Geschrumpft und vergreist 285 000 PDS-Mitglieder 4% Ost unter 30 Jahre West 36% Altersstruktur 30 bis 60% 60 Jahre über 60 Jahre 146 700 123 800 105 000 94 500 89 300

unter 1000 über 1990 91 92 4000 93 94 95 96 97 98 99 2000 M.-S. UNGER PDS-Politiker Zimmer (2. v. l.), Bartsch, Bisky: Erinnerungen an Honeckers Gartenzwerg-Sozialismus

zwerg-Sozialismus des Parteichefs Erich PARTEIEN Honecker wach. Aber wie sollte es auch anders sein? Eintönig liest sich ihr Lebenslauf: Zimmer, Allein gegen den Männerbund Mutter zweier Töchter, war Mitglied der „Freien Deutschen Jugend“, wurde in Die Thüringer Fraktionschefin Gabriele Zimmer soll zur „Sprachmittlerin für Russisch und Französisch“ ausgebildet, arbeitete seit PDS-Vorsitzende werden. Doch im Hintergrund zieht weiter die 1977 im Suhler Fahrzeug- und Jagdwaffen- alte Truppe um und die Fäden. werk „Ernst Thälmann“, trat 1981 der SED bei. Sie stieg auf in die Parteileitung des ie Genossen im Westen schlafen „neue Zielgruppen“ ansprechen und Betriebs, während ihr Mann anderweitig einfach länger. Um zehn Uhr wol- „neue Politikfelder“ besetzen. für den Sozialismus kämpfte – beim Minis- Dlen die Delegierten des 23. Landes- Nur, überraschend klingt das alles nicht. terium für Staatssicherheit, Bezirksver- parteitags der PDS Nordrhein-Westfalen Höflich lauschen die Westgenossen, von waltung , und bei den Grenztruppen. über die „Wende hin zu sozialer Gerech- denen viele vermutlich nicht einmal wis- Heute ist er Servicevertreter für Funkan- tigkeit“ diskutieren. Doch selbst 30 Minu- sen, wo genau der Thüringer Wald liegt, lagen. ten nach dem offiziellen Beginn ist die Aula aus dem die Frau stammt. „Die Gabi ist of- Zur Parteisekretärin ihres Betriebs der Stieghorster Gesamtschule in Bielefeld fener als all die anderen Ostler“, resümiert brachte Zimmer es allerdings erst während Anfang September halb leer. Dabei haben anerkennend ein weißhaariger Delegierter der Wende. Da wollte sie die SED grund- die Postkommunisten eine prominente Re- im Anorak. Doch der Funke will nicht so legend ändern. „Ich war betroffen über ferentin aufgeboten: Gabriele Zimmer, 45, recht überspringen. Die Wessis waren bis- den Zynismus, den ich bei einer Reihe die auf dem Bundesparteitag der PDS lang anderen Ostbesuch gewohnt: Gregor kluger Genossen festgestellt hatte“, sagt sie übernächsten Samstag in Cottbus zur Gysi, 51, die Stimmungskanone der Partei. heute. Wegen solcher Geständnisse gilt Nachfolgerin des bisherigen Vorsitzenden Genau das aber ist das Problem Zim- sie in der PDS als Reformerin. Seit jenen Lothar Bisky, 59, gewählt werden soll. mers, die mit Mitte 40 schon bald Groß- Tagen widmete sie ihr Leben ganz der Ein wenig verloren steht die drahtige mutter wird. Die Frau aus dem kleinen Politik. 1990 wurde sie Landesvorsitzende Frau, die alle nur Gabi nennen, in dem 1600-Seelen-Dorf Hinternah zwischen Suhl in Thüringen, 1999 Fraktionschefin im schäbigen Schulflur und wartet. Erst als und Hildburghausen ist ganz anders als der Landtag. sich der 130. Teilnehmer in die Anwesen- Mann aus bürgerlichem Berliner Haus, der Trotz dieser Erfahrungen Zimmers im heitsliste eingetragen hat, ist die Ver- bislang die Partei nach außen repräsen- Polit-Geschäft beschleichen so manchen sammlung beschlussfähig. Mit einer Stun- tierte. Gysi, jedem Talkmaster gewachsen, Genossen im Berliner Karl-Liebknecht- de Verspätung steigt Zimmer aufs Podium. erinnerte nie an die miefige DDR und de- Haus, der PDS-Zentrale, Zweifel, ob „Zo- „Ich weiß mittlerweile“, sagt Zimmer ren vielerorts nicht minder miefiges Über- nen-Gabi“ („Die Zeit“) die Partei führen lächelnd, „dass im Westen alles immer et- bleibsel PDS. kann. Seit 1997 ist sie schon stellvertreten- was später beginnt.“ Freundlich klatschen Zimmer passt in Wirklichkeit viel besser de Bundesvorsitzende – ohne dass es öf- die Westlinken, vom Apo-Opa bis zum ju- zur Partei als Gysi. Jedes Wort weist sie als fentlich groß aufgefallen wäre. gendlichen Totalverweigerer. Dann feuert Kind des einstigen Arbeiter-und-Bauern- Zu verdanken hat Zimmer ihre Nomi- die Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt Staates aus. Sie ist strebsam, artig, ost- nierung einer anderen Politik-Aufsteigerin die Worthülsen in den Saal, mit denen sie deutsch und überhaupt nicht komisch. Sie aus dem Osten, der ein Jahr älteren Ange- seit Wochen für die PDS wirbt – und vor „schätzt ein“, erklärt, was „Fakt“ ist und la Merkel. Aus Angst, die CDU könnte mit allem für sich selbst. Sie fordert, die „rich- was auf welche „Schiene“ gebracht werden ihr an der Spitze den Alleinvertretungsan- tigen Schlüsse“ aus dem Scheitern des So- soll. Während Gysi die DDR und die dort spruch der PDS für Ost-Themen brechen, zialismus in der DDR und dem Versagen jahrzehntelang regierende SED, die Vor- suchten auch die Genossen im Frühjahr der Linken im Westen zu ziehen, sie ver- läuferin der PDS, vergessen machen konn- plötzlich eine Frau für die Nachfolge des langt „neue Wege in die Gesellschaft“, will te, ruft sie Erinnerungen an den Garten- amtsmüden Bisky. Dabei fanden sie Zim-

104 der spiegel 40/2000 Deutschland ACTION PRESS ACTION PDS-Wahlkämpfer Gysi (im April in Münster): Stimmungskanone der Partei mer, die Lenins Freundin Alexandra Kol- glaubt kaum jemand. Gerade mal 1,2 Pro- lontai ihr Vorbild nennt. Die Feministin zent erreichte die PDS bei der Bundes- wurde 1924 russische Gesandte in Norwe- tagswahl 1998 in den Ländern der alten gen – und damit die weltweit erste Bot- Bundesrepublik, trotz flächendeckender schafterin. Mit einer Gegenkandidatin oder Auftritte des Publikumslieblings Gysi – ge- einem -kandidaten muss Zimmer, die vom genüber 21,6 Prozent in den fünf neuen Parteivorstand vorgeschlagen wurde, nicht Ländern einschließlich Ost-Berlins. rechnen. Immerhin kann Zimmer auf einen be- Im Karl-Liebknecht-Haus wird es der sonderen politischen Erfolg verweisen: Bei neuen Chefin schwer fallen, der heim- der Landtagswahl im September vergan- lichen Parteispitze die Macht zu nehmen. genen Jahres schaffte sie in Thüringen, was Die besteht aus einem Männerbund, zu die Partei überall erträumt. Als Spitzen- dem neben Gysi und Bisky der Europaab- kandidatin führte sie die PDS mit 21,3 Pro- geordnete André Brie, der Potsdamer Frak- zent an der SPD (18,5 Prozent) vorbei auf tionsgeschäftsführer Heinz Vietze, der stell- Platz zwei hinter die CDU (51 Prozent). vertretende Schweriner Ministerpräsident Im Erfurter Landtag hat die Fraktions- Helmut Holter und der eloquente Bundes- chefin bereits ihre Fähigkeiten in dialekti- geschäftsführer gehören. scher Führungskunst unter Beweis gestellt. Letzterer sollte nach dem Willen der Rea- Im Fall der Thüringer Landtagsabgeord- los in der Parteiführung eigentlich Biskys neten Almuth Beck, die einst für die Stasi Nachfolger werden. Nun bleibt er Bundes- spitzelte, übte sich Zimmer im Lavieren. geschäftsführer. „Unter dem“, amüsiert Um die alte Garde nicht zu enttäuschen, sich Bisky, „kann jeder Vorsitzender sein.“ unterstützte Zimmer die Stasi-Zuträgerin Wer das Sagen in der Partei hat, bekam bei der Verfassungsklage gegen deren Man- Zimmer bereits zu spüren: Das Jawort des datsentzug. Intern sorgte sie jedoch dafür, Koalitionspartners PDS, mit dem Mitte Juli dass Beck geräuschlos aus dem Landtag die Zustimmung Mecklenburg-Vorpom- verschwand. Die belastete Genossin erhielt merns zur Steuerreform im Bundesrat erst für die Wahl 1999 keinen Platz auf der Lan- möglich wurde, wurde ohne sie beschlos- desliste. sen. Die Frau, die den Thüringer Wald und Solche Halbheiten bei der Erneuerung die Toskana liebt, war gerade im Urlaub, der Partei haben auch Gysi und Bisky voll- als die Herren der Partei dem ansonsten als bracht – und sich an den Folgen aufgerie- „neoliberal“ beschimpften Bundeskanzler ben. Den übergroßen Besen, den Gysi einst Gerhard Schröder die PDS-Stimmen an- im Revolutionsjahr 1989 auf dem Parteitag boten. Ein Fehler, glaubt Zimmer. Eine geschenkt bekam, um die SED zu säubern, richtige Entscheidung, beharrt ihr künftiger hat er später nur noch genutzt, um Balance Geschäftsführer Bartsch. zu halten zwischen alten Kadern und Schon macht in der Partei das böse Wort wilden Reformern. Nun verstaubt er in der von der Übergangskandidatin die Runde. Parteizentrale. Nur wenige trauen Zimmer die vielen Kurze Zeit überlegte Parteisprecher Kunststücke zu, die die PDS nötig hat: die Hanno Harnisch, ob er den Besen auf dem Altkommunisten zu verdrängen und neue Parteitag in Cottbus an Gabi Zimmer wei- Themen zu finden. Auch dass es Zimmer terreichen soll. Aber dann hat er die Idee gelingen könnte, die im Westen noch im- doch verworfen. Stefan Berg, mer kaum präsente Partei zu verankern, Almut Hielscher

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