Kunst im Deutschen Bundestag Kein fernes Land – Künstler aus im Deutschen Bundestag Ergänzt wird die Sonderaus- stellung durch bereits zuvor erworbene Werke von Künst- Der Kunstbeirat des Deutschen lern wie Christian Boltanski Bundestages hat aus Anlass oder Susan Hiller, die sich des 50. Jahrestages der Auf- Themen deutsch-jüdischer nahme der diplomatischen Geschichte gewidmet haben. Beziehungen zwischen Israel Ferner wurden eine der be- und der Bundesrepublik deutendsten Kunst-am-Bau- Deutschland sein Augenmerk Installationen im Parlaments- auf die Kunstszene in Israel viertel vorgestellt, das „Grund- gerichtet und Werke israeli- gesetz 49“ vor dem Jakob- scher Künstler für die Kunst- Kaiser-Haus. Es wurde von sammlung des Deutschen dem Bildhauer Dani Karavan Bundestages erworben. Die aus geschaffen. Es Arbeiten wurden anlässlich ist derselbe Künstler, der des Besuches einer Delegation auch das monumentale Wand- der des Staates Israel relief „, Stadt des unter Leitung des Präsidenten Friedens“ für den Plenarsaal Yuli-Yoel Edelstein in der der Knesset gestaltet hat: Abgeordnetenlobby ausgestellt. Israel – kein fernes Land.

Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert und Knesset- Kein fernes Land – Künstler aus Präsident Yuli-Yoel Edelstein bei der Eröffnung der Ausstellung im Israel im Deutschen Bundestag Reichstagsgebäude am 2. Dezember 2015, © DBT/Jens Liebchen

1 Boaz Aharonovitch studierte Fotografie an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem. Der Künstler wurde mit verschiedenen Stipen- dien und Preisen geehrt, seine Werke sind in zahlreichen öffentlichen und privaten Der Widerspruch zwischen Sammlungen vertreten. dem realen Ereignis, das im Einzelbild dokumentiert wur- Aharonovitchs Arbeiten sind de, und der Fiktion, die in nicht Fotografie im klassi- der Kombination vieler Einzel- schen Sinne, sondern die Ver- bilder entsteht, macht die dichtung und Kombination Faszination der Arbeiten von tausender fotografischer Aharonovitch aus. Sie wirken Aufnahmen zu einem Thema wie ultimative Abbildungen – die nur zum Teil aus der zu einem Sujet – es gibt nichts eigenen Kameralinse stam- hinzuzufügen, nichts wegzu- men. Die vierteilige Arbeit nehmen. Damit überschreitet „Dark Matter“ etwa entstand der Künstler die Grenzen des in der Kombination vieler Mediums in mehrfacher Weise, Aufnahmen von Supernovae, denn er setzt sich dabei nicht die der Künstler in zeitinten- über die Ebenen und Dimensio- siven Recherchen fand und nen menschlicher Wahrneh- neu kombinierte. Das kosmi- mung hinweg, sondern findet sche Panorama, in dem nun Bilder für das Unvorstellbare. zeitgleich stattfindet, was Das All, dessen Geschehen sich in Wirklichkeit in Jahr- dem menschlichen Auge nor- millionen und Lichtjahre weit malerweise ohnehin verbor- voneinander entfernt vollzog, gen bleibt, ist eben auch der wirkt dabei hyperrealistisch metaphysische Ort für die wie der Blick in tatsächliches Schöpfungsgeschichten vieler kosmisches Geschehen. Religionen. kvo

„Dark Matter“ (Detail), vierteilig, Pigmentdruck auf Plexiglas, 2011 Boaz Aharonovitch

Boaz Aharonovitch Dark Matter Geb. 1970 in Tel Aviv, lebt und arbeitet in Tel Aviv

2 3 4 5 Die israelische Fotografin Ilit Azoulay studierte an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem und Tel Aviv. Ihr Umgang mit Foto- lichen Zweck entfremdete grafie als künstlerischem Überbleibsel eines Lebens, das Medium verbindet das Doku- an diesem Ort einmal voll- mentarische mit dem Konzep- zogen wurde. tionellen. Ihr Vorgehen gleicht am ehesten dem einer Bild- Dieses Prinzip von Montage archäologin, die visuelle wie und Rekonstruktion durch- dingliche Fundstücke zu zieht alle fotografischen Pro- neuen Bildern zusammensetzt. jekte und Serien der Künst- lerin. Erst 2014 war die Die Aufnahme „Telegram 24“ „Archäologin der Städte“ stammt aus der Serie „mes- (K. Reich) nach zu ei- sengers“ (Boten), in der un- nem Arbeitsstipendium ein- scheinbare Restmaterialien aus geladen. Von hier aus fuhr sie Wohnhäusern der Gründer- durch ganz Deutschland und generation Tel Avivs wie auf sammelte auf Straßen und einer Pinnwand aufgereiht zu Plätzen traditionsreicher Städte einem großen Wandbild ge- nicht Dinge, sondern Bilder – rinnen, das man, so scheint es, architektonische, skulpturale, nur „lesen“ muss wie ein Buch, städtebauliche und alltags- um an die mit den Dingen ver- weltliche Details, die in der bundenen Erzählungen über Neumontage zu großen, über- die einstigen Hausbewohner raschenden, teils absurden heranzukommen. Die Auf- Panoramen werden, die nahme zeigt einen mehrfach Deutschland und seine Schätze gebogenen Draht, Nägel, Na- ganz anders in einen Zusam- deln, Unterlegscheiben, Papier- menhang setzen und sich nur fetzen, Plastikteile, Zahlen- selten mit den kanonisierten schildchen – bis auf eine Kenntnissen über die berühm- Fotografie geradezu surreal ten Ursprungsorte abgleichen unpersönliche, ihrem ursprüng- lassen. kvo

„Telegram 24“ (Detail), Tinten- Ilit Azoulay strahldruck, 2010

Telegram 24 Ilit Azoulay Geb. 1972 in Jaffa (Tel Aviv), lebt und arbeitet in Tel Aviv

6 7 Ilit Azoulay, „Telegram 24“ Tintenstrahldruck, 2010

8 9 Hilla Ben Ari studierte in Tel Aviv und Jerusalem bildende Kunst und vergleichende Lite- raturwissenschaft und gehört zu den jungen israelischen Kunstpositionen, die sich mit den Fragen von Körper als individueller Dimension und Raum als dessen politischen Rahmen auseinandersetzen. Ben Ari nutzt verschiedene räumliche Strukturen veror- Medien, um Themen in zwei- ten das Geschehen eher im und dreidimensionalen Gestal- Metaphysischen denn in tungen komplex zu entwickeln. einem realen Raum. Die Köpfe Sie arbeitet in Videos, Gemäl- bzw. Gesichter der Figuren den und Druckgraphik und sind mit Farben verdeckt, es hat vor kurzer Zeit ihre erste geht demnach weder um die Dramaturgie für ein Theater- individuelle Schönheit, noch stück vorgelegt. Ben Aris Werk um das Erkennen konkreter wird weltweit in Solo- und Figuren, sondern um den Gruppenausstellungen gezeigt weiblichen Körper und seine und für öffentliche und pri- Behauptung im Raum. Ben vate Sammlungen angekauft. Ari, die in einem Kibbutz auf- wuchs, beschreibt ihre Arbeit Die für den Deutschen Bun- auch als Akt der Selbstbefrei- destag erworbene vierteilige ung von Regeln und Kodexen, Arbeit von Druckgraphiken die nicht am Individuum, stammt aus der Serie „8 Atem- sondern an der Gemeinschaft züge“ (in etwa: acht Übungen gebildet wurden. Ihre Arbeit Auszuatmen) und zeigt eine steht so stellvertretend für die bzw. mehrere Frauen bei kritische Befragung moralischer Turnübungen am Reck. Der Standards und gesellschaft- Raum ist nicht klar definiert, licher wie sozialer Erwartun- große Gerüste und andere gen an den Einzelnen. kvo

„o.T.“ (aus der Serie: 8 Exhalations), Detail, Radierung, 2011 Hilla Ben Ari

Hilla Ben Ari o.T. (aus der Serie: 8 Exhalations) Geb. 1972 im Kibbutz Ein Harod, lebt und arbeitet in Tel Aviv

10 11 Hilla Ben Ari, „o.T.“ (aus der Serie: 8 Exhalations), Radierung, 2011

12 13 Christian Boltanski weist über diese konkreten Fragen der Geschichte hinaus auf über- greifende Fragen menschlicher Existenz. So entsteht unter- Das Blatt zeigt ein Foto, leicht halb des Osteingangs zum geknittert und mit Klebeband Reichstagsgebäude durch die befestigt wie ein Fundstück gestapelten „Archivboxen“ aus einem vergessenen Nach- der Eindruck einer festgefügten lass. Eine Gruppe fröhlicher Mauer, die wie ein tragendes Kinder ist auf dem unscharfen Fundament des Parlamentes Bild zu erkennen, doch ist wirkt und die demokratische kaum ein einzelnes Gesicht Tradition Deutschlands ein- zu identifizieren. Dem Be- drucksvoll versinnbildlicht. Der trachter schnürt die Fröhlich- Gedanke der Gleichheit aller keit der Kinder die Kehle zu, angesichts der Endlichkeit der denn er ahnt, welch unge- menschlichen Existenz kommt wissem Schicksal die Kinder durch die serielle Fügung der entgegengingen. Kästen bildkräftig zum Aus- druck: Ob ein Parlamentarier Diese Tragik ist auch in der nur zwei Jahre als “Hinter- Installation „Archiv der Deut- bänkler” im Parlament gesessen schen Abgeordneten“ gegen- oder die Geschicke Deutsch- wärtig durch die schwarzen lands maßgeblich geprägt hat, Bänder, die die Abgeordneten ihnen allen wird der gleiche auszeichnen, die Opfer der Erinnerungsraum zuteil. In Verfolgung durch die National- diesem Sinne führt die gleich- sozialisten wurden. Nach dem förmige Reihung der Abge- gescheiterten Attentat vom ordneten vor Augen, dass erst 20. Juli 1944 hatte Heinrich in der Abfolge vieler Genera- Himmler mit der „Aktion Git- tionen von Parlamentariern ter“ gezielt demokratische ein breites und solides Fun- Politiker der Weimarer Repu- dament des deutschen Parla- blik verhaften und in Konzen- mentarismus entstanden ist. trationslager bringen lassen. akae

„Die Jüdische Schule“ (Berlin 1939), Christian Boltanski Lithographie (Handdruck) auf Transparentpapier collagiert, aus Die Jüdische Schule (Berlin 1939) dem Mappenwerk: Der gefrorene Leopard, Teil II, Galerie Bernd Klüser, Archiv der Deutschen Abgeordneten München 1992

Christian Boltanski Geb. 1944 in Paris, lebt und arbeitet in Malakoff bei Paris

14 15 Christian Boltanski, „Archiv der Deutschen Abgeordneten“, 1999, Metallkästen mit Aufklebern, Kohlefadenlampen, Untergeschoss Ost im Reichstagsgebäude

16 17 Die Serie „The J. Street Project“ von Susan Hiller setzt sich auf ganz eigene und sehr berührende Weise mit deutsch- jüdischer Vergangenheit aus- einander. Das Projekt nahm seinen Ausgang im Jahre 2002, als sich die Künstlerin im Rahmen eines DAAD-Stipen- diums in Berlin aufhielt. Zu- fällig stieß sie auf eine „Jüden- straße“, war überrascht und begann zu recherchieren, ob es des Mittealters bis zum Holo- weitere ähnliche Straßenna- caust. Hillers Erinnerungs- men in Deutschland gibt. Bei arbeit mit der Serie „The J. ihrer Suche entdeckte sie 303 Street Project“ deckt die Spu- Straßennamen, in denen das ren dieser Vergangenheit auf, Wort „Jude“ erscheint. Ihren die vielerorts fast spurlos künstlerischen Niederschlag untergegangen ist, und ver- fand Susan Hillers dreijährige weist so auf den schmerzlichen Entdeckungsreise durch Verlust einer einstigen, rei- Deutschland in über 300 Foto- chen jüdischen Kultur in grafien, einem Verzeichnis Deutschland und der steten der betreffenden Orte und Gefährdung auch ihrer Spuren Straßen mit einer Landkarte durch Missdeutung, Ressen- von Deutschland, einer Video- timent und Ausgrenzung. In installation sowie in einem ihren Fotos zeigt sie die immer umfangreichen Buch. Es sind wieder neuen und immer beunruhigende Reisebilder, wieder anderen Wege des Um- denn die damaligen Bewoh- gangs mit den Spuren jüdischer ner der ausgeschilderten Vergangenheit in Deutschland Straßen und Orte sind ver- und lässt die Schnittstelle schwunden, weil sie Opfer von Vergangenheit und Gegen- unfassbarer Verbrechen wur- wart sinnlich erfahrbar werden. den – von den Judenpogromen akae

„Snow Scenes“, dreiteilig, Piezo Susan Hiller Pigment, Auflage AP 2/2, aus der Snow Scenes Serie: The J. Street Project, 2003 Susan Hiller Geb. 1942 in Tallahassee in Florida, lebt und arbeitet in London

18 19 Susan Hiller, „Snow Scenes“, dreiteilig, Piezo Pigment, Auflage AP 2/2, aus der Serie: The J. Street Project, 2003

20 21 Der Künstler war bereits 2005 in der Ausstellung „The New Hebrews: A Century of Art in Israel“ im Martin-Gropius- Bau in Berlin vertreten und besitzt enge Beziehungen zur deutschen Hauptstadt. So aus einem scheinbar harm- gewann er beispielsweise den losen Kinderbuch den Blick Wettbewerb zur Gestaltung auf eine brennende Stadt und einer Brandwand am Kott- die Abgründe von Intoleranz buser Tor. und Menschenverachtung zu lenken. Die Gestalt des Struwwelpeters vor brennenden Häusern In ähnlicher Weise verwendet spielt einerseits auf das Kinder- Erez Israeli Schnittbögen der buch Heinrich Hoffmanns 1930er Jahre mit Kindermo- aus dem Jahre 1845 an (Pauline tiven für zwei Zeichnungen, die stirbt dort infolge Ungehor- gleichfalls für die Kunstsam- sams gegenüber den Eltern den mlung erworben wurden. Die Feuertod) als auch auf das harmlosen Kindermotive über- bekannte jüdische Lied „Es malt er goldfarben mit der brennt“ (bzw. „Unser Städt- Silhouette des Titelmotivs auf chen brennt“) von Mordechai dem Katalog der „Großen Gebirtig (geboren 1877, ermor- Deutschen Kunstausstellung“ det 1942 im Ghetto Krakau). im „Haus der Deutschen Dieser hatte das Lied 1938 als Kunst“ und konfrontiert auf Reaktion auf ein Pogrom in diese Weise Schablonen aus der polnischen Stadt Przytyk der Kinderwelt mit den auf geschrieben – eine Vorahnung ihre Weise schablonenhaften des Holocausts. So gelingt es Motiven nationalsozialis- Erez Israeli, mit Assoziationen tischer Kunstdoktrin. akae

„o.T. (Struwwelpeter)“, verschiedene Materialien auf Sperrholz, 2014 Erez Israeli

Erez Israeli o.T. (Struwwelpeter) Geb. 1974 in Beer Sheva, lebt und arbeitet in Tel Aviv

22 23 Erez Israeli, „o.T.“, zweiteilig, Zeichnung auf historischen Musterbögen, 2014

24 25 Diese 19 Grundrechtsartikel Die Garten- und Stadtraumge- unmittelbar an der Spree, die staltung des israelischen einst Ost- und West-Berlin Künstlers bestimmt das Erschei- trennte, erinnern an die schwie- nungsbild des Jakob-Kaiser- rigen Jahre der Gründung der Hauses zur Spree hin. Er hat jungen deutschen Demokratie den Hof, der sich zur Spree- in Bonn am Rhein. So schlägt promenade hin öffnet, so das Kunstwerk von Dani geplant, dass eine Verbindung Karavan historisch und geo- zwischen Innenhof und graphisch einen Bogen von Außenbereich entsteht. Eine der Spree zum Rhein. solche ästhetische Lösung entspricht seiner Arbeitsweise, Aus dem Innenhofbereich her- die sich nicht in die her- aus schieben sich unter den kömmlichen Kategorien des Glasplatten strahlenförmige Schaffens von Architekten, Bodenstrukturen – Vegetations- Bildhauern, Environment- und Metallflächen – bis an oder Konzept-Künstlern die Spree. Ein Baum aus der einordnen lässt. Vielmehr Baumreihe entlang des Ufers verbindet er Elemente aus all „überspringt“ die Glasbrüs- diesen Bereichen zu einem tung und findet seinen Platz neuen, raumgreifenden und nunmehr hinter den Glas- gärtnerischen Gesamtkunst- scheiben. Zugleich hebt der werk. Um einen solchen Künstler durch die klare, von gesamträumlichen Eindruck allen Zusätzen und Ergänzun- zu erzielen, hat er den Hof- gen freie Formulierung aus dem bereich mit Glasplatten Jahre 1949 das Wesentliche abgegrenzt, die einen freien des Grundgesetzes und der Blick auf die Büros der Abge- Grundrechte deutlich hervor, ordneten gewähren. Auf jeder sie werden im wortwörtlichen der 19 Glasplatten ist eines Sinne transparent und auf der 19 Grundrechte des Grund- eine neue, eindringliche Weise gesetzes in der Fassung aus sichtbar gemacht. dem Jahre 1949 zu lesen. akae

„Grundgesetz 49“, Glasstelen und Cortenstahlbänder, 1998/2003, Dani Karavan Jakob-Kaiser-Haus, Hof von Haus 3 und Spreepromenade, Berlin Grundgesetz 49

Dani Karavan Geb. 1930 in Tel Aviv, lebt und arbeitet in Tel Aviv, Paris und Florenz

26 27 Dani Karavan „Grundgesetz 49“, Glasstelen und Cortenstahlbänder, 1998/2003, Jakob-Kaiser-Haus, Hof von Haus 3 und Spreeprome- nade, Berlin

28 29 Die Düsseldorfer Künstlerin hat dem Mahnmal auf drei Holz- die Gedenkstätte für die ver- tischen aus. Im zentralen der folgten Reichstagsabgeordne- drei Gedenkbücher sind die ten der Weimarer Republik Schicksale der 120 ermordeten bereits im Jahre 1992 für das Mitglieder des Reichstages Reichstagsgebäude gestaltet. jeweils mit einem Porträtfoto Das fünfteilige Fotogemälde und einer kurzen Biographie erweckt mit dem Hintergrund- gewürdigt. Die beiden anderen motiv der lodernden Sonnen- Gedenkbücher erinnern an korona Assoziationen sowohl die Abgeordneten, die inhaf- an den Reichstagsbrand und tiert oder in die Emigration den von den Nationalsozia- getrieben wurden oder anderen listen ausgelösten Welten- Verfolgungstatbeständen aus- brand als auch an die geläu- gesetzt waren. terte Wiedergeburt des demokratischen Deutschland Katharina Sieverding schlägt als „Phönix aus der Asche“. mit dem quasi-dokumenta- rischen Medium der Fotografie Eine Röntgenaufnahme in Gelb den Bogen zum Schicksal ist vor das Flammenmeer der Verfolgten. Der Rückblick gesetzt. Sie zeigt in der Mitte auf die Gräuel des national- ein Rückgrat und links davon sozialistischen Terrors ist mit einen Krebstumor und wirkt einer Würdigung der verfolg- wie eine bedrohliche Tür in ten Abgeordneten und einem den Flammenofen. Gleichzeitig freien assoziativen Blick auf jedoch stellt das zentrale Gegenwart und Zukunft deut- Motiv des Rückgrates den Be- scher Geschichte zu verbunden. zug zu den Mitgliedern des Zugleich jedoch bleibt die Reichstages her, die wortwört- durchschlagende Feuerlohe lich Rückgrat bewiesen und eine Mahnung, die Sicherung sich dem Terror der National- der Zukunft unserer Demo- sozialisten nicht gebeugt haben. kratie als fortwährende Auf- Die ihr Schicksal würdigen- gabe und Herausforderung den Gedenkbücher liegen vor zu begreifen. akae

„Den von 1933 bis 1945 verfolgten Katharina Sieverding ermordeten und verfemten Mit- gliedern des Reichstages der Den von 1933 bis 1945 verfolgten Weimarer Republik zum Gedenken“, 1992, Großfotos, Gedenktische und ermordeten und verfemten Gedenkbücher, Kupfertafel Mitgliedern des Reichstages der Katharina Sieverding Geb. 1944 in Prag, lebt und arbeitet Weimarer Republik zum Gedenken in Düsseldorf und Berlin

30 31 Sigalit Landau gehört zu den Über Jahre nutzte sie für ihre bekanntesten zeitgenössischen Installationen und Skulptu- Künstlerinnen Israels. Sie ver- ren Salz aus dem Toten Meer, trat ihr Heimatland 2011 auf dessen physische Beschaffen- der 54. Biennale in Venedig und heit und symbolträchtige erhielt zahlreiche Preise und Herkunft als natürliches Mate- Stipendien. rial für alle potentiellen Formen, geeignet ist. „The Die beiden Blätter aus der Salt Route Bridge“ ist die Serie „Bridge Map“ stehen für konsequente Fortführung das Selbstverständnis der dieses künstlerischen Gesamt- Künstlerin, die sich selbst als projekts: Ähnlich den großen „Brückenbauerin“ bezeichnet LAND ART Projekten von und nach „neuen und lebendi- Christo, James Turrell oder gen Materialien“ sucht, um Anish Kapoor arbeitet sie an „Vergangenheit mit Zukunft, einer realen, aus Salz ge- West mit Ost, private Sphäre bauten Brücke über das Tote mit Gemeinschaft, das Alltäg- Meer, eine Verbindung zwi- liche mit dem Tiefsinnigen, schen Israel und Jordanien. das Zufällige mit den tradier- Die Serie „Bridge Map“ ge- ten Erzählungen und Mytho- hört zu den Arbeiten, in logien“ (Selbstauskunft S.L.) denen sich die Künstlerin zu verbinden. Darüber hinaus dem Ziel nähert. Auf der ist die Brücke ein konkretes Landkarte des Toten Meeres künstlerisches Projekt, das sie sind Farben und Motive wie seit mehreren Jahren ent- eine „Melonenkette“ einge- wickelt und umsetzt. Landau, zeichnet, die an frühere, die in allen künstlerischen geradezu als Ikonen zeitge- Gattungen zuhause ist, beschäf- nössischer israelischer Kunst tigt sich in ihren Arbeiten gefeierte Arbeiten anknüpfen. mit bildlichen Metaphern für Ein kurzer Text verbindet die menschlichen, kulturellen ihren künstlerischen Traum und politischen Konflikte von der Brücke mit ihrer nicht nur in ihrem Heimatland. Kindheit in Jerusalem. kvo

„Fotoradierung Monoprint“, (Unikate), 2014 Sigalit Landau

Sigalit Landau Bridge Map 2 und 3 Geb. 1969 in Jerusalem, lebt und arbeitet in Tel Aviv

32 33 Orit Hofshi studierte an den Universitäten von Leeds, schwierige Lebenssituationen Pennsylvania und Haifa und ohne anhaltende Beeinträch- spezialisierte sich im Holz- tigung zu überstehen) verwebt schnitt, der ältesten druckgra- und kombiniert sie Natur- phischen Gattung. Ihre groß- motive mit einem konkreten formatigen Blätter, für die sie historischen Bezug: Der linke so renommierte Preise und Bildteil zitiert ein altes Foto, Stipendien wie die Art Resi- auf dem die Synagoge im dency in Buenos Aires (Argen- Geburtsort ihrer Eltern in tinien), und den The William Tschechien abgebildet war. J. Cooper Foundation Grant Alle Gemeindemitglieder wur- (USA) erhielt, gelten als exzep- den – wie die Großeltern von tionelle Position im zeitge- Orit Hofshi auch – zu Opfern nössischen Kunstbetrieb. des Nationalsozialismus. Der Deutsche Bundestag er- warb zwei Arbeiten von Orit „Resilience“ wird so zu einer Hofshi: Die Einzelarbeit der stärksten Arbeiten der „Glimpse“ und das zweige- Künstlerin: Nichts vom kon- teilte Werk „Resilience“. kreten biografischen Bezug Beide Arbeiten sind typisch ist an Hofhsis Arbeit für den für Hofshis Arbeitsweise: Ihr Betrachter auf den ersten Hauptmotiv sind neo-roman- Blick identifizierbar, trotzdem tische Landschaften, die als stellt sich eine Beunruhigung Gleichnis für den Menschen über ein unsichtbar bleiben- in der Welt gesehen werden des Geschehen ein. Dass Hofshi können. Anders als in den Vor- darüber hinaus die Maserun- bildern aus dem 19. Jahr- gen der Holzplatten, von hundert sind die von Hofshi denen sie die Blätter druckte, gezeigten Kräfte der Natur sichtbar werden lässt, trans- jedoch zerstörerisch, unbe- zendiert das Motiv in die herrschbar und beunruhigend. Ebene der Erinnerung als un- In der Arbeit „Resilience“ sicheren – und oft beunru- (Resilienz: psychische Wider- higenden – Zeugen für unsere standskraft; die Fähigkeit, gegenwärtige Identität. kvo

„Resilience“, zweiteilig, Holzschnitt, Orit Hofshi 2012

Resilience Orit Hofshi Geb. 1959 im Kibbutz Matzuva, lebt und arbeitet in Herzliya

34 35 “Glimpse”, Holzschnitt, Abrieb und Tinte auf Büttenpapier, Unikat, 2012

36 37 Micha Ullman gehört neben Dani Karavan und Moshe Gershuni zu den Großen der ersten in Israel geborenen Künstlergeneration. Er studier- te in Jerusalem und London, lehrte in Düsseldorf und Haifa und wurde als Professor für Bildhauerei an die Staatliche des Erinnerns geht. Diese Akademie der Bildenden schafft er durch zeichenhaft Künste Stuttgart berufen. verknappte Formen, die im Ullmann ist seit 1997 Mitglied dialogischen Prinzip mit dem der Akademie der Künste Betrachter individuelle Ver- Berlin. Er realisierte zahlreiche gegenwärtigung und Aneig- Werke für den öffentlichen nung ermöglichen können. Die Raum – allein in Berlin sind konzentrierte Stille, die seine es die Skulptur „Niemand“, Arbeiten umgibt, ist eine der heute am Jüdischen Museum bemerkenswertesten Leistungen Berlin, das Denkmal zur Ullmans. Erinnerung an die Bücherver- brennung auf dem Berliner Für die Kunstsammlung des Bebelplatz, die Treppeninstal- Deutschen Bundestages wur- lation „Sieben Stufen“ in der den drei Blätter erworben, Matthäikirche am Kulturforum die im Zusammenhang mit und, zuletzt, das Denkmal dem Denkmal zur Bücherver- für Moses Mendelssohn auf brennung am Bebelplatz ent- dem Platz vor dem Roten standen und – sehr abstrakt Rathaus. gehaltene – Formen zeigen, die entfernt an Bücher erin- Ullmanns Denkmale folgen nern. Er betitelt die Blätter „Im strengen Entwürfen, in denen Sand lesen“ und verrät damit es nicht um Illustration oder zugleich, dass er anstelle von Dokumentation des Gesche- Farbe roten Sand aus der henen, sondern um Denkräume Wüste verwendete. kvo

„Im Sand lesen“ (Nummer 593), Micha Ullmann Sand auf Papier, 2006

Im Sand lesen Micha Ullmann Geb. 1939 in Tel Aviv, lebt und arbeitet in Ramat Hasharon

38 39 Micha Ullmann, „Im Sand lesen“ (Nummer 604, 572), Sand auf Papier, 2006

40 Herausgeber: Deutscher Bundestag, Sekretariat des Kunstbeirates, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Texte: Andreas Kaernbach, Kristina Volke, Sekretariat des Kunst- beirates des Deutschen Bundestages Gestaltung: büro uebele visuelle kommunikation, Stuttgart, Nadja Schoch, Druck: X-Press Grafik & Druck GmbH, Abbildungen: Copyright bei den Künstlern, Titelbild: © Christoph Brech, Abb. Katharina Sieverding: DBT/ Stephan Erfurt

Weitere Informationen: Tel. 030-227-32027 [email protected] www.kunst-im-bundestag.de