder zurück, und erzeugen ­deren Cover die scherzhafte Schlagzeile stand: New Media­ so ein dynamisches Bild […] womit es näher an einer Changing Temporal-Spatial Orientation to Self. In der Explora­ ungekürzten Kommunikationssituation ist, als jedes an­ tions Nr. 3 78 publizierte Carpenter Certain Media Biases als dere Medium und das direkte Nehmen und Geben einer seine erste Einschätzung des ersten Medien-Experiments, dynamischen Beziehung abbildet».80 Live-Fernsehen ist das die Gruppe in den Studios der Canadian Broadcasting ein dramatisches Medium, und «nur im Drama blieb [die Corporation durchgeführt hatte (in Zusammenarbeit mit Kunst; MD] vereint».81 dem Produzenten Sydney Newman und vor dessen Karri­ Carpenter und McLuhan nannten die neuen Medien in ere bei BBC Drama und später dem National Film Board of einem gemeinsam verfassten Artikel für die Chicago Review Canada). Das Experiment versuchte, ihre zentrale ­These zu (1956) «The New Languages» und verwendeten dabei Teile überprüfen, der zufolge sich verschiedene ­Medien (Spra­ von Carpenters Text Certain Media Biases, der in verlänger­ che, Print, Radio und Fernsehen) für bestimmte Ideen­ ter Version nur unter Carpenters Namen in der Explorations und Werte besser eigneten als andere. 136 Anthropologie- Nr. 7 (1957) erschien. Auf diesen Seiten werden Innis’ Studenten wurden mit einem Vortrag von Carpenter­ mit ­Plädoyer für eine Balance zwischen Raum-Zeit-Verzerrun­ dem Titel Thinking Through Language konfrontiert, der sich gen und Giedions Aufruf für eine Wiedervereinigung der mit «linguistischen Kodifizierungen der Realität» befass­ Künste, des Denkens mit dem Fühlen, zusammengebracht. te. Vier Gruppen von jeweils dreißig Studierenden sahen Die nicht-linearen Muster von Zeitungen und Zeitschriften den Vortrag im Studio, sahen ihn am Fernseher, hörten störten letztlich das «Wissensmonopol» der Druckkul­ ihn im Radio oder lasen ihn als Manuskript, gefolgt von tur, während «Fernsehen Drama­ und Ritual am nächsten einer Prüfung über Inhalt und Verständnis. Die Ergebnis­ kommt», indem es «Kunst, Sprache,­ Gestik,­ Rhetorik und se – über die auch die New York Times berichtete – zeigten, Farbe» kombiniere und «Simultanität ­visueller und auditi­ dass Studierende, die den Vortrag im Fernsehen gese­ ver Bilder» favorisiere.82 Ihre Schlussfolgerung lautet, dass hen hatten, das meiste behielten, gefolgt von der Radio- «jeder Kommunikationskanal Realität­ unterschiedlich ko­ Gruppe, der Manuskript-Gruppe und als letztes der Stu­ difiziert und dadurch in einem überraschenden Ausmaß dio- / Hörsaal-Gruppe. Carpenter bemerkte in einem Brief den Inhalt der kommunizierten Botschaft beeinflusst», 83 an die Explorations-Mitglieder: oder wie Carpenter ausführte: «Medienunterschiede […] bedeuten, dass es nicht einfach darum geht, eine einzelne Mein Interesse waren die medialen Voreinstellungen. Idee auf verschiedene Weisen zu kommunizieren, sondern Ich war überzeugt, dass das Geheimnis des Fernsehens dass eine bestimmte Idee oder Einsicht primär – wenn seine extreme Nicht-Linearität ist, im Gegensatz zur auch nicht ausschließlich – zu einem Medium gehört und ­Linearität des Buches, sodass ich entschied, ein Thema dass diese am besten durch dieses Medium gewonnen auszuwählen, das mit Buchkultur assoziiert wird, aber oder kommuniziert werden kann».84

INSERT 151 Michael Darroch

Giedions Bedeutung für den Verlauf der intellektuellen matiken der neuen visuellen Sprachen der neuen Entwicklung der Explorations-Gruppe wird am treffendsten ­Medien herauszuarbeiten. Dabei haben Sie schon so in einem handschriftlichen Entwurf des Abschlussberichts viel für uns getan, indem Sie die Sprache des Sehens für die Ford-Foundation verdichtet: entdeckt haben.86 — Wir waren zu dem Schluss gekommen, dass Giedion Aus dem Amerikanischen von Johannes Paßmann einen idealen Ansatz für Probleme der Kommunika­ tion bot. Seine Arbeit, wie auf ihre Art auch die von Innis, ist eine Pionierleistung, weil sie verschiedene 1 Diese Forschung wurde mit Marshall McLuhan (Hg.), Bereiche zusammen bringt, indem sie Methoden der Unterstützung des Social Sciences Explorations: Studies in Culture and Aufmerksamkeit für die Sprache des Sehens lehrt, and Humanities Research Council Communication, Nr. 2, Apr. 1954, die Malerei, Technologie und Architektur innewohnt. of Canada (SSHRC) ermöglicht. 6 – 13) greift McLuhan auf Giedions Mein besonderer Dank gilt Janine Unterscheidung zwischen Europa Sein Begriff der ‹anonymen Geschichte› leistet für die Marchessault (York University) und Nordamerika zurück. In Sprache des Sehens all das, was Freud und andere für und Reto Geiser (Rice University) ­Giedions «meisterlicher Darstel­ für ihre kontinuierlichen Diskus­ lung der Mechanisierung der die Sprache der unwillkürlichen Gesten getan haben. sionen und Hinweise; den Nach­ Brotindustrie zeigte er sich ver­ Fräulein Tyrwhitt, lange eine Verbündete von Giedion lässen von Marshall McLuhan, wundert über die Tatsache, dass (und jetzt Professorin für Stadtplanung in Harvard) Edmund Carpenter und Jaqueline die europäischen Einwanderer, Tyrwhitt; Daniel Weiss und Gregor die ausgezeichnetes Brot gewöhnt war hier eine großartige Hilfe. Für sie war Innis’ verba­ Harbusch vom gta Archiv, Institut waren, in Amerika gierig nach ler Ansatz zu vielen von Giedions Interessensge­bieten für Geschichte und Theorie der Ar­ dem Ersatz-Laib [i. Orig.: «ersatz so schwierig zu meistern, wie für den Rest von uns chitektur, ETH Zürich sowie Norm loaf»; Übers. Johannes Paßmann Friesen und Richard Cavell für ihre (JP)] waren. Die Antwort liegt ­Giedions Sprache des Sehens war. Unsere Psycholo­ editorischen Kommentare. in der Tatsache, dass wir auch gen und Anthropologen begriffen die Idee sehr schnell 2 Matie Molinaro, Corinne gierig auf Ersatz-Träume [i. Orig.: und bereicherten unsere Einsichten mit visuellen McLuhan, William Toye (Hg.), «ersatz dreams»; JP], -Häuser und ­Letters of Marshall McLuhan, Toronto -Unterhaltung sind. Ist es nicht ­Daten aus ihren Welten. Es war die Schnittstelle der (Oxford Univ. Press) 1987, 157. die schiere magische Kraft der Interessen von Tyrwhitt, Carpenter und Williams, die 3 Philip Marchand, Marshall technologischen Umwelt, die uns uns in die Lage versetzte, die Natur des akustischen McLuhan: The Medium and the das Künstliche gegenüber dem Messenger, Toronto (MIT Press) Natürlichen bevorzugen lässt?» Raums zu identifizieren und zu definieren (Explora­ 1998 [1989], 116. (Ebd., 8). tions IV). Und schon dies allein hätte die Existenz des 4 Sigfried Giedion, Raum, 10 Sigfried Giedion, The Study Zeit, Architektur. Die Entstehung of Anonymous History, unver­ Seminars gerechtfertigt.85 einer neuen Tradition, Ravensburg öffentlichter Auszug, 1944, in: (Maier) 1965. Nachlass Jaqueline Tyrwhitt, Royal Am Ende des Ford-Stipendiums begannen McLuhan und 5 Originaltitel: Sigfried Giedion, Institute of British Architects, Mechanization Takes Command, New TyJ / 17 / 2, 4 Seiten. Carpenter ein «zeitgenössisches Institut» zu konzipieren, York (Oxford Univ. Press) 1948. 11 Ebd., 1. einen Vorläufer des Centre for Culture and Technology an der 6 Sigfried Giedion, Die 12 Ebd., 2. Universität von Toronto, das später McLuhans Namen ­Herrschaft der Mechanisierung, 13 Marshall McLuhan, Die 2. Aufl., Hamburg (Europ. Verl.- mechanische Braut. Volkskultur des trug. Im Dezember des Jahres 1955 schrieb McLuhan Anst.) 1994 [1982], 14, Herv. industriellen Menschen, Amsterdam an Giedion, dass sie Skizzen für das Institut entwür­ i. Orig. ­[Mechanization Takes (Verl. d. Kunst) 1996 [1951]. fen, um bei der Ford Foundation und der Rockefeller Command, vi.]. 14 Sigfried Giedion, Nachlass, 7 Marshall McLuhan Fonds, Archiv des Institut für die ­Foundation einen Antrag einzureichen, und dass sie sich National Archives of Canada, MG31, Geschichte und Theorie der dabei Giedions­ Einwilligung wünschten, «als unser be­ D156, Ottawa, Kanada, Vol. 24, ­Architektur, Besitz: 43 Sigfried ratender Kopf zu wirken», als «Director of Studies» oder File 65 (im Folgenden: MMF). ­Giedion, Eidgenössische Tech­ 8 Sigfried Giedion, Bauen nische Hochschule Zürich (im als ­«Präsident». in Frankreich, Bauen in Eisen, Folgenden: Nachlass Giedion). Da Giedion vorher angemerkt hatte, dass er in Mecha­ Bauen in Eisenbeton, Leipzig / Berlin 15 Marshall McLuhan, Culture ­(Klinkhardt & Biermann) 1928. Without Literacy, in: Explorations, nization Takes Command gerne die Medienforschung weiter 9 Sigfried Giedion, A Com­ Nr. 1, Dez. 1953, 117 – 127. verfolgt hätte, schrieb McLuhan: plicated Craft is Mechanized, in: 16 T.S. Eliot, The Love Song of J. The Technology Review, Vol. 46, Alfred Prufrock, siehe: http://www. Nr. 1, 1943, 2 – 9, hier 3. In Notes poetryfoundation.org/poetryma­ Wir möchten mit allen Bereichen des Radios, Fern- on the Media as Art Forms (Marshall gazine/browse/6/3#!/20570428, sehens und Films zusammenarbeiten, um die Gram- McLuhan, in: Edmund ­Carpenter, gesehen am 14.07.2014.

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17 McLuhan, Culture Without Anony­mous History as Metho­ dass es Carpenter war, der zitierte symbolistische Poesie. Literacy, 5 f. dology: The ­Collaborations ­Willams’ Beitrag als erster Jackie [Tyrwhitt] erwähnte die 18 Ebd., 8. of Sigfried ­Giedion, Jaqueline ­redigierte. Willams Name wurde indische Stadt Fatehpur Sikri. 19 Marshall McLuhan, ­Tyrwhitt and the Explorations von Hand durchgestrichen und Tom [Easterbrook] sah Parallelen ­Footprints in the Sands of Crime, Group 1953 – 1955, in: Andreas mit «McLuhan» ersetzt (MMF, zum mittelalterlichen Europa. in: The Sewanee Review, Vol. 54, Broeckmann,­ Gunalan Nadarajan­ MG31, D156, Vol. 72, File 1). Ich sprach über die Eskimos» Nr. 4, 1946, 617 – 634, hier 634. (Hg.), Place Studies in Art, Media, 34 Carpenter, McLuhan (Hg.), (Carpenter in: Theall, The Virtual 20 Carpenter und McLuhan Science and Technology: Historical Explorations in Communication. Marshall McLuhan, 241). ­behaupteten in ihrem gemein­ Investigations on the Sites and 35 Sigfried Giedion, Space Im Protokoll der 8. Seminarsit­ samen Artikel The New Languages, ­Migration of Knowledge, Weimar Conceptions in Prehistoric Art, zung am 24. November 1954 ist «dass T.S. Eliot gesagt hat, er (VDG) 2009, 9 – 27; Reto Geiser, in: Explorations, Nr. 6, Juli 1956, eine der ersten Diskussionen des würde ein unbelesenes Publikum Erziehung zum Sehen: Kunst­ 38 – 57. In der deutschen Überset­ akustischen Raums verzeich­ bevorzugen, da die offizielle vermittlung und Bildarbeit zung: «Die Raumkonzeption der net. Williams unterbreitet viele Form der literarischen Bildung in Sigfried Giedions Schaffen Urkunst» (Sigfried Giedion, Ewige der räumlichen und sinnlichen die jungen Menschen nicht beidseits des Atlantiks, in: Werner Gegenwart. Ein Beitrag zu Konstanz Begriffe, die McLuhan und dazu befähige, sich selbst, die Oechslin, Gregor Harbusch (Hg.), und Wechsel. Bd. 1: Die Entstehung Carpenter später aufgreifen Vergangenheit oder die Gegen­ Sigfried Giedion und die Fotografie: der Kunst, Köln (DuMont Schau­ würden: «Raum wird in der Regel wart kennenzulernen.» Edmund ­Bildinszenierungen der Moderne, berg) 1964, 390 f.). als ‹leerer Raum› […] zwischen Carpenter, Marshall McLuhan, Zürich (gta) 2010, 142 – 157; 36 Edmund Carpenter, Robert Dingen aufgefasst», aber nicht für The New Languages, in: Chicago Reto Geiser, Giedion in Between: Flaherty, Frederick Varley, Eskimo. das Kind, dessen «Erfahrung der Review, Vol. 10, Nr. 1, 1956, 46 – 52, A Study of Cultural Transfer and Text by Edmund Carpenter, Tiefe durch persönliche Bewegung hier 51. Transatlantic Exchange, 1938 – 1968, sketches and paintings by und Berührung erworben wird». 21 McLuhan, Die mechanische Dissertation, Zürich (ETH) 2010; Frederick Varley, and sketches and In diesem Raum lerne man, «wie Braut, 7. Janine Marchessault, Marshall photographs of Robert Flaherty’s man Lärm erzeugende Objekte 22 Richard Cavell, McLuhan in McLuhan: Cosmic Media, London collection of Eskimo carvings, lokalisiert […]. Wir hören gleich Space, Toronto (Univ. of Toronto (SAGE) 2005. in: Explorations, Nr. 9, Sonderaus­ gut in alle Richtungen. Raum Press) 2002, 33. 29 Jaqueline Tyrwhitt, Nach­ gabe, Toronto 1959. ist richtungslos und hat keine 23 Marshall McLuhan, Space, lass, Royal Institute of British 37 Edmund Carpenter, Eskimo klaren Grenzen. Wir können nicht Time and Poetry, in: Explorations, Architects, London (im Folgenden Realities, 2. Aufl., New York (Holt, nach Belieben unsere Ohren Nr. 4, Feb. 1955, 56 – 64, 52 – 55. JTP), TyJ\18 – 2. Rinehart and Winston) 2008 schließen». Die «Elektrisierung», 24 Marshall McLuhan, 30 Das Hart House war ein [1973]. von der Carpenter spricht, ist in Counterblast, Corte Madera, Veranstaltungsort der Universität 38 Sigfried Giedion, Ewige der anschließenden Diskussion Cal. / Hamburg (Gingko Press) Toronto für die allgemeine Gegenwart. Ein Beitrag zu Konstanz greifbar: «Carpenter las einen 2011 [1954], 11. Öffentlichkeit. und Wechsel. Bd. 2: Der Beginn Absatz von Kandinsky, der Farbe 25 Ebd., 12. 31 MMF, MG31, D156, Vol. 3, der Architektur, Köln (DuMont mit Klang verknüpfte. McLuhan 26 Molinaro u. a. (Hg.), Letters, File 11. ­Schauberg) 1965, 373. sagte, dass die Übersetzung von 1987, 223. 32 JTP, TyJ\18 – 2. 39 Marshall McLuhan, Die einem Sinn in einen anderen in 27 McLuhan schrieb Elsie 33 Edmund Carpenter, That Gutenberg-Galaxis. Das Ende des der scholastischen Philosophie McLuhan im November 1952: Not-So-Silent-Sea, in: Donald F. Buchzeitalters, Düsseldorf / Wien der Ursprung des Begriffs ‹com­ «Heute Abend haben wir Theall (Hg.), The Virtual Marshall (Econ) 1968, 293. mon sense› sei. Tyrwhitt las einen ­Jacqueline [sic] Tyrwhitt, Gast­ McLuhan, Montréal / Kingston 40 Vgl. Geiser, Giedion in Aufsatz über das ‹Moving Eye›». professorin für Stadtplanung (McGill-Queen’s Univ. Press) 2001, Between. Giedions laufende Stu­ Im Stadtkern von Fatehpur Sikri in an der School of Architecture, 241: «Zwei Artikel – einer über die dien über die Anfänge von Kunst Indien und um ihn herum könne zu Gast. Siegfried [sic] Giedion Mechanik des auditiven Raums, und Architektur – die dunklen «die Anordnung der Gebäude schrieb mir von ihr, als er mir für der andere über akustisches Innenräume der Pyramiden und nicht durch die Zentralperspektive das Buch dankte [Die mechanische ‹patterning› – hätten diplomati­ Tempel und die Unterscheidung und deren Beobachterposition Braut, MD]» (Molinaro u. a. (Hg.), scher ausfallen können. Aber wir zwischen eingeschlossenen und erklärt werden» (MMF, MG31, Letters, 1987, 233). Siehe auch brauchten Input von Carl, und uneingeschlossenen Räumen D156, Vol. 203, File 30). Tyrwhitt an McLuhan am 16. April der würde sicher nicht kommen, (encolled / unenclosed spaces) – be­ 41 Laszlo Moholy-Nagy, Vision 1968: «Er [Giedion, MD] war ohne dass nachgeholfen wird. förderte ein gemeinsames in Motion, Chicago (Theobald) der Grund, wir einander über­ »Die Fahnen der Explorations- Verständnis von auditivem oder 1947, 12. haupt kennenlernten.» (MMF: in-Communication-Anthologie akustischem Raum als ein Zusam­ 42 Vgl. Le Corbusier, Œuvre com­ MG31, D156, Vol. 39, File 59). zeigen, dass das Kapitel über menspiel der Sinne. Mit diesem plète, Bd. 5 (1946 – 1952), Zürich 28 Ford Foundation, Ford den akustischen Raum (Edmund Thema befasste sich zwar auch (Birkhäuser) 1953, 88; Christopher ­Foundation Annual Report 1953, Carpenter, Marshall­ McLuhan, die Gruppe um ­Tyrwhitt, aber Pearson, Le Corbusier and the New York, 67; vgl. Michael Acoustic Space, in: dies. (Hg.), es war der Psychologe Carl[ton] Acoustical Trope: An Investigation Darroch, Bridging Urban and Explorations in Communication. An Williams, der bemerkte, dass of Its Origins, in: The Journal of the Media Studies: Jaqueline Anthology, Boston (Beacon Press) «der uneingeschlossene Raum of Architectural Historians, Tyrwhitt and the Explorations 1960, 65 – 70) eigentlich Williams am besten als akustischer oder Vol. 56, Nr. 2, 1997, 168 – 183. Group, 1951 – 1957, in: Canadian und Carpenter hätte zugerechnet auditiver Raum betrachtet werden 43 Stephen Gardiner, Le Cor­ Journal of Communication, Vol. 33, werden sollen, was (im Gegensatz muss». Carpenter erzählte später, busier, New York (Da Capo Press) Nr. 2, 2008, 147 – 163; Michael zu anderen Darstellungen dieser wie sehr die Gruppe durch diese 1988 [1974], 54; Cavell, McLuhan Darroch, Janine ­Marchessault, Geschichte) darauf hindeutet, Idee elektrisiert wurde: «Marshall in Space, 114.

INSERT 153 Michael Darroch

44 Edward A. Bott, Studies ­«audible space», «hörbarer 80 Edmund Carpenter, Certain on Visual Flicker and Fusion. I. Raum», Anm. JP.]. Media Biases, in: Explorations, The Meaning of Fusion in Sensory 60 Giedion, zit. n. Theall, The Nr. 3, 65 – 74, hier 68. Experience, in: Canadian Journal Virtual Marshall McLuhan, 241. 81 Ebd., 70. of Psychology, Vol. 4, Nr. 4, Dez. 61 Edmund Carpenter, Eternal 82 Carpenter, McLuhan, 1950, 145 – 155. Life, in: Explorations, Nr. 2, 59 – 65. The New Languages, 46 – 52, 48 f. 45 Marshall McLuhan, Verbi- 62 Ebd., 59, 62. 83 Ebd., 49. Voco-Visual, Explorations, Nr. 8, 63 Ebd., 65. 84 Carpenter, The New Okt. 1957. 64 Edmund Carpenter, The Languages,­ 18. 46 McLuhan, Notes on the Timeless Present in the Mythology 85 MMF: MG31 D156 Vol. 203 Media as Art Forms, 10. of the Aivilik Eskimos, in: Anthro­ File 31. 47 Marshall McLuhan, New pologica, Nr. 3, 1956, 1 – 4. 86 Nachlass Giedion, 43-K- Media as Political Forms, in: Explo­ 65 Ebd., 2. 1955-12-07: 2. rations, Nr. 3, Aug. 1954, 120 – 126, 66 Edmund Carpenter, Eskimo hier 123. Poetry: Word Magic, in: Explora­ 48 Sigfried Giedion, Space, tions, Nr. 4, 101 – 11. Time and Architecture, 5. Aufl., 67 Ebd., 102 f. Cambridge, Mass. (Harvard Univ. 68 Deutschsprachige Überset­ Press) 1982 [1941]. zung: Giedion, Ewige Gegenwart: II. 49 Marshall McLuhan, Space, 69 Giedion Ewige Gegenwart: I, Time and Poetry, in: Explorations, 19. Nr. 4, 56 – 64, hier 60. 70 Edmund Carpenter, Space 50 Nachlass Giedion, 43-T- Concepts of the Aivilik Eskimos, 13-S.3. in: Explorations, Nr. 5, Juni 1955, 51 Das englischsprachige 131 – 145. Original The Eternal Present. The 71 Nachlass Giedion, 43-T- Beginnings of Art erschien in New 13-S. 3: 5. York 1962, also zwei Jahre vor der 72 Giedion, Ewige Gegenwart: I, deutschen Übersetzung. 48. 52 Giedion, Ewige Gegenwart: I, 73 Ebd., 53. 393. 74 Edmund Carpenter, Art of 53 Ebd. the Aivilik Eskimos, Vortrag vor 54 Sigfried Giedion, Space der American Anthropological Conceptions in Prehistoric Art, in: ­Association, Boston 1955, zehn­ Explorations, Nr. 6, 38 – 57, hier 47. seitiges Manuskript, in: Nachlass 55 Ebd. Giedion: 43-T-13, 3, 5 f. Nach 56 Ebd. Einreichung des ersten Bandes 57 Sigfried Giedion, The Eternal von The Eternal Present bat Giedion Present: A Contribution on Constancy Carpenter, ihm seine «hervor­ and Change: I. The Beginnings of ragenden Beispiele für Röntgen- Art, New York (Pantheon) 1962, Schnitzereien» zu senden (12. 526. In der deutschsprachigen Dezember 1959). Übersetzung aus dem Jahre 1964 75 Ebd., 7. erscheint wieder die Formulierung 76 Giedion, Ewige Gegenwart: I, von 1956: «Höhlen bilden keine 68. Räume in unserem Sinn; denn 77 Nachlass Giedion, 43-T-13 – 3. es herrscht dort ewiges Dunkel» 78 Edmund Carpenter, Certain (Giedion, Ewige Gegenwart: I, 394) Media Biases, in: Explorations, [Anm. JP]. Nr. 3, 65 – 74. 58 Giedion, Ewige Gegenwart: I, 79 JTP, TyJ\17\4. Das Experiment 394. wurde zwei Jahre später am 59 Ebd., 396. Zu Giedions ­Ryerson Institute wiederholt, lebenslanger Auseinandersetzung indem «jedem Medium erlaubt mit der Entwicklung einer Sprache wurde, seine Möglichkeiten des Sehens und Sehvermögens voll auszuspielen» (Edmund und dessen Beziehung zu den Carpenter, The New Languages, Explorations sowie zum Verhältnis in: Explorations, Nr. 7, März 1957, von Architektur und visuellem 4 – 21, 9). In dieser zweiten Runde Raum in Giedions Werk siehe schlug das Radio das Fernsehen, Geiser, Erziehung zum Sehen und aber beide «zeigten einen ent­ ­Giedion in Between. [Giedion scheidenden Vorteil gegenüber verwendet in The Eternal Present: den gelesenen und geschriebenen I., 528, statt «acoustic space» Formen» (McLuhan in ebd., 18).

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