Blickpunkte

Sonderinformationen zur Wahl des Bundespräsidenten

Inhalt Liebe Leserinnen und Leser,

Das Amt des Köhler, Schwan oder Sodann – so lautet vermutlich die Frage, die sich die 1024 Bundespräsiden- Mitglieder der Bundesversammlung am 23. Mai 2009 stellen müssen, wenn für ten fünf Jahre erneut ein Bundespräsident oder erstmals eine Bundespräsidentin gewählt wird. Bislang sind nur diese Kandidaten für das Amt des Bundespräsi-

Die Wahl des denten benannt worden, was aber nicht ausschließt, dass es weitere Kandidatu- Bundespräsiden- ren geben kann. Die fünfjährige Amtszeit von Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler endet in ten diesem Jahr. Traditionell wird am „Tag der Verfassung“, am 23. Mai, in der Bun- desversammlung ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Der 23. Mai ist ein ge- Die Bundesver- schichtsträchtiges Datum, wurde doch am 23. Mai 1949 unser Grundgesetz vom sammlung Parlamentarischen Rat beschlossen.

CDU, CSU und FDP haben angekündigt, Horst Köhlers Kandidatur für eine zwei- Zur Person: te Amtszeit zu unterstützen. Die SPD hat als Kandidatin die Politikwissenschaft- Gesine Schwan lerin Prof. Dr. Gesine Schwan vorgeschlagen. Bündnis 90/Die Grünen haben

erkennen lassen, dass sie diesen Vorschlag eventuell unterstützen würden. Die Die Bundespräsi- Linke will den Schauspieler und Theaterregisseur Peter Sodann vorschlagen. denten seit 1949 Vorhersagbar wird dadurch der Ausgang der Wahl allerdings nicht, sind doch die Mitglieder der Bundesversammlung keinen Aufträgen oder Weisungen unterwor-

Die weiblichen fen. 2004 gab es neun Enthaltungen und zwei ungültige Stimmen. Daraus folgt, Kandidatinnen zur dass mindestens neun Mitglieder des CDU/CSU/FDP-Lagers für Schwan ge- Wahl des Bun- stimmt haben müssen (falls die Enthaltungen und ungültigen Stimmen allesamt despräsidenten von Mitgliedern dieses Lagers abgegeben wurden; andernfalls sogar noch mehr).

Gesine Schwan war bereits bei der letzten Bundesversammlung am 23. Mai 2004 die Gegenkandidatin von Horst Köhler gewesen. Köhler, zuvor Geschäfts- V.i.S.d.P.: führender Direktor des Internationalen Währungsfonds, erhielt damals 604 Ingrid Arndt-Brauer, Stimmen, Schwan 589. Es waren insoweit nur wenige Stimmen, die Gesine MdB Schwan davon trennten, die erste Bundespräsidentin der Geschichte der Bun- Redaktion: desrepublik Deutschland zu werden. Dr. Marc Schrameyer Bergstr. 11 Jeder Bundespräsident prägte, obwohl die Verfassung das Amt des Staatsober- 48607 Ochtrup hauptes eigentlich als rein repräsentatives ausgelegt hat, das Amt doch immer ingrid.arndt-brauer@ auch durch sein Amtsverständnis und seine eigenen politischen Grundwerte und wk..de Überzeugungen. Unserer Nation würde es meines Erachtens gut zu Gesicht ste- hen, wenn eine Frau das höchste Amt des Staates besetzen würde. Viele Frauen sind in der Geschichte der Republik bereits

zur Wahl angetreten und keine hatte so große Chancen, Bundespräsidentin zu werden, wie Gesine Schwan. Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, Gesine Schwan zur nächsten Bundespräsidentin zu wählen.

Ihre, Ingrid ArndtArndt--Brauer--Brauer

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Das Amt des Bundespräsidenten

Ein ganzer Abschnitt ist im Grundgesetz dem Amt des Bundespräsidenten gewidmet - die Aufgaben des "ersten Mannes im Staate" im In- und Ausland gehen aber über das verfassungsrechtlich Normierte weit hinaus.

Krisensituationen des parlamentarischen Regierungssystems.

Abkehr von Weimar Herkömmlich werden die Aufgaben und Be- fugnisse des Bundespräsidenten im Ver- gleich zu denen des Reichspräsidenten nach der Weimarer Reichsverfassung beschrie- ben. Der Reichspräsident besaß eine Fülle von Befugnissen, die es ihm angesichts par- Schloss Bellevue, der Amtssitz des Bundespräsidenten lamentarischer Krisensituationen erlaubten, selbst die Staatsgeschäfte maßgeblich zu Verfassungsrechtliche Grundlagen beeinflussen. Reichspräsident von Hinden- Das Grundgesetz enthält einen eigenen burg nutzte diese Möglichkeiten gegen Ende Abschnitt (Abschnitt V., Art. 54 bis 61 GG) der Weimarer Republik in unheilvoller Weise über den Bundespräsidenten. Außer in und verhalf Hitler zur Macht. Daraus zog der diesem Abschnitt sind seine Aufgaben und Parlamentarische Rat die Konsequenz, die Befugnisse teils verstreut im Verfassungs- politischen Rechte des Bundespräsidenten text, teils im einfachen Recht geregelt, teils stark zu begrenzen. So kann er weder allei- haben sie sich im Laufe der Zeit durch die ne den Kanzler bestimmen noch "Notver- Staatspraxis entwickelt. ordnungen" erlassen; auch hat er nicht den Oberbefehl über die Streitkräfte. Staatstheoretische Funktion Nach einer nunmehr fast sechzigjährigen Der Bundespräsident steht als Staatsober- grundgesetzlichen Verfassungstradition hat haupt protokollarisch an der Spitze des eine eigene Staatspraxis das Amt des Bun- Staates. Er ist das Verfassungsorgan, das despräsidenten ausgestaltet. Es gewinnt die Bundesrepublik Deutschland nach in- seine Konturen im Zusammenspiel mit den nen und nach außen repräsentiert. Dies anderen Verfassungsorganen. geschieht, indem der Bundespräsident durch sein Handeln und öffentliches Auftre- Aufgaben ten den Staat selbst - seine Existenz, Legi- Zu den klassischen Funktionen, die der timität, Legalität und Einheit - sichtbar Bundespräsident als Staatsoberhaupt hat, macht. Darin kommen zugleich die Integra- gehören: tionsaufgabe und die rechts- und verfas- • die Repräsentation der Bundesrepublik sungswahrende Kontrollfunktion seines Deutschland nach innen und außen Amtes zum Ausdruck. Sie wird ergänzt (durch sein öffentliches Auftreten bei durch eine politische Reservefunktion für staatlichen, gesellschaftlichen und kultu- rellen Veranstaltungen, durch Reden,

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durch Besuche in Ländern und Ge- gel mit öffentlichen Äußerungen zu tagespo- meinden, durch Staatsbesuche im Aus- litischen Fragen zurück. Dies gilt insbeson- land und den Empfang ausländischer dere dann, wenn sie parteipolitisch umstrit- Staatsgäste), ten sind. Die ihm auferlegte parteipolitische • die völkerrechtliche Vertretung der Bun- Neutralität und Distanz zur Parteipolitik des desrepublik Deutschland (Art. 59 Abs. 1 Alltags geben ihm die Möglichkeit, klärende Satz 1 GG), der Abschluss von Verträ- Kraft zu sein, Vorurteile abzubauen, Bürger- gen mit auswärtigen Staaten (Art. 59 interessen zu artikulieren, die öffentliche Abs. 1 Satz 2 GG), die Beglaubigung Diskussion zu beeinflussen, Kritik zu üben, (Bestellung) der deutschen diplomati- Anregungen und Vorschläge zu machen. schen Vertreter und der Empfang (Ent- gegennahme der Beglaubigungs- Repräsentation und Integration schreiben) der ausländischen Diploma- ten (Art. 59 Abs. 1 Satz 3 GG). "Staatspflege" Zu den wichtigsten weiteren Aufgaben zäh- Der Bundespräsident ist als Staatsoberhaupt len: in besonderer Weise geeignet, den Staat zu • der Vorschlag für die Wahl des Bun- verkörpern, ihn zu repräsentieren und die deskanzlers (Art. 63 GG), unterschiedlichen gesellschaftlichen Grup- • die Ernennung und Entlassung des pen zu integrieren. Alle Tätigkeiten auf die- Bundeskanzlers (Art. 63, 67 GG) und sem Gebiet, vor allem die Bestimmung der der Bundesminister (Art. 64 GG), Staatssymbole, die Erfüllung von Repräsen- • die Auflösung des Bundestages (Art. tationspflichten, die Übernahme von Schirm- 63 Abs. 4 Satz 3, Art. 68 GG), herrschaften und Ansprachen, die Anord- • die Ausfertigung (Unterzeichnung) und nung von Staatsakten und Staatsbegräbnis- Verkündung von Gesetzen (Art. 82 sen lassen sich unter dem Begriff der GG), Staatspflege zusammenfassen. Das ist ein • die Ernennung und Entlassung der sehr weiter Bereich, für den vielfach keine Bundesrichter, der Bundesbeamten, rechtlichen Vorgaben existieren. der Offiziere und Unteroffiziere (Art. 60 Abs. 1 GG), Nationalhymne • das Begnadigungsrecht für den Bund Der Bundespräsident legt (Art. 60 Abs. 2 GG), die Staatssymbole fest, • das Ordensrecht des Bundes. soweit nicht der Gesetzge- ber tätig wird (vgl. Art. 22 Prägung des Amtes durch die Person GG: Die Bundesflagge ist Der Bundespräsident ist das einzige Ver- schwarz-rot-gold). Neben fassungsorgan, das aus nur einer Person der Bundesflagge ist die besteht. Die Persönlichkeit des Amtsinha- Nationalhymne das be- bers prägt deshalb zwangsläufig die Amts- kannteste Staatssymbol. führung in besonderem Maße. Nicht zuletzt Schon Reichspräsident aus diesem Grunde hat die bisherige Ebert erklärte 1922 das Staatspraxis maßgeblichen Einfluss auf die "Lied der Deutschen", heutige verfassungsrechtliche Stellung des 1841 von August-Heinrich Bundespräsidenten genommen. Hofmann von Fallersleben zur Melodie von Haydns Kaiserhymne ge- Auch wenn es keine Vorschrift im Grund- dichtet, per Erlass zur Nationalhymne. 1952 gesetz gibt, die dem Bundespräsidenten entschied der damalige Bundespräsident politische Stellungnahmen verbietet, so , das Lied auch als National- hält sich das Staatsoberhaupt in aller Re- hymne für die Bundesrepublik Deutschland Informationen der Ausgabe Mai 2009 SPD -Bundestagsabgeordneten Seite 3 Ingrid Arndt-Brauer Blickpunkte

zu übernehmen, allerdings mit dem Hin- net werden. So hat Bundespräsident Richard weis, bei staatlichen Anlässen nur die dritte von Weizsäcker aus Anlass der staatlichen Strophe zu singen. Nach Herstellung der Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 staatlichen Einheit Deutschlands bestimm- einen Staatsakt in der Berliner Philharmonie te Bundespräsident von Weizsäcker in ei- angeordnet. nem Briefwechsel mit Bundeskanzler Hel- mut Kohl die dritte Strophe zur National- Andere Formen der Repräsentation und hymne für das deutsche Volk. Integration Außer durch derart formale Akte vertritt der Flaggen, Wappen, Uniformen Bundespräsident in vielfacher Form und bei Zu den Staatssymbolen den verschiedensten Gelegenheiten unseren gehören auch Flaggen, Staat: Jedes Auftreten des Staatsoberhaup- Wappen, Uniformen, tes in der Öffentlichkeit, seine Teilnahme an Dienstkleidung und die einer Veranstaltung, die Übernahme einer Amtstracht der Richter. Schirmherrschaft, eine Rede, ein Glück- Dazu hat der Bundes- wunsch, Besichtigungen und vieles mehr präsident jeweils Anordnungen getroffen, bringen die staatliche Würdigung in der Per- die im Bundesgesetzblatt veröffentlicht son des Bundespräsidenten zum Ausdruck. sind. Er setzt dadurch Zeichen der staatlichen Die Standarte des Anerkennung, des Wohlwollens oder der Bundespräsidenten besonderen Förderung. Gerade daraus er- ist in der "Anord- gibt sich auch eine Beschränkung der An- nung über die deut- lässe, denen sich der Bundespräsident zu- schen Flaggen" wenden kann: Sie müssen eine bundesweite vom 13. November Ausstrahlung haben und von besonderer 1996, zuletzt geän- Bedeutung sein. dert am 22. No- vember 2005, wie Zusammenwirken der Verfassungsorga- folgt beschrieben: "Die Standarte des Bun- ne despräsidenten oder der Bundespräsiden- In einem Staat wie der Bundesrepublik tin ist ein gleichseitiges, rotgerändertes, Deutschland können die Verfassungsorgane goldfarbenes Rechteck, darin der Bundes- nicht isoliert nebeneinander agieren. Ihre adler, schwebend, nach der Stange ge- Funktionen sind aufeinander abgestimmt. wendet, Verhältnis der Breite des roten Um sie sachgemäß wahrnehmen zu können, Randes zur Höhe der Standarte wie 1 zu bedarf es der gegenseitigen Unterrichtung 12." und des Zusammenwirkens. Der Bundes- präsident pflegt vielfältige Kontakte mit den Staatsakte, Staatsbegräbnisse anderen Verfassungsorganen. Der Bundespräsident kann beim Tod von Bundestag Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Berührungspunkte zum Deutschen Bundes- die sich um die Bundesrepublik Deutsch- tag bestehen schon deshalb, weil der Bun- land in besonderer Weise verdient ge- despräsident nach dem Grundgesetz das macht haben, ein Staatsbegräbnis oder Recht bzw. die Aufgabe hat, einen Staatsakt anordnen. Das Staatsbe- • dem Bundestag einen Kanzlerkandida- gräbnis schließt üblicherweise ein militäri- ten zur Wahl vorzuschlagen (Art. 63. sches Zeremoniell mit kirchlicher Feier ein. Abs. 1 GG), Der Staatsakt ist eine politische Veranstal- • gegebenenfalls den Bundestag aufzulö- tung in festlichem Rahmen und kann nicht sen, wenn ein Kanzlerkandidat im Falle nur zum Gedenken eines Toten angeord- des Art. 63 Abs. 4 GG nicht die Stimmen Informationen der Ausgabe Mai 2009 SPD -Bundestagsabgeordneten Seite 4 Ingrid Arndt-Brauer Blickpunkte

der Mehrheit der Mitglieder des Bun- destages auf sich vereinigen kann oder der Bundeskanzler mit einer Vertrau- ensfrage im Parlament scheitert (vgl. Art. 68 GG), • die Einberufung des Bundestages zu verlangen (Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG), • für einen Gesetzesvorschlag der Bun- desregierung mit Zustimmung des Bun- desrates den Gesetzgebungsnotstand zu erklären (Art. 81 Abs. 1 Satz 1 GG). Im Übrigen ist es ständige Praxis der Bun- despräsidenten, Bundestagsabgeordnete zu Gesprächen einzuladen und das Präsi- dium des Deutschen Bundestages sowie Bundesregierung, Gegenzeichnung die Ausschüsse des Deutschen Bundesta- Der Bundespräsident wirkt nicht nur an der ges zu Gesprächen zu empfangen. Durch Bildung der Bundesregierung mit, sondern derartige Begegnungen bekommt der Bun- hält auch danach enge Verbindung zu ihr. despräsident Informationen aus erster So bedürfen Anordnungen und Verfügungen Hand und kann seinerseits Einfluss auf das des Bundespräsidenten nach Art. 58 Satz 1 politische Geschehen nehmen. Nur in Aus- GG zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung nahmefällen nimmt der Bundespräsident durch den Bundeskanzler / die Bundeskanz- an Sitzungen des Deutschen Bundestages lerin oder durch den zuständigen Bundesmi- teil. nister. Das Erfordernis der Gegenzeichnung soll Besondere Beziehungen zum Bundesrat eine einheitliche Staatsführung garantieren. ergeben sich daraus, dass dessen Präsi- In diesem Sinne ist es nur selbstverständ- dent nach Art. 57 GG die Befugnisse des lich, dass der Bundeskanzler / die Bundes- Bundespräsidenten im Falle seiner Verhin- kanzlerin den Bundespräsidenten laufend derung (Staatsbesuch im Ausland, längere über seine / ihre Politik und die Geschäfts- Krankheit, Urlaub) oder bei vorzeitiger Er- führung der einzelnen Bundesminister durch ledigung des Amtes (Rücktritt) wahrnimmt. Übersendung der wesentlichen Unterlagen, Der Bundesratspräsident ist dann für die- durch schriftliche Berichte über Angelegen- sen Zeitraum der amtierende Bundespräsi- heiten von besonderer Bedeutung sowie dent und ist seinerseits an der Ausübung nach Bedarf durch persönlichen Vortrag seines Amtes als Bundesratspräsident ver- unterrichtet. hindert. Gerade im - häufigsten - Falle ei- In regelmäßigen Abständen empfängt der nes Staatsbesuches im Ausland handelt es Bundespräsident den Bundeskanzler / die sich allerdings nicht um eine vollständige Bundeskanzlerin zu Gesprächen über aktu- Vertretung. Denn der Bundespräsident ist elle Fragen seiner / ihrer Politik. Auch ein- ja gerade in seiner amtlichen Funktion ab- zelne Bundesminister und Spitzenbeamte wesend. In diesen Fällen "vertritt" der Bun- werden vom Bundespräsidenten zu Gesprä- desratspräsident den Bundespräsidenten chen empfangen. Der Chef des Bundesprä- immer nur soweit, als im Inland persönliche sidialamtes oder sein Vertreter nehmen an Anwesenheit erforderlich ist oder Urkunds- den Kabinettsitzungen teil und unterrichten akte zu vollziehen sind. Der Bundespräsi- den Bundespräsidenten über deren Verlauf dent wird aber auch vom Ausland aus zum und Ergebnisse. Auch dadurch erhält der Beispiel Glückwünsche übermitteln oder Bundespräsident die für seine Amtsführung kondolieren. erforderlichen Informationen. Informationen der Ausgabe Mai 2009 SPD -Bundestagsabgeordneten Seite 5 Ingrid Arndt-Brauer Blickpunkte

Die Wahl des Bundespräsidenten

Wahl durch die Bundes- gerin am 1. Juli in einer ge- Amtseid (Art. 56 GG). Er versammlung meinsamen Sitzung von genießt während seiner Der Bundespräsident wird Bundestag und Bundesrat Amtszeit Immunität (Art. 60 von der Bundesversamm- vereidigt. Abs. 4 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 lung gewählt. Der Wahl- bis 4 GG): Er ist in dieser modus selbst ist im Gesetz Wer kann Bundespräsi- Zeit - bei fortbestehendem über die Wahl des Bun- dent werden? staatlichen Anspruch auf despräsidenten durch die Der Bundespräsident muss Strafe - von Verfolgungs- Bundesversammlung ge- ein Deutscher oder eine maßnahmen und sonstigen regelt. Gewählt wird ohne Deutsche sein, das Wahl- Beschränkungen der per- vorherige Aussprache mit recht zum Bundestag besit- sönlichen Freiheit und von verdeckten Stimmzetteln, zen und das 40. Lebensjahr der Eröffnung eines Ver- also geheim. Zum Bundes- vollendet haben. Seine fahrens freigestellt. Grund präsidenten gewählt ist, Amtszeit dauert fünf Jahre. dafür ist nicht das persönli- wer die Mehrheit der Stim- Eine anschließende Wie- che Interesse des Amtsin- men auf sich vereinigt. derwahl ist nur einmal zuläs- habers, sondern die freie Erreicht kein Bewerber im sig (Art. 54 GG). Amtsführung. ersten oder zweiten Wahl- Der Bundespräsident darf gang diese absolute Mehr- weder einer gesetzgeben- Beendigung des Amtes heit, so reicht in einem den Körperschaft noch der Das Amt des Bundespräsi- dritten Wahlgang auch die Regierung des Bundes oder denten endet mit Ablauf relative Mehrheit. Für den eines Landes angehören der Amtszeit, im Falle des zweiten und dritten Wahl- (Art. 55 Abs. 1 GG). Unver- Todes oder bei vorzeitiger gang können auch neue einbar mit seinem Amt ist Erledigung durch Verzicht, Wahlvorschläge einge- auch die Ausübung jedes Verlust der Wählbarkeit reicht werden. Drei Wahl- anderen besoldeten Amtes, oder durch Amtsverlust im gänge waren bislang nur Gewerbes und Berufes. Der Verfahren nach Art. 61 1969 und 1994 erforder- Leitung und dem Aufsichts- GG. Artikel 61 GG regelt lich. rat eines auf Erwerb gerich- die Amtsenthebung durch Nach der Annahme der teten Unternehmens darf der das Bundesverfassungsge- Wahl erklärt der Bundes- Bundespräsident ebenfalls richt auf Antrag des Bun- tagspräsident, der den nicht angehören (Art. 55 destages oder des Bun- Vorsitz in der Bundesver- Abs. 2 GG). desrates, wenn festgestellt sammlung innehat, die wird, dass der Bundesprä- Bundesversammlung für Nach der Wahl sident einer vorsätzlichen beendet. Für den Fall, dass Bei seinem Amtsantritt leis- Verletzung des Grundge- Amtsinhaber Horst Köhler tet der Bundespräsident vor setzes oder eines anderen nicht wiedergewählt wer- den versammelten Mitglie- Bundesgesetzes schuldig den sollte, wird sein Nach- dern des Bundestages und ist. Eine Abwahl ist nicht folger oder seine Nachfol- des Bundesrates einen vorgesehen.

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Die Bundesversammlung

also 1.224 Mitglieder. Wie viele Wahlmänner und Wahlfrauen die einzelnen Länder ent- senden können, hängt von ihrer Einwohner- zahl ab. Mit 131 Mitgliedern stellt Nordrhein- Westfalen das größte Kontingent, gefolgt von Bayern mit 93, Baden-Württemberg mit 78 und Niedersachsen mit 61 Mitgliedern. Hessen kann 44 Mitglieder nominieren, Sachsen 33, Rheinland-Pfalz 31, 24, Schleswig-Holstein 22, Brandenburg 20, Sachsen-Anhalt 19, Thüringen 18, Mecklen-

12. Bundesversammlung: Stimmabgabe burg-Vorpommern 13, Hamburg zwölf, das Saarland acht und Bremen fünf. Die einzige Aufgabe der Bundesversamm- Die Bundesversammlung ist damit die größ- lung ist die Wahl des Bundespräsidenten. te parlamentarische Versammlung der Bun- Sie tritt gem. Art. 54 Abs. 4 des Grundgeset- desrepublik Deutschland. zes spätestens 30 Tage vor Ablauf der Die zur Bundesversammlung entsandten Amtszeit des Bundespräsidenten zusammen Vertreter der Bundesländer müssen keine und wählt einen neuen Bundespräsidenten. Mitglieder der Volksvertretungen sein; re- Die Amtszeit des Bundespräsidenten be- gelmäßig werden neben den Spitzenpoliti- ginnt am 1. Juli des Jahres, in dem die Bun- kern der einzelnen Länder auch ehemalige desversammlung zusammentritt. Seit 30 Politiker, Prominente, Sportler und Künstler Jahren findet die Bundesversammlung re- gewählt. Die Landesparlamente wählen die gelmäßig am 23. Mai statt, dem Tag, an zu entsendenden Mitglieder auf der Basis dem der Parlamentarische Rat im Jahre von Vorschlagslisten der Landtagsfraktio- 1949 in Bonn das Grundgesetz verkündet nen, wobei nach den Grundsätzen des Ver- hatte, weshalb man auch vom "Verfassungs- hältniswahlrechts verfahren wird. Innerhalb tag“ spricht. von zwei Tagen müssen die Gewählten er- Wer darf den Präsidenten wählen? Der klären, ob sie die Wahl annehmen. Sie ge- Bundesversammlung gehören kraft Amtes nießen parlamentarische Immunität wie alle Bundestagsabgeordneten an, das sind Bundestagsabgeordnete. Die Mitglieder der zurzeit 612 Abgeordnete. Hinzu kommt eine Bundesversammlung selbst sind an Aufträge gleiche Anzahl von Mitgliedern, die von den und Weisungen nicht gebunden, sind in ihrer Landesparlamenten entsandt werden. Zu- Stimmabgabe frei. sammen hat die Bundesversammlung 2009

Informationen der Ausgabe Mai 2009 SPD -Bundestagsabgeordneten Seite 7 Ingrid Arndt-Brauer Blickpunkte

Zur Person: Gesine Schwan

Politikwissenschaft in Berlin und Freiburg / Breisgau. Dort lernte sie ihren ersten Mann, den Politikwissenschaftler Alexander Schwan, kennen. Am 17. Juli 1969 heiratete das Paar. Zur Vorbereitung ihrer Dissertation über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski ("Eine Philosophie der Freiheit nach Marx") folgten Studienaufenthalte in Warschau und Krakau, wo sie in Kontakt mit polnischen Dissidenten stand. In dieser Zeit lernte sie Adam Michnik und Bronislaw Geremek ken- nen, später auch Wladislaw Bartoschewski. Präsidium und Parteivorstand der SPD ha- Diese Erfahrung prägte Gesine Schwans ben im Mai letzten Jahres einstimmig Gesine kritische Haltung zum Kommunismus. 1970 Schwan als Kandidatin für das Amt des schloss sie ihre Promotion ab. Bundespräsidenten nominiert. Die Hoch- schulprofessorin aus (Oder) wird damit am 23. Mai 2009 gegen Amtsinhaber Horst Köhler in der Bundesversammlung antreten. Bereits 2004 hatte sie neben Köh- ler zur Wahl gestanden und war knapp un- terlegen.

Wir möchten an dieser Stelle die Gelegen- heit nutzen, Ihnen diese interessante Frau vorzustellen und Ihnen ihre Positionen näher zu bringen. Ab 1971 war Gesine Schwan Assistenz- Lebenslauf Professorin am Fachbereich Politische Wis- Gesine Schwan wurde 1943 in Berlin gebo- senschaft der Freien Universität Berlin und ren. Sie stammt aus einer sozial engagierten habilitierte sich 1975 über die philosophi- Familie, die im Nationalsozialismus protes- schen und politökonomischen Vorausset- tantischen und sozialistischen Widerstands- zungen der Gesellschaftskritik von Karl kreisen angehörte. Im letzten Kriegsjahr Marx. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für versteckten ihre Eltern ein jüdisches Mäd- Politikwissenschaft, insbesondere für politi- chen vor den Nationalsozialisten. Vater sche Theorie und Philosophie, an der Freien Hans R. Schneider war später Oberschulrat Universität Berlin. Forschungsaufenthalte in in Berlin, ihre Mutter Hildegard war Fürsor- Washington D.C., Cambrigde und New York gerin und politisch aktive Katholikin. folgten. 1992 wurde Gesine Schwan zur Gesine Schwan besuchte das Französische Dekanin am Otto-Suhr-Institut gewählt und Gymnasium in West-Berlin, an dem sie 1962 blieb dies bis 1995. Schwerpunkte ihrer wis- das Abitur ablegte. Anschließend studierte senschaftlichen Arbeit sind Politische Philo- sie Romanistik, Geschichte, Philosophie und sophie und Demokratietheorien, in jüngster Informationen der Ausgabe Mai 2009 SPD -Bundestagsabgeordneten Seite 8 Ingrid Arndt-Brauer Blickpunkte

Zeit auch Fragen der Politischen Psycholo- gie und der Politischen Kultur. Von Oktober 1999 bis September 2008 war Gesine Schwan Präsidentin der Europa- Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). An der 1506 gegründeten, 1811 nach Breslau verlegten und 1991 wieder errichteten Uni- versität studieren 5.500 junge Menschen aus 70 Ländern, rund ein Drittel der Studieren- den kommt aus Polen. 1989 starb nach langer Krankheit ihr Ehe- mann Alexander Schwan. Er ließ Gesine Schwan mit ihren beiden Kindern zurück. Gesine Schwan trat 1972 unter dem Ein- Blickpunkte: Frau Schwan, wie sehen sie druck von Willy Brandts Ostpolitik in die SPD das Amt des Bundespräsidenten? ein. Sie war an der Gründung des Seehei- mer Kreises in der SPD beteiligt, der in den Gesine Schwan: Der Bundespräsident bzw. 70er Jahren neomarxistischen Positionen in die Bundespräsidentin hat in meiner Sicht der Partei entgegentrat. Neben ihrer wissen- vor allem politisch-kulturelle Aufgaben: Die schaftlichen Karriere arbeitete sie in zahlrei- Person soll die deutsche Demokratie stär- chen politischen Gremien mit. Von 1977 bis ken, die Gesellschaft integrieren und 1984 und erneut seit 1996 ist sie Mitglied der Deutschland nach innen und nach außen Grundwertekommission beim Parteivorstand repräsentieren. Sie soll nicht in Konkurrenz der SPD. Von 1985 bis 1987 hatte Gesine zur ausübenden Politik treten und keine par- Schwan den Vorsitz der Deutschen Gesell- teipolitischen Vorlieben durchsetzen. Stär- schaft für Politikwissenschaft (DGfP) inne, kung der Demokratie, Integration der Ge- 1994 bis 2000 war sie Mitglied des Vorstan- sellschaft und Repräsentation Deutschlands des der Deutschen Vereinigung für politi- in seiner inneren Vielfalt und staatlichen sche Wissenschaft (DVPW). Einheit verlangen eine eigenständige, kohä- 2004 heiratet Gesine Schwan zum zweiten rente und zukunftsorientierte Position des Mal. Ihr Mann, , ist Jurist und Amtsinhabers, die zureichend komplex ist war Director der Regional Mission in Eastern und zugleich durch konzeptionelle Schlüs- Africa der Weltbank. Er ist Gründer der sigkeit Verlässlichkeit bietet. Nichtregierungsorganisation Transparency Die geistige Stimmigkeit sollte sie sich auch International, die sich weltweit gegen Kor- anschaulich im persönlichen Lebenslauf ruption engagiert. wiederfinden. Sonst gerät der Amtsinhaber in die Versuchung, um der eigenen Populari- Positionen tät willen aktuellen gesellschaftlichen oder Jeder Bundespräsident prägte, obwohl die politischen Stimmungen zu folgen, Integrati- Verfassung das Amt des Staatsoberhauptes on als Anpassung an jeweilige Opportunitä- eigentlich als rein repräsentatives ausgelegt ten zu deuten und den ursprünglichen Sinn hat, das Amt doch immer auch durch sein von Repräsentation – nämlich Vergegenwär- Amtsverständnis und seine eigenen politi- tigung der komplexen gesellschaftlichen schen Grundwerte und Überzeugungen. Vielfalt in der originellen Einheit der in sich Umso wichtiger ist es, sich gerade auch mit ebenfalls komplexen Person – zu verfehlen. diesen Überzeugungen des Kandidaten zu beschäftigen. Blickpunkte: Welche Bedeutung hat der Glaube in Ihrem Leben, Frau Schwan?

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Gesine Schwan: Meine Grundüberzeugung freiheitliches Zusammenleben beleben und beruht auf meinem christlichen Glauben. sichern wollen, müssen wir – jeder an seiner Ihre „Richtigkeit“ kann ich nicht beweisen. Stelle - Vertrauen durch eigene Verlässlich- Auch kann ich von niemandem verlangen, keit stärken. Das ist Verpflichtung und meinen Glauben zu teilen. Ich meine aber, Chance zugleich. Vertrauen mehren – Zu- dass meine politischen Folgerungen auch kunft gewinnen: darauf kommt es für jeden von anderen Glaubens- oder Weltanschau- von uns an, insbesondere aber auch als ungsvoraussetzungen her angenommen zentrale Aufgabe des Bundespräsidenten werden können. Offenheit und Dialogbereit- oder der Bundespräsidentin! schaft gegenüber anders Denkenden, die ausdrückliche Bejahung ihrer Würde in ihrer Blickpunkte: Bildung ist eines der zentra- Freiheit sind für mich fundamentale christli- len Themen der SPD. Auch für Sie? che Werte. Die Welt, in der wir leben, ist nicht dem Un- Gesine Schwan : Bildung gilt gemeinhin als tergang geweiht, sie enthält – als Gottes zentrale Zukunftsaufgabe moderner Staaten. Schöpfung – den Keim des Gelingens, die Dabei trat sie in den letzten ca. zwanzig Jah- Chance, zum Besseren gestaltet zu werden. ren in der öffentlichen Diskussion vornehm- Dies ist in unser aller Verantwortung gege- lich als Instrument zur Stärkung von Wirt- ben. Wir spüren diese Verantwortung ge- schaftskraft und von Chancen der Individuen genüber Gott – wenn wir religiös sind – oder auf dem Arbeitsmarkt in den Blick. Dafür gegenüber unserem Gewissen. Auch die spielt Bildung ohne Zweifel eine wichtige Gesellschaft stellt Anforderungen an uns, Rolle. die wir ernst nehmen müssen. Wir können Der Sache nach und in der Tradition des sie aber nicht als letzte Instanz unserer Ent- Nachdenkens über Bildung umfasst diese scheidungen übernehmen, wir müssen un- jedoch viel mehr. Vor allem gibt es einen serem Gewissen folgen und selbst urteilen. Zusammenhang zwischen den Wegen zur Bildung und ihrem Ziel einerseits und der Blickpunkte: Der Vertrauensverlust in das Gestalt des politischen Gemeinwesens, für Finanzsystem ist ein wesentliches Prob- das und in dem Bildung stattfindet anderer- lem der Finanzkrise. Benötigt Demokratie seits. Autoritäre Bildungsmethoden z.B. un- Vertrauen? terminieren die Demokratie, weil sie die für sie notwendigen Werte und Verhaltenswei- Gesine Schwan: Seit dem 19. Jahrhundert sen nicht vermitteln bzw. diese pervertieren. hat die Bedeutung von Vertrauen für ein Wer nicht gelernt hat, sich ein eigenständi- Zusammenleben in Freiheit, Gerechtigkeit ges Urteil zu erarbeiten, kann seine Rolle als und Solidarität ständig zugenommen. Geläu- selbständiger Bürger in einer Demokratie fig ist uns dieses Wort – abgesehen von nicht wahrnehmen. seiner gegenwärtigen Hochkonjunktur in den Wer nicht gelernt hat, sich ein eigenständi- Diskussionen über die Finanzkrise – aus ges Urteil zu erarbeiten, kann seine Rolle als eher persönlichen Erfahrungen. Wenn wir in selbständiger Bürger in einer Demokratie der zunehmend unübersichtlichen Moderne nicht wahrnehmen. Die gegenwärtige Vor-

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herrschaft ökonomischen Denkens und Ver- Blickpunkte: Welchen Stellenwert hat die haltens steht den Aufgaben und Chancen Familie für Sie? demokratischer Bildung entgegen, weil sie den Wettbewerb als Motivation verabsolu- Gesine Schwan: Familien bilden die Urzel- tiert, die Förderung von Eliten in den Mittel- len aller bisherigen Gesellschaften. Über die punkt stellt und die Vielseitigkeit der Persön- Jahrhunderte hat sich ihre Gestalt immer lichkeitsbildung ebenso wie die zur Entwick- wieder gewandelt. Seit dem 19. Jahrhundert lung notwendige Zeit dem verkürzenden gibt es eine Tendenz zur Kleinfamilie mit Gebot ökonomischer Effizienz opfert. einem oder zwei Kindern, die in den letzten Jahrzehnten den demographischen Wandel Blickpunkte: Ehrenamt und Bürgerge- nicht nur in Deutschland begünstigt hat. Ne- sellschaft sind moderne Schlagworte für ben den medizinischen und hygienischen eine Neudefinition des Gesellschaftsver- Fortschritten hat sie dazu geführt, dass der ständnisses. Zu Recht? Anteil der älteren Menschen in unserer Ge- sellschaft im Vergleich zu den jüngeren Gesine Schwan: Die den westlichen Demo- deutlich steigt. kratien zugrunde liegende Demokratietheo- Diese Veränderung wird von vielen als Ge- rie ist im England des 17. Jahrhunderts ent- fahr für die Zukunft Deutschlands angese- standen. Ihr maßgeblicher Vertreter war hen. Weil wir alle gern gesünder älter wer- John Locke. In seiner Idee vom Gesell- den wollen und deshalb die Verlängerung schaftsvertrag ging er davon aus, dass die der Lebenserwartung begrüßen sollten, vor Menschen, schon bevor sie sich im Staat allem aber aus einer familienpolitischen Per- zusammenschließen, als Bürger prinzipiell spektive sehe ich darin jedoch einen Vorteil. friedlich zusammen leben und ihre gemein- Denn unsere längere aktive Lebensspanne samen Angelegenheiten aus eigener Initiati- bietet uns die Chance, unsere Lebensläufe ve regeln wollen. Von dieser Grundannahme zu entzerren, dadurch Zeit für partnerschaft- leitet sich der Gedanke der Bürgergesell- liche Familien zu gewinnen und so den ge- schaft her, die bereit und in der Lage ist, ihre sellschaftlichen Zusammenhalt für eine gute gemeinsamen Angelegenheiten zum Teil Zukunft Deutschlands zu stärken. schon im vorpolitischen Raum zu regeln. Das Gegenteil einer solchen Idee vom selb- Blickpunkte: Als langjähriges Mitglied der ständigen kooperativen Bürger ist die Vor- Grundwertekommission der SPD – wel- stellung vom Untertan, der prinzipiell auf die che Bedeutung hat für Sie Gerechtigkeit? Anordnung der Obrigkeit wartet und ihr un- abhängig vom eigenen Urteil gehorcht. Gesine Schwan: Wir spüren genau, was schreiende Ungerechtigkeit ist. Es geht z.B. ungerecht zu, wenn das eine Kind in Bür- gerkrieg, Hunger und Krankheit aufwächst, ohne Chancen auf Bildung und Zukunft – und das ist der Fall bei Millionen von Kindern auf unserer Welt – und das andere im Über- fluss alle Lebenschancen eröffnet bekommt. Es ist gut, so positive Lebenschancen zu haben, keiner will sie auch nur einem Kind auf der Welt wegnehmen. Aber die radikale Ungleichheit der Chancen empfinden wir als eindeutig ungerecht. Aber was heißt Ge- rechtigkeit im positiven Sinne? Zwei Fragen müssen wir dabei im Kopf behalten. Erstens: Informationen der Ausgabe Mai 2009 SPD -Bundestagsabgeordneten Seite 11 Ingrid Arndt-Brauer Blickpunkte

Zwischen wem soll Gerechtigkeit herrschen? entieren soll, nicht von einer Obrigkeit ver- Und zweitens: Bezogen worauf soll Gerech- ordnet oder durch eine Theorie vorgegeben, tigkeit herrschen? sondern muss in der Auseinandersetzung zwischen den Interessengruppen erstritten werden. Nach Ernst Fraenkel ergibt sich das Gemeinwohl in demokratischer Politik daher nicht „a priori“, sondern „a posteriori“. Das Gemeinwohl hat in pluralistischen De- mokratien nur dann eine Chance, wenn sich die Teilnehmer an der unverzichtbaren poli- tischen Auseinandersetzung im Konflikt zugleich über einen Grundkonsens einig sind, den sie freiwillig einhalten – aus ethi- schen Gründen oder aus einem wohlver- standenen langfristigen Interesse an der Stabilität des politischen Systems.

Blickpunkte: Gibt es „den“ gesellschaft- Blickpunkte: Wie hängen Sozialstaat und lichen Grundkonsens? Freiheit für Sie zusammen?

Gesine Schwan: Im Unterschied zur Antike Gesine Schwan: Freiheit ist die Wurzel der regeln moderne Demokratien die politische menschlichen Würde und deshalb der Anker Willensbildung in differenzierten pluralisti- der Demokratie. Unsere Würde, deren Anla- schen, nicht in traditionalen homogenen Ge- ge wir in jedem Menschen jenseits aller Leis- sellschaften. In ihnen herrscht faktisch und tung respektieren, liegt konkret im richtigen legitim eine Vielfalt von Interessen, die für Gebrauch unserer Freiheit gemäß unseren politische Entscheidungen gebündelt werden Möglichkeiten. Deshalb verlangt Demokratie müssen. In parlamentarischen Systemen einen sozialstaatlichen Ausgleich, der die geschieht dies vornehmlich durch Parteien gleiche Chance aller Bürger auf den und Interessengruppen, zunehmend aber Gebrauch ihrer politischen Freiheit sichert. auch durch Bürgerinitiativen und gemein- wohlorientierte Nichtregierungsorganisatio- Blickpunkte: Vielen Dank für das Ge- nen. Dabei kann das Gemeinwohl, an dem spräch, Frau Schwan. sich demokratische Politik auch in der plura- listischen Gesellschaft und Demokratie ori-

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Die Bundespräsidenten seit 1949

Prof. Dr. Theodor Heuss (FDP) Bei der Wahl wurde der FDP-Vorsitzende Theodor * 31. 01. 1884 † 12. 12. 1963 Heuss zum ersten Bundespräsidenten gewählt. Die Wahl 1. Amtszeit: 13 .09. 1949 - 12. 09. 1954 war die Folge einer Koalitionsvereinbarung zwischen 2. Amtszeit: 13. 09. 1954 - 12. 09. 1959 CDU/CSU und FDP, die die Wahl von Heuss zum Bun- despräsidenten und die Konrad Adenauers zum Bundes- kanzler vorsah.

Dr. h. c. Heinrich Lübke (CDU) Im Vorfeld der Wahl hatte es große Unsicherheiten in * 14. 10. 1894 † 06. 04. 1972 der CDU/CSU gegeben, da Bundeskanzler Konrad Ade- 1. Amtszeit: 13. 09. 1959 - 12. 09. 1964 nauer zunächst seine Kandidatur angekündigt hatte, diese 2. Amtszeit: 13. 09. 1964 - 30. 06. 1969 aber dann doch wieder zurückzog, weil er sah, dass er als Bundespräsident weniger Einfluss als im Amt des Bun- deskanzlers hätte, und weil er Ludwig Erhard als Bun- deskanzler verhindern wollte. Nach langen Diskussionen fiel die Wahl dann schließlich auf den damaligen Ernäh- rungsminister Lübke. Carlo Schmid und Max Becker wurden keine großen Chancen eingeräumt.

Dr. Dr. (SPD) Bei der Wahl wurde Bundesjustizminister Gustav Hei- * 23. 07. 1899 † 07. 07. 1976 nemann zum Bundespräsidenten gewählt. Er kandidierte Amtszeit: 01. 07. 1969 - 30. 06. 1974 als Vertreter der SPD; kurz vor der Wahl entschied sich die FDP dazu, ihn zu unterstützen, während die NPD erklärte, den CDU-Kandidaten Bundesverteidigungsmi- nister Gerhard Schröder zu wählen. Heinemann sprach nach der Wahl von einem „Stück Machtwechsel“, nach der Bundestagswahl wenige Monate später kam die sozi- alliberale Koalition aus SPD und FDP auch im Bundes- tag zustande.

Walter Scheel (FDP) Die Bundesversammlung wählte den stellvertretenden * 08. 07. 1919 Bundeskanzler, Bundesaußenminister und FDP- Amtszeit: 01. 07. 1974 - 30. 06. 1979 Vorsitzenden zum vierten Bundespräsi- denten der Bundesrepublik Deutschland. Scheel war nach dem Rücktritt Willy Brandts am 8. Mai 1974 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Bundeskanzlers beauftragt worden. Scheel war also zum Zeitpunkt seiner Wahl zum Staatsoberhaupt kommissarischer Regie- rungschef, da Helmut Schmidt erst tags darauf formell zum Bundeskanzler gewählt wurde.

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Prof. Dr. (CDU) Bei der Wahl wurde Bundestagspräsident Karl Carstens * 14. 12. 1914 † 30. 05. 1992 zum Bundespräsidenten gewählt. Die SPD stellte mit der Amtszeit: 01. 07. 1979 - 30. 06. 1984 Bundestagsvizepräsidentin und früheren Bundestagsprä- sidentin erstmals eine Frau auf. Die 66 FDP-Mitglieder der Bundesversammlung enthielten sich der Stimme, nachdem der amtierende Bundespräsi- dent Walter Scheel erklärt hatte, nicht wieder anzutreten.

Dr. Richard von Weizsäcker (CDU) Bei der Wahl wurde Richard von Weizsäcker, der bishe- * 15. 04. 1920 rige Regierende Bürgermeister von Berlin, zum Bundes- 1. Amtszeit: 01. 07. 1984 - 30. 06. 1989 präsidenten gewählt. Weizsäcker kandidierte zum zwei- 2. Amtszeit: 01. 07. 1989 - 30. 06. 1994 ten Mal; 1974 hatte er gegen Walter Scheel verloren. Weizsäcker war bisher der einzige Bundespräsident, der bei seiner Erstwahl von beiden großen Volksparteien unterstützt wurde. Die 1983 frisch in den Bundestag eingezogenen Grünen stellten mit der Schriftstellerin eine eigene Kandidatin auf.

Prof. Dr. (CDU) Die Wahl gewann Roman Herzog, der Präsident des * 05. 04. 1934 Bundesverfassungsgerichtes, allerdings erst im dritten Amtszeit: 01. 07. 1994 - 30. 06. 1999 Wahlgang gegen . Jens Reich und der Publizist Hans Hirzel, während der Zeit des Nationalso- zialismus Mitglied der Widerstandsorganisation Weiße Rose, galten von vorneherein als chancenlos. Durch die Wiedervereinigung und nach einer 25-jährigen Zwangs- pause wurde der Bundespräsident wieder in Berlin ge- wählt.

Johannes Rau (SPD) Diese Wahl gewann Johannes Rau, der fünf Jahre zuvor * 16. 01. 1931 † 27. 01. 2006 bei der Bundespräsidentenwahl 1994 gegen Roman Amtszeit: 01. 07. 1999 - 30. 06. 2004 Herzog verloren hatte. SPD-Parteichef Oskar Lafontaine hatte Rau das Versprechen gegeben, seine Wahl zum Bundespräsidenten zu forcieren, wenn er als Minister- präsident von Nordrhein-Westfalen zurücktrete. Trotz des Rücktritts Lafontaines im März 1999 blieb Rau SPD- Kandidat. Er konnte mit seiner Wahl rechnen, da SPD und Grünen zur Mehrheit in der Bundesversammlung nur sieben Stimmen fehlten und er überdies auch Sympa- thien in der FDP genoss.

Prof. Dr. Horst Köhler (CDU) Zur Wahl im Reichstagsgebäude traten lediglich Horst * 22. 02. 1943 Köhler und Gesine Schwan an, wobei Schwan mit 589 Amtszeit: 01. 07. 2004 - zu 604 Stimmen gegen Köhler verlor.

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Die weiblichen Kandidatinnen zur Wahl des Bundespräsidenten

Als "Zählkandidaten", die keine Chance haben und nur für eine Sache oder für die Partei in die Bütt treten, prägen Frauen die Geschichte der Präsidentschaftswahlen.

1954 hatte ein Wahlberechtigter der Bun- von einst. Die Grünen beriefen sich auf Lui- desversammlung die Frauenrechtlerin Marie- se Rinser, weil sie beweisen wollten, dass Elisabeth Lüders auf seinem Stimmzettel sie salonfähig seien. Nachdem Richard von nominiert, er war der einzige. Frau Lüders Weizsäcker, Luise Rinsers einziger Gegen- wird davon nichts gewusst haben (so wenig kandidat, 1984 gewählt worden war, ging er wie der Soziologe Alfred Weber wusste, zu ihr hin und grüßte sie. Aus eigener Erfah- dass die KPD ihn 1954 aufgestellt hatte - er rung - 1974 war er selbst Präsidentschafts- bekam zwölf von rund 900 Stimmen der kandidat gewesen - wusste er doch, wie Bundesversammlung). man sich fühlt, wenn man nicht gewählt wird.

Die erste Frau, die zur 1994 musste die Präsidentschaft ernst- FDP-Politikerin Hil- lich nominiert wurde, degard Hamm- war 1979 die SPD- Brücher erleben, Politikerin Annemarie dass auf die Partei- Renger. Die Emanzi- freunde kein Verlass pationsbe-wegung ist. Sie hatte sich als machte es möglich. Kandidatin zur Annemarie Renger Verfügung gestellt. Eine "Pokerfigur", sagte kandidierte, als schon sie, wolle sie nicht sein. Nichts besseres war absehbar war, dass sie dann. In der letzten Abstimmung ließen die SPD/FDP-Koalition zerfallen würde. Die die Parteifreunde sie im Stich und wählten Vertreter der FDP gaben leere Stimmzettel nicht sie und nicht Johannes Rau, sondern ab. Renger musste sich sagen, dass sie Roman Herzog: Damit wollte die FDP ihre nicht persönlich gemeint war: Die FDP war Loyalität zur CDU bekunden. auf dem Absprung zur Koalition mit der Uni- Die Enttäuschung, die Hamm-Brücher erleb- on. Die Wahlen 1979 gewann der CDU- te, blieb Uta Ranke-Heinemann erspart. Die Politiker Karl Carstens. parteilose Theologieprofessorin hatte keine 1984 fand die da- politischen Ambitionen. Sie ließ sich 1999 mals noch junge von der PDS gegen Johannes Rau (der Partei der Grünen dann Präsident wurde) und gegen die von eine Kandidatin, die der CDU nominierte Dagmar Schipanski über das Latzhosen- aufstellen, weil sie ein Zeichen setzen wollte: Image der Grünen erhaben war: Die Wenige haben gegenüber dem Mehrheits- Dichterin Luise kandidaten je eine Chance gehabt. Gesine Rinser, eine beken- Schwan war eine Ausnahme: Sie hat mehr nende Christin. Die alte Dame hatte viel Ausstrahlung als Horst Köhler und hätte Sympathie für die Studentenbewegung der 2004 gegen ihn vielleicht gewinnen können. sechziger Jahre, in den Grünen erblickte sie die erwachsen gewordenen Demonstranten

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