Plenarprotokoll 17/127

Deutscher

Stenografischer Bericht

127. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Tagesordnungspunkt 26: neten Dr. Dieter Wiefelspütz und ...... 15001 B a) Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. , Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeord- nung ...... 15001 B neter und der Fraktion der SPD: Personal- offensive für den wissenschaftlichen Nachträgliche Ausschussüberweisung ...... 15001 D Nachwuchs starten (Drucksache 17/6336) ...... 15019 A Tagesordnungspunkt 25: b) Antrag der Abgeordneten Dr. , Diana Golze, , weiterer Ab- Erste Beratung des von der Bundesregierung geordneter und der Fraktion DIE LINKE: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Befristung von Arbeitsverträgen in der Änderung des Bundesverfassungsschutzge- Wissenschaft eindämmen – Gute Arbeit setzes in Hochschulen und Instituten fördern (Drucksache 17/6925) ...... 15002 A (Drucksache 17/6488) ...... 15019 B Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI ...... 15002 B Swen Schulz (Spandau) (SPD) ...... 15019 B (SPD) ...... 15003 C (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 15020 C Gisela Piltz (FDP) ...... 15004 C Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) ...... 15022 A (DIE LINKE) ...... 15006 B Dr. (Lausitz) (FDP) ...... 15023 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15007 B DIE GRÜNEN) ...... 15025 B Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... DIE GRÜNEN) ...... 15009 A 15027 A Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 15010 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) ...... 15027 D Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) ...... 15012 A (SPD) ...... 15028 D (FDP) ...... 15013 D Dr. Peter Röhlinger (FDP) ...... 15030 B (CDU/CSU) ...... 15014 D Dr. , Ministerin Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 15016 A (Niedersachsen) ...... 15031 A (CDU/CSU) ...... 15016 D René Röspel (SPD) ...... 15033 C Jan Korte (DIE LINKE) ...... 15018 A (CDU/CSU) ...... 15035 A II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. , Donnerstag, den 22. September 2011

Tagesordnungspunkt 34: hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Ab- a) Erste Beratung des von der Bundesregie- satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. rung eingebrachten Entwurfs eines Drit- § 9 Absatz 4 des Gesetzes über die ten Gesetzes zur Änderung des Gräber- Zusammenarbeit von Bundes- gesetzes regierung und Deutschem Bun- (Drucksache 17/6207) ...... 15036 B destag in Angelegenheiten der b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Europäischen Union rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Bodenschutz europaweit stärken zes zu dem Abkommen vom 6. April 2010 zwischen der Bundesrepublik (Drucksache 17/7024) ...... 15037 A Deutschland und der Republik Alba- nien zur Vermeidung der Doppelbe- steuerung und der Steuerverkürzung Tagesordnungspunkt 35: auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen a) Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksache 17/6613) ...... 15036 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ener- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- giebetriebene-Produkte-Gesetzes rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Drucksachen 17/6278, 17/6893, 17/7061) 15037 A zes zu dem Protokoll vom 29. Dezember 2010 zur Änderung des Abkommens b) Zweite und dritte Beratung des von der vom 24. August 2000 zwischen der Bun- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs desrepublik Deutschland und der Repu- eines Gesetzes zur Änderung des Güter- blik Österreich zur Vermeidung der kraftverkehrsgesetzes und des Perso- Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der nenbeförderungsgesetzes Steuern vom Einkommen und vom Ver- (Drucksachen 17/6262, 17/7058) ...... 15037 C mögen c) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksache 17/6614) ...... 15036 C Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- gie rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- – zu der Verordnung der Bundesregie- ten Gesetzes zur Änderung des Agrar- rung: Einundneunzigste Verordnung statistikgesetzes zur Änderung der Außenwirtschafts- (Drucksache 17/6642) ...... 15036 C verordnung e) Antrag der Abgeordneten Omid – zu der Verordnung der Bundesregie- Nouripour, (Bremen), rung: Zweiundneunzigste Verordnung (Köln), weiterer Abgeordne- zur Änderung der Außenwirtschafts- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE verordnung GRÜNEN: Namen von Bundeswehrka- sernen überprüfen (Drucksachen 17/6169, 17/6392 Nr. 2, (Drucksache 17/6495) ...... 15036 D 17/6871, 17/6961 Nr. 2.3, 17/7062) . . . . 15037 D f) Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, d) – g) , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- Klimagerechte Stadtpolitik – Potentiale schusses: Sammelübersichten 305, 306, nutzen, soziale Gerechtigkeit garantie- 307 und 308 zu Petitionen ren, wirtschaftliche Entwicklung unter- (Drucksachen 17/6938, 17/6939, 17/6940, stützen 17/6941) ...... 15038 A (Drucksache 17/7023) ...... 15036 D g) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Zusatztagesordnungspunkt 4: Schröter, , Sabine Stüber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- DIE LINKE: zu dem Vorschlag der schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- Europäischen Kommission für eine torsicherheit zu der Verordnung der Bundes- Richtlinie des Europäischen Parlaments regierung: Verordnung über die Zuteilung und des Rates zur Schaffung eines Ord- von Treibhausgas-Emissionsberechtigun- nungsrahmens für den Bodenschutz gen in der Handelsperiode 2013 bis 2020 und zur Änderung der Richtlinie 2004/ (Zuteilungsverordnung 2020 – ZuV 2020) 35/EG (KOM (2006) 232 endg.; Rats- (Drucksachen 17/6850, 17/6961 Nr. 2.2, dok 1388/06) 17/7064) ...... 15038 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 III

Tagesordnungspunkt 33: Sebastian Körber (FDP) ...... 15045 B Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, (CDU/CSU) ...... 15046 B , Bärbel Höhn, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Anrufung des Vermitt- Tagesordnungspunkt 27: lungsausschusses durch den Deutschen Bundestag Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- (Drucksache 17/6946) ...... 15038 D digungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2010 (52. Bericht) in Verbindung mit (Drucksachen 17/4400, 17/6170) ...... 15048 A Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter Zusatztagesordnungspunkt 5: des Deutschen Bundestages ...... 15048 B Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister FDP: Für die konsequente Begleitung der BMVg ...... 15049 D Energiewende durch steuerliche Maßnah- Karin Evers-Meyer (SPD) ...... 15050 D men zur Erhöhung der Energieeffizienz im Gebäudebereich Christoph Schnurr (FDP) ...... 15051 D (Drucksache 17/7022) ...... 15038 D Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 15053 A Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15039 A DIE GRÜNEN) ...... 15054 A Sebastian Körber (FDP) ...... 15039 C Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . 15054 D (CDU/CSU) ...... 15040 B Nicolette Kressl (SPD) ...... 15041 B Nächste Sitzung ...... 15056 C Dr. Birgit Reinemund (FDP) ...... 15043 A Nicolette Kressl (SPD) ...... 15044 A Anlage (DIE LINKE) ...... 15044 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15057 A

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15001

(A) (C) Redetext

127. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. : delsperiode 2013 bis 2020 (Zuteilungsverord- Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. nung 2020 – ZuV 2020) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich – Drucksachen 17/6850, 17/6961 Nr. 2.2, begrüße Sie alle herzlich und nehme mit Interesse zur 17/7064 – Kenntnis, dass noch viele Plätze frei sind. Das wird im Berichterstattung: Laufe des Tages ganz sicher anders. Abgeordnete (Konstanz) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dafür sorgen Sie ja!) Eva Bulling-Schröter – Auch das ist richtig beobachtet, Herr Kollege Wieland. Bärbel Höhn Der Kollege Dr. Wiefelspütz feiert heute seinen ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ (B) 65. Geburtstag. CSU und FDP (D) (Beifall) Für die konsequente Begleitung der Ener- giewende durch steuerliche Maßnahmen zur Uns allen leuchtet ein, dass man ein solches Ereignis nir- Erhöhung der Energieeffizienz im Gebäude- gendwo schöner feiern kann als im Rahmen der Kolle- bereich ginnen und Kollegen. – Drucksache 17/7022 – (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ich danke Ih- nen für den Rahmen, Herr Präsident!) Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun- gen, soweit erforderlich, abgewichen werden. – Sicherlich auch für die guten Wünsche, die ich zu die- sem Anlass im Namen des Hauses ausdrücklich bekräfti- Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 33 gen möchte. von morgen Nachmittag auf heute vorzuziehen. Er soll später nach den Ohne-Debatten-Punkten aufgerufen Bereits am Dienstag hat die Kollegin Cornelia Behm werden. ihren 60. Geburtstag begangen. Auch ihr noch einmal alle guten Wüsche. Ich mache auf zwei nachträgliche Ausschussüberwei- sungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: (Beifall) Der am 8. September 2011 überwiesene nachfolgende Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf- (8. Ausschuss) und dem Ausschuss für Arbeit und Sozia- geführten Punkte zu ergänzen: les (11. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen wer- den: ZP 4 Weitere abschließende Beratung ohne Aus- sprache Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- rung des Beherbergungsstatistikgesetzes und richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz des Handelsstatistikgesetzes und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung – Drucksache 17/6851 – Überweisungsvorschlag: Verordnung über die Zuteilung von Treib- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) hausgas-Emissionsberechtigungen in der Han- Innenausschuss 15002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ausschuss für Arbeit und Soziales Der deutsche Gesetzgeber hat damals gehandelt. Er (C) Ausschuss für Tourismus hat dafür gesorgt, dass die Nachrichtendienste neue In- Haushaltsausschuss strumente Der am 8. September 2011 überwiesene nachfolgende (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Rot-grüne Antrag soll zusätzlich dem Innenausschuss (4. Aus- Gesetze, Herr Minister!) schuss) zur Mitberatung überwiesen werden: und neue Möglichkeiten an die Hand bekommen. Man Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista hat damals Neuland betreten. Ich glaube, dass es, wo im- Sager, Memet Kilic, Ekin Deligöz, weiterer Ab- mer man Neuland betritt, richtig ist, zu sagen: Wir geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE schauen uns erst einmal an, wie die Entwicklung weiter- GRÜNEN geht, sowohl was die terroristische Bedrohung als auch Anerkennung ausländischer Abschlüsse tat- was die Erfahrungen mit den Gesetzen angeht. Man hat sächlich voranbringen diese Gesetze befristet, zunächst bis 2007. Damals wurde ihre Geltungsdauer um weitere fünf Jahre verlän- – Drucksache 17/6919 – gert. Nun stellt sich die Frage: Was passiert künftig mit Überweisungsvorschlag: diesen Gesetzen, deren Geltungsdauer 2012 einer weite- Ausschuss für Bildung, Forschung und ren Verlängerung bedarf? Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss Ich denke, dass die Gesetze sich in den letzten zehn Rechtsausschuss Jahren bewährt haben. Sie haben dazu beigetragen, dass Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales einige terroristische Anschläge im Vorfeld aufgeklärt Ausschuss für Gesundheit und verhindert werden konnten. Ich erinnere nur an die Düsseldorfer Zelle, die in diesem Jahr dingfest gemacht Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – wurde. Ich erinnere an die Sauerland-Gruppe, von der Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlos- das OLG Düsseldorf gesagt hat: Sie hatten vor, etwas sen. Ähnliches wie den 11. September ins Werk zu setzen. – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Ich denke, die Gesetze haben sich auch aus dem Grund bewährt, weil unsere Behörden sehr sorgfältig und sehr Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- restriktiv mit diesen Befugnissen umgegangen sind. gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) – Drucksache 17/6925 – (B) Mir liegen zwar noch nicht die Zahlen für 2010 vor; ich (D) Überweisungsvorschlag: kann Ihnen aber die Zahlen für 2009 vortragen. Im Be- Innenausschuss (f) Rechtsausschuss reich der Flugdaten gab es gerade vier Anfragen. Bei Unternehmen der Finanzbranche hat der Bundesverfas- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sungsschutz 14-mal in einem ganzen Jahr angefragt, bei die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – den Telekommunikationsdienstleistern 62-mal. Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Zahlen werden nach oben gehen!) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesinnenmister Dr. Hans-Peter Friedrich. Bei 82 Millionen Menschen kann man, glaube ich, sa- gen, dass die Behörden sehr sorgfältig und sehr zurück- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haltend mit diesen Befugnissen umgegangen sind. neten der FDP) Die zweite Frage, die sich stellt, lautet: Sind diese Ge- setze noch notwendig? Ja, meine Damen und Herren, die Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In- Bedrohungslage hat sich seit 2001 verändert, und zwar nern: dahin gehend, dass wir nicht mehr nur Rückzugsraum Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und für Terroristen sind, wie es damals der Fall war, sondern Herren! Ich möchte Ihnen, lieber Herr Wiefelspütz, nicht inzwischen in Europa auch Ziel terroristischer An- nur zu Ihrem Geburtstag, sondern zu der erhalten geblie- schläge sind. Deswegen ist es auch unter diesem Ge- benen jugendlichen Dynamik ganz herzlich gratulieren. sichtspunkt mehr als notwendig, die Geltungsdauer die- ser Gesetze zu verlängern. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Keine Beleidi- gungen, ja?) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben vor gerade einmal elf Tagen der schreckli- Es hat sich allerdings auch die Struktur der Bedro- chen Ereignisse in den Vereinigten Staaten am 11. Sep- hung verändert. Wir haben es heute mit dezentralen tember 2001 gedacht. Was uns damals, glaube ich, alle Strukturen und Netzwerken zu tun, auf die es manchmal gemeinsam gleichermaßen erschreckt und beunruhigt nur vage Hinweise gibt. Unsere Behörden müssen, auch hat, war die Erkenntnis, dass diese Anschläge unter an- im Rahmen der internationalen Kooperation, oft sozusa- derem auch von Menschen vorbereitet wurden, die, je- gen ein Mosaik zusammensetzen, um Anschläge zu ver- denfalls zeitweise, in Deutschland gelebt haben. hindern. Deswegen ist es heute umso notwendiger, dass Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15003

Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich (A) wir ihnen die Möglichkeit geben, einzelnen Hinweisen Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) mit diesem Instrumentarium nachzugehen. Das Wort hat nun die Kollegin Christine Lambrecht für die SPD-Fraktion. Wir haben die Gesetze optimiert. Ich will zwei Bei- spiele nennen, die sehr wichtig sind. Erstes Beispiel: (Beifall bei der SPD) Bisher mussten die Behörden jede einzelne Fluggesell- schaft abfragen, wenn sie Auskunft über Flugdaten von Christine Lambrecht (SPD): Passagieren haben wollten. Das war wichtig insbeson- dere bei der Überwachung internationaler Flugbewegun- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und gen von islamistischen Terrorverdächtigen. Wir haben Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr jetzt die Möglichkeit vorgesehen, konzentriert auf die Minister Friedrich, wenn die Angelegenheit nicht so zentralen Buchungssysteme zuzugreifen. Bei den Flug- ernst wäre, könnte man über die Rede, die Sie hier zu gesellschaften muss also nicht mehr flächendeckend an- diesem ernsten Thema gehalten haben, wirklich ins La- gefragt werden. chen geraten. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Was?) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Deshalb werden wir viel mehr Anfra- Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie die Hinter- gen bekommen!) gründe genannt haben, warum wir im Jahr 2002 diese Gesetze auf den Weg gebracht haben. Es war Rot-Grün, Zweites Beispiel: Wir haben auch im Bereich der Fi- das damals die Verantwortung aufgrund der Eindrücke nanzbranche optimiert. Bei den Kreditinstituten muss der Terrorangriffe angenommen und gesagt hat: Wir nicht mehr in der Breite, flächendeckend, angefragt wer- müssen handeln. den, sondern man kann jetzt auf die Stammdaten in den zentralen Buchungsstellen zugreifen. Das ist, lieber Herr (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollege von den Grünen, eine wichtige Verbesserung, NEN]: Genau!) die außerordentlich datenschonend ist. Man muss nicht mehr flächendeckend anfragen, sondern kann ganz ge- Das war kein einfacher Schritt. Aber wir haben da- zielt eine Stammdatenabfrage vornehmen. mals diese Verantwortung angenommen. Das kann ich bei Ihnen in dieser Frage nicht feststellen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Warum hat es dann so lange gedauert (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des mit der FDP, bis Sie dieses Ergebnis hatten? BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hans- Sie haben ja monatelang verhandelt!) Peter Uhl [CDU/CSU]: Bitte?) (B) (D) Deswegen hoffe ich, dass Sie dieser Neuerung, die not- Man hat es heute wieder sehr schön erkennen können. wendig und sinnvoll ist, zustimmen werden. Ich weiß nicht, für wen Sie wirklich sprechen. Die CDU/ CSU klatscht lautstark, die FDP schaut verschämt nach (Beifall bei der CDU/CSU) unten. Wir haben gleichzeitig Vorschriften, die weniger not- (Zurufe von der FDP) wendig waren bzw. nicht angewendet wurden, weil sie – Nein, Sie haben nicht geklatscht. nicht praktikabel waren, abgeschafft; auch das gehört dazu. Wir haben den rechtsstaatlichen Schutz in allen (Jan Korte [DIE LINKE]: Nur nach Aufforde- Gesetzen verbessert, indem wir erstens die Kontrollmög- rung!) lichkeiten der G-10-Kommission gestärkt und zweitens die Eingriffsschwelle bei Verdacht erhöht haben. Das be- Herr Brüderle war der einsame Rufer in der Wüste. An- deutet insgesamt eine Stärkung des rechtsstaatlichen sonsten habe ich keine Übereinstimmung gesehen. Schutzes der Betroffenen. Ich denke, dass das eine rich- ( [CDU/CSU]: Sie haben nicht tige Maßnahme ist. zugehört!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das wundert einen nicht, wenn man sieht, was Sie in den letzten Monaten und Jahren dazu vorgelegt haben. Ziel ist es, den Terroristen immer einen Schritt voraus Seit 2007 wissen Sie, dass im Januar 2012 die Geltungs- zu sein. Die Antiterrorgesetze sind ein Beitrag, dieses dauer dieser Gesetze auslaufen wird und dass sie entwe- Ziel zu erreichen. Wir sind damit in der Lage, mit den der verlängert werden muss oder die Gesetze in irgendei- Diensten befreundeter Länder in vertrauensvoller Ko- ner Weise verändert werden müssen. operation den Terrorismus auf internationaler Ebene zu bekämpfen. Das ist unser Ziel. Ich denke, dass wir insge- (Zuruf von der CDU/CSU: Genau das haben samt mit diesen Gesetzen auf einem guten Weg sind. Ich wir gemacht!) bitte Sie, dies bei den parlamentarischen Beratungen in den nächsten Wochen zu berücksichtigen und die Gel- Was passiert? Seit 2009 tragen Sie Verantwortung, tungsdauer dieser Gesetze zügig zu verlängern. und seit dieser Zeit streiten und zanken Sie sich wie die Kesselflicker. Vielen Dank. (Michael Frieser [CDU/CSU]: Kommen Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auch noch zum Inhalt?) 15004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Christine Lambrecht (A) Aber es geschieht kaum etwas. Wenn Sie, Herr hang steht – ich vermute, wir werden da genau so weiter- (C) Friedrich, sagen, wir sollen die parlamentarischen Bera- hin vertröstet werden –: Das ist die Frage, wie es mit der tungen zügig vorantreiben, dann frage ich: Warum Vorratsdatenspeicherung weitergeht. Das ist der zweite denn? – Sie hatten zwei Jahre Zeit. Jetzt legen Sie einen Akt des schwarz-gelben Trauerspiels in der Innenpolitik. Gesetzentwurf vor, der angeblich eilig ist. Noch nicht Die Regierung kann sich nicht einigen. Man kommt auf einmal der Bundesrat konnte dazu Stellung nehmen. keinen gemeinsamen Nenner. Mittlerweile hat Deutsch- land ein Verfahren am Hals. Warum? Weil Sie nicht in (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Kommt der Lage sind, eine gemeinsame Position zu entwickeln. noch!) Als Konsequenz daraus können wir uns auf europäischer Warum ist er denn eilig geworden? Weil Sie es verpennt Ebene bei der Überarbeitung der betreffenden EU-Richt- haben. Das ist die Realität. linie nicht einbringen. Das heißt, andere verhandeln über diese Richtlinie, und wir sind außen vor – wie peinlich –, (Beifall bei der SPD) weil unsere Regierung nicht in der Lage ist, eine ge- Lassen Sie mich zu einigen Punkten kommen, die Sie meinsame Position zu erarbeiten. Meine Damen und uns vorgelegt haben. Bei Ihrer Pressekonferenz hat man Herren, deswegen an dieser Stelle ein Appell: Hören Sie gedacht, Sie feierten einen Jahreswechsel. Lassen Sie auf mit diesem Herumgewurschtel! Machen Sie den uns einmal schauen, um was es dabei ging. Frau Weg frei! Leutheusser-Schnarrenberger war ganz verzückt da- Vielen Dank. rüber, dass in Zukunft die Befugnis, Auskünfte über Postfächer einzuholen, beseitigt wird – die Befugnis zu (Beifall bei der SPD – Michael Frieser [CDU/ Auskünften über Postfächer! Wer glaubt denn allen CSU]: Und Inhalt? Keiner!) Ernstes, dass diese Befugnis in der Praxis überhaupt noch eine Rolle gespielt hat? Präsident Dr. Norbert Lammert: Gisela Piltz ist die nächste Rednerin für die FDP- (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Warum ha- Fraktion. ben Sie das denn eingeführt? Das stammt doch von Ihnen!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Innenminister haben schon längst darauf hingewie- Gisela Piltz (FDP): sen, dass man diese Befugnis nicht mehr braucht. Daher empfinde ich es als mageres Ergebnis, ausgerechnet Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz besonders für Sie, Frau Lambrecht: Ludwig Erhard diese Beseitigung zu feiern. hat einmal gesagt: (B) Viel interessanter ist die deutliche und klare Auswei- (D) Kompromisse setzen die Beherrschung der Kunst tung. Sie haben es angesprochen. In Zukunft sollen Flug- voraus, eine Torte so aufzuschneiden, dass jeder daten von zentralen Buchungssystemen abgerufen und glaubt, er habe das größte Stück Kuchen abbekom- Kontostammdaten zentral abgefragt werden. Mich erin- men. nern diese Erweiterungen sehr an das SWIFT-Abkom- men. Deswegen werden wir in der parlamentarischen In diesem Sinne meinen wir, dass das ein hervorragender Beratung zu diesen Fragen sehr genau Stellung nehmen. Kompromiss geworden ist. Ich bin gespannt, wie insbesondere die Kolleginnen und (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Kollegen der FDP sich in dieser Frage verhalten. Eine kleine Torte trotz vieler Worte!) Einen Punkt haben Sie nicht angesprochen; ihn finde Dass Sie das nicht so sehen, habe ich mir vorher ge- ich besonders peinlich: Sie wollen in Zukunft eine Re- dacht. Ihr Problem ist, dass Sie diese Gesetze erfunden gierungskommission bilden, die sich weiterhin mit die- haben sen Gesetzen beschäftigt. Was ist denn eine Regierungs- kommission? „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann (Christine Lambrecht [SPD]: Das habe ich bilde ich einen Arbeitskreis“, oder was? Der Innenminis- doch gar nicht bestritten!) ter und die Justizministerin sind für diese Gesetze zu- ständig. und jetzt eigentlich zustimmen müssten, das aber nicht können und deshalb hier irgendetwas erzählen müssen, (Michael Frieser [CDU/CSU]: Das nennt man um selber aus der Nummer herauszukommen. parlamentarische Kontrolle!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sie hatten Zeit, um darüber zu verhandeln. Sie sind Christine Lambrecht [SPD]: Im Gegensatz zu nicht weitergekommen, und jetzt verlagern Sie es auf Ihnen übernehmen wir Verantwortung!) eine irgendwie besetzte Regierungskommission. Über- nehmen Sie Verantwortung! Handeln Sie so wie damals Das ist Ihnen nicht gelungen. Das heißt, Sie bekommen Rot-Grün unter dem Eindruck vom 11. September! heute kein Stück Torte ab; das tut mir leid, Frau Lambrecht. (Beifall bei der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Das größte Stück der Torte haben aber die Bürger- Das wäre schlimm!) rechte abbekommen. Das ist wirklich etwas Besonderes. Da das, was wir hier sehen, nicht ein Einzelfall eines Das ist etwas, was es unter der Überschrift „Terrorismus- Trauerspiels ist, lassen Sie mich noch auf einen weiteren bekämpfung“ in diesem Haus lange nicht mehr gegeben Punkt zu sprechen kommen, der in diesem Zusammen- hat; denn – das haben Sie freimütig eingeräumt – das Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15005

Gisela Piltz (A) Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, besser be- Eingriffsschwellen werden auch die parlamentarischen (C) kannt als sogenannte Otto-Kataloge, hat seinen Ursprung Kontrollmöglichkeiten verbessert. Sowohl die Kontrolle bei Ihnen, im G-10-Gremium als auch die im Parlamentarischen Kontrollgremium werden erweitert. Damit werden die (Christine Lambrecht [SPD]: Ja, aber sicher!) Rechte der Betroffenen wirklich gestärkt. Das ist, finde der rot-grünen Koalition. ich, ein wirklicher Fortschritt, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Sie nicht wollten!) NEN]: Nur das!) Damals hat eine Fraktion, die heute immer gerne von den Sie nie hinbekommen haben. sich behauptet, sie achte die Bürgerrechte, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der CDU/CSU) NEN]: Zu Recht!) Sicherheitsüberprüfungen werden zukünftig transpa- beispiellosen Verschärfungen zugestimmt. Nahtlos renter ausgestaltet. Angesichts der hohen Anzahl von wurde das dann fortgesetzt. über 64 000 Personen, die einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurden, ist das sicherlich auch ein guter (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ohne Schritt. Gesetz!) Die Sahne auf der Torte – Herr Wiefelspütz, die gibt Wir gehen jetzt anders damit um; denn wir haben das es heute nicht für Sie – ist, dass das Gesetz in keiner wirklich evaluiert. Das, was Sie gemacht haben, war ja Hinsicht verschärft worden ist. Frau Lambrecht, Sie weiße Salbe für die Bundesregierung. Ich finde, wie ge- müssen einmal genau hinschauen. Ich kann Ihre Rede sagt, herausgekommen ist ein gutes Gesetz. Das könnte dazu überhaupt nicht verstehen. sogar Herr Wiefelspütz sagen, dem ich zu seinem heuti- gen 65. Geburtstag gerne ein Stück Torte in diesem (Christine Lambrecht [SPD]: Da hätten Sie Sinne überreichen möchte. mal richtig zuhören müssen!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ich habe zugehört. NEN]: Solange Sie sie ihm nicht ins Gesicht werfen, ist das okay!) (Christine Lambrecht [SPD]: Aber nicht ver- standen! – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ich In diesem Gesetzentwurf werden die rechtsstaatlichen möchte Pflaumenkuchen!) Hürden – ich rede jetzt einmal zu dem Gesetzentwurf, (B) Frau Lambrecht, was Sie ja nicht konnten – für Maßnah- – Sagen wir es so: Wenn ich es nicht verstehe, ist es viel- (D) men der Nachrichtendienste angehoben. leicht Ihr Problem und nicht meines. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wann kriege Keine Verschärfung ist aus meiner Sicht in der Ände- ich die Torte?) rung der Praxis bei Auskünften zu Fluggastdaten und zu Bankkontodaten zu sehen. – Gerne heute Nachmittag; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Christine Lambrecht [SPD]: Die ist vergiftet!) NEN]: Ah ja? Warum haben Sie wochenlang unter vier Augen, Herr Wiefelspütz, kein Problem. darüber gestritten?) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: – Waren Sie dabei? Unter vier Augen?) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ja, da müssen Sie durch. NEN]: Ja!) Es reicht nicht mehr ein vager Verdacht, sondern Wir haben uns konstruktiv auseinandergesetzt und nicht – wie eigentlich in einem Rechtsstaat anzunehmen – es gestritten; das ist der Unterschied. muss schon etwas Substanziiertes vorliegen, wenn in die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Grundrechte eingegriffen wird. Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es sollen auch Regelungen wegfallen – das haben Sie DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Wiefelspütz überhaupt nicht hinbekommen –; auch ohne diese kön- [SPD]: Herr Brüderle, was ist das für ein Ver- nen wir Sicherheit gewährleisten und eine Abwägung ein!) zwischen Freiheit und Sicherheit vornehmen. Bislang mussten die Nachrichtendienste bei jeder Airline (Christine Lambrecht [SPD]: Postfächer!) einzeln anfragen. Das galt auch für die Banken. Es musste an jede Bank einzeln ein Auskunftsersuchen ge- Dazu gehören der sogenannte kleine Lauschangriff richtet werden. Das ist für den Datenschutz und für den zur Eigensicherung, der nie angewandt wurde, ebenso Datenschützer auch nicht schön. Jetzt machen wir das wie die Bestandsdatenabfrage bei Postfächern und die effizienter. Einholung von Auskünften zu Umständen des Postver- kehrs. Außerdem wird die Höchstspeicherdauer von per- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sonenbezogenen Daten wieder von 15 auf 10 Jahre zu- NEN]: Der Herr Friedrich lacht sich bei Ihrer rückgesetzt. Und: Neben der Anhebung der materiellen Rede tot! Der muss sich richtig amüsieren!) 15006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Gisela Piltz (A) – Wenn die Grünen sich einmal nicht mit sich selbst be- (Michael Frieser [CDU/CSU]: Das steht ihm (C) schäftigen, sondern mir zuhören würden, auch zu!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Da ist nicht ein Krümel für Sie übrig geblieben. So sieht NEN]: Immer!) es aus! würde ich ihnen noch ins Stammbuch schreiben, dass die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zentrale Abfrage aller Kontostammdaten nicht unsere neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Idee ist, GRÜNEN) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben seit 2001 bekanntermaßen unzählige Ge- NEN]: Sie wollten sie beseitigen!) setze zur Terrorismusbekämpfung erlassen – es waren damals die sogenannten Otto-Pakete –, sondern von Rot-Grün erfunden worden ist. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Otto-Katalog!) NEN]: Brüderle vorneweg wollte sie beseiti- gen, Frau Kollegin!) mit Zustimmung der Grünen; die FDP war damals er- freulicherweise dagegen. Es gibt ein Problem, über das Sie haben sogar jedem Mitarbeiter im Sozialamt die Ab- wir heute noch einmal reden sollten. frage erlaubt. Ich glaube, da ist klar, woher es kommt. Es war 2001 eine Klausel zur sogenannten Evaluie- Das Gesetz wird erneut befristet, und es gibt eine or- rung aufgenommen worden. Das Hauptproblem ist, dass dentliche Evaluierungsklausel; denn diese Koalition in einer bestimmten historischen und weltpolitischen Si- nimmt den Auftrag des Gesetzgebers ernst, Gesetze, die tuation, in einer Notsituation, Gesetze erlassen wurden, in Grundrechte eingreifen, immer wieder zu überprüfen. die nun, zehn Jahre später, fortbestehen sollen. Übersetzt gesagt: Das Hauptproblem, über das wir reden, ist, dass Es soll böse Zungen geben – ich komme zum Schluss, der Ausnahmefall hier zum Normalfall, zum Regelfall Herr Präsident –, die sagen, wir könnten nicht liefern. wird. Es ist nicht akzeptabel, dass der Eingriff in Grund- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Freiheitsrechte hier zum Normalfall wird. Die FDP NEN]: Ja! – Dr. [BÜND- hat in dieser Frage völlig versagt. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht mal (Beifall bei der LINKEN) Torte!) Es ist so, dass die Geheimdienste, die bekannterma- Heute haben wir geliefert, ßen geheim agieren – deswegen kann man sie intern ja (B) (D) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch nicht kontrollieren –, weiter Auskünfte bei Banken, NEN]: Dem BKA und dem Verfassungs- Fluggesellschaften oder Telekommunikationsanbietern schutz!) einholen können. Alles das sind – Kollege Stadler, Sie haben immer zu Recht darauf hingewiesen – schwerwie- und es passt Ihnen auch nicht. Sie müssen sich am Ende gendste Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, in den entscheiden. Wir finden: Es wird ein besseres Gesetz Datenschutz und damit im Kern in den demokratischen sein als vorher. Wir haben das gemacht, was man macht, Rechtsstaat. wenn man regiert. Man überprüft jede einzelne Vor- schrift. Wie lange das dauert, ist am Ende egal; Hauptsa- (Dr. [DIE LINKE]: Damit che, es kommt etwas Gutes dabei heraus. hat Kollege Stadler auch recht gehabt!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist nach wie vor das Problem, und Sie schreiben es NEN]: Ah ja?) nun fort. Das haben Sie nicht geschafft, aber wir. Es ist ganz interessant, was jetzt vorgelegt wurde. Wir haben es natürlich aufmerksam gelesen. Die Befugnisse Vielen Dank. sollen nun sogar erweitert werden. Es ist klar: Die CDU/ CSU ist bei dem, was vorgelegt wurde, gut drauf heute. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Minister Friedrich sagt auch noch: Die Dienste können jetzt zentral Flugdaten bei Buchungssystemen abfragen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Das ist eine Verbesserung. – Es ist natürlich, im Gegen- Das Wort erhält nun der Kollege Jan Korte für die teil, bürgerrechtlich der totale Horror, wenn man alles Fraktion Die Linke. zentral abfragen kann. Das ist eine grandiose Ver- schlechterung und nicht eine Verbesserung, wie Sie be- (Beifall bei der LINKEN) haupten, Frau Piltz.

Jan Korte (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Piltz, ich habe gerade gedacht, dass Sie einen 2001 wurde das Vorhaben, eine Evaluierung durchzu- Anflug von Selbstkritik üben wollten. Das war nicht der führen, eingeführt. Das war das Einzige, was die Grünen Fall. Um bei dem Tortenbild zu bleiben: Die Torte hat durchbekommen haben. Eine Evaluierung an sich ist erst Herr Friedrich allein aufgegessen. einmal gar nicht schlecht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15007

Jan Korte (A) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Maßnahmen nur in einstelliger Zahl Gebrauch gemacht (C) NEN]: Sogar sehr gut!) worden ist. – Das ist eine gute Idee. – Um die richtige Idee der Grü- ( [DIE LINKE]: Sie sollen fra- nen zu verstehen, muss man sich klarmachen: Was gen und nicht sich rechtfertigen!) bedeutet Evaluierung? Wir müssen das übersetzen. Eva- Sie haben ja gesagt: Das lässt sich alles parlamenta- luierung bedeutet: Man erlässt für einen bestimmten risch nicht kontrollieren. – Auch da fühle ich mich als Zeitraum ein Gesetz und überprüft nach einer festgeleg- Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums ange- ten Frist, ob die darin vereinbarten Maßnahmen verhält- sprochen und sage: Das stimmt in diesem Falle so nicht. nismäßig sind und ob sie etwas im Kampf gegen den Terrorismus nützen. Können Sie mir deshalb sagen, in wie vielen Fällen – ab 2001, 2002 und 2003 – von der Befugnis der Ban- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau das kenabfrage Gebrauch gemacht worden ist und in wie haben wir getan!) vielen Fällen sich das geändert hat, nachdem die Große So weit, so richtig. In diesem einen Punkt sind wir einer Koalition unsere engen Bedingungen ausgeweitet bzw. Meinung. – Ich sehe, dass der Präsident blinkt. aufgeweicht hat? Das wird ja im vorliegenden Gesetz- entwurf fortgesetzt. Können Sie die Zahlen auf den Präsident Dr. Norbert Lammert: Tisch legen? Ich kann sie Ihnen sonst selber nennen. Jawohl, weil der Kollege Ströbele Ihnen gerne eine Aber Sie müssten sie eigentlich auch wissen. Zwischenfrage stellen oder eine Bemerkung machen möchte. Jan Korte (DIE LINKE): Herr Kollege Ströbele, eine Bemerkung vorweg: Es Jan Korte (DIE LINKE): gab eine Zeit, da waren Sie ein Linker. Im Herzen sind Er will mich sicherlich unterstützen. Sie es, glaube ich, immer noch. (Heiterkeit – Dr. Konstantin von Notz (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Keine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich Beleidigung!) mir nicht so sicher!) Deswegen ist es auch schwierig für Sie, bei den Grünen zu sein. Es gab eine Zeit, in der Sie besonders laut – in- Präsident Dr. Norbert Lammert: zwischen machen Sie das nur noch manchmal – die Un- Das warten wir gespannt ab. kontrollierbarkeit von Geheimdienstbefugnissen kriti- siert haben, und zwar zu Recht. (B) (D) Jan Korte (DIE LINKE): Ich bin kein Mitglied des PKGr. Deswegen kann ich Gut. Ihnen die konkreten Zahlen nicht nennen. Das ganze Problem bei den Terrorismusbekämpfungsgesetzen, Herr Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollege Ströbele, ist doch, dass wir keine Zahlen bekom- NEN): men. Als Beispiel nenne ich die Onlinedurchsuchungen. Danke, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Ich Wir haben die Bundesregierung 2010 gefragt, wie viele wollte eigentlich schon während der Rede der Kollegin Onlinedurchsuchungen es gegeben hat. Die Auskunft der Piltz eine Frage stellen. – Sie alle schimpfen auf die rot- Bundesregierung 2010 war: Keine einzige. – 2011 haben grüne Regierung des Jahres 2001. Ich fühle mich persön- wir – jetzt komme ich direkt auf Ihre Frage – noch ein- lich angesprochen, mal gefragt – nun den Innenminister Friedrich –, wie viele Onlinedurchsuchungen durchgeführt wurden. (Rainer Brüderle [FDP]: Zu Recht!) Denn es kann ja sein, dass die Onlinedurchsuchung in weil ich bei der Formulierung des „Otto-Katalogs“ betei- der Tat, wie Herr Friedrich meint, ein Instrument zur ligt gewesen bin. Terrorismusbekämpfung ist. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie haben (Michael Frieser [CDU/CSU]: Zum Thema keine Rolle gespielt, überhaupt keine Rolle ge- zurück!) spielt!) Das Problem ist, Herr Ströbele, dass die Bundesregie- – Ja, ja. rung uns 2011 geantwortet hat: Das können wir Ihnen aus Geheimhaltungsgründen nicht sagen. – Das ist doch Damals sind große Befürchtungen ausgesprochen das ganze Problem. Sie sollten sich dafür aussprechen, worden – auch ich habe diese Befürchtungen geteilt –, dass alles, was in dem PKGr – was außer Ihnen und den etwa dass mit der Bankenabfrage eine Verletzung der Mitgliedern keiner weiß, weil es nicht öffentlich ist – be- Bürgerrechte angerichtet werden kann. sprochen wird, öffentlich gemacht werden muss. Dafür sollten wir gemeinsam streiten. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Und in den Postfächern!) (Beifall bei der LINKEN) Aber anders als die Große Koalition, die anschließend Ich will an das Thema Terrorismusbekämpfungsge- das Gesetz „korrigiert“ hat, haben wir so viele Schran- setz 2001 anknüpfen, um zum Thema Evaluierung zu ken eingebaut, dass von den im Gesetz vorgesehenen kommen. Es ist in einer bestimmten Situation verab- 15008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Jan Korte (A) schiedet worden. Es wurde vereinbart, dass man es (Beifall bei der LINKEN) (C) evaluiert, was auch stattfand. Aber jetzt kommt der Ich will natürlich nicht nur kritisieren, was Aufgabe Hammer: Das Terrorismusbekämpfungsgesetz wird vom der Opposition ist, sondern ich will auch zwei konstruk- Bundesinnenministerium evaluiert! tive Vorschläge machen, (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das (Zuruf von der CDU/CSU: Ganz was Neues!) stimmt doch gar nicht!) von denen ich hoffe, dass Sie sie aufnehmen werden. Ei- Das ist eine ganz tolle Idee. Heraus kam, dass alle Maß- nigen wir uns darauf, dass die Evaluierung an sich eine nahmen absolut notwendig sind und erweitert werden sinnvolle Idee ist. Dann sollten wir uns aus der Mitte des sollten. So funktioniert Evaluierung nicht. Das lehnt die Parlaments zusammentun. Der Bundestagspräsident kri- Linke grundsätzlich ab. Da müssen unabhängige Perso- tisiert zu Recht des Öfteren die Tendenz der Entmach- nen aus der Mitte des Parlamentes ran. Das wäre ange- tung des Parlaments. Also stärken wir das Parlament! messen. Machen wir eine wirkliche Evaluierung, und zwar zu- (Beifall bei der LINKEN) sammen mit Abgeordneten aller Fraktionen! Machen wir eine Evaluierung all dieser großen Grundrechtseingriffe Ich komme zu meinem nächsten Punkt, dem großen mit Datenschützern, mit Bürgerrechtlern und mit vielen Sieg der FDP. anderen! Schauen wir einmal, was das eigentlich ge- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Postfächer!) bracht hat, und schauen wir vor allem, inwieweit der de- mokratische Rechtsstaat davon betroffen ist und ob die Frau Piltz hat darauf hingewiesen: Jetzt entfallen einige Verhältnismäßigkeit gewahrt worden ist. Das wäre eine Maßnahmen, die damals beschlossen worden sind. – So wirkliche Evaluierung solcher Gesetze. weit, so richtig. Wir wollen ja sachlich diskutieren. Liebe Kollegin Piltz, liebe FDP, es ist natürlich sehr (Beifall bei der LINKEN) wohlfeil, zu sagen, dass das, was ohnehin nie angewandt Abschließend muss ich die FDP wirklich loben. Sie wird, entfällt. Das Problem, das wir haben, ist doch das, haben lange gezögert; das war richtig. Jede Verzögerung, was ständig angewandt wird, nicht die Streichung von die dieses Gesetz hinausschiebt, ist eine gute Verzöge- Regelungen, die eh nicht angewandt werden. Was ist das rung. Ich hoffe, Sie machen das weiter so. Wir würden denn für ein toller Erfolg? Das ist überhaupt kein Erfolg. Ihnen dabei helfen. Sie sind aber damals mit dem Ver- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sprechen einer Umkehr in der Innen- und Sicherheits- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) politik gewählt worden. Das tun Sie leider nicht. Sie ha- ben auch in diesem Bereich völlig versagt. Eines will ich (B) Ich möchte daran erinnern – das haben wir auch ge- schon noch sagen: Ihr Deal, der zu dem geführt hat, was (D) rade in einem Zwiegespräch mit dem Kollegen Ströbele heute vorliegt, ist nun wirklich die bürgerrechtliche festgestellt –, dass Geheimdienste kaum zu kontrollieren Bankrotterklärung der Freien Demokraten in diesem sind. Trotzdem geht es so weiter: Geheimdienste dürfen Land. Für Ihre Steuerpolitik, die an Irrsinnigkeit kaum überall Daten abfragen. Damit wird der Rechtsstaat aus- zu überbieten ist, opfern Sie bürgerrechtliche Positionen, gehöhlt. Es stellt sich auch die Frage, was mit diesen Da- die Sie lange Zeit vertreten haben. Das kritisieren wir ten eigentlich passiert. Was bedeutet das für diejenigen, aufs Schärfste, weil das wirklich schade ist. Von Ihnen die zu Unrecht in die Mühlen dieses Überwachungsap- ist inhaltlich kaum noch etwas übrig geblieben. Das kön- parates gekommen sind? Das zu klären, ist doch wichtig. nen wir heute ganz eindeutig feststellen. Deswegen sagt die Linke ganz klar: Statt diese „Not- standsgesetze“ fortzuschreiben, wäre doch die richtige (Beifall bei der LINKEN) Antwort der Gesellschaft und des Bundestags auf die Heute kann man einen Strich darunter ziehen und sa- Bedrohung, die es sicherlich gibt: mehr Demokratie, gen: Ob Schily, Schäuble oder Friedrich, es ist alles das- mehr Offenheit, mehr Solidarität und vor allem mehr de- selbe in der Innenpolitik. Es gibt überhaupt keine Unter- mokratischer Rechtsstaat. Das wäre die richtige Ant- schiede. Es gibt überhaupt kein Ringen in diesen wort. Das bekommen Sie in dieser Koalition mit dieser Konstellationen, wie eine Innenpolitik anders aussehen Truppe aber nicht hin, was ich sehr bedaure. Das muss könnte. Je mehr Sie sich aufregen, umso besser bin ich ich leider zur Kenntnis nehmen. drauf, weil das zeigt, dass wir mit unserer Kritik richtig liegen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir schon bei der Evaluierung, also bei der Überprüfbarkeit von Politik und von Gesetzen sind, will Wir brauchen eine Umkehr, mit der die Grund- und ich im Zusammenhang mit dem internationalen Terroris- Freiheitsrechte wieder in den Mittelpunkt gestellt wer- mus, über den wir diskutieren, auch dazu etwas sagen. den. Eines will ich dann doch noch einmal zum Schluss Schön wäre es, wenn die Bundesregierung und der ge- sagen: Die Grund- und Freiheitsrechte, die Trennung samte Bundestag evaluieren würden, was die Beteili- von Geheimdiensten und Polizei, der demokratische gung Deutschlands an diesem sinnlosen Krieg in Afgha- Rechtsstaat und vieles andere sind nicht vom Himmel nistan für die Sicherheit in diesem Land bedeutet. Das gefallen, sondern sie sind in den vergangenen Jahrzehn- wäre eine notwendige Evaluation; das wäre richtig. Zie- ten und Jahrhunderten – übrigens unter großen Opfern – hen Sie die Bundeswehr aus Afghanistan ab! Das wäre erkämpft worden. Deswegen geht man damit nicht so eine konkrete Verbesserung der Sicherheit. leichtfertig um. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15009

Jan Korte (A) Liebe Kollegin Lambrecht, der SPD würde ich Fol- chen auch keine Postkutschen mehr. Das wäre die glei- (C) gendes empfehlen: Die FDP ist schon eingeknickt. Sie che Melodie gewesen. brauchen sich jetzt nicht auch noch anzubiedern, unbe- dingt beim Grundrechteabbau mitmachen zu wollen. Sie (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ sind in der Opposition; da können Sie ausnahmsweise DIE GRÜNEN und bei der SPD) wieder für die Grundrechte sein. Die Linke ist das in der Das ist wirklich dürftig. Terroristen schreiben nun ein- Regierung und in der Opposition. Das ist der Unter- mal so wenige Ansichtskarten wie der Rest der Mensch- schied zwischen uns. heit. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben gerade erklärt, Sie hätten sich konstruktiv auseinandergesetzt. Was haben Sie nicht alles im Vorfeld Präsident Dr. Norbert Lammert: versprochen, zum Beispiel die Abschaffung des Der Kollege Wolfgang Wieland hat nun das Wort für MAD – nun bekommt er mehr Befugnisse. Herr Kollege die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Stadler, ich freue mich immer, wenn Sie hier sitzen – das wissen Sie –, aber ich vermisse eigentlich die Justiz- Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ministerin. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol- (Dr. [FDP]: Die ist bei der legin Piltz! An dem Tag, an dem der Papst dieses Haus JuMiKo!) besuchen wird, – Dann ist es gut. Dann freue ich mich noch mehr, dass (Zurufe von der FDP: Oh!) Sie sie vertreten. Nun seien Sie doch mal friedlich, sollten wir es doch alle mit dem achten Gebot noch ge- nauer nehmen als sonst: Du sollst nicht falsch Zeugnis (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ablegen wider deinen Nächsten. NEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so friedlich, wie ich Sie kenne und schätze. sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben seinerzeit als Abgeordneter Rot-Grün sehr In dem Sinne bin auch ich ein Nächster. Also: Mut zur maßvoll kritisiert. Andere aus Ihren Reihen waren nicht Wahrheit, noch mehr Mut! so maßvoll. Die Ministerin sagte den schönen Satz: Wir nehmen die Otto-Kataloge nicht an. – Als die Konten- Zur Wahrheit gehört zunächst die Feststellung: stammdatenabfrage kam, hat das Präsidium der FDP so- Schon der Titel dieses Gesetzentwurfs ist verschlei- gar einen Beschluss gefasst mit der Überschrift: (B) ernd. Das ist doch nicht nur ein Änderungsgesetz zum „Schluss mit der staatlichen Schnüffelei“. Das war im (D) Bundesverfassungsschutzgesetz; es werden zugleich März 2005. Ich darf zitieren: x andere Gesetze geändert. Nach dem Terrorismusbe- kämpfungsgesetz von Rot-Grün – vulgo „Otto-Kata- Die FDP lehnt den ungehinderten Datenzugriff von loge“ –, nach dem Terrorismusbekämpfungsergän- Finanzämtern und anderen Behörden auf die Kon- zungsgesetz der Großen Koalition legt Schwarz-Gelb ten der Bürger im Gesetz zur Förderung der Steuer- nunmehr ein „Terrorismusbekämpfungsergänzungser- ehrlichkeit entschieden ab. Den Finanzbehörden gänzungsgesetz“ – TBEEG – vor. wird quasi eine Rasterfahndung ermöglicht. (Gisela Piltz [FDP]: Das habe ich noch nicht Sie und Herr Funke, der damals noch hier saß, erklärten gehört!) unisono: Wenn wir regieren, schaffen wir das wieder ab. Das wäre ja schön gewesen. Nun hat – wie Sie sagen, So wollten Sie das Ding aber nicht nennen; das verstehe liebe Frau Piltz – Ihr Catering-Service geliefert, und ich. Hier aber – wie Ihre Justizministerin – von einer beim BKA und beim Bundesamt für Verfassungsschutz Trendwende zu sprechen, von einer neuen Phase der knallen die Sektkorken. Das sind die Lieferungen, die Bürgerrechtlichkeit, das ist eine Chuzpe ohnegleichen, Sie zustande bringen. Frau Kollegin Piltz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE] – Rainer Brüderle [FDP]: Nicht ablenken!) Zur Wahrheit auf unserer Seite – das gebe ich zu – ge- hört: Es gibt auch Verbesserungen: Sie sagen allen Ernstes: Ihr habt einen Datenberg ge- schaffen zu Steuerehrlichkeitszwecken, nur dazu und für (Jörg van Essen [FDP]: Richtig!) nichts anderes, schon gar nicht für die Sicherheitsbehör- stärkere Kontrolle der G-10-Kommission, höhere Ein- den. Nun kommen Sie mit der Logik: Weil Rot-Grün das griffsschwelle, bessere Formen der Benachrichtigung – gemacht hat, müssen wir die Tür für die Sicherheitsbe- das sind Verbesserungen. Es fallen auch Befugnisse weg. hörden öffnen; das ist sozusagen alles eine Erbsünde von Das hat die Große Koalition nach der ersten Evaluierung Rot-Grün oder von Grün. leider nicht geschafft. Nur, bitte schön – das sagen Sie ja (Jörg van Essen [FDP]: So ist es auch!) selber –, das alles sind Befugnisse, die zehn Jahre lang nicht angewendet wurden. In dem Zusammenhang hät- In der letzten Legislaturperiode haben wir eine ten Sie noch triumphierend sagen können: Wir überwa- „Lange Nacht der Bürgerrechte“ veranstaltet. Da gab es 15010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Wolfgang Wieland (A) die FDP in Berlin-Mitte noch. Sie kamen mit einem – Es wurde installiert, Herr Kollege Krings. Es arbeitet (C) Flyer, den hätte Herr Korte schreiben können. bis heute gut. Es ist international anerkannt. Es ist das, was man ein Erfolgsmodell nennt. (Jan Korte [DIE LINKE]: So gut? – Gisela Piltz [FDP]: Das hat doch damit nichts zu tun!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir fordern stets die Sicherstellung der Sicherheit der In dem Flyer stand, wie fürchterlich es ist, dass 2001 das Bürger durch den Staat. Das gilt aber ebenso für die Si- Bankgeheimnis aufgegeben wurde, und wie fürchterlich cherheit der Bürger vor dem Staat. An beides müssen wir es ist, dass bei den Fluggesellschaften Daten abgefragt denken. Sicherheit ist kein Selbstzweck. Sicherheit dient werden können. Jetzt können Sie in den Verhandlungen der Freiheit, nicht umgekehrt. Wenn wir die rechtsstaat- mit der CDU/CSU noch nicht einmal mehr den Status lichen Prinzipien in dem Irrglauben über Bord werfen, es quo verteidigen. Ihre Justizministerin hat gebrüllt wie gäbe eine absolute Sicherheit, dann verhelfen wir dem eine Löwin, und dann hat sie Pfötchen gegeben. Das Terror letztlich zum Sieg über unseren Rechtsstaat. Das können Sie hier nicht vom Tisch wischen. darf nicht geschehen. So weit darf es nicht kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deswegen sagen wir Ja zu einer Verlängerung der Gel- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- tungsdauer dieser Gesetze. Wir lehnen aber die Ver- KEN) schärfungen, die hier eingeführt werden sollen, ab. Vielen Dank. Was haben Sie im Bundesjustizministerium noch im Mai dieses Jahres zu der Möglichkeit, die Buchungsda- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten nunmehr zentral bei Amadeus abzufragen, geschrie- ben? Am 24. Mai 2011 schrieben Sie im Rahmen dieser Präsident Dr. Norbert Lammert: konstruktiven Auseinandersetzung, dies sei eine neue Dr. Günter Krings ist der nächste Redner für die Qualität des Grundrechtseingriffs und dies sei nicht ak- CDU/CSU. zeptabel, da mit einer einzigen Abfrage umfangreiche Bewegungsprofile erstellt werden können. Das BMJ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schrieb von einer Abfragebefugnis, die einem Verdachts- oder Verdächtigengewinnungseingriff im Sinne der Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahe- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und kommen könnte. Deutlicher geht es doch wohl nicht. Herren! Ich darf mich zunächst im Namen der CDU/ Nun sagen Sie: Als Gegenleistung haben wir eine unab- CSU-Fraktion den Glückwünschen an Herrn Kollegen (B) hängige Regierungskommission – das ist ein Wider- Wiefelspütz anschließen. Herzlichen Glückwunsch zu (D) spruch in sich –, die alles richten wird. Meine Damen Ihrem Geburtstag! Ich hoffe, Sie bleiben uns in der In- und Herren von der FDP, wenn diese Kommission ir- nenpolitik noch lange erhalten. gendwann einmal ein Ergebnis vorlegt, ist es sehr un- wahrscheinlich, dass Sie dann noch regieren. Dann (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Keine Drohun- bleibt Ihnen wenigstens erspart, zuzugucken, wie die gen!) CDU alle Ergebnisse in den Reißwolf schiebt. Zu Beginn möchte ich sagen, dass ich mich ange- sichts der Ernsthaftigkeit dieses Themas nicht auf das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niveau mancher Oppositionsredner begebe. Der Minis- sowie bei Abgeordneten der SPD) ter hat es eben ausgeführt: Wir debattieren heute zehn Wir Grüne hatten immer einen klaren Kompass in Be- Jahre und elf Tage nach den schrecklichen Attentaten zug auf die Bekämpfung der terroristischen Bedrohung. des 11. September 2001, die eine Scheidemarke im Diese Bedrohung existiert bis heute. Deswegen sind wir Kampf gegen den Terrorismus dargestellt haben, über nicht gegen die Verlängerung der Geltungsdauer der Ge- die notwendigen Befugnisse der Nachrichtendienste. setze. Deswegen haben wir seinerzeit die Otto-Kataloge Die jüngsten Anschläge und Anschlagsversuche ha- eingedämmt. Das ist in der juristischen Fachliteratur ben gezeigt: Der Terrorismus ist keineswegs überwun- anerkannt. So sagte zum Beispiel Herr Professor den. Terrorismus ist kein Phänomen, das nur in Asien Lüderssen: Die Grünen haben das Schlimmste verhin- oder Amerika stattfindet; nein, er bedroht uns real auch dert, zum Beispiel die Initiativermittlungskompetenz des hier in Deutschland. Die Realität zeigt es: jüngste Vorbe- BKA. reitungen eines Sprengstoffanschlages in Berlin, zuvor die Aktivitäten der Düsseldorfer Zelle oder die bestiali- Die Evaluierung ist schlecht gelaufen; da hat Herr sche Tötung von zwei US-Soldaten in Frankfurt. Deut- Korte Recht. Jetzt gibt es aber immerhin einen unabhän- sche Mitbürger sind auch im Ausland Opfer gerade des gigen Experten. Wir müssen dies weiter ausbauen. Darin islamistischen Terrors geworden. Allein bei den An- sind wir uns doch alle einig. Genauso stehen wir dazu, schlägen auf das World Trade Center starben elf unserer dass hier in Berlin das Gemeinsame Terrorismusabwehr- Landsleute; das wird oft vergessen. zentrum aufgebaut wurde. Es arbeitet gut. Es wurde von Rot-Grün installiert. Meine Damen und Herren, in den letzten zehn Jahren haben wir in Deutschland dennoch weiter in einer relativ (Zuruf des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/ guten Sicherheitslage gelebt. Das ist nicht selbstver- CSU]) ständlich; wir verdanken das der Arbeit unserer Sicher- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15011

Dr. Günter Krings (A) heitsbehörden. Möglich ist das nicht allein durch die nicht primär auf unsere Sicherheit; sie wollten unsere (C) Polizei. Sie kann nicht omnipräsent sein und soll nicht Freiheit treffen, unseren freiheitlichen westlichen Le- an jeder Straßenkreuzung und jedem Wochenmarkt pos- bensstil. Die Bekämpfung des Terrorismus stärkt daher tiert werden. Deswegen werden Nachrichtendienste im- nur vordergründig unsere Sicherheit; sie schützt letztlich mer wichtiger. Ohne ihre Erkenntnisse würden wir uns unsere Freiheit. praktisch ständig nur nachträglich auf den Anschlag von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gestern vorbereiten. Wir müssen aber mögliche An- neten der FDP) schläge von morgen erkennen und verhüten. Deswegen haben die Nachrichtendienste eine so zentrale Bedeu- Mehr Sicherheit bedeutet daher tendenziell mehr tung im Kampf gegen den Terror. Freiheit. Das gilt – ich will das klarstellen – natürlich nicht ad infinitum: Im Polizeistaat mag die Sicherheit (Beifall bei der CDU/CSU) total sein, aber die Freiheit verschwindet; das haben wir Um diese Aufgabe im Interesse unser aller Sicherheit er- in der Geschichte unseres Landes im 20. Jahrhundert ledigen zu können, braucht man Personal und Geld, aber zweimal bitter erfahren, einmal im Dritten Reich, ein eben auch die angemessenen Befugnisse. Aus dem zweites Mal in der DDR. Wenn man manche Reden, Grunde finde ich es vollkommen richtig, dass wir auch auch die von Ihnen, Herr Korte, hört, könnte man mei- in der Koalition intensiv über die Fortschreibung und nen, sie zielten auf einen Musterstaat DDR ab und beträ- Anpassung dieser Befugnisse diskutiert haben. Der Leit- fen noch gar nicht unseren Staat. gedanke der Politik unserer christlich-liberalen Koalition (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann ist nach wie vor, dass der Einsatz für die Sicherheit unse- haben Sie nicht zugehört!) rer Bürger höchste Priorität hat. So klingen Ihre Einlassungen. Sie passen wunderbar zu Bei der Frage der Befugnisse für Nachrichtendienste dem, was in der DDR Praxis war, aber nicht zu dem, was – das ist richtig – stellt sich sofort die Frage nach der heute Praxis ist. richtigen Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. In- zwischen ist es in vielen Reden schon zum Allgemein- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- platz geworden, dass Freiheit und Sicherheit in einem neten der FDP) Spannungsverhältnis stehen. Zugespitzt wird oft sogar Insofern gilt: Maximale Sicherheit bedeutet natürlich gesagt, Freiheit bedeute zwangsläufig auch Unsicher- nicht maximale Freiheit. Umgekehrt gilt: Minimale heit, und Sicherheit bedeute zwangsläufig Freiheitsbe- Sicherheit bedeutet sehr wohl minimale Freiheit. Wer schränkung. Auch wenn das oft gesagt wird: Ich halte Sicherheitsbehörden ihre Instrumente aus der Hand das für zu kurz gedacht. Richtig ist: Sicherheit bleibt schlägt, handelt damit gegen die Freiheit. (B) auch im 21. Jahrhundert der fundamentale Staatszweck. (D) Seit Thomas Hobbes wissen wir, dass der Einzelne nur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bereit sein kann, seine naturgegebene Freiheit ein Stück Wenn wir gemeinsam die richtige Balance zwischen weit zugunsten des staatlichen Gewaltmonopols aufzu- Freiheit und Sicherheit finden wollen, dann heißt das geben, wenn dafür sein Leben und sein Eigentum gesi- eben nicht, die Mitte zwischen beidem zu definieren, chert werden. Auf der anderen Seite ist Freiheit natürlich sondern dann müssen wir den Punkt bestimmen, bis zu das zentrale Versprechen des Rechtsstaates. Aber Frei- dem ein Sicherheitszuwachs auch noch mit einem Frei- heit und Sicherheit bilden deswegen noch lange kein heitsgewinn verbunden ist. Genau das haben wir in die- Nullsummenspiel: je mehr von dem einen, desto weniger sem Gesetzentwurf getan. Auf dieser Grundlage haben von dem anderen. Mehr Sicherheit bedeutet nicht wir uns der Aufgabe gestellt, die einzelnen Befugnisse zwangsläufig weniger Freiheit; denn der Rechtsstaat ver- fortzuschreiben und anzupassen. Bestimmte Befugnisse spricht Freiheit nicht abstrakt, sondern verbürgt sie auch – das wurde angesprochen – im Bereich der Postfächer, tatsächlich und effektiv. des Postverkehrs konnten wir streichen. In anderen Sicherheit – das stimmt, Herr Wieland – hat eine der Punkten haben wir die Einholung von Auskünften prak- Freiheit dienende Funktion. tikabler gestaltet, in Bezug auf den Flugverkehr und die Kontenstammdaten. Stichwort „Flugverkehr“: Es ist (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nach wie vor wichtig, zu wissen, wer beispielsweise aus NEN]: Sehr gut!) Deutschland in den afghanisch-pakistanischen Grenz- raum reist und dort ein Terrorcamp besucht. Wahrschein- Sie macht aus dem abstrakten Freiheitsversprechen eine lich ist es noch viel wichtiger, zu wissen, wer zu uns zu- effektive Garantie im praktischen Leben. Denn Frei- rückkehrt, um entsprechende Anschläge vorzubereiten. heitsrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit Die Auskünfte über Kontenstammdaten sind wichtig, werden tatsächlich viel seltener von einem Staat als von um Erkenntnisse über die Finanzierung von Terrororga- Dritten, von Privaten, verletzt, eben auch von Terroris- nisationen zu gewinnen, aber auch über den Aufenthalts- ten. Freiheit wäre deshalb ohne Sicherheit wertlos. Das ort von möglichen Terroristen. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das immer wieder als Argument gegen nachrichtendienstliche Be- Dass wir es uns mit der Fortschreibung und Anpas- fugnisse angeführt wird, wird in der Praxis von Krimi- sung der Befugnisse in der Koalition nicht leicht ge- nellen bis hin zu Terrornetzwerken verletzt, die unsere macht haben, sieht man daran, dass wir die parlamentari- Daten ausspionieren, um ihre Straftaten verüben zu kön- sche Kontrolle mit der G-10-Kommission intensivieren, nen. Auch die Attentäter vom 11. September zielten aber auch daran, dass wir nicht eine Entfristung vor- 15012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Dr. Günter Krings (A) schlagen, sondern eine erneute Befristung, die ganz NEN] gewandt: Noch einmal, Herr Wieland! (C) zwangsläufig mit einer regelmäßigen Überprüfung ver- Es wird immer schlimmer!) bunden ist. Ende 2001 fand das Gesetz die Zustimmung von Dass wir in einem der sichersten Länder der Welt le- SPD, Grünen und CDU/CSU – bei einer Gegenstimme; ben, kommt nicht von selbst. Es bedarf der steten Wach- ich weiß nicht mehr, wer von Ihnen dagegen gestimmt samkeit von Bürgern und Behörden. Daher ist für uns hat; die Verlängerung der Befugnisse zur Terrorabwehr uner- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE lässlich, wenn wir unsere Freiheit in Sicherheit nicht GRÜNEN]: Bestimmt Herr Uhl!) aufs Spiel setzen wollen. die CDU/CSU hat damals aber zugestimmt. Bei der Vielen Dank. Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes im Jahr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 2006 stimmten lediglich SPD und CDU/CSU zu. Jetzt will – man höre und staune – sogar die FDP zustimmen, Präsident Dr. Norbert Lammert: während die Grünen, Herr Wieland, sich offenbar erneut Nun erhält der schon mehrfach beglückwünschte Kol- (Zuruf von der CDU/CSU: Vom Acker ma- lege Dr. Wiefelspütz das Wort für die SPD-Fraktion. chen!) (Beifall bei der SPD – Wolfgang Wieland – vom Acker machen – aus der Verantwortung stehlen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Altersweisheit, Herr Kollege! – (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE NEN]: Nein! Sie haben es wieder nicht ver- standen!) GRÜNEN]: Jetzt gibt es Torte! – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Torten- Es geht um Ihr eigenes Gesetz, Herr Wieland. Wo sind schlacht!) wir denn eigentlich? Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): FDP) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank für die freundlichen Glückwünsche Das Gesetz war Ende 2001 notwendig. Die Verlänge- und für die Torte. Frau Piltz, ich werde mich erkenntlich rung der Geltungsdauer war im Jahr 2006 notwendig. zeigen und mit Ihnen eines Tages Tango tanzen. Nach meiner persönlichen Auffassung ist es auch heute – ich will den Beratungen nicht vorgreifen – im Kern (B) (Heiterkeit – Dr. Konstantin von Notz verlängerungswürdig und notwendig. (D) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bild werde ich nicht mehr los, Herr Wiefelspütz!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Habe ich doch gesagt!) Wir sind heute Zeugen eines bemerkenswerten Vor- gangs. Die in Fragen der inneren Sicherheit unseres Lan- Hat sich die Sicherheitslage in unserem Land seit 2001 des völlig zerstrittene und, Herr Friedrich, konzeptions- verändert? Nein, sie hat sich nicht verändert. Wenn ich lose Bundesregierung tut etwas Vernünftiges: Sie legt an die „terroristischen Qualitäten“ in unserem Land einen in Kern und Substanz rot-grünen Gesetzentwurf denke, muss ich sagen, dass sie sich in der einen oder an- vor. deren Hinsicht vielleicht sogar verschlechtert hat. Des- wegen spricht vieles dafür – ich will den Beratungen, die (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vor uns liegen, nicht vorgreifen –, die Geltungsdauer NEN]: Na ja!) dieses Gesetzes zu verlängern. Nichts anderes tut sie. Der Gesetzentwurf sieht zwar ein (Gisela Piltz [FDP], an Abg. Christine paar Änderungen vor; wenn man das aber ganz nüchtern Lambrecht [SPD] gewandt: Frau Lambrecht, betrachtet, stellt man fest, dass diese Veränderungen eher falsche Rede! – Gegenruf der Abg. Christine marginal sind. Herr Wieland, das ist ein rot-grünes Ge- Lambrecht [SPD]: Habe ich doch gar nicht be- setz. stritten! Zuhören hilft!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Das Gesetz, über das wir heute reden, war und ist eine GRÜNEN]: Mehr rot als grün! – Dr. Hans- wichtige deutsche Reaktion auf die Herausforderung des Peter Uhl [CDU/CSU], an Abg. Wolfgang 11. September 2001. Ich denke, wir haben damals maß- Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] ge- voll, umsichtig und angemessen reagiert. wandt: Herr Wieland, ein „rot-grünes Ge- setz“!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Hab ich doch gesagt!) Das einzige relevante Gesetz, die innere Sicherheit unse- Wir haben nicht hysterisch reagiert. Es gab keine Panik- res Landes betreffend, das Sie in dieser Legislaturpe- mache und keinen Alarmismus, nur vielleicht das eine riode zustande bringen, ist im Kern ein rot-grünes Ge- setz von Ende 2001. oder andere überflüssige Interview – da gab es verschie- dene – eines Bundesinnenministers. Wir haben den Ver- (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU], an Abg. fassungsstaat Deutschland in den Jahren nach 2001 nicht Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- beschädigt, sondern ausgebaut und gefestigt. Dieses Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15013

Dr. Dieter Wiefelspütz (A) Land ist ein sehr freies Land geblieben; unsere Grund- schläge von Oslo und Utoya die Welt. Als Reaktion auf (C) rechte und Grundfreiheiten wurden nicht beschädigt. dieses Jahrhundertverbrechen in Norwegen sagte der Auch wenn es keine absolute Sicherheit geben kann: Die norwegische Ministerpräsident Stoltenberg unter ande- Sicherheit unserer Bürger wurde durch das Gesetz, über rem: Unsere Antwort auf dieses Verbrechen ist mehr De- das wir heute sprechen, spürbar verbessert. Hinzu kamen mokratie. – Ich will freimütig sagen, dass mich das per- und kommen sicherlich tüchtige und erfolgreich arbei- sönlich sehr beschämt hat. Wie kleingläubig sind wir tende Mitarbeiter in unseren Sicherheitsbehörden und eigentlich gelegentlich? Ich glaube, dass dies auch für bei der Justiz. uns die Kompassnadel sein muss. Die Attraktivität unse- res Lebensmodells gründet auf Freiheit, Demokratie, Grenzüberschreitungen, die in anderen Staaten – ich Menschenwürde, Rechts- und Verfassungsstaat. Die At- sage das ohne Hochmut – praktiziert worden sind – ich traktivität unseres Lebensmodells steigern wir nur durch nenne nur die Stichworte Rendition, Guantánamo, Wa- den Ausbau von Bürger- und Freiheitsrechten, nicht terboarding, Abu Ghureib, Feindstrafrecht und Folter –, durch ihren Abbau. Mehr Demokratie bedeutet langfris- sind in Deutschland nicht einmal in Erwägung gezogen tig auch mehr Sicherheit. Dies sollten wir insbesondere worden. Es gab nicht einmal die Versuchung, über sol- bei der Auseinandersetzung mit terroristischen Heraus- che Dinge nachzudenken; dies gilt für alle Seiten dieses forderungen bedenken. Ich räume aber ein: Wenn akut Hauses und jede Bundesregierung seit dem Jahre 2001. Menschenleben in Gefahr sind und sehr schnell gehan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) delt werden muss, dann brauchen wir intakte Sicher- heitsbehörden, motivierte Mitarbeiter und ein angemes- Unsere Antworten auf Terrorismus sind das Recht, der senes Handwerkszeug, das der Gesetzgeber zu liefern Rechtsstaat und das Grundgesetz. hat. Über dieses nach meiner Auffassung grundsolide Ge- Wir geben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, über setz aus rot-grüner Zeit hat die Koalition der Liebe aus den wir heute sprechen und den wir in den nächsten Schwarz und Gelb, Herr Brüderle, monatelang wie die Wochen beraten werden, den Nachrichtendiensten des Kesselflicker gestritten. Welch ein unwürdiges Schau- Bundes ein nach meiner Überzeugung angemessenes, spiel! notwendiges und verfassungsmäßiges Instrument an die (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Leiden- Hand. Dieses Instrument ist ein grundsolides rot-grünes schaft!) Instrument. Aufgrund solider und seriöser Arbeit von Rot-Grün und Schönen Dank fürs Zuhören. anschließend Schwarz-Rot haben Sie nach der Bundes- (Beifall bei der SPD) tagswahl 2009 auf Bundesebene eine intakte und effek- (B) (D) tive Sicherheitsarchitektur vorgefunden. Seither herr- schen Stillstand, Blockade und Kesselflickerei. Unser Präsident Dr. Norbert Lammert: Land wird das wohl noch längstens zwei Jahre aushalten Das Wort erhält nun der Kollege Christian Ahrendt müssen. Das Land wird es wohl auch aushalten können; für die FDP-Fraktion. es werden aber nach meiner festen Überzeugung vier (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten verlorene Jahre sein. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Christian Ahrendt (FDP): Nötig wäre – das wissen die Fachleute hier im Kreise – Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und die Weiterentwicklung unserer Sicherheitsarchitektur, Kollegen! Lieber Herr Kollege Wieland, Sie haben im nötig wäre die Weiterentwicklung unseres Rechts- und Vorgriff auf den Papstbesuch das achte Gebot zitiert: Du Verfassungsstaates. Es geht darum, den Rechtsstaat ohne sollst nicht falsch Zeugnis ablegen. Sie hätten dieses Ge- Niveauverlust sozusagen aus der analogen Zeit in das di- bot aus Ihrer eigenen Sicht mit etwas mehr Leben füllen gitale Zeitalter zu transformieren, und zwar mit den können. Qualitäten, die wir uns im analogen Zeitalter in der Bun- desrepublik gemeinsam erarbeitet haben. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Na! Aber hallo!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie hätten die Möglichkeit gehabt, hier etwas zu tun, was man „Beichte ablegen“ nennt. Das sollte man nämlich Das werden aber nicht Sie, meine sehr verehrten Damen tun, wenn man an anderer Stelle etwas ganz anderes tut, und Herren von CDU und CSU – Vorsicht beim Klat- als man hier vorgibt. schen! – leisten. Sie werden konzeptionslos dem Ende Ihrer Koalition entgegendämmern. Diese Weiterentwick- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lung, die notwendig ist, werden andere leisten, spätes- NEN]: Die Beichte nimmt Herr Lammert nicht tens ab September 2013. ab! So weit vermischen wir Religion und Poli- tik nun doch nicht!) Erlauben Sie mir, noch einen Gedanken anzuspre- chen. Auch wenn wir nach dem 11. September 2001 in Alle Länder – Herr Kollege Korte, wenn Sie mir zu- Deutschland überwiegend angemessen reagiert haben, hören, bekommen auch Sie das mit – haben im Innen- will ich auf eine Reaktion hinweisen, die mich persön- ausschuss des Bundesrates eine Verschärfung des TBEG lich berührt hat. Am 22. Juli 2011 erschütterten die An- gefordert. Alle Länder wollten erreichen, dass ihre Lan- 15014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Christian Ahrendt (A) desverfassungsschutzämter auf die Kontostammdaten kungen weiterhin erforderlich sind und an welchen Stel- (C) der Bürgerinnen und Bürger zugreifen können. Wenn Sie len den Menschen mehr Freiheit gewährt werden kann sich dann hier hinstellen und sagen: „Es wird alles bzw. wo entsprechende Beschränkungen zurückgenom- schlimmer“, men werden können. Das haben wir mit diesem Gesetz schon getan. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja! So ist es!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten die Sachen zurückho- muss ich Ihnen entgegnen: Sie sollten erst einmal Ihre len, Herr Ahrendt! Das tun Sie nicht! – Hausaufgaben in den Ländern, in denen Sie an der Re- Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gierung beteiligt sind, machen, statt auf eine Verschär- NEN]: Genau! Und alles auslaufen lassen!) fung des Rechts hinzuwirken. Insofern war der Beginn Ihrer Rede etwas pharisäerhaft. Unser Vorschlag ist gut und ausgewogen. Im Gegen- satz zu Ihnen, Herr Wieland, brauchen wir nicht immer (Jan Korte [DIE LINKE]: Großartig!) auf eine Mindermeinung in der Literatur Bezug zu neh- Mit meiner nächsten Bemerkung möchte ich an die men, die darauf hinweist, dass die Grünen irgendwann Ausführungen des Kollegen Wiefelspütz anschließen. Es einmal gekämpft haben, was wahrscheinlich niemand wäre vielleicht klug gewesen, wenn der Kollege bemerkt hat. Wiefelspütz seine Rede vorher Frau Lambrecht gegeben (Lachen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- hätte. Dann wäre uns der erste Teil seiner Ausführungen NIS 90/DIE GRÜNEN]) erspart geblieben. Bei uns sieht man, dass wir um Lösungen ringen. (Christine Lambrecht [SPD]: Ja, ja! Das hätte Ihnen gefallen! – Dr. Konstantin von Notz (Christine Lambrecht [SPD]: Es kommt aber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der nichts dabei heraus!) hätte sich nur verschoben, logischerweise!) Manchmal wird man deshalb als Kesselflicker bezeich- Wir befinden uns tatsächlich in einer Situation, in der net. Aber wenn Kesselflicken das Ringen um Freiheit wir permanent Sicherheitsinteressen gegen Freiheitsinte- bedeutet, dann machen wir das gerne. ressen abwägen müssen. Wir haben in den letzten Mona- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten immer wieder festgestellt, dass unsere Sicherheitsbe- NEN]: Aber das Ergebnis stimmt nicht!) hörden gut aufgestellt sind. Es ist ihnen gelungen, vorbereitete Terroranschläge aufzuklären und abzuweh- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (B) ren. Das ist sicherlich auch eine Folge der ausgewoge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) nen Sicherheitsgesetzgebung. Allerdings ist Sicherheit der CDU/CSU) kein Selbstzweck, sondern sie soll in erster Linie die Freiheit schützen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Beim TBEG galt es, genau diese Messlatte anzulegen. Michael Frieser ist der nächste Redner für die CDU/ Wir haben uns gefragt: Welche gesetzlichen Vorschriften CSU-Fraktion. brauchen wir nicht? Welche sind überflüssig? Diese Vor- schriften wurden gestrichen. Wir haben gesagt: Wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eingriffstatbestände zu geringe Schwellen haben, ver- stärken wir die Schwellen. Auch das ist gemacht wor- Michael Frieser (CDU/CSU): den. Wir haben das Gesetz mit einem Haltbarkeitsdatum Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und versehen. Außerdem werden wir eine Kommission ein- Herren! Verbunden mit den herzlichen Glückwünschen setzen, die in den nächsten vier Jahren überprüfen wird, an Kollegen Wiefelspütz, vielen Dank auch, dass Sie uns ob alle Vorschriften sinnvoll sind, ob wir Verbesserun- das Geschenk bereiten, in den eigenen Reihen Überzeu- gen brauchen oder ob bestimmte Regelungen wegfallen gungsarbeit zu leisten. Wir versuchen, uns einmal an an- können. Die im Gesetz vorgesehene Einsetzung einer derer Stelle dafür zu revanchieren. Regierungskommission ist ein sehr kluger und ausgewo- gener Vorschlag. Sehr verehrter Herr Innenminister, das muss schon ein tolles Gesetz sein; denn die meiste Redezeit der Op- (Christine Lambrecht [SPD]: Das glauben Sie position, die bisher ins Land ging, hat sich mit etwas ja selbst nicht!) ganz anderem beschäftigt, aber nicht mit dem vorgeleg- ten Gesetz. Das heißt normalerweise für die Regierung So können wir dauerhaft überprüfen: Wo brauchen wir immer, dass sie eine gute Arbeit gemacht und etwas mehr Sicherheit? Wo sind Freiheitsrechte bedroht? Wo Treffsicheres vorgelegt hat. Herzlichen Glückwunsch besteht ein Spannungsverhältnis? Wie können wir es dazu! vernünftig lösen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesjustizministerin hat bei der Erarbeitung des TBEG und dieser Reform mit viel Beharrlichkeit Ich bin dem Kollegen Krings dankbar dafür, dass er durchgesetzt, dass die Geltungsdauer dieses Gesetzes den Gedanken aufgegriffen hat, wo die Balance zwi- auf vier Jahre beschränkt und eine Kommission einge- schen Sicherheit und Freiheit ist; denn darum geht es im setzt wird, die überprüft, welche Sicherheitsbeschrän- Kern. Das ist die staatsrechtliche, die staatstheoretische Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15015

Michael Frieser (A) Debatte. Schon in der Europäischen Menschenrechts- tenstrukturen. Darin bewegt sich die Welt. Wir sind auf- (C) konvention, in Art. 5 Abs. 1, ist verankert, dass es ein gerufen, treffsicher darauf zu antworten. Grundrecht auf Sicherheit und Freiheit gibt. Wir haben dies damals nur deshalb nicht in unsere Verfassung über- Die Diskussion, von wem der Kern dieses Gesetzes nommen, weil wir angesichts des Scheiterns von Weimar ist, führt meines Erachtens nicht weiter. Ich kann mich überrascht waren und nicht unbedingt der Sicherheit, nur bei jedem bedanken, der in der Frage der Terroris- wohl aber der Freiheit den Vorrang einräumen wollten. musbekämpfung die richtigen Instrumente liefert, auf Deshalb mussten wir sagen: Wir dürfen keine Entweder- die wir uns einlassen können. Deshalb kann ich nur da- oder-Politik machen. Es kann nicht entweder Sicherheit rauf hinweisen, dass es entscheidend ist, dass wir hier immer die Balance wahren. oder Freiheit geben, sondern ein freiheitlicher Rechts- staat kann immer nur dann bestehen, wenn er sich das Als Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Fraktion Sowohl-als-auch auf seine Fahne geschrieben hat, wenn muss ich natürlich auch über die Schattenseiten einer er sowohl die Sicherheit als auch die Freiheit zum Ge- solchen Terrorismusbekämpfung reden. Wir haben die genstand seiner Politik macht. Denn letztendlich ist bei- Integrationspolitik in diesem Land mit einem großen Im- des zusammen in der richtigen Balance die Grundlage petus, mit wirklich großer Anstrengung vorangetrieben. dafür, dass Demokratie am Ende wirklich funktioniert. Aber leider ist durch die Anschläge vom 11. September so etwas wie ein Generalverdacht entstanden, vor allem Wenn der Staat Sicherheit garantieren will, dann re- gegenüber Mitbürgern islamischen Glaubens. Der Sinn den wir nicht über Staatssicherheit. Es mutet schon selt- dieses Gesetzes, die Überarbeitung und das Anpassen sam an, wenn die Linken auf der einen Seite bei Staaten der Instrumente, hat vor allem auch den Grund, Treffsi- wie der DDR „Hurra!“ rufen, aber auf der anderen Seite cherheit zu bekommen, damit wir die Menschen nicht die Bürgerrechte dann ausrufen, wenn es um die Frage mit einem Generalverdacht überziehen müssen. Viel- der Terrorbekämpfung geht. mehr müssen wir die radikalisierte islamistische Seite (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wer von denjenigen Menschen trennen und unterscheiden hat denn das gemacht?) können, die friedlich in unserem Land mit uns zusam- menleben. Das sind Dinge, die nicht zueinander passen; das tut mir Also: Dieser Gesetzentwurf dient auch einer effekti- furchtbar leid. ven Integrationspolitik, weil wir damit in der Lage sind, (Beifall bei der CDU/CSU) die schwarzen von den weißen Schafen zu trennen und diejenigen aufzuspüren – durch treffgenaueres und bes- Einerseits geht es auch darum, dass man nicht in ei- seres Hinsehen auf präzise Vorkommnisse und durch (B) nem ständigen Alarmismus leben darf – auch Herr präzisere Untersuchungsmethoden –, um die es geht. (D) de Maizière hat das formuliert –; denn das stumpft sich Deshalb darf es nie mehr einen Generalverdacht geben. mit der Zeit ab. Wir können nicht ständig neue Walzen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) drehen, zum Alarm rufen und neu die Frage beantwor- ten, ob wir heute besonders wachsam sein müssen. An- Die entscheidenden Punkte wurden bereits angespro- dererseits neigt man immer etwas zur trügerischen Ruhe. chen. Wir sind in der Lage, wirklich wichtige Daten über Ich bin dem Innenminister sehr dankbar dafür, dass er im die Reisewege, die Zielgebiete und die Zwischenaufent- Mai deutlich formuliert hat: Natürlich gilt es, wachsam halte zu erhalten. Ich glaube, dieser Gesetzentwurf ist es zu sein und sich keine Illusionen darüber zu machen, deshalb wert, ihn zu unterstützen. dass vor allem der islamistische Terrorismus auch Deutschland zum Ziel hat und dass es an dieser Stelle Es wird nie eine hundertprozentige Sicherheit geben. keine Entwarnung geben kann. Allerdings sollten wir Wenn wir in einem freien Rechtsstaat leben wollen, dann nicht ständig aufgeregt durch die Welt laufen. ist es notwendig, dass wir das erkennen. Dem Preis, der für diese Freiheit erforderlich ist, einer ständigen Wach- Natürlich hat die Freiheit ihren Preis. „Der Preis der samkeit, hat sich diese Koalition verschrieben. Freiheit ist ewige Wachsamkeit.“ Das ist kein Zitat von So, wie es jetzt ausschaut, glaube ich deshalb, dass Herrn Wiefelspütz, sondern ein Zitat von Thomas dieser Gesetzentwurf eine große Zustimmung dieses Jefferson. Er ist immerhin einer der Väter einer der Hauses finden wird. Darüber brauchen wir uns wirklich wichtigsten freiheitlichen Verfassungen. Um diese Frage keine Gedanken zu machen. Der Verlauf dieser Debatte beantworten zu können, haben wir dieses Gesetz einge- hat gezeigt, dass wir ein gutes Stück Arbeit vorgelegt ha- bracht. Darum geht es. ben. Es geht darum, dass wir in der Lage sind, den geän- Vielen Dank. derten Voraussetzungen des Terrorismus wirklich eine Antwort entgegenzustellen. Es geht darum, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Menschen, die radikalisiert sind, die sich mittlerweile mitten unter uns in der Gesellschaft radikalisieren und Präsident Dr. Norbert Lammert: sich radikalisieren lassen, mit einer Hochtechnologie Ich erteile dem Kollegen Hartfrid Wolff von der FDP- treffsicher aufspüren können. Auf der einen Seite geht es Fraktion das Wort. um Hochtechnologie und auf der anderen Seite um fast althergebrachte mafiose Botenkommunikation und Bo- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 15016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

(A) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Es kommt weder zu Verschärfungen noch zu pauschalen (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die rot- Entfristungen, grüne Bundesregierung hat die „Otto-Kataloge“ vorge- legt und damit Rechtsgeschichte geschrieben. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Natürlich kommt es zu Verschärfun- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen!) NEN]: Ja!) und die rechtsstaatliche Kontrolle wird durch diesen Ge- – Berüchtigte Rechtsgeschichte. setzentwurf deutlich gestärkt. Gleichzeitig modernisiert diese Koalition die Sicherheitsarchitektur, indem wir (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Doppelstrukturen abschaffen. Unseres Erachtens ist bei- NEN]: Sie sagen doch, dass man nicht immer spielsweise der MAD verzichtbar. Nein sagen darf, lieber Herr Wolff!) Ihre Leistung, Herr Wieland und lieber Herr Ströbele, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wurde von der Süddeutschen Zeitung damals als „Feind- NEN]: Dann schaffen Sie ihn doch ab! Sie strafrecht“ bezeichnet. stärken ihn!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mehr Effektivität, mehr rechtsstaatliche Kontrolle, NEN]: Lächerlich! – Dr. Konstantin von Notz mehr Effizienz im Sicherheitsbereich, Freiheit und Si- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgerechnet cherheit mit menschlichem Gesicht: Das ist das Leitbild von Ihnen!) der FDP für die innenpolitischen Herausforderungen. Die Unschuldsvermutung wurde von Rot-Grün in ihr (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Gegenteil verkehrt. Sogenannte Terroristenlisten wurden GRÜNEN]: Dann setzen Sie es zur Abwechs- eingeführt, in denen Verdächtige aufgeführt wurden – lung doch einmal um! Sie regieren seit zwei Verdächtige, nicht Verurteilte, Herr Wieland. Jahren! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hilfe!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja!) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir diesem auch in vorbildlicher Weise gerecht. Wir geben unseren Der Sonderermittler des Europarates hat Ihre Leistung Bürgern nämlich wieder das Vertrauen zurück, das ihnen von Rot-Grün damals als rechtsstaatlich skandalös abge- zusteht, das sie verdienen und das ihnen von Rot-Grün titelt. Er hat recht. entzogen worden ist. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: Lächerlich! Deshalb satteln Sie jetzt NEN]: Lächerlich!) drauf!) Der Garant für die Sicherheitspolitik mit Augenmaß Mitte Januar 2012 wird die Geltung dieser Gesetze und für die Aufrechterhaltung der Bürger- und Freiheits- auslaufen. Wir Liberale sind stolz darauf, heute gemein- rechte ist diese Koalition, ist die FDP. sam mit unserem Koalitionspartner einen Gesetzentwurf vorzulegen, der der Sicherheit unseres Landes uneinge- Vielen Dank. schränkt dient und der zugleich die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger achtet und stärkt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Er hat es noch nicht so richtig verstan- NEN]: Ach! – Dr. Konstantin von Notz den! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Pfeifen DIE GRÜNEN]: Sie regieren und lesen das im Walde!) Wahlprogramm vor!) Die FDP ist sich ihrer Verantwortung für die Gewähr- leistung der Sicherheit der Bürger vor Terrorismus sehr Präsident Dr. Norbert Lammert: bewusst. Deshalb wissen wir auch, dass die aktuelle Si- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der cherheitslage einen ersatzlosen Verzicht auf einige Rege- Kollege Clemens Binninger von der CDU/CSU-Frak- lungen nicht zulässt. tion. Mit diesem Gesetzentwurf setzen wir in der Koalition (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- heute gemeinsam eine freiheitliche Wendemarke in der neten der FDP) Innenpolitik gegen die „Otto-Kataloge“; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Clemens Binninger (CDU/CSU): NEN]: Wodurch denn?) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! denn wir bewahren mit diesem Gesetzentwurf die Mittel In diesem Monat jährt sich zum vierten Mal die Fest- der Verhältnismäßigkeit, die Rot-Grün damals abhanden nahme der Sauerland-Gruppe. Damals war es den gekommen sind. Sicherheitsbehörden gelungen, einen der größten in Eu- ropa geplanten Anschläge rechtzeitig zu verhindern. Wer (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- allerdings geglaubt hat, dass damit eine Beruhigung un- NEN]: Lächerlich!) serer Sicherheitslage einhergeht, der sah sich getäuscht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15017

Clemens Binninger (A) Ich will schon daran erinnern: Alleine in den letzten Was wir als Kern dieser Gesetze immer wieder brau- (C) zehn Monaten gab es verschiedene schwerwiegende chen – darin sind wir uns einig –, sind Erkenntnisse über Sicherheitsvorfälle in Deutschland oder mit Bezug auf Terrorverdächtige, die sich konspirativ verhalten. Wir Deutschland: im November letzten Jahres die gescheiter- brauchen Informationen über das Kommunikationsver- ten Paketbombenanschläge auf Transportmaschinen, von halten: Wer telefoniert mit wem? Wer sendet wem eine denen eine in Köln zwischengelandet war; im Dezember E-Mail?, über die Reisebewegungen: Wer reist in Terror- 2010 und Januar 2011 die Drohung gegen den Reichstag, camps ins pakistanische Grenzgebiet?, und über Finanz- verbunden mit den Schutzmaßnahmen, die wir zwei Mo- transaktionen: Wer ordert und bekommt Geld zur Be- nate lang alle erlebt haben und bei denen wir noch heute schaffung für Utensilien für Bomben? In diesem Gesetz den Polizeikräften für ihren bewundernswerten Einsatz geht es darum, dass wir diese Instrumente erhalten. Übri- dankbar sein können; gens richten sich diese Maßnahmen nicht gegen jeder- mann, auch nicht flächendeckend, wie immer wieder (Beifall bei der CDU/CSU) suggeriert wurde. Sie richten sich gegen Terrorverdäch- ein paar Monate später die Festnahme der Düsseldorfer tige oder deren Umfeld, und zwar anhand von Tatsachen. Zelle, die einen Anschlag an einer Bushaltestelle bege- Hier so zu tun, als ob wir quasi ein flächendeckendes hen wollte; und erst vor wenigen Wochen in Berlin die Überwachungssystem etabliert hätten, ist absurd. Festnahme von zwei Terrorverdächtigen, die einen An- Herr Kollege Korte – der Kollege Ströbele unterhält schlag begehen wollten. sich gerade mit dem Innenminister, vielleicht hört er Die Bedrohungslage ist unverändert ernst. Sie ist trotzdem zu –, dieser Dialog zwischen Ihnen beiden, hoch. Wir müssen darauf reagieren. All die Erfolge, dass dem Neu-Linken und dem Alt-Linken, beide unbelastet es nicht zu Anschlägen kam, sind auch dem Umstand zu von Fachwissen, die hier etwas suggerieren wollen – verdanken, dass wir den Sicherheitsbehörden in den letz- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ten Jahren die richtigen Instrumente gegeben haben. ist eine Arroganz!) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Richtig!) – nein, das ist nicht arrogant –, ärgert mich wegen Ihrer Übrigens waren fast alle Parteien mit dabei. Deshalb Unwissenheit. Sie stellen sich hier hin und erklären, es verstehe ich hier den Streit nicht ganz. gebe keine Zahlen, wie häufig solche Maßnahmen ange- wandt wurden, die Regierung halte sie geheim. Dazu Rot-Grün hat mit diesen Maßnahmen begonnen, aller- gibt es eine Bundestagsdrucksache. Daher zeugt Ihr Ver- dings mit unserer Unterstützung. Wir haben mitge- halten von Unfähigkeit und Inkompetenz, nichts ande- res. (B) stimmt. (D) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ja!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Ich Dann kam die Große Koalition, bei der wir wieder mit habe die Onlinedurchsuchung als Beispiel ge- dabei waren. Jetzt machen wir gemeinsam mit der FDP nannt!) ein Gesetz, das durchaus – das muss man sagen – die Handschrift der Liberalen trägt. Das hat mit Arroganz nichts zu tun. Bleiben Sie bei den Tatsachen! (Lachen des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das kann man wirklich zugestehen. Das ist nichts Einen Augenblick bitte. Es ist sicherlich für beide Schlechtes, sondern etwas Gutes. Im Gegensatz zu Ih- Seiten aufschlussreich, dennoch ist die Privatkonversa- nen, Herr Wieland, und den Grünen: Sie sind doch bei tion zwischen dem Innenminister und dem Kollegen strammgestanden, nichts anderes. Ströbele für den Redner ein bisschen störend. – Bitte schön, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Clemens Binninger (CDU/CSU): Jetzt von der Zuschauertribüne aus schlaue Ratschläge Ich gestehe Ihnen eine andere Meinung zu, Herr zu geben, ist Heldentum nach Ladenschluss, nichts ande- Korte. Aber Sie können hier nicht etwas behaupten, was res. nicht stimmt, nämlich dass es hierzu keine Zahlen gibt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- während eine Bundestagdrucksache vorliegt, in der alle neten der SPD, der FDP und der LINKEN) Zahlen nachgelesen werden können. Die Zahlen bele- gen, dass die Maßnahmen sehr maßvoll, überhaupt nicht Nichts von dem, was Sie heute gerne einfordern, haben flächendeckend und in ihrer Häufigkeit zum Teil nur im Sie selber umgesetzt, als Sie in der Regierung waren. einstelligen Bereich angewandt wurden. Das ist nicht weiter tragisch, aber dann halten Sie es an- deren nicht vor. Mit dem neuen Gesetz verbessern wir die Instru- mente. Wir machen sie zielgenauer. Wir berücksichtigen (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dabei das, was uns in den letzten fünf Jahren die Praxis NEN]: Das alles hat der Schily nicht gekriegt!) gezeigt hat. 15018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: In unserem jetzigen Gesetzentwurf wird die Befris- (C) Herr Kollege Binninger, darf der Kollege Korte Ihnen tung beibehalten. Es soll erneut evaluiert werden. An eine Zwischenfrage stellen? zwei Stellen wurden die Befugnisse den Anforderungen der Praxis angepasst. Das macht auch Sinn. Clemens Binninger (CDU/CSU): (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich habe ihn heftig kritisiert, dann darf er auch fragen. NEN]: Ja!) Herr Kollege Wieland, dass Sie sagen: „Deswegen stim- Jan Korte (DIE LINKE): men wir nicht zu“, ist wenig plausibel. Herr Kollege Binninger, ich möchte Sie auf zwei Punkte hinweisen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich habe Ihnen doch die Begründung Ich habe eben am Beispiel der Onlinedurchsuchungen vorgelesen!) darauf verwiesen, dass die Bundesregierung einmal Zah- len genannt hat und einmal nicht, aus Geheimhaltungs- Im Hinblick auf die Luftfahrtunternehmen frage ich gründen. Deswegen kann ich zu manchen Zahlen in der Sie ganz offen: Was ist grundrechtschonender? Ist es Tat nichts sagen. grundrechtschonender, dass die Sicherheitsbehörden bei sieben Airlines fragen müssen, ob ein Terrorverdächti- Ich möchte grundsätzlich etwas klarstellen. Ich ger, dessen Name bekannt ist, mit ihnen geflogen ist, um möchte mich präziser ausdrücken; vielleicht stimmen dann von vier dieser Airlines keine Antwort zu bekom- Sie mir dann zu; möglicherweise habe ich mich zuvor men, oder bei „Amadeus“, der zentralen Buchungsstelle, nicht ganz eindeutig ausgedrückt. Der Evaluierungsbe- eine Anfrage zu stellen, dort eine Antwort zu erhalten, richt, über den wir heute diskutieren – er liegt mir vor – woraufhin die Angelegenheit beendet ist? ist VS-NfD eingestuft. Soweit ich weiß, ist es nicht an- gesagt, daraus hier Zahlen zu zitieren. Wenn hier alle (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE einverstanden sind, kann ich das jetzt natürlich gern tun. GRÜNEN]: Das ist eine von tiefer Unkenntnis Auf Zahlen in diesem Bericht bezog ich mich. geprägte Frage!) Es ist doch besser, ein einziges Mal bei „Amadeus“ an- Clemens Binninger (CDU/CSU): zufragen als insgesamt siebenmal bei verschiedenen Air- Ich will gern darauf eingehen. Der Kollege Ströbele lines. Deshalb ist unsere Korrektur richtig, sinnvoll, ziel- hat die Frage gestellt, ob Sie wissen, wie häufig Informa- genau und grundrechtschonend. tionen über Finanztransaktionen bei Banken abgerufen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) wurden. (D) Was die zweite Korrektur, diejenige bei den Bankda- (Gisela Piltz [FDP]: 20 000-mal im Jahr ten, angeht, gilt das Gleiche. Wenn die Sicherheitsbehör- 2009!) den den Namen eines Terrorverdächtigen und seinen Ich habe diese Zahl präsent. Ich will aber nicht aus die- Wohnort kennen, dann kennen sie in aller Regel nicht sem VS-NfD-eingestuften Bericht zitieren. Sie haben seine Bankverbindung. Die bisherige Vorgehensweise gesagt: Diese Regierung nennt diese Zahlen nicht. war, dass man bei den Banken am Wohnort eine Anfrage stellte, etwa bei der Sparkasse, der Volksbank, der Deut- Das stimmt eben nicht. Die Bundestagsdrucksache ist schen Bank, wo auch immer. Man musste also jedes Mal allen zugänglich. von neuem fragen: Hat diese Person bei Ihnen ein (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Konto? Gab es irgendwelche Kontobewegungen? In Zu- NEN]: Herr Friedrich hat sie doch vorhin ge- kunft reicht eine Anfrage beim Bundeszentralamt für nannt!) Steuern. Dort kann man gezielt anfragen und erfährt, wo ein Konto vorhanden ist. Sie können doch nicht ernsthaft Wir haben diese Zahlen; sie sind kein Staatsgeheimnis. behaupten, dass eine Anfrage ein größerer Grundrechts- Ich wiederhole: Sie sind Ihnen zugänglich. Daher dürfen eingriff ist als fünf Anfragen. Sie das nicht behaupten. Ich glaube, tief in Ihrem Herzen (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie hören alle dem Minister nicht zu!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ist es ganz schwarz!) Um die Onlinedurchsuchungen geht es heute über- haupt nicht. Es geht um die konkreten Befugnisse in die- wissen Sie ganz genau, dass das, was Ihnen Kollege sem Gesetz. Sie sind bekannt; sie liegen vor. Ich bitte Wiefelspütz ins Stammbuch geschrieben hat, Punkte Sie, so etwas nicht zu behaupten; schließlich gibt es eine sind, die Sie schon mitgetragen haben und auch heute Drucksache, in der alle nachlesen können, die nachlesen mittragen könnten. Wenn Sie daran wirklich ein Inte- wollen. resse haben – alle Fraktionen in diesem Hause mit Aus- nahme der Linken haben schon Zustimmung signalisiert; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – wir, die Union, waren immer dafür –, dann stimmen Sie Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber für diesen Gesetzentwurf. Wenn er verabschiedet wird, die hat er als Beispiel genannt! – Jan Korte werden die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt, [DIE LINKE]: Ein Beispiel!) auch zukünftig erfolgreiche Arbeit zu leisten, übrigens Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15019

Clemens Binninger (A) zum Schutz aller Bürger in diesem Land. Das sollten wir Es ist also ein gutes System nötig, das Nachwuchs- (C) nicht vergessen. wissenschaftler fördert. Leider haben wir damit Pro- bleme, von denen Wissenschaftlerinnen und Wissen- Herzlichen Dank. schaftler berichten und die auch in verschiedenen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Studien nachgewiesen sind. Die Betroffenen sind hoch- motiviert und wollen Wissenschaft betreiben, aber sie Präsident Dr. Norbert Lammert: leiden unter großer beruflicher Unsicherheit. Es gibt zu wenig Aufstiegschancen und Dauerstellen. Weniger als Ich schließe die Aussprache. 10 Prozent haben eine unbefristete Stelle. Wir müssen Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- teilweise sogar von nachgerade prekärer Beschäftigung wurfs auf der Drucksache 17/6925 an die in der Tages- im Wissenschaftsbereich reden. Für die Betroffenen be- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt steht die reale Gefahr, im fünften Lebensjahrzehnt, also es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. über 40-jährig, trotz höchster Qualifikation schlichtweg Dann ist die Überweisung so beschlossen. ausgemustert zu werden. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 26 a und 26 b: Wir thematisieren dieses Problem nicht, um etwa ei- ner speziellen Gruppe etwas Gutes zu tun, sondern es ist a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen ein Problem für die gesamte Gesellschaft, weil uns Leute Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, verloren gehen. Sie gehen ins Ausland. Sie verlassen die Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter Wissenschaft. Es ist schlecht für Deutschland, diese klu- und der Fraktion der SPD gen Köpfe zu verlieren. Darum müssen wir gegensteu- Personaloffensive für den wissenschaftlichen ern. Nachwuchs starten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Drucksache 17/6336 – DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Die SPD macht in dem Antrag, den wir vorgelegt ha- Technikfolgenabschätzung (f) ben, eine ganze Reihe von Vorschlägen. Ich kann nicht Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales alle vorstellen und greife darum nur einige wenige he- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend raus. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wir wollen eine Personaloffensive für die Hoch- Haushaltsausschuss schulen mit 2 500 zusätzlichen Professuren für bessere (B) (D) Ausschuss für Kultur und Medien Karrierechancen, aber auch für eine bessere Betreuung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra der Studierenden. Wir wollen zusätzliche 1 000 Junior- Sitte, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer Abge- professuren als Alternative zur Habilitation. Wir wollen ordneter und der Fraktion DIE LINKE den sogenannten Tenure Track stärken, um bessere Kar- rierewege an den Hochschulen zu schaffen. Wir wollen Befristung von Arbeitsverträgen in der Wis- die Kinderbetreuungsangebote ausbauen, damit die Ver- senschaft eindämmen – Gute Arbeit in Hoch- einbarkeit von Familie und Wissenschaft verbessert schulen und Instituten fördern wird. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir wollen außer- dem die Hochschulen bei der Personalplanung unterstüt- – Drucksache 17/6488 – zen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Es gibt viele weitere Vorschläge nicht nur von uns, Technikfolgenabschätzung (f) sondern auch von anderen Oppositionsfraktionen in die- Ausschuss für Arbeit und Soziales sem Haus und auch aus der Wissenschaft. Wir könnten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sehr viel machen, und wir müssen sehr viel machen, al- die Aussprache wiederum eineinviertel Stunden vorge- lein diese Bundesregierung tut nichts. Sie lässt die Dinge sehen. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Also einfach so laufen und verweigert sich. können wir so verfahren. Wir hatten bereits letztes Jahr eine Debatte zu diesem Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Thema im Deutschen Bundestag. Wir haben Aktivitäten Kollegen Swen Schulz für die SPD-Fraktion. der Bundesregierung und der Regierungskoalition ange- mahnt. Damals hat Staatssekretär Braun, der heute nicht anwesend ist, für die Bundesregierung gesagt, bald Swen Schulz (Spandau) (SPD): komme der große Evaluationsbericht zum Wissen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schaftszeitvertragsgesetz. Dieser Bericht liegt seit Mo- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland naten vor, und er skizziert die Probleme, die ich ange- ist auf gute Bildung und starke Wissenschaft angewie- sprochen habe. Aber die Bundesregierung stellt sich taub sen. Darum brauchen wir auch wissenschaftlichen Nach- und blind. Dabei müsste doch mindestens eines endlich wuchs. Wir brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissen- allen klar sein: Die Tarifsperre muss weg. schaftler, die Lehre an den Hochschulen gestalten und damit auch Fachkräfte ausbilden, die Forschung betrei- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ben und damit Probleme lösen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 15020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Swen Schulz (Spandau) (A) Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) haben, gemeinsam Regelungen über das Gesetzliche hi- Nächster Redner ist der Kollege Albert Rupprecht für naus zu treffen. Staatssekretär Braun hat damals für die die CDU/CSU-Fraktion. Bundesregierung gesagt, die Bundesregierung sei nicht untätig, ganz im Gegenteil. Ich zitiere, was er gesagt hat: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Es war Bundesministerin , Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): – so Staatssekretär Braun – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! die 2008 den ersten „Bundesbericht zur Förderung Herr Kollege Schulz, Sie wissen, dass wir als Unions- des Wissenschaftlichen Nachwuchses“ vorgelegt fraktion auf unserer Klausurtagung mehrere Schwer- hat. Es war diese Bundesregierung, die den HIS- punkte für die Bildungs- und Forschungspolitik formu- Bericht „Wissenschaftliche Karrieren“ in Auftrag liert haben und dass einer dieser Schwerpunkte, über den gegeben hat, damit wir erstmals empirische Zahlen wir im Augenblick beraten und zu dem wir in wenigen zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses Wochen einen Antrag einbringen werden – das haben erhalten. Schon dieser Bericht … ist ein erster Be- wir in der Ausschusssitzung angekündigt –, die Zukunft weis dafür, dass die Bundesregierung nicht tatenlos des wissenschaftlichen Nachwuchses ist. Deswegen ist ist, sondern sich intensiv diesem Thema widmet. es unredlich und unfair, zu sagen, dass wir da nichts tun. Wir beraten gerade über einen entsprechenden Antrag. Das ist richtig. Es war der erste Beweis, aber leider auch Daher wäre es fair und höflich gewesen, wenn Sie mit der letzte. Was nützen die besten Berichte, wenn Sie der Einbringung Ihres Antrages ein paar Wochen gewar- keine Konsequenzen ziehen und nichts daraus machen? tet hätten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Michael Gerdes [SPD]: Wie viele Wochen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn noch?) Sie sind jetzt schlauer, aber Sie stellen sich dumm. Sie Dann hätten wir über alles gemeinsam diskutieren kön- kommen mir vor wie ein Kurzsichtiger, der sich eine nen. Brille besorgt, um besser sehen zu können, sich aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dann, wenn er die Wohnung verlässt, eine Augenbinde neten der FDP) umbindet. Meine Damen und Herren, so geht das nicht. Bevor ich zu den Maßnahmen komme, die wir für (B) (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie müssen notwendig erachten, muss ich die Fakten klarstellen. (D) nicht von sich auf andere schließen!) Fakt ist, dass die Anzahl der Wissenschaftler und vor al- lem der Nachwuchswissenschaftler in Deutschland er- Wir haben doch Möglichkeiten. Der Hochschulpakt heblich gestiegen ist. Das liegt in unser aller Interesse. kann ergänzt werden, damit die Personaloffensive an den Zuerst zu den Zahlen – das sind die letzten, die im Statis- Hochschulen wirklich ankommt und mehr unbefristete tischen Bundesamt vorliegen – zur Entwicklung der Stellen geschaffen werden. Die Overhead-Finanzierung Hochschulen im Zeitraum von 2005 bis 2009: Die Zahl der DFG kann gesteigert werden, was der Grundfinan- der wissenschaftlichen Mitarbeiter hat in diesem Zeit- zierung der Hochschulen helfen würde. Wo ist denn das raum um 25 Prozent zugenommen, das heißt um 60 000. lange angekündigte Wissenschaftsfreiheitsgesetz? Es Bei den Professoren ist ein Plus von 6 Prozent, bei den könnte, wenn es richtig gemacht ist, auch helfen. wissenschaftlichen Mitarbeitern ein Plus von 31 Prozent, bei sonstigen Lehrkräften ein Plus von 23 Prozent, bei Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Re- den wissenschaftlichen Hilfskräften ein Plus von 46 Pro- gierungskoalition, Sie müssen nicht alle unsere Vor- zent und bei den Lehrbeauftragten ein Plus von 35 Pro- schläge übernehmen. Aber machen Sie doch wenigstens zent zu verzeichnen. Die Zahlen zeigen ganz klar: Es irgendetwas. Zeigen Sie Aktivität! gab in Deutschlands Geschichte noch nie so viele Stellen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ für den wissenschaftlichen Nachwuchs an Hochschulen DIE GRÜNEN) wie derzeit. Der wesentliche Grund dafür ist die Finan- zierung, die wir vonseiten des Bundes ermöglichen. Die Sie folgen an den verschiedenen Stellen immer wieder Finanzierung der Hochschulpakte weist einen massiven zwei Argumentationsmustern, die Sie je nach Bedarf, Zuwachs auf. Ich erinnere an die 5 Prozent Aufwuchs wie es Ihnen gerade passt, austauschen. Entweder sagen pro Jahr bei der DFG und damit auch bei der Hochschul- Sie: „Die Länder sind zuständig; wir können da gar forschung, die Overhead-Finanzierung bei der DFG und nichts machen“, oder Sie sagen: „Alles ist gut.“ Das beim BMBF sowie den kontinuierlichen Ausbau der reicht für eine Bundesregierung nicht aus. Die Bürgerin- Projektförderung. nen und Bürger erwarten zu Recht etwas anderes. Auch in den außeruniversitären Forschungseinrich- Herzlichen Dank. tungen erleben wir eine ausgesprochen positive Ent- wicklung. Dazu die Zahlen für den Zeitraum von 2005 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bis 2010: Es gibt einen massiven Zuwachs von 16 Pro- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zent beim Personal im Bereich Forschung und Ent- LINKEN) wicklung, einen Zuwachs von 89 Prozent bei der struk- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15021

Albert Rupprecht (Weiden) (A) turierten Doktorandenförderung, einen Zuwachs von fügung stünde. Deswegen werden wir in wenigen Wo- (C) 63 Prozent bei den betreuten Doktoranden, einen Zu- chen ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz vorlegen, das nach wachs von 120 Prozent bei den selbstständigen Nach- unseren Vorstellungen genau das beinhaltet: mehr Frei- wuchsgruppen und einen Zuwachs von 45 Prozent bei heit für die Forschungseinrichtungen, eigenständig zu den DFG-geförderten Postdocs, und das alles in nur we- entscheiden, ob und wann sie W-3-Stellen einrichten nigen Jahren. Auch im außeruniversitären Bereich gab werden. es noch nie eine derartig große Chance für den wissen- schaftlichen Nachwuchs, eine Stelle zu bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch hierfür sind die zusätzlichen Mittel, die wir von- Wir erwarten von den Forschungseinrichtungen aber seiten des Bundes zur Verfügung stellen, ursächlich. schon, dass sie die Möglichkeiten für Tenure-Track-Pro- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gramme tatsächlich nutzen. Ich erinnere an die bedeutendsten und entscheidends- Ich komme zweitens zum universitären Bereich. Wir ten Größen. Der Pakt für Forschung und Innovation müssen klar sehen, wo wir Verantwortung haben und wo weist für den Zeitraum von 2006 bis 2010 einen Zu- nicht. Man kann die Verfassung ändern, aber wir müssen wachs von 3 Prozent pro Jahr und im Zeitraum von 2011 unsere Politik auf der Basis der bestehenden Verfassung bis 2015 einen Zuwachs von 5 Prozent pro Jahr auf. Wir machen. Das ist so, und das ist zu respektieren. Wir ge- garantieren über Jahre hinweg nicht nur das Niveau, son- ben auch in diesem Bereich massiv mehr Geld aus, und dern sogar einen Zuwachs. Wir leben Verlässlichkeit, zwar für projektfinanzierte Maßnahmen. Es fehlt aber Nachhaltigkeit und Sicherheit über Jahre hinweg. Wir – das ist richtig – zu einem großen Teil die Grundfinan- müssen daher die Frage stellen, wieso die Hochschulen zierung vonseiten der Länder. Unsere projektfinanzier- dem wissenschaftlichen Nachwuchs diese Sicherheit, ten Maßnahmen reichen nicht oder nur begrenzt aus, um Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit nicht in den Arbeits- zusätzliche W-3-Stellen zu schaffen. Wir können nur an verträgen weitergeben. Das ist die entscheidende Frage die Länder und die Hochschulen appellieren. Es besteht und der kritische Punkt. in der Tat ein Missverhältnis zwischen dem Zuwachs bei projektfinanzierten Maßnahmen vonseiten des Bundes Es gibt in der Tat zu viele Stellen, die über die Maßen und bei der Grundfinanzierung, für die die Länder ver- befristet sind, und zu wenige, die eine langfristige Per- antwortlich sind. Die Grundfinanzierung wächst nicht in spektive bieten. Wir vonseiten des Bundes bieten dem demselben Maße. Deswegen gibt es so viele befristete Wissenschaftssystem Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit; Stellen. wir verlangen aber auch Orientierung an Leistung, Ex- zellenz und Qualität. Wir wollen, dass sich die Leis- Was muss sich ändern? Die Grundfinanzierung der (B) tungsorientierung, Exzellenz und Qualität in den Ar- Länder muss mit dem Anwachsen der Projektfinanzie- (D) beitsverträgen des wissenschaftlichen Nachwuchses rung Schritt halten. Dazu gibt es mehrere Pakte, und die widerspiegeln, aber wir wollen keine lebenslangen aka- Vereinbarung, wie die Rollenverteilung ist, war ganz demischen Hängematten unabhängig von Leistung und klar. Wir liefern, aber zumindest einige Länder entziehen Engagement, wie es die Linken befürworten. Was wir sich der Verantwortung. Ich sage bewusst „einige Län- aber schon wollen, ist Planbarkeit, Planungssicherheit, der“, weil die Länder unterschiedlich zu bewerten sind. Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit für Wissenschaftler, die sich engagieren und Leistung bringen. Ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende geht. Deswe- gen werde ich einige Seiten überspringen, die konkrete (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vorschläge beinhalten. Diese werden die nachfolgenden neten der FDP) Kollegen noch machen. Das sind unsere Leitbilder. Jetzt komme ich zum Konkreten. Präsident Dr. Norbert Lammert: ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber eine fröhliche Schlussformel würde allgemeine Das wurde auch Zeit!) Begeisterung hervorrufen. Was heißt das? Was ist zu tun? Ich komme zuerst zur au- ßeruniversitären Forschung, zu den Doktoranden und Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Postdocs. Die bestehenden Jahresverträge müssen künf- Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich möchte tig vermehrt um Zielvereinbarungen mit einer Leistungs- kurz an eine Veranstaltung erinnern. Wir hatten ein komponente ergänzt werden. Wenn Leistung erbracht Fachgespräch mit Professor Kleiner und Professor wird, darf die Verlängerung des Vertrages bis zur Errei- Schwarz zur GAIN-Tagung, in dem beide uns folgende chung des Qualifizierungsziels nur eine Formalität sein. Aspekte nähergebracht haben: Tenure-Track-Systeme Für die besten Postdocs wünschen wir uns mehr Tenure- sind auch bei der heutigen Struktur durchaus möglich. Track-Programme. Bis dato gibt es einen Flaschenhals Das ist insbesondere ein Mentalitätsproblem an den Uni- – das ist richtig – bei den außeruniversitären Forschungs- versitäten. Professor Kleiner hat darauf hingewiesen, einrichtungen, die mehr Geld von uns bekommen, die dass auch mit Projektmitteln durchaus unbefristete Ver- aber auf der anderen Seite, wenn sie W-3-Stellen geneh- träge an den Hochschulen möglich sind. Deswegen geht migt bekommen wollen, die Zustimmung des Finanz- mein Appell an die Hochschulen und die Forschungsein- ministers und der Haushälter brauchen. Diese bekommen richtungen: Wir vonseiten des Bundes leisten einen mas- sie nicht immer, selbst wenn das Geld kurzfristig zur Ver- siven Mitteleinsatz und bitten, dass die Verantwortung 15022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Albert Rupprecht (Weiden) (A) an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen wahr- Ein entscheidender Unterschied zum Fürstenhof be- (C) genommen wird. steht jedoch darin, dass Gönner und Günstling im gleichen Feld agieren, womit sie, sobald sich der Herzlichen Dank. Günstling einen eigenen Namen gemacht hat, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zwangsläufig in ein Konkurrenzverhältnis treten. Diese Konkurrenz zwischen etablierten Professorin- Präsident Dr. Norbert Lammert: nen und Professoren und dem innovativen Nachwuchs Die Kollegin Petra Sitte hat nun das Wort für die könnte beispielsweise durch die Aufhebung dieser Fraktion Die Linke. Hierarchien und ebenjener persönlichen Abhängigkeiten (Beifall bei der LINKEN) produktiv wirken. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Lehr- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn in stuhl sollten also Möglichkeiten bekommen, selbstständig dieser Debatte über akademischen Nachwuchs gespro- zu forschen. Modelle wie Forschungsgruppenleiterinnen chen wird, dann haben wir es nicht gewissermaßen mit und -leiter an außeruniversitären Forschungseinrichtun- der Vorschulgruppe des Wissenschaftssystems zu tun. gen findet man aber eben nicht an Hochschulen. Die Wir reden hier nicht über Lernende, die sich tapfer auf schon erwähnten Juniorprofessuren, die das bieten könn- ihr Berufsleben vorbereiten. Nein, wir reden über ten, werden viel zu selten angeboten. Wenn sie doch an- 85 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- geboten werden, dann fehlt nach Ende der Frist zumeist ler an Hochschulen und Instituten dieses Landes. Diese eine echte klare akademische Perspektive. Man hängt sichern tagtäglich im befristeten Angestelltenverhältnis also nach Ablauf dieser Frist wieder in der Luft und oder als Stipendiaten, als Lehrbeauftragte oder als Pri- muss sein akademisches Dasein durch Antragsrennen vatdozentinnen und Privatdozenten die Leistungsfähig- um Fördergelder, die sogenannten Drittmittel, irgendwie keit dieser Einrichtungen. absichern. Sie werden zugeben, meine Damen und Her- Das geschieht zumeist unter schwierigen finanziellen ren von der Koalition, dass das selbst in Ihrer Logik ein Rahmenbedingungen. Bei vielen ist die persönliche Ar- absurder Vorgang ist. beits-, Einkommens- und Versicherungssituation mittler- Nun schauen wir einmal, wie die Wissenschaftsein- weile prekär. Unterfinanzierte Hochschulen und Univer- richtungen auf diese Misere reagieren. Um wettbewerbs- sitäten setzen auf deren Wissenschaftsenthusiasmus und fähig zu bleiben, flexibilisieren sie ihre Stellenpläne seit auf deren Bereitschaft, unbezahlt zu forschen. Dieses Jahren mehr und mehr. Was folgt? Neben Lehrbeauftrag- (B) Problem ist lange bekannt, und es ist seit langem unbe- (D) ten und Privatdozenten, die ohnehin nicht Angehörige wältigt. Auch die selbst gelobten Milliarden aus diesem der Hochschulen sind, wird der gesamte akademische Haushalt ändern nichts daran. Sie kommen nämlich gar Mittelbau mittlerweile zur Verschiebemasse. Sieben von nicht dort an, wo sie am dringendsten gebraucht werden acht angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissen- bzw. am besten angelegt wären. schaftlern haben befristete Verträge. Die durchschnittli- (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Ist che Vertragsdauer im Angestelltenverhältnis beträgt das unsere Verantwortung?) zwölf Monate – wohlgemerkt: zwölf Monate – für Spit- zenwissenschaftler. Drei Viertel haben zwar eine Teil- – Natürlich ist das Ihre Verantwortung. Ich möchte zeitstelle, arbeiten aber trotzdem Vollzeit. Zwischenzeit- schon wissen, was mit dem Geld passiert, das die Steuer- lich ist es normal, dass sich zwei Doktoranden eine zahler hier in das Gesamtsystem einbringen. Stelle teilen und jeweils mit etwa 1 000 Euro netto am (Beifall bei der LINKEN) Monatsende nach Hause gehen. Es geht also nicht um eine akademische Randgruppe, ( [DIE LINKE]: Ein Skandal!) sondern es geht um viele Hochqualifizierte, die nur eines Nun fragt man sich: Wieso funktioniert das System? nicht erreichen können, nämlich den Status als verbeam- Die Antwort ist ziemlich einfach – das beweisen auch teter Professor bzw. verbeamtete Professorin auf Le- die Umfragen –: Die meisten haben die Hoffnung auf benszeit. Darin liegt das Kernproblem des deutschen eine Professur eben immer noch nicht aufgegeben. An- Wissenschaftssystems. Es weist immer noch die Perso- dere, gerade im geisteswissenschaftlichen Bereich, fin- nalstruktur des 19. Jahrhunderts, also der alten Ordina- den häufig gar keine adäquate Beschäftigung außerhalb rienuniversität auf. Das ist das Problem. der Akademie. Wer es dann endgültig leid ist – das hat Manchmal hilft auch der Blick von Außenstehenden, mein Kollege schon gesagt –, der bricht mit seiner Alma um die eigenen Probleme besser erkennen zu können. Mater, was übrigens so viel heißt wie nährende, gütige Der Schweizer Historiker Caspar Hirschi von der renom- Mutter, und lässt selbige zurück. mierten ETH Zürich vergleicht die Situation angestellter Der vorhin zitierte Historiker Caspar Hirschi verleiht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutsch- der deutschen Wissenschaft denn auch den Titel „Ex- land mit der von Günstlingen an Fürstenhöfen – Zitat –: portweltmeister beim akademischen Überschuss“. Er Um sich im akademischen Betrieb zu halten, müs- kritisiert, dass Deutschland mit den Graduiertenschulen sen sie den Ruhm ihres professoralen Patrons durch aus der Exzellenzinitiative massenhaft Nachwuchskräfte treue Dienste und wissenschaftliche Taten erhöhen. produziert. Ich zitiere ihn wieder: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15023

Dr. Petra Sitte (A) Es wäre daher an Bildungspolitikern in Bund und Deshalb fordern wir mindestens, dass das Gesetz die (C) Ländern, den wissenschaftlichen und volkswirt- Befristungsmöglichkeiten nicht weiter ausdehnt, son- schaftlichen Sinn einer Forschungspolitik zu hinter- dern eindämmt: fragen, die zur Profilierung weniger „principal in- vestigators“ Erstens. Die Tarifsperre sollte gestrichen werden – das hat der Kollege von der SPD schon gesagt –, so- – das heißt übersetzt „Spitzenwissenschaftler“ – dass abweichende Regelungen möglich sind. eine international einmalige Verschleuderung per- (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann soneller und finanzieller Ressourcen betreibt. [SPD]) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Recht Zweitens. Es sollten Mindestvertragslaufzeiten be- hat er!) stimmt und die Möglichkeit von Vertragsverlängerungen Verschleuderung von Ressourcen! für Eltern als Rechtsanspruch ausgestaltet werden. Eigentlich müsste Politik darauf mit besseren Chan- Drittens. Dort, wo eingeworbene Drittmittel die Wis- cen und klaren Perspektiven durch dauerhafte Beschäfti- senschaftsfinanzierung leisten, sollten befristete Ver- gung reagieren; das liegt doch auf der Hand. träge mindestens so lange laufen, wie das beauftragte Projekt oder die angekoppelte Qualifizierungsphase je- (Beifall bei der LINKEN) weils dauert. Stattdessen ist das Sonderbefristungsrecht für die Wissen- Natürlich reicht die Änderung dieses Gesetzes nicht, schaft gestärkt worden. Das Wissenschaftszeitvertragsge- um Wissenschaft als Beruf wirklich attraktiv zu machen. setz – bei dem Titel darf man sich nicht verstolpern – Gebraucht werden auch keine weiteren gutgemeinten wurde geschaffen, um besonders im Drittmittelbereich Wettbewerbe von Bund und Ländern, sondern gebraucht den Wissenschaftseinrichtungen als Arbeitgeber alle wird ein nachhaltiger Ausbau von unbefristeten Stellen. Freiheiten für befristete Verträge einzuräumen. Selbst ab- weichende tarifliche Regelungen – und seien sie noch so (Beifall bei der LINKEN) positiv – sind nach diesem Gesetz nicht möglich. Das ist Die Hochschulen sollten zusätzliche und verlässliche in Deutschland absolut einmalig. Es gibt keine andere Anschubfinanzierungen für die Einstellung von wissen- Branche, in der das so ist. schaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bekom- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Es ist ein Skan- men. Ob Juniorprofessuren oder Hochschuldozenturen dal!) geschaffen werden, wollen wir nicht vorschreiben; das sollen die Hochschulen entscheiden. Anstatt also Mindeststandards für gute Arbeit in der (B) Wissenschaft zu definieren, haben sich CDU/CSU und (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha! Zu- (D) SPD 2007 darin gefallen, prekäre Beschäftigung noch ständigkeit bei den Ländern!) auszuweiten. Gebraucht wird also endgültig ein glaubwürdiges Si- Die jüngste Prüfung dieses Gesetzes brachte nicht nur gnal als Botschaft an junge Wissenschaftlerinnen und ultrakurze Vertragslaufzeiten ans Tageslicht, sondern Wissenschaftler, dass ihnen hier Chancen geboten wer- zwangsläufig auch große Unzufriedenheit. 27 Prozent den, ihr innovatives Potenzial zu entfalten. Lassen Sie der befristet Beschäftigten an Hochschulen und 33 Pro- uns endlich auch das Hofstaatsdenken an unseren Uni- zent der befristet Beschäftigten an außeruniversitären versitäten beenden! Forschungseinrichtungen waren mit ihrer Arbeitsplatz- unsicherheit unzufrieden. Trotz vielfachen Kinderwun- Danke schön. sches unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. lern entscheiden sich die meisten doch gegen eine Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Familiengründung. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Warum ha- Präsident Dr. Norbert Lammert: ben denn die Unis dann Kindergärten?) Nun erhält der Kollege Martin Neumann für die FDP- Fraktion das Wort. Nun sagt der gesunde Menschenverstand: Da ist was faul, da müssen wir was ändern. – Und was tun Sie? Was (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erklärt das Forschungsministerium? Es sagt – es ist un- glaublich –, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz habe Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): sich bewährt. Es ist nicht zu fassen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Lesen Sie Kollegen! Die Sozialdemokraten und die Linken sorgen mal die HIS-Studie!) sich einmal mehr um das deutsche Wissenschaftssystem Das Einzige, was es hervorgebracht hat, ist akademi- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wenn sches Proletariat in Massen. Sie es nicht tun!) (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei und fordern eine Personaloffensive für den wissenschaft- der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/ lichen Nachwuchs. CSU]: Das ist wieder unterste Schublade!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: – Jawohl, da müssen Sie durch! Gut so!) 15024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Dr. Martin Neumann (Lausitz) (A) Ich glaube, wir müssen etwas genauer hinschauen. Was (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aber nicht für (C) Kollege Schulz und Sie gerade dargestellt haben, schießt die Menschen!) über das Ziel hinaus. Dem Appell, die Hochschulen und Studienplatzkapa- Ihre Analyse mag in dem einen oder anderen Punkt zitäten weiter auszubauen und Betreuungsverhältnisse sogar zutreffen – das will ich so deutlich sagen –; vor Ort zu verbessern, können wir uns hingegen nur an- schließen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Frage ist aber, welche Konsequenzen wir in Zukunft aus Ihren Forderungen ziehen. Die christlich-liberale Bundesregierung macht mit dem Hochschulpakt und dem Qualitätspakt Lehre bereits sehr Auch uns bewegt selbstverständlich die Situation un- viel. Auch das muss deutlich gesagt werden. serer klügsten und am besten ausgebildeten Köpfe. Mel- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dungen wie „Nur jeder dritte Doktorand schließt sein der CDU/CSU) Promotionsprojekt tatsächlich ab“, lassen uns natürlich nicht kalt. Aber ist es nicht bemerkenswert, dass in Ich möchte den Sozialdemokraten die konkrete Frage Deutschland die Promotionsquote bei knapp 12 Prozent, stellen: Wie erklären Sie es sich, dass Sie bei den laufen- genauer 11,7 Prozent, eines Hochschuljahrgangs liegt? den Ausgaben je Professur – beispielsweise in Branden- Diesbezüglich sind wir tatsächlich Weltmeister. Der EU- burg und Bremen; auch dort regieren Sie meines Wis- Durchschnitt ist deutlich niedriger: Er liegt bei 2,3 Pro- sens schon seit Ewigkeiten – die traurigen Schlusslichter zent, in Frankreich sogar nur bei 2,09 Prozent. So düster, sind? Gerade heute stand in der Märkischen Allgemeinen wie Sie die Aussichten für Nachwuchswissenschaftler in – mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich zitieren –: Deutschland zeichnen, sind sie auch wieder nicht. Unipräsident sieht die Qualität bedroht – Sorge we- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – gen Sparhaushalt des Landes Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Präsident der BTU Cottbus beklagt sich zu Recht Das können Sie doch nicht an den Promovie- über ein Moratorium für die Besetzung von Stellen, wo- renden ablesen!) nach – jetzt hören Sie genau zu – SPD und Linke von Bitte vergessen Sie nicht, dass sich unsere Hochschu- den Hochschulen fordern, dass sie über 10 Prozent ihrer len in einem internationalen Wissenschaftsraum bewe- Professuren in einen Pool geben, woraus folgt, dass sie sie vorläufig nicht besetzen dürfen. Das passt nicht zu- (B) gen. Hier ist kein Platz für deutsche Besonderheiten. Das (D) Verlangen nach Sicherheit in einem hochkomplexen und sammen. dynamischen System, mit Beamtenstatus und lebenslan- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen Beschäftigungsverhältnissen, ist für Außenstehende wenig attraktiv und aus unserer Sicht daher nicht geeig- Allein die BTU in Cottbus darf 28 Professuren in Kern- net, unsere Hochschulen zu stärken. bereichen nicht neu besetzen. Sie hat 20 Wissenschaftler befristet angestellt. Das ist an dieser Stelle deutlich her- Unser deutsches Hochschulsystem hat sich zuneh- vorzuheben. mend in ein übergeordnetes internationales Gefüge inte- griert, und unsere Hochschulen positionieren sich auf ei- Weiter heißt es in dem Artikel: nem globalen Bildungsmarkt. Unsere Hochschulen „Die Nachwuchssicherung im Land ist gravierend bemühen sich im internationalen Wettbewerb um die gefährdet“ … Die Hälfte der Studiengänge sei be- besten Nachwuchswissenschaftler. Ein Beispiel ist das droht, wenn sich die aktuelle Haushaltspolitik nicht GAIN-Projekt. An dieser Stelle sieht man, welche Be- ändere. mühungen unternommen werden, um deutsche Wissen- schaftler in unser System zurückzuholen. Es gibt auch Ich könnte die Zahlen vortragen, aber aus Zeitgrün- Projekte, in denen sich Hochschullehrer mit internatio- den spare ich mir das. Ich empfehle Ihnen: Schicken Sie nalem Renommee intensiv um Drittmittel für For- den vorliegenden Antrag Ihren Genossen in Branden- schungsprojekte bemühen und vor allen Dingen Koope- burg, Rheinland-Pfalz und Bremen, und machen Sie dort rationen mit Wirtschaftspartnern eingehen. endlich Ihre Hausaufgaben! Wir müssen unsere Promotionsvorhaben mehr unter- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – stützen und – wenn erforderlich – durch eine bessere René Röspel [SPD]: Erst den Ländern die Fi- Einbindung in Forschung und Lehre flankieren. Das ist nanzen wegnehmen und dann schimpfen!) völlig unstrittig. Damit sichern wir höchste wissen- Für uns gibt es eine relativ einfache Lösung für die schaftliche Qualität. Die Forderung nach mehr Stellen, Vielzahl der von Ihnen zu Recht angesprochenen Pro- um Wissenschaftlern unbefristete Verträge zu verschaf- bleme: Gewähren wir unseren Hochschulen doch end- fen, ist eher kritisch zu bewerten. Ich sage Ihnen auch, lich mehr Freiheit! Wir wollen mehr Freiheit für die warum: Gerade in modernen, auf Dynamik ausgerichte- Hochschulen. ten Hochschulorganisationen und in einer zudem globa- lisierten Wissenschaftslandschaft würden sich hieraus (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mehr Probleme als Lösungen ergeben. Freiheit ohne Geld bringt nichts!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15025

Dr. Martin Neumann (Lausitz) (A) Nur wenn die Wissenschaftseinrichtungen und Hoch- Wir haben dieses Problem hier mehrfach miteinander (C) schulen autonomer werden, werden sich auch Verbesse- diskutiert. Zuerst haben Sie, Herr Feist, gesagt, das sei rungen für die Beschäftigten in diesem Sektor ergeben. nur Gejammer auf hohem Niveau. Dann kam die Die Koalition wird demnächst – Kollege Rupprecht hat Stimme der Vernunft: Frau Grütters hat gesagt, in der das angesprochen – ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz Analyse habe die Opposition eigentlich recht. Ich muss vorlegen, in welches zentrale Forderungen aus Ihrem schon sagen: Bis man es geschafft hat, Sie zum Jagen zu Antrag aufgenommen werden können. tragen, dauert es mir eigentlich zu lange. Ihre Forderung, den außeruniversitären Forschungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einrichtungen mehr Personalverantwortung zu übertra- und bei der SPD) gen, ist sicherlich gut und richtig. Es ist der richtige Weg. Wenn Sie aber gleichzeitig vorschreiben wollen, Sie brüten jetzt über einem Antrag. Wir haben in die- über welchen Zeitraum die Verträge von befristet be- ser Woche aber festgestellt, dass sich im Haushalt zu schäftigtem wissenschaftlichen Personal zu laufen ha- dieser Problematik nichts findet. Nun ist es an der Zeit, ben, wie viele Promotionsstellen die Einrichtungen vor- das, was man vorhat, zu unterfüttern. zuhalten haben, wie Sie diese sanktionieren wollen usw., Es ist völlig richtig, dass wir auf den GAIN-Konfe- dann kann ich das an dieser Stelle nicht verstehen; denn renzen in Boston und San Francisco gemeinsam festge- das passt nicht zusammen: einerseits zentrale Regelun- stellt haben, dass die Chancen, deutsche junge Postdocs gen, die dann andererseits in kleinkarierten Regelungen aus den USA wieder nach Deutschland zu holen, noch münden sollen. nie so gut waren wie heute, und zwar aus verschiedenen (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist ja nicht Gründen. Wir können diese Chancen aber doch gar nicht wahr! Das stimmt ja gar nicht!) nutzen, wenn wir ihnen keine attraktiven Perspektiven anbieten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind herzlich eingeladen, das Wissenschaftsfreiheitsgesetz mitzutra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen. Dabei sollten Sie auch auf Ihre Länderkollegen zu- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- gehen, denn ich denke, auch die Länder brauchen Wis- KEN) senschaftsfreiheitsgesetze; in Nordrhein-Westfalen ist Jemand, der eine Postdoc-Stelle in den USA hat, kommt ein solches bereits erfolgreich eingeführt worden. Auf doch nicht nach Deutschland zurück, weil er dort wieder diese Weise können wir den Hochschulen endlich mehr eine befristete Postdoc-Stelle bekommen kann. Vielmehr Autonomie zubilligen. will er doch wissen, wie es weitergeht oder ob er mit (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mitte 40 im Nirwana steht. Wenn Sie dem sagen: (D) (B) Die haben die längst!) „14 Prozent der wissenschaftlichen Stellen in Deutsch- land sind Professorenstellen, darunter sind 86 Prozent Der wissenschaftliche Nachwuchs wird es uns danken. Nachwuchs, und wenn Sie es nicht schaffen, sich durch (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) diesen Karriereflaschenhals hindurchzuwinden, dann ha- ben Sie keine Möglichkeit, im Rahmen einer unbefriste- ten Stelle selbstständig zu forschen und zu lehren“, was Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ist denn das für eine Perspektive für jemanden, der in Die nächste Rednerin ist Krista Sager für Bündnis 90/ den USA seinen Weg schon halbwegs gegangen ist? Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und bei der SPD) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Neumann, es ist auch nicht so, dass die jungen Befristete Beschäftigungsverhältnisse sind im deutschen Wissenschaftler erwarten, dass wir ihnen sozusagen die Wissenschaftsbereich inzwischen der Normalfall. Herr Beamtenprofessur vor die Füße legen. Kollege Rupprecht, Sie haben recht: Wir haben eine sehr große Anzahl wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen und (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist aber Mitarbeiter. Tatsache ist aber auch, dass die Zahl der pre- Ihr Vorschlag!) kären Teilzeit- und nebenberuflichen Beschäftigungsver- Sie haben durchaus Verständnis dafür, dass ein wissen- hältnisse massiv angestiegen ist. Das ist ein wirkliches schaftlicher Beruf auch ein Bewährungsweg ist, dass Problem für das deutsche Wissenschaftssystem. man erst einmal zeigen muss, was in einem steckt. Aber Unser wissenschaftlicher Nachwuchs ist hochmoti- heute liegen die Befristungszeiten zum Teil schon unter viert und hochengagiert. Das deutsche Wissenschafts- einem Jahr. Die Katastrophe ist, dass wir den Menschen system gibt ihm aber jenseits der Promotion immer we- zumuten, sich auf Befristungen von unter einem Jahr niger verlässliche Perspektiven. Wenn Wissenschaft als einzulassen. Gleichzeitig müssen sie beten, nicht mit Beruf im internationalen Wettbewerb und im Wettbe- Mitte 40 in der Sackgasse zu stecken. werb mit privaten Arbeitgebern immer unattraktiver Herr Neumann, dass wir in Deutschland sehr viele wird, dann wird damit das deutsche Wissenschaftssys- Promovierende haben, wissen wir alle. Wir wissen auch, tem insgesamt gefährdet. dass es nicht Sinn der Sache ist, anschließend alle im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wissenschaftssystem unterzubringen. Wenn wir es aber und bei der SPD) nicht schaffen, die besten Köpfe aus dieser Gruppe dau- 15026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Krista Sager (A) erhaft für Forschung und Lehre zu gewinnen, dann ist für die Juniorprofessur mit der Perspektive auf Tenure (C) das Geld, das jetzt in die Exzellenzinitiativen für Gradu- Track bei entsprechender Bewährung. Das ist doch eine iertenkollegs und Graduiertenprogramme investiert Hausmarke für die Zeit nach dem Regierungswechsel! wird, nicht nachhaltig angelegt. Das muss man auch se- hen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Hier ist jetzt die Koalition gefragt, Butter bei die Fische LINKEN) zu tun. Die Probleme haben sicherlich mehrere Ursachen. Die SPD hat auch ein anderes Thema aufgegriffen, Das Schöne daran ist, dass es dann mehrere Handlungs- nämlich das der Programmpauschalen. Das hat auch die optionen gibt. Ein Problem sind die unattraktive Perso- DFG in die Diskussion gebracht. Ich finde den Ansatz nalstruktur und die unattraktiven Karrierewege. Hier richtig. Wenn der Bund etwas mehr über die Programm- muss etwas passieren. Ein anderes Problem ist – Herr pauschalen tun würde, könnte man versuchen, die Län- Rupprecht, das haben Sie richtig angesprochen –: Wenn der in die Pflicht zu nehmen und darüber etwas mehr für immer mehr Mittel wettbewerblich als Projektmittel ver- die Grundausstattung der Universitäten zu erreichen. geben werden und dadurch die Drittmittelquote gegen- Ich glaube nur, liebe Kolleginnen und Kollegen von über der Grundfinanzierung immer weiter steigt, dann der SPD, dass in Ihrem Vorschlag ein Denkfehler steckt. kann man nicht sagen: Alles, was über Drittmittel finan- ziert wird, ist immer befristet. Das geht auf Dauer nicht. (Zurufe von CDU/CSU und FDP: Einer?) Hier ist das Personalmanagement in den Hochschulen Sie schlagen nämlich vor, die Erhöhung der Programm- und in den Forschungseinrichtungen gefordert. pauschale hälftig von Bund und Ländern finanzieren zu Ich sehe aber auch, dass Herr Schulz vollkommen lassen. Denken wir das einmal zu Ende: Der Bund zahlt recht hat: Die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertrags- jetzt 20 Prozent alleine. Nehmen wir einmal an, in einem gesetz war ein großer politischer Fehler. Diese Tarif- ersten Schritt gehen wir von 20 Prozent auf 50 Prozent, sperre muss aufgehoben werden. sagen dann aber – wie Sie das vorschlagen –: Bund und Land tragen die Kosten zur Hälfte. Dann müsste der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bund auf seine 20 Prozent nur noch 5 Prozent aufsatteln. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Die Länder müssten aber 25 Prozent aufsatteln. LINKEN) Dann sind wir doch wieder bei demselben Problem: Dabei gibt es aber ein Problem. Herr Neumann, hier Den Ländern werden Gegenfinanzierungsmittel für be- (B) kommen Sie mit Freiheit allein nicht raus. sonders exzellente, starke Forschungsbereiche sozusa- (D) (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Mit gen aus der Tasche gezogen; und das fehlt ihnen am Freiheit komme ich aus allem raus!) Ende wieder für die Grundausstattung der Hochschulen. Ich glaube, das ist nicht so ganz der Weg, wie wir zu bes- Die Hochschulen haben heute sehr viele Freiheiten. Das seren Beschäftigungsverhältnissen kommen können. Problem ist: Die Länder müssen durch die erfreulichen Aufwüchse bei der gemeinsamen Forschungsfinanzie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung einen immer größeren Anteil an Komplementärmit- Ich würde Sie dringend bitten, noch einmal über unse- teln einbringen. Diese Mittel fehlen ihnen bei der Grund- ren Vorschlag einer Risikopauschale nachzudenken. Da- finanzierung der Hochschulen. Hier können Sie den rüber könnten wir im Ausschuss im Zusammenhang mit Hochschulen nicht mit Freiheit helfen; was diese viel- der Projektförderung diskutieren. Das Gute ist: Wenn die mehr benötigen, ist ein entsprechender finanzieller Ministerin mehr Geld hat, kann sie sich nicht mehr damit Handlungsspielraum, herausreden, dass kein Geld da ist. Dann sieht man, wo (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie die Prioritäten wirklich setzt. Leider muss man sa- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der gen: Bei den Beschäftigungsverhältnissen und den Per- LINKEN) spektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs setzt sie diese Priorität nicht. Mehr Geld bedeutet nicht auto- um wirklich etwas für die Beschäftigungsverhältnisse zu matisch mehr Erkenntnis. Die Erkenntnis kommt aus tun. den Köpfen. Deswegen müssen wir vor allen Dingen in die guten Köpfe investieren. Da sind Sie uns noch etwas Einen Vorwurf kann man Ihrer Koalition nicht erspa- sch ren. Sie haben weder den Hochschulpakt noch die Auf- uldig. wüchse bei der Forschungsförderung dafür genutzt, um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bessere Perspektiven für den wissenschaftlichen Nach- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der wuchs jenseits der Promotion zu schaffen. Das ist leider LINKEN) so. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das ist Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: neben der Sache!) Michael Kretschmer hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. Die SPD fordert in ihrem Antrag – genau wie wir Grünen in unserem Antrag – vom Bund ein Programm (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15027

(A) Michael Kretschmer (CDU/CSU): Dingen eines nicht: Es gab keine finanzielle Verlässlich- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu- keit für den Wissenschaftsbereich. Finanzielle Verläss- nächst einmal möchte ich auf das hinweisen, was im An- lichkeit ist die Basis für alles. Wenn man Tenure Track trag der SPD steht. Darin steht nämlich sehr Bemerkens- will, dann funktioniert das nur, wenn man einen jungen wertes. Darin steht, dass das Sonderbefristungsrecht im Menschen einstellt und auch eine Stelle hat, die dieser Wissenschaftszeitvertragsgesetz ganz offensichtlich den junge Mensch später einmal besetzen kann. Sie erzeugen Befristungstrend nicht verstärkt hat. Man kommt zu dem den Eindruck, als würde Tenure Track ohne finanzielle Ergebnis, dass die Befristungen in der Qualifizierungs- Basis funktionieren. Das tut es nicht. phase in aller Regel bei zwölf Monaten bleiben und nicht weiter verkürzt werden. Darin steht geschrieben, Herr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kollege Röspel, dass die Grundmittel für die Hochschu- Alles, was wir in diesem Bereich getan haben, ist ein len in den vergangenen Jahren um 12 Prozent und die Beitrag für die Nachwuchsforschung. Die Linken schrei- Drittmittel dank des Bundes um 4,8 Milliarden Euro, ben, dass Geld für die Lehre zweckentfremdet für die also um 71 Prozent, gestiegen sind. Forschung eingesetzt wird. Daran merkt man, wessen Weiterhin loben Sie diese Koalition dafür, dass sie mit Geistes Kind das ist. dem Pakt für Forschung und Innovation sowie mit der (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das sagt doch Exzellenzinitiative für finanzielle Verlässlichkeit sorgt. gar keiner!) Sie sagen zu Recht, dass diese Bundesregierung durch die vorhandenen Pakte und den Aufwuchs in diesem Be- Was ist denn das für ein Wissenschaftssystem, in dem reich der DFG die Möglichkeit gibt, 250 Graduiertenkol- man sagt: Die Lehre findet isoliert von der Forschung legs zu fördern. statt? Beide Bereiche funktionieren nur zusammen. Le- sen Sie das einmal in Ihrem Antrag nach. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: So sachlich sind wir!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie müssen nicht Es gibt außerdem 470 geförderte Nachwuchsgruppen im nur lesen, sondern auch verstehen! Wenn Ih- Emmy-Noether-Programm und vieles mehr. Man muss nen nichts einfällt, dann denken Sie sich nicht sagen, dass nicht alles schlecht gewesen sein kann, wenn einfach etwas aus!) selbst die SPD zu dem Ergebnis kommt, dass wir vieles richtig gemacht haben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Herr Kretschmer, würden Sie eine Zwischenfrage des René Röspel [SPD]: Das sagen wir ja!) (B) Kollegen Rossmann zulassen? (D) Frau Sager, bemerkenswert ist – das ist schon ein di- cker Hund, was Sie hier zum Teil vortragen –, wie Sie Michael Kretschmer (CDU/CSU): ein Zerrbild über die deutsche Wissenschaft verbreiten. Ja, gern. Man muss einmal zu Ende denken, was uns die Kollegin Sitte hier vorträgt. Denn im Endeffekt heißt es doch: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Weg von den befristeten Stellen hin zu Vollzeit- und Festangestellten. Bitte schön. (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er- Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): zählen Sie doch jetzt nicht so einen Unsinn!) Herr Kollege Kretschmer, sosehr wir es schätzen, Was bedeutet das für ein Wissenschaftssystem, das dass Sie die Analyse auf den ersten Seiten unseres An- durchlässig und innovativ sein soll? Ich kann Ihnen das trags so differenziert gelesen haben: Sie könnten doch sagen: Das ist wie in den 70er-Jahren oder wie in der auch differenziert zu den Forderungen Stellung nehmen DDR, und die Frage beantworten, ob es Änderungsbedarf gibt oder nicht, und zwar im Detail und in Bezug auf ganz (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie bestimmte Gruppen von wissenschaftlichem Nach- haben keine Ahnung!) wuchs. So könnten wir das Niveau der Debatte auf der wo es viele Festangestellte und für Neue keine Zugangs- Höhe Ihres differenzierten Einstiegs halten. möglichkeiten von unten gab. Das wollen wir in der Tat nicht. Michael Kretschmer (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- Herr Rossmann, ich bin dankbar für die Frage, weil ruf von der FDP: Keine DDR in Deutschland! – ich länger reden darf. Zunächst einmal muss man sich Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: folgende Frage stellen: Wofür bilden wir eigentlich aus? Sie sollten sich einmal mit der Realität aus- Sie erwecken den Eindruck, dass wir rein für die Wis- einandersetzen!) senschaft ausbilden. Die Menschen, insbesondere die Wissenschaftler, er- (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: innern sich noch sehr gut daran, wie es zu der Zeit war, So ein Quatsch! – Dr. Petra Sitte [DIE als Rot-Grün regiert hat. Da gab es das, was Sie in Ihrem LINKE]: Das hat doch niemand behauptet! Antrag gelobt haben, alles nicht. Da gab es vor allen Langweilig!) 15028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Michael Kretschmer (A) Das ist doch aber nicht die Realität. Die wissenschaftli- erleben, wie in einem Land, nämlich in Nordrhein-West- (C) che Ausbildung dient der Wirtschaft, der Verwaltung, falen, in dem eine Regierung aus CDU und FDP ein vor- den Leuten, die sich selbstständig machen, und dem bildliches Hochschulgesetz und neue Initiativen auf den internationalen Bereich. Deswegen braucht man Flexibi- Weg gebracht hatte, lität. Ohne Flexibilität kann es nicht funktionieren. Na- türlich wollen wir die Situation von Nachwuchswissen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schaftlern verbessern. Deswegen kann und muss man René Röspel [SPD]: Ach, ne! Zu Recht abge- mit den Hochschulen darüber sprechen, wie es anders wählt nach nur fünf Jahren!) ginge. unter der neuen rot-grünen Minderheitsregierung die Damit sind wir beim nächsten Thema. Schauen Sie Verhältnisse zurückgedreht werden. doch einmal, was in Ihren eigenen Bundesländern pas- Wenn wir über Geld für die Hochschulen reden, muss siert: In Brandenburg wird das Geld aus dem Hochschul- man auch darüber sprechen, dass man den Hochschulen pakt, das wirklich dem Nachwuchs in der Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen jetzt durch die Abschaffung der zugutekommen soll, Studienbeiträge eine finanzielle Ressource wegnimmt; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die entsprechenden Mittel werden nicht über den Lan- deshaushalt kompensiert. Das wird zulasten des wissen- unter einer rot-roten Regierung im Finanzministerium schaftlichen Nachwuchses gehen. gebunkert und geht nicht an die Hochschulen. In Thürin- gen sagt der frühere Staatssekretär im BMBF, Herr Wir wünschen uns eine sachliche Debatte Matschie, heute Wissenschaftsminister, in einer Presse- (Zurufe von der SPD: Oh! – Krista Sager mitteilung: „Ich kürze jetzt den Etat des Hochschulbe- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu haben reichs um nur 3 Millionen Euro, weil ich Geld vom Sie aber keinen Beitrag geleistet!) Bund nehme und deshalb nicht so viel kürzen muss.“ Was ist denn das für eine Einstellung! über die Frage, wie der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland weiter gefördert werden kann. Wir wün- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schen uns eine ehrliche Analyse und kein Zerrbild. Es Was für ein Bild zeichnen Sie, wenn Sie uns hier die gibt keinen Grund dafür, den Wissenschaftsstandort Verantwortung zuschieben wollen, aber in den Ländern, Deutschland schlechtzureden. in denen Vertreter Ihrer Parteien Verantwortung tragen, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nichts sagen! Übrigens hat heute auch Kollege Schulz Schönfärberei gilt nicht!) nicht einen Satz zu den Ländern gesagt, nicht einen Satz (B) dazu, dass die Länder bei der Hochschulbildung in der Im Ausland, sei es in der Schweiz oder in Amerika, wo (D) Verantwortung stehen. viele Deutsche sind, wird sehr genau gesehen, was wir hier in Forschung und Entwicklung investieren, dass hier (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Doch, habe ein wirklich interessanter Standort ist und es sich lohnt, ich gesagt!) hierhin zu gehen. Dementsprechend muss man diese Das kann doch nicht sein. Diskussion führen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Die Länder (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) müssen auch über die Finanzen verfügen! Ihr habt die Länder plattgemacht mit eurer Steuer- politik!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Gerdes hat das Wort für die SPD-Fraktion. Wir haben in den vergangenen Jahren – das werden wir auch in Zukunft machen – den Schwerpunkt ganz (Beifall bei der SPD) klar auf Forschung und Wissenschaft gelegt. Wir haben diesen Bereich mit erheblichen Mitteln gestärkt. Jetzt Michael Gerdes (SPD): geht es darum, dass sich auch die Länder ihrer Verant- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die wortung stellen. Rede, die wir gerade gehört haben, war als solches si- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist cherlich nicht der Sache dienlich. doch nur Oberfläche bei Ihnen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Wir haben heute schon gesagt, dass wir in der nächsten Döring [FDP]: Sie war hervorragend!) Zeit über das Wissenschaftsfreiheitsgesetz beraten wol- Daher möchte ich versuchen, einige Aspekte aus unserer len. Das wird keine leichte Aufgabe, denn Freiheit be- Sicht geradezurücken. deutet auch Verantwortung. Diejenigen, die im Deut- schen Bundestag die Verantwortung für Haushalt und Vor genau drei Monaten fand im Schloss Bellevue ein Finanzen tragen, werden ganz genau hinschauen, ob mit Empfang für junge Wissenschaftler statt. Bei dieser Ge- diesem Gesetz Freiheit realisiert werden kann. Ich legenheit verglich unser Bundespräsident Christian denke, das ist möglich; wir wünschen uns ein solches Wulff die Wissenschaft und den Weg zur Professur mit Gesetz. Aber auch da muss man sagen: Es gibt in den einer politischen Ochsentour; das ist schon bemerkens- Ländern alle Möglichkeiten, dies ebenfalls zu tun. Wir wert. Wörtlich sagte er: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15029

Michael Gerdes (A) Man muss für die Sache leben können – auch, weil (Beifall bei der SPD – Tankred Schipanski (C) man oft nicht sicher sein kann, ob und ab wann man [CDU/CSU]: Das gibt es aber auch in anderen von der Sache leben kann. Berufsfeldern!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aus Arbeitgebersicht, konkret aus Sicht von Bund und Ländern, müssen wir nach dem Mehrwert solcher Das sagt eigentlich schon eine ganze Menge aus. Kurzarbeitsverträge fragen. Gerade in der Wissenschaft, Sicherlich geht es in Forschung und Wissenschaft zu- wo es um immer komplizierter werdende Sachverhalte nächst um den reinen Erkenntnisgewinn. Aber die Ge- geht, dürfte allein die Einarbeitungszeit länger sein, als winnung von Erkenntnissen ist für Wissenschaftler kein viele Verträge dauern. Das macht für keine Seite Sinn. Ehrenamt und kein Freiwilligendienst. Es ist in erster Li- Für uns als Gesellschaft sind unzufriedene Wissen- nie ihr Beruf; dafür müssen sie anständig entlohnt wer- schaftler doppelt schlecht: den. Wir von der SPD-Fraktion wollen vor allem, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der auch die jungen Wissenschaftler von ihrem Beruf, von LINKEN) ihrer Arbeit leben können. Sie sollen bereits vor einer möglichen Professur die Chance auf ein sicheres, unbe- Einerseits leidet die Qualität des Wissenschaftsstandorts. fristetes Arbeitsverhältnis erhalten. Andererseits müssen wir auch quantitativ gegen den pro- gnostizierten Mangel an Akademikern ankämpfen. Ich (Zuruf von der CDU/CSU: Bis zur Rente!) erinnere an die jüngste Veröffentlichung der OECD, in der es heißt: Wir wollen unserem wissenschaftlichen Nachwuchs at- traktive Bedingungen und Entwicklungschancen bieten. Deutschlands Beitrag zum weltweiten Pool an Ta- lenten schrumpft rapide. Ich hörte gerade: Bis zur Rente. Der Weg bis zur Rente ist sehr lang. Damit man bis zur Rente kommt, Für uns als SPD ist die Förderung junger Wissen- muss man zunächst eine Einstiegsmöglichkeit haben. schaftler gesellschaftliche Chance und Pflicht zugleich. Wenn wir unseren Wohlstand und unsere Stellung im (Beifall bei der SPD) Wettbewerb halten wollen, brauchen wir kluge Köpfe. Wir brauchen ihre innovativen Ideen. Im Gegenzug müs- Wir wollen nicht, dass eine Karriere in der Wissen- sen wir diesen Menschen aber auch Verlässlichkeit, schaft als übermäßiges Risiko oder gar brotlose Kunst Planbarkeit und Perspektiven bieten. Sie brauchen die eingestuft wird. Deshalb legen wir heute einen umfang- richtigen Anreize, um in Deutschland zu forschen und zu reichen Katalog mit Verbesserungsmaßnahmen vor. lehren. Andernfalls wandern noch mehr von ihnen ins Dazu gehört der grundlegende Aufbau neuer Professu- (B) Ausland ab. (D) ren. Dazu gehört aber auch die Veränderung von Struktu- ren. Hier denke ich an die Einführung von zeitgemäßen Ende August hatte ich gemeinsam mit einigen Kolle- Personalentwicklungsplänen oder die bessere Betreuung gen die Gelegenheit, mit deutschen Nachwuchswissen- und Qualifizierung des Nachwuchses. schaftlern in den USA zu sprechen. (Beifall bei der SPD) (Patrick Meinhardt [FDP]: Daraus nichts ge- lernt!) Mein Kollege Swen Schulz hat dazu bereits einiges auf- gezählt. Die gute Nachricht vorweg: Rund 80 Prozent von ihnen wollen gerne wieder zurück, um in ihrer Heimat zu for- Wer sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln schen. Dennoch bleiben Zweifel: Viele der Rückkehr- muss, kann weder privat noch beruflich planen. willigen fürchten sich vor befristeten Arbeitsverträgen, schlechter Bezahlung, intransparenten Aufstiegschan- (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Ent- cen, zu langen Berufungsverfahren, bürokratischen Hür- schuldigung! Das ist doch auch die Position den sowie vor einer schlechten Vereinbarkeit von Fami- der SPD! Was vertreten Sie für eine Position?) lie und Beruf. Versuchen Sie doch einmal, mit einem befristeten Ar- (Patrick Meinhardt [FDP]: Vollkommen beitsvertrag bei einer Bank ein Darlehen zu bekommen, falsch! Dann waren Sie auf einer anderen Ver- um beispielsweise eine Wohnung einrichten zu können. anstaltung als ich!) Oftmals ist die Planungssicherheit, die gefordert wird, nicht vorhanden. Das demotiviert und macht unzufrie- Ich durfte in den USA viele engagierte und motivierte den, egal in welcher Branche, egal in welchem Beruf. junge Wissenschaftler und Studenten kennenlernen. Ei- nige befanden sich bereits im Zweitstudium. Viele waren (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Das verheiratet und hatten Kinder. Sie wollen auch für ihre passt überhaupt nicht zum SPD-Antrag, was Partner berufliche Perspektiven, für ihre Kinder guten Sie hier sagen!) Krippen und Kindergärten. Natürlich gehören auch gute Besonders schockierend finde ich – Frau Sager hat das schulische Angebote zum Wunschkatalog. gerade angesprochen – Vertragszeiten von einem Jahr oder weniger. Das ist aus sozialer Sicht unverantwortlich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: und widerspricht dem Schutz von Arbeitnehmern, den Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulas- wir uns als Sozialstaat auf die Fahne schreiben. sen? 15030 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

(A) Michael Gerdes (SPD): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Nein, im Moment nicht. der CDU/CSU) Geld ist nicht alles, die Promotion aber im Übrigen Zweitens. Das Problem sind nicht die Forschungsein- auch nicht. Ich denke, beides ist wichtig. Manche sagten richtungen, sondern – das kam hier zwischendurch mir: In Deutschland fehlt es auch an Vertrauen in junge schon zum Vorschein – die Hochschulen. Tatsächlich ha- Menschen und ihre fachlichen Fähigkeiten. Es fiel der ben die Hochschulen landauf, landab – Sie brauchen nur Begriff „Altherrenwirtschaft“. Dieses negative Image den Blätterwald durchzuschauen, um das zu sehen; neu- müssen wir abstreifen. erdings ist es auch in Thüringen so – große Probleme mit der Finanzierung. Hier sind tatsächlich alle Fraktionen, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista insbesondere die in Regierungsverantwortung, gefragt. Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie müssen mit dem Steuergeld – um nichts anderes geht es – so umgehen, dass auch die Länder in die Pflicht ge- Die Fragen und Probleme unserer Gesellschaft wer- nommen werden. Wo das nicht passiert, kann auch der den immer komplexer. Wir brauchen jede noch so junge Bund die Lücke nicht schließen. Idee. Wir müssen den jungen Leuten die Antworten zu- trauen. Dazu müssen wir ihnen Aufgaben mit mehr Ver- (René Röspel [SPD]: Aber man darf den Län- antwortung geben und sie längerfristig und zielgerichtet dern nicht Geld wegnehmen! – Gegenruf des in das Wissenschaftssystem integrieren. So wie bei der Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ma- GAIN-Veranstaltung in den USA sollten wir die Chance chen wir ja nicht!) nutzen, um mit unseren jungen Wissenschaftlern auf der – Wissen Sie, das ist ein weites Feld. Da kommen wir ganzen Welt in Kontakt zu treten. Für die deutsche Wis- zum Beispiel zu der Frage von Steuersenkungen. senschaft, aber auch für die Industrie liegt hier viel Wis- senskapital, viel junges Wissen. Unsere Wissenschaft (René Röspel [SPD]: Gute Frage!) braucht nicht nur die etablierten, zumeist männlichen Professoren. Unsere Wissenschaft muss sich öffnen für Es ist, wie bei Fontane nachzulesen ist, ein zu weites die jüngeren Forscher, insbesondere auch für die weibli- Feld, Luise. chen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Herzlichen Dank. Der hat über Steuersenkungen nichts gesagt!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Bleiben wir bei dem, was wir beeinflussen können. Sitte [DIE LINKE] und Krista Sager [BÜND- Diese Schere zu schließen, ist schwierig. Deswegen soll- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]) ten wir uns auf das Machbare konzentrieren. Das ist (D) auch der Auftrag von vielen Forschungseinrichtungen, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: die mich sozusagen nach Berlin geschickt haben und Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Röhlinger für die mich noch heute begleiten. Sie sagen: Finanziell sind wir FDP-Fraktion. gut ausgestattet, aber uns stören die Reglementierungen, auch die hinsichtlich der Personalpolitik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Peter Röhlinger (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Gebt uns Freiheit – auch an den Hochschulen –, damit Kollegen! Wie Sie sehen, habe ich nur vier Minuten Re- wir das Geld im Interesse der Forschungseinrichtungen dezeit. Ich lasse mein Manuskript beiseite. – und auch der Hochschulen – so einsetzen können, wie wir es für richtig halten. (René Röspel [SPD]: Dann wird es länger!) Auf die Hochschulen – das muss ich sagen – haben Das Wichtigste wurde gesagt, aber noch nicht von je- wir nur einen begrenzten Einfluss. Aber hinsichtlich der dem. Deswegen konzentriere ich mich auf einige wenige Forschungseinrichtungen sollten wir uns alle Mühe ge- Dinge, die wir schon gehört haben. ben. Wir setzen – das haben Herr Rupprecht und andere schon angesprochen – auf das Wissenschaftsfreiheitsge- Erstens. Ich habe mit Wissenschaftlern gesprochen, setz. die aus den Vereinigten Staaten nach Jena oder zum Bei- spiel auch nach Tübingen gekommen sind. Sie haben (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mir genau das gesagt, was auch Sie ausgeführt haben: Eben nicht! Wann kommt denn der Entwurf? – Geld ist nicht alles. Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie lange braucht denn das noch?) (René Röspel [SPD]: Eben!) Wir gehen davon aus, dass wir uns da in einem gewissen In den USA hätten die mich vergoldet, aber die Arbeit Umfang bewegen können. Die Grenzen werden uns die macht in den Einrichtungen in Tübingen und in Jena Haushälter aufzeigen. Inhaltlich liegen wir schon nah mehr Spaß. – Das heißt, über die Finanzausstattung hi- beieinander, aber die Haushälter werden uns als Vertreter naus genießen wir international einen guten Ruf; diesen der Steuerzahler an einigen Stellen nicht alle Wünsche sollten wir ausbauen. erfüllen können. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15031

Dr. Peter Röhlinger (A) Noch ein Wort zu Ihnen, Frau Sitte. Sie haben mich gen, und dann wird Kritik geäußert, zum Beispiel im (C) angesprochen, als Sie über das akademische Proletariat Hinblick auf die Unzufriedenheit der Betroffenen. Das gesprochen haben. ist völlig legitim; denn bei gesetzlichen Regelungen geht es darum, ordentliche Bedingungen zu schaffen. Man (Zuruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) darf aber nicht vergessen – dies wird aber oft vergessen Ich bin von Beruf Tierarzt. Tatsächlich waren die Tier- und fließt nicht in die Betrachtung ein –, auch die Sicht ärzte zu DDR-Zeiten die Proletarier unter den Akademi- der Hochschulen zu berücksichtigen. Sie ist genauso kern. Ich habe das nie als eine Schande empfunden, son- wichtig. dern war einigermaßen stolz darauf. Denn Sie wissen: ( [Schwandorf] [SPD]: Ja!) „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Alle wollen Spitzenleistungen, und Deutschland (Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordne- braucht sie. Wir befinden uns in einem internationalen ten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann Wettbewerb. [DIE LINKE]: Aber nicht mit der FDP!) (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Rich- Wir waren in guter Gesellschaft. Insofern ist es aus unse- tig!) rer Sicht eine nette Ergänzung und Erinnerung. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Insofern brauchen die Hochschulen vernünftige Bedin- gungen. Gerade in diesem Bereich sind geeignete, leicht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) handhabbare und rechtssichere Bestimmungen erforder- lich. Dies ist ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Ich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: glaube, hier hat Deutschland noch eine Menge zu tun. Die Landesministerin Professorin Dr. Johanna Wanka (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hat das Wort. Nun zu der ersten Gruppe, also zu denjenigen, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- promovieren oder sich in der Postdoc-Phase befinden. neten der FDP) Die HIS-Evaluation – sie wurde vonseiten der SPD schon angesprochen – kam zu dem Ergebnis, dass die Dr. Johanna Wanka, Ministerin (Niedersachsen): Arbeitgeber mit den rechtlichen Grundlagen der Arbeits- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und verhältnisse bzw. mit der Befristung bestens zurecht- Herren! Natürlich sind die Länder die Arbeitgeber der kommen. Genauso interessant an den Ergebnissen der meisten wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Hoch- HIS-Untersuchung ist, dass 90 Prozent der Befragten, schulen. Deswegen freue ich mich, dass ich hier als Lan- die einer dieser Kategorien angehören, zufrieden sind, (B) desministerin zu diesem Thema etwas sagen kann. Wir wenn ihnen die Zeit, die sie befristet tätig sind, tatsäch- (D) haben, wie zum Beispiel gestern Abend im Rahmen der lich für die Erbringung wissenschaftlicher Leistungen Helmholtz-Veranstaltung – Gott sei Dank auch noch an zur Verfügung steht. Ich wiederhole: 90 Prozent. vielen anderen Stellen –, die Möglichkeit, exzellente wissenschaftliche Leistungen auszuzeichnen. Jedem ist (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, richtig! klar, dass vorn in der Regel der Professor steht, dass aber Wenn!) diese Leistungen nur durch die intensive Arbeit des wis- – Das habe ich gesagt. senschaftlichen Nachwuches möglich sind. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir unter- In den letzten zehn Jahren verstand man unter wissen- streichen das ja nur noch mal!) schaftlichem Nachwuchs in der Regel diejenigen, die promovieren oder sich in der Postdoc-Phase befinden. – Auch ich unterstreiche gleich etwas, das Sie gesagt ha- ben. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja!) Erst einmal zu Frau Sitte. Sie sprach von einer Ordi- In zunehmendem Maße haben wir es mittlerweile aller- narienuniversität und von Hofstaatsdenken; der eine dings auch mit Projektmitarbeitern zu tun. Dass diese oder andere Wissenschaftler darf so etwas sagen. Ich Entwicklung im vorliegenden Antrag berücksichtigt habe Sie immer dafür geschätzt, dass Sie an den Hoch- wird, finde ich sehr gut. Wir müssen unser Augenmerk schulen sehr nah dran sind und die Verhältnisse kennen. nämlich auch auf diese Gruppe richten. Die Veränderungen, die in den letzten Jahren an den (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Hochschulen vorgenommen wurden – ein Beispiel sind [SPD]) die strukturierten Promotionsphasen –, sollte man aber nicht mit solchen Vokabeln belegen. Wir haben nicht Ich gehe davon aus, dass man bei der Bewertung zwi- mehr die Universitäten von vor sieben Jahren. Es ist schen diesen zwei großen Kategorien trennen muss. Die Grundlegendes geändert worden. Selbsteinschätzung derjenigen, die einer dieser Katego- rien angehören, ist sehr unterschiedlich. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist ein strukturelles Problem!) (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Ja!) – Nein, das ist nicht nur ein strukturelles Problem. Viel- Wenn man den Antrag liest und sich vor Augen hält, wo- mehr besteht das Problem auch darin, wie man über die von in der Öffentlichkeit oft die Rede ist – Stichwort Universitäten redet. „Drittmittelkarrieren“ –, dann stellt man fest: Es wird immer von Einzelfällen oder kleinen Gruppen ausgegan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 15032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Ministerin Dr. Johanna Wanka (Niedersachsen) (A) Ich möchte niemandem Ratschläge erteilen, schon gar An die Hochschulen ist die Forderung zu richten – da- (C) nicht in diesem Hohen Haus. Aber ich finde, es ist für für müssen wir uns wirklich engagieren; dies tun wir aus den Wissenschaftsstandort Deutschland wichtig, dass der Sicht der Landesregierung –, die Regelungen nicht wir kritisch hinterfragen, wo Veränderungen notwendig zulasten der jungen Leute anzuwenden. Bei Projektzeit- sind; das gehört dazu. Hierzu sind finanzielle und andere räumen von drei Jahren gibt es keinen Grund, beispiels- Anstrengungen notwendig. Wir müssen aber auch zur weise Halbjahresverträge abzuschließen. Kenntnis nehmen, wo wir im internationalen Maßstab stehen, was unser Hochschulsystem und seine Leis- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie tungsfähigkeit betrifft. Hier geht es nicht nur um irgend- bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) welche komischen Rankings von Platz 1 bis Platz 100, Für diesen Missstand ist nicht der rechtliche Rahmen sondern auch um ganz andere Kriterien. Unsere Wissen- verantwortlich, sondern die Art und Weise, wie dies schaftler müssen sich nicht verstecken. Ich finde es sehr praktiziert wird. gut, wenn die Politik dies honoriert. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Natürlich wünscht sich jeder für sich selbst ein unbe- FDP) fristetes Arbeitsverhältnis; das ist völlig klar und lo- Wir haben hier gehört, dass Befristungen ganz gisch. Aber wenn man Ihrer Philosophie folgt, nämlich schlimm sind. Sie wurden gegeißelt. Seit wann gibt es einer weitestgehenden Ausweitung der unbefristeten Ar- denn diese Regelungen? Es gibt sie seit dem Jahr 2002, beitsverhältnisse aus sozialen Gründen, dann ist das viel- seit der 5. HRG-Novelle, leicht für diejenigen sozial, die jetzt in den Genuss einer Stelle kommen. Aber was ist mit den Tausenden, die vor (René Röspel [SPD]: Vorher gab es auch den Toren stehen und in den nächsten Jahren in den aka- schon Befristungen!) demischen Bereich wollen, wenn auch nur temporär? Sie alle werden daran gehindert. Das ist ein Punkt, der über- in der dieser gesamte Bereich geregelt wurde. Das war haupt nicht sozial ist und der die Chancen Deutschlands zu Zeiten von Frau Bulmahn und zu Zeiten von Rot- in den nächsten Jahren beeinträchtigt. Grün. Auch die Tarifsperre, die hier gegeißelt wurde, war schon in dieser HRG-Novelle enthalten. Sie ist also (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nichts Neues. Wir nehmen jetzt eine kritische Überprü- Man kann Wissenschaft nicht ohne Wettbewerb be- fung vor und nutzen dabei die Erfahrungen der letzten treiben; das ist völlig klar. Ein Wettbewerb muss mög- Jahre. Aber das ist keine Idee dieser Bundesregierung. lich sein. Das drückt sich dann in Professorenstellen Das haben Sie eingeführt. (B) oder in rechtlichen Bedingungen aus. (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hier wurde eine Bemerkung zur OECD-Studie ge- Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber man macht. Darauf reagiere ich immer ein bisschen aller- kann doch dazulernen, Frau Wanka! Was sa- gisch, wenn Kritik von der falschen Seite kommt. In der gen Sie denn dazu? – Kai Gehring [BÜND- letzten OECD-Studie ist bilanziert worden, wie Deutsch- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie waren da- land bei der Finanzierung von Hochschulen aufgestellt mals doch dabei! Die Tarifsperre hat doch die ist. Schauen Sie sich einmal an, wie wir im Hochschul- Große Koalition eingeführt!) bereich finanzieren. In der Studie steht eindeutig, dass wir die öffentlichen Ausgaben, also von Bund und Län- – Lassen Sie mich ausreden. dern, in diesem Bereich in den letzten Jahren überpro- Weil sich viele Veränderungen, die damals vorgenom- portional gesteigert haben. Die Kosten pro Student men wurden, bewährt haben, sind sie jetzt auch im Wis- – diese haben Auswirkungen darauf, wie viele Leute senschaftszeitvertragsgesetz zu finden. Ich denke, Sie man dann einstellen kann – liegen bei rund 15 000 Euro, sollten die gute Tat, die Sie an dieser Stelle vollbracht das heißt 2 000 Euro über dem OECD-Durchschnitt. haben, nicht schlechtreden. Man muss natürlich alles Wissen Sie, warum die Zahlen in anderen Ländern überdenken. Zum Beispiel gab es damals noch keine Re- zum Teil sehr gut sind? Weil nicht nur die öffentlichen, gelungen zu Befristungen und Kinderzeiten. Jetzt ist sondern auch die privaten Ausgaben einbezogen werden. nach dem Gesetz pro Kind eine zweijährige Verlänge- Großbritannien erhöht die Studiengebühren, und da- rung der Befristung möglich. Das ist in unser aller Sinn durch gehen dort die Leistungen hoch. Deutschland hat und eine vernünftige Änderung. seine Ausgaben im öffentlichen Bereich überproportio- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nal gesteigert. Deswegen kann das Ganze keine Kata- strophe sein, auch was die Beschäftigungsverhältnisse in Der wesentlich kritischere Bereich sind die Drittmit- diesem System betrifft. telkarrieren. Dazu muss man sagen, dass hier die Zufrie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) denheit in keiner Weise so hoch ist wie bei den Promo- venden und Postdocs, sondern dass es eine große Wenn Sie erlauben, möchte ich zum Schluss noch Unzufriedenheit gibt, und zwar vor dem Hintergrund der zwei Bemerkungen machen. Wir haben seit 2006 – dies Tatsache, dass man nur schlecht planen kann – das gilt war auch durch den Hochschulpakt möglich, wodurch auch für die persönliche Planung –, wenn man auf Dauer frisches Geld in bestimmten Größenordnungen in das immer nur befristete Arbeitsverträge hat. System gekommen ist – den Anteil der unbefristeten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15033

Ministerin Dr. Johanna Wanka (Niedersachsen) (A) hauptamtlichen wissenschaftlichen Beschäftigungen in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) einem Maße ausgedehnt, wie es vorher nie möglich ge- Das Wort hat der Kollege René Röspel für die SPD- wesen ist. Das mag vielleicht nicht ausreichend sein, und Fraktion wir können noch mehr erreichen. Aber das ist auf jeden Fall passiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nun zu der Problematik der Juniorprofessuren. Ich René Röspel (SPD): habe Frau Bulmahn von Anfang an unterstützt, weil ich dieses Vorgehen für richtig halte. Das Ganze ist eine Er- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und folgsgeschichte; denn viele kommen in feste Beschäfti- Herren! Frau Wanka, ich darf Ihnen für eine doch über- gungsverhältnisse. wiegend differenzierte Darstellung und Abarbeitung des Problems danken, die ich als wohltuend empfunden (Beifall bei Abgeordneten der SPD) habe. Diesen Dank will ich aber mit einer Klage bezüg- lich einiger Koalitionsredner verbinden, bei deren Bei- Unter anderem auch durch das Professorinnenprogramm trägen ich diese Differenziertheit und auch Souveränität des Bundes konnten wesentlich mehr Frauen als sonst leider vermissen musste. Zugang zu diesem Bereich bekommen. Hier sind die Hochschulen vor allen Dingen sehr stark mental gefor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dert; denn sie engagieren sich nicht immer ausreichend des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in diesen Bereichen. Das ist keine Frage des Geldes und auch nicht unbedingt von Agitation und Propaganda, Die Forschungs- und Bildungspolitik des Bundes wohl aber eine Frage von Überzeugungsarbeit in dem fängt nicht 2005 mit der Großen Koalition an. Wenn Sie Bereich. noch weiter zurückschauen wollen, dann empfehle ich Ihnen einen Blick in das EFI-Gutachten des letzten Jah- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) res, das eine aussagekräftige Tabelle enthält, die bis in die 80er-Jahre hinein zurückreicht und in der dargestellt Sehr geehrte Frau Sager, ich bin voll auf Ihrer Seite, wird, wie sich der Anteil der öffentlichen Investitionen dass es dann, wenn der Bund Mittel zur Verfügung stellt in der Forschung entwickelt hat. Hier erhält man ein paar – vorher muss mit uns besprochen worden sein, dass das Daten, nämlich zum Beispiel, dass nach einer Lethargie Projekt vernünftig ist –, zusätzlich eine Komplementär- im Bildungs- und Forschungsbereich – unter anderem finanzierung durch die Länder gibt. Mir steht es hier al- verursacht von Herrn Rüttgers und Herrn Kohl – Rot- lerdings nicht zu, Beispiele zu nennen, Grün ab 1998 nicht nur endlich wieder Geld für Bildung (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: und Forschung in die Hand genommen, sondern gesell- (B) Doch!) schaftlich auch einen anderen Stellenwert von Bildung (D) und Forschung auf den Weg gebracht hat, was noch viel auch wenn ich gerade ein Beispiel vor Augen habe. Ihre wichtiger ist. Forderung ist aber prinzipiell richtig. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Ich würde alle hier darum bitten – ich spreche hier als [SPD]) niedersächsische Ministerin und habe keinen Grund, an- dere Kollegen zu bewerten –, einmal in die Pläne zu Wir danken Ihnen ausdrücklich, dass das durch schauen, um herauszufinden, wie die Kofinanzierung in Schwarz-Rot im Rahmen der Großen Koalition fortge- den einzelnen Bundesländern gesichert ist und was mit setzt wurde und auch jetzt in dieser Koalition fortgesetzt den Mitteln aus dem Hochschulpakt geschieht. Das ist wird. Das ist unser Lob an Sie, das wir im Antrag in Tei- nämlich sehr unterschiedlich. In Niedersachsen haben len auch dokumentiert haben und das Sie, Herr wir alles on top: Kofinanzierung, Exzellenzinitiative, Kretschmer, zu Recht vorgelesen haben. Wir finden das Hochschulpakt etc. Dies alles und sogar die Spitzabrech- in vielen Teilen ja auch gut. nung der ersten Phase sind gesichert. Man muss auch feststellen, dass wir mit dem Pakt für Ich freue mich darüber, dass ich hier die Möglichkeit Forschung und Innovation, durch den wir den For- hatte, zu sprechen. Ich finde es auch sehr anregend, schungseinrichtungen Geld für die nächsten Jahre ver- wenn Sie darüber diskutieren, wie man die Anzahl der lässlich zusichern – es sei übrigens gesagt, dass das eine Freiheitsgrade im Bereich der außeruniversitären For- sozialdemokratische Erfindung ist –, und mit dem Hoch- schungseinrichtungen erhöhen kann. Diese Aufgabe ha- schulpakt, durch den wir Studienplätze finanzieren, ben wir ja wirklich gemeinsam zu bewältigen. Ich wirklich Geld in die Hand genommen haben. So konnte glaube, dort sind wir ein Stück weit hinter dem, was bei sich die Forschungslandschaft entwickeln. Das sieht den Hochschulen möglich ist, zurück. man auch von außen. Die Amerikaner gucken mittler- weile vielleicht sogar neidisch auf die Entwicklung in Deswegen würde ich mich freuen, wenn man sich hier Deutschland und sagen: Da tut sich etwas. – Das stellen in diesem Hause gemeinsam mit uns um diese Probleme ja auch die deutschen Wissenschaftler fest, die in den kümmern würde, weil ich glaube, dass wir hierdurch das USA arbeiten. Man kann auch davon sprechen, dass die deutsche Wissenschaftssystem wirklich entscheidend Universitäten wirklich sichtbarer geworden sind und verbessern könnten. Das ist keine Frage des Geldes. dass diese Forschungslandschaft belebt worden ist. Danke schön. Wir können über Zuwächse und auch über Stellenan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) teile reden. Herr Rupprecht, das haben Sie richtig zitiert. 15034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

René Röspel (A) Das Problem ist aber, dass Forschungslandschaft nicht dium das erste Mal ein bisschen Geld zu verdienen, in (C) bedeutet, dass irgendwo Bäume oder neu gestrichene einer schwierigen Situation; denn mit 40 Jahren fragen Universitäten herumstehen, sondern es geht um Men- sie sich: Wie geht es nun weiter? schen. Der Deutsche Hochschulverband hat in einer Stel- (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann lungnahme Anfang des Jahres erklärt, dass die wissen- [SPD]) schaftliche Karriere in Deutschland leider weniger von der eigenen Leistung als von der Haushaltslage abhängt. Wir haben Geld zur Verfügung gestellt, damit Men- Wenn jemand mit 28 Jahren sein Studium abschließt, schen wissenschaftliche Karrieren beginnen können. Mit eine wissenschaftliche Karriere anstrebt und auch eine dieser Förderung haben wir noch viel früher angesetzt. freie Stelle findet, dann weiß er nicht, was nach der Pro- Ich bin Mitglied des AWO-Unterbezirks Ennepe-Ruhr, motion sein wird. Er kann sich möglicherweise in einer und ich werde in zwei Wochen wieder das Vergnügen Situation wiederfinden, in der er nicht weiterkommt. Ge- haben, einen unserer Kindergärten zum „Haus der klei- nau das ist das Spannungsfeld, innerhalb dessen sich das nen Forscher“ ernennen zu können. Das heißt, wir fan- Wissenschaftszeitvertragsgesetz bewegt. gen ganz früh damit an, Kinder für die wissenschaftliche Arbeit und für Experimente zu interessieren und sie für Frau Wanka, es gab auch eine Zeit vor 2002. Damals die Forschung zu begeistern. Das setzen wir in der gab es keine Familienregelung, nach der sich die befris- Schule fort, und auch an den Universitäten versuchen teten Verträge mit der Zahl der Kinder verlängern ließen. wir, das fortzusetzen; denn sie sind die Ausbildungszent- Es gab die Möglichkeit, über einen Arbeitgeberwechsel ren für Wissenschaft und Forschung – übrigens in Län- Befristungen neu starten zu lassen. Das heißt, man derhoheit, Frau Wanka. konnte sich von einem Fünfjahresvertrag zum nächsten hangeln, wenn man einen neuen Arbeitgeber, sprich: ein Geld ist hier ganz wichtig, aber das ist nur eine Kom- neues Institut an der Universität, fand. Auch das war ponente. Wenn wir Menschen für Forschung begeistern nicht gut. Dieses Spannungsverhältnis müssen wir auflö- wollen, dann müssen wir ihnen auch eine Perspektive sen. geben. Deswegen bin ich Swen Schulz und den vielen anderen sehr dankbar dafür, dass sie diesen Antrag ge- Dazu hat die SPD schon einige Vorschläge wie Ten- schrieben haben. Wir müssen uns wieder darauf fokus- ure Track vorgelegt: Wenn jemand als wissenschaftli- sieren, um was es tatsächlich geht. cher Mitarbeiter gut ist, dann wird ihm zum Beispiel eine Festanstellung als Professor oder Professorin ange- (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann boten. Wir fordern deutlich mehr Juniorprofessuren. (B) [SPD]) Aber wir werden auch darüber reden, inwieweit die Län- (D) Es gibt begeisterte Menschen, die nach dem Studium der durch die Programmpauschale belastet werden. sagen: Ja, ich will ein paar Jahre forschen und promovie- Am Kernproblem kommen wir jedoch nicht vorbei. ren. – Sie sind sogar bereit, unter wirklich fürchterlichen Bund und Länder sind hier gemeinsam gefordert, eigene Arbeitsbedingungen und für wenig Geld drei, vier oder Interessen oder Befindlichkeiten aufzugeben. Die zen- fünf Jahre zu arbeiten, ihre Dissertation zu erstellen und trale Ausbildungsstelle für Wissenschaft sind die Uni- etwas Neues herauszufinden. Dabei nehmen sie hin, dass versitäten. Wenn wir als Bund Geld geben, wir aber se- ihre Arbeitsbedingungen so schlecht sind. Das nehmen hen, dass die Länder zunehmend nicht mehr in der Lage sie vielleicht noch für eine weitere befristete Zeit von sind – ich will jetzt nicht von der Steuerpolitik dieser drei Jahren hin, in denen sie Geldbeträge erhalten, von Koalition reden –, ihren Anteil zu leisten, dann können denen man keine Familie ernähren und sich auch keine wir die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses – Lebensperspektive aufbauen kann. Trotzdem sind sie es geht darum, mehr unbefristete Stellen an den Univer- dazu bereit. sitäten zu schaffen – nicht weiter verbessern. Deswegen Auf der anderen Seite – das haben Sie in Teilen ange- appelliere ich an Bund und Länder, die eigenen Interes- sprochen, Frau Wanka – gibt es die Perspektive der sen zurückzustellen, sich die Interessen des wissen- Hochschulen und auch der außeruniversitären For- schaftlichen Nachwuchses anzuschauen und gemeinsam schungseinrichtungen bis hin zum Max-Planck-Institut, mit Geld in der Hand für mehr unbefristete Stellen zu die sagen: Wir brauchen einen relativ hohen Durchlauf sorgen. an Wissenschaftlern, die wir nicht länger als drei Jahre Vielen Dank. beschäftigen, um dann aus der großen Vielzahl denjeni- gen aussuchen zu können, der am besten dazu geeignet (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ist, weiterzumachen oder sogar Hochschulprofessor zu DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der werden. LINKEN) Das ist ein Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite steht das Interesse der Hochschulen, Innovationen zu Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: fördern, viele Projekte durchzuführen, viele Menschen Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski für die einzustellen. Auf der anderen Seite befinden sich die Fraktion der CDU/CSU. jungen Menschen, die bereit sind, sich in der Wissen- schaft zu engagieren, und die sich freuen, nach dem Stu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15035

(A) Tankred Schipanski (CDU/CSU): dass Sie das erkannt haben, liebe Kollegen der Opposi- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die tion. Wir nehmen aber eine andere Bewertung vor und SPD hat immer ein gutes Händchen für Öffentlichkeits- ziehen andere Schlussfolgerungen. Die Doktorandenaus- arbeit. Von daher findet die Debatte zum Thema wissen- bildung ist gut strukturiert – man schaue sich die Promo- schaftlicher Nachwuchs zur Primetime statt. Dafür vie- tions- bzw. die Graduiertenkollegs an –, und das fördert len Dank! primär der Bund. An den Universitäten gilt es jetzt, nachzuziehen. Der Bund hat hierfür einen sehr guten Das bietet natürlich auch der Linken die Möglichkeit, Weg bereitet. Ihren Vorschlag, das Recht der Promotion hier noch einmal den Inhalt ihres populistischen Antrags auf Fachhochschulen auszuweiten, halte ich für nicht vorzutragen und ihre Kampfparolen zu verkünden. sinnvoll. Gut wären engere Kooperationen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das muss doch Die Splittung von Mitarbeiterstellen wurde angespro- nicht sein!) chen, Stichwort „zu kurze Befristungen“. Dem müssen – Doch, Frau Dr. Sitte. – Dass Sie sich auf den Beitrag wir in der Tat entgegenwirken. Das ist nicht nur ein Pro- von Herrn Hirschi in der FA Z beziehen, ist schön und blem mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, sondern zeigt, dass Sie nicht nur das Neue Deutschland lesen, es kommt auch auf die Umsetzung in den Universitäten sondern eben auch die FA Z. Dass Sie sich der Forderung – das hat Frau Ministerin Wanka richtig dargestellt – an. anschließen, die Lehrstühle an deutschen Universitäten Sollte es da Probleme geben, sind wir die Letzten, die abzuschaffen, ist ein bisschen gewagt. sich da nicht heranwagen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das habe ich Blicken wir auf die Postdoc-Phase. Hier wurde heute gar nicht gefordert!) schon oft gesagt: Den Karrierewegen mangelt es an Planbarkeit. Das liegt zum einen an der Personalstruktur Das werden wir in unserem Antrag, den wir vorbereiten und zum anderen an einem gewissen Abhängigkeitsver- – Kollege Rupprecht hat das dargestellt –, nicht tun. hältnis. Verehrte Kollegen der SPD, da hilft es nichts, Die Kollegen der Opposition sind bei der Erstellung zusätzliche Professorenstellen zu fordern oder ganz viele von Anträgen zwar sehr schnell, aber es kommt auf den unbefristete Arbeitsverhältnisse, die anscheinend vom Inhalt an. Weil wir unseren Antrag zum wissenschaftli- Himmel fallen sollen. Ihre Forderung ist wie ein Weih- chen Nachwuchs gut vorbereiten und ihn mit allen rele- nachtswunschzettel, gepaart mit sozialdemokratischer vanten Playern abstimmen möchten, wird er – ohne Ef- Gießkannenpolitik. fekthascherei mit Blick auf das Wintersemester – erst in (Widerspruch bei der SPD) Kürze kommen. (B) Selbstständig forschen ist nicht gleichbedeutend mit (D) Wir benutzen auch eine andere Rhetorik. Sie fordern unbefristet beschäftigt sein. Selbstständig forschen und ja, eine Personaloffensive zu starten oder – auch das lehren kann nicht nur ein Professor. Das können auch wurde heute wieder verlangt – einen Hochschulpakt Plus Postdoktoranden, die eine wissenschaftliche Karriere einzuführen. Das wird nur noch von den Grünen getoppt, machen möchten. Unser Ziel ist es, diesen möglichst die uns die Zukunft in den düstersten Farben malen und frühzeitig Selbstständigkeit zu geben und sich ein eige- einen Hochschulpakt-Notfallplan fordern. Hier hilft kein nes Profil in der Forschung und in der Lehre – den Be- Populismus und auch keine Schwarzmalerei. Es helfen reich Lehre vermisst man in Ihrem Antrag völlig – auf- auch keine bunten Sammlungen an politischen Wün- zubauen. schen, die Sie uns heute hier vorgetragen haben. Vor al- len Dingen tun Sie dies ohne sinnvolle Finanzierungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vorschläge und ohne Beachtung der föderalen Struktur Das tun wir bereits: mit dem Heisenberg-Programm, mit in unserer Republik, mit der festgelegt ist, wofür die dem Emmy-Noether-Programm, mit weiteren guten Pro- Länder und wofür der Bund zuständig sind. grammen, die allesamt vom Bund finanziert werden. Das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sind Impulse, die es aufzugreifen gilt. Die Kollegen der Opposition haben auf die HIS-Stu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die zurückgegriffen. Wenn man dies tut, dann sollte man neten der FDP) die ganze Wahrheit darstellen. In der HIS-Studie wird Wir wollen nicht zurück zum alten System der Aka- eine durchaus positive Einschätzung der wissenschaftli- demischen Räte. Qualität von Forschung und Lehre ver- chen Karrieren vorgenommen. Es wird gezeigt, dass die bessert sich nicht durch Dauerstellen, sondern durch Nachwuchswissenschaftler mit zeitlichen Rahmenbedin- Wettbewerb. gungen und mit der Arbeitsorganisation zufrieden sind. Sie haben Zeit für ihr Privatleben und profitieren von Fa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) milienfreundlichkeit. An meiner Heimatuniversität, der TU Ilmenau, gibt es extra Kinderkrippen und Kindergär- Das heißt nicht, dass wir auf Dauerstellen im System ten. Anscheinend ist die Tätigkeit an der Universität eine ganz verzichten wollen; sie muss es in einer begrenzten Phase, in der junge Leute eine Familie gründen. Es ist Anzahl geben. Planungssicherheit und Karrierewege er- von Vorteil, dass unser System so viel Flexibilität bietet. öffnen sich den Nachwuchswissenschaftlern durch Ziel- vereinbarungen und durch konkrete Bedingungen, die Zwei Problemfelder gibt es in der Tat: die Betreuung sie erfüllen müssen, um an einer Hochschule dauerhaft von Doktoranden und die Planbarkeit der Karriere. Gut, unterrichten zu dürfen. 15036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Tankred Schipanski (A) Befristete Arbeitsstellen gibt es doch nicht nur im Albanien zur Vermeidung der Doppelbesteue- (C) Wissenschaftsbereich – Sie zeichnen hier ein Biotop auf, rung und der Steuerverkürzung auf dem Ge- das es gar nicht gibt –; vielmehr sind befristete Arbeits- biet der Steuern vom Einkommen und vom stellen in unserer heutigen Zeit eine völlig normale Sa- Vermögen che. Wir sollten angesichts der Personalstruktur lernen, stärker zu differenzieren. Wenn Sie in Ihrem Antrag stär- – Drucksache 17/6613 – ker differenziert hätten, dann hätten wir uns damit diffe- Überweisungsvorschlag: renzierter auseinandersetzen können. Finanzausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- Herr Kollege. tokoll vom 29. Dezember 2010 zur Änderung des Abkommens vom 24. August 2000 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und Tankred Schipanski (CDU/CSU): der Republik Österreich zur Vermeidung der Frau Präsidentin, ich habe gesehen, dass die Lampe Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steu- leuchtet. ern vom Einkommen und vom Vermögen

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: – Drucksache 17/6614 – Schon seit einiger Zeit. Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Tankred Schipanski (CDU/CSU): d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Lassen Sie mich abschließend auf die Einleitung der gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur HIS-Studie verweisen. Bereits Max Weber stellte in sei- Änderung des Agrarstatistikgesetzes nem Werk „Wissenschaft als Beruf“ aus dem Jahre 1919 – Drucksache 17/6642 – fest: „Das akademische Leben ist … ein wilder Hazard.“ Überweisungsvorschlag: Das war 1919! Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Innenausschuss Herr Kollege. e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), Volker Tankred Schipanski (CDU/CSU): Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der (B) (D) 2011 ist das anders. Ich hoffe, dass wir hier in diesem Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hohen Hause für unseren akademischen Nachwuchs Namen von Bundeswehrkasernen überprüfen eine gute Zukunft in der Bildungsrepublik initiieren. – Drucksache 17/6495 – Vielen Dank. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verteidigungsausschuss f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sören Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weiterer Ich schließe die Aussprache. Abgeordneter und der Fraktion der SPD Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Klimagerechte Stadtpolitik – Potentiale nut- den Drucksachen 17/6336 und 17/6488 an die Aus- zen, soziale Gerechtigkeit garantieren, wirt- schüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung fin- schaftliche Entwicklung unterstützen den. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. – Drucksache 17/7023 – Überweisungsvorschlag: Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 34 a bis g auf: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Rechtsausschuss gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Finanzausschuss Änderung des Gräbergesetzes Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Drucksache 17/6207 – Haushaltsausschuss Überweisungsvorschlag: g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Sabine Stüber, Innenausschuss Rechtsausschuss weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Ausschuss für Kultur und Medien LINKE b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- zu dem Vorschlag der Europäischen Kommis- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- sion für eine Richtlinie des Europäischen Par- kommen vom 6. April 2010 zwischen der Bun- laments und des Rates zur Schaffung eines desrepublik Deutschland und der Republik Ordnungsrahmens für den Bodenschutz und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15037

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG Tagesordnungspunkt 35 b: (C) (KOM [2006] 232 endg.; Ratsdok 1388/06) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes ges gemäß Artikel 23 Absatz 3 des zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des und des Personenbeförderungsgesetzes Gesetzes über die Zusammenarbeit von – Drucksache 17/6262 – Bundesregierung und Deutschem Bun- destag in Angelegenheiten der Europäi- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- schen Union ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Aus- schuss) Bodenschutz europaweit stärken – Drucksache 17/7058 – – Drucksache 17/7024 – Überweisungsvorschlag: Berichterstattung: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Abgeordnete Kirsten Lühmann Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Es handelt sich dabei um Überweisungen im verein- Drucksache 17/7058, den Gesetzentwurf der Bundesre- fachten Verfahren ohne Debatte. gierung auf Drucksache 17/6262 in der Ausschussfas- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Fall. Dann ist das so beschlossen. ist in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch Koalitionsfraktionen und SPD. Die Linke hat da- Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 35 a bis g gegen gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen sich enthalten. sowie Zusatzpunkt 4. Es handelt sich um Beschlussfas- Dritte Beratung sungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vor- gesehen ist. und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, erheben sich bitte. – Gegenstimmen? – Enthal- Tagesordnungspunkt 35 a: tungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenom- (B) gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes men. (D) zur Änderung des Energiebetriebene-Pro- Tagesordnungspunkt 35 c: dukte-Gesetzes Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- – Drucksachen 17/6278, 17/6893 – richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- nologie (9. Ausschuss) ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- – zu der Verordnung der Bundesregierung schuss) Einundneunzigste Verordnung zur Ände- – Drucksache 17/7061 – rung der Außenwirtschaftsverordnung Berichterstattung: – zu der Verordnung der Bundesregierung Abgeordnete Johanna Voß Zweiundneunzigste Verordnung zur Ände- Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp- rung der Außenwirtschaftsverordnung fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7061, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf – Drucksachen 17/6169, 17/6392 Nr. 2, 17/6871, Drucksachen 17/6278 und 17/6893 in der Ausschussfas- 17/6961 Nr. 2.3, 17/7062 – sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Berichterstattung: entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Abgeordneter Erich G. Fritz das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- men bei Zustimmung durch Koalitionsfraktionen und schlussempfehlung, die Aufhebung der Einundneunzigs- SPD. Dagegen hat niemand gestimmt. Bündnis 90/Die ten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Grünen und Linke haben sich enthalten. Außenwirtschaftsverordnung auf Drucksache 17/6169 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Dritte Beratung fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Da- mit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Dagegen und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen hat die Fraktion Die Linke gestimmt; die übrigen Frak- wollen, mögen sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – tionen waren dafür. Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vor- Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat in her angenommen. seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7062 15038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) die Zweiundneunzigste Verordnung der Bundesregie- Zusatzpunkt 4: (C) rung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung auf Drucksache 17/6871 mit einbezogen. Über diese Vorlage Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. – Da- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz mit sind Sie einverstanden. Dann kommt es zur Abstim- und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der mung. Verordnung der Bundesregierung Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Verordnung über die Zuteilung von Treib- Beschlussempfehlung, die Aufhebung der Zweiund- hausgas-Emissionsberechtigungen in der Han- neunzigsten Verordnung zur Änderung der Außenwirt- delsperiode 2013 bis 2020 (Zuteilungsverord- schaftsverordnung auf Drucksache 17/6871 nicht zu ver- nung 2020 – ZuV 2020) langen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer – Drucksachen 17/6850, 17/6961 Nr. 2.2, 17/7064 – stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- fehlung ist angenommen. Die Fraktion Die Linke hat da- Berichterstattung: gegen gestimmt; alle übrigen Fraktionen haben dafür ge- Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz) stimmt. Frank Schwabe Michael Kauch Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- Eva Bulling-Schröter titionsausschusses. Bärbel Höhn Tagesordnungspunkt 35 d: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7064, der Ver- ausschusses (2. Ausschuss) ordnung auf Drucksache 17/6850 zuzustimmen. Wer Sammelübersicht 305 zu Petitionen stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da- gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist – Drucksache 17/6938 – angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak- tionen, die Linke hat dagegen gestimmt, Bündnis 90/Die Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Grünen und SPD haben sich enthalten. tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange- nommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Tagesordnungspunkt 35 e: Drucksache 17/7064 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (B) ausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung (D) Sammelübersicht 306 zu Petitionen angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak- tionen. Dagegen hat niemand gestimmt. Die Opposi- – Drucksache 17/6939 – tionsfraktionen haben sich enthalten. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 sowie Zusatzpunkt 5 tungen? – Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmig auf: angenommen. 33 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Tagesordnungspunkt 35 f: Trittin, Daniela Wagner, Bärbel Höhn, weiterer Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ ausschusses (2. Ausschuss) DIE GRÜNEN Sammelübersicht 307 zu Petitionen Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Deutschen Bundestag – Drucksache 17/6940 – – Drucksache 17/6946 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen. Die ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt; die übrigen CSU und FDP Fraktionen haben dafür gestimmt. Für die konsequente Begleitung der Ener- Tagesordnungspunkt 35 g: giewende durch steuerliche Maßnahmen zur Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Erhöhung der Energieeffizienz im Gebäudebe- ausschusses (2. Ausschuss) reich Sammelübersicht 308 zu Petitionen – Drucksache 17/7022 – – Drucksache 17/6941 – Verabredet ist es, hierzu eine halbe Stunde zu debat- tieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ver- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- fahren wir so. tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen. Zuge- stimmt haben die Koalitionsfraktionen, dagegen ge- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem stimmt haben die Oppositionsfraktionen. Kollegen Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15039

(A) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- sowie bei Abgeordneten der SPD) ben im Juni gemeinsam beschlossen, dass Deutschland Es ist das Normalste von der Welt, dass eine Bundesre- aus der Atomenergie aussteigt. Dazu gehört auch, dass gierung, wenn sie mit etwas nicht durchkommt, ver- wir die Bedingungen für den Umstieg und den Einstieg sucht, eine Einigung zu erzielen. Das tun Sie nicht, ob- organisieren müssen. Eine der Schlüsselfragen, die dabei wohl beispielsweise alle Unionsumweltpolitiker sagen: zu lösen sind, ist: Wie schafft man in einem von einem Bitte ruft den Vermittlungsausschuss an! – Sie verfallen wachsenden Anteil erneuerbarer Energien geprägten in eine katatonische Lähmung. Sie tun das, was Sie am Energiesystem den Ausgleich zwischen Angebot und besten können, nämlich nichts. Ich glaube, das können Nachfrage? Da müssen wir mehr Speicher bauen. Wir wir uns alle nicht leisten. brauchen bessere Netze. All dies ist im Energiepaket be- rücksichtigt. Aber das wird nicht reichen. Wir brauchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN flexiblere Kraftwerke. Solche Kraftwerke werden aber sowie bei Abgeordneten der SPD) nur mit Gas betrieben werden können. Wenn wir nicht Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – – mehr Gas importieren wollen, müssen wir anderswo Gas einsparen. Ich glaube, über all das, was ich bisher gesagt habe, herrscht Konsens. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Trittin, es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Ihr Energiepaket enthielt den Entwurf eines Gesetzes Körber. Möchten Sie die zulassen? zur besseren Wärmedämmung von Gebäuden. Zurzeit dämmen wir 0,7 Prozent unserer Gebäude jährlich. Das Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): heißt, wir sind noch nicht einmal in 100 Jahren damit Bitte. fertig. Dieser Teil des Energiepakets war der einzige, der im Bundesrat zustimmungsbedürftig war. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Wer hat es denn Bitte. verhindert? – Sebastian Körber [FDP]: Das war Herr Kretschmann!) Sebastian Körber (FDP): Vielen Dank. – Herr Kollege Trittin, ich habe eine Sie haben die Mehrheit dafür nicht bekommen. Der Hin- Frage an Sie. Ich denke, wir sind uns in der Analyse ei- tergrund, warum Sie die Mehrheit nicht bekommen ha- nig. Sie haben zutreffend ausgeführt, dass es nicht nur ben, war relativ einfach. Sie sind zwar der Meinung, um das Dämmen geht, sondern auch um die Gebäude- (B) dass Wärmedämmung eine schöne Sache ist. Aber die technik, um mehr Energie einzusparen. Deswegen stellt (D) Hauptlast – 57,5 Prozent – sollen die Länder und Ge- sich bei mir eine gewisse Verwunderung ein. Sie regie- meinden tragen. So hoch ist der Anteil der Länder und ren in einem großen Land, in Baden-Württemberg, mit. Gemeinden am Steuerausfall. Dort gibt es einen grünen Ministerpräsidenten. Meine Nun bin ich der Auffassung – damit da gar keine Frage berührt ein Stück weit die Glaubwürdigkeit der Schärfe hineinkommt –, dass auch die Länder ihren Bei- Grünen, die ich vermisse. Die Grünen drehen ihr Fähn- trag dazu leisten müssen. Wenn Sie aber bedenken, dass chen nach dem Wind. Warum haben Ihr Ministerpräsi- sich in diesem Land Hunderte Kommunen in einer Haus- dent und Ihre stellvertretenden Ministerpräsidentinnen haltsnotlage befinden und dass die Kommunalaufsichten dem Gesetzentwurf im Bundesrat nicht einfach zuge- vielen Kommunen verbieten, selbst effiziente Einspar- stimmt? maßnahmen durchzuführen, weil sie schon Kassenkre- (Nicolette Kressl [SPD]: Gutes Ziel! Falsches dite aufnehmen müssen, dann können Sie nicht ernsthaft Konzept!) den Wunsch an die Kommunen herantragen, zusätzlich zur Haushaltsnotlage noch Einnahmeausfälle hinzuneh- Das wäre die einfachste Möglichkeit gewesen; denn die men. Investitionen, die generiert werden – Sie haben die Steu- erverteilung angesprochen –, kommen in erster Linie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Kommunen und den Ländern zugute. Ihr Verhalten sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Volker zeugt in keiner Weise von Glaubwürdigkeit. Was sagen Wissing [FDP]: Sagen Sie mal was zur Entlas- Sie dazu? tung der Kommunen!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten In der Verfassung ist ein Verfahren vorgesehen, wenn der CDU/CSU) man sich in einem Interessenkonflikt zwischen Bund und Ländern nicht einigen kann: die Anrufung des Ver- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mittlungsausschusses. Sie haben gemeinsam mit den von Lieber Herr Kollege, ich habe es Ihnen schon eben zu Ihnen geführten Ländern gegen Baden-Württemberg und erklären versucht, aber ich mache es noch einmal: weil gegen andere Länder, in denen die Grünen an der Regie- sich die meisten Kommunen diese Anfangsinvestitionen rung beteiligt sind, die Anrufung des Vermittlungsaus- schon heute nicht mehr leisten können. Deswegen hat es schusses im Bundesrat verhindert. Sie hätten aber die zwei Abstimmungsverhalten der von Grünen mitregier- Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss durch die Bun- ten Länder im Bundesrat gegeben. Diese Länder haben desregierung anrufen zu lassen. gesagt: Wir können dem Gesetzentwurf wegen unserer 15040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Jürgen Trittin (A) Verantwortung gegenüber den Gemeinden nicht zustim- verknüpft werden können. Planbarkeit ist auch die Vo- (C) men; wir wollen vielmehr einen anderen und besseren. raussetzung dafür, dass wir in Deutschland auf dem Deswegen haben unsere Länder die Anrufung des Ver- wichtigsten Wachstumsmarkt, bei den erneuerbaren mittlungsausschusses beantragt. Das ist das normale Energien, auch zukünftig in der ersten Liga mitspielen Verfahren in einer solchen Situation. können. Gleichzeitig sind wir aufgefordert, Überförde- rung in diesem Bereich abzubauen und den Innovations- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN druck in diesem Bereich noch zu verstärken. und bei der SPD) Welche Länder haben die Anrufung des Vermittlungs- Neben der Förderung der erneuerbaren Energien wol- ausschusses abgelehnt? Das waren die von Ihnen mitre- len wir aber auch zusätzliche Impulse setzen. Wir alle gierten Länder. So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit, meine wissen: Gerade beim Wohngebäudebestand gibt es noch Damen und Herren. einen ganz erheblichen Bedarf und ein ganz erhebliches Potenzial zur Einsparung von Energie und CO2. Wir hat- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten uns deshalb entschlossen, für die energetische Sanie- sowie bei Abgeordneten der SPD) rung an Gebäuden zusätzlich zu den bereits bestehenden Jetzt können Sie als Bundesregierung ein geordnetes Programmen der KfW eine steuerliche Förderung anzu- Verfahren einleiten. Es geht im Föderalismus nie – auch bieten. Auch in diesem Bereich ist Planbarkeit von aller- nicht bei dieser Frage – darum, dass eine Seite zu größter Bedeutung. 100 Prozent ihren Willen durchsetzt. Auch wir wissen, Leider hat der Bundesrat – deswegen haben wir heute dass die Vorstellungen, die die Grünen dazu haben, nicht diese Debatte –, in dem unsere Regierungskoalition Ergebnis der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss keine Mehrheit hat, dieses Vorhaben gestoppt. Das ist sein werden. ganz besonders schade, Aber wenn ich in Delmenhorst oder sonst wo zur Handwerkskammer komme, dann wird mir zurzeit nur ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eine Frage gestellt: Wann beginnt endlich dieses Ver- NEN]: Warum rufen Sie nicht den Vermitt- mittlungsverfahren, damit wir mit der Wärmedämmung lungsausschuss an?) und ähnlichen Maßnahmen anfangen können? Ihnen er- weil die Argumente der Bundesländer in diesem Fall geht es genauso. Sie sind genauso unter Druck. Also, hö- nicht stichhaltig sind. ren Sie auf, einen vernünftigen Kompromiss in dieser Frage durch Untätigkeit zu blockieren! Das ist der Was sind die Einwendungen? Zum einen wird mo- Grund, warum wir sagen: Dann ruft eben der Deutsche niert, es gebe Mitnahmeeffekte. Aber wir haben beim (B) Bundestag den Vermittlungsausschuss an. Irgendjemand Gesetzgebungsverfahren gerade darauf geachtet, dass (D) muss ja vernünftig sein. solche Mitnahmeeffekte vermieden werden und dass die Förderung zielgenau ankommt. Mit der Vorgabe, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach der Sanierung der Standard eines KfW-Effizienz- und bei der SPD) hauses 85 erreicht werden muss, haben wir ein so ambi- tioniertes Ziel formuliert, dass die Umsetzung dessen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht mal eben so funktioniert. Dieses hochgesteckte Der Kollege Olav Gutting hat jetzt das Wort für die Ziel – davon sind wir überzeugt – kann nur mit dieser CDU/CSU-Fraktion. zusätzlichen Förderung umgesetzt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Länder monieren vor allem – das hat der Kollege Trittin hier zu erklären versucht – den hohen Finanzie- Olav Gutting (CDU/CSU): rungsanteil, den sie tragen müssen. Dabei wird aber der Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Selbstfinanzierungseffekt dieser Maßnahmen völlig ver- Wir haben vor wenigen Monaten hier in diesem Hause gessen; denn die Förderung der energetischen Sanierung den Einstieg in die Energiewende, den Einstieg in das löst ein Vielfaches der eingesetzten Summe an Investi- Zeitalter der erneuerbaren Energien beschlossen. Das ist tionen aus. Allein die Umsatzsteuer, die sich aus den da- kein einfacher Weg; denn wenn man wie wir in der Ko- durch ausgelösten Investitionen ergibt, dürfte die be- alition Ökonomie und Ökologie nicht gegeneinander fürchteten Steuermindereinnahmen um ein Mehrfaches ausspielen will, dann muss man vieles beachten. Erste ausgleichen. Erfolge sind im Übrigen schon erkennbar. Wir haben be- reits im ersten Halbjahr 2011 den Anteil der erneuerba- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ren Energien an der Energieerzeugung auf über 20 Pro- Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass wir zent steigern können. Das ist ein toller Erfolg. Darauf parallel das KfW-Programm um 1,5 Milliarden Euro können wir alle stolz sein. aufgestockt haben. Nun wissen wir aus den Zahlen, die Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass es zum Beispiel bei der KfW vorliegen, dass die Fördermittel regelmäßig bei der Einspeisevergütung für die Unternehmen und die das Neunfache an Investitionen auslösen. Das bedeutet, Investoren bei einem planbaren Kurs bleibt; denn Plan- dass allein durch die Aufstockung der Mittel bei der barkeit ist die Voraussetzung dafür, dass der Kapital- KfW um 1,5 Milliarden Euro das Neunfache an Investi- markt auf der einen Seite und die technische Entwick- tionsvolumen ausgelöst wird. Das wiederum bedeutet, lung und Innovation auf der anderen Seite miteinander dass die Länder im Rahmen der Mehrwertsteuer einen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15041

Olav Gutting (A) Anteil von ungefähr 800 Millionen Euro allein aufgrund ein ganz entscheidender Faktor. So weit sind wir uns ei- (C) dieser Aufstockung erhalten werden. nig. Bei der Freigabe des Gesetzes durch den Bundesrat (Beifall bei der SPD) darf auch das Handwerk vor Ort eine spürbare Belebung Im Gesetzgebungsverfahren haben wir von der SPD erfahren. Was die Kommunen angeht, so bedeutet das deutlich gemacht, dass wir eine progressionsabhängige natürlich mehr Arbeitsplätze. Natürlich bedeutet das Förderung – eine solche haben Sie vorgesehen – für auch ein höheres Gewerbesteueraufkommen für die falsch halten, und zwar nicht nur deshalb, weil die Ge- Kommunen. Insofern ist es falsch, hier die Situation der rechtigkeitsfrage eine Rolle spielt, sondern auch deshalb, Kommunen als Gegenargument heranzuziehen; denn sie weil bei einer progressiven Förderung werden davon profitieren. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: So ist unser Die Zahlen machen deutlich, dass es den Ländern vor Steuersystem!) allem um eines geht: um Blockade. Der Bundesrat will offenbar die eigene Stärke demonstrieren. Ich kann nur deutliche Mitnahmeeffekte entstehen. sagen: Wir nehmen diese Machtdemonstration zur Kennt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nis. Aber ich sage Ihnen auch: Die Länder sollten diese des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Blockade schleunigst aufgeben; Das hat auch der Bundesrat deutlich so formuliert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ja, es werden private Investitionen ausgelöst. Aber denn sie schaden damit der Energiewende. Sie schaden eine Förderung nach dem Motto „Je höher das Einkom- auch dem Handwerk; denn es gibt bei den Investitions- men, desto höher die Förderung“ – so haben Sie das im willigen bereits einen spürbaren Attentismus. Sie inves- Gesetz vorgesehen – macht in diesem Fall ökonomisch, tieren nicht, weil sie warten, bis dieses Gesetz kommt. um es ganz deutlich zu sagen, keinen Sinn, und das ha- Sie schaden den Kommunen, und die Länder schaden ben wir im Gesetzgebungsverfahren kritisiert. letztendlich auch sich selbst, wenn wir, wie gerade auf- gezeigt, berücksichtigen, zu welchen Steuermehreinnah- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men auch für die Länder dieses Gesetz führen kann. der LINKEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das ist doch Blödsinn!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Warum machen Sie dann kein Vermitt- Im Gesetzgebungsverfahren haben wir von der SPD lungsverfahren? Hier ist heute die Abstim- einen Änderungsantrag eingebracht, in dem wir gesagt mung!) haben: Die Umlage der Sanierungskosten auf die Miete- (B) rinnen und Mieter muss eingeschränkt werden. Es kann (D) Wenn wir in unserem Land gemeinsam dem an- nicht sein, dass Vermieter dann, wenn sie eine steuerli- spruchsvollen Ziel einer nachhaltigen Verringerung der che Förderung bekommen, sämtliche Kosten an die Mie- Treibhausgasemissionen und dem zügigen Umstieg in terinnen und Mieter weitergeben können. Das ist eine das Zeitalter der erneuerbaren Energien einen Schritt nä- Frage der Logik und der Konsequenz. her kommen wollen, dann müssen die Länder jetzt ihre Verhinderungshaltung aufgeben. Deshalb fordern wir die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bundesregierung mit unserem Antrag heute auf, noch- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der mals zu versuchen, einen erfolgreichen Abschluss des LINKEN) Gesetzgebungsverfahrens bei den Ländern zu erreichen. Das waren zwei Änderungen, die wir eingebracht ha- Herzlichen Dank. ben und denen Sie im Gesetzgebungsverfahren nicht zu- gestimmt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sie wissen, was in der Gesetzesbegründung steht!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Fazit zu meinem ersten Punkt: Sie hatten zwar das Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion. richtige Ziel, aber Sie haben wieder einmal – wieder ein- mal! – die falschen Mittel gewählt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nicolette Kressl (SPD): Zweitens. Im Interesse der Sache halten wir es für Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! richtig, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Deshalb Lassen Sie mich zum Thema „energetische Gebäude- werden wir dem dazu vorliegenden Antrag zustimmen. sanierung“ drei Punkte deutlich machen: Mir ist die Weigerung von Schwarz-Gelb völlig unver- ständlich; denn es ist ein völlig normales Verfahren, den Erstens. Wir halten die Förderung der energetischen Vermittlungsausschuss anzurufen. Gebäudesanierung für sinnvoll. Die Energiewende ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dann machbar, wenn auch Energie eingespart wird. Wir DIE GRÜNEN) gehen davon aus, dass eine Förderung in diesem Bereich ein Mehrfaches an privaten Investitionen initiiert. Des- Gestern hat sich beim Steuervereinfachungsgesetz halb wäre eine solche Förderung auch für das Handwerk doch gezeigt, dass die Vernunft ganz schnell siegen 15042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Nicolette Kressl (A) kann. Dazu waren Sie im Gesetzgebungsverfahren im nicht zuzustimmen; denn es ist wegen der Mitnahme- (C) Bundestag nicht in der Lage. effekte ökonomisch unsinnig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Birgit (Sebastian Körber [FDP]: Welche Mitnahme- Reinemund [FDP]: Das hätten Sie viel früher effekte denn? Das ist doch Quatsch!) haben können!) – Da fragt wieder so ein Spezialist. Ich habe Gott sei Daran sieht man, wie effizient ein Vermittlungsverfahren Dank genügend Zeit, das zu erklären. Es wurde gefragt: sein kann. Zack, und Sie haben die unsinnige Regelung, Welche Mitnahmeeffekte? nach der die Steuererklärung nur alle zwei Jahre abgege- ben werden muss, herausgenommen. Das Gesetz ist gül- (Dr. [FDP]: Wir haben einen tig. Insofern ist völlig unklar, warum Sie den Vermitt- progressiven Steuertarif, Frau Kressl! Oder lungsausschuss jetzt nicht anrufen wollen. wollen Sie den abschaffen?) (Beifall bei der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäu- – Herr Wissing, es gibt keinen Grund, das Ganze pro- ser] [FDP]: Warum ist das unsinnig, Frau Kol- gressiv zu gestalten. Es geht nicht um die Frage, wie bei- legin?) spielsweise bei den Werbungskosten, ob man die Kosten von der Bemessungsgrundlage abziehen kann, sondern Drittens. Zu dem sehr kurzfristig eingebrachten An- es geht um eine wirtschaftliche Initialzündung. Die kön- trag der Koalition kann ich nur sagen: Jeder blamiert nen Sie mit einer progressionsunabhängigen Zulage, so sich so, wie er kann. Sie blamieren sich in diesem Fall wie wir das beantragt haben, ökonomisch sinnvoller und ganz besonders. Sie wollen nur verdecken, dass Sie eine gerechter gestalten. allgemeine Forderung aufstellen, aber nicht bereit sind, der Anrufung des Vermittlungsausschusses zuzustim- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men. Ein Blick in die Verfahrensregeln hilft vielleicht. DIE GRÜNEN) Deswegen sage ich: Jeder blamiert sich so, wie er kann. Insofern ist es völliger Blödsinn, zu sagen, es hätte keine Es gibt überhaupt keine formale Möglichkeit mehr, besseren Wege gegeben, das Vorhaben auf den Weg zu dass die Länder irgendwie zustimmen. bringen. Sie hätten nur unseren Änderungsanträgen zu- stimmen müssen, dann wäre es wesentlich einfacher ge- (Sebastian Körber [FDP]: Weil Sie blockiert wesen. Dann würden wir diese verquere Debatte nicht haben!) führen. Das Handwerk hätte einen Vorteil. Entweder rufen Sie den Vermittlungsausschuss an, oder (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das ist wirklich das Gesetz ist gescheitert. (B) verquer! Es wäre wirklich besser, wenn sie sa- (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen, dass Sie dagegen sind!) DIE GRÜNEN – Sebastian Körber [FDP]: Das Ich finde es wirklich schade, dass Sie heute zum ers- machen Sie gerade!) ten Mal von dem normalen Verfahren abweichen. Klar Es wäre ganz sinnvoll, sich das einmal anzuschauen, be- ist doch: Das Gesetz ist zustimmungsbedürftig. Die Län- vor Sie hier nur allgemeines Blabla von sich geben. Sie der sind massiv davon betroffen und halten Teile davon haben bisher in keiner Rede begründet, warum Sie dem für falsch. Wir müssen nicht alle Gründe für die Anru- normalen Weg der Anrufung des Vermittlungsausschus- fung des Vermittlungsausschusses teilen, aber einen Teil ses nicht zugestimmt haben. der Gründe, beispielsweise die absehbaren Mitnahme- effekte, halten wir für sinnvoll. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie hätten im Bun- desrat zustimmen können! Sie tun so, als wä- (Sebastian Körber [FDP]: Da gibt es gar keine ren Sie dafür, dabei sind Sie dagegen!) Mitnahmeeffekte!) – Der Herr Wissing ist wieder auf seinem üblichen Weg. Der Bundesrat hat die Möglichkeit – das ist ein demo- Das haben wir schon ein paarmal erlebt. Er ruft: Sie hät- kratisches Recht und in der Verfassung vorgesehen –, zu ten doch zustimmen können! sagen: Wir wollen über die Änderungen diskutieren. – Sie verweigern bis heute die Möglichkeit, gemeinsam (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das ist doch so!) mit den Ländern über Änderungen zu diskutieren. Das Es lohnt sich, etwas dazu zu sagen: Herr Wissing, das ist falsch. Einzige, was Sie können, ist, auf der Opposition herum- zuhacken. Ich interpretiere das so: Sie sind nicht in der (Sebastian Körber [FDP]: Das ist Quatsch!) Lage, eigene konstruktive Vorschläge zu machen. Sie sollten über Ihren Schatten springen und Ihre Ideolo- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gie beiseitelassen. DIE GRÜNEN) (Dr. Volker Wissing [FDP]: Sie sind aus partei- Das erleben wir nicht nur heute, sondern das erleben wir politischen Gründen dagegen!) dauernd. Das haben wir gestern und vorgestern erlebt. Vielen Dank. Ich sage Ihnen noch einmal – offensichtlich haben Sie nicht zugehört, oder Sie sind nicht in der Lage, es zu ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stehen –: Es gibt gute inhaltliche Gründe, diesem Gesetz DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15043

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Joachim Poß [SPD]: Warum machen Sie nicht (C) Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für von Ihren Rechten als Mitglieder des Bundes- die FDP-Fraktion. rates Gebrauch?) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Selbst das grün-rote Baden-Württemberg verweigert die Zustimmung, ausgerechnet die Grünen, die noch schnel- ler aussteigen wollten, koste es, was es wolle. Dr. Birgit Reinemund (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um ein (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bisschen Ruhe in die Debatte zu bringen: Herr Trittin, der CDU/CSU) Frau Kressl, wie scheinheilig ist das denn? Sie bzw. Ihre Die Begründung des Bundesrats ist ziemlich faden- Parteien haben das Vorhaben im Bundesrat blockiert, scheinig. und nun behaupten Sie, Sie wollen die energetische Ge- bäudesanierung. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vielleicht sollten wir Ihnen noch ein- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mal das Einmaleins des Bundesrates erklären!) NEN]: Sie haben die Anrufung des Vermitt- lungsausschusses im Bundesrat abgelehnt! – Was sind denn die angeblichen Gründe? Die Kosten sol- Joachim Poß [SPD]: Sie werden sich doch hier len vollständig vom Bund übernommen werden. Ja, klar, nicht über die Fakten hinweglügen!) aber so funktioniert das nicht! Noch vor zwei Wochen hatten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Ich darf mit dem Zitat eines grünen Kollegen begin- Grünen, im Rahmen der Haushaltsberatung vehement nen, Herr Trittin: eine noch strengere Haushaltskonsolidierung gefordert. Das Handwerk wartet überall. Überall werden die Jetzt haben Sie keine Skrupel, gemeinsame Aufgaben fi- Entscheidungen zur Gebäudesanierung aufgescho- nanziell komplett dem Bund aufzubürden. Wie passt das ben. Das ist schlecht für die Konjunktur und die denn zusammen? CO2-Bilanz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist ein Zitat Ihres Kollegen Volker Beck in einer Agenturmeldung von gestern Abend. Hat er nicht klar Es ist allen klar, dass die Energiewende nicht zum erkannt, wie fatal die rot-grüne Blockadehaltung im Nulltarif zu haben ist. Eine gerechte Aufteilung der Kos- Bundesrat ist? ten sollte selbstverständlich sein. Das Gejammer, dass die Kosten die Länder und Kommunen finanziell total (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) überfordern, ist nicht nachvollziehbar. Aufgrund der so- (D) der CDU/CSU) liden Wirtschaftspolitik dieser Regierung sprudeln auch Allerdings unterschlägt er das Hauptargument für das bei den Ländern und Kommunen wieder die Steuerein- gestoppte Gesetz: die Energieeinsparung. nahmen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) NEN]: Sie wollen sich der rot-grünen Blo- In Baden-Württemberg sah sich die grün-rote Landes- ckade hingeben! Sie genießen sie doch gera- regierung jetzt sogar gezwungen, schon 2011 die Null- dezu!) verschuldung anzustreben. Fast 40 Prozent der Endenergie in Deutschland wird im (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wohnungsbestand aufgewendet. Hier liegt ein enormes NEN]: Gehen Sie einmal zur Tagung der Käm- Einsparpotenzial. Über alle Parteigrenzen hinweg hat merer!) der Deutsche Bundestag vor kurzem die Energiewende, den Umstieg von der Kernenergie auf die erneuerbaren Vier Wochen zuvor wollte sie das erst im Jahr 2020 an- Energien bis 2022 beschlossen. Das ist eine riesige He- gehen, und das, obwohl sie die Verwaltung aufgebläht rausforderung für uns alle. Ohne Energieeinsparung wird und Ministerien neu erfunden hat. dies nicht gelingen. (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Doch statt bei der energetischen Gebäudesanierung NEN]: Wo sprudelt denn bei Ihnen was?) mitzuziehen und die erste Maßnahme schnell auf den In der Begründung des Bundesrats heißt es: Weg zu bringen, kneift der rot-grün dominierte Bundes- rat, frei nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach Die von der Bundesregierung vorgeschlagene För- mich nicht nass. derung von selbstnutzenden Wohnungseigentümern würde dazu führen, dass die Förderung bei Spitzen- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten verdienern je nach Steuerprogression entsprechend der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ höher ausfällt als bei Eigentümern mit einem durch- DIE GRÜNEN]: Und Sie sagen: Danke! Da- schnittlichen Einkommen. mit finde ich mich ab!) Ja, klar, so ist das; denn so funktioniert unsere Steuer- Natürlich wollen auch die Bundesländer die Ener- systematik, aber nicht erst seit dieser Legislatur. Von giewende, nur kosten darf sie eben nichts, zumindest Steuern entlastet werden kann nur, wer Steuern zahlt. nicht die Länder. Wer mehr Steuern zahlt, kann auch stärker entlastet wer- 15044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Dr. Birgit Reinemund (A) den. Das ist das Prinzip von Progression bei der Besteue- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) rung und Degression bei der Entlastung. Das ist nicht der CDU/CSU) neu. Das ist keine Parteiideologie. Das ist unsere Steuer- systematik seit 60 Jahren. In der Haushaltsdebatte der letzten Sitzungswoche haben Sie uns vorgeworfen, wir würden mit einem zu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hohen Wachstum rechnen. In den Bereichen, in denen man Wachstum erzeugen kann, blockieren Sie aber jetzt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 1 Euro Fördergeld im Baubereich erzeugte erfah- Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl rungsgemäß ein Investitionsvolumen von 12 Euro im zulassen? Jahr 2009 und von 16 Euro im Jahr 2010. Die energeti- sche Gebäudesanierung ist ein Investitions- und Kon- Dr. Birgit Reinemund (FDP): junkturprogramm für Handwerk und Handel und sichert Arbeitsplätze. Von Frau Kressl immer. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: DIE GRÜNEN]) Bitte schön. Es beschert den Ländern und vor allen Dingen den Kom- munen höhere Einnahmen bei der Einkommen-, der Um- Nicolette Kressl (SPD): satz- und der Gewerbesteuer. Es geht nicht an, dass die Länder diese Vorteile gerne mitnehmen, die Anschub- Liebe Frau Kollegin Reinemund, nach diesem Ver- kosten aber nicht mittragen wollen. such eines kleinen Seminars über Steuerpolitik will ich Sie fragen: Können Sie sich daran erinnern, dass die Vor diesem Hintergrund appellieren wir an die Län- SPD einen Antrag eingebracht hat, der darauf abzielte, derkammer, ihre ablehnende Haltung nochmals zu über- eine steuerrechtlich verankerte, progressionsunabhän- denken. gige Zulage auf den Weg zu bringen, die genauso mög- lich wäre und keine Mitnahmeeffekte zur Folge hätte? (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das geht nicht mehr!) (Zuruf von der FDP: Echter Beitrag zur Steuer- vereinfachung, Frau Kollegin!) Wenn Sie die Energiewende wirklich wollen, dann schalten Sie um von obstruktiv auf konstruktiv.

Dr. Birgit Reinemund (FDP): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) Sie haben damit im Finanzausschuss und im Plenum der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ (D) zu Recht keine Mehrheit gefunden. Im Übrigen gibt es in DIE GRÜNEN]: Ein Blick in die Verfassung diesem Fall keine Mitnahmeeffekte, wie Sie es uns hier erleichtert die Rechtsfindung!) rhetorisch unterstellen wollen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP) Heidrun Bluhm hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Für Nichtsteuerzahler und Menschen mit niedrigem Linke. Einkommen stehen nach wie vor die zinsbegünstigten (Beifall bei der LINKEN) KfW-Kredite und Zuschüsse zur Verfügung. Diese wur- den jetzt weiter auf 1,5 Milliarden Euro erhöht. Dieses Instrument, das Sie versucht haben zu implementieren, Heidrun Bluhm (DIE LINKE): haben wir also schon eingerichtet. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollten hier eigentlich eine sachliche Debatte füh- Jetzt sollen zusätzlich Eigenheimbesitzer und Selbst- ren. Ich will versuchen, die Diskussion auf den Kern zu- nutzer motiviert werden, schneller zu sanieren. Das ist rückzubringen. Wir alle, nicht nur die Koalitionsfraktio- neu. Was machen denn junge Familien, die nach Aus- nen, sondern auch die Oppositionsfraktionen, haben zahlung eines Bausparvertrags oder im Rahmen einer damals der Energiewende und den Klimazielen dieser Erbschaft ein älteres Häuschen energetisch sanieren wol- Bundesregierung zugestimmt. Das haben wir getan, weil len? Es sind doch gerade die Bezieher mittlerer Einkom- wir wissen, dass diese Frage elementar für die weitere men, die eine steuerliche Entlastung brauchen, damit sie Entwicklung nicht nur Deutschlands, sondern auch Eu- investieren. ropas und der ganzen Welt ist. Mit Ihrer Blockade bestrafen Sie die Familien, weil (Beifall bei der LINKEN) Sie in ideologischer Verblendung in jedem Gesetz dieser Bundesregierung sofort eine Maßnahme zur Begünsti- Jetzt geht es darum, diese Ziele zu untermauern, sie für gung von Villenbesitzern und Millionären sehen. jeden erreichbar zu machen und jeden am Prozess Betei- ligten in die Lage zu versetzen, diese Ziele zu unterstüt- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zen. NEN]: Das ist doch dummes Zeug!) Mit Ihrem Steuergesetz werden diese Ziele zwar un- Ihre Schwarz-Weiß-Denke – oder sollte ich besser Rot- terstützt; dies gilt aber nur für einige. Das ist Klientel- Grün-Denke sagen? – grenzt an Realitätsverweigerung. politik, Klientelpolitik für diejenigen, die es sich ohne- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15045

Heidrun Bluhm (A) hin leisten können, Sanierungen vorzunehmen, und dies Gebäudesanierung – das hat ja auch eine Anhörung im (C) auch leisten müssen, weil Eigentum verpflichtet. Finanzausschuss des Deutschen Bundestages ergeben – (Beifall bei der LINKEN – Dr. Birgit (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Reinemund [FDP]: Der Steuerzahler ist unsere GRÜNEN]: Die hätten Sie mal anhören sol- Klientel!) len!) Wenn wir diesen Prozess unterstützen wollen, dann müs- profitieren nicht nur die Hauseigentümer, sondern auch sen wir ihn richtig und vor allem sozial ausgewogen un- die Mieter, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die terstützen. Das heißt, wir müssen alle am Prozess Betei- Nebenkosten spürbar reduziert werden können. Je nach- ligten im Auge haben und beobachten, was dort passiert. dem, um welche Wohnung es sich handelt und in wel- chem Zustand sich ein Gebäude befindet, können das Was Sie hier vorhaben, führt letztlich dazu, dass die, zwischen 30 und 70 Prozent sein. die viele Steuern zahlen – Frau Dr. Reinemund hat es vorhin gesagt –, auch viele Steuern sparen können, näm- Vielleicht können Sie noch einmal erklären, was Sie lich in Höhe von 10 Prozent der Sanierungskosten, wenn vorhin gemeint haben; denn meiner Auffassung ist es durch die Sanierung erreicht wird, dass ein Primärener- sehr wohl möglich, dass gerade Mieter durch eine redu- giebedarf von 85 Prozent, bezogen auf einen vergleich- zierte Warmmiete sehr deutlich und spürbar von der baren Neubau, nicht überschritten wird. Maßnahme profitieren. Was sagen Sie dazu? (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das ist der Facharbeiter mit dem Spitzensteuersatz von Heidrun Bluhm (DIE LINKE): 52 000!) Herzlichen Dank für die Frage. Ich werde noch ein- mal ausführlich auf ein Rechenbeispiel eingehen. In der – Ja, sicher, auch dem Durchschnittsverdiener kann das Tat ist es so, dass die Betriebskosten – insbesondere bei durchaus nutzen. Aber was macht denn derjenige, der der Heizung – dadurch gesenkt werden, dass energetisch diese Sanierung nicht zahlen kann, weil er das Einkom- saniert wird. Das erkennen wir an; das haben auch die men nicht hat? Der wird also von der energetischen Sa- Anhörungen ergeben. nierung ausgeschlossen, Diese Einsparung wird aber bei weitem nicht das (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Nein, das sind kompensieren können, was an zusätzlicher Miete zu zah- doch Nebenkosten!) len ist. Nehmen wir einmal folgenden Fall an: ein Sechs- weil er sich den gesamten Finanzierungsprozess nicht familienhaus, ein gewerblicher Vermieter, sechs Miet- leisten kann. verträge. Der Vermieter führt eine energetische (B) Sanierung durch. Für diese energetische Sanierung gibt (D) Sie hätten parallel zu Ihrem Steuergesetz vielleicht er etwa 350 000 Euro aus. Jetzt ziehen wir einmal Kos- auch darüber nachdenken sollen, dass die Mieterinnen ten von 50 000 Euro ab – wenn ich eine Komplettsanie- und Mieter dazu ebenfalls ihren Beitrag zu leisten haben. rung mache, ist das so –, Diesen Beitrag leisten die Mieter parallel zur Steuerab- schreibung zehn Jahre lang, indem nämlich eine 11-pro- (Sebastian Körber [FDP]: Milchmädchen- zentige Sanierungsumlage auf die anzuerkennenden rechnung!) Kosten angesetzt werden kann; die bei der Betrachtung nicht anerkannt werden können. (Sebastian Körber [FDP]: Das sind doch Dann bleiben etwa 300 000 Euro übrig. Von dieser Nebenkosten!) Summe muss sich der Vermieter noch einen Teil als Eigenleistung abrechnen lassen. Dann bleiben Dieser Beitrag ist zudem überproportional, weil die ein- 240 000 Euro übrig, die er steuerlich ansetzen kann und gesparten Betriebskosten das bei weitem nicht kompen- die er gegebenenfalls auch auf die Miete anrechnen sieren werden. kann, und zwar mit 11 Prozent im Jahr, zehn Jahre lang. Diese Erhöhung macht der Vermieter später nicht mehr Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: rückgängig; die Miete bleibt auf diesem Niveau. Möchten Sie die Frage von Herrn Körber zulassen, Von den 240 000 Euro, die vielleicht übrig bleiben, Frau Kollegin? können Sie 11 Prozent auf die Mieter umlegen; das sind 25 000 Euro im Jahr. Dies bedeutet für den Mieter eine Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Erhöhung der Nettokaltmiete von im Durchschnitt Gern. 3 Euro pro Quadratmeter aufgrund der Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Sebastian Körber [FDP]: Völlig praxisfern!) Bitte schön. Dabei sparen die Mieter bei den Heizkosten lediglich bis zu maximal 70 Cent pro Quadratmeter. Und jetzt sagen Sebastian Körber (FDP): Sie mir bitte, Herr Körber, warum es für die Mieter keine Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich habe eine kurze Belastung bedeutet, wenn sie 2,30 Euro mehr zahlen Nachfrage. Sie haben, glaube ich, einen Sachverhalt müssen. Auch dieses Ergebnis hat die Anhörung erge- nicht ganz zutreffend dargestellt. Von der energetischen ben; Ihre Argumentation, das Ganze pauschal auszuglei- 15046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Heidrun Bluhm (A) chen, ist schlicht nicht richtig. Das muss hier ganz deut- keine steuerliche Förderung in Anspruch nehmen wol- (C) lich gesagt werden. len, Unterstützung finden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will noch einmal zum Ausdruck bringen: Auch Herr Trittin, Sie wollen sich als Retter des Gebäude- wir haben damals dem Gesetzentwurf wegen der Mängel sanierungsprogramms verkaufen. Man muss Sie einfach nicht zugestimmt. Ich muss das nicht noch einmal sagen; entlarven: Wäre es nach Ihnen gegangen – das zeigt sich Frau Kressl hat das bereits sehr deutlich zum Ausdruck an Ihrem Abstimmungsverhalten –, dann wäre das gebracht, und dieser Meinung schließen wir uns an. Thema Gebäudesanierung im Bundestag schon längst Wir sind aber trotzdem dafür, dass im Vermittlungs- tot. Sie persönlich wollten dieses Gesetz nicht. Tun Sie ausschuss nachgearbeitet wird. Herr Gutting, den Län- also heute nicht so, als könnten wir im Vermittlungsaus- dern zu unterstellen, dass sie eine reine Machtdemons- schuss ein Ergebnis erzielen, das auch Sie unterstützen. tration vornehmen, halte ich für bedenklich. Denn das (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Recht auf Anrufung des Vermittlungsausschusses steht NEN]: Sie wollen sich damit abfinden!) dem Bundesrat zu. Sie verweigern sich heute. Wenn die Machtdemonstration von Ihnen durchbrochen werden Sie persönlich haben dem Gebäudesanierungsprogramm sollte, dann kann man sich mit Ihnen gemeinsam im Ver- nicht zugestimmt. Liebe Frau Kressl, das gilt auch für mittlungsausschuss hinsetzen und das Gesetz so nachar- Sie. beiten, dass die Länder und Kommunen nicht überpro- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Nicolette portional belastet werden. Wenn das auf den Weg Kressl [SPD]: Sie haben nicht zugehört!) gebracht ist, dann sind auch wir dafür, dass es steuerli- che Erleichterungen gibt. Das muss aber auf einer sozial Zu Ihrem Vortrag über das Verfahrensrecht kann ich nur gerechten Grundlage geschehen und vor allem nicht ge- sagen: Der Vermittlungsausschuss ist nicht dazu da, da- gen den Willen und gegen das Portemonnaie der Miete- mit Sie das, was Sie im Bundestag nicht durchsetzen rinnen und Mieter. konnten, im Bundesrat durchsetzen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der LINKEN) Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist genau die Aufgabe des Vermitt- lungsausschusses!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben Ihre Position nicht halten können. Der Ver- (B) Antje Tillmann hat jetzt das Wort für die CDU/CSU- (D) Fraktion. mittlungsausschuss ist dazu da, einen Dissens zwischen Bund und Ländern zu lösen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aha! Sie wollen an dem Dissens fest- Antje Tillmann (CDU/CSU): halten!) Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Die steuerliche Förderung der Wenn dieser Dissens zu lösen wäre, dann würden wir energetischen Gebäudesanierung ist ein wichtiger Bau- selbstverständlich den Vermittlungsausschuss anrufen. stein der Energiewende und Teil des Paketes von acht Energiegesetzen, das wir im Juni dieses Jahres im Bun- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie destag verabschiedet haben. Der Bund nimmt dafür viel stimmen doch glatt dagegen!) Geld in die Hand. Neben den 1,5 Milliarden Euro, über Wir haben gestern Abend im Hinblick auf das Steuerver- die wir heute sprechen, steckt der Bund aus dem Energie- einfachungsgesetz einen Kompromiss zugunsten der und Klimafonds bis 2014 1,5 Milliarden Euro zusätzlich Bürgerinnen und Bürger gefunden. Gucken Sie sich die in die KfW-Förderprogramme zur CO2-Gebäudesanie- Bundesratsbank doch einmal an! Dann sehen Sie, wie rung. Mit den 700 Millionen Euro, die aus dem Bundes- groß das Interesse daran ist, einen Kompromiss zu fin- haushalt in den Energiefonds fließen, finanzieren wir den. weitere Maßnahmen, etwa zur Förderung der Elektromo- bilität sowie zur Förderung erneuerbarer Energien und Es kann nur zwei Gründe dafür gegeben haben, dass Energieeffizienz. die Länder diesem Verfahren nicht zugestimmt haben: Der erste Grund könnte gewesen sein, dass sie nach den Die steuerliche Förderung der Maßnahmen zur ener- Erfahrungen mit dem Steuervereinfachungsgesetz davon getischen Gebäudesanierung ist sehr gut geeignet, um ausgehen, dass dem Bund manche Maßnahmen so wich- diese Programme zu ergänzen. Liebe Frau Kollegin tig sind, dass er sie komplett alleine bezahlt. Die Ge- Bluhm, natürlich ist derjenige, der keine Steuern zahlt, samtkosten von 800 Millionen Euro schultern wir al- nicht vom CO2-Gebäudesanierungsprogramm ausge- leine. So viel haben wir uns das gestern Abend kosten nommen; denn die KfW setzt an genau dieser Stelle an. lassen. Wir haben einen großen Strauß an Maßnahmen, und je- der kann entsprechend seiner privaten Leistungsfähig- Nein, liebe Länder und liebe Kollegen, das wird nicht keit entscheiden, was er tun möchte. Die KfW-Pro- wieder passieren. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes gramme haben wir aufgestockt, damit die Leute, die ist ein gesamtstaatlicher Konsens. Wir alle wollten das. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15047

Antje Tillmann (A) Es kann nicht sein, dass der Bund die Kosten ständig al- unseren Anteil an den Kosten für die Gebäudesanierung. (C) leine trägt. Das steht aber nicht drin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie wollen nicht in den Vermittlungs- Herr Trittin, Sie haben mir vorgerechnet, wie die fi- ausschuss! Sie sind kompromissunfähig!) nanzielle Situation der Kommunen ist. Ich kann Ihnen voll zustimmen. Aber der Bund hat keine Schätze auf Es gibt auch keine Initiative der Länder, von sich aus zu dem Bankkonto liegen, sodass er wieder einmal ein- sagen, dass sie ihren Anteil übernehmen. springen kann. Ich halte es auch für absolut unehrlich, (Joachim Poß [SPD]: Darüber hätte man reden wenn Ministerpräsidenten der Länder, zum Beispiel Frau müssen! Darüber redet man im Vermittlungs- Kraft, große Reden halten und sagen, wie wichtig die ausschuss! Dafür ist der eingerichtet!) Gebäudesanierung ist, und dann hinzufügen, dass wir viel zu wenig Geld dafür ausgeben. Auf die Frage, wie Es gibt bei diesem Gesetz weder mit Ihnen im Deut- viel denn ihr Land dafür ausgibt, kommt dann die Ant- schen Bundestag noch mit den Ländern im Bundesrat wort der Ministerpräsidentin: Wir haben kein Geld. Das eine Chance, im Vermittlungsverfahren zu einer positi- soll doch bitte der Bund alleine machen. – Das finde ich ven Abstimmung zu kommen, es sei denn, Herr Trittin – einfach unehrlich. da bin ich fröhlicher Erwartung –, dass Sie in den Haus- haltsberatungen in der nächsten Woche einen Ände- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – rungsantrag mit dem Ziel einbringen, dass der Bund Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: auch noch für den Anteil, den die Länder nicht bezahlen Die CDU klagt immer dagegen! Das würde ich wollen, die Kosten übernimmt. Wenn Sie diesen Antrag mit Herrn Laumann besprechen!) stellen, können wir weiterreden. Es gibt im Vermittlungsausschuss keine Chance für (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieses Gesetz. Sonst hätten die Länder den Vermittlungs- NEN]: Ah, ja! Das ist ja eine interessante Va- ausschuss angerufen. Sie haben es nicht getan. riante!) Der zweite Grund, weshalb die Länder den Vermitt- Ansonsten kann ich Ihnen nur sagen: Wir werden lungsausschuss nicht angerufen haben, war vielleicht, wieder Gelegenheit haben, über energetische Gebäude- dass sie auf die Einhaltung der Schuldenbremse achten. sanierung zu sprechen. Denn meine Fraktion und die Ich finde, das ist ein sehr beachtenswertes Argument. FDP-Fraktion stehen zur Bereitstellung der Bundesmit- Das wird aber nichts daran ändern, dass wir nächste Wo- tel; wir werden unseren Anteil an der steuerlichen Förde- (B) che noch einmal darüber sprechen werden. rung der energetischen Gebäudesanierung, der bisher im (D) Die Länder und der Bund müssen natürlich immer Gesetz gebunden war, zur Verfügung stellen. Über die überlegen, ob sie Geld für Subventionen ausgeben. Der Art der Bereitstellung werden wir beraten: entweder Bund hat das getan. Wir haben gesagt: Die energetische über die KfW oder über ein Zuschussprogramm. Dann Gebäudesanierung ist richtig. Wir können dadurch den haben Sie im Bundestag erneut die Möglichkeit, sich positiv zu positionieren. Umfang der CO2-Emissionen reduzieren. Wir haben da- für Mittel in den Haushalt eingestellt. Wenn die Länder (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das Gleiche getan hätten, bräuchten wir kein Vermitt- NEN]: Wir wollen sie! Gehen wir zusammen lungsverfahren. Dann wären wir an dieser Stelle fertig. in den Vermittlungsausschuss!) (Joachim Poß [SPD]: Fertig sind Sie auch so!) Wir wollen steuerliche Begünstigungen bei der energeti- schen Gebäudesanierung. Wenn auch Sie sie wollen, Sie haben Ihren grünen Ministerpräsidenten gelobt. dann brauchen wir keinen Vermittlungsausschuss; dann Diesem Lob kann ich mich in einem Punkt anschließen: können wir es hier im Deutschen Bundestag beschlie- Ich habe selten einen solch höflichen Antrag auf Anru- ßen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie bis dahin Ihre Mei- fung des Vermittlungsausschusses wie den von Herrn nung ändern. Wir laden Sie ein, sich daran zu beteiligen. Kretschmann gelesen, der da lautet: Wir werden den Häuslebauern die Möglichkeit geben, Der Bundesrat betrachtet es als wünschenswert, Gebäude mit steuerlicher Begünstigung zu sanieren. dass das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Danke. energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohnge- bäuden … im Vermittlungsausschuss beraten wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch wir empfinden das als wünschenswert. NEN]: Sie geben Ihnen nicht die Möglich- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keit!) NEN]: Das haben Sie abgelehnt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ist der Versuch, die schwarz-gelb regierten Ich schließe die Aussprache. Länder einzubinden!) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Wünschenswert wäre aber auch, wenn in demselben An- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache trag von Herrn Kretschmann stünde: Ja, wir übernehmen 17/6946 zur Anrufung des Vermittlungsausschusses 15048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) durch den Deutschen Bundestag. Wer stimmt für diesen Ich danke auch Ihnen, meine Damen und Herren Ab- (C) Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Da- geordneten, insbesondere den Mitgliedern des Verteidi- mit ist der Antrag bei Zustimmung durch alle Opposi- gungs- und des Haushaltsausschusses. Sie haben meine tionsfraktionen abgelehnt. Die Koalitionsfraktionen wa- Hinweise stets konstruktiv aufgenommen und meine Ar- ren dagegen. beit immer mit Wohlwollen begleitet. Dafür danke ich Ihnen. Weiterhin gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen Zusatzpunkt 5. Wir kommen zur Abstimmung über und Mitarbeitern in meinem Amt. Sie haben mich immer den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf großartig unterstützt. Mein Dank gilt natürlich auch dem Drucksache 17/7022 mit dem Titel „Für die konsequente Minister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Begleitung der Energiewende durch steuerliche Maß- im Ministerium und in den nachgeordneten Bereichen. nahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz im Gebäude- Man muss hinzufügen: Trotz mancher Meinungsver- bereich“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt schiedenheiten im Detail war die Zusammenarbeit meist dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag an- reibungslos und brachte letztlich für unsere Soldatinnen genommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. und Soldaten gute Ergebnisse. SPD und Linke haben dagegen gestimmt. Bündnis 90/ Die Grünen haben sich enthalten. Nicht alle der im Jahresbericht angesprochenen Pro- bleme sind gelöst. Welche Probleme noch immer bei Aus- Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 27 auf: rüstung und Ausstattung bestehen, habe ich unlängst in Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- einem Zwischenbericht an den Verteidigungs- und an den richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- Haushaltsausschuss dargestellt. Teilweise stieß ich auf schuss) zu der Unterrichtung durch den Wehrbe- Unverständnis. Darauf will ich eingehen. Was, wurde ge- auftragten legentlich auch von Mitgliedern des Hohen Hauses ge- fragt, gehen Beschaffungsfragen eigentlich den Wehrbe- Jahresbericht 2010 (52. Bericht) auftragten an? Die Frage ist natürlich berechtigt; denn – Drucksachen 17/4400, 17/6170 – was wann und in welchem Umfang beschafft werden soll, ist schließlich zunächst eine politisch zu beantwortende Berichterstattung: Frage. Das Ergebnis ist aber dann für den Wehrbeauftrag- Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt) ten relevant, wenn Fähigkeitslücken sichtbar werden, die Karin Evers-Meyer unmittelbare Auswirkungen auf den Schutz und die Si- Christoph Schnurr cherheit der Soldatinnen und Soldaten haben. Das Grund- Paul Schäfer (Köln) gesetz hat in Art. 45 b dem Wehrbeauftragten – natürlich Omid Nouripour nicht nur ihm, aber ausdrücklich auch ihm – den Schutz (B) Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie- der Grundrechte der Soldaten und ihrer Angehörigen (D) ren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. übertragen. Der Wehrbeauftragte kann und darf deshalb nicht schweigen, wenn es darum geht, Mängel und Defi- Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, die zite anzusprechen, die den Schutz und die Sicherheit der weiteren Diskussionen nach draußen zu verlegen, anstatt Soldaten beeinträchtigen. sie in den hinteren Bankreihen zu führen. Soldatinnen und Soldaten klagen mir gegenüber im- Das Wort hat der Wehrbeauftragte, der Kollege mer wieder über als Beschwichtigung empfundene Stel- Hellmut Königshaus. lungnahmen militärischer Vorgesetzter. Hier fallen Ein- satzrealität und deren Wahrnehmung im Ministerium Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deut- und in den Stäben oftmals auseinander. Ich bin dem schen Bundestages: BundeswehrVerband und ganz besonders seinem Vorsit- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be- zenden, Oberst Kirsch, sehr dankbar, dass er meine Ar- raten heute abschließend den Jahresbericht 2010 und die beit gerade deshalb nachdrücklich unterstützt. Stellungnahme des Ministers dazu. Ich will darauf im Folgenden eingehen. In der Bundeswehr ist keineswegs alles schlecht, wie mancher gelegentlich aus meinen Berichten herauszule- Ich freue mich ganz besonders, dass eine meiner Vor- sen scheint; keineswegs, vieles ist gut. Zu Recht weist gängerinnen, Frau Claire Marienfeld-Czesla, heute mit der Minister in seiner Stellungnahme auf zahlreiche Ver- ihrem Gatten anwesend ist. besserungen hin, die inzwischen erreicht wurden. Gleichwohl gibt es nach wie vor erhebliche Defizite, die (Beifall) sicherheitsrelevant sind. Das räumt das Ministerium in Ich freue mich immer, wenn wir die Kontinuität deutlich seiner Stellungnahme ja auch ein. Ich will gerne bestäti- machen können, in der dieses Amt steht. gen, dass an der Abstellung der meisten Mängel intensiv gearbeitet wird. Ich denke aber, dass wir auch weiterhin Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch ei- einen Meinungsaustausch darüber führen müssen – gele- nige Worte des Dankes voranstellen, zunächst natürlich gentlich auch kontrovers –, was auch in Zeiten knapper an unsere Soldatinnen und Soldaten gerichtet, insbeson- Kassen für die Bundeswehr und unsere Soldaten unbe- dere an diejenigen, die in unser aller Namen im Einsatz dingt einzufordern ist. sind und dafür Entbehrungen und Belastungen hinneh- men. An sie denke ich ebenso wie an ihre Angehörigen, Dazu gehört auch der Bereich der Fürsorge, der Be- die diese Belastungen immer mittragen müssen. treuung, der Versorgung. Erlauben Sie mir dazu einige Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15049

Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus (A) Anmerkungen. Die Soldatinnen und Soldaten haben ei- Veteranenministerium, das sich um die ausgeschiedenen (C) nen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch darauf, Soldatinnen und Soldaten kümmert. Diesem steht ein sich aus allgemein zugänglichen Informationsquellen un- jährliches Budget von insgesamt 126,5 Milliarden gehindert zu unterrichten, wie jeder andere Staatsbürger US-Dollar zur Verfügung; das ist etwa das Dreifache un- auch. Wenn nun in der Stellungnahme darauf abgehoben seres gesamten Verteidigungshaushaltes. Das macht wird, dies sei ebenso wie die Rechte aus Art. 6 des Grund- deutlich, wie man dort Fürsorge sieht. Natürlich ist die gesetzes – Ehe und Familie – lediglich ein Schutzrecht, Anzahl der Veteranen dort größer. Gott sei Dank gibt es aus dem kein Leistungsanspruch der Soldaten abzuleiten bei uns noch nicht so viele, die wir versorgen müssen; sei, dann muss ich dem nachdrücklich widersprechen. aber es macht deutlich, wo wir stehen. Dies greift bereits rechtlich aus meiner Sicht zu kurz: Der Wille des Verfassungsgebers ist vor dem Hintergrund der Bevor ein ehemaliger Soldat überhaupt in die Betreu- gesetzlichen Fürsorgepflicht nach dem Soldatengesetz so ung durch das Veteranenministerium kommt, wird der auszulegen, dass jedenfalls die Betreuungskommunika- Dienstherr, wird die aktive Armee für ihn tätig. Ziel ist tion – auch durch Internet und Bildtelefonie – sowie der es, wenn irgendmöglich, die Weiterbeschäftigung in den Zugang zu den Medien durch den Dienstherrn auch im Streitkräften zu ermöglichen, ähnlich wie wir es mit der Einsatz zu gewährleisten ist. Wer Soldaten dorthin Weiterbeschäftigung anstreben. Allein der US-Army ste- schickt, wo sie ansonsten keine Möglichkeit haben, sich hen dafür 900 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Es zu informieren, muss diese Informationsmöglichkeit ge- freut mich sehr, Herr Minister, dass Sie sich für dieses währleisten. Thema besonders interessiert zeigen und dort etwas un- ternehmen wollen. Ich bin mir sicher, dass wir die Unter- (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND- stützung dieses Hohen Hauses dafür bekommen werden. NIS 90/DIE GRÜNEN]) In Kürze wird der Deutsche Bundestag über die Ver- Das ergibt sich klar aus der Fürsorgepflicht. Vor allem besserung der Einsatzversorgung beraten. Die im Ent- aber haben die Soldaten und ihre Angehörigen kein Ver- wurf der Bundesregierung vorgesehene Erhöhung ver- ständnis für juristische Spitzfindigkeiten. So empfinden schiedener Leistungen und die Rückwirkung des sie das, sagen sie mir. Solche Auffassungen sollen ledig- Gesetzes werden die Versorgung der Betroffenen deut- lich verdecken, dass zeitgemäße Kommunikationsver- lich verbessern. Allerdings fehlt dort insbesondere noch sorgung natürlich Geld kostet und dem Dienstherrn die vom Bundestag fraktionsübergreifend angeregte He- möglicherweise zu teuer ist. Deshalb bin ich dem Parla- rabsetzung der Schwelle zur Erreichung eines Anspruchs ment und den zuständigen Ausschüssen sehr dankbar, auf Weiterbeschäftigung von 50 Prozent Schädigung auf dass dort übergreifend die Auffassung vertreten wird, 30 Prozent. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genom- dass wir im Bereich der Betreuungskommunikation et- men, dass das Hohe Haus in diesem Punkt weitere Ver- (B) (D) was tun müssen. Herzlichen Dank dafür. besserungen durchsetzen will. Ich möchte Sie ganz nachdrücklich bitten, alle Energie hierfür aufzubringen. Zum Einsatz gehören heute leider auch Verwundung Unsere Soldatinnen und Soldaten haben es verdient. und Tod, wie wir immer wieder sehr schmerzlich erfah- ren müssen. Soldatinnen und Soldaten verlieren im Ein- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. satz ihr Leben, werden verwundet oder kehren traumati- siert aus dem Einsatz zurück. Das ist zum Glück nicht (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP die Regel, aber das hilft den dennoch Betroffenen natür- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie lich nicht. Mit den berechtigten Ansprüchen der Betrof- bei Abgeordneten der LINKEN) fenen und ihrer Angehörigen umzugehen, das ist eine der großen Herausforderungen, vor denen nicht nur das Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Parlament, nicht nur die Regierung, sondern unsere Ge- Das Wort hat der Bundesminister Dr. Thomas de sellschaft stehen. Maizière. Was wir im Parlament tun können, sollten wir tun. Mit dem Einsatzversorgungs- und dem Einsatz-Weiterver- Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver- wendungsgesetz hat der Gesetzgeber bereits ein erstes teidigung: deutliches Zeichen gesetzt. Auch die Streitkräfte haben Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! reagiert. Der Standard der medizinischen Versorgung im Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Herr Einsatz hat sich weiter verbessert. Mit der Einrichtung ei- Königshaus! Wir diskutieren heute über Ihren Jahresbe- nes Traumazentrums, der Berufung eines PTBS-Beauf- richt, Ihre Hinweise und Ihre Bemerkungen. Das Bun- tragten – ich verkürze das einmal – und der Schaffung desministerium der Verteidigung und ich selbst sind Ih- einer Ansprechstelle für Hinterbliebene und für Versor- nen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Ihre gungsempfänger sind wir bereits auf dem richtigen Weg. Arbeit ausdrücklich dankbar. Aber es bleibt noch eine lange Wegstrecke vor uns. Es ist eine gute Tradition, in der Sie mit Ihrem Amt Andere Länder sehen die Fürsorge des Staates für stehen, eine Tradition, auf die auch unsere Verbündeten seine Soldatinnen und Soldaten nicht auf die Zeit zwi- mit Interesse schauen. Es liegt in der Natur der Sache, schen dem Ein- und dem Austritt in die und aus der Ar- dass die Jahresberichte des Wehrbeauftragten und seine mee begrenzt, sondern als eine lebenslange Verpflich- Zwischenberichte in erster Linie Mängellisten sind, so tung. Das sollte auch unser Anspruch sein. Nehmen wir wie Sie solche Mängel sehen. Es liegt natürlich auch in uns ein Beispiel an den USA. Dort gibt es ein eigenes der Natur der Sache, dass sich der Wehrbeauftragte und 15050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Dr.Bundesminister Thomas de Maizière, Dr. Thomas Bundesminister de Maizière der Verteidigung (A) das Bundesministerium der Verteidigung bzw. der Bun- Woche noch darüber diskutieren –, sie reichen aber nicht (C) desminister der Verteidigung in der Bewertung nicht im- aus. Hinzu kommen müssen Respekt und Wertschätzung mer ganz einig sind; sonst bräuchte es Sie ja nicht, wenn sowie attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen. wir uns in der Bewertung immer einig wären. Ich will eine Forderung aufgreifen, für die Sie wer- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier ist NEN]: Oder sonst bräuchte es Sie nicht!) schon einiges geschehen. Vieles muss noch besser wer- den. Perfekt kann es nie werden. Es liegt in der Natur der Ich finde, das sollten wir offen aussprechen und mit die- Sache, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sen Meinungs- und Bewertungsunterschieden konstruk- nicht nur während der Einsatzzeit, sondern auch ohne tiv umgehen. Einsatz in der Bundeswehr besonders schwierig zu orga- Die innere Verfassung der Bundeswehr, der Geist, der nisieren ist. Aber: Wir wollen besser werden. Wir wollen in ihr herrscht, ist nach meiner Auffassung insgesamt daran arbeiten. gut. Das gilt ungeachtet festgestellter Mängel und trotz Herr Königshaus, ich danke Ihnen und Ihren Mitar- immenser Belastungen durch Auslandseinsätze und beiterinnen und Mitarbeitern für die zahlreichen Hin- Neuausrichtung. Die Bundeswehr wird nie ohne Mängel weise und Anregungen, die Sie gegeben haben. Ihr Be- sein; denn die Bundeswehr besteht aus Menschen. Zu richt ist für uns Ansporn, nicht nachzulassen, die Fehler grundsätzlicher Kritik oder grundsätzlicher Besorgnis abzustellen und dafür zu sorgen, dass die Bundeswehr über die innere Lage unserer Bundeswehr besteht kein weiterhin in der Gesellschaft verankert ist. Dazu brau- berechtigter Anlass. chen wir den guten Geist des Miteinanders, den Verzicht Ich bin dankbar, dass der Wehrbeauftragte in seinem auf unberechtigte Vorwürfe, das harte Nachgehen bei be- Jahresbericht erneut darauf hingewiesen hat, dass unsere rechtigten Vorwürfen und ein gutes Miteinander in die- Soldatinnen und Soldaten eine – ich zitiere – „für die sem Hohen Haus. Gesellschaft unverzichtbare und viel zu wenig gewür- Vielen Dank. digte Aufgabe“ wahrnehmen. Für die meisten Menschen in Deutschland sind die teils extremen Eindrücke und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gewalterfahrungen, denen unsere Soldaten im Einsatz ausgesetzt sind, kaum nachzuvollziehen. Das ist ver- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ständlich. Es ist kaum ein größerer Kontrast vorstellbar Karin Evers-Meyer hat das Wort für die SPD-Frak- als der zwischen mancher Einsatzrealität unserer Solda- tion. ten und unserem zivilen, weitestgehend gewaltfreien Le- ben in Deutschland. Zu dieser Einsatzrealität gehört (B) Karin Evers-Meyer (SPD): (D) auch, dass es in Deutschland seit einigen Jahren wieder Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Veteranen gibt, Veteranen der Bundeswehr. Ich bekenne gen! Die Auslandseinsätze, die Strukturreform, die mich heute zu diesem Begriff. Die Bundeswehr ist eine Frage nach einer Bundeswehr als attraktiver Arbeitge- Armee im Einsatz. Wie andere Nationen sollten auch wir ber – das sind extreme Belastungen für die Bundeswehr deshalb von unseren Veteranen sprechen. und vor allem für die Soldaten. Die Fachpolitiker der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Fraktionen wissen das. Wir begleiten diese Prozesse nach Kräften. Junge Menschen werden sich nur dann für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden und im äußersten Fall ihr Aber natürlich sind wir auch für Unterstützung dank- Leben für unser Land und unsere Freiheit einsetzen, bar. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist eine sol- wenn unsere Gesellschaft den soldatischen Dienst als che Unterstützung. Im Namen meiner Fraktion danke ich wertvoll, ja als ehrenhaft ansieht. Ich werde es daher zu dem Wehrbeauftragten, Herrn Königshaus, und seinen einem Schwerpunkt meiner künftigen Arbeit machen, in Mitarbeitern sehr für diese Arbeit. der Bundeswehr eine Politik für den Umgang mit unse- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP ren Veteranen und ihre Versorgung zu formulieren und und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf den Weg zu bringen. Ich bin sehr froh, dass wir in dieser Frage mit Ihnen völlig einig sind. Gerade das Jahr 2010 war für die Bundeswehr ein tur- bulentes Jahr: heftige Gefechte in Afghanistan mit toten Der Bundesminister der Verteidigung ist hier natür- und verwundeten Soldaten, die Ankündigung einer tief- lich besonders gefordert. Richtig ist aber auch: Die greifenden Bundeswehrreform mit großen Einsparun- ganze Gesellschaft ist hier gefordert. Es geht darum, si- gen, die Aussetzung der Wehrpflicht mit all ihren Folgen cherzustellen, dass unsere Streitkräfte, unser Staat und und nicht zuletzt der Fall „Gorch Fock“, der den Tod ei- unsere Gesellschaft denjenigen, die im Einsatz für unser ner jungen Kadettin gefordert und die Bundeswehr und Land Opfer gebracht haben, die verdiente Fürsorge und vor allem die Marine Vertrauen gekostet hat, das müh- Anerkennung zukommen lassen. Der Platz der Bundes- sam zurückgewonnen werden muss. Das alles fällt in wehr ist in der Mitte unserer Gesellschaft. Die Bundes- den Berichtszeitraum. wehr wird ihren Beitrag dazu leisten, den Dienst in den Streitkräften attraktiv zu gestalten und diejenigen, die in Fast schon vergessen ist dabei der enorme Wirbel, den Ausübung ihres Dienstes physisch oder psychisch zu der Fall zu Guttenberg rund um die Bundeswehr ausge- Schaden gekommen sind, angemessen zu versorgen. Fi- löst hat und auf den wir alle in Anbetracht der wirklich nanzielle Anreize sind dabei wichtig – wir werden diese drängenden Fragen hätten verzichten können. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15051

Karin Evers-Meyer (A) Vor dem Hintergrund dieser komplexen Gemengelage tragte regelmäßig zu hören bekommt, sondern das be- (C) ist es eine durchaus mutige und konsequente Entschei- kommen auch alle Kolleginnen und Kollegen bei den dung des Wehrbeauftragten gewesen, sich in seinem Be- Besuchen in den Standorten regelmäßig zu hören. Was richt 2010 auf drei Kernpunkte zu konzentrieren. Inso- das für die Soldaten und vor allem für die Familien be- weit teile ich die Auffassung des Wehrbeauftragten, dass deutet, haben wir in diesem Hause ja auch schon aus- neben der ganzen Aufregung eines absolute Priorität ha- führlich besprochen. Das erspare ich mir hier. ben muss: Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen ei- nen unabhängigen Ansprechpartner, an den sie sich mit Mehr als ärgerlich finde ich aber die Reaktion des ihren Beschwerden und Hinweisen wenden können und Ministeriums. Da ist dann wieder nur von Einzelfällen der dann dafür sorgt, dass die Kritik in geeigneter Form und davon die Rede, dass es sich bei manchen Gruppen, gesammelt, ausgewertet und wirksam kommuniziert wie Spezialisten, nicht vermeiden lässt, dass der Aus- wird. Das ist mit dem vorliegenden Bericht im Wesentli- landseinsatz länger dauert. Ich finde, diese Antwort ist chen gelungen. ärgerlich, weil unsere Erfahrung und die der Soldatinnen und Soldaten und vor allen Dingen die der Angehörigen Es gibt aber auch Kritik, und zwar auch am Wehrbe- ganz anders ist. Mittlerweile gehen ganze Einsatzkontin- auftragten selbst. Herr Königshaus, ich erinnere mich gente mit der Ansage nach Afghanistan, dass sie auf je- noch sehr gut an Ihre Vorstellung bei uns in der Arbeits- den Fall sechs Monate lang da bleiben müssen. Von ei- gruppe. Sie wollten zukünftig immer zuerst das Parla- ner Ausnahme kann hier nicht die Rede sein. Vor diesem ment und vor allem den Verteidigungsausschuss infor- Hintergrund finde ich die Aussage des Ministeriums ein mieren und erst dann die Medien. Wenn wir nun auf die bisschen unehrlich. Die Realität sieht anders aus; das 15 Monate Ihrer Amtszeit zurückblicken, dann müssen wissen wir. wir sagen: Wir erfahren Alarmmeldungen immer häufi- ger aus der Presse. Das war bei der „Gorch Fock“ sowie Das wird ja auch denjenigen berichtet, die sich für die bei angeblichen Ausrüstungsmängeln in Afghanistan so, Arbeit bei der Bundeswehr interessieren. Daran sollte und das betraf auch die Kritik an einzelnen Stützpunk- man auch denken, wenn man die Bundeswehr zu einem ten. Das ist nicht das, was Sie sich vorgenommen hatten, attraktiven Arbeitgeber machen will. als Sie Ihr Amt angetreten haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, Im Wehrbeauftragtengesetz heißt es: Der Wehrbeauf- dass die Bundesregierung die Kraft findet, die anstehen- tragte informiert das Parlament. Die Regierung berichtet den Reformen kraftvoll und konsequent zu gestalten. Es dem Ausschuss und dem Parlament, nicht zuerst dem steht ein Kraftakt bevor. Die Soldaten und Zivilbeschäf- Wehrbeauftragten. – Ich finde, da hat sich etwas einge- tigten schauen in diesen Wochen gebannt darauf, was die Bundesregierung tut. Ich wünsche Ihnen Erfolg, weil es (B) schlichen, wo man etwas sensibler sein muss; denn das (D) ist nicht das, was die Abgeordneten von ihrem Wehrbe- um diese Menschen und um die Zukunft der Bundes- auftragten und in der Reaktion letztlich von der Regie- wehr insgesamt geht. rung erwarten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich möchte ansonsten gar nicht weiter auf den Bericht und die Stellungnahme des Ministers im Einzelnen ein- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gehen. Das Ministerium hat sich wieder einmal bemüht, Der Kollege Christoph Schnurr hat das Wort für die auf alle Kritikpunkte detailliert einzugehen. Die Antwor- FDP-Fraktion. ten überzeugen natürlich nur in Teilen; das ist bei der Opposition ja üblich. Gut gelungen, so finden wir, ist der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bericht im Bereich der Sanität. Wir haben aber auch wesentliche Kritikpunkte. Ge- Christoph Schnurr (FDP): rade ist das Soldatenversorgungsgesetz angesprochen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen worden. Man muss sagen, dass es der Regierung nicht und Kollegen! Herr Wehrbeauftragter, zu Beginn möchte gelungen ist, auf den gemeinsamen Vorschlag der Frak- ich Ihnen noch einmal für den Bericht danken. Es ist im- tionen einzugehen. Das vermissen wir. Zwar sagten Sie mer gut, wenn ausführlich über den Zustand der Truppe gerade, das alles sei gut geregelt. Aber ich meine, da hat und auch über einzelne Mängel berichtet wird. An dieser die Regierung noch einen gewaltigen Nachholbedarf. Stelle danke ich insbesondere auch dem Ministerium, das, wie ich glaube, sehr detailliert auf die Fragen geant- (Beifall bei der SPD) wortet hat, welche Mängel noch vorhanden sind und Ein anderes Thema ist die ewige Sorge um die Ver- welche Mängel schon abgestellt wurden; denn es gehört einbarkeit von Familie und Dienst. Die Antworten, die auch dazu, dass man das offen anspricht. gegeben werden, helfen niemandem weiter. Ich nenne einmal ein Beispiel: Die Institution des Wehrbeauftragten ist wichtig; das ist schon angeklungen. Sie ist im Grundgesetz verankert. Der Wehrbeauftragte kritisiert in seinem Bericht, dass Das Amt ist ein Hilfsorgan des Parlamentes. Ich glaube, viele Soldatinnen und Soldaten deutlich länger als vier dass es nicht nur wichtig für uns ist, damit wir unsere Monate im Einsatz sind – vor allen Dingen in Afghanis- Aufgabe wahrnehmen können, sondern sicherlich auch tan. Das ist eine Klage, die nicht nur der Wehrbeauf- für die Soldatinnen und Soldaten und für einen großen 15052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Christoph Schnurr (A) Teil der Öffentlichkeit, die so von der Arbeit der Bun- Bundestag jedem Soldaten und jeder Soldatin 30 Freimi- (C) deswehr und dem Zustand der Truppe erfahren kann. nuten zur Verfügung gestellt hat, die er bzw. sie nutzen kann, um nach Deutschland zu telefonieren. Diese Ver- Frau Evers-Meyer, Sie sagen, dass die Arbeit des besserungen werden positiv aufgenommen. Wehrbeauftragten gut und wichtig ist. Gleichzeitig ha- ben Sie aber das Gefühl, dass Informationen des Wehr- Der gesamte Themenkomplex der Vereinbarkeit von beauftragten an die Presse gelangen. Familie und Dienst ist auch in puncto Attraktivität der (Karin Evers-Meyer [SPD]: Zuerst!) Bundeswehr und Nachwuchsgewinnung wichtig. Gerade hier stehen wir natürlich vor Herausforderungen, wenn – Zuerst an die Presse, bevor sie an den Ausschuss ge- wir auch weiterhin für die Bundeswehr Nachwuchs ge- langen: Das ist der entscheidende Punkt. – Damit bege- winnen wollen. Eines ist klar: Die Bundeswehr ist ein at- ben Sie sich natürlich auf sehr dünnes Eis, weil Sie – das traktiver Arbeitgeber. Aber wir müssen kontinuierlich glaube ich zumindest – nicht wissen, wie es tatsächlich daran arbeiten, sie noch attraktiver zu machen. gewesen ist. Die Frage ist doch, von wem die Informa- tionen, die beispielsweise in einem Schriftwechsel zwi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schen der Dienststelle des Wehrbeauftragten und dem Das Ministerium hat Anfang des Jahres einen Maß- BMVg oder aber auch dem Ausschuss oder einzelnen nahmenkatalog vorgelegt. Weitere Maßnahmen werden Abgeordneten ausgetauscht werden, an die Presse gege- folgen. Wir alle sind aufgerufen, uns damit konstruktiv- ben werden. kritisch auseinanderzusetzen und uns einzubringen. Ei- Ich glaube, es ist notwendig und richtig, dass die ein- nes dürfte aber klar sein: Es wird nicht möglich sein, zelnen Organisationen, Mitarbeiter und Abgeordneten, dass jede einzelne Maßnahme von heute auf morgen um- die sich mit dem Themenkomplex beschäftigen, auch gesetzt wird, sondern auch dies wird ein längerer Pro- vertrauliche Informationen austauschen können. Deswe- zess sein. Aber der Weg, der hier eingeschlagen wird, ist gen haben wir ja auch eine Geheimschutzordnung. Wir richtig. wissen aus anderen Fällen, beispielsweise aus dem Un- Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. tersuchungsausschuss, dass immer wieder Informationen Soldaten können in gefährliche, ja, wie wir alle schmerz- durchsickern. Das ist sehr ärgerlich und macht die Sache lich erleben mussten, in lebensgefährliche Einsätze be- nicht besser. Deswegen muss auch an dieser Stelle nach- fohlen werden, entsendet von uns, dem Deutschen Bun- gearbeitet und nachgebessert werden. destag. Die Bundeswehr ist nunmehr seit zehn Jahren in Der Wehrbeauftragte hat ganz klar festgestellt, dass es Afghanistan. Wie gefährlich dieser Einsatz ist, das wis- unterschiedliche Missstände gegeben hat, aber dass das sen wir alle. Ja, es gibt keinen hundertprozentigen (B) Ministerium diese abgestellt hat. Über 5 000 Eingaben Schutz, den kann es nie geben. Aber wir müssen dafür (D) sind in dem Berichtszeitraum beim Wehrbeauftragten Sorge tragen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die eingegangen. Drei Schwerpunkte hat er daraus gebildet: bestmögliche Ausbildung und Ausrüstung für ihren sehr die Problematik des Sanitätsdienstes, die Herausforde- schwierigen Einsatz erhalten. rung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst und na- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) türlich die Situation in den Auslandseinsätzen und die damit verbundene Frage nach der Ausrüstung und Aus- Wir alle wissen, dass es auch in der Frage der Ausrüs- bildung. tung noch Verbesserungsbedarf gibt. Aber angesichts der Bei den Gesprächen mit den Soldatinnen und Solda- Zahl von momentan über 1 000 geschützten Fahrzeugen ten, ob in Deutschland oder in den Einsätzen, ist uns, in Afghanistan können wir sagen: So viele hatten wir vor glaube ich, immer wieder bewusst geworden, welche Ort noch nie, und das ist auch richtig so. hohe Relevanz die Betreuungskommunikation der Sol- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der daten mit ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld in CDU/CSU) Deutschland hat. Die Soldaten wollen per Post, per E-Mail, telefonisch, per SMS oder auch per Internettele- Meine Redezeit geht zu Ende. Herr Minister, ich fonie mit ihrem sozialen Umfeld Kontakt aufnehmen. möchte Ihnen für eine Sache ganz ausdrücklich danken, Dass dieser Wunsch erfüllt wird, sind wir unseren Solda- nämlich dass Sie heute von diesem Pult aus das erste tinnen und Soldaten schuldig. Mal von „Veteranen“ gesprochen haben. Es ist ein Quan- tensprung, dass wir ganz offen mit dem Zustand umge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie hen, dass wir nicht nur unsere Soldatinnen und Soldaten bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und in Auslandseinsätze entsenden, dass wir uns nicht nur des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gemeinsam darum kümmern, wenn Soldaten mit post- Es gibt hierfür auch einen neuen Anbieter, Astrium. Eine traumatischen Belastungsstörungen nach ihrem Einsatz erste Evaluierung dieses Angebots wird vom Ministe- im Ausland zurückkommen, sondern dass wir uns auch rium bald vorgelegt werden. Dann müssen wir sehen, offen der Herausforderung stellen, dass es Veteranen wie wir damit weiter umgehen. gibt. Das ist nicht zu tabuisieren, das haben Sie nicht ge- tan. Ganz im Gegenteil: Sie haben das ganz offensiv auf- Eines steht schon fest: Die Kosten für die Soldaten genommen. Seien Sie sich der Unterstützung der Koali- sind gesunken. Eine bessere technische Anbindung ist tion in dieser Frage gewiss. möglich geworden, auch weil die Videotelefonie zur Verfügung steht. Es ist zu begrüßen, dass der Deutsche (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15053

Christoph Schnurr (A) Die Soldaten machen einen schwierigen Job, der in Hier liegt unsere Kontrollpflicht und auch die des Wehr- (C) der Öffentlichkeit leider oft nicht anerkannt wird. Das ist beauftragten. sehr bedauerlich. Deswegen darf ich von dieser Stelle all Was müsste geschehen? unseren Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Beschäf- tigten und natürlich auch den Reservisten, aber auch Erstens. Es geht um Einstellungen und Sensibilitäten. ganz bewusst den Familien, die das soziale Umfeld aus- Spätestens der 4. September 2009 – Bombardierungsbe- machen, ein herzliches Dankeschön ausrichten. Ihnen al- fehl in Kunduz – und der Umgang damit haben gezeigt, len gilt unsere Anerkennung. dass wir Dinge kritisch prüfen müssen. Hier geht es um die Sensibilisierung von Soldatinnen und Soldaten. Es Vielen Dank. kann auf keinen Fall angehen, dass man bestimmte (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dinge über die ethisch-moralischen Grundprinzipien stellt, weil man fürchtet, dass die Kampfmoral, die Wehrmoral zusammenbrechen. Das darf nicht sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zweitens. Es bedeutet, sorgfältiger auf das Verhältnis Der Kollege Paul Schäfer hat jetzt für die Fraktion von militärisch-taktischer Ausbildung und allgemeiner Die Linke das Wort. Bildung zu achten. Es läuft doch etwas schief, wenn (Beifall bei der LINKEN) politische Bildung nach Nachtmärschen stattfindet – das kommt immer noch vor –, wenn die Soldatinnen und Soldaten also kaum mehr aufnahmefähig sind. Es läuft Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): ebenfalls etwas schief, wenn sich Lehrkräfte der Füh- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der rungsakademie der Bundeswehr bitter darüber beklagen, Wehrbeauftragte ist eine Art Kummerkasten der Solda- dass der Bereich ethisch-normative Bildung immer mehr ten. Deshalb diskutieren wir folgerichtig über die Ver- ausgedünnt wird, weil man sagt: Das brauchen wir unter sorgung von im Einsatz Verwundeten und Traumatisier- den Bedingungen einer Einsatzarmee gar nicht mehr. – ten sowie über die Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Ich finde, da muss viel geschehen. Es wäre gut, wenn All das ist in Ordnung. sich die Bundeswehr bei der Vermittlung der ethischen Grundlagen noch mehr für zivile Expertinnen und Ex- Wir haben es mit dem Phänomen zu tun, dass viele perten öffnen würde. Die Militärseelsorge kann und der im Bericht angesprochenen Defizite hinlänglich be- sollte das nicht leisten. kannt sind. Das heißt, sie wiederholen sich immer, ob es das Fehlverhalten von Vorgesetzten ist, Versäumnisse Drittens. Schließlich ist es eine bleibende Aufgabe, bei der Fürsorge für die Soldatinnen und Soldaten, Über- genau hinzuschauen, wenn es um sogenannte Rituale (B) (D) lastung in den Einsätzen oder – der Klassiker schlechthin – oder andere Dinge geht, mit denen ein bestimmter die ausgebliebene Neufassung des Haar- und Barterlas- Korpsgeist ausgebildet werden soll, auch weil es dabei ses. Ich fürchte nur, dass sich daran wenig ändern wird. darum geht, den Soldaten als Kämpfer zu formen. Das Das hat meines Erachtens sehr viel damit zu tun, dass gilt auf geistiger Ebene auch für falsche Traditions- den Belangen der Armee im Einsatz von der politischen pflege. Hier ist parlamentarische Kontrolle Pflicht. Das und militärischen Führung der Streitkräfte alles unterge- ist auch eine Aufgabe des Wehrbeauftragten. ordnet wird. Davon ist die Tagesordnung bestimmt. (Beifall bei der LINKEN) Das führt mich zu dem Punkt, den ich ansprechen Viertens. Es geht darum, die weitere Demokratisie- möchte. Der Originalauftrag des Wehrbeauftragten laut rung der Streitkräfte zu fördern. Demnächst werden wir Grundgesetz heißt: Schutz der Grundrechte und Hilfsor- über die Neufassung von Beteiligungsrechten reden. Es gan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentari- geht aber auch um die Einbindung der Soldatinnen und schen Kontrolle der Streitkräfte. – Das ist der Punkt. Soldaten in die Bundeswehrreform und um neue Wege Dass hier die parlamentarische Kontrolle herausgehoben bei der Gewinnung von Führungspersonal. Da gibt es wird, hat natürlich etwas mit der Besonderheit von Ar- viele Dinge, die man ändern kann. meen und mit der leidvollen deutschen Wehrmachtsge- schichte zu tun. Aus deren Aufarbeitung ist das neue Der Hinweis des Wehrbeauftragten, das alles gehöre Leitbild Staatsbürger in Uniform entwickelt worden. zum Alltag seiner Dienststelle, ist gut und richtig. Sie, Dieser Staatsbürger in Uniform sollte in seinem Handeln Herr Königshaus, machen eine gute Arbeit. An dieser strikt an Recht und Gesetz gebunden sein. Er sollte dafür Stelle einen recht herzlichen Dank an Sie und an alle auch die Gesetze und das Völkerrecht kennen. Er Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. braucht eine ethisch-normative Grundbildung, um eigen- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und ständig, verantwortungsbewusst handeln zu können. Er der FDP) braucht Einspruchs- und Widerspruchsrechte. Er muss über seine Rechte Bescheid wissen, und die innere Ver- Sie machen wirklich einen guten Job, gar keine Frage. fasstheit der Streitkräfte darf sich nicht nur nach dem Beispiele: „Gorch Fock“, Schießunfälle in Afghanistan Befehl-und-Gehorsam-Prinzip richten, sondern es muss, usw. Da haben Sie zeitnah berichtet und haben sich soweit es geht, demokratisch zugehen. Ich denke, dass furchtlos mit der Regierung angelegt. Genau das ist Ihre dieses Leitbild durch die forcierte Ausrichtung der Bun- Aufgabe, die des Wehrbeauftragten. Ich bleibe dabei: deswehr auf eine Armee im Einsatz in Gefahr gerät. Es Wir müssen weiterhin auch über die Schwerpunkte Ihrer besteht die Gefahr, dass dieses Leitbild ausgehöhlt wird. Amtsführung reden. Dazu gehört meines Erachtens der 15054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Paul Schäfer (Köln) (A) Bereich Innere Führung. Er darf nicht vernachlässigt – Welche Regierung hat denn den jetzigen Vertrag abge- (C) werden. schlossen, mit dem es immer noch nicht geht? Das ist die zentrale Frage. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei der LINKEN) DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Mangel ist schon länger bekannt. Damit haben Sie Das Wort hat Omid Nouripour für Bündnis 90/Die recht. Aber im Wissen um den Mangel einen neuen Ver- Grünen. trag abzuschließen, mit dem es immer noch nicht funk- tioniert, ist ein Skandal. Wichtig ist, wie gesagt, was hin- ten rauskommt: Es funktioniert nicht. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Zweites Beispiel. Das ist nicht der erste Bericht des Wehrbeauftragte ist eine Institution, die ein Pulsmesser Wehrbeauftragten, in dem Führungsversagen, mangel- für die Belange der Bundeswehr ist. Um diese Institution haftes Führungsverhalten, Defizite bei der Dienstauf- des Deutschen Bundestages beneiden uns viele Länder sicht, auch aufgrund der Unerfahrenheit von Vorgesetz- auf der Welt. Für die gründliche Arbeit dieser Institution, ten, und vor allem mangelndes Unrechtsbewusstsein die seit Jahren gemacht wird, und natürlich auch für den festgestellt werden. Das sind sehr ernst zu nehmende sehr gründlichen Bericht, den Sie auch dieses Jahr vor- Punkte, die man nicht einfach beiseiteschieben kann, vor gelegt haben, Herr Königshaus, möchte ich Ihnen und allem nicht bei einer Armee im Umbruch hin zu einer Ihrem Stab herzlich danken. Freiwilligenarmee, die auf dem Arbeitsmarkt mit zivilen Konkurrenten um Nachwuchs werben muss. Schließlich (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- muss man – damit hat Herr Schäfer völlig recht – mit SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und diesem Personal die Innere Führung, das Prinzip des der FDP) Staatsbürgers in Uniform nicht nur aufrechterhalten, An dieser Stelle ist es wichtig, auch zu schauen, wie sondern auch weiterentwickeln und vertiefen. Auch da- die Bundesregierung mit den analysierten Defiziten um- bei ist festzustellen – das ist alles nicht neu –: Hinten geht. Ich halte eine Formulierung wie „wandelnde Defi- kommt nicht sehr viel raus. Das ist ein großes Problem zitanalyse“ nicht unbedingt für ein Zeichen von Respekt für die Bundeswehr im Umbruch. und dafür, dass die Arbeit des Wehrbeauftragten ernst genommen wird. Vor allem ist wichtig – ich glaube, die- Die dafür notwendige Klarheit fehlt. Das ist das Pro- ses Zitat kennen alle hier und können es auch richtig zu- blem. Herr Minister, Sie haben gestern ein Papier vorge- (B) weisen –, was hinten rauskommt. legt; „Sachstand“ heißt es in der Überschrift. Nach der (D) Lektüre meine ich, „Vertagen“ wäre für die Überschrift Natürlich ist es erlaubt, die Arbeit des Wehrbeauftrag- besser geeignet. Die Klarheit ist in sehr vielen Bereichen ten zu kritisieren. Ich habe ebenfalls Kritik an Ihrer Ar- nicht gegeben. Die größtmögliche Bundeswehrreform beit; das wissen Sie auch. Ich finde, an der einen oder aller Zeiten wird immer kleiner und immer mehr zum anderen Stelle könnte es ein bisschen weniger technisch Stückwerk. Dass die Verunsicherung in der Truppe im- sein oder auch ein bisschen weniger schnell gehen. mer größer wird, ist kein Wunder. Man kann nur froh Wichtig ist aber, dass das, was ausgearbeitet wird, ernst sein, dass die Soldatinnen und Soldaten wenigstens ei- genommen und Punkt für Punkt behandelt wird. Hinten nen Wehrbeauftragten haben, an den sie sich im konkre- kommt aber an einigen Stellen seit einigen Jahren nichts ten Fall wenden können. raus. Ich möchte zwei Beispiele nennen. Herzlichen Dank. Die Betreuungskommunikation für die Soldaten im Einsatz ist mehrfach genannt worden. Es ist nicht erträg- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich, dass im zehnten Jahr des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan Bundeswehrangehörige nicht per Video Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mit ihren Familiengehörigen nach Hause kommunizie- Die Kollegin Anita Schäfer hat jetzt das Wort für die ren können. Das ist auch deswegen indiskutabel, weil es CDU/CSU-Fraktion. Anfang des Jahres den Skandal gegeben hat, dass sehr persönliche Briefe geöffnet worden sind. Bis heute gibt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) es keine Antwort darauf, wie das passiert ist. In diesem Umfeld ist das Skypen von besonderer Bedeutung für Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): die Soldaten, aber es funktioniert auch im zehnten Jahr noch nicht. Wir sehen aber seit Jahren, dass die Austra- Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen lier, Österreicher und Amerikaner das hinbekommen. und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Sogar deutsche Polizisten im selben Feldlager, Wand an Lassen Sie mich in meinen Anmerkungen zunächst auf Wand mit den deutschen Soldaten, können skypen. Aber die besondere Situation eingehen, in der sich die Bun- die deutschen Soldaten können das nicht. deswehr derzeit befindet, eine Situation, die mit Fug und Recht durchaus als historisch bezeichnet werden kann. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Welche Regie- Zum 1. Juli ist das Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 in rung hat denn den langfristigen Vertrag damals Kraft getreten. Damit wurde fast auf den Tag genau nach abgeschlossen?) 55 Jahren die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt, die seit Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15055

Anita Schäfer (Saalstadt) (A) Anbeginn die Grundlage der Streitkräfte der Bundesre- Rahmen des einsatzbedingten Sofortbedarfs abgestellt (C) publik Deutschland war. wird. – Das wäre ein ehrgeiziger Anspruch. Zumindest bei komplexen Systemen wie etwa denen zur Route Wir sind mit dieser Wehrform gut gefahren, die den Clearance werden wir das in der Realität wohl nicht Sicherheitserfordernissen während des Kalten Krieges schaffen; denn Tatsache ist, dass die Produktionskapazi- gerecht wurde und die gemeinsam mit den Konzepten täten für diese Spezialfahrzeuge beschränkt sind, selbst der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform wenn wir marktverfügbare Kauflösungen wählen, wie es die Bundeswehr zu einem untrennbaren Teil unserer de- ja in diesem Fall geschieht. Bis Ende dieses Jahres soll mokratischen Gesellschaft gemacht hat. Letzteres soll bekanntlich ein Interimssystem im Einsatz sein. Die da- und wird sich auch durch den Übergang zu einer reinen für nötige Zeit hängt allerdings nicht vom politischen Freiwilligenarmee nicht ändern. Handeln ab, sondern von der Lieferfähigkeit der Indus- Ich möchte an dieser Stelle den Millionen Wehr- trie. Bis dahin werden die deutschen Kräfte weiterhin im pflichtigen danken, die in den vergangenen Jahrzehnten Rahmen des Möglichen durch Fähigkeiten unserer ame- ihren Dienst für die Sicherheit Deutschlands geleistet ha- rikanischen Verbündeten unterstützt. ben. Aktuell haben wir aber bereits zwei andere für die Wie gut der Übergang zur Freiwilligenarmee gelingt, Soldaten im Einsatz wesentliche Punkte verbessert bzw. wird wesentlich von der öffentlichen Wahrnehmung des stehen wir dabei kurz vor dem Abschluss. Das ist zum Dienstes bei der Bundeswehr abhängen. Wir sind zuver- einen die Kommunikation mit den Familien durch den sichtlich, diesen zukünftig noch attraktiver gestalten zu Vertrag mit einem neuen Dienstleister. Die in meiner können, als er bereits ist. Hierzu wird die Koalition im letzten Rede angesprochenen Fortschritte gegenüber Rahmen der Reform schon bald weitgehende Maßnah- dem bisherigen Zustand sind mittlerweile praktisch um- men umsetzen. Darüber hinaus muss dieser Dienst noch gesetzt. stärker als bisher als Ehrendienst wahrgenommen wer- den, nicht als Beruf wie jeder andere mit guten materiel- Noch wichtiger ist aber die bevorstehende Änderung len Bedingungen, sondern als Engagement für die des Einsatzversorgungsgesetzes. Damit werden wir die Sicherheit unseres Landes, das eine bewusste Entschei- Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen für einsatz- dung zur Inkaufnahme persönlicher Risiken erfordert. versehrte Soldaten verdoppeln. Hinterbliebene von getö- Wir brauchen gewissermaßen sowohl eine äußere als teten Zeitsoldaten werden in der Versorgung nunmehr auch eine innere, eine materielle und eine wertegebun- denen von Berufssoldaten gleichgestellt. Es wird endlich dene Attraktivität des Dienstes. Nur dann werden wir möglich, die Ausgleichszahlungen beim Ausfall privater auch in Zukunft den qualifizierten Nachwuchs für die Lebensversicherungen durch sogenannte Kriegsklauseln (B) Freiwilligenarmee Bundeswehr gewinnen, der die Wehr- an juristische Personen zu leisten, was wichtig ist, wenn (D) pflichtarmee Bundeswehr ausgezeichnet hat. Ansprüche aus solchen Lebensversicherungen etwa zur Finanzierung des Wohnungsbaus an eine Bank abgetre- Unsere Aufmerksamkeit muss jetzt darauf gerichtet ten worden sind. sein, möglichst viele noch dienende Soldaten, insbeson- dere Mannschaftsdienstgrade, für den weiteren Dienst zu Zudem wird das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz gewinnen. Mir ist von vielen Mannschaften berichtet künftig auch Einsatzunfälle ab 1992 – bisher war der worden, die gerne die geplanten längeren Verpflich- Stichtag der 1. Dezember 2002 – erfassen, sodass auch tungszeiten nutzen würden, aber nach den jetzigen Re- Betroffene aus früheren Einsätzen, aus Einsätzen vor geln in den nächsten Monaten ausscheiden müssten. Das Afghanistan, die Möglichkeit eines weiteren sicheren gilt gerade für einsatzerfahrene Soldaten. Es ist wichtig, Lebensunterhalts bei der Bundeswehr haben. Die Geset- jetzt rasch die Grundlagen zu schaffen, damit diese zesänderung wird noch einige weitere Neuregelungen wunschgemäß weiter bei der Truppe dienen können und umfassen, die unseren Soldaten eine größere Gewissheit der Bundeswehr damit dieses Potenzial erhalten bleibt. geben, dass im Fall des Falles für sie und ihre Familien gesorgt ist. Den damit erreichten Stand müssen wir auch Hinsichtlich der Auslandseinsätze können wir erneut künftig darauf kontrollieren, ob weitere Anpassungen an konstatieren, dass sich die Ausrüstungssituation laufend die Lebens- und Einsatzrealitäten nötig und möglich verbessert. So ist die früher stets kritisierte Ausstattung sind, damit das Risiko unserer Soldaten, die in den von mit geschützten Fahrzeugen und Bewaffnung in Afgha- uns mandatierten Einsätzen Leib und Leben für die Si- nistan mittlerweile zufriedenstellend. Wir haben aber vor cherheit Deutschlands aufs Spiel setzen, so gut wie men- einiger Zeit erst wieder erfahren müssen, dass selbst das schenmöglich abgedeckt ist. Dafür müssen wir alle hier bestgeschützte Fahrzeug, etwa der Schützenpanzer Mar- im Deutschen Bundestag weiterhin Sorge tragen. der A5, keine vollständige Sicherheit vor Tod und Ver- wundung bedeutet. Insbesondere müssen daher die Auf- Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, Ihnen und Ihren klärungsmöglichkeiten weiter verbessert werden, damit Mitarbeitern danke ich ganz herzlich für die gute Zusam- es erst gar nicht zu Anschlägen kommt. menarbeit und den gründlichen Bericht. Der Jahresbericht hat erneut auf das Problem der Nun, meine Damen und Herren, ich bin die letzte Route Clearance zur Beseitigung versteckter Ladungen Rednerin vor dem Papst hingewiesen. Ein Kommandeur im Einsatz hat mir vor kurzem gesagt: Gut wäre es, wenn ein Soldat noch im (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten aller selben Kontingent sieht, dass ein erkannter Mangel im Fraktionen) 15056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011

Anita Schäfer (Saalstadt) (A) und bin gespannt auf die sicher nachdenkliche, aber auch beauftragten; das sind die Drucksachen 17/4400 und (C) frohe Botschaft, die uns Seine Heiligkeit übermitteln 17/6170. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Un- wird. Ich jedenfalls freue mich darauf sehr. terrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Herzlichen Dank. Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mig angenommen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ordnung. Sie vergessen dabei, dass Sie nicht die Rolle des Bun- destagspräsidenten übernehmen werden, der den Papst Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- nachher begrüßen wird, bevor er zu Wort kommt. destages auf morgen, Freitag, den 23. September 2011, 9 Uhr, ein. Ich schließe die Aussprache. Die Sitzung ist geschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi- gungsausschusses zum Jahresbericht 2010 des Wehr- (Schluss: 13.26 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 127. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. September 2011 15057

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bas, Bärbel SPD 22.09.2011 Pieper, Cornelia FDP 22.09.2011

Beckmeyer, Uwe SPD 22.09.2011 Pitterle, Richard DIE LINKE 22.09.2011

Dr. Geisen, Edmund FDP 22.09.2011 Schaaf, Anton SPD 22.09.2011 Peter Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 22.09.2011 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 22.09.2011 Schneider (Erfurt), SPD 22.09.2011 Koch, Harald DIE LINKE 22.09.2011 Carsten

Körper, Fritz Rudolf SPD 22.09.2011 Schreiner, Ottmar SPD 22.09.2011

Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 22.09.2011 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 22.09.2011

Krestel, Holger FDP 22.09.2011 Thönnes, Franz SPD 22.09.2011

Kurth, Markus BÜNDNIS 90/ 22.09.2011 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 22.09.2011 DIE GRÜNEN Weinberg, Harald DIE LINKE 22.09.2011 Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 22.09.2011 Werner, Katrin DIE LINKE 22.09.2011 (B) Leutheusser- FDP 22.09.2011 (D) Schnarrenberger, Dr. Westerwelle, FDP 22.09.2011 Sabine Guido

Dr. Meister, Michael CDU/CSU 22.09.2011 Wolff (Wolmirstedt), SPD 22.09.2011 Waltraud Dr. Miersch, Matthias SPD 22.09.2011 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 22.09.2011

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