Von Beuys bis Liebermann – Ausgewählte Werke Herbst 2020 324 Von Beuys bis Liebermann Ausgewählte Werke 3.

Dezember 2020 Dezember

– François Morellet. Los 25 . Detail. Los 37 Porzellanmanufaktur Meissen. Los 46 . Detail. Los 18

Hans Grundig. Detail. Los 10 Von Beuys bis Liebermann – Ausgewählte Werke Auktion Nr. 324 3. Dezember 2020, 18 Uhr

From Beuys to Liebermann – Selected Works Auction No. 324 3 December 2020, 6 p.m. Experten Specialists Vorbesichtigung Preview

Ausgewählte Werke

Zürich 9. und 10. November 2020 10 bis 18 Uhr Grisebach Bahnhofstrasse 14 8001 Zürich Düsseldorf 12. und 13. November 2020 10 bis 18 Uhr Grisebach Dr. Markus Krause Micaela Kapitzky Bilker Straße 4–6 +49 30 885 915 29 +49 30 885 915 32 40213 Düsseldorf [email protected] [email protected] München 16. bis 18. November 2020 10 bis 18 Uhr Grisebach Türkenstraße 104 80799 München Sämtliche Werke

Berlin 20. November bis 1. Dezember 2020 Grisebach Fasanenstraße 25, 27 und 73 10719 Berlin Diandra Donecker Sarah Miltenberger Montag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr +49 30 885 915 27 +49 30 885 915 47 Dienstag, 1. Dezember, 10 bis 15 Uhr [email protected] [email protected] sowie nach individueller Vereinbarung

Monday to Sunday 10 a.m. to 6 p.m. Tuesday, 1 December, 10 a.m. to 3 p.m. and by appointment

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Zustandsberichte Information regarding upcoming Georg Ottomeyer Condition reports previews and auctions can be found +49 30 885 915 64 [email protected] at grisebach.com [email protected]

Grisebach — Herbst 2020

1 Otto Möller Dieser „Don Quichote“ ist eine ehrgeizige Etüde in der Kunst Schmiedefeld/Thüringen 1883 – 1964 Berlin der kubistischen Komposition: Mögen urbane Strukturen oder Stillleben dem Kubismus schon vom Motiv her nahe- stehen, ist der Reiter zu Pferde eine fast unlösbare Heraus- Don Quichote I. 1921 forderung. Wer so etwas wagt, muss etwas vom Systematiker Öl auf Leinwand. 157 × 94 cm (61 ¾ × 37 in.). an sich haben. Unten rechts signiert: Otto Möller. Retuschen, Die künstlerischen Anfänge Otto Möllers liegen in der leichte Randmängel. [3548] Gerahmt. Auseinandersetzung mit dem Lehrer . Aber Provenienz schon um 1910 löst sich Möller vom Impressionsmus und Peter Hopf, Berlin / Privatsammlung, Europa erobert die Farbigkeit und Konturenhärte des Fauvismus. Früh wird die systematische Auseinandersetzung des Kunsterzie- EUR 60.000–80.000 hers mit den Errungenschaften der Pariser Moderne deutlich: USD 70,600–94,100 Möller wird ein „pictor doctus“, der genau weiß, in welchen Stationen sich die unmittelbar vorangegangene Kunstge- Ausstellung schichte der Avantgarde abgespielt hat. Nach 1918 arbeitete Ausstellung der Novembergruppe. Berlin, Kunsthand- er souverän mit den analytischen Mitteln des Kubismus. Das lung und Antiquariat Josef Altmann, 1921, (Faltblatt-) Œuvre des Malers ist klein. Denn Möller war seinem Beruf Nr. 14 („Don Quixote“) / Große Berliner Kunstausstellung nach kein freier Künstler, sondern Kunsterzieher: Hier ver- 1922. Abteilung Novembergruppe. Berlin, Landesaus- wirklichte er die reformerischen Programme der November- stellungsgebäude am Lehrter Bahnhof, 1922, Kat.- gruppe, der er angehörte. Am preußischen Zentralinstitut für Nr. 1347 (betitelt: Don Quichote II), Abb. 61 / 15 Europä- Erziehung und Unterricht erarbeitete er zusammen mit Ludwig ische Kunstausstellung. Tendenzen der zwanziger Jahre. Pallat, Philipp Franck und Bernhard Hasler die Grundzüge der Die Novembergruppe. Teil I: Die Maler. Berlin, Kunst- europaweit vorbildlichen künstlerischen Reformpädagogik. amt Wedding – Walther-Rathenau-Saal und Rathaus Viele Kunsterzieher hat er ausgebildet und sie, als sich nach Wedding, 1977, Kat.-Nr. 47 (betitelt: Don Quichote I), 1933 der Himmel über den Schulen verfinsterte, inihrer Inte- Abb. S. 107 grität zu stärken versucht. Als Hochschullehrer wirkte Möller Literatur und Abbildung nach dem Zweiten Weltkrieg an der Hochschule der bildenden Helga Kliemann: Die Novembergruppe. Berlin, Gebr. Künste in Berlin. CS Mann Verlag, 1969, S. 144 und Abb. 18 / Rudolf Pfeffer- korn: Otto Möller. Berlin, Stapp Verlag, 1974, Abb. 31 / Auktion Nr. 138: Sammlung Hopf. Berlin, Villa Grisebach Auktionen, 1.12.2006, Kat.-Nr. 1624, m. Abb.

• Der Ritter von der traurigen Gestalt als Symbolfigur einer unruhigen Zeit • Kubistisches Sinnbild in leuchtender Farbigkeit • Hauptwerk aus Otto Möllers wichtigster Schaffenszeit

Grisebach — Herbst 2020 13 12 Grisebach — Herbst 2020 15 14 N 2 Marlene Dumas / Blake Byrne – Kunstliebhaber und Pionier des amerikani- schen Fernsehens – trug in den letzten Jahren seines Lebens Bert Boogaard eine beeindruckend internationale Sammlung zeitgenössi- scher Kunst zusammen. „Catsuit – after William Morris“ stellt Kapstadt 1953 - lebt in Amsterdam / das Pendant zu „Victoria“ (Los 7) der südafrikanischen Künst- Amsterdam 1952 – lebt in Amsterdam lerin Marlene Dumas in Zusammenarbeit mit dem Niederlän- der Bert Boogaard dar. In den beiden Werken verbinden sich „Catsuit – after William Morris“. 1999 zwei unabhängige künstlerische Welten: Einerseits Boogaards Acryl und Aquarell auf Papier. 125 × 70,2 cm ornamentale Farbformen in Acryl, die er mit aufwendigen (49 ¼ × 27 ⅝ in.). Unten links mit Bleistift signiert Schablonen konstruiert; andererseits die beinahe transpa- und bezeichnet: M Dumas – woman dress – Bert rent monochromen Akt-Figuren von Dumas in Aquarell. Die Boogaard. Unten rechts betitelt und datiert: Übermalungen Boogaards erweitern die zarten Figuren von Catsuit – after William Morris, 1999. [3519] Gerahmt. Dumas um eine angedeutete Stofflichkeit, beinahe als wür- Provenienz den sie sie ankleiden. Das Zusammenspiel der beiden Ele- The Blake Byrne Collection, Paris/Los Angeles mente erzeugt zwei dynamische weibliche Figuren. Bekannt für Ihre künstlerische Zusammenarbeit wur- EUR 100.000–150.000 den Dumas und Boogaard auch durch Ihr hochpolitisches und USD 118,000–176,000 aufsehenerregendes Kunstwerk für den Altar der 2017 nach langer Renovierung eingeweihten Annenkirche in Dresden. Ausstellung Mutig hinterfragen die Künstler in ihrem Altarbild fundamen- Bert Boogaard/Marlene Dumas. Amsterdam, Galerie tale Fragen des Glaubens einerseits und andererseits, welche Paul Andriesse, 2002 Rolle Bilder dabei spielen – auf eine zeitgenössische Art und Literatur und Abbildung Weise: Es zeigt unter anderem einen schwarzen Jesus, in der Marlene Dumas. Wet Dreams. Ravensburg, Städtische Haltung des Gekreuzigten, aber befreit vom Kreuz, beinahe Galerie, 2003, Abb. S. 100/101 / Ev.-luth. Annen- schwebend, wie der Auferstandene. Die Künstler deuten Matthäus-Kirchengemeinde (Hg.): Marlene Dumas. somit Symbole und Farben um, ohne die Religiösität per se in Ein Altarbild für die Annenkirche in Dresden. Köln, Frage zu stellen. Verlag der Buchhandlung König, 2017, S. 21 Damit spannt die Arbeit einen Bogen zur persönlichen Biografie von Dumas, die selbst in der Niederländisch-refor- mierten Kirche Südafrikas getauft wurde und unweigerlich mit der Rolle der Kirche in der Apartheit konfrontiert war. SJ

Blick in die Dresdner Annenkirche auf das gemeinsame Altarbild von Marlene Dumas und Bert Boogaard

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3 Porzellanmanufaktur Die weite Welt im Kleinen, in vier zierlichen Porzellanfigu - ren. Exotik, wilde Tiere, die Vorstellungen über das Leben in Meissen, um 1750 fernen Ländern, aber auch ein hierarchisierender Blick und ein Machtanspruch verbergen sich in dieser Allegorie der vier Kontinente der Porzellanmanufaktur Meissen. So sind jeder Personifikation eines Kontinents Attribute und ein ein- Allegorien der vier Erdteile – nach dem Modell Johann heimisches Tier zugeordnet. Afrika ruht auf einem Löwen, Joachim Kaendlers (1706–1775) und Johann Friedrich trägt einen Elefantenskalp auf dem Haupt und hält Kornähren Eberleins (1696–1749). Um 1750 in ihrer Hand. Amerika reitet, gehüllt in einen Federmantel, Porzellan, farbige Aufglasurmalerei, staffiert. Höhe auf einem Krokodil, Asien in türkischer Tracht auf einem 18,5 cm (Afrika), 20,2 cm (Amerika), 18,6 cm (Asien), Kamel und die bekrönte Europa auf einem Pferd. Die Bild- 21,2 cm (Europa). (Height 7 ¼ in., 8 in., 7 ⅜ in., 6 ⅜ in., ikonografie der vier Kontinente reicht tief in die Antike zurück 8 ⅜ in.). Schwertermarke in Unterglasurblau (Afrika und bespielt die Neugier auf die Welt, ist aber immer auch und Amerika undeutlich gemarkt). [3587] Verortung eines selbst in dieser. Die etwas eigenwillige Ele- Provenienz fantenhaut erinnert beispielsweise an die Siege Alexanders Privatsammlung, Süddeutschland des Großen in Indien, und die Kornähren verweisen auf das fruchtbare Nilschwemmland, die Kornkammer Roms. Der EUR 70.000–100.000 Machtanspruch zeigt sich klar in der gekrönten, geharnisch- USD 82,400–118,000 ten und berittenen Europa, die aber auch mit den Attributen der Wissenschaften versehen ist. Vergleichsliteratur Aus dieser fantasievollen Ikonografie bediente sich Ulrich Pietsch: Die Arbeitsberichte des Meissener der wohl bekannteste Modelleur Meissens, Johann Joachim Porzellanmodelleurs Johann Joachim Kaendler Kaendler, in Mitarbeit mit Johann Friedrich Eberlein, als er 1706–1775. Leipzig, 2002, S.109 f. / Hermann Jedding: diese Gruppe entwarf und ausformte. Der Auftrag für den Meissener Porzellan des 18. Jahrhunderts in Hamburger Entwurf dieser releganten Figuren kam von keiner Geringe- Privatbesitz. Ausst.-Kat., Museum für Kunst und ren als der russischen Zarin Elisabeth Petrowna (1709–1762), Gewerbe, Hamburg 1982, Abb. 238–241 die 1745 unter anderem diese Gruppe in zwei Versionen bestellte. Die Zarin hatte kurz zuvor das umfangreiche Meis- • Seltene, komplett erhaltene Figurengruppe aus der sener Andreasservice erhalten, welches als diplomatisches Hochzeit der europäischen Porzellankunst Geschenk des sächsischen Hofes an Katharina die Große • Beispiel des beliebten Bildmotivs der vier Kontinente gedacht gewesen war, und fand großen Gefallen an dem • Exotismen und Bestien in „weißem Gold“ „weißen Gold“. So spiegelt sich in dieser grazilen Porzellangruppe nicht nur eine Vorstellung der Welt an sich, sondern auch die Einbindung solcher Porzellane in die Diplomatie als Hof- geschenke, was ihren Wert und ihre Wertschätzung unter - streicht. GO

Grisebach — Herbst 2020 19 18 Grisebach — Herbst 2020 21 20 Christoph Stölzl Expressionistischer Farbenrausch als Ornament der Verzückung – Georg Tapperts bildnerischer Tanz auf dem Vulkan

Sieben Varieté-Girls, kostümiert und geschminkt als japanische Geishas, tanzen über die kleine Bühne, die mit einem Papp-Felsen und bunten Lampions exoti- sche Stimmung evozieren soll. Rötliches Licht erwärmt die Szene, es spiegelt sich in den Gewändern, Gesichtern und in der Dekoration. Die Frauen sind anonymi- siert, sie sind nichts anderes als Rhythmus und schöner Schein. Expressionismus als Echo der nächtlichen Großstadt, als Farben- und Lichter-Rausch, als Orna- ment der Verzückung: Hier ist er auf unerhört dichte Weise in einem Meisterwerk versammelt. Geschaffen worden ist das Ölbild in den beiden Schicksalsjahren der deutschen Moderne, als zwischen dem Blauen Reiter in München und dem Herbstsalon des „Sturm“ 1912 in Berlin ein unablässiger Lichtbogen strömte. Zwi- schen 1911 und 1913 brachte sich die europäische Avantgarde auf den Begriff. Der Expressionismus machte den Sprung in die Allgemeingültigkeit eines Zeitstils. Und mitten darin war der gerade einmal dreißigjährige Georg Tappert, der wie im Rausch starkfarbige, impulsive und leidenschaftliche Bilder schuf. Die Welt der Varietés, der Revuen, der Bars und Zirkusse, der Tänzerinnen und Chansonetten erfüllte den Kopf Tapperts. Die Brücke-Gründer hatten noch 1910 von paradie- sisch-unschuldiger Nacktheit in der Natur geträumt. Jetzt entdeckte Tappert in seinen Geniejahren vor 1914 die „Schönheit des Hässlichen“ und ging vor allem in seinen Aktdarstellungen provozierende Wege. Offene Erotik, überwältigende Weiblichkeit, Feier der Sexualität in solcher Deutlichkeit finden sich in der deut- schen Avantgarde nirgendwo so deutlich wie beim jungen Tappert. 1880 in Berlin geboren, im gleichen Jahr wie und , war Tappert ähnlich wie Max Pechstein kein Bürgerskind, sondern begann seinen Weg in die Kunst mit einer Schneiderlehre. Bis 1913, als er ein staatliches Lehramt bekam, lebte er in bitterer Armut. 1906 tauchte er als Kunst- lehrer in Worpswede auf. 1910 in der Berliner Sezession ausjuriert, gründete er zusammen mit Pechstein die Neue Sezession. Tapperts Gabe der Freundschaft stellte die Verbindung zu Kandinsky und dem Blauen Reiter her. 1912 war er in der legendären Kölner Sonderbundausstellung vertreten. Seine Bilder hingen im glei- chen Raum wie jene von Franz Marc und der Brücke. Er arbeitete als Illustrator an Franz Pfempferts „Aktion“ mit und gehörte zu den Initiatoren der „Ersten Jury- freien Ausstellung“ nach dem Modell der „Independents“ in Paris. 1912 war Tappert an der zweiten Ausstellung des Blauen Reiter in München beteiligt. 1918/19 gehörte er zu den Künstlern, die sich mit Leib und Seele der Revolution und der Demokratie verschrieben. Georg Tapperts großformatige, vielfigurige Bilder von 1910–1914 würden wie Ernst Ludwig Kirchners Berliner Stra- ßenszenen zu den Inkunabeln des reifen Expressionismus gehören, wenn sie denn alle erhalten wären.

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4 Georg Tappert 1880 – Berlin – 1957

„Geisha-Revue“. 1911/13 Öl auf Leinwand. 115,5 × 105,5 cm (45 ½ × 41 ½ in.). Unten rechts signiert: Tappert. Werkverzeichnis: Wietek 134. Rückseitig das Gemälde „Zwei Akte vor Bäumen“. Um 1914 (Wietek 151). Ränder angestückt, kleine Retuschen. [3548] Gerahmt. Provenienz Galerie Nierendorf, Berlin / Privatsammlung, Schweiz / Privatsammlung, Europa

EUR 350.000–450.000 USD 412,000–529,000

Ausstellung Georg Tappert. Berlin, Galerie Nierendorf, 1963, Kat.- Nr. 22, Abb. der Rückseite S. 8 („Zwei Akte in Land- schaft [Betty]“) / Georg Tappert. Gemälde 1906–1933. Wiederentdeckung eines Expressionisten (= 70. B·A·T- Ausstellung). Hamburg, B·A·T-Haus, 1977, Kat.-Nr. 17, m. Abb. der Rückseite („Zwei Akte in Landschaft“) / Georg Tappert. Ein Berliner Expressionist 1880–1957. Berlin, Berlinische Galerie, 1980/81, Abb. der Rück- seite S. 19 („Zwei Akte vor Bäumen“) / Georg Tappert. Deutscher Expressionist. Schleswig, Stiftung Schleswig- Holsteinische Landesmuseen, Schloß Gottorf, und Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 2005, Kat.-Nr. 25 („Geisha-Revue“) und Kat.-Nr. 37 („Zwei Akte vor Bäumen“), Abb. S. 79 u. S. 80 / Berlin–Tokyo. Tokyo–Berlin. Die Kunst zweier Städte. Berlin, Neue Nationalgalerie, und Tokyo, Mori Art Museum, 2006, S. 342 (datiert „um 1911“), Abb. S. 100 (Die „Geisha- Revue“ war auch auf dem Ausstellungs-Banner repro- duziert, das an der Neuen Nationalgalerie hing.)

• Rhythmisierte Bewegung als Ausdruck groß- städtischer Dynamik • Eindrucksvolles Zeugnis des Exotismus in der Kunst vor 1914 • Inkunabel des deutschen Expressionismus

Rückseite

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5 Die Multiples von Joseph Beuys umfassen eine Vielzahl von Krefeld 1921 – 1986 Düsseldorf Objekten, Materialien und Formaten. Für Beuys sollten sie „Vehikel“ seiner Ideen und Vorstellungen sein. Er verstand sie als eine demokratische Teilhabe an seiner Kunst. „Filzanzug“. 1970 Das Multiple „Filzanzug“ (1970) ist eine weltweit be- Genähter Filzanzug. Ca. 170 × 60 cm (66 ⅞ × 23 ⅝ in.). kannte Ikone des Werks von Joseph Beuys und steht für die- In der linken Innenseite der Jacke ein Aufnäher mit ses Anliegen in herausragender Weise. Filz ist neben Fett ein weißem Stempel und der mit Filzstift eingetragenen zentrales Material im Werk. Es speichert Wärme, nach Beuys Exemplar-Nummer. Werkverzeichnis: Schellmann 26. die grundlegende Voraussetzung für kreative Prozesse. Filz ist Einer von 100 nummerierten Anzügen aus einer aber zugleich Isolator nach außen. So definiert der Künstler Gesamtauflage von 110 Exemplaren. Galerie René den „Filzanzug“ u.a. auch als „ein Zeichen für die Isolation Block, Berlin 1970. [3578] des Menschen in unserer Zeit“ (Joseph Beuys zit. nach: Carl Provenienz Haenlein (Hg.): Joseph Beuys. Eine innere Mongolei. Hannover Privatsammlung, Bayern (bei Edition Schellmann, 1990, S. 206). München, erworben) Indem der Mensch durch seine Kleidung Wärme spei- chert, kann er sich erhalten. Er vermag diese Wärme aber EUR 50.000–70.000 auch abzugeben an andere. In dieser Doppelfunktion steht USD 58,800–82,400 der „Filzanzug“ für die kreativen Möglichkeiten des Men- schen. Es liegt in dessen Hand, sich zu entscheiden, wel- chen Weg er geht. Beuys selbst hat den Anzug nur einmal getragen – in der Aktion „Action the dead mouse/Isolation Unit“ (1970) mit Terry Fox in Düsseldorf. In der Definition als Multiple ist er jedoch nicht von anderen zu benutzen. Mit der vom Künstler vorgegebenen Präsentation als Wand- objekt ließe sich der „Filzanzug“ daher als multiplizierte Verkörperung des Künstlers selbst lesen, als schwebe er gleichsam im Raum, dem Betrachter zugewandt – als Mah- nung und Zuversicht zugleich. KDP

Der Filzanzug repräsentiert beides. Er ist also einmal ein Haus, eine Höhle, die den Menschen abisoliert gegenüber allem anderen. Zum anderen ist er ein Zeichen für die Isolation des Menschen in unserer Zeit.

Joseph Beuys

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6 Rudolf Schlichter 1927 lernt Rudolf Schlichter in Berlin die Schweizer „Lebe- Calw 1890 – 1955 München dame“ Elisabeth Koehler kennen, 1929 heiraten sie. Dem damals in Bohème-Kreisen beliebten Hang zu Amerikanis- men folgend, nennt sie sich Speedy, und dieser Name passt Speedy als Madonna. 1934 nicht nur zur Rasanz, mit der sie Einfluss auf Schlichters Öl auf Leinwand. 78,2 × 56 cm (30 ¾ × 22 in.). Leben und Wirken erlangt, sondern überhaupt auf ihre Unten rechts signiert und datiert: R. Schlichter 1934. gemeinsame unruhige und wechselhafte Existenz in den Retuschen. [3631] Gerahmt. Berliner Jahren. Speedy trägt mit wechselnden Herren- Provenienz bekanntschaften gleichermaßen zu rasenden Eifersuchts- Privatsammlung, Baden-Württemberg / Privatsamm- szenen Schlichters wie in nicht geringem Maße zum gemein- lung, Sachsen-Anhalt (beim Kunsthandel Werner samen Haushaltseinkommen bei. Sie arbeitet auch beim Fischer, Berlin, erworben) Film als Schauspielerin in Nebenrollen und verkörpert gerade- zu beispielhaft die besondere Melange aus Antibürgerlich- EUR 120.000–150.000 keit, prekären Verhältnissen und aufgedrehter Lebenslust, USD 141,000–176,000 die das künstlerische Milieu im Berlin der späten 1920er- Jahre am Vorabend von Weltwirtschaftskrise und National- Ein ähnliches Werk, „Speedy als Madonna vor Schwäbischer sozialismus prägt. Alb“ (94 × 65 cm), ebenfalls von 1934, befindet sich in der Rudolf Schlichter beginnt in dieser Zeit, sich wieder Kunststiftung der Sparkasse Pforzheim-Calw. dem Katholizismus zuzuwenden, zum Schrecken seiner kom- munistisch gesinnten Künstlerfreunde. • Reizvolles Spiel mit verschiedenen Identitäten Im Bildnis seiner Frau Speedy als Madonna bedient • Untergründige Spannung zwischen psychologischem sich der Maler zwar der christlichen Ikonografie, doch der Ausdruck und ikonografischem Typus Subtext dieser Darstellung ist keineswegs religiös, sondern • Porträts von Speedy, der Frau Rudolf Schlichters, beschwört eine unterschwellige Erotik, die sich dem ein - sind sehr selten auf dem Kunstmarkt dringlichen Blick verdankt, den Schlichter diesem Antlitz verleiht. Die gekreuzten, sehnig-kraftvollen Hände unter- streichen den Eindruck, dass wir es hier nicht mit einer Dul- derin zu tun haben, und gerade die Verhüllung des Körpers betont die Stärke, die aus dem Blick spricht, der den Maler und uns festnagelt. Natürlich ist dieses Bildnis gleicherma- ßen Projektion und Ausdruck tieferer Wahrheit. Schlichter malt sich in seine Obsessionen, die er in seiner Autobiogra- fie so beschrieben hat: „[…] gerade die Hüllen, in die der weibliche Körper eingezwängt war, erregten im höchsten Maße mein sinnliches Wohlgefallen, stachelten meine Begierden“ (zit. nach: Rudolf Schlichter: Das widerspenstige Fleisch. Berlin, Edition Hentrich, 1991, S. 168). Die tiefere Wahrheit sagt, dass Speedy Schlichter zu den selbstbewussten Frauen dieser Zeit gehörte und Teil der eigentümlichen Versuchsanordnungen ihres Mannes sein konnte, ohne sich darin zu verlieren. Ein wenig erinnert diese Gemeinschaft an die von Karl und Hilde Hubbuch, die sich in überdrehten Posen fotografierten und dabei auch mit dem Verschieben von Geschlechtergrenzen spielten. Auch von George und Eva Grosz kennen wir die Lust an kol - portagehafter Inszenierung. MS

Speedy Schlichter, 1929. Foto aus: Revue des Monats, 4. Jg., Dez. 1929, Nr. 2, S. 189

Grisebach — Herbst 2020 29 28 N 7 Marlene Dumas / Bert Boogaard Kapstadt 1953 - lebt in Amsterdam / Amsterdam 1952 – lebt in Amsterdam

„Victoria“. 1998 Acryl und Aquarell auf Bütten. 124,8 × 70,2 cm (49 ⅛ × 27 ⅝ in.). Unten links mit Bleistift signiert und bezeichnet: M Dumas – woman dress – Bert Boogaard. Unten rechts betitelt und datiert: Victoria, 1998. [3519] Gerahmt. Provenienz The Blake Byrne Collection, Paris/Los Angeles

EUR 100.000–150.000 USD 118,000–176,000

Ausstellung Bert Boogaard/Marlene Dumas. Amsterdam, Galerie Paul Andriesse, 2002 Literatur und Abbildung Marlene Dumas. Wet Dreams. Ravensburg, Städtische Galerie, 2003, Abb. S. 100/101 / Ev.-luth. Annen- Matthäus-Kirchengemeinde (Hg.): Marlene Dumas. Ein Altarbild für die Annenkirche in Dresden. Köln, Verlag der Buchhandlung König, 2017, S. 21

Die angedeutete „Kleidung“ ist poetisch, sinnlich …, sie widersteht mit diskreter und distanzierter Zärtlichkeit der erotischen und verführerischen Ausstrahlung der in Dumas’ Werk zurückhaltend, aber bekennend artikulierten Weiblichkeit. Boogaards Eingriff führt den Abstraktions- prozess der Wasserfarben in das persönliche, menschliche Ausdrucksbild zurück. Es entsteht eine Art „Reigen“. Als Ganzes gesehen gleicht die kleine Serie der Übermalungen einer traumhaften Performance. Tilman Osterwold

Grisebach — Herbst 2020 31 30 N 8 Die für Ernst Barlachs bildhauerisches Schaffen entscheiden- Wedel 1870 – 1938 Rostock de Wandlung vollzog sich nach der Russlandreise des Künst- lers 1906. Die einfachen, ja primitiven Lebensbedingungen der bäuerlichen Bevölkerung, ihre symbiotische Existenz im „Der singende Mann“. 1928 Einklang mit der Natur ließen ihn zu sparsamer Gestaltung Bronze mit goldbrauner Patina. 49 × 52 × 39 cm finden. Seine Figuren sind nun von gesammelter Körperhal- (19 ¼ × 20 ½ × 15 ⅜ in.). An der Fußstütze unterhalb tung und geschlossenen Konturen bestimmt. Wenige Einzel- des rechten Fußes signiert: E. Barlach. Dort auch der heiten, ein gereckter Kopf, eine ausgestreckte Hand oder Gießerstempel: H.NOACK BERLIN. Werkverzeichnis: eine Neigung der Achse tragen den Ausdruck, auf beschrei- Laur 432. Einer von 38 posthumen Bronzegüssen bende oder gar ausschmückende Details verzichtet Barlach. (Gesamtauflage: 54 Exemplare und 3 Zinkgüsse). Den bewegten, expressiveren Skulpturen nach 1914 [3455] folgen im Œuvre wieder in sich verharrende, stille Arbeiten, Provenienz deren eindrucksvollste wohl das Güstrower Ehrenmal, ein Privatsammlung, Schweiz schwebender Engel mit den Zügen der Käthe Kollwitz, ist. Nicht weniger bekannt ist der „Singende Mann“, dessen EUR 70.000–100.000 ungewöhnliche Pose Barlach in mehreren Zeichnungen vor- USD 82,400–118,000 bereitet hat. Mit geschlossenen Augen trägt der Sitzende sein Lied vor, das linke Bein ruht angewinkelt auf dem Boden, Weitere Werke von Ernst Barlach in der Auktion Moderne während das rechte vor dem leicht zurückgebeugten Ober- Kunst am 4.12.2020, Lose 356–362 körper mit beiden Armen umfasst wird. Kleidung und Haar- tracht des Mannes sind zeitlos, ja mönchisch karg, seine • Eine der bedeutendsten Skulpturen Ernst Barlachs Züge, wenngleich von den zwei Jahrzehnte zurückliegenden • Zeitloses Sinnbild der Kontemplation Skizzen beeinflusst, ebenso idealtypisch. • Meisterhaft in der Vereinfachung der Form Oft ist der Sänger als Sinnbild der Kontemplation gese- hen worden, der Welt abhandengekommen und nur noch sei- nem Lied und der Konzentration darauf verpflichtet. Bertolt Brecht hat ihn anders verstanden. „Der singende Mann singt kühn, in freier Haltung, deutlich arbeitend an seinem Gesang. Er singt allein, hat aber anscheinend Zuhörer“ (zit. nach: Handbuch Museum Ludwig, Köln, 1979, S. 74). EO

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9 Jeanne Mammen Jeanne Mammen war bereits vierzig Jahre alt, als sie dieses 1890 – Berlin – 1976 Aquarell malte. Zu dem Zeitpunkt lagen hinter ihr: eine glückliche Kindheit, Studien in Paris, Rom und Brüssel, die Erfahrung von Flucht und bitterer Armut nach Ausbruch des „Vor der Komödie am Kudamm, nachts“. Um 1930 Ersten Weltkrieges und mehrere Hundert Gemälde und Aquarell und Bleistift auf Papier. 35,5 × 48,5 cm Zeichnungen, mit denen sie mit Künstlern wie George Grosz, (14 × 19 ⅛ in.). Oben rechts signiert: J. Mammen. Rudolf Schlichter und Otto Dix zu einer bedeutenden Chro- Werkverzeichnis: Döpping/Klünner A 353. nistin der Berliner Zwanzigerjahre avanciert war. Vor ihr lag: [3674] Gerahmt. ihre erste (!) Ausstellung in einer Galerie, und zwar in der von Provenienz Wolfgang Gurlitt. Aber das bedeutet nicht, dass sie damals Ehemals Privatsammlung, Hamburg keinen Erfolg gehabt hätte. Zeitschriften wie der „Simplicissi- mus“ in München oder der „Ulk“ des Verlegers Rudolf Mosse EUR 50.000–70.000 druckten ihre Werke ab, und auch dieses Blatt, ausgeführt in USD 58,800–82,400 Aquarell und Bleistift, war unter dem ursprünglichen Titel „Malice“ für den „Simplicissimus“ bestimmt. Ausstellung Die Szene ist typisch für Mammen, die es wie keine Jeanne Mammen – Aquarelle Paris, Brüssel vor 1915, Zweite vermochte, Nachtschwärmern und Tagedieben im Berlin 20er Jahre. Hamburg, Galerie Brockstedt, 1971, Berlin der Weimarer Republik sowohl Sympathie als auch Iro- Kat.-Nr. 39 m. Abb. / Jeanne Mammen / Hans Thie- nie entgegenzubringen, zu gleichen Teilen übrigens. Theater- mann. Berlin, Staatliche Kunsthalle, 1979, Kat.-Nr. 31 / besucher warten im Regen vor der Komödie am Kurfürsten- Jeanne Mammen – Köpfe und Szenen 1920–1933. damm. „Malice“ – die Bosheit – ist zweifellos ein Porträt, Emden, Kunsthalle, Leverkusen, Städtische Museum, doch womöglich hat Mammen damit keine einzelne Person Schloss Morsbroich, Hannover, Wilhelm-Busch-Museum gemeint, sondern die ganze hochmögende Gesellschaft. u. a. 1991/92, Kat.-Nr. 66 Junge Frauen in Mänteln mit Pelzkragen rümpfen die Stups- Literatur und Abbildung nasen und zerreißen sich das Maul, assistiert und flankiert Simplicissimus. Heft 50, 34. Jg, März 1930, Abb. S. 609 von älteren Herren mit Monokel. Auf unvergleichliche Weise (bez. „Malice“) hat es Jeanne Mammen verstanden, die Vergänglichkeit eines scheinbar bedeutungslosen Moments im großstädti- • Bilder von Jeanne Mammen wurden in Zeitschriften schen Leben festzuhalten. UC wie „Simplicissimus“ und „Ulk“ abgedruckt • Am Kurfürstendamm vergnügte sich die Berliner Gesellschaft • Das Theater als Treffpunkt von Bürgertum und Halbwelt

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10 Hans Grundig Eine junge Frau sitzt uns frontal gegenüber und schaut mit 1901 – Dresden – 1958 ernstem Blick haarscharf links an uns vorbei, so als sei sie ein wenig abwesend. Oder muss sie sich auf die nicht alltäg- liche Situation des Repräsentierens einstellen? Der Raum ist „Mädchen mit rosa Hut“. 1925 denkbar spartanisch eingerichtet: in der linken Ecke ein Öl auf Karton. 70,4 × 50 cm (27 ¾ × 19 ⅝ in.). Unten Bett, darüber eine Wanduhr, an der hinteren Wand rechts links signiert und datiert: Grundig 25. Werkverzeich- ein Bild, das der Behausung eine persönliche Note geben nis: Bernhardt G 12. Rückseitig: „Mann mit schwarzem soll. Die Frau hat sich fein gemacht, sie trägt wohl ihr bestes langen Haar“. 1925 (?). Öl. [3548] Gerahmt. Kleid und einen modischen Topfhut. Ihre stille Würde, die Provenienz der Maler in seinem einfühlsamen Bildnis präsentiert, hat Lea Grundig, Dresden / Ladengalerie, Berlin (um 1972 ihren Ursprung auch in der Vertrautheit der Dargestellten von Lea Grundig erworben) / Privatsammlung, Europa mit dem Künstler. Es handelt sich nicht um irgendein Modell, sondern um Gerda Laube, die damalige Lebensgefährtin EUR 100.000–150.000 Hans Grundigs. Drei Mal hat er sie im Jahr 1925 gemalt: in USD 118,000–176,000 einem weiteren Halbfigurenporträt (Bernhardt G 9) und als sinnliche Verführerin in dem Gemälde „Liebespaar“ (Bern- Ausstellung hardt G 13), das 1925 in der Sommerausstellung des Dresdner Hans Grundig. Ausstellung zum 70. Geburtstag. Berlin, Kunstvereins für einen Skandal sorgte. Ladengalerie, 1971, Kat.-Nr. 4 / Wem gehört die Welt. Gerda Laubes Bildnis zeigt bereits den spezifischen Kunst und Gesellschaft in der Weimarer Republik. symbolischen Realismus Grundigs, der nie den scharfen und Berlin, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Staat- polemischen Ton der sogenannten Veristen anstimmen sollte. liche Kunsthalle, 1977, S. 343, Kat.-Nr. 139, m. Abb. / Das Interieur, in dem die Porträtierte uns präsentiert wird, Kunst des 20. Jahrhunderts aus Berliner Privatbesitz. ist kein Raum, der eine realistische Wohnsituation abbildet, Berlin, Akademie der Künste, veranstaltet von der sondern die wie beiläufig angedeutete Kärglichkeit in Bezie- Interessengemeinschaft Berliner Kunsthändler, 1978, hung setzt zur Feierlichkeit der Erscheinung der Dargestellten. S. 244, Abb. S. 27 / Memento mori. Hans Grundig Eine stimmige Perspektive fehlt dieser Stube, und Gleiches 1901–1958. Ausstellung zum 80. Geburtstag. Gemälde, gilt für die Größenverhältnisse der abgebildeten Gegenstände. Zeichnungen, Radierungen, Fotos, Bücher. Berlin, Das Bett winzig, die Uhr unerreichbar und das Bild eine Remi- Ladengalerie, 1981 (Faltblatt) / Berlin – Im Schatten niszenz an das Kulturbedürfnis der Bewohnerin. Wie beim der zwanziger Jahre. Malerei und Grafik. Pfäffikon, „Schüler mit roter Mütze“ (Grisebach Auktion 319, Los 12), Seedamm-Kulturzentrum, 1992, Kat.-Nr. 74 (datiert: ebenfalls 1925 entstanden, ist eine zentralperspektivische 1929) / Getroffen. Otto Dix und die Kunst des Por- Plausibilität für Grundigs Bildfindung nicht von Belang. Der träts. Stuttgart, Kunstmuseum Stuttgart, 2008, Abb. Maler zeigt einen Menschen, den er im landläufigen Sinn S. 301 / Magic . Art in Weimar 1919– wenig vorteilhaft darstellt. Die leicht geröteten Augen, der 33. London, Tate Modern, 2018/19, S. 108, Abb. S. 56 asymmetrische Mund und die robuste Nase bilden einen Charakterkopf, der herkömmliche Repräsentationsformen Abbildung der Rückseite unter grisebach.com unterläuft. Aber er steht für ein Menschenbild, das dem Ein- zelnen eine unverwechselbare Persönlichkeit zuspricht, die • Ikone der Dresdner Neuen Sachlichkeit weder von seiner Herkunft noch seiner Stellung abhängig ist. • Eindringliches Porträt der Freundin des Künstlers MS • Eines der sehr seltenen frühen Gemälde von Hans Grundig auf dem Kunstmarkt

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11 „Der Berlin-Besucher Beckmann porträtiert sich vor einer Leipzig 1884 – 1950 New York Litfaßsäule auf dem Umschlag: Zwei Monate weilte der Künst- ler in Berlin, zeichnete die Bilder zunächst in sein Reisetage- buch, in seiner Heimat am ließ er sie auf Stein „Berliner Reise“. 1922 umdrucken. Ein Porträt Berlins als „corrumpiertes und tem- Orig.-Halbleinenmappe mit 10 Lithografien, jeweils peramentloses Nest“ – so Beckmann – entstand Anfang der auf Velin, und eine Lithografie auf dem Mappen- 1920er-Jahre: Die reiche Gesellschaft übt sich im Karten- deckel. Mappe: 70 × 56 cm (27 ½ × 22 in.). Jedes Blatt spiel, amüsiert sich im Theater oder gibt sich gepflegt der signiert. Werkverzeichnis: Hofmaier 212-222. Jeweils Langeweile hin, während draußen auf der Straße die Armen einer von 100 Abzügen. I.B. Neumann, Berlin 1922. betteln müssen. Beckmann entwirft als kritischer Beobach- Die Mappe mit Gebrauchsspuren, die Blätter teilweise ter ein Panorama der Stadt mit desillusionierten Menschen in mit kleinen Randmängeln. [3626] klaustrophobischen, dichten Bildern“ (zit. nach einer Presse- mitteilung der Kulturstiftung der Länder zu einer Neuerwer- EUR 50.000–70.000 bung für die Berlinische Galerie, Oktober 2013). USD 58,800–82,400

Die Mappe enthält die Lithografien:

· „Im Hotel“ · „Die Enttäuschten I“ · „Nacht“ · „Nackttanz“ · „Schlittschuhläufer“ · „Die Enttäuschten II“ · „Der Bettler“ · „Das Theaterfoyer“ · „Kaschemme“ · „Der Schornsteinfeger“

Grisebach — Herbst 2020 39 38 Gloria Köpnick Lichtdurchflutete Idylle für Flaneure – ein impressionistisches Sonntagsvergnügen im preußischen Berlin

Es ist ein sommerlicher Tag. Die Bäume tragen üppiges Blattwerk, durch das die Sonne hindurchscheint und changierende Lichtflecken auf die Straße wirft. Die Berliner haben sich aufgemacht zu einer sonntäglichen Landpartie an den Wann - see und flanieren nun durch die Große Seestraße in der 1863 gegründeten, süd- westlich zwischen Berlin und Potsdam gelegenen großbürgerlichen Kolonie Alsen. Rechts und links drängen sich auf den Bürgersteigen die Spaziergänger, unter ihnen auch größere und kleinere Kinder, wie das mit einer roten Kopfbedeckung behütete Mädchen am linken Bildrand. Eine elegant gekleidete Dame mit gelber Jacke, passendem Hut und weißem Rock im Bildvordergrund wird von zwei Jun- gen begleitet, die den Betrachter in der Manier der Rückenfigur in das Bildge- schehen einladen. Offenbar blieb der Maler nicht unbemerkt, wie der sich im Weggehen umsehende Junge vermuten lässt. Aus der Gegenrichtung nähert sich ein offener Zweispänner – das hektisch-technoide Zeitalter des Automobils scheint in der Idylle dieses Sommertags noch nicht angekommen zu sein. Bereits 1909 hatte den Kaufvertrag über das Seegrund- stück Große Seestraße 24 (ab 1933: Am Großen Wannsee 42; heute: Colomier- straße 3) unterzeichnet und für eine stattliche Summe von 145.000 Reichsmark eines der letzten unbebauten Grundstücke erworben. Bei der Planung des Gar - tens hatte der Künstler in Alfred Lichtwark, dem Direktor der Hamburger Kunst - halle, einen kongenialen Partner gefunden und von ihm ein farbenprächtiges Refugium gestalten lassen. Villa und Garten wurden Liebermann, der über viele Jahre Sommerfrische und Erholung an der holländischen Küste gefunden hatte, ab etwa 1915 zum jährlichen Sommersitz. Ab Mai lebte die Familie Liebermann dann in ihrem „Schloss am See“, wie Liebermann seine Villa getauft hatte. Erst wenn die Tage im September, Oktober kürzer und kälter wurden, siedelte die Familie zurück ins Stadtpalais am Pariser Platz. Vermehrt widmete sich der Künstler seinem Seegrundstück ab 1918 als Bildsujet, wobei er immer neue Perspektiven und Details des abwechslungsreich gestalteten Gartens schilderte, die sich über die Jahre hin zu umfangreichen Motivgruppen entwickelten. Die Wochenenden mit den flanierenden Spaziergängern boten somit eine angenehme Abwechslung zur Motivsuche in der floralen Pracht des Gartens – und das ohne in die Hektik der Großstadt zurückkehren zu müssen. Ähnliche Arbeiten finden sich zu Beginn der 1920er-Jahre vermehrt im Werk. Unser impressionistisches Meisterwerk wurde im Rahmen einer großen Liebermann-Ausstellung in der Züricher Galerie von Toni Aktuaryus präsentiert. An den Schweizer Kunsthistoriker Gotthard Jedlicka, der als Berater der Galerie tätig war und Liebermann in seinem Garten besucht hatte, schrieb der Maler im August 1932: „Sie wissen vielleicht, daß Herr Aktuaryus eine Ausstellung meiner letzten Bilder (richtiger meiner neuesten) veranstaltet u ich bin begierig was Sie u die Züricher dazu sagen werden“ (Max Liebermann an Gotthard Jedlicka, Post- karte v. 31. August 1932, zit. nach: Ernst Braun (Hg.): Max Liebermann. Briefe, Bd. 8: 1927-1935, Baden-Baden, Deutscher Wissenschafts-Verlag, 2019, Brief Nr. 618). Jedlickas Begeisterung für Liebermanns Werk zeigt sich nicht zuletzt in den von ihm veröffentlichten „Begegnungen mit Künstlern der Gegenwart“, wo er lebhaft von dem Besuch beim Meister des deutschen Impressionismus berichtete.

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12 Max Liebermann 1847 – Berlin – 1935

„Die Große Seestrasse in Wannsee mit Spaziergängern“. 1920 (?) Öl auf Leinwand. 60 × 72,5 cm (23 ⅝ × 28 ½ in.). Unten links signiert: M Liebermann. Auf dem Keilrahmen und auf dem Spannrand der Leinwand ein Schweizer Zollstempel. Werkverzeichnis: Eberle 1920/15. [3398] Gerahmt. Provenienz Bruno Cassirer, Berlin (um 1933) (?) / Privatsammlung, Schweiz (1933) / Galerie Benador, Bern (1934) / M. Metzger, Bern (1934) / Privatsammlung, Rheinland (1996) / Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen / Privatsammlung, Süddeutschland

EUR 400.000–600.000 USD 471,000–706,000

Ausstellung Max Liebermann. Zürich, Galerie Aktuaryus, 1933, Kat.-Nr. 13 („Tiergartenallee, 1913“) (?) Literatur und Abbildung Galerie und Sammler. Zürich, Galerie Aktuaryus, 1933, H. 9/10, Abb. S. 158 /Ausst.-Kat.: Max Liebermann in Wannsee. Glanz und Untergang einer Lebenswelt. Berlin, Galerie Mutter Fourage, 1997, Abb. S. 29 (nicht ausgestellt) / Katalog 140: Max Liebermann. Düssel- dorf, Galerie Ludorff, 2012, S. 78, Abb. S. 79 / Margreet Nouwen: Sonntag am Wannsee. Die späten Garten- lokale. In: Ausst.-Kat.: Biergärten und Caféterrassen. Von ländlicher Wirtschaft zur bürgerlichen Sommer- frische. Berlin, Liebermann-Villa am Wannsee, 2016, S. 77-85, hier S. 79, m. Abb. (nicht ausgestellt) 43 Wir danken Margreet Nouwen, Berlin, für Hinweise zur Literatur.

• Meisterwerk des Impressionismus • Zeigt die Idylle eines Sommertages am Berliner Wannsee • Die Darstellungen der Großen Seestraße in Wannsee gehören zu den besonders begehrten Werken des Künstlers

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13 Ludwig Meidner Die italienischen Futuristen gaben Ludwig Meidner einen ent- Bernstadt 1884 – 1966 scheidenden Impuls, der die Bildsprache des Malers und Grafikers fortan prägen sollte. In zwei Ausstellungen in Her- warth Waldens Galerie „Der Sturm“, 1912 und 1914, wurden Zerstörung einer Stadt. 1914/15 die Ideen der Futuristen in Deutschland bekannt. Die gleich- Rohrfeder und Tusche über Bleistift auf zeitige Darstellung zeitlich versetzter Geschehnisse, jähe Papier. 36,3 × 47 cm (14 ¼ × 18 ½ in.). Perspektivwechsel und eine Vielzahl an Bildmotiven sollten Unten signiert und datiert: Ludwig Meidner der Geschwindigkeit und dem Leben in der Großstadt Rech- Dezember 1914 Januar 1915. [3066] Gerahmt. nung tragen. Meidners Thema war die Stadt. Er lebte mehrere Provenienz Jahre in größter Not in Berlin. Dies sollte seine Sicht dauer- Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen (vom haft prägen: Die Großstadt war für ihn kaum Verheißung, Künstler erworben, seitdem in Familienbesitz) sondern vielmehr ein Ort des Unbehagens und der Verzweif- lung. Seine „apokalyptischen Landschaften“ zeugen davon. In EUR 35.000–45.000 der Rückschau wirken sie zugleich wie eine Vorhersehung der USD 41,200–52,900 Zerstörungen im Ersten Weltkrieg. Schon zu Beginn des Krieges führen Frontnachrichten, Ausstellung Briefe von Freunden und seine künstlerische Fantasie zur Ludwig Meidner. Recklinghausen, Kunsthalle; Realisierung der Mappe „Der Krieg“. Meidner selbst wird erst Berlin, Haus am Waldsee; Darmstadt, Kunst- 1916 zum Militärdienst eingezogen. Unser Blatt ist ein Werk halle, 1963/64, Kat.-Nr. 101 (Kampfszene) / seiner Vorstellungskraft. Mit der am unteren Rand festgehal- Ludwig Meidner. Zeichner, Maler, Literat. tenen Datierung „Dezember 1914 Januar 1915“ gibt Meidner Darmstadt, Mathildenhöhe, 1991, S. 511, Abb. der Arbeit einen pseudodokumentarischen Charakter. Vor S. 145 einem düsteren Himmel beweisen offene Dachstühle das Ausmaß der Zerstörungen. Im Vordergrund zeigt uns Meidner • Entstanden in der Folge von Meidners das Grauen des Krieges: Menschen, von Explosionen zerris- berühmten apokalyptischen Landschaften sen, Schutz suchend, Zeichen gebend, Gesichter voller Angst. • Eindringliches Antikriegsbild In der rechten oberen Bildhälfte macht er das Stakkato der • Zum ersten Mal auf dem Kunstmarkt Maschinengewehre sichtbar. Bild für Bild nebeneinander- gesetzt, werden Gesichter zu Fratzen. Mit drastischen Mit- teln konfrontiert der Künstler uns mit der Grausamkeit eines Krieges. Eindringlicher kann Kunst kaum sein. OH

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14 Albert Birkle Entweder sie beachten ihn nicht oder sie spotten, feixen, Berlin 1900 – 1986 Salzburg lachen ihn aus. Es ist kein fröhliches Bild, das der Maler Albert Birkle hier von dem Geschehen auf der Friedrichstraße in sei- ner Heimatstadt Berlin entwirft. Die Passanten und der, der Kreuztragung (Friedrichstraße). 1924 das Kreuz auf sich genommen hat, sie wollen einfach nicht so Öl auf Leinwand. 97 × 217 cm (38 ¼ × 85 ⅜ in.). recht zusammenpassen. Unten rechts vom Künstler 1982 signiert und datiert: Birkle, der sich in späteren Jahren zeitweilig fast aus- A Birkle 1924. Kleine Retuschen. [3548] Gerahmt. schließlich christlichen Motiven verschrieb und, unter ande- Provenienz rem in Salzburg, Graz, Konstanz und Washington D.C., in Kir- Peter Hopf, Berlin / Privatsammlung, Europa chen farblich stark expressive Glasfenster gestaltete, bietet uns in diesem Meisterwerk der gesellschaftskritischen Neuen EUR 100.000–150.000 Sachlichkeit die Zwanzigerjahre dar, wie auch George Grosz USD 118,000–176,000 oder Otto Dix sie sahen. Nicht als die wilden Roaring Twen - ties, sondern als Schau- und Tummelplatz für männliche und Ausstellung weibliche Typen hart an der Grenze zur Karikatur. Die Stadt in den zwanziger Jahren. Berlin, Galerie Dabei erweist sich Birkle Grosz näher als Dix, von dem Bodo Niemann, 1984, Abb. / Der Potsdamer Platz. man manchmal den Eindruck gewinnen kann, er habe die Ernst Ludwig Kirchner und der Untergang Preußens. Rolle des unbestechlichen Beobachters dem Leiden am Zu- Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Neue National- stand der Menschheit vorgezogen. Der vom Kreuz Gebeugte galerie, 2001 (außer Katalog) / Aftermath. Art in the trägt unverkennbar die Züge eines Selbstbildnisses. Malerisch Wake of World War One. London, Tate Britain, 2018, in seiner psychologischen Präzision von außerordentlicher Kat.-Nr. 64, Abb. S. 87 Qualität und Schärfe, zählt dieses in einem auffallenden Quer- Literatur und Abbildung format gehaltene Gemälde zweifellos zu den Hauptwerken im Sylvia Kraker: Albert Birkle 1900–1986. Innsbruck, Schaffen von Albert Birkle. UC Universität, Diss. phil., 1992, Kat.-Nr. 647 / Auktion Nr. 138: Sammlung Hopf. Berlin, Villa Grisebach Auktionen, 1.12.2006, Kat. Nr. 1636, m. Abb.

Wir danken Viktor Pontzen, Salzburg, für freundliche Hinweise. 47 • Gemälde von außerordentlicher Qualität und psychologischer Präzision • Exemplarische Arbeit der gesellschaftskritischen Neuen Sachlichkeit der Zwanzigerjahre

Die Passanten und der, der das Kreuz auf sich genommen hat – sie wollen einfach nicht zusammenpassen.

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15 Arnulf Rainer Unser Gemälde von Arnulf Rainer stammt aus der wohl wich- Baden bei Wien 1929 – lebt in Enzenskirchen tigsten Schaffensphase des 1929 in Baden bei Wien gebore- und auf Teneriffa nen Künstlers. Zunächst vom Surrealismus beeinflusst, fand der Maler im Lauf der Fünfzigerjahre zu seinem unverwech- selbaren Stil: Inspiriert vom internationalen Informel jener Ohne Titel (Rotes Bild). 1959 Zeit, entwickelte er seine berühmten „Übermalungen“. Unser Mischtechnik auf Leinwand. 72,5 × 56,5 cm Bild von 1959 steht exemplarisch für diesen Übergang, bei (28 ½ × 22 ¼ in.). Unten rechts signiert und datiert: dem Rainer sukzessive alles Gegenständliche aus seinen Rainer 59. [3601] Im Künstlerrahmen. Werken löschte, um an dessen Stelle den absolut gesetzten, Provenienz dominanten gestischen Malduktus treten zu lassen. Privatsammlung, Berlin (Anfang der 1970er-Jahre Diese Dominanz der abstrakt-expressiven Geste gilt vom Künstler erworben) auch für das Kolorit der Gemälde aus diesen Jahren. Schwarz und – wie in diesem Fall – Rot sind seine bevorzugten Farb- EUR 130.000–160.000 töne. Die von diesen beiden Farben ausgehende Signalwir- USD 153,000–188,000 kung erlangt in Gemälden wie unserem metaphorische Kraft: Etwas noch nicht Dagewesenes entsteht, Grenzen werden Ausstellung überschritten, neue gedankliche Linien gezogen, hinter die Der unverbrauchte Blick. Kunst unserer Zeit in Berliner es kein Zurück mehr gibt. Sicht. Berlin, Martin-Gropius-Bau, 1987 (laut rücksei- Im Jahr 1961 verurteilte ein Gericht in Wolfsburg Rainer tigem Etikett) noch wegen Zerstörung eines Kunstwerkes zu einer Geld- strafe, weil er während der Eröffnung einer Ausstellung im • Vereint gestische Dynamik mit differenziertem Kolorit Rathaus in einer Guerilla-Aktion die preisgekrönte Grafik • Gemälde in Rot von Arnulf Rainer sind sehr selten auf der Künstlerin Helga Pape übermalt hatte. Seitdem hat Rainer dem Kunstmarkt dreimal an der Documenta in teilgenommen, wurde • Wichtiges frühes Gemälde von Museumsqualität zu den Biennalen von São Paolo und Venedig eingeladen und ist mit seinen Arbeiten in den prominentesten europäischen und amerikanischen Sammlungen vertreten, etwa in der Tate Gallery in London, im Museum of Modern Art in New York und in der Pinakothek der Moderne in München, wo ihm seit 2009 ein eigener Raum gewidmet ist. UC

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16 Peter Beard Hätte es ihn nicht gegeben, müsste man ihn erfinden. Ein New York 1938 – 2020 Montauk wunderschöner Mann, gesellschaftlich als Nachkomme einer wohlhabenden Familie in die Welt geworfen, entschei- det er sich doch für einen anderen Weg. Sein Herz schlägt „The Mingled Destinies of Crocodiles and Men“. 1966 für Afrika, die Natur, die Tierwelt. Mit seinen Arbeiten pran- Späterer Silbergelatineabzug mit Collage, Tinte und gerte er bereits in den Sechzigerjahren das Massensterben Blut. Unikat. 61 × 50,3 cm (24 × 19 ¾ in.). Im unteren der Elefanten an. Und öffnete der Welt die Augen für die Bildrand von Peter Beard mit schwarzer Tinte sig- Brutalität, die dort auf dem Kontinent herrscht, wenn weites niert, datiert, betitelt und bezeichnet: „Lake Rudolf“. Land zur touristischen Tapete wird. Seine Fotografien sind Auf Rahmenrückwand Stempel: „© Peter H. Beard c/o Meisterwerke, erschütternd, umwerfend schön, scharf und The Time is Always Now Inc. …“, Etikett der Galerie brillant. Mit Tusche und Blut gibt er den Fotografien einen „The Time is Always Now“ sowie weiteres Etikett mit Rahmen und einen Sinn – er entreißt sie der Anmutung von gedruckten Werkangaben. Von unbekannter Hand mit simpler Schönheit, macht sie sinnlich und bedrohlich. Denn: schwarzem Kugelschreiber beschriftet. Mit einem Es ging Peter Beard nie nur um Effekte der Schönheit, son- Zertifikat der Galerie „The Time is Always Now“, New dern immer um eine radikale Aussage, die die Bedrohung York, vom 19. März 1997. [2009] Im Künstlerrahmen. manifestiert, die der Mensch (und der Klimawandel) für die Provenienz Natur bedeutet. Selten hat es jemanden gegeben, der die Privatsammlung, Rheinland Fußspuren der Menschheit auf diesem Erdball – so göttlich wie blutig sie sind – so eindrücklich nachgezeichnet hat in EUR 80.000–100.000 ihrer Ambivalenz. Wer außer ihm hätte das Leben des inter- USD 94,100–118,000 nationalen Jetsets von Bianca Jagger zu Andy Warhol mit dem Einsatz für die Welt, in der wir leben und von der wir • Ausnahmekünstler, Abenteurer, Naturfotograf abhängig sind, auf diese Art kombinieren können, wer diese und Dandy Zerrissenheit ins Bild bringen können? Halb Tarzan, halb • Sinnbild für die Zerstörung des afrikanischen Lord Byron. Immer ein Mensch. DD Kontinents • Charakteristische, unikate Kombination aus Fotografie, Malerei und Collage

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17 Curt Ehrhardt Ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Die scheinbar Ziesar 1895 – 1972 Schwarz/Hessen bunt-fröhliche Assemblage des 1895 in Sachsen geborenen Künstlers Curt Ehrhardt entstand im Jahr 1920, zur Hochphase des Dadaismus, aber auch zur Zeit der Völkerschauen, die „Der Bantuneger“. 1920 bereits ab 1870 vermehrt in Europa stattfanden und schon Assemblage: Holz-Objektkasten, Karton, Ölfarbe, den Brücke-Künstlern vor dem Ersten Weltkrieg eine wichtige Puppe, Fell, Schnüre, Nägel, Draht, Papier. Kasten: Inspiration gewesen waren. 31,5 × 24,3 × 12,4 cm (12 ⅜ × 9 ⅝ × 4 ⅞ in.). Rückseitig So zeigt auch Curt Ehrhardt, der sich 1918 der Novem- auf einem Aufkleber mit Tuschfeder betitelt, signiert bergruppe anschloss und sich seit je in seiner Kunst haupt- und datiert: Der Bantuneger C. Ehrhardt 1920 sächlich mit aktuell geistigen und gesellschaftlichen Aspekten Brandenburg a./H. Darüber ein Etikett der Ausstel- auseinandersetzte, unverblümt das Zeitgeschehen.Vorhang lung Berlin 1920 (s.u.). [3604] auf! Eine aus Afrika stammende Puppe steigt aus der bunten, Provenienz an Robert Delaunays Orphismus erinnernde Kulisse hervor. Ehemals Peter Hopf, Berlin Gekleidet lediglich in ein weißes Fellröckchen und mit dicken, roten Lippen werden die damals gültigen Stereotype bedient. EUR 25.000–35.000 Hinter Gittern kauert ein Tier, das ebenfalls neugierige Blicke USD 29,400–41,200 auf sich zieht. Sie kommen aus Afrika – dem damals noch un- bekannten, fremden und geheimnisvollen Kontinent. Ausstellung Zur Kasse geht es rechts unten! Curt Ehrhardts charak- Kunstausstellung Berlin. Berlin, Landesausstellungs- teristische Werke, die insbesondere in den 1920er-Jahren gebäude, 1920, Kat.-Nr. 1141 / Curt Ehrhardt 1895– Teil bedeutender Ausstellungen waren – etwa 1919 der Dresd- 1972. Arbeiten eines verschollenen Künstlers. Berlin, ner Sezession, 1920 der Kunstausstellung Berlin, wo auch Otto Nagel Galerie, 1991, Kat.-Nr. 7, m. Abb. unser Werk gezeigt wurde, und 1921 der Münchner Expressio- Literatur und Abbildung nisten-Ausstellung in Chicago –, zeichnen sich durch das Peter Arlt: Des Lebens dunkle Tänze. Der Maler Curt konsequente Einfügen von Schriftzügen aus (siehe auch das Ehrhardt 1895-1972. Lauenförde, Galerie Hesselbach, Gemälde „Lebnis“, Auktion Moderne Kunst, 4.12.2020, Los 385). und Weimar, Galerie Hebecker, 2002, Abb. S. 24 Ehrhardt, der 1926 die Novembergruppe wieder verließ, im Zweiten Weltkrieg verfemt und in der Nachkriegszeit aus dem • Entstanden in der Hochphase des Dadaismus Verband Bildender Künstler Deutschlands ausgeschlossen • Die Völkerschauen der Jahrhundertwende waren wurde, malte bis zu seinem Tod im Jahr 1972 unter Ausschluss schon den Brücke-Expressionisten eine wichtige der Öffentlichkeit und bekam nie die Aufmerksamkeit, die er Inspiration eigentlich verdient hätte. Der „Bantuneger“ von Curt Ehr- • Singuläres Werk im Schaffen des Künstlers hardt ist zweifelsohne ein eindrucksvolles und ausdruckstar- kes Werk – ein wahres Zeitzeugnis. SSB

Grisebach — Herbst 2020 55 54 Martin Schmidt Varieté, Zirkus, burleske Vergnügen – Otto Dix’ dadaistische Zustandsbeschreibung der frühen 1920er-Jahre

Deutschland im Jahre 1923. Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg kon - frontiert die Regierung der Weimarer Republik seit 1919 mit immensen Reparati - onsforderungen, deren Begleichung der jungen Republik von Anfang an eine schwere Last aufbürdet. Man versucht, den Verpflichtungen mithilfe der Noten- presse nachzukommen. Die immer weiter zunehmende Diskrepanz zwischen nominellen Werten und der realen Wirtschaft entlädt sich ab Juni 1923 in einer Hyperinflation, die alle Hoffnungen auf Stabilität, Sicherheit und Verlässlichkeit ad absurdum führt. Das Karussell der Geldentwertung dreht sich immer schnel- ler, und die Schubkarren mit Geldbündeln, die von den Bürgern eilenden Fußes zum nächsten Bäcker, Metzger oder anderen Anbietern des täglichen Lebensbe- darfes geschoben werden, wirken wie dadaeskes Straßentheater aus der Feder überdrehter Hitzköpfe. Genau dies ist der Subtext, der aus Otto Dix’ „Zirkusscene“ eine metapho- risch aufgeladene Zustandsbeschreibung macht. Der Künstler, wie viele seiner Zeitgenossen interessiert an Varieté, Zirkus und burlesken Vergnügungen, entfal- tet eine beunruhigende Situation, die bei aller Dynamik auch eine klaustrophobi- sche Begrenztheit vorführt. Diese Arena ist wie eine runde Grube, deren Wände nicht zu überwinden sind, es gibt keine Zuschauer, die eine Verbindung zu einer anderen Sphäre herstellen könnten, die Artistin auf dem runden Ball scheint ihre Runden wie ein Tiger im Käfig zu drehen, die kugelige Clownsfigur im Vorder- grund, deren gedrechseltes Gesicht der Künstler in extremer Verkürzung wieder- gibt, wirkt wie eine dieser nicht zu Fall zu bringenden Figuren mit tief gelagertem Schwerpunkt – sie stürzen nie, aber kommen auch nicht vorwärts, sondern ver- bleiben in sinnloser Vor- und Rückbeuge. Die hinten angelegte hohe Leiter führt ins Nirgendwo, die an ihrem oberen Ende befindliche Gliederpuppe scheint zu schweben, vielleicht aber stürzt sie sich gerade hinab, mit ausgebreiteten Armen wie ein vom Kreuz fallender Christus. Die am oberen Ende der Leiter rechts ange- brachte klägliche helle Fahne, ist sie das Zeichen eines Emissärs, der mit dem Schicksal um bessere Bedingungen verhandeln soll? Die „Zirkusscene“ zeigt eine Form von metaphysischem Realismus, der sei- ne Anleihen in Giorgio de Chiricos verrätselten Räumen findet und dabei die dadaistischen Wurzeln des Künstlers nicht verleugnet. Schon im darauffolgenden Jahr sollte Otto Dix sich in seiner berühmten druckgrafischen Folge „Der Krieg“ in schockierender Eindeutigkeit zu den Versehrungen äußern, die die Menschen an Leib und Seele davongetragen hatten.

Otto Dix, um 1923. Foto: Franz Fiedler

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18 Otto Dix Ausstellung Gera-Untermhaus 1891 – 1969 Singen Otto Dix. Zürich, Galerie Obere Zäune, 1964, Kat.- Nr. 21 / Otto Dix zum 80. Geburtstag. Gemälde, Aqua- relle, Gouachen, Zeichnungen und Radierfolge „Der „Zirkusscene“. 1923 Krieg“. Stuttgart, Galerie der Stadt, 1971, Kat.-Nr. 184 / Aquarell, Farbkreide, gesprühte Silberbronze, Otto Dix. Gemälde. Bad Säckingen, Trompeterschloß, Bleistift und Collage auf Papier. 49,4 × 35,3 cm Kunstverein Hochrhein, 1971, Kat.-Nr. 11 / Otto Dix. (19 ½ × 13 ⅞ in.). Unten links signiert und datiert: Kunstausstellung Europäische Wochen. Passau, DIX 23. Rückseitig die Bleistiftskizze einer Treppe. St. Anna Kapelle, 1983, Kat.-Nr. 41 / Otto Dix. XXIXe Dort bezeichnet und betitelt: Privatbesitz Zirkus- Salon d’Art Contemporain de Montrouge, 1984, Kat.- scene. Werkverzeichnis: Pfäffle A 1923/23. Nr. 76 / Otto Dix 1891–1969. München, Museum Villa [3547] Gerahmt. Stuck, 1985, Kat.-Nr. 238 / Otto Dix 1891–1969. Brüssel, Provenienz Palais des Beaux-Arts, 1985, Kat.-Nr. 8 / Otto Dix. Nachlass des Künstlers / Familie des Künstlers, Genua, Centro per le arti visive e museo d’arte con- Hemmenhofen / Otto Dix Stiftung, Vaduz / Privat- temporanea di Villa croce, 1986, Kat.-Nr. 118, Abb. sammlung, Berlin S. 160 / Otto Dix. Berlin, Staatliche Kunsthalle, 1987, Kat.-Nr. 129, Abb. S. 180 / Otto Dix. Kamakura, Kobe, EUR 200.000–300.000 Sendai, 1988/89, Kat.-Nr. 43, Abb. S. 104 / Otto Dix. USD 235,000–353,000 Stuttgart, Galerie der Stadt, 1989, Kat.-Nr. 56, Abb. S. 181 / Otto Dix zum 100. Geburtstag. Stuttgart, Galerie • Metaphorisch aufgeladene Zustandsbeschreibung der Stadt und Berlin, Nationalgalerie, Staatliche der frühen 1920er-Jahre Museen Preußischer Kulturbesitz, 1991, ohne Nr., • Zeigt Dix’ metaphysischen Realismus, der seinen Abb. S. 104 / Otto Dix 1891-1991. Arbeiten auf Papier. Ursprung bei de Chirico und im Dadaismus hat Ausstellung zum 100. Geburtstag. Gera, Kunstgalerie, • Beeindruckende Ausstellungshistorie Orangerie und Dix Haus, 1991/92 / Otto Dix 1891–1969. London, Tate Gallery, 1992 / Otto Dix. Metropolis. Saint Paul, Fondation Maeght, 1998 / Geisterbahn und Glanzrevue – Otto Dix. Aquarelle und Gouachen. Hamburg, Bucerius Kunst Forum, 2007, Kat.-Nr. 85, Abb. S. 144 / Großes Ey wir loben dich. Johanna Ey und ihr Künstlerkreis. Düsseldorf, Galerie Remmert und Barth, 2007, Kat.-Nr. 39, Abb. S. 103 / Otto Dix. Bilderbuch für Hana und andere Trouvaillen. Düssel- dorf, Galerie Remmert und Barth, 2016, Kat.-Nr. 5, Abb. S. 131 Literatur und Abbildung Brigid S. Barton: Otto Dix and Die neue Sachlichkeit 1918–1925. Michigan, University Microfilms Inc., 1981, S. 144, VI.B. 18

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19 Franz Wilhelm Hier sehen wir: nein, nicht einen Seemann, sondern ein Bild von einem Seemann. Franz Wilhelm Seiwert wirkte direkt Seiwert nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur als Grafiker, er veröf- fentlichte auch eine Vielzahl von Essays in sozialistischen 1894 – Köln – 1933 Zeitschriften. Im Lauf der Zwanzigerjahre kühlte sich seine Leidenschaft für die Politik etwas ab, doch thematisch blieb „Seemann“. 1924 er seinen Anfängen treu. Öl auf Karton. 26 × 20 cm (10 ¼ × 7 ⅞ in.). Mitte rechts Als Mitglied der Künstlervereinigung Kölner Progressive monogrammiert und datiert: FWS 24. Rückseitig oben hatte Franz Wilhelm Seiwert den Fotografen August Sander zweimal die Adresse des Künstlers (in Bleistift und kennengelernt. Daher konnte er die Entstehung von dessen gestempelt): Franz W. Seiwert / Köln/Rh. / Eigelstein Porträtzyklus „Menschen des 20. Jahrhunderts“, einem der 147 III. Werkverzeichnis: Bohnen 52. Rückseitig mit einflussreichsten Werkkomplexe der Kunst des vergangenen einer Bleistiftskizze des Kopfes. [3547] Gerahmt. Jahrhunderts, aus nächster Nähe verfolgen. Provenienz Vermutlich hatte auch Franz Wilhelm Seiwert Men- Ehemals im Besitz der Schauspielerinnen Grete Roese- schen aller Berufs- und Gesellschaftsschichten beobachtet, Dierse, Köln, und Marlene-Rothe-Riphahn, Bensheim um nach dem immer wiederkehrenden Charakteristischen in ihrer Tätigkeit oder Haltung zu suchen. So blicken wir auch EUR 30.000–40.000 hier auf den Prototypen eines Seemanns. Kraftvoll und stets USD 35,300–47,100 präsent tritt er uns entgegen. Seiwert hat ihm noch ein paar Attribute mitgegeben: eine graue Mole, einen Leuchtturm, Ausstellung den Dampfer am Horizont. Und obwohl das Gemälde als Brust- Variationen, 20er Jahre. München, Galerie Hasenclever, bild ausgeführt ist, wissen wir, dass dieser Seemann an Deck 2011, m. Abb. festen Stand beweisen wird. Doch bei aller Typisierung, in diesem menschlichen • Seltene bildnerische Verbindung von Naivität Antlitz so ganz auf Humor verzichten wollte der Künstler nun und Abstraktion auch wieder nicht. Die dunklen Knopfaugen, die leichte Rö- • Zeigt auch den Einfluss der russischen Avantgardisten, tung im Gesicht, die vielleicht vom frischen Wind herrührt, vor allem von Kasimir Malewitsch vielleicht aber auch vom wärmenden geistigen Getränk oder • Besticht durch Klarheit in Farbigkeit und Komposition von der Scham, derart im Vordergrund zu stehen – der Reiz dieses Bildes liegt nicht nur im Kontrast aus Abstraktion und seiner delikat ausgeführten Farbigkeit, sondern auch in den Nuancen. OH

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20 Carl Grossberg „Schaffen Sie sich nun, in unermüdlicher Arbeit, in hartnä- Wuppertal-Elberfeld 1894 – 1940 b. Lâon ckigem Studium vor der Natur, Ihren Formenschatz“, riet Lyonel Feininger seinem Schüler Carl Grossberg nach dem Abschluss des Studiums am in Weimar (zit. nach: Blaue Stanzmaschine. 1937 Ausst.-Kat. Carl Grossberg, Von der Heydt-Museum Wup- Aquarell und Tuschfeder auf Bütten. 49,8 × 40,2 cm pertal u.a.O., 1994, S. 139). Seither widmete sich Grossberg (19 ⅝ × 15 ⅞ in.). Unten rechts sowie rückseitig unten mit unbestechlicher Präzision der Darstellung der Wirklich- links jeweils mit dem Stempel: Carl Grossberg NACH- keit und wurde zu einem der herausragenden Repräsentan- LASS. [3547] Gerahmt. ten der Malerei der Neuen Sachlichkeit. Seine Meisterschaft Provenienz entwickelte er an den Stätten der Industrie, in Fabrik- und Privatsammlung, Berlin Montagehallen, wo er die emblematischen Motive seiner Zeit fand. In den Darstellungen von Industrie und Technik EUR 15.000–20.000 schuf Grossberg Bilder, die kunsthistorisch den Fotografien USD 17,600–23,500 Albert Renger-Patzschs oder den Bildern des amerikani- schen Malers Charles Sheeler an die Seite zu stellen sind. Ausstellung Unser Aquarell zeigt die Stanzmaschine in der Triumph- Carl Grossberg. Retrospektive zum 100. Geburtstag. Schreibmaschinenfabrik Nürnberg und bildete die Vorstudie Wuppertal, Von der Heydt-Museum; Tübingen, Kunst- eines Gemäldes. Seinen besonderen Reiz entfaltet das Bild – halle; Kiel, Kunsthalle; Bad Homburg, Sinclair-Haus, bei aller Akribie der Darstellung – aus der Luftigkeit der 1994/95, Kat.-Nr. 95, Abb. Nr. 85 Aquarelltechnik, die Justus Bier schon anlässlich der Gross- berg-Einzelausstellung in der Kestner-Gesellschaft Hannover • Aus der Reihe der begehrten Industriemotive 1934 bewunderte: „Der scheinbar unromantischen Nüch- Grossbergs ternheit, mit der er in seinen Städtebildern die Stille und die • Überhöhung von Technik und Maschine durch gespenstische Menschenleere der Altstadtgasse [...] sowie zeichnerische Präzision Trubel, Wirrnis und Lärm moderner Großstadtstraßen auf- • Ein Meisterblatt der Neuen Sachlichkeit zeichnet, steht die Romantik der Maschinenbilder gegenüber, die trotz des nüchternen Objekts und der fanatisch getreuen Zeichnung vor allem durch die Farbe einen geheimnisvollen Reiz besitzen“ (Justus Bier, in: Ausst.-Kat. Carl Grossberg, Kestner-Gesellschaft Hannover, 1934, o. S.). RS

Grisebach — Herbst 2020 63 62 Grisebach — Herbst 2020 65 64 Ulrich Clewing Polygone, Kompartimente, Farbflächen – Lyonel Feiningers eigene kubistische Realität

Kein Mensch ist zu sehen an diesem sonnenhellen Tag in Cammin. Es liegt eine unwirkliche Stimmung über der kleinen Stadt im Hinterland der Ostseeküste. Als würde man sie durch eine gebrochene Glasscheibe betrachten, ragen die Fassa- den der Häuser in Braun- und Ockertönen in den fahlen Morgenhimmel. Ein neuer Tag beginnt, ein einsames Segelboot ist schon auf dem Wasser. Oder handelt es sich dabei nur um eine Chiffre, ein Symbol? Wie bei Lyonel Feiningers berühmten Gemälden der Kirche in Gelmeroda bei Weimar, zum Beispiel „Gelmeroda XIII“ im Metropolitan Museum New York, kann man sich auch in diesem Fall nicht sicher sein, ob man nicht gerade einer Augen- täuschung anheimfällt. Ist das wirklich Cammin, das, als Feininger dieses Bild malte, im Kern noch mittelalterliche Städtchen am Camminer Bodden? Anhand alter Post- karten kann man rekonstruieren, wo in etwa der Künstler gestanden haben muss, um diesen Blick vom Stadtzentrum hinunter zum Wasser einzufangen. Heute ist aus der ehemaligen pommerschen Residenzstadt ein in der polni- schen Woiwodschaft Westpommern gelegenes Seebad geworden; große Teile der Altstadt sind dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Damals verlief nur eine Straße in diese Richtung, sie führte an der Rückseite des gotischen Rathauses vorbei zur Hafenmole. Aber Cammin, seit dem 12. Jahr- hundert auch Bischofssitz, war nie eine prächtige Stadt. Häuser, die so hoch sind, dass sie in den Himmel ragten, gab es dort zu keiner Zeit, auch nicht als dieses Gemälde entstand. Für Lyonel Feininger, als Sohn deutscher Einwanderer 1871 in New York geboren, war dies offenkundig zweitrangig: Halle, Gelmeroda, Cammin, alles Orte, von denen er Gemälde schuf, die seit Langem zu den Höhepunkten der Schausammlungen der renommiertesten Museen Europas und der USA zählen – auf eine geheimnisvolle, nur durch die Freiheit der Kunst und den Eigensinn des Künstlers zu erklärende Art erinnerten sie ihn anscheinend grundsätzlich an die grandiose Architektur seiner Heimatstadt. Und so ist auch hier Cammin eigentlich nicht Cammin. Sondern ein Vor- wand für Feininger, seiner Vision von Malerei, Komposition und Abstraktion zu folgen. Er zerlegt die Straße zur Hafenmole, die Häuser, die sie säumen, den Himmel und den Camminer Bodden in Linien, Polygone, Kompartimente, Farbflächen, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben, die stattdessen ihre eigene, neue Realität bilden, angesiedelt irgendwo zwischen synthetischem Kubismus und dem Minimalismus der 1960er-Jahre. Feininger war seiner Zeit weit voraus. Auch koloristisch liegt in der Kombina- tion von Blauabstufungen, Gelb- und Brauntönen nicht nur eine sehr befriedigende Harmonie, sondern auch eine Spannung, wie sie von anderen erst Jahrzehnte spä- ter erreicht wurde. Dies alles macht „Cammin“ zu einem Meisterwerk und Höhe- punkt in Feiningers reifem Schaffen. Lyonel Feininger an der Ostsee, um 1927. Foto: T. Lux Feininger. © The Estate of T. Lux Feininger

Grisebach — Herbst 2020 67 66 N 21 Lyonel Feininger Ausstellung 1871 – New York – 1956 Gesamtausstellung Lyonel Feininger: Gemälde und Aquarelle, zum 65. Geburtstag des Künstlers. Berlin, Galerie Nierendorf, 1936, Kat.-Nr. 13 / Deutscher „Cammin“. 1934 Künstlerbund: Malerei und Plastik in Deutschland Öl auf Leinwand. 60,5 × 50,5 cm (23 ⅞ × 19 ⅞ in.). 1936. Hamburg, Kunstverein, 1936, Kat.-Nr. 61, m. Abb. Unten links signiert und datiert: Feininger 1934. Auf (Ausstellung nach zehn Tagen von den National- dem Keilrahmen oben mit Pinsel in Schwarz signiert, sozialisten geschlossen) / 2nd Feininger Exhibition datiert und betitelt (teilweise durch Aufkleber ver- 1937. 35 New , 130 Drawings and Prints by deckt): L. Feininger 1934 „Cammin“. Werkverzeichnis: Lyonel Feininger (Wanderausstellung 1937/38). Hess 360. Mit einer zusätzlichen Expertise von Achim Oakland (CA), Mills College Art Gallery; San Francisco Moeller, New York, vom 21. April 2006. [3119] Gerahmt. (CA), San Francisco Museum of Art, 1937, Kat.-Nr. 35; Provenienz Santa Barbara (CA); Los Angeles (CA), Los Angeles Art Galerie Nierendorf, Berlin (1936) / Nierendorf Gallery, Association, University Gallery; Paintings, Water New York (1943) / Marlborough Fine Art, London Colors, Drawings and Wood Cuts by Lyonel Feininger. (1990) / Galerie Ludorff, Düsseldorf / Privatsammlung, Andover (MA), Addison Gallery of American Art, Phillips Schweiz (2006 in der Galerie Ludorff erworben) Academy, 1938, Kat.-Nr. 13; Seattle (WA), Seattle Art Museum, und Portland (OR) / Feininger Exhibition. EUR 500.000–700.000 New York, Nierendorf Gallery, 1943, Kat.-Nr. 9 / USD 588,000–824,000 Présence des maîtres. Basel, Galerie Beyeler, 1967, Kat.-Nr. 12 / Lyonel Feininger Retrospective. Oil • Wichtiges Beispiel für Lyonel Feiningers prismatisch Paintings and Works on Paper. Tokio, Marlborough gebrochenen Kubismus Fine Art, 1990, Kat.-Nr. 5, m. Abb. / Sommergäste. • Zeugnis von Feiningers Sommeraufenthalten an der Von Arp bis Werefkin. Klassische Moderne in Mecklen- pommerschen Ostseeküste burg und Pommern. Schwerin, Staatliches Museum, • Spannungsvolle Farbkontraste zwischen Türkis, Gelb Kunstsammlungen, Schlösser und Gärten, 2011, Kat.- und Braun Nr. 52, Abb. S. 139 / Il Mar Baltico delle Avanguardie (1886-1945) [Übernahme der Schweriner Ausstellung 2011]. Ascona, Museo Comunale d’Arte Moderna, 2012 Literatur und Abbildung Willy Rotzler: Konstruktive Konzepte. Eine Geschichte der konstruktiven Kunst vom Kubismus bis heute. Zürich, ABC Verlag, 1977, Kat.-Nr. 156, Abb. S. 77 / Hans Schulz-Vanselow: Lyonel Feininger und Pommern. Eine Materialsammlung. Kiel, Stiftung Pommern, 1999, S. 253, S. 309, Abb. 16, u. S. 356

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620 Hermann Glöckner Cotta bei Dresden 1889 – 1987 Berlin

„Verschränkung von schwarzem und weißem Keil auf Silber“. Um 1933–35 Seite A: Buntpapier und Lack auf Pappe / Seite B: Prägung, Tempera und Lack auf Pappe. 30,2 × 30,5 × 1,4 cm (11 ⅞ × 12 × ½ in.). Seite B monogrammiert (geprägt): G. Werkverzeichnis: Dittrich 97. [3513] Provenienz Mário und Ursula Calábria, Berlin (vom Künstler erworben)

EUR 80.000–120.000 USD 94,100–141,000

Ausstellung Hermann Glöckner 1889–1987. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, 1992, Kat.-Nr. 57, Abb. S. 41 (Seite A) Literatur und Abbildung Hermann Glöckner. Dächer, Giebel, Dreiecke. Form- wandlungen von 1927 bis 1977. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie im Alten Museum, 1977, Abb. der Seite A auf dem Katalogtitel (Verschränkung von zwei Winkeln)

Aus unserer Sonderauktion Sammlung Calábria am 4.12.2020, 15 Uhr

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22 Ernst Wilhelm Nay Als „In Blau und Rosa“ 1953 entstand, waren erst wenige Berlin 1902 – 1968 Köln Jahre vergangen, seitdem sich Ernst Wilhelm Nay von der menschlichen Figur gelöst hatte und seine Bildinhalte rein abstrakt geworden waren. Der Maler begab sich auf einen „In Blau und Rosa“. 1953 gefahrvollen Weg, standen doch bislang der Mensch und seine Öl auf Leinwand. 60 × 70 cm (23 ⅝ × 27 ½ in.). Unten Archetypen im Mittelpunkt vieler Bilder. Seit Beginn des links signiert und datiert: Nay 53. Auf dem Keilrahmen 20. Jahrhunderts suchten Künstler verstärkt neue Erkennt- oben in Schwarz signiert und betitelt: NAY „IN BLAU nisse der Naturwissenschaften darzustellen. Es ging um Fra- UND ROSA“. Werkverzeichnis: Scheibler 661. gen der Bewegung, von Dynamik und Rhythmus. Die Statik [3557] Gerahmt. und Trägheit des Bildträgers zu überwinden, beschäftigt Provenienz Künstler bis heute. In unserem Gemälde können wir Nay dabei Galerie Der Spiegel, Köln (1954/55) / Dr. Otto Gross- beobachten, wie er sich diesem Thema nähert und welche mann, Kleinkems / Privatsammlung, Baden-Württem- verblüffenden Lösungen er findet. berg Im Vergleich mit anderen Werken Nays aus dieser Zeit fällt zunächst die lockere Fügung der Elemente auf. Bislang EUR 160.000–200.000 setzte der Künstler eine Vielzahl von Motiven dicht gedrängt USD 188,000–235,000 nebeneinander. Hier nun scheint der Malgrund durch, die in ihrer Anzahl reduzierten Motive wirken schwebend leicht. Es Ausstellung dominieren ovale und runde Formen, die der Maler flächig Ernst Wilhelm Nay. Bilder, Gouachen, Aquarelle anordnet, zumeist vertikale Striche entwickeln einen Impuls und Zeichnungen von 1927–1954. Köln, Galerie Der nach oben. Kleine Farbtupfer bewegen sich auf einer zwei- Spiegel, 1954, (Faltblatt-) Nr. 17 / Deutsche Kunst ten Ebene über das Bild. Die heitere Improvisation wirkt bei des 20. Jahrhunderts. Freiburg i. Br., Augustiner- aller Freiheit dennoch schlüssig in der Komposition. Der museum, 1962, Kat.-Nr. 96 Maler führt uns den Prozess der Bildorganisation deutlich vor Augen: An zwei Stellen lässt er das Blau sich flächig aus- • Wichtiges Gemälde des mehrfachen Documenta– breiten – doch entwickeln die Tupfen und Kreise in der glei- Teilnehmers kurz vor der Entwicklung seiner chen Farbe nicht viel mehr Wirkung? Die Elementarform „Scheibenbilder“ Kreis wird zum Farbträger, und mit ihr definiert der Maler • Kompositorisch heitere, leichte Improvisation den Raum. Nay entdeckt gerade die Möglichkeiten des Krei- • Vergleichbare Werke befinden sich in zahlreichen ses in Form und Farbe. Dies führt ihn schon ein Jahr später bedeutenden Museen zur Kunst des 20. Jahrhunderts zu seinen berühmten Scheibenbildern. OH

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23 Hugo Erfurth Die ältesten Zeugnisse der Kulturgeschichte sind Profil- Halle a. d. Saale 1874 – 1948 Gaienhofen ansichten von menschlichen oder tierischen Gestalten. Das Profil verweigert zunächst die Kommunikation mit dem Be- trachter, ist das Fremde – aber verdichtet sich in ihm nicht „Porträt “. 1925 die Essenz der dargestellten Persönlichkeit? Mimische Be- Vintage. Silbergelatineabzug. 17 × 11,5 cm wegung bleibt unerkannt; ein Profil ist statisch. Es birgt die (6 ¾ × 4 ½ in.). Rückseitig von László Moholy- Versachlichung gleichsam in sich, dennoch können in seine Nagy mit Bleistift signiert, monogrammiert kühnen Umrisslinien geistige Erhöhung, Genie und Schaf- und betitelt sowie mit Objekt-Nr. A.38.2460.3 fenskraft hineingelesen werden. bezeichnet. Von weiteren Händen mit schwar- Bei Hugo Erfurth, dem renommiertesten Porträtfoto- zer Tinte mit Objekt-Nr. E 13 sowie mit blauem grafen der Weimarer Republik, sind Profilbildnisse selten. Sie Farbstift mit Maßangabe und Layoutmarkie- gehören meist zu Porträtgruppen, die er von den wichtigsten rung beschriftet. [3547] Gerahmt. Kunstschaffenden seiner Zeit anfertigt – so auch von den Provenienz Bauhaus-Meistern. Ab 1906 erarbeitet er sich in der Dresdner Wassily Kandinsky nach 1925 an László Moholy- „Lichtbildnerei Erfurth“ die Wertschätzung, ein sensibler Nagy, 1946 an Hattula Moholy-Nagy / Privat- Psychologe seiner Modelle zu sein, deren Konterfeis er zwi- sammlung, Berlin schen piktorialistischer und neusachlicher Auffassung in photographischen Edeldruckverfahren ausführt. EUR 10.000–15.000 In diesem renaissancehaften Porträt begegnet dem USD 11,800–17,600 Betrachter der russische Künstler und Lehrer am Bauhaus, Wassily Kandinsky. Eng proportioniert vor weißer Atelier- Ausstellung tapete, inszeniert ihn Erfurth als durchgeistigten Maler- Bauhaus: 1919-1928, New York, The Museum of fürsten auf dem Zenit seiner Laufbahn. Der allen Bauhaus- Modern Art, 1938/39, A.38.2460.3, E 13 Meistern eigene professorale Habitus steht in Kontrast zum Literatur und Abbildung modernen Erscheinungsbild ihrer Studenten und erhöht Ausst.-Kat.: Bauhaus 1919–1928. New York, die Dargestellten zu Respektspersonen. Gefeiert als Weg- The Museum of Modern Art, 1938/39, S. 21 / bereiter für die abstrakte Kunst, ruft Walter Gropius Kandinsky Hans M. Wingler (Hg.): Das Bauhaus. 1919–1933 1922 ans Weimarer Bauhaus. Dessen zweite theoretische Weimar Dessau Berlin und die Nachfolge in Schrift „Punkt und Linie zu Fläche“ wird 1926 veröffentlicht. Chicago seit 1937. Bramsche 1975, S. 269 Im selben Jahr widmet ihm die Galerie Ernst Arnold in Dresden eine Jubiläumsausstellung zum 60. Geburtstag. Diese Schau Das Porträt wurde 1938 im Ausstellungskatalog des zu bewerben, mag Anlass der Sitzung bei Erfurth gewesen sein. Museum of Modern Art, New York anlässlich der ersten Neben Kandinsky, Klee, Feininger und Schlemmer lässt großen amerikanischen Überblicksausstellung zum sich auch László Moholy-Nagy von Erfurth fotografieren. Das Bauhaus abgebildet. Die Notizen auf der Rückseite von ihm beschriftete Kandinsky-Porträt begleitet Moholy- der Fotografie zeigen, dass der vorliegende Abzug Nagy ins amerikanische Exil. Jeannine Fiedler nicht nur für die Reproduktion im Katalog zur Verfü- gung gestellt wurde, sondern in der Ausstellung auch als Exponat zu sehen war.

• Bedeutendster Porträtfotograf seiner Zeit trifft auf einen der wichtigsten Künstler der Moderne Originalgröße • Vintage print aus dem Besitz von László Moholy-Nagy • Exponat in der legendären ersten Bauhaus- Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art, 1938

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24 Johannes Molzahn Der in Duisburg geborene Johannes Molzahn wuchs in Weimar Duisburg 1892 – 1965 München auf, wo er nicht nur bereits 1914, also mit knapp 22 Jahren, seine erste Ausstellung hatte, sondern auch eine Ausbildung zum Fotografen absolvierte. Ermutigt durch Freunde, sandte „Pulsender Stern“. 1919 er drei Jahre später einige seiner Fotografien an Herwarth Öl auf Leinwand. 72,6 × 58,2 cm (28 ⅝ × 22 ⅞ in.). Walden. Die Antwort kam postwendend: Molzahn solle seine Oben links signiert und datiert: Molzahn 19. Rückseitig Bilder umgehend an Waldens Galerie „Der Sturm“ schicken. signiert, betitelt und datiert: Molzahn Pulsender Stern Dort lernte der Künstler die Arbeiten der italienischen 1919. Dort auch eine Figurenkomposition. Um 1916. Futuristen kennen, die ihn stark beeindruckten. 1919, Molzahn Werkverzeichnis: Gries 51 A. [3548] Gerahmt. war inzwischen wieder nach Weimar zurückgekehrt, entstand Provenienz in einer Zeit der Hoffnung und des Aufbruchs nach dem Ende Privatsammlung, Norddeutschland / Privatsammlung, des Ersten Weltkriegs ein Schlüsselwerk: der „Pulsende Europa Stern“ – gleichsam der gemalte Kommentar zu seinem „Mani- fest des absoluten Expressionismus“, das der Maler in Wal - EUR 60.000–80.000 dens Zeitschrift „Der Sturm“ vom September 1919 veröffent- USD 70,600–94,100 licht hatte. Darin suchte der Künstler in einer Diktion, aus der noch Ausstellung die Schrecken des Krieges sprechen, nach einer ewigen Wahr- 80. Ausstellung. Berlin, Galerie Der Sturm, 1919, Kat.- heit. Molzahn fand diese Wahrheit im Kosmischen: „Sonnen Nr. 58 / Johannes Molzahn. Das malerische Werk. und Monde sind Unsere Bilder [sic] – die Wir Euch entgegen- Duisburg, Wilhelm-Lehmbruck-Museum, 1988, Kat.- spannen. – Gestirnte Banner der Ewigkeit – Euch entgegen Nr. 8, Abb. S. 45 / Expressionismus in Thüringen. blühend. [...] Die pulsenden Bahnen der Sterne – ihre flam- Erfurt, Galerie am Fischmarkt und Angermuseum, menden Energien – die sich in fortwährenden Katastrophen 1999, Abb. S. 140 verzehren und wieder gebären, – Die bebend rotierende Erde – Literatur und Abbildung ihre Geschöpfe.“ Erich Wiese: Johannes Molzahn. In: Der Cicerone, Und so ist auch das Gemälde „Pulsender Stern“ ein vor Jg. 13, 1921, S. 657 / Auktionskatalog: Kunsthaus Energie strotzendes Bild. Molzahn übersetzt hier neben den Lempertz, Köln, 1. Dezember 1971, Kat.-Nr. 839 / Ideen des Futurismus die Überlegungen des Blauen Reiters Ausstellungskatalog: Das frühe Bauhaus und Johannes zur gesteigerten Wirkung von Farben und Formen in Malerei. Itten. Weimar, Kunstsammlungen; Berlin, Bauhaus Kleine, rote Kreise, mittig platziert, sind Kraftfelder. Ellip- Archiv – Museum für Gestaltung, und Bern, Kunst- tische Flächen geben ihren Lauf, Orange und Gelb ihre Wärme museum; 1994/95, S. 419, Abb. S. 420 (nicht ausge- an. Kühles, starres Grau und Blau – Symbole der Vergangen- stellt) heit – können dem Pulsen der Sterne nicht standhalten. Alles, so zeigt es uns Molzahn in diesem Meisterwerk, wird im glü- Abbildung der Rückseite unter grisebach.com henden Wirbel einer neuen Epoche aufgehen. OH

• Kosmische Fantasie als Sinnbild des Aufbruchs in eine neue Zeit • Dramatisch-schöner Farbklang, der mit den Kontrasten von Kälte und Wärme spielt • Das Gemälde war in Herwarth Waldens legendärer „Sturm“-Galerie ausgestellt

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621 Hermann Glöckner Cotta bei Dresden 1889 – 1987 Berlin

„Kreise in Graustufen auf Schwarz und Weiß“. 1936 Seite A: Tempera und Grafit auf Pappe / Seite B: Monogramm, aufgeklebt und Silberbronze auf Pappe. 70 × 50 cm (27 ½ × 19 ⅝ in.). Seite B unter dem Monogramm mit Feder in Grau signiert und datiert: H. Glöckner 1936. Unten mit Farbstift in Blau bezeichnet und monogrammiert: Restauriert 1973 G. Werkverzeichnis: Dittrich 124. [3513] Provenienz Mário und Ursula Calábria, Berlin (vom Künstler erworben)

EUR 80.000–120.000 USD 94,100–141,000

Ausstellung Hermann Glöckner 1889-1987. Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, 1992, Kat.-Nr. 65

Aus unserer Sonderauktion Sammlung Calábria am 4.12.2020, 15 Uhr

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25 François Morellet „So habe ich mein Eingreifen (ich hoffe es), meine Kreativität 1926 – Cholet – 2016 und meine Sensibilität auf ein Minimum reduziert und kann Ihnen folgerichtig ankündigen, dass alles, was Sie, abgesehen von meinen kleinen Systemen, finden […], Ihnen als Betrach- „2 carrés formant un angle de 30° avec le mur et ayant un ter gehört“ (François Morellet, zit. nach: Ansichtssachen 2, côté commun avec un angle droit de néon“. 1980 Galerie m, Bochum 1992, S. FM2). Installation: Zwei Tafeln, je Acryl auf Leinwand, auf Folgen wir doch dem Wunsch des Künstlers! Begeben Holz, und eine Neonröhre. Tafeln: jeweils 160 × 160 cm wir uns auf eine Entdeckungsreise: Wir sehen zwei quadrati- (63 × 63 in.). Die Tafeln jeweils rückseitig mit der sche, mit weißer Acrylfarbe gefasste Leinwände. Beide Tab- gestempelten Archivnummer sowie mit Filzstift in leaus, die wie variable Wandstücke vor der Ausstellungswand Schwarz bezeichnet: A bzw. B. Tafel A rückseitig mit arrangiert sind, sind mit einer gleichschenkligen, rot leucht- Filzstift in Schwarz betitelt, signiert und datiert: enden, in 90 Grad abgewinkelten Neonröhre verbunden. Das 2 carrés formant un angle de 30° avec le mur et ayant Licht erreicht die Vorderseite der Leinwände in so unter - un côté commun avec un angle droit de néon Morellet schiedlichen Winkeln, dass die linke Fläche ein weißes Qua- 1980. Mit einer Expertise von Danielle Morellet, Cholet, drat mit leuchtendem rechtem Bildrand bleibt, während die vom 26.01.2017. Das Werk ist im Archiv Morellet unter mit der Oberseite schräg an die Wand gelehnte Leinwand der Nummer 80027 registriert. Unikat. [3396] rot und durchaus stimmungsvoll überstrahlt wird. Die Massi- Provenienz vität der beiden quadratischen Flächen steht in spürbarem Ehemals Michel Poitevin, Lille (1994 bei der Galerie Kontrast zu ihrer Verbindung an einem Punkt: genau dem Sollertis, Toulouse, erworben) Punkt, an dem die Neonröhre um 90 Grad abknickt. Die unterschiedlichen Farbtemperaturen auf den weißen Flächen EUR 150.000–200.000 und ihre labil empfundene Verbindung machen das außerge- USD 176,000–235,000 wöhnliche Spannungsverhältnis der 1980 von Morellet ge- schaffenen Installation aus. Ausstellung François Morellet hatte bereits 1963 erste elektrifi- Une histoire parmi d’autres: collection de Michel zierte Werke realisiert, die zunächst rhythmisch program- Poitevin. Dünkirchen, FRAC Nord-Pas de Calais, 1999– miert waren und damit Bewegung und Zeit thematisierten. 2000, Abb. S. 47 / François Morellet: 50 Werke aus In den 1970er-Jahren wandte er sich seinen Bildern zu, um 50 Jahren künstlerischer Arbeit 1945–1995. Olden- erst wieder in den 1980er-Jahren zu seiner, wie er es nennt, burg, Stadtmuseum, 1995, Abb. S. 93 „Neon-Affinität“ zurückzukehren, allerdings mit einem deut- 81 lichen Fokus auf Räumlichkeit. In seinem Text „Esthétique • Wirkungsvolles, minimalistisches Spiel mit électrique et pratique électique“, der im Juni 1991 im Bulletin räumlicher Orientierung und Wahrnehmung d’histoire de l’électricité erschienen ist, beschreibt Morellet, • Lichtskulptur von bleibender kunsthistorischer dass die Neonröhren mit einer beleuchteten, immateriellen Relevanz Linie oder einem Winkel die ideale Richtung oder Ebene visu- alisieren könnten, die das Gemälde verloren habe. Unsere Arbeit ist eines der ersten Zeugnisse dieser Werkphase – mit einem ausgesprochen hohen Potenzial dessen, was uns als Betrachtern „gehören“ kann. AGT

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26 Im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung hat sich der rus- Torschok 1864 – 1941 sische Maler Alexej von Jawlensky seinen Motiven auf sehr unterschiedliche Weise angenähert. Während das Frühwerk noch den Traditionen seiner Heimat verpflichtet ist, löst das „Abstrakter Kopf: Komposition Nr. 9“. 1924 Spätwerk sich in Abstraktionen und Farbvariationen auf. Öl auf leinenstruktiertem Papier, auf Karton aufge- Jawlenskys künstlerischer Werdegang ist eng mit Reisen und zogen. 42,5 × 34,5 cm (16 ¾ × 13 ⅝ in.). Unten links Wohnortswechseln verbunden. 1914 begann er im Schweizer monogrammiert: A. J. Rückseitig mit Feder in Braun Exil mit dem Ausloten einer einzigen Landschaft in immer betitelt und mit Feder in Schwarz datiert und be- neuen farblichen Variationen. Die daraus hervorgegangene zeichnet: Komposition N. 9 1924 N.13 [durchgestri- Serialität baute er zu einem zentralen Bestandteil seiner chen]. Werkverzeichnis: Jawlensky 1221. Retuschen. künstlerischen Sprache aus. Verschiedene Themen sollten [3082] Gerahmt. ihn von nun an in immer neuen Serien beschäftigen, wobei er Provenienz die Formensprache stetig reduzierte und kanonisierte. Nach Nachlass des Künstlers / Privatsammlung, Berlin der anfänglichen Bearbeitung des Themas Landschaft wandte er sich den „Mystischen Köpfen“ und „Meditationen“ – pastose EUR 250.000–350.000 Varianten frontaler Gesichter – zu. Nach seinem Umzug ins USD 294,000–412,000 hessische Wiesbaden 1921 beschäftigte er sich bis etwa 1933 vor allem mit den „Abstrakten Köpfen“, in denen er ein fron- Literatur und Abbildung tales Gesicht in immer neuen Farbvarianten wiedergibt. Clemens Weiler: Alexej Jawlensky. Köpfe, Gesichte, Verschiedene Bildelemente tauchen in diesen Werken Meditationen. Hanau, Dr. Hans Peters Verlag, 1970, stets auf: Eine senkrechte, oftmals zu einem Strich reduzierte S. 144 (Werkstattverzeichnis), Nr. 222 / Angelica Nase in der Bildmitte, eine schmale Horizontlinie als Mund Jawlensky: 14 neue Jawlenskys im Museum Wiesbaden. und die geometrischen Augen mit dem darüber liegenden, In: Ausst.-Kat.: Schwerpunkte. 30 Neuerwerbungen stilisierten Haaransatz. Diese Bestandteile dürfen als ein aus der Sammlung . Wiesbaden, Kanon der Bildsprache Jawlenskys in jenen Jahren gelten. Museum Wiesbaden, 1988, S. 38-47, hier S. 46 und Zu dieser Serie kann auch der „Abstrakte Kopf: Kom- Abb. S. 45 (nicht ausgestellt) position Nr. 9“ aus dem Jahr 1924 gerechnet werden. Fron- tal blickt der Betrachter in ein auf wenige strenge Formen • Besonders intensives, leuchtendes Kolorit reduziertes Gesicht. Die zu Parallellinien typisierten Augen • Zeigt die Suche Jawlenskys nach einem allgemein- und der gerade Mund verleihen dem Bild eine kontemplative gültigen Urbild des menschlichen Antlitzes Ruhe. Leuchtende intensive Farben, die in streng voneinan- • Spannungsvolles Spiel von Figuration und Abstraktion der abgegrenzten Flächen aneinanderstoßen, prägen das Gemälde. Traditionell waren es in erster Linie Christusdar- stellungen und die Abbildung von Heiligen, die frontal aus- gerichtet dargestellt wurden. Der „Abstrakte Kopf“ gewinnt dadurch die Bedeutung einer modernen Ikone. TDG

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27 Bereits in den Dreißigerjahren hatte Picasso erste Erfahrun- Málaga 1881 – 1973 Mougins gen mit dem Linolschnitt gesammelt. Ab 1958 entstand dann innerhalb von nur vier Jahren eine in sich geschlossene Werkgruppe, darunter viele Frauenporträts. Auf ihnen dar- „Grande tête de femme au chapeau“. 1962 gestellt ist zumeist Jacqueline Roque, die zweite Ehefrau Farblinolschnitt auf Arches-Velin. 63,8 × 52,6 cm Picassos, die er 1961 heiratete. (75 × 61,5 cm) (25 ⅛ × 20 ¾ in. (29 ½ × 24 ¼ in.)). Bei unserem Blatt „Grande tête de femme au chapeau“ Signiert und gewidmet: pour Arnera pere. Werk- handelt es sich um eine bezaubernde Liebeserklärung an seine verzeichnis: Baer 1317 B.a.2. Einer der 3 Probe- junge Frau. Mit übergroßen Augen blickt sie den Betrachter abzüge außerhalb der Auflage von 50 nummerierten direkt an. Aus ihren wie zum Kuss gespitzten Lippen formt Exemplaren. Paris, Galerie Louise Leiris, 1963. sich das Profil eines zweiten Kopfes, zweifelos der des Künst- [3668] Gerahmt. lers, welcher am Kinn in einer eleganten Linie ausläuft. Die Provenienz schwarze Binnenfläche verleiht dem stilisierten Antlitz Roques Privatsammlung, Hessen eine erstaunliche Lebendigkeit. Der floralen Verspieltheit des Hutes stehen Rechteck, EUR 80.000–120.000 Sichel und Welle im unteren Teil des Bildes gegenüber. Aus USD 94,100–141,000 den zarten weißen Linien vor Schwarz im linken Teil werden schwarze Flächen vor getöntem Grund auf der rechten Seite. Die Widmung gilt Hidalgo Arnéra, Picassos langjährigem, auf Auf diesem Blatt ist jeder Strich mit größter Präzision ge- den Linolschnitt spezialisierten Drucker. Picasso hatte ihn setzt, nichts wirkt dekorativ, alles dient der Logik des Bild- 1954 durch Vermittlung von Suzanne Ramié in Vallauris ken- aufbaus und führt dem Betrachter vor Augen, welche Kraft nengelernt und arbeitete mit ihm ab dem Sommer eng sich allein mit grafischen Mitteln – Linien und Flächen – zusammen: Es entstanden in den folgenden Jahren zahlrei- gewinnen lässt. che Linolschnitte, in denen sie die Möglichkeiten der Tech - Bei mehrfarbigen Linolschnitten werden in der Regel nik des Linolschnitts ausloteten und perfektionierten. mehrere Platten für einen Druck genutzt, für jede Farbe eine eigene. Picasso aber ging dazu über, nur eine einzige • Liebeserklärung des Künstlers an seine zweite Platte zu nutzen. Er schnitt die Bildanteile, die er einer Farbe Ehefrau Jacqueline Roque zuordnete, hier zum Beispiel Schwarz, Beige und Weiß, aus • Prägnantes Beispiel für die innerhalb des Gesamt- der Platte, druckte die Farbe und schnitt dann die Motive werks zahlenmäßig kleine Werkgruppe der Linol- der nächsten Farbe ins Linoleum. Durch das Weiterarbeiten schnitte wurden die schon gedruckten Teile des Bildes auf der Platte • Probedruck mit Picassos persönlicher Widmung zerstört. Beim Druck durften keine Fehler auftreten, sonst an seinen Drucker wäre die Arbeit verloren gewesen. Mit der Widmung auf unserem Blatt dankt Picasso seinem Drucker Hidalgo Arnéra für dessen kunstvolles Handwerk. OH

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28 Peter Halley Der Konstruktivist Peter Halley arbeitet formal abstrakt, New York 1953 – lebt in New York jedoch zeigen seine Werke im Gegensatz zu denen seiner konstruktiven Kollegen die Geometrie der realen Welt. Mit Neonfarben, Formen und industriellen Materialien wie Sand- Firewall. 2007 partikeln und Roll-a-Tex, einem putzförmigen Baustoff, ent- Acryl und Roll-a-Tex auf Leinwand. 183 × 213,5 cm stehen reliefartige Oberflächen. Halleys Bildwelten sind nicht, (72 × 84 in.). Rückseitig mit Bleistift zweifach signiert wie der Betrachter auf den ersten Blick vermuten könnte, ge- und datiert: Peter Halley 2007. [3358] genstandslos, sondern zeigen Codesysteme, Schaltpläne und Provenienz städtebauliche Raster – die Gliederung der gegenwärtigen Privatsammlung, Rheinland Gesellschaft als Gefängnis, als „Firewall“.

EUR 90.000–120.000 USD 105,900–141,000

Ausstellung A REBOURS. Peter Halley invites Matali Crasset. Paris, Galerie Thaddaeus Ropac, 2007

• Antwort auf die Minimal Art der 1970er-Jahre und die Malerei der 1980er-Jahre • Verbindet Subjektivität mit radikal geometrischen Systemen • Energiegeladen und von überwältigender Kraft

Die Zelle. Ihre Allge gen wart markiert die Verküm me rung sozia len Lebens und den Aufstieg der allgemei nen Verka be lung. Der Komfort aus der Leitung hat ein Verlas sen der Zelle über flüs sig und zugleich unmög lich gemacht. Da hockt man dann zu Hause und wartet auf einen Anruf; anstatt gesell schaft li chen Lebens raum zu betre ten, muss man in seiner Zelle verhar ren, um mit jemand ande rem Kontakt aufzu neh men. Peter Halley

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29 Max Liebermann • Die bildgewordene, malerische Leichtigkeit des 1847 – Berlin – 1935 Impressionismus • Bedeutendes Gemälde aus der Reihe der berühmten Wannseegarten-Bilder „Die Blumenterrasse im Wannseegarten nach Nordosten“. • Weitere Gemälde mit diesem Thema befinden sich in 1923 zahlreichen Museen weltweit Öl auf Leinwand. 65 × 82 cm (25 ⅝ × 32 ¼ in.). Unten rechts signiert und datiert: M Liebermann 1923. Werkverzeichnis: Eberle 1923/33. [3074] Gerahmt. Max Liebermann „malte wieder den ganzen Sommer, und Provenienz immer nur in seinem Garten. Immer andere Blumen werden Galerie Paul Cassirer, Berlin (am 5.7.1923 vom Künst- gepflanzt, die verschiedenen Winkel der Gärten vor und hin- ler erworben; PC-Nr. 4919) / Galerie Paul Cassirer, ter dem Hause geben die verschiedenartigsten Bildmotive“, Amsterdam (am 20.7.1923 von Paul Cassirer, Berlin, heißt es in einem Bericht vom Besuch im Garten des Künst- erworben) / Galerie Caspari, München / Galerie lers (Albert Lamm: Vor neuen Bildern Max Liebermanns, in: Arnold, Dresden / Kunsthandlung Max Sinz, Dresden / Kunst und Künstler, Jg. 27 (1929), H. 6, S. 215). Gemeinsam Galerie Paul Cassirer, Amsterdam (1927) / Gemälde- mit seiner Tochter Käthe und dem Direktor der Hamburger galerie Hermann Abels, Köln (1930) / Galerie Dr. Hans Kunsthalle Alfred Lichtwark hatte sich Max Liebermann am Rudolph, Hamburg (Auktion 1950) / Galerie Dr. Bühler, Großen Wannsee ein facettenreiches Gartenparadies München (wohl 1985 bei Sotheby’s erworben, mind. geschaffen: Während sich auf der straßenseitig gelegenen bis 1986) / Privatsammlung, Süddeutschland (im Hälfte ein Blumen- und Nutzgarten befand, wurden auf der Kunsthaus Bühler, Stuttgart, erworben) zum Wannsee gelegenen Seite Blumenterrassen, eine raffi- nierte Heckenbepflanzung und ein Birkenwäldchen angelegt. EUR 300.000–400.000 Unser mit größter malerischer Leichtigkeit gestaltetes USD 353,000–471,000 Gemälde zeigt die zum See gelegene Blumenterrasse nach Nordosten – eine Fläche, die die Familie während des Ersten Ausstellung Weltkriegs zeitweilig zum Kohlanbau genutzt hatte. Nun im Meisterwerke deutscher Kunst. Köln, Gemäldegalerie Sommer 1923 zeigt sich hier eine grüne Oase: In der Mitte Hermann Abels, 1930, Abb. / Von Corot bis Kirchner. einer von gelben Blumen gerahmten Rasenfläche leuchten München, Galerie Dr. Bühler, 1986, m. Abb. / Malerei & zwei quadratische Zierbeete mit blauen Blüten. „Blau im Plastik 19.–21. Jahrhundert. Stuttgart, Kunsthaus Bühler, Garten ist das malerisch Interessanteste und nirgends ist 2007, Abb. S. 66 / TEFAF, Maastricht, 2008 (Kunsthaus die Hintergrund- und Nachbarschaftsfrage so bedeutsam“, Bühler, Stuttgart) / Der deutsche Impressionismus. hatte Liebermann den visuellen Reiz der Farbe beschrieben Bielefeld, Kunsthalle, 2009/10, Abb. S. 117 / Max (zit. nach: Jenns Eric Howoldt und Uwe M. Schneede (Hg.): Liebermann, Lovis Corinth, . Köln, Wallraf- Im Garten von Max Liebermann, Ausst.-Kat. Hamburger Richartz-Museum & Fondation Corboud, und Houston, Kunsthalle; Alte Nationalgalerie Berlin, Berlin 2004, S. 63). Texas, The Museum of Fine Arts, 2010, Kat.-Nr. 29, Im Hintergrund der impressionistischen Gartenvedute deu- m. Abb. ten sich große Pflanzkübel mit Agapanthen und die Bäume Literatur und Abbildung des Heckengartens an. GK Wolfgang Schumann (Geleitwort): Liebermann-Mappe. München, Kunstwart-Verlag Georg D. W. Callwey, o. J. (1925), m. Farbtafel („Blumenbeete im Park [Gemälde, 1923]“) / Kunstwart, 38. Jg., H. 6, März 1925, S. 261 („Blaue Beete“), m. Farbtafel / Versteigerungskatalog: Hamburg, Galerie Dr. Hans Rudolph, 28./29.9.1950, Kat.-Nr. 237 / Versteigerungskatalog: Nineteenth Century European Paintings and Drawings. London, Sotheby’s, 18.6.1985, Kat.-Nr. 101, m. Abb. / Günter Busch: Max Liebermann, Maler, Zeichner, Graphiker. Frankfurt a. M., S. Fischer Verlag, 1986, S. 123, Abb. 110, und S. 242, Abb. 213 / Holly Prentiss Richardson: Landscape in the Work of Max Liebermann. Phil. Diss., 3 Bände. Ann Arbor, Brown University, 1991, hier Bd. II, S. 243, Nr. 701

Wir danken Petra Cordioli, Paul-Cassirer-Archiv, Zürich, und Margreet Nouwen, Berlin, für Hinweise zu Provenienz und Literatur.

Grisebach — Herbst 2020 93 92 30 Emil Nolde 31 Emil Nolde Nolde 1867 – 1956 Seebüll Nolde 1867 – 1956 Seebüll

„Mohn und Rittersporn“. Um 1951/55 „Schwertlilien und andere Blumen“. Um 1930 Aquarell auf Japanbütten. 23,8 × 34,2 cm Aquarell auf Japanbütten. 33,5 × 46,6 cm (9 ⅜ × 13 ½ in.). Unten rechts mit Bleistift signiert: (13 ¼ × 18 ⅜ in.). Unten rechts mit Feder in Schwarz Nolde. Mit einer Expertise von Prof. Dr. Martin signiert: Nolde. Mit einer Expertise von Prof. Dr. Urban, Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, vom Martin Urban, Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, 14. Juli 1992. Etwas gebräunt. [3757] Gerahmt. vom 6. September 1992. [3757] Gerahmt. Provenienz Provenienz Privatsammlung, Baden-Württemberg Privatsammlung, Baden-Württemberg

EUR 40.000–60.000 EUR 100.000–150.000 USD 47,100–70,600 USD 118,000–176,000

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32 Porzellanmanufaktur Vasensätze wie dieser wurden wegen ihrer Verwendung als Kaminvasen auch als „Aufsätze“ bezeichnet und bestanden Meissen, um 1740/50 meist aus zwei becherförmigen Vasen und drei Deckelvasen, die abwechselnd der Größe nach in auf- und absteigender Linie präsentiert wurden. Ihr Vorbild haben diese im japani- schen und chinesischen Exportporzellan. So stellt auch die- Garnitur von fünf Vasen. Ausformung um 1740. ser Vasensatz eine Hommage an die in der ersten Hälfte des 18. Dekoration um 1750 Jahrhunderts besonders am sächsischen Hof verbreitete Porzellan, farbige Aufglasurmalerei, staffiert. Chinabegeisterung dar, die nicht zuletzt von dem Leiter der Große Deckelvase: Höhe 54 cm. Kleine Deckelvasen: Meissener Porzellanmalerei Johann Gregorius Höroldt (1696 Höhe 45,8 cm u. 44,5 cm. Kelchvasen: Höhe 42 cm –1775) durch einen eigenen Stil gepflegt wurde. Unter Einbezie- u. 41,4 cm (Height 21 ¼ in. / 18 in., 17 ½ in. / 16 ½, hung von Versatzstücken aus der ostasiatischen Porzellanma- 16 ¼ in.). Unterseiten jeweils mit Schwertermarke in lerei und der Orientierung an Kupferstichen schuf Höroldt eine Unterglasurblau, Etiketten der Ausstellung Genf 1999 Fülle von Dekors, dessen Motive er für sich und die Maler (s.u.), Kelchvasen mit Pressnummer. Ein Deckel im seiner Werkstatt in einem Skizzenbuch, dem sogenannten 19. Jahrhundert ersetzt. [3587] Schulz-Codex – heute im Grassi-Museum für Angewandte Provenienz Kunst in Leipzig – festhielt. Bis um 1750 hielt Höroldt an der Fritz Clemm, Berlin (bis 1907) / Max Hoffmann, Riehen Chinoiserie fest, sodass es zuweilen zu eigenwilligen Kombi - b. Basel / Nachlass Max Hoffmann, Genf (bis 2005) / nationen wie hier mit den moderneren Manierblumen kam. Partridge Fine Art, London (2006) / Privatsammlung, Besonderes Augenmerk verdient die Darstellung auf Süddeutschland einer der kleineren Deckelvasen, in der ein Mandarin vor einer Tuchdraperie auf einem Podest sitzt, während ihn zwei EUR 200.000–300.000 bewaffnete Krieger flankieren. Es ist dies das einzige Bild, USD 235,000–353,000 das sich auf eine Zeichnung im Schulz-Codex auf Tafel 12 zurückführen lässt. Ausstellung Außer den die Szenen umgebenden Kartuschenrah- Au pays de l’or blanc. Une collection privée de porce- men aus Laub- und Bandelwerk finden sich umlaufende laine de Meissen. Genf, Musée Ariana, 1999 / Meissen: Goldspitzenbordüren unter den Mündungsrändern der drei „Birds, Beasts and Chinamen“. London, Partridge Fine Deckel-vasen, während dazwischen Blüten der sog. Deut- Art, 2006, Kat.-Nr. 45, m. Abb. schen Blumen eingestreut sind. Literatur und Abbildung Die Vasen entstanden wohl bereits um 1740, worauf Versteigerungskatalog Nr. 1496: Sammlung Dr. Fritz die 1739 eingeführten Pressnummern auf den beiden Kelch- Clemm, Berlin. Berlin, Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions- vasen hindeuten. Der Dekor hingegen dürfte nicht vor 1748 Haus, 3.-5.12.1907, Kat.-Nr. 75, Abb. Tf. 11 / Sale 7099: entstanden sein, kann aber keinem bestimmten Maler zuge- European ceramics including porcelain and faience wiesen werden; die Figuren ähneln jenen, die man Johann from the collection of the late Max Hoffmann of Basel. Christoph Horn zuschreibt, aber signierte Porzellandekore London, Christie´s, 21.11.2005, Kat.-Nr. 44, m. Abb. sind von ihm nicht bekannt. 140–145, Nr. 81 und 82 Komplette Vasensätze wie dieses prachtvolle Ensemble sind von großer Seltenheit und befinden sich heute fast aus- • Inbegriff höfischer Prachtentfaltung des schließlich in den bedeutendsten öffentlichen Sammlungen 18. Jahrhunderts der Welt. • Paradebeispiel der Wechselwirkung chinesischen und europäischen Porzellans Dr. Ulrich Pietsch (ehemaliger Direktor der Porzellansamm- • Äußerst seltener, komplett erhaltener Vasensatz lung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden)

Grisebach — Herbst 2020 97 96 Grisebach — Herbst 2020 99 98 N 33 Antoni Clavé Verwittert ist dieser König aus mythischer Zeit zu uns herü- Barcelona 1913 – 2005 Saint Tropez bergekommen. Erst nach und nach verfestigt sich seine Figur vor den Augen des Betrachters. Den übergroßen Kopf hat Clavé streng im Profil gemalt und mit einem Lineament „Le roi à la rose“. Um 1958 in Weiß versehen. Fast scheint es, als blickten wir auf Seh- Öl und Collage auf Leinwand. 131 × 144 cm nen und Knochen. Die Krone und das um den Kopf geschlun- (51 ⅝ × 56 ¾ in.). Unten rechts signiert: Clavé. Rück- gene Tuch sind mit edlen Steinen besetzt, im Zepter mani- seitig mit einem Etikett der Galerie Drouant-David, festiert sich seine königliche Macht. Das Gewand (oder ist Paris. Werkverzeichnis: Nicht bei Seghers. Mit einem es eine Rüstung?) ist fragmentiert wie ein Prisma. Dennoch Zertifikat der Archives Antoni Clavé, Paris, vom wirkt dieser König hoheitsvoll, beinahe entrückt. Und mit 22. Mai 2019. Das Werk ist registriert in den Archives welch zärtlicher Geste erhebt er den Arm mit der einen, der Antoni Clavé, Paris, unter der Nummer 58HT59. rot-blauen Blume! Wem gilt das Geschenk? Seiner Königin? [3496] Gerahmt. Man kann es nicht genau sagen. Das Gebilde ihm gegenüber, Provenienz rot hinterfangen, bleibt das malerische Geheimnis Clavés. Privatsammlung, Schweiz Antoni Clavé, geboren 1913 in Barcelona, war Auto- didakt. Er entwarf zunächst Bühnenbilder und Plakate. EUR 90.000–120.000 Während der Franco-Diktatur emigrierte er nach Frank- USD 105,900–141,000 reich. Hier übten vor allem Pablo Picasso und Georges Rou- ault großen Einfluss auf ihn aus. 1945 taucht das Motiv des • Antoni Clavé zählt neben Antoni Tàpies zu den Königs erstmals in Illustrationen Clavés auf, die er für eine bekanntesten zeitgenössischen Malern Spaniens Ausgabe von Prosper Mérimées „Carmen“ schuf. Sie ähneln • Modernes Spiel mit der Tradition des klassischen den Königen auf spanischen Spielkarten. Unser Gemälde „Le Herrscherporträts roi et la fleur“ entstand 1958 und zeigt den Maler auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Könige und Krieger sind in die- ser Zeit für ihn die bestimmenden Themen. Clavé spielt mit der Tradition des Herrscherporträts, nutzt seine Pathosfor- meln – und verweist damit zweifellos auf die politischen Verwerfungen in seiner Heimat und in Europa. Aber „Le roi et la fleur“ ist auch ein hinreißendes Stück Malerei: In seiner Farbigkeit auf den Dreiklang von Grau, Rot und Blau konzentriert, stechen die wenigen Stel - len in Grün oder Gelb im unteren Drittel der Komposition umso mehr hervor. Es gibt auf diesem Bild zart durchschei- nende Partien, Farbverläufe, Übermalungen und kubistisch zergliederte Flächen mit einer reichen Binnenstruktur. So erscheint es fast wie eine Collage, eine Technik, die Clavé in den folgenden Jahren immer häufiger anwenden sollte. Die ihm dafür gebührende Anerkennung blieb dem Künstler nicht verwehrt. 1959, ein Jahr nachdem er „Le roi et la fleur“ malte, wurde Clavé von Arnold Bode nach Kassel zur docu- menta II eingeladen. OH

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34 Anselm Kiefer Anselm Kiefer gilt international als einer der wichtigsten Donaueschingen 1945 – lebt in Paris zeitgenössischen Künstler. In seinen monumentalen Bildern, Skulpturen und Installationen behandelt er unter Bezugnahme auf Mythologie, Religion, Literatur, Philosophie und Kunst „Die Ungeborenen“. 2002 essenzielle Fragen nach Geschichte, Schöpfung, Ursprung Fotografie collagiert mit Blei und Glas. 60,5 × 94,5 cm und Zerstörung. Dabei wenden sich die bildgewaltigen Werke (23 ⅞ × 37 ¼ in.). Oben links betitelt: die Ungeborenen. ihren aufgeladenen Themen auf gleichsam spektakuläre wie [3637] riskante Weise zu, indem sie das historisch-mythische Moment Provenienz mit der neueren Geschichte und der Gegenwart reagieren Privatsammlung, Bayern lassen. Die von Anselm Kiefer verwendeten Materialien wie Blei, Erde, Sand, Steine, Bücher, Stacheldraht und getrock- EUR 70.000–90.000 nete Blumen bestimmen die Farb- und Oberflächenqualität USD 82,400–105,900 der Arbeiten und besitzen eine immense, mit Bedeutung auf- geladene ästhetische Kraft. • Ein Werk mit tiefen historischen Wurzeln aus dem Das Thema der „Ungeborenen“ spielt ab 2001 eine berühmten Zyklus „Die Ungeborenen“ wichtige Rolle im Schaffen Kiefers. Der Ausdruck bezeichnet • Gelungene Verbindung von Stimmung und kritischer für den Künstler vor allem den Zwischenzustand zwischen Analyse Noch-nicht-geboren-sein und Geboren-werden, ein Zustand, in welchem „der wahnhafte Wunsch, ungeboren zu sein“ (Anselm Kiefer), zum Ausdruck gebracht wird. Dieser Zustand wird von Kiefer mit dem Schwebezustand gleichgesetzt, in welchem sich die am Höllenrand auf den Einlass ins Himmel- reich wartenden Seelen befinden. Die narrative Grundlage für die Arbeiten bilden auch die Erzählungen rund um die Figur der Lilith, einer Dämonin aus der jüdischen Mystik, welche neugeborene Kinder entführt. Weitere Quellen lieferten das Neue Testament sowie die alchemistische Legende des Golem, der Mythos der Geburt der Venus und mittelalterliche Überlieferungen zum Mutterkorn. Für unser Werk ergänzt Anselm Kiefer eine abstrakt wirkende Fotografie von farnartigen Pflanzen mit kleinen, weißen Kleidern aus Blei, die über das Bild verteilt sind, sowie mit Zahlen, Fragmenten von Buchstaben und dem in Hand- schrift aufgebrachten Bildtitel. Die Kleider erscheinen wie die Totems ungeborener Leben und rufen in Verbindung mit 103 den Zahlenfolgen Assoziationen zum Holocaust wach. Die Farne hingegen wirken wie unbeherrschbare Trugbilder, wie verwischte Erinnerungen an etwas Unbestimmtes. Als wieder- kehrendes Motiv im Werk Kiefers verweist der Farn als Sym- bol zum Schutz gegen böse Geister auf diverse literarische und mythische Quellen. So eröffnet sich dem Betrachter ein Prozess von gedanklichen und materiellen Ablagerungen, Über- kreuzungen und Überarbeitungen in Form von labyrinthischen Assoziationsebenen, die sich sowohl aus dem Bewusstsein von Geschichte speisen wie auch das Unbegreifliche und das Nicht-Darstellbare ins Bildgeschehen mit einbringen. AR

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35 Otto Mueller, der das Fundament seiner malerischen Ausbil- Liebau/Schlesien 1874 – 1930 Breslau dung an der Dresdner Kunstakademie erhalten hatte, lebte seit 1908 in Berlin. Hier lernte er bald Ernst Ludwig Kirchner und kennen und wurde Mitglied der Brücke. Im „Im Gras sitzendes Mädchen“. Um 1925 Austausch mit den Künstlern der 1905 in Dresden gegründe- Aquarell und Farbkreide auf Velin. ten Vereinigung, die sich dem Credo des Unmittelbaren und 68,5 × 52,5 cm (27 × 20 ⅝ in.). Rückseitig mit Unverfälschten verschrieben hatte, gelangte er zu größter dem Nachlassstempel (Lugt 1829d) in Schwarz, Schaffenskraft. Gemeinsam mit Heckel und Kirchner, denen von Erich Heckel mit Bleistift bestätigt. er nach Auflösung der Brücke freundschaftlich verbunden Werkverzeichnis: Pirsig/von Lüttichau 488. blieb, arbeitete Mueller auch an der Ostsee und den Moritz- [3090] Gerahmt. burger Teichen bei Dresden. In freier Natur fand er zum zen- Provenienz tralen Thema seines Schaffens: In ungezählten Variationen Privatsammlung, Süddeutschland widmete er sich dem Akt in der Landschaft, so auch beim vorliegenden Aquarell. EUR 120.000–150.000 Hier sitzt eine einzelne Frau im Gras, üppige Vegetation USD 141,000–176,000 umgibt sie. Mit ihren Armen umschlingt sie die angewinkelten Beine. Ihre Haare hat sie zum modischen Bubikopf frisiert, sie Ausstellung ist zweifellos eine moderne Frau der Zwanzigerjahre. Doch in Klassiker der jungen Kunst. Berlin, Galerie dieser arkadischen Landschaft wirkt sie entrückt und den Meta Nierendorf, 1960, Bildliste Nr. 64 (Falt- Zeitläuften enthoben. blatt) Otto Mueller strebte immer nach größtmöglicher Ein- Literatur und Abbildung fachheit in der Darstellung: Deshalb hat er den Körper inner- Lothar-Günther Buchheim: Otto Mueller. halb der eleganten Umrisslinien ganz flächig organisiert. Leben und Werk. Feldafing, Buchheim Verlag, Durch die Vielfalt der Pflanzen entsteht eine dichte, 1963, Abb. S. 253 bildmäßige Komposition. Da wachsen neben verschiedenen Sträuchern und einem das Modell beschirmenden Baum • Der Akt in freier Natur ist das zentrale Thema fächerartige Farnblätter. Die Dolden einer Blume bilden ei- im Schaffen Otto Muellers nen reizvollen Kontrast zum Körper der Frau. Mueller wählt • Sinnbild für das irdische Paradies bei dieser Arbeit Aquarellfarben und Kreiden; sie lassen ein • Frisches, kräftiges Kolorit stärkeres Kolorit zu als die sonst von ihm verwendeten leim- gebundenen Pigmente. Ein intensives Grün steht neben Braun und Gelb. Das Blau des Bachlaufes setzt der Maler auch zur Akzentuierung der Gewächse im Vordergrund ein. In der Re- duktion aller Formen wirkt diese Zeichnung innig und gleich- nishaft. Die so oft von Künstlern beschworene Einheit von Mensch und Natur: Bei Otto Mueller wird sie Wirklichkeit. OH

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36 Emil Nolde Anfang Oktober 1913 brach Emil Nolde gemeinsam mit sei- Nolde 1867 – 1956 Seebüll ner Frau Ada zu einer fast einjährigen Reise in die Südsee auf. Lebhaft erinnert sich der Maler an die ersten Motive seiner großen Reise, die unzähligen „Dschunken mit weißen „Dschunken im Gelben Meer“. 1913 oder farbigen hohen, herrlichen Segeln. Dies alles war meine Aquarell und Tuschpinsel auf Japanbütten. 28 × 22,9 cm Lust, mein Element, dies Leben und Treiben auf dem Wasser (11 × 9 in.). Unten links mit Bleistift signiert: Nolde. mit den langen Spiegelungen der Segel, sei es von einzelnen Mit einer Expertise von Prof. Dr. Manfred Reuther, Booten oder von reizvollen Gruppen“ (Emil Nolde: Welt und Klockries, vom 19. Oktober 2020. [3708] Gerahmt. Heimat. Köln 1965, 2. Aufl., S. 47). Provenienz Unser Aquarell ist Anfang November 1913 in China Werner Stockhausen, Krefeld / Privatsammlung, wohl während der Überfahrt von Japan entstanden. Ruhig Krefeld / Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen segeln die zwei Boote über das Meer. Das größere hat der Künstler prominent zentral platziert, das kleine nach hinten EUR 40.000–60.000 links versetzt. In Bewegung gerät die idyllische Szene erst USD 47,100–70,600 durch Noldes freie, gestische Malerei: Auf die ockerfarbene Wasserfläche hat er souverän dunkelbraune Aquarell- und Ausstellung schwarze Tuschfarbe gesetzt, die Spiegelungen und Wellen Malen – naß in naß. Aquarelle von Emil Nolde bis Otto andeuten, und auch das Weiß des unbemalt gebliebenen Dix. Düsseldorf, Galerie Remmert und Barth, 2014/15, Papiers im Vordergrund geschickt als schillernden Sonnen- Kat.-Nr. 56, Abb. S. 85 reflex genutzt. Der graue Himmel lässt eine aufziehende Regenfront • Exemplarisches Werk aus einer wegweisenden erahnen. Die Horizontlinie weist links eine auffällige schwar- Schaffensphase des Malers ze Struktur auf, die man wohl als Dampfschiff interpretieren • In dieser Qualität seltenes, farbfrisches Aquarell darf. Nolde, der seine Bildmotive sonst eher summarisch von Noldes China-Aufenthalt im November 1913 behandelte, liebte es, in seiner Aquarellmalerei solch filig- • Eindrucksvolles Zeugnis der Begeisterung Noldes rane Details noch mit dem Tuschpinsel einzufügen. AF für fremde Länder und Kulturen

Grisebach — Herbst 2020 107 106 Grisebach — Herbst 2020 109 108 Andreas Fluck Rot, rot, rot – Emil Nolde und die überschwängliche Blühkraft der Erde

Emil Nolde und „sein“ Mohn: Als der Künstler ihn um 1918/1920 als Motiv für seine Aquarelle entdeckte, erkannte er gleich, wie hervorragend sich diese heimische Gartenpflanze für seine expressive, stärkste Farbgegensätze verwendende Male- rei eignet. Das intensive Rot der Blüten kontrastierte per fekt mit dem Grün von Stängeln und Blättern. So entwickelte sich der Mohn zum beliebtesten Pflanzen- Los 37 motiv in Noldes Aquarellmalerei. Eine Übernahme ins große Ölbildfor- mat war nur eine Frage der Zeit. „Mohn im Wind“ ist eines der ersten Gemälde, in denen zwei 5. August 1931 – Archiv der Nolde Stiftung Seebüll). Das fast quadratische Format zentrale Motive in Noldes Schaffen – Blumen und Landschaft – in des Bildes ist ungewöhnlich. Nolde hat das ursprünglich größere Gemälde an größtmöglicher Reduktion im Bild erscheinen. Auf ablenkende Details allen vier Seiten beschnitten. Einer dieser Abschnitte existiert noch heute als wie Häuser, Mühlen, Wege oder Kanäle verzichtete der Künstler be- „Mohn“ in der Sammlung der Nolde Stiftung. wusst, um allein die Leuchtkraft der Farben auf den Betrachter wirken Nach 1926 entstanden weitere Gemälde, in denen Nolde unmittelbare Nah- zu lassen und ihm die wunderbaren Erscheinungsformen der Natur in sicht mit einem Blick in die ferne Tiefe kombinierte. Dieses Motiv beschäftigte ihn einfachster Form vor Augen zu führen. besonders zur Zeit des Malverbots (1941–1945), als nur wenige Ölbilder mit unver- Nolde hat die im Licht einer unsichtbaren Sonne hell erstrahlen- fänglicher Thematik entstehen konnten. Ein Hauptwerk unter ihnen ist das den Mohnblüten ungewöhnlich nah, fast übermächtig in den Vorder- Gemälde „Großer Mohn (rot, rot, rot)“ von 1942 aus der Sammlung der Nolde Stif- grund gerückt, was ihnen eine besondere Präsenz verleiht. So muten tung Seebüll. Hier breitet sich jedoch der Mohn in drei unterschiedlich variieren- sie fast wie Schauspieler vor einer Theaterkulisse an, gebildet von den Rottönen über die gesamte Bildfläche aus, sodass im Hintergrund nur ein Marschland, Himmel und Wolken. Die von zartem Rosa zu intensivem diffus dunkelblauer Himmel unter einer weißen Wolkendecke erkennbar ist. Die - Rot changierende Farbigkeit der Blüten betont ihre Individualität. Der ser Bildaufbau ließ die These aufkommen, Nolde schirme sich in dieser für ihn von Nolde selbst stammende Bildtitel lässt ihr Wippen und Nicken im schwierigen Lebensphase deutlich von der Außenwelt ab und konzentriere sich steten Wind der Nordseeküste erahnen. Der rasche, aber doch sichere ausschließlich auf sein unmittelbares Umfeld, nämlich sein Pinselstrich im Bereich der Blüten und des Blattwerks verstärkt noch Haus Seebüll mit dem umgebenden Blumengarten. Noldes den Eindruck von Bewegung. Die ruhig im Hintergrund ziehenden Wol- Monograf Werner Haftmann würdigte den berühmten Nachfol- ken stehen dieser Dynamik bewusst entgegen. ger von „Mohn im Wind“ hingegen neutraler als „Bild der über- „Mohn im Wind“ hat eine bemerkenswerte Historie: Sein späte- schwänglichen Blühkraft der Erde“ und „episches Naturge - rer Besitzer, den Nolde über einen Kontakt zum Regierungspräsidenten dicht“ (Werner Haftmann: Emil Nolde. Köln 1988, 8. Auflage, in Schleswig kannte, heiratete am 7. August 1931 in Berlin-Dahlem. Nolde S.126). Besonders in diesen Mohnbildern scheint Nolde die an machte dem Brautpaar dieses Gemälde zum Geschenk, eine unge- sich und seine Kunst gestellte Forderung einzulösen: „Immer so

Emil Nolde, 1937 wöhnlich großzügige Geste des Malers. Er selbst konnte an der Zere- gern wollte ich nur ich sein und in meinen Bildern erreichen, monie nicht teilnehmen, denn er feierte am selben Tag in Seebüll sei- dass nicht nur die Bildfläche gesehen wird, sondern dass vom nen 63. Geburtstag. Stattdessen sandte er „Mohn im Wind“ und schrieb hierzu: Bilde aus ein Hauch geistig-seelischer Schönheit ausgehe, über „Es waren die leichtesten u. zartesten Boten, die wir finden konnten. Ihr Kleid, die Grenzen des Rahmens hinaus, den ganzen Raum füllend“ der Rahmen, ist von einem ländlichen Tischler gemacht…“ (Brief Emil Noldes vom (Emil Nolde: Jahre der Kämpfe. 5. Auflage, Köln 1985, S. 201f).

„Großer Mohn (rot, rot, rot)“. 1942. Öl/Lwd. Urban 1241. Nolde Stiftung Seebüll

Grisebach — Herbst 2020 111 110 N 37 Emil Nolde Nolde 1867 – 1956 Seebüll

„Mohn im Wind“. 1926 Öl auf Leinwand. Randdoubliert. 40 × 48 cm (15 ¾ × 18 ⅞ in.). Unten links monogrammiert: E. N. Auf dem Keilrahmen signiert und bezeichnet: Emil Nolde Mohn im Wind. Werkverzeichnis: Urban 1031. Das ursprünglich größere Gemälde wurde vom Künstler verkleinert und dann monogrammiert. [3068] Gerahmt. Provenienz Privatsammlung, Schweiz (Hochzeitsgeschenk des Künstlers 1931, seitdem in Familienbesitz)

EUR 350.000–450.000 USD 412,000–529,000

• Hochzeitsgeschenk des Künstlers, seit fast neunzig Jahren in Privatbesitz • Roter Mohn war für Emil Nolde die Blume par excellence • Vereint zwei Hauptmotive des Künstlers in einem Werk

Die Mohnblüten wirken fast wie Schauspieler vor einer 113 Theaterkulisse, gebildet von Marschlandschaft, Himmel und Wolken.

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38 Emil Nolde Unter den Bildnissen in Emil Noldes Aquarellmalerei über- Nolde 1867 – 1956 Seebüll wiegt die Darstellung von Frauen bei weitem. Erste Beispiele dafür tauchen in seinem Schaffen bereits 1907 auf. Echte Porträts sind dabei allerdings selten. Der Künstler nahm sich „Frauenbildnis (rotblondes Haar, grüne Augen)“. stets die Freiheit, von der Realität abzuweichen, sie zu Um 1920/21 modifizieren und seine Bilder in freier Gestaltung zu entwi- Aquarell und Tuschpinsel auf dünnem Japan. ckeln. Bei unserem Aquarell „Frauenbildnis (rotblondes 47,5 × 34,8 cm (18 ¾ × 13 ¾ in.). Unten rechts Haar, grüne Augen)“ scheint ihm jedoch sehr daran gelegen mit Bleistift signiert: Nolde. Mit einer Exper- gewesen zu sein, dass sein Modell wiederzuerkennen war, tise von Prof. Dr. Martin Urban, Stiftung See- auch wenn der Name der Porträtierten nicht bekannt ist. büll Ada und Emil Nolde, vom 31. August 1989 Die Ausführung zeugt von der Meisterschaft des großen (in Kopie) und der Bestätigung der Authentizi- Aquarellisten: Gesichtszüge und Hals der Frau sind mit tät der o.g. Expertise von Prof. Dr. Manfred unterschiedlichen Orangetönen fein modelliert und erhal- Reuther, Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, ten reizvolle Farbakzente aus Grün und Rosa in den Partien vom 29. Oktober 2014. [3054] Gerahmt. von Augen und Mund. Ihre rote Bluse und der schwarze Provenienz Schatten an der Wand dienten Nolde dazu, den Kopf kom- Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen positorisch im Bildraum zu verankern. Das im Titel explizit erwähnte rotblonde Haar hat er eher summarisch behan- EUR 70.000–100.000 delt. Freilich ließ Nolde es sich nicht nehmen, neben ihrem USD 82,400–118,000 linken Ohr mit feinem Pinselstrich eine verspielte Locke hin- zuzufügen. • Farblich wie zeichnerisch herausragendes In einem zweiten, finalen Arbeitsschritt folgte dann mit Aquarell schwarzer Tusche die zeichnerische Festigung des Porträt- • Im Schaffen des Malers eines der seltenen kopfes. Die in den Jahren 1909/10 erworbenen Fertigkeiten Aquarellporträts im Umgang mit dem sogenannten trockenen Pinsel, welche die unter dem Schwarz liegenden Farbschichten noch zum Teil durchscheinen lassen, setzte Nolde mit großer Virtuosi - tät ein. Insbesondere die Gestaltung der Linien von Augen- brauen, Kinn und Schulter zeugen von seinem hervorragen- den Können. AF

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39 Georg Kolbe zählt zu den einflussreichsten Vertretern der Waldheim/Sachsen 1877 – 1947 Berlin figürlichen Plastik im 20. Jahrhundert. Die „Sklavin“ schuf er 1916: Sie ist ein eindrucksvolles Beispiel für Kolbes Entwick- lung hin zu einer auf das Wesentliche reduzierten Darstel- „Sklavin“. 1916 lung des menschlichen Körpers. In Bronze gegossen wurde Bronze mit dunkelbrauner Patina. 72 × 20 × 19 cm die Figur noch zu Lebzeiten des Künstlers bei der Bildgieße- (28 ⅜ × 7 ⅞ × 7 ½ in.). Auf der Plinthe rechts neben rei Hermann Noack. dem linken Fuß monogrammiert: GK. Rückseitig an Dabei nahm ihr der Künstler jede Schwere: Federnden der Schmalseite der Plinthe mit dem Gießerstempel: Schrittes überkreuzt die „Sklavin“ in einer Art tänzerischen H.NOACK BERLIN FRIEDENAU. Werkverzeichnis: Taumels ihre Füße. Sie scheint im Begriff, aus dem Gleichge- Berger 29. Einer von mindestens 7 Güssen bis 1923. wicht zu geraten. Als würde sie mit letzter Kraft gegen die [3609] Ohnmacht ankämpfen, führt sie ihre rechte Hand zur Stirn – Provenienz kompositorisch ein Kunstgriff Kolbes, denn so bilden die Privatsammlung, Niedersachsen Arme den Rahmen um das idealschöne Gesicht. Mit der „Sklavin“ schuf Georg Kolbe nicht nur ein Sinn- EUR 100.000–150.000 bild des Menschen in Zeiten des Leides, er stellte sich auch USD 118,000–176,000 durchaus selbstbewusst in die Tradition der Skulpturen von Antike und Renaissance. Schon der Schöpfer der legendären Ausstellung „Laokoon-Gruppe“ aus den Vatikanischen Museen in Rom Unbekannte Meisterwerke aus Braunschweiger schilderte im ersten Jahrhundert vor oder nach Christi Privatbesitz. Braunschweig, Kunstverein, Haus Salve Geburt den Menschen, wie er sogar im Angesicht des Todes Hospes, 1952, Kat.-Nr. 77 („Tänzerin“) (?) seine Anmut und Würde bewahrt. Kolbe hat sich bei seiner „Sklavin“ offenbar speziell an • Moderne Plastik mit historischen Vorbildern von dem linken, gerade in sich zusammensinkenden Knaben der der antiken „Laokoon-Gruppe“ bis zu Michelangelos antiken Figurengruppe orientiert. Noch augenscheinlicher „Sterbendem Sklaven“ ist die Verbindung zu Michelangelos „Sterbendem Sklaven“ • Seltener, noch zu Lebzeiten des Künstlers hergestell- (Paris, Louvre), der um 1513 für das Grabmal von Papst Julius ter Guss aus der Bildgießerei Hermann Noack II. entstand und wie so viele andere Skulpturen Michelange- los unvollendet blieb. Dass er diese beiden Schlüsselwerke der Kunstgeschichte aus eigener Anschauung kannte, darf als sicher gelten: Georg Kolbe hatte sowohl in Paris als auch in Rom studiert. KH

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40 Willi Geiger Ausgerechnet 1919, im Jahr seiner Übersiedlung von Berlin Schönbrunn b. Landshut 1878 – 1971 München nach München, malte Willi Geiger dieses Bild, das den „Blin- den“ durch eine expressionistische Kulissenlandschaft schreiten lässt, die aus den Berliner Ufa-Studios stammen Der Blinde. 1919 könnte. Natürlich war die expressionistische Filmsprache ein Öl auf Leinwand. 150 × 85 cm (59 × 33 ½ in.). Unten Sprößling der Malerei, aber doch ein so erfolgreicher, dass links signiert und datiert: Geiger 1919. Auf der Stütz- wir sie auch mit einer Darstellung verknüpfen können, die leiste des Keilrahmens ein Etikett der Neuen Kunst vorher entstanden ist. Nicht einmal ein Jahr später erschie- Hans Goltz, München. Sorgfältig restauriert. nen so grundlegende Filme wie der „Golem“ von Paul Wegener [3548] Gerahmt. mit den Bauten von Hans Poelzig oder Robert Wienes „Cabinet Provenienz des Dr. Caligari“. Privatsammlung, Hessen / Privatsammlung, Europa Geiger hat den Blinden als das Format nahezu spren- gende Figur ins Bild gesetzt. Auf einem diagonal verlaufen- EUR 60.000–80.000 den Weg, der in starker Aufsicht wiedergegeben ist, strebt USD 70,600–94,100 der Mann mit gelassener Miene einem unbekannten Ziel entgegen. Die Figur hat einen traumwandlerischen Zug, und Literatur und Abbildung auch der fügt sich ein in das Interesse am Somnambulen, Hans Friedrich Eggler: Willi Geiger. München, Bayeri- Unheimlichen und Unerklärlichen, das die Jahre um 1920 scher Volksverlag, 1928, unpag., mit Abbildung (dort kennzeichnete – in Film, Literatur und bildender Kunst. Diese datiert: 1922) Vorlieben entsprangen den Verwüstungen, die eine angeb- liche Rationalität auf den Schlachtfeldern des Ersten Welt- • Bildnerische Sinnsuche zwischen Novemberrevolution kriegs und im Gemüt der Menschen hinterlassen hatte. Der und expressionistischem Film Blinde ist das Gegenbild zu denen, die sehenden Auges ins • Monumentales Hauptwerk des Künstlers Verderben rannten. Mit der Multiperspektive, die wir von • Stimmungsvoller Zweiklang von Violett und Grün Ludwig Meidners Stadtlandschaften kennen, den organisch anmutenden Bauten und der komplementären Farbgebung, die in ihrer Dezenz wiederum an die viragierten, das heißt zum Teil eingefärbten Filme der Stummfilmzeit erinnert, bewegte sich Willi Geiger auf der Höhe der Zeit. „Der Blinde“ ist ein großartiges Dokument der intensiven Sinnsuche in diesen Jahren. MS

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41 Curt Querner Im Kreis der intensiven Selbstbefrager, mit denen die Ge- Börnchen b. Freital 1904 – 1976 Kreischa schichte der Kunst aufwarten kann, ist Curt Querner un- zweifelhaft einer der ganz Großen, auch wenn sich das in seinem Bekanntheitsgrad nicht sonderlich niedergeschla- „Selbstbildnis mit herabfallendem Haar“. 1934 gen hat. Er selbst hätte diese Tatsache wahrscheinlich so Öl auf Holz. 27 × 22,2 cm (10 ⅝ × 8 ¾ in.). Rückseitig kommentiert, dass es nicht darauf ankomme, was einer gelte, mit Bleistift datiert und bezeichnet: 1934 gemalt. sondern was einer tue, und vor allem, wie sehr er damit bei Werkverzeichnis: Dittrich A 32. [3631] Gerahmt. sich selbst sei. Querner hat früh entschieden, sich aufs Provenienz Land in sein Elternhaus nach Börnchen südlich von Dresden Nachlass des Künstlers / Galerie Gebr. Lehmann, zurückzuziehen, und wenn auch materielle Erwägungen Dresden / Fischer Kunsthandel & Edition, Berlin / dabei eine Rolle spielten, kam ihm doch der Abstand zu den Privatsammlung, Sachsen-Anhalt Eitelkeiten, die in der Künstlerszene Dresdens ausgelebt wurden, auch entgegen. Er war als Mensch und Maler allen EUR 70.000–90.000 Äußerlichkeiten abhold und stand bis ins Alter immer neu USD 82,400–105,900 staunend vor den Erscheinungen, die ihm die Menschen sei- ner ländlichen Umgebung, die Fülle der Natureindrücke und Ausstellung eben sein eigenes Antlitz boten. Curt Querner. Ausstellung anlässlich seines 70. Der Kunsthistoriker Erhard Frommhold hat bekräftigt, Geburtstages. Schwerin, Staatliches Museum, 1974, dass Querners Selbstbildnisse „zwar, wie man richtig be- Kat.-Nr. 12 merkt hat, Querners Autobiographie ersetzen, aber keines- Literatur und Abbildung wegs den tatsächlichen Lebensgang, sondern eben ,geläu- Curt Querner 1904–1976. Ausst.-Kat. Galerie Rähnitz- tert‘ seinen eigenen Roman erzählen“ (zit. nach: Ausst.-Kat. gasse, Dresden 1984, Abb. auf dem Frontispiz (Foto Curt Querner zum 80. Geburtstag. Dresden, Galerie Rähnitz- der Malstube in Börnchen mit dem Selbstbildnis auf gasse, 1984, S. 22). Dabei blickt der Künstler von Anfang an einem Bücherregal) mit einer unprätentiösen Sachlichkeit, die das Emotionale nicht leugnet, aber eben auch nicht expressiv auflädt, in • Curt Querner ist einer der wichtigsten Vertreter der den Spiegel. Das Zeichnen hat er ab 1926 bei Richard Müller Dresdner Neuen Sachlichkeit an der Dresdner Akademie gelernt, und sein prägnanter • Selbstbildnis von starker, unsentimentaler Präsenz Blick auf die Dinge wurde durch den Unterricht bei Otto Dix • Frühe Selbstbildnisse des Künstlers befinden sich fast im Jahre 1930 nur bestätigt. ausnahmslos in Museumsbesitz Im Gegensatz zu den Selbsterforschungen Rembrandts, der auch mit historischen Rollenmodellen spielt, oder den psychischen Verwerfungen, die Horst Janssen in sein Antlitz hineinzeichnet, bildet Querner sich mit meist ernstem Blick, gefurchter Stirn und unerschütterlicher Ehrlichkeit ab, der alles Exzessive abgeht. Sein Selbstbildnis von 1934 ist die Bestandsaufnahme eines Mannes, der durch allerlei Stürme hindurchgegangen ist, sich wie viele seiner Kollegen auf eine zunehmende Aus- grenzung durch die nationalsozialistische Kunstpolitik ein- stellen muss und dessen Bewegungsspielraum so noch enger wird, als er es in seiner selbstgewählten Abgeschiedenheit vermutet hat. Querner hat ein kleines, aber monumentales Gemälde geschaffen, sein Gesicht reicht bis an die Begren- zung des Bildraums und betont damit die Gemütslage eines Mannes, der auf sich allein gestellt ist. MS

Curt Querner. „Selbstbildnis mit Brennessel“. 1933. Öl/Pappe. Dittrich A 24. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

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42 Franz Lenk Franz Lenks zeichnerische Präzision hat ihre Wurzeln im Langenbernsdorf 1898 – 1968 Schwäbisch-Hall Unterricht des Künstlers Richard Müller, von seinen Schü- lern auch „Zuchtmeister der Dresdner Zeichenschule“ genannt. Doch der fantastisch-morbide Einschlag des Leh- „Altes Wehr“. 1930 rers war seine Sache nicht. Mit seiner stillgestellten Bildwelt Öl auf Leinwand auf Holz. 113,6 × 94,7 cm entwickelte Lenk eine deutsche Pittura metafisica, die atmo- (44 ¾ × 37 ¼ in.). Unten links datiert und signiert: sphärisch dichte Orte entstehen ließ, in denen es keine Zeit 1930 F. Lenk. Werkverzeichnis: von Abercron D-30-4. mehr gibt. Auch der Mensch ist in diesen Bildern entbehr- [3548] Gerahmt. lich geworden, und seine Bauten wirken wie schon immer da Provenienz gewesene Schöpfungen ohne Urheber. Privatsammlung, Süddeutschland (bis 2010) / Privat- Das Wehr in unserem Bild macht den Eindruck, als sei sammlung, Europa es schon lange nicht mehr benutzt worden. Kein Kräuseln bewegt die Wasseroberfläche, denn sie ist gefroren – nicht EUR 80.000–120.000 deshalb, weil der kahle Baum einen strengen Winter nahe- USD 94,100–141,000 legte, sondern weil es in einer Welt ohne Zeit auch keine Bewegung gibt. Gerade das aber ermöglicht es uns, mit viel Ausstellung Muße den vielfältigen Farben der Holzlatten nachgehen und Große Berliner Kunstausstellung 1930, Amtlicher ihre Spiegelungen auf dem Wasser beobachten zu können. Katalog der I. Abteilung. Berlin, Schloß Bellevue, 1930, Das Haus im Hintergrund ist, wie auch der Himmel, in einer Kat.-Nr. 251 / Aftermath. Art in the Wake of World nuancenreichen Malerei gestaltet, die keine Ablenkung kennt. War One. London, Tate Britain, 2018, Kat.-Nr. 62, Abb. Die Kunst Franz Lenks ist die der Versenkung. Sein Magi- S. 85 scher Realismus beruht auf einer kontemplativen Beobach- Literatur und Abbildung tungsgabe, die an die Frühzeit der abendländischen Land- Susanne Thesing: Franz Lenk. Recklinghausen, Verlag schaftsdarstellung anknüpft. Ein Werk wie Albrecht Dürers Aurel Bongers, 1986, Abbildung S. 90 „Drahtziehmühle“ (Kupferstichkabinett Berlin) hat hier Pate gestanden. MS • Hervorragendes Beispiel für den Magischen Realismus Franz Lenks • Atmosphärisch dichtes Bild der Stille und Kontemplation

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43 Eberhard Havekost Dresden 1967 – 2019 Berlin

„Beziehung 2“. 2002 Öl auf Leinwand. 130 × 180 cm (51 ⅛ × 70 ⅞ in.). Rückseitig signiert, datiert, betitelt und bezeichnet: Havekost B02 Beziehung 2. Auf dem Keilrahmen ein Stempel der Galerie Gebr. Lehmann, Dresden. [3548] Provenienz Ehemals Privatsammlung, Norddeutschland

EUR 70.000–90.000 USD 82,400–105,900

Literatur und Abbildung Eberhard Havekost: Harmonie, Bilder 1998–2005. Ostfildern-Ruit, Hatje Cantz, 2005, Abb. S. 19

• Havekosts Thema ist der Prozess des Sehens und der Wahrnehmung • Hauptwerk aus der Hochphase der international gefeierten „Neuen deutschen Malerei“

Eberhard Havekost stößt uns auf den Blickwinkel. Je nach- dem, wie wir eine Sache betrachten, stellt sie sich uns anders dar. Im Gemälde „Beziehung 2“ veranschaulichen das die zwei, in der Art einer Collage zugewandten Zelte. Es handelt sich aber nur um ein und dasselbe Zelt, das aus zwei verschiedenen Perspektiven abgebildet ist. In der Kombina- tion beider Ansichten werden Dualitäten verhandelt, die sich in den Hintergründen als Hell-Dunkel und im Gegen- stand als Zuwendung-Abwendung artikulieren. Das ist ein subtiler Hinweis auf die Gegensätzlichkeiten, die den Dingen (und den Menschen selbst) innewohnen. Diese Art von „Denkmalerei“ hat einen berühmten Paten, der sich in sei - nen Bildern ein Leben lang mit den Vorstellungen, die wir uns von der Welt machen, beschäftigt und mit den Erwar- tungen der Betrachter sein Spiel getrieben hat: Im Jahr 1928 malte René Magritte zwei Fassungen der „Liebenden“. Wir sehen ein Paar, dessen Köpfe mit Tüchern verhüllt sind. In einem dieser Bilder wenden sich die zwei einander zu. Auch diese Beziehung findet in unseren Köpfen statt. Denn sehen tun wir etwas Verhülltes, wir wissen gar nicht, wer oder was oder ob überhaupt etwas daruntersteckt. Dasselbe Phänomen steckt in Havekosts „Beziehung 2“ – die beiden Gegenstände wenden sich einander zu wie zwei Astronauten in ihren Schutzanzügen, die sich ange- sichts einer unwirtlichen Umgebung verständigen müssen. Als Betrachter einmal auf die vom Künstler ausgelegte Spur gesetzt, machen wir uns selbst unser Bild, das mit dem Gesehenen nur durch hauchdünne Fäden verbunden ist. Was Oberflächen an inneren Bildern evozieren, interessiert den Maler. Was werden die Ärchäologen kommender Jahr- tausende sich für ein Bild von uns machen angesichts der Behausungen, die Havekost malerisch durchdekliniert? MS

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44 Rudolf Jahns Rudolf Jahns ist der Poet unter den abstrakten Malern, der Wolfenbüttel 1896 – 1983 Holzminden auf bestimmte Dinge entschieden weniger Wert legt, als die Apologeten der „reinen Lehre“ propagieren. Zum Beispiel ist er kein Freund der Verwendung von Grundfarben, die „Komposition R 3 a“. 1924 ihm von manchen wohl zu propagandistisch eindeutig aus- Tempera auf Pappe auf Hartfaser. 25 × 19,8 cm gelegt werden. Seine Farbpalette bewegt sich oft in ge- (9 ⅞ × 7 ¾ in.). Unten rechts mit Bleistift signiert und mischten, gedeckten warmen Tönen, die in ihrer Erdhaftig- datiert: R. Jahns 24. Rückseitig mit schwarzem Stift keit ein tiefes Naturverständnis anklingen lassen. Auch die (nachträglich) signiert, datiert und betitelt: Rudolf Verwendung des rechten Winkels findet Jahns zwar nützlich, Jahns 1924 Komposition [mit Bleistift ergänzt:] (R 3) a. aber keineswegs in einer so vorherrschenden Art, wie sie Piet Werkverzeichnis: Christ 148. [3072] Im Künstlerrahmen. Mondrian oder Theo van Doesburg demonstrieren. Provenienz Jahns liebt die Rundung, die bei aller Abstraktion Privatsammlung, Rheinland (in den 1980er-Jahren von immer die Assoziation zu Menschlich-Leiblichem zulässt. In der Galerie Stolz, Köln, erworben, seitdem in Familien- einem Brief an Walter Wilhelm vom 3. November 1921 schreibt besitz) er: „Mich reizt jetzt das Zusammentreffen der scharfen Linien (Geraden) mit den weichen Rundungen und ich werde jedes EUR 20.000–30.000 Thema so behandeln.“ USD 23,500–35,300 Dies gibt der „Komposition R 3 a“ eine Verspieltheit, die sich nicht gegen die Strenge der Abstraktion richtet, ihr Ausstellung aber gewissermaßen den menschlichen Faktor des Organi- die abstrakten hannover. Köln, Galerie Bargera, 1975, schen einschreibt. Das ist keine Lässigkeit im Umgang mit Kat.-Nr. 29 / Rudolf Jahns. Gemälde und Zeichnungen konsequent abstraktionsgebundenen Prinzipien, sondern 1919–1928. Münster, Westfälisches Landesmuseum für die bewusste Abmilderung eines bildnerischen Dogmas. In Kunst und Kulturgeschichte, 1976, Kat.-Nr. 11 / 65. diesem Gemälde waltet ein architektonischer Geist, der Herbstausstellung: Hommage à Schwitters. Hannover, Ernst macht mit dem Begriff, „ein Bild zu bauen“ – es gibt Kunstverein Hannover, 1977, S. 32 / Rudolf Jahns. lastende Formen wie die schwarze mit der einzigen Diago- 1919–1928. Wiesbaden, Galerie Karin Fesel, 1978 nale und oben links schwebende Formen wie die grauen Literatur und Abbildung Rechtecke, die nicht nur auf der gerundeten linken Form Bernhard Holeczek und Carl Heinz Roselieb: Werk- sitzen, sondern gleichzeitig davor zu sein und etwas zu ver- verzeichnis Rudolf Jahns 1919–1933. Gemälde, Aqua- decken scheinen. Diese Ambivalenz macht die Lebendigkeit relle, Pastelle, Collagen, Zeichnungen und Druck- des Bildes aus, das ein wunderbares Beispiel ist für den graphik. In: Ausstellungskatalog: Rudolf Jahns. Retro- souveränen Umgang des Malers mit einer geometrischen spektive 1919–1980. Hannover, Kunstmuseum; Lud- Abstraktion, die den Menschen im Blick behält. wigshafen, Wilhelm-Hack-Museum, und Bottrop, Rudolf Jahns ist ein Künstler gewesen, der sehr inten- Quadrat Bottrop Moderne Galerie, 1981/82, Kat.- siv über seine Malerei und deren Grundlagen nachgedacht Nr. 148, m. Abb. und gesprochen hat. Drei Jahre später sollte er bei Grün- dung der Gruppe der „abstrakten hannover“ in Carl Buch- • Typisch für Rudolf Jahns’ Verbindung von geometri- heister und gleichgesinnte Freunde einer scher und organischer Abstraktion undogmatischen ungegenständlichen Kunst finden. MS • Rudolf Jahns war gemeinsam mit Kurt Schwitters und Carl Buchheister Gründungsmitglied der „abstrakten hannover“

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45 René Magritte René Magritte hat zu Recht gesagt, dass illustrierende Bild- Lessines 1898 – 1967 Brüssel titel unnötig sind, weil sie nur das wiederholen, was wir ohnehin sehen. Er hat sie meist assoziativ, auch mithilfe von Freunden, gefunden und dann gespürt, wenn sie für ihn Éloge de la dialectique. Um 1937 passten. Tuschfeder, stellenweise laviert, auf hellbraunem Dies gilt für die Federzeichnung „Éloge de la dialec- Papier. 23,8 × 17,7 cm (9 ⅜ × 7 in.). Unten rechts tique“, deren Titel auch für das Gesamtwerk des Künstlers signiert: Magritte. [3041] Gerahmt. stehen könnte, das sich wie ein weit verzweigtes „Lob der Provenienz Dialektik“ ausnimmt. Das Haus im Haus könnte eine Bühnen- Privatsammlung, Berlin (vor 2002 bei Annely Juda, konstruktion sein, weil anderes nach unserer Erfahrung ja London, erworben) nicht möglich ist. Vielleicht aber steckt auch das große Haus, durch dessen Fenster wir blicken, in einem weiteren, noch EUR 60.000–80.000 größeren Haus. Das Spiel mit absurden Größenverhältnissen USD 70,600–94,100 ist ein weiteres Merkmal der Bilderwelt Magrittes. Wir sind permanent erstaunt, alltägliche Dinge in ungewohnten Kon- Ausstellung stellationen wiederzutreffen. Surrealist drawings. London, Annely Juda Fine Art, Magritte konterkariert mit seiner nüchtern-glatten 1969 Malweise den Glauben an die Objektivität des Bildes und da- mit gleichzeitig den Glauben an die Objektivität von Wahr- Die Zeichnung wird dem Comité d’Authentification des œuv- nehmung. res de René Magritte, Brüssel, in seiner nächsten Sitzung am Das Mysterium könnte sein, dass wir seine Visualisie- 25. November 2020 im Original vorgestellt. rungen als poetische Fundstücke betrachten und unser Er- staunen als Glück empfinden, das sich nicht erklären muss • Spiel mit verdrehten Größenverhältnissen als Merk- durch die Frage, ob all dies sein kann, darf oder soll. MS mal der Bilderwelt Magrittes • Das Gemälde mit demselben Bildthema befindet sich in der National Gallery of Victoria, Melbourne

René Magritte. „Éloge de la dialectique“. 1937. Öl/Lwd. National Gallery of Victoria, Melbourne

Grisebach — Herbst 2020 129 128 Ulrich Pietsch Friedrichs Flötenkasten – eine Schatulle für das Herzensstück des kunstsinnigen Königs

1760 bestellte Friedrich II., König in Preußen, in der von ihm während des Sieben- jährigen Krieges (1756–1763) besetzten Königlichen Porzellanmanufaktur Meissen „zwei Kästel wie das Modell worinnen Sr. Majt. des Königs Flöten liegen“. Der eine Kasten sollte „mit schönen Bluhmen und Früchten gemahlt“, der andere mit „Celadon glassurt, darinnen natürl. Bluhmen und Früchten“ dekoriert werden (Staatl. Porzellanmanufaktur Meissen, Betriebsarchiv AA Pretiosen 66, Convolut Sr. Majestät des Königs in Preußen pp Porcelain-Rechnungen betr., fol. 9 r). Die Erwähnung eines Modells belegt die Existenz eines solchen Flötenkastens im Besitz des Königs, bereits zum Zeitpunkt der Bestellung. Geliefert wurde indes nur „1 Flöten-Kästgen mit Bluhmen und Früchten, die Zierathen etwas vergoldt gemahlt, bestehend in 1 Deckel, 2 langen Seiten und 2 kurtzen Fließgen, in Tom- back und vergoldt beschlagen, der Boden ist von Holtz“ (Geh. Staatsarchiv Stif- tung Preußischer Kulturbesitz, I HA, Rep. 36, Nr. 1928, Lieferungen von Meissener Porzellan an König Friedrich II. 1757–1763, fol. 20 v). Demnach dürften lediglich zwei Exemplare für den König angefertigt wor- den sein, das ältere – zum Zeitpunkt der Bestellung 1760 bereits vorhandene – befindet sich heute in der National Library of Congress in Washington. Es gelangte 1930 von der Familie von Arnim an Dayton C. Miller und wurde dann der Bibliothek gestiftet. Ursprünglich stand jener Kasten samt Flöte und einer Partitur von der Hand des Königs auf Schloss Cunersdorf, wo er von Theodor Fontane in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beschrieben wurde: „Es ist dies der Flötenkasten Friedrichs des Großen, den – bald nach dem Tode des großen Königs – Friedrich Wilhelm II. an seinen Minister Wöllner zum Geschenk machte.“ Bei dem vorliegenden Exemplar dürfte es sich um das in der Quelle von 1760 Genannte handeln, denn der Kasten besteht nicht wie der Cunersdorfer aus einem Stück, sondern ist aus einzelnen Porzellanplatten hergestellt, die mittels vergoldeter Bronzemontierung „à cage“ miteinander verbunden sind. Diese Tech- nik sollte das Reißen und Verziehen des relativ großen Porzellankastens während des Brennens verhindern. Auch hat dieser Flötenkasten im Gegensatz zu dem in Washington befindlichen einen Boden aus Holz. Die Bronzemontierung ist zudem für 1761 belegt: „50 Thlr. vor Beschlagung des einen Flötenkästgens mit Tombac und verguldet, laut Zedduls, von 20 July 1761“ (Sächs. Hauptstaatsarchiv Dresden, Locat 1344/01, Die Porcellän Manufactur betr. 170763, fol. 405v). Die reich vergoldete Bronzemontierung und auch die dekorativen Bestand- teile des Porzellans lassen keinen Zweifel daran, dass es sich hier höchstwahr- scheinlich um den Flötenkasten des Königs handelt. Die rocailleförmigen Metallteile wie Rahmen, Bügelgriff und Schlosskasten schmücken feine Gravuren und Ziselierungen, die wie auch die einzelnen Porzellan- platten durch goldgehöhte plastische Rocaillerahmen in einzelne Flächen aufge- teilt sind. Darin befinden sich verschiedene, in bunten Schmelzfarben gemalte Arrangements aus Blumen und Früchten in einem ähnlichen Stil wie auf den Teilen eines Speiseservices für Friedrich II., das dieser später seinem Oberstallmeister Friedrich Albrecht Graf von Schwerin schenkte.

Dr. Ulrich Pietsch war Direktor der Porzellansammlung der Staatlichen Kunst- sammlungen Dresden.

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46 Porzellanmanufaktur Meissen, 1761

Flötenkasten, höchstwahrscheinlich für Friedrich den Großen. 1761 Porzellan, farbige Aufglasurmalerei, staffiert, Gelb- metallmontierung vergoldet und graviert. 16,2 × 31,2 × 22,4 cm (6 ⅜ × 12 ¼ × 8 ⅞ in.). [3593] Provenienz Höchstwahrscheinlich Friedrich II. (1712-1786), Schloss Sanssouci, Potsdam / Jack and Belle Linsky Collec- tion, New York / Privatsammlung, Süddeutschland

EUR 250.000–350.000 USD 294,000–412,000

Literatur und Abbildung Samuel Wittwer: Friedrich der Große und das Meissener Porzellan. In: Keramos 208/2010, Abb. 27, S. 46

Ein Flötenkasten aus dem Besitz Friedrichs II. befindet sich in der Sammlung der Library of Congress, Washington (Inv.-Nr. DCM 0916).

• Herausragendes Unikat der Porzellanmanufaktur Meissen • Paradebeispiel höfischer Kultur des friderizianischen Rokokos • Objekt aus königlichem Besitz, in dem sich die Kunst- sinnigkeit Friedrichs des Großen widerspiegelt

Adolph Menzel. Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci. 1850–1852. Öl/Lwd. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

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47 Sie ist ein bisschen dünn geraten, aber ansonsten annähernd Brühl 1891 – 1976 Paris lebensgroß: die Weinflasche, die Max Ernst 1923 als Wandbild für das Haus seines Freundes Paul Éluard in Eaubonne bei Paris in Öl auf Gips malte. Doch dieses Gemälde ist noch viel „Ici l'action se simplifie“. 1923 mehr als das. Durch den Titel, den ihm der Künstler gab, wird Öl und Gips auf Leinwand. 39 × 18 cm (15 ⅜ × 7 ⅛ in.). es zu einem frühen Beispiel für eine Bild-Text-Kombination, Unten rechts signiert: max ernst. Werkverzeichnis: in der beide Elemente untrennbar miteinander verbunden Spies/Metken 642. Retuschen. [3584] sind und das eine ohne das andere eigentlich keinen Sinn Provenienz ergibt – eine Kunstform, die im Dadaismus, von dem Ernst Haus Éluard, Eaubonne / Marcel Mabille, Rhode-St. und Éluard kamen, nicht unüblich war, die sich aber erst Genèse, Belgien / Privatsammlung, Berlin (1989 in durch die Concept Art der Sechzigerjahre zu einem eigenen, der Galerie Brusberg, Berlin, erworben) heute immer noch sehr aktuellen Genre entwickelte. Dieser Titel lautet sinngemäß „Ab hier werden die Dinge EUR 200.000–300.000 einfach“. Was in dem Fall umgekehrt bedeutete, dass „die USD 235,000–353,000 Dinge“ zuvor nicht einfach waren. Es ist, so sagt uns der Künstler hier, der Wein, der die Sorgen vergessen macht und Ausstellung Harmonie herstellt. Bei Ernst, dem surrealistischen Lyriker Max Ernst. Peintures pour Eaubonne, Paris, Galerie Éluard und dessen Ehefrau Gala, damals alle zwischen Ende André François Petit, 1969, Abb. S. 46 / Max Ernst – zwanzig und Anfang dreißig, war dies auch dringend nötig. Das , maisons, paysages. Paris, Centre Georges Paar war damals seit sechs Jahren verheiratet – und Ernst Pompidou Musée National d’Art Moderne – Max schwer in Gala verliebt. Die Ménage à trois verlief erwartbar Ernst – Skulpturen, Häuser, Landschaften. Düssel- turbulent, mündete in des Dichters Flucht nach Saigon, wo er dorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 1998, Besuch erhielt: natürlich von Ernst und Gala (die 1932 Salvador Kat.-Nr. 16, Abb. S. 234 / La Révolution surréaliste / Dalí heiraten sollte). Surrealismus 1919–1944, Dalí, Max Ernst, Magritte, Wären der Zufall, das Sich-Treibenlassen und die uner- Miró, Picasso ...“, Paris, Centre Georges Pompidou, wartete Wendung nicht grundlegende Gestaltungsprinzipien und Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-West- des Surrealismus, dann wäre dies nicht mehr als gehobener falen, 2002 Gossip. So aber verbinden sich in diesem Bild Kunst und Literatur und Abbildung Leben auf selten evidente Weise. Interessant ist auch die Paul Éluard: Anthologie des écrits sur l’Art. Paris, weitere Geschichte des Werkes: Irgendwann wurde es über- 1972, S. 255, Abb. 174 / Gaston Diehl: Max Ernst. Paris strichen, erst 1969 wiederentdeckt und anschließend noch 1973, Abb. S. 70 von Max Ernst selbst restauriert. UC

Es handelt sich um einen Teil der Wandbemalung in dem Haus von Paul Éluard in Eaubonne, die später auf Leinwand über- tragen wurde. Andere Teile der Wandbemalung befinden sich heute unter anderem im Sprengel Museum, Hannover, und in den Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen.

• Aus der Frühzeit des französischen Surrealismus • Verbindet Leben und Kunst auf einmalige Art und Weise • Aus dem Haus von Paul Éluard, dem bekanntesten Lyriker des Surrealismus

Grisebach — Herbst 2020 135 134 Martin Schmidt René Magritte – Meister des Mysteriums und Ahnherr konzeptueller Kunst

René Magritte war ein Meister des Mysteriums. Diese Aussage mag überraschen angesichts seiner akademisch glatten Malerei, der Handschrift nichts und opti- sche Lesbarkeit alles bedeutet. Die meisten seiner als rätselhaft empfundenen Werke sind im klaren Licht des hellen Tages angesiedelt und die Farben in abwechslungsreicher Vielfalt eher kolorierend als den Gegenstand formend ein- gesetzt. Hier spielen Emotion, existenzielles Grübeln oder expressive Veraus- gabung keine Rolle. Es geht allerdings auch nicht um die Illustration von Ideen, wie man anhand der wie in einer Gebrauchsanleitung zusammengeführten Gegen- stände annehmen könnte. Magritte ist ein poetischer Denker, der die Malerei deshalb erwählt hat, weil er mit ihr am besten seine Zweifel an einer allgemeingültigen Realität und sein Nachdenken über die Natur der Dinge ins Bild setzen kann. Seine dialekti- Los 48 sche Methode besteht darin, eine unpersönlich-objektive Gestaltung zur De- konstruktion vermeintlich unum- stößlicher Sicherheiten zu benutzen. Damit macht er sich und uns Bilder, die unseren herkömmlichen Erfah- rungen widersprechen. Die immer Die Gouache „Le domaine enchanté“ entstand als Studie für den Zyklus der gro- wiederkehrenden Versatzstücke ßen Wandbilder im Casino in der belgischen Küstenstadt Knokke-Heist, die seiner Gemälde können wir als Magritte im selben Jahr anfertigen ließ. Das Motiv vereint in idealtypischer Weise Teile eines Alphabets verstehen, einen Teil des immer wiederkehrenden Bildvokabulars. Ein Strand mit Wolken- mit dem Magritte das ausdrückt, himmel, eine Tür, die sich öffnet und den Blick auf dieselbe Landschaft in der was ihm mit Buchstaben nicht mög- Sternennacht zeigt, einen monumentalen Kerzenleuchter, auf dem der Sichel - lich wäre. Dieser absolute Vorrang mond sitzt, und rechts den Vorhang, vor dem zwei Blatt-Bäume zu sehen sind, der des Sujets vor der gestalterischen eine mit Schellen, der andere mit exotischen Vögeln besetzt. Die Szenerie wirft Ästhetik macht ihn zum Ahnherrn sofort eine Reihe von Fragen auf. Welcher Natur ist denn diese Tür, deren Farbig- konzeptuell arbeitender Künstler, keit von Sandgelb zu Himmelblau changiert? Öffnet sie sich wirklich auf einen die seine Herangehensweise nicht Ausblick, oder ist das Ganze eine bemalte Wand? Thront der Mond wirklich auf von ungefähr als wegweisend emp- dem Leuchter oder ist Letzterer nur zufällig so platziert, dass der Mond gerade finden. über ihm steht? Setzt sich die Landschaft hinter dem Vorhang fort oder ist das Es gibt wohl keinen anderen nur unsere Erwartung, die sich aus unserer Erfahrung speist? Sind die Blätter Künstler der Moderne, dem die so wirklich groß wie Bäume oder nur so nah, dass sie so wirken? Wären dann aber oft geübte Befreiung aus den Fesseln die Vögel nicht so winzig, wie es gar nicht sein kann? des Akademismus so egal gewesen Mit diesen Fragen spielt der Künstler, weil er möchte, dass wir über die Natur Salle du Lustre im Casino von Knokke-Heist mit dem wäre wie Magritte. Sein Augenmerk der Erscheinungen nachdenken. Wir erwarten, aber wissen nicht, ob die Land- Zyklus „Le domaine enchanté“ von René Magritte gilt der Befreiung des Denkens, die schaft hinter dem Vorhang weitergeht. Wir vermuten, dass die Tür offen steht, er antithetisch mit akademischer Präzision ins Werk setzt. denn das gehört ja schließlich zu ihrer Natur. Wir sind irritiert, dass die vermeint- Das heißt nichts anderes, als dass Magritte im ursprünglichen Wortsinn sich lich selbe Landschaft sich gleichzeitig bei Tag und Nacht zeigt, aber im Grunde ein Bild von dem zu machen versucht, was er das „Mysterium“ nennt. Etwas auf - wissen wir nicht, ob die beiden Teile überhaupt zueinander gehören, auch wenn scheinen zu lassen, was mit Worten nicht wiederzugeben ist. Die „Perfektion“ des wir die Horizontlinie unwillkürlich durch Türblatt und -rahmen weiterlaufen las- Bildes muss dieser Visualisierung dienen, nur dann ist sie gut – ästhetische Fragen sen. Der Bildtitel, den man als „Die verwunschene Gegend“ übersetzen kann, gab der Malerei interessieren den Künstler nur im Hinblick auf die möglichst eindeutige, auch dem großen Wandbild-Zyklus seinen Namen, und er ist Teil des Mysteriums. reine Verkörperung des Mysteriums, nicht als Manifestation eigengesetzlicher Zu den Einzelbildern in Knokke hat der Künstler kurze Sätze formuliert, die nichts Gestaltungsmuster. Malerei zeigt sich hier in absolut dienender Funktion. In diesem erklären, sondern eine weitere poetische Ebene in das Haus der Imagination ein- Sinne ist das Bild besser, je schmuckloser es ist und wenn keine persönliche Hand- ziehen. Zu unserem Bildmotiv bemerkt er: „Eine Tür öffnet sich zur samtigen Nacht, schrift die klare Präsenz des Unsagbaren jenseits der Worte stört. in der ein präziser Mond seine Spitzen signiert.“

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48 René Magritte Lessines 1898 – 1967 Brüssel

„Le domaine enchanté“. 1953 Gouache auf leichtem Karton. 12,7 × 24,8 cm (14 × 26,2 cm) (5 × 9 ¾ in. (5 ½ × 10 ⅜ in.)). Unten links signiert (verblasst): Magritte. Rückseitig oben mit Bleistift beschriftet: Appartient à Monsieur Laurent Fierens. Werkverzeichnis: Sylvester 1363. Die Farben etwas geblichen. [3041] Gerahmt. Provenienz Laurent Fierens, Antwerpen / Klaus und Helga Hege- wisch, Hamburg (1969) / Galerie Levy, Hamburg (1977) / Privatsammlung, Berlin (in der Galerie Levy, Hamburg, erworben)

EUR 400.000–600.000 USD 471,000–706,000

Ausstellung René Magritte. Gouaches et dessins. Brüssel, Galerie La Sirène, 1953 (eine der Nrn. 12-19) / René Magritte. Hannover, Kestner-Gesellschaft, und Zürich, Kunst- haus, 1969, Kat.-Nr. 57, Abb. S. 125

• Vom Meister des Mysteriums • Studie für den Zyklus der Wandbilder im Casino der belgischen Küstenstadt Knokke-Heist • Dekonstruktion vermeintlich unumstößlicher Sicherheiten

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49 Heinz Trökes Die kürzeste Epoche der deutschen Kunstgeschichte dauerte Duisburg-Hamborn 1913 – 1997 Berlin nicht einmal fünf Jahre. Sie begann 1945, in den Trümmern des Kriegsendes, das große Hoffnungen auf eine geistige und künstlerische Erneuerung freisetzte. Und sie endete „Tanz auf schwankendem Grund“. 1947 schon wenige Jahre später, als die Magie des Neuanfangs Öl auf Holz. 60,4 × 45,2 cm (23 ¾ × 17 ¾ in.). Unten mit seinen schier unendlichen Möglichkeiten angesichts der rechts signiert und datiert: Trökes 47. Rückseitig praktischen Anliegen des Wiederaufbaus und des erneut nachträglich betitelt: TANZ AUF SCHWANKENDEM erbittert geführten Kampfs der politischen Systeme wieder GRUND 1947. Dort auch mit Bleistift bezeichnet: verblasst war. HEINZ TRÖKES BERLIN. Werkverzeichnis: Krause 118. In diesem kurzen historischen Moment des Neube- [3547] Gerahmt. ginns, einem Schwebezustand, der erfüllt war von Schmerz, Provenienz Angst und Ungewissheit – aber auch getragen von großer Nachlass des Künstlers / Privatsammlung, Berlin Erleichterung und Euphorie – fand sich in Berlin eine lockere Gruppe junger Künstler um die legendäre Galerie Gerd EUR 30.000–40.000 Rosen zusammen, die sich selbst „Berliner Phantasten“ nann- USD 35,300–47,100 ten und die später unter dem Begriff Berliner Nachkriegs - surrealisten zusammengefasst wurden. Der wichtigste Kopf Ausstellung dieser „Surrealisten“ war zweifellos Heinz Trökes, der – pas- Heinz Trökes. Bilder und Zeichnungen. Berlin, Galerie send zur neu erworbenen Freiheit, die nicht gleich wieder Bremer, 1947, Kat.-Nr. 25 / Trökes. Bilder, Zeichnungen, eingeengt werden wollte – diesen Stilbegriff jedoch vehe- Collagen und Skizzenbücher 1938–1979. Berlin, Akade- ment ablehnte. „Für mich“, bekannte Trökes später einmal, mie der Künste, 1979, Kat.-Nr. 132 / So viel Anfang war „lag der Surrealismus auf der Straße“. – War der „Surrealis- nie. Kultur aus Trümmern. Deutsche Städte 1945–49. mus“ also in Wirklichkeit eine Art „Realismus“? Berlin, Hamburger Bahnhof, 1989, ohne Nr., m. Abb. / Ja und nein. Natürlich bot Berlin mit seinen zerstörten Heinz Trökes zum Gedächtnis. Berlin, Galerie Pels- Straßenzügen und den gespenstisch aufragenden Ruinen Leusden, 1997 (ohne Katalog) / Aufstieg und Fall der mit ihren toten Fensterhöhlen „surreale“ Motive en masse. Moderne. Weimar, Kunstsammlungen zu Weimar, Aber das, was Trökes eigentlich meinte, war das existenzielle 1999, Kat. 499, Abb. / Heinz Trökes. Werke und Doku- Gefühl der Verunsicherung, das Gefühl, dass die Welt das mente. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Innere nach außen gekehrt hatte, dass diese Welt ein un- 2003, Kat.-Nr. W 6, Abb. S. 69 / Heinz Trökes. Surrea- wirklicher, irrealer Ort geworden war, an dem alles möglich lismus in Berlin 1945–1950. Berlin, Galerie Thomas war, an dem alles ineinanderzufließen schien. Was war Rea- Derda, 2017, Kat.-Nr. 4, Abb. auf dem Titel und auf lität? Die sichtbaren Dinge erschienen als Ausdruck einer S. 21 / Inventur: Art in Germany, 1943–55. Cambridge, fantastischen Innenwelt. Harvard Art Museums, 2018 „Tanz auf schwankendem Grund“ heißt unser Gemälde aus dem Jahr 1947. Fast meint man, das Klappern der Knochen • Hauptwerk des Berliner Nachkriegssurrealismus der Tänzer zu hören, die sich hier zu einer bizarren Darbie- • Symbolbild der existenziellen Verunsicherung in der tung zusammengefunden haben. Seltsam schwerelos wirken Nachkriegszeit die tanzenden Gerippe, als seien sie aus den bunten Flächen, die hinter ihnen emporfliegen, ausgestanzt worden. Schon beginnen die ersten dünnen Stelzen zu kippen, die den insta- bilen, sich wölbenden Boden tragen. Und doch, obwohl die Dinge sich auflösend verselbständigen, scheint alles von einer sensiblen Balance getragen. Es ist ein dauerhafter Zustand des Übergangs, des Schwebens. Wohin das führt? Eine Ant- wort wird nicht gegeben. Was bleibt, ist die Unsicherheit. Diese innere Unsicherheit einzufangen, ihr standzuhalten und sie künstlerisch auszudrücken, ist das große Verdienst der „Phantasten“. Mit dem „Tanz auf schwankendem Grund“ hat Trökes eine Ikone des Nachkriegssurrealismus geschaffen. MKr

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50 Albert Carel Willink Der gebürtige Amsterdamer Carel Willink nimmt in der 1900 – Amsterdam – 1983 europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts aus verschiede- nen Gründen eine Sonderstellung ein. Einer davon ist dem Umstand geschuldet, dass seine malerische Entwicklung „Twee Giraffen“. 1956 alles andere als geradlinig verlief. Bereits in jugendlichem Öl auf Leinwand. 70 × 93 cm (27 ½ × 36 ⅝ in.). Alter faszinierten ihn so unterschiedliche Künstlerpersön- Unten rechts signiert und datiert: Willink ’56. lichkeiten wie Diego Rivera, Wassily Kandinsky und Marc Werkverzeichnis: Jaffé 260. Die Leinwand rechts Chagall. Ein begonnenes Architekturstudium brach er bald ergänzt. [3053] Rahmen: Italien, um 1720/30. wieder ab und zog nach Berlin, wo er zwar bei Hans Balu- Provenienz schek lernte, doch eigentlich im Bann der Novembergruppe G. B. Huisman, Monaco / Loek Brons, Amsterdam / und des Konstruktivismus stand. 1924 kehrte er nach Amster- Privatsammlung, Deutschland dam zurück und reiste von dort nach Paris, um die Werke Pablo Picassos und der Surrealisten zu studieren. Von hier EUR 70.000–100.000 war es nur noch ein kleiner Schritt, bis er zu seinem ganz USD 82,400–118,000 eigenen, der Pittura metafisica und dem Magischen Realis- mus verpflichteten Stil fand. Ausstellung Das Gemälde „Zwei Giraffen“ aus dem Jahr 1956 ist Amsterdam, Stedelijk Museum, 1956 / Albert Carel ein hervorragendes Beispiel für Willinks reife Phase, ob- Willink. Werken. Nijmegen, Stichting Nijmeegs gleich die Stimmung, die es ausstrahlt, nicht so düster ist, Museum voor Schone Kunsten, 1958 / Carel Willink. wie seine meisten anderen Arbeiten aus der Zeit. Der Zweite Amsterdam, Galerie Viruly, 1967 / L’Arte moderna. Weltkrieg und der Kalte Krieg, der darauf folgte, hatten die Brüssel, Galerie d’Art, 1967 / Carel Willink. Schilderi- pessimistische Weltsicht des Künstlers stark geprägt. Vor jententoonstelling. Amsterdam, Galerie Siau, 1973 allem die damals allgegenwärtige Bedrohung durch Nuklear- (lt. rücks. Etikett) waffen inspirierte Willink zu apokalyptischen Visionen von Literatur und Abbildung Ruinenlandschaften, Zerstörungen und dem Ende der alten Kunstpostkarte. Amsterdam, Art Unlimited, o.J. europäischen Städte. In dem Zusammenhang wirken die „Zwei Giraffen“ wie ein ungewöhnlich heiteres Bild. Zwar • Ein Bild im Stil der Pittura metafisica und des herrscht auch in ihm die für Willink charakteristische, „unre- Magischen Realismus alistische“ Überbelichtung, deren grelle Kontraste man sich • Werke von Willink befinden unter anderem im Rijks- nicht durch eine natürliche Beleuchtung erklären kann. Auch museum und im Stedelijk Museum, Amsterdam fügt die ins Unendliche fortgesetzte Symbolarchitektur der Komposition einen grotesken, leicht beängstigenden Aspekt hinzu. Doch die endzeitliche Atmosphäre im Bild wird abge - schwächt durch die vermenschlichte Geste der Sympathie und Zuwendung, die der Künstler den beiden titelgebenden, die Darstellung bestimmenden Giraffen gegeben hat. Zudem behandelte der Maler die Oberflächen im Vordergrund so, dass sie vor den Augen des Betrachters ein Eigenleben zu führen beginnen. In ihrer Gebrochenheit und Dynamik erin- nert die Grundfläche, auf der die Tiere stehen, an Details aus abstrakten Kompositionen von . Wie dieses Gemälde zu interpretieren ist, muss offen bleiben. Doch selbst wenn dies zunächst absurd erscheint: Womöglich handelt es sich um ein Selbstbildnis und eine verklausulierte Liebeserklärung Willinks an seine zweite Frau Wilma Jeuken, mit der er 1956 bereits mehr als zwanzig Jahre in inniger gegenseitiger Zuneigung verheiratet war. Willink hat etliche Bilder mit jeweils zwei exotischen Tieren gemalt – es wäre eine Möglichkeit, sich als Außenseiter sei- ner Zeit darzustellen, als der Willink sich und seine Frau damals empfunden haben muss. UC

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51 Karin Kneffel Marl 1957 – lebt in Düsseldorf

Ohne Titel. 2003 Öl auf Leinwand . 150 × 160 cm (59 × 63 in.). Rückseitig mit Filzstift in Schwarz signiert und datiert: Karin Kneffel 2003. Auf dem Keilrahmen ein Etikett der Galerie Schönewald und Beuse, Xanten. [3391] Provenienz Ehemals Galerie Schönewald und Beuse, Xanten

EUR 100.000–120.000 USD 118,000–141,000

Diese Nudeln haben einen Namen. So nackt sie aber daliegen, die Makkaroni, so ohne jeden Sugo, der das Pasta-Gericht überhaupt erst genießbar machen würde, erinnern sie zugleich an ein zerschnit tenes Elektrokabel; als bloßes Muster treten sie mit dem Ornament der Tischdecke in Konkurrenz. Und so ist es stets auf den Bildern von Karin Kneffel: Die Sujets ihrer Malereien rufen eine ernste Verwechslungsgefahr mit alltäglichen Gegenständen hervor und halten zu ihnen doch eine befremdliche Sammlung Thomas und Raffaela von Salis von Raffaela und Thomas Sammlung Distanz. Magazin „Cicero“ 145

144 Grisebach — Herbst 2020

52 Josef Mangold Der gebürtige Kölner Josef Mangold war als Maler Autodidakt, 1884 – Köln – 1937 was insofern verblüfft, als er einen virtuosen, feinzeichne- risch altmeisterlichen Malstil pflegte. Doch sind seine Bilder unzweifelhaft Ausdruck ihrer Zeit und innerhalb der Neuen Stillleben im Fenster. 1920er-Jahre Sachlichkeit dem Magischen Realismus zuzuordnen. Öl auf Leinwand. 65,3 × 50,3 cm (25 ¾ × 19 ¾ in.). Unser Blumenstillleben ist nicht nur ein herausragen- Unten rechts signiert: Jos. Mangold. Auf dem des Beispiel für Mangolds malerisches Können, sondern Keilrahmen signiert und bezeichnet: Jos Arnold auch für die Hintersinnigkeit seiner Kunst. Alles in diesem Köln Arnoldshöhe Heidekaul. Kleine Retuschen. Bild ist mit peinlichster Genauigkeit wiedergegeben: die [3547] Gerahmt. weiße Vase mit dem farbenfrohen Blumenbouquet, welches Provenienz ein Diadem aus zierlichen, weißen Blüten mittig krönt; die Privatsammlung, Berlin kahle Fensternische und der aufgeklappte grüne Laden, mit denen Mangold, Mitglied der aus der Künstlervereinigung EUR 30.000–40.000 „Das junge Rheinland“ entstandenen Rheinischen Sezession, USD 35,300–47,100 die aseptische Maschinenmalerei Konrad Klaphecks vor- wegnahm; und nicht zuletzt der karge Innenraum mit den • Herausragendes Beispiel für den Magischen parallel verlaufenden Dielen. Realismus im Deutschland der 1920er-Jahre All dies erscheint zunächst ganz alltäglich, erhält je- • Komplexes Spiel mit abstrakter Flächigkeit doch durch die präzise Wiedergabe eine unwirkliche Note – als und räumlicher Tiefe sähe man die Welt durch ein Brennglas. Diese Sichtweise vieler neusachlicher Maler nannte man treffend den „kühlen Blick“, der jedes Objekt exakt und gleichwertig registriert wie ein Fotoapparat. Die Gegenstände sind wie isoliert in einem gläsernen, luftleeren Raum, in dem die Welt erstarrt ist und die Zeit stillsteht. Mangolds Stillleben wirft zudem irritierende inhalt- liche Fragen auf: Warum ist der Wohnraum leer? Wozu die Blumen, wenn niemand mehr da ist? Was will der Maler mit dem abblätternden Putz im Bildvordergrund andeuten, der im krassen Gegensatz zur Makellosigkeit der übrigen Gegen- stände steht? Die Antworten bleiben offen. Sie zu finden ist der Imagination des Betrachters überlassen. AF

Grisebach — Herbst 2020 147 146

649 Almir da Silva Mavignier Rio de Janeiro 1925 – 2018 Hamburg

Ohne Titel (K.B. 47). 1961 Öl auf Leinwand, in Objektkasten. 90 × 90 cm (103,5 × 103,5 × 8,8 cm) (35 ⅜ × 35 ⅜ in. (40 ¾ × 40 ¾ × 3 ½ in.)). Rückseitig mit Filzstift in Schwarz signiert, datiert und bezeich- net: Mavignier 1961 Ulm K.B. 47. [3513] Provenienz Mário und Ursula Calábria, Berlin

EUR 50.000–70.000 USD 58,800–82,400

Ausstellung Mavignier. Bilder-Plakate. München, Staatliche Antiken- sammlungen und Glyptothek; Herning, Kunstmuseum; Hamburg, Kunsthalle, 1990, ohne Nr., Abb. o.S. (deformiertes quadrat, hellgrün/rosa/weiß)

Aus unserer Sonderauktion Sammlung Calábria am 4.12.2020, 15 Uhr

Grisebach — Herbst 2020 149 148

53 Gerhard Richter Das Aquarell von Gerhard Richter besticht durch seine dyna- Dresden 1932 – lebt in Köln mische Struktur und leuchtende Farbwirkung. Über einem blauen Grund fließen grüne, gelbe und orangefarbige Schlie- ren ineinander, beginnen zu wabern und zu tanzen. Die Farb- „21.6.84“. 1984 verläufe eröffnen abstrakte, atmosphärische Bildwelten in Aquarell, Pastell und Grafit auf Papier. 16,5 × 23,9 cm den Grund- und Sekundärfarben. Lasuren überlagern sich (6 ½ × 9 ⅜ in.). Oben links und rückseitig jeweils mit mit unterschiedlicher Deckkraft oder werden freigelegt. Bleistift signiert und betitelt: Richter, 21.6.84. Auf der Lineamente und Schraffuren in blauer und roter Pastellkreide Rückpappe zwei Etiketten der Galerie Schönewald wiederum scheinen die weichen Formen zu attackieren. Wie Fine Arts, Xanten bzw. Düsseldorf, und ein Etikett der ein transparenter Schleier legen sie sich als weitere Schicht Galerie Anthony Meier Fine Arts, San Francisco. Mit über das Bild. einer Expertise von Dietmar Elger, Dresden, vom 29. Das Werk entpuppt sich als geschickt komponiertes Oktober 2020. [3309] Gerahmt. Spiel der Farben, Formen und Bewegungen. So ist es experi- Provenienz mentelle Studie und vollgültiges Werk zugleich. Es entstand Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen (2011 in der Mitte der 1980er-Jahre auf dem Höhepunkt von Gerhard Galerie Schönewald Fine Arts, Düsseldorf, erworben) Richters „Abstrakten Bildern“. In dieser Zeit schuf Richter fast täglich – und geradezu tagebuchhaft genau datiert – kleinfor- EUR 140.000–180.000 matige Aquarelle wie dieses. Nachdem sie ihm noch bis Ende USD 165,000–212,000 der 1970er-Jahre lediglich als Kompositionsstudien für groß- formatige Gemälde gedient hatten, wies Richter seinen Aqua- • Charakteristisches Werk für Richters Abstraktionen rellen nun auch den Stellenwert als eigenständige Werke zu – der 1980er-Jahre eine Qualität, die sich in diesem Werk aufs Beste bestätigt. • Für Richter sind Aquarelle ein wichtiges Medium für Richters Aquarelle sind genauso komplex und viel- künstlerische Experimente schichtig wie seine großen abstrakten Gemälde. Planung und • Intensive Farbwirkung im kleinen Format Zufall spielen darin ebenso eine Rolle wie das Experimentie- ren mit unterschiedlichen Techniken. In diesem Aquarell bei- spielsweise ersetzt die mit der roten Pastellkreide schraffierte Fläche links im Bild die für Richters Ölgemälde charakteris- tische Rakeltechnik – eine Methode, die ab 1986 prägend für Richters „Abstrakte Bilder“ werden sollte. Das Aquarell weist somit den Weg in Richtung seiner späteren Werke, mit denen Richter seine zentrale Position in der Kunstwelt manifestierte. VH

Grisebach — Herbst 2020 151 150

54 Alexej von Jawlensky Orange, rot, violett, türkis und grün leuchten die Farben auf Torschok 1864 – 1941 Wiesbaden diesem Bild, es ist ein Flirren im Licht, das die Gegenstände aufzulösen scheint und feste Materie zum Schwingen bringt. Alexej von Jawlenksy, der Urheber dieses kleinen Meister- „Kleines Haus vor Buschwerk“. Um 1907 werks, war 1896 nach München übergesiedelt. Die Stadt Öl auf Karton, auf Pappe aufgezogen. 49,7 × 52,9 cm entwickelte sich gerade zu einem Zentrum des Jugendstils, (19 ⅝ × 20 ⅞ in.). Rückseitig vom Sohn Andreas doch was Jawlensky noch mehr interessierte, geschah wei- Jawlensky bestätigt. Werkverzeichnis: Jawlensky 169. ter westlich, in Paris. [3457] Gerahmt. 1903 lernte der Maler dort die Werke van Goghs und Provenienz Cézannes kennen. Zwei Jahre darauf verbrachte er den Galerie Beyeler, Basel (mind. 1957–1959) / Galerie Sommer mit in der Bretagne. In sei- Gunzenhauser, München / Privatsammlung, Nord- nen Lebenserinnerungen heißt es dazu: „Zum ersten mal rhein-Westfalen (wohl 1974 bei Gunzenhauser erwor- habe ich damals verstanden zu malen, nicht das, was ich ben, seitdem in Familienbesitz) sehe, aber das, was ich fühle“ (zit. nach: Museum am Ostwall Dortmund (Hg.): Alexej von Jawlensky, Reisen, Freunde, EUR 180.000–240.000 Wandlungen. 1998, S. 42). USD 212,000–282,000 Im selben Jahr, 1905, besuchte er den Salon d’Automne, wo zum ersten Mal Werke der Fauves ausgestellt wurden, Ausstellung darunter Henri Matisse und André Derain. Jawlensky war be- Alexej von Jawlensky, 1864–1941. Basel, Galerie Beyeler, geistert und sah sich bestätigt: Von nun an hatte sich die 1957, Kat.-Nr. 14 / Alexej von Jawlensky, 1864–1941. Malerei für ihn endgültig vom Objekt gelöst. Die Farbe war Bern, Kunsthalle, und Saarbrücken, Saarlandmuseum, durch ihre gesteigerte Intensität nicht mehr Ausdruck der all- 1957, Kat.-Nr. 7 / Alexej von Jawlensky, 1864–1941. täglichen Realität, sondern von Emotionen und Atmosphären. Hamburg, Kunstverein, 1957, Kat.-Nr. 6 / Alexej von Das Gemälde „Kleines Haus vor Buschwerk“ ist ganz Jawlensky, 1864–1941. Stuttgart, Württembergischer erfüllt vom Flair des Südens. Selbst wenn wir nicht wüssten, Kunstverein, und Mannheim, Städtische Kunsthalle, dass der Maler 1907 dann auch die Côte d‘Azur besuchte, wir 1958, Kat.-Nr. 8 / Les Fauves. Basel, Galerie Beyeler, würden dieses Haus nicht anderswo vermuten als am Mittel- 1959, Kat.-Nr. 29 meer. Alles ist voller Wärme, bewegt, lebendig geworden Literatur und Abbildung durch kurze, parallel gesetzte Pinselstriche. Es ist die Macht Clemens Weiler: Alexej Jawlensky. Köln, Verlag der Farben, mit der Jawlensky die Betrachter hier fesselt. M. DuMont Schauberg, 1959, Kat.-Nr. 518, m. Abb. OH

• Prägnantes Beispiel für Jawlenskys frühe post- impressionistische Phase • Ein Bild mit starker Farbwirkung auf dem Weg in die Abstraktion • Die Darstellung löst sich von der Realität und wird Ausdruck von Empfindung und Atmosphäre

Grisebach — Herbst 2020 153 152

55 Karl Schmidt-Rottluff Es ist nicht bekannt, wann und wo genau das Gemälde Rottluff 1884 – 1976 Berlin „Gespräch“ entstand. Dargestellt sind Schmidt-Rottluffs Frau Emy im Bildzentrum sowie links, vor einem Fenster stehend, eine enge Vertraute der Familie, eine der beiden Töchter des „Gespräch“. Um 1932 Leipziger Sammlerehepaars Dr. Viktor und Hedda Peters. Öl auf Leinwand. 51,8 × 61 cm (20 ⅜ × 24 in.). Oben Diese, in scharfem Profil wiedergegeben, scheint momentan rechts monogrammiert: S. R. Auf dem Keilrahmen zu sprechen, während Emy versonnen und wie in Gedanken signiert und betitelt: Schmidt-Rottluff „Gespräch“. versunken an ihr vorbei aus dem Bild schaut. Die Farbgebung Werkverzeichnis: Nicht bei Grohmann. [3690] Gerahmt. des Bildes ist eher gedeckt. Es herrschen Braun, Blauviolett Provenienz und Ocker vor. Diverse Grüntöne und ein gelber Farbkeil Familie Dr. Viktor und Hedda Peters, Leipzig / Privat- rechts sowie ein blauer Himmelsstreifen links oben beleben sammlung, Berlin die Szenerie merklich. Einflüsse des französischen Kubismus, wie sie in einer früheren Werkphase Schmidt-Rottluffs offen- EUR 90.000–120.000 kundig sind, finden sich allenfalls noch im Gesicht Emys mit USD 105,900–141,000 den übergroßen Augen und der markanten Nase. Der Licht- führung wird nun erheblich mehr Interesse beigemessen, was Literatur und Abbildung beim filigranen Erfassen von Kopf und Oberkörper Emys aber Versteigerungskatalog 581: Kunst des XX. Jahrhun- auch im verschatteten Gesicht ihrer Gefährtin vor dem Weiß derts [...]. Köln, Kunsthaus Lempertz, 3./4.12.1980, einer Gardine deutlich wird. Aus den anonymen Frauenge- Kat.-Nr. 875, Abb. Tf. 67 stalten früherer Werke sind beseelte Individuen geworden, deren Wesen und Charakter das Interesse des Künstlers • Ausdrucksstarkes Werk des stilistisch gereiften wecken. AF Expressionisten • Atmosphärisch dichtes Dokument der Freundschaft zweier Frauen • Typische Farbigkeit der frühen 1930er-Jahre im Werk Schmidt-Rottluffs

Grisebach — Herbst 2020 155 154

56 Albert Oehlen Krefeld 1954 – lebt in Gais, Schweiz

Ohne Titel. 1987 Öl, Acryl und Tusche über Radierung auf Papier auf Leinwand. 126 × 211 cm (49 ⅝ × 83 ⅛ in.). Unten rechts in Schwarz signiert und datiert: A. Oehlen 87. [3600] Provenienz Ehemals Galerie Bleich-Rossi, Graz

EUR 100.000–150.000 USD 118,000–176,000

Ausstellung Albert Oehlen. Ölbilder. Graz, Galerie Bleich-Rossi, 1987

Albert Oehlen, Berlin 2011. Foto: Andrea Stappert

Grisebach — Herbst 2020 157 156

57 Gabriele Münter Gabriele Münters „Winterlandschaft“ entstand in schwerer Berlin 1877 – 1962 Murnau Zeit, wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Bereits 1937 war Münter wie viele andere expressionistische Künstler Opfer der nationalsozialistischen Aktion gegen die Winterlandschaft. 1939 „entartete Kunst“ geworden und lebte seitdem zurückgezo- Öl auf Leinwand. 54 × 65 cm (21 ¼ × 25 ⅝ in.). Unten gen in ihrem Haus im oberbayerischen Murnau am Staffelsee, links signiert und datiert: Münter 9.III.39. Rückseitig einem wichtigen Refugium, das sie bereits 1909 erworben unten links mit dem Stempel in Schwarz: GABRIELE und in der Zeit der Ächtung als alleinigen Lebensmittelpunkt MÜNTER NACHLASS; rechts mit der Nachlassnummer gewählt hatte. Der Alltag hier mit ihrem Partner Johannes in weißer Kreide: L [= Landschaft] 27. Auf dem Keil- Eichner muss sehr einsam und abgeschieden gewesen sein, rahmen zwei Aufkleber des Münter-Nachlasses. betrachteten doch völkische Gruppierungen und NSDAP- [3546] Gerahmt. Angehörige gerade Murnau als ihre Hochburg. Provenienz Die „Winterlandschaft“ entstand an nur einem Tag, Sammlung Anandapith (lt. rückseitigem Stempel) / dem 9. März 1939. Von einer Anhöhe blicken wir auf eine Privatsammlung, Süddeutschland schneebedeckte Hügellandschaft mit nur wenig Vegetation, einem kleinen Haus im linken Vordergrund sowie einem EUR 100.000–150.000 Pavillion in der Ferne. Die Wege sind geräumt. Es herrscht USD 118,000–176,000 Tauwetter, denn der Teich im Hintergrund schimmert bläu- lich in der schneefreien Ebene. Der Winter neigt sich dem Ausstellung Ende zu, der graublaue Himmel kündigt eher Regen als Neu- Gabriele Münter und ihre Zeit. Malerei der Klassi- schnee an. In diese einsame, noch karge Landschaft tritt schen Moderne in Deutschland. Essen, Galerie Neher, von rechts ein Spaziergänger ins Bild. Der braune Winter- 1990, S. 76, Abb. S. 77 („nicht verkäufliche Leihgabe“) mantel passt sich ganz der gedeckten Farbigkeit seiner Um- Literatur und Abbildung gebung an, nicht jedoch die feuerrote Tasche. Auch dieser 115. Auktion: 20. Jahrhundert. München, Galerie zierliche Farbtupfer mag als positives Signal für den kom- Wolfgang Ketterer, 1.6.1987, Kat.-Nr. 790, m. Abb. menden Frühling gedeutet werden. Dem Wiedererwachen der Natur wohnt immer auch die Hoffnung der Menschen • Stimmungsvolles Gemälde in der Nachfolge des auf bessere Zeiten inne. AF Blauen Reiters • Werk aus der Zeit der Ächtung Münters durch die Nationalsozialisten • In der Hinwendung zur naturgegebenen Ordnung Sinnbild und Zeichen der Hoffnung

Grisebach — Herbst 2020 159 158 Grisebach Partner und

Repräsentanzen Grisebach Berlin and Representatives

Stefanie Busold Dr. Britta von Campenhausen Anne Ganteführer-Trier Norddeutschland Hessen/ Rheinland-Pfalz/ Saarland Nordrhein-Westfalen/Benelux [email protected] [email protected] [email protected] T +49 40 4600 9010 T +49 179 516 1407 T +49 170 57 57 464

Grisebach Berlin Fasanenstraße 25 10719 Berlin T +49 30 885 915 0 F +49 30 882 41 45 [email protected] grisebach.com Diandra Donecker Micaela Kapitzky Benny Höhne Sophia von Westerholt Dr. Annegret Funk [email protected] [email protected] Nordrhein-Westfalen/Benelux Nordrhein-Westfalen/Benelux Baden-Württemberg T +49 30 885 915 27 T +49 30 885 915 32 [email protected] [email protected] [email protected] T +49 211 8629 2199 T +49 211 8629 2197 T +49 711 248 48 57

Dr. Markus Krause Bernd Schultz Jesco von Puttkamer Moritz von der Heydte Urs Lanter [email protected] [email protected] Süddeutschland/Österreich/Italien Bayern Schweiz T +49 30 885 915 29 T +49 30 885 915 0 [email protected] [email protected] [email protected] T +49 89 227 633 T +49 89 227 632 T +41 44 212 8888

Wilfried Utermann Shantala S. Branca Maureen Sarro [email protected] Schweiz New York, USA/Kanada T +49 231 4764 3757 [email protected] [email protected] T +41 44 212 8888 T +1 212 308 0762

Grisebach — Herbst 2020 Herbstauktionen in Berlin 2. bis 4. Dezember 2020 Autumn Auctions in Berlin, 2 – 4 December 2020 Herbst 2020 Herbst 2020 Herbst 2020 Herbst 2020 Photographie Moderne Kunst Ausgewählte Werke

Kunst des 19. JahrhundertsKunst des 19. Von BeuysVon bis Liebermann

Von Beuys bis Liebermann –

3. Dezember 2020 Kunst des 19. Jahrhunderts 2. Dezember 2020 Photographie 2. Dezember 2020 Ausgewählte Werke Moderne Kunst 4. Dezember 2020

Kunst des 19. Jahrhunderts Photographie Von Beuys bis Liebermann – Moderne Kunst Mittwoch, 2. Dezember 2020, 15 Uhr Mittwoch, 2. Dezember 2020, 18 Uhr Ausgewählte Werke Freitag, 4. Dezember 2020, 11 Uhr Donnerstag, 3. Dezember 2020, 18 Uhr Herbst 2020 Sammlung Calábria

Sammlung Calábria 4. Dezember 2020 Zeitgenössische Kunst 4. Dezember 2020

Sammlung Calábria Zeitgenössische Kunst Katalogbestellung unter grisebach.com Freitag, 4. Dezember 2020, 15 Uhr Freitag, 4. Dezember 2020, 18 Uhr Order catalogues at grisebach.com

Grisebach — Herbst 2020 Grisebach Online Only Auktion vom 18. Dezember 2020 bis 10. Januar 2021

grisebach.com Hinweise zum Katalog Catalogue Instructions KunstKunst nehmennehmen wirwir persönlichpersönlich

AuchAuch außerhalbaußerhalb derder AuktionenAuktionen •• PrivatePrivate SalesSales unterstützenunterstützen wirwir SieSie beibei allenallen FragenFragen

1 1 rundrund umum IhreIhre Kunst.Kunst. •• SchätzungenSchätzungen fürfür VersicherungenVersicherungen Alle Katalogbeschreibungen sind online und auf Anfrage in Englisch Descriptions in English of each item included in this catalogue are erhältlich. available online or upon request. undund ErbteilungszweckeErbteilungszwecke 2 2 SprechenSprechen SieSie unsuns gernegerne jederzeitjederzeit an.an. Basis für die Umrechnung der EUR-Schätzpreise: The basis for the conversion of the EUR-estimates: USD 1,00 = EUR 0,85 (Kurs vom 10. Oktober 2020) USD 1.00 = EUR 0.85 (rate of exchange 10 October 2020) IhrIhr PrivatePrivate ClientClient TeamTeam •• DokumentationDokumentation undund AufarbeitungAufarbeitung 3 3 Bei den Katalogangaben sind Titel und Datierung, wenn vorhanden, The titles and dates of works of art provided in quotation marks IhrerIhrer SammlungSammlung vom Künstler bzw. aus den Werkverzeichnissen übernommen. Die- originate from the artist or are taken from the catalogue raisonné. se Titel sind durch Anführungszeichen gekennzeichnet. Undatierte Undated works have been assigned approximate dates by Grisebach Werke haben wir anhand der Literatur oder stilistisch begründbar based on stylistic grounds and available literature. •• WirWir helfenhelfen beibei derder SucheSuche nachnach zeitlich zugeordnet. 4 4 Dimensions given in the catalogue are measurements taken in cen - geeignetengeeigneten Fotografen,Fotografen, RestauratorenRestauratoren Alle Werke wurden neu vermessen, ohne die Angaben in Werkver- timeters and inches (height by width by depth) from the actual zeichnissen zu übernehmen. Die Maßangaben sind in Zentimetern works. For originals, the size given is that of the sheet; for prints, the oderoder LagermöglichkeitenLagermöglichkeiten und Inch aufgeführt. Es gilt Höhe vor Breite vor Tiefe. Bei Origina- size refers to the plate or block image. Where that differs from the len wird die Blattgröße, bei Drucken die Darstellungsgröße bzw. size of the sheet on which it is printed, the dimensions of the sheet Plattengröße angegeben. Wenn Papier- und Darstellungsmaß nicht follow in parentheses ( ). Special print marks or printed designations annähernd gleich sind, ist die Papiergröße in runden Klammern an- for these works are not noted in the catalogue. Signatures, designa- gegeben. Bei druckgrafischen Werken wurde auf Angabe der ge - tions and foundry marks are mentioned. “Bezeichnung” (“inscrip- druckten Bezeichnungen verzichtet. Signaturen, Bezeichnungen tion”) means an inscription from the artist’s own hand, in contrast to und Gießerstempel sind aufgeführt. „Bezeichnung“ bedeutet eine “Beschriftung” (“designation”) which indicates an inscription from eigenhändige Aufschrift des Künstlers, im Gegensatz zu einer „Be- the hand of another. schriftung“ von fremder Hand. 5 5 When describing paper, “Bütten paper” denotes machine-made Bei den Papieren meint „Büttenpapier“ ein Maschinenpapier paper manufactured with the texture and finish of “Bütten”. Other mit Büttenstruktur. Ergänzende Angaben wie „JW Zanders“ oder designations of paper such as “JW Zanders” or “BFK Rives” refer to „BFK Rives“ beziehen sich auf Wasserzeichen. Der Begriff „Japan - respective watermarks. The term “Japan paper” refers to both hand papier“ bezeichnet sowohl echtes wie auch maschinell hergestell - and machine-made Japan paper. tes Japanpapier. 6 6 All sale objects may be viewed and examined before the auction; Sämtliche zur Versteigerung gelangenden Gegenstände können vor they are sold as is. The condition of the works corresponds to their der Versteigerung besichtigt und geprüft werden; sie sind ge- age. The catalogues list only such defects in condition as impair the braucht. Der Erhaltungszustand der Kunstwerke ist ihrem Alter overall impression of the art work. For every lot there is a condition entsprechend; Mängel werden in den Katalogbeschreibungen nur report which can be requested. erwähnt, wenn sie den optischen Gesamteindruck der Arbeiten 7 beeinträchtigen. Für jedes Kunstwerk liegt ein Zustandsbericht Those numbers printed in brackets [ ] refer to the consignors listed vor, der angefordert werden kann. in the Consignor Index, with [E] referring to property owned by 7 Grisebach. Die in eckigen Klammern gesetzten Zeichen beziehen sich auf die 8 Einlieferer, wobei [E] die Eigenware kennzeichnet. Only works already framed at the time of consignment will be sold 8 framed. Es werden nur die Werke gerahmt versteigert, die gerahmt einge- liefert wurden. Photocredit: René Fietzek René Photocredit: Photocredit: René Fietzek René Photocredit: LauraLaura vonvon BismarckBismarck SophiaSophia vonvon WesterholtWesterholt +49+49 3030 885885 915915 2424 +49+49 211211 862862 921921 9797 [email protected]@grisebach.com [email protected]@grisebach.com BerlinBerlin DüsseldorfDüsseldorf

Grisebach — Herbst 2020 Versteigerungsbedingungen des Bieters während der Versteigerung abgegeben. Das von dem 30 %. Auf den Teil des Hammer preises, der EUR 500.000 über- Bieter genannte Gebot bezieht sich ausschließlich auf den Ham- steigt, wird ein Aufgeld von 25 % berechnet. Auf den Teil des merpreis, umfasst also nicht Aufgeld, etwaige Umlagen und Um- Hammer preises, der EUR 2.000.000 übersteigt, wird ein Aufgeld der Grisebach GmbH satzsteuer, die hinzukommen. Das Gebot muss den Kunstgegen- von 20 % berechnet. In diesem Aufgeld sind alle pauschalen Ge- stand, auf den es sich bezieht, zweifelsfrei und möglichst unter bühren sowie die gesetzliche Umsatzsteuer enthalten (Differenz- Nennung der Los-Nummer, des Künstlers und des Titels, benennen. besteuerung nach § 25a UStG). Sie werden bei der Rechnungstel- Telefonische Gebote können von Grisebach aufgezeichnet lung nicht einzeln ausgewiesen. werden. Mit dem Antrag zum telefonischen Bieten erklärt sich der Käufern, denen nach dem Umsatzsteuergesetz (UStG) im Bieter mit der Aufzeichnung einverstanden. Die Aufzeichnung wird Inland geliefert wird und die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, spätestens nach drei Monaten gelöscht, sofern sie nicht zu Be- kann auf Wunsch die Rechnung nach der Regelbesteuerung gemäß weiszwecken benötigt wird. Absatz B. ausgestellt werden. Dieser Wunsch ist bei Beantragung § 1 3. d) Gebote über das Internet der Bieter nummer anzugeben. Eine Korrektur nach Rechnungs- Der Versteigerer Grisebach bestimmt Ort und Zeitpunkt der Versteigerung. Gebote über das Internet sind nur zulässig, wenn der Bieter von stellung ist nicht möglich. Sie ist berechtigt, Ort oder Zeitpunkt zu ändern, auch wenn der Grisebach zum Bieten über das Internet unter Verwendung eines b) Bei Kunstwerken mit der Kennzeichnung „N“ für Import handelt es 1. Auktions katalog bereits versandt worden ist. Benutzernamens und eines Passwortes zugelassen worden ist und sich um Kunstwerke, die in die EU zum Verkauf eingeführt wurden. Die Versteigerung erfolgt im Namen der Grisebach GmbH – nach- die Versteigerungsbedingungen als verbindlich anerkennt. Die Zu- In diesen Fällen wird zusätzlich zum Aufgeld die verauslagte Ein- folgend: „Grisebach“ genannt. Der Auktionator handelt als deren lassung erfolgt ausschließlich für die Person des Zugelassenen, ist fuhrumsatzsteuer in Höhe von derzeit 7 % des Hammerpreises Vertreter. Er ist gem. § 34b Abs. 5 GewO öffentlich bestellt. Die § 3 also höchst persönlich. Der Benutzer ist verpflichtet, seinen Be- erhoben. Versteigerung ist somit eine öffentliche Versteigerung i. S. § 474 Durchführung der Versteigerung nutzernamen und sein Passwort Dritten nicht zugänglich zu ma- B. Bei im Katalog mit dem Buchstaben „R“ hinter der Losnummer ge- Abs. 1 S. 2 und § 383 Abs. 3 BGB. chen. Bei schuldhafter Zuwiderhandlung haftet er Grisebach für kennzeichneten Kunstgegenständen berechnet sich der Kaufpreis 2. 1. Bieternummer daraus entstandene Schäden. wie folgt: Die Versteigerung erfolgt in der Regel für Rechnung des Einliefe- Jeder Bieter erhält von Grisebach eine Bieternummer. Er hat Gebote über das Internet sind nur rechtswirksam, wenn sie a) Aufgeld rers, der unbenannt bleibt. Nur die im Eigentum von Grisebach die Verstei gerungsbedingungen als verbindlich anzuerkennen. hinreichend bestimmt sind und durch Benutzernamen und Pass- Auf den Hammerpreis berechnet Grisebach ein Aufgeld von 25 %. befindlichen Kunstgegenstände werden für eigene Rechnung ver- Von unbekannten Bietern benötigt Grisebach zur Erteilung wort zweifelsfrei dem Bieter zuzuordnen sind. Die über das Inter- Auf den Teil des Hammerpreises, der EUR 500.000 übersteigt, wird steigert. Sie sind im Katalog mit „E“ gekennzeichnet. der Bieternummer spätestens 24 Stunden vor Beginn der Verstei- net übertragenen Gebote werden elektronisch protokolliert. Die ein Aufgeld von 20 % berechnet. Auf den Teil des Hammerpreises, 3. gerung eine schriftliche Anmel dung mit beigefügter zeitnaher Richtigkeit der Protokolle wird vom Käufer anerkannt, dem jedoch der EUR 2.000.000 übersteigt, wird ein Aufgeld von 15 % berech- Die Versteigerung erfolgt auf der Grundlage dieser Versteigerungs- Bankreferenz. der Nachweis ihrer Unrichtig keit offensteht. net. bedingungen. Die Versteigerungsbedingungen sind im Auktionska- Nur unter einer Bieternummer abgegebene Gebote werden Grisebach behandelt Gebote, die vor der Versteigerung über b) Umsatzsteuer talog, im Internet und durch deutlich sichtbaren Aushang in den auf der Verstei gerung berücksichtigt. das Internet abgegeben werden, rechtlich wie schriftliche Gebote. Auf den Hammerpreis und das Aufgeld wird die jeweils gültige Räumen von Grisebach veröffentlicht. Durch Abgabe eines Gebots 2. Aufruf Internetgebote während einer laufenden Versteigerung werden gesetzliche Umsatzsteuer erhoben (Regelbesteuerung mit „R“ erkennt der Käufer diese Versteigerungsbedingungen als verbind - Die Versteigerung des einzelnen Kunstgegenstandes beginnt mit wie Gebote aus dem Saal berücksichtigt. gekennzeichnet). Sie beträgt derzeit 19 %. lich an. dessen Aufruf durch den Auktionator. Er ist berechtigt, bei Aufruf 4. Der Zuschlag c) Umsatzsteuerbefreiung von der im Katalog vorgesehenen Reihenfolge abzuweichen, Los- a) Der Zuschlag wird erteilt, wenn nach dreimaligem Aufruf eines Ge- Keine Umsatzsteuer wird für den Verkauf von Kunstgegenständen Nummern zu verbinden oder zu trennen oder eine Los-Nummer bots kein höheres Gebot abgegeben wird. Der Zuschlag verpflich- berechnet, die in Staaten innerhalb der EU von Unternehmen er- § 2 zurückzuziehen. tet den Bieter, der unbenannt bleibt, zur Abnahme des Kunstge- worben und aus Deutschland exportiert werden, wenn diese bei Katalog, Besichtigung und Versteigerungstermin Der Preis wird bei Aufruf vom Auktionator festgelegt, und genstandes und zur Zahlung des Kaufpreises (§ 4 Ziff. 1). Beantragung und Erhalt ihrer Bieter nummer ihre Umsatzsteuer- zwar in Euro. Gesteigert wird um jeweils 10 % des vorangegangenen b) Der Auktionator kann bei Nichterreichen des Limits einen Zuschlag Identifikations nummer angegeben haben. Eine nachträgliche Be- 1. Katalog Gebots, sofern der Auktionator nicht etwas anderes bestimmt. unter Vorbehalt erteilen. Ein Zuschlag unter Vorbehalt wird nur rücksichtigung, insbesondere eine Korrektur nach Rechnungs- Vor der Versteigerung erscheint ein Auktionskatalog. Darin werden 3. Gebote wirk sam, wenn Grisebach das Gebot innerhalb von drei Wochen stellung, ist nicht möglich. zur allgemeinen Orientierung die zur Versteigerung kommenden a) Gebote im Saal nach dem Tag der Versteigerung schriftlich bestätigt. Sollte in der Keine Umsatzsteuer wird für den Verkauf von Kunstgegen- Kunst gegen stände abgebildet und beschrieben. Der Katalog ent- Gebote im Saal werden unter Verwendung der Bieternummer ab - Zwischenzeit ein anderer Bieter mindestens das Limit bieten, er- ständen berechnet, die gemäß § 6 Abs. 4 UStG in Staaten außerhalb hält zusätz lich Angaben über Urheberschaft, Technik und Signatur gegeben. Ein Vertrag kommt durch Zuschlag des Auktionators zu - hält dieser ohne Rücksprache mit dem Bieter, der den Zuschlag der EU geliefert werden und deren Käufer als ausländische Abneh- des Kunst gegen standes. Nur sie bestimmen die Beschaffenheit stande. unter Vorbehalt erhalten hat, den Zuschlag. mer gelten und dies entsprechend § 6 Abs. 2 UStG nachgewiesen des Kunst gegen standes. Im übrigen ist der Katalog weder für die Will ein Bieter Gebote im Namen eines Dritten abgeben, hat c) Der Auktionator hat das Recht, ohne Begründung ein Gebot abzu- haben. Im Ausland anfallende Einfuhr umsatz steuer und Zölle trägt Beschaffenheit des Kunstgegenstandes noch für dessen Erschei- er dies mindestens 24 Stunden vor Beginn der Versteigerung von lehnen oder den Zuschlag zu verweigern. Wird ein Gebot abge- der Käufer. nungsbild (Farbe) maß gebend. Der Katalog weist einen Schätzpreis Grisebach unter Vorlage einer Vollmacht des Dritten anzuzeigen. lehnt oder der Zuschlag verweigert, bleibt das vorangegangene Die vorgenannten Regelungen zur Umsatzsteuer entsprechen in Euro aus, der jedoch lediglich als Anhaltspunkt für den Ver- Anderenfalls kommt bei Zuschlag der Vertrag mit ihm selbst zu- Gebot wirksam. dem Stand der Gesetzgebung und der Praxis der Finanzverwaltung. kehrswert des Kunst gegen stan des dient, ebenso wie etwaige An- stande. d) Der Auktionator kann einen Zuschlag zurücknehmen und den Änderungen sind nicht ausgeschlossen. gaben in anderen Währungen. b) Schriftliche Gebote Kunst gegenstand innerhalb der Auktion neu ausbieten, 2. Fälligkeit und Zahlung Der Katalog wird von Grisebach nach bestem Wissen und Mit Zustimmung von Grisebach können Gebote auf einem dafür – wenn ein rechtzeitig abgegebenes höheres Gebot von ihm über- Der Kaufpreis ist mit dem Zuschlag fällig. Gewissen und mit großer Sorgfalt erstellt. Er beruht auf den bis vorgesehenen Formular auch schriftlich abgegeben werden. Sie sehen und dies von dem übersehenen Bieter unverzüglich bean - Der Kaufpreis ist in Euro an Grisebach zu entrichten. Schecks zum Zeitpunkt der Versteigerung veröffentlichten oder sonst all- müssen vom Bieter unterzeichnet sein und unter Angabe der Los- standet worden ist, und andere unbare Zahlungen werden nur erfüllungshalber ange- gemein zugänglichen Erkenntnissen sowie auf den Angaben des Nummer, des Künstlers und des Titels den für den Kunstgegen- – wenn ein Bieter sein Gebot nicht gelten lassen will oder nommen. Einlieferers. stand gebotenen Hammerpreis nennen. Der Bieter muss die Ver- – wenn sonst Zweifel über den Zuschlag bestehen. Eine Begleichung des Kaufpreises durch Aufrechnung ist nur Für jeden der zur Versteigerung kommenden Kunstgegen- steigerungsbedingungen als verbindlich anerkennen. Übt der Auktionator dieses Recht aus, wird ein bereits erteilter mit un be strittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen stände kann bei ernstlichem Interesse ein Zustandsbericht von Mit dem schriftlichen Gebot beauftragt der Bieter Grisebach, Zuschlag unwirksam. zulässig. Grisebach angefordert und es können etwaige von Grisebach ein - seine Gebote unter Berücksichtigung seiner Weisungen abzuge- e) Der Auktionator ist berechtigt, ohne dies anzeigen zu müssen, bis Bei Zahlung in ausländischer Währung gehen ein etwaiges geholte Expertisen eingesehen werden. ben. Das schriftliche Gebot wird von Grisebach nur mit dem Betrag zum Erreichen eines mit dem Einlieferer vereinbarten Limits auch Kursrisiko sowie alle Bankspesen zulasten des Käufers. Die im Katalog, im Zustandsbericht oder in Expertisen ent- in Anspruch genommen, der erforderlich ist, um ein anderes Ge - Gebote für den Einlieferer abzugeben und den Kunstgegenstand 3. Verzug haltenen Angaben und Beschreibungen sind Einschätzungen, keine bot zu überbieten. dem Einlieferer unter Benennung der Einlieferungsnummer zuzu- Ist der Kaufpreis innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Garantien im Sinne des § 443 BGB für die Beschaffenheit des Kunst- Ein Vertrag auf der Grundlage eines schriftlichen Gebots schlagen. Der Kunstgegenstand bleibt dann unverkauft. Rechnung noch nicht beglichen, tritt Verzug ein. gegenstandes. kommt mit dem Bieter durch den Zuschlag des Auktionators Ab Eintritt des Verzuges verzinst sich der Kaufpreis mit 1 % Grisebach ist berechtigt, Katalogangaben durch Aushang am zustande. monatlich, unbeschadet weiterer Schadensersatzansprüche. Ort der Versteigerung und unmittelbar vor der Versteigerung des Gehen mehrere gleich hohe schriftliche Gebote für denselben § 4 Zwei Monate nach Eintritt des Verzuges ist Grisebach be - betreffen den Kunstgegenstandes mündlich durch den Auktionator Kunst gegenstand ein, erhält das zuerst eingetroffene Gebot den Zu- Kaufpreis, Zahlung, Verzug rechtigt und auf Verlangen des Einlieferers verpflichtet, diesem zu berichtigen oder zu ergänzen. schlag, wenn kein höheres Gebot vorliegt oder abgegeben wird. Name und Anschrift des Käufers zu nennen. 2. Besichtigung c) Telefonische Gebote 1. Kaufpreis Ist der Käufer mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug, Alle zur Versteigerung kommenden Kunstgegenstände werden vor Telefonische Gebote sind zulässig, wenn der Bieter mindestens 24 Der Kaufpreis besteht aus dem Hammerpreis zuzüglich Aufgeld. kann Grise bach nach Setzung einer Nachfrist von zwei Wochen der Versteigerung zur Vorbesichtigung ausgestellt und können be - Stunden vor Beginn der Versteigerung dies schriftlich beantragt Hinzu kommen können pauschale Gebühren sowie die gesetzliche vom Vertrag zurücktreten. Damit erlöschen alle Rechte des Käu- sichtigt und geprüft werden. Ort und Zeit der Besichtigung, die und G riseba ch zugestimmt hat. D er Bieter muss die Versteigerungs- Umsatz steuer. fers an dem erstei gerten Kunst gegen stand. Grisebach fest legt, sind im Katalog angegeben. Die Kunstgegen- bedingungen als verbindlich anerkennen. A. a) Bei Kunstgegenständen ohne besondere Kennzeichnung im Kata- Grisebach ist nach Erklärung des Rücktritts berechtigt, vom stände sind gebraucht und werden in der Beschaffenheit verstei - Die telefonischen Gebote werden von einem während der log berechnet sich der Kaufpreis wie folgt: Bei Käufern mit Wohn- Käufer Schadensersatz zu verlangen. Der Schadensersatz umfasst gert, in der sie sich im Zeit punkt der Versteigerung befinden. Verstei gerung im Saal anwesenden Mitarbeiter von Grisebach sitz innerhalb des Gemeinschaftsgebietes der Europäischen Union insbe sondere das Grisebach entgangene Entgelt (Einliefererkom- entgegen genommen und unter Berücksichtigung der Weisungen (EU) berechnet Grisebach auf den Hammerpreis ein Aufgeld von mission und Aufgeld), sowie angefallene Kosten für Katalogabbil-

Grisebach — Herbst 2020 dungen und die bis zur Rückgabe oder bis zur erneuten Versteige- § 7 § 8 Informationen rung des Kunst gegen standes anfallenden Transport-, Lager- und Haftung Schlussbestimmungen Versicherungs kosten. Wird der Kunstgegenstand an einen Unterbieter verkauft 1. Beschaffenheit des Kunstgegenstandes 1. Nebenabreden für Bieter oder in der nächsten oder übernächsten Auktion versteigert, haf- Der Kunstgegenstand wird in der Beschaffenheit veräußert, in der Änderungen dieser Versteigerungsbedingungen im Einzelfall oder tet der Käufer außerdem für jeglichen Mindererlös. er sich bei Erteilung des Zuschlags befindet und vor der Versteige- Nebenabreden bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Schriftform. Grisebach hat das Recht, den säumigen Käufer von künftigen rung besichtigt und geprüft werden konnte. Ergänzt wird diese 2. Fremdsprachige Fassung der Versteigerungsbedingungen Ver stei gerungen auszuschließen und seinen Namen und seine Beschaffen heit durch die Angaben im Katalog (§ 2 Ziff. 1) über Ur- Soweit die Versteigerungsbedingungen in anderen Sprachen als Adresse zu Sperrzwecken an andere Auktionshäuser weiterzugeben. heberschaft, Technik und Signatur des Kunstgegenstandes. Sie be - der deutschen Sprache vorliegen, ist stets die deutsche Fassung ruhen auf den bis zum Zeitpunkt der Versteigerung veröffentlich- maßgebend. ten oder sonst allgemein zugänglichen Erkennt nissen sowie auf 3. Anwendbares Recht § 5 den Angaben des Einlieferers. Weitere Beschaffen heits merkmale Es gilt ausschließlich das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Die Verteilung der Bieternummern erfolgt eine Stunde vor Beginn der Nachverkauf sind nicht verein bart, auch wenn sie im Katalog beschrieben oder Das Abkommen der Vereinten Nationen über Verträge des interna - Auktion. Wir bitten um rechtzeitige Registrierung. Nur unter dieser erwähnt sind oder sich aus schriftlichen oder mündlichen Aus- tionalen Warenkaufs (CISG) findet keine Anwendung. Nummer abgegebene Gebote werden auf der Auktion berück- Während eines Zeitraums von zwei Monaten nach der Auktion kön - künften, aus einem Zustands bericht, Expertisen oder aus den Ab- 4. Erfüllungsort sichtigt. Von Bietern, die Grisebach noch unbekannt sind, benötigt nen nicht versteigerte Kunstgegenstände im Wege des Nachver- bildungen des Katalogs ergeben sollten. Eine Garantie (§ 443 BGB) Erfüllungsort und Gerichtsstand ist, soweit dies rechtlich verein- Grisebach spätestens 24 Stunden vor Beginn der Auktion eine kaufs erworben werden. Der Nachverkauf gilt als Teil der Verstei- für die vereinbarte Beschaffenheit des Kunstgegenstandes wird bart werden kann, Berlin. schriftliche Anmeldung. gerung. Der Interessent hat persönlich, telefonisch, schriftlich nicht übernommen. 5. Salvatorische Klausel Sie haben auch die Möglichkeit, schriftliche oder telefonische Gebote an oder über das Internet ein Gebot mit einem bestimmten Betrag 2. Rechte des Käufers bei einem Rechtsmangel (§ 435 BGB) Sollte eine oder mehrere Bestimmungen dieser Versteigerungs- den Versteigerer zu richten. Ein entsprechendes Auftragsformular abzugeben und die Versteigerungsbedingungen als verbindlich an- Weist der erworbene Kunstgegenstand einen Rechtsmangel auf, bedingungen unwirksam sein oder werden, bleibt die Gültigkeit liegt dem Katalog bei. Über www.grisebach.com können Sie live zuerkennen. Der Vertrag kommt zustande, wenn Grisebach das weil an ihm Rechte Dritter bestehen, kann der Käufer innerhalb der übrigen Bestimmungen davon unberührt. Anstelle der unwirk- über das Internet die Auktionen verfolgen und sich zum online-live Gebot innerhalb von drei Wochen nach Eingang schriftlich an - einer Frist von zwei Jahren (§ 438 Abs. 4 und 5 BGB) wegen dieses samen Bestimmung gelten die entsprechenden gesetzlichen Vor- Bieten registrieren. Wir bitten Sie in allen Fällen, uns dies bis nimmt. Die Bestimmungen über Kaufpreis, Zahlung, Verzug, Abho- Rechts man gels vom Vertrag zurücktreten oder den Kaufpreis min- schriften. spätestens zum 2. Dezember 2020, 18 Uhr mitzuteilen. lung und Haftung für in der Versteigerung erworbene Kunstgegen- dern (§ 437 Nr. 2 BGB). Im übrigen werden die Rechte des Käufers 6. Streitbeilegungsverfahren Die Berechnung des Aufgeldes ist in den Versteigerungsbedingungen stände gelten entsprechend. aus § 437 BGB, also das Recht auf Nach erfüllung, auf Schadener- Die Grisebach GmbH ist grundsätzlich nicht bereit und verpflich- unter § 4 geregelt; wir bitten um Beachtung. Die Versteigerungsbe- satz oder auf Ersatz ver geblicher Aufwendungen ausgeschlossen, tet, an Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlich- dingungen sind am Ende des Kataloges abgedruckt. Die englische es sei denn, der Rechts mangel ist arglistig verschwiegen worden. tungsstelle teilzunehmen. Übersetzung des Kataloges finden Sie unter www.grisebach.com. § 6 3. Rechte des Käufers bei Sachmängeln (§ 434 BGB) Grisebach ist Partner von Art Loss Register. Sämtliche Gegenstände in Entgegennahme des ersteigerten Kunstgegenstandes Weicht der Kunstgegenstand von der vereinbarten Beschaffenheit diesem Katalog, sofern sie eindeutig identifizierbar sind und einen (Urheberschaft, Technik, Signatur) ab, ist der Käufer berech tigt, Schätzwert von mindestens EUR 1.000 haben, wurden vor der 1. Abholung innerhalb von zwei Jahren ab Zuschlag (§ 438 Abs. 4 BGB) vom Ver- Versteigerung mit dem Datenbankbestand des Registers individuell Der Käufer ist verpflichtet, den ersteigerten Kunstgegenstand spä - trag zurückzutreten. Er erhält den von ihm gezahlten Kaufpreis (§ 4 abgeglichen. testens einen Monat nach Zuschlag abzuholen. Ziff. 1 der Verstei gerungsbedingungen) zurück, Zug um Zug gegen Grisebach ist jedoch nicht verpflichtet, den ersteigerten Rückgabe des Kaufgegenstandes in unverändertem Zustand am Kunst gegen stand vor vollständiger Bezahlung des in der Rechnung Sitz von Grisebach. Ansprüche auf Minderung des Kaufpreises ausgewiesenen Betrages an den Käufer herauszugeben. (§ 437 Nr. 2 BGB), auf Schadens ersatz oder auf Ersatz vergeblicher Das Eigentum geht auf den Käufer erst nach vollständiger Be- Aufwendungen (§ 437 Nr. 3 BGB) sind ausgeschlossen. Dieser Haf- gleichung des Kaufpreises über. tungsausschluss gilt nicht, soweit Grisebach den Mangel arglistig 2. Lagerung verschwiegen hat. Bis zur Abholung lagert Grisebach für die Dauer eines Monats, Das Rücktrittsrecht wegen Sachmangels ist ausgeschlossen, gerech net ab Zuschlag, den ersteigerten Kunstgegenstand und sofern Grisebach den Kunstgegenstand für Rechnung des Einliefe - versichert ihn auf eigene Kosten in Höhe des Kaufpreises. Danach rers ver äußert hat und die größte ihr mögliche Sorgfalt bei Ermitt- hat Grisebach das Recht, den Kunstgegenstand für Rechnung des lung der im Katalog genannten Urheberschaft, Technik und Signa- Käufers bei einer Kunst spedition einzulagern und versichern zu tur des Kunst gegenstandes aufgewandt hat und keine Gründe lassen. Wahlweise kann Grise bach statt dessen den Kunstgegen- vorlagen, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. In diesem stand in den eigenen Räumen ein lagern gegen Berechnung einer Falle verpflichtet sich Grisebach, dem Käufer das Aufgeld, etwaige monatlichen Pauschale von 0,1 % des Kaufpreises für Lager- und Umlagen und die Umsatz steuer zu erstatten. Versicherungskosten. Außerdem tritt Grisebach dem Käufer alle ihr gegen den Ein- 3. Versand lieferer, dessen Name und Anschrift sie dem Käufer mitteilt, zuste- Beauftragt der Käufer Grisebach schriftlich, den Transport des er- henden Ansprüche wegen der Mängel des Kunstgegenstandes ab. steigerten Kunstgegenstandes durchzuführen, sorgt Grisebach, Sie wird ihn in jeder zulässigen und ihr möglichen Weise bei der sofern der Kaufpreis vollständig bezahlt ist, für einen sachgerech- Geltendmachung dieser Ansprüche gegen den Einlieferer unter- ten Transport des Werkes zum Käufer oder dem von ihm benann- stützen. ten Em pfän ger durch eine Kunstspedition und schließt eine ent- 4. Fehler im Versteigerungsverfahren sprechende Transportversicherung ab. Die Kosten für Verpackung, Grisebach haftet nicht für Schäden im Zusammenhang mit der Ab- Versand und Versicherung trägt der Käufer. gabe von mündlichen, schriftlichen, telefonischen oder Internet- 4. Annahmeverzug geboten, soweit ihr nicht Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Holt der Käufer den Kunstgegenstand nicht innerhalb von einem Last fällt. Dies gilt insbesondere für das Zustandekommen oder Monat ab (Ziffer 1) und erteilt er innerhalb dieser Frist auch keinen den Bestand von Telefon-, Fax- oder Datenleitungen sowie für Auftrag zur Versendung des Kunstgegenstandes (Ziffer 3), gerät er Übermittlungs-, Über tragungs- oder Übersetzungsfehler im Rah- in Annahme verzug. men der eingesetzten Kommunikationsmittel oder seitens der für 5. Anderweitige Veräußerung die Entgegennahme und Weitergabe eingesetzten Mitarbeiter. Für Veräußert der Käufer den ersteigerten Kunstgegenstand seiner- Missbrauch durch unbefugte Dritte wird nicht gehaftet. Die Haf- seits, bevor er den Kaufpreis vollständig bezahlt hat, tritt er be- tungsbeschränkung gilt nicht für Schäden an der Verletzung von reits jetzt erfüllungshalber sämtliche Forderungen, die ihm aus Leben, Körper oder Gesundheit. dem Weiterverkauf zustehen, an Grisebach ab, welche die Abtre- 5. Verjährung tung hiermit annimmt. Soweit die abgetretenen Forderungen die Für die Verjährung der Mängelansprüche gelten die gesetzlichen Grisebach zuste henden Ansprüche übersteigen, ist Grisebach ver- Verjährungsfristen des § 438 Abs. 1 Ziffer 3 BGB (2 Jahre). pflichtet, den zur Erfüllung nicht benötigten Teil der abgetretenen Forderung unverzüglich an den Käufer abzutreten.

Grisebach — Herbst 2020 Conditions of Sale c) Phoned-in absentee bids and the auctioneer is furthermore authorized to knock down the Bids may permissibly be phoned in, provided that the bidder applies work of art to the Consignor, citing the consignment number. In such in writing to be admitted as a telephone bidder, and does so at the event, the work of art shall go unsold. of Grisebach GmbH latest twenty-four (24) hours prior to the auction commencing, and furthermore provided that Grisebach has consented. The bidder must acknowledge the Conditions of Sale as being binding upon it. Section 4 Bids phoned in will be taken by a Grisebach employee present Purchase Price, Payment, Default at the auction on the floor, and will be submitted in the course of the auction in keeping with the instructions issued by the bidder. The 1. Purchase price bid so submitted by the bidder shall cover exclusively the hammer The purchase price consists of the hammer price plus buyer’s pre- price, and thus shall not comprise the buyer’s premium, any allo- mium. Additionally, lump sum fees may be charged along with stat- Section 1 Grisebach, will be set out in the catalogue. The works of art are used cated costs that may be charged, or turnover tax. The bid must un- utory turnover tax. The Auction House and will be sold “as is”, in other words in the condition they are in at ambiguously designate the work of art to which it refers, and must A. a) For works of art that have not been specially marked in the cata- the time of the auction. wherever possible provide the lot number, the artist and the title of logue, the purchase price will be calculated as follows: 1. 3. the work. For buyers having their residence in the community territory of The auction will be implemented on behalf of Grisebach GmbH – Grisebach will determine the venue and time at which the auction is Grisebach may make a recording of bids submitted by tele- the European Union (EU), Grisebach will add a buyer’s premium of referred to hereinbelow as “Grisebach”. The auctioneer will be act- to be held. It is entitled to modify the venue and the time of the auc- phone. By filing the application to be admitted as a telephone bid - 30 % to the hammer price. A buyer’s premium of 25 % will be added ing as Grisebach’s representative. The auctioneer is an expert who tion, also in those cases in which the auction catalogue has already der, the bidder declares its consent to the telephone conversation to that part of the hammer price that is in excess of EUR 500,000. A has been publicly appointed in accordance with Section 34b para- been sent out. being recorded. buyer’s premium of 20 % will be added to that part of the hammer graph 5 of the Gewerbeordnung (GewO, German Industrial Code). Unless it is required as evidence, the recording shall be de- price that is in excess of EUR 2,000,000. This buyer’s premium will Accordingly, the auction is a public auction as defined by Section leted at the latest following the expiry of three (3) months. include all lump sum fees as well as the statutory turnover tax (mar- 474 paragraph 1 second sentence and Section 383 paragraph 3 of Section 3 d) Absentee bids submitted via the internet gin scheme pursuant to Section 25a of the German Turnover Tax Act). the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code). Calling the Auction Bids may be admissibly submitted via the internet only if Grisebach These taxes and fees will not be itemized separately in the invoice. 2. has registered the bidder for internet bidding, giving him a user Buyers to whom delivery is made within Germany, as defined As a general rule, the auction will be performed on behalf of the 1. Bidder number name and password, and if the bidder has acknowledged the Con- by the German Turnover Tax Act, and who are entitled to deduct in- Consignor, who will not be named. Solely those works of art owned Grisebach will issue a bidder number to each bidder. Each bidder is ditions of Sale as being binding upon it. The registration shall be put taxes, may have an invoice issued to them that complies with the by Grisebach shall be sold at auction for the account of Grisebach. to acknowledge the Conditions of Sale as being binding upon it. non-transferable and shall apply exclusively to the registered par- standard taxation provisions as provided for hereinabove in para- Such items will be marked by an “E” in the catalogue. At the latest twenty-four (24) hours prior to the start of the ty; it is thus entirely personal and private. The user is under obliga- graph B. Such invoice is to be requested when applying for a bidder 3. auction, bidders as yet unknown to Grisebach must register in writ- tion to not disclose to third parties its user name or password. number. It is not possible to perform any correction retroactively The auction shall be performed on the basis of the present Condi- ing, providing a written bank reference letter of recent date, so as Should the user culpably violate this obligation, it shall be held lia- after the invoice has been issued. tions of Sale. The Conditions of Sale are published in the catalogue to enable Grisebach to issue a bidder number to them. ble by Grisebach for any damages resulting from such violation. b) Works of art marked by the letter “N” (for Import) are works of art of the auction and on the internet; furthermore, they are posted in At the auction, only the bids submitted using a bidder number Bids submitted via the internet shall have legal validity only if that have been imported from outside the EU for sale. In such an easily accessible location in the Grisebach spaces. By submit- will be considered. they are sufficiently determinate and if they can be traced back to event, the import turnover tax advanced, in the amount of cur- ting a bid, the buyer acknowledges the Conditions of Sale as being 2. Item call-up the bidder by its user name and password beyond any reasonable rently 7 % on the hammerprice, will be charged in addition to the binding upon it. The auction of the individual work of art begins by its being called doubt. The bids transmitted via the internet will be recorded elec- buyer’s premium. up by the auctioneer. The auctioneer is entitled to call up the works tronically. The buyer acknowledges that these records are correct, B. For works of art marked in the catalogue by the letter “R” behind the of art in a different sequence than that published in the catalogue, but it does have the option to prove that they are incorrect. lot number, the purchase price is calculated as follows: Section 2 to join catalogue items to form a lot, to separate a lot into individual In legal terms, Grisebach shall treat bids submitted via the in- a) Buyer’s premium Catalogue, Pre-Sale Exhibition and Date of the Auction items, and to pull an item from the auction that has been given a lot ternet at a point in time prior to the auction as if they were bids Grisebach will add a buyer’s premium of 25% to the hammer price. number. submitted in writing. Bids submitted via the internet while an auc- A buyer’s premium of 20 % will be added to that part of the hammer 1. Catalogue When the work of art is called up, its price will be determined tion is ongoing shall be taken into account as if they were floor bids. price that is in excess of EUR 500,000. A buyer’s premium of 15 % will Prior to the auction date, an auction catalogue will be published. by the auctioneer, denominated in euros. Unless otherwise deter- 4. Knock down be added to that part of the hammer price that is in excess of EUR This provides general orientation in that it shows images of the mined by the auctioneer, the bid increments will amount to 10 % of a) The work of art is knocked down to the winning bidder if, following 2,000,000. works of art to be sold at auction and describes them. Additionally, the respective previous bid. three calls for a higher bid, no such higher bid is submitted. Upon b) Turnover tax the catalogue will provide information on the work’s creator(s), 3. Bids the item being knocked down to it, this will place the bidder under The hammer price and the buyer's premium will each be subject to technique, and signature. These factors alone will define the char- a) Floor bids obligation to accept the work of art and to pay the purchase price the statutory turnover tax in the respectively applicable amount acteristic features of the work of art. In all other regards, the cata- Floor bids will be submitted using the bidder number. A sale and (Section 4 Clause 1). The bidder shall not be named. (standard taxation provisions, marked by the letter "R"). Currently, logue will not govern as far as the characteristics of the work of art purchase agreement will be concluded by the auctioneer bringing b) Should the bids not reach the reserve price set by the Consignor, the this amounts to 19 %. or its appearance are concerned (color). The catalogue will provide down the hammer to end the bidding process. auctioneer will knock down the work of art at a conditional hammer c) Exemption from turnover tax estimated prices in EUR amounts, which, however, serve solely as Where a bidder wishes to submit bids in the name of a third price. This conditional hammer price shall be effective only if No turnover tax will be charged where works of art are sold that are an indication of the fair market value of the work of art, as does any party, it must notify Grisebach of this fact at the latest twenty-four Grisebach confirms this bid in writing within three (3) weeks of the acquired in states within the EU by corporations and exported out- such information that may be provided in other currencies. (24) hours prior to the auction commencing, submitting a corre- day of the auction. Should another bidder submit a bid in the mean- side of Germany, provided that such corporations have provided Grisebach will prepare the catalogue to the best of its knowl- sponding power of attorney from that third party. In all other cases, time that is at least in the amount of the reserve price, the work of their turnover tax ID number in applying for and obtaining their bid- edge and belief, and will exercise the greatest of care in doing so. once the work of art has been knocked down, the sale and purchase art shall go to that bidder; there will be no consultations with the der number. It is not possible to register this status after the invoice The catalogue will be based on the scholarly knowledge published agreement will be concluded with the person who has placed the bidder to whom the work of art has been knocked down at a condi- has been issued, and more particularly, it is not possible to perform up until the date of the auction, or otherwise generally accessible, bid. tional hammer price. a correction retroactively. and on the information provided by the Consignor. b) Written absentee bids c) The auctioneer is entitled to refuse to accept a bid, without provid- No turnover tax shall be charged for the sale of works of art Seriously interested buyers have the opportunity to request Subject to Grisebach consenting to this being done, bids may also ing any reasons therefor, or to refuse to knock down a work of art to that are delivered, pursuant to Section 6 paragraph 4 of the Um- that Grisebach provide them with a report outlining the condition of be submitted in writing using a specific form developed for this pur- a bidder. Where a bid is refused, or where a work of art is not satzsteuergesetz (UStG, German Turnover Tax Act), to destinations the work of art (condition report), and they may also review any ex- pose. The bidder must sign the form and must provide the lot num- knocked down to a bidder, the prior bid shall continue to be valid. located in states that are not a Member State of the EU, provided pert appraisals that Grisebach may have obtained. ber, the name of the artist, the title of the work of art and the ham- d) The auctioneer may revoke any knock-down and may once again that their buyers are deemed to be foreign purchasers and have The information and descriptions contained in the catalogue, mer price it wishes to bid therefor. The bidder must acknowledge call up the work of art in the course of the auction to ask for bids; proved this fact in accordance with Section 6 paragraph 2 of the in the condition report or in expert appraisals are estimates; they the Conditions of Sale as being binding upon it. the auctioneer may do so in all cases in which German Turnover Tax Act. The buyer shall bear any import turnover do not constitute any guarantees, in the sense as defined by Section By placing a written bid, the bidder instructs Grisebach to – The auctioneer has overlooked a higher bid that was submitted in tax or duties that may accrue abroad. 443 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code), for submit such bid in accordance with its instructions. Grisebach shall a timely fashion, provided the bidder so overlooked has immedi- The above provisions on turnover tax correspond to the legis - the characteristics of the work of art. use the amount specified in the written bid only up to whatever ately objected to this oversight; lative status quo and are in line with the practice of the Tax and Grisebach is entitled to correct or amend any information amount may be required to outbid another bidder. – A bidder does not wish to be bound by the bid submitted; or Revenue Authorities. They are subject to change without notice. provided in the catalogue by posting a notice at the auction venue Upon the auctioneer knocking down the work of art to a writ- – There are any other doubts regarding the knock-down of the work 2. Due date and payment and by having the auctioneer make a corresponding statement im - ten bid, a sale and purchase agreement shall be concluded on that of art concerned. The purchase price shall be due for payment upon the work of art mediately prior to calling the bids for the work of art concerned. basis with the bidder who has submitted such written bid. Where the auctioneer exercises this right, any knock-down of a being knocked down to the buyer. 2. Pre-sale exhibition Where several written bids have been submitted in the same work of art that has occurred previously shall cease to be effective. The purchase price shall be paid in euros to Grisebach. All of the works of art that are to be sold at auction will be exhibited amount for the same work of art, the bid received first shall be the e) The auctioneer is authorized, without being under obligation of giv- Cheques and any other forms of non-cash payment are accepted prior to the sale and may be viewed and inspected. The time and winning bid, provided that no higher bid has been otherwise sub- ing notice thereof, to also submit bids on behalf of the Consignor only on account of performance. date of the pre-sale exhibition, which will be determined by mitted or is placed as a floor bid. until the reserve price agreed with the Consignor has been reached,

Grisebach — Herbst 2020 Payment of the purchase price by set-off is an option only where the At its choice, Grisebach may instead store the work of art in its own the reimbursement of futile expenditure (Section 437 no. 3 of the Information claims are not disputed or have been finally and conclusively deter- premises, charging a monthly lump-sum fee of 0.1 % of the purchase German Civil Code) are hereby contracted out. This exclusion of li- mined by a court’s declaratory judgment. price for the costs of storage and insurance. ability shall not apply should Grisebach have fraudulently con- Where payment is made in a foreign currency, any exchange 3. Shipping cealed the defect. for Bidders rate risk and any and all bank charges shall be borne by the buyer. Where the buyer instructs Grisebach in writing to ship to it the work The right to rescind the agreement for material defects shall 3. Default of art acquired at auction, subject to the proviso that the purchase be contracted out wherever Grisebach has sold the work of art for In cases in which the purchase price has not been paid within two price has been paid in full, Grisebach shall procure the appropri- the account of the Consignor and has exercised, to the best of its (2) weeks of the invoice having been received, the buyer shall be ate shipment of the work of art to the buyer, or to any recipient the ability, the greatest possible care in identi fying the work’s creator(s), deemed to be defaulting on the payment. buyer may specify, such shipment being performed by a specialized technique and signature listed in the catalogue, provided there was Upon the occurrence of such default, the purchase price shall fine art shipping agent; Grisebach shall take out corresponding no cause to doubt these statements’ being correct. In such event, accrue interest at 1 % per month, notwithstanding any other claims shipping insurance. The buyer shall bear the costs of packaging and Grisebach enters into obligation to reimburse the buyer for the buyer’s premium, any allocated costs that may have been charged, to compensation of damages that may exist. shipping the work of art as well as the insurance premium. Bidder numbers are available for collection one hour before the auction. and turnover tax. Two (2) months after the buyer has defaulted on the purchase 4. Default of acceptance Please register in advance. Only bids using this number will be Moreover, Grisebach shall assign to the buyer all of the claims price, Grisebach shall be entitled – and shall be under obligation to Where the buyer fails to pick up the work of art within one (1) month included in the auction. Bidders previously unknown to Grisebach vis-à-vis the Consignor to which it is entitled as a result of the de- do so upon the Consignor’s corresponding demand – to provide to (Clause 1) and fails to issue instructions for the work of art to be must submit a written application no later than 24 hours before the fects of the work of art, providing the Consignor’s name and address the Consignor the buyer’s name and address. shipped to it (Clause 3), it shall be deemed to be defaulting on ac- auction. to the buyer. Grisebach shall support the buyer in any manner that Where the buyer has defaulted on the purchase price, ceptance. We are pleased to accept written absentee bids or telephone bids on the is legally available to it and that it is able to apply in enforcing such Grisebach may rescind the agreement after having set a period of 5. Sale to other parties enclosed bidding form. At www.grisebach.com you can follow the claims against the Consignor. grace of two (2) weeks. Once Grisebach has so rescinded the agree- Should the buyer, prior to having paid the purchase price in full, sell auctions live and register for online live bidding. All registrations for 4. Errors in the auction proceedings ment, all rights of the buyer to the work of art acquired at auction the work of art it has acquired at auction, it hereby assigns to bidding at the auctions should be received no later than Grisebach shall not be held liable for any damages arising in con- shall expire. Grisebach, as early as at the present time and on account of per- 6 p.m. on 2 December 2020. nection with bids that are submitted orally, in writing, by telephone Upon having declared its rescission of the agreement, formance, the entirety of all claims to which it is entitled under such Regarding the calculation of the buyer’s premium, please see the Condi- or via the internet, unless Grisebach is culpable of having acted Grisebach shall be entitled to demand that the buyer compensate it onward sale, and Grisebach accepts such assignment. Insofar as tions of Sale, section 4. The Conditions of Sale are provided at the with intent or grossly negligently. This shall apply in particular to the for its damages. Such compensation of damages shall comprise in the claims so assigned are in excess of the claims to which Grisebach end of this catalogue. The English translation of this catalogue can telephone, fax or data connections being established or continuing particular the remuneration that Grisebach has lost (commission to is entitled, Grisebach shall be under obligation to immediately re- be found at www.grisebach.com. in service, as well as to any errors of transmission, transfer or trans- be paid by the Consignor and buyer’s premium), as well as the costs assign to the buyer that part of the claim assigned to it that is not Grisebach is a partner of the Art Loss Register. All objects in this catalogue lation in the context of the means of communications used, or any of picturing the work of art in the catalogue and the costs of ship- required for meeting its claim. which are uniquely identifiable and which have an estimate of at errors committed by the employees responsible for accepting and ping, storing and insuring the work of art until it is returned or until least 1,000 Euro have been individually checked against the register’s forwarding any instructions. Grisebach shall not be held liable for it is once again offered for sale at auction. database prior to the auction. Where the work of art is sold to a bidder who has submitted a Section 7 any misuse by unauthorized third parties. This limitation of liability lower bid, or where it is sold at the next auction or the auction after Liability shall not apply to any loss of life, limb or health. that, the original buyer moreover shall be held liable for any 5. Statute of limitations amount by which the proceeds achieved at that subsequent auction 1. Characteristics of the work of art The statutory periods of limitation provided for by Section 438 para- are lower than the price it had bid originally. The work of art is sold in the condition it is in at the time it is knocked graph 1 Clause 3 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Grisebach has the right to exclude the defaulting buyer from down to the buyer, and in which it was viewed and inspected. The Civil Code) (two years) shall apply where the statute of limitations of future auctions and to forward the name and address of that buyer other characteristic features of the work of art are comprised of claims for defects is concerned. to other auction houses so as to enable them to exclude him from the statements made in the catalogue (Section 2 Clause 1) regarding their auctions as well. the work’s creator(s), technique and signature. These statements are based on the scholarly knowledge published up until the date of Section 8 the auction, or otherwise generally accessible, and on the informa- Final provisions Section 5 tion provided by the Consignor. No further characteristic features Post Auction Sale are agreed among the parties, in spite of the fact that such features 1. Collateral agreements may be described or mentioned in the catalogue, or that they may Any modifications of the present Conditions of Sale that may be In the course of a two-month period following the auction, works of garnered from information provided in writing or orally, from a made in an individual case, or any collateral agreements, must be art that have gone unsold at the auction may be acquired through condition report, an expert appraisal or the images shown in the made in writing in order to be effective. post auction sales. The post auction sale will be deemed to be part catalogue. No guarantee (Section 443 of the Bürgerliches Gesetz- 2. Translations of the Conditions of Sale of the auction. The party interested in acquiring the work of art is to buch (BGB, German Civil Code)) is provided for the work of art hav - Insofar as the Conditions of Sale are available in other languages submit a bid either in person, by telephone, in writing or via the in- ing any characteristic features. besides German, the German version shall govern in each case. ternet, citing a specific amount, and is to acknowledge the Condi- 2. Buyer’s rights in the event of a defect of title being given (Section 435 of 3. Governing law tions of Sale as being binding upon it. The sale and purchase agree- the German Civil Code) The laws of the Federal Republic of Germany shall exclusively apply. ment shall come about if Grisebach accepts the bid in writing Should the work of art acquired be impaired by a defect of title be- The United Nations Convention on the International Sale of Goods within three weeks of its having been received. cause it is encumbered by rights of third parties, the buyer may, shall not apply. The provisions regarding the purchase price, payment, de- within a period of two (2) years (Section 438 paragraph 4 and 5 of 4. Place of performance fault, pick-up and liability for works of art acquired at auction shall the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code)), rescind the Insofar as it is possible to agree under law on the place of perfor- apply mutatis mutandis. agreement based on such defect of title, or it may reduce the pur- mance and the place of jurisdiction, this shall be Berlin. chase price (Section 437 no. 2 of the German Civil Code). In all other 5. Severability clause regards, the buyer’s rights as stipulated by Section 437 of the Ger- Should one or several provisions of the present Conditions of Sale Section 6 man Civil Code are hereby contracted out, these being the right to be or become invalid, this shall not affect the validity of the other Acceptance of the Work of Art Purchased at Auction demand the retroactive performance of the agreement, the com- provisions. Instead of the invalid provision, the corresponding statu- pensation of damages, or the reimbursement of futile expenditure, tory regulations shall apply. 1. Pick-up unless the defect of title has been fraudulently concealed. 6. Dispute settlement proceedings The buyer is under obligation to pick up the work of art at the latest 3. Buyer’s rights in the event of a material defect being given (Section 434 Grisebach GmbH is not obliged nor willing to participate in dispute one (1) month after it has been knocked down to the buyer. of the German Civil Code) settlement proceedings before a consumer arbitration board. However, Grisebach is not under obligation to surrender to Should the work of art deviate from the characteristic features the buyer the work of art acquired at auction prior to the purchase agreed (work’s creator(s), technique, signature), the buyer shall be price set out in the invoice having been paid in full. entitled to rescind the agreement within a period of two (2) years Title to the work of art shall devolve to the buyer only upon the after the work of art has been knocked down to it (Section 438 para- purchase price having been paid in full. graph 4 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code)). 2. Storage The buyer shall be reimbursed for the purchase price it has paid Grisebach shall store the work of art acquired at auction until it is (Section 4 Clause 1 of the Conditions of Sale), concurrently with the picked up, doing so at the longest for one (1) month, and shall insure return of the purchased object in unaltered condition, such return it at its own cost, the amount insured being equal to the purchase being effected at the registered seat of Grisebach. price. Thereafter, Grisebach shall have the right to store the work of Claims to any reduction of the purchase price (Section 437 art with a specialized fine art shipping agent and to insure it there. no. 2 of the German Civil Code), to the compensation of damages or

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Einliefererverzeichnis Consignor Index

[2009] 16 [3041] 45, 48 [3053] 50 [3054] 38 [3066] 13 [3068] 37 [3072] 44 [3074] 29 [3082] 26 [3090] 35 [3119] 21 [3309] 53 [3358] 28 [3391] 51 [3396] 25 [3398] 12 [3455] 8 [3457] 54 [3496] 33 [3519] 2, 7 [3546] 57 [3547] 18, 19, 20, 23, 49, 52 [3548] 1, 4, 10, 14, 24, 40, 42, 43 [3557] 22 [3578] 5 [3584] 47 [3587] 3, 32 [3593] 46 [3600] 56 [3601] 15 [3604] 17 [3609] 39 [3626] 11 [3631] 6, 41 [3637] 34 [3668] 27 [3674] 9 [3690] 55 [3708] 36 [3757] 30, 31

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Grisebach — Herbst 2020 Impressum Imprint

Herausgegeben von Dr. Tobias D. Geissmann (TDG) Abb. zu Losen 41/45/48: Grisebach GmbH Oliver Hell (OH) © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Fasanenstraße 25 Dr. Kai Hohenfeld (KH) (für vertretene Künstler) 10719 Berlin Valerie Hortolani (VH) Trotz intensiver Recherche Dr. Sina Jentzsch (SJ) war es nicht in allen Fällen Geschäftsführer Dr. Gloria Köpnick (GK) möglich, die Rechteinhaber Diandra Donecker Dr. Markus Krause (Mkr) ausfindig zu machen. Bitte Micaela Kapitzky Dr. Klaus-Dieter Pohl (KDP) wenden Sie sich an auktionen@ Dr. Markus Krause Dr. Elke Ostländer (EO) grisebach.com Rigmor Stüssel Georg Ottomeyer (GO) HRB 25 552, Erfüllungsort Anna Redeker (AR) Markenentwicklung und -gestaltung und Gerichtsstand Berlin Dr. Martin Schmidt (MS) Stan Hema, Berlin Prof. Dr. Rainer Stamm (RS) Auktionatoren Prof. Dr. Christoph Stölzl (CS) Layout & Satz Dr. Markus Krause Dani Ziegan, Berlin Nina Barge Text-Lektorat Matthias Sommer, Berlin Produktion Katalogbearbeitung Nora Rüsenberg Nina Barge Photobearbeitung Laura von Bismarck Ulf Zschommler Database-Publishing Dr. Sina Jentzsch Digitale Werkstatt Miriam Klug Photos J. Grützkau, Berlin Dr. Markus Krause Fotostudio Bartsch Traute Meins Karen Bartsch, 2020 Herstellung & Lithographie Sarah Miltenberger Recom GmbH & Co. KG, Berlin Königsdruck GmbH Sabina Mlodzianowski Grisebach GmbH Stefan Pucks Inszenierungen: Noshe Gedruckt auf Elena Sánchez y Lorbach Umschlag, 1. und 4. Vorlaufseite: Maxisatin, 135 g/qm Susanne Schmid © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Dr. Martin Schmidt 2. Vorlaufseite: © Nolde Stiftung Schriften Isabel von Verschuer Seebüll Fugue, Radim Pesko Lose 2 und 7: © Marlene Dumas Aperçu Pro, Colophon Foundry Research and Bert Boogaard Miriam Klug Abb. zu Los 2: © Marlene Dumas, Abbildung auf dem Umschlag vorne: Jan Andriesse and Bert Boo- Georg Tappert, Los 4 (Detail) Provenienzrecherche gaard / © Foto: Lothar Sprenger, Dr. Sibylle Ehringhaus Dresden Abbildung auf dem Umschlag hinten: Abb. zu Los 21: © The estate of Joseph Beuys, Los 5 Textbeiträge T.Lux Feininger / www.Kunst- Shantala Sina Branca (SSB) Archive.net Ulrich Clewing (UC) Abb. zu Los 37: © Nolde Stiftung Diandra Donecker (DD) Seebüll Dr. Andreas Fluck (AF) Abbildung zu Los 56: © Andrea Anne Ganteführer-Trier (AGT) Stappert

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