IMPRESSUM

Kulturlandschaft Thüringen. Arbeitshilfe für die Planungspraxis. von Catrin Schmidt und Hans-Heinrich Meyer

Bd.2: Historische Kulturlandschaftselemente und historisch geprägte Kulturlandschaften Teil 1: Historische Freiland- und Waldnutzungen von Hans-Heinrich Meyer

Herausgeber FH (University of Applied Sciences), Fakultät für Landschaftsarchitektur, Gartenbau und Forst Forschungsgruppe Kulturlandschaft

Autoren Prof. Dr. H.-H. Meyer mit Beiträgen von Prof. Helmut Witticke (Schwarz- burg) und Dipl.-Ing. (FH) Doreen Eisfeld

Kontaktadresse Prof. Dr. H.-H. Meyer Fachhochschule Erfurt, Fakultät LGF Leipziger Straße 77 99085 Erfurt Tel.: 0361/6700-261 Fax: 0361/6700-259 email: [email protected] Webseite: www.fh-erfurt.de/la/kulturlandschaft

Redaktion Prof. Dr. H.-H. Meyer

Layout und Satz Dipl.-Ing. (FH) S. Murr, Frankenthal 2, 99192 Ingersleben

Karten Dipl.-Ing. (FH) M. Schottke, Dipl.-Ing. (FH) R. Herrmann, Dipl.-Ing. (FH) A. Zeigerer

Bildquellen Titelseite: • "Charte vom Fürstenthume nebst dem Erfurther Gebiete", Teil 8, 1798. Reprint Thüringer Landesamt für Vermessung und Geoinformation • "Die drei Burgen Gleichen", gez. v. J.G. Rottmann. 57. Lith. v. Ed. Pietzsch & Co in Dresd.

Veröffentlichungsgenehmigung der Karten Thüringer Landesamt für Vermessung und Geoinformation. Genehmigungs-Nr.: 101 543/2007 (Historische Karten), 14/WM-00973/07 (Topographische Karten)

Druck Fehldruck GmbH, Schlachthofstr. 82, 99085 Erfurt

Selbstverlag

Erfurt, im Januar 2008

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten. Kulturlandschaft Thüringen

- Arbeitshilfe für die Planungspraxis - Band 2: Historische Kulturlandschaftselemente und historisch geprägte Kulturlandschaften Teil 1: Historische Freiland- und Waldnutzungen

Forschungsprojekt gefördert mit Mitteln des Freistaates Thüringen (HWP 2.3) und des Thüringer Ministeriums für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt (TMLNU)

FH Erfurt, Fakultät für Landschaftsarchitektur, Gartenbau, Forst Erfurt, im Januar 2008

Bearbeitung Forschungsgruppe Kulturlandschaft

Projektleitung Prof. Dr. H.-H. Meyer, Prof. Dr. C. Schmidt Inhalt

Inhalt

1Vorwort und Einführung 4

2 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung von Thüringen 7 Einführung: Von der Natur- zur Kulturlandschaft · Der Beginn der Kulturlandschaft in der Jungsteinzeit (6000-1800 v.Chr.) · Kulturlandschaftsgestaltung in der Bronzezeit (1800 – 800 v.Chr.) · Vorrömische Eisenzeit (800 v.Chr. bis Chr. Geb.) · Römische Kaiserzeit (Chr. Geb. bis 375) · Völkerwanderungszeit und Thüringerreich (375-531) · Fränkische Zeit und Frühmittelalter (531-908) · Innerer und äußerer Landesausbau im Hochmittelalter (10.-14. Jh.) · Spätmittelalterliche Wüstungsperiode (1320-1500) · Frühe Neuzeit und Zeitalter des Merkantilismus (1500-1800) · Zeitalter der Agrarreformen und der beginnenden Industrialisierung (19. Jh.) · Kulturlandschaftswandel im 20. Jh. · Kulturlandschaft heute

3 Ausgewählte historische Kulturlandschaftselemente

3.1Terrassenfluren und Terrassenlandschaften 32 Begriff und Entstehung · Geologisch-morphologische Rahmenbedingungen · Ausgewählte Ackerter- rassenlandschaften: Thüringer Wald und Vorländer · Werratal zwischen und Hildburg- hausen · Westliches Thüringer Schiefergebirge · Mittleres Saaletal · · Bedeutung für Land- schaftspflege und Naturschutz · Empfehlungen für Schutz, Erhaltung und Pflege · Zur Methodik der Erfassung von Terrassenfluren

3.2 Weinbau und historische Weinbaulandschaften 43 Thüringen als historisches Weinland · Geschichte und Verbreitung · Sachzeugen historischen Wein- baus und ihre Bedeutung für Landschaftsplanung und Naturschutz · Weinbau heute

3.3 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften 52 Zur Geschichte des Obstbaus in Thüringen · Geologische, morphologische und klimatische Standort- ansprüche · Verbreitung der Obstarten in Thüringen · Streuobstregionen und Streuobstlandschaften (Nordthüringen, Westthüringen, Thüringer Becken, Ilm--Bergland, Ostthüringen, Südthüringen, Thüringische Rhön) · Bedeutung historischer Streuobstwiesen für Ökologie und Landschaftsplanung · Perspektiven: Alte Obstsorten als Genreserve

3.4 Historischer Waidanbau 66 Historische Bedeutung und floristische Herkunft des Färberwaids · Geologische und klimatische Standortansprüche · Historische Anbau- und Verarbeitungsmethoden · Mittelalterlicher Handel mit Waid · Niedergang im 17. Jahrhundert und mehrfache Wiederbelebung des Waidanbaus · Quellen zur Verbreitung des historischen Waidanbaus · Zukunftsperspektiven der Waidnutzung

3.5 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel 76 Die historischen Anfänge · Der Thüringer Kräutergarten · Zur aktuellen Pflege des historischen Er- bes · Lavendelkulturen um · Der Pfingstrosenanbau im Gleistal um Jenalöbnitz · Weitere historische Anbaugebiete von Arznei-, Zier- und Gewürzpflanzen (Kölleda und die Pfefferminze, Erfurter Samenkulturen, Artern und die Artemisia) · Thüringer Kräuteranbau heute

3.6 Hutungen und Hutungslandschaften 85 Entstehung als extensive Weiden, einstige und heutige Bedeutung · Charakteristisches Landschafts- bild · Kulturgeschichtlicher Rückblick zur Weidewirtschaft und Schafhaltung in Thüringen · Methodisches zur Erfassung historischer Hutungen · Historische Hutungslandschaften in Thüringen · Aktuelle Fol- gegesellschaften (Kalk-Trocken- und Halbtrockenrasen, Silikatmagerrasen, Borstgrasrasen, Zwerg- strauchheiden, Wacholderheiden) Inhalt

3.7 Historische Waldnutzungen 96 Der Wald im Spannungsfeld zwischen Natur und Mensch · Abriss der Waldgeschichte unter dem Einfluss des Menschen seit der Jungsteinzeit · Ausgewählte historische Waldnutzungen (Waldweide, Schneitelung und Laubheugewinnung, Köhlerei, Salinen, Glashütten, Aschebrennerei, Eichenlohe- gewinnung, Haubergwirtschaft, Kienharznutzung, Pechsiederei, Rußerei, Teerschwelerei, Zeidelweide [Waldbienenzucht], Zapfenpflücker, Jagd, Trift und Flößerei) · Hochwälder · Niederwälder · Mittelwäl- der · Hudewälder · Über die Schutzwürdigkeit historischer Waldbauformen · Quellen zur Erfassung historischer Waldnutzungsformen (Waldbiotopkartierung, Historische Karten, Flurnamen, Sagen, Fabeln und Märchen, Landschaftsmalerei)

3.8 Mühlen und Mühlenlandschaften 124 Wirtschaftliche Bedeutung und Geschichte der Müllerei · Mühlentechnische Grundlagen und Einsatz- gebiete von Mühlen · Bautypen und ihre Verbreitung im Überblick: Wassermühlen (ober-, mittel-,un- terschlächtige Wasserräder, Mühlteiche und -gräben, Wasserkünste, Gebäude- und Gehöfttypen), Windmühlen (Bockwindmühlen, Paltrockwindmühlen, Kappenwindmühlen) · Besonders sehenswerte und baugeschichtlich wertvolle Mühlen in Thüringen · Mühlenlandschaften (bedeutende historische Wassermühlentäler, Windmühlenlandschaften)

3.9 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften 140 Bergbaugeschichtliche Sachzeugen (Seifenbergbau, Tagebau, Tiefbau) · Besucher- und Schauberg- werke in Thüringen · Geologische Grundlagen des Bergbaus in Thüringen · Bergbaulandschaften: Nordwestlicher Thüringer Wald (Bergbaugebiet Möhra-Kupfersuhl, Bergbaugebiet Schmalkalden- -Brotterode, Bergbaugebiet Nördlicher Thüringer-Wald-Rand, Bergbaugebiet Zentraler Thüringer Wald) · Bergbaulandschaft Mittlerer Thüringer Wald (Bergbaugebiet Ilmenau, Bergbaugebiet - Schleusingen) · Bergbaulandschaft Thüringer Schiefergebirge (Bergbaugebiet Zechsteinrandsenke Königsee-Allendorf, Bergbaugebiet Großbreitenbach, Bergbaugebiet Saalfeld-Kamsdorf-Könitz, Bergbaugebiet Schmiedefeld-Gräfenthal-Steinach, Bergbaugebiet Südwestlicher Schiefergebirgsrand, Bergbaugebiet Leutenberg-Weitisberga, Bergbaugebiet Lobenstein-Hirschberg, Bergbaugebiete Nordwestliches Vogtland) · Bergbaulandschaft Osterland (Bergbaugebiet -Ronneburg [mit ehe- maliger WISMUT], Bergbaugebiet Altenberga-Meuselwitz [Braunkohle]) · Bergbaulandschaft Harz und Harzvorland (Bergbaugebiet Ilfelder Becken, Bergbaugebiet Südliches Harzvorland-Kyffhäuser, Bergbaugebiet Kalirevier Südharz-Unstrut) · Bergbaulandschaft Südwestthüringen (Bergbaugebiet Kalirevier Werratal, Bergbaugebiet Rhön) · Historische Goldgewinnung im Thüringer Wald und im Schiefergebirge

3.10 Steinbrüche und Steinbruchlandschaften 174 Methodisches zur Erfassung von historischen Steinbrüchen · Geologische Rahmenbedingungen · Verbreitung von historischen Steinbrüchen und Steinbruchlandschaften · Gewinnung und Verwendung von Lesesteinen

3.11 Hohlwege und Hohlwegslandschaften 176 Schutzaspekte und wissenschaftliche Erfassung von Hohlwegen · Geologische Rahmenbedingungen (typische Gesteins- und Reliefverhältnisse) und Hohlweglandschaften · Entstehung (im Zuge von Fernverkehrsstraßen, durch regionalen und lokalen Verkehr, durch Erschließungswege der Feldflur, Hohlwege und Ackerterrassen, Viehtriften, Holzschleifen und Holzschurren) · Formtypen (Kasten-, Mulden-, Kerbhohlwege, Spurenstränge, Spurenbündel) · Erosionstälchen (Tilken) · Hohlwege in Thüringen um 1850

4 Literaturverzeichnis 183

5 Kartenverzeichnis 198 Vorwort

1 Vorwort und Einführung

Seit vorgeschichtlicher Zeit sind unsere Siedlungsräume Alle Fachrichtungen verbindet die Verpflichtung, erhal- in Mitteleuropa keine ursprünglichen Naturlandschaften tenswerte Kulturlandschaften und ihre wertvollsten Teile mehr, sondern durch den Einfluss des Menschen ge- vor der Zerstörung zu bewahren, sie sorgsam zu pflegen prägte, ständig im Wandel begriffene Kulturlandschaften. und im Rahmen einer ganzheitlichen Umweltsicherung Der Wandel ist ein Wesenszug von Kulturlandschaften. nachhaltig weiterzuentwickeln. Artikuliert wird diese Bedingt durch Fortschritte in der Agrartechnik und in Aufgabe auf europäischer Ebene durch die Europäische der Landeskultur, durch die Entwicklung von Gewerbe, Landschaftskonvention, die in ihrer Präambel unter Industrie und Verkehr, durch das Auf und Ab der Bevöl- anderem konstatiert, „dass die Landschaft zur Heraus- kerungszahlen im Gefolge von Kriegen, Seuchen und bildung der lokalen Kulturen beiträgt und dass sie ein Klimawandel unterliegen Landschaftsbilder seit Jahr- Grundbestandteil des europäischen Kultur- und Natur- tausenden einer ständigen Veränderung. erbes ist und somit zum Wohlergehen der Menschen und zur Festigung der europäischen Identität beiträgt“ Nicht diese Veränderung an sich ist ein Problem, son- (EUROPARAT im Oktober 2000). dern die Zunahme ihrer Intensität, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem beispiellosen Verlust an Auch im Bundesraumordnungsgesetz wurde die Erhal- historischen Strukturen und zu einem Trend der Ver- tung der „gewachsenen Kulturlandschaft“ mit ihren einheitlichung (Nivellierung) von Orts- und Landschafts- „prägenden Merkmalen“ sowie mit ihren Natur- und bildern geführt hat. Durch diesen Prozess wird das Kulturdenkmälern als ein Grundsatz der Raumordnungs- Gesicht der Landschaft zum austauschbaren Motiv, politik verankert (ROG, §2, Abs. 2, Grundsatz 13). das allerorts in gleicher Form zu sehen ist (SCHMIDT & MEYER et al. 2005, S. 4). Landschaftsqualitäten wie die Aus der Gesetzeslage erwächst die Notwendigkeit, er- regionale Typik, Eigenart und Spezifik, die Grundlage haltenswerte Strukturen der Kulturlandschaft zu erfas- für emotionale Bindung, für regionale Identität sind, sen, zu inventarisieren und für die unterschiedlichen verschwinden. Oder wie Schenk (2003, S.16) formuliert: Planungsebenen entsprechend in Text und Karte dar- Moderne Standardlandschaften bieten „wenige Anre- zustellen. gungen für das Auge und Gemüt“, weil ihnen die „Anker- punkte regionaler Identität“ (Symbolcharakter, Erinne- Der Schwerpunkt dieser kulturlandschaftlichen Inven- rungswert) abhanden gekommen sind. tarisation und Aufarbeitung muss aus pragmatischen Gründen auf der regionalen und kommunalen Ebene Mit dem schleichenden Verlust historischer Substanz liegen. Landesweit ist eine systematische und vollstän- gehen aber nicht nur emotionale, sondern auch objektive dige Kartierung aller Kulturlandschaftselemente oder und substantielle Werte verloren: Historische Kultur- gar Elemententeile mit einem unverhältnismäßig hohen landschaften zeugen von den Lebens- und Wirtschafts- Aufwand verbunden. Für die Kartierung und Bewertung weisen früherer Generationen, sie vermitteln eine Vor- historischer Einzelelemente ist somit vor allem der stellung von den Umweltbedingungen unserer Vorfah- Landschaftsplan geeignet, während sich die regionale ren. Damit stellen sie für Forschung und Lehre wichtige Ebene (Landschaftsrahmenplanung etc.) vornehmlich kulturgeschichtliche Quellen dar. Zudem ist mit ihrer für die Typisierung und die Kennzeichnung gemeinde- Zerstörung auch der Verlust wertvoller Habitate für eine übergreifender Kulturlandschaftsräume anbietet (HOP- Vielzahl von Lebensgemeinschaften zu beklagen, denn PENSTEDT U. SCHMIDT 2002, S.239). sehr viele naturhaushaltlich wertvolle Flächen resultieren aus speziellen Landnutzungsformen und -strukturen Aber auch die landesweite Arbeitsebene benötigt mög- vergangener Zeiten. lichst flächendeckende Kenntnisse über das in den jeweiligen Regionen vorhandenen Kulturlandschaftsin- Aus dem Gesagten folgt, dass der Schutz von Kultur- ventar mit einem entsprechenden Generalisierungsgrad. landschaften eine zielgerichtete Zusammenarbeit vieler Disziplinen erfordert. Aspekte des Naturschutzes, der Bis heute gibt es solche flächendeckenden Bestands- Denkmalpflege, der Historischen Geographie und der aufnahmen historischer Kulturlandschaftselemente Raum- bzw. Landschaftsplanung werden gleichermaßen noch in keinem Bundesland, auch wenn in einigen berührt. Kulturlandschaftserhaltung versteht sich mithin Ländern Bemühungen schon weit vorangeschritten als ein „sektorale Ansätze übergreifendes Konzept zum sind, die Aufnahmen im Rahmen GIS-gestützter Kul- planerischen Umgang mit räumlichen kulturhistorischen turlandschaftskataster zu automatisieren und über neue Werten“ (GUNZELMANN & SCHENK 1999, S.347). Formen der Internetkommunikation die Bearbeitung

4 Vorwort durch ehrenamtliche Kräfte in den Regionen zu inten- 1850) sowie die Ackerterrassen aus den besonders sivieren. Beispiele dafür bieten das digitale Kulturland- detailreichen und genauen Historischen Messtischblät- schafts-Informationssystem in Nordrhein-Westfalen tern (um 1930). (KuLaDigNW), das digitale Kulturlandschaftskataster in Niedersachsen (ADABweb) und die GIS-gestützten Der vorgelegte Band setzt die Reihe „Kulturlandschaft Kulturlandschaftsinventarisationen in Bayern (KLI) (s. Thüringen. Arbeitshilfe für die Planungspraxis“ fort. dazu LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND, Hrsg., 2005). Nach Band 1 „Quellen und Methoden zur Erfassung An der Fachhochschule Erfurt wird zurzeit im Rahmen der Kulturlandschaft“ (SCHMIDT U. MEYER et al. 2006) des INTERREG-III-B-Projektes „Cultural Landscape“ werden in Band 2, Teil 1 ausgewählte historische Land- in Zusammenarbeit mit dem Heimatbund Thüringen nutzungen und Kulturlandschaftselemente des Frei- ein „Kulturlandschaftsportal Thüringen“ eingerichtet, landbereiches vorgestellt. Erläutert werden Strukturen auf dem externe Nutzer künftig Bilder und Daten aus außerhalb des Siedlungsraumes, die auch heute noch den Regionen einpflegen bzw. abrufen können („Kultur- im Landschaftsbild auffallen und die Eigenart mancher landschafts-Wiki“). Landstriche wesentlich prägen.

Noch aber fehlen selbst grundlegende Informationen Im Einzelnen kann Band 2, Teil 1 folgende Unterstützung zur Kulturlandschaft, auf die bei der Bearbeitung von bieten: Landschaftsplänen, Landschaftsrahmenplänen oder - Einen Kurzüberblick über die Kulturlandschaftsent- Einzelprojekten zurückgegriffen werden kann, in fast wicklung Thüringens (historische Entwicklungspha- allen Bundesländern. Mittlerweile gilt das zwar weniger sen und Wirkfaktoren werden in ihrem funktionalen für die methodischen Arbeitsgrundlagen (denen der Gefüge dargestellt) 2006 erschienene Band 1 gewidmet ist), als vielmehr - Eine Charakteristik ausgewählter historischer Kul- für die unentbehrlichen Bestandsdaten zu Kulturland- turlandschaftselemente des Freilandbereiches in schaftselementen und -strukturen in Form von Über- ihrer regionalen Differenzierung, ihren kulturge- sichtskarten in kleinen Maßstäben mit Grobabschät- schichtlichen Ursprüngen und standörtlichen Bin- zungen ihrer räumlichen Verbreitung, die für die Belange dungen (Relief, Geologie, Böden, Hydrologie) durch der Kulturlandschaft planungsorientiert zusammenge- Text, Bild und Karte fasst und aufbereitet sind. - Die Möglichkeit einer Einordnung von Projekten und Plangebieten in Thüringen hinsichtlich zu erwar- Der hiermit vorgelegte Band soll diese Lücke schließen tender wesentlicher historischer Kulturlandschafts- helfen. Er stützt sich ausschließlich auf Datenquellen, elemente und markanter Prägungen durch die die schon landesweit verfügbar sind. Zahlreiche Ele- kulturlandschaftliche Entwicklung mente der historischen Kulturlandschaft werden in - Annäherungen an historische Landschaftsleitbilder Thüringen bereits seit langem von Denkmal- und Na- sowie Maßnahmenvorschläge zur Erhaltung und turschutzbehörden erfasst. Hierzu zählen seitens der Entwicklung der historischen Kulturlandschaften Denkmalschutzbehörden Baudenkmale und archäolo- und ihrer Bestandteile gische Kulturdenkmale. Die Naturschutz- und die Forst- - Weiterführende Quellenhinweise zu den spezifi- behörden dokumentieren im Rahmen der Wald- und schen Themenfeldern (Literaturverzeichnis). der Offenlandbiotopkartierungen flächendeckend Bio- toptypen, die aus historischen Nutzungen hervorgegan- Der noch in Arbeit befindliche Teil 2 wird das historische gen sind (z.B. Kalktrockenrasen, Streuobstwiesen, Siedlungs- und Verkehrsnetz Thüringens erklärend Hohlwege, Steinbrüche). Darüber hinaus können histo- beschreiben und eine Gesamtschau der Historischen rische topographische Karten bei entsprechend vor- Kulturlandschaften liefern. Die Wirkungszusammen- sichtiger Interpretation zur Verdeutlichung des Kultur- hänge zwischen den naturräumlichen Faktoren und landschaftswandels und zur Abgrenzung historischer den historisch-kulturellen Einflusskräften werden in Verbreitungs- und Schwerpunkträume eine wertvolle ihrer räumlichen Differenzierung hier nochmals in einer Hilfe sein. Sie liefern flächenbezogene Hinweise auf Zusammenschau dargestellt und die regionaltypischen historische Landnutzungen und Strukturen zu bestimm- Vergesellschaftungen von Kulturlandschaftselementen ten Zeitschnitten (1850, 1870, 20. Jh.). Ausgewählte zur Abgrenzung von besonders schützenwerten Kultur- Elemente wurden deshalb im Rahmen des Projektes landschaftsräumen hoher Eigenart herangezogen. aus historischen topographischen Karten digitalisiert: beispielsweise die historischen Wasser- und Windmüh- Alle Bücher der Reihe wenden sich an einen breiten len, die Eisen- und Glashütten, die historischen Wald- Leserkreis. Angesprochen sind neben den Angehörigen nutzungsformen (Haubergwirtschaft) und die extensiven von Fachbehörden und Planungsbüros auch Lehrende Weideflächen der Allmenden (Hutungen) aus den an Schulen und Hochschulen und die vielen aktiven Feldoriginalen der Preußischen Urmesstischblätter (um Heimatforscher, die kulturlandschaftliche Kenntnisse

5 Vorwort

über den Thüringer Heimatraum sammeln und für die Zum Schluss gilt mein ganz besonderer Dank dem Wissenschaft als Multiplikatoren dienen. Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt, das durch seinen maßgeblichen Druckko- Abschließend ist verbindlichster Dank auszusprechen stenzuschuss die Veröffentlichung des Buches in guter an Personen, die in ganz wesentlichem Maße zur Fer- Ausstattung erst ermöglicht hat. tigstellung des vorliegenden Buches beigetragen haben. Frau Prof. Dr. Catrin Schmidt, Universität Dresden, die als ehemalige Kollegin und Projektinitiatorin auch nach Hans-Heinrich Meyer ihrem Wechsel in den Freistaat Sachsen die Forschung über Thüringer Kulturlandschaften mit großem Enga- Erfurt, im Dezember 2007 gement weiter begleitet, Frau Dipl.-Ing. (FH) Maja Schottke und Herrn Dipl.-Ing. (FH) Robin Herrmann für die graphischen Entwürfe und die Erstellung der GIS-Karten, Frau Dipl.-Ing. (FH) Yvonne Seifert für den methodischen Beitrag zur Erfassung von Ackerterras- sen, Frau Dipl.-Ing. (FH) Anett Zeigerer für den Aufbau der Thüringer Kulturlandschafts-Bibliographie und die damit verbundenen umfangreichen Literaturrecherchen. Sie bereitete auch die Literatur für das Kapitel „Hutungen und Hutungslandschaften“ auf und digitalisierte viele analoge Datenquellen (z.B. historische Karten). Herr Dipl.-Ing. (FH) Christoph Glink löste alle auftretenden GIS-Probleme und betreute die Internetplattform. Wert- volle Informationen trugen auch die nachfolgend ge- nannten Diplomandinnen durch ihre Prüfungsarbeiten bei: Christiane Eimann (Streuobst), Doreen Eisfeld (Waid, s.a. Mitarbeit in diesem Band), Katrin Koch (His- torische Waldnutzungen), Jana Lindner (Weinbau), Heidi Pinkepank (Ackerterrassen) und Constanze Reu- termann (markante Einzelbäume). Sehr zu danken ist des Weiteren den ausgewiesenen Fachleuten und Landeskennern, die die Kapitel kritisch korrigierten: Herrn Arno Gündel, Lehr- und Versuchsanstalt für Gar- tenbau, Erfurt („Heil- und Zierpflanzenanbau“), dem Vorsitzenden des Thüringer Mühlenvereins, Herrn Alfred Kirsten, Erfurt („Mühlen und Mühlenlandschaften“), Herrn Dr. Werner Schuricht, („Streuobstanbau und Streuobstlandschaften“) sowie Herrn Prof. Helmut Witticke, ehem. Fachhochschule Schwarzburg, der das Kapitel über „Historische Waldnutzungen“ begutachtete und durch eigene Beiträge aufwertete. Von der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie (TLUG) wurden die Ergebnisse der Offenlandbiotopkartierung, die digi- tale Bodengeologische und die Geologische Karte, von der Thüringer Landesanstalt für Wald, Jagd und Fische- rei die digitale Waldbiotopkartierung als Grundlagen zur Verfügung gestellt. Die Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau (Abteilung Gartenbauverwaltung) steuerte Übersichten zum aktuellen Wein- und Kräuteranbau bei. Frau Dipl.-Ing. (FH) Sandra Murr erstellte in gewohnt sorgfältiger und zuverlässiger Weise das Layout und den Satz des Bandes, der dann trotz großer Zeitnot termingerecht und korrekt von der Druckerei Fehldruck fertig gestellt wurde. Das Verfassen der Texte und die Redaktion lagen in den Händen des Unterzeichnenden, der damit auch für alle Fehler und Unzulänglichkeiten allein verantwortlich ist.

6 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

2 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

2.1 Einführung: Von der Natur- zur Kulturlandschaft

Das heutige Landschaftsbild Thüringens resultiert aus nik und Verkehr eine starke Nutzungsintensivierung einer langen und komplexen erd- und kulturgeschicht- der Landschaft durch den Menschen festzustellen. Aus lichen Entwicklung. Waren es zunächst die geologischen der Agrarlandschaft früherer Jahrhunderte ist mittlerweile Vorgänge, die über Jahrmillionen in Wechselwirkung eine hochproduktive Wirtschafts- und Industrielandschaft mit dem Klima und der Evolution der Pflanzen- und geworden, in der nur wenige altgewachsene Strukturen Tierwelt die Naturlandschaft gestalteten, so ist es seit erhalten geblieben sind. etwa 8000 Jahren der Mensch, der durch Siedlungs- und Wirtschaftsaktivitäten die Naturräume nachhaltig So stellt sich die Landschaft Thüringens als ein räumlich verändert und zu einer Kulturlandschaft umgestaltet wie zeitlich differenziertes Gebilde dar. Sie setzt sich hat. Wie noch zu zeigen sein wird, hatte jede kulturge- aus unterschiedlichen chronologischen Schichten zu- schichtliche Epoche ihr eigenes Landschaftsbild. In der sammen, deren Hinterlassenschaften heute oft neben- Frühzeit wurde es noch ganz von Naturwäldern geprägt. einander im Raum liegen („Gleichzeitige Ungleichzeitig- Dann verwandelten sich diese unter dem Einfluss von keit“ i.S.v. Becker 1998). Die folgenden Ausführungen Ackerbau und Viehwirtschaft immer mehr in Offenland- sollen die einzelnen Entwicklungsphasen der Kultur- schaften mit Dörfern, Feldern, Weideflächen und Wie- landschaft skizzenhaft aufzeigen, um die überkomme- sen. Es gab aber auch Zeiten, in denen sich die Wälder nen Strukturen zeitlich zuordnen und im kulturgeschicht- wieder ausbreiteten und ehemaliges Kulturland zurück- lichen Kontext erklären zu können. Angesichts der noch eroberten. zahlreich vorhandenen Forschungs- und Wissenslücken kann das jedoch nur schlaglichtartig geschehen. Insgesamt gesehen ist mit der zunehmenden Bevölke- rungsverdichtung und der Entwicklung von Kultur, Tech-

2.2 Die Kulturlandschaft der Jungsteinzeit (Neolithikum; 6000-1800 v.Chr.)

Bereits im 9. Jt. v.Chr. war in Kleinasien damit begonnen Schon diese ersten bandkeramischen Siedler kannten worden, Haustiere zu halten und Pflanzen anzubauen. die besten Böden. Sie bevorzugten für die Anlage ihrer Von dort aus breiteten sich Ackerbau und Viehzucht Ackerflächen und Siedlungen die steinfreien, fruchtbaren über die Balkanhalbinsel und das Donaugebiet entlang Löß- und Schwarzerdeböden im Thüringer Becken, in der großen Flüsse bis nach Mitteleuropa aus und ge- der Goldenen Aue und im . Als erstes langten über , Saale, Unstrut, Elster und Pleiße rodete man die dort stockenden relativ offenen Eichen- etwa um 5500 bis 6000 v.Chr. auch nach Thüringen. mischwälder. Wie Pollenanalysen belegen, müssen die Stieleiche (Quercus robur) und die Winterlinde (Tilia cordata) Hauptbaumarten gewesen sein. In diesen Die frühen Ackerbauern lichteten und rodeten die da- offenen Urwäldern war die Anlage von Dörfern und mals noch flächendeckenden Wälder, und sie legten Feldern verhältnismäßig unkompliziert. Man rodete mit Felder und Siedlungen an. Ackerbau bedeutete sess- dem Steinbeil und brannte die Flächen ab, wobei die hafte Lebensweise, denn wo gesät wurde, musste auch Asche dann für eine anfängliche Düngung der Felder geerntet werden. Fortan wurden feste Häuser errichtet, sorgte. Dokumentiert wird dieser Rodungsvorgang in in denen man wohnte und das Erntegut lagerte. Die den Pollendiagrammen durch den Anstieg der Offen- Vorratshaltung wurde zu einer tragenden Säule der landzeiger, der Gräser und Kräuter und typischen bäuerlichen Wirtschaft. Die kostbarsten und empfind- Ackerbegleiter, wie Beifuß und Wegerich. Mit den da- lichsten Lebensmittel wurden in tönernen Gefäßen maligen Mitteln (Beile und Dechsel aus Stein) konnten aufbewahrt, die nach ihren jeweiligen Formen und Ver- die Bäume vermutlich nur in Gürtel- oder Kopfhöhe zierungen von den Archäologen zeitlich und räumlich gefällt werden. Ausschlagkräftige Arten wie die Esche unterschiedlichen Kulturstufen zugeordnet werden. wurden deshalb wohl schon früh zu Kopfbäumen um- Eingeführt wurden Ackerbau und Großviehzucht von gestaltet und für die Gewinnung von Brenn-, Flecht- den Bandkeramikern (Linien- und Stichbandkeramik). und Schneitelholz (Laubheu) genutzt.

7 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Neben den Pollenkörnern zeugen verkohlte Reste von Wie die Verteilung der archäologischen Funde nahe Getreidekörnern, aber auch von Spelzen im Lehmbewurf legt, wurden in der Jungsteinzeit fast ausschließlich der Hütten vom frühen Ackerbau. Angebaut wurden die fruchtbaren Löss- und Schwarzerdeflächen der Emmer (Hordeum distichon = Zweizeilige Gerste) und tieferen Lagen besiedelt (nicht über 350 m NN). In Eß- Einkorn als Spelzweizen (Triticum monococcum), Gerste leben im Krs. Sömmerda, in Rudisleben bei Arnstadt, (Hordeum dicoccon = vielzeilige Gerste), die Hülsen- Schlöben, Nerkewitz, Maua und Schorba bei Jena oder früchte Erbse und Linse sowie als Öl- und Faserpflanze in Dorna, Stadt Gera, sowie in anderen Orten wurden Lein. Zur Nahrungsergänzung sammelte man vitamin- in den letzten Jahren mehr oder weniger umfangreiche reiches Wildobst, wie z.B. Kornelkirsche oder Wildapfel, Reste bandkeramischer Siedlungen ausgegraben. Sie die fettreiche Hasel, daneben verschiedene Wildkräuter alle zeigen neben der Bindung an die guten Böden die als Gemüse- oder Gewürzpflanzen, wie Melde, Brenn- Nähe von Gewässern. Dabei meiden sie die über- nessel, Gänsefußarten, Winterkresse oder Bärlauch. schwemmungsgefährdeten Niederungen zugunsten Bestellt wurden die Felder zunächst mit der Hacke, der hochwasserfreien Terrassen. Vor allem die Seiten- später auch mit dem Hakenpflug. Haupterntegerät war täler von Saale, Unstrut, Ilm, Elster und Pleiße boten - seit dem 7. Jahrtausend v.Chr. in Ägypten und Vor- solche bevorzugten Siedlungsplätze an. Man kann derasien belegt - die Sichel. diese Ökotopgrenzlage zwischen der feuchten Niede- rung und dem trockenen ackerfähigen Land auch als Wie groß die Feldflur und die einzelnen Felder waren, "Auenorientierung" bezeichnen. In der Aue gab es ob sie in kompakten Rodungsinseln oder mitten im neben dem lebensnotwendigen Trink- und Tränkwasser Wald lagen, ist unbekannt. Feldstücke und Bereiche, auch besonders graswüchsigen Boden, der sich als in denen das Vieh weidete und wo Holz geschlagen Weide für das Mast- und Jungvieh nutzen ließ. Gehölz- wurde, lagen aber offensichtlich nah beieinander. Die freie Schnittwiesen, wie sie heute in den Auen weit für die moderne Kulturlandschaft so kennzeichnende verbreitet sind, gab es zu der Zeit noch nicht, da die scharfe räumliche Trennung zwischen Wald und Offen- Sense noch unbekannt war. land gab es noch nicht. Bestimmte Unkräuter, wie z.B. Rainkohl, der vornehmlich an halbschattigen Standorten Neben der Naturraumlage ist die Form und Größe der wächst, lassen vermuten, dass die Felder klein, von jungsteinzeitlichen Siedlungen inzwischen durch ar- Bäumen durchsetzt und von Wald umgeben waren. chäologische Grabungen und Luftbildaufnahmen gut Bezeichnend für diese frühe Phase der Landwirtschaft dokumentiert. Es handelte sich um Weiler, die in der war auch, dass die gerodeten Felder nur wenige Jahre Zeit der Bandkeramik aus mehreren großen Gehöften als Ackerland genutzt werden konnten, weil weder or- bestanden, in denen wohl jeweils eine Großfamilie zu- ganischer noch mineralischer Dünger bewusst und sammenwohnte. Die 30-50 m langen Pfostenhäuser gezielt eingesetzt wurden. Wenn die Erträge stark zu- mit lehmverstrichenen Fachwerkwänden bzw. Wänden rückgingen, ließ man die Äcker einfach brachfallen und aus Spaltbohlen vereinten Wohnbereich, Handwerks- nutzte sie als Weide. Am Ende dieser "wilden Feld- räume und Speicher unter einem mit Schilf oder Stroh Graswirtschaft" stand dann wieder der Wald. gedeckten Satteldach. Für den Bau der vierschiffigen Neben dem Ackerbau war die Viehhaltung ein wichtiger Hallenhäuser mit 5 parallelen Pfostenreihen wurden Zweig der jungsteinzeitlichen Wirtschaft. Die frühen enorme Mengen Holz verbraucht. Daneben standen in Ackerbauern züchteten Rinder, Schweine, Schafe, Zie- den Dörfern auch kleinere Bauten, die als Speicher gen und ab ca. 3000 v.Chr. nachweislich auch Pferde. oder Handwerkerhütten dienten, wie dort gefundene Sie bereicherten den Speiseplan oder lieferten in Form Getreidemühlen und Werkzeuge für die Stein- und von Knochen, Häuten, Wolle und anderen Produkten Knochenbearbeitung belegen. In Meuselwitz-Zipsendorf vielfältige Rohstoffe für die handwerkliche Verarbeitung. bei Altenburg wurde sogar ein Brunnen nachgewiesen Dank der milden Winter - klimageschichtlich fällt das (Dusek 1999, S.56). Neolithikum in den Ausklang der sogenannten postgla- zialen Wärmezeit (Atlantikum) - wurden sie ebenso wie Meist hatten die jungsteinzeitlichen Siedlungen nur die seit der ausgehenden Altsteinzeit belegten Hunde Jahrzehnte Bestand. Warum sie aufgegeben und an im Freien gehalten. Für die Kulturlandschaftsgestaltung anderer Stelle neu gegründet wurden, ist bis heute um- war der Weidegang von entscheidendem Einfluss. Das stritten. Die Erschöpfung der ungedüngten Böden (s.o.), Vieh wurde auf die Brachflächen und in die umliegenden die zunehmende Verunkrautung der Äcker, Schädlings- Wälder getrieben, wo es das Jungholz abweidete und befall und andere Gründe lassen sich dafür heranziehen. verbiss. Dabei wurden empfindliche Arten wie Linden Über die Mühsal des Daseins legen die großen Grä- und Ulmen besonders stark dezimiert. Mit der Zeit ent- berfelder aus der Bandkeramikzeit bei Arnstadt, Son- standen so immer größere offene Flächen, die aber dershausen, Bruchstedt bei Bad Tennstedt und bei von Restwäldern umsäumt blieben, die die Holzversor- Wandersleben eindrucksvoll Zeugnis ab. Die harten gung in fußläufiger Entfernung sicherstellten. Lebensumstände, Vitamin- und Proteinmangelerschei-

8 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung nungen sowie zahlreiche Krankheiten spiegeln sich landschaft vermutlich mit mosaikartig eingestreuten dort in geringer Lebenserwartung und hoher Kinder- Rodungsinseln umgewandelt. Spätestens gegen Ende sterblichkeit. der Jungsteinzeit, vor rd. 4000 Jahren, gab es in den fruchtbaren und klimatisch begünstigten Lössbecken Zusammenfassend erfolgten in der Jungsteinzeit die und ihren Randgebieten keine großen Urwälder mehr. ersten nachhaltigen Eingriffe in die Naturlandschaft Gleichzeitig drangen in die vom Menschen neu geschaf- Thüringens. Während die Hochlagen des Muschelkalk- fenen Biotope, wie Äcker, Weideflächen, aufgelichtete und Buntsandsteinberglandes ebenso wie Thüringer Wälder, aber auch Trittflächen und stickstoffreiche Ab- Wald und Schiefergebirge noch unberührt blieben, wur- fallplätze, neue Offenlandpflanzen ein. Ein Teil der den die offenen Eichen-Linden-Ulmen-Mischwälder der Ackerunkräuter kam mit den ersten Kulturpflanzen aus Lössgebiete und die höheren, überschwemmungsfreien dem Südosten nach Thüringen. Terrassen der großen Flusstäler in eine frühe Kultur-

2.3 Kulturlandschaftsgestaltung in der Bronzezeit (1800 - 800 v.Chr.)

Schon die Bauern der Jungsteinzeit waren gelegentlich 10 % enthalten ist, gewann man vornehmlich aus in den Besitz von Schmuck, Waffen und Werkzeugen zinnhaltigen Flusssanden, den sog. Zinnseifen. Bron- aus gediegenem Kupfer gelangt. Wegen ihrer geringen zezeitlicher Seifenbergbau - auch auf Gold - ist u.a. im Härte waren diese Gegenstände aber wenig praxis- Gebiet des Wünschendorfer Beckens, im Geraer Stadt- tauglich. Erst, als der neue Werkstoff mit Zinn zu Bronze gebiet und auf den höheren Lagen beiderseits der veredelt wurde, hatte er die gewünschten Eigenschaften, Weißen Elster zwischen Köstritz und Eisenberg archäo- vor allem die größere Härte und Elastizität und die logisch belegt (vgl. Zeidler 2002, S.28, 29). niedrigere Schmelztemperatur im Vergleich zu Kupfer. Aus Bronze ließen sich leistungsfähigere Äxte, Pflug- Begleitet wurde die Einführung des neuen Werkstoffes scharen und Waffen herstellen. Im täglichen Leben auch von anderen technologischen und wirtschaftlichen spielten diese Gegenstände anfangs aber nur eine ge- Neuerungen insbesondere in der Landwirtschaft. Inzwi- ringe Rolle, da sie sehr teuer waren. Breite Bevölke- schen hatte man Schafe gezüchtet, die nicht nur Milch, rungsschichten hatten deshalb zunächst keinen Zugang Fett, Fleisch und Häute lieferten, sondern auch langfa- zum neuen Metall, sondern verwendeten weiter die alt- serige Wolle besaßen, die zu besonders haltbaren Tex- bewährten und billigen Rohstoffe Holz, Knochen und tilien verarbeitet werden konnte. Dies führte zu einer Stein. Das zeigen z.B. die Beigaben auf dem Friedhof Bedeutungszunahme der Schafhaltung und damit ein- der frühen Bronzezeit auf dem Mühlberg bei Großbrem- hergehend zur Ausweitung der von Schafen beweideten bach (Krs. Sömmerda), einem der größten Bestattungs- Flächen. Das mag mit ein Grund dafür sein, dass in plätze Deutschlands aus dieser Zeit (Dusek 1999, S.77). der Bronzezeit neue Siedlungsräume auch auf weniger guten Böden und in höheren Lagen erschlossen wurden. Man nimmt an, dass ein Teil des für die Bronzeherstel- Befanden sich die Siedlungen der Jungsteinzeit und lung benötigten Kupfers aus einheimischen Lagerstätten der Frühen Bronzezeit noch vorrangig an den Terras- stammte. Solche leicht gewinnbaren Kupfererze gab senrändern der Bäche und Flüsse des Thüringer Be- es aber nur in den Zechsteingebieten, wo das kaum ckens und des Altenburger Landes, so scheinen in der 50 cm schmale Band des Kupferschiefers stellenweise Mittleren Bronzezeit während der sog. Hügelgräberkultur in Oberflächenähe kommt und deshalb obertägig ab- (1600-1200 v.Chr.) bevorzugt Kalk-, Mergel- und Gips- gebaut werden konnte (Linie Königsee-Saalfeld-Orla- böden in mittleren Lagen besiedelt worden zu sein. senke-Gera). Später, als die oberflächennahen Vor- kommen erschöpft waren, wird man wohl auch unter Jedenfalls konzentrieren sich die Funde der Hügelgrä- Tage abgebaut haben, doch gibt es dafür keinen siche- berkultur auf Gebiete mit solchen ausgesprochen ren archäologischen Beleg. Vermutlich stammt ein steinigen und trockenen Böden: auf die Muschelkalk- großer Teil des Kupfers sogar aus weiter entfernten und Keuperrandzonen des Thüringer Beckens, auf die Lagerstätten. Bronzezeitlicher Kupferbergbau ist bei- Gipskarstlandschaft der Orlasenke bei Saalfeld, auf spielsweise von Helgoland, im Rheinischen Schiefer- die Muschelkalk-Bergländer Süd- und Südwestthürin- gebirge, im Schwarzwald, vor allem aber aus dem gens - besonders zwischen Meiningen und Römhild Karpatenraum und der Alpenregion nachgewiesen. sind noch Hunderte von Grabhügeln erhalten - und auf Das wertvolle Zinn, das in den Legierungen mit etwa die Rhön mit ihren Muschelkalk- und Basaltböden

9 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

(Dusek 1999, S.81). Die hohe Funddichte gerade in Durch die europaweiten Handelsverbindungen und den den Karstlandschaften mag damit zusammenhängen, erlangten Wohlstand war die späte Bronzezeit zugleich dass diese dem Weidedruck den geringsten Widerstand eine bewegte und krisenreiche Zeit, wie die vielen zu- entgegensetzten. Mit der Zeit traten dort an die Stelle fällig gefundenen Bronzehorte dokumentieren. Es war der lichten Trockenwälder weite offene Hutungen mit zugleich die Zeit, in der das Schwert als neue Waffe Trockenrasen und Zwergstrauchheiden, die sich für aufkam. Zur Sicherung der Verkehrswege und zum die Schafbeweidung hervorragend eigneten. Schutz von Flussübergängen wurden jetzt erstmals in größerem Umfang befestigte Höhensiedlungen ange- Siedlungsarm blieben dagegen der Thüringer Wald legt, wie die auf dem Großen und Kleinen Gleichberg und das Thüringer Schiefergebirge, auch große Teile bei Römhild in Südthüringen, auf dem Jenzig und dem der Buntsandsteingebiete südlich des Thüringer Waldes Johannisberg bei Jena, auf dem Alten Gleisberg bei und in Ostthüringen. Auch die höheren Muschelkalker- Bürgel (Saale-Holzland-Kreis) und auf dem Felsenberg hebungen wie der und die Hainleite erweisen bei Öpitz (Saale-Orla-Kreis) (Dusek 1999, S.86). sich heute als weitgehend fundleer, ebenso wie das zentrale Thüringer Becken. Zusammenfassend lässt sich die Bronzezeit als eine Periode charakterisieren, in der die Kulturlandschaft Wirtschaftlich war Thüringen in der Bronzezeit Teil eines deutlich über die Grenzen der jungsteinzeitlichen Ro- Kulturbereiches geworden, der von Norditalien bis zu dungsinseln hinaus ausgedehnt wurde. Zumindest in den Niederlanden und von Ostfrankreich bis ins west- der Mittleren Bronzezeit war die Viehhaltung vermutlich liche Ungarn reichte. Günstige Wirtschaftsbedingungen die wichtigste Grundlage der bäuerlichen Wirtschaft. und überregionale Handelsbeziehungen auf der Basis Die auffällige Konzentration der archäologischen Funde des neuen Metalles ließen blühende Gemeinwesen aus der Hügelgräberzeit auf die eher trockenen und entstehen. Das berühmte Fürstengrab von Leubingen flachgründigen Kalk- und Gipsböden der Muschelkalk- (östl. Weißensee), dessen Rekonstruktion im Museum platten und der Orlasenke lässt vermuten, dass zu der für Ur- und Frühgeschichte in ausgestellt ist, Zeit offene Schafhutungen erstmals verbreitet und der belegt mit seinem aufwendigen Grabbau und den rei- Wald auf diesen Standorten weit zurückgedrängt war. chen Schmuckbeigaben aus Gold - den ältesten dieser Dass das Offenland ausgedehnter war als heute, dafür Art in Thüringen - den tiefgreifenden Wandel in der So- sprechen nicht zuletzt die Hügelgräber, die einst wohl zialstruktur, der mit der Ausweitung der Bronzetechno- in offener Landschaft standen, auch wenn sie heute logie einherging. Bergbau, Verhüttung und Handel mit überwiegend in Waldgebieten liegen. Die großen Hü- dem begehrten Rohstoff aber auch der beginnende gelgräberfelder in Norddeutschland sind jedenfalls Salzhandel, ausgehend von den Solequellen von Hal- nachweislich auf offenen Heideflächen errichtet worden. le/Saale, [Bad] Sulza und [Bad] Frankenhausen, führten örtlich zu großem Reichtum und zu einer sozialen Dif- ferenzierung der bäuerlichen Gesellschaft mit Stam- meshäuptlingen an der Spitze.

2.4 Die vorrömische Eisenzeit (800 v.Chr. bis zur Zeitenwende)

Gegen Ende der Bronzezeit geriet Thüringen in den Neuenburger Sees. Träger des Latène-Stils waren die Einflussbereich der süddeutschen Hallstattkultur. Mit seit dem 6. Jh.v.Chr. historisch überlieferten Kelten. ihr gelangte die Fertigkeit der Eisenherstellung und - verarbeitung in unseren Raum. Die Einführung des Ei- Im Vergleich zur Bronze war Eisen härter, flexibler und sens erwies sich als so weitreichende kulturgeschicht- dauerhafter, und es war als metallischer Rohstoff im liche Errungenschaft, dass später eine eigene Zeitepo- Gegensatz zu Kupfer und Zinn leichter und in größeren che danach benannt wurde: die Eisenzeit. Die vorrö- Mengen gewinnbar. Für die Eisengewinnung kamen mische Eisenzeit wird in die Hallstatt- (7.-5. Jh.v.Chr.) Rot- und Brauneisenstein aus dem Zechstein und äl- und die Latène-Zeit (5.-1. Jh.v.Chr.) untergliedert. teren Formationen (Saalfeld-Kamsdorfer Gebiet, Raum Namengebend sind berühmte Fundstellen: das Grä- Wünschendorf südlich Gera) als auch das in sumpfigen berfeld von Hallstatt im oberösterreichischen Salzkam- Niederungen gewonnene Raseneisenerz in Betracht. mergut und La Tène in der Schweiz am Nordufer des Ostthüringen scheint wegen der Rohstoffnähe ein

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Schwerpunkt der Eisenproduktion gewesen zu sein. der Reife in der Ähre verbleibenden Körner übernahmen Spuren des vorgeschichtlichen Eisenbergbaus und der (Küster 1996, S.136). Auf diese Weise waren aus Un- Eisenverhüttung sind in Form von Pingen und Halden, kraut-Gräsern die "sekundären Kulturpflanzen" Roggen Eisenschlacken, Gussformresten und alten Rennöfen und Hafer geworden, die Weizen und Gerste von nun an vielen Stellen archäologisch nachgewiesen, so z.B. an immer mehr zurückdrängten. Noch dominierten aber bei Trebnitz, östlich von Gera, bei Unterwellenborn- Emmer und Gerste, dazu die eiweißreichen Feldfrüchte Röblitz (Lkr. Saalfeld-) und in Dorna bei Erbse, Bohne und Linse, von denen Überreste in den Gera. Erdfüllungen ehemaliger Vorratsgruben archäologisch nachgewiesen worden sind. Auch wenn das Eisen nur sehr langsam die älteren Werkstoffe verdrängte, so brachte es doch eine ganze Angesichts des regenreichen und kühlen Klimas spielte Reihe von technischen Verbesserungen, die langfristig in der vorrömischen Eisenzeit die Viehhaltung eine gro- in der Gestaltung der Kulturlandschaft ihren Ausdruck ße Rolle. Das bezeugen die Tieropfer des Heiligtums fanden. Den Berichten römischer Schriftsteller zufolge von Oberdorla bei Mühlhausen. Im Sediment eines bauten die Kelten in Süddeutschland schwere eiserne Erdfallsees wurden dort Knochen von Rind, Schwein, Pflüge mit Pflugscharen, die nicht nur den Boden auf- Schaf, Ziege, Pferd, Hund, Huhn, Gans und Ente ge- rissen, sondern auch die Scholle wendeten. Damit war funden. ein wesentlicher Schritt im Kampf gegen das Unkraut getan. Gleichzeitig wurden Nährstoffe aus tieferen Bo- Die Schwerpunkte der Besiedlung lagen in der vorrö- denschichten nach oben geholt. Wann genau diese mischen Eisenzeit wieder auf den besseren ackerfähi- Pflüge auch in Thüringen den urtümlichen Hakenpflug gen Böden der klimatisch begünstigten Becken- und ablösten, ist durch ärchäologische Funde nicht sicher Niederungslagen. Die Fülle von Grabstätten und ande- belegt. Die Anwesenheit von Kelten ist mit einiger ren archäologischen Funden belegt vor allem für das Sicherheit nur für Südthüringen (Grabfeld, Werrasenke, mittlere Werragebiet und für die Orlasenke eine recht Suhl) und in der Orlasenke bei Saalfeld nachzuweisen hohe Siedlungsdichte. Beispielhaft dafür mag das Grä- (Kupfer- und Eisenerzvorkommen !). berfeld von Römhild-Merzelbachwald am Westfuß des Großen Gleichberges genannt sein, mit etwa 100 noch Dank der verbesserten Ackergeräte wurden nun erst- erhaltenen Hügeln das größte dieser Zeit in Thüringen. mals auch die steinig-lehmigen, nährstoffarmen Bunt- sandsteinböden unter den Pflug genommen (Patze Als Siedlungsform herrschten weilerartige Dörfer vor, 1989, S.21). Sie wurden entlang der Wasserläufe er- zu denen, wie Grabungen auf der Widderstatt bei Jüch- schlossen. Dass das Ackerland zudem auf hängigere sen südöstlich Meiningen (Grabfeld) und in Gotha be- Lagen ausgedehnt wurde und dabei örtlich der Boden- legen, jeweils mehrere Gehöfte mit Wohnhäusern, Spei- erosion anheimfiel, bezeugen die ältesten Auelehme cherbauten, Webhütten, Töpfereien und metallverar- Thüringens an der bei Meiningen (Einhausen) beitende Werkstätten gehörten (Dusek 1999, S.108). und am Mittellauf der Weißen Elster im Stadtgebiet Einige der großen Wohnhäuser hatten erstmals Stallteile. von Gera, die sich anhand archäologischer Funde in Sie beweisen, dass jetzt infolge des kühleren Klimas die frühe Eisenzeit datieren lassen (K.-D. Jäger 1962). die Winteraufstallung des Viehs üblich und erforderlich Auelehme sind feinkörnige Hochwasserablagerungen, wurde. die ihren Ursprung in der Erosion offener, hängiger Ackerflächen haben. Insgesamt war die vorrömische Eisenzeit dank des neuen Rohstoffes Eisen und anderer technologischer In den Auelehmen dokumentiert sich aber auch eine Neuerungen trotz klimatischer Ungunst eine wirtschaft- Klimaverschlechterung, die kühlere Temperaturen und lich sehr aktive Zeit. Mit Eisen, Käse, Wolle, Webstoffen höhere Niederschläge brachte ("Subatlantikum"). Es und Salz ([Bad] Salzungen) gelangte der Export von wird angenommen, dass der Ackerbau nicht nur wegen heimischen Produkten in den Jahrhunderten vor der der Erosion darunter litt, sondern auch, weil die kälte- Zeitenwende zu einer großen Blüte. Im Gegenzug sind und nässeempfindlichen Getreidearten Weizen und Importwaren wie Glasarmringe, Ringperlen, Graphit- Gerste immer häufiger vor der Reife verfaulten oder tontöpfe, farbig bemalte Keramik und andere Schmuck- von Unkräutern überwuchert wurden. sachen auf Fernwegen aus dem böhmischen und süd- deutschen Raum aber auch aus dem Mittelrheingebiet Zwei Gräserarten sind in dieser Zeit offensichtlich ganz nach Thüringen gelangt. Thüringen wird in dieser Zeit von selbst und ohne züchterische Mitwirkung des Men- immer stärker ein Durchgangsland. Fernhandel und schen an die Stelle der angestammten Getreidepflanzen spezialisiertes Handwerk brachten den davon profitie- getreten, indem sie durch genetischen Zufall die Eigen- renden Personengruppen Wohlstand und politische schaften von Getreide, nämlich die großen und nach Macht. Auch kriegerische Auseinandersetzungen wur-

11 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

den jetzt wieder häufiger, wie die noch erhaltenen Reste wie man an den unterschiedlichen Herkunftsgebieten schanzenartiger Wallanlagen, die burgenähnlichen Op- des Fundgutes erkennen kann. pida der Latène-Periode, vermuten lassen. 16 solcher befestigten Höhenburgen aus der Spätlatènezeit Dass auch dörfliche Siedlungen bei entsprechender (2. und 1. Jh.) sind archäologisch belegt. Von ihnen ist Größe und Bedeutung befestigt waren, zeigt die als die Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberg bei Römhild Freilichtmuseum wieder aufgebaute Funkenburg bei die bekannteste. Die Burgen gaben bei Belagerungen Westgreußen. Das durch Wälle, Gräben und Palisaden Schutz, waren aber auch Mittelpunkte von Handwerk geschützte burgähnliche Bauerndorf aus dem 3.-1. Jh. und Handel und möglicherweise auch Sitz hochrangiger v.Chr. bestand aus über 50 Gebäuden. Vermutlich Persönlichkeiten. Anlagen wie die Möbisburg bei Erfurt, diente die Burg als Kultstätte, wie die bei den Ausgra- die Alteburg in Arnstadt oder der Alte Gleisberg bei bungen gemachten Funde von Tier- und Menschenop- Bürgel bewachten zudem wichtige Fernverkehrswege, fern nahe legen.

2.5 Römische Kaiserzeit (Zeitenwende bis 375 n.Chr.)

Kurz nach der Zeitenwende drangen aus dem mittleren kreuzweise mit dem Hakenpflug bearbeitet wurden, Elbegebiet entlang von Saale, Unstrut und Gera Teile die dann aber mit Einführung des Schollen wendenden der Elbgermanen bis an den Thüringer Wald und Scharpfluges (Wendepflug) immer mehr an Länge überschichteten die einheimische Bevölkerung. Dieser gewannen (Streifenfluren). in den römischen Quellen als Hermunduren bezeichnete germanische Stamm besiedelte bald das Zentrum und Über die Verteilung von Äckern, Weide und Wald liegen die Randhöhen des Thüringer Beckens sowie das süd- aus der germanischen Zeit kaum verlässliche Hinweise liche Vorland des Thüringer Waldes mit einer Konzen- vor, wohl aber über die Größe und Struktur der Sied- tration um das Flussgebiet der Werra. Die Besiedlung lungen. Wie Ausgrabungen in Niederdorla, Unstrut- fand etwa mit der 300 m-Höhenlinie eine natürliche Hainich-Kreis, und in Großobringen, Landkreis Weimarer Begrenzung. Zahlreiche archäologische Fundstellen Land, gezeigt haben, lebten die Hermunduren meist lassen auf eine vergleichsweise hohe Siedlungsdichte in Kleindörfern (Weiler) mit 4-5 Gehöften (Dusek 1999, schließen. S.124). Neben den einfachen Bauernweilern gab es Herrenhöfe einer wirtschaftlich und sozial führenden Als politische Bündnispartner Roms profitierten die Adelsschicht. In der Nähe von Stadtilm (Dienstedt) Hermunduren von den engen wirtschaftlichen Kontakten wurde in den Jahren 1970 bis 1973 ein solcher Hof- zum damaligen Kaiserreich, ohne selbst römische Pro- komplex ausgegraben. Zu ihm gehörten Wohn-Stall- vinz zu sein. Mit den Kontakten kamen neben römischer häuser aus Lehmflechtwerk von bis zu 30 m Länge, Technologie (z.B. Töpferscheibe, römische Keramik) außerdem Werkhütten, in denen von spezialisierten auch neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Landwirt- Handwerkern Eisen, Buntmetalle und sogar Silber zu schaft nach Thüringen. Durch Funde von Tierknochen Schmuck, Gürtelschnallen u.ä. verarbeitet wurden. Die sind Rinder und Pferde mit wesentlich größeren Wider- Angehörigen der Adelsschicht wurden in besonders risthöhen belegt, als sie bis dahin bei den Germanen reich ausgestatteten Gräbern beigesetzt, die die Zu- bekannt waren. Noch ist nicht geklärt, ob die großen ordnung als Fürstengräber verdienen (z.B. Bestattungen Ochsen nach römischer Art gezüchtet oder importiert von Haßleben, Dienstedt, , Flurstedt, Haina). worden sind (Dusek 1999, S.137). Feststeht, dass sie kraftvolle Zugtiere waren, die man fortan immer häufiger Zusammenfassend war die Zeit der Hermunduren trotz vor die schweren Eisenpflüge spannte. ungünstiger Klimabedingungen eine Zeit wirtschaftlicher Blüte und Bevölkerungszunahme. Etwa 2000 archäo- Wenn man den Schilderungen des römischen Schrift- logische Fundstellen lassen auf eine relativ große Sied- stellers Tacitus Glauben schenken darf (Germania, lungsdichte schließen. Besiedelt waren wie schon in Kap. 28), war jetzt erstmals ein Wechsel zwischen An- der vorrömischen Eisenzeit vor allem die Böden der bau und Brache üblich. Man hatte erkannt, dass Brach- tiefen und mittleren Lagen. Die Schichtstufen am Rande zeiten der Erschöpfung der Böden entgegenwirken. und die Muschelkalkaufwölbungen innerhalb des Thü- ringer Beckens (z.B. Hainich, Dün, Hainleite, Schmücke, Das Ackerland bestand anfangs vermutlich aus kleinen, Finne, Ettersberg und Fahner Höhe) sowie die Mittel- mehr oder weniger quadratischen Blockfluren, die gebirge (Thüringer Wald, Thüringer Schiefergebirge,

12 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Harz und Kyffhäuser) blieben aus klimatischen Gründen Sense. Sie verbesserte nicht nur die Futterversorgung und wegen der Kargheit ihrer Böden nach wie vor für den Winter, indem sie die Heugewinnung wesentlich ebenso wie das Eichsfeld fast fundleer. erleichterte. Durch ihren Gebrauch verwandelten sich die feuchten Au- und Bruchwaldniederungen immer Als kulturlandschaftlich bedeutungsvoll erweist sich mehr in offene Landschaften. seit der Römischen Kaiserzeit der Einsatz der eisernen

2.6 Völkerwanderungszeit und Thüringerreich (375-531)

Mit den Einfällen der Hunnen begann im Jahre 375 ein wurden bei Grabungen die reichsten Funde gemacht. kulturlandschaftsgeschichtlicher Abschnitt, den man Doch dürften die meisten altthüringischen Siedlungen auch als Völkerwanderungszeit bezeichnet. Früher noch unerkannt sein, weil sie unter heutigen Städten wurde für diese bewegte Zeit, die in weiten Teilen Nord- und Dörfern liegen, so dass sie der archäologischen deutschlands sehr fundarm ist, ein starker Rückgang Forschung nicht zugänglich sind. Die Ergebnisse der der Bevölkerung angenommen. In den Pollendiagram- Ortsnamenforschung deuten jedenfalls darauf hin, dass men gehen in diesem Zeitabschnitt die typischen Kultur- viele der großen Haufendörfer auf guten Böden mit und Offenlandzeiger zurück, während die Anteile der den Endungen auf „-ingen“, „-heim“, „-hausen“ und Pollenkörner von Waldbäumen zunehmen. Das lässt „-stedt“, mindestens aber die „-leben“-Orte, wohl bis in auf eine Wüstungsperiode und Phase örtlicher Wieder- die späte Völkerwanderungszeit zurückzuführen sind. bewaldung schließen. Dennoch blieben auch in der Umgrenzt ist der „leben“-Raum mit besonders geschlos- Völkerwanderungszeit die Gunsträume in Thüringen senen Vorkommen von etwa 30 Orten in der lössreichen keineswegs menschenleer, wie archäologische Fund- Keupermulde südlich der Fahner Höhe (Emmerich 1968, plätze und die historischen Tatsachen belegen. S.308). Wiederholt hat man den „-leben“-Typ den Angeln zugeschrieben. In Ostthüringen gehören die naturbe- Im Verlauf des 1. Jhs. nach der Zeitenwende waren günstigten Talterrassen der Mittleren Saale (bis Rudol- nordgermanische Stammesgruppen, die Angeln und stadt) und die ostsaalischen Lössgebiete bis zum Alten- Warnen, bis in das Gebiet zwischen Harz und Thüringer burger Land zu diesen Räumen besonders langer Wald vorgestoßen. Bis zur Mitte des 5. Jhs. schlossen Siedlungskontinuität, die bis in das 5./6. Jahrhundert sie sich mit den dort schon ansässigen Hermunduren zurückgeht (Emmerich 1968, S.308). zu einem großen Stammeskönigreich zusammen, das in frühen schriftlichen Quellen "Thoringia" genannt wird. Typische Dorfformen waren nach den archäologischen Dieses Königreich trat gleichberechtigt neben die eben- Befunden umzäunte Einzelhöfe oder weilerartige Ge- falls noch jungen Stammesreiche der Franken, Goten, höftgruppen, die wegen der erforderlichen Nähe von Bayern, Burgunder und Sachsen. Trink- und Tränkwasser meist auf den hochwasserfreien Terrassenrändern der Flüsse und Bäche lagen. Ihre Wie die Verbreitung und Dichte der archäologischen Bewohner lebten von der Landwirtschaft und von hand- Fundplätze vermuten lassen, lagen die Kerngebiete werklichen Tätigkeiten. Der eiserne Scharpflug, die des Reiches an der Mittleren Saale, an der Unstrut, Sense, die Zucht und Haltung von Rind, Schaf, Ziege, bei Mühlhausen und im südlichen Thüringer Becken Schwein, Huhn und Hund sind archäologisch belegt. zwischen Gotha, Arnstadt, Erfurt und Weimar. Dort

2.7 Fränkische Zeit und Frühmittelalter (531-908)

Das Ende des Thüringerreiches in der Schlacht an der Gleichzeitig waren von Norden die Sachsen bis in das Unstrut (531) markiert eine neue Epoche in der Kultur- Unstrut-Tal und an den Kyffhäuser, von Osten die Sla- landschaftsentwicklung. Der größte Teil Thüringens ge- wen bis zur Saaleplatte vorgerückt. Zur Sicherung des riet in die Abhängigkeit der fränkischen Eroberer. nördlichen Grenzgebietes dienten Wallburgen, die am

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Unstrutdurchbruch zwischen Schmücke und Finne 1999, S.174). Die weitere Entwicklung scheint dann (Sachsenburg), an einem alten Pass über die Finne durch einen grundherrlich getragenen Landesausbau bei Burgwenden (Monraburg) und am Rande des Eichs- bestimmt worden zu sein, denn um die Markhauptorte feldes bei Großbodungen (Hasenburg) angelegt wurden herum "legt sich ein Kranz von -hausen-Orten, die (Dusek 1999, S.172). Auch die Ostgrenze wurde durch durchweg mit Personennamen gebildet sind und somit Burgen (Saaleck, Dornburg, Kirchberg, Orlamünde und einen von der Grundherrschaft getragenen Landesaus- Rudolstadt) und durch Wallanlagen gesichert ( "limes bau dokumentieren" (Gringmuth-Dalmer 1991, S. 238). sorabicus" 849; Möller 1991, S.78). Gleichzeitig begann im Thüringer Becken und im Werragebiet ein systema- Eine wichtige Rolle bei der Festigung der fränkischen tischer Landesausbau, bei dem bestehende Orte er- Herrschaft spielte die Missionsarbeit der katholischen weitert und neue angelegt wurden. Das Ziel war, die Kirche, die vor allem mit dem Wirken des Angelsachsen noch lockeren Bindungen Thüringens an das fränkische Bonifatius verbunden war, der 725 das Kloster in Ohrdruf Reich zu festigen. und 741 das Bistum Erfurt gründete. Ab Mitte des 8. Jahrhunderts entstanden auf dem Wege der Schenkung Innerhalb des Thüringer Beckens ließen sich fränkische durch König und adlige Grundherren zahlreiche geist- Stützpunkte anhand fränkischer Gräber und Funde u.a. liche Grundherrschaften. Groß wurde vor allem der in Mittelsömmern und Mühlhausen (Unstrut-Hainich- Einfluss der Reichsabteien und Hersfeld und des Kreis), bei Griefstedt, Sömmerda, Haßleben, Steinthal- Bistums Erfurt (später Mainz), die in ganz Thüringen leben und Bilzingsleben (alle Ldkr. Sömmerda) nach- reichen Grundbesitz erwarben. Sie förderten den Bau weisen. Einige „-hausen“-Orte wurden vermutlich im von Kirchen in den fränkischen Burgen und Siedlungen. Königsauftrag auf Reichsgut im altthüringischen Volks- land angelegt (Nordhausen, Sangerhausen, Mühlhau- Obwohl Ortsnamenendungen auf -heim und -hausen sen). Die frühen urkundlichen Erwähnungen von Gotha und Gräberfelder die Anwesenheit der Franken in Thü- (775), Mühlberg und Arnstadt (beide 704) sowie Erfurt ringen belegen, sind bisher nur wenige ihrer Siedlungs- (742) reichen ebenfalls bis in die fränkische Zeit zurück. plätze ausgegraben worden. Man nimmt an, dass sich Ebenso scheint die Gründung der „-heilingen“-Dörfer die meisten von ihnen unter den heutigen Siedlungen im Kreis Mühlhausen durch die Franken veranlasst zu befinden, was eine Standortkontinuität seit fränkischer, sein (Gringmuth-Dallmer 1992, S.75). Sie gehören wie vielleicht sogar vorfränkischer Zeit (s.o.) voraussetzt. die Königsgüter Mihla, Gotha, Hochheim, Wechmar- Ob diese Siedlungskonstanz durch nachhaltigere Me- Apfelstädt zu der besonders intensiv mit fränkischem thoden der Bodennutzung ermöglicht oder durch Flä- Königsgut durchsetzten Landschaft zwischen Hainich chenmangel infolge hoher Siedlungsdichte erzwungen und der Fahner Höhe. In spätfränkischer Zeit gewann wurde, ist nicht sicher zu sagen. In der Regel lagen die schließlich der Erfurter Raum mit der zentralen Burg Dörfer an den siedlungsgünstigsten Stellen "im un- auf dem Petersberg im Handel mit den östlich der Saale teren Bereich flacher Hänge in der Nähe einer Quelle, siedelnden Slawen besondere Bedeutung. eines Baches oder Flusses, die auch später immer wieder als Standorte der Dörfer ausgewählt wurden" Ausgeprägter noch als in Mittel- und Nordthüringen (Dusek 1999, S.173). Die Siedlungen blieben im allge- vollzog sich im südwestlichen Thüringen ein planmäßi- meinen klein. Weiler dürften die vorherrschende Sied- ger, offenbar staatlich gelenkter und von feudalen Grund- lungsform gewesen sein, doch bestanden wohl auch herren getragener fränkischer Landesausbau, wie die schon erste Haufendörfer, die mit wachsender Bevöl- vielen fränkischen Königsgüter in diesem Raum zeigen: kerung und Ausdehnung der Wirtschaftsflächen aus , , Vacha, Dorndorf, Bad Salzun- älteren Weilern hervorgegangen waren. In der Mehrzahl gen, Herren-Breitungen (Patze et al. 1989, S.144). waren sie mit einem Gutsbetrieb ausgestattet. Es gab Ortsnamen weisen hier auf eine systematische Land- den großen Salhofsbetrieb königlicher und geistlicher, nahme hin. Als besonders beispielhaftes Gebiet gilt auch hochadliger Grundherrschaft mit Wohn- und Wirt- seit langem das nördlich an den Grabfeldgau anschlie- schaftsbauten, Winterställen und zugehörigen Neben- ßende Tullifeld mit den orientierenden Ortsnamen Kal- höfen sowie abseits gelegenem Mühlgut, daneben be- tenwestheim, , Kaltensundheim und scheidenere Gutsweiler nachrangiger Herrenfamilien, Mittelsdorf. Ihre Planmäßigkeit lässt darauf schließen, schließlich das mehrgliedrige, aus Großhöfen und Klein- "dass die Gesamtkonzeption 'von höherer Ebene', also stellen bestehende Dorf (Emmerich 1968, S.305). dem Königtum, verantwortet wurde, die konkrete Durch- führung aber einer Gruppe großer Grundherren oblag." Im Gefolge des Siedlungsausbaus wurden die landwirt- (Gringmuth-Dallmer 1992, S.74). Gräber mit reichen schaftlichen Anbauflächen durch umfangreiche Rodun- Ausstattungen im Bereich dieser Orte belegen kulturelle gen erweitert. Die Ausdehnung des Getreideanbaus Beziehungen zum Rhein-Main-Gebiet sowie zum baju- und die Durchsetzung des Roggens (Secale cereale) warischen und alamannischen Siedlungsraum (Dusek als Hauptgetreide führten zu einer Steigerung der Nah-

14 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung rungsmittelerzeugung, obwohl eine Düngung immer Espenfeld bei Arnstadt gelten, wo Edelsteinperlen und noch nicht üblich war. Angebaut wurden wohl meist Silberschmuck aus dem Raum Kiew und dem Kaukasus freie Körnerfolgen, die von Ruhezeiten unterbrochen ausgegraben wurden. wurden (Gringmuth-Dallmer 1983, S.106). H. Jäger (1973b, S. 39) rechnet mit Flächenwechselsystemen Nach den archäologischen Befunden betrieb die Mehr- in Form einer Feld-Gras-, Feld-Ödland- oder Feld- zahl der slawischen Siedler neben Ackerbau und Vieh- Waldwechsel-(Brand)wirtschaft. zucht auch Fischfang und Jagd. Wasser war deshalb für die slawischen Siedlungen Standort entscheidend. Der Raum östlich der Saale wurde nach dem Nieder- Die oft dichte, halbkreisförmige Aufreihung der Siedel- gang des Thüringerreiches von Slawen, die dem Stamm stellen am Rande versumpfter, von Bruchwäldern ge- der Sorben angehörten, eingenommen. Im Vergleich säumter Gewässer und Quellnischen mag auch als zum fränkischen Siedlungsraum gab es dort noch viel Schutzlage zu erklären sein (Emmerich 1968, S.286). mehr und größere Waldungen. Besonders im "Holzland" und im Thüringer Schiefergebirge bestanden zu der Insgesamt sind in der fränkischen Zeit und im frühen Zeit noch große geschlossene Waldgebiete, in denen Mittelalter wesentliche Grundstrukturen unseres heutigen slawische Gaue wie die um Zeitz und Gera mit weiler- Siedlungsmusters geschaffen worden. Es waren westlich artigen Dörfern wie Inseln lagen. Die Slawen gaben wie östlich der Saale Zeiten des intensiven Landesaus- ihren Dörfern Namen, die häufig auf "itz" enden (z.B. baus und der Zurückdrängung der Wälder. Spätestens Köstritz, Klosterlausnitz, Döbritz, Tröbnitz). im 9. Jahrhundert war zwischen Harz und Thüringer Wald, zwischen dem Eichsfeld im Westen und der Im 9. und 10. Jh. verdichten sich die archäologischen Saale im Osten, aus isoliert in den Wäldern gelegenen Belege slawischer Siedler auch westlich der Saale bis Siedlungskammern ein großer, zusammenhängender ins Flussgebiet der Gera und ins Werragebiet (Dusek Siedlungsraum entstanden. Dabei wurden erstmals 1999, S.183). Offenbar hängt diese weite Ausbreitung auch die Randgebiete der Mittelgebirge, vor allem von der Slawen nach Westen mit ihrer Beteiligung am Lan- Thüringer Wald und Harz, erreicht (z.T. Höhen über desausbau zusammen. Dort gründeten die slawischen 300 m), ohne dass es dort freilich zu einer Siedlungs- Siedler eigene Weiler, die meist neben schon beste- und Bevölkerungsdichte wie in Innerthüringen oder im henden deutschen Dörfern lagen. Im ehemals fränki- Altenburger Land gekommen wäre. Viele Siedlungen schen Gebiet deuten vor allem die „Windisch“- und in den Höhenlagen sind in den nachfolgenden Jahrhun- „Wünschen“-Dörfer (z.B. Windisch-Holzhausen bei Er- derten wieder eingegangen. Siedlungsfrei und dicht furt) und auch die „Wenigen“-Dörfer (Wenigen = Wen- bewaldet blieben nach wie vor die Höhenzüge von den) auf ein Nebeneinander mit deutschen Siedlungen Hainich, Dün, Hainleite, Schmücke, Finne, Kyffhäuser, hin. Die „Winden“-Orte erweisen sich durch ihre Beina- Fahner Höhe und Ettersberg und die höheren Lagen men als grundherrschaftliche Kolonien (Abtswind, Pop- im Schiefergebirge und im Thüringer Wald ( Gringmuth- penwind). Eine große Rolle als Handelsplatz zwischen Dallmer 1992, S.67). Deutschen und Slawen spielte der Erfurter Raum. Als Beleg dafür mag das große slawische Gräberfeld von

2.8 Innerer und äußerer Landesausbau im Hochmittelalter (10.-14. Jahrhundert)

Zu Beginn des 10. Jahrhunderts (908) gelangte das Grafen von Schwarzburg. Keines dieser Geschlechter Thüringer Gebiet unter die Herrschaft des Sachsenher- hatte jedoch die Oberherrschaft über das ganze Land zogs Heinrich und späteren deutschen Königs Heinrich erreichen können. Dies blieb den Ludowingern vorbe- I. (919-936). Damit begann das Hochmittelalter. Es war halten. eine Zeit, in der auf thüringischem Gebiet viele territo- rialdynastische Interessen aufeinander prallten. Grafen Der Begründer der aus dem Fränkischen stammenden und andere kleine Territorialherren hatten, vom feudalen Dynastie, Ludwig der Bärtige (gest. um 1050 oder Herrschaftssystem profitierend, ihre Macht gefestigt 1080), ließ im Thüringer Wald südlich von Gotha den und stritten nun um die Vorherrschaft. Die Grafen von Wald roden und legte dort im Schutz der Schauenburg Weimar, die im Gebiet zwischen Ilm und Saale Besit- bei Friedrichroda sieben Dörfer an (s.u.). Sein Sohn zungen hatten, gelangten zu größerer Macht. Sie kon- Ludwig der Springer verlagerte den Hauptsitz zur Wart- kurrierten mit den Grafen von Tonna-Gleichen und den burg. Von hier aus erwarben sie Besitzungen an der

15 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Werra und bauten ihr Herrschaftsgebiet durch eine westsaalischen Muschelkalkplatte zwischen Dornburg Vielzahl von Burgen aus. Bald beherrschten sie den und Jena, in kleineren Gruppen südlich Arnstadt und westlichen Zugang zum Thüringer Becken und Thürin- Gotha sowie nördlich und südwestlich von . gens wichtigste Fernhandelsstraße, die Via regia (Frank- furt-Eisenach-Erfurt-Leipzig usw.). Mit derartiger Macht Das Thüringer Keuperbecken mit seinen hochwertigen ausgestattet wurde dem Sohn Ludwig des Springers Löss- und Schwarzerdeböden ist ebenso wie das Kern- vom Kaiser Lothar III. 1131 auf dem Reichstag zu Gos- gebiet des südthüringischen Grabfeldes frei von hoch- lar die Landgrafenwürde verliehen (Ludwig I., gest. mittelalterlichen Ortsnamen und Siedlungsformen. 1140). Ein Jahrhundert lang blieb sie in der Hand der Diese Altsiedelräume waren bereits vor dem 10. Jahr- Ludowinger. Nach dem Tode ihres letzten Vertreters, hundert weitflächig erschlossen, so dass kein rodungs- Heinrich Raspe, ging die Macht im Rahmen eines er- fähiges Land mehr zur Verfügung stand. Einen erheb- bitterten Erbfolgekrieges an die Wettiner über, deren lichen Zugewinn an Kulturland erfuhren indes die Fluss- Stammsitz im sächsischen Meißen lag (1310). Weder niederungen des Thüringer Beckens und der Goldenen den Ludowingern noch den Wettinern gelang es aber, Aue im Verlauf der Binnenkolonisation durch Entwäs- Thüringen zu vereinen. Der Thüringer Raum blieb in serung der sumpfigen Helme- und Unstrutaue Ende dieser Zeit bestimmt von einer Gemengelage vieler des 12. Jahrhunderts. Die Ansiedlungen im Helmerieth meist kleiner Herrschaftsgebiete, die ihren Einfluss scheinen vom Reich veranlasst und unter Mithilfe des durch geschickte Territorialpolitik und durch planmäßige Zisterzienserklosters Walkenried durchgeführt worden Kolonisationstätigkeit auszudehnen suchten: im Altsie- zu sein. Als Siedler hatte man meliorations- und was- delland westlich der Saale durch die Binnen-, und öst- serbauerfahrene Leute aus Flandern und Holland an- lich - im Slawenland - durch die so genannte Ostkolo- geworben, die dort auf Reichsgut Reihendörfer mit nisation. holländischen Hufenfluren, schmal parzellierte Lang- streifen, anlegten und in eine fruchtbare Kulturlandschaft Die Binnenkolonisation erschloss bis dahin unbesiedelt umgestalteten ("Goldene Aue"). Nur wenige Siedlungen gebliebene Gebiete im thüringischen Kernland, die Ost- lassen heute noch die ursprünglichen Planformen er- kolonisation die von den Slawen inselhaft bewohnten kennen (z.B. Martins-, Katharinen- und Nikolausrieth). waldreichen Gebiete östlich der Saale. In beiden Fällen Im Unstrutrieth sollen flandrisch-friesische Siedler die ging es um die Rodung noch verbliebener Urwälder, Dörfer Scherndorf und Riethgen bei Weißensee ange- um die Trockenlegung von Sümpfen und Mooren und legt haben. In Erfurt wird den "Flemmingern" die Grün- die Gründung neuer Dörfer und Städte. Das große dung der Gartenkulturen zugeschrieben (Emmerich hochmittelalterliche Kolonisationswerk war gleichzeitig 1968, S.278). ein Ventil, das die durch Erbteilungen und die starke Bevölkerungszunahme hervorgerufene Landnot mildern Östlich der Saale erfolgte die Anlage neuer Dörfer ab sollte. Man schätzt eine Verdrei- bis Verfünffachung dem 10. Jh. zuerst in den fruchtbaren slawischen der Bevölkerungsdichte im Verlauf des Mittelalters (800- Altsiedelräumen um Altenburg und Gera und in der 1350: von 5 auf 25 Menschen/km²; Thüringen 2006: Orlasenke (Möller 1991, S.78). Hier überwiegt heute 143 Einwohner/km² ; Rösler 1996 S.1). noch das ursprünglichere sorbische Namensgut bis zu zwei Dritteln. Anschließend wurden die weithin als Westlich der Saalegrenze wurden zunächst die an das Reichsgut ausgewiesenen, noch siedlungsleeren Wald- Thüringer Becken angrenzenden Waldgebiete der gebiete von intensiven Rodungen erfasst: die Wälder Muschelkalk- und Buntsandsteinregion erschlossen. auf der Sandsteinplatte zwischen Saale und Elster Vorherrschend sind Dörfer mit „-rode“-Namen, deren (Thüringer Holzland) und die ausgedehnten Hochflächen Entstehung der Zeitspanne von etwa 950 bis kurz nach des Thüringischen Schiefergebirges (Emmerich 1968, 1100 zugeordnet wird (Emmerich 1968, S.280). Im Ge- S.264). Entstanden sind dabei geschlossene Gebiete gensatz zum Ostsaaleraum (s.u.) ist hier die Anlage planmäßiger Orts- und Flurformen, insbesondere Anger- von Planformen nicht sehr ausgeprägt gewesen, weil und Reihendörfer mit Gelänge- und Waldhufenfluren diese Landnahme zur Zeit der ostsaalischen Plansied- und häufigen Ortsnamenendungen auf „-dorf“, „-wald“, lungen (12. Jh.) bereits abgeschlossen war. „-hain“, „-bach“, „-rod“ oder „-rieth“. Sie alle sind frei von slawischen Ortsnamen. In Nordwestthüringen zieht sich ein breiter Gürtel solcher „-rode-Orte“ vornehmlich auf Buntsandsteinland vom Getragen wurde die Ostkolonisation von sog. Lokatoren, unteren Werratal bei nordwärts durch das adligen Gründungsinitiatoren, die ritterliche Gefolgsleute Eichsfeld über Heiligenstadt, Duderstadt und Worbis mit den Waldrodungen und Neusiedlungen auf herr- bis nach Nordhausen. In der östlichen und südlichen schaftlichem Land beauftragten. Nicht selten haben Umrahmung des Thüringer Beckens finden sich „-roda“- sie diesen Siedlungen ihren Namen gegeben. Ihre Orte in nicht so geschlossener Verbreitung auf der Dienstgüter, oft mit Wassergräben und kleinen Wehr-

16 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung anlagen gesichert, gliederten sie in den Grundriss der begannen eine sprunghafte Entwicklung im Hochmit- Ortschaften ein (Emmerich 1968, S.268). Als Grundherrn telalter, auch wenn ihre dörflichen Wurzeln zum Teil bezogen sie ihre Einkünfte aus den Naturalabgaben viel weiter zurückliegen. und Dienstleistungen der abhängigen Bauern, denen sie als Gegenleistung Schutz boten. Die Stadtwerdung hatte unterschiedliche Ursachen. Die drei wichtigsten waren: a) eine günstige strategische Zu den erfolgreichsten Lokatoren gehörten die Lobde- Position; b) eine besondere Lagegunst im überregio- burger. Von ihrer Stammburg über Lobeda beim heutigen nalen Wegenetz (Fernhandels-, Etappen- und Marktorte) Jena und von der Orlasenke aus (Pößneck-Neustadt- und c) Bodenschätze. Triptis-Auma) haben sie sich etwa seit 1166 gen Süden gewandt: ins Wisenta-Gebiet um Schleiz, nach Saalburg Viele der im Hochmittelalter entstandenen Städte sind und in das namenentsprechende Lobenstein. Die gut in günstiger strategischer Position unter dem Schutz ausgebildeten Angerdörfer mit Gelängefluren, die im einer Burg gegründet worden, wodurch weltliche oder Gebiet von Gräfenthal-Lehesten im Westen über Leu- geistliche Landesherren einen Herrschaftsanspruch tenberg bis Mühltroff-Auma im Osten großflächig ver- am Ort manifestierten. Prädestiniert dazu waren einzeln breitet sind, lassen sich vermutlich auf ihre Initiative stehende Berge oder schwer zugängliche Felsen, auf zurückzuführen. Die Herkunft der lobdeburgischen denen Höhenburgen errichtet wurden (z.B. Neusiedler aus den oberen Mainlanden spiegelt sich in Eisenach, Königspfalz auf dem Schlossberge in in markanten Mundartsschranken wider, die den Bereich Altenburg und Gotha, Festung auf dem Petersberg in der Planformen gegen Innerthüringen und nach Norden Erfurt, Dornburg, Leuchtenburg in Kahla an der Saale; abgrenzen (oberdeutsche Flurnamen: z.B. Reuth) Burg Greifenstein in Blankenburg, Osterburg in Weida), (Emmerich 1968, S.267/68). Auch die Herren von Weida auch Passwege durch Niederungen, die durch Wasser- beteiligten sich am große Rode- und Siedlungswerk burgen befestigt wurden (z.B. Weimar, Berka, Heldrun- rund um das Weidaer Altsiedelland („-dorf“-Siedlungen). gen). Wie die Beispiele zeigen, entstanden Burgorte sowohl westlich der Saale als auch östlich im ehema- Dem Kölner Erzbischof, der 1056 Saalfeld und das öst- ligen Slawenland. Kaiser Friedrich I. Barbarossa, der lich angrenzende Orlaland erwarb, 1071 das Kloster auch das Kyffhäusermassiv mit einer Pfalz und Burgen Saalfeld einrichtete, werden Waldhufendörfer in dem besetzte und die Hansestadt Lübeck gründete, mani- sich zwischen Saale und Orla erstreckenden Buntsand- festierte seinen Machtanspruch dort in einem der mar- steinwald der "Hinteren Heide" zugeschrieben. Die mit kantesten Burgorte Thüringens, indem er zu Füßen Waldhufen verbundenen Anger- und Reihendörfer des seiner Kaiserpfalz in Altenburg eine „Neustadt“ mit nördlichen Frankenwaldes von Teuschnitz über Loben- rechteckigem Straßenverlauf anlegte. stein bis Hirschfeld-Gefell werden mit orlamündisch- meranisch-hochstift-bambergischer Siedlungstätigkeit Neben der strategisch günstigen Lage stand bei den in Verbindung gebracht (Emmerich 1968, S. 273, 276). mittelalterlichen Stadtgründungen die günstige Ver- kehrslage an vorderster Stelle. Bevorzugte Räume, die Neben den weltlichen Herren spielten auch die neuge- vom Fernverkehr berührt wurden, waren die Hochufer gründeten Klöster der Zisterzienser (Walkenried 1127 gegr., Volkenrode 1130, Ichtershausen 1142, Georgen- der großen süd-nord-strebenden Flusstäler der Gera, thal 1143, Stadtroda vor 1247 und Stadtilm 1275), der Saale und Elster mit ihren Flussübergängen (Erfurt, Benediktiner (Saalfeld 1074, Schmölln vor 1066, Rein- Saalfeld, Rudolstadt, Jena, , Weida und Gera). hardsbrunn 1085, Paulinzella 1106, Bürgel 1133, Oldis- Erfurt lag zudem an der Via regia, der "Königsstraße", leben 1088), Prämonstratenser (Veßra 1131) und der die Jahrhunderte lang Handelszentren im Westen Eu- Augustiner (Lausnitz 1137) eine große Rolle als Initia- ropas mit den Metropolen im Osten verband (Paris- toren von Neusiedlungen. Zugleich waren sie Träger Mainz-Frankfurt-Fulda-Erfurt-Leipzig-Breslau-Krakau- von Innovationen, indem sie neue Kulturpflanzen wie Kiew). Diese wichtigste historische Straße Thüringens Wein und verschiedene Obst- und Gemüsearten sowie bot viele Kristallisationspunkte der herrschaftlichen die Teichwirtschaft nach Thüringen einführten. Macht: Die Brandenburg bei Lauchröden, die Wartburg, die Mühlburg, die Wachsenburg und die Wandersleber Die Ausweitung des Siedlungsraumes durch die Binnen- Gleiche, die Festung auf dem Erfurter Petersberg, die und die Ostkolonisation war nur ein Teilaspekt in der Wasserburg Kapellendorf, die Eckartsburg, bis hin zur Folge des hochmittelalterlichen Bevölkerungswachs- Rudelsburg, zur Burg Saaleck und zur Neuenburg bei tums. Während einerseits die Zahl der Siedlungen er- Freyburg an der Slawengrenze. heblich zunahm, wuchsen anderseits einzelne Siedlun- gen so stark heran, dass sie städtische Rechte und Aber auch viele kleinere Städte verdanken ihren wirt- Funktionen übernahmen. Viele der heutigen Städte schaftlichen Aufschwung ihrer günstigen Verkehrslage.

17 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Häufig sind sie aus Rastorten hervorgegangen, die je Alle diese Rechte sicherten nicht nur die Existenz der nach den Gelände- und Wegeverhältnissen der Tages- städtischen Gemeinwesen; sie bescherten ihnen letztlich strecken zwischen 15 und 40 km auseinander liegen. eine gewaltige wirtschaftliche Sogwirkung gegenüber Sie hatten neben der Haupteigenschaft als Etappenorte ihrem ländlichen Umland. Genauso wie die Neulander- auch stets die Aufgabe, Marktort für den Austausch schließungen bei der Binnen- und Ostkolonisation wirk- von Waren und Dienstleistungen zwischen der Stadt ten die Stadtgründungen wie ein "Ventil", um den hohen bzw. dem Umland zu sein (z.B. im Thüringer Becken Bevölkerungsdruck in dieser Zeit abzumildern. Langensalza, Sömmerda, Apolda, in Ostthüringen Pöß- neck, Neustadt/Orla, Triptis, Stadtroda, Hermsdorf oder Verursacht wurde das Bevölkerungswachstum durch Eisenberg). eine Reihe von kulturtechnischen Neuerungen und agrarökologischen Gunstfaktoren. Klimatisch war das Bergbaulich gewinnbare Bodenschätze wirkten an den Hochmittelalter eine besonders warme Phase, in der Rändern und innerhalb der Thüringer Mittelgebirge milde Winter- und Frühjahrstemperaturen die Vegeta- stadtbildend. In Saalfeld beruhte die mittelalterliche tionszeit verlängerten, so dass sich Obst- und Weinbau Wirtschaft neben dem Durchgangshandel vor allem bis weit in den Norden Deutschlands ausdehnten und auf dem Abbau der reichen Silber-, Kupfer- und Eisen- sich die Erntemengen erhöhten. Noch mehr sorgte eine erzvorkommen. Auch in Lobenstein, Schleiz, Zeulenroda neuartige Anbauform, die Dreifelderwirtschaft, für die und Greiz förderte hochmittelalterlicher Bergbau die Steigerung der Erträge. Bei ihr blieb ein Feld jährlich Stadtentwicklung, ebenso wie in Schmalkalden, Suhl als Brache unbebaut, das zweite trug Wintergetreide und Ilmenau. Im heutigen Bad Frankenhausen, in Artern (Winterfeld) und das dritte war mit Sommergetreide und Bad Salzungen geht die Stadtwerdung auf die dor- und Hülsenfrüchten bestellt (Sommerfeld). Die Brache förderte dank des Fruchtwechsels und der Beweidung tigen Solquellen zurück. die Fruchtbarkeit und die Regeneration des Bodens. Gegenüber der früher üblichen extensiven Feld-Gras- Die Vergabe von Stadtrechten förderte die Entwicklung wirtschaft garantierte die Dreifelderwirtschaft eine Inten- städtischer Siedlungen in mehrfacher Hinsicht. Das sivierung des Ackerbaus. Der Schwerpunkt der hoch- Recht auf eigene Gerichtsbarkeit, das Recht auf Frei- mittelalterlichen Agrarproduktion lag deshalb beim Ge- zügigkeit und das Befestigungsrecht (Stadtmauern: treidebau. erhalten z.B. in Bad Langensalza, Creuzburg, Heiligen- stadt, Jena, Kahla, Mühlhausen, Neustadt/Orla, Nord- Verbunden war die Einführung der Dreifelderwirtschaft hausen, Pößneck, Saalfeld, Sömmerda, Sondershau- aber auch mit nachhaltigen Veränderungen in der Kul- sen, Themar u.a.) garantierten den städtischen Bürgern turlandschaft. Die neue Form des Fruchtwechsels ver- ein hohes Maß an Sicherheit und persönlicher Freiheit langte erstmals ein gemeinsames und systematisches ("Stadtluft macht frei") sowie den Schutz vor obrigkeit- Wirken aller an der Flur beteiligten Bauern, weil sich licher Willkür. Wirtschaftlich von großer Bedeutung wa- Feldbestellung, Erntearbeiten und Brachbeweidung in ren das Markt- und das Stapelrecht, die die örtlichen diesem System nur auf größeren, voneinander abge- Händler und durchreisende Kaufleute verpflichteten, teilten Flächen geordnet durchführen ließen. Es herrsch- ihre Erzeugnisse in der Stadt zum Kauf anzubieten. te Flurzwang. Die Felder wurden in drei oder mehr Ver- Das geschah auf eigens dafür ausgewiesenen Markt- bände gleicher Nutzung aufgeteilt (Gewanne), die dann plätzen (z.B. Kornmarkt, Pferdemarkt, Fischmarkt, Töp- im o.g. Zyklus bewirtschaftet wurden. Bei den großen fermarkt u.a.). Außerdem flossen bei den größeren Haufendörfern der Altsiedelgebiete lagen die Gewanne Städten die Einnahmen aus dem Zollrecht (Wegegeld blockartig und mehr oder weniger unregelmäßig in der für Transit- und Marktverkehr), das vielen Adligen Anreiz Flur verteilt. Bei den planmäßig angelegten Anger- und zu Städtegründungen gab. Einige größere Städte be- Straßendörfern mit ihren Hufen- und Gelängefluren saßen auch das Münzrecht (z.B. Saalfeld, Eisenach), waren sie zumeist regelhaft entlang der Siedlungsachse das dem Fernhandel zugute kam. Weitere städtische orientiert. In den Gewannen selbst war eine Parzellie- Rechte waren das Braurecht, das Gilderecht und das rung in Streifen gleicher Größe üblich. Jedes Mitglied Bannmeilenrecht, d.h. im Bereich einer Meile, im Um- der Dorfgemeinschaft besaß dort jeweils mindestens kreis von rd. 7,5 km, durften keine nichtstädtischen eine dieser streifenartigen Parzellen. Das hatte auch Handwerker und Händler arbeiten oder sich gar nie- den Vorteil, dass Unterschiede in der Bodenqualität derlassen, Waren anbieten oder kaufen, Bier und und der Lage zu den Hofstätten gleichmäßig und damit Branntwein erzeugen oder ausschenken. Das Gilde- gerecht verteilt wurden. recht, also das Recht, sich zu Zünften zusammenzu- schließen, war mit dem Recht verbunden, sich in den Wiesen, extensiv beweidetes Offenland (Hutungen), Handwerkergassen der Innenstadt niederzulassen und Wald, Ödland und Gewässer blieben als Allmende in Zunfthäuser (Gilde- bzw. Amtshäuser) zu errichten. der gemeinschaftlichen Nutzung. Im Frühjahr, Sommer

18 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

und Herbst war die Beweidung der Hutungen, der Insgesamt gesehen erreichte das besiedelte und bäu- Brachflächen (bis Juni) und Getreidestoppeln die Fut- erlich genutzte Kulturland im Hochmittelalter eine Flä- tergrundlage für Rinder und Schafe. Auch die Waldweide chenausdehnung, wie sie auch in der Folgezeit ver- spielte nach wie vor eine große Rolle. mutlich nie wieder erreicht wurde. Viele bis dahin sied- lungsfrei gebliebene Nass- und Gebirgsböden zwischen Im Resultat bedeutete die Einführung der Dreifelder- Werra und Saale, Thüringer Wald und Kyffhäuser wirtschaft eine Erhöhung der Flächenproduktivität; ge- wurden während der Binnenkolonisation in Kulturland messen an den heutigen Ernten blieben die Erträge überführt und mit Rodedörfern besetzt. Gleichzeitig aber immer noch niedrig, da eine gezielte mineralische wurden die früher zusammenhängenden Wälder des und organische Düngung nicht üblich war. Wichtigstes Thüringer Waldes von den Tälern her erschlossen, Brotgetreide war nach wie vor der Roggen, Reinanbau gelichtet und zurückgedrängt. Östlich der Saale be- des Weizens blieb auf die sehr fruchtbaren Lössböden mächtigte sich die Ostkolonisation der slawischen Sied- des Thüringer Beckens und des Altenburger Raumes lungsgebiete und der ausgedehnten Wälder im Bunt- beschränkt. Daneben traten Hafer und Gerste; auch sandsteinland und im Schiefergebirge. Erbse, Linse und Ackerbohne bereicherten den hoch- mittelalterlichen Speiseplan. Ihr Anbau erfolgte auf dem Unter den verbliebenen Wäldern hatten viele in jener Sommerfeld. Zeit ihr natürliches Aussehen verloren. Aus stattlichen Laub- und Mischwäldern waren durch ungezügelte Einzelne Feldstücke (Bifänge) blieben außerhalb des Holz- und Weidenutzung offene, herabgewirtschaftete Dreifeldersystems, ebenso wie Gartenland. Sie wurden Hudewälder geworden, die fließend in gras- und zwerg- mit Flachs für die hauswirtschaftliche Fertigung von strauchreiche Hutungen übergingen. In den Niederun- Leinen bebaut, auch mit Mohn, der im mittelalterlichen gen waren die ursprünglichen Bruchwälder weitgehend Thüringen verbreitet als Ölpflanze diente. Die Samen gerodet und hatten wuchskräftigen Wiesen für die Mast- des Flachses wurden ebenfalls zur Ölgewinnung (Leinöl) und Jungviehhaltung und für die Heugewinnung Platz herangezogen. gemacht.

Fast alle neuen Kulturpflanzen wurden im Hochmittel- Bevölkerungsgeschichtlich war das Hochmittelalter alter durch die Klöster eingeführt. Ausgehend von den aufgrund wirtschaftlicher und agrarökologischer Gunst- Klostergärten fanden Gemüsesorten (Kohl, Möhre, bedingungen eine Zeit enormen Wachstums, das seinen Pastinake, Lauch, Zwiebel, Rettich, Spinat), Zierge- Ausgleich fand in den geschilderten Kolonisationsvor- wächse und Küchenkräuter ihren Weg in die bäuerlichen gängen und in der beginnenden Stadtbildung. Beson- Gärten (Rösler 1996, S.7). Erwähnt sei an dieser Stelle ders die freien Reichsstädte Erfurt, Nordhausen und auch die klösterliche Fischwirtschaft. In künstlich ange- Mühlhausen, die keinen Herren Gefolgschaft zu leisten legten Fischteichen wurden Karpfen und andere Spei- hatten, bauten im Hochmittelalter ihre merkantile und sefischarten gehalten, die den Küchenzettel der Mönche damit politische Eigenständigkeit aus. vor allem zur Fastenzeit bereicherten (z.B. Plothener Teiche, Teiche bei Paulinzella, Thalbürgel).

2.9 Spätmittelalterliche Wüstungsperiode (1320-1500)

Nach der starken Bevölkerungsvermehrung des Hoch- scheidung Haus und Hof aufgaben, um in Nachbardör- mittelalters folgte im Spätmittelalter ein tiefer Bevölke- fern oder -städten Schutz zu suchen und einen wirt- rungseinbruch. Er wurde ausgelöst durch Fehden und schaftlichen Neuanfang zu wagen (Dorfwüstungen) tödliche Seuchen, vor allem durch die Pest (1349/50), (s.a. Rösler 1996, S.5). der nach Schätzungen wohl bis zu einem Drittel der Thüringer zum Opfer fiel. Infolge des Konsumenten- Neben Hessen gehört Thüringen zu den wüstungsreich- schwunds brachen die Getreidepreise ein, so dass sten deutschen Landschaften. Vor allem Landstriche immer mehr Ackerland geringer Fruchtbarkeit oder in mit ertragsarmen Böden und besonders kleinteiliger, ungünstiger Lage brach gelassen wurde und der Wie- zersplitterter Flur wurden vom Wüstungsvorgang erfasst: derbewaldung anheim fiel (Flurwüstungen). Selbst gan- Allein im Eichsfeld sind auf 244 noch bestehende Sied- ze Dörfer waren von den Wüstungsvorgängen betrof- lungen 343 Wüstungen belegt, also 58 % aller dort er- fen, wenn ihre Bewohner in einem Akt kollektiver Ent- folgten Siedlungsgründungen. Um Eisenach und im

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oberen Werragebiet bestimmte EMMERICH (1968, S.259) Deutliche Überreste spätmittelalterlicher Wüstungen einen Wüstungsquotienten von 35 %, im Grabfeld von wie Lesesteinwälle, Stufenraine von Ackerterrassen 32 %, um Schleusingen von 30 %, im Gebiet von Ru- und Hochäcker haben sich meist nur unter Wald erhal- dolstadt von 23 %, im Gebiet der Planformen des Schie- ten. Festgestellt wurden solche alten Ackerfluren unter fergebirges dagegen nur von 14 %. Offensichtlich waren Wald zum Beispiel um Rudolstadt, im Vorland der Finne die Plangründungen bestandssicherer als die besitz- bis zur Unstrut, im Unteren Eichsfeld nördlich Duderstadt zersplitterten Kleindörfer des Altsiedlungsgebietes. und in den bei Altenburg gelegenen Forsten Lehma Auch die Orlasenke und die ostwärts angrenzenden und Leina (Emmerich 1968, S. 258). Zu den bekanntesten ostthüringisch-vogtländischen Hochflächen erweisen Ortswüstungen gehört das im Klosterlausnitzer Bunt- sich als verhältnismäßig wüstungsarm, ebenso wie die sandsteinforst ausgegrabene Gumprechtsdorf, ein Lößböden des Altenburger Landes. Obwohl sich dort Zeilendorf mit Hufenflur, das 1251 schon wüst gefallen 51 Wüstungen nachweisen lassen, machen sie wegen war, also "wahrscheinlich kaum viel länger als hundert der hohen Zahl noch bestehender Weiler nur 15 % al- Jahre bestanden hat" (Emmerich 1968, S.262). ler Siedlungsgründungen aus. Hauptursache dürften hier vor allem Konzentrationsvorgänge gewesen sein.

2.10 Frühe Neuzeit und Zeitalter des Merkantilismus (1500-1800)

Im ausgehenden 15. Jahrhundert klang die große Wüs- standen jetzt aber verstärkt Eisen, Antimon, Alaun und tungsperiode ab. Gewisse Anzeichen sprechen für ein Vitriol im Mittelpunkt des bergbaulichen Interesses: wieder einsetzendes Bevölkerungswachstum. Zunächst in Ostthüringen im Saalfeld-Kamsdorfer Revier, um wurde ein Teil der wüst gefallenen Fluren wieder in Schmiedefeld, Lobenstein, Leutenberg, Schleiz, Zeu- Nutzung genommen. Dann kam es, wie bereits im lenroda und Greiz, am Südwestrand des Thüringer Hochmittelalter, zu Hofteilungen, um der wachsenden Waldes in Steinbach-Schweina, Schmalkalden, Zella- Nachkommenschaft die Existenz zu sichern. Mehlis, Suhl, Vesser-Schmiedefeld und am Nordrand bei Ilmenau, Elgersburg, Manebach, Friedrichroda und Völlig neue Ortsgründungen gab es in dieser Zeit mit Ruhla-Eisenach (Rothe 1991, S. 122). Statt in primitiven Ausnahme der Thüringer Gebirge aber kaum. Im Ge- Rennfeuern mitten in den Wäldern schmolz man das folge des wieder aufblühenden Erzbergbaus wuchsen Erz nun in ortsfesten Schmelzhütten, die mit Holzkohle dort in den Tälern neuartige gewerblich-industriell ge- befeuert wurden. Sie lagen, wie die wassergetriebenen prägte Siedlungen in großer Zahl heran, die ihre Grün- Pochwerke, die das Erzgestein zerkleinerten, in den dung dem Holzreichtum, der billigen Wasserkraft und wasserreichen Tälern. Einzelne Täler in Ostthüringen den nahen Erzvorkommen verdankten. Als Gruben- (, Loquitztal, Sormitztal) entwickelten sich und Hüttenorte unterschieden sie sich von den wenigen, buchstäblich zu Industriegassen. Im Schwarzatal gehen wesentlich älteren Siedlungen des Gebirges (Brotterode, Orte wie Obstfelderschmiede (vor 1530), Schwarzmühle Tambach-Dietharz, Oberhof, Zella-Mehlis und Schmie- (um 1587), Katzhütte (1566), Oelze und Oberhammer defeld a.R.), die überwiegend an Passwegen aus Wald- auf diese Zeit zurück. Auch die Goldseifen an der Schwar- wirtschaftshöfen und Raststationen hervorgegangen za und ihren Zuflüssen zogen viele Neusiedler an, waren (Emmerich 1968, S.254-257). ebenso die Gewinnung von Berggold, die besonders in den Hochlagen um Reichmannsdorf (700 m) sowie Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert erlebten Erz- um Steinheid (800 m) ergiebig war und 1607 aus dem gewinnung und -verarbeitung eine regelrechte Blütezeit. Kolitzschtal den Ort Goldisthal machte. Landesherrliche Persönlichkeiten hatten die Möglich- keiten erkannt und förderten nun nachdrücklich den Zeitgleich mit der steigenden Eisenerzförderung wuchs Bergbau, der fortan nicht mehr in offenen Gruben (Pin- seit Mitte des 15. Jahrhunderts die Bedeutung der me- gen), sondern unter Tage, in Stollen und Schächten tallverarbeitenden Gewerbe im Thüringer Wald. Suhl, erfolgte, die von den tief eingeschnittenen Waldtälern Zella-Mehlis, Schmalkalden und Ruhla hatten sich be- aus in den Berg getrieben wurden. Neue Techniken reits seit langem als Zentren der Klingen-, Schwert- erleichterten den Abtransport der Erze und die Tro- und Panzerproduktion einen Namen gemacht. Mit dem ckenhaltung der Gruben (Sümpfung). An vielen Stellen, Aufkommen der Handfeuerwaffen spezialisierten sich wo man schon im Mittelalter fündig geworden war, lebte Suhl und Zella-Mehlis auf die bald fabrikmäßig organi- der Bergbau nun wieder auf. Statt Silber und Kupfer sierte Produktion von Pistolen und Musketen. Schmal-

20 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung kalden wurde weit über die Grenzen Thüringens als zurückgegriffen werden musste, um die Brennstoffver- Stadt der Eisenwaren bekannt. sorgung zu sichern. Die Situation verschärfte sich wei- ter, als die Fürstenhäuser Thüringens - wie die meisten Zu den punktuellen Standorten der Erz- und Metallver- europäischen Staaten - den kriegsbedingten Niedergang arbeitung traten flächig die Holzgewinnungs- und Köh- durch gezielte Förderung einzelner Gewerbe, des Berg- lereiwirtschaft und die für Bergbau und Verhüttung baus und durch die Errichtung staatlicher Manufakturen dringend benötigte Wasserwirtschaft. Aufschlagwasser zu überwinden suchten (Zeitalter des Merkantilismus). als Antriebsmittel für mechanische Einrichtungen der Besonders Metall- und Glashütten, Köhlereien, Vitriol- Bergwerke (Förderanlagen) und Hütten (Blasebälge) und Pottaschehütten sowie Salinen entfalteten ihre wurde in künstlichen Teichen und Gräben gesammelt. waldzehrende Wirkung in einem Ausmaß, dass bald Feldgestänge, d.h. aus Holz gezimmerte, scherengit- viele mangels Brennstoff in wirtschaftliche Bedrängnis terartige Vorrichtungen übertrugen die durch Wasser- gerieten und ihren Betrieb einstellen mussten. räder in Tallage erzeugte mechanische Antriebsenergie zu höher gelegenen Schächten. Während der Großteil der Bevölkerung in jener Zeit unter bescheidensten wirtschaftlichen Verhältnissen Verdichtet wurde das Netz der Waldsiedlungen durch lebte, zogen die Residenzen aus dem merkantilistischen feste Ansiedlungen von Glashütten, die seit dem 15. Wirtschaftssystem unverkennbare Vorteile. Eine Phase und 16. Jahrhundert nicht mehr im früher üblichen aufwändiger Schlossneu- und -ausbauten prägte die Wanderbetrieb, sondern ortsfest arbeiteten wie in Lau- herrschaftliche Architektur des 18. Jahrhunderts. In Al- scha (1595), bei Schmiedefeld (1622), Grum- tenburg, Eisenberg, Gera, Gotha, Greiz, Meiningen, bach bei Wurzbach (1616), in Langenbach bei Schleu- Rudolstadt, Saalfeld, Sondershausen und Weimar ent- singen, Fehrenbach und Gehlberg. Weitere Glashütten faltete sich mit dem Stil des Barocks und des Rokokos folgten im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts. der volle Glanz der absolutistischen Hofhaltung. Reprä- Die ausgedehnten Wälder lieferten Holz und Pottasche, sentativbauten wie das Schloss Belvedere am Rande der kieselsäurehaltige Quarzsand und der Kalk kamen der Weimarer Parklandschaft oder das Rokokoschloss aus den ortsnahen Gesteinsvorkommen. der Dornburger Gruppe genießen heute über die Gren- zen Thüringens hinaus große Bekanntheit und Wert- Insgesamt entsprach das Verteilungsmuster der Sied- schätzung. Beide entstanden seit 1728 unter den lungen, der landwirtschaftlichen Nutzflächen und Wälder Weimarer Herzögen als Werke der berühmten Baumei- Thüringens zwischen 1500 und 1800 in den Grundzügen ster Johann Adolf Richter und Gottfried Heinrich Krohne. bereits weitgehend dem heutigen. Auch die nachhaltigen Das herzogliche Jagdschloss Ettersburg bei Weimar Folgen des Dreißigjährigen Krieges blieben eher gering, und die Gothaer Orangerie, das barocke Schlösschen obwohl durch marodierende Truppen und Seuchen in Molsdorf bei Erfurt und das Eisenacher Stadtschloss einigen Gebieten wie im Altenburger Land und im Mitt- erbaute Krohne in eigener Regie. In leren Saaletal viele Dörfer niedergebrannt und bis zu am Thüringer Wald förderten die Meininger Herzöge 50 % der Bevölkerung ausgelöscht worden waren. seit 1800 den Ausbau des Ortes zu einem herrschaft- lichen Modebad in klassizistisch geprägter Bäderarchi- Schon bald nach dem Westfälischen Frieden (1648) tektur. In Greiz begann um 1800 die Umgestaltung der gerieten mit dem Wiedererstarken der Wirtschaft die Landschaft um das Sommerpalais zu einem englischen Waldgebiete in große Not. Durch übermäßige Holznut- Garten. zung, durch Köhlerei, Flößerei, Waldweide, Streuge- winnung und anderes mehr waren die Holzvorräte der- art dahin geschmolzen, dass zeitweilig sogar auf die Torfmoore in den Höhenlagen und in den Quellmulden

2.11 Zeitalter der Agrarreformen und der beginnenden Industrialisierung (19.Jh.)

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich die wirt- ben und Frondienste an die Grundherren und durch schaftliche Situation auf dem Land weiter verschlechtert. die bäuerliche Tradition erstarrte Landwirtschaft bot Mit dem anhaltenden Bevölkerungswachstum konnte keine Ausweitungsmöglichkeiten mehr. die Vermehrung der Stellen nicht mithalten. Die durch herrschaftliche Verordnungen, durch drückende Abga-

21 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Vor allem die Leistungen an die Grundherren lasteten nen Hutungs- und Ödlandflächen, so genannte "Lee- schwer auf der bäuerlichen Wirtschaft. Erst als sich in den", wurden nach und nach umgebrochen, bald auch den Zeiten des Vormärz bürgerlich-liberale Kräfte mit dem neuen Mineraldünger gedüngt (s.u.) und da- artikulierten und öffentlich für freies Grundeigentum durch zu ertragreichen Dauerweiden gemacht. Oder eintraten, das sie als wesentliche Triebfeder wirtschaft- sie wurden mit schnellwüchsigen Fichten oder Kiefern licher Erfolge ansahen, wuchs in breiten Schichten der aufgeforstet. Die Wälder dehnten sich besonders auf Bevölkerung die Hoffnung auf Verbesserungen der den Flächen aus, die dem Staat zugefallen waren (s.u.). wirtschaftlichen Lage. Nach und nach beugten sich die Andererseits wurde nach den Gemeinheitsteilungen Landesherrschaften dem wachsenden politischen und auch manche in Privatbesitz gefallene Waldfläche gesellschaftlichen Druck und leiteten durch gesetzliche abgeholzt und in Acker- oder Grünland umgewandelt. Regelungen die Auflösung der Grundherrschaft und die entschädigungslose Aufhebung der Fronen sowie Die Aufteilung der Allmenden ging zeitlich weitgehend die Auflösbarkeit von Abgaben ein. Bereits 1807/1809 Hand in Hand mit flurbereinigenden Maßnahmen: war in den französisch besetzten, ehemals preußischen Sachsen-Weimar 1848, Hzt. Gotha 1853, Fst. Schwarz- Gebieten Thüringens (Erfurt, Eichsfeld, Mühlhausen, burg-Sondershausen 1854, Hzt. Meiningen 1855, Fst. Nordhausen) ein entsprechendes Gesetz verabschiedet Schwarzburg-Rudolstadt 1856, Hzt. Sachsen-Altenburg worden. Es folgten Sachsen-Weimar-Eisenach (1821) 1857, reußische Fürstentümer 1860, Hzt. Sachsen- und Sachsen-Altenburg (1831). Die revolutionären Er- Coburg 1863. eignisse von 1830 und 1848 beschleunigten die Ge- setzgebung bzw. setzten diese in einigen Staaten über- Flurbereinigungen waren unvermeidlich geworden, weil haupt erst in Gang (Sachsen-Meiningen 1846, Sachsen- die im Mittelalter durch die Dreifelderwirtschaft entstan- Coburg und Gotha 1851 und 1853, Schwarzburgische denen Gewanne mit ihren verstreut liegenden Besitz- Fürstentümer 1849 und 1850, Reuß ä.L. 1853). Erst parzellen ("Gemengelage") und ihre erbbedingte Zer- Ende der 1860er Jahre waren die Ablöseverfahren in stückelung einer rentablen Landwirtschaft im Wege Thüringen abgeschlossen. standen. Eine wichtige Grenze der Erbgewohnheiten verlief mitten durch Thüringen: von Eisfeld im Süden Etwa parallel mit der Auflösung der Grundherrschaft über den Thüringer Wald entlang der Schwarza über und in deren Folge verliefen die für die Gestaltung der Schwarzburg, Stadtilm, Rudolstadt, Kahla und Stadtroda Agrarlandschaft entscheidenden Reformen: die Ge- hinauf nach Eisenberg. Westlich dieser Grenze, im meinheitsteilungen (Separationen), die eine Aufteilung Gebiet der Realerbteilung, wurde der Hof auf alle Erben der Marken an die gemeinheitsberechtigten Privatper- aufgeteilt, wodurch im Laufe der Jahrhunderte das sonen zur Folge hatten, und die Verkoppelungen (Flur- Gebiet einer Feldflur in Hunderte von Parzellen zersplit- bereinigungen). tert wurde (z.B. im Eichsfeld). Im Anerbengebiet östlich davon fiel der Besitz meist dem Erstgeborenen zu, der Die erste Verordnung zu einer Gemeinheitsteilung er- die Nachgeborenen mit Geldzahlungen oder Sachlei- ließ das Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld im Jahre stungen abfand. Hier war die Landwirtschaft an der 1809. 1832 folgte Sachsen-Gotha (Rösler 1996, S.5). Wende zum 19. Jahrhundert deshalb noch überwiegend In den anderen thüringischen Staaten wurden die Sepa- mittelbäuerlich geprägt. Ein höherer Anteil an Großbau- rationen zeitgleich mit oder kurz nach der Ablösege- ern war nur in Ostthüringen (Altenburger Land) zu ver- setzgebung begonnen: Sachsen-Meiningen (1855, zeichnen. 1869), Sachsen-Altenburg (1857), Sachsen-Coburg (1863), Sachsen-Gotha (1853, 1856 und 1859), Rudol- Durch die Separationen wurden in den kleinteiligen stadt (1856), Sondershausen (1854, 1855 und 1857) Fluren größere, einheitliche Besitzblöcke und -streifen und Reuß j.L. (1860) (Franz 1896 S.89). ausgewiesen und ein neues Wege- und Entwässe- rungssystem erstellt. In unglaublich kurzer Zeit ver- Die Privatisierung der Gemeinheiten setzte einen grund- schwanden jetzt - unter dem Einfluss der „rationellen legenden Nutzungs- und Wertewandel in Gang. Zu- Landwirtschaft“ Albrecht Thaers (1752-1828, s.u.) - nächst begann die Umgestaltung der graswüchsigen viele Hecken, Raine, Lesesteinwälle und Triften, wäh- Niederungen. Bucklige, mit Bäumen, Büschen und rend andererseits die öffentlichen Straßen und Wege Wildgräsern bestandene Talauen wurden eingeebnet, in der freien Landschaft mit Bäumen und manche un- mit Entwässerungs- und Staugräben durchzogen und genutzte Gemeindefläche mit Obsthainen bepflanzt in Fettwiesen überführt, in denen die neuen Besitzgren- wurde. Diese und andere landeskulturelle Eingriffe zen vielfach durch Hecken markiert wurden. Auf Inten- folgten dem ästhetischen Ideal jener Zeit, die Natur sivgrünland konnten die Erträge um ein Vielfaches wie auf Landschaftsgemälden in einen Garten zu ver- gesteigert und damit mehr Vieh, insbesondere mehr wandeln und dabei das ökonomisch Nützliche mit dem Kühe, gehalten werden. Die den Landwirten zugefalle- Schönen zu verbinden. „Freundlich muß es im Lande

22 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung aussehen;..[müssen] Dörfer und Städte geschmackvoll als 50 Jahren verringerte sich der Schafbestand in den angelegt und verbessert, Straßen und Wege herrlich thüringischen Staaten um rund die Hälfte. Große Teile gebahnt, da und dort treffliche Monumente für verdiente der als Ackerland nicht nutzbaren Hutungsflächen auf Männer zu sehen; Brücken, Dämme und Ufer wohl den Allmenden und die Brachen der Dreifelderwirtschaft verwahrt; Güter und Wälder bestmöglich cultiviert, waren dadurch entbehrlich geworden und konnten an- herrliche Gärten und Obstanlagen zu schauen, die deren Nutzungen zugeführt werden (Forsten, Streu- fahrbaren Flüsse voll von Schiffen; Landwirthschaft, obstwiesen etc.). Handel und Wandel, Fabriken und nützliche Gewerbe, Künste und Wissenschaften in höchsten Flor, kurz, Auch die Waldwirtschaft erlebte im 19. Jahrhundert die alles vollendet in sich, in der größten Zweckmäßigkeit..“ größte Umbruchphase ihrer Geschichte. Jahrhunder- (VORHERR 1807, zit. n. Däumel 1961, S.50). telang war der Wald durch Holzentnahme und Köhlerei, durch Waldweide, Laubheu- und Streugewinnung her- Was die Konsequenzen aus den Flurbereinigungen abgewirtschaftet worden. An die Stelle der naturnahen betrifft, so waren die neuen Besitzstücke so groß be- Hochwälder waren offene park- oder buschlandartige messen, dass die Bauern den Fruchtanbau selbst be- Waldformen getreten: die Hude-, Nieder- und Mittelwäl- stimmen und sich damit den jeweils günstigsten wirt- der. Der Anteil des Waldes in der Kulturlandschaft war schaftlichen Bedingungen anpassen konnten. Der Flur- auf ein Minimum zurückgegangen. Jetzt, nach den zwang, wie er bei der Dreifelderwirtschaft üblich war, Gemeinheitsteilungen, dem Verfall der Rohwollpreise wurde aufgehoben. Unter dem Einfluss der Ideen Al- und mit den gleichzeitig steigenden Holzpreisen setzte brecht Thaers war das alte, jahrhundertelang übliche eine Phase großräumiger Aufforstungen ein. Zwar hatte Fruchtfolgesystem zunächst durch die "verbesserte es seit Anfang des Mittelalters immer wieder Versuche Dreifelderwirtschaft“ ersetzt worden, bei der auf einem gegeben, die Nutzung des Waldes zu ordnen, doch Teil der Brachfläche Blattfrüchte zum Anbau gelangten. blieben diese Anstrengungen erfolglos, solange die Schließlich wurde diese ganz von der modernen Frucht- Wald- und Weidenutzung zur bäuerlichen Existenzsi- wechselwirtschaft abgelöst, bei der Halm- (Getreide) cherung unverzichtbar war. Es bedurfte erst der bitteren und Blattfrüchte wie Kartoffeln, Zuckerrüben und Fut- Holznot und der Agrarreformen, um die geordnete terpflanzen unter Wegfall der Brache auf einem Feld- Waldnutzung durchzusetzen. Ihr lag das Prinzip der stück wechseln. Die neuartigen Mineraldünger (Justus nachhaltigen Forstplanung zugrunde, dass nämlich von Liebig !) und die Gründüngung mit Leguminosen nicht mehr Holz verbraucht werden darf als zuwächst, bewirkten nicht nur wesentliche Ertragssteigerungen, und dass andererseits soviel Holz durch forstliche sie verhinderten auch die Auszehrung der Böden, die Maßnahmen zu produzieren ist, wie gebraucht wird. bis dahin schwer zu vermeiden war. Die Erweiterung des Anbaus von Feldfutter, vor allem von Rotklee und Da die größten Waldgebiete in jener Zeit in staatlicher Luzerne, ermöglichte zudem eine Stallhaltung des Hand waren, ging die Initiative, die Wälder zu erneuern Rindes auch im Sommer zugunsten höherer Fleisch- und nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit zu bewirt- und Milcherträge, was sich besonders in grünlandarmen schaften, von den Landesherrschaften aus. Die Fürsten Gebieten, wie den Lösslandschaften und den Kalk- wollten nicht nur die Versorgung ihrer Bergwerke, Hüt- hochflächen, als Vorteil erwies. In der Folge gab es tenbetriebe und Salinen sicherstellen, sondern auch keine Hungersnöte mehr. das immer teurer werdende Holz verkaufen. In diesem Umfeld eröffnete Hans Dietrich von Zanthier schon Die Aufgabe der Brachflächen war ebenso wie die Tei- 1763 in Wernigerode am Harz die erste forstliche Meis- lungen der Allmenden durch den Niedergang der Schaf- terschule, 1785 Heinrich Cotta seine Meisterschule im wirtschaft erleichtert worden. Jahrhundertelang war thüringischen Zillbach, aus der später die berühmte die Schafhaltung in einzelnen Regionen Thüringens Forstakademie von Tharandt in Sachsen hervorging. ein bedeutender Faktor in der bäuerlichen Wirtschaft Dort und in anderen Meisterschulen (Waltershausen gewesen. Besonders im Bereich der Muschelkalk- und 1795, seit 1800-1843 in Dreißigacker, Ruhla 1809, seit Zechsteinumrahmung des Thüringer Beckens sowie 1830-1915 in Eisenach) wurden junge Forstwirte aus- auf den armen Böden im Thüringischen Schiefergebirge gebildet, die fortan die neuen Prinzipien vor Ort um- prägten Schafhutungen weithin das Landschaftsbild. setzten. Namentlich in Ostthüringen hatte sich seit dem 15. Jahr- hundert eine leistungsfähige Tuchproduktion entfalten Durch sie wurde das Waldbild sehr wesentlich verändert, können, die ihre Grundlage in der verbreiteten Schaf- einerseits durch den Hochwald, der an die Stelle des zucht hatte (Gera, Weida, Greiz, Schleiz). Sinkende bisherigen Nieder- und Mittelwaldes trat, andererseits Wollpreise infolge verbilligter überseeischer Einfuhren und vor allem durch die Einführung des Nadelholzan- führten dann etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu baus. Nadelhölzer waren auf den durch Streunutzung einer rapiden Abnahme der Schafhaltung. In weniger ausgehagerten Böden am besten geeignet, schnell

23 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

wieder Wald entstehen zu lassen, und sie versprachen aus ihrer Abhängigkeit vom lokalen Rohstoffpotenzial höhere Flächenerträge als die langsam wachsenden lösten und ihr gleichzeitig neue Märkte öffneten. Be- Laubhölzer. So nahmen Fichten von jetzt an die Sand- deutend sind hier die "Thüringer Eisenbahn", die seit steinhöhen des Holzlandes ein, auf denen vor der Ent- 1847 die Verbindung von Frankfurt/Main über Eisenach waldung auch Laubbäume, insbesondere Eichen und und Erfurt nach Leipzig herstellte, die "Werra-Bahn", Buchen, gestanden hatten. Und die steinigen und tro- die Coburg mit Eisenach verband, sowie die durch das ckenen Muschelkalkböden wurden mit Kiefern aufge- Saaletal führende Linie Berlin-München und die Strecke forstet. Aber nicht nur Kiefern und Fichten wurden an- Berlin-Stuttgart, die bei Oberhof den Thüringer Wald gebaut, sondern auch exotische Gehölze, wie Douglasie, querte. Auch der Fall der Zollgrenzen förderte die In- Japanische Lärche und Schwarzkiefer, Weymouthskie- dustrialisierung fühlbar: Durch den Beitritt der Thürin- fer, Sitkafichte und Hemlocktanne, die sich schon in gischen Kleinstaaten zum Deutschen Zollverein (1834) den herrschaftlichen Baumgärten und Parks/Arboreten wurden die hohen Verkehrsabgaben auf Straßen und als besonders wuchskräftig und widerstandsfähig er- Flüssen abgeschafft oder zumindest in der Höhe be- wiesen hatten. In der Fläche wurden die neuen Forsten grenzt. durch ein Rasternetz von sich möglichst rechtwinklig kreuzenden Waldwegen erschlossen. Wie die Chaus- Mit den liberalisierten Markt- und den verbesserten seen wurden auch sie befestigt, allerdings weniger Verkehrsbedingungen entstand in Thüringen eine lei- aufwendig, und sie erhielten seitliche Gräben, damit stungsfähige Maschinenbauindustrie mit Schwerpunkten ihre Lage fixiert war. Der Wald war fortan streng aufgeteilt in Gera, Altenburg, Saalfeld und Zeulenroda, Erfurt, in Jagen und Blöcke. Gotha und Mühlhausen sowie Eisenach, Ruhla und Zella-Mehlis. Auch die in Schmalkalden beheimatete Innerhalb weniger Jahrzehnte waren aus offenen Wei- Kleineisenindustrie kam zu neuer Blüte. Die Apoldaer dewäldern geschlossene Forsten geworden, die bis Strumpffabrikation hatte sich auf die maschinelle Ferti- heute das Bild der Kulturlandschaft bestimmen. Die gung von Strick- und Wirkwaren umgestellt und eroberte allmählichen Übergänge zwischen dicht und weniger durch die Eisenbahn deutschlandweit neue Absatzge- dicht mit Bäumen bestandenen Arealen waren von biete. Seit 1872 entstand als Zweigwerk der Sulzbach- scharfen Trennungslinien zwischen Wald und Offenland Rosenberger Maximilianshütte in Unterwellenborn die abgelöst worden. Maxhütte unter maßgeblicher Standortbindung an den Eisenbahnknotenpunkt Saalfeld. In Erfurt expandierte Die Hinwendung zur nachhaltigen Forstwirtschaft, die die Werkzeug- und Maschinenfertigung, in Gotha die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts mit ihren Gemein- Waggonfabrik. Im Meiningischen gründete Joseph Mey- heitsteilungen und Flurbereinigungen und die neuen er ein Stahlwerk und seine "Eisenbahnschienencom- Anbauformen auf den Feldern, erbrachten in ihrer Sum- pagnie". Er förderte damit die industrielle Öffnung dieser me tief greifende Wandlungen in der bäuerlichen Kul- Region. Und in Eisenach begann mit der 1898 gegrün- turlandschaft. In mindestens ebenso starkem Maße deten Ehrhardtschen Fahrzeugfabrik die bis in die Ge- wurden Veränderungen aber auch durch die Industria- genwart reichende Automobiltradition. lisierung und durch den Ausbau des Verkehrsnetzes eingeleitet: in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts In Jena, wo der Anschluss an das Eisenbahnnetz ver- durch den Bau gepflasterter Chausseen, die die alten hältnismäßig spät erfolgte (1874: Saalebahn und 1876: in schlechtem Zustand befindlichen Handelsstraßen Weimar-Geraer Bahn), erleichterte die Eisenbahn den des Mittelalters ablösten, und ab Mitte des Jahrhunderts Aufstieg der von Carl Zeiß, Ernst Abbe und Otto Schott durch den Bau der Eisenbahnlinien. begründeten optischen Glastechnik zu Weltunterneh- men. In Altenburg setzte mit der Erschließung der Das enorme Wachstum der Städte und vieler Dörfer, Braunkohlenfelder um Meuselwitz eine starke Industria- die Übernahme neuer zentraler Funktionen wurden lisierung ein, die durch die Eisenbahn ihre entscheiden- nun im Wesentlichen von den Verkehrsverbindungen den Impulse bekam. Und auch die Erschließung der und von den Erwerbsmöglichkeiten bestimmt. Die Kalivorkommen von Sondershausen und Merkers- Standorte der Siedlungen - seit dem ausgehenden Salzungen bzw. der Steinsalzlagerstätten bei Erfurt, Mittelalter konstant - haben sich dadurch nicht verändert. Arnstadt, Sulza und Salzungen hätte ohne die Verkehrs- Die alten Dorfkerne mit der Kirche und dem Anger als leistungen der Eisenbahn nicht verwirklicht werden Mittelpunkt blieben auch weiterhin die Zentren der länd- können. lichen Siedlungslandschaft. In den wirtschaftlich aufblühenden Städten verdoppelten, Am stärksten wirkten sich die wirtschaftlichen Impulse ja verdreifachten sich jetzt innerhalb weniger Jahrzehnte dieser sog. Gründerzeit zunächst in der Nähe der neuen die Einwohnerzahlen (z.B. Erfurt 1816 15 000, 1850 Eisenbahnstrecken aus, die die Thüringer Wirtschaft 25 000, 1871 40 000, 1914 100 000). Mit der großen

24 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Nachfrage setzte ein hektischer Wohnungsbau an den Die Innenstädte unterlagen in der Gründerzeit ebenfalls Rändern der Altstädte, jenseits der alten Befestigungs- einer tief greifenden Umprägung. Es entstanden Kauf- gürtel, ein. Es entstanden die für diese Zeit so typischen häuser, Banken etc. Dazu kamen viele öffentliche Ge- drei- bis fünfgeschossigen Mietwohnhäuser (Mietska- bäude wie Gerichte, Rathäuser, Museen, Postämter, sernen) und andere Schlichthäuser, denen rote oder Theater und Kirchen, die in historisierenden Baustilen gelbe Ziegel ein monotones Gesicht gaben. Die grün- (Neo-Romanik, -Gotik, -Renaissance, -Barock und - derzeitlichen Wohn- und Gewerberinge um die Altstädte Klassik) oder im Jugendstil aufgeführt wurden und die mit ihren meist rechtwinklig verlaufenden Straßenzügen meist jahrhundertealte Bausubstanz verdrängten. Die ("Rasterstadt") sind heute zumeist ein Problem der Stadtmauern verschwanden fast überall, oder es sind Stadtsanierung, ebenso die gleichermaßen vor den nur isolierte Reste (z.B. Tortürme) erhalten geblieben. Toren gelegenen, jahrzehntelang vernachlässigten Bahnhofsviertel. Repräsentative Villen, die von wohl- Für die ländliche Wirtschaft bedeutete die Bevölke- habenden Bürgern an Alleen, an den zu Grüngürteln rungszunahme in den Städten eine neue Schicht von umgestalteten Wällen und Stadtgräben in formaler Verbrauchern landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Vor Vielfalt errichtet wurden, sind neben den Arbeiterwoh- den Agrarreformen hatten die Landwirte fast alles auf nungen ein weiteres bauliches Kennzeichen dieser dem Hof erzeugt: Brot und Fleisch, Butter und Wurst, Epoche. Honig und Sirup, Leinen und Wolle und viele Arbeits- geräte. Die Selbstversorgung war das leitende Prinzip Im Thüringer Gebirge bescherte der Bauboom dem gewesen. Nun hatte mit dem Aufblühen der Städte und traditionellen Schieferabbau einen ungeahnten Auf- dem Wachsen der Industrie, mit dem Bau der Eisenbahn schwung. War die Dachschieferproduktion in der ersten und der Straßen auf dem Lande die Zeit der marktori- Hälfte des 19. Jahrhunderts noch vorwiegend im Rhei- entierten Produktion und damit der Geldwirtschaft be- nischen Schiefergebirge angesiedelt, begann nun - gonnen. Die Bauern versuchten von jetzt ab, möglichst begünstigt durch die Eisenbahn - die Gewinnung des viel für den Markt zu produzieren: Roggen und Weizen "Blauen Goldes" auf der "Steinernen Heide" rund um als Brotgetreide, Kartoffeln für die Arbeiterhaushalte Lehesten und Unterloquitz in großem Stil. Der schwarze der Städte, ferner Schweine, Kälber, Rinder und Schafe Kulmschiefer wurde wegen seiner Dauerhaftigkeit und für die Schlachthöfe der Bevölkerungszentren. Weiterhin architektonischen Eleganz landschaftsprägend in der erzeugte man zunehmend Eier, Butter und Geflügel. Region. Heute noch erinnern große aufgelassene Stein- Es entstanden Molkereien, Ziegeleien und Hühnerfar- brüche an diese Zeit. men. Auch wurden Bauholz und Grubenholz für die Bergwerke abgesetzt und Steine für den Haus- und Doch wurde in der Gründerzeit nicht nur exzessiv ge- Straßenbau verkauft. baut. In den expandierenden Städten entstanden auch erste "grüne Oasen", wie die nach dem Leipziger Arzt Auf den Höfen benötigte man mehr Platz für die Bergung Dr. Schreber (1808-1861) benannten "Kleingärten", der zunehmenden Ernteerträge und für die wachsenden die meist auf Bauerwartungsland, am Rande oder zwi- Viehbestände. Die alten Bauerngehöfte in ihren tradi- schen den Bahndämmen, oft zu Hunderten eingerichtet tionellen mitteldeutschen Bauweisen reichten nicht wurden. Sie sollten den in den Mietskasernen unterge- mehr. So wurde neu gebaut, zunächst Schweineställe, brachten Bewohnern ein Grundstück für die Erholung Pferdeställe, Wagen- und Holzschuppen, Dreschscheu- und für eine teilweise Selbstversorgung bieten. Solche nen und schließlich neue Wohnhäuser. Laubenkolonien sind bis zur Gegenwart in nahezu al- len Groß-, Mittel- und sogar Kleinstädten Thüringens ein Stadtbild prägender Bestandteil geblieben.

2.12 Kulturlandschaftswandel im 20. Jahrhundert

Die während der Gründerzeit eingeleitete Entwicklung Gaststätten und anderer Betriebe und durch die Pfla- der Dörfer setzte sich, wenn auch in abgeschwächtem sterung von Wegen und Hofplätzen. Seit der zweiten Maße, zwischen den beiden Weltkriegen fort, durch Hälfte des 19. Jahrhunderts waren bis zum Zweiten die Errichtung und den Umbau von Wohn- und Wirt- Weltkrieg aus den ehemaligen lockeren Haufendörfern, schaftsgebäuden, durch die Eröffnung neuer Geschäfte, aus den Weilern und auch aus manchen Anger- und

25 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Reihendörfern einerseits durch Verdichtung mit Ge- Noch heute sind die Spuren in der Landschaft zu erken- schäften, Handwerksbetrieben und Gaststätten kom- nen, und Gedenkstätten erinnern an die vielen Tausend pakte Ortskerne geworden, andererseits aber dehnten Opfer, die bei diesen Projekten, im Konzentrations- sich diese Siedlungen über den bisherigen Ortsrand und Vernichtungslager Buchenwald und seinen Neben- entlang der Hauptstraßen weiter aus. Das galt beson- lagern umgebracht worden sind. ders für die Hauptorte der verschiedenen Landschaften, deren Wohngebäudebestand sich in hundert Jahren Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg standen die verdoppelte oder verdreifachte. Beseitigung der Bombenschäden, wie in Nordhausen, Sondershausen und Gotha, in Jena, Schleiz und Gera, Die bisherigen Fachwerkbauweisen mit den Holzschin- und der Wiederaufbau der Wirtschafts- und Verkehrs- deldächern genügten den gestiegenen Ansprüchen infrastruktur im Mittelpunkt der Anstrengungen, das nicht mehr. Neue Wohnhäuser wurden immer häufiger tägliche Leben wieder zu normalisieren. Auch mussten mit Ziegeldach und -mauerwerk, im Gebirge und seinen Flüchtlinge und Heimatvertriebene, die bis 1948 in Randgebieten auch mit den so typischen Dachbede- Thüringen 23 % der Bevölkerung ausmachten, vorüber- ckungen und dekorativen Wandverkleidungen aus den gehend in den unzerstört gebliebenen Dörfern und schwarzgrauen Schiefern von Lehesten und Unterloquitz Städten aufgenommen werden. Nur wenige von ihnen ausgestattet. Das geschah auf den größeren Höfen konnten vom "Neubauernhof"-Programm profitieren, häufiger in der Art städtischer Villen, oder sie wurden das seit 1946 die Gründung neuer Kleinbauernstellen doch zumindest an der Gartenseite mit einem reprä- vorsah. sentativen Eingang versehen oder mit Säulen und Bal- konen geschmückt, die nach außen zeigen sollten, wer Der Kalte Krieg prägte der Landschaft um Gera-Ronne- man war und was man hatte. burg seinen Stempel auf. Dort begann 1949 die Erschlie- ßung und Gewinnung von Uranerz für die Kernwaffen- Im Schiefergebirge brachten die 20er und 30er Jahre produktion der UdSSR. Ihren großen Tagebauen und den Bau der großen Staustufen im Engtal der Oberen Verarbeitungsanlagen mussten in vier Jahrzehnten Saale. 1926 bis 1932 wurde die Bleilochtalsperre, 1936 Felder und Wälder, Wohnhäuser, Bauerngehöfte und bis 1942 die Hohenwarte-Talsperre errichtet. Beide die- ganze Dörfer weichen. Im Altenburger Land begann nen der Wasserregulierung in Saale und Elbe, liefern seit 1950 die Braunkohleförderung in einer neuen Di- seitdem regenerative elektrische Energie und schützen mension. Großtagebaue und ihre petrochemische Ver- vor Hochwasser. Gleichzeitig entstand mit den Stauseen edlung führten in der Folgezeit zu bis dahin beispiellosen eine weiträumige Erholungslandschaft, die heute zu Eingriffen in Landschaftsbild und Naturhaushalt. Um den beliebtesten in Thüringen zählt. Bleicherode, Sondershausen und Merkers an der Werra veränderte der Kalibergbau die Landschaft durch die Eingriffe der Autarkie- und Kriegswirtschaft des Zweiten markanten Abraumhalden und Industrien. Weltkrieges fanden im Gegensatz zur mitteldeutschen Region um Halle in Thüringen kaum Niederschlag im Zugleich bewirkte der Systemwandel in der sowjetischen Landschaftsbild, obwohl Thüringen durch sein techno- Besatzungszone und der DDR einschneidende Verän- logisches Potenzial (Schott und Carl Zeiss in Jena, derungen in der ländlichen Eigentumsstruktur. Durch Maxhütte Unterwellenborn u.a.) und seine Mittellage die Verstaatlichung von Gütern über 100 Hektar im Zu- zu den kriegswirtschaftlich wichtigsten Regionen ge- ge der so genannten Bodenreform, per Gesetz am 10. hörte. Der Bau der Reichsautobahn (heute A4) mit dem September 1945 beschlossen, wurden alle Großgrund- Hermsdorfer Kreuz, die 17bogige Saalebrücke aus hel- besitzer enteignet und rund 15 % der landwirtschaftli- len Muschelkalkquadern bei Jena und die nicht minder chen Nutzfläche in Thüringen neuen Eigentümern über- eindrucksvolle Teufelstalbrücke symbolisieren nach wie geben ("Junkerland in Bauernhand"). Die Reform stärkte vor diese Zentralität. zunächst gezielt das Kleinbauerntum, bis dann zu Be- ginn der 50er Jahre die Kollektivierung der Landwirt- Das düsterste Kapitel in der thüringischen Geschichte schaft zur Gründung von Landwirtschaftlichen Produk- verkörpern zweifellos die Überreste der Rüstungsindu- tionsgenossenschaften (LPG) mit den bekannten groß- strie. Gegen Ende des Krieges wurden kriegsentschei- betrieblichen Strukturen führte. 1955 bewirtschaftete dende Betriebe zunehmend in unterirdische Stollen die Durchschnitts-LPG 110 ha, 1971 541 ha und 1989 verlagert, um den Zerstörungen durch Bomben der 4068 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche (Beyermann Alliierten zu entgehen. In den Kalkfelsen des Jonastals 2000, S.6). bei Arnstadt, den Buntsandsteinfelsen in Kahla an der Saale und in den Stollen des Kohnsteins bei Nordhausen Bereits in den 50er Jahren wurde damit begonnen die legten die nationalsozialistischen Machthaber die Mon- Fluren neu aufzuteilen, um leistungsfähige Großtechnik tagehallen für ihre vermeintlichen "Wunderwaffen" an. effektiver einzusetzen. Weitaus stärkere Veränderungen

26 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung erfuhr die Agrarlandschaft aber erst in den 70er und waren in Volkseigentum überführt und in großen, ar- 80er Jahren in Verbindung mit den Komplexmelioratio- beitsplatzintensiven Kombinaten zusammengefasst nen, die eine industriemäßige landwirtschaftliche Groß- worden. Zuzüge von Beschäftigten verschärften das produktion ermöglichen sollten. Die kleinteiligen, über Wohnungsproblem, das durch niedrige Mieten und Jahrhunderte gewachsenen Fluren wurden durch sie Vernachlässigung der Bausubstanz entstanden war. zu Schlägen bis zu über 100 ha zusammengefasst. Um dem Wohnraummangel zu begegnen, begann Ende Hecken, Feldraine, Obstbaumreihen und andere glie- der sechziger Jahre die Ära der Großwohnsiedlungen dernde Landschaftsstrukturen wurden beseitigt, Bäche in Plattenbauweise. Die Großblock- und Plattenbau- und Flüsse verrohrt, begradigt und naturfern ausgebaut. technik ermöglichte nicht nur schnell und kostengünstig, Zahlreiche Biotope sind diesen Maßnahmen zum Opfer sondern auch in einem für die Zeit vergleichsweise gefallen; auch kam es zu erheblichen Luft-, Boden- komfortablen Standard zu bauen. Alle Wohnungen und Gewässerbelastungen durch den Einsatz von Pes- waren mit Bad und Zentralheizung ausgestattet. tiziden und durch die Ausbringung der enormen Gülle- mengen, die in den Großbestandshaltungen mit ihren Die Bezirkshauptstadt Gera wurde schon ab 1956 Ex- Tausenden von Schweinen, Kälbern, Masthähnchen perimentierfeld für den Wohnungsbau mit großformati- und Legehennen anfielen. gen Bauelementen. Nach Kriegszerstörungen wurde das Zentrum dort in großen Teilen neu aufgebaut. Und Ihren Höhepunkt erreichte die "Industrialisierung der auch in Erfurt und Suhl, den beiden anderen Bezirks- landwirtschaftlichen Produktion" in den Kombinaten für hauptstädten, und in Eisenach bescherte der Plattenbau industrielle Tierproduktion (KIM). Der 1961 in Betrieb bald völlig neue Stadtteile, desgleichen in Jena. Dort genommene VEB "Hermsdorfer Kreuz" erreichte als baute man die Großblöcke der Siedlung Lobeda (1968- Legehennen- und Broilermastbetrieb eine Produktions- 75) quer durch das Saaletal. Seit Mitte der 70er Jahre kapazität von jährlich 71 Mio. Eiern und 8250 Tonnen entstanden "Wohnscheiben" mit jeweils mehreren hun- Geflügelfleisch; das herausragende Beispiel für den dert Wohnungen und bis zu elfgeschossige Wohntürme. Gigantismus in der thüringischen Landwirtschaft war Um die unerwünschte Entwicklung zu reinen Schlaf- jedoch das Schweinezucht- und Mastkombinat in Qua- städten zu vermeiden, wurden Einrichtungen zur ma- schwitz bei Neustadt/Orla, das bei einer Kapazität von teriellen und kulturellen Versorgung der Bewohner in 175 000 Schweinen jährlich 25 000 Tonnen Fleisch fußläufiger Entfernung in “gesellschaftlichen Zentren“ liefern konnte (Beyermann 2000, S.7). Für die intensi- konzentriert: Neben Kaufhallen, Großgaststätten, Ju- vierte Landwirtschaft benötigte man auch Futtermittel- gend-, Bildungs- und Kultureinrichtungen traten unter werke, wie sie bei Niederpöllnitz und Themar weithin Einfluss westlicher Vorbilder auch Fußgängerpassagen sichtbar zwischen den Dörfern stehen. und großräumige Freiflächengestaltungen. Mit der Konzentration der Agrar- und Tierproduktion auf wenige und große Einheiten verloren viele Dörfer Selbst in Klein- und Mittelstädten entstanden Quartiere ihre landwirtschaftlichen Grundfunktionen und wurden mit Hunderten von Wohneinheiten in der neuen Mas- zu Wohnorten der LPG-Mitglieder oder von Auspendlern. senproduktion meistens am Stadtrand. Leinefelde, Apol- Eine Aufwertung erfuhren die Kleinstädte und die großen da und Schwarza erhielten sie zusammen mit umfang- Dörfer, denen Versorgungsaufgaben übertragen worden reichen Industrieanlagen für die Textilfabrikation. In waren. Dort entstanden Infrastruktureinrichtungen neu, Zella-Mehlis wuchsen sie mit der expandierenden Ma- wie z.B. polytechnische Oberschulen, Landambulatorien, schinen- und Metallindustrie. Die alte Bergbaustadt staatliche Arztpraxen, Kulturhäuser, Jugendclubs und Ilmenau verschwand geradezu zwischen den sie um- Handelseinrichtungen der HO (staatliche Handelsorga- gebenden Industrien, den Bauten für die technische nisation), des Konsums, Genossenschaften des Hand- Universität und den neuen Plattenbausiedlungen. Glei- werks usw. Wurde in den 50er und 60er Jahren noch ches erfuhr Dorndorf zwischen den Kalifabriken an der manches öffentliche Gebäude errichtet, vor allem Kultur- Werra. häuser in großer Zahl, verschlechterte sich die Bau- substanz der kleineren Städte und Dörfer in den 70er Währenddessen vernachlässigte man die Innenstädte. und 80er Jahren immer mehr, da sich zum einen die Die begrenzte Baukapazität, die unzureichenden finan- staatliche Wohnungsbaupolitik auf die Kreis- und Be- ziellen Mittel, die sozialistischen Eigentumsverhältnisse zirksstädte konzentrierte und zum anderen die Eigen- und die geringen Mieterträge führten dazu, dass der initiative und Unterstützung durch Betriebe und LPGs große Altbaubestand dort nicht in erforderlichem Maße kaum ausgeprägt waren. Privathäuser sind in dieser saniert werden konnte. Große Teile der vom Zweiten Zeit nur wenige neu gebaut worden. Weltkrieg verschont gebliebenen Stadtkerne, wie z.B. in Altenburg oder in Hildburghausen, gab man dem Auch die Städte entwickelten sich nach den Vorgaben Verfall preis. An die Stelle der Sanierung traten - wie der sozialistischen Ökonomie. Die Industriebetriebe in Nordhausen oder Gotha - Flächenabriss und Total-

27 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

erneuerung. Andere thüringische Städte wie Mühlhau- Geschlossenheit und überdauerten die 4 Jahrzehnte sen, Meiningen oder Bad Langensalza, Schmalkalden, DDR-Zeit in einer Art konservierendem Dornröschen- Lobenstein oder Schmölln behielten ihre historische schlaf.

2.13 Kulturlandschaft heute

Als mit dem Fall der Mauer und nach der Wiederverei- in landschaftlich attraktivere Orte des Umlandes (Sub- nigung im Jahre 1990 das Ende der sozialistischen urbanisierung). In vielen Dörfern waren bis dahin, nicht Planwirtschaft besiegelt war, begann die jüngste Phase immer mit dem wünschenswerten Feinsinn für die Land- in der Entwicklung der Kulturlandschaft Thüringens. schaftsästhetik, Baugebiete für Eigenheime ausgewie- Ausgelöst durch die Marktwirtschaft und die frei flie- sen worden. Heute wirken diese Neusiedlungen mit ßenden Kapitalströme setzte in den städtischen Zentren ihrer regional untypischen „Allerwelts“-Architektur und und entlang der Autobahnen eine neue Gründerzeit mangelnden Begrünung oft wie Fremdkörper. ein. Dort ist es, zumeist auf früher agrarisch genutzten Flächen am Rande der Städte, an Autobahnabfahrten Die nach der Wende begonnene Umstrukturierung der und -kreuzungen zur Gründung von Raststätten, Mö- Landwirtschaft durch Bodenneuordnungs- und Flurbe- belhäusern, Auslieferungslagern und gewerblichen reinigungsverfahren hat das Kulturlandschaftsbild bis- Produktionsstätten gekommen, die angelockt wurden lang nur wenig verändert. Rund 86 % der Landesfläche durch die gute Verkehrslage und die Werbewirkung. werden immer noch land- und forstwirtschaftlich genutzt (Landwirtschaftsfläche 54 %, Waldfläche 32 %). Be- In den Innenstädten selbst vollzogen sich nach der stimmend sind weiterhin die großen Schläge, die mit Wiedervereinigung tief greifende Veränderungen. Viele Großtechnik bewirtschaftet werden. wertvolle Baudenkmale, die anfangs nur notdürftig vor dem weiteren Verfall gesichert werden konnten, erfüllen Die aktuelle Kulturlandschaft Thüringens ist aber auch nach ihrer Rekonstruktion inzwischen neue Funktionen. nach wie vor geprägt von vielen besonders schutzwür- Sie beherbergen Geschäfte, Kaufhäuser, Restaurants, digen Lebensräumen, die ihren Wert der Jahrhunderte Banken, Versicherungen, Kanzleien, Praxen und Be- langen Pflege durch den Menschen oder der unterblie- hörden. Aus Städten mit hohem Anteil an Industrie und benen Nutzung verdanken. Dazu gehören die Trocken- Gewerbe sind so in relativ kurzer Zeit Städte des und Kalkmagerrasen alter Hutungen mit ihrem arten- Handels, der Dienstleistungen und der Verwaltung reichen Bestand an Orchideen und wirbellosen Tieren, geworden. die großen naturnahen, noch unzerschnittenen Wälder (Nationalpark Hainich), Täler mit noch naturnah geblie- Im Gegenzug sind fast überall die ehemals Struktur benen Bächen und Feuchtwiesen, historische Acker- bestimmenden Industriezweige weggebrochen. Zahl- terrassen oder auch die großflächigen Streuobstbestän- reiche Arbeitsplätze sind dabei verloren gegangen. Die de in den Muschelkalk- und Buntsandsteinhügelländern. brachgefallenen Gewerbeflächen müssen nun kostspie- Ihre Erhaltung ist aus ökologischen wie historischen lig saniert und einer neuen Nutzung zugeführt werden. Gründen gleichermaßen geboten, zumal mit ihrem Für die Umwelt hatte dieser radikale Wandel aber auch Verlust Kulturlandschaften von großer ökologischer seine gute Seite: Im Saaletal um Jena verschwand mit Diversität, von unersetzbarem Dokumentationswert dem Untergang der technisch rückständigen Industrien und von hoher identitätsstiftender Funktion unwider- die dort sehr häufige Dunstglocke. Die Wasserqualität bringlich verloren gehen würden. von Elster, Pleiße und Werra verbesserte sich schlag- artig mit dem Abbau der veralteten Papier- und Textil- industrie bzw. mit dem Ende des Kalibergbaus.

Besonders auf die Groß- und Mittelstädte kam nach der Wiedervereinigung eine Bevölkerungsabwanderung zu. Begünstigt durch die Rahmenbedingungen (Son- derabschreibungen, Wohnungsbauförderung, Planungs- vereinfachungen) zogen seit den frühen 90er Jahren Tausende von Stadtbewohnern aus den überbelegten Gründerzeitwohnungen und den Plattenbauten hinaus

28 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

2.14 Zusammenfassung

Entwicklungsstufe Siedlungsraum Zeugnisse

Jungsteinzeit (6000-1800 v.Chr.) • Einführung von Ackerbau und Vieh- • Thüringer Becken, Goldene Aue • Bandkeramische Bodenfunde bei Arn- haltung • Altenburger Land mit fruchtbaren Löss- stadt, Sömmerda, Sondershausen, Go- • Rodungsinseln auf den besten Böden böden tha, Jena, Gera und im Altenburger • Wanderfeldbau (Emmer, Einkorn, Erbse, • Saale- und Elstertal Land Linse, Lein) • Viehzucht (Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen), Waldweide • Weiler und große Hallenhäuser, Kera- mik (z.B. Bandkeramik)

Bronzezeit (1800-800 v.Chr.) • Herstellung und Verarbeitung von Bron- • Ausdehnung der Siedlungsfläche auf • zahlreiche Bronzehortfunde, Hügel- ze (Legierung aus Kupfer und Zinn) Kalkplatten des Thüringer Beckens gräber • Kupferbergbau i. d. Orlasenke, Bergbau und Südthüringens, Gipsböden der • Höhensiedlungen bei Römhild (Großer auf Zinnseifen im Elstertal Orlasenke, Basalt und Muschelkalk und Kleiner Gleichberg), bei Jena • starke Zurückdrängung des Waldes der Rhön (Schafhaltung) (Jenzig), Bürgel (Gleisberg) und Öpitz • durch Ausweitung der Schafhaltung (Felsenberg) Entstehung großer Hutungsflächen • Fürstengrab von Leubingen • Wohlstand durch spezialisiertes Hand- werk und europaweiten Fernhandel (Bronze, Salz etc.) • Schwert als neue Waffe

Vorrömische Eisenzeit (800 v.Chr. - 0) • Herstellung und Verarbeitung von Eisen • Ausdehnung der Siedlungsfläche auf • Siedlungsgrabungen bei Meiningen und ("Hallstattkultur", Keltische "Latène- die Talzüge des Buntsandsteinhügel- Gotha kultur") landes • Höhenburgen: Steinsburg bei Römhild, • Bergbau auf Eisenerz im Kamsdorfer • Saale- und Elstertal als Durchgangs- Möbisburg bei Erfurt, Alteburg bei Gebiet und bei Wünschendorf land des Fernhandels Arnstadt • feuchtkühles Klima ("Subatlantikum") • Schwerpunkte der Besiedlung an der • Funkenburg bei Westgreußen als burg- verursacht erste Bodenerosion auf den Mittleren Werra und in der Orlasenke ähnliches Bauerndorf Äckern und Auelehmablagerung in den • Opfermoor von Oberdorla bei Tälern Mühlhausen • Einführung von klimaunempfindlicherem • Pingen und Halden, Eisenschlacken, Roggen, Hafer; erstmals Winter- Rennöfen bei Gera und Saalfeld aufstallung des Viehs • Eisenpflug ermöglicht Erschließung steinig-lehmiger, schwerer Böden • weilerartige Dörfer • Fernhandel und spezialisiertes Hand- werk

Römische Kaiserzeit (0 - 375 n.Chr.) • Zeit der Hermunduren, enge Kontakte • Besiedlung etwa bis zur 300 m- • zahlreiche archäologische Bodenfunde mit Rom Höhenlinie (Schlacken, Rennöfen, Gräber etc.) • Einführung des eisernen Wendepfluges • Fürstengräber von Haßleben, Dienstedt • Einführung der Brache u.a. • eiserne Sense verwandelt Niederungen in offene Landschaften • Kleindörfer und Herrenhöfe

Völkerwanderungszeit und Thüringerreich (375 - 531) • Einfälle der Hunnen (375), europaweite • Kerngebiet der Besiedlung in den • diverse archäologische Bodenfunde Bevölkerungsverschiebungen Gunsträumen an der Mittleren Saale, • große Haufendörfer („leben“-Orte) • Vorstoß der Angeln und Warnen nach an der Unstrut, im südlichen Thüringer Thüringen, Stammeskönigreich Becken und im Altenburger Land "Thoringia" • Wüstungsperiode und Phase örtlicher Wiederbewaldung • Siedlungen aus Einzelhöfen und Weilern

29 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Fränkische Zeit und Frühmittelalter (531-908) • Franken besiegen die Thüringer in der • westlich der Saale: • Wehrburgen; im Norden: Sachsenburg, Schlacht an der Unstrut (531) Siedlungsstrukturen fast wie heute Monraburg, Hasenburg; an der Ost- • Fränkischer Landesausbau bis zur grenze: Saaleck, Dornburg, Kirchberg, Saalegrenze, Burgenbau Orlamünde, Rudolstadt • Missionsarbeit von Bonifatius (Kloster • Ortsnamen auf „-heim“ und „-hausen“ Ohrdruf, Bistum Erfurt) • im slawischen Siedlungsraum Ortsna- • Erweiterung und Neuanlage von Dörfern • östlich der Saale: men auf „-itz“, Sackgassendörfer und • Ausdehnung des Getreideanbaus slawische Siedlungsgaue im Alten- Rundlinge (Roggen) burger Land, um Zeitz und Gera in- • fränkische Reichs- und Königsgüter • östlich der Saalegrenze lassen sich mitten großer Waldgebiete Nordhausen, Mühlhausen, Gotha und slawische Stämme nieder und betreiben viele andere Ackerbau, Viehzucht, Fischfang; • urkundl. Erwähnungen von Arnstadt wassernahe Lage der slawischen Dörfer und Erfurt

Hochmittelalter (10. - 14. Jh.) • Klimatische und wirtschaftliche Blütezeit • westlich der Saale: • Plansiedlungen wie Anger- und Reihen- • starke Zunahme der Bevölkerung Aufsiedlung der Feucht- und dörfer mit Ortsnamen auf „-dorf“, • ertragreiche Landwirtschaft (Dreifelder- Waldgebiete „-wald“, „-bach“, „-hain“, „-rod“ oder wirtschaft intensiviert Getreidebau) „-rieth“, ältere Dorfnamen auf „-rode“ • Einführung neuer Kulturpflanzen und • planmäßige Stadtanlagen von Alten- Fischteiche durch Klöster burg, Eisenach, Eisenberg, Erfurt, Bad • Blütezeit des Wein- und Waidanbaus • östlich der Saale: Frankenhausen, Gotha, Hildburghau- in Thüringen Besiedlung der großen Waldgebiete in sen, Bad Langensalza, Mühlhausen, • Zeitalter der Binnen- und Ostkolonisation den Höhenlagen des Holzlandes und Neustadt/Orla, Pössneck, Römhild, Ru- • Zeitalter der Städtegründungen auf den Hochflächen des Schiefer- dolstadt, Saalfeld, Schmalkalden, Wei- • Zeitalter der Geldwirtschaft und des gebirges, Siedlungsraum teilweise ßensee etc. intensiven Handels (z.B. Hansebund) ausgedehnter als heute • Altbergbauspuren bei Saalfeld, Gera, • Bergbau auf Silber, Kupfer und Eisen Schmiedefeld, Leutenberg, Lobenstein, im Thüringer Wald und im Schleiz, Schmalkalden, Suhl, Ilmenau Schiefergebirge u.a.

Spätmittelalterliche Wüstungsperiode (1320 - 1500)

• Bevölkerungsrückgang (-1/3) durch • Siedlungsareal bleibt weitgehend • Flurwüstungen: Lesesteinwälle, Acker- Fehden und tödliche Seuchen wie die erhalten terrassen unter Wald Pest (1449-50) • Ortswüstungen: z.B. Möbisburg bei • Absatzkrise in der Landwirtschaft Jena, Gumprechtsdorf bei Kloster- (Getreide) lausnitz • Wüstungen von Fluren und kleineren Dörfern, darunter nur wenige Plansiedlungen • im Eichsfeld Aufgabe von 58 % aller Dörfer

Frühe Neuzeit und Zeit des Merkantilismus (1500 - 1800)

• wieder wachsende Bevölkerung • Siedlungsareal entspricht nahezu dem • Altbergbauspuren bei Saalfeld-Kams- • Förderung des Gewerbes durch die heutigen dorf, Schmiedefeld, Lobenstein, Leu- Landesherrn (Merkantilismus) tenberg etc. sowie in Schmalkalden, • gewerblich-industrielle Neusiedlungen Zella-Mehlis, Suhl, Ilmenau in wasserreichen Tälern der Wald- • Neugründungen u.a. im Schwarzatal gebirge wie Obstfelderschmiede, Katzhütte • "Industriegassen" im Schwarza- und • Glashüttenorte wie Lauscha, Piesau, Loquitztal Grumbach • erneute Blüte des Bergbaus und der • zahlreiche Schloss- und Parkanlagen Erzverarbeitung (Eisen, Antimon, Alaun, im Stil des Barocks und Rokokos (Al- Vitriol) tenburg, Dornburg, Eisenberg, Gera, • ortsfeste Schmelzhütten statt primitiver Greiz, Meiningen, Rudolstadt, Saalfeld, Rennfeuer (Erzschmelzen, Glashütten) Sondershausen, Weimar) • Waldzerstörung durch Holz- und Köhle- reiwirtschaft, Waldweide und Streu- nutzung • Verwüstungen des Dreißigjährigen Krie- ges im Mittleren Saaletal und Altenbur- ger Land

30 Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung

Agrarreformen und beginnende Industrialisierung (19. Jh.)

• Ablösung der bäuerlichen Reallasten • Siedlungsareal entspricht dem • Zahlreiche bauliche Spuren und Hinter- wie Abgaben, Hand- und Spanndienste heutigen lassenschaften (1807-1853) • städtische Villen-, Arbeiter- und Gewer- • Aufteilung und Privatisierung der All- beviertel menden (seit 1809), in der Folge Kulti- • dörfliche Wohn- und Wirtschafts- vierung und Aufforstung der Hutungen gebäude der Gründerzeit und anderen Ödlandflächen • Chausseen und Eisenbahnen • Niedergang der Schafwirtschaft (billigere • Braunkohlenbergbau im Raum Alten- Wolle aus Übersee) burg-Meuselwitz • Flurbereinigungen mit Neuaufteilung • Schiefersteinbrüche von Lehesten und und Zusammenlegung der zersplitterten Unterloquitz Felder (Separation, Verkoppelung), • Fichtenforsten im Schiefergebirge und Aufhebung des Flurzwangs Thüringer Wald • Ablösung der Dreifelderwirtschaft durch • Fichten- und Kiefernforsten auf ehema- moderne Fruchtwechselwirtschaft ligen Hutungs- und Ödlandflächen, • Einführung von mineralischer Düngung besonders im Holzland und an den und Gründüngung (Leguminosen) Muschelkalkstufen • Kartoffelanbau und Futterpflanzen er- höhen Fleisch- und Milcherträge und beseitigen Hungersnöte, beginnender Marktfruchtanbau • Einführung der modernen nachhaltigen Forstwirtschaft • Chaussee- und Eisenbahnbau • starkes Wachstum der Dörfer und Städte in der industriellen Gründerzeit

Kulturlandschaftswandel im 20. Jahrhundert

• weitere Zunahme der Bevölkerung • Talsperren der Oberen Saale • Wachstum der Dörfer und Städte bis • Autobahnen A4 und A9, Hermsdorfer zum Zweiten Weltkrieg Kreuz • 2. Wk.: Autarkie- und Kriegswirtschaft, • Rüstungsanlagen im Jonastal, bei Bombenschäden in Gera und Jena Kahla und Nordhausen • Nachkriegszeit: Ansiedlung von Flücht- • Konzentrations- und Vernichtungslager lingen und Vertriebenen ("Neubauern- Buchenwald hofprogramm") • Gedenkstätten für die Opfer des Natio- • Bodenreform mit Verstaatlichung der nalsozialismus und der Gewaltherr- Gutsbetriebe schaft • Kollektivierung der Landwirtschaft, Gründung Landwirtsch. Produktions- • Bergbaufolgelandschaften: bei Ronne- genossenschaften burg (Uranbergbau der Wismut), Alten- • Urangewinnung für den "Kalten Krieg" burg-Meuselwitz (Braunkohle) und- in Ronneburg Merkers, Bleicherode, Sondershausen • Komplexmeliorationen der 70er und (Kalisalze) 80er Jahre, agrarindustrielle Produktion • Großanlagen der Agrar- und Tierpro- • starke Luft-, Boden- und Gewässer- duktion, Kulturhäuser belastungen • Großwohnsiedlungen in Plattenbau- • Strukturwandel in den Agrardörfern weise • Förderung von Großwohnsiedlungen zu Lasten der Altstädte • nach 1990 Landschaftsentwicklung in der Marktwirtschaft • Bodenneuordnungs- und Flurbereini- gungsverfahren in der Landwirtschaft • Zusammenbruch der Altindustrien, ge- werbl. Neuansiedlungen an Autobahnen • heutige Landnutzung in Thüringen: u. Stadträndern 9 % Siedlungs- und Verkehrsfläche • Funktionswandel der Innenstädte (Aus- 54 % Landwirtschaftsfläche weitung des Dienstleistungssektors) 32 % Waldfläche • Neubausiedlungen im Grünen in Stadt- nähe (Suburbanisierung) • Bevölkerungsabnahme in struktur- schwachen Regionen, in der Folge: • Zunahme der Wohn- und Gewerbe- brachen

Tabelle 2-1: Stufen der Kulturlandschafts- und Siedlungsentwicklung in Thüringen und ihre Zeugnisse.

31 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

3.1 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften *)

Abb.3.1-1: Historische Ackerterrassen im Reinstädter Grund bei Kahla (Foto: C. Glink 2005).

3.1.1 Begriff und Entstehung wurden bei der Terrassierung in schwerer körperlicher Arbeit mit der Hand ausgelesen, und der meist spärlich "An den Berghängen liegen die Felder horizontal in vorhandene Feinboden wurde gleichmäßig verteilt. langen Sätteln, terrassenförmig, durch Raine vonein- Durch das Ablegen der Lesesteine auf der talwärtigen ander getrennt. Vereinzelt, wie in Kleinschmalkalden Seite bzw. der Parzellengrenze entstanden Steinrangen, (gothaischer Anteil) und im Haselgrunde bei Steinbach- Geländestufen aus Lesesteinkernen, an denen sich im Hallenberg, verlaufen langgestreckte Pläne steil den Laufe der Zeit das von den Äckern abgespülte Feinma- Berg hinauf. Sie können nicht mehr gepflügt, sondern terial von selbst ablagerte. müssen von den Frauen mit der Hacke bearbeitet wer- den, auch wenn Anspannvieh zum Pflügen vorhanden Je nach der Steilheit der Hänge, dem Alter der acker- ist" (aus: G. Spannagel 1928: Wald- und Weidenutzung baulichen Nutzung und der Härte des Gesteins (Bo- in der Viehhaltung der landwirtschaftlichen Zwergbe- denerosion!) variieren die Stufenhöhen meist zwischen triebe des Thüringer Waldes; zit. aus BRETTFELD u. 1 und 3 m, mitunter auch mehr (maximal: 8-10 m in BOCK 1994, S. 32). Gießübel im Schiefergebirge bei einer Terrassenbreite von 20-25 m; BRETTFELD u. BOCK 1994, S. 34). Das historische Zitat beschreibt Terrassenfluren, d.h. künstlich terrassierte Felder, von denen es noch zu Feinerderangen waren meist mit Gras bewachsen. Sie Beginn des 20. Jahrhunderts in Thüringen viele gab, wurden ein- oder zweischürig gemäht, nach der Ernte und die damals noch - ihrem ursprünglichen Zweck auch beweidet. Steinrangen trugen dagegen oft Gehöl- entsprechend - ackerbaulich genutzt wurden. ze, die im Rahmen einer niederwaldähnlichen Bewirt- schaftung von Zeit zu Zeit „auf den Stock“ gesetzt wur- Terrassenfluren definieren sich als leistenartige, nur den, um Brennholz zu gewinnen. wenige Meter breite Verebnungen in Hanglage ("Ter- rassen“), die in der Regel mehr oder weniger parallel In der Regel treten Terrassen zu mehreren sowohl zu den Höhenlinien verlaufen. Hang abwärts werden über- als auch nebeneinander auf, so dass die Hänge sie von Stufen begrenzt, die man regionsabhängig als wie getreppt wirken. Ihre Längen reichen von wenigen "Ranken" oder "Rangen", im Fachterminus als "Stufen- Metern bis zu mehreren Dekametern, die Breiten von raine" bezeichnet. 2 bis zu 10 Metern, weshalb sie als Paradebeispiel für standortgerechte Landnutzung gelten können. Wahrscheinlich führte die generationenlange hangpar- allele Bewirtschaftung durch das Zusammenwirken In den ehemaligen Verbreitungsgebieten von Lang- von Pflugarbeit und Bodenerosion ganz von selbst zur streifenfluren sind sie durch die erzwungene Pflugrich- Entstehung von Terrassen. Möglicherweise wurden sie tung gelegentlich sogar der Länge nach hangabwärts durch Bodenumschichtungen örtlich auch gezielt an- orientiert, oder sie bilden durch Bodenverlagerung an gelegt, um die Abspülung der kostbaren Ackerkrume der schmalen talwärtigen Querseite sprungschanzen- zu verhindern und den Standort zu verbessern. Steine artige Stufenraine aus.

32 *) Verfasser: H.-H. Meyer (unter Verwendung einer Diplomarbeit von H. Pinkepank 2004) Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

Das Alter der Terrassenfluren lässt sich nur schwer er- gebirge auf lehmigen Schiefer- und Grauwacken-Ver- mitteln. Viele von ihnen dürften jedoch bis in das Hoch- witterungsböden, im Thüringer Wald auf Porphyren, mittelalter (10.-14. Jahrhundert) zurückreichen. In dieser Konglomeraten, Sand- und Tonsteinen des Rotliegen- Zeit starken Bevölkerungswachstums wurden aus purer den, also auf harten wie weichen Gesteinen gleicher- Landnot heraus viele neue Dörfer gegründet, besonders maßen. Sogar in Lockergesteinen sind bzw. waren sie in Grenzertragslagen. Die Einführung des Terrassen- örtlich zu finden: auf weichen Lehm- und Kiessedimen- baus könnte dabei von den Klöstern ausgegangen ten der höheren eiszeitlichen Flussterrassen des Mitt- sein, die dank ihrer europaweiten Beziehungen auch leren Saaletales ebenso wie auf den Löss-und Geschie- viele andere Neuerungen in der Landwirtschaft und belehmplatten des Altenburger Landes. Auch wenn der Landeskultur in Thüringen durchgesetzt haben. dabei keine eindeutige Präferenz zu erkennen ist, lässt Unterstützt wird diese Annahme dadurch, dass in ihrer sich dennoch konstatieren, dass Terrassenfluren vor Nähe auch heute noch häufig alte Terrassenfluren an- allem auf weichen, erosionsanfälligen Gesteinen typisch getroffen werden können (z.B. Reinhardsbrunn, Geor- sind. genthal, Paulinzella und Allendorf, s. Abb. 3.1-2). Einen weiteren Hinweis auf das hohe Alter lassen Hohlwege Was den Einfluss des Reliefs betrifft, kann man sagen, zu, die von den Dörfern hangaufwärts zu den Terras- dass Ackerterrassen mit gefällereichen Landschaften senäckern führen. Nicht selten sind sie aufgrund der korrelieren. Im flachen Thüringer Becken sind nur sehr Jahrhunderte langen Benutzung bis zu mehrere Meter wenige anzutreffen, zum Beispiel an der schon erwähn- tief in den Untergrund eingeschnitten. ten, aus Gipskeuper bestehenden Schwellenburg, einem ehemaligen Weinberg im Norden von Erfurt. Vergleichsweise einfach erklären lässt sich auch das 3.1.2 Verbreitung eher geringe Vorkommen von Terrassen auf den Mu- schelkalkplatten. Hier wechseln ackerfähige Hochflä- Terrassenfluren finden sich in Thüringen zwar in vielen chen ohne Terrassierungsbedarf mit steilgeböschten Naturräumen, aber in sehr unterschiedlicher Dichte Randstufen, die wegen ihrer extrem flachgründigen und Zahl. Wie auf der Übersichtskarte (Karte 2) zu Böden Jahrhunderte hindurch als Hutungsflächen der erkennen ist, konzentrieren sie sich in folgenden Ge- extensiven Beweidung überlassen blieben. bieten: im Thüringer Wald und seinen nördlichen und südlichen Buntsandsteinvorländern, im westlichen Teil des Thüringer Schiefergebirges (Schwarza- Sormitz-Gebiet) sowie beider- seits des Mittleren Saaletales zwischen Rudolstadt und Jena. In Nordthüringen häufen sie sich im Ober- und Untereichsfeld (Werrabergland, Ohmgebirge), in Südthüringen auf den Meinin- ger Kalkplatten und vereinzelt in der Vorderrhön.

Terrassen kommen auf unter- schiedlichsten Gesteinen vor: auf weichen Ton- und Mergel- steinen des Unteren Buntsand- steins und des Röt (Oberer Buntsandstein), auf Sandstei- nen des Mittleren Buntsand- steins und selbst auf den flach- gründigen, trockenen und stein- reichen Rendzinaböden des Muschelkalks. An der Schwel- lenburg bei Erfurt und in der Abb. 3.1-2: Orlasenke sind sie auf schroffen Historische Ackerterrassen und Hohlwege am Kloster Allendorf bei Bad Salzungen um Gipshängen (Keuper bzw. Zech- 1930; Originalmaßstab 1 : 25 000, leicht vergrößert (Preußische Landesaufnahme, His- stein) ausgebildet, im Schiefer- torisches Messtischblatt v. 1927, Bl. 5127 Bad Salzungen).

33 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

Verbreitet war der Terrassenbau dagegen in stark zer- In tieferen Lagen (bis 500 m) ist ein beträchtlicher Teil talten Landschaften, wo von Natur aus ein Mangel an der historischen Terrassen mit dem Weinbau in Verbin- Ackerflächen bestand: in den randlichen Kerbtälern dung zu bringen. Insbesondere im Mittleren Saaletal des Thüringer Waldes, im gleichermaßen kerbzertalten und seinen westlichen Seitentälern gab es im 15. und Schwarza-Sormitz-Gebiet (Thüringer Schiefergebirge), 16. Jahrhundert Rebpflanzungen in beachtlicher Aus- an den Talflanken und in den Seitentälern der Mittleren dehnung. Auffällig ist dort die große Übereinstimmung Saale sowie in den Seitentälern der Werra in Südthü- der Areale historischer Terrassenfluren mit den vielen ringen und im Obereichsfeld. Wo Terrassen dort heute Nachweisen historischen Weinbaus (s. Kapitel 3.2.). noch erhalten sind, nehmen sie vornehmlich mäßig steile Hanglagen von unter 20° ein. Dass das Verbreitungsmuster des Terrassenbaus sehr wahrscheinlich auch auf traditionelle Erbsitten und In der Exposition gibt es keine statistisch signifikanten Flurverfassungen zurückgeführt werden kann, gilt zu- Bevorzugungen. Das zeigt, dass die Mehrzahl der Ter- mindest für die Verbreitungsgebiete westlich von Saale rassenfluren ursprünglich wohl überwiegend mit im und Schwarza. Dort war der Grundbesitz infolge der Hinblick auf die Besonnung weniger anspruchsvollen vorherrschenden Realerbteilung bis zu den Flurberei- Kulturen bebaut worden ist (Brotgetreide, Kartoffeln, nigungen des 19. und 20. Jahrhunderts sehr stark zer- Buchweizen, Flachs). In den Hochlagen des Schiefer- splittert. Die einzelnen Terrassenstücke könnten in sol- gebirges war das sicher der Fall. Dort reichen sie bis chen Fällen den ehemaligen Besitzparzellen entspro- in Höhen von über 700 m (!) hinauf wie in Deesbach chen haben. bei Oberweißbach.

3.1.3 Ausgewählte Acker- terrassenlandschaften (n. H. Pinkepank 2004)

In einzelnen Teilregionen Thürin- gens waren Ackerterrassen Jahr- hunderte hindurch regelrecht land- schaftsbildprägend (und sind es zum Teil auch heute noch). Sie tragen dort zur regionalen Eigenart und Unverwechselbarkeit wesent- lich bei. Im Folgenden werden die wichtigsten dieser „Ackerterrassen- landschaften“ näher vorgestellt, wobei besonders ihre geographi- sche Verbreitung, ihre Standort- merkmale und ihre historischen Ur- sprünge Beachtung finden sollen.

3.1.3.1 Thüringer Wald und Vorländer (Ackerterrassenkomplexe um Schleusingen, Suhl, Zella-Mehlis, Steinbach-Hallenberg, Floh-Se- ligenthal, Schweina-Bad Lieben- stein, Brotterode, Waltershausen, Tambach-Dietharz, Ilmenau)

Im Thüringer Wald, der als Mittel- gebirge in seinen zentralen Teilen Abb. 3.1-3: Höhen von über 900 m erreicht, Historische Ackerterrassen und Hohlwege bei Erlau und St. Kilian um 1930; Original- finden sich Reste historischer Ter- maßstab 1 : 25 000, leicht vergrößert (Preußische Landesaufnahme, Historisches rassenfluren aus klimatischen Messtischblatt von 1936, Bl. 5430 Schleusingen). Gründen nur in den mittleren und

34 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

durch die Terrassierung eine dauerhafte Ackernutzung überhaupt erst ermöglicht.

Da die Landwirtschaft im Thüringer Wald unter den schwierigen Klima- und Standortverhältnissen litt, wurde Ackerbau nur zur Eigenversorgung betrieben. Seit dem 18. Jahrhundert wurden auf den Terrassen überwiegend Roggen und Hafer, Kartoffeln und Futtergemenge an- gebaut, früher wohl auch Dinkel, Buchweizen und Flachs, in den Hochlagen dominierte bald die Kartoffel als Hauptnahrungsmittel (BRETTFELD U. BOCK 1994, S.32). Abb.3.1-4: Ackerterrassen in der Flur Breitenbach im Thüringer Wald Mit den Flurneuordnungen und der Mechanisierung (Foto: H. Pinkepank 2003). der Landwirtschaft seit den 1950er und 1960er Jahren ging die Bewirtschaftung der Terrassenäcker stark zu- unteren Lagen, wo die Wachstumsperiode lang genug rück. Seitdem wächst besonders in steilen und absei- war, damit Brotgetreide reifen konnte (Terrassen bis tigen Lagen die Zahl der Terrassen stetig, die nach 750 m NN; z.B. Fluren Heubach und Fehrenbach). ihrem Brachfallen keine rentable Nachnutzung gefunden haben. Die weniger steilen Terrassenhänge werden Den Untergrund der Terrassen im Thüringer Wald bilden oftmals noch als Weide oder Wiese genutzt. Andere Vulkan- und Sedimentgesteine des Grundgebirges: wurden aufgeforstet, da der Nutzholzanbau höhere harte Porphyre und Porphyrite sowie Sandsteine und Erträge versprach; relativ viele wurden eingeebnet und Konglomerate des Rotliegenden wechseln mit weiche- in produktive Intensivgrünlandflächen überführt. ren Tonsteinen und eiszeitlichen Solifluktionslehmen. In den Vorländern dominieren die vergleichsweise wei- chen Ton- und Schluffsteine des Unteren Buntsandsteins 3.1.3.2 Werratal zwischen Bad Salzungen und als Untergrund, örtlich auch Sandsteine des Mittleren Hildburghausen (Terrassenkomplexe bei Bad Buntsandsteins (bei Schleusingen und Suhl). Salzungen, Wasungen, Meiningen und Hildburghausen) Die meisten Böden im Thüringer Wald zeigen für den Pflanzenbau ungünstige Merkmale. Sie sind flachgrün- Auch das Werratal und seine Seitentäler waren relief- dig, reich an Steinen, sauer und speichern nur wenig und bodenbedingt landwirtschaftlich benachteiligte pflanzenverfügbares Wasser. Durch den Terrassenbau Räume. Heute noch spiegelt sich das im hohen Wald- konnten diese natürlichen Nachteile wesentlich gemin- anteil wider und an der Verbreitung historischer Acker- dert werden. terrassen an den Hängen.

Die Neigungen der terrassierten Hänge reichen im be- In diesem zur südthüringischen Triaslandschaft gehö- trachteten Gebiet von 10° bis an die 20°. Die Terras- renden Gebiet kommen Terrassenfluren hauptsächlich senfluren sind zum Teil sehr ausgedehnt, komplex ge- auf Ton- und Schluffsteinen des Unteren und auf Sand- staltet und besitzen viele und meist auch hohe Stufen. steinen des Mittleren Buntsandsteins vor. Teilweise, Die Sprunghöhe der Stufenraine hängt mit der Relief- wie um Meiningen und Hildburghausen, sind sie auf energie zusammen, gleichzeitig werden die Terrassen Tonsteinen des Röt (Oberer Buntsandstein) verbreitet. mit der Steilheit der Hänge immer schmaler. In Hanglagen mit hohem Oberflächenabfluss haben die Böden auf diesen Untergründen eine Tendenz zu Siedlungsgeschichtlich wurden der Thüringer Wald und starker sommerlicher Austrocknung, die schnell zu seine Buntsandsteinvorländer vergleichsweise spät er- Trockenschäden führt. Terrassierungen halten demge- schlossen. Ab dem 12. Jahrhundert setzte, von den genüber das Wasser zurück und sorgen für bessere Klöstern Paulinzella, Reinhardsbrunn, Ohrdruf, Saalfeld, Ernten und eine höhere Ertragssicherheit, was sicher Veßra und weltlichen Herren nachhaltig gefördert, die schon sehr früh bekannt war. große Rodungszeit ein und mit ihr die Entwicklung zur Kulturlandschaft. In gemeinschaftlicher Arbeit wurden Das Werratal gehört in Thüringen zu den ältesten Sied- nach planmäßigem Konzept entlang der Bachtäler li- lungsräumen. Es war bereits in prähistorischer Zeit ein neare Dorfformen angelegt, vermutlich schon mit Ter- Durchgangsgebiet, wurde um die Zeitenwende von rassenäckern auf den weniger steil geneigten Unter- den Kelten besiedelt, später von den Franken kolonisiert. hängen (LANGE 1995, S.303). Auf vielen Hängen wurde Ungünstige Lagen - wie die der meisten Terrassenvor-

35 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

kommen - wurden jedoch, ähnlich wie im Thüringer Wald, erst unter dem Druck des Bevölkerungswachs- tums des Früh- und Hochmittelalters erschlossen.

Reste historischer Terrassen finden sich in Höhenbe- reichen zwischen 400 und 600 m bei Böschungsnei- gungen zwischen 5° und 18°. Bevorzugte Expositionen der terrassierten Hänge sind nicht festzustellen. Es ist deshalb anzunehmen, dass auch hier überwiegend Nähr-, Futter- und Nutzpflanzen angebaut wurden, ob- gleich auch Weinberge in der klimatisch begünstigten Region historisch belegt sind (z.B. in Dorndorf, Kloster Abb. 3.1-6: Allendorf, Kloster Breitungen, Bad Salzungen, Meinin- Terrassenfluren in Scheibe-Alsbach (Foto: H. Pinkepank 2003). gen, Kloster Rohr, Kloster Veßra, Kloster Veilsdorf).

Heute präsentieren sich die historischen Terrassenfluren ringer Wald ist das Schiefergebirge eine flach gewellte, von Südwesten nach Norden geneigte Hochflächen- in unterschiedlichen Stadien der Nachnutzung. Einige landschaft, die von tiefen und windungsreichen Engtä- wurden aufgeforstet wie in Wasungen, andere werden lern durchschnitten wird (Schwarza, Sormitz, Loquitz, noch als Grünland oder Streuobstwiese genutzt, viele Obere Saale). Bei mittleren Höhen zwischen 600 bis unterliegen nach dem Ausbleiben der Pflege der Suk- 750 m NN (Hochflächen) bzw. um 400 m NN (Täler) zession. liegt fast das gesamte Gebiet klimatisch in einem Be- reich, in dem während historischer Zeiträume Ackerbau durchaus möglich war. Das beweisen die Terrassenflu- 3.1.3.3 Westliches Thüringer Schiefergebirge (Ter- ren in Deesbach bei Oberweißbach. Sie reichen bis rassenkomplexe bei Oberweißbach, Großbrei- auf über 700 m Meereshöhe hinauf. tenbach, Königsee und Saalfeld)

Ebenso wie im Thüringer Wald setzen auch im westli- Den geologischen Untergrund bilden im westlichen chen Thüringer Schiefergebirge ungünstige Relief-, Schiefergebirge uralte Sediment- und Umwandlungs- Klima- und Bodenbedingungen einer landwirtschaftli- gesteine (Paläozoikum und älter): hauptsächlich Ton- chen Nutzung enge Grenzen. Im Gegensatz zum Thü- schiefer, Grauwacken, Quarzite, Kieselschiefer und

Abb.3.1-5: Historische Ackerterrassen mit beginnender Sukzession bei Königsee (Foto: H.-H. Meyer 2004).

36 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

Abb.3.1-7: Historische Ackerterrassen bei Brehme um 1985; Originalmaßstab 1 : 10 000, verkleinert (TK 10 DDR, Bl. M-32-21-D-a-2, Ausgabe 1988).

Kalksteine, aus denen unterschiedliche, meist flach- schwunden, wie sich aus Vergleichen alter Karten ent- gründige, steinige und ertragsschwache Böden hervor- nehmen lässt (z.B. in der Flur Großbreitenbach). Andere gegangen sind. Mit wachsender Bevölkerung musste unterliegen nach Nutzungsaufgabe der Sukzession wie die Nährfläche aus Mangel an ertragfähigem Ackerland beispielsweise in Biberau und Gießübel oder sind unter deshalb immer mehr auf steile, ungünstige Hanglagen dichtem Fichtenforst den Blicken entrückt. Wieder an- ausgedehnt werden. Äußerst schwierige Wegeverhält- dere werden noch zur Heugewinnung genutzt oder nisse (Hohlwege) und Stufenhöhen von mehreren Me- auch extensiv beweidet. tern, die die Bestellung der oft schmalen Kleinparzellen erheblich behinderten, nahm man dabei in Kauf. 3.1.3.4 Mittleres Saaletal (Terrassenkomplexe bei Siedlungsgeschichtlich ähnelt das Schiefergebirge dem Rudolstadt, Remda, Großkochberg, Orlamünde, Thüringer Wald: Auch hier wurden die Täler und Hoch- Kahla, Jena) flächen im Wesentlichen erst im Hochmittelalter, örtlich Das markante Kerbsohlental der Mittleren Saale war sogar noch später besiedelt. Angebaut wurden dem mit seinen von Natur aus gestuften Hängen geradezu Standort entsprechende klimaangepasste Feldfrüchte: prädestiniert für die Anlage von Terrassen. Man findet im 18. und 19. Jahrhundert vorwiegend Kartoffeln. Der sie hier auf hochgelegenen Resten ehemaliger Saale- in den Dörfern beiderseits des Schwarzatals bis weit läufe im Lockergestein (Kies, Sand, Lehm), ebenso in das 19. Jahrhundert hinein betriebene, bekannte wie im Festgestein (Sand-, Schluff- und Tonsteine des Kräuteranbau („Thüringer Kräutergarten“) fand dagegen Buntsandsteins, Kalk- und Mergelsteine des Muschel- wohl weniger auf den Terrassen, sondern wegen der kalks). erforderlichen Pflege und Aufsicht überwiegend in den zahlreichen kleinen Privat- und Apothekergärten statt. Zumeist sind die terrassierten Hänge im Vergleich zu den Thüringer Mittelgebirgen weniger stark geneigt (8- Ebenso wie in den anderen Gebieten ist auch im Thü- 12°, max. 15°); auch sind die Terrassenkomplexe we- ringer Schiefergebirge die ackerbauliche Nutzung der niger ausgedehnt, d.h. sie umfassen weniger Stufen Terrassenfluren im Verlaufe des 20. Jahrhunderts stark und teilen sich häufig in kurze Stücke. Die Höhen der zurückgegangen. Nachdem ihr Bestand dank einer be- Stufen sind durch die geringeren natürlichen Hangnei- scheidenen Selbstversorgerwirtschaft Generationen gungen ebenfalls geringer als in den Thüringer Gebir- lang gesichert war, sind viele von ihnen mittlerweile gen. Stufenraine im Buntsandstein besitzen dabei wahr- durch Planierungen im Rahmen von Flurbereinigungen scheinlich (wenn nicht extra durch eine Trockenmauer und Großmeliorationen aus dem Landschaftsbild ver- angelegt) weniger häufig einen Steinkern als im Mu-

37 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

schelkalk, da sich das Untergrundmaterial weicher und sivanbau auf den historischen Terrassen auch im Saa- steinärmer zeigt. Dadurch sind sie heute viel stärker letal ein rasches Ende gefunden. Zum Teil werden sie durch Einebnung gefährdet und weniger gut erhalten. noch als Grünland genutzt; immer häufiger ist aber nach Ausbleiben der Pflege die natürliche Sukzession Die Expositionen scheinen bei der Standortwahl keine zu beobachten. große Rolle gespielt zu haben, obwohl sehr viele Ter- rassen der Region früher nachweislich mit Weinreben bestanden waren und vielleicht sogar eigens für den 3.1.3.5 Eichsfeld (Terrassenkomplexe bei Lengenfeld, Weinbau angelegt wurden (vgl. Kap. 3.2). Offenbar Wilbich, Großbartloff, Meckenrode, Geisleden, wurde von den Winzern in früheren Zeiten "auf die La- Brehme) ge der Berge nach der Sonne oft wenig Rücksicht Das Eichsfeld im Nordwesten der Thüringer Schicht- genommen" (COBURGER 1993, S.46). stufenlandschaft war früher ein Gebiet extremer Real- erbteilung, so dass die Flurzersplitterung hier die Ent- Kulturgeschichtlich gehört das Mittlere Saaletal aufgrund stehung von schmalen und langen Terrassenfluren be- seiner Brückenfunktion zwischen unterschiedlichen günstigt hat (z.B. bei Ferna im Untereichsfeld). Landschaften und Kulturräumen und dank seiner kli- matischen Gunst zu den früh besiedelten Regionen Geologisch besteht das Gebiet aus einem stark zertalten Thüringens. Wegen seiner Grenzlage zum slawischen Muschelkalkplateau im Süden, dem Obereichsfeld, das Siedlungsraum wurde es seit dem Frühmittelalter mit in einer Schichtstufe mit markantem Steilabfall im Nor- Burgen befestigt, in deren Schutz Handels- und Resi- den zum Untereichsfeld, einer Buntsandsteinplatte, denzstädte sowie Klöster aufwuchsen, die auf die Kul- abbricht. turlandschaftsentwicklung maßgeblichen Einfluss ge- nommen haben. Jahrhunderte lang waren der Weinbau Im Ober- wie im Untereichsfeld gleichermaßen befinden und der Weinhandel Haupterwerbszweige der Region. sich die Terrassenfluren vornehmlich auf Sand- und Tonsteinen des Oberen und Mittleren Buntsandsteins. Manches bauliche Detail alter Terrassenfluren ist auf Im Durchschnitt haben die terrassierten Hänge Neigun- die speziellen Bedürfnisse der Rebkultur zurückzufüh- gen zwischen 11° und 15° und zeigen keine einheitlichen ren: Die augenfälligsten sind die Trockenmauern, die Expositionen. Charakteristikum vieler Weinberge sind und die Stufen- raine gegen Bodenerosion sichern und das Standort- Die Ackerterrassen im Eichsfeld könnten älter sein als klima verbessern sollten. Durch Wärmespeicherung die im Thüringer Wald und im Schiefergebirge. Die er- und Reflexion der Sonnenstrahlen förderten sie die ste Rodungsepoche fand um 900 ihren Abschluss; im Reife der Trauben. 12. Jahrhundert waren die Zisterzienser aktive Koloni- satoren (z.B. Kloster Reifenstein). Auf den historischen Weinbergen wurde aber nicht nur Weinbau betrieben, auch Beerensträucher wie Johan- Auf den qualitativ mäßigen Buntsandsteinböden wurden nis-, Stachel- und Himbeeren, Gemüse sowie Obstbäu- im 18. und 19. Jahrhundert vornehmlich Kartoffeln an- me wurden zwischen den Reben angepflanzt, um die gebaut, aber auch Hülsenfrüchte. Weiterhin waren Flächennutzung zu intensivieren und Totalausfälle, wie Obst-, Wein- und Hopfenkulturen von Bedeutung, im sie bei Monokulturen üblich sind, zu vermeiden (CO- Untereichsfeld auch der Tabakanbau, wie Flurnamen BURGER 1993, S.46f). Auf die Rangen hatte man außer- bezeugen. In Brehme liegen Ackerterrassen beispiels- dem Holundersträucher gesetzt, da die Beeren als weise auf dem ehemaligen „Hopfenberg“, in Wilbich zusätzliches Färbemittel des Weines dienten, auch auf dem „Weinberg“. Um 1800 war die Leinenweberei Hasel- und andere Sträucher, die dann niederwaldartig weit verbreitet, woraus man auch auf eine Verbreitung bewirtschaftet wurden (Brennholz- und Flechtholzge- des Flachsanbaus schließen kann. winnung). Hervorzuheben sind neben dem Weinbau auch der Anbau von Feldgemüse, Hopfen und Tabak. Wie in allen anderen untersuchten Regionen befinden Mit dem Niedergang der Rebkultur im 18. und 19. Jahr- sich viele Terrassen des Eichsfeldes nach Aufgabe des hundert waren auf vielen Weinbergen Streuobstkulturen Ackerbaus heute unter Grünland oder aufkommender an ihre Stelle getreten, in Bad Blankenburg, Groß- und Sukzession. Einige tragen auch noch Streuobstbe- Kleingölitz und im Weintal bei Eichfeld auch gewerbs- stände. mäßige Spezialkulturen wie Lavendel (Lavandula of- ficinalis) oder Ysop (Hysopus officinalis) (vgl. Kap.3.5.).

Mit den tief greifenden wirtschaftlichen und gesellschaft- lichen Wandlungen des 20. Jahrhunderts hat der Inten-

38 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

1. Thüringer Wald und Vorland im Reinstädter Grund bei Gumperda und Reinstädt, in Kahla auf den Hängen beiderseits der Saale, an • Nördlicher Thüringer Wald und Vorland: Terrassenkom- der Leuchtenburg, linkssaalisch bei Altenberga und plexe Waltershausen mit Winterstein, Tabarz, Fisch- Altendorf, rechtssaalisch von Pürschütz bis Unter- bach, Schmerbach, Schwarzhausen, Schönau, Kälber- bodnitz (19) feld, Deubach, Sättelstädt, Sondra (1); Tambach-Diet- • Raum Jena: Hänge der Wölmisse von Drackendorf harz (2); Ilmenau, Manebach, Oehrenstock, Stützer- bis Schöngleina, bei Ziegenhain und Jenaprießnitz, bach, Schmiedefeld a.R. (3) Hufeisen, Gleisberg und Gleistal bei Jenalöbnitz, • Südlicher Thüringer Wald und Vorland: Terrassenkom- Taupadel und Poxdorf, Windknollen bei Cospeda plexe Steinbach bei Bad Liebenstein und Brotterode (20) (4); Floh-Seligenthal mit Schnellbach und Struth-Hel- • Raum Dornburg: rechtssaalische Hänge bei Dorndorf mershof (5); Steinbach-Hallenberg mit Rotterode, Unter- und Steudnitz (21) und Oberschönau (6); Suhl-Zella-Mehlis mit Viernau, Benshausen, Albrechts, Mäbendorf (7); Schleusingen 4. Ostthüringer Buntsandsteinland und Orlasenke mit Erlau, St. Kilian, Breitenbach, Silbach, Hinternah, Schönbrunn, Steinbach, Gießübel, Ober- und Unter- • Im Ostthüringer Buntsandsteinland: bei Bürgel und neubrunn, Heubach, Schnett, Tellerhammer, Biberau, Stadtroda (22); Tälerdörfer Lippersdorf-Erdmannsdorf, Merbelsrod, Schwarzbach, Fischbach, Ahlstädt, Ger- Weißbach, Bremsnitz, Ottendorf, Eineborn, Renthen- hardtsgereuth (8); Sachsenbrunn und Theuern (9) dorf (23); bei Eisenberg, Bad Köstritz und Gera (24), Bad Klosterlausnitz (25) 2. Thüringer Schiefergebirge und Vorland • In der Orlasenke: bei Neustadt, Kospoda, Meilitz • Auf der Schiefergebirgshochfläche: Terrassenkomplexe und Krobitz, bei Pößneck (Schlettwein, Zechsteinriff- beiderseits der Schwarza in Oberweißbach, Meura, berge bei Brandenstein und Ranis) (26) Großbreitenbach, Wilmersdorf, Gillersdorf, Böhlen, Mellenbach, Glasbach, Wildenspring, Deesbach, Meu- 5. Eichsfeld selbach, Katzhütte, Döschwitz, Rohrbach, Wittgendorf, Barigau, Mankenbach (10) • Obereichsfeld: Geisleden, Heuthen (27); Vatterode, • Im Loquitz-, Sormitz- und Oberen Saalegebiet: Terras- Fretterode, Mackenrode (28); Lengenfeld, Hildebrands- senkomplexe in Gräfenthal, Probstzella, Ober- und hausen, Wilbich, Großbartloff (29) Unterloquitz, Schmiedefeld, bei Wurzbach und Leuten- • Untereichsfeld: Brehme (30) berg, Klein- und Reitzengschwenda, Liebschütz (11) • Im Ostthüringer Schiefergebirge-Vogtland: Neundorf, 6. Südthüringen Remptendorf, Ruppersdorf, Saalburg (12); Blankenberg, Hirschberg, Gefell, Tanna (13); Auma, Schleiz, Zeu- • Raum Bad Salzungen: Kloster Allendorf, Neuendorf, lenroda (14); Greiz (15) Bad Salzungen (31) • Am Gebirgsnordrand: Terrassenkomplexe im Rinne- • Raum Wasungen: Helmers bei Wernshausen, Schwall- und Rottenbachtal bei Königsee mit Oberköditz und ungen, Bonndorf, Wasungen, Mehmels, Wahns, Wall- Horba, Rottenbach, Fröbitz, Großgölitz, Quittelsdorf, bach (32), Grumbach (33) Watzdorf, Unterwirbach (16); an der Oberen Saale • Raum Meiningen: Helba, Meiningen, Obermaßfeld- bei Saalfeld mit Gorndorf, Kamdorf, Köditz, Breternitz, Grimmenthal, Ritschenhausen (34); Kloster Rohr, Fischersdorf, Weischwitz (17) Dillstädt, Marisfeld (35) • Raum Hildburghausen: Wallrabs, Veilsdorf, Bürden 3. Mittleres Saaletal (36) • Bei Rudolstadt: Terrassenkomplexe bei Zeigerheim, • Vorderrhön: bei Vacha (37) und Kaltenlengsfeld (38) im Schaalbachtal bei Keilhau, Eichfeld und Schaala, im Remdaer Rinnetal bei Geitersdorf, Ammelstädt 7. Sonstige Gebiete: und Pflanzwirbach, in Teichweiden, Groß- und Klein- • in Nordthüringen: bei Sondershausen (39) und Bil- kochberg, im Hexengrund von Heilingen bis Engerda zingsleben (40) und Schmieden (18) • bei Erfurt: an der Schwellenburg (41) • Raum Orlamünde-Kahla: Terrassenkomplexe in Orlamünde, Dienstedt, Eichenberg, Großeutersdorf,

Tab. 3.1-1: Übersicht der Terrassenlandschaften in Thüringen um 1930 (Quelle: Historische Messtischblätter HK 25).

39 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

3.1.4 Bedeutung für Landschaftspflege und Vor diesem Hintergrund genießen der Schutz der noch Naturschutz erhaltenen Terrassenfluren und ihre fachgerechte Erhaltung und Pflege höchste Priorität. Vor allem sind Terrassenfluren zeichnen sich durch zahlreiche Beson- sachgerechte und wirtschaftliche Nutzungskonzepte derheiten aus, die sie zu den schutzbedürftigsten Kul- gefragt, um den spezifischen Offenlandcharakter dieser turlandschaftselementen zählen lassen. Kulturlandschaftsteile zu erhalten.

Zum einen gehören sie zu den augenfälligsten und zu- Würde man den Originalzustand bewahren, müssten gleich unverwechselbaren Bestandteilen der traditio- die längst aufgegebenen Formen kleinbäuerlicher Be- nellen Kulturlandschaft. Hoch ist außerdem der Zeug- wirtschaftung wieder eingeführt werden. Das wäre in niswert für die Agrar- und Heimatgeschichte. Terras- der Regel die Beackerung. Unter Grünland würden sie senfluren künden von der mühevollen Arbeit und kargen allmählich verflachen; bei Auflassung unterliegen sie Lebensweise der Bevölkerung auf Grenzertragsstand- der Sukzession und verbuschen bzw. bewalden zuse- orten. Sie dokumentieren historische Flurgliederungen hends. So ist eine Offenhaltung der ehemaligen Acker- und Bewirtschaftungssysteme. terrassen geboten, aber angesichts der geringen Wirt- schaftlichkeit nur über den Vertragsnaturschutz oder Zum anderen weisen sie auf engem Raum eine hohe landwirtschaftliche Förderprogramme möglich. Biotopvielfalt auf: Während die Lesesteinriegel und Trockenmauern von seltenen xerothermen Pflanzen- und Tierarten besiedelt werden, stocken auf den feiner- Im einzelnen ergibt sich folgendes Leitbild: Magere, dereicheren Streifen der Stufenraine häufig noch die artenreiche Steinrangen sollten von Gebüschsukzession niederwaldartigen Wuchsformen besonders ausschlag- freigehalten werden. Außerdem kann durch Nachlegen freudiger Baumarten (Hasel, Hainbuche, Weide, Espe, von Lesesteinen versucht werden, die durch Abtragung Eberesche), neben Dornsträuchern, die einst vom Wei- und Verflachung gefährdeten Rangen zu stabilisieren. devieh nicht gefressen wurden (Rosen, Schlehen, Weißdorn). Sie alle bieten vielen von der Intensivland- Bestehende Hecken- oder Feldgehölzkomplexe auf wirtschaft bedrängten Tierarten Futter- und Rückzugs- den Stufenrainen sind zu pflegen und - analog der tra- räume (Säugetiere, Vögel, Reptilien, Insekten etc.). ditionellen Brennholzgewinnung - zu einer nieder- oder mittelwaldartigen Hecke zu entwickeln. Flächen, die bereits soweit bewaldet sind, dass eine Rückführung 3.1.5 Schutz, Erhaltung und Pflege in Offenland kaum sinnvoll erscheint, können in ihrer Entwicklung sich selbst überlassen bleiben. Terrassenfluren zählen zu den bestandsgefährdetsten Elementen der historischen Kulturlandschaft in Thürin- Auf den Terrassenflächen sollten sich Extensiväcker gen. Viele waren bereits zu DDR-Zeiten den umfang- mit Brachen und artenreichem Extensivgrünland (Feld- reichen Flurbereinigungen und Reliefmeliorationen zum graswechselwirtschaft) abwechseln. Streuobstbestände Opfer gefallen. Nach der politischen Wende setzt sich dieser Trend fort, zumal sich der wirtschaftliche Zwang sollten erhalten werden. Bei Neuanlagen ist darauf zu zur Rationalisierung noch weiter verstärkt hat und dieser achten, ausschließlich einheimische Sorten anzupflan- wie nie zuvor mit dem Rückzug der landwirtschaftlichen zen. Auf kleinen Flächen ist die Möglichkeit des Anbaus Nutzfläche aus den Grenzertragslagen verbunden ist. von Heil-, Duft- und Gewürzpflanzen (s. Kap. 3.5.), aber auch von Dinkel und Buchweizen zu prüfen. Dies Allein in Ostthüringen sind von einst im Mittleren Saaletal kann ebenfalls gefördert werden. und im Schiefergebirge dokumentierten rd. 10 000 ha Terrassenfluren heute nur noch knapp 3 400 ha übrig Ebenso kann eine Beweidung erfolgen. Grundsätzlich geblieben. Der Flächenrückgang betrug damit in dieser kommt dabei nur eine extensive Beweidung mit leicht- Region seit 1930 rund 65 % (SCHMIDT U. MEYER et al. gewichtigen Tieren, vor allem mit Jungrindern, in Be- 2004). Die folgende Tabelle nennt nähere Zahlen: tracht. Ist aufgrund zu geringer Breite der Flächen Acker- und Wiesennutzung stark erschwert, ist eine Ackerterrassen 1930 1995 Beweidung mit Schafen und Ziegen günstig. Objekte 4 588 1 270 Gesamtfläche 10 249 ha 3 405 ha Mit dem Holzanbau der Hecken und Feldgehölze, dem Kleinste Fläche 0,05 ha 0,10 ha Obstbau, der Nutzung von Honig, Beeren, Kräutern, Größte Fläche 125 ha 28 ha Buchweizen oder Dinkel, dem Fleisch von Schafen Durchschnitt 2,2 ha 2,7 ha und der Milch von Ziegen ließe sich in ausgewählten Tabelle 3.1-2: Gebieten ein regionales Vermarktungssystem aufbauen. Rückgang u. Strukturwandel der Terrassenfluren in Ostthürin- Dadurch sowie durch den Strukturreichtum der Fluren gen seit 1930 (aus: SCHMIDT & MEYER et al. 2004). (bewegte, kulissenreiche Geländeformen, Extensiv-

40 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften grünland, Gehölzstrukturen) besitzen Ackerterrassen- zentimeter (= 100 m x 100 m) vergeben. Des Weiteren landschaften auch eine touristische Attraktivität. In be- entfällt die Darstellung von Böschungen, deren Höhe sonderer Weise gilt das für die ausgedehnten und gut weniger als 1,5 m beträgt (Thüringer Zeichenvorschrift erhaltenen Terrassenkomplexe des südwestlichen 1997). Ein erheblicher Teil der Stufenraine auf mittleren Thüringer Waldes und seines Vorlandes (Fluren Heu- Hangneigungen, wo die Sprunghöhen der Geländestu- bach, Schnett, Biberau, Erlau, Silbach und Christes). fen häufig zwischen 0,5 m und 1,5 m liegen, findet da- mit keine Berücksichtigung.

3.1.6 Zur Methodik der Erfassung von Terrassen- Was für die aktuellen Kartenversionen gilt, gilt auch für fluren (verkürzt nach einem Manuskript von ihre historischen Vorläufer. Die um 1850 angefertigten Y. Seifert) Feldoriginale der Preußischen Urmesstischblätter (HK 25 FELD-O) und ebenso die ca. zwanzig Jahre später Selten sind ausreichend Zeit und finanzielle Mittel vor- erzeugten Druckversionen der Urmesstischblätter (HK handen, um die historischen Terrassenfluren durch 25 URMTB) können zur Kartierung von Terrassenfluren Feldbegehungen im Detail aufzunehmen. Übersichts- nicht verwendet werden, denn sie enthalten keine Bö- kartierungen wie die hier vorliegende müssen daher schungssignaturen. Erst in den ab 1903 bis in die 1940er ihre Informationen in erster Linie aus Karten und Luft- Jahre durch die Preußische Landesaufnahme erstellten bildern beziehen. Historischen Messtischblättern sind Terrassenfluren mit ihren Stufenrainen durch Böschungssignaturen wie- Karten liefern freilich nur ein vereinfachtes Abbild der dergegeben, die sogar feiner und detailreicher sind als Realität. Da sehr kleine und feinstrukturierte Objekte die der aktuellen Karten gleichen Maßstabs (HK 25 in kleinen Maßstäben (1 : 50 000, 100 000 usw.) zeich- MTB; als Neudruck verfügbar im Thüringer Landesamt nerisch nicht mehr darstellbar sind, unterliegen sie der für Vermessung und Geoinformation; vgl. Abb. 3.1-9). Generalisierung, bei der Höhenlinien, Bodenbedeckun- Da die Mehrzahl der historischen Terrassenfluren in gen und Böschungssignaturen weggelassen oder ver- jener Zeit noch vorhanden gewesen sein muss, erwei- einfacht dargestellt werden (WITTE & SCHMIDT 1995, sen sie sich als ideale Kartengrundlage, um die Verluste S.534). der Folgezeit deutlich zu machen. In der vorliegenden Arbeit wurde die historische Ebene allein aus der HK Bei den modernen Topographischen Karten zeigen 25 MTB ermittelt (zur Methode s. SCHMIDT & MEYER et sich die Folgen der Generalisierung deutlich im Maß- al. 2004). stabssprung von 1 : 10 000 auf 1 : 25 000 (Abb. 3.1- 8 und Abb. 3.1-10). Da die Topographische Karte im Die Darstellung der aktuellen Zeitschicht sollte unbedingt Maßstab 1 : 10 000 in Thüringen als Grundkarte geführt durch Luftbildauswertungen abgesichert werden. Aller- wird, müssen bei allen nachfolgenden, maßstabsklei- dings stimmen die Luftbilder häufig nicht passgenau neren Darstellungen zugunsten der Übersichtlichkeit mit den georeferenzierten Kartenblättern der HK 25 und Lesbarkeit Vereinfachungen vorgenommen werden. MTB überein, so dass es schwierig ist, sie miteinander Schon in den gängigen Topographischen Karten im in Deckung zu bringen. Auch ist die Luftbildkartierung Maßstab 1 : 25 000 sind die Terrassenfluren stark ver- nicht lückenlos möglich. Liegen Stufenraine heute unter gröbert und in geringerer Anzahl dargestellt. Wald, ist eine Erfassung ausgeschlossen. Weil ein ein- zelnes Luftbild nur einen relativ kleinen Kartenausschnitt Ferner ist zu beachten, dass die Karten im Maßstab zeigt und dennoch als große Bilddatei zu laden ist, ist 1 : 25 000 den Grundriss der Elemente nicht mehr de- der Zeitaufwand sehr hoch. tailgetreu wiedergeben. Denn „die Grundrisstreue – dies bedeutet richtige geometrische Darstellung – kann in topographischen Karten “ nur „ etwa bis zum Maßstab 1:10.000 gewahrt werden“ (WITTE & SCHMIDT 1995, S.532).

Zur Ermittlung heute noch bestehender Ackerterrassen (aktuelle Schicht) wird man deshalb bei Verwendung der Topographischen Grundkarten im Maßstab 1 : 10 000 (TK10 N) die genauesten Ergebnisse erzielen (vgl. Abb. 3.1-7 Brehme). Informationsverluste sind aber auch hier zu berücksichtigen, denn entsprechend der Thüringer Zeichenvorschrift werden Einzelsignaturen aufgrund der Signaturgröße nur einmal pro Quadrat-

41 Terrassenfluren und Terrassenlandschaften

Quellen zur Erfassung von Ackerterrassen: Beispiel „Seitenroda/Leuchtenburg“ *)

Abb. 3.1-8: Abb. 3.1-9: Ausschnitt aus TOP10 Seitenroda (TOP10 CD4, 1999; Ausschnitt aus HK 25 MTB Seitenroda, (Messtischblatt Hrsg.: Thüringer Landesamt für Vermessung und Geoinfor- 5135, Preußische Landesaufnahme 1905, berichtigt 1920, mation, bearbeitete Verkleinerung) einzelne Nachträge 1939; Hrsg.: Thüringer Landesamt für Vermessung und Geoinformation, bearbeitete Vergrößerung)

Abb. 3.1-10: Abb. 3.1-11: Ausschnitt aus TK25 N Seitenroda (Kartenblatt 5135, 2. Ausschnitt aus Luftbild Seitenroda (Color-Landesbefliegung Aufl. 1997; Hrsg.: Thüringer Landesamt für Vermessung vom 09.07.1993, Streifen/Bild-Nr. 36/44735629 und 37/ und Geoinformation, bearbeitete Vergrößerung) 44725629, Bildmaßstab 1:10 000; Hrsg.: Thür. Landesanstalt für Umwelt und Geologie, bearbeitete Vergrößerung)

Abb. 3.1-12: Abb. 3.1-13: Ausschnitt aus TK50 N Seitenroda (Kartenblätter L 5134, Ackerterrassen südwestlich Seitenroda (Foto: Yvonne Sei- 2. Aufl. 1998, L 5334, 3. Aufl. 2002; Hrsg.: Thüringer Landes- fert, 11.06.2004) amt für Vermessung und Geoinformation, bearbeitete Ver- größerung) *) bearbeitet von Yvonne Seifert

42 Weinbau und historische Weinbaulandschaften

3.2 Weinbau und historische Weinbaulandschaften

3.2.1 Thüringen als historisches Weinland

Heute ist nur noch wenigen Menschen bewusst, dass Thüringen im späten Mittelalter zu den bedeutendsten Weinbaugegenden Deutschlands zählte. Schätzungen gehen von über 400, vielleicht sogar über 700 einstmals Weinbau treibenden Orten in Thüringen aus (COBURGER 1993, S.51). Insbesondere in thermisch begünstigten Hanglagen des Thüringer Beckens und der großen Flusstäler waren Weinberge früher regelrecht land- schaftsprägend. Abb. 3.2-2: Historische Gemeindesiegel von Jena (1843) und Neuengönna Noch heute findet man an den alten Standorten neben (1888) (aus: COBURGER 1993 b). Resten von Terrassen und Trockenmauern charakteris- tische Pflanzenarten und gelegentlich sogar noch ver- wilderte Weinstöcke, die auf die alte Kultur hinweisen. Ein geschichtlicher Rückblick lässt erkennen, dass die Anfänge des Thüringer Weinbaus vermutlich weit mehr Besonders mit den Zisterziensern hat der Weinbau als 1000 Jahre zurückliegen. dann im 12. Jahrhundert eine intensive Verbreitung erfahren: Im Südharz und in der Goldenen Aue legten Auch wenn aus der frühesten Zeit keine schriftlichen Mönche des Klosters Walkenried in größerer Zahl Wein- Dokumente überdauert haben, halten es Weinbauhis- berge an. Das Kloster Pforta begründete den traditions- toriker durchaus für möglich, dass der Weinbau schon reichen Weinbau an Saale und Unstrut zwischen Naum- nach der Zerstörung des Thüringer Reiches (531) und burg, Freyburg, Kösen und Porstendorf. Auch die dem Vordringen der Franken im 6. Jahrhundert von Zisterzienserklöster Volkenrode (1130), Ichtershausen Rhein- und Mainfranken nach Thüringen kam. Als wahr- (1142), Georgenthal und Stadtilm (1225), die Benedik- scheinlich gilt, dass er sich spätestens mit der Christia- tinerklöster Reinhardsbrunn (1085) und Oldisleben, nisierung und den Klostergründungen seit dem 8. Jahr- das Prämonstratenser-Kloster Ilfeld sowie die Klöster hundert in Thüringen ausbreitete, dass Mönche und Herrenbreitungen (1048), Saalfeld (1071), Schmölln höhere Geistliche die Kenntnisse über Anbau, Pflege (1100), Paulinzella (1106), Bürgel (1133) und Camburg und Kelterei aus den Rheingegenden nach Franken (1190) gehörten zu den Wegbereitern des frühen Wein- und Thüringen mitbrachten. So betrifft die erste urkund- baus in Thüringen (HEINRICH 1990, S.74). liche Erwähnung des Weinbaus im Jahre 786 den Ort Dorndorf (Werra), wo das Kloster Hersfeld Weinland Wein spielte eine große Rolle im klösterlichen Leben, besaß. Auch das 706 auf dem Petersberg in Erfurt ge- da er sich beim Abendmahl in das "Blut Christi" ver- gründete Benediktinerkloster hatte offensichtlich schon wandelte und so von den Mönchen genau wie die Hos- frühzeitig eigene Weinberge. Die auf Veranlassung des tien als Teil seines Leibes zu sich genommen wurde. Erzbischofs von Mainz eingewanderten Winzer grün- Außerdem wurde Wein für die klösterliche Krankenpfle- ge im Hospiz und für die Gästebewirtung gebraucht. deten das Dorf Hochheim (HEINRICH 1990, S.74).

Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit hatten die wohlhabenden und selbstbewussten städtisch-bür- gerlichen Stände die Ausdehnung der Rebkultur über- nommen. Angeregt durch die steigende Nachfrage in den wachsenden Städten erreichte der Weinbau in die- ser Zeit (15. und 16. Jahrhundert) seine äußerste Flä- chenausdehnung in Thüringen. Erfurt besaß mit ge- schätzten 2000 ha die größte thüringische Weinbau- fläche, gefolgt von Jena (rd. 700 ha), Meiningen (rd. 200-240 ha), Stadtilm (rd. 200 ha), Arnstadt (rd. 160-

Abb. 3.2-1: 180 ha), Frankenhausen (rd. 100 ha) und Eisenach Weingärten an der Mühlburg (Drei Gleichen) im 17. Jahrhundert (rd. 75 ha) (BERNUTH 1983, S.8). Insgesamt können es (Staatsarchiv Gotha). mehr als 5000 ha gewesen sein.

43 Weinbau und historische Weinbaulandschaften

Allendorf (Aldendorf; Wartburgkreis, 161): Zisterzienser-, 21): Benediktiner-Mönchskloster; Cronschwitz (Cronspitz, später Benediktiner-Nonnenkloster; Arnstadt (Ilm-Kreis, Cronswitz bei Mildenfurth, Lk Greiz, 168): Augustiner-Non- 90): Benediktiner-Nonnenkloster (Liebfrauenkloster) nenkloster

Berka (Ilm, Lk Weimar-Land, 43): Zisterzienser-Nonnen- Landsendorf (Lk Saalfeld-Rudolstadt, 169); Langensalza kloster; Breitungen (Werra, Lk Schmalkalden-Meiningen, (Unstrut-Hainich-Kreis, 27): Augustiner-Chorherrenstift 162); Bürgel (Saale-Holzland-Kreis, 67): Benediktiner- Doppelkloster Mildenfurth (Lk Greiz, 170): Prämonstratenser-Mönchsklos- ter; Milz (bei Römhild; Lk Hildburghausen, 171): Benedik- Eisenach (Kreisfreie Stadt, 110): Augustiner-Chorherrenstift, tiner-Nonnenkloster Benediktiner-Nonnenkloster (Nikolaikloster), Dominikaner- Mönchskloster, Zisterzienser-Nonnenkloster (Katharinen- Oldisleben (Kyffhäuserkreis, 85): Benediktiner-Mönchsklos- kloster); Eisenberg (Saale-Holzland-Kreis, 51): ursprünglich ter (Veitskloster); Orlamünde (Saale-Holzland-Kreis, 18): Zisterzienser-Mönchs-, seit 1219 Nonnenkloster (Petriklo- Wilhelmiten-Mönchskloster ster); Erfurt (Kreisfreie Stadt, 29): Benediktiner-Mönchs- kloster (St. Peterskloster), Benediktiner-Chorherrenstift Paulinzella(e) (Lk Saalfeld-Rudolstadt, 155): Benediktiner- (Marienstift), Augustiner-Chorherrenstift Doppelkloster

Frankenhausen (Kyffhäuserkreis, 148): Zisterzienser-Non- Reinhardsbrunn (Lk Gotha, 36): Benediktiner-Mönchsklos- nenkloster; Frauenbreitungen (Lk Schmalkalden-Meiningen, ter; Roda (bei Jena, Saale-Holzland-Kreis, 34): Zister- 162): Augustiner-Nonnenkloster; Frauenpriesnitz (Saale- zienser-Nonnenkloster, Rohr (Lk Schmalkalden-Meiningen, Holzland-Kreis, 163): Zisterzienser-Nonnenkloster; Frau- 173): Benediktiner-Nonnenkloster ensee (Wartburgkreis, 164): Zisterzienser-Nonnenkloster Saalburg (Saale-Orla-Kreis, 174): Zisterzienser-Nonnen- Georgenthal (Lk Gotha, 57): Zisterzienser-Mönchskloster kloster (Zum Heiligen Kreuz); Saalfeld (Lk Saalfeld-Rudol- (St. Georg) stadt, 17): Benediktiner-Mönchskloster (St. Peter); Saalfeld/ Stadtilm (Lk Saalfeld-Rudolstadt bzw. Ilm-Kreis, 17/111): Heringen (Lk Nordhausen, 75): Zisterzienser-Mönchskloster; Zisterzienser-Nonnenkloster (St. Nikolaus), 1274 nach Heusdorf (Lk Weimar-Land, 68): Benediktiner-Nonnen- Stadtilm verlegt; Stadtroda (Saale-Holzland-Kreis, 172): kloster; Homburg (Unstrut-Hainich-Kreis, 27): Benediktiner- Zisterzienser-Nonnenkloster; Sulza (Lk Weimar-Land, 50): Nonnenkloster, seit 1136 Benediktiner-Mönchskloster Augustiner-Chorherrenstift (Peters-Stift)

Ichtershausen (Ilm-Kreis, 31): Zisterzienser-Nonnenkloster; Teistungenburg (Lk Eichsfeld, 175): Zisterzienser-Nonnen- Ilfeld (Lk Nordhausen, 165): Predigerorden der Prämon- kloster stratenser Veilsdorf (Lk Hildburghausen, 176) (Michelstein): Bene- Jechaburg (Kyffhäuserkreis, 166): Augustiner-Chorherren- diktiner-Nonnenkloster, seit 1446 Benediktiner-Mönchs- stift; Jena (Kreisfreie Stadt, 34): Dominikaner, Augustiner kloster; Veßra (Lk Hildburghausen, 141): Predigerorden der Prämonstratenser, zuerst Doppelkloster, seit 1175 Kapellendorf (Capellendorf; Lk , 69): Zister- Mönchskloster; Volkenroda(e) (Unstrut-Hainich-Kreis, 128): zienser-Nonnenkloster; Kaulsdorf (Lk Saalfeld-Rudolstadt, Zisterzienser-Mönchskloster

Tab. 3.2-1: Weinanbauende Klöster, Stifte und Orden. Nummern siehe Karte 3 (aus: COBURGER 1993).

Auch Saalfeld, Sangerhausen, Langensalza, Sonders- In der Blütezeit gab es in den Weinorten fast keinen hausen, Rudolstadt, Mühlhausen, Nordhausen, Kahla, Hügel ohne Weinstock. Waren die ersten Rebstöcke Orlamünde und Camburg waren ausgesprochene Wein- noch auf flachen Hängen und sogar in ebenem Gelände städte. Nicht wenige Orte hatten die Rebe ins Gemein- gepflanzt worden, kultivierte man jetzt auch die Steil- desiegel oder -wappen übernommen. In Jena ist das hänge. Wein benötigt einen trockenen und leicht er- heute noch der Fall (Abb. 3.2-2). wärmbaren Boden. Bevorzugt wurden die südexponier- ten trockenwarmen Muschelkalk- und Röthänge. Aber Wein galt in dieser Zeit als Volksgetränk. Seine bevor- selbst auf Nordhängen war er anzutreffen. Nicht einmal zugte Stellung erklärt sich aus der langen Haltbarkeit die Höhenlage hatte in dieser klimatisch offenbar be- und dem belebenden Geschmack gegenüber dem günstigten Zeit die limitierende Bedeutung wie in den ebenfalls beliebten und verbreiteten, aber nur begrenzt späteren (kühleren) Jahrhunderten. So ist im Thüringi- haltbaren Bier. Da Branntwein, Kaffee und Kakao noch schen Schiefergebirge historischer Weinbau bis in eine nicht bekannt waren, wurde Wein zum begehrten Han- Höhe von rd. 500 m nachgewiesen ("Weinhübl" bei delsgut und Weinbergbesitz in manchen Lagen, z.B. Oberböhmsdorf). Auch für das Gebiet um Schleiz und am Jenzig in Jena, zum Statussymbol. Saalburg ist er durch Flurnamen belegt.

44 Weinbau und historische Weinbaulandschaften

Seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, verstärkt 3.2.2 Verbreitung im 17. und 18. Jahrhundert, mehren sich die Hinweise, Über den historischen Weinanbau in Thüringen liegt dass Rebflächen aufgelassen oder gerodet und in an- eine umfangreiche Literatur vor. Dennoch ist aufgrund dere Nutzungen umgewandelt wurden. Verschiedene der lückenhaften Primärquellen eine zuverlässige Aus- Ursachen werden für den Niedergang des Thüringer sage über die genaue Lokalisierung des einstigen Weinbaus verantwortlich gemacht. Weinbaus nur bedingt möglich. Die Klimaverschlechterung der sog. "Kleinen Eiszeit" führte seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zu strengeren Die folgende Übersicht stützt sich vor allem auf BERNUTH Wintern und ließ die Erträge wegen der höheren Frost- (1983), COBURGER (1993, 1993b), DEUBLER (1959, 1998), gefährdung immer unsicherer werden. HEINRICH (1990) und SCHINKEL (2002).

Hinzu kamen die verheerenden Folgen des Dreißigjäh- Mit Ausnahme der höheren Lagen der Mittelgebirge rigen Krieges. Sie beschleunigten den Verfall der Reb- hatte sich der Weinbau in seiner Blütezeit in fast alle kulturen, weil viele der einstmals ertragreichen Wein- Regionen des Landes ausgebreitet. Schwerpunkte bis berge wegen des Fehlens der Arbeitskräfte nicht mehr hin zu regelrechten Weinbaulandschaften lagen natur- bewirtschaftet werden konnten, so dass sie "leede" gemäß an den Hängen der Flusstäler und großen Nie- oder "leite" lagen und sich nur noch als Schafweide derungen: an der Mittleren Saale von Saalfeld bis zur nutzen ließen (SCHINKEL 2002, S.44). heutigen Landesgrenze (und darüber hinaus), im unte- ren Ilmtal, im Thüringer Becken im Zuge des Geratals Bodenökologische Verschlechterungen, wie die zuneh- sowie entlang der Unstrut- und Helbeniederung, außer- mende Rebenmüdigkeit des Weinlandes oder die Bo- dem im südlichen Vorland des Thüringer Waldes im denerosion, beschleunigten den Niedergang des Wein- gesamten Verlauf der Werratalung von Veilsdorf im baus. Mit der Konkurrenz ausländischer Weine und Südosten bis Dorndorf im Nordwesten. Im Werratal den Ertragssteigerungen in der übrigen Landwirtschaft dehnte sich der Rebanbau schon seit frühester Zeit (Kartoffel-, Getreidebau) wurde der arbeitsintensive aus (Dorndorf 786), wobei die Klöster als Wegbereiter Weinanbau vielerorts unwirtschaftlich. eine große Rolle spielten (Klöster Allendorf, Breitungen, Rohr, Veßra, Veilsdorf). In Nordthüringen erstreckten Etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden immer sich Weingärten entlang der Goldenen Aue (z.B. Nord- mehr Weinberge gerodet, mit Obst oder Hopfen bestellt hausen), am Kyffhäuser und in der Helme-Unstrut-Nie- oder aufgelassen. Verschiedentlich wurde zwischen derung (z.B. „Weinberg“ in Artern). Dort ging der Wein- 1800 und 1850 nochmals eine "Beförderung des Wein- bau von Besitzungen der Klöster Walkenried, Pforta baus" versucht, doch ohne besonderen Erfolg (HEINRICH und Oldisleben aus (Nachweise in Steinthalleben 1990, S.75). Wie die Übersichtskarte (Karte 3) zeigt, [„Mönchsberg“], Bad Frankenhausen, Rottleben, Kach- hatten von den zahlreichen Orten mit historisch über- stedt, Oldisleben, Hemleben, Bendeleben, Kachstedt, liefertem Weinanbau um die Mitte des 19. Jahrhunderts Kelbra, Nausitz; SCHMÖLLING 1993) . nur noch ganz wenige Rebflächen in ihren Feldfluren. Rebstock- und Traubenkrankheiten wie der Mehltau Innerhalb des Thüringer Beckens stockte die Rebe auf (ab 1860) und die Reblaus (ab 1875) bereiteten das den Hängen der Keuperhügel und kleineren Flusstäler. definitive Ende der traditionsreichen Kultur. Die Umgebungen von Erfurt, Arnstadt, Gotha, Mühl-

Abb. 3.2-3: Weingärten (hellgrau) und Streuobstplantagen (punktiert) als Folgekultur bei Hopfgarten um 1850 (Preußisches Urmess- tischblatt, Feldoriginal, Blatt 2934 Weimar; Origi- nalmaßstab 1 : 25 000, verkleinert, Nachdruck des Thüringer Landes- amtes für Vermessung und Geoinformation).

45 Weinbau und historische Weinbaulandschaften

hausen, Langensalza und Tennstedt sowie das Wei- melshain gleich "im Fuder" orderten (COBURGER 1993, marer Land waren besonders durch Rebhänge geprägt. S.44). Zum Teil wurden die Weinberge dort noch bis ins 19. Jahrhundert hinein bewirtschaftet. Selbst im oberen Saaletal wurden bei Reschwitz (seit 1114), Breternitz, Fischersdorf, Tauschwitz und Kaulsdorf Als größte thüringische Weinstadt wurde Erfurt im 14. auf den sonnenwarmen Südhängen Weingärten unter- und 15. Jahrhundert von einer wahren Weinlandschaft halten. Auf den Feldoriginalen der Preußischen Lan- desaufnahme sind sie noch dargestellt, ebenso wie die umgeben. Der Weinbau übertraf in seiner wirtschaftli- weit im Schiefergebirge liegenden Weinberge bei Leu- chen Bedeutung zeitweilig den Waidanbau. Wolfram tenberg. Reschwitz und Breternitz trugen sogar die von Eschenbach erwähnte schon bald nach 1203 im Weintraube im Gemeindesiegel. Parzival "Erffurter wingarte" (HEINRICH 1990, S.74). Na- hezu alle Anhöhen innerhalb und rund um die Stadt Unterhalb von Saalfeld gab es Weinberge bei Preilipp trugen die Rebe. Von Hochheim zogen sich Weinkul- (1047 urkundl. erw.) und bei Dorfkulm, an die nicht nur turen an den Muschelkalkhöhen des steilen linken Ge- alte Steinmauern, sondern auch der Name "Weinberg" raufers bis in das gartenreiche Brühl. Dort drangen sie erinnern. In Dorfkulm reichten sie bis in eine Höhe von sogar bis in den innersten Mauerring vor. Auch die rd. 400 m. Bei dem großen Bergsturz im Jahre 1588 Hänge des Petersberges, des Galgenberges und der wurden diese Anlagen weitgehend vernichtet (DEUBLER Daberstedter Höhen trugen Weinstöcke. In der Be- 1998). Nicht weit entfernt war Blankenburg ein bedeu- ckenlandschaft nördlich Erfurt lassen sich Weinberge tender Weinbauernort, der wesentliche Impulse dem auf dem Gipskeuper der Schwellenburg und den Fah- Zisterzienserkloster Saalfeld und dem Kloster Paulinzella nerschen Muschelkalkhöhen nachweisen, weiter nörd- verdankt. Beide Klöster besaßen dort Weingärten. Nach lich auf Keuperhügeln bei Gebesee, Berlstedt, Kölleda Westen setzte sich die Kette der Rebhänge weiter in und Greußen. 1417 werden Weinberge bei Ebeleben das Rinnetal bis nach Königsee und wohl auch in das erwähnt. Noch um 1793 gab es Weinbau bei Walschle- Tellbach- und das Rottenbachtal fort. ben, Mölsen, Ollendorf, Hopfgarten, Schwerborn, Nie- derzimmern, Töttleben, Marbach, Witterda, Vargula, Saaleabwärts spielte der Weinbau in Rudolstadt und Dachwig, Vippach und Brembach. Die letzte größere Umgebung eine bedeutende Rolle. Aus dem Saaletal Weinlese fand 1876 in Hopfgarten statt. Damals be- zogen sich umfangreiche Rebpflanzungen auf die Hän- standen hier noch 33 Weingärten (LIEBESKIND 1912). ge bei Volkstedt und Zeigerheim, weiter nach Westen in das Schaalbachtal bis Keilhau. Bis zur zweiten Hälfte Einen ebenfalls bedeutenden Weinbau hatte das Erfurt des 18. Jahrhunderts war dieses Tal ein reicher Wein- benachbarte Arnstadt zu verzeichnen. Sowohl die Mu- schelkalkhänge der Zahmen und Wilden Gera im Süden der Stadt als auch die Keuperberge im nördlichen Vor- land trugen Weingärten. Im Nordwesten waren die im Weinbau- Urkundl. Bemerkungen gebiet Nachweis Zuge der Eichenberg-Saalfelder Störung verlaufenden Keuperhöhen um Haarhausen und Holzhausen fast Obere Saale 1114-1888 Wiederaufnahme 1919/1920 vollständig mit Reben bestockt, z.B. der Haarhäuser Saalfeld 1071-1846 letzter Weingarten in Obernitz Weinberg, der Rote Berg, die Unterhänge der Wach- senburg und der Arnstädter Weinberg. Flurnamen wie Preilipp-Kulm 1074-1846 vereinzelt bis Ende "Essigkrug", "Himmelreich" oder "Goldacker" deuten 19. Jahrhundert noch heute darauf hin. Auch im Jonastal bis Gossel Blankenburg- 1267-1756 1810 letzter Weinberg bei und Crawinkel sowie im Geratal von Siegelbach über Zeigerheim Zeigerheim gerodet Plaue bis hinauf nach Gräfenroda hatte fast jedes Dorf seine Weingärten. Schon 1215 bestätigte Papst Inno- Schaalbachtal 1489-1769 bis Ende 18. Jahrhundert bedeutende Nutzung cenz III. dem Kloster Georgenthal Güter in Siegelbach bei Arnstadt mit vollen Weinbergen. Rudolstadt 1404-1869 vereinzelt bis Mitte 19. Jahr- hundert Das in sich geschlossenste und zugleich bedeutendste Wüstebachtal 1489-1710 historische Weinbaugebiet Thüringens erstreckte sich an der Mittleren und Oberen Saale von der Landes- Saaletal 1404-1789 vereinzelt länger grenze bei Camburg über Dornburg, Jena bis hinauf Hexengrund 1194-1731 vereinzelt länger nach Rudolstadt und Saalfeld. Der Saalfelder Weinbau wurde 1051 erstmals erwähnt. Saalfelder Wein war bei Tabelle 3.2-2: den Sächsischen Herzögen so begehrt, dass sie ihn Zeiten des Weinbaus in der Rudolstädter Gegend (aus: DEUB- bei ihren Aufenthalten im fürstlichen Jagdschloss Hum- LER 1959)

46 Weinbau und historische Weinbaulandschaften garten. Selbst auf dem Muschelkalkplateau von Lich- sein, dass beim Bau der "Kemenate", dem Sitz des stedt und Groschwitz gab es über 400 m hoch gelegene gleichnamigen Grafengeschlechts, der Kalk nicht mit Weinberge, am Kunitzberg sogar in fast 500 m Höhe. Wasser, sondern mit Wein angerührt wurde (BERNUTH An den Südhängen des Rudolstädter Rinnetals zogen 1983, S. 26). Der benachbarte Hexengrund war beson- sich Rebpflanzungen bis zum Großen Kalm bei Remda ders reich an Weingärten, woran vermutlich auch und bis zu den Muschelkalkbergen zwischen Heilsberg dessen Name erinnert (Hecker = Weinbergarbeiter). und Teichel. Auch im Saaletal zwischen Rudolstadt und Im Talkessel von Heilingen, bei Dorndorf, Rödelwitz, Orlamünde gab es an zumeist südexponierten Berg- Engerda, Neusitz und Schmieden wurden ausgedehnte hängen Weinberge in großer Zahl, vor allem in Kirch- Weinkulturen unterhalten. Vor allem der Anstieg des hasel, Etzelbach, Uhlstädt und Zeutsch. Rechts der Rötsockels zu den Muschelkalkbergen war dicht mit Saale lagen einzelne Weinberge an der Weißenburg Rebpflanzungen besetzt. Auch Dienstädt, Eichenberg in Weißen und in Kolkwitz. und Kleinbucha waren Winzerdörfer, ebenso das kleine Winzerla (Name!). An vielen Stellen fallen in der Region auch heute noch Relikte des einstigen Weinbaues auf: alte Weinbauter- Saaleabwärts gab es Weinberge bei Naschhausen und rassen, Trockenmauern, verwilderte Rebstöcke. Weitaus Großeutersdorf, bei Kahla an der Leuchtenburg und größer ist die Zahl der Flurnamen, die auf die ehema- am Dohlenstein bis Seitenroda und Seitenbrück, links- ligen Rebflächen hinweisen. Deubler (1959) schreibt saalisch im Reinstädter Grund. An den Berghängen dazu: "In 28 Gemarkungen des Kreises Rudolstadt be- zwischen Kahla und Rothenstein befanden sich Wein- gegnen die Flurnamen "Weinberg" und "Weinberge" berge, ebenso wie in den Holzlandorten Bockedra, Schlö- (in einigen Gemarkungen mehrere Male !), nämlich in ben und Schleifreisen. Westlich der Saale waren Alten- Allendorf, Ammelstädt, Altremda, Dorndorf, Eichfeld berga, Altendorf und Schirnewitz einst Weinbauerndör- [ ], Engerda, Etzelbach, Geitersdorf, Großgölitz, Hei- fer, desgleichen Maua am Ausgang des Leutratals. lingen [..], Kleingölitz, Königsee, Milbitz b. Teichel [ ], Oberhasel, Pflanzwirb- ach, Oberpreilipp, Rödelwitz, Rotten- bach, Rudolstadt, Schwarza, Solsdorf, Sundremda, Teichröda, Uhlstädt, Volk- stedt, Watzdorf, Zeigerheim, Zeutsch. ..Auch die Namen "Weingarten" (Gei- tersdorf und Teichröda) und "Weintal" (Bechstedt und Schaala) können ver- merkt werden" (S.192). Der Flurname "Himmelreich" "begegnet im Kreis Ru- dolstadt in den Gemarkungen Allen- dorf, Altremda, Blankenburg, Dorndorf, Kolkwitz, Lichta, Oberhain, Partsche- feld, Remda, Schwarza, Weißen und Uhlstädt" (S.193).

Weiter nördlich war Orlamünde Zen- trum eines intensiv betriebenen Wein- baues. Wenn man der Volkssage Glauben schenken darf, muss dort um 1062 so viel Wein gewachsen

Abb. 3.2-4: Kulturlandschaft bei Jena mit Weingärten (dunkelgrau) und Hutungen (hellgrau) auf dem damals kahlen Landgrafen-Berg um 1850 (Preußisches Urmesstischblatt, Feld- original, Blatt 2936 Jena; Originalmaßstab 1 : 25 000; farbiger Nachdruck des Thü- ringer Landesamtes für Vermessung und Geoinformation).

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In Jena waren die Südhänge der kleinen Seitentäler Meiningischen Orten Helba, Welkershausen, Wasungen reich mit Reben besetzt, vor allem bei Winzerla und und sogar in dem zu Hessen gehörenden Schmalkalden um das ehemalige Winzerdorf Ammerbach. Rechts der wurde Wein angebaut. Das Kloster Allendorf und Dorn- Saale bedeckten Rebgärten die Hänge bei Lobeda und dorf wurden schon früher genannt. Drackendorf. In großer Zahl gab es sie an der Südseite der Kernberge bei Wöllnitz und in das Pennickental Damit wäre die Aufzählung des historischen Weinbaus hinein, am Hausberg bei Ziegenhain, auf der anderen im Wesentlichen abgeschlossen. Darüber hinaus gab Seite der Saale am Landgrafen und an den Sonnen- es noch einige kleinere Gebiete in Ostthüringen, in de- bergen. Auch die Südhänge des Jenzigs im Gemdental nen, zumeist über kurze Zeiträume, Weinbau betrieben waren mit Weinkulturen überzogen, desgleichen die wurde. So sind Weingärten in der Orlasenke bei Pöss- Hänge am Jägersberg bei Zwätzen, wo noch heute neck, im Altenburger Land bei Altenburg, Meuselwitz, Wein angebaut wird. Zechau, Starkenberg und Windischleuba sowie bei Ei- senberg nachgewiesen, die aber schon im 15. Jahr- hundert wieder aufgegeben wurden. Auch im Elstertal Jena ist das Zentrum des Weinanbaus im Mittleren um Gera, Bad Köstritz und Crossen (bis Zeitz) sowie Saaletal gewesen. 1542 gab es fast 500 Weinbergsbe- bei Hohenleuben sind Weinberge belegt (HEINRICH 1990). sitzer, sodass der Weinbau in jener Zeit zum wichtigsten Erwerbszweig wurde. Trotz seines herben Geschmacks Selbst im klimatisch rauhen Eichsfeld gab es Weinberge, fand der Wein nicht nur bei den Studenten und Profes- z.B. bei Dingelstedt und Bodenrode, ebenso wie in der soren der Universität reichlich Abnehmer. Er wurde Rhön „bis an den Rand des Hochplateaus“ (KRAMM auch in viele Orte außerhalb Thüringens ausgeführt. 2002, S.39). Die Stadt betrieb den umfangreichsten Weinhandel aller thüringischen Städte. 3.2.3 Bedeutung für Landschaftsplanung und Nördlich von Jena erstreckte sich ein großes, zusam- Naturschutz menhängendes Weinbaugebiet weit hinauf in das Gleis- tal. Rebpflanzungen zogen sich dort am Südrand der Weinberge sind wie kaum eine andere Kultur land- Muschelkalkstufe des Tautenburger Waldes auf Röt- schaftsprägend. Dies ist häufig selbst dann der Fall, und Kalkhängen von der Hohen Lehde bei Golmsdorf wenn längst keine Rebe mehr wächst. Besonders auf- bis zur Poxdorfer Höhe und von dort weiter bis Bürgel. fällig sind die Weinbergsterrassen. Sie verlaufen in der Noch um 1850 sind zwischen Golmsdorf und Graitschen Regel hangparallel. Häufig werden die Stufen von Tro- auf dem Historischen Messtischblatt Weingärten ver- ckenmauern gestützt. Kleine Steinbrüche bezeugen zeichnet. In Graitschen gibt es sie noch heute. dann, dass als Baumaterial unmittelbar in der Nähe gewonnene Bruchsteine verwendet wurden. Auf und zwischen den Terrassen sind sog. Steinritschen stel- Auch westlich der Saale gab es Weinanbau bei Por- lenweise noch gut zu erkennen. Ihrem Ursprung nach stendorf und bei Neuengönna im Nerkewitzer Grund. Lesesteinwälle, markierten die rippenartigen, hangab- Weiter nördlich begleiteten Weingärten dann in dichter wärts gerichteten Strukturen einst zusätzlich die Grund- Folge die Talhänge von Dornburg bis nach Großherin- stücksgrenzen der Weingärten. An langjährigen Wein- gen. Die lange Weinbautradition wird in Neuengönna, anbau erinnern auch Weinkeller bzw. deren Reste, fer- Dornburg und Camburg bis heute fortgeführt. Die dor- ner Weinbergshäuschen, in denen Geräte für die Pflege tigen Weingärten sind die südlichsten Ausläufer des der Rebbestände und für die Weinlese aufbewahrt großen Weinbaugebietes um Bad Kösen, Naumburg wurden. und Freyburg. Während Terrassen, Steinriegel oder Trockenmauern Zu den bedeutenderen historischen „Weinlandschaften“ in der Landschaft teilweise auch heute noch deutlich Thüringens muss auch das Werratal gezählt werden. ins Auge fallen, lassen sich weinbergstypische Beson- „Dem Werratal fehlte im fünfzehnten und sechzehnten derheiten in der Biotopstruktur und im Artenbesatz erst Jahrhundert fast nirgends der Weinstock, und die meis- bei näherer Betrachtung erschließen. ten der nach Süden und Westen geneigten Hügel und Berge waren mit ihm besetzt, wofür schon die berühm- Aufgelassene Weinberge gewähren aufgrund ihrer spe- ten Klöster Fulda und Hersfeld gesorgt hatten“ (KUNZE zifischen Nutzungsgeschichte heute vielen, teils be- 1928; zit. in SVOBODA 2002, S. 42). Ausgedehnt waren drohten Pflanzenarten Lebensraum. Dies gilt für die die Weingärten in der Flur Römhild und an den Ausläu- einst angebauten und mittlerweile verwilderten Kultur- fern des Großen Gleichberges; es gab sie in Veilsdorf pflanzen ebenso wie für die natürliche Folgevegetation. auf der linken und in Tachebach auf der rechten Wer- raseite. Meiningen besaß umfangreichen Weinanbau Die mittelalterlichen Weinberge hatten ein ganz anderes auf sämtlichen umliegenden Höhen. Auch in den drei Aussehen als die modernen Hochleistungskulturen:

48 Weinbau und historische Weinbaulandschaften

"Im Grunde genommen war der mittelalterliche Weinberg eine Mischung von Rebkultur, Obstzucht und Gartenbau. Die Stöcke standen meist nicht in Reihen, sondern ungeordnet durcheinander, und sie standen auch viel dichter als heutzutage, etwa doppelt so dicht. Im Berg standen die Sorten im "gemischten Satz" bunt durch- einander: frühe und späte, herbe und liebliche, nicht selten auch weiße und rote. Sie wurden für gewöhnlich auch allesamt zur gleichen Zeit geerntet, und der aus- gepresste Most kam in das gleiche Fass Als Folge der Halbpacht, der sozialen Lage der Winzer und der immer wiederkehrenden Missernten wurde im Weinberg alles Mögliche gepflanzt, was Mensch und Haustieren als Nahrung dienen konnte. .. Gras brauchten sie Abb. 3.2-6: für ihre Ziegen und anderes Vieh als Grünfutter und Weinberg im Saaletal bei der Leuchtenburg (Foto: R. Meyer Heu .. Großen Wert legte man auch auf die nach- 2005). wachsenden Rebtriebe und das Laub . Triebe und Laub dienten als Viehfutter, dürre Zweige als Feuerung. Flächen ansiedelten oder zum Teil auch auf den Be- Viele Winzer pflanzten zwischen die Rebstöcke grenzungsstreifen angepflanzt wurden, recht zuverläs- Spargel und anderes Gemüse, Beerensträucher und sige Indikatoren ehemaliger Weinberge. sogar Obst-bäume. So wurden im Weinberg Erdbee- ren, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Himbeeren und "Auf den vorherrschenden Muschelkalkböden sind das selbst Kürbisse gezogen. Die Erdbeere vertrug sich in der Strauchschicht: Jelängerjelieber (Lonicera capri- dabei am besten mit der Rebe Aber auch Gurken, folium), Berberitze (Berberis vulgaris), Gemeine Mispel Bohnen, Salat, Kohl, Rüben, Möhren und Runkelrüben (Mespilus germanica), Flieder (Syringa vulgaris), Feld- teilten sich den Platz mit der Rebe. Zu den Obstbäu- ahorn (Acer campestre) und Wildrosen (Rosa canina men im und am Weinberg gehörten Pfirsiche, Quitten, spec.). In der Krautschicht weisen Kamm-Wachtelwei- Mispeln, Lamperts-Nüsse, Äpfel, Birnen, Kirschen, zen (Melampyrum cristatum), Gelber Zahntrost (Orthanta Pflaumen und Aprikosen Gern wurden Holundersträu- lutea), Kletten-Igelsame (Lappula squarrosa), Stinkende cher gesetzt, deren Beeren man als zusätzliches Fär- Nieswurz (Helleborus foetidus) und Bienenragwurz bemittel für den Wein schätzte. Rotwein wurde im Mit- (Ophrys apifera) auf ehemalige Rebkulturen hin. Gerade telalter dem Weißwein vorgezogen. Später wurden bei der letzten Art decken sich heute bekannte und auch Kartoffeln im Weinberg angepflanzt. Als Garten- kartierte Fundorte oft mit der Lage nicht aufgeforsteter pflanze war die Kartoffel schon 1721 in Thüringen be- ehemaliger Weinberge. Selten findet man noch die Os- kannt" (zit. aus COBURGER 1993, S.45-47). terluzei (Aristolochia clematis). Auf den Keuper- und Gipshügeln des Gleichengebietes sind auch heute Mitunter sind Relikte der genannten Kulturpflanzen auf noch u.a. die Pannonische Katzenminze (Nepetta nuda) ehemaligen Weinbauflächen noch zu finden. Darüber an der Ruine Gleichen und die Zottige Fahnenwicke hinaus sind aber auch Wildpflanzen, die sich auf den (Oxytropis pilosa) an der Wachsenburg als "Weinbergs- anzeiger" anzutreffen" (SCHINKEL 2002, S.47).

Auffällig ist auch die Übereinstimmung der Fundorte von Wein-Raute (Ruta graveolens l.) und Wildvorkom- men der Echten Weinrebe (Vitis vinifera l.) mit der Ver- breitung der historischen Weinkulturen (KORSCH et al. 2002; vgl. Karte 3).

In der Konsequenz bieten ehemalige Weinberge dank der geschilderten Artenvielfalt nicht nur Refugien für selten gewordene Pflanzenarten, sondern auch reich strukturierte Schutz-, Nahrungs- und Bruthabitate (Vö- geln, Reptilien, Schmetterlinge, Insekten). Darüber hinaus leisten die noch bestehenden Terrassen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Bodenschutz Abb. 3.2-5: Aufgelassene Weinbergterrassen mit Trockenmauern bei (Abstützung der Hänge, Verminderung der Wasserero- Remda (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt) (Foto: H.-H. Meyer sion) und zur Grundwassererneuerung (Erhöhung des 2005). Einsickerpotenzials).

49 Weinbau und historische Weinbaulandschaften

Ihre landschaftsgeschichtliche Bedeutung liegt in der 3.2.5 Tabellarische Übersichten Dokumentation einer einst für viele Regionen Thüringens wirtschaftlich bedeutenden Sonderkultur. Nr. Ort (Landkreis) Jahr

8. Jahrhundert 3.2.4 Weinbau heute 1 Dorndorf (Wartburgkreis) 786 Wenngleich der Weinbau heute ökonomisch keine Rol- le mehr spielt, so darf man nicht verkennen, dass im 10. Jahrhundert Zuge der Traditionspflege mittlerweile an verschiedenen Orten in Thüringen wieder Weingärten eingerichtet 2 Dornburg (Saale-Holzland-Kreis) 965 3 Brüheim (Brohem; Lk Gotha) 973 worden sind, die sich im Gefolge der prognostizierten 4 Burgtonna (Lk Gotha) 973 Klimaerwärmung sogar längerfristig wirtschaftlich tragen 5 Creuzburg (Cruciburg; Wartburgkreis) 973 könnten (s. Tab. 3.2-3). Einige davon sind auch kom- 6 Dachwig (Thachebechi; Lk Gotha) 973 merzielle Lagen. 7 Heilingen (Helinge; Lk Saalfeld-R) 973 8 Körner (Corneri; Unstrut-Hainich-Kreis) 973 9 Ostmihla (Ostmilingi; Wartburgkreis) 973 aktueller Weinbau in: 10 Rockstedt (Rokkestedi; Kyffh.kreis) 973 11 Salzungen (Wartburgkreis) 973 • Oberpreilipp (20) 12 Tüngeda (Dungedi; Wartburgkreis) 973 • Bad Blankenburg (109) 13 Walschleben (Ualesleba; Lk Sömm.) 973 • Winzerla bei Orlamünde (49) 14 Nordhausen (Lk Nordhausen) 984 • Bereich Jena: Ammerbach (115), Zwätzen (38), nördl. 15 Hechendorf (Heuchonthorf; Kyffh.kr.) 998 Golmsdorf (197) 16 Wiehe (Uihi; Kyffhäuserkreis) 998 Einzellagen: 11. Jahrhundert • Sonnenberg bei Bad Sulza (50) • Kaatschener Dachsberg bei Großheringen (76) 17 Saalfeld (Salauelda, Salavelt; Lk S.-R.) 1051 • Jenaer Käuzchenberg (34) 18 Orlamünde (Saale-Holzland-Kreis) 1094 • Dornburger Schloßberg (2) 19 Schmölln (Schmöllen; Saale-Holzl.-Kr.) 1066 • Neuengönnaer Wurmberg (191) 20 Oberpreilipp (prilop; Lk Saalfeld-R.) 1071/74 • Auerstedter Tamsel (196) 21 Kaulsdorf (Chulisdorff; Lk Saalfeld-R.) 1074 • Dorndorfer Ermtal (106) 22 Tiefthal (Stadt Erfurt) 1075 • Großvargulaer Hopfenberg (195) 23 Obertopfstedt (Kyffhäuserkreis) 1089 24 Niedertopfstedt (Kyffhäuserkreis) 1089 Tabelle 3.2-3: 25 Clingen (Klingen; Kyffhäuserkreis) 1089 Gemeinden und Einzellagen mit aktuellem Weinbau. Zierpflan- 26 Kyffhausen, Kyffhäuser (Kyffhäuserkr.) 11. Jh. zungen nicht enthalten. Nummern s. Tabelle 3.2-4, 3.2-5 und 27 Langensalza (Unstrut-Hainich-Kreis) 11. Jh. Karte 3 (Quelle: Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau 28 Schlosskulm (Lk Saalfeld-Rudolstadt) 11. Jh. [LVG] 2005 und eigene Recherchen). 12. Jahrhundert

Weinbau um 1850 29 Erfurt (Kreisfreie Stadt Erfurt) 1121 30 Uthleben (Lk Nordhausen) 1139 Dornburg (2), Creuzburg (5), Tiefthal (22), Erfurt (29), Jena 31 Ichtershausen (Ilm-Kreis) 1142 (34), Porstendorf (37), Camburg (40), Winzerla (48), Sulza 32 Crossen (Krossen; Saale-Holzland-Kr.) 1147 (50), Beutnitz (72), Döbritschen (73), Lobdeburg (92), Gis- 33 Dingelstädt (Dingelstedt; Lk Eichsfeld) 1157 persleben (93), Kleinbrembach (94), Dorndorf (106), Steud- 34 Jena (Jani; Kreisfreie Stadt Jena) 1158 nitz (107), Weißensee (123), Gorsleben (134), Günstedt 35 Gebesee (Lk Sömmerda) 1167 (143), Graitschen (146), Frankenhausen (148), Hopfgarten 36 Reinhardsbrunn Kloster (Lk Gotha) 1174 (149), Kahla (159), Schlaga (167), Nägelstädt (177), Bad 37 Porstendorf (Borsendorph; S.-Holzl.-Kr.) 1177 Tennstedt (178), Herrnschwende (179), Nausiß (180), Bil- 38 Zwätzen (Kreisfreie Stadt Jena) 1182 zingsleben (181), Düppel (182), Battgendorf (183), Vogels- 39 Isserstedt (Iserstedt; Kreisfr. Stadt Jena) 1183 berg (184), Schwerborn (185), Roter Berg (186), Kerspleben 40 Camburg (Louvethe; S.-Holzland-Kreis) 1185 (187), Marbach (188), Niederzimmern (189), Utzberg (190), 41 Bodenrode (Lk Eichsfeld) 1188 Neuengönna (191), Schirnewitz (192), Altenberga (193), 42 Berka (Wipper) (Kyffhäuserkreis) um 1190 Obernitz (194) 43 Berka (Ilm) (Lk Weimar-Land) 1190 44 Dienstädt, Dienstedt (S.-Holzland-Kreis) 1194 Tabelle 3.2-4: 45 Kleinbucha (Saale-Holzland-Kreis) 1194 Ortschaften mit Weinbau um 1850 (Quelle: Feldoriginale der 46 Neusitz (Lk Saalfeld-Rudolstadt) 1194 Preußischen Urmesstischblätter). 47 Reinstädt (Reinstedt; S.-Holzland-Kreis) 1194 48 Winzerla (ville Winzern; Kreisfr. St. Jena) 1194?

50 Weinbau und historische Weinbaulandschaften

49 Winzerla b. Orlamünde (S.-Holzland-Kr.) 1194 109 Blankenburg (Blanckenberg; Lk S.-R.) 1267 50 Sulza (Salzaha; Lk Weimar-Land) 1195 110 Eisenach (Kreisfreie Stadt) 1269 51 Eisenberg (Saale-Holzlandkreis) 1196 111 Stadtilm (Ilmen) Kloster (Ilm-Kreis) 1275 52 Niederbösa (Kyffhäuserkreis) 1198 112 Schönau v.d. Walde (Owe; Lk Gotha) 1279 53 Oberbösa (Kyffhäuserkreis) 1198 113 Closewitz (Kreisfreie Stadt Jena) 1282 54 Daberstedt (Kreisfreie Stadt Erfurt) 114 Hainichen (Saale-Holzland-Kreis) 1282 55 Dittelstedt (Kreisfreie Stadt Erfurt) 12. Jh. 115 Ammerbach (Kreisfreie Stadt Jena) 1284 56 Dorfkulm (Kolmen, Colm; Lk. S.-R.) 12. Jh. 116 Hausen (Ilm-Kreis) 1285 57 Georgenthal Kloster (Lk Gotha) 12. Jh. 117 Schönstedt (Schinstete; Lk Sömmerda) 1289 58 Haarhausen (Ilm-Kreis) 12. Jh. 118 Flurstedt (Lk Weimar-Land) 1293 59 Melchendorf (Kreisfreie Stadt Erfurt) 12. Jh. 119 Döllstädt (Lk Gotha) 1295 60 Witterda (Lk Sömmerda) 12. Jh. 120 Großlöbichau (Saale-Holzland-Kreis) 1298 121 Burgau (Burkauwe; Kr.fr. Stadt Jena) 1299 13. Jahrhundert 122 Tunzenhausen (Lk Sömmerda) 1299 123 Weißensee (Lk Sömmerda) 1299 61 Eberstedt (Lk Weimar-Land) 1202 124 Fischbach (Lk Gotha) 13. Jh. 62 Henschleben (Lk Sömmerda) 1208 125 Friedebach (Vridebach; Saale-Orla-Kr.) 12. Jh. 63 Herressen (Hircen; Lk Weimar-Land) 1209 126 Geunitz (Saale-Holzland-Kreis) 13. Jh. 64 Vehra (vera, Fehra; Lk Sömmerda) 1209 127 Hochheim (Kreisfreie Stadt Erfurt) 1387 65 Schmiedehausen (Lk Weimar-Land) 1210 128 Volkenroda, Volkenrode (U.-Hain.-Kr.) 13. Jh. 66 Schleuskau, Schleußkau (SHK) 1210 67 Bürgel (Saale-Holzland-Kreis) 1215 14. Jahrhundert 68 Heusdorf Kloster (Lk Weimar-Land) 1215 69 Kapellendorf (Lk Weimar-Land) 1215 129 Helba (Lk Schmalkalden-Meiningen) um 1300 70 Schwerstedt (Lk Sömmerda) 1215 130 Meiningen (Lk Schmalkalden-M.) um 1300 71 Löbstedt (Kreisfreie Stadt Jena) 1218 131 Römhild (Lk Hildburghausen) um 1300 72 Beutnitz (Saale-Holzland-Kreis) 1219 132 Welkershausen (Lk Schmalkalden-M.) um 1300 73 Döbritschen (Saale-Holzland-Kreis) 1219 133 Schlotheim (Unstrut-Hainich-Kreis) vor 1313 74 Großheringen (Lk Weimar-Land) 1219 134 Gorsleben (Kyffhäuserkreis) 1318 75 Heringen (Lk Nordhausen) 1219 135 Wallichen (Kreisfreie Stadt Erfurt) 1318? 76 Kaatschen (Kaschin, Lk Weimar-Land) 1219 136 Straußfurt (Stußfurte; Lk Sömmerda) 1319 77 Kleinprießnitz (Saale-Holzland-Kreis) 1219 137 Wichmar (Saale-Holzland-Kreis) 1325 78 Münchengosserstedt (Lk Weimar-Land) 1219 138 Wenigenjena (Stadt Jena) 1327 79 Stöben (bei Camburg, Saale-H.-Kr.) 1225 139 Käfernburg-Gebiet (Ilm-Kreis) 1328 80 Tauschwitz (Tuschmitz; Lk Saalf.-R.) 1225 140 Lichtenhain (Kreisfreie Stadt Jena) 1331 81 Illeben (Unstrut-Hainich-Kreis) 1226 141 Veßra Kloster (Lk Hildburghausen) 1336 82 Jägersdorf (Gegirsdorf; S.-Holzland-Kr.) 1228 142 Zeigerheim (Lk Saalfeld-Rudolstadt) 1340 83 Schöngleina (Saale-Holzland-Kreis) 1228 143 Günstedt (Lk Sömmerda) 1346 84 Schlöben (Saale-Holzland-Kreis) 1228 144 Cospeda (Kreisfreie Stadt Jena) 1348 85 Oldisleben (Kyffhäuserkreis) 1229 145 Gorndorf (Lk Saalfeld-Rudolstadt) 1349 86 Köstritz (Lk Greiz) 1230 146 Graitschen (Groitschen; S.-Holzl.-Kr.) 1349 87 Naura (Saale-Holzland-Kreis) 1231 147 Reschwitz (Rodeswiz; Lk Saalfeld-R.) 1350 88 Griefstedt (Lk Sömmerda) 1234 148 Frankenhausen (Frankenhusen; Kyf.kr.) 1352 89 Großlöbichau (Saale-Holzland-Kreis) 1235 149 Hopfgarten (Lk Weimar-Land) 1355 90 Arnstadt (Ilm-Kreis) 1241 150 Poxdorf (Saale-Holzland-Kreis) 1357 91 Greußen (Kyffhäuserkreis) 1241 151 Stiebritz (Saale-Holzland-Kreis) 1359 92 Lobdeburg (Lobedaburg; Krfr. St. Jena) 1244 152 Garnsdorf (Germarisdorff; Lk S.-R.) 1363 93 Gispersleben (Kreisfreie Stadt Erfurt) 1247 153 Köditz (Verren Koditz; Lk Saalfeld-R.) 1363 94 Kleinbrembach (Lk Sömmerda) 1250? 154 Dosdorf (Ilm-Kreis) 1365 95 Sachsenhausen (Lk Weimar-Land) um 1250 155 Paulinzelle(a) Kloster (Lk Saalfeld-R.) 1377 96 Leutenthal (Lk Weimar-Land) 1250 156 Schallenburg (Lk Sömmerda) 1379 97 Großobringen (Lk Weimar-Land) n. 1250 157 Ingersleben (Lk Gotha) 1386 98 Kleinobringen (Lk Weimar-Land) n. 1250 158 Jenalöbnitz (Saale-Holzland-Kreis) 1387 99 Liebstedt, Liebstädt (Lk Weimar-Land) n. 1250 159 Kahla (Cale; Saale-Holzland-Kreis) 1391 100 Hemleben (Hemmleben; Kyffhäuserkr.) 1252 160 Weimar (Kreisfreie Stadt Weimar) 1398 101 Sachsenburg (Kyffhäuserkreis) 1252 102 Münchenroda (Kreisfreie Stadt Jena) 1255 Tabelle 3.2-5: 103 Lobeda (Luvethe; Kreisfreie Stadt Jena) 1258 Frühe Erwähnungen des Thüringer Weinbaus (aus: D. COBUR- 104 Siegelbach (Ilm-Kreis) 1258 GER 1993). Früheste aufgefundene nachrichtliche oder ur- 105 Drackendorf (Trachend.; Krfr. St. Jena) 1261 kundliche Erwähnung; im Text sind darüber hinausgehend 106 Dorndorf (Saale-Holzland-Kreis) 1264 noch weitere Lokalitäten genannt. 107 Steudnitz (Studenitz; S.-Holzland-Kr.) 1264 108 Ammern (Unstrut-Hainich-Kreis) 1267

51 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

3.3 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

3.3.1 Begriffliche Vorbemerkungen kommt in Thüringer Streuobstwiesen selten vor, obwohl die Walnussbäume mit ihren ausladenden Kronen einer Zu den traditionellen und örtlich prägenden Nutzungs- geringen Pflege bedürfen und deshalb für schwer zu formen gehören in Thüringen die Streuobstbestände. bewirtschaftende, dorfferne Hanglagen gut geeignet Hierzu zählen im Allgemeinen alle regelmäßigen und sind. unregelmäßigen Flächenpflanzungen von hochstäm- migen Obstbäumen in der freien Landschaft, nicht da- Wildobst ist im Streuobstanbau ebenfalls kaum verbrei- gegen die hochstämmigen Obstbäume in traditionell tet. Zum Wildobstbestand Thüringens zählen u.a. der bewirtschafteten Hausgärten und auch nicht die Obst- baumreihen und -alleen an öffentlichen Straßen und Speierling (Sorbus domestica), die Elsbeere (Sorbus Wegen. torminalis), die Eberesche (Sorbus aucuparia), der Sanddorn (Hippophae rhamnoides), die Kornelkirsche Charakteristisch ist bei den Streuobstbeständen die (Cornus mas) und der Schwarze Holunder (Sambucus Doppelnutzung: Unter einer Baumschicht aus hoch- nigra). Sie alle wurden früher zur Herstellung von Mar- stämmigen Obstbäumen finden sich entweder pflege- melade, Kompott, Mus, Sirup, Gelee und als Zusatz arme Mähwiesen oder Weiden („Streuobstwiesen“) zum Keltern von Äpfeln in den bäuerlichen Haushalten oder Unterkulturen wie Futtergetreide, Gemüse, Kar- viel verwendet. toffeln oder Beerenobst, die noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Erhöhung der Flächenerträge Als Besonderheit der historischen Streuobstbestände auf ackerbaulichen Grenzstandorten häufig waren muss die große Sortenvielfalt hervorgehoben werden. (PUSCH, SCHURICHT et al. 2002, S. 105). Im Gegensatz zu modernen Intensivanlagen mit ihren wenigen Hochertragssorten findet sich darin in der Re- In der Baumschicht thüringischer Streuobstbestände gel eine Vielzahl von Lokalsorten. Diese Zeugnisse dominieren unter den Kernobstarten Apfel (Malus do- einer oft Jahrhunderte zurückreichenden Anbau- und mestica) und Birne (Pyrus communis var. domestica), Züchtungstradition bergen ein enormes Genpotenzial, unter den Steinobstarten Pflaume und Zwetsche (Prunus das zusammen mit der hohen ökologischen und kultur- domestica), vor den zu Zeiten ihrer Blüte und Herbst- historischen Wertigkeit (s.u.) Streuobstbestände zu be- färbung stark landschaftsprägenden Süßkirschen (Pru- sonders schutzbedürftigen Lebens- und Nutzungsräu- nus avium) und den Sauerkirschen (Prunus cerasus). men macht: Nach § 18 des Thüringer Naturschutzge- Die Wärme liebenden Pfirsiche (Prunus persica), Apri- setzes sind Streuobstwiesen mit einem Baumbestand kosen (Prunus armenica) und Mandeln (Prunus dulcis) ab 10 Obstbäumen geschützt. Nicht geschützt sind die sind in Thüringen kaum anzutreffen. Auch Schalenobst von der Bebauung umschlossenen hochstämmigen wie die frostempfindliche Walnuss (Juglans regia) Obstbaumbestände in Hausgärten.

Abb. 3.3-1: Streuobstwiese an der Schwellenburg bei Erfurt (Foto: H.- H. Meyer 2007).

52 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

3.3.2 Zur Geschichte des Obstbaus Angeregt durch die züchterischen Erfolge erkannten einige Landesfürsten die Bedeutung des Obstbaus für Der Obstbau zählt zu den ältesten landwirtschaftlichen die Grundernährung der Bevölkerung. Da das vitamin- Kulturen. Schon den jungsteinzeitlichen Ackerbauern reiche Obst in Mangelzeiten die Folgen der früher so war die Nutzung der Wildformen von Äpfeln, Birnen, häufigen Hungersnöte abzumildern half, wurde das Süßkirschen und Pflaumen bekannt. Nach den Persern Pflanzen von Obstbäumen in vielen Landesherrschaften und den Griechen trieben die Römer Anbau und Züch- zur Pflicht gemacht. Der Kurfürst August von Sachsen tung der Kulturobstarten voran. Da sie die Kunst des (1516-1586) schrieb sogar ein Buch darüber ("Das Veredelns beherrschten, konnten sie wertvolle Bäume künstliche Obstgartenbüchlein"). sortenrein erhalten und vermehren. Von ihren nördlich der Alpen gelegenen Provinzen aus gelangte das Ende des 17. Jahrhunderts ist neben dem Saale-Un- Wissen des Obstbaus zu Beginn des frühen Mittelalters strut-Gebiet ausgedehnter Obstbau für die Umgebung nach Thüringen. 812 hatte Karl der Große den fränki- von Erfurt (Fahnersche Höhen) und Arnstadt belegt schen Kolonisatoren eine schriftliche Anleitung mit auf (REGEL 1896), Ende des 18. Jahrhunderts für den Weg gegeben, in der auch Veredlungsverfahren, (1788; LUCKE et al. 1992) und den Altenburger Raum Bemerkungen zur Kultur und zahlreiche Obstsorten (REGEL 1896). beschrieben waren ("Capitulare de villis imperialibus"). Vielen Kleinbauern bot der Obstbau die ideale Ergän- Während des Hochmittelalters wurden die Klöster zu zung zur traditionellen Landwirtschaft. Da die Bäume den wichtigsten Förderern des Obstbaus, wobei die in weitem Abstand voneinander standen, wurden unter Mönche auf ihren regelmäßigen Reisen zu den Mutter- den Obstbäumen Ackerfrüchte angebaut wie Getreide klöstern in Italien und Frankreich neue Sorten mitbrach- und Kartoffeln, an den Fahnerschen Höhen bei Erfurt ten oder auch eigene Sorten vor Ort heranzogen. Ein auch Blumensamen und Gemüse (GOETHE 1909). In bekanntes Beispiel dafür ist der Apfel ‚Borsdorfer’, der Gebieten, wo die Erbsitte der Realteilung zu einer ex- vermutlich in Borsendorf (heute Porstendorf) bei Dorn- tremen Flurzersplitterung geführt hatte, z.B. im Eichsfeld, burg (Saale), dem einstigen Hofgut der Zisterzienser- trug die Doppelnutzung der kleinen Parzellen fortan mönche von Pforte, seine Ursprünge hat (HARTMANN wesentlich zur Existenzsicherung bei. et al. 2003, S.8). Die Zisterzienserklöster Pforta und Walkenried initiierten den Obstbau in der Saale-Unstrut- Mit der Ausbreitung des Obstbaus wurden die Methoden Region und in der Goldenen Aue, die Benediktiner in der Verwertung und Haltbarmachung des Obstes weiter Erfurt. 1290 wird dort von einer Einladung des Kaisers entwickelt und verfeinert. Üblich wurden die Herstellung Rudolf von Habsburg an seine Tochter, die Königin von von Most und Mus und die Trocknung. Dörrobst (beson- ders Dörrzwetschen) bewährten sich als vitaminreiche Böhmen, zu einem Essen im Obstgarten des Peters- Ergänzungsnahrung in der Winter- und Frühjahrszeit. klosters berichtet (RÜMPLER, zit. in HAUPT 1908). In Saal- feld hatten Benediktiner schon 200 Jahre zuvor Obst- Überwiegend waren es zu jener Zeit engagierte Privat- bäume eingeführt (1071), darunter nicht nur dem Klima personen, meist Lehrer, Ärzte oder Pfarrer, welche die in Thüringen angepasste Sorten, sondern auch Süd- Kultur des Obstbaus mit ihren Erfahrungen und Züch- früchte wie Maronen, Pfirsiche und Feigen (HAUPT tungserfolgen voranbrachten. Als Beispiel mag der 1908). Nach und nach fanden die Arten und Sorten Pfarrgarten von Magdala bei Jena genannt sein: Im aus den Klostergütern und Klostergärten auch ihren Jahre 1742 standen dort nicht weniger als 102 Obst- Weg in die Bauern- und Stadtgärten der Region. bäume, darunter allein 21 verschiedene Birnensorten. Heute noch kann ein über 100 Jahre altes Exemplar In der absolutistischen Zeit übernahmen die Landes- der Regenbirne, einer selten gewordenen Südthüringer herren zunehmend die Rolle der Klöster als Förderer Lokalsorte, dort besichtigt werden (LÄSSIG U. MICHEL und Wegbereiter des Obstbaus. Neben den schon ver- 2004). breiteten Pflaumen, Zwetschen, Süß- und Sauerkir- schen, Pfirsichen, Aprikosen und Walnüssen wurden Durch die Einrichtung von pomologischen Gesellschaf- in den Schlossgärten seit dem 16. Jahrhundert - teils ten und Vereinen erfuhr der Obstbau in der ersten Hälf- in eigens dafür gebauten Gewächshäusern (Orange- te des 19. Jahrhunderts eine zunehmende wissenschaft- rien) - immer mehr Exoten angepflanzt, um die herr- liche und institutionelle Verankerung. Den Anfang mach- schaftliche Tafel mit schmackhaften Quitten, Mandeln, te 1803 die Pomologische Gesellschaft in Altenburg, Esskastanien, Feigen und Mispeln zu bereichern; mit die als eine der ersten in Deutschland eine gewisse der Pflanzung von Maulbeeren schuf man die Grundlage Vorreiterrolle Altenburgs in der Entwicklung des Obst- für die Seidenraupenzucht (STOLLE 1996, S.4). baus begründete.

53 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

Die Bedeutung Thüringens im deutschen Obstbau kann zu den westlichen Bundesländern, wo große Flächen man aber auch daran erkennen, dass 50 Jahre später den subventionierten Rodungen der 80er Jahre zum der "Deutsche Pomologische Verein" hier (in Eisenach) Opfer fielen, führten die staatlich geschützten Abneh- gegründet wurde. Während sich dieser Dachverband merpreise in der ehemaligen DDR immerhin dazu, dass auf wissenschaftlichem Niveau mit Fragen der Züchtung die vorhandenen Bestände bis 1989 weiterhin beerntet, und Vermarktung befasste und dazu eigene Publikatio- bisweilen sogar gepflegt wurden. Nach der politischen nen herausgab, setzten lokale Obstbauvereine seit und wirtschaftlichen Wende blieben Nutzung und Pflege jener Zeit die neuen Erkenntnisse in die Praxis um. jedoch in vielen Fällen aus. Unterstützung erfuhren sie durch Landwirtschaftskam- mern und -gesellschaften, die die effiziente Obstver- Gebiet Umfang und Art wertung und den Obsthandel organisierten. Obstbaum- schulen und Obstausstellungen förderten die Ausbrei- um Apolda bei Dornburg, Äpfel tung solider Fachkenntnisse und innovativer Methoden. Bürgel und Jena

Rittergut Selka 5 000 Kirschbäume Bis um die Jahrhundertwende hatte der Obstbau einen Domäne Schöngleina 11 000 Obstbäume derartigen Aufschwung erlebt, dass in einzelnen Re- gionen Thüringens „eine fabrikmäßige Obstverwertung um Straußfurt: in den Gemein- lohnend geworden war“ (HAUPT 1908, S.53). Die Her- den Kindelbrück, Kutzleben, stellung von Obstkonserven, Obstsaft und Obstmus Schilfa, Frömmstedt, Gün- stedt, Ottenhausen, Weißen- für die wachsende Konsumentenschicht in den Indu- see, Schallenberg striestädten stand in jener Zeit in voller Blüte. Unter- dessen dehnte sich der Streuobstanbau auf eine später Sömmerda, Nausitz insgesamt 15 000 nie wieder erreichte Fläche aus: Im Umfeld vieler Dör- Obstbäume fer - oft auf ehemaligem Gemeinheitsland (Allmende) oder aufgelassenen Weinbergen - entstanden immer Schwerstedt zahlreiche Kernobstsor- ten, auch Renekloden mehr private oder gemeindeeigene Obsthaine. Auch und Aprikosen an Straßen und Wirtschaftswegen wurden Obstbäume gepflanzt, deren Früchte in den Spätsommermonaten um Erfurt: Gemeinden Tief- hohe Handels- zum Nutzen der Gemeinheit meistbietend versteigert thal, Elsleben, Kükenhausen einnahmen wurden. Werratal: Gemeinden Treffurt, Falken, Schnellmannshausen Klimatisch und standörtlich begünstigt, hatten sich der- weilen innerhalb Thüringens Schwerpunktgebiete mit Kreis Worbis: Gemeinden regional bedeutendem Obstbau herauskristallisiert. Halltal, Brehmetal Nach KAISER (1933) gehörten dazu das Mittlere Saaletal und seine Seitentäler ("Saalepflaumen"), das Unstruttal Nordthüringen: Peukendorf, bedeutende Kirsch- Abtsbessingen, Oberspier, pflanzungen und die Goldene Aue, das Wipper- und Helbetal, die Thalebra Fahnerschen Höhen bei Erfurt mit ihren "berühmten Kirschpflanzungen" zwischen Witterda und Fahner, um Eisenberg: vor allem in das Altenburger Land sowie das untere Werratal (ebd., den Gemeinden Königshof, S.134). Thiemendorf, Buchheim, Walpernhain Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges fand die stetige Saaletal und Nebentäler Pflaumen auf Muschel- Ausweitung des Obstbaus in Thüringen ihr Ende. In kalk der Mangelwirtschaft der frühen Nachkriegszeit kam es zwar noch einmal vermehrt zu Anpflanzungen, je- um Bürgel 42 Apfel- und doch weniger in der freien Landschaft, sondern vermehrt 22 Birnensorten in den Hausgärten. Einen drastischen Bedeutungsver- Rittergut Köstritz 120 Apfelsorten, 150 Bir- lust erfuhr der Streuobstbau dann seit den 1960er Jah- nensorten, 60 Pflaumen- ren durch die Konkurrenz des nieder- und mittelstäm- sorten, 40 Kirschsorten, migen Plantagenobstbaus, der Pflege und Ernte we- 25 Pfirsichsorten und 10 sentlich vereinfachte und damit Kosten sparen half Aprikosensorten (Tab. 3.3-2). Neuanpflanzungen gab es seitdem kaum

noch; vielmehr hatte der Konkurrenzdruck die Abholzung Tabelle 3.3-1: Bedeutende Obstbaugebiete um die Jahrhun- zahlreicher Bestände zur Konsequenz. Im Unterschied dertwende in Thüringen (n. KAISER, E. 1933).

54 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

moderner Plantagenanbau Birne: Tiefwurzler, tiefgründige, nährstoffreiche, mäßig feuchte Böden, empfindlich gegen Staunässe und zu • Fahnersche Höhen schwere Böden (Streifen zwischen Döllstedt, Dachwig, Gierstädt, Tiefthal) Kirsche: Tiefwurzler, kalkhaltige Böden, empfindlich • nördlich und südlich Mühlhausen gegen Staunässe und nährstoffreiche Böden, empfind- (z.B: Ober- und Niederdorla) lich gegen Spätfröste, bevorzugt freie Hanglagen • bei Feldengel nördlich Greußen Pflaume: Flachwurzler, ausreichend wasserversorgte, • um Kindelbrück • südwestlich Bürgel nährstoffreiche Böden, bevorzugt Auen und Tallagen, • um Hartmannsdorf bei Bad Köstritz auch in Überschwemmungsgebieten, auch in hohen • bei Naundorf und Dobitschen westlich Altenburg Lagen auf schweren Böden mit guter Wasserversor- gung, spätfrostgefährdet Tabelle 3.3-2: Walnuss: basische Böden (Basalt/Kalk), vorzugsweise Gebiete mit großflächigem Plantagenanbau in Thüringen heute (Quelle: Topographische Karten 1 : 50 000). auf Anhöhen (später Austrieb, Verringerung der Spät- frostschäden), trockene bis frische, skelettreiche Stand- orte. Manche ehemalige Streuobstfläche ist mittlerweile in Ortsrandbereichen durch Siedlungserweiterungen be- Zusammenfassend sind es vor allem die mäßig steilen seitigt worden. Mit der vom Marktobstbau geforderten Hanglagen, die ackerbaulichen Grenzstandorte und Umstellung auf wenige Hochertragssorten, dem Rück- die ehemaligen Weinberge, auf denen in Thüringen gang der Mosterei und Rodeaktionen sind zugleich Streuobstbestände traditionell verbreitet sind: "Die Ab- viele der alten Obstsorten im Bestand bedroht oder hänge sind demnach die besten Plätze zu Obstplanta- bereits ausgestorben. Gelingt es nicht, die einst ge- gen; denn eines Theils taugen sie ihrer abhängigen bietstypischen Obstsorten in ihrem Umfeld, den Streu- Lage wegen, nicht zum Anbau solcher Früchte, welche obstwiesen, zu erhalten, wird die Kulturlandschaft Thü- eine öftere Bearbeitung des Bodens verlangen, und ringens in einigen Jahren sehr viel arten- und struktur- andern Theils sind Lage und Boden derselben in den ärmer sein: „Sie .. in wenigen Sortengärten zu erhalten meisten Fällen dem Obstbaue günstig" (ANONYM 1808, (in situ) wäre mit dem Erhalt vom Aussterben bedrohter S.21). Pflanzenarten in Botanischen Gärten zu verglei- chen Dem Sortenerhalt an verschiedenen, vor allem Generell großen Einfluss auf das Wachstum der Obst- an von Geologie und Klima her geeigneten Stellen, bäume, auf die Menge und Zuverlässigkeit der Erträge kommt daher eine große Bedeutung zu“ (zit. aus PUSCH, haben die klimatischen Gegebenheiten. Generell SCHURICHT et al. 2002, S. 103). gilt: Mit zunehmender Höhenlage werden die Streuobst- bestände als Folge der sich verkürzenden Vegetations- periode und wachsender Frostgefährdung seltener und 3.3.3 Standortansprüche und Verbreitung fehlen in den Hochlagen des Thüringer Waldes und Da die historischen Streuobstsorten entstehungsbedingt des Schiefergebirges schließlich ganz. Gleichzeitig eine große Vielfalt unterschiedlicher Standortanpassun- zeigen Niederschläge und Bewölkung eine deutliche gen aufweisen, kommen Streuobstbestände in nahezu Abhängigkeit von den Geländeformen (Berge, Täler, allen Naturräumen Thüringens vor. Niederungen). Weil sich die feuchten atlantischen Luft- massen im Windstau höherer Gebirgszüge abregnen, Ihre Verbreitung ist dabei nur zweitrangig ein Spiegelbild ergeben sich auf den Wind abgewandten Seiten („Lee“) der Geologie: Es gibt sie auf Sand-, Ton- und Mergel- in der Jahressumme geringere Niederschlagsmengen stein, auf Kalk und Gips, auf Löss und Auelehm. Abge- bei gleichzeitiger Erhöhung der Sonnenscheindauer. sehen von organischen und mineralischen Nassböden Streuobstanbau zeigt eine deutliche Bindung an solche und extrem trockenen und mageren Rohböden vermag niederschlagsärmeren, thermischen Gunsträume (meist Streuobst fast alle terrestrischen Bodentypen zu besie- Becken und Täler). Auf der Übersichtskarte erkennbar, deln. Optimal sind mäßig feuchte bis mäßig trockene gehören dazu: das Werratal im Westen, die Ränder Standorte mit ausreichender Nährstoffversorgung bei von Goldener Aue, Helbe- und Wipperniederung im nicht zu niedriger Bodenreaktion. Norden, das Thüringer Becken, die Talzüge von Gera, Ilm, Saale und Elster, ferner Teile des Altenburger Lan- Nachfolgend sind die Standortansprüche der wichtigsten des und die Orlasenke, südlich des Thüringer Waldes Arten kurz zusammengefasst (aus: STOLLE 1994, S.10): die Werra-Senke und das Grabfeld. Unter den genann- ten Räumen zeichnen sich besonders das innere Thü- Apfel: Flachwurzler, flachgründige Böden (80-100 ringer Becken, die Helme-Unstrut-Niederung, das Un- cm) mit guter Wasserversorgung, keine leichten Böden, tere Ilmtal sowie das Mittlere und Untere Saaletal zu- hohe Luftfeuchtigkeit, verträgt auch Staunässe gleich durch den frühesten Einzug des Vollfrühlings

55 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

(Apfel- bzw. Fliederblüte) in ganz Thüringen aus (Klima- breitungsgebiet des Apfel- und Pflaumenanbaus (II) Atlas der DDR). Dies unterstreicht die thermische Gunst umschrieben werden kann. für den Anbau frostempfindlicher Kulturen (Obst, Wein). Zusätzlich ist aber auch der geringere Niederschlag Zwar sind auch in Gebiet I Pflaume und Apfel die domi- wichtig, um die Ernte, besonders bei Steinobst, ohne nierenden Obstarten, besonders in tieferen Lagen sind Platzen und Fäulnis der Früchte bergen zu können. jedoch örtlich Kirschen stark vertreten. Im Gebiet II nimmt mit dem erhöhten Niederschlagsangebot im Mindestens genau so stark wie die groß- und regional- Nordstau von Thüringer Wald und Thüringer Schiefer- klimatischen Einflüsse entscheidet das Lokalklima gebirge der Anbau von Äpfeln und Pflaumen zu, wäh- (Standortklima) in den einzelnen Naturräumen über rend der Kirschanbau bis auf wenige inselartige Vor- den Erfolg des Obstbaus. Lokalklimatisch bevorzugt kommen zurückgeht. Auch südlich des Thüringer Wal- sind die sonnseitigen mittleren Hanglagen, die sich im des dominieren der Apfel- und nachfolgend der Pflau- Frühjahr rasch erwärmen und deshalb weniger Spätfrost menanbau (III). gefährdet sind. Geeignet können aber auch Nordhänge sein, wie das beispielsweise an den Fahnerschen Hö- Der Birnenanbau zieht sich als Gürtel vom Zentrum hen der Fall ist. An Nordhängen ist die Blütezeit etwas des Thüringer Beckens bei Bad Langensalza über Er- verzögert, wodurch sich die Ertragssicherheit durch furt, Jena bis zum Altenburger Land. die dann seltener auftretenden Blütenfröste erhöht (PUSCH, SCHURICHT et al. 2002, S. 105). Benachteiligt Daneben wurden mehrere inselartige, teils lokalklima- sind dagegen alle Unterhänge und Talböden, wo sich tisch begründbare Dominanzgebiete festgestellt: Pflau- bei windarmen Wetterlagen (schwere) Kaltluft sammeln men im Saaletal und nördlich Jena, Kirschen im Werratal und Spätfröste verursachen kann. um Treffurt, bei Arnstadt (Mühlberg) und Stadtilm, Birnen und Kirschen in Südthüringen um . Zu den Regionen ohne nennenswerten Obstbau gehören 3.3.4 Verbreitung der Obstarten der Thüringer Wald und das Thüringer Schiefergebirge, wo nur vereinzelt Äpfel und Pflaumen bis in Höhenlagen Bevor auf die regionalen Anbauschwerpunkte näher um 600 m in Hausgärten und dorfnahen Bereichen re- eingegangen wird, sollen zunächst regionale Unter- gistriert wurden (STOLLE 1994, S.21-27). schiede in der Verteilung der Obstarten grob skizziert werden, da sie die Struktur, Bedeutung und Eigenart der einzelnen Streuobstregionen mitbestimmen. 3.3.5 Streuobstregionen und Streuobst- landschaften Unter dem Titel "Traditioneller Hochstammobstbau in Thüringen" (STOLLE 1994) hatte das Thüringer Ministe- Im Folgenden werden die regionalen Schwerpunkte rium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt Anfang des historischen Streuobstanbaus in Thüringen näher der 90er Jahre eine Studie in Auftrag gegeben, die die vorgestellt, sofern sie sich anhand der Verbreitung von Zielstellung hatte, "einerseits einen möglichst effizienten Streuobstflächen heute noch erkennen lassen. Dazu Mitteleinsatz bei der Naturschutzförderung für Streuobst- wurden die in digitaler Form vorliegenden Daten der Ersatzpflanzungen und -Neuanlagen zu erreichen, an- Offenlandbiotopkartierung von 1993 ausgewertet. Be- dererseits Anregungen für die Erhaltung und Erweite- reiche mit hoher (landschaftsprägender) Streuobstflä- rung des Obstsortenspektrums zu geben und damit chendichte wurden in der Übersichtskarte (Karte 4) einen Beitrag zur Erhaltung der genetischen Vielfalt zu und in Tabelle 3.3-3 als "Streuobstgebiete" hervorge- hoben. Die sieben "Streuobstregionen" wurden vor- leisten". Die Ergebnisse dieser Studie, für die zahlreiche nehmlich durch großklimatische und geomorphologische Literaturquellen auf die historische und aktuelle Ver- Kriterien begründet: namentlich durch die für den breitung von Obstarten und -sorten hin ausgewertet Obstbau wichtigen klimatischen Parameter Jahresnie- und Übersichtskartierungen durchgeführt wurden, wer- derschlag, Jahresmitteltemperatur, Sonnenscheindauer, den nachfolgend kurz zusammengefasst. Vegetationsperiode und Kontinentalität sowie durch den großräumigen Relieftyp (Becken-, Tal-, Stufenland- Demnach lässt sich der Thüringer Raum stark verein- schaften) (vgl. HIEKEL et al. 2004). facht in drei große Anbauregionen aufteilen. Eine zen- trale West-Ost-Achse entlang der Linie Bad Langen- salza-Erfurt-Jena-Gera bis südlich von Schmölln schei- det eine nördliche Region als Hauptverbreitungsgebiet des Kirschanbaus (I) von einer südlicheren Region, die bis an den Mittelgebirgsrand reicht und als Hauptver-

56 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

I. Streuobstregion Nordthüringen IV. Streuobstregion Ilm-Saale-Bergland

Streuobstgebiete: (1) Zechsteinhügelland bei Vockerode- Streuobstgebiete: (1) Ilmtal zwischen Apolda und Bad Obersachswerfen (Zechsteinkalk und -gips, Ton- und Sulza (Muschelkalk, Keuper, Löss); (2) Randabdachung Schluffsteine des Unteren Buntsandsteins); (2) Alter Stol- der Muschelkalkplatte bei Kapellendorf (Oberer Muschel- berg östlich Nordhausen (Zechsteinkalk und -gips, Ton- kalk, Unterer Keuper, Löss); (3) Reinsberge (Muschelkalk); und Schluffsteine des Unteren Buntsandsteins); (3) Kyff- (4) Mittleres Saaletal mit (4.1) Saaletal zwischen Zwätzen, häuserrand bei Udersleben (Zechsteinkalk und -gips); (4) Dornburg und Camburg mit Seitentälern (überwiegend Nordrand und Vorland des Dün sowie Ostseite der Blei- Muschelkalk), (4.2) Muschelkalkrandstufe zwischen Remda, cheröder Berge bei Bleicherode (Muschelkalk, Oberer Orlamünde und Kahla einschl. Hexengrund (Unterer Mu- und Mittlerer Buntsandstein); (5) Rand der Goldenen Aue schelkalk, Oberer Buntsandstein) und (4.3) Muschelkalk- zwischen Uthleben und Auleben (Unterer Buntsandstein); randstufe und Unteres Schwarzatal zwischen Gölitz, Bad (6) Wippertalung östlich Sondershausen (Mittlerer und Blankenburg und Unterwirbach (Unterer Muschelkalk, Oberer Buntsandstein); (7) Rand der Sol- bzw. Flutgraben- Buntsandstein); (5) ostsaalisches Streuobstgebiet zwischen niederung bei Seehausen (Mittlerer Buntsandstein); (8) Schkölen, Eisenberg und Stadtroda (Unterer und Mittlerer Hügelland der Schmücke und Schrecke bei und nordöstlich Muschelkalk, Oberer und Mittlerer Buntsandstein) Heldrungen (Muschelkalk, Buntsandstein) V. Streuobstregion Ostthüringen II. Streuobstregion Westthüringen Streuobstgebiete: (1) Streuobstgebiet Eisenberg-Bad Streuobstgebiete: (1) Randstufe und Vorland des Ohm- Köstritz-Münchenbernsdorf (Mittlerer und Unterer Bunt- gebirges und der Bleicheröder Berge (Unterer Muschelkalk, sandstein, Zechsteingips und -kalk; größtes zusammen- Oberer und Mittlerer Buntsandstein); (2) Raum Heiligen- hängendes Streuobstgebiet in Thüringen !); (2) Streuobst- stadt-Westliches Eichsfeld (Unterer Muschelkalk, Oberer gebiet Südliches Altenburger Land mit Verdichtungen bei und Mittlerer Buntsandstein); (3) Nordrand des Dün bei Ronneburg (2.1), Schmölln (2.2) und südöstlich Altenburg Niederorschel (Oberer und Mittlerer Buntsandstein); (4) (2.3) (Löss, Geschiebelehm, paläozoische Gesteine); (3) Werratal zwischen Hörschel und Treffurt (Unterer und Streuobstgebiet bei Gera (div. paläozoische Gesteine); Mittlerer Muschelkalk, Oberer und Mittlerer Buntsandstein) (4) Streuobstgebiet Orlasenke mit Verdichtungen bei Krölpa (4.1) und Oppurg (4.2) (Zechsteinkalk- und -gips, Karbon- III. Streuobstregion Thüringer Becken und Randgebiete grauwacke)

Streuobstgebiete: (1) Raum Oberes Unstruttal bei Dingel- VI. Streuobstregion Südthüringen städt (überwiegend Oberer Muschelkalk, Unterer Keuper); (2) Südabdachung von Dün und Hainleite (überwiegend Streuobstgebiete: (1) Zechsteinrandsenke bei Bad Lieben- Oberer Muschelkalk, Unterer Keuper); (3) Helbetal bei stein (Zechsteinkalk und -gips); (2) Streuobstgebiet Gers- Greußen (Unterer Keuper); (4) südliches Vorland von tungen-Berka (Unterer Buntsandstein); (3) Streuobstgebiet Schmücke und Finne bei Kölleda und Rastenberg (über- Werratal zwischen Bad Salzungen und Meiningen (Bunt- wiegend Keuper, Oberer Muschelkalk); (5) Ostabdachung sandstein und Muschelkalk); Muschelkalkplatten bei Mei- des Hainich zwischen Mühlhausen und Bad Langensalza ningen (4), Hildburghausen (5) und Schalkau (6); (7) (Oberer Muschelkalk, Unterer Keuper); (6) Fahnersche Grabfeld (Mittlerer Keuper) Höhe (Oberer Muschelkalk, Unterer und Mittlerer Keuper); (7) Hörseltal (Keuper, Muschelkalk und Buntsandstein); VII. Streuobstregion Rhön (8) Drei Gleichen (Oberer Muschelkalk, Unterer, Mittlerer Streuobstgebiete: (1) Ulstertal und Randgebiete; (2) Streu- und Oberer Keuper); (9) Randabdachung der Ilm-Saale- obstgebiet bei Stadtlengsfeld (Triasgesteine, tertiärer Platte zwischen Erfurt und Arnstadt (Oberer Muschelkalk, Basalt) Unterer Keuper); (10) Ettersberg (Oberer Muschelkalk, Unterer Keuper); in allen Gebieten auch auf Löss !

Tabelle 3.3-3: Streuobstregionen und Gebiete mit überdurchschnittlich hoher Dichte bzw. charakteristischer Prägung durch Streuobstflächen (Streuobstgebiete), Nummerierung vgl. Karte 4 (Quelle: Offenlandbiotopkartierung 1993; eigener Entwurf).

I. Streuobstregion Nordthüringen Das Gebiet besteht aus einem durch Talweitungen Die Streuobstregion Nordthüringen umfasst die Karst- stark gegliederten Hügelland mit Höhen bis zu 350 m und Hügellandschaft im Vorland des Harzes bis zur NN. Die Goldene Aue erstreckt sich zwischen 180 und Hainleite im Süden. Naturräumlich gehören dazu die 155 m NN, die Helme-Unstrut-Niederung zwischen 125 Zechsteingürtel am Südharzrand und am Kyffhäuser, und 115 m NN. Klimatisch ist die Streuobstregion durch das Buntsandsteinhügelland um Nordhausen und Son- die Lage im Regenschatten des Harzes dem kontinental dershausen, die nördlichen Stirnhänge der Muschel- getönten Mitteldeutschen Binnenlandklima zuzuordnen kalkschichtstufen Dün und Hainleite, die Buntsandstein- (warme, sonnenreiche Sommer, nur mäßige Nieder- hügel der Schmücke und Schrecke sowie die Talränder schläge). Hervorzuheben ist das trockene und warme der Goldenen Aue und der Wipper-Niederung. Lokalklima der Südhänge und Kuppen. In den Zech-

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steingürteln weisen die für den Ackerbau ungünstigen offener im Landschaftsbild. Klimatisch ist die Region Gipskarstgebiete mit ihren zahlreichen Erdfällen und durch ihre Lage außerhalb der Regenschattenwirkung Dolinen, Gipskuppen und Trockentälern viele Streu- des Harzes atlantisch getönt. Besonders die Höhenla- obstbestände auf. Im Buntsandsteinhügelland stocken gen empfangen relativ reiche Niederschläge (tlw. über sie auf lehmigen, kalkfreien Verwitterungsböden über 850 mm), der Frühling setzt später ein als im Thüringer Sand- und Tonsteinen ebenfalls durchweg in hängiger Becken. Die landwirtschaftlich genutzten Gebiete in Lage am Rande von Kuppen und Tälern. Am Nordfuß den Tälern zeichnen sich - zumeist auf tiefgründigen der Hainleite nehmen sie Standorte auf den flach ge- Lehmböden - durch einen hohen Anteil an Streuobst- böschten Hängen des Rötsockels mit ihren kalkreichen wiesen und streifenförmigen Obstgehölzen aus. Auch Ton- und Mergelböden ein. In der intensiv landwirt- die Steilränder der Muschelkalkplatten, insbesondere schaftlich genutzten und fast waldlosen Goldenen Aue hier die Unter- und Mittelhänge im Bereich des Rötso- gruppieren sich Gärten mit Obstbäumen und Streuobst- ckels, tragen häufig noch alte Streuobstbestände wie wiesen auf tiefgründigen Lössschwarzerden und Aue- am Westabfall des Dün oder an den Rändern des Ohm- lehmböden um die dörflichen Ortslagen, im Anschluss gebirges und der Bleicheröder Berge. Vorzugslagen an Heringen und Auleben heute auch Intensivobstplan- für Süßkirschen bieten die kalkreichen Hänge des tagen. Die Ränder sind traditionelle Süßkirschenlagen, Werratals bei Treffurt. Sie zeichneten sich schon vor besonders die Wallhausener Gemarkung mit ihrem 150 Jahren durch eine geradezu landschaftsprägende feinkörnigen Sandstein (GOETHE 1909, S.48). Dichte an Streuobstwiesen aus, wie das Preußische Urmesstischblatt von 1850 zeigt (s. Abb. 3.3-2). II. Streuobstregion Westthüringen Diese Streuobstregion umfasst neben einem Teil des III. Streuobstregion Thüringer Becken Nordthüringer Buntsandsteinberglandes das überwie- Zu den unverwechselbaren Merkmalen dieser Streu- gend aus Kalksteinen der Muschelkalkformation aufge- obstregion gehören der extrem offene, weiträumige baute Werrabergland. Der nördliche (Untereichsfeld) Landschaftscharakter und die Leelage, die sich aus und nordwestliche Teil (Obereichsfeld) bildeten als ehe- der Regenschattenwirkung der umgebenden Randhö- malige Exklave des Erzbistums Mainz ein katholisches hen, vor allem des Harzes und des Thüringer Waldes, Realerbteilungsgebiet mit überwiegend kleinbäuerlicher ergibt. Morphologisch zeigt sich das Thüringer Becken Betriebsstruktur und damit eine kulturlandschaftlich bei Höhen zwischen 130 m im Zentrum und 200-350 besondere Einheit. Das Gebiet gehört mit Höhen von m, tlw. über 400 m NN an den Rändern als flachwelliges über 500 m NN im Süden, 250-300 m NN im Norden Hügelland, das von breiten Auen und Niederungen sowie rd. 150 - 170 m NN im Werratal zu den reliefstar- durchzogen wird. Auf fast allen Seiten wird es von sanft ken Landschaften Thüringens. Es ist durch die Werra ansteigenden Randplatten aus Muschelkalk begrenzt; und ihre Nebenbäche intensiv zertalt, deshalb waldreich, innerhalb des Beckens bilden bewaldete Muschelkalk- im nördlichen Buntsandstein eher kuppig-wellig und aufwölbungen zwei markante Höhenrücken: die Fah-

Abb. 3.3-2: Streuobstplantagen an den Hängen des Werra- tales bei Treffurt um 1850 (Preußisches Ur- messtischblatt, Feldori- ginal, Bl. 2800, Treffurt; Originalmaßstab 1 : 25 000, verkleinert; farbiger Nachdruck des Thüringer Landesamtes für Vermessung und Geoinformation).

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Abb.3.3-3: Landschaftsbildprägen- de Streuobstwiesen bei Tiefthal (Erfurt) (Foto: H.-H. Meyer 2007).

nersche Höhe bei Erfurt und den Ettersberg bei Weimar. 200 und über 400 m Standorte vieler Streuobstwiesen Dank der fruchtbaren Lössböden (u.a. Schwarzerden) sind. In den Muschelkalktälern liegen sie oft neben ist das Thüringer Becken eine ausgeräumte, waldarme Schaftriften und auflässigen Weinterrassen auf dem Ackerlandschaft. Lediglich die Steilhänge des Gera- geböschten Rötsockel (Tonsteine des Oberen Bunt- und des Unstruttales und ihrer Nebenflüsse sowie die sandsteins). In den Tälern der Sandsteinplatte nehmen zahlreichen trockenen Kalk- und Gipshügel werden sie die flach- und mäßig geböschten Hangbereiche in traditionell als extensives Weideland genutzt oder tra- Sandsteinen des Mittleren Buntsandsteins ein (beson- gen Streuobstbestände, die häufig als Folgekultur auf ders Tal der Roda und Seitentäler). Im Mittleren Saaletal alten Weinbergen angelegt wurden, z.B. nordwestlich finden sich manche Bestände auf den treppenartig von Erfurt (Schwellenburg bei Gispersleben). Auch im angeordneten pleistozänen Flussterrassen in unter- Norden und Nordosten, an den Talrändern der Helbe schiedlichen Höhen. Regelrechte Streuobstlandschaften weist die Übersichtskarte im Grenzbereich zwischen östlich Greußen sowie zwischen Schillingstedt, Beich- Muschelkalk- und Buntsandsteinplatten auf. Die Ränder lingen und Etzleben nördlich Kölleda, konturiert der der Muschelkalkplatte bilden dort nach außen hin mar- harte Keupergips kleine 20 bis 40 m hohe, markante kante Schichtstufen von gewöhnlich 100-200 m Höhe, Gipskuppen und lang gestreckte Geländekanten, die in deren Fußbereichen die bereits genannten tonreichen von alten Streuobstbeständen besetzt sind. Das Wip- Rötgesteine des Oberen Buntsandsteins angeschnitten pertal fällt zwischen Günserode, Kranichholz und Bil- sind. Auch hier erweisen sich die oft durch Rutschungen zingsleben (im Muschelkalk) gleichfalls durch hohe überprägten Röthänge wegen ihres für Ackerbau zu Dichte geschlossener Anlagen auf. Um Kindelbrück unruhigen Reliefs als geradezu regelhafte Standorte und Oberdorla sowie am Fuß der Fahnerschen Höhen, des traditionellen Streuobstanbaus (EIMANN 2007). wo der Obstbau auf eine über 200jährige Tradition zu- rückgeht (Klein- und Groß-Fahner, Gierstädt), dehnen Großklimatisch ist die Region dem Klimagebiet des sich heute moderne marktorientierte Obstplantagen Mitteldeutschen Berg- und Hügellandklimas zuzuordnen. aus. Seit jeher findet der Fahner Obstbau seine wich- Besonderheiten sind die z.T. extremen kleinklimatischen tigsten Absatzmärkte in den nahe gelegenen Städten Unterschiede zwischen den Nord- und Südhängen, Erfurt, Gotha und Mühlhausen. insbesondere im Bereich des Saaletals und seiner Ne- bentäler. Der gesamte Verlauf des Mittleren Saaletals IV. Streuobstregion Ilm-Saale-Bergland und der Bereich des Unteren Ilmtals sind überdies Zu dieser Streuobstregion wurden große Teile der Ilm- durch deutlich niedrigere Niederschlagswerte und hö- Saale-Ohrdrufer Muschelkalkplatte und der westlichen here Durchschnittstemperaturen gegenüber ihrer Um- Saale-Sandsteinplatte zusammengefasst. Charakteri- gebung gekennzeichnet, verbunden mit mehr Sonnen- stisch für diese Region sind die tief eingeschnittenen schein, einer längeren Vegetationsperiode und einem Täler von Saale, Ilm, Gera und ihrer Nebenflüsse, de- früheren Eintreten der Apfelblüte (Vollfrühlingsbeginn). ren Unter- und Mittelhänge in Höhenlagen zwischen Es sind die klassischen Weinbauregionen mit Streuobst

59 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

als Folgekultur. Streuobstflächen treten in diesen Ge- der Oberen Werra. Klimatisch gehört die Region zum bieten häufig zusammen oder eng beieinander mit ehe- gleichnamigen Klimabezirk („Oberes Werratal“), der maligen Weinbau- und Ackerterrassen auf. durch Jahresniederschläge von 600-700 mm und eine Jahresmitteltemperatur um 7,5-8°C gekennzeichnet ist. V. Streuobstregion Ostthüringen In der Streuobstregion Ostthüringen wurden 4 markante Vergleichbar der Orlasenke ist auch dem Südrand des Streuobstgebiete in 5 Naturräumen zusammengefasst. Thüringer Waldes bei Bad Liebenstein ein schmaler Sie alle vereint historisch ihre Zugehörigkeit bzw. Nähe Zechsteingürtel vorgelagert, in dem Gipskarsterschei- zur Residenz Altenburg, die seit Anfang des 19. Jahr- nungen und Kalkberge (Riffstöcke) ein lebhaft geglie- hunderts zu den Zentren des wissenschaftlichen Obst- dertes Relief bedingen, das in der Vergangenheit die baus in Thüringen gehörte. Anlage und Erhaltung zahlreicher Streuobstwiesen be- günstigt hat (Naturraum "Zechsteingürtel bei Bad Lie- Mit dem Raudatal unterhalb von Eisenberg, dem Els- benstein"). Sie profitieren in erster Linie vom trockenen tertal und seinen Seitentälern zwischen Gera und Bad und warmen Kleinklima ihrer Standorte (meist Südhän- Köstritz sowie um Kraftsdorf, Niederndorf und Saara ge), weniger von ihrer Höhenlage (300 und 400 m NN), (in der südlichen Fortsetzung der Obstbestände um die zum Thüringer Wald überleitet. Bad Köstritz) enthält der Naturraum der Saale-Sand- steinplatte samt dem ihn begrenzenden Elstertal das Das sich bis zur Werra hin anschließende Bad Salzun- größte zusammenhängende Streuobstgebiet in Thürin- ger Buntsandsteinland ist aufgrund günstiger Boden- gen. Sand- und Tonsteine des Unteren Buntsandsteins, bedingungen (Lehmböden des Unteren Buntsandsteins) Zechsteingips- und -kalk sowie im Elstertal treppenartige ein überwiegend ackerbaulich genutztes, hügeliges Reste pleistozäner Flussterrassen mit Flussschottern Gebiet (250 bis 500 m NN), in dem Streuobstbestände und Lösslehm bilden hier den geologischen Untergrund. zumeist an den Hängen der Buntsandsteinhügel, an Die relativ geringe Höhe meist zwischen 200 und 300 den Rändern von Erdfällen und an Talflanken überdauert m NN und die Regenschattenlage bedingen ein für den haben. Südöstlich von Schmalkalden, im Südthüringer Obstbau günstiges Klima mit erhöhten Durchschnitts- Buntsandstein-Waldland, fehlen Streuobstbestände temperaturen und entsprechend längerer Sonnen- aufgrund der hochgradigen Waldbedeckung und Hö- scheindauer. henlage (400-550 m NN) weitgehend. Der Raum Suhl- Schleusingen gehört bereits zum Klimabezirk Thüringer Vergleichsweise ähnliche klimatische Bedingungen Wald mit seinem kühlen, feuchten und schneereichen finden sich auch im benachbarten Altenburger Land Mittelgebirgsklima. Vereinzelt findet man dort aber Streu- (150-300 m NN). Das extrem waldarme, flachwellige obst im Zusammenhang mit aufgelassenen Ackerter- Lösshügelland trägt besonders in seinem südlichen rassen (s. Kap. 3.1). Teil bei Ronneburg, Schmölln und südöstlich von Al- tenburg Streuobstreste vornehmlich auf den stärker Auf den Muschelkalkplatten um Meiningen, Hildburg- geneigten Talrandlagen ihrer Fließgewässer (Pleiße, hausen und Schalkau, die durch die Werra und ihre Sprotte, Wyhra und Nebenbäche). Auf den tiefgründigen Nebenbäche tief zertalt sind, gibt es in Höhen zwischen Lössparabraunerden und Geschiebelehmen ist sonst 150 und über 400 m noch vereinzelte Streuobstflächen die intensiv betriebene Landwirtschaft auf großen Schlä- auf den sonnseitigen Talhängen im Muschelkalk und gen prägend. auf den Rötsockeln (Oberer Buntsandstein) inmitten einer überwiegend landwirtschaftlich genutzten Umge- In der Orlasenke (220-300 m NN), der etwa 32 km lan- bung, häufig kleinräumig wechselnd mit Triften und gen und 3-5 km breiten Auslaugungsmulde über Gips, Weideflächen. In der Grabfeldmulde (300-400 m NN) Kalk und Salzen des Zechsteins zwischen Saalfeld finden sich bemerkenswerte Streuobstwiesen an den und Triptis, nehmen Streuobstwiesen und streifenför- Hängen der Hügelketten des Mittleren Keupers (meist mige Obstgehölze vornehmlich die Hänge der Riffkalk- Sandstein, Gips, Mergel- und Kalkstein). Sie setzen in und Gipsberge ein, z.B. bei Könitz, Krölpa, Ranis, Pöß- der ansonsten großflächig ausgeräumten und intensiv neck, Oppurg, Döbritz, Kolba und Neunhofen. Bedingt genutzten Agrarlandschaft (Löss) besonders augenfäl- durch den Regenschatten des Thüringer Schieferge- lige Akzente. birges und der Rudolstädter Heide ist das Klima dieses Gebietes überdurchschnittlich warm und sonnenreich, VII. Streuobstregion Rhön was dem Obstbau zugute kommt. Die thüringische Rhön besteht geologisch aus einem Stufenland unterschiedlich harter Gesteine aus der VI. Streuobstregion Südthüringen Trias- und Tertiärzeit. Die höchsten Kuppen und Berg- Sie umfasst die Hügelländer aus Zechstein und Trias- züge, aus harten tertiären Basalten aufgebaut, sind gesteinen südlich des Thüringer Waldes beiderseits überwiegend bewaldet. Die Stufen und Hänge aus Mu-

60 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften schelkalk und die flacheren Röthänge tragen dagegen Abb. 3.3-5: sehr häufig noch ausgedehnte Schaftriften und zahlrei- Alte Obstsor- che Streuobstbestände, die seit Mitte der 90er Jahre ten: ‚Muska- teller Birne’ in einem viel beachteten Länder übergreifenden Streu- (aus: obstprojekt der "Rhöner Apfelinitiative" wieder wirtschaft- „Deutsch- lichen Nutzungen zugeführt werden. Dazu gehört neben lands Obst- dem Aufbau von Verarbeitungs- und Vermarktungs- sorten“ 1905). strukturen auch die wissenschaftliche Erfassung der vorhandenen Streuobstbestände hinsichtlich alter lokaler Sorten und ihres Zustandes.

Die Rhön bietet ein gutes Beispiel dafür, dass der Obst- bau auch in großklimatisch ungünstigere Gebiete vor- dringen kann, wenn die geländeklimatischen Bedingun- gen und die Bodenverhältnisse diese Nachteile aus- gleichen. Während die höheren Lagen bereits zum "Deutschen Mittelgebirgsklima" gehören, zählen die tieferen noch zum Klimabezirk "Oberes Werratal". Ins- gesamt besitzt der Naturraum mit Höhen zwischen 250 bis über 700 m NN ein atlantisch getöntes, relativ feuch- Name Verbreitung tes und kühles Klima, dem aber große Unterschiede im Geländeklima zwischen nord- und südexponierten Äpfel Hanglagen und vergleichsweise nährstoffreiche Böden Kleiner Hasenkopf Raum Jena (auf Basalt) gegenüberstehen. Roter Eiserapfel im Eichsfeld "Klosterapfel", in Altenburg "Christapfel"

3.3.6 Alte Obstsorten Danziger Kantapfel, im Eichsfeld "Buschapfel", syn. Roter Kardinal besonders Saaletal Im Vergleich zu modernen Niederstammanlagen mit ihrem einheitlichen, auf wenige Hochertragssorten be- Marienapfel bes. Räume Jena und Apolda schränkten Sortenspektrum finden sich in Streuobstbe- ständen als Ergebnis generationenlanger Züchtung Prinzenapfel auch in Hochlagen und Auslese in der Regel viele unterschiedliche Sorten. Roter Stettiner bei Worbis "Berliner" Damit verbunden sind neben der optimalen Anpassung Grüner Würzgärtner Saalfeld an die jeweiligen Standortverhältnisse auch Geschmacks- Birnen vielfalt und eine geringere Anfälligkeit gegenüber Er- tragsschwankungen und Ertragsausfällen durch Schäd- Hopfenbirne verbreitet im Raum Saalfeld lingsbefall und Frostschäden. als "Stieglitzbirne" Margaretenbirne bei Jena (nicht identisch mit "Kleine M." oder Abb. 3.3-4: "Säuerliche M.") Alte Obstsor- Mützchenbirne bei Jena ten: ‚Prinzen- apfel’ (aus: Kleine Petersbirne Altenburger Raum „Deutschlands Obstsorten“ Tabelle 3.3-4: 1905). Einige Lokalsorten und ihre Verbreitung um 1889 (zit. n. STOLLE 1994, S. 15).

Mit diesen züchterischen Zielen wurde im Laufe der Jahrhunderte eine schier unüberschaubare Fülle von Regional- und Lokalsorten geschaffen. Die nachfolgen- den Auszüge aus dem Handbuch "Deutscher Obstbau" von R. GOETHE (1909) mögen einen Eindruck davon geben, wie groß die Vielfalt noch vor 100 Jahren in den einzelnen Herrschaftsgebieten Thüringens war und welche wirtschaftliche Bedeutung die Obstsorten hatten.

61 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

Preußen: Provinz Sachsen Sommermagdalene, Schmalzbirne, Gute Graue, Großer Katzenkopf, Pastorenbirne, Bergamotte, Napoleons But- Überblick: Der extensive Obstbau erhebt sich über den terbirne, Liegels Butterbirne; von Zwetschen: Thüringer Durchschnitt vor allem in den mittleren Höhenlagen des Hauszwetsche, Augustzwetsche, Reineclauden, Eierpflau- Thüringer Beckens (Mühlhausen i.Th.), an vielen Stellen men; von Kirschen: Große Lotkirsche, Lauermann, Och- des mittleren Saale-, des unteren Unstrut- und des Elster- senherzkirsche, Glaskirsche, Ostheimer Weichsel, Sau- tales, dann aber auch auf vielen Domänen der ganzen erkirsche. Provinz. Stark zurück tritt der Obstbau in den rauen Höhen- lagen des Thüringer Waldes, zum andern auf armen Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt Sandböden und auf den sehr guten Böden, die durch intensiven Rüben- und Weizenbau hochwertig ausgenutzt Überblick: Im Bereich Rudolstadt (Landratamtsbezirk) am werden. Überdurchschnittlich stark vertretener Obstbau stärksten betrieben. Schutz durch Berge und Wald. Anla- an den Rändern der Goldenen Aue, besonders bei Wall- gen an Nord- und Ostabhängen häufig ertragreicher als hausen, dann in kleineren Anlagen in der Erfurter Gegend. in der Sommerlage, welche durch Frühjahrsfröste und Großkultur von Süßkirschen kommt nur auf kalkhaltigem Trockenheit leidet. Auf fast allen Bodenarten, bei Rudolstadt Boden vor. Ausgeprägte Süßkirschenlagen sind die Ränder vor allem Kalk- und Mergelböden. Der Obstertrag dient der Goldenen Aue, besonders die Wallhausener Gemar- zur Deckung des eigenen Bedarfs, auch wird besonders kung mit ihrem feinkörnigen Sandstein, und die kalkreichen nach dem Thüringer Wald ausgeführt, welcher infolge Hänge des Werratals bei Treffurt sowie die Keupermulde seiner Höhenlage kein Obst erzeugt. bei Mühlhausen. Weiterhin der geschiebefreie Lehm mit einspringender Keuperformation bei Witterda und den Sorten: Es gedeihen fast alle Obstarten, besonders Äpfel, Fahner Höhen. Hervorragende Kirschen gedeihen auch Birnen und Zwetschen, auch Kirschen, Walnüsse und auf den kalkreichen Hängen der Naumburger Gegend Beerenobst. Von den Äpfeln wird besonders angebaut: (Saale- und Unstruttal). der Prinzenapfel, Goldparmäne und verschiedene Renet- tenarten, auch der Geflammte Kardinal und der Rote Sorten: Äpfel: am meisten angepflanzt Wintergoldparmäne, Eiserapfel. Schöner aus Boskoop, Landsberger Renette, Geflammter Weißer Kardinal, auf Aueboden auch Gravensteiner, Herzogtum Coburg-Gotha Große Kasseler Renette, Roter und Weißer Stettiner. An Birnen ist Boscs Flaschenbirne die Hauptsorte der Provinz, Überblick: Als die hauptsächlichsten Obstbauorte sind zu daneben die Köstliche von Charneu im Norden der Provinz, bezeichnen: die Stadt Gotha, Friedrichswerth mit Neufran- Petersbirne besonders im Elstertal. Unter den Kirschen kenroda, Sonneborn, Körner, Herbsleben, Döllstädt, Gier- sind Kunzes Kirsche bei Wallhausen (Goldene Aue), städt, Groß- und Kleinfahner; letzte drei Orte sind für Türkine auf den Fahner Höhen und Französische Kirsche Kirschen ein Erzeugergebiet von großer und zunehmender bei Treffurt viel verbreitet. Im übrigen haben die Kirsch- Bedeutung. Die klimatischen Verhältnisse gehören nicht gebiete ihre örtlichen Sorten, die als Thüringer Kirschen gerade zu den günstigsten, denn späte Frühjahrfröste weit über die Grenze der Provinz auf dem Markt sehr schädigen die Blüte und Herbststürme beeinträchtigen geschätzt sind. die Ernte. Anbau auf Verwitterungslehmen des Muschel- kalks. Bei Groß- und Kleinfahner lehmiger Sand, bei Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen Herbsleben nur Sand.

Überblick: Verwaltungsbezirk Sondershausen: auf 1 Apfel Sorten: Als die am meisten angepflanzten Kernobstsorten 1/2 Birne, 3 Zwetschen, 1 Kirsche; Ebeleben: auf 1 Apfel Äpfel: Goldparmäne, Geflammter Kardinal, Prinzenapfel, 1/3 Birne, 4 Zwetschen, 3/4 Kirsche; Arnstadt: auf 1 Apfel Jacob Lebel, Pariser Rambour-Renette, Roter Eiserapfel; 1/2 Birne, 3 Zwetschen, 1/4 Kirsche; Gehren: auf 1 Apfel, von Birnen: Muskatellerbirne, Petersbirne und Diels Butter- 1/3 Birne, 1/2 Zwetsche, 1/6 Kirsche. In der Gegend von birne. Die ersten Kirschbäume wurden in Klein-Fahner Greußen-Ebeleben sind zahlreiche Walnussbäume zu vor etwa 125 Jahren gepflanzt. Unter den Kirschsorten finden. Das Obst wird in großen Mengen grün und reif ist besonders die Türkine (oder Flamentiner), welche sich ausgeführt, hauptsächlich Zwetschen nach Hamburg, das als wohlschmeckenste, reichtragendste und beste Frucht andere Obst in die umliegenden Städte und Berlin, Ham- bewährt hat und so vermehrt worden ist, dass jetzt 3/5 burg, Westfalen. Pflaumenmus und gedörrte Zwetschen aller vorhandenen Kirschbäume Türkinen sind. Große für den häuslichen Gebrauch und für den Inlandshandel starke Bäume, die durchaus 80 bis 100 Jahre alt werden. zubereitet. Sie ist eine große bunte Herzkirsche. Es folgen die Rote Maikirsche und Lauermanns Kirsche. Sorten: Es werden vorzugsweise folgende Obstsorten angepflanzt: von Äpfeln Gravensteiner, Edelborsdorfer, Großherzogtum Sachsen-Weimar Wintergoldparmäne, Roter Eiserapfel, Großer Bohnapfel, Grüner Fürstenapfel, London-Pepping, Danziger Kantapfel, Überblick: Am stärksten betrieben in den Räumen Apolda, Landsberger Renette, Baumanns Renette, Große Kasseler Jena, Weimar, Allstedt, Buttstädt, Vieselbach, Weida und Renette, Champagner Renette, Harberts Renette, Kar- Großrudestedt. Bedeutend sind die Gemeindepflanzungen. meliter Renette und Graue französische Renette, Kaiser Die Staatsstraßen sind zur Hälfte der Gesamtlänge mit Alexander, Astrachan, Cellini, Charlamowsky, Schöner Obstbäumen bepflanzt. Klima günstig: Übergang Winter- von Boskoop, Geflammter Kardinal; von Birnen: Grüne getreideklima zum Weinklima. Böden: Am meisten dürften

62 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

zum Obstbau verwendet sein kalkhaltige Lehmböden, schenzucht), Queienfeld und Nordheim im Grabfeld sowie doch auch andere nicht ausgeschlossen. Reihenfolge im Stepfershausen, Seeba und Bettenhausen am Fuß der Großherzogtum: 63,5 % Zwetschen, 19,1 % Äpfel, 9,1 % Geba. Die klimatischen Verhältnisse sind in den Kreisen Kirschen, 8,3 % Birnen. Der Obstertrag dient in erster Saalfeld und Hildburghausen teilweise mild, in den anderen Linie zur Deckung des eigenen Bedarfs, wobei hauptsäch- Landesteilen aber rauer und durch den Thüringer Wald lich Marmelade und Gelee sowie Dörrobst hergestellt ungünstig beeinflusst, an dessen Hängen der Obstbau werden. Es findet ein reger Verkauf von Frischobst nach keine Stätte mehr findet, wechseln auch die Bodenarten den umliegenden größeren Städten, zum Teil auch nach sehr, immerhin fehlt es nicht an tiefgründigen, milden auswärtigen Städten, wie Halle a.S., Leipzig und Berlin Lehmböden, die für den Obstbau sehr günstig sind. In den statt. Zwetschen gehen vielfach halbreif nach Hamburg Kreisen , Hildburghausen und Meiningen über- und England. Die Ausbreitung des Obstbaus ist in erster wiegen die Apfelbäume bei weitem, und werden Kirschen, Linie der regen Tätigkeit des Landesobstbauvereins und Birnen und Zwetschen nur wenig angebaut; im Kreis Saal- seiner Sektionen zuzuschreiben. feld bilden die Zwetschen da, wo sie gedeihen, die Hälfte des ganzen Bestandes, während in den übrigen Teilen Sorten: An Obstsorten werden besonders angebaut: auch der Apfelbaum vorherrscht. Außerdem ist zu sagen, Von Äpfeln: Goldparmäne, Kasseler Renette, Gravenstei- dass noch immer viel zu viele Sorten angebaut werden. ner, Graue Renette, Bohnapfel, Landsberger Renette, Das meiste Obst wird im Lande verbraucht. Nur kleine Harberts Renette, Prinzenapfel, Pariser Rambour-Renette, Mengen gehen nach Berlin, Plauen, Oelsnitz und Leipzig. Baumanns Renette, Geflammter Kardinal, Goldrenette Der Obstbau nimmt überall entschieden zu. von Blenheim, Roter Eiserapfel, Mooren-Stettiner, Kaiser Alexander und Danziger Kantapfel; von Birnen: Margare- Sorten: In größerer Anzahl pflanzt man von Äpfeln: Prin- tenbirne, Napoleons Butterbirne, Muskatellerbirne, Ret- zenapfel, Danziger Kantapfel, Wintergoldparmäne, Her- tichbirne, Petersbirne und Gute Graue; von Zwetschen: renapfel, Bamberger, Geflammten Kardinal und die Lands- die deutsche Hauszwetsche und die Italiener Zwetsche; berger Renette; von Birnen: Regenbirne, Katzenkopf, von Kirschen: Südkirschen: die Herzkirsche und die Hammels Birne, Gute Graue, Köstliche von Charneu und Schöne von Marienhöhe, Sauerkirschen: die Ostheimer Diels Butterbirne. Besonderes Gewicht legt man in den und die Ammernkirsche. rauen Landesteilen auf spätblühende Sorten.

Fürstentum Reuß ä.L. Tabelle 3.3-5: Überblick: Größere Obstpflanzungen finden sich in den Anbau und alte Obstsorten in den thüringischen Territorien Niederungen und an den südlichen Abhängen des Elster- um 1900 (verkürzt zit. aus GOETHE 1909). tals. Klima ist dasjenige des deutschen Mittelgebirges und dementsprechend für Obstbau nicht günstig, früh- jahrsfrostgefährdet. Vorwiegend Äpfel angebaut, ungefähr doppelt soviel wie Birnen. Ertrag hauptsächlich für Eigen- bedarf. Weitere Nennungen historischer Lokalsorten sind dem Sorten: Äpfel: Kasseler Renette, Landsberger Renette, Jahrbuch der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft Ribstons Pepping, Karmeliter-Renette, Cellini, Virginischer Rosenapfel, Wintergoldparmäne. Birnen: Diels Butterbirne, von 1889 zu entnehmen (Ergebnisse einer überregio- Kuhfuß, Esperens Herrenbirne, Gute Luise. nalen Fragebogenaktion zur Verbreitung wichtiger Apfel- und Birnensorten) (s. Tab. 3.3-4): Fürstentum Reuß j.L. Als ganz konkretes Beispiel für die historische Sorten- Überblick: Vorzugsweise im Elstertal und überhaupt im vielfalt sei abschließend noch einmal der bereits erwähn- Unterland (Reuß-Gera). Besonders bei Kalkunterlage schönes Obst. Am meisten pflanzt man Äpfel und Pflau- te Pfarrgarten von Magdala bei Jena angeführt: 1742 men, weniger häufig Birnen und Kirschen. Obst wird im standen dort Äpfel wie Borsdorfer, Grüner Stettiner, Lande verbraucht. Renette, Weisskante, Paradiesapfel, Römischer Runder Pfingstapfel, Birnen wie Blutbirne, Flachsbirne, Grali- Sorten: Beliebte Birnensorten sind die Peters- und die chenbirne, Große Muskatellerbirne, Haferbirne, Honig- Rettichbirne; unter den Kirschensorten bevorzugt man birne, Katharinenbirne, Knorrenbirne, Nelkenbirne, neben Mai- und Herzkirschen die Ammer und die Osthei- Weinbirne, Weiße und Graue Herbstbutterbirne, Leip- mer Weichsel. ziger Grüne (LÄSSIG U. MICHEL 2004). Herzogtum Sachsen-Meiningen Mit dem Rückgang der Mosterei, der Umstellung auf Überblick: Im Kreis Saalfeld und in der Grafschaft Kamburg wenige Hochertragssorten und mit den Rodeaktionen ist es vorzugsweise das Saaletal, wo viele Ortschaften sind die meisten dieser alten Sorten heute verschwun- starken Handelsobstbau treiben, und wo man die Talebene den bzw. nicht mehr nachweisbar. Lokalsorten sind und die Hänge dazu benutzt. Außerdem sind zu nennen ohnehin außerhalb ihres Verbreitungsgebietes häufig die Bezirke Hildburg und Römhild, der Ort Sülpdorf (Kir- unbekannt.

63 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

3.3.7 Bedeutung für Ökologie und Landschafts- Trockenmauern und Lesesteinwälle vor dem Verfall planung bzw. der Zerstörung bewahren. Relativ häufig markieren (und schützen) Streuobstbestände auch Böschungen An den historischen Streuobstbeständen lässt sich gut von Hohlwegen, Hügelgräber, Schanzen und andere verdeutlichen, wie Strukturen alter Kulturlandschaften Bodendenkmäler. aufgrund ihres historischen, ökologischen und land- schaftsästhetischen Wertes eines geradezu interdiszi- Durch ihre optische Präsenz tragen Streuobstbestände plinären Schutzes bedürfen. überdies ganz wesentlich zur Bereicherung und Unver- wechselbarkeit des Landschaftsbildes bei. Eine durch An erster Stelle zu nennen ist im thematischen Rahmen Obsthaine parkartig gegliederte Flur wird von vielen dieses Buches natürlich ihr kulturhistorischer Dokumen- tationswert. Streuobstbestände dokumentieren eine in Menschen als ästhetische Bereicherung empfunden. Thüringen einst weit verbreitete landwirtschaftliche Dorfnahe Streuobstgürtel schaffen eine harmonische Nutzungsform, die besonders in kleinbäuerlichen Be- Abgrenzung der Siedlungen zur freien Gemarkung. sitzverhältnissen wesentlich zur Existenzsicherung Durch die wechselnden Eindrücke zu Zeiten ihrer Blüte, beitrug. Streuobstwiesen und -äcker reflektieren damit Fruchtbildung und Herbstfärbung spiegeln Streuobst- hintergründig auch Facetten des sozialen Lebens ver- bestände wie kaum eine andere Nutzung den Lauf der gangener Zeiten. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts Jahreszeiten wider ("Phänologischer Kalender"). war der Obstbau in Thüringen ein wichtiger Bestandteil der bäuerlichen Wirtschaft (Herstellung von Most, Dörr- Ökologisch bieten Streuobstwiesen durch die verschie- obst, Schnapsbrennerei). Man darf annehmen, dass denen Obstarten und -sorten, durch variierende Formen sie in den Hungersnöten des 17. und 18. Jahrhunderts und Größen der Bäume und durch den hohen Totholz- in vielen Dörfern halfen, das Überleben zu sichern. anteil im Gegensatz zu intensiv genutzten, dicht mit Niederstämmen bepflanzten Obstplantagen wertvolle Aus der Selbstversorgung heraus entwickelte sich dann Nahrungsquellen und Ersatzlebensräume für zahlreiche seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein zunehmend markt- Tierarten. Insbesondere Insekten, Vögel und Kleinsäu- orientierter Anbau, der auf die Erzeugung von Frisch- ger profitieren vom Nahrungsreichtum, der Strukturviel- und Trockenobst für die wachsende Stadtbevölkerung falt und der relativen Ungestörtheit der Bestände. Streu- ausgerichtet war. Die meisten der heute noch vorhan- obstwiesen regulieren durch Windbremsung, Schatten- denen Streuobstwiesen stammen aus dieser Zeit. wirkung und Transpiration das Gelände- und Kleinklima. Geschätzt wird seit frühester Zeit die Schatten spen- Hohe kulturhistorische Schutzbedürftigkeit gebührt dende Wirkung einzelner Obstbäume: Sie boten den Streuobstbeständen, die im Ensemble mit Relikten auf dem Feld arbeitenden Bauern Ruheplätze ("Ves- anderer historischer Nutzungen - wie alten Weinbergen perbäume"); den auf den Obstwiesen weidenden Scha- - vorkommen. Dort stellen sie eine besonders denkmal- fen und Rindern gaben sie Schutz gegen Regen und verträgliche Nachnutzung dar, weil sie Terrassen, Wind. Auch auf die Luft-, die Boden- und die Grund- wasserqualität wirk(t)en sich Streuobstbestände gegenüber intensiveren Nutzungen positiv aus. Weil sie nicht gespritzt oder gedüngt werden, gehören sie zu den ökologisch verträg- lichsten, Boden und Grundwas- ser schonenden Landnutzun- gen (s. dazu KORNPROBST 1994, S. 17, 88ff).

Abb. 3.3-6: Streuobstwiesen auf alten Weinter- rassen an der Schwellenburg (Keu- pergips) bei Erfurt (Foto: H.-H. Meyer 2007).

64 Streuobstanbau und Streuobstlandschaften

Abb. 3.3-7: Streuobstwiesen auf alten Wein- terrassen an der Schwellenburg (Keupergips) bei Erfurt (Foto: H.- H. Meyer 2007).

3.3.8. Perspektiven: Alte Obstsorten als Gen- Einwohner zum Nutzen der Allgemeinheit 12 Obstbäume reserve und das Beispiel Tiefengruben pflanzen musste.

Mittlerweile bereitet es größte Schwierigkeiten, die Heute umfasst die Fläche der Streuobstwiesen noch kostspielige Pflege und Erhaltung der historischen fast 15 ha mit ca. 920 Obstbäumen, vorwiegend Exten- Streuobstbestände aufrechtzuerhalten, da es für das sivsorten. Bei einer Inventur wurden vor einigen Jahren Obst und seine Veredlungsprodukte aus Preis- und 82 verschiedene Kernobstsorten ermittelt, darunter (scheinbaren) Qualitätsgründen kaum noch Abnehmer sehr alte Sorten wie Königlicher Kurzstiel (1613 schon gibt. Bestenfalls bleibt nur die Saftpresse, um das Obst erwähnt), Danziger Kantapfel (Thüringer Synonym: Ro- einer sinnvollen Verwendung zuzuführen. ter Kardinal) und Timplingbirne, die erstmals im 18. Jahr- hundert beschrieben wurden (SCHURICHT 1994, S. 12). Dabei wird unterschätzt, dass Obst aus traditionell be- wirtschafteten Streuobstwiesen durch die Vielzahl der Seit 1992 werden 6,6 ha der Streuobstwiesen durch Sorten ein großes genetisches Potenzial besitzt. Ange- den Vertragsnaturschutz bewirtschaftet. Am dritten sichts der Begrenzung der Sortenzahl im modernen Samstag im Oktober wird in Tiefengruben alljährlich Erwerbsobstbau übernehmen die mittlerweile fast ver- ein Obstmarkt veranstaltet, bei dem Vermostungs- und gessenen Sorten bei der Obst- und insbesondere der Probieraktionen, Obstsortenbestimmung und auch Resistenzzüchtung eine immer wichtigere Rolle (Gen- geführte Rundgänge durch die Streuobstwiesen ange- reserve). boten werden. Ein Obstlehrpfad mit Informationstafeln klärt Besucher über die kulturgeschichtliche Nutzung, Diese und andere Gründe sprechen für die Erhaltung die Ökologie und Pflege von Streuobstwiesen auf alter Sorten, zumal sie als nicht natürlich vorkommende (EIMANN 2007). Formen keinerlei Schutz durch Nennung in Roten Listen o.ä. genießen. In diesem Zusammenhang kommt der Erhaltung der Streuobstwiesen ein besonderer Stellen- wert zu (SCHURICHT 1994, S. 12).

Ein „Vorzeige“-Beispiel dafür bietet das Rundplatzdorf Tiefengruben bei Bad Berka, das seit 1976 unter Flä- chendenkmalschutz steht. Der historische Ortskern wird von Bauerngärten mit reichem Obstbestand und einem halbkreisförmigen Gürtel aus Streuobstwiesen umgeben. Seit ca. 200 Jahren gibt es dort Streuobst- bestände. Angelegt wurden sie infolge einer Verordnung des Landesherren im Jahre 1705, nach der jeder neue

65 Historischer Waidanbau

3.4 Historischer Waidanbau *)

3.4.1 Bedeutung und Herkunft von den Slawen eingeführt wurde, lässt sich nicht sicher sagen. Einer undatierten Urkunde aus der Zeit Heinrichs Der Färberwaid (Isatis tinctoria), die wichtigste farb- III. (Reg. 1056-74) ist zu entnehmen, dass die Slawen stoffliefernde Pflanze des Mittelalters, war neben dem im Orlagau dem Kloster des Heiligen Petrus zu Köln Wein lange Zeit die wirtschaftlich bedeutendste Sonder- Farbe ("worin") liefern sollten, bei der es sich wahr- kultur im Thüringer Land. Vom 13. bis ins 17. Jahrhun- scheinlich um Waidfarbe handelte (MÜLLEROTT 1992). dert durchsetzten die goldgelb leuchtenden Waidfelder Anfangs wurde die Pflanze nur zur Deckung des Eigen- die Fluren vieler Dörfer in Mittelthüringen. Anbau und bedarfs angebaut. Im Verlauf des Hochmittelalters Verarbeitung von Waid trugen dort wesentlich zum Le- entwickelte sich Thüringen dann aber neben dem Waid- bensunterhalt bei; den 5 Waidstädten Erfurt, Arnstadt, anbaugebiet am Niederrhein zum bedeutendsten im Gotha, Langensalza und Tennstedt brachten die Herstel- deutschsprachigen Raum. Im 14. Jh. hatte sich der lung des begehrten Farbpulvers und sein Handel be- feldmäßige Waidanbau voll entfaltet. trächtlichen Wohlstand. Für die bäuerliche Wirtschaft lag der wirtschaftliche Nutzen der Waidkultur vor allem darin, dass sie die Erträge der Dreifelderwirtschaft deut- 3.4.2 Standortansprüche lich verbesserte, da das für die Brache vorgesehene Land mit der Färbepflanze bebaut wurde. Dass sich die Waidkultur gerade in Thüringen so vorteil- haft entwickelte, ist in erster Linie auf die für das Wachs- Das dem Raps ähnliche Kreuzblütengewächs ist in tum der Waidpflanze idealen Boden- und Klimabedin- Deutschland nicht bodenständig. Ursprünglich heimisch gungen zurückzuführen. in den Steppengebieten Südosteuropas und Westasiens (LOHMEYER U. SUKOPP 1992), gelangte die Waidpflanze Die kalkhaltigen Keuper- und Muschelkalk-Böden des mit der Ausbreitung von Ackerbau und Tierhaltung noch Thüringer Beckens mit ihren nährstoffreichen und tief- vor der Zeitenwende über Ägypten und Mesopotamien, gründigen Lössauflagen ermöglichten neben dem tro- Palästina und Syrien zunächst nach Südeuropa, wo ckenen und warmen Klima die Erzeugung von Waid Griechen und Römer den Waid nachweislich als Färbe- hoher Qualität, und sie gestatteten bis zu drei Ernten pflanze verwendeten. Bald schon schätzten sie Kelten im Jahr. Den Wärmeansprüchen ist es zuzuschreiben, und Germanen aus dem gleichen Grund, ebenso die dass der Waid im wesentlichen nur unterhalb der 400 Franken. In der Landgüterordnung Karls des Großen m-Höhenlinie angebaut wurde. aus dem Jahre 795 wird neben Flachs und Wolle auch der Waid genannt. Nach der Hungersnot von 792/793 Der wirtschaftliche Erfolg des Thüringer Waidanbaus verlangte Karl der Große darin von seinen Untertanen, war aber auch durch die zentrale Verkehrslage des Gärten anzulegen und neben anderen Nutzpflanzen Thüringer Beckens bedingt. Angebunden an wichtige auch Waid anzubauen. Ob der feldmäßige Anbau in Fernhandelsstraßen in Ost-West- („Via regia“) und Thüringen dann erstmals von den Franken oder aber Nord-Süd-Richtung („Kreuzstraße“) gab es damals keine andere Waidregion in vergleichbarer Lagegunst.

3.4.3 Anbau und Verarbeitung

Gefördert wurde die Ausbreitung des Waidanbaus auch durch die besonderen agrarwirtschaftlichen Bedingun- gen des Hochmittelalters. In der herrschenden "Dreifel- derwirtschaft" erweiterte die begehrte Färbepflanze das bis dahin schmale Anbauspektrum, da die Aussaat auf dem temporär brachliegenden Feld vorgenommen wurde. Die Waidkultur verschaffte dem Bauern dadurch eine zusätzliche Einnahmequelle.

Wenn man bedenkt, dass nur etwa ein Drittel der Flä- Abb.3.4-1: Waidpflanze (Isatis tinctoria) in den drei Stadien (Rosette, chen mit Waid und anderen Färbepflanzen bestellt wer- Blütenstand, Samenstand). Ausschnitt aus der bedeutenden den konnte und diese mit weiteren Sonderkulturen wie Abhandlung über den Waidbau in Thüringen von DANIEL Anis, Koriander und Gemüse (s.u.) konkurrierten, lässt GOTTFRIED SCHREBER (1752). sich schnell ableiten, dass der Waidanbau keine Mono-

66 *) Verfasst von: Hans-Heinrich Meyer und Doreen Eisfeld Historischer Waidanbau

Abb. 3.4-2: Waidmühlen mit Trockengerüsten vor der Stadt Gotha (n. MERTEN POPPE, 1567; in: MÜLLEROTT 1993, Tafel 20). kultur im heutigen Sinne war. „Die überlieferten Angaben bevor das Saatgut im Dezember oder im März ausge- über die mit Waid bestellte landwirtschaftliche Nutz- bracht wurde. War der Boden warm genug, wurden fläche, lassen den Schluss zu, dass die dafür genutzte die Pflanzen in einem Abstand von 15 cm gepflanzt. Ackerfläche in den Erfurter Dörfern nicht über fünf bis Laut Waidordnung mussten die Äcker bis zur Ernte sechs Prozent lag“ (BENECKENSTEIN 1992, S. 14). drei- bis viermal gejätet und ausgedünnt werden, denn sie verkrauteten schnell (MÜLLER/PÖTSCH 1983, S.60/61). Die Waidpflanze ist eine zweijährige Pflanze. Im ersten Jahr bildet sie eine Rosette mit lanzettartigen 15-30 Die Ernte der Blätter (im ersten Jahr) begann, wenn Zentimeter langen blaugrünen Grundblättern, die den sie sich gelblich verfärbten. Für die schwere Arbeit begehrten Farbstoff lieferten. Im zweiten Jahr schießen wurden bereits im 16. Jahrhundert Saisonarbeiter aus aus der Rosette rd. 1 m hohe Blütenschäfte, die Ende dem Lausitzer Gebiet angeworben (BENECKENSTEIN Mai/Anfang Juni (um Pfingsten) zahlreiche gelbe Blü- 1992, S.11). In kniender Haltung wurden die Blätter tenstände tragen. Aus ihnen wurden später die reifen mit einem Stoßeisen von der Pflanze getrennt. Dabei Samen für die Neuaussaat gewonnen. durfte der Wurzelkopf nicht verletzt werden, wenn es noch eine weitere Ernte geben sollte. Dann schlugen Ebenso war im zweiten Jahr eine weitere Ernte möglich. die Wurzeln schnell wieder aus, und nach ca. sieben Der Waid galt dann aber als minderwertig; er durfte Wochen war eine weitere Ernte möglich. Geerntet nicht für die Herstellung von Ballenwaid genutzt werden. wurde zwei- bis dreimal im Jahr. Stets war darauf zu Diesen minderwertigen Waid nannte man Kompst- achten, dass die Ernte rasch erfolgte, da der Waid bei Waid. Er war ausschließlich zum Eigengebrauch der schlechtem Wetter schnell verfaulte. Bauern bestimmt und wurde meist als Futter für die Haustiere genutzt. In nahe gelegenen Gewässern wurden die geernteten Blätter anschließend von den anhaftenden Bodenresten Waidbestellung und -ernte vollzogen sich folgenderma- gereinigt. Danach wurden die Blätter zum Trocknen ßen: Im Herbst wurde der Boden mehrspännig gepflügt, und Auswelken auf Wiesenflächen ausgebreitet. Zur

67 Historischer Waidanbau

damaligen Zeit gab es viele solcher „Waidrasen“ in gensalza und Tennstedt. Dort wurden die Waidballen nächster Umgebung der Gewässer oder der Waidmüh- von den für die Weiterverarbeitung zuständigen Waid- len. Dabei durften die Blätter nicht zu trocken werden, händlern aufgekauft und zur Weiterverarbeitung auf aber auch nicht mehr zu feucht sein, um nach der Wei- den mehretagigen Dachböden der Waidspeicherhäuser terverarbeitung gute Qualität und einen angemessenen (s.u.) eingelagert. Preis zu erzielen. Partienweise wurde der Ballenwaid dort anschließend Die Weiterverarbeitung erfolgte in Waidmühlen (s.u.). mit Waidhämmern zerkleinert und die Trockenmasse Waidmühlen arbeiteten meist nach dem Prinzip eines in Haufen zusammengeschüttet. Unter Zugabe großer Göpelwerkes, d.h. sie wurden von Pferden, Eseln oder Mengen Wasser und Urin wurde das Waidpulver dann Ochsen angetrieben. Herzstücke der Waidmühle waren einem mehrwöchigen Gärungs- und Fermentationspro- der aufrecht stehende schwere Mühlstein und die aus zess unterzogen, der mit unerträglichem Gestank und einem festen Stein, aus Steinplatten oder Pflaster ge- höchster Brandgefahr verbunden war. Der Verlauf die- bildete ringförmig angeordnete steinerne Mahlbahn ses temperaturabhängigen Prozesses hatte entschei- („Tenne“), auf welcher der Mühlstein im Kreise (im sog. denden Einfluss auf die Färbekraft des erzeugten Waid- Kollergang) lief. Der feste Stein, die Tenne, besaß häu- pulvers, das im Resultat eine taubenmistähnliche Be- fig Furchen, die vom Mittelpunkt des Steins aus strah- schaffenheit und Farbe aufwies. Erst jetzt entstand der lenförmig nach außen zogen und zur Abführung des für den Waid charakteristische blaue Farbstoff (Indigo). Mahlgutes dienten. Die senkrechten Mühlsteine hatten Nachdem das Endprodukt wiederum getrocknet und eine gezähnte Lauffläche, mit der die Waidblätter regel- anschließend zermahlen worden war, wurde das so recht zerschnitten und zerquetscht werden konnten, gewonnene Pulver in Fässern aus Tannenholz zum bis ein grüner Brei übrigblieb. Versand gebracht (RÖSLER 1997, S.4). Färber konnten damit unter Beigabe von Wasser ihre Stoffe je nach Meist gehörten die Waidmühlen den Gemeinden oder Konzentration blau, grün oder schwarz färben. den Kirchen, und die Bauern mussten für ihre Nutzung Gebühren zahlen. Viele Waidmühlen lagen deshalb zentral in den Dörfern entweder auf dem Dorfanger, 3.4.4 Handel mit Waid am Dorfteich oder an der Dorfkirche, da sie auf Grund und Boden des Eigentümers stehen mussten. Dieses Im Mittelalter lieferte der Waid den wichtigsten unter ist auch der Grund, weshalb man heute noch die meisten vielen anderen organischen und mineralischen Farb- Waidmühlensteine in der Nähe dieser Anlagen findet. stoffen. Zu diesen anderen Färbemitteln zählten Krapp Ebenso konnte ein Dorfteich gleich für die Waidwäsche (rot), Wau (gelb, grün), Ginster (gelb), Holunder und genutzt werden (MÜLLEROTT 1993, S.18). Städte betrieben Heidelbeere (blau), eine Mischung aus Eichenrinde ihre Waidmühlen dagegen überwiegend vor den Stadt- und Eisenspänen (schwarz) und die Kermesschildlaus toren, wo für die Mühlen und die dazu gehörenden (scharlachrot). Zudem wurde ein Teil der Farbstoffe Trockengerüste genügend Platz zur Verfügung stand, wie Brasilholz (rot), Färberdistel (Saflor, gelb, karminrot), wie die alte Stadtansicht von Gotha verdeutlicht (Abb. Safran (gelb, grün) und Orseille (rot, violett) importiert 3.4-2). (SCHMIDT-HÄNDEL 2004, S.35).

Nachdem die Blätter durch den Mühlstein zerquetscht Neben dem Einfärben von Textilien wurde die Waidfarbe waren, wurde der entstandene Brei von den Frauen in schon früh zum Bemalen von Häusern und für Wand- mühsamer Handarbeit zu faustgroßen Bällchen geformt malereien verwendet. Es gab außerdem viele Rezepte, ("Ballenwaid"). Diese Ballen mussten dann nochmals mit denen man sich die Heilwirkung von Extrakten der getrocknet werden. Dazu befanden sich im näheren Waidpflanze bei unterschiedlichen Krankheiten zu- Umkreis der Mühle die so genannten Darren (Trocken- nutze machte (SCHMIDT-HÄNDEL 2004, S.34). gerüste). Das waren hohe, mit Schindeln oder Stroh überdachte Geflechte aus Weiden, auf denen die ge- Dank der guten Wachstumsbedingungen war der Thü- formten Waidbällchen zum Trocknen ausgelegt wurden ringer Waid hinsichtlich der Färbekraft dem Waid aus (MÜLLEROTT 1993, S.17). anderen Anbaugebieten (Niederrheingebiet um Jülich, Region Nürnberg, Oberschlesien) überlegen und des- Anschließend mussten die Waidballen zum Verkauf in halb überregional besonders gefragt. Die Gewinne aus die Waidstädte gebracht werden, denn die Bauern dem Verkauf des Farbpulvers waren beträchtlich. selbst durften den Waid nicht weiterverarbeiten. Vielmehr lag das Recht zur Herstellung des begehrten Endpro- Der Waidmarkt fand nur in den Städten mit Waidhan- duktes (Waidpulver) lange Zeit allein in den Händen delsrecht statt. Zu diesen Städten zählten Arnstadt, der Thüringer Waidstädte Erfurt, Arnstadt, Gotha, Lan- Erfurt, Greussen, Großenehrich, Gotha, Kindelbrück,

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Langensalza, Mühlhausen, Naumburg, Tennstedt, Wei- mar und Weißensee. Unangefochtenes Zentrum der Verarbeitung und des Handels mit Waid waren Arnstadt, Erfurt, Gotha, Langensalza und Tennstedt. Sie werden als die „5 Waidstädte Thüringens“ bezeichnet. Seit dem 13./14. Jahrhundert bildeten sie sich zu Zentren der Verarbeitung und des Fernhandels heraus.

In Erfurt wurde der „Weydtmarkt“ (heute Anger), auf dem der Ballenwaid verkauft werden durfte, seit 1531 abgehalten, anfangs im Bereich des heutigen Wenige- marktes, später dann auf dem heutigen Anger. Er fand dort von Trinitatis (1. Sonntag nach Pfingsten) bis Mi- chaelis (29. September), außer an den Sonn- und Fei- ertagen, täglich statt. Der Erfurter Waidmarkt war der größte Waidmarkt Europas, auf dem sich in Spitzenzei- ten täglich ca. 300 Fuhrwerke einfanden.

Da man für die Verarbeitung der Waidballen genügend Zeit, Geld und Personal brauchte, waren es meist die reicheren Bürger der Stadt, die sich mit der Erzeugung des Farbpulvers beschäftigten. Demzufolge speziali- sierten sich einige Händler ausschließlich auf das Waid- geschäft, also auf den Handel mit Waid. Andere han- Abb. 3.4-4: delten zusätzlich mit verschiedenen Waren oder bezo- Waidstein vor dem Volkskundemuseum Erfurt (Foto: D. Eisfeld gen im Manufakturwesen ergänzende Einkünfte. 2006).

Abnehmer des Thüringer Waids waren Zentren des die Oberlausitz und Schlesien, im süddeutschen Raum Tuchgewerbes in allen Teilen Deutschlands: im Osten Franken, Schwaben und der Donauraum, im Norden die Hafenstädte, vor allem Bremen, Lübeck, Hamburg und Rostock und im Westen die mittelrheinischen Städte. Sogar Köln als zentraler Markt für das Waidan- baugebiet am Niederrhein bezog Waid aus Thüringen, der von hier vermutlich in die Tuchgewerbezentren Flanderns und der Niederlande gelangte.

Die Waidhändler und mit ihnen viele Angehörige betei- ligter Gewerke und Gewerbe, wie Böttcher, Fuhrleute, Krämer, Gastwirte, profitierten von den blühenden Han- delsbeziehungen. Besonders die Waidhändler erlangten Reichtum, Wohlstand und gesellschaftlichen sowie po- litischen Einfluss. Sie ließen Häuser erbauen und um- bauen, erwarben Ländereien oder Bergwerksanteile und nahmen hohe Positionen in der Politik, z.B. in den Stadträten, ein.

Für die Städte war der Waidhandel eine wichtige Steu- erquelle. Die Waidbauern im Erfurter Raum mussten als Entgelt den so genannten Waidpfennig zahlen. Er entsprach der Menge an erzeugtem Ballenwaid. Ebenso Abb. 3.4-3: wie der Verkauf des Ballenwaids mit Gebühren verbun- Waidmühle mit senkrecht stehendem Läuferstein, Tenne und den war, war auch der Verkauf des fertigen Farbpulvers seitlichen Langsteinen, die das Holzwerk tragen. In der Waid- mühle wurden die Blätter zu einem Brei (Waidmus) zerquetscht mit Abgaben belastet. So wurden für den ausgeführten (Holzschnitt aus dem Zyklus "Abriß etlicher Arbeiten, so im Waid Geleitsgeld oder Waidzoll verlangt. Als Gegenlei- Weyd geschehen müssen" von L. NISKA, Erfurt 1631; aus: stung mussten die jeweiligen Landesherren die Sicher- SCHREBER 1752, Forschungs- und Landesbibliothek Gotha). heit auf den Straßen gewährleisten.

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Die Städte, in denen Waid gehandelt und der Waidmarkt abgehalten wurde, erblühten dank der unangefochtenen Stellung des Thüringer Waides im wirtschaftlichen Glanz. Schmuckvolle Bürgerhäuser wurden erbaut und einfache Häuser repräsentativ umgebaut. 1392 veran- lassten die Erfurter Bürger sogar die Gründung einer eigenen Universität mit vier Fakultäten (MÜLLER U. PÖTSCH 1983, S. 63). Viele Waidstädte taten es dem Erfurter Beispiel gleich und erwarben Ortschaften und Ländereien außerhalb der Stadttore, um ihre Einkünfte zu investieren.

3.4.5 Niedergang und Wiederbelebungen Abb.3.4-6: des Waidanbaus Waidmühle auf dem Gelände der ega, Erfurt (Foto: D. Eisfeld 2006). Mit dem Ende des Mittelalters klang auch die Blütezeit der Waidkultur aus. Der Niedergang des Waidanbaus hatte verschiedene Gründe. Zum einen schädigte der wurde gegen Ende des Mittelalters gegen diese Waid- permanente Nährstoffentzug durch die Färbepflanze verordnung verstoßen. Die Bauern befreiten ihre Felder - bei unzureichender Düngung - über einen längeren nicht mehr ausreichend von Unkraut, Wildkräutern und Zeitraum die Fruchtbarkeit der Böden. Zwar erzielten dem falschen, behaarten Waid, sondern nahmen sie die Bauern vorübergehend höhere Erträge, aber die zusammen mit dem Erntegut auf. Die Qualität sank Qualität des Ballenwaids sank. zusehends. Die Händler mussten den Ballenwaid nun aus anderen Gegenden außerhalb Thüringens bezie- Die Düngung der Felder sollte mit zweijährigem, aus- hen, bei denen die Qualität noch sicher gestellt war. gereiftem Mist vorgenommen werden, um zu vermeiden, dass es zur Verunkrautung der Äcker kam und dadurch Als sich der blaue Farbstoff Anfang des 17. Jahrhunderts die Qualität des Waids beeinträchtigt wurde. Aber oft dann auch noch aus dem Indigostrauch (Indigofera) billiger gewinnen ließ, leitete das den Niedergang des Waidanbaus ein. Der Strauch war in Indien, später auch in den Ländern Mittelamerikas und den Westindischen Inseln, in Nordamerika (South Carolina) und in Nordafrika als Handelskultur ver- breitet. Der Indigofarbstoff erbrachte pro Anbaufläche 30mal mehr Aus- beute als der Anbau von Waid. In der Folge setzte ein Preisverfall für das Waidpulver ein, und die "Teufels- farbe" Indigo verdrängte trotz Verbo- ten der Verwendung das thüringische Blau. Der 30jährige Krieg tat sein übriges, dass die einst lukrative Fär- berpflanze beinahe in die Bedeu- tungslosigkeit versank. Die Risiken des Krieges waren für den Waidan- bau zu hoch: Die zweijährige Kultur, die mehrmonatige Lagerung und Ver- arbeitung und der gefahrvolle Fern- handel durch die Kriegsgebiete lie- ßen die Waidwirtschaft unrentabel

Abb. 3.4-5: werden (MÜLLEROTT 1993, S. 24). So Das „Haus zur Windmühle“ in der Allerheiligenstraße in Erfurt war einst im Besitz kam es, dass von einst über 300 eines Waidhändlers (Foto: D. Eisfeld 2006). Waiddörfern (s.u.) 1629 nur noch 30

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den Waidanbau betrieben; 1752 waren es noch 15, Abb. 3.4-8: 1802 noch 7 (HEINRICH 1990, S.87). Ebenso orientierte Wappen von man sich in den Waidstädten um. Die Händler verkauften Neudietendorf, das einen fortan andere Waren. In Erfurt zählte man 1664 noch Waidbauern in 19 Waidhändler, 1755 nur noch 5 Händler (MÜLLEROTT blauer Tracht 1992, S.35). mit Weber- schiffchen und Zu Beginn des 19. Jahrhunderts förderte die napoleo- Waidpflanze nische Kontinentalsperre (1806-1813) für kurze Zeit zeigt. Bestrebungen, den Waidanbau wiederzubeleben. Ein neues Verfahren zur Gewinnung von Waid-Indigo durch Extraktion des Farbstoffes aus frischen Waidblättern war von dem Erfurter Chemiker und Apotheker J. B. Trommsdorf entwickelt worden. Es gestaltete sich ein- facher als das Jahrhunderte lang verwendete alte Ver- fahren. 1812 gründete Trommsdorf eine Waid-Indigo- Fabrik, die jedoch aufgrund der Aufhebung der Konti- nentalsperre und der geringeren Farbstoffausbeute im Gegensatz zum Indigostrauch keinen langen Bestand 3.4.6 Quellen und Hinterlassenschaften des histo- hatte. Ebenso hielten sich die Waidfabriken in Erfurt, rischen Waidanbaus Neudietendorf, Friemar, Molschleben und Mühlberg nur für kurze Zeit, denn alle Versuche, die Extraktion Im Unterschied zu den meisten anderen landwirtschaft- des Farbstoffes mit Hilfe industrieller Verfahren effizienter lichen Kulturarten ist der historische Umfang des Waid- zu machen, scheiterten an den hohen Kosten. anbaus vergleichsweise gut dokumentiert. Die genaue- sten Quellen, die Waidregister der Stadt Erfurt (16. Jh.), Niemand konnte damals vorausahnen, dass schon geben akribisch Auskunft über die Zahl der Waidbauern, 1878 die Blütezeit das "Kolonial-Indigos" ebenfalls ihr die Waidanbauflächen und über das für den Waidanbau Ende fand, als es dem Chemiker Adolf von Baeyer zu entrichtende Waidgeld (Waidpfennig). Beispielsweise (1835-1917) gelang, die Blaufarbe aus Steinkohlenteer sollen im Jahre 1579 insgesamt 1774 Waidbauern der vollsynthetisch herzustellen. Ab 1897 kam die groß- 49 zur Stadt gehörenden Vogtei- und Amtsdörfer die technische Herstellung des synthetischen Indigo in Waidpflanze auf einer Fläche von mehr als 1 800 ha Gang. Damit hatte der Waidanbaus keine Chance mehr. angebaut haben (WIEGAND 1979; zit. n. RÖSLER 1997, 1912 wurde in Pferdingsleben (Ldkr. Gotha) für Jahr- S.4). In ganz Mittelthüringen dürften es zu jener Zeit zehnte ein letztes Mal in Thüringen ein Acker mit Waid 300 Dörfer gewesen sein, die die Pflanze auf ca. 3 750 bestellt (MÜLLEROTT 1992, S. 20f; RÖSLER 1997, S.8). ha Fläche feldmäßig kultivierten (ZSCHIESCHE 1896).

Abb. 3.4-7: Historischer Waidspeicher in Erfurt (Foto: D. Eisfeld 2006).

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Während demzufolge vor fast 500 Jahren die Fluren Viele alte Mühlsteine haben dagegen die bewegten vieler Dörfer Mittelthüringens durch die blühenden Zeiten nicht überstanden. Nach der Einstellung der Waidfelder geprägt waren, ist die alte Färberpflanze in Waidmüllerei wurden sie zerstört oder zweckentfremdet der heutigen Kulturlandschaft kaum noch präsent. Um genutzt. Nicht selten gelangten sie in Ziegeleien oder so mehr erinnern alte Flur-, Straßen- und Gewässer- Kalkhütten und mahlten Lehm bzw. Kalk. namen an die historischen Stätten des Anbaus, der Verarbeitung und des Handels von Waid: in Erfurt z.B. Komplette Waidmühlen gibt es in Thüringen mittlerweile der „Waidpfad“, der „Waidmühlenweg“ und die „Wei- nur noch ganz wenige. Neben der einzigen am ursprüng- tergasse“, in Stotternheim die „Waidmühlenstraße“, in lichen Standort und im Originalzustand erhaltenen Hochstedt der „Waidgarten“ und in Melchendorf der Waidmühle in Pferdingsleben (Ldkr. Gotha) und der „Färberwaidweg“ und die „Waidwäsche“. Auch in vielen Waidmühle auf der ega in Erfurt stehen rekonstruierte anderen Orten Mittelthüringens stößt man auf Flurna- Waidmühlen als Kulturdenkmale in Tüttleben (Ldkr. men wie „Waidgarten“, „An der Waidmühle“, „Waid- Gotha), Bergsulza (Ldkr. Weimarer Land) sowie in rasen“, „Waidwäsche“, „Waidraine“ oder „Waidhöfe“, Rohrborn (Ldkr. Sömmerda). die von der Waidkultur Zeugnis ablegen (BENECKENSTEIN 1992, S.6). In den Thüringer Waidstädten Arnstadt, Erfurt, und Go- tha finden sich außerdem noch bemerkenswerte Ge- Unübersehbar sind darüber hinaus Überreste von Waid- bäude, die von Waidhändlern bewohnt oder bewirt- mühlen in über 130 Ortschaften in Form von 152 Mühl- schaftet wurden und die einen Eindruck vom Reichtum steinen, 8 steinernen Tennen und 13 Langsteinen (HE- ihrer Besitzer vermitteln. Dazu einige Beispiele: Das BELER & MÜLLEROTT 1989; MÜLLEROTT 1992, s.a. Tab. „Haus zum Sonneborn“ in Erfurt (heute Große Arche 3.4-2 u. Abb. 3.4-3, 3.4-4 u. 3.4-6). 6) wurde 1546 von der Waidhändlerfamilie Ludolf er- richtet. Das „Haus zur Windmühle“ (s. Abb. 3.4-5), das Die gezähnten Mühlsteine gehören heute zu den auf- „Haus zum Blumenstein“ und das „Haus zum gelben fälligsten und zugleich unverwechselbaren Relikten Löwen“ (alle drei Häuser stehen in der Allerheiligen- der historischen Waidmühlen in Thüringen. Da in an- straße) gehörten Mitte des 17. Jahrhunderts zum Besitz deren Mühlen Steine dieser Art nicht nachweisbar sind, des Waidhändlers und obersten Ratsherren Joachim können sie ausnahmslos als Waidmühlsteine angespro- Gerstenberg. Dieser besaß ebenso das „Haus zum chen werden und deshalb auch zur Umschreibung des Krönbacken“ (Michaelisstraße), auf dem heute noch Anbaugebietes dienen (MÜLLEROTT 1992, S. 16). Auch das Familienwappen der Waidhändlerfamilie Milwitz die sog. Langsteine, an denen das Holzwerk der Mühle abgebildet ist. Auch am Fischmarkt stehen zwei reprä- aufgehängt war, können wegen ihrer charakteristischen sentative Häuser, in denen im 16. Jahrhundert Waid- länglichen Form als Belege dienen. Ihr Kennzeichen händler gewohnt haben: das „Haus zum breiten Herd“ ist eine Gabel bzw. Balkenöffnung am oberen Ende und das „Haus zum roten Ochsen“. Ihren reich verzierten (Abb. 3.4-3). Fassaden sieht man deutlich an, dass sie einst von wohlhabenden Bauherren errichtet wurden (SEIDEL Waidmühlsteine und Langsteine wurden aus dem für 2004, S.19 ff). die jeweilige Landschaft typischen bzw. handelsüblichen Gestein angefertigt: in Mittelthüringen meist aus Sand- Allenthalben trifft man in Erfurt auf gut erhaltene Waid- stein (Seeberger Sandstein), im Raum Langensalza speicher. Ein Waidspeicher steht im hinteren Teil des und im Mittleren Saalegebiet aus Kalkstein (Muschel- Hofes vom „Haus zum Krönbacken“, in einem anderen kalk). Oftmals lässt die Größe der Steine auf die Be- befindet sich das heutige Naturkundemuseum (Große deutung des Anbaus schließen. Kleinere Exemplare Arche), und ein dritter Waidspeicher trägt heute noch finden sich häufiger am Rande des Waidanbaugebietes, den Namen „Waidspeicher“. In ihm befinden sich ein z.B. in Craula (Lk Bad Langensalza), auf der Wartburg Puppentheater und ein Kabarett (s. Abb. 3.4-7). (Stadt Eisenach), in Kösnitz und Großheringen (Lk Weimarer Land) (MÜLLEROTT 1992, S.16). Die im Zen- Ebenso legen in den anderen Thüringer Waidstädten trum des Waidanbaus gelegene „Kleine Waidmühle“ Arnstadt und Gotha Häuser Zeugnis von dieser Ära von Pferdingsleben bei Gotha war mit ihrem Mühlstein ab. In Arnstadt erinnert z.B. das „Haus zum schwarzen von 1,65 m Durchmesser und 0,48 m Dicke dem Namen Löwen“ mit der dazugehörigen Scheune „An der Weiße“ nach die kleinere von ehemals dreien. Die „Große (Unterm Markt 1) an die Zeit des Waidhandels. 1570 Waidmühle“ mit einem Durchmesser ihres Mühlsteins wird es als Waidhaus bezeichnet und gehörte dem von 1,75 m befindet sich heute im Hof der Cyriaksburg Waidhändler Erasmus Kilian. Über der Torfahrt an der auf dem Gelände der Erfurter Gartenbauausstellung Rückseite des Gebäudes befindet sich noch immer das (ega). Wappen seiner Familie (MÜLLEROTT 1992, S.6).

72 Historischer Waidanbau

Auch die imposanten Bürgerhäuser in der Innenstadt dem Druck der zurückgehenden Waidproduktion im und am Hauptmarkt von Gotha wurden von Waidhänd- 17. und 18. Jahrhundert hatte der Herzog von Gotha lern erbaut oder erweitert. So wird das Wohnhaus „Zur zuerst 1711 den Pferdingsleber Bauern und 1761 auch Störchin“ (Hauptmarkt 31) 1828 im Häuserverzeichnis den anderen Waiddörfern in seinem Herrschaftsgebiet der Stadt als Waidhaus bezeichnet. Am Haus „Zur gol- das Recht eingeräumt, ihren Waid selbst zu verarbeiten denen Henne“ (Hauptmarkt 36), zu dem auch das Hin- und zu vertreiben. Dazu entstand ein eindrucksvoller tergebäude, das Waidhaus, auf der Nordseite der Gre- Bau mit prächtigem Renaissanceportal, dem man den tengasse gehört, sind die Initialen H.S. abgebildet. Es wirtschaftlichen Erfolg heute noch ansehen kann (BEN- sind die Anfangsbuchstaben des Waidhändlers Heinrich ECKENSTEIN 1992, S.59). Sorge, zu dessen Besitz diese Gebäude gehörten (MÜL- LEROTT 1993, S.46 ff). Auch die im nahegelegenen Molschleben befindliche ehemalige Waidfabrik gehört zu den bemerkenswerten Die Häuser der Waidhändler waren schmuckverzierte, baulichen Zeitzeugen. Die aus einem Wohngebäude prunkvolle Bauten. Sie wurden meist im Renaissance- mit Trockenböden, zwei Scheunen mit Trockenböden Stil oder im Mix aus Renaissance und Gotik, da man und einem Stallgebäude bestehende vierflügelige Anlage sich im Übergang dieser beiden Stilepochen befand, wurde 1793 errichtet, um aus der Waidpflanze den Farb- erbaut. Die Fassaden der Häuser, die im Stil der Gotik extrakt mit neuartigen Verfahren billiger zu gewinnen errichtet waren, wurden eher schlicht gehalten, wohin- (MÜLLEROTT 1993, BENECKENSTEIN 1992, S. 59). gegen die Fassaden der Renaissance mit Ornamenten und Figuren verziert wurden. Alle Gebäude hatten einen schmuckreichen Haupteingang, teilweise als Kielbo- 3.4.7 Ausblick genportal ausgebildet, der meist mit Verzierungen oder Mit dem Niedergang des Waidanbaus ist Thüringen Sprüchen dekoriert wurde. zweifelsohne um ein Stück landschaftlicher und kultur- geschichtlicher Eigenart ärmer geworden. Während Oft befinden sich beidseitig, manchmal auch nur einseitig vor Jahrhunderten die blühenden Waidfelder - wie heu- des Eingangs Löcher in der Fassade. Diese Häuser te der Raps - die Fluren der Dörfer in Mittelthüringen wurden in dieser Form als Biereigenhof erbaut, d.h. in ein leuchtendes Gelb tauchten, ist die Waidpflanze das Gebäude besaß das Recht eigenes Bier zu brauen. heutzutage selten geworden. An den Mauern der Fe- Wenn das Bier fertig gebraut war, wurden Strohbündel stung Petersberg in Erfurt oder auf den Kalksteinhängen in die Löcher gesteckt, als Zeichen dafür, dass ab sofort bei Jena findet man noch vereinzelt wildwachsende ein frisches Bier zu haben war. Das Brauereiwesen Exemplare (BENECKENSTEIN 1992). war für die Waidhändler nur ein kleiner Nebenerwerb (SEIDEL 2004, S.99, 100). Seit einigen Jahren mehren sich aber Bestrebungen, den Anbau und die Nutzung der Traditionspflanze wie- Im Gegensatz zu den Wohnhäusern der Waidhändler derzubeleben. Tatsächlich sind Färberwaidfelder mitt- waren die Waidhäuser, also die Speicher, schlicht ge- lerweile auf kleinen Flächen nach Thüringen zurück halten und aus massivem Kalkstein errichtet. In dem gekehrt. Im Jahre 2004 wurde die züchterisch verbes- „Waidwerk“ in der Gothaer Gretengasse kommen ei- serte Pflanze auf insgesamt 35 ha und im Jahr 2005 serne Türen und Läden hinzu (MÜLLEROTT 1993, S. 22). auf 6 ha angebaut (STRÜMPFEL 2005, S.72). Der Grund für diese Bauweise lag in einer nicht zu un- terschätzenden Brandgefahr, die während des Gärungs- Auch im Schaugarten der Thüringer Landesanstalt für prozesses bei der Verarbeitung des Ballenwaids ent- Landwirtschaft in Dornburg kann man Waidpflanzen stand. Während der Fermentation des Waids musste finden. Es handelt sich dabei um eine Dauerausstellung die Temperatur konstant gehalten werden, und so wur- für nachwachsende Rohstoffe, bei der die Pflanzen den an kälteren Tagen Glutöfen in die Speicher gestellt. nicht nur angeschaut, sondern auch angefasst werden Da das Innenwerk der Häuser ausschließlich aus Holz dürfen. bestand, ebenso die Waidböden, waren sie einer stän- digen Brandgefahr ausgesetzt. Die Speicher hatten eine Erst zu Beginn der 1980er Jahre wurde die Waidpflanze typische hohe Dachform, ein Spitzdach mit vielen kleinen in Neudietendorf „wiederentdeckt“. Damals begann Fenstern auf den einzelnen Etagen (s. Abb. 3.4-7). der Malermeister Wolfgang Feige, angeregt durch das Wappen seines Ortes, das einen Waidbauern in blauer Während es sich bei den eben genannten Gebäuden Tracht mit Weberschiffchen und Waidpflanze zeigt (s. ausschließlich um Stadthäuser handelt, gibt es in Pfer- Abb. 3.4-8), zusammen mit Horst Beneckenstein, Hi- dingsleben bei Gotha die Besonderheit eines dörflichen storiker und Ortsnachbar, die Geschichte des Waids Waidhofes, in dem die Verarbeitung des Ballenwaides zu erforschen und nach zeitgemäßen Nutzungsformen von den Bauern selbst vorgenommen wurde. Unter zu suchen.

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Mehr als 20 Produkte konnten daraufhin entwickelt Der Indigo-Farbstoff lässt sich heute zwar immer noch werden. Die traditionsreiche Indigo-Blaufärbung von günstiger herstellen, aber seit geraumer Zeit lässt ein Textilien spielt dabei nur noch eine untergeordnete Wandel im Verbraucherverhalten und ein steigendes Rolle, denn die Thüringer Waidverarbeitungs-GmbH Umweltbewusstsein die Nachfrage nach mit Pflanzen- nutzt hauptsächlich die pilz- und insektenhemmenden farbstoff gefärbten Naturtextilien ansteigen (TMLNU Inhaltsstoffe des aus den Waidblättern gewonnenen 2006). Auch dort könnte der Färberwaid wegen seiner Saftes für die Herstellung von Imprägnierungen, An- geringen Allergenbelastung wieder einen Platz auf dem strich-, Lasur- und Fassadenfarben, die im Bauwesen Textilmarkt einnehmen. Verwendung finden. Mit dem Zentrum Nachwachsende Rohstoffe der Thü- In der Verwendung des Waids als Holzschutzmittel liegt ringer Landesanstalt für Landwirtschaft in Dornburg nach Einschätzung vieler Anwender und Wissenschaftler soll die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Land- die Zukunftschance des Waidanbaus: Holzschutzmittel wirtschaft, Industrie und Handel beim Anbau, der Ver- arbeitung und der Vermarktung intensiviert werden zu entwickeln, deren Inhaltsstoffe ökologisch und für (TMLNU 2006). Mit Pilot- und Demonstrationsprojekten den Menschen gesundheitlich unbedenklich sind (FI- wird die Praxiseinführung unterstützt. SCHER 1997, S.51).

Auch international genießen die Leistungen der Thü- Auch andere, zeitgemäße Verwendungsmöglichkeiten ringer Waidforschung hohes Ansehen: 1992 war Erfurt nähren die Hoffnung, dass der Waidanbau zukünftig im Rahmen seiner 1250-Jahr-Feier Veranstaltungsort auf begrenzter Fläche wieder wirtschaftlich betrieben einer großen Waidkonferenz. werden kann. Extrakte aus Blättern sowie das Öl der Samen finden in kosmetischen Produkten wie Sham- poos, Waschlotions oder Pflegecremes neue Einsatz- Weitere Informationen im: möglichkeiten. Und aus der Wurzel ist, wie die Neudie- Thüringer Zentrum Nachwachsende Rohstoffe der Thüringer tendorfer Aromatiquefabrik gezeigt hat, sogar die Landesanstalt für Landwirtschaft, Apoldaer Str. 4, 07778 Bereitung eines Magenbitters möglich (TMLNU 2002). Dornburg, Tel.: 036427-8680, Fax: 036427-22340

Pflanzenteil in Form von Eigenschaften Verwendung Produkte

Blätter vergorenes Mus; ge- Färben, Tönen Textilfärberei Textilfarben (ehemals trocknet, in Pulverform Schwarz, Braun, Indigo- blau, Grün)

Blätter Abfallwasser der Bindekraft, Bindemittel Lasuren, Anstrichfarbe Musbereitung feuerhemmend

Blätter Saft fungizid, insektizid, feuer- Holzschutz, Fassaden- Imprägniermittel für Holz, hemmend, kaum giftig schutz Stein, Lehm

Blattmus, Stängel, ausgepresste Abfallmas- Bindekraft, feuerhem- Wärmedämmung Wärmedämmplatten und Samenschrot se, Fasern mend -ziegel, Kompost

Samen Öl Bindekraft, essbar Bindemittel, Nahrungs- Künstlerfarben, Speiseöl mittel

Blüten Blütenstaub, Nektar angenehmer Geruch Aroma Duftstoff, Honig

Blätter, Samen Saft, frisch gepresst oder fungizid, bakterizid, film- Wundheilung, gegen Cremes, Salben, Rasier- vergoren, Öl, Blattbrei bildend Hautpilz wasser, Shampoos, Ba- dezusätze

Blätter getrocknet heilend, wirkt möglicher- bei Magen-Darm- Teegemisch weise gegen Allergien Störungen, auch Milzpro- und Krebs blemen

Tabelle 3.4-1: Bisherige Verwendungsmöglichkeiten der Waidpflanze (n. FISCHER 1997, S.11).

74 Historischer Waidanbau

3.4.8 Orte mit historischem Waidanbau in Thüringen

Nr. Ort Nr. Ort Nr. Ort Nr. Ort

1 Obermehler 34 Grumbach 68 Hausen 101 Kleinmölsen 2 Holzsußra (heute in 35 Craula 69 Bufleben 102 Großmölsen Greußen) 36 Reichenbach 70 Eschenbergen 103 Ollendorf 3 Gundersleben 37 Tüngeda 71 Bienstädt 104 Niederzimmern 4 Thüringenhausen 38 Sundhausen 72 Tröchtelborn 105 Büßleben 5 Otterstedt 39 Urleben 73 Pferdingsleben 106 Mönchenholzhausen 6 Westerengel 40 Bad Tennstedt 74 Nottleben 107 Utzberg 7 Kirchengel 41 Ballhausen 75 Tüttleben 108 Hopfgarten 8 Holzengel 42 Haßleben 76 Cobstädt 109 Daasdorf am Berge 9 Feldengel 43 Sömmerda 77 Wandersleben 110 Gaberndorf 10 Niederbösa 44 Wenigensömmern 78 Mühlberg 111 Obernissa (heute in Erfurt) 11 Kindelbrück 45 Orlishausen 79 Sülzenbrücken 12 Großenehrich 112 Bechstedtstraß 46 Rohrborn 80 Apfelstädt 13 Wolferschwenda 113 Isseroda 47 Schloßvippach 81 Thörey 14 Mühlhausen 114 Obergrunstedt 48 Vogelsberg 82 Neudietendorf 15 Issersheilingen 115 Hayn 49 Neumark 83 Ingersleben 16 Rohnstedt 116 Klettbach 50 Berlstedt 84 Frienstedt (heute in 17 Hornsömmern 117 Gutendorf 51 Stedten Erfurt) 18 Mittelsömmern 118 Schoppendorf 52 Ottmannshausen 85 Alach 19 Topfstedt 119 Hetschburg 53 Ramsla 86 Bindersleben 20 Greußen 120 Oettern 54 Haindorf 87 Marbach 21 Herrnschwende 121 Mellingen 55 Buttelstedt 88 Erfurt 22 Nausiß 122 Maina 56 Willerstedt 89 Arnstadt 23 Beichlingen 123 Weimar 57 Nirmsdorf 90 Bechstedt-Wagd 24 Lützensömmern 124 Süßenborn 58 Gebstedt 91 Werningsleben 25 Gangloffsömmern 125 Schwabsdorf (heute in Westgreußen) 59 Ködderitzsch 92 Gügleben 126 Sulzbach 26 Weißensee 60 Leutenthal 93 Elleben 127 Stobra 27 Großengottern 61 Darnstedt 94 Osthausen 128 Utenbach 28 Schönstedt 62 Bergsulza 95 Wülfershausen 129 Wormstedt 29 Waldstedt 63 Großheringen 96 Bösleben 130 Kösnitz 30 Bad Langensalza 64 Trügleben 97 Achelstädt 131 Jena 31 Merxleben 65 Boilstädt 98 Witzleben 132 Neckeroda 32 Nägelstedt 66 Gotha 99 Ellichleben 133 Großkochberg 33 Illeben 67 Ballstädt 100 Dienstedt 134 Eisenach

Tabelle 3.4-2: Orte mit erhaltenen historischen Waidmühlsteinen oder anderen Relikten von Waidmühlen; kursiv: historisch belegte Waidmärkte; Nummer lt. Übersichtskarte 5 (Quelle: MÜLLEROTT 1992).

Allmenhausen, Aschara, Aspach, Bellstedt, Blankenburg, Alschleben (Wüstung), Andisleben, Apolda, Azmannsdorf, Bliederstedt, Bothenheilingen, Bruchstedt, Burgtonna, Bechstedt-Wagd, Branchewinda, Brüheim, Büßleben, Clingen, Daasdorf, Dachwig, Döllstädt, Dornheim, Eckardts- Ebeleben, Eberstädt, Egstedt, Elxleben, Ermstedt, Frömm- leben, Eischleben, Emleben, Friedrichswerth, Friemar, stedt, Gebesee, Gispersleben, Grabsleben, Großbrembach, Frömmstedt, Fröttstädt, Gamstädt, Gierstädt, Goldbach, Großfahner, Großrettbach, Hochstedt, Hofhausen (Wüs- Görbitzhausen, Gottstedt, Gräfentonna, Großvargula, tung), Holzhausen, Kerspleben, Kindleben, Kindleben, Grüningen, Haarhausen, Haussömmern, Henningsleben, Kleinrettbach, Krakendorf (Wüstung), Kühnhausen, Linder- Herbsleben, Herrengosserstedt, Hochheim, Hottelstedt, bach, Melchendorf, Melchendorf, Möbisburg, Niedersyn- Ichtershausen, Kirchheilingen, Kirchheim, Legefeld, Loßnitz, derstedt, Nohra, Oberspier, Possendorf, Rhoda, Riechheim, Marlishausen, Meckfeld, Mehrstedt, Molsdorf, Mülverstedt, Rohda, Rohrbach, Salomonsborn, Schellroda, Schmira, Neunheilingen, Niederspier, Oberbösa, Oberweimar- Schwerborn, Sohnstedt, Sulza, Thamsbrück, Tonndorf, Ehringsdorf, Oesterbehringen, Pfullendorf, Remstädt, Töttleben, Udestedt, Ufhoven, Ulla, Urbich, Vieselbach, Rockensußra, Rockhausen, Sachsenhausen, Schwerstedt Walschleben, Waltersleben, Wiegendorf, Wirgeroda (Wüs- b. Buttelstedt, Schwerstedt b. Straußfurt, Sonneborn, tung), Zimmernsupra Stiebritz, Stotternheim, Sulzbach, Sundhausen, Teutleben, Tab. 3.4-4: Thalebra, Töttelstädt, Tottleben, Trebra, Umpferstedt, Orte mit urkundlich nachgewiesenem Waidanbau (H , Wangenheim, Warza, Wechmar, Westgreußen, Westhau- EBELER M 1989). sen, Witterda ÜLLEROTT

Tab. 3.4-3: Orte mit urkundlich oder einst durch Waidmühlsteine oder Tennen nachgewiesener Waidmühle (HEBELER, MÜLLEROTT 1989).

75 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel

3.5 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel

Dass Thüringen nicht nur beim Wein und Waid, sondern 1956). Gleiches galt für die Apotheken von Saalfeld, auch beim Anbau und der Verarbeitung von Arznei- Gehren und Königsee. und Gewürzpflanzen, Duft- und Zierpflanzen über eine lange Tradition verfügt, ist kaum bekannt. In einigen Die Arnstädter Hofapotheke erhielt ihre Rohware nach- Gebieten haben sie ganz wesentlich zum Broterwerb weislich von Kräuterfrauen aus dem Raum Oberweiß- der Menschen beigetragen, ihnen zeitweise sogar einen bach (1583), jenem später zum "Thüringer Kräutergar- gewissen Wohlstand beschert. Und während der wahr- ten" erhobenen Gebiet im Schiefergebirge beiderseits haftigen "Blütezeiten" haben die Blumen- und Kräuter- der Schwarza. felder einige Landschaften Thüringens in ein Meer be- sonderer Farben und Düfte getaucht. 1664 gibt es von dort die ersten Belege für Destillatoren und Balsammacher, auch für den Handel mit "Olitäten". Bereits 1673 wird in einer Medizinalordnung der Wei- 3.5.1 Die historischen Anfänge marer Regierung eine ansehnliche Palette von Waren erwähnt, die die "Hausierer vom Walde" in ihrem An- Die Anfänge des Kräutersammelns, ihres Anbaus und gebot führten: "köstliche Arzneien, treffliche Olitäten, ihrer Weiterverarbeitung liegen - was Thüringen betrifft Schlag-, Haupt-, Herz-, Brust-, Leber- und Magenwässer, - weitgehend im Dunkel der Geschichte. Ganz sicher Elixiria, Balsam sulphurius, Frankfurter Pillen, Kienöl, reichen die Sammelei und Verwendung von Heil- und Harzöl, Wacholderbeeren und Wacholderbeerwasser Gewürzpflanzen bis weit in die Prähistorie zurück. Die sowie Holundersaft" (SIEBER 1951, S.258). ersten Arzneipflanzenkulturen lassen sich bei den Rö- mern nachweisen. Von dort sind sie auf Umwegen wohl erst im frühen Mittelalter mit der Christianisierung nach 3.5.2 Der "Thüringer Kräutergarten" Thüringen gekommen. Ähnlich wie der Wein- und der Obstbau wird das Wissen über den Kräuteranbau durch Der Begriff bezeichnet ein ca. 250 km² großes Gebiet die Klöster entscheidend verbreitet worden sein. Die im westlichen Thüringer Schiefergebirge, das sich bei- Benediktiner- und Zisterziensermönche, bei denen die derseits der Schwarza von Bad Blankenburg im Norden Urbarmachung des Landes und der Gartenbau zur Or- bis zum im Süden erstreckt. Über 70 Ge- denspflicht gehörten, lernten auf ihren europaweiten meinden, Ortsteile und Weiler, die im Laufe ihrer Ge- Reisen immer wieder neue heilkräftige Pflanzenarten schichte vom Kräutergewerbe geprägt worden sind, und Würzkräuter kennen, die sie mit nach Thüringen befinden sich in diesem Raum; darunter Dörfer wie Al- brachten und dort in ihren Klostergärten etablierten. lendorf, Allersdorf, Aschau, Bechstädt, Barigau, Böhl- Über Generationen hinweg ist das Wissen um die Heil- scheiben, Blechhammer, Burgersdorf, Braunsdorf, Bock- kraft und den Nutzen der Kräuter und Blumen in schrift- schmiede, Böhlen, Cordobang, Cursdorf, Drönfeld, lichen und mündlichen Überlieferungen weitergegeben Dittersdorf, Dittrichshütte, Döschnitz, Deesbach, Egels- worden. In einem dieser frühesten Bücher, der "Physica" dorf, Fröbitz, Friedersdorf, Gillersdorf, Garsitz, Her- (1150) der Äbtissin Hildegard von Bingen (etwa 1098- schdorf, Köditz, Katzhütte, , Lichtenhain/Bergbahn, 1179), sind bereits über 250 einheimische sowie später Mankenbach, Meura, Meuselbach, Mellenbach-Glas- eingebürgerte Gräser, Kräuter und Früchte mit ihren bach, Leibis, Oberhain, Oberschöbling, Oelze, Obstfel- Nährwerten und Heilkräften dargestellt (HEEGER 1956, derschmiede, Pennewitz, Quittelsdorf, Quelitz, Reich- S. 23). Durch eigene Laborexperimente trugen die mannsdorf, Rohrbach, Schmiedefeld, Schwarzburg, Mönche dazu bei, dass die jahrhundertealten Kenntnisse Schwarzmühle, Sorbitzmühle, Unterhain, Unterschöb- vom Heilwert der Pflanzen ständig vermehrt wurden. ling, Unterweißbach, Watzdorf, Wilmersdorf, Wilden- spring und Städte wie Oberweißbach, Großbreitenbach, Nach der Reformation folgten den Mönchen die Apo- Gräfenthal, Königsee und Bad Blankenburg (GRUDZIELSKI theker, die entweder selber Arzneipflanzen zogen oder 1997, S.5, ergänzt). aber von Kräutersammlern beliefert, das Laborieren professionalisierten. Schon um 1550 unterhielten die In keinem anderen Gebiet Thüringens hat der Umgang Schwarzburger Gräfinnen Katharina und Juliane von mit den Olitäten, wie man die im Thüringer Kräutergarten Nassau in ihren Schlössern Arnstadt und Rudolstadt produzierten Heilmittel nannte, jemals eine vergleichbar ebenso wie der Sondershäuser Hofstaat Apotheken große wirtschaftliche Rolle gespielt. Die Gründe dafür mit eigenen Laboratorien. Von ihnen ist bekannt, dass sind vielfältig: Im Schiefergebirge waren viele wild wach- sie durch Sammler, meist Kräuterfrauen und Forstleute, sende Heilkräuter zu finden. Gemäß den Worten von mit "Kräuticht und Wurtzeln" versorgt wurden (KÜHNERT PARACELSUS (1493-1541): "Alle Wiesen und Matten,

76 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel alle Berge und Hügel sind Apotheken", kannten die Wäldler die Heilwirkung dieser Pflanzen seit Jahrhun- derten und nutzten sie zunächst für den Eigengebrauch. Dass aus der bescheidenen Sammelei mit der Zeit ein richtiges Gewerbe wurde, hängt mit weiteren Gunstfak- toren zusammen, die sich in dieser Kombination nur im Schiefergebirge finden lassen. So lieferte der Berg- bau Eisen, Kupfer, Vitriol und andere Mineralien, denen eine heilende oder gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben wurde. Weitere Grundstoffe kamen von den Waldgewerben hinzu: Köhler produzierten die Holzkohle zum Beheizen der Destillen. Der bei der Holzverkohlung anfallende Teer galt ebenso als Heil- mittel wie Pech, das aus Harz gesotten und als volks- Abb. 3.5-1: tümliches Mittel bei Geschwüren und Verstauchungen Hinweisschild zum Thüringer Kräutergarten in Rotten- angewendet wurde. Und aus den Naturhölzern konnten bach (Foto: H.-H. Meyer 2004). in Heimarbeit Arzneischachteln gefertigt werden, wie das vor allem in Reichmannsdorf, Mellenbach, Meusel- bach, Blumenau und Meura geschah. Schließlich kamen Glaswaren wie Destilliergeräte, Vorratsgefäße oder Das Extrahieren, Destillieren und Mischen war Aufgabe Fläschchen zur Abgabe der Arzneien aus heimischer der Laboranten. Sie stellten die Olitäten nach eigenen Produktion, z.B. aus den Glashütten Lauscha, Schma- oder überlieferten Rezepturen im Laboratorium her. lenbuche, Gehlberg, Geiersthal, Pisau oder Altenfeld. Anfangs dienten Küche oder Wohnstube dazu, später wurde daraus meist ein separater Gebäudeteil (LAM- Große Teile der Bevölkerung profitierten so vom Olitä- PRECHT U. MANSKE 2001, SIEBER 1951). tengewerbe, ganz besonders natürlich die unmittelbar an der Herstellung und am Vertrieb Beteiligten: die Der Vertrieb der Olitäten oblag der Berufsgruppe der Kräutersammler, die Laboranten und die Olitätenhändler. Olitätenhändler. Sie stammten gleichfalls aus den Wald- dörfern, waren aber auch in Städten wie Saalfeld und Das Sammeln der pflanzlichen Rohstoffe für die Olitä- Gräfenthal ansässig. Man nannte sie nach dem Namen tenherstellung war in der Regel das Aufgabenfeld der der Amtsstadt, wo ihnen die Pässe ausgestellt wurden, Frauen und Kinder. Sie sammelten Blätter, Blüten oder "Königseer", auch scherzhaft "Buckelapotheker". Denn Wurzeln von Arnika, Angelika oder Kalmus, von Huflat- sie trugen auf ihrem Rücken ein hölzernes Gestell, das tich oder Helleborus, von Ehrenpreis, Bärwurz oder Reff, mit Schachteln und Arzneikisten. Später wurde Enzianen. Auch der Wacholder, dessen Beeren Be- ein lederner Ranzen üblich, und so wandelte sich der standteil vieler Haus- und Heilmittel waren, stand hoch Spitzname in "Ranzerte" oder "Raanzer". Im Angebot im Kurs. Risikoreich war die Gewinnung von Tannen- führten sie die gesamte Produktpalette des Thüringer zapfen, deren Samen reich an ätherischen Ölen sind. Kräutergartens: Öle und Essenzen, Heilsalben und - Kustelsteiger kletterten bis weit in die Wipfel der Bäume, pflaster, Tees, Kräuterliköre und vieles mehr. um dort die noch grünen Samenträger zu pflücken. Alle gesammelten Rohstoffe wurden frisch oder getrocknet Durch ihre Weltoffenheit wurden die Olitätenhändler an die Laboranten und die Apotheker abgegeben. Auch wohlhabende und geachtete Leute. Von ihren weiten aus den privaten Hausgärten wurde angeliefert, obwohl Fahrten durch Deutschland und die Nachbarstaaten man den in der freien Natur gesammelten Kräutern ge- brachten sie neben neuen Erkenntnissen und Erfah- genüber Gartenkulturen im allgemeinen eine größere rungen feinere Sitten und Gebräuche mit, die sie von Heilkraft zuschrieb: In fast jedem Garten wurden Me- den anderen Dorfbewohnern unterschieden. Königseer lisse, Pfefferminze, Kümmel, Baldrian, Verbascum oder zogen bis ins Main-, Rhein- und Moselgebiet, nach Rhabarber auf sorgsam gepflegten Arznei-und Gewürz- Schwaben, Pommern und Mecklenburg, sogar nach beeten kultiviert. Polen und Böhmen, Holland und Dänemark, nach Ös- terreich und in die Schweiz. Abgeleitet ist der Begriff "Olitäten" vom lateinischen Wort für Öl: oleum, denn es waren die ätherischen Öle, Anfang des 19. Jahrhunderts begann der Niedergang von denen die Wirkung der Heilmittel ausging. Mit Hilfe des Olitätengewerbes. Obwohl die Nachfrage nach von hochprozentigem Alkohol, mit Wasser oder Öl den bewährten Hausmitteln weiterhin bestand, bekamen mussten sie aus den Pflanzenteilen herausgelöst und Laboranten und Buckelapotheker bei Ärzten und staat- dann in bestimmten Mengenanteilen vermischt werden. lichen Medizinalorganen zunehmend den Ruf mangeln-

77 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel

der Professionalität und Kurpfuscherei. Zunächst wurden befindet sich der Firmensitz in Bodenheim bei Mainz die Zulassungsregelungen für Laboranten, Händler (GRUDZIELSKI 1997). und ihre Produkte verschärft, 1841 das Hausieren mit Medizinwaren endgültig verboten (LAMPRECHT U. MANSKE 2001). Dem Laborantenwesen wurde durch die phar- 3.5.3 Pflege des historischen Erbes mazeutischen Fabriken, die mit ihren günstigen syn- Mittlerweile sind viele wertvolle Sachzeugnisse aus der thetischen Ersatzstoffen den Markt überschwemmten, nach und nach die Existenzgrundlage entzogen. In Blütezeit des Olitätengewerbes unwiederbringlich ver- Cursdorf und Weißbach hatten sich die Laboranten um loren gegangen. Seit den 90er Jahren setzen jedoch 1850 in der Not der Fabrikation von Schwefelhölzern die Gemeinden des Kräutergartens wieder vermehrt zugewandt. Andere spezialisierten sich auf die Fabri- auf ihre Traditionen, erkennen sie als Ausdruck der kation von Kräuterlikören, aber nur wenige wie Hugo kulturellen Identität und auch als ausbaufähigen Wirt- Kümmerling aus Deesbach, geboren 1895, mit nach- schaftsfaktor an. Hinter dem werbewirksamen Logo haltigem Erfolg. Indem er seinen Spirituosen die typische "Olitätenwege im Thüringer Kräutergarten" steht ein Form der alten Olitätenflaschen gab, avancierte er zu Museen, Lehrpfade und Veranstaltungen integrierendes einem der größten deutschen Kräuterlikörproduzenten. touristisches Konzept, das sich mit wachsendem Erfolg 1921 begann er in Deesbach mit der Produktion. Heute überregional präsentiert (s. Tab. 3.5-1).

Museen, Ausstellungen und Vorführungen Kräutergärten und Kräuterwege

• Oberweißbach: Olitätentraditionszimmer im Fröbelhaus. • Kräutergärten in: Dröbischau, Cordobang, Bad Blan- Kräuterseminare und Wanderungen. Verkauf von Pro- kenburg, Friedersdorf, Großbreitenbach u.a., wobei dukten aus dem Programm der Buckelapotheker, re- jeder eine eigene Spezifik verfolgt. gionaltypische Kräuterliköre der Oberweißer Likörfabrik • Kräuterlehrpfade in: Dittrichshütte, Großbreitenbach; Trapp. Oberweißbachs "Kräuterpfad" verbindet das Fröbel- • Weitere Olitätenzimmer: In Dröbischau, Großbreiten- haus mit dem Fröbelturm; in Wildenspring Lehrpfad bach, Königsee, Meuselbach, Oberweißbach und "Heimische essbare Pflanzen". Sitzendorf mit vielen originalen Sachzeugnissen. In Döschnitz ist ein solches im Aufbau. Veranstaltungen • Meuselbach: Heimatmuseum des Schachtelmacher- • "Bräétmicher Kram- und Kräutermarkt" in Großbreiten- dorfes mit zahlreichen Exponaten über das Olitäten- bach mit Ermittlung und Krönung der Thüringer Olitä- gewerbe. tenkönigin. Termin: alljährlich Mitte August am Wo- • Rohrbach: Neubecksche Apotheke: Laboratorium und chenende um Mariä Himmelfahrt. Erinnerung an das Apotheke wie im 18. Jahrhundert. Eine besondere Fest der Kräuterweihe ("Unser lieben Frauen Würz- Attraktion ist der Verkauf von Olitäten aus eigener weih") und den sog. Kräutersonntag. An diesem Tag Produktion. sollen nach altem Volksglauben die Heilpflanzen ihre • Oberhain: In der hauseigenen Destille des Familien- volle Kraft entwickelt haben. Am Kräutersonntag zog betriebes A.O. Siegmund werden aus Kräutern, Wur- die ganze Familie ins Grüne, um Kräuter zu sammeln, zeln und Früchten Kräuterliköre hergestellt. Hausver- aber auch, um gesellig beisammen zu sein. kauf von Likören aus eigener Produktion.

Tab. 3.5-1: Präsentationen und Veranstaltun- gen zum Thema im Thüringer Kräu- tergarten (n. LAMPRECHT U. MANSKE 2001).

Abb. 3.5-2: Buckelapotheker mit dem Reff (Quelle: alte Postkarte).

78 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel

3.5.4 Lavendelkulturen um Bad Blankenburg ("Lavendelregion")

Auch wenn der historische Lavendelanbau um Bad Blankenburg im weitesten Sinne noch zum Thüringer Kräutergarten gezählt werden kann, wird er im Folgen- den separat vorgestellt, weil er naturräumlich nicht zur Mittelgebirgsregion gehört, sondern eine charakteristi- sche Anbaukultur der Muschelkalkgebiete ist. Lavendel (Lavandula officinalis) wurde in früheren Jahrhunderten vor allem bei Blankenburg, Groß- und Kleingölitz und im Weintal bei Eichfeld gewerbsmäßig angebaut.

Wie und wann genau der Lavendel seinen Weg in die Region gefunden hat, ist nicht bekannt. Auch hier könn- te der Impuls von den Klöstern ausgegangen sein. Ihre Ersterwähnung finden Lavendelkulturen jedoch erst in einem von Christian Günther zu Schwarzburg 1640 angefertigten Inventarverzeichnis über die Pflanzenbe- stände des Schlossgartens zu Arnstadt. Über den La- vendelanbau im Schlossgarten zu Rudolstadt wird erst- mals aus dem 18. Jahrhundert berichtet. Seinen Weg in die Bauerngärten könnte der Lavendel und sein na- her Verwandter, der Ysop (Hysopus officinalis), als Fol- gekultur des Weinbaus gefunden haben.

Nach dem Erliegen der Winzerei im 18. Jahrhundert wurden die brach gefallenen Weinberge und andere meist trockene und dürre Kalkböden, die zuvor Ödland trugen bzw. als Hutungen genutzt worden waren, mit Abb. 3.5-3: Lavendel und Ysop bebaut. Besonders galt das für den Lavendel (Lavandula officinalis). Quelle: THOMÉ (1888): Flora Greifenstein, den Schlossberg von Bad Blankenburg. von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Bd. IV.Gera.

Geologisch befinden sich die historischen Lavendel- Über ein Jahrhundert später sind von den einst land- standorte zumeist in hängiger Lage am Fuße der Wel- schaftsprägenden Kulturen nur noch wenige Relikte lenkalkabstürze der Ilm-Saale-Muschelkalkplatte, dort, erhalten geblieben. In Blankenburg, Groß- und Klein- wo diese in den oberen Bereich des Rötsockels über- gölitz, im Weintal bei Eichfeld sowie bei Gölitz, in der gehen (Zone der Bergrutsche). Bevorzugt wurden Süd- Nähe von Schaala und bei Hengelbach lassen sich in hänge mit langer und intensiver Sonneneinstrahlung. verwilderten Gärten noch vereinzelt Lavendelsträucher entdecken; ein kleiner Bestand an Ysop hat am Pörzberg Seine Blütezeit hatte der Lavendelbau im Raum Blan- bei Schaala überdauert (WEIGEL 1960, S.279). kenburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dank der ätherischen Öle ihrer blauen Blüten waren Auch wenn es an landschaftlichen Sachzeugnissen Lavendel und Ysop als Heil- und Duftpflanzen sehr mangelt, so wird die Geschichte der traditionsreichen geschätzt. Die geruchsintensiven Blüten wurden wegen Kultur dennoch lebendig gehalten. Touristisch wirbt die ihrer Motten vertreibenden Wirkung gern in Wäsche- ehemalige „Lavendel-Region“ mit dem Duft- und Kräu- truhen gelegt. Das ätherische Lavendelöl diente in der tergarten in Bad Blankenburg, mit Duft- und Kräuterse- Porzellanmalerei als Lösungsmittel (z.B. in der Volk- minaren, Kräuterwanderungen, vor allem aber mit den stedter Porzellanmanufaktur). Inwieweit die Extraktion Lavendelwochen, dem Lavendelfest und der Wahl der in heimischen Laboren erfolgte, konnte bisher nicht Lavendelkönigin alljährlich im August. geklärt werden (WEIGEL 1960). Dass einst auch in anderen Gegenden Thüringens La- Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging der vendelkulturen auf alten Weinbergen ihre blauen Farb- Lavendelbau rasch zurück. Die wachsende Konkurrenz akzente setzten, davon zeugen verwilderte Stöcke in südländischer Importe sowie die Entwicklung syntheti- einem oder ganz wenigen Exemplaren bei Jena (HEIN- scher Duftstoffe leiteten den Niedergang ein. RICH 1990), an der Unstrut, am Kyffhäuser und bei

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Creuzburg a.d. Werra (WEIGEL 1960, S.283). Die bota- Nr. deutscher Name botanischer Name verwendet nischen Nachweise von Ysop sind bei KORSCH et al. (2002) verzeichnet. 1 Echter Alant Inula helenium Wurzeln 2 Echter Eibisch Althaea officinalis Blätter/ 3.5.5 "Land der Paeonie" - Pfingstrosenanbau um Wurzeln 3 Angelika Angelica Wurzeln Jenalöbnitz archangelica "Nichts ist anmutiger, als eine Wanderung durch die 4 Borretsch Borago officinalis Blüten Felder von Jenalöbnitz zur Zeit der Blüte aller der zahl- 5 Benediktenkraut Centaurea benedicta Pflanze 6 Große Klette Arctium lappa Wurzeln losen Gewächse" (TSCHIRSCH 1890; zit. in PETRY 1937, 7 Krause Minze Mentha crispa Blätter S. 135/36). Gemeint sind neben den Pfingstrosen auch 8 Liebstöckel Levisticum officinale Blätter/ über 20 andere medizinische Kräuter, die das Gleistal Wurzeln nordöstlich von Jena bekannt gemacht haben. 9 Löwenmaul Antirrhinum majus Blüten 10 Malven Malva sylvestris Blüten In der breiten, sanften Talung zwischen den Gleis- und 11 Mariendistel Silybum marianum Samen den Tautenburger Bergen boten die Hänge des Röt- 12 Melisse Melissa officinalis Blätter sockels zu Füßen der Muschelkalkfelsen ideale Stand- 13 Pfingstrosen Paeonia officinalis Blütenblät- orte: Seifenkraut, Alant, Angelika, Liebstock, Eibisch, ter/Samen Petersilie, Pfefferminze, Krause Minze und Melisse 14 Pfefferminze Mentha piperita Blätter gediehen am besten auf den lehmigen Röt-Böden. 15 Raute Ruta graveolens Pflanze 16 Salbei Salvia officinalis Blätter Salbei und Pfingstrosen ertrugen dagegen auch die 17 Eisenkraut Verbena officinalis Wurzeln kargen, steinigen und steilen Muschelkalkhänge, die 18 Echte Schwarz- Scorzonera Wurzeln für den Getreidebau nicht geeignet waren. Oft ersetzten wurzel hispanica sie dort die Weinrebe. 19 Deutsche Iris germanica Wurzeln Schwertlilie Historischen Quellen zufolge soll der Anbau von Heil- 20 Wermut Artemisia absinthium Blätter pflanzen in "Jhene Lobenicz" begonnen haben. Mit Tab. 3.5-2: Angebaute Zier-, Heil- und Duftpflanzen im Gleistal um 1818 (ANONYM 1818).

dem reformationsbedingten Verfall vieler Klöster seien die ersten Heilkräuter dort Mitte des 16. Jahrhunderts in die Bauerngärten gelangt (SCHUSTER 1977, S.8). Nach anderen Überlieferungen (ZENKER 1836) wird Löberschütz als Ausgangsort für die Verbreitung des Heilkräuteranbaus im Gleistal vermutet. Ein Pfarrer namens David Heinrich Hoffmann (1773-1782), so meint der Volksmund, habe auf den Rat eines Jenaer Arztes hin dem bis dahin armen Dorf diese Erwerbs- quelle empfohlen. Bald schon trug der arbeitsintensive Kräuterbau entscheidend zum Lebensunterhalt bei. Im Vergleich zum Getreide erwirtschaftete man auf den Kräuterflächen fast den doppelten Ertrag. "Kinder und Erwachsene sind Alle beschäftigt an den Sommermo- naten Blumen zu pflücken und auszuzupfen, Kräuter von den Stängeln zu streifen, Wurzeln zu schaben, und alle diese Dinge theils an der Luft, theils auf den Oefen und Darren zu trocknen" (ANONYM 1818).

Neben Jenalöbnitz und Löberschütz, den Hauptorten des Anbaues, erlangten die Kräuterkulturen auch in Graitschen, Golmsdorf, Großlöbichau, Taupadel und Frauenprießnitz große wirtschaftliche Bedeutung. Es Abb. 3.5-4: heißt, dass sich der Anbau zu Beginn des 19. Jahrhun- Pfingstrose (Paeonia officinalis). Quelle: v. SCHLECHTENDAL derts bis nach Leutra und Rothenstein (südlich Jena) (1882): Flora von Deutschland, 11. Bd. ausdehnte. Der Handel reichte sogar weit über die Ge-

80 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel gend hinaus: Bis nach Russland sollen die getrockneten Kräuter versandt worden sein (ANONYM 1818).

Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts hielt die Nach- frage nach Kräutern aus dem Gleistal an. Danach verfielen die Preise durch den Import von Handelskräu- tern und den Aufstieg der pharmazeutischen Industrie immer mehr, so dass sich der feldmäßige Anbau nicht mehr lohnte und schließlich ganz aufgegeben wurde. Einen begrenzten Ausgleich brachte die Umorientierung auf Schnittblumen für die wohlhabenden städtisch- bürgerlichen Käuferschichten der Gründerzeit. Zunächst begann man mit dem Anbau von Rosen, Tulpen, Som- merastern, Primeln und Vergißmeinicht, aber nur die Narzissen und vor allem die Pfingstrosen konnten sich behaupten (HILL 1927).

Die Pfingstrose (Paeonia officinalis) wurde zur Charak- terpflanze der Region. Schon den Griechen und Römern war die großblütige Zier-, Heil- und Duftpflanze, deren wissenschaftlicher Name auf Paion, den griechischen Gott der Heillehre, zurückgeht, durch die medizinischen Wirkstoffe ihrer Wurzeln, Blütenblätter und Samen be- kannt (Mittel gegen Gicht, Epilepsie, Muskelkrämpfe und andere Krankheiten).

Abb. 3.5-5: Vermutlich ist die Paeonie von Südeuropa, wo es heute Krause-Minze. Quelle: THOMÉ (1888): Flora von Deutschland, noch natürliche Vorkommen gibt, durch Benediktiner- Österreich und der Schweiz. Bd. IV. Gera. mönche in Thüringer Klostergärten gelangt. Von dort fand sie später ihren Weg über die Bauerngärten und Weinberge des Gleistales auf die Märkte der Region. schaft und die Dörfer des Gleistales geprägt. Im Volks- Vor allem ihren farbenprächtigen Blüten ist es zu ver- mund hat sich deshalb der Begriff der "Pfingstrosen- danken, dass die Paeonie ab dem Ende des 19. Jahr- dörfer" eingebürgert. Sachzeugnisse haben kaum über- hunderts zeitweilig zu einer regelrechten Modepflanze dauert. Was bleibt, sind die Erinnerung und die gelebte wurde (DITTRICH 1997, S.44). Tradition wie das alljährliche Pfingstrosenfest.

Seit den 1960er Jahren ging die Nachfrage, bedingt durch das wachsende Angebot auf dem Schnittblumen- 3.5.6 Thüringer Becken: markt, drastisch zurück. Entsprechend schrumpfte die "Region der Kräuterfelder" Anbaufläche in den 1970er Jahren auf wenige Hektar Arznei- und Gewürzpflanzen sind hinsichtlich ihrer An- zusammen (SCHUSTER 1977). Mittlerweile beschränkt sie sich auf einzelne Felder, die verstreut am Ortsrand sprüche an Böden und Klima in der Regel sehr genüg- von Jenalöbnitz und am Alten Gleisberg liegen. sam und anpassungsfähig. Mit Ausnahme höherer La- gen kann man sie fast überall anbauen. Sichere und Nach wie vor ist die Paeonie aber noch in der Kultur- wirtschaftliche Ernten lassen sich aber nur auf günstigen landschaft präsent. Man findet sie in verwilderten Standorten erzielen. Fruchtbare Böden und ein warmes, Exemplaren vielerorts in den Fluren und Dörfern des sonnenreiches Klima beeinflussen den Anbau positiv. Gleistales, z.B. bei Jena-Löbnitz, Golmsdorf, Löber- Das Thüringer Becken mit seinen Löss- und Keuper- schütz, Graitschen, Taupadel; selbst an den Hängen Schwarzerden erfüllt diese Ansprüche in geradezu ide- in Richtung Dorndorf, Beutnitz und Bürgel und sogar aler Weise. im Leutratal kann man sie noch in Restbeständen an- treffen (DIETRICH 1997, S.45). Von den einst sorgsam Kölleda - Thüringens Drogenkammer kultivierten Heilkräutern sind verwilderte Bestände am Anfang des 19. Jahrhunderts hatten einige weitsichtige Gleisberg erhalten (W. MEYER 1997, S.85). Bauern in und um Kölleda mit dem feldmäßigen Anbau von Pfefferminze und anderen Heilpflanzen begonnen. Zwei Jahrhunderte lang haben die Pfingstrosenkulturen Sie reagierten damit offenbar auf eine wachsende Nach- und viele andere Zier-, Duft- und Heilpflanzen die Land- frage durch die Naturheilkunde in jener Zeit: Besonders

81 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel

Samuel Friedrich Christian Hahnemann (1755-1843), Meiran, Melisse, Pfefferminze, Salbei, Seifenwurzel der Begründer der Homöopathie, und der Priester und und Wermut kultiviert. Einige Dörfer hatten sich auf Naturheilkundige Sebastian Kneipp (1821-1897), Bad bestimmte Kräuter spezialisiert: Großrudestedt, Eck- Wörishofen, förderten die Verwendung von Arzneipflan- stedt, Schloßvippach, Haßleben, Klein-Neuhausen auf zen bzw. Pflanzenteilen in Form der verschiedensten den Anbau von Koriander, Kölleda, Groß-Neuhausen, Zubereitungen in der Therapie. Sicher ist aber auch, Schallenburg und Stödten auf Baldrian. dass die häufigen Epidemien, vor allem die Cholera,

einen erhöhten Heilmittelbedarf auslösten, der ab 1830 Abb. 3.5-6: die Ausweitung des Anbaus begünstigte. Der blau blühende Ysop. Quelle: JOH. HIE- Bald wandten sich in Erwartung des wirtschaftlichen RON. KNIPHOFS (1733): Erfolges auch viele Bauern der umliegenden Ortschaften Lebendig-Officinal- Groß- und Kleinneuhausen, Orlishausen, Frohndorf, Kräuterbuch, Erfurt. Stödten, Oberheldrungen, Kannawurf, Büchel und Gors- leben der Kultivierung von Heil- und Würzkräutern zu. Neben der Pfefferminze und der Krausen Minze um- fasste die Palette Kardobenediktenkraut, Melisse, Wer- mut, Salbei, Schwarze Malve, Ysop und Lavendel; hin- zu kamen Wurzeldrogen wie Angelika und Alant, Lieb- stöckel und Baldrian (POHL 1998).

Vorherrschend blieb aber über viele Jahrzehnte der arbeitsreiche Pfefferminzanbau (Mentha piperita L.). Nach der Ernte, die mit der Sichel erfolgte, streiften bis zu 40 Leute die Minzeblätter ab. Nach Trocknung und Weiterbehandlung wurde in kleinen Destillationsappa- raten daraus das begehrte ätherische Öl gewonnen, das für den Verkauf an Arzneimittelfirmen und Drogen- handlungen nach Weimar und Leipzig bestimmt war (POHL 1998, S.140).

Noch in den 1920er und 1930er Jahren bot sich im Raum Kölleda eine ähnliche Anbaustruktur wie ein hal- bes Jahrhundert zuvor: Neben der vorherrschenden Pfefferminze wurden Alant, Angelika, Anis, Baldrian, Estragon, Kardobenediktenkraut, Koriander, Krause Minze, Kümmel, Liebstock, Schwarze Malve, Majoran,

Abb. 3.5-7: Die "Kresse-Klingen" in Erfurt (Foto: H.-H. Meyer 2007).

82 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel

Die in diesen Ortschaften geernteten Heilkräuter wurden an Großdrogenhandlungen in Halle, Berlin, Dresden, Hamburg oder Leipzig verkauft. Insgesamt nahm der Raum Kölleda, von der Unstrut im Westen bis zu den Höhenzügen der Finne und Schmücke im Nordosten, in jener Zeit unter den "Drogenkammern" Deutschlands einen der Spitzenplätze ein. Das im 19. Jahrhundert in Kölleda betriebene Destillieren von ätherischen Ölen aus den eingesammelten Pflanzenteilen, insbesondere die Herstellung von Pfefferminzöl, wurde im 20. Jahr- hundert allerdings nicht mehr ausgeübt (PETRY 1937, S.139).

Auch zu DDR-Zeiten wurde der Anbau von Pfefferminze und anderen Drogenpflanzen im Raum Kölleda fortge- setzt. Die Anbaufläche bemaß sich in den Jahren 1962- 1968 noch bei beachtlichen 30 ha Pfefferminze, 1966- 1968 bei 10-12 ha Angelika, 20-30 ha Liebstock, 50 ha Kümmel und 50 ha Koriander (POHL 1998). Unter den marktwirtschaftlichen Bedingungen der 90er Jahre sind diese Flächengrößen stark zurückgegangen; doch fin- det auch heute noch ein begrenzter Anbau von Heil- und Gewürzpflanzen statt (s. Karte 6).

Erfurt: Historisches Zentrum des feldmäßigen Gartenbaus In Erfurt reicht die Tradition des Kräuteranbaus bis in Abb. 3.5-8: das Mittelalter zurück. Sie begann mit den Heilkräutern Salz-Wermut (Artemisia maritima L.). Quelle: v. SCHLECHTENDAL der Benediktiner in den Klostergärten, setzte sich vom et al. (1887): Flora von Deutschland, 29. Bd. Gera. 13. bis 16. Jahrhundert in Form des wirtschaftlich äu- ßerst erfolgreichen Waidanbaus fort (s. Kap. 3.4.) und Anissamen und Saflor wurden zu Exportschlagern; und durchlief vom 17. bis 20. Jahrhundert ihre bisher letzte im Botanischen Garten der Erfurter Universität (gegrün- große Blütezeit, als Erfurt zum Zentrum des deutschen det 1756) holte man sich Anregungen zur Kultur von Gartenbaus avancierte. fremden Blumen: Nelken, Aurikel und Levkojen, die sich bald auch im Angebot der ersten Erfurter Blumen- Zwei Faktoren trafen zusammen: Zum einen die gün- händler wiederfanden. Fortan blühten die unterschied- stigen Klima- und Bodenbedingungen im Thüringer lichsten Zier- und Nutzpflanzen in den Samenkulturen Becken; zum zweiten Ideenreichtum und Initiative eines vor den Toren der Stadt. Aus den kleinen Gärtnereien der berühmtesten Söhne der Stadt. Christian Reichart, wurden Großhändler, die Welthandel mit Blumensäme- am 4. Juli 1685 in Erfurt geboren, widmete sich - wissen- reien betrieben. schaftlich fundiert - dem Gemüseanbau und der Sa- menzucht, legte Obstplantagen und Blumenbeete an. Die umliegenden Ortschaften Ringleben, Dachwig, Auch gelang es ihm, die nur im frischen Quellwasser Walschleben, Herbsleben und Gebesee hatten sich wachsende Brunnenkresse (Nasturtium officinale), die seit den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts - als vitaminreiches Wintergemüse an den Fürstenhöfen dem Beispiel von Kölleda folgend - auf die Kultur von seiner Zeit zu den hochgeschätzten Delikatessen zählte, Arznei- und Gewürzpflanzen spezialisiert. Der Anbau in den im Winter eisfreien „Kresse-Klingen“ dauerhaft von Pfefferminze, Baldrian, Estragon und Angelika, von zu kultivieren (Abb. 3.5-7). Reichart erprobte auch neu- Melisse, Krauser Minze, Majoran, Koriander, Anis und artige Methoden der gärtnerischen Produktion, und er Fenchel, von Gelbem Senf und Mohn wurde den Tage- gab seine Erfahrungen und Kenntnisse in Schriften löhnern und Kleinbauern eine "nicht unbedeutende wie dem sechsbändigen "Land- und Gartenschatz" Erwerbsquelle" (Kirchenchronik von Ringleben aus weiter. Es verwundert nicht, dass sich in der Stadt dem Jahr 1831; PETRY, 1937, S.142). Zu Beginn des Christian Reicharts im Verlaufe des 18. und 19. Jahr- 20. Jahrhunderts ging der Anbau stark zurück. Arznei- hunderts ein florierender gewerblicher Gartenbau eta- mittel konnten auf synthetischem Wege preiswerter er- blierte. zeugt werden.

83 Heil- und Zierpflanzenanbau, Olitätenhandel

Artern und "Artemisia" 3.5.7 Thüringer Kräuter - heute Artern und die Nachbarorte Schönfeld und Kachstedt Rückblickend ist der Thüringer Kräuterbau in jüngerer waren seit den 1920er Jahren in Deutschland das Haupt- Zeit niemals ganz zum Erliegen gekommen. Zu DDR- anbaugebiet einer Arzneipflanze, die der botanische Zeiten gehörte die LPG Nöbdenitz im Altenburger Land Laie vor allem von den Salzwiesen der Nordsee her zu den wenigen Betrieben in Ostdeutschland, die den kennt. Der Meer- oder Salz-Wermut (Artemisia mari- Arznei- und Gewürzpflanzenbau als Hauptproduktions- tima L.), eine zu den Salzpflanzen (Halophyten) zäh- richtung wählten (Anbaupalette 1964: Blaue Malve, lende Beifuß-Art, verdankt ihre endemischen Vorkom- Dill, Eibisch, Kamille, Koriander, Kümmel, Königskerze, men den Solequellen in der Umgebung der Stadt. Salz- Pfefferminze, Ringelblume, Spitzwegerich, Wermut; haltiges Grundwasser aus dem Zechstein steigt dort POHL 1998). an tektonischen Störungen unter Druck bis zur Erdober- fläche auf und hinterlässt schlammige, salzhaltige Heute nimmt der Freistaat Thüringen mit einer Anbau- Böden, wie sie sehr ähnlich im Wattenmeer zu finden fläche von rd. 1500 ha nach Bayern eine der Spitzen- sind. positionen unter den „Kräuterregionen“ Deutschlands ein. Nach einer Information des Thüringer Ministeriums Im Kraut enthalten die grau-grünen Pflanzen die Sub- für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt (s. Litera- stanz Santonin, die in Präparaten der Human- und Ve- turverzeichnis) wird zurzeit ein Sortiment von ca. 30 terinärmedizin früher häufig eingesetzt wurde (Entwur- Arten in Abhängigkeit von der Nachfrage in den land- mungsmittel). wirtschaftlichen Betrieben Thüringens angebaut. Die wichtigsten sind: Kamille, Pfefferminze, Johanniskraut, Der feldmäßige Anbau von A. maritima begann in Artern Zitronenmelisse, Baldrian, Artischocke und Kümmel, 1923 als Folgewirkung des Ersten Weltkrieges. Lagen außerdem Spitzwegerich, Petersilie, Echte Goldrute, vor dem Krieg die Hauptbezugsgebiete des Salz-Wer- Pharmaweide, Fenchel, Estragon, Krause Minze, Rin- mutes in den russischen Salzsteppen, den größten na- gelblume, Weißdorn, Holunder, Tollkirsche, Stechapfel, türlichen Vorkommen in der Welt, schnitt der Zusam- Pestwurz, Thymian, Moldawischer Drachenkopf, Senf, menbruch des Zarenreiches 1917/1918 Deutschland Sellerie, Schnittlauch, Porree und Dill. von dieser monopolartigen Bezugsquelle ab, so dass die Versorgung nur durch heimische Vorkommen gesi- Rund ein Viertel des deutschen Anbaus von Heil-, Duft- chert werden konnte. Arterner Landwirte übernahmen und Gewürzpflanzen erfolgen in Thüringen, darunter im Auftrag der Fa. Schering (Berlin) den Anbau und weit mehr als die Hälfte der deutschen Kamille und der die Pflege der Kulturen. deutschen Pfefferminze. Die Standorte sind in der Über- sichtskarte 6 dargestellt. Wie sich bald zeigen sollte, war die erfolgreiche Aufzucht der Artemisia-Pflanze entgegen der ursprünglichen An- Nähere Informationen zum Thema können vom Thü- nahme bei gärtnerischer Kultur keineswegs auf salz- ringer Interessenverband Heil-, Duft- und Gewürzpflan- haltige Böden angewiesen. Entscheidend war vielmehr zen e.V. (Interessenverband der Erzeuger), Bergstraße die intensive, hackfruchtähnliche Pflege. Mit dieser 16, 04626 Nöbdenitz-Lohma, und vom Thüringer Zen- Kenntnis konnten die Anbauflächen auch auf nichthaline trum für Nachwachsende Rohstoffe der Thüringer Lan- Standorte ausgedehnt werden (z.B. in Kölleda). desanstalt für Landwirtschaft, Apoldaer Str. 4, 07778 Dornburg, bezogen werden. Fast drei Jahrzehnte lang florierte der Artemisia-Anbau. Nach 1950 ging der Bedarf an Santonin mit dem Auf- kommen synthetischer Wurmmittel immer mehr zurück, so dass der Anbau 1956 eingestellt werden musste (HEROLD 1995).

Dennoch blieb Artern ein Zentrum des Heil- und Ge- würzpflanzenbaus in Thüringen. An die Stelle der Arte- misia-Kulturen traten die Erhaltungszüchtung und die Saatgutproduktion ausgewählter Arzneipflanzensorten im Betriebsteil Artern des Kombinates GERMED, Dres- den. Seit der Wende setzen zwei Privatunternehmen Forschung, Entwicklung und Produktion auf dem Gebiet fort (Firmen Pharmaplant und Pharmasaat).

84 Hutungen und Hutungslandschaften

3.6 Hutungen und Hutungslandschaften

3.6.1 Begriffsbestimmung und heutige Bedeutung Dreifelderwirtschaft eingepfercht, um über ihren Kot den Boden mit Nährstoffen anzureichern. Erst mit dem Wohl kaum eine andere Form der Flächennutzung ver- Durchbruch der weitaus effektiveren Mineraldüngung deutlicht stärker den Wandel der Kulturlandschaft in und dem Niedergang der Wollmarktpreise ab der zwei- den letzten zweihundert Jahren. Hutungen, das waren ten Hälfte des 19. Jahrhunderts verloren die Magerrasen extensiv genutzte, magere Weideflächen, die überwie- ihre Funktion für die Nährstoffversorgung der Äcker. gend von Schafen und Ziegen, mitunter auch von Rin- dern beweidet wurden, und die - nicht eingezäunt - zur Mittlerweile sind die Hutungen und die aus ihnen her- Allmende gehörten. Bis ins 19. Jahrhundert nahmen vorgegangenen Biotoptypen durch Nutzungsaufgabe Hutungen in einzelnen Regionen Thüringens so große (s.u.) und durch äußere Umwelteinflüsse (Eutrophierung Flächen ein, dass man für diese Zeit von regelrechten etc.) selten geworden. Sie sind bestandsbedroht. Gleich- Hutungslandschaften sprechen kann. Verbreitet waren zeitig hat sich in der öffentlichen Meinung ein Bewer- sie auf den qualitativ schlechteren Böden, auf trockenen tungswandel vollzogen. Hatte man sie nach ihrem Be- oder nassen Standorten, an Hängen oder auf felsig deutungsverlust in der Landwirtschaft Jahrzehnte lang durchsetztem Untergrund, wo sich intensivere Nutzun- als "Ödland" oder "Unland" betrachtet, schätzt man sie gen nicht lohnten. Jahrhunderte lang prägten sie dort heute aus ökologischer Sicht: Während auf dem Hoch- das Landschaftsbild in der ihnen eigenen Weise: als ertragsackerland durch Meliorationen und Düngungs- weite, in zeitgenössischen Beschreibungen öde und maßnahmen Standortunterschiede zunehmend nivelliert wüst empfundene Offenlandflächen, die allenfalls von und wertvolle Biotopstrukturen zerstört werden, bieten einzelnen hageren Bäumen, Sträuchern und Gebüsch- die alten Hutungsflächen als halbnatürliche Elemente inseln durchsetzt waren, wie historische Fotos und alte der Kulturlandschaft ein ausgesprochen vielgestaltiges Stiche belegen. Lebensraummosaik aus Felsfluren, Rasen, Zwergsträu- chern und Gebüschen mit sehr artenreicher Flora und "Der Pflanzenwuchs dieser Magerwiesen und Schaf- Fauna. Sie beherbergen Pflanzen und Tiere, die darauf weiden setzt sich vornehmlich zusammen aus kurzhal- spezialisiert sind, unter extremen Standortbedingungen migen Gräsern, trockenheitsertragenden Kräutern und und mit wenigen Nährstoffen auszukommen: Orchideen, Halbsträuchern, die den wasserarmen, steinübersäten Flechten und andere Trockenheit, Wärme oder Feuchte Boden nur locker decken und genug Platz für dürre tolerierende Arten, die europaweit gefährdet sind. Moose und Flechten lassen. Darüber erheben sich ver- einzelt oder in malerischen Gruppen dunkle Wacholder, Inzwischen konnten die wertvollsten Areale zwar durch stachlige Wildrosensträucher oder dornige Schlehen- Einrichtung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten und Berberitzengebüsche. Ab und zu erscheint ein ein- unter Schutz gestellt werden (z.B. NSG's im Zechstein- samer Föhrenbaum oder eine Buche oder Eiche. Doch streifen am Südharzrand, NSG "Südwest-Kyffhäuser", können Baum und Strauch manchmal ganz fehlen" NSG's im Mittleren Saaletal "Leutratal", "Gleistalhänge", (GAUCKLER 1938, zit. in QUINGER 1992, S. 167/168). "Großer Gleisberg", "Hohe Lehde", "Dohlenstein", Na- turschutzgroßprojekt "Orchideenregion Jena - Muschel- In den Ausführungen wird deutlich: Schafe und Ziegen kalkhänge im Mittleren Saaletal" und NSG’s im Bio- verschmähten Pflanzen, die besonders zäh, dornig sphärenreservat "Rhön" u.a.). Doch geschah dies vor- oder stachelig waren, die bitter schmeckten oder giftige nehmlich unter Gesichtspunkten der Lebensraumerhal- Substanzen enthielten wie Wacholder, Weiß- und tung, weniger aufgrund des besonderen kulturgeschicht- Schwarzdorn oder Heckenrosen. Sie wurden durch die lichen Hintergrundes, der im Folgenden näher erläutert Beweidung gefördert und mit der Zeit zu einem Cha- werden soll. rakteristikum der Hudelandschaften. Vor allem ihr mar- kantester Vertreter, der Wacholder (Juniperus commu- nis), darf als zuverlässiger Indikator für eine ehemalige 3.6.2 Hutungen im kulturgeschichtlichen Rückblick Beweidung angesehen werden. Hutungsflächen verdanken ihre Entstehung der Wald- Jahrhunderte lang waren Hutungen ein unverzichtbarer zerstörung und Überweidung seit vorgeschichtlichen Bestandteil der bäuerlichen Wirtschaft. Als Schaf- und Zeiten (s.a. Kap. 3.7. "Histor. Waldnutzungen"). Beson- Rinderweiden dienten sie der Woll-, Milch- und Fleisch- ders auf mageren, flachgründigen und trockenen Stand- produktion, indirekt auch der Düngung magerer Acker- orten waren die Naturwälder durch Holzeinschlag, böden. Tagsüber weideten die Tiere auf den Hutungs- Waldweide und vielerlei andere Nutzungen schon früh flächen, nachts wurden sie auf den Brachflächen der immer mehr aufgelichtet und zurückgedrängt worden,

85 Hutungen und Hutungslandschaften

weil sie dort den anthropo-zoogenen Eingriffen nur Jahrhunderts kam es zu einer nie gekannten Aufsto- geringe Widerstandskraft entgegenzusetzen vermoch- ckung der Herden und in der Folge zu einer bis dahin ten. Offene Weideflächen aus Gräsern, lichtliebenden beispiellosen Überweidung der Landschaft mit entspre- Kräutern und Zwergsträuchern traten an ihre Stelle. chenden ökologischen Schäden. Namentlich in den thüringischen Kleinstaaten mit Flächenanteil an der Schon in der Mittleren Bronzezeit, der sog. Hügelgrä- Ilm-Saale-Ohrdrufer Muschelkalkplatte erlebte die Schaf- berkultur (1600-1200 v. Chr.), dürfte es in Thüringen haltung eine wahre Blütezeit, wie zeitgenössische Sta- größere beweidete Offenlandflächen mit Trockenrasen tistiken das in Zahlen verdeutlichen: Im Jahre 1864 und Zwergstrauchheiden gegeben haben, wie die wurden im Großherzogtum Sachsen-Weimar 285 000 örtlichen Häufungen archäologischer Siedlungs- und Schafe gehalten, im Fürstentum Schwarzburg-Rudol- Gräberfunde wahrscheinlich machen: die Gipskarst- stadt über 70 000 (MENDELSON 1904). landschaft der Orlasenke bei Saalfeld und die Muschel- kalkberge bei Jena gehörten dazu. Beweidet wurden in jener Zeit nicht nur die seit alters her von Trockenrasen und Buschland überzogenen In den folgenden Kulturphasen wechselte die Ausdeh- Steilhänge; auch die mit dem Niedergang des Weinbaus nung der Weideflächen in Abhängigkeit von der Bedeu- in großer Zahl aufgelassenen Weinberge wurden aus tung der Schafwirtschaft im bäuerlichen Wirtschaftssy- Mangel an anderen Nutzungsmöglichkeiten in die Be- stem und von der Besiedlungsdichte mehrfach. Bei weidung mit Schafen und Ziegen einbezogen, sofern sie nicht mit Streuobstbäumen bepflanzt wurden (s. wachsender Bevölkerung (= wachsendem Nahrungs- Kap. 3.2. "Weinbau und historische Weinbaulandschaf- bedarf) nahm die Ausdehnung der Hutungsflächen zu, ten"). Beweidet wurden außerdem die oberen Hangbe- weil Schafe neben Fleisch auch den unverzichtbaren reiche des Rötsockels (s.u.) mit ihrem von Bergstürzen Dünger für die Getreidefelder lieferten (bei Beweidung und Hangrutschungen buckelig geformten, ackerbaulich der Brachstadien). Eine Zunahme der Hutungsflächen schwer nutzbaren Relief. ist außerdem für Zeiten eines kühleren und regenrei- cheren Klimas zu konstatieren, da sich dann die Wei- Entwaldung und Überweidung hatten verhängnisvolle dewirtschaft als ertragssicherer erwies als der Anbau Auswirkungen, die man heute noch erkennen kann. von kälte- und nässeempfindlichen Getreidearten. In Auf den entwaldeten Flächen flossen Regen und Wüstungszeiten (Kriege, Seuchen etc.) fielen die Hut- Schneeschmelzwässer ungehindert ab. Gleichzeitig ungsflächen dagegen oft über Jahrhunderte der Wie- lockerten die Schafe durch ihre scharfen Klauen beim derbewaldung anheim, weil mit dem Rückgang der Klettern Erde und Geröll, was in den vielbelaufenen Bevölkerung auch ein Rückgang der landwirtschaftlichen Triften die Bildung von Wasserrissen auslöste. Mannig- Nutzung und der Viehherden verbunden war (s. dazu fache Erosionsformen, von Spülrinnen bis zu Meter Kapitel 2. "Abriss der Kulturlandschaftsentwicklung"). tiefen Kerben, von einzelnen Felsbrocken bis hin zu ausgedehnten Schuttsäumen am Fuße steiler Hänge Ihre größte Flächenausdehnung erreichten Hutungen legen heute noch Zeugnis von diesen Vorgängen ab. im Hochmittelalter und dann später vor allem in der Neuzeit, parallel zu den Höhepunkten der Schafzucht. Darüber hinaus wurden vielerorts die über Jahrhunderte Wachsender Fleischverbrauch (bei wachsender Bevöl- gewachsenen Humusdecken abgespült oder ausge- kerung) und steigende Nachfrage des Textilgewerbes weht, so dass heute selbst flachere bis mittelsteile nach Wolle förderten in diesen Zeiten die Ausdehnung Hänge an der Muschelkalkstufe zumeist nur magere der Schäferei. Im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Rohböden oder steinige Kolluvien (verspültes Boden- sediment) tragen.

Wegen mangelnder Durchwurzelung kam es außerdem an den Stufenrändern der Muschelkalkplatten über dem Wasser stauenden Ton des Rötsockels häufig zu Rutschungen, die sich heute in dem schon erwähnten Buckelrelief widerspiegeln.

Ein Augenzeuge beschrieb den Landschaftszustand in anklagendem Unterton sehr eindrucksvoll: „Dann .. beginnt die allgemeine Sterilität; kaum daß man noch einen armseligen Dorn oder Wachholderbusch Abb. 3.6-1: gewahrt, oder höchstens einzelne verkrüppelte Kiefern- Historische Hutungsflächen um 1930 mit Wacholderbüschen exemplare Doch nicht genug; schließlich ziehen noch bei Stadtilm (aus: von FREYBERG 1937). zahlreiche Schafherden allwöchentlich den Bergwänden

86 Hutungen und Hutungslandschaften

Abb. 3.6-2: Erosionsrinnen im Bereich historischer Hutungen und Triften bei Remda um 1855. Quelle: Feldoriginal des Preußischen Urmesstisch- blattes, Bl. 3060 Remda, Originalmaßstab 1 : 25 000; Nachdruck des Thüringer Landesamtes für Vermessung und Geoinformation (farbig). Original in der Staatsbibliothek Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

thür. Kleinstaaten Schafzahlen 1864 Schafzahlen 1900 rel. Rückgang Schafe pro qkm Fläche der 2) 1864-1900 Kleinstaaten 1873

Fst. Schwarzburg- 100 000 38 000 62 % 96,3 Sondershausen GrHzgt. Sachsen-Weimar 285 000 88 000 69 % 59,0 Fst. Schwarzburg-Rudolstadt 71 000 24 000 66 % 55,3 Hzgt. Sachsen-Coburg-Gotha 132 000 48 000 64 % 54,6 Hzgt. Sachsen-Meiningen 113 000 31 000 73 % 34,4 Fst. Reuß j.L. 34 000 9 000 74 % 27,8 Hzgt. Sachsen-Altenburg 46 000 10 000 78 % 23,4 Fst. Reuß ä.L. 8 000 1) 2 000 75 % 15,8

thür. Kleinstaaten gesamt 789 000 250 000 68 % - Dt. Reich gesamt 29 700 000 9 692 000 67 % -

Tab. 3.6-1: Zahl und Entwicklung der Schafbestände in den thüringischen Kleinstaaten 1864 bis 1900 (Quelle: MENDELSON 1904, ergänzt). 1) 2) Wert von 1867 Flächengrößen der Kleinstaaten um 1900 entlang, das Verödungswerk fortsetzend, indem sie die ihm nicht gehörten, seinen höchstmöglichen Nutzen das grandartige Gerölle locker und lostreten, damit ziehen, ohne Rücksicht auf die Folgen. Je mehr Schafe jeder Tropfen fallenden Regenwassers dem Fuße der gehalten wurden, umso größer war der Gewinn. Berge zueile und, das lockere Steingerölle mit sich fortreißend, die unten liegenden Felder damit über- Dass es nicht noch schlimmer kam, ist den tief greifen- schütte“ (S.6) und: „daß Berge, die wir noch vor wenig den ökonomischen und sozialen Wandlungen im Zuge Jahren gewöhnt waren, wenn auch nicht durchgehends der Agrarreformen zu verdanken, die in der ersten vollständig bewaldet, so doch grün und dicht mit Wach- Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzten. Entscheidenden holderbeständen überzogen zu sehen, jetzt kahl ge- Einfluss hatten die Gemeinheitsteilungen, d.h. die Auf- schoren vor uns liegen, so daß man die Ameise kriechen teilung der Allmenden an Privatbesitzer und den Staat, sehen kann“ (B. VON HOLLEBEN 1862: S.11). und in deren Konsequenz die Ablösungen der Trift- und Weideberechtigungen. Sie führten zusammen mit einem Dass die Weideschäden dieses verheerende Ausmaß Rückgang der Weltmarktpreise für Wolle infolge der annahmen, hing mit dem Allmendecharakter der Hu- aufkommenden Überseekonkurrenz (Dampfschiffe !) tungsflächen zusammen. Jeder wollte aus den Flächen, in wenigen Jahren zu einem drastischen Einbruch der

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Abb. 3.6-3: Triften bei Kirchworbis um 1850 (dunkelgrau, mit Bul- tensignatur). Triften waren schmale Grünstreifen, auf denen die Viehherden, meist Schafe und Rinder, vom Dorf zu den oft weit entfernten Hutungen oder Wald- weiden getrieben wurden. Sie waren in der Regel von Wällen oder Hecken eingefasst, um ein unkontrolliertes Ausbrechen der Herden auf seitwärts liegende Wirt- schaftsflächen zu verhindern. Quelle: Feldoriginal der Preußischen Urmesstischblätter von 1853, Bl.2596 Worbis; Originalmaßstab 1 : 25 000, Nachdruck des Thüringer Landesamtes für Vermessung und Geoin- formation (farbig). Original in der Staatsbibliothek Ber- lin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

boten die Schafhaltung und mit ihr die Produktion von Wolle und Fleisch manchem Kleinbauern einen willkommenen Nebenerwerb. Mit der Grün- dung der landwirtschaftlichen Produktionsgenos- senschaften Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre wurden Schafe aus der bäuerlichen Einzelhaltung in großen Herden zusammenge- führt, die die Beweidung der traditionellen Hu- tungen sicherstellten. Bis Ende der 1980er Jahre wurde die Produktion weiter intensiviert. In Thü- ringen stand die Erzeugung von halbfeinen Wol- len und von Mastlämmern im Vordergrund der Schafhaltung (HEURICH 2001, S. 105). Durch die Tritt- und Verbisswirkung der Schafe konnten die meisten Hutungen und mit ihnen die beson- deres gefährdeten Trocken- und Halbtrockenra- sen mit ihren seltenen Arten der Flora und Fauna erhalten werden.

Seit den 1990er Jahren ist das nicht mehr der Fall. Nach dem Ende der DDR führte die Öffnung des Marktes zu einem drastischen Nachfrage- einbruch für Schafwolle und -fleisch, in dessen Schafbestände, der mit einem Nachlassen der Be- Folge die Schafhaltung in Thüringen erheblich zurück- weidung verbunden war (vgl. Tabelle 3.6-1). Viele Hu- ging. Viele ehemalige Hutungen sind seitdem durch tungen auf ackerfähigen Böden wurden in jener Zeit die Nutzungsaufgabe so stark zugewachsen, dass eine unter den Pflug genommen, andere eingezäunt, von Regeneration nicht mehr oder nur noch unter hohen Lesesteinen befreit und in Intensivgrünland überführt. Kosten möglich ist. Auf steileren Hanglagen begannen mit nachlassendem Weidedruck Verbuschung und Wiederbewaldung im Man wird sich darauf einstellen müssen, dass die Hu- Zuge der natürlichen Sukzession. Begünstigt durch tungsflächen in der Kulturlandschaft auch künftig weiter steigende Holzpreise wurden Steilhänge aber auch abnehmen. Regionale Initiativen mit zeitgemäßen Wirt- gezielt mit Nadelbäumen bepflanzt. Schwarz- und Wald- schaftskonzepten (z.B. Direktvermarktung von Schaf- kiefern als Pionierwald sollten die trockenen, sterilen und Ziegenkäse) könnten der Schaf- und Ziegenhaltung und erosionsgefährdeten Böden mit ihren Pfahlwurzeln zwar örtlich wieder eine Chance geben. Dennoch wird binden und so langfristig diese Standorte für hochwer- sich die Verbuschung weiter verstärken. Stickstoffein- tigere Baumarten vorbereiten. träge aus der Luft verbessern die Konkurrenzkraft von Gehölzen mittlerweile selbst an von Natur aus wachs- Trotz aller Veränderungen wurden viele der verbliebenen tumswidrigen Stellen wie Felsschuttfluren und sogar Hutungen weiterhin als Weideflächen genutzt. Es gab offenen Felsen. In einigen Jahrzehnten, so ist zu be- sie bis weit ins 20. Jahrhundert in Resten noch überall fürchten, könnten die offenen Lebensräume mit ihrer in Thüringen, besonders auf den Rändern der Muschel- Fülle an speziell angepassten Arten dann fast ganz kalkplatten und in der Rhön. Bis in die DDR-Zeit hinein verschwunden sein.

88 Hutungen und Hutungslandschaften

3.6.3 Verbreitung historischer Hutungen Callunaheiden auf Silikatböden bis hin zu Seggen- und Binsenwiesen auf Feuchtstandorten in den Thüringer 3.6.3.1 Methodische Vorbemerkungen Mittelgebirgen, im Buntsandsteinland und in der Rhön Wie ausgedehnt Hutungsflächen noch in der Mitte des (vgl. a. MENDELSON 1904, S. 120ff). 19. Jahrhunderts, d.h. während der Blütezeit dieser Wirtschaftsform, in Thüringen gewesen sind, lässt sich Anders als die historischen Karten suggerieren (Abb. am besten den Feldoriginalen der Preußischen Urmess- 3.6-2, 3.6-4, 3.6-5), waren die Hutungsflächen in der tischblätter entnehmen, die um 1850 aufgenommen Realität nicht scharf abgegrenzt. Mit fließenden Über- wurden. Sie sind als Nachdrucke flächendeckend für gängen setzten sie sich in offenen, lückenhaften Wald- Thüringen beim Landesamt für Landesvermessung beständen fort, die ebenfalls extensiv beweidet wurden und Geoinformation verfügbar. (Hudewald, s.Kap. 3.7 "Historische Waldnutzungen"). Eine scharfe Grenze gab es ebenso wenig zu den Im Vergleich zu älteren Karten erreichen die preußischen Feldern der Dorfflur. Dort bestanden mehr oder weniger Urmesstischblätter in der Darstellung der Topographie freie Übergänge zu den (beweideten) Brachzelgen der bereits eine erstaunliche Lage- und Flächengenauigkeit. Dreifelderwirtschaft, sofern nicht Zäune, Hecken oder Inhaltlich waren sie aber nur bedingt zuverlässig, was Gräben die Äcker von der Allmende trennten. bei ihrer Interpretation zu berücksichtigen ist (MEYER 2007). Im Rahmen dieser Arbeit wurden alle auf den Urmess- tischblättern als Hutungen ausgewiesenen Flächen Dem großem Zeitdruck und der Unerfahrenheit des ermittelt und in eine digitale Übersichtskarte eingetragen. kartierenden Personals ist es wahrscheinlich zuzu- Die Übertragung erfolgte nicht lage- und flächengenau, schreiben, dass bei weitem nicht alle Hutungsflächen sondern auf der Basis von Viertelquadranten der Topo- registriert und manche auch falsch gedeutet worden graphischen Karte 1 : 25 000, die den gleichen Maßstab sind. Dabei wurden dann Flächen sehr unterschiedlicher und Blattschnitt wie die Feldoriginale aufweist. Dabei Standort-und Biotoptypen vereinfachend zusammen- wurden nur Hutungsflächen übernommen und mit einem gefasst: von basiphilen Trocken- und Halbtrockenrasen Punkt im Raster vermerkt, deren Gesamtfläche im Vier- auf Kalk und Gips über acidophile Borstgrasrasen und telquadranten auf über einen Hektar geschätzt wurde.

Abb. 3.6-4: Ausschnitt aus dem Feldori- ginal des Preußischen Ur- messtischblattes Nr. 390 Plaue von 1855 (Maßstab 1 : 25 000, verkleinert) mit ausgedehnten Hutungsflä- chen auf den Steilhängen der Muschelkalkberge beiderseits der Gera südlich von Arn- stadt. Diese vor allem von Schafen und Ziegen bewei- deten Flächen wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts großflächig mit Kiefern aufge- forstet. Einige wenige Stand- orte blieben als Kalktrocken- rasen erhalten, die heute unter Naturschutz stehen. Man beachte die Flurnamen, die auf die schleichende Waldzerstörung durch Wald- weide schließen lassen (Schweins Berg, Strubbels Berg). Nachdruck des Thürin- ger Landesamtes für Vermes- sung und Geoinformation (farbig). Original in der Staats- bibliothek Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

89 Hutungen und Hutungslandschaften

Betrug die geschätzte Gesamtfläche pro Viertelquadrant größer 10 ha) aneinander grenzen, wurden zur Ver- mehr als 10 ha, wurde ein größerer Punkt eingetragen deutlichung fett gedruckt. Die fett gedruckten Räume (Karte 7). Zur Auswertung wurden die Rasterpunkte stellen dementsprechend die Gebiete innerhalb Thü- dann in einem zweiten Arbeitsschritt mit den Naturräu- ringens um 1850 mit der stärksten Präsenz von Hutun- men Thüringens und mit den heutigen Vorkommen von gen im Landschaftsbild dar. Kalkmagerrasen der Biotopkartierung (1993) überlagert. Wie die Übersicht erkennen lässt, kamen Hutungen 3.6.3.2 Schwerpunktgebiete in Thüringen um 1850 Mitte des 19. Jahrhunderts in nahezu allen Naturräumen Nachfolgend werden die Schwerpunktgebiete histori- Thüringens und auf fast allen Gesteinen vor. Es gab scher Hutungen, soweit sie aus den preußischen Ur- sie auf Kalk und Gips (Muschelkalk, Zechstein, Keuper), messtischblättern ermittelt werden konnten, aufgelistet. auf Sandstein (Buntsandstein, Keuper), auf Rhönbasalt, Anschließend werden die spezifischen Naturraumdis- im Mittelgebirge auf Schiefern, Grauwacken und ande- positionen, vor allem die Einflüsse des Reliefs, der ren Hartgesteinen sowie auf Nass- und Moorböden. Geologie und der Böden, vereinfachend zusammenge- fasst. Stark waren Hutungen in den Naturräumen der Mu- schelkalkplatten und -Bergländer vertreten: In West- Gebiete, in denen mindestens zwei Viertelquadranten und Nordwestthüringen erstreckten sie sich auf den mit großen Rasterpunkten (geschätzte Hutungsfläche Muschelkalksteilhängen der Hörselberge bei Eisenach,

Übersicht historischer Hutungsgebiete (1850)

Naturraum: Muschelkalkplatten und -Bergländer Udersleben (Udersleber Leede) Untergrund: Kalk- und Mergelstein • Zechsteingürtel am Südharz südwestlich von Ellrich und am Alten Stolberg östl. Nordhausen Nordthüringer Muschelkalk-Bergland • Zechsteingürtel am Südwestrand des Thüringer Waldes • Hainleite südlich bis südwestlich Sondershausen nördlich Bad Salzungen mit fließendem Übergang in • Düngebirge bei und östlich Heiligenstadt das Salzunger Buntsandsteinland • Ohmgebirge • Riffkalkberge der Orlasenke zwischen Saalfeld und Nordwestthüringisches Muschelkalk-Bergland Pößneck • östlicher und südöstlicher Randbereich des Hainich mit einem Schwerpunkt westlich Mühlhausen und Naturraum: Basaltkuppenland (Rhön) einem weiteren um Craula (im südöstlichen Hainich- Untergrund: Basalt, Muschelkalk Vorland fließender Übergang in das Innerthüringer Keuperbergland) • Vordere Rhön: Kuppen westlich und nordwestlich • Obereichsfeld südlich der Leine bis Geismar/ Kaltennordheim (Klingser Huth, Weidberg u.a.), bei Lengenfeld Andenhausen, Schafhausen, Hahnberg bei , • Hörselberge bis östliches Werrabergland von Roßdorf, Raum -Hoher Stern, bei Hümpfers- Eisenach bis Mihla mit Schwerpunkt in den hausen Hörselbergen • Hohe Rhön: südöstl. Oberweid Ilm-Saale-Ohrdrufer-Platte Naturraum: Ackerhügelländer • um Ohrdruf (fließender Übergang in das Innerthüringer Untergrund: Keuperton, -gips, Kalkstein, Löss Keuperbergland südlich bis westlich Gotha) • Gebiet südlich Arnstadt mit Schwerpunkten in den Räumen Reinsberge-Plaue-Rippersroda Innerthüringer Keuperbergland • Gebiet südlich Erfurt bis zur Ilm bei Stadtilm mit • Südwestl. Rand zwischen Hainich und Ohrdrufer Schwerpunkt um Riechheim Platte auf unterschiedlichen Substraten • Gebiet östlich der Ilm um Remda • zwischen Gangloffsömmern, Weißensee und Günstedt • Hänge des Ilmtales zwischen Bad Berka und Weimar • am Südrand von Dün und Hainleite nördlich bis west- • Muschelkalkhänge des Mittleren Saaletales lich Ebeleben zwischen Kahla und Dornburg • Gebiet östlich Mühlhausen bis nordwestlich Bad Tennstedt Meininger Muschelkalkplatte • Hochfläche westlich Meiningen Weißenfelser Lössplatten • östlich Camburg um Schkölen Naturraum: Zechsteingürtel an Gebirgsrändern Altenburger Lösshügelland Untergrund: Kalkstein, Gips • zwischen Schmölln und Gössnitz

• Südabdachung des Kyffhäusers bei Badra und

90 Hutungen und Hutungslandschaften im Bereich des Langensalzaer Stadtwaldes und der Auch in Jena und Umgebung dehnten sich auf den Großen Haart auf der Südostabdachung des Hainich, Steilhängen beiderseits des Saaletals - oft in enger an den Hängen des Dün im Obereichsfeld bei Heiligen- Nachbarschaft mit Weingärten und historischen Acker- stadt, außerdem auf den Südhängen der Hainleite terrassen - Hutungsflächen aus, die dem Talraum im südwestlich und südlich Sondershausen. Südlich des Vergleich zu heute einen viel lichteren und strukturrei- Thüringer Waldes kamen sie besonders auf den Mu- cheren Charakter gaben: auf der Ostseite an den Hän- schelkalkkuppen westlich Meiningen vor. gen der Wöllmisse und der Kernberge, am Jenzig und am Gleisberg sowie auf der Süd- und Nordflanke des Geradezu landschaftstypisch waren Hutungen Mitte Tautenburger Waldes; auf der Westseite gab es sie bei des 19. Jahrhunderts in vielen Teilgebieten der Ilm- Göschwitz und Winzerla, an den Hängen des Wind- Saale-Ohrdrufer Platte. Wie keine andere Region Thü- knollens, des Sonnen- und Landgrafenberges und am ringens wurde der Bereich des Mittleren Saaletales Jägers- und Weidenberg bei Zwätzen. von Kahla über Jena bis Camburg samt der Nebentäler von Hutungen geprägt. Große zusammenhängende Im westlichen Teil der Ilm-Saale-Platte verzeichnen die Hutungsflächen fanden sich zu jener Zeit bei Remda historischen Messtischblätter große Hutungsflächen und Großkochberg (Kalmberg bzw. Hummelsberg), im auf dem westlichen Hang des Riechheimes Berges Hexengrund zwischen Engerda, Dorndorf und Orla- (d.h. am Westrand des salztektonisch angelegten münde, im Reinstädter Grund zwischen Gumperda und "Tannrodaer Gewölbes") sowie südlich Arnstadt am Kahla, bei Altenberga und Schirnewitz und im Leutratal. Rande des Plauer Kessels auf den Reinsbergen.

In den genannten Beispielen wiederholen sich immer wieder die gleichen Standortvoraussetzungen: Steilhän- Naturraum: Buntsandsteinhügelländer ge oder Hochlagen mit flachgründigen, trockenen und Untergrund: Sand- und Tonsteine mageren Kalkböden, die keine intensivere Nutzung zuließen. Solche oder ähnliche Bedingungen waren im Nordthüringer Buntsandsteinhügelland Gebiet des Muschelkalks vornehmlich in zwei natur- • Gebiet östlich Nordhausen bei Leimbach und raumtypischen Reliefpositionen gegeben, zum einen am Alten Stolberg an der sog. Wellenkalkstufe im Randgebiet des Mu- • Hügelland nördl. Heiligenstadt schelkalkes zum Buntsandstein, zum zweiten entlang • Dün-Vorland östl. Leinefelde • Windleite zwischen Sondershausen und Auleben der tiefen Erosionstäler von Saale, Ilm, Gera und Werra. Bad Salzunger Buntsandsteinland • östlich Marksuhl Zur Wellenkalkstufe: Bedingt durch die "Schüsselstruk- tur" des Thüringer Beckens sind die Muschelkalkschich- Südthüringer Buntsandstein-Waldland • zwischen Schleusingen und Hildburghausen ten - stark vergröbert gesehen - flach zum Zentrum des Beckens hin geneigt. Jahrmillionen lange Abtragung Paulinzellaer Buntsandstein-Waldland hat aus dem harten Kalk markante Schichtstufen her- • Hutungen nördlich Ilmenau (Unterpörlitz) und Elgersburg auspräpariert, mit steil geböschten Außenseiten und sanft geneigten Innenseiten, die beckenwärts gerichtet Naturraum: Mittelgebirge sind. In Westthüringen beginnt die Reihe der Schicht- Untergrund: meist silikatische Hartgesteine stufen in den Hörselbergen bei Eisenach, setzt sich fort über den Hainich im Westen, den Dün und das Ostthüringer Schiefergebirge und Vogtland Ohmgebirge im Nordwesten und reicht bis zur Hainleite • Gebiet längs der Oberen Saale von der Landes- bei Sondershausen im Norden des Thüringer Beckens. grenze im Süden bis Ziegenrück-Schleiz im Norden Im Unterschied dazu sind die Muschelkalkschichten in • Hänge der Oberen Saale oberhalb Saalfeld • Vogtland/Elster-Bergland zwischen Zeulenroda Ost-Thüringen ebenso wie im Werragebiet südlich des und Greiz Thüringer Waldes kaum schräggestellt. An die Stelle von Schichtstufen treten hier ausgedehnte Kalkplatten Naturraum: Auen und Niederungen bzw. Hochplateaus. Untergrund: Moor, Sand, Auelehm, Löss Ihnen allen gemeinsam ist die markante Steilstufe an Helme-Niederung ihren Außenrändern und deren tiefe Randzertalung mit • Goldene Aue östlich Heringen dem charakteristischen Hangprofil: Der obere Platten- Unstrut-Niederung oder Stufenrand wird häufig vom sog. Wellenkalk ge- • Gebiet bei Großvargula bildet. Dieser relativ harte, stark klüftige Kalk des Un- Tab. 3.6-2: Schwerpunktgebiete historischer Hutungen, ermittelt teren Muschelkalkes präsentiert sich als steiniger, von aus den Preußischen Urmesstischblättern (um 1850). Felsleisten, Bastionen und Erosionsrinnen gegliederter

91 Hutungen und Hutungslandschaften

Abb. 3.6-5: Hutungsflächen (grau, mit Bulten-Signatur) und Wie- sen (grau) in der Rhön bei Kaltennordheim um 1857. Die windoffenen Basalt- kuppen und die von eis- zeitlichen Blockmeeren überzogenen Muschel- kalkhänge eigneten sich in Höhenlagen von über 700 m am besten als Ex- tensivweiden. Die Karte zeigt aber auch die Resul- tate der ersten frühen Auf- forstungen mit Nadelhöl- zern (dunkelgrau) und das Braunkohlenbergwerk Kaltennordheim. Quelle: Feldoriginal der Preußi- schen Urmesstischblätter 1857, Bl. 3115 Tann; Ori- ginalmaßstab 1 : 25 000, verkleinert; Nachdruck des Thüringer Landesam- tes für Vermessung und Geoinformation (farbig). Steilhang mit Böschungen von 35° und mehr. Unterlagert der Erosion noch nicht Original in der Staatsbi- wird der Wellenkalk von den weichen Tonsteinen des angeschnitten war, waren bliothek Berlin, Stiftung Röt (Oberer Buntsandstein), der bei Verwitterung und meist zu steil und zu eng Preußischer Kulturbesitz. Wasserzutritt wie eine Art Schmiermittel wirkt. Er bildet und deshalb weniger ge- den meist flacher geböschten, von abgerutschten Kalk- eignet als die Talweitungen im Bereich des Rötgesteins steinschollen buckelig strukturierten Sockelbereich. In mit ihren von Rutschungen und Bergstürzen gestalteten einigen Gebieten, wie z.B. in der Gegend von Heiligen- Böschungen. Das ausgedehnte Hutungsgebiet der stadt am Rande des Dün oder am Ostrand der Ilm- Reinsberge bei Arnstadt (s. Abb. 3.6-4) verdankt seine Saale-Ohrdrufer Platte zwischen Rudolstadt und Kahla natürliche Disposition einer solchen Ausräumung des und östlich von Jena, hat die "rückschreitende" Erosion Rötsockels durch die Gera (und der Auslaugung des den markanten Rand der Wellenkalkstufe zudem in Zechsteinsalzes im Untergrund des Plauer Kessels). zahlreiche Buchten und Sporne tief zergliedert sowie in einzelstehende Restberge (Zeugenberge) aufgelöst. Außerhalb der Muschelkalkplatten und -Bergländer Überall gab es hier extreme Relieflagen, die nur als gab es in Thüringen nach Ausweis der historischen Hutungen in Wert zu setzen waren. Messtischblätter nur noch in der Rhön größere, z.T. durch Triften vernetzte Gebiete, in denen um die Mitte Neben den Steilhängen wurden auch die oberen Be- des 19. Jahrhunderts Hutungen zu einem prägenden reiche des Rötsockels, deren steinige Tonböden sich Bestandteil des Landschaftsbildes geworden waren. wegen der starken sommerlichen Austrocknung und Hochmittelalterliche und spätere Rodungen hatten das hängigen Lage einer ackerbaulichen Nutzung entzogen, einst geschlossene Buchenwaldgebiet in das "Land häufig beweidet. Auf den Hochplateaus und auf den der offenen Fernen" verwandelt mit Dörfern, Äckern sanft geneigten Rückhängen der Schichtstufen dagegen, und Wiesen auf den besseren Böden und "armseligen wo tiefgründigere Rendzinaböden Forstwirtschaft und Hutweiden" auf den schlechteren, steinigen, hängigen sogar Ackerbau ermöglichten, waren Hutungsflächen oder hochgelegenen Standorten (KLAPP 1929, S.713). seltener zu finden und oft auf staunasse Flächen be- schränkt (z.B. im Stadtwald von Bad Langensalza). In der thüringischen Rhön prägen Kegel oder Plateau- berge aus tertiärem Basalt wie der Baier bei Dermbach, Auch in den großen Taleinschnitten von Saale, Ilm, die Hohe Geba oder der Hahnberg mit Höhen über Gera und Werra bestimmte eine ähnliche Relieftypik 700 m NN das Relief. Sie sitzen einem Sockel aus - d.h. Steilhang im Muschelkalk und flacher geböschter triaszeitlichen Gesteinen auf, die aufgrund ihrer unter- Hangfuß im Röt - die Lage und Verbreitung historischer schiedlichen Härte zu einer Schichtstufenlandschaft Hutungsflächen. Talabschnitte, wo der Rötsockel von herausmodelliert worden sind: mit steilen Hängen an

92 Hutungen und Hutungslandschaften den Bruchkanten im Basalt, im Wellenkalk (Muschelkalk) Im Unterschied zum Kalk- und Gipsgestein kamen Hu- oder Sandstein (Buntsandstein) und mit ihnen im Wech- tungsflächen auf Silikatgesteinen in deutlich geringerer sel stehenden Verflachungen im Bereich weicherer Flächenausdehnung vor. Im Nordthüringer Buntsand- Ton- und Mergelsteinschichten. steinland fand man sie östlich von Nordhausen auf dem Alten Stolberg, im Untereichsfeld z.B. bei Steinbach Hutungen bedeckten dort vor allem die kargen und und Bodenrode, im Salzunger Buntsandsteinland bei windoffenen Hochlagen in Höhen von über 500/600 m Ettenhausen, in Eisenach auf den Randhöhen der Stadt NN und die von eiszeitlichen Basaltblockmeeren über- (Rotliegendkonglomerate) sowie im Südthüringer Bunt- zogenen Abhänge. Auf den mageren und trockenen sandstein-Waldland südöstlich Schleusingen bei Gei- Basalten und Sandsteinen hatten sie den Charakter senhöhn und Oberrod. Im Schiefergebirge waren sie von borstgrasreichen Callunaheiden angenommen, auf örtlich auf sauren Schiefern, Grauwacken und Quarziten Muschelkalk stockten - flächenmäßig dominierend - verbreitet: Im Schwarza-Sormitzgebiet und im Hohen basophile Trocken- und Halbtrockenrasen. Schiefergebirge (Oberweissbach, Lichte, Reichmanns- dorf), im Ostthüringer Schiefergebirge beiderseits des WILMANNS U. KERMANN (1934) nennen für die Zeit vor Oberen Saaletals sowie im Vogtland zwischen Elster 1920, d.h. vor den großen Flurbereinigungen, Franken- und Triebes. Dort nutzte man die offenen Huteweiden heim, Ober- und Unterweid, Kaltennordheim sowie Kal- neben der traditionell betriebenen Waldweide. Moor- tenwestheim als Rhöngemeinden mit den größten Hu- und Anmoorflächen wurden ebenfalls häufig beweidet, tungsflächen. z.B. die ehemaligen Feucht- und Moorheiden auf der Plothener Teichplatte. Viele der ehemaligen Huteweiden wurden in den 1920er und 1930er Jahren melioriert, um Intensivgrünland Im Gegensatz zu den Naturräumen auf Kalk und Gips oder in besseren Lagen auch Ackerland zu gewinnen. mit ihren basiphilen Trocken- und Halbtrockenrasen Dazu wurden die störenden Basaltblöcke entfernt, Bo- entstanden auf den sauren und nährstoffarmen Böden denunebenheiten ausgeglichen, versumpfte Stellen der Silikatgebiete säuretolerante Gras- und Zwerg- dräniert, die mageren Böden überdüngt und neue Kul- strauchgesellschaften wie Silikattrockenrasen, Borst- turgräser angesät. Damit waren die Voraussetzungen grasrasen, Calluna- und Wacholderheiden. Letztere zur Erhöhung des Viehbestandes und zur Verdrängung wurden in Thüringen allerdings nie so landschaftsbe- des Schafes und der Ziege durch das Rind geschaffen; gleichzeitig war der Anteil der extensiven Huteweiden stimmend wie in den Sandgebieten Norddeutschlands, in der Rhön stark zurückgegangen. etwa in der Lüneburger Heide. Ein Grund für ihre relative Seltenheit war vielleicht der fehlende Plaggenhieb Neben den Muschelkalkplatten und -Bergländern und (ELLENBERG 1996, S. 747), denn anders als in Nord- dem Basaltkuppenland der Rhön als Schwerpunkträu- deutschland wurden sie hier in der Regel nicht geplaggt, men gab es in Thüringen um 1850 Gebiete, wo exten- sondern nur abgemäht oder abgesichelt. Bei unregel- sive Schafweiden in kleinräumigerem Maßstab das mäßiger Beweidung oder einschüriger Mahd (ohne Bild der historischen Kulturlandschaft prägten. Im Zech- Düngung) wurden sie auf mäßig trockenen (bis feuch- stein der Orlasenke waren die einst bewaldeten Riff- ten), sauerhumosen Böden durch Borstgrasrasen der berge zwischen Könitz und Pössneck seit prähistorischer Ordnung Nardetalia verdrängt. Besonders gilt dies für Zeit durch Viehverbiss in offene Felsfluren und Mager- rasen überführt worden (Abb. 3.6-6); des Weiteren erstreckten sich karge, windoffene Weideflächen auf der vom Bergbau narbenreich gestalteten Abdachung des Roten Berges bei Saalfeld (Zechsteinkalk). Außer- halb der Orlasenke bedeckten Hutungsflächen die Zechsteinkuppen bei Königsee, bei Gera-Pforten und -Leumnitz.

In den Ackerhügelländern überließ man die verkarsteten Keupergipshügel, steile Talränder und manchen aufge- lassenen Weinberg im Keuperton oder Muschelkalk der Extensivweidenutzung. Hutungsflächen bildeten dort zumeist örtliche Vorkommen, die in der Karte als isolierte Punkte erscheinen, z.B. auf den alten Wein- Abb. 3.6-6: hängen im Unstruttal zwischen Nägelstedt und Groß- Kalkmagerrasen und alte Hutungsfläche bei Pössneck. Der vargula östlich von Bad Langensalza oder auf den geologische Untergrund besteht hier aus zechsteinzeitlichem Brembacher Weinbergen östlich von Sömmerda. Riffkalk (Foto: H.-H. Meyer 2005).

93 Hutungen und Hutungslandschaften

Hutungen im Schwarza-Sormitz-Gebiet und im Ostthü- für die Steilhänge der Muschelkalkschichtstufen und ringer Schiefergebirge beiderseits des Oberen Saale- die Steilränder der tief eingeschnittenen Täler. Auf und des Elstertals. (ehemaligen) Truppenübungsplätzen wie bei Jena/ Cospeda, Rothenstein oder Ohrdruf sind sie ebenfalls 3.6.3.3 Aktuelle Verbreitung und Folgegesellschaften erhalten geblieben.

Viele der heutigen Pflanzengemeinschaften auf Mager- Bemerkenswerte Bestände weist das Mittlere Saaletal und Extremstandorten sind auf die Artenselektion und auf. Es wird von großen Arealen orchideenreicher, lokal Standortprägung Jahrhunderte langer Extensivbewei- mit Wacholderheiden durchsetzter Kalk-Halbtrocken- dung zurückzuführen. An erster Stelle zu nennen sind rasen begleitet, die europäische Bedeutung besitzen. hier die Kalk-Trocken- und Halbtrockenrasen, die in Als Lebensräume wärmebedürftiger und bestandsbe- Thüringen nicht nur einen ihrer bundesweiten Verbrei- drohter Pflanzen und Tiere (z.B. für seltene Reptilien, tungsschwerpunkte haben (ca. 9000 ha), sondern in Insekten und Spinnen) sind die wertvollsten von ihnen diesem Bundesland auch in einem Spektrum ökologisch als Natur- und Landschaftsschutzgebiete unter Schutz unterschiedlicher Ausbildungsformen von mitteleuro- gestellt worden (z.B. LSG "Mittleres Saaletal", NSG´s päischer Bedeutung vorkommen: von den einzigartigen Borntal, Weißenberg). Die ganze Region zwischen kontinentalen Steppenrasen des Kyffhäusers über die Dornburg und dem NSG Dohlenstein bei Kahla wurde submediterranen orchideenreichen Halbtrockenrasen darüber hinaus 1996 in das Naturschutzgroßprojekt des Mittleren Saaletals bis zu den großflächigen, mehr "Orchideenregion Jena - Muschelkalkhänge im Mittleren atlantisch geprägten orchideenreichen Kalkmagerrasen Saaletal" integriert. Es soll die bundes- und europaweit der Vorderrhön. bedeutenden Tier- und Pflanzenlebensräume auf den Muschelkalkhängen und Hochflächen des Mittleren In Ausdehnung und Struktur einmalig in Deutschland Saaletals erhalten und fortentwickeln. sind die noch bestehenden Kalkmagerrasen auf den Muschelkalkhutungen der Rhön. Weitere gut erhaltene und deshalb schützenwerte Kalk- Trocken- und Halbtrockenrasen werden im Folgenden Über sie schrieb QUINGER (1992, S.164): "Einige Hei- unter Verweis auf die einschlägige Literatur nur tabel- deflächen erreichen Ausdehnungen wie in keinem Kalk- larisch erwähnt (HIEKEL et al. 2004): Mittelgebirge des südlichen Deutschland. Den Spitzen- platz belegen die Schafhutungsflächen am Gebaberg,

die sich auf 250-300 ha bemessen. Riesenhaft sind Muschelkalkplatten und -Bergländer [Anm. d. Verf.: im Vergl. zu Bayern und Baden-Württem- berg] auch die Schafhutungen westlich von Friedels- In Nordwestthüringen hausen und Hümpfertshausen, die zwischen 100 und • Ohmgebirge und Bleicheröder Berge: hoher Anteil Tro- 150 ha abdecken dürften. Sehr groß ist die Zahl mittel- ckenbiotope an Steilhängen mit Felsfluren und kleinflä- großer, etwa 15-50 ha umfassender Heideflächen. Im chigeren Kalktrockenrasen, Trockengebüsche -Roßdorfer Talkessel, im Raum Kaltennord- • Hainich-Dün-Hainleite: Bedeutsame Kalk-Trockenrasen, heim-Kaltensundheim, westlich von Dermbach oder die noch als Schafhutung genutzt werden, besonders bei Fischbach weisen sie nur geringe Entfernungen im Gebiet der östlichen Hainleite am Filsberg bei Ha- zueinander auf" (S.164). Die Roßdorfer Hutung be- belbich und am Durchbruchstal der Wipper. Letzteres ist besonders reich an Orchideen schreibt er im Detail als "riesige Kahlheide mit einer Vegetationsdeckung von unter 70 %, steinübersät, mit In Westthüringen mehreren Blockschutthalden unterschiedlicher Größe" • Werra-Bergland und Hörselberge: stark reliefierter Natur- (S.168/169), die Großweide von Fischbach mit Buchen- raum mit Muschelkalksteilhängen, dort Halbtrockenrasen landschaftstypisch, die lokal von Wacholdergebüschen hainen und einzelnen Weidbuchen als eine der "groß- durchsetzt sind artigsten deutschen Schafhutungen Innerhalb der Heide sind bis zu 10 ha große, fast völlig gehölzfreie In Südwestthüringen Steintriften vorhanden, in der einsam und einzeln einige • Meininger Kalkplatten: Kalkfelsen mit Felsfluren und Kalk- Halbtrockenrasen, die an den Talhängen z.T. noch als Wacholderbüsche stehen." (S. 169/170). Dort, wie auch Triften genutzt werden, sowie einzelne Wacholderheiden an etlichen anderen Stellen im Bereich der weichen Röthänge, erinnern heute noch Rinnen und Tälchen Muschelkalk-Erhebungen im Thüringer Becken an die zerstörerische Bodenerosion, die einst auf den • Ettersberg: am Süd- und Westhang als Schafhutung genutzte Kalk-Halbtrockenrasen von beträchtlicher Triften wirksam war. Ausdehnung (ehem. Truppenübungsplatz, NSG "Süd- hang Ettersberg") Auch auf der Ilm-Saale-Ohrdrufer Muschelkalkplatte sind Kalkmagerrasen noch häufig. Besonders gilt das

94 Hutungen und Hutungslandschaften

Weitere aus ehemaliger Beweidung hervorgegangene Zechsteingürtel an Gebirgsrändern Biotoptypen werden nachfolgend ebenfalls nur tabella- risch zusammengefasst (s. dazu WESTHUS U. VAN HENGEL • Zechsteingürtel am Südharz: Hohes Biotoppotenzial von 1995). europäischer Bedeutung, artenreiche Kalk-Halbtrocken- rasen im Kontakt mit Zwergstrauchheiden und Trocken- gebüschen Silikatmagerrasen • Zechsteingürtel am Kyffhäuser: Biotoppotenzial von europäischer Bedeutung. Stark reliefiertes Karstgebiet, • sehr verstreute Vorkommen im Buntsandsteinhügelland; auf Süd- und Südwesthängen Trocken- und Halbtro- von besonderem Wert sind die kontinentalen Trocken- ckenrasen, beherbergen die größte Häufung kontinental rasen der Kahlen Schmücke sowie der Bottendorfer verbreiteter Arten in Thüringen, z.B. an der Ochsenburg Hügel (dort als lokale Besonderheit Schwermetallrasen im NSG "Süd-West-Kyffhäuser". Bemerkenswert sind auf Kupferschiefer-Kleinhalden) die "Steppenrasen" - artenreiche kontinentale Kalk- Trockenrasen, die als Schafhutungen genutzt werden Borstgrasrasen • Zechsteingürtel bei Bad Liebenstein: Zechsteinriffe sowie Kalk- und Dolomitdurchragungen mit hohem Arten- und • in den Mittelgebirgen zerstreut bis selten; in den Bunt- Biotoppotenzial von bundesweiter Bedeutung. Verhält- sandstein-Hügelländern sehr selten und meist nur noch nismäßig großflächige orchideenreiche submediterrane als Fragment entwickelt. Die meisten Vorkommen sind Kalk-Halbtrockenrasen in sehr wertvollen Hutungskom- in den Kreisen Saalfeld-Rudolstadt, Hildburghausen, plexen, durchsetzt mit Wacholderheiden, Trockengebü- Schmalkalden-Meiningen und Sonneberg erfasst. Re- schen und wärmeliebenden Staudenfluren präsentative Vorkommen in den Biosphärenreservaten "Vessertal" und "Rhön" (NSG "Lange Rhön“). Größere • Zechsteingürtel der Orlasenke: Riffberge mit verhältnis- verbliebene Restflächen in Schutzgebieten gesichert mäßig großflächig vorkommenden artenreichen Kalk- (NSG "Große Hirschbalzwiese", "Vordere Schwarzbach- Halbtrockenrasen von bundesweiter Bedeutung wiese", "Wurmbergwiese")

Ackerhügelländer Zwergstrauchheiden

• Innerthüringer Ackerhügelland: kleinflächige Kalk-Trocken- • in Thüringen nur vereinzelt und sehr kleinflächig in den und Halbtrockenrasen insbesondere auf den Gipshügeln, Buntsandstein-Hügelländern und den Mittelgebirgen im Drei-Gleichen-Gebiet und an steileren Talflanken; vorkommend, dort zumeist als Feucht- und Moorheiden, sehr artenreiche kontinentale Xerothermrasen, die meist Berg- und Felsheiden. In den anderen Naturräumen als Schafhutung genutzt werden. Lokale Besonderheit: selten oder ganz fehlend. boden- und erosionsbedingt vegetationslose "Badlands" der Drei Gleichen Die meisten Vorkommen sind in den Kreisen Sonneberg, • Weißenfelser Lössplatte: lokal kleinflächige Kalk-Trocken- Schmalkalden-Meiningen und im Wartburgkreis erfasst. und Halbtrockenrasen auf Muschelkalkdurchragungen Repräsentative Vorkommen außerhalb der Hochmoore im Thüringer Wald: NSG’s "Schloßberg-Solwiesen" bei • Grabfeld: an einigen Hängen des Mittleren Keupers Kelbra, "Süd-West-Kyffhäuser", Sandheiden auf ehe- artenreiche Kalk-Trocken- und Halbtrockenrasen. maligen Truppenübungsplätzen "Pleß" (bei Bad Salzun- gen) und "Pöllwitzer Wald" (auf der Hochfläche des Tab. 3.6-3: Ostthüringer Schiefergebirges). Am Pleß ausgedehnte- Aktuelle Kalk-Trocken- und Halbtrockenrasen als Folgegesell- ste Zwergstrauchheiden Thüringens. Über Gips im schaften historischer Hutungen und ihre Verbreitung in Thü- Kyffhäuser und Harzvorland Felsheiden von bundes- ringen (vgl. HIEKEL et al. 2004). weiter Bedeutung.

Wacholderheiden

• charakteristischer Biotoptyp subatlantisch getönter, wär- mebegünstigter Gebiete wie den Muschelkalkplatten und -Bergländern, der Basaltkuppenlandschaft der Vorderrhön und dem Zechsteingürtel bei Bad Lieben- stein. Die meisten Vorkommen in den Kreisen Wart- burgkreis, Schmalkalden-Meiningen, Weimarer Land und Saalfeld-Rudolstadt. Die wertvollsten Vorkommen Tab. 3.6-4: in einigen NSG’s des Biosphärenreservates "Rhön" Aktuelle Silikatmagerrasen, Borstgrasrasen, Zwergstrauchhei- und im NSG "Südlicher Hainich" gesichert. Besonders den und Wacholderheiden als Folgegesellschaften historischer schön: NSG "Wacholderheide bei Waldfisch". Hutungen (vgl. WESTHUS UND VAN HENGEL 1995).

95 Historische Waldnutzungen

3.7 Historische Waldnutzungen *)

3.7.1 Der Wald im Spannungsfeld zwischen Natur Auch das Aussehen der Wälder, ihre Struktur und ihre und Mensch prägenden Baumarten, weichen heute stark von jenem ökologischen Zustand ab, der sich einstellen würde, Ohne menschliche Einflussnahme wäre Thüringen un- wenn man allein der natürlichen Sukzession freien Lauf ter den gegenwärtigen Klimabedingungen ein Waldland. ließe. Würden alle direkten menschlichen Eingriffe so- Nur wenige extreme Sonderstandorte, wie die Hoch- wie die indirekten (Treibhauseffekt, Saurer Regen, Eu- moore im Thüringer Wald, die Salzwiesen an den natür- trophierung) ausgeschaltet werden können, so würde lichen Solequellen, die Felsen und felsigen Steilhänge sich eine (potenzielle) naturnahe Vegetation einstellen, in den Schiefergebirgstälern und an den Muschelkalk- die in Thüringen unter derzeitig herrschenden Klima- schichtstufen, sind von Natur aus waldfrei. Wenn dem- bedingungen vornehmlich aus Buchen- und Buchen- gegenüber heute von der Fläche Thüringens nur ein mischwäldern, in den Lösshügelländern des Thüringer Drittel bewaldet ist (rd. 32 %), so ist das in erster Linie Beckens vermutlich auch aus Eichen-Hainbuchenwäl- auf Rodungen zurückzuführen, die seit prähistorischer dern bestände. Stattdessen aber wird das Artenspektrum Zeit die Waldfläche zugunsten von landwirtschaftlicher maßgeblich durch anthropogene Einflussnahmen ge- Nutzfläche, von Dörfern, Städten und Verkehrswegen prägt. Wesentlichen Anteil hatten daran die historischen zurückgedrängt haben. Waldnutzungen und, in den letzten zwei Jahrhunderten, die Forstwirtschaft.

Mit 43 % Anteil an der Gesamtbestockung der thürin- gischen Wälder ist die Fichte heute die Hauptbaumart, unter den Nadelhölzern gefolgt von Kiefer mit 16 % und Lärche mit 3 %. Das Laubholz ist mit 38 % vertreten, wobei auf die Buche 20 % und auf die Eiche 6 % ent- fallen (Stichtag 1.10.2002; lt. Jahresbericht der Thüringer Landesforstverwaltung 2006, in: TMLNU 2006). Die Muschel- kalkgebiete Süd- und Nord- westthüringens sowie der nord- westliche Thüringer Wald sind - bei ausreichender Bodenwas- serversorgung - Hauptverbrei- tungsgebiete der Buche. Auf den trockeneren und wärmebe- stimmten Standorten stocken Eichen- und Kiefernwaldgesell- schaften. Anteilig stärker vertre- ten ist die Kiefer besonders in Ostthüringen in den unteren La- gen auf Buntsandstein. Durch Leeeffekte begünstigt steigt sie aber auch in die Süd- hänge und auf die Plateauflä- chen des Schiefergebirges als natürliche Mischbaumart auf (FIRBAS 1952, SCHLÜTER 1964, V. MINCKWITZ 1962 u. 1968, WITTICKE 2004).

Abb. 3.7-1: Natürliches Waldbild Thüringens nach Hofmann (1990).

96 *) Unter Mitarbeit von Prof. Helmut Witticke, Schwarzburg. Historische Waldnutzungen

Abb. 3.7-2: Bandkeramische Sied- lung mit hüfthoch ge- schneitelten Bäumen in- mitten der Feldflur (mit freundl. Genehmigung des Museums für Ur- und Frühgeschichte Thürin- gens in Weimar/ O. Be- chert, Erfurt).

Die Fichte hat ihre höchsten Anteile mit 93 % im Schie- flächen an. Die verbliebenen Wälder lieferten Bau-, fergebirge, im mittleren Teil des Thüringer Gebirges Flecht-, Werk- und Brennholz ebenso wie Viehfutter, sind es 80 % und im westlichen Bereich 65 %. Natürliche und sie dienten Schweinen, Schafen, Ziegen und Rin- reine Fichtenvorkommen sind nur für einige der höch- dern als Waldweide. sten Kammlagen des Thüringer Waldes anzunehmen, so zum Beispiel bei Oberhof und im Gebiet des Großen Durch die Nutzung veränderte sich mit der Zeit das Beerberges (983 m). Noch im Hochmittelalter stockte Erscheinungsbild des Waldes: Als Bauholz entnahm in den mittleren bis höheren Gebirgslagen hercynischer man vorzugsweise das Hartholz ausgewachsener Alt- Bergmischwald mit Fichte, Rotbuche und eingestreuter bäume; austriebfreudige Laubbäume wie die Linde, Weißtanne. Erst die zunehmenden anthropogenen Ein- die Ulme, die Weide oder die Esche wurden durch flüsse, vor allem die Köhlerei, die die Rotbuche bevor- Kopf- und Astschneitelung knie- oder hüfthoch abge- zugte, und die Gewinnung von Dachschindeln, aus schnitten, um Brenn- und Flechtholz sowie Laubheu starken Tannenstämmen gespalten, veränderten dieses als Winterfutter zu gewinnen. Nach und nach stellten Mischungsverhältnis deutlich zuungunsten der beiden sich auf diese Weise statt der natürlichen Hochwälder letztgenannten Baumarten. immer mehr gebüschartige Waldstadien ein, in denen durch das regelmäßige "Auf den Stock setzen" die aus- schlagkräftige Hainbuche besonders gefördert wurde. 3.7.2 Abriss der Waldgeschichte unter dem Ein- fluss des Menschen Bis ins Mittelalter beruhte die Waldnutzung auf dem natürlichen Regenerationsverhalten der Holzarten. Ent- Die Einflussnahme des Menschen auf den Wald begann weder stand unter den zu nutzenden Bäumen bereits schon mit den alt- und mittelsteinzeitlichen Jägern und die neue Waldgeneration, oder auf den entstandenen Sammlern, denen die Urwälder neben der Jagd auch Lücken fand sich diese allmählich von selbst ein. In als Quelle pflanzlicher Ressourcen dienten (Holz, Laub, der Regel wurden nur so viele Bäume entnommen, wie Früchte). Es wird vermutet, dass sie die Ausbreitung gleichzeitig nachwachsen konnten. Die natürlichen einzelner Arten (z.B. die Haselnuss) gefördert haben Bestockungen regenerierten sich von selbst. So war ohne freilich die Waldfläche als Ganzes zu verändern die Waldnutzung in gewisser Weise nachhaltig. (KÜSTER 1996). In der klimatischen und wirtschaftlichen Gunstperiode Mit dem Auftreten der ersten Ackerbauern und Vieh- des Hochmittelalters wurde die Waldfläche unter dem züchter zu Beginn der Jungsteinzeit bekamen die Ein- Druck einer starken Bevölkerungszunahme mit wach- griffe erstmals landschaftsverändernde Dimensionen. sendem Holz- und Landbedarf auf ein später vermutlich Sie betrafen zunächst nur die Lössgebiete, denn dort nie wieder erreichtes Minimum zurückgedrängt. Viele wanderten ab etwa 5500 v. Chr. Bauern der sog. "Band- neue Rodungsinseln wurden für Siedlungsgründungen keramischen Kultur" ein, schlugen Rodungsinseln in in den Wald geschlagen, andere wurden vergrößert: den Wald und legten auf ihnen ihre Dörfer und Acker- Die Waldfläche Thüringens schrumpfte dadurch von

97 Historische Waldnutzungen

vermutlich 80-85 % um 400 n. Chr. bis auf etwa 25 % stentum Schwarzburg-Rudolstadt von 1587 und 1599). um 1250 (WITTICKE 2005). Gleichzeitig wurden die ver- Den Niedergang der Wälder konnten die gesetzlichen bliebenen Waldbestände durch steigenden Holzbedarf Regelwerke indes nicht aufhalten. Angesichts wirtschaft- und die Intensivierung der zahlreichen Nebennutzungen licher Zwänge und mangelnder Einsicht der Beteiligten wie Waldweide, Streugewinnung u.a.m. immer stärker eskalierte die Lage, so dass ab der zweiten Hälfte des in Anspruch genommen. 16. Jahrhunderts in weiten Teilen des Landes ein regel- rechter Holznotstand zu beklagen war. Viele Salinen, Schwerste Schäden verursachte die Waldweide. Rinder, Bergwerke und Erzhütten stellten ihren Betrieb wegen Pferde und Ziegen fraßen die Zweige kahl, soweit sie der Holzknappheit und -verteuerung ein. Auch in der mit ihrem Maul reichten bzw. soweit sie klettern konnten. Nähe der größeren Städte mit ihrem enormen Bedarf Durch die Beweidung wurde der Boden festgetreten, an Bau-, Werk- und Brennholz waren die Wälder regel- die Bewurzelung in den obersten Nährbodenschichten recht ausgeplündert. von den Schweinen beim Wühlen nach Eicheln und Bucheckern zerrissen, so dass die natürliche Verjüngung Im Dreißigjährigen Krieg entspannte sich die Situation des Mastwaldes ausblieb. Außerdem verarmten die vorübergehend. Mit dem Niedergang des Bergbaus, Böden an Nährstoffen, weil man ihnen Gras und Laub den Bevölkerungsverlusten (örtlich bis zu einem Drittel als Stallstreu und Dünger entnahm. Die durch Bewei- und mehr) und der Wiederbewaldung landwirtschaftli- dung belasteten Waldgebiete nahmen allmählich den cher Flächen ließ auch der Nutzungsdruck nach. Erst Charakter von parkähnlichen Landschaften an, mit als der Kupfer- und der Eisenbergbau in den Thüringer knorrigen, breitkronigen Altbäumen, Baumgruppen und Mittelgebirgen wieder aufgenommen wurden, setzte gras- bzw. krautreichen Offenlandflächen im Wechsel auch der Raubbau an den Wäldern auf hohem Niveau (s. Abschnitt 3.7.3.1 "Waldweide"). wieder ein. Ein nie gekanntes Ausmaß erreichte er im Zeitalter des Merkantilismus, als die ersten frühindu- Seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts bekamen die striellen Gewerbebetriebe - Glashütten, Salinen, Kalk- Einschläge zur Versorgung des Bergbaus und der Erz- öfen, Hämmer, Ziegeleien, Papiermühlen und Porzel- verhüttung mit Brenn-, Bau- und Kohlholz wachsenden lanmanufakturen - als neue Großverbraucher um das Anteil an der Waldzerstörung. Namentlich die sog. Sai- knappe Gut konkurrierten. Die von den Landesherren gerhütten verschlangen ganze Wälder. In einem kom- geförderten Unternehmen ließen im Zusammenwirken plizierten, Energie zehrenden Schmelzvorgang entzogen mit der Flößerei ganze Waldbestände in Form system- diese Hütten dem Schwarzkupfer das in Spuren ent- loser Kahlschläge verschwinden. haltene kostbare Silber, so dass selbst ein Ferntransport des Rohkupfers z.B. aus der Mansfelder Gegend noch Da sich die künstliche Bestandesbegründung zu jener kostendeckend war. Als entscheidender Standortfaktor Zeit in Thüringen noch nicht durchgesetzt hatte, ent- erwies sich in jener Zeit das immer knapper werdende standen in den beanspruchtesten Wäldern vielerorts Holz. Kilometerweite Gebiete wurden in ihrem Umkreis Blößen, die in der Umgebung von Klosterlausnitz mehr kahl geschlagen, wie bei Steinach, Gräfenthal, Leuten- als ein Drittel und im Raum Tambach-Dietharz-Oberhof berg-Hockeroda, Eisfeld, Neubrunn, Arnstadt, Hohen- über 25 % der Waldfläche ausmachten (JAEGER 1965, kirchen (JAEGER 1970). Durch ihren großen Holzbedarf S.124). Die Blößen überließ man der natürlichen Ver- erzwang die Saigerung auch den Ausbau vieler Flüsse jüngung. An die Stelle des Naturwaldes traten Pionier- und Bäche für die Flößerei. Etwa zur gleichen Zeit setz- stadien von Birke, Aspe, auch Hasel und Eberesche, te der Bau von Hochöfen zur Erzeugung von flüssigem oft mit Calluna-Heide am Boden. Im Thüringer Gebirge Roheisen im Thüringer Gebirge ein. Die standortfesten begünstigten Wild und Viehweide die Fichte, da Tannen Hütten verdrängten die bisherige Eisengewinnung nach und Laubhölzer bevorzugt verbissen wurden, außerdem dem Rennfeuerverfahren. sich Weißtanne und Rotbuche auf großen Freiflächen als Schattbaumarten kaum verjüngten (WITTICKE 2004, Zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren viele thüringische S.25). Wälder so weit herabgewirtschaftet, dass energische Maßnahmen gegen die katastrophale Waldzerstörung Im Schiefergebirge hatten die Einschläge für die Flö- getroffen werden mussten. Die alten, kollektiven Ge- ßerei, die Abholzungen für die Hütten im Schwarzatal, wohnheitsrechte wurden von den Landesherren immer in Gräfenthal, Schmiedefeld und Leutenberg und für mehr eingeschränkt und die Nutzung der Waldbestände das Goldbergwerk in Reichmannsdorf sowie die inten- in herrschaftlichen Forst- und Waldordnungen festgelegt sive Waldweide ein Ausmaß erreicht, dass Berge "von (z.B. Holzordnung des ernestinischen Kurfürsten Johann stundenweitem Umfang" kahl geworden waren oder Friedrich I. von Sachsen aus dem Jahre 1544, Schmal- aus "verkrüppelten Bäumen und Wetterbüschen" be- kaldische Holzordnung von 1555, Hennebergische standen, wie der Erbprinz Friedrich Carl von Schwarz- Forstordnung von 1586 und Forstordnungen im Für- burg-Rudolstadt 1788 in einer Denkschrift über den

98 Historische Waldnutzungen

Waldzustand der Schwarzburger Forsten berichtete hier sowohl forstpraktisch als auch seit 1830 als Direktor (zit. aus: MÜLLER, H. 1988, S.227). der Großherzoglich Sächsischen Forstlehranstalt in Eisenach wirkte und auf hohem Niveau Forstwissen- Windbruchschäden und Schädlinge leisteten gleicher- schaft und Forstpraxis, auch Landschaftsgestaltung maßen ihren Beitrag an der Waldzerstörung. Im reußi- und Forstästhetik miteinander verknüpft hat. Von 1821 schen Oberland hatte sich zwischen 1795-1797 die bis 1849 war er als Leiter der Forsteinrichtung maß- Nonne (Lymantria monacha) der dürregeschwächten geblich an der Einführung einer zweckmäßigen räum- Bestände bemächtigt und rd. 10 000 ha Wald verwüstet lichen Ordnung der Forsten, der Überführung von Nie- (NITZSCHE 1891, zit. in JAEGER, 1970, S.276). der- und Mittelwäldern in Hochwald sowie der Wieder- aufforstung von Blößen im Großherzogtum beteiligt Mit steigenden Holzpreisen begann die Suche nach (WITTICKE 2007). alternativen Brennstoffen, insbesondere nach heimi- scher Steinkohle. 1583 fand man sie bei Gehlberg und Neben Cotta und König hat Johann Matthäus Bechstein im Freibachtal nahe der Schmücke, 1695 bei Manebach, (1757-1822), besonders für Sachsen-Meiningen, we- später auch bei Ruhla und Crock. Alle diese Lager er- sentliche Verdienste. Er begründete in Dreißigacker wiesen sich jedoch als wenig ergiebig und von geringem 1801 ein Forstinstitut, das 1803 zur ersten Forstakade- Heizwert. Den Niedergang der Wälder konnten sie mie der Welt erhöht wurde (WITTICKE 2005). nicht aufhalten. Mit der jungen Forstwissenschaft war untrennbar das Es wäre zweifellos noch viel schlimmer gekommen, Prinzip der Nachhaltigkeit verbunden. Dies besagt, hätten nicht seit Beginn des 18. Jahrhunderts Persön- dass nicht mehr Holz verbraucht werden darf als zu- lichkeiten wie Hermann Friedrich von Göchhausen wächst, und dass andererseits soviel Holz durch forst- (1663-1732), Carl Christoph Oettelt (1717-1802), Johann liche Maßnahmen zu produzieren ist, wie gebraucht Georg Christian Sckell (1721-1778) in Sachsen-Weimar- wird. Eisenach und Carl Christoph von Lengefeld (1715- 1775) in Schwarzburg-Rudolstadt die eigentliche Pio- Das Prinzip der Nachhaltigkeit entwickelte der Sächsi- nierarbeit zu einer besseren Bewirtschaftung der Wälder sche Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz geleistet (SCHWARTZ 2005). Das Zusammenwirken von (1645-1714) in seinem Werk „Sylvicultura oeconomica Landjägermeister Johann Ernst Wilhelm von Staff, C. oder Anweisung zur wilden Baumzucht“ 1713, einem Ch. von Lengefeld, C. Ch. Oettelt, J. G. C. Sckell sowie Werk, welches erstmalig die Forstwirtschaft geschlossen Vater und Sohn Käppler führte schon 1763-65 zu einer darstellte und als erstes Waldbaubuch gelten kann. flächendeckenden Forsteinrichtung im Herzogtum Nach Mantel, K. „ eine überraschend große Schöp- Sachsen-Weimar-Eisenach unter Anna Amalia mit um- fung der forstlichen Literatur, ohne Vorläufer und lange fangreichem Tabellenwerk und großartigem Kartenma- Zeit ohne Nachfolger“ (HASEL & SCHWARTZ 2002, S. terial (WITTICKE 2007). 229-230 und 318-319). Einfache Vorstellungen von nachhaltiger Bewirtschaftung der Waldungen waren Das Umdenken zu einer besseren forstlichen Bewirt- schaftung setzte sich dann endgültig durch mit den aber schon früher verbreitet. Vermutlich gehörten die beiden „Forstklassikern“ Johann Heinrich Cotta (1763- Erfurter in ihrer Waldordnung 1359 zu den ersten, die 1844) und Gottlob König (1779-1849), die als Leiter bei der Nutzung der Wälder Nachhaltigkeit gefordert der „Taxation“ (heute Forsteinrichtung) der Staatsforsten haben. Sicher hat dann der schwarzburgische Ober- im Königreich Sachsen und im Großherzogtum Sach- forstmeister Georg Michael von Boseck 1571 solche sen-Weimar-Eisenach erhebliche Flächenwirksamkeit Überlegungen geäußert, über Vorratsschätzungen erzielen konnten sowie über größere Schülerzahlen zukünftige Zuwächse kalkuliert, beständige jährliche ihre Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen viel Holzerträge abgeleitet und sogar mit Geldsummen effektiver zu multiplizieren vermochten als ihre Vorgän- untermauert (HERZ 1990; WITTICKE 2007). ger (WITTICKE 2007). Im Rahmen des nachhaltigen Wirtschaftens nahmen Cotta, der im Forsthaus "Die kleine Zillbach" bei Wasun- systematische Aufforstungen bald einen wichtigen Stel- gen geboren wurde und später die berühmte sächsische lenwert ein. Im 16. Jh. hatten Forstleute bei Creuzburg Forstakademie in Tharandt aufbaute, beeinflusste mit an der Werra und bei Waltershausen (Tenneberg) am seinen "Anweisungen zum Waldbau" (1817) und seinem Thüringer Wald erstmals versucht, Blößen gezielt auf- "Grundriß der Forstwissenschaft" (1832) die Waldwirt- zuforsten. Dies geschah noch ohne Kenntnis der Stand- schaft in der ganzen Welt. ortansprüche mit der einfachsten Vermehrungsmethode, der sog. Zapfensaat. Man legte Kiefernzapfen auf die Gottlob König stehen freilich - auf Thüringen bezogen aufgehackten Flächen. Durch die Sonnenbestrahlung - die höheren Verdienste zu, da er sein ganzes Leben öffneten sich die Zapfenschuppen und ließen die Samen

99 Historische Waldnutzungen

frei. Starke Schäden durch Waldweide und Wildverbiss zwischen 1777 und 1784 viele nordamerikanische Holz- und der Dreißigjährige Krieg führten jedoch frühzeitig arten in ihrer Heimat kennen gelernt und ihre Samen zur Aufgabe der Versuche. nach der Rückkehr in seinen Waldungen bei Winterstein (Thüringer Wald) ausgesät. Erst als man im 18. Jahrhundert zur Pflanzung überging (z.B. 1742 bei Crawinkel; Neustadt a.R. um 1770; Wieder andere nichtheimische Gehölze sind durch so HERING 1937, REGEL 1896), zeigten sich dauerhafte genannte "Landschaftsverschönerungen" nach Thürin- Erfolge. gen gekommen. Rund um Jena wurden zwischen 1886 und 1895 vom "Verschönerungsverein" 10 000 Schwarz- Fichten und Kiefern vertrugen die ärmeren, durch Streu- kiefern angepflanzt, dazu Ahorn und Bergerlen, Sumpf- nutzung zusätzlich ausgehagerten Böden am besten. erlen, weiterhin "in unzählbarer Menge" Elsbeeren und Deshalb wurden beide nach und nach zu den Haupt- Eschen. Auch Kirschen, Traubenkirschen, Essigbäume, baumarten der Thüringischen Wälder, obwohl schon Flieder, Bergholunder, Akazien, Bergrosen und Gold- die Klassiker der Forstwirtschaft - allen voran der Thü- regen wurden künstlich eingebracht. Zu Tausenden ringer Gottlob König (s.o.) - die negative Wirkung der wurden Kastanien und Walnüsse in die Erde gesteckt. Nadelholzbestände auf den Säure- und Humushaushalt Robinien (Robinia pseudacacia), Hängebirken (Betula der Böden erkannten und sich für Mischbestände ein- pendula), Flieder (Syringa vulgaris), Grauerlen (Alnus setzten (JAEGER 1965, S.127). Im Ostthüringer Bunt- incana), Erbsensträucher (Caragana spec.), Roßkasta- sandsteinbezirk und im Vogtland, wo vor der Übernut- nien (Aesculus hippocastaneum) und Walnussbüsche zung noch viele Eichen und Buchen gestanden hatten, (Juglans regia) verdanken ebenfalls ihre heutige Ver- bestimmen seitdem Koniferen das Waldbild. In den hö- breitung großenteils den "Verschönerungsinitiativen" heren Lagen des Schiefergebirges und des Thüringer jener Zeit (DÖRFELT U. KIRSCHE 1998). Waldes kommt die Fichte sogar nahezu in Reinbestän- den vor, obwohl die Buche dort bis in Höhen von rd. Im Vergleich zu den herab gewirtschafteten Nutzwäldern 800 m auf besseren Standorten ökologisch noch kon- früherer Jahrhunderte erhielten die neuen Forsten ne- kurrenzkräftig wäre, allerdings bei wesentlich geringeren ben einer veränderten Artenstruktur ein völlig neues Zuwachsleistungen auch schlechte Holzqualitäten äußeres Erscheinungsbild. An die Stelle der offenen liefern würde (Meiler- und Brennholzgüte). Hudewälder, der Nieder- und Mittelwälder mit ihren Lichtungen und Blößen traten nun geschlossene, meist Auch die einst ausgedehnten, als Hutungen genutzten alters- und artenmonotone Hochwälder mit scharfen Kahlstellen auf den Steilabbrüchen der Muschelkalk- Trennungslinien zu den umgebenden landwirtschaftli- stufen wurden vielerorts mit Nadelbäumen bepflanzt, chen Nutzflächen. Im Grundriss wurden die Forsten obwohl dort Laubbäume (Eichenmischwald, Buchen) durch ein Rasternetz von Wegen erschlossen und in heimisch wären. Begünstigt durch den Niedergang der Abteilungen (Jagen) aufgeteilt. Die rechteckige Abtei- Schafwirtschaft und durch steigende Holzpreise begann lungsform ist dabei in Thüringen - im Gegensatz zu dort um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Phase bei- Sachsen - wenig ausgeprägt und zumeist auf Waldge- spielloser Aufforstungen. Kiefern sollten die trockenen biete im Triashügelland, besonders auf Kiefernreviere Böden mit ihren Pfahlwurzeln binden und vor Erosion in Buntsandsteingebieten beschränkt. Typisch sind der schützen. Oberflächengestalt und den Hangneigungen angepasste Abteilungen. Neben den genannten Baumarten fanden diverse Exo- ten Einzug in die heimischen Wälder: Europäische Lär- Insgesamt verbesserte sich im Laufe des 19. Jahrhun- chen, Douglasien, Japanische Lärchen und Schwarz- derts die Lage des Waldes entscheidend. Holzproduktion kiefern, Weymouthskiefern und Hemlocktannen. Dazu und -nachfrage wurden nicht nur weitgehend miteinan- kamen fremdländische Tannenarten wie die Nordmanns- der ins Gleichgewicht gebracht, sondern die Aufforstung tanne (Abies nordmanniana), die Grautanne (A. con- so weit forciert, dass die Wälder schon um 1900 wieder color), die Große Küstentanne (A. grandis) sowie der voll bestockt waren und die Erträge aus ihnen - nicht Riesenlebensbaum (Thuja plicata), die sich schon in zuletzt durch den vermehrten Anbau der Nadelhölzer herrschaftlichen Parks und Arboreten bewährt hatten. Kiefer und Fichte - um ein Vielfaches höher lagen als Einige von ihnen wurden durch die Forstämter gezielt 100 Jahre zuvor. Bis heute hat die Waldfläche Thürin- angepflanzt, um Standorteignung und Wuchsleistungen gens weiter zugenommen und mittlerweile eine Aus- zu ermitteln. In anderen Fällen wurden Privatpersonen dehnung erreicht, wie sie zuletzt vielleicht in den Wü- zu den Wegbereitern, wie das bei Friedrich Adam Julius stungszeiten des Spät-Mittelalters zu verzeichnen war. v. Wangenheim der Fall war (geb. 1749 in Sonneborn bei Gotha, gest. 1810). Von Wangenheim hatte als Anderseits sind immer stärker die negativen ökologi- Offizier des landgräflich hessischen Feldjägercorps schen Folgen der Monokulturen zu beklagen, die lang-

100 Historische Waldnutzungen fristig die Gesundheit der Wälder bedrohen. Auf Por- umzuwandeln, damit die Versauerung und Aushagerung phyren, quarzhaltigen Schiefern, Grauwacken, Graniten der Böden aufgehalten wird und in einigen Jahrzehnten und Buntsandstein, also basenarmen Standorten, haben wieder artenreiche und strukturierte Mischbestände Prozesse der Versauerung und Nährstoffausträge unter das Bild unserer Wälder prägen, wie sie auf besseren Kiefern- und Fichtenforsten ein solches Ausmaß ange- Standorten in Thüringen zu Hause wären. nommen, dass sie dort als Hauptursachen für Baum- krankheiten und die nachlassende Wuchskraft des Wal- 3.7.3 Ausgewählte historische Waldnutzungen des gelten müssen. Gravierend sind auch die erhebli- Im Folgenden sollen die wichtigsten historischen Wald- chen Stickstoffeinträge in die Waldböden über den Aus- nutzungsformen vorgestellt werden. Im Mittelpunkt wird kämmeffekt der Baumkronen, die in Nadelwäldern be- dabei die Frage stehen, wie sie das Waldbild verändert sonders stark, in ihren Auswirkungen aber nur schwer haben und welche Relikte davon noch heute erhalten abschätzbar sind (Nährstoffungleichgewichte durch sind. Denn obwohl die Mehrzahl der thüringischen Wäl- Stickstoff-Anreicherung und Kationenauswaschung der seit über einem Jahrhundert als Hochwälder be- infolge Versauerung). wirtschaftet wird, lassen sich Auswirkungen früheren Waldnutzungen in Struktur und Artenzusammensetzung Deshalb ist es heute das wichtigste Ziel der Forstwirt- noch immer erkennen (WESTHUS et al. 1996). Sie re- schaft, die vorherrschenden Nadelholzreinbestände in präsentieren damit eine, wenn auch stark lückenhafte standortgerechte Laub- und Mischwaldbestockungen Schicht der historischen Kulturlandschaft.

Nutzung Verwendung Baumartenselektion Nutzungsform

Bauholz Häuser u.a. Bauwerke, Schiffsbauholz Bevorzugung von Hartholz Plenterwald, Mittelwald (Eiche), Schiffsmasten (Tanne, Fichte), wie Eiche und Esche Grubenholz (Bergwerksstollen), Zäune

Flechtholz Flechtzäune, Körbe, Flechtwerk in Bevorzugung von Holzarten Niederwald mit Gebäuden, Fischreusen mit guter Regenerations- Stockausschlägen, fähigkeit (Ahorn, Eiche, Erle, Kopfbäume Esche, Hainbuche, Hasel, Linde, Pappel, Ulme, Weide)

Werkholz für Wagner, Tischler, Drechsler, Wellenholz Bevorzugung von Ahorn und Plenterwald, Mittelwald für Mühlenräder, Schindelholz (Tanne), Esche Röhrenbäume (Wasserleitung), Schnitzholz, Maltafeln (Altäre)

Brennholz Haushalt, Töpferei, Glasherstellung, dünnes Holz von Stockaus- Mittelwald, Niederwald Salzgewinnung schlägen bevorzugt

Kohlholz Meilerei: Erzverhüttung, Bevorzugung der Buche Kahlschläge im jungen Schmiedehandwerk Hochwald

Schwelholz Teer, Pechöfen Bevorzugung der Kiefer Kiefernhochwald

Rinde Gerberlohe (Eiche, Fichte, Birke), Bevorzugung der Eiche Eichenschälwälder Farbrinden (Tuchfärberei), Bast (Linde aus (Niederwälder) Niederwald)

Harz Scharrharz zu Pech versiedet Bevorzugung der Fichte Fichtenhochwald

Früchte, Samen Schweinemast (Eicheln, Eckern, Nüsse, Bevorzugung von Eichen Mittelwälder, Hudewälder mit Wildobst); Herstellung von Gelee, Mus, und Buchen Mast- und Schattenbäumen Trockenbeeren, Säften; Haselnüsse

Blätter (Laubheu, Waldweide, Winterfutter Bevorzugung von Ahorn, Nieder- und Mittelwald Futterlaub) und (Schneitelwirtschaft), Stallstreu, Esche, Linde, Ulme Zweige Pottaschegewinnung zur Glasherstellung

Unterwuchs Waldgras („Gräserei“), besonders im Kronenschädigungen Hochwald „Hohen Walde“; Pilze, Heilkräuter Nadelwald

Tab. 3.7-1: Nutzung der Waldressourcen und Konsequenzen für das Waldbild (n. WILLERDING 1996, WITTICKE 2004, verändert und ergänzt).

101 Historische Waldnutzungen

3.7.3.1 Waldweide Seitdem wachsen die ehemaligen Hudewälder zu Hoch- wäldern durch, denen man die einstige Überweidung Seit Beginn der Viehhaltung in der Jungsteinzeit wurden mitunter aber noch ansehen kann (s. auch Pkt. 3.7.4). Nutztiere zur Weide und Mast in die Wälder getrieben. Rinder, Pferde, Schafe und Ziegen rupften dabei mit Vorliebe die zarten, eiweißreichen Triebe der Jungpflan- 3.7.3.2 Schneitelung, Laubheugewinnung zen ab. Schweine durchwühlten den Boden nach Ei- Bei der Schneitelung wurden dünne vollbelaubte Zweige cheln und Bucheckern. im mehrjährigen Turnus zur Brenn- und Flechtholzge- winnung mit Messern abgeschnitten oder mit der Hand Mit der Zeit entstanden so parkartige, von breitkronigen abgeknickt; bei der Laubheugewinnung wurden die Altbäumen, meist Eichen oder Buchen, und verkrüp- Blätter von den Zweigen abgestreift (gerupft) und für pelten „Kuhbüschen“ sowie von Baumgruppen durch- den Winterfutterbedarf getrocknet. Die lateinischen Na- setzte, offene Hudewälder, in denen Pflanzen, die be- men der Esche (Fraxinus, lat. frangere = brechen) und sonders zäh, dornig oder stachelig waren, die bitter der Hainbuche (Carpinus, lat. carpere = rupfen) erinnern schmeckten oder giftige Substanzen enthielten, im Un- daran (ELLENBERG 1996, S.46). terwuchs zu typischen Begleitern wurden (z.B. Weiß- und Schwarzdorn, Heckenrosen, Heidekraut, Wachol- Die Schneitelung geschah entweder dicht am Boden der). - wie bei den Niederwäldern - oder, wenn man Kopf- schneitelung betrieb, höher am Stamm, wie heute noch Im 17. und 18. Jahrhundert gingen von der Hude örtlich bei den Kopfweiden. Die Kopfhöhe der Schneitelung so schwere ökologische Beeinträchtigungen aus (Wald- sollte verhindern, dass Wild und Vieh die empfindlichen verwüstung, Bodenerosion), dass sie die Landesherren Triebe erreichen konnten. nur noch bei Einhaltung bestimmter Auflagen gestatteten (Beispiele in KOCH 2005). Erst ab der 1. Hälfte des 19. Üblich war die Kopfschneitelung meist im Offenland an Jahrhunderts, mit der Privatisierung der Allmendewälder Wegen und an Wasserläufen; doch wurde sie in Zeiten und der Ablösung von Viehtrift und Waldweide in den großer Holznot auch in Waldgebieten durchgeführt, um Herrschaftswäldern (Purifikation), ließ der starke Wei- die Bauholz liefernden Bäume zu schonen (HAUSRATH dedruck auf den Wald nach, wobei die Bauern dank 1982). Kennzeichen der Kopfbaumgehölze ist das der Einführung von Klee, Kartoffeln und Futterrüben struppige Aussehen und der durch vielfachen Schnitt immer mehr zur Stallfütterung des Viehs übergingen. entstandene knorrig verwachsene Kopf.

Abb. 3.7-3: Waldlandschaft, die einen Eichenhudewald darstellt (Gemälde von Friedrich Gauermann, Anfang 19. Jh.).

102 Historische Waldnutzungen

Abb. 3.7-4: Kopfweiden bei Walschleben an der Gera (Foto: H.-H. Meyer 2007).

Neben der Esche und der Hainbuche eignete sich die Weide besonders gut für die Schneitelung, ebenso die Ulme. Selbst Birken, Linden, Ahorne, Haseln und andere Laubhölzer wurden geschneitelt, seltener die Rotbuche.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verloren Schneitelung und Laubheugewinnung immer mehr an Bedeutung. Als in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts auch die Verwendung als Flechtmaterial entfiel, war das Ende der Niederwälder und der meisten Kopfbäume besiegelt (s. Abschnitt 3.7.4.2 "Niederwälder").

3.7.3.3 Köhlerei

Die Köhlerei gehörte bis zum Beginn des 19. Jahrhun- derts zu den größten Holzverbrauchern in den thürin- gischen Wäldern. Hauptabnehmer waren die vielen Schmelzhütten und Waldschmieden, die Holzkohle in schier unersättlichen Mengen als Brennstoff und Re- duktionsmittel benötigten. Nur die energiereiche, vor- nehmlich aus Buchenholz gewonnene "schwere" Holz- kohle brachte die zum Schmelzen und Schmieden von Eisen und bestimmten Metalllegierungen erforderlichen hohen Temperaturen. Wie umfangreich der Holzver- brauch gewesen sein musste, lässt sich daran ermes- Abb. 3.7-5: sen, dass zur Herstellung von einer Tonne Schmiede- Die verschiedenen Formen von Stockausschlägen nach der eisen etwa 6 Tonnen Holzkohle gebraucht wurden. Schneitelung (aus: WILLERDING 1996). Rund 30 Tonnen Holz, etwa 30 große Fichten, mussten dafür eingeschlagen werden (JACOB 2003). Eine Eisen- Ofenketten mit ihren verschiedenen Schmelz- und hütte verschlang so jährlich das Holz von bis zu 50 ha Temperprozessen benötigt wurde, lohnte sich das Wald. Verfahren nur dann, wenn genügend Holz und Wasser zur Verfügung standen wie das zunächst noch in Teilen Extrem hoch war der Bedarf an Holzkohle bei den des Thüringer Gebirges der Fall war. Dorthin beförderten schon erwähnten Saigerhütten. Das waren Kupfer- schwere Gespanne auf so genannten „Kupferstraßen“ schmelzen, die durch Zusatz von Blei und unter Aus- selbst Rohkupfer aus dem Unterharz (Mansfeld), dessen nutzung der verschiedenen Schmelztemperaturen (Kup- Holzvorräte durch jahrhundertelange Erzschmelze sehr fer: 1083°C und Silber: 960,8°C) besonders reines früh erschöpft waren. Nach SCHINKEL (2002) arbeiteten Kupfer erzeugten und zugleich das kostbare Silber Saigerhütten unter anderem in Ilmenau (um 1444), in extrahierten („saigerten“). Da im Vergleich zur Rohkup- Arnstadt (um 1471 bzw. 1501), in Hohenkirchen bei fermasse eine wesentlich größere Menge an Holzkohle Ohrdruf (1495), LANGE (1988) erwähnt Standorte in sowie vorgetrocknetem Dürrholz zur Befeuerung der Hüttensteinach (1464), Ludwigstadt (1486), Hasenthal

103 Historische Waldnutzungen

(vor 1488), Saalfeld (1548) und Katzhütte (1565), DAHLEMS (1999) in Eisfeld (um 1407), Schwarza (1479) und Schleusingen (1461), weitere gab es in Leutenberg- Hockeroda (1524) und Gräfenthal (1462) (JAEGER 1970). Erhebliche Waldschädigungen sind im Umkreis dieser Hütten belegt. In letzter Konsequenz erzwang die Sai- gerung auch den Ausbau geeigneter Gebirgsflüsse und -bäche für die Flößerei (WITTICKE 2005, S.236).

Neben den „Großverbrauchern“ trieben die vielen Wald- Abb. 3.7-6: schmieden und Hammerwerke allein durch ihre Zahl Stehender Meiler (n. JACOB 2003). den Holzkohleverbrauch in die Höhe. Ihre Standorte werden bei FREYSOLDT (1904, zit. n. H. JAEGER 1970), HEINZ (1983), JAEGER (1970) und V. MINCKWITZ (1962) gewesen sein. Einen mittelbaren Hinweis geben die genannt. frühen Rennfeuerspuren aus der älteren Eisenzeit, die bei Trebnitz, östlich von Gera, ausgegraben wurden Bis heute lässt sich durch die Standorte der historischen (DUSEK 1999). Gewerbe, der Hütten-, Hammerwerke und Waldschmie- den, nur ein ungefähres Bild von der einstigen Verbrei- Einfacher ist der Nachweis „stehender Meiler“. Bei die- tung der Köhlerei in Thüringen gewinnen. Hinweise ge- sem Meilertyp musste zunächst die Kohlstätte auf ebe- ben auch Flur- und Forstnamen (Tab. 3.7-2). Direkte nem, windgeschütztem Boden hergerichtet werden. Nachweise sind dagegen schwierig, da sie nur archäo- Um einen Innenschacht („Kamin“) mit leicht brennbarem logisch geführt werden können, zumal die Verkohlung Material (Späne, Rinde, Reisig) wurden dann trockene viele Jahrhunderte lang nur in primitiven Schwelgruben Holzscheite kegelförmig übereinander aufgeschichtet erfolgte, deren Spuren sich nur bei gezielten Grabungen und mit einem Mantel aus Rauhdach (Rasen, Laub, aufdecken lassen („Grubenmeiler“). Moos und Reisig) und feuchter Erde (Erddach) bis auf schmale Luftkanäle luftdicht abgedeckt. Anschließend Wie die Metallurgie (Bronze, Eisen) dürfte die Köhlerei wurde die Schachtfüllung angezündet und der Meiler- in dieser Form schon in prähistorischer Zeit bekannt inhalt unter sparsamer Luftzufuhr in zehn bis vierzehn Tagen verschwelt. Nach der Löschung seines noch glühenden Inhalts (Vor- Flur- oder Forstname Standort aussetzung: Nähe eines Kohlgrube Fluren Hütscheroda und Hesswinkel Baches) wurden die Koh- Kohlgrubenwiese Fluren Hütscheroda und Hesswinkel len in Säcke abgefüllt und Am Köhlershögk Flur Oesterbehringen, Richtung Brüheim Köhlersbrunnen Flur Oesterbehringen, auf der Köllewiese am Biberbach zum Versand gebracht. Am Köhler Flur Bischleben Am Kohlweg Flur Sundhausen Von den stehenden Mei- Am Köhlersberg Flur Manebach lern blieben in der Regel Kohlgasse Flur Bittstädt, Straßenname im Ort die "Meilerplatten" übrig, Der Kohlbach Flur Ohrdruf, erster Zufluss der Ohra unterhalb Ohrdruf Kohlgasse, Kohlthor Flur Ohrdruf, Straßenname im Ort kreisrunde bis ovale Ver- Köhlershögk Flur Leina, am nordöstl. Ausgang des Dorfes ebnungen von 3 bis etwa Die Kohlstätte Flur Ober-Mehler, Phötensches Ackerland 10 m Durchmesser, die Kohlstätte Flur und Forst Volkenroda manchmal von einem klei- Das Köhlersgehäu Flur Zella nen Wall aus Holzkohle- Kohlberg Rennsteig/Nordseite, zw. Weinstraße und Ruhla Große Meilerstätte Rennsteig/Nordseite, zw. Weinstraße und Ruhla stückchen, Grus und Bo- Große Meilerstätte Rennsteig/Nordseite, zw. Ruhla und Emse den umgeben werden. Köhlersgassenweg Rennsteig/Nordseite, zw. Emse und Laucha Meist ist die Holzkohle ein Kohlweg Rennsteig/Nordseite, zw. Leina und Apfelstädt guter Indikator, weil sie Kohlhieb Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra und Gera Oberer u. Unterer Kohlbach Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra und Gera nicht verrottet und der Ab- Kohlbachsteich Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra und Gera rieb, das sog. Gestübe, Kohlenweg/Köhlerssteig Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra und Gera Kohlhiebswiese Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra und Gera, bei Gehlberg Kohlbach Rennsteig/Nordseite, zw. Gera und Ilm Tab. 3.7-2: Kohlenbach Rennsteig/Südseite zw. Hasel und Lichtenau Forst- und Flurnamen im Große Meilerstätte Rennsteig/Südseite zw. der Weinstraße und der Schweina Thüringer Wald bzgl. Köhlerei (GERBING 1910).

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noch Jahrhunderte später zu finden ist (JACOB 2003, der schlechten Straßen im Wesentlichen auf dem S.11; HILLEBRECHT 1982, S.21). Auch Abfallhalden Wasserweg durch Scheitholztrift und durch Flößerei, begleitender Gewerbe wie Schlackenplätze, Glasofen- die auf der Saale schon Mitte des 13. Jahrhunderts stätten oder Töpfereiabraumhalden treten mitunter ge- urkundlich nachweisbar ist (s. Abschnitt 3.7.3.13 "Trift meinsam mit den alten Köhlerstellen auf. und Flößerei").

In Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Archäolo- Seit dem 16. Jahrhundert führte die Errichtung von gische Denkmalpflege in Weimar und den unteren Gradierwerken zu einer gewissen Abnahme des Nut- Forstbehörden hat der Köhlerverein in Mengersgereuth- zungsdrucks auf den Wald. Die bis zu 16 m hohen und Hämmern 1999 damit begonnen, alte Meilerstellen im mehrere hundert Meter langen, mit Stroh und später Umkreis des ehemaligen Eisenwerkes Augustenthal mit Schwarzdornzweigen (Prunus spinosa) eingedeck- zu erfassen und zu kartieren. Bisher konnten dort über ten Holzgerüste wurden mit natürlicher Sole aus Quellen 300 Lokalitäten nachgewiesen werden (JACOB 2003). oder Bohrungen berieselt. Durch die Verdunstung des Wassers erhielt man eine konzentrierte und gereinigte Neben den Geländespuren, den urkundlichen Belegen, Salzlösung. Dabei sank der Holzverbrauch beträchtlich den Flur- und Forstnamen erinnern Familiennamen auf nur noch 25 bis 30 %. Gleichzeitig setzten sich wie Kohler, Köhler, Brenner und Senger, vereinzelt Gips und Schwermetallverbindungen auf den Zweigen auch Sagen und Legenden an die Köhlerei. Die Sage als "Dornstein" nieder, während aus der konzentrierten über den Schmied von Ruhla (12. Jh.) beispielsweise Sole ein besonders reines und weißes Salz gesotten handelt von einem Waldschmied, der zugleich Berg- wurde. mann und Köhler war. Noch heute lässt sich die Dorngradierung in Bad Sal- Um die Bewahrung und Pflege des heute fast ausge- zungen, Bad Sulza und Bad Kösen (Sachsen-Anhalt) storbenen Köhlereigewerbes bemühen sich Heimatver- beobachten, die jetzt allerdings therapeutischen Zwe- cken dient: Eingeatmet lindern die in der Luft fein eine in Schmerbach und Bermbach, in Neustadt am verteilten Soletröpfchen die Beschwerden bei bronchia- Rennsteig und in Schmalkalden, in Meusebach bei len Erkrankungen. Jena und in Hermannsacker. Vom schon erwähnten Köhlerverein in Mengersgereuth-Hämmern wird alljähr- Spätestens um die Mitte des 19. Jahrhunderts war der lich im September ein Köhlerfest ausgerichtet, bei dem Holzverbrauch der Salinen eingedämmt. Fortan lieferten nach altem Vorbild auch ein Meiler betrieben wird. neue Tiefbohrungen konzentriertere Solen, die sich mit geringerem Energieverbrauch eindampfen ließen. Au- ßerdem wurde das bis dahin unverzichtbare Brennholz 3.7.3.4 Salinen durch Stein- oder Braunkohle abgelöst. Auch die Produktion von Siedesalz aus flüssiger Sole war mit Holzverbrauch verbunden. Das Eindampfen Vermutlich hat man die in Thüringen vorhandenen na- von Natursolen in seiner ursprünglichen Form in Holz türlichen Solquellen schon in vorgeschichtlicher Zeiten befeuerten Kupferkes- seln verschlang den ra- ren Brennstoff in solchen Mengen, dass die Wäl- der bald in weitem Um- kreis heruntergewirt- schaftet waren. In der Folge musste das Holz über stetig wachsende Transportentfernungen herbeigeschafft werden. Dies geschah wegen der benötigten Mengen und

Abb. 3.7-7: Die Gradierwerke von Bad Sulza auf einem Stahlstich des 19. Jahrhunderts (aus: SALZMANN 1995).

105 Historische Waldnutzungen

zur Salzgewinnung genutzt (Salz als essentieller Be- brennerei"). 30 Teile Pottasche als Schmelzmittel (Fluss) standteil der menschlichen Ernährung und als Konser- kamen auf 100 Teile Sand und 15 Teile Kalk. Dann vierungsmittel). Neben den Salinen von Salzungen musste man 20-30 Stunden einheizen, bis die nötige (Erstnachweis im 3. Jahrhundert), Liebenstein, Langen- Temperatur erreicht war, damit der Quarzsand schmolz. salza, Artern, Frankenhausen und Sulza, die bereits im Mittelalter in Funktion waren, gab es neuzeitliche Wann mit der Herstellung von Glas in Thüringen be- Salzwerke in Schmalkalden (1701-1843), bei Heldburg gonnen wurde, ist nicht sicher. Spätestens mit den im Kreis Hildburghausen (LINDENAU, 1704-1847) und fränkischen Kolonisatoren und den Klostergründungen bei Creuzburg (Saline Wilhelmsglücksbrunn, 18. Jh.; könnte das handwerkliche Wissen aus dem Süden und zur Geschichte s. WALTER 1986). Um 1850 verzeichnen Südwesten Europas mitgebracht worden sein (9. Jahr- die preußischen Urmesstischblätter weitere in Gotha, hundert). Importglas hat es jedenfalls schon deutlich Stadtilm und Erfurt. früher über römische und keltische Kontakte gegeben, wie archäologische Ausgrabungen belegen. Von einer Neben historischen Karten geben auch Ortsnamen in Glasherstellung im größeren Umfang ist im Thüringer Verbindung mit „-hall“ (z.B. Heinrichshall bei Bad Köstritz, Wald und seinen Randgebieten nach der gegenwärtigen Ernsthall bei Bufleben oder Arnshall bei Arnstadt) und Kenntnislage wohl nicht vor dem 13. Jahrhundert aus- „Salz“ bzw. „Sol“ (z.B. Salzungen, Sulza) Hinweise auf zugehen (HEINZ 1983, S.19). die Ausbeutung von Salzquellen. In Suhl (slawisch: sul oder sule = Salz) war die Salzgewinnung eines der äl- Anfangs war die Glasherstellung ein Wandergewerbe, testen Gewerke. das sich weitab der Städte und Dörfer in waldreichen Tälern niederließ und seine Standorte wechselte, wenn der Wald in der Umgebung abgeholzt war („Waldglas- 3.7.3.5 Glashütten hütten“). Zum exzessiven Holzverbraucher wurde das Auch in den Öfen der Glasmacher verschwanden ganze Glasgewerbe freilich erst, als im 16. Jahrhundert die Wälder. In der Glasmacherei war Holz einerseits Grund- ersten ortsfesten Glashütten, die wegen der mit ihnen stoff zur Gewinnung der für die Glaserzeugung benö- verbundenen Rodesiedlungen auch als „Dorfglashütten“ tigten kalihaltigen Holzasche ("Pottasche"), andererseits bezeichnet werden, gegründet wurden (Glashüttendör- war es unverzichtbarer Brennstoff zum Heizen der fer: 1525 Langenbach bei Schleusingen, 1593 Fehren- Schmelzöfen. Der große Holzbedarf bei der Pottasche- bach und 1597 Lauscha; KAISER 1933). herstellung rührte daher, dass nur 0,5 bis 1,5 Tausend- stel aus dem Volumen des verbrannten Holzes als Anfangs produzierten die Dorfglashütten wie ihre Vor- Pottasche verblieb, wodurch ein Vielfaches mehr an läufer in der Regel nur einfaches grünes Waldglas oder Holz für die Gewinnung von Pottasche als für die Be- weißes Flaschen- oder Fensterglas, das sich zur Ver- heizung der Öfen benötigt wurde (s. Abschnitt "Asche- edlung durch Schliff und Schnitt nicht eignete. Schon

Flur- oder Forstname Standort Urkundl. Erw.

Hinter der Glashütte Flur Gehlberg 17. Jh. Die Glashütte Flur Tambach Der Glasacker Flur Leina, am Leinakanal, Sundheimer Forstgebiet Glasbachwiese Rennsteig/Nordseite, zw. der Weinstraße und der Ruhla 17. Jh. Der Glasbach Rennsteig/Nordseite, zw. Ruhla und Emse 1647 Glasholzkopf Rennsteig/Nordseite, Holzung für Tambacher Glashütte 1697 Der Glasplatz Rennsteig/Nordseite, Ursprung Sieglitz Gläserstieg Rennsteig/Nordseite, obere Sieglitz 1587 Gläserthal Rennsteig/Nordseite, zw. Gera und Ilm Glasberg Rennsteig/Südseite, zw. Lubenbach und Lauter 1587 Glas-Kopf Rennsteig/Südseite, Suhl Glas-Wiese Rennsteig/Südseite, zw. Hasel und Lichtenau Glashütte Rennsteig/Südseite, Forstort am Landwehrgraben 1597 Glasberg Rennsteig/Südseite, zw. Schmalkalde und Hasel 1589 Tab. 3.7-3: Glasbach Rennsteig/Südseite, Kleinschmalkalden, im Gemeindewald Forst- und Flur- Glasbachsfluß Rennsteig/Südseite, zw. Druse und Schmalkalde namen im Thüringer Glasbachskopf Rennsteig/Südseite, zw. Druse und Schweina Wald bzgl. Glas- Glasbach Rennsteig/Südseite, zw. Druse und Schweina hütten (GERBING 1910).

106 Historische Waldnutzungen

Tab. 3.7-4: Flur- oder Forstname Standorte Urkundl. Erw. Flur- und Forstnamen im Aschhof Flur Ruhla Thüringer Wald als Aschenteichwiese Flur Menteroda Nachweis der Aschhof Rennsteig/Nordseite, zw. Ruhla und Emse 17. Jh. Aschenbrennerei Der Aschenberg Rennsteig/Nordseite, zw. Lauscha u. Badewasser 1505 (GERBING 1910). Das Aschenthal Rennsteig/Nordseite, zw. Lauscha u. Badewasser 1505 Aschenbergstein Rennsteig/Nordseite, zw. Lauscha u. Badewasser Aschenbachsdickicht Rennsteig/Nordseite, zw. Badewasser u. Schilfwasser 1584 Aschbach Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra und Gera 1569 Aschbach Rennsteig/Nordseite, zw. Gera und Ilm 1587 Aschbachsdelle Rennsteig/Nordseite, zw. Gera und Ilm 1587 Aschen-Kopf Rennsteig/Südseite, Albrechts, zw. Lubenbach u. Lauter 1587 Aschenthal Rennsteig/Südseite, Goldlauter, zw. Lubenbach u. Lauter 1587

1635 lieferte die Lauschaer Dorfhütte durchsichtige Reduzierten schon die Waldglashütten mit ihren kleinen helle Scheiben für Kirche und Schloss Königsee und Kuppelöfen lokal die Holzbestände, so wuchs der Holz- die Rudolstädter Stadtkirche (HEINZ 1983, S.44). Die bedarf in den größeren und komplexeren Tunnelöfen Fertigung von Apothekenglas, seit dem 16. Jahrhundert der ortsfesten Hütten bei wesentlich höherem Produk- belegt, steigerte sich, als im Raum Großbreitenbach- tionsvolumen und längerer Produktionszeit in flächen- Königsee Mitte des 17. Jahrhunderts „Laboranten“ da- hafte Dimensionen. Die Holzknappheit schloss gleich- mit begannen, aus einheimischen Kräutern, Wurzeln zeitigen umfangreichen Bergbau oder ein Hütten- oder und Beeren medizinische Essenzen und Tinkturen her- Hammerwerk im selben Gebiet aus. So kam es, dass zustellen, die in kleinen Fläschchen von den „Buckel- sich in der Nähe der Eisenerzgänge um Schmalkalden, apothekern“ buchstäblich „in die Welt“ getragen wurden Suhl, Steinbach-Hallenberg, Zella-Mehlis und Ruhla (vgl. „Thüringer Kräutergarten“, Kap. 3.7. Olitätenhan- zwangsläufig der Übergang zum Eisen verarbeitenden del). Gewerbe vollziehen musste, während sich die Glasin- dustrie vorwiegend zwischen Ilmenau, Oberweißbach, Mit wachsender Verwendung von Gebrauchsglas er- Lauscha und Schleusingen entwickelt hat. Nur dort gab kannten die Fürstenhäuser die wirtschaftliche Bedeutung es in abgelegenen Waldgebieten noch nutzbare Holz- des Glasgewerbes als steuerliche Einnahmequellen vorräte in ausreichender Größe (HEINZ 1983, S.30). und forcierten Neugründungen vornehmlich nach dem eigenen Bedarf, so dass am Ende des 17. Jahrhunderts Heute weisen neben urkundlichen Quellen und archäo- jeder an den Rennsteig grenzende Feudalstaat minde- logischen Spuren (Scherben von Trinkgefäßen, Fla- stens eine in seinem Territorium arbeitende Dorfglas- schen, Fensterscheiben, Perlen, u.a.m.) auch Flurna- hütte hatte. Hinzu kamen eigene herrschaftliche Hütten, men auf Standorte alter Glashütten hin (Tab.3.7-3). die den Bedarf an schönen Trink- und Schmuckgläsern decken sollten, aber aus Mangel an wirtschaftlichem 3.7.3.6 Aschebrennerei Erfolg jeweils nur wenige Jahre bestanden: Tambach (1634-39), wo italienische Glasmeister Gläser auf ve- Bei der Aschebrennerei wurden große Mengen Buchen- nezianische Art herstellten, und Ilmenau (1675-79, holz eigens zu dem Zweck verbrannt, aus der Asche 1731-1748; beide S.-Weimar) sowie Eisfeld (1709- das zum Glasfluss, zum Seifensieden und Tuchfärben 1739; S.-Hildburghausen). benötigte kohlensaure Kalisalz (= K2CO3) zu extrahieren.

Günstige Rohstoffbezugsmöglichkeiten waren der Bis ins 19. Jahrhundert konnte diese sog. Pottasche Grund dafür, dass sich die Glasherstellung vor allem nur aus Holzasche gewonnen werden. Sie wurde dazu in den Gebieten des Thüringer Waldes entfaltete, wo mehrfach in Holzbottichen mit Wasser ausgelaugt, in neben den reichen Holzvorkommen auch die für die eisernen Pfannen oder Sudkesseln (Pötten) ausge- Grundsubstanz des Glases (Silizium) erforderlichen dampft und schließlich zum Verbrennen der kohligen reinen Quarzsande, Kalk (für die Härte des Glases) und rußigen Teile im Kalzinierofen zur fertigen Pottasche und Wasser (zum Abschrecken während des Schmelz- ausgeglüht. prozesses) in ausreichender Menge zur Verfügung standen. Bei der Auswahl der Standorte waren aber Bis zur Entdeckung der Kalisalze aus der Zechsteinfor- auch eine günstige Lage zu den bestehenden Haupt- mation war Pottasche neben Soda (Na2CO3) und Sal- verkehrswegen mit entscheidend. peter (KNO3, NaNO3) das wichtigste alkalihaltige Salz.

107 Historische Waldnutzungen

Da in Thüringen durch das Salinenwesen und die Alaun- einzelne Pottaschesiedereien, so am Paulinzellaer hütten reiche Erfahrungen über das Salzsieden vorhan- Forst (Angelroda), am Werdauer Forst (Forstwolfers- den waren und da es hier große zusammenhängende dorf), in der Rhön (Wahns) und im Sormitz- und Schwar- Waldgebiete gab, lag es nahe, Pottasche selbst zu pro- zatal (Leutenberg bzw. Sitzendorf) sowie in der Umge- duzieren. Für die Herstellung von einem Kilogramm bung von Steinach bei Judenbach, Heinersdorf und in Pottasche wurden etwa zwei Kubikmeter Buchenholz Wildenheid bei Neustadt/Coburg. benötigt. Das entspricht einem Gewichtsverhältnis von etwa 1 : 1000. Nadelholz gab infolge seines niedrigeren Ihre Blütezeit hatte die Aschesiederei im 18. und in der Kaligehaltes eine vierfach geringere Ausbeute ab. Nach ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seitdem ging die Jägerschmid (zit. in MANTEL 1990) lieferten 4000 Pfund Nachfrage rapide zurück, weil das in den chemischen Nadelholz 17 Pfund Rohasche und 1 Pfund gereinigte Fabriken erzeugte Soda und die bergmännisch gewon- Pottasche. nenen Kalisalze billiger und in größeren Mengen ver- fügbar waren. Durch das periodische Abbrennen von Reisig und Jung- wuchs und das Zusammenfegen der Holzasche ver- Heute erinnern nur noch einige Flurnamen und in Mu- armten Aschewälder besonders stark an Nährstoffen seen ausgestellte Gerätschaften an das historische und hinterließen für Jahrhunderte nur krüppelartig auf- Waldgewerbe. wachsenden Wald (WITTICKE 2004, S.24). Die Aschen- brenner verwendeten aber nicht nur Abfallholz; auch starke und noch stehende Stämme wurden am Fuß 3.7.3.7 Eichenlohegewinnung ausgehöhlt, angezündet und in 5-7 Tagen ausgeglüht (MANTEL 1990). Mit der Zeit brannte man so ganze Bu- Eine um die Mitte des 19. Jahrhunderts in wärmeren chenwälder ab. Lagen Thüringens weit verbreitete und im Waldbild ganz eigentümliche Nutzungsform waren die Eichen- Pottaschesiedereien hatten ihre Standorte bevorzugt schälwälder zur Gewinnung der gerbsäurehaltigen Ei- in abgelegenen Wäldern, die durch andere Holzver- chenrinde. braucher nur wenig beansprucht wurden. Oft lagen sie abseits der Landstraßen und in Gebieten, aus denen In einer Höhe von ca. 1 m wurden die 15-20 Jahre al- sich das Holz schlecht abflößen ließ. ten und etwa armstarken Stämmchen von Stiel- oder Traubeneichen umgeschlagen. Die noch unverborkte

In Thüringen entstanden n. LANGE (1993) und HOPPE Rinde, die mit einem Gerbstoffgehalt von 10-12 % am (1981) lokale Zentren der Pottaschesiederei im mittleren wertvollsten war (sog. Spiegelrinde), wurde mittels be- Thüringer Wald um Arlesberg, Elgersburg und Geraberg, sonderer Loheisen geschält. Am leichtesten ließ sie im Werragebiet (z.B. Wasungen, Grub bei Themar), im sich während der Saft- oder Lohzeit in den Monaten Hainich um die Vogtei Oberdorla, im Holzland (Lippers- April bis Juni ablösen. Die abgeschälten Eichenrinden dorf, Hainbücht bei Stadtroda, Tautenburg und Dorn- wurden dann an den umgelegten Stangen trocknen dorf/Saale), im reußischen Gebiet um Lobenstein (Ober- gelassen, anschließend in "Lohmühlen" zermahlen und lemnitz, Blankenstein, Kießling bei Lehesten). Auch im die "Lohe" an die Gerber verkauft, die den Gerbstoff Umkreis anderer geschlossener Waldgebiete gab es vor allem in der sog. Grubengerbung zur Herstellung

Vorschneiden der Lohrollen 1- 5 mit dem Loheisen (Ring- und Längsriss)

Trocknen der Lohrinden am entrindeten Stamm.

Abb. 3.7-8: Skizze zur Lohrindengewinnung Länge der Lohrollen etwa 2 Ellen (~ 1,20 m) im Eichenschälwald (n. WITTICKE 2007).

108 Historische Waldnutzungen dicker Lederarten wie Unterleder oder Sohlenleder 3.7.3.8 Haubergwirtschaft einsetzten (S 2002, S.57). Die entrindeten CHINKEL Bei der Haubergwirtschaft, einer Form der genossen- Stangen wurden mit der Axt zu Brennknüppeln aufge- schaftlichen Waldbewirtschaftung, wurden Niederwälder arbeitet. Wegen des Fehlens der Gerbsäure eignete in naturräumlich benachteiligten Lagen aus Mangel an sich das Restholz bevorzugt zum Heizen von Backöfen brauchbarem Ackerland zeitweilig in die landwirtschaft- (W 1996, S. 36). In Weinbaugebieten dienten ILLERDING liche Nutzung einbezogen. die geschälten Stangen als Reb- und Pfahlholz. In der Regel wurden Haubergflächen in 15 bis 18 Die Eichenlohegewinnung ist eine verhältnismäßig Jahresschläge eingeteilt, von denen jedes Jahr einer junge Form der Waldnutzung. Urkundlich erstmals im zur Gewinnung von Holzkohle oder Brennholz abge- Siegerland erwähnt (15. Jahrhundert) wurde sie im trieben wurde (HASEL U. SCHWARTZ 2002). In Jahren Laufe des 16. Jahrhunderts auch in Thüringen üblich. reicher Eichelmast wurden auch Schweine kollektiv im Nach K (1869) gab es zu jener Zeit bereits große IUS Hauberg gehütet. Vor dem Abtrieb wurde von den Ei- Schäden in einzelnen Wäldern, weil man Bäume ge- chen des Niederwaldes mitunter noch die Lohrinde ab- schält und daraus Lohe gemacht hatte. geschält. Besonders in der Rhön scheint ein solcher Eichenschälwald-Haubergbetrieb üblich gewesen zu Ihre letzte und größte Blütezeit erlebte die Nachfrage sein. nach Gerbstoffen aus der Eichenrinde um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Bis ins frühe 20. Jahrhundert Dem Abtrieb des alten Baumbestandes folgte meist wurden viele Niederwälder aufgrund der hohen Markt- ein ein- oder mehrmaliger Anbau von Ackerfrüchten, preise wieder genutzt und sogar bestehende Hochwäl- während gleichzeitig die Baumstümpfe des Kahlhiebes der kurzzeitig in Niederwald umgewandelt. Noch um wieder ausschlugen. Zunächst wurden trockenes Reisig 1927 haben in Thüringen von einer Gesamtfläche von und Grassoden verbrannt, um dem Boden frische Nähr- 4667,5 ha im Niederwaldbetrieb 1121,8 ha aus Eichen- stoffe zuzuführen. Dann wurden Buchweizen, Roggen schälwald bestanden (KAISER 1933, S.89/90). oder Hafer in die Asche eingesät. Schon nach wenigen Jahren war der Boden jedoch soweit erschöpft, dass In der Folgezeit wurde Eichenlohe dann zunehmend die Dorfgemeinschaft auf den verbrachten Flächen nur durch Chromsalze (Mineralgerbung) und synthetische noch Schafe oder Rinder weiden konnte (KÜSTER 1998). Gerbstoffe verdrängt. Eine kurze Nachblüte erlebte die Lohgewinnung während der Zeit des Ersten und des Verbreitet war die Haubergwirtschaft im Siegerland, im Zweiten Weltkrieges, als die Einfuhr von Chemiegrund- Schwarzwald und im Bayerischen Wald (ROSSMANN stoffen aus dem Ausland erschwert oder gar unmöglich 1996). Für Thüringen liegen Hinweise in historischen war und eine Rückbesinnung auf die eigenen Ressour- Karten vor. Auf den um 1850 gezeichneten Feldorigi- cen notwendig wurde. In der Nachkriegszeit verschwand nalen der Preußischen Landesaufnahme sind zwischen die charakteristische Nutzungsform des Eichen-Schäl- Osthausen und Hohenfelden, am Osthang des Ilmtals waldes völlig aus der Kulturlandschaft (R 1996, OSSMANN bei Barchfeld südlich von Kranichfeld sowie auf der S.87). Plothener Teichplatte zwischen Schöndorf und Bucha Flächen in einer als „Hauberge“ bezeichneten Signatur ausgewiesen.

Mit dem Siegeszug des Mineraldüngers, der Verbilligung der Steinkohle und der Verdrängung der Gerberlohe Flur- oder Standort Urkundl. Erw. durch synthetische Gerbstoffe ging die Bedeutung der Forstname Haubergwirtschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts rasch zurück. An die Stelle der Hauberge Lohmühle Flur Langenhain 1657 traten Hochwälder, auf denen seitdem die Holzerträge Lohmühle Flur Waltershausen, Richtung Fröttstedt im Vordergrund stehen. Lohmüllersdelle Rennsteig/Nordseite, zw. Meiboldesstraße u. Ohra Lohwiese Flur Wangenheim 1641 Lohbergsteich Flur Wangenheim 1641 Loh, Löbchen Flur Bittstädt, an 1543 Espenfelder Grenze Tab. 3.7-5: Das Lohkübel Flur Gotha Forst- und Flurnamen im Thüringer Wald, die auf Lohgerberei hinweisen (GERBING 1910).

109 Historische Waldnutzungen

3.7.3.9 Harznutzung und mit ihr verbundene Gewer- bis in die Reichhöhe von etwa 2 m getrieben werden. ke (Scharrharzgewinnung, Kienharznutzung, Neben dem Fließharz war im Spätsommer auf der Pechsiederei, Rußerei, Teerschwelerei) Dexellachte angetrockneter Kiefernbalsam als Scharr- harz gewinnbar. Das urtümliche Dexelverfahren war Bei der Harznutzung wurden Nadelbäume, meist Fich- holzschädigend und wenig ergiebig. Forstmeister Splett- ten, Kiefern, selten Lärchen, alljährlich im Frühjahr stößer entwickelte zu Beginn des 20. Jahrhunderts das "gelachtet", d.h., ihre Rindenschicht wurde streifenartig Risser- oder Hobelverfahren. Das Verfahren begann verletzt. Dabei kamen unterschiedliche Verfahren zur mit dem Röten der Lachtenflächen (Entfernung der Anwendung. Borke mit dem Bügelschaber oder Röteisen im Winter bis auf 3 mm Reststärke). Ab Frühjahr fand das Reißen Die stärkeren Fichten wurden mit dem Lageisen, einem der Lachten statt. Zuerst wurde in der Mitte der Lachte sichelartigen Krummmesser mit Holzstiel, von etwa 2 eine senkrechte tiefere Tropfrinne gezogen, zu der m Höhe ab (Reichhöhe der Harzscharrer mit dem Kratz- spitzwinklig fischgrätenartige Einschnitte oben auf der eisen) bis hinunter auf etwa 0,5 m an zwei Seiten, bei Lachte beginnend (fallende Harzung) mit dem Risser, sehr starkem Durchmesser auf vier Seiten, ungefähr ab 1930 mit dem Harzungshobel gleichmäßiger und 10 cm breit geschält. Auf diesem Wundstreifen trocknete exakter angebracht wurden. Wöchentlich wurden meh- über Sommer das auslaufende Harz, welches die Harz- rere neue Risse geschnitten. Während des Harzflusses scharrer dann im August/September mit dem Kratzeisen von Mai bis August/September überdeckten dann die in den Butten aus Fichtenrinde sammelten (OETTELT, immer neu angebrachten Risse die gesamte Lachten- C. Chr., 1789: „Etwas über die Harzgeschichte oder fläche. Den aus den Wunden ausfließenden Kiefern- Pechbenutzung fichtener Waldungen “; WITTICKE balsam fingen die Harzer in Tontöpfen, später auch in 2007). Glastöpfen, die je nach Witterung, manchmal täglich, geleert werden mussten. Diese Harzung betrieb man Bei der Kiefer ist die Scharrharzgewinnung kaum mög- in Kiefernaltholzbeständen etwa 5 Jahre vor der End- lich gewesen, da zum Harzfluss die Entfernung der nutzung. Das Sägeholz des Erdstammstückes erlitt dicken Borke des Erdstammes sowie eine tiefere Ver- dabei im Gegensatz zur Fichtenharzung keine Quali- letzung des Splintholzes notwendig war. Anfangs ge- tätseinbußen. Bei zwei Lachten auf gegenüberliegenden schah das im Grandel- oder Dexelverfahren. Hier wurde Stammseiten war eine Mindestbreite der dazwischen am Stammfuß stärkerer Kiefern beginnend, ein etwa liegenden „Überlebensstreifen“ einzuhalten. Bis zum 12 cm breiter Hieb, schräg verlaufend, 1 cm tief in das 19. Jahrhundert war wegen der noch nicht erfundenen Splintholz geführt. Jede Woche wurde ein weiterer modernen Risserharzung im Thüringer Holzland und Span oben an der Wunde mit der Grandelhacke her- um Paulinzella die Verschwelung von gerodeten Kie- ausgehauen. Das Harz glitt durch die Schräge des fernstubben oder von nach Kiefernblasenrostbefall Hiebes in eine darunter gehackte Grandelhöhle von 7- kienreichen Stammstücken in kunstvoll gemauerten 8 cm Durchmesser. Die Grandellachte erreichte in der Pech- oder Teeröfen üblich (WITTICKE 2007). ersten Vegetationsperiode eine Wundfläche von ca. 40 cm und konnte über weitere 3-4 Nutzungsperioden Die Scharrharzgewinnung hatte katastrophale Auswir- kungen auf den Gesundheitszustand der Fichtenbe- stände und die Holzverwendung der unteren Stammteile. Die gescharrten Bäume waren als Bauholz nicht mehr verwendbar und auch als Brennholz von geringem Wert. Borkenkäferbefall, Holzwespenbesatz und be- sonders Splintholzfäule durch den Blutenden Schichtpilz und verschiedene Saftporlingsarten führten zum schnel- len Absterben bzw. zum Bruch geharzter Fichten durch Sturm und Nassschneebehang (WITTICKE 2007). Bereits im 16. Jahrhundert wurde das ungeregelte Harzsam- meln zur Schonung der landesherrlichen Waldungen örtlich unter Strafe gestellt, während so genannte "Harz- wälder" eigens für die Harzgewinnung ausgewiesen wurden (KIUS 1869). Zahlreiche Aktenvermerke zeugen heute noch davon in den Archiven ebenso wie der Flur- name "Harzwald".

Um die von der Harzgewinnung ausgegangenen Wald- Abb.3.7-9: schäden in ihrem räumlichen Ausmaß besser einschät- Harzscharrer (aus: DAHLEMS 1999). zen zu können, ist es wichtig, auch die mit ihr verbun-

110 Historische Waldnutzungen denen Gewerke, die Pechsiederei, die Rußerei und die Teerschwelerei, hier kurz vorzustellen.

In Pechhütten wurde das gesammelte Harz zu goldgel- bem Pech ausgeschmolzen. Dabei ergab das Harz von 300 gescharrten Bäumen einen Zentner Pech! Der Grundstoff aus Thüringens Harzwäldern war ein über- regional begehrtes Produkt. Bremer Werften verarbei- teten Pech als Dichtmasse im Holzschiffbau (DAHLEMS 1999). Böttcher verwendeten es zum Abdichten von Tonnen und anderen hölzernen Gefäßen. Aus beson- ders reinem Pechöl fertigten „Laboranten“ im Schwarza- Sormitz-Gebiet Balsame, Öle und Salben mit nachweis- licher oder vermeintlicher Heilwirkung (s. Kap. 2.3.2.3.). Mit dem restlichen „Kienöl“ wurden Kienspäne getränkt. Abb. 3.7-10: Teerofen im Zeitzgrund (Foto: R. Meyer 2005). Gewöhnlich waren den Pechhütten Rußereien ange- gliedert, in denen die harzreichen Rinden- und Holzab- in Elgersburg 7, weitere in Arlesberg, Martinroda, Fran- fälle aus der Pechsiederei, die sog. "Harzgriefen", ver- kenhain, Crawinkel, Geraberg und Geschwenda (SCHIN- brannt wurden, um daraus Kienruß herzustellen. Der KEL 2002). Im westlichen Thüringer Schiefergebirge zur Bereitung von Schuhschmiere, Farbe, Tusche, sind Sitzendorf, Katzhütte, Scheibe, Neuhaus, Lindig, Ofen- und Druckschwärze verwendete Ruß stieg aus Cursdorf, Dittersdorf, Unterweißbach und Quittelsdorf den Kienrußöfen in dichten Flocken auf und wurde in als historische Standorte dokumentiert (R. MÜLLER Säcken aufgefangen (REGEL 1896). 1980). LANGE (1993) erwähnt große Pechhütten in Ha- senthal und Gräfenthal und kleinere in Spechtsbrunn, Nach der Quellenlage hat es im Thüringer Wald und Lichtenhain, Schmiedefeld, Buchbach und Limbach. im westlichen Schiefergebirge unzählige Pech- und Ende des 18. Jahrhunderts lieferte Sachsen-Meiningen Kienrußhütten gegeben. Die wohl ältesten Reste wurden „das meiste Pech“ unter den thüringischen Staaten in Steinheid und Ruppersdorf ausgegraben (vermutlich (LANGE 1993, S.7). 13./14. Jahrhundert). Die Hauptgegend lag jedoch zwi- schen Tambach, Crawinkel, Gräfenroda und Ilmenau. Zentrum der Teergewinnung durch Holzschwelerei war Allein 10 Kienrußhütten sind in Gräfenroda überliefert, wie bei den Pech- und Rußhütten das Tambacher Ge-

Flur- oder Forstname Standort Urkundl. Erw. Pechhüttenfelsen Flur Arlesberg Pechhüttenwiesen Flur Arlesberg Harzhüttenbach Flur Manebach, erster Zufluss der Ilm Harzhüttengrund Flur Manebach, s.o. Harzwiese am Harzloch Flur Georgenthal Pechhütte Flur Ohrdruf, am Fuß vom Steinigen Berg Die alte Pechhütte Flur Tambach Harzwald Flur Oberhof, zwischen Stadt und Regenberg Harzloch Rennsteig/Nordseite, zw. Leina und Apfelstädt Harzhüttendelle Rennsteig/Nordseite, zw. Leina und Apfelstädt, Kl. Walsbach An der Harzhütte Rennsteig/Nordseite, zw. Leina und Apfelstädt, Kl. Walsbach Harzbrunn Rennsteig/Nordseite, zw. Leina und Apfelstädt, Trockenbach Oberer Harzbrunn Rennsteig/Nordseite, zw. Leina und Apfelstädt, Nähertalsgraben Harzstieg Rennsteig/Nordseite, zw. Leina und Apfelstädt Pechhüttenkopf Rennsteig/Nordseite, zw. Meinboldesstraße und Ohra Pechhüttendelle Rennsteig/Nordseite, zw. Meinboldesstraße und Ohra Tab. 3.7-6: Harzstieg Rennsteig/Nordseite, zw. Meinboldesstraße und Ohra 1569 Forst- und Flur- Harzwäldchen Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra und Gera 1665 namen im Thü- Harzwald Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra u. Suhl, Geschwenda Rennsteig/Nordseite, zw. Gera und Ilm 1587 ringer Wald mit Harzhüttengrund Pechhüttenkopf Rennsteig/Nordseite, zw. Ilm und Schorte möglichem Be- Der Harzgrund Rennsteig/Nordseite, zw. Ilm und Schorte, Oberlauf Hirschbach 1587 zug zur Harz- Pechhüttenhügel Rennsteig/Südseite, zw. Lauter und Schleusequellen nutzung (G ER- Harzgasse Rennsteig/Südseite, NW von Suhl 1587 BING 1910).

111 Historische Waldnutzungen

biet. 1847 wurden dort nachweislich mindestens 26 Bienenwachs war Jahrhunderte lang durch kein anderes Teeröfen betrieben, die meisten bei den Orten Gräfen- Produkt zu ersetzen, bis 1824 das aus Fetten herge- hain, Schwarzwald und Tambach. Ein weiterer Schwer- stellte Stearin an seine Stelle trat. punkt lag in der Vorderrhön, wo 1840 Teeröfen bei Bau- erbach, Wahns, Wölfershausen und Ritschenhausen Ihre erste urkundliche Erwähnung findet die Zeidelweide in Betrieb waren. Auch in Ostthüringen gab es Schwel- im 8. Jahrhundert in Bayern (LAUDERT 2001); in Thürin- öfen: in Görkwitz bei Schleiz und in Langenwetzendorf gen stammen die ersten schriftlichen Nachrichten von bei Greiz (LANGE 1993, S.6). sog. "Bienenbäumen" aus dem Lehestener Wald (um 1568; KIUS 1869, DAHLEMS 1999). Ursprünglich durfte Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verloren die verschie- sich jedermann Bienenschwärme aneignen, später denen Formen der Harznutzung sehr rasch an Bedeu- beanspruchten Waldeigentümer die wilden Bienen für tung. Während die Teergewinnung mit der Umstellung sich und verlangten wenigstens einen Teil des Ertra- von Holz auf Kohle ihre heimische Rohstoffbindung ges. Günstig für die Waldbienenweide waren warme, einbüßte (LANGE 1993, S.6), wurde Pech zunehmend trockene Jahre, besonders eine Wärmeperiode im Mai, durch synthetische Produkte ersetzt. Beim Kienruß da bei solcher Witterung die Besatzdichte der Rin- hatten die Einführung der Petroleum- und Gasbeleuch- den-, Trieb- und Röhrenläuse, besonders der Lachniden- tung und neue Formen der Schwarzfarbeherstellung Arten, an den frisch geschobenen Maitrieben, im Mitt- einen Bedarfsrückgang ausgelöst, der nicht mehr zu sommer auch an den Johannistrieben, enorm anstieg. ersetzen war. Lediglich die Kienharzgewinnung war Kiefer, Tanne, Fichte und Eiche sind dabei bevorzugte noch bis 1990 üblich. Aus Kiefernharz wurden zu DDR- Wirtsbäume für Läusekolonien. Den von den Baumläu- Zeiten Terpentinöl und Kolophonium hergestellt: ersteres sen dann reichlich ausgeschiedenen Zuckersaft konnten für die Farben- und Lackindustrie als Lösungsmittel die Bienen zu dem begehrten dunklen Waldhonig und für die Pharmazie; Kolophonium war unentbehrlich (Baumtracht) verarbeiten. Daneben spielte die Blüte als Weichmacher für Kautschuk und als Leimstoff in von Ahornarten und weiblichen Weidenkätzchen im der Papierindustrie (R. MÜLLER 1980). Frühling sowie die Lindenblüte im Sommer als Nektar- spender (Baumtracht) eine Rolle. Die Bodentracht aus Heute stößt man kaum noch auf Relikte dieser histori- der (Halb-)Sträucher- und Waldkräuterblüte ergänzte schen Gewerke. In Geisenhain bei Stadtroda kann ein den Zeidlerertrag, war aber nur in verlichteten Bestän- rekonstruierter Teerschwelofen als technisches Denkmal den, auf Kahlschlägen oder auf bis zur Heide devastier- besichtigt werden (Abb. 3.7-10). Flur- und Ortsnamen ten Waldstandorten von Bedeutung (WITTICKE 2007). auf "Tiegel" weisen möglicherweise auf die historische Pechgewinnung hin: z.B. Burkhartstiegel, Gränentie- Zur Aufrechterhaltung der Ordnung unter den Zeidlern gelsberg, Görbitztiegel, Rußtiegel. konnte ein Bienenwart bestellt werden, daher der Name Bienert. Der Familienname Beutemüller leitet sich da- Die in den Wäldern um Schwarzburg von R. MÜLLER gegen von dem Wort Beute ab, den in den Stamm ge- (1980, S.19) beschriebenen sieben „Griebensteine“ meißelten Löchern, die mit frischem Wachs und Bie- haben dagegen mit der Pechgewinnung nichts zu tun. nenkraut (z.B. Melisse) ausgestrichen und zuletzt mit Es handelt sich vielmehr um große, quadratische Bunt- einem Brett samt Flugloch zugenagelt wurden (LAUDERT sandsteintröge, die im „Fürstlichen Tiergarten“, dem 2001). über mehrere Jahrhunderte betriebenen Jagdgatter im unteren Schwarzatal, als „Sulzen“ eingesetzt waren. Im späten 18. Jahrhundert, als mit der Einführung der In die schüsselförmige Vertiefung wurde ein Salz-Lehm- ertragsorientierten Forstwirtschaft die Holzproduktion Gemisch eingebracht, um die Vitalität des Hochwildes des Waldes in den Vordergrund rückte, setzte sich im- zu fördern (Salzlecktröge). Die entsprechenden Jagd- mer mehr die Auffassung durch, die Waldbienenzucht akten belegen die regelmäßige Salzversorgung im Tier- verschwende zuviel kostbares Holz, so dass sie all- garten (WITTICKE 2007). mählich von der Imkerei abgelöst wurde, bei der die Zeidler vom Sturm gefällte Bienenbäume, welche die Beute enthielten, in der Nähe ihrer Höfe aufstellten 3.7.3.10 Zeidelweide (Waldbienenzucht) (LAUDERT 2001). Die Waldbienenzucht hatte zwar keinen strukturellen Einfluss auf den Wald; sie soll wegen ihrer besonderen 3.7.3.11 Zapfenpflücker („Kustelsteiger“) kulturgeschichtlichen Bedeutung in vorindustrieller Zeit hier aber dennoch kurz vorgestellt werden. Bis Ende Um die Mitte des 18. Jahrhunderts waren die Menschen des 17. Jahrhunderts, als mit den Handelsseglern der im Thüringer Wald als Folge der Holzknappheit in große erste Rohrzucker aus Übersee nach Europa kam, war wirtschaftliche Not geraten. Da viele Bergwerke, Hütten Honig der einzig erschwingliche Süßstoff. Auch das und Hämmer aus Holzmangel ihren Betrieb einstellten,

112 Historische Waldnutzungen mussten neue Erwerbsmöglichkeiten gefunden werden. Zu den auffälligsten Strukturen gehören die so genann- Dazu gehörten in jener Zeit das Sammeln und der Han- ten „Jagdsterne“, radialsymmetrische Anordnungen del mit Baumsamen, die zur Aufforstung der devastierten von Schneisen, die in einem zentralen Platz sternartig Wälder und zur Schließung der Lichtungen und Blößen zusammenlaufen und dabei den Wald in Sektoren re- in wachsenden Mengen benötigt wurden und dement- gelmäßig aufgliedern. Jagdsterne können aus 8, 10 sprechend hohe Preise erzielten. oder sogar 12 einzelnen Wegestrahlen bestehen. In idealer Weise waren sie an die beiden Hauptjagdformen Im Winter, oft bei Eis und Schnee, stiegen Pflücker - des absolutistischen Zeitalters angepasst: an die aus im Thüringer Wald/Schiefergebirge nannte man die Frankreich stammende „Parforce-Jagd“ und das sog. Zapfenpflücker auch Kustelsteiger (Kustel = Fichten- „eingestellte Jagen“ („deutsches Jagen“). zapfen) - auf die Waldbäume, um die noch vor der Ausreifung stehenden Zapfen von Kiefer und Fichte Die "Parforcejagd" (franz. „par force“ = „mit Gewalt“) abzuernten (BUSSE 1996). Die bei der Reife im Sep- war eine Hetzjagd ohne Schusswaffen, bei der ein zu- tember/Oktober zerfallenden Weißtannenzapfen konn- vor bestimmter Hirsch oder kapitaler Keiler von einer ten dagegen nur im Herbst - wenn überhaupt - an we- kläffenden Hundemeute erbarmungslos bis zur Ermat- nigen Tagen geerntet werden. Anschließend wurden tung getrieben und dann nur vom Fürsten selbst mit die grünen, noch harten, feuchten und geschlossenen der blanken Waffe, dem Hirschfänger, erlegt werden Samenträger in „Klenganstalten“ verbracht, wo sie auf durfte. Die adelige Gesellschaft sah entweder zu oder Trockengestellen, den sog. Darren (von "dörren"), bei ritt auf schnellen Pferden mit der Jägerei hinter dem einer Temperatur von 30-50°C trockneten und ausreiften. flüchtenden Wild her. Die Sternanlage mit ihrem zen- Dabei öffneten sich die Zapfen, so dass sich die Samen tralen Platz, ihren Schneisen und Alleen eignete sich durch rasche Umdrehungen in einer großen Trommel vorzüglich der „Commodität derer grossen Herren und rasch heraus lösen ließen. Beim Aufspringen der Zap- Damen, welche fahrend der Jagd-Lust beywohnen“. fenschuppen entstand ein klingender Ton, daher wohl Sie brauchten fortan nicht mehr „durch Dicke und Dünne der Name "Klenge" (Aktenbelege aus dem StA Gotha, gleich denen Jägern zu jagen“, sondern konnten auf s. K 2005). OCH dem Pferd oder im bequemen Jagdwagen über die Radialschneisen und Querwege schnell und gefahrlos Im Schwarzburger Gebiet wurden die ersten Klengen an die Plätze des Geschehens gelangen (DÖBEL, H. um 1760-1780 auf Forstgehöften eingerichtet: in Pau- W. 1754, S.87, 88; zit. n. WIMMER 1985, S. 21). Als „Re- linzella, Quittelsdorf, Singen, Österöda, Sitzendorf, lais“ für den Hunde- und Pferdewechsel funktionierten Katzhütte, Scheibe, Leutenberg und Bucha. Das Sa- u.a. die Sternplätze. menzentrum der Gothaer Herrschaft befand sich in Tabarz und Umgebung. Neben Klenganstalten gab es Die Parforce-Jagd blieb ein Privileg der allervornehmsten dort auch Forstsamenhandlungen, deren Absatzgebiet herrschaftlichen Kreise und war gleichsam ein Symbol bis Dänemark, Norwegen und Schweden reichte (BUSSE der fürstlichen Jagdleidenschaft. Nicht umsonst gab 1996, S.127). es zu jener Zeit in Deutschland insgesamt nur 10 Par- force-Jagd-Equipagen, eine davon die am Sachsen- Weimarischen Hof, wo Herzog Ernst August 1748 ins- 3.7.3.12 Jagd gesamt 1100 Jagdhunde und die stattliche Zahl von Bis ins 16. Jahrhundert hatte die Jagd keine wesentliche 373 Reitpferden für die Parforce-Jagd unterhielt. negative Einwirkung auf den Wald, da dieser lediglich als "Schweifgebiet" für die Einzeljagd genutzt wurde, Das „teutsche oder eingestellte Jagen“ bildete an den bei der Einzelpersonen oder kleine Gruppen zu Fuß deutschen Fürstenhöfen im 17. und 18. Jahrhundert oder zu Pferd mit Armbrust, Speer, Spieß, Netzen und die zweite klassische Jagdmethode. Sie fand vorwie- Hunden dem Wild nachstellten. gend zur Feistzeit der Hirsche in den Monaten August und September statt. Dabei wurde nach einem genauen Im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich die Einzel- Plan zunächst Jagen um Jagen mit Netzen oder Stoff- jagd zur feudalen Gesellschafts- und Hofjagd. Erst jetzt bahnen umstellt und dann eine möglichst große Menge hinterließ die Jagdleidenschaft der absolutistischen Wild über Wochen von Treibern mit Hunden in einen Herrscher im Wald ihre deutlichen Spuren (MANTEL immer enger gezogenen Sektor zusammengedrückt, 1990). Adelige und Fürsten ließen ganze Wälder als bis das Wild so weit verdichtet war, dass es in der End- Bannwälder ausschreiben, in denen nur sie zur Jagd phase in den eigentlichen Hetzgarten, den so genannten berechtigt waren, und zur Erleichterung bestimmter „Lauf“, freigegeben werden konnte. In der Mitte dieses Jagdformen durchzogen sie die Wälder mit Schneisen Laufes, der allseits von Rolltuchwänden abgeriegelt und Alleen und teilten sie in voneinander abtrennbare war, stand meist ein „Jagdschirm“ als Deckung für die Abschnitte auf („Jagen“). hohen Herrschaften, häufig auch eine Jagdhütte und

113 Historische Waldnutzungen

manchmal auch ein Jagdhaus wie in Troistedt. Das bewahrt wurden, die inmitten der bevorzugten Jagdre- Ganze wurde idealerweise im Zentrum eines großen viere standen, wie in Troistedt, Magdala, Marksuhl, Sternplatzes positioniert. Die eigentliche Jagd bestand Waltershausen, Paulinzella, (Bad) Berka, Hummelshain dann darin, das zusammen getriebene Wild in geord- (STAPF 1992, WITTICKE 2005, S.250). neten Gruppen in den Lauf zu treiben, wo es von der Jagdgesellschaft aus der Deckung heraus im Vorbei- Zu solchen Jagden gibt es in den Archiven vielfach laufen „über den Haufen“ geschossen wurde. Aktenbelege und auch Bilder, Planungsskizzen u.a. Das „Hohe Zeug“, lange, kunstvoll zu verknüpfende Die Winkeleinteilung der Jagdsterne erlaubte das Trei- Leinenbahnen von 3 bis 4 Ellen Höhe (etwa 1,70 m bis ben genauer der herrschenden Windrichtung anzupas- 2,30 m hoch), aus den Zeughäusern angefahren in sen, als es eine rechtwinklige Einteilung zuließ. Überdies speziellen Zeugwagen ist nicht zu verwechseln mit den ließen sich die Alleen pflügen und in der frischen Erde „Jagdlappen“. Jagdlappen waren meist signierte Lei- auch die Wildfährten genau beobachten (DÖBEL, H. W., nentücher von etwa 1 Elle Breite und 1 1/2 Ellen Länge, 1754, zit. in WIMMER 1985, S. 21). die an aufgehängten Hanfseilen flatterten, um das vorgetriebene Wild in den Treiberpausen am Ausbre- Für den Jagdherrn und seine ausgewählten Gäste war chen („durch die Lappen gehen“) zu hindern, bevor das eingestellte Jagen ein nahezu ungefährlicher Zeit- überhaupt das „Hohe Zeug“ in der Endphase einer vertreib, den sich aber nur die großen Fürstenhäuser solchen Treibjagd, die manchmal weit mehr als eine leisten konnten. Alle ernestinischen Staaten und beide Woche dauerte, aufgestellt werden konnte. Im Jagd- Schwarzburger Fürstentümer haben die Methode des schloss Paulinzella befinden sich dazu anschauliche eingestellten Jagens betrieben wie nicht zuletzt die Modelle (WITTICKE 2007). Standorte der Zeughäuser belegen. Von den teuren Pferden und Hunden abgesehen hatten besonders die In den thüringischen Wäldern sind mehrere Jagdsterne Leinenbahnen einen so enormen finanziellen Wert, erhalten bzw. in historischen Quellen überliefert. Der dass sie in eigens dafür errichteten Zeughäusern auf- bekannteste und vielleicht augenfälligste durchzog den

Abb. 3.7-11: Jagdstern auf dem Ettersberg bei Weimar. Preußisches Urmesstischblatt, Feldoriginal, Bl. 2869 Neumark von 1853. Farbiger Nachdruck des Thüringer Landesamtes für Vermessung und Geoinformation.

114 Historische Waldnutzungen

Abb. 3.7-12: Das Webicht, ein beliebtes Jagdgebiet der Weimarer Herzöge, war seit 1651 über eine die Ilm überspannende Brücke sowie durch eine vierfache Lindenallee mit dem Residenzschloss verbunden. Das Bild zeigt die „Eingestellte Jagd“ vom 2. Dezember 1708 (Johann Christian Meitzner) (aus LAß 2006). bewaldeten Nordhang des Ettersberges unweit des Mauern umgebenen Hegegatter für Rot- und Damwild, Jagdschlosses Ettersburg (Abb. 3.7-11). 1700 ließ ihn wie die der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt rund Herzog Wilhelm Ernst mit 10 Schneisen anlegen, Her- um das Jagdschloss Schwarzburg und am Wurzelberg zog Ernst August I. von Sachsen-Weimar-Eisenach oberhalb von Katzhütte (WITTICKE 2005, S.250, 251). 1724 in seiner Mitte sogar ein viergeschossiges Jagd- schloss errichten, den sog. „Brunfthof“ (heute nicht Nahezu ohne Vergleich ist die Pirschanlage Rieseneck mehr vorhanden) (LAß 2006, S.45). Die Schneise zum östlich von Kahla. 1712-27 war das Rieseneck von den Ettersberg-Kamm verwandelte Fürst Hermann v. Pück- Sachsen-Altenburger Herzögen inmitten der herrschaft- ler-Muskau 1845 in eine viel bewunderte Parkkulisse, lichen Waldungen ihres Jagdschlosses Hummelshain den heute so genannten „Pücklerschlag“. auf einem nach drei Seiten steil abfallenden Bergrücken oberhalb des Saaletales errichtet worden. Neben dem Ettersberg gab es noch weitere Jagdsterne im Herzogtum Sachsen-Weimar, in deren Mittelpunkten aber nicht immer Schlösser standen. Zu diesen gehören das Webicht bei Weimar, ein Stern von zehn Achsen, der den Herzögen nachweislich zur Parforcejagd diente (LAß 2006, S.45), die Forsten von Isserstedt und Voll- radisroda sowie der Bereich des ehemaligen Schwan- sees nordöstlich von Stotternheim. Dort ist heute noch ein „Halbstern“ erkennbar. Die Großherzöge zu Sach- sen-Weimar-Eisenach ließen das einstige Sumpfgebiet durch ein radiales Grabennetz entwässern und von 1797 bis 1820 mit Eschen und Ulmen bepflanzen, um es als Jagdrevier nutzen zu können.

Neben den großen Radialanlagen gab es in den Jagd- (a) (b) gebieten bauliche Einrichtungen verschiedenster Art Abb. 3.7-13: wie Tiergärten, Fasanerien, Vogelherde, Wolfsgruben, Jagdanlage Rieseneck. Herzogstuhl (a) und Gang zum Jagd- Bärenfänge etc. Tiergärten hießen die mit Zäunen und schirm (b) (Foto: C. Glink 2004).

115 Historische Waldnutzungen

Heute noch gehört die vielgliedrige Anlage mit Gehege, Nachfolgend findet sich eine Liste mit auf die Jagd be- Hetzgarten, Alleen und einem umfangreichen System zogenen Forst- und Flurnamen des Thüringer Waldes von unterirdischen Pirschgängen, Schießtürmchen, im Bereich des Herzogtums Gotha. Futterplätzen, Jagdschirmen und Reitwegen zu den größten und besterhaltenen jagdhistorischen Zeugnis- sen in Deutschland.

Tab. 3.7-7: Flur- oder Forstname Standort Urkundl. Erw. Forst- und Jägers Rasen Flur Tüngeda Flurnamen im Bei der Jagdstange Flur Laucha, an der Fröttstädter Flurgrenze Thüringer Wald Am Jägerstieg Flur Burgtonna bzgl. Jagd Der Kleine/Große Jagdberg Rennsteig/Nordseite, zw. Laucha und Badewasser 1378, 1505 (GERBING 1910). Jägerstein Rennsteig/Nordseite, zw. Leina und Apfelstädt Abschießplatz Rennsteig/Nordseite, zw. Meinboldesstraße u. Ohra 1612 Jägerhaus Rennsteig/Südseite, zw. Hasel und Lichtenau Schützenberg Rennsteig/Südseite, zw. Hasel und Lichtenau 1587 Jägerstein Rennsteig/Südseite, zw. d. Weinstraße u.d. Schweina

3.7.3.13 Trift und Flößerei dämmen aus Holz oder Stein, verbessert wurde (vgl. Ortsname Schwallungen bei Meiningen). Auch wurden In manchen Höhenlagen des Thüringer Waldes und die Gewässer streckenweise ausgebaut oder kanalisiert, des Hohen Schiefergebirges würden sich heute noch um die Arbeit der Floßknechte bei der Trift zu erleichtern. ausgedehnte Naturwälder erstrecken, hätte nicht in diesen Waldgebieten ein intensiver Holzeinschlag für Auf größeren Flüssen wie Werra oder Saale betrieb die Flößerei stattgefunden. In den Zeiten des großen man Langholzflößerei. Hierbei wurden die Stämme Holzmangels (17. und 18. Jh.) war Holz aus den Thü- partienweise zu "Gestören" oder „Gelenken“ (Begriff in ringer Gebirgen ein begehrtes Exportgut, das über Thüringen) und diese dann zu Flößen zusammengefügt. Werra und Weser selbst bis nach Norddeutschland Für die turbulenten Strecken der Oberläufe wurden die (Bremen) geflößt wurde. Flöße kurz und beweglich gebaut, diejenigen für die Unterläufe eher lang gestreckt (M 1990). Die einfachste Art des Holztransportes war die auf Bä- ANTEL chen und kleinen Flüssen betriebene Wildflößerei (Trift), Seit wann die Thüringer Wälder durch die Flößholzge- bei der zersägte Holzscheite geringer Länge frei mit winnung nennenswert beeinträchtigt wurden, ist nicht der Strömung verfrachtet wurden („Scheitholzflöße- mit einem Stichtag fest zu machen. Urkundlich wird die rei“). Hierzu bedurfte es keines großen technischen Flößerei in Deutschland erstmals im 13. Jahrhundert Aufwandes; doch setzte der Triftbetrieb eine ausrei- erwähnt (H U. SCHWARTZ 2002). Auf der Werra chende Wasserführung voraus, die durch die Anlage ASEL könnte sie durchaus früher betrieben worden sein, da von Flößteichen und sog. „Schwallungen“, Schleusen- sich in ihrem Einzugsgebiet sehr alte Siedlungsräume befinden (DAHLEMS 1999). Die Orte Themar und Werns- hausen hatten sich jedenfalls schon im Mittelalter zu Hauptstapel- und Umschlagplätzen der Werra-Flößerei etabliert.

Spätestens seit Mitte des 17. Jahrhunderts scheinen die Einschläge für die Werraflößerei im Gefolge der allgemeinen Holzknappheit großflächige Ausmaße an- genommen zu haben. Zusätzliche Auslöser waren die katastrophalen Stadtbrände von London (1668) und Hamburg (1842), die den Holzbedarf kurzzeitig auf Spitzenwerte trieben. Hinzu kam die beginnende Indus-

Abb. 3.7-14: trialisierung mit ihrer enormen Nachfrage nach Bau-, Flößerei auf der Werra bei Creuzburg. Im Hintergrund Libori- Gruben- und Schwellenholz. Welchen Umfang die Holz- uskapelle und Brücke. Lithographie aus dem 19. Jahrhundert lieferungen annahmen, zeigt sich daran, dass zwischen (aus: SCHMIDT 1995). 1855 und 1870 allein von den 150 Wernshäuser Flößern

116 Historische Waldnutzungen jährlich ca. 1000 Flöße die Werra und Weser abwärts Mit der Abkehr von der Fachwerkbauweise und der gebracht wurden (Akte 12302 des Rb. EF, StA Gotha; zunehmenden Verwendung importierten Bauholzes zit. in K. KOCH 2005). Grob gerechnet dürfte das dabei ließen dann die Einschläge für die Langholzflößerei im Kahlschlag gewonnene Holzvolumen (bis zu 20 000 merklich nach, so dass nur noch selten Flöße bis Halle Festmeter) einer Fläche von mehr als 50 ha dichtem oder Könnern und noch seltener bis Magdeburg oder Hochwald entsprochen haben. Hamburg gingen. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete die Eisenbahn, mit der fortan neben Langholz auch Die Ausbeutung der waldreichen Hochflächen des Thü- hochwertige Kohle aus Schlesien und dem Ruhrgebiet ringer Schiefergebirges beiderseits der Oberen Saale bezogen werden konnte (Eröffnung der Saalebahn durch die Flößholzgewinnung liegt historisch vermutlich 1874). Als dann auch noch die Bleiloch- und die Ho- nicht ganz so weit zurück wie die des Thüringer Waldes henwartetalsperre am Oberlauf der Saale in Betrieb über die Werra. Sie begann wohl mit der hochmittelal- genommen wurden (1932 bzw. 1941), war das Ende terlichen Rodungskolonisation im 12. und 13. Jahrhun- der Saaleflößerei besiegelt (LANGE 1992, S.17). dert. Aus dieser Zeit stammt der älteste urkundliche Nachweis über Langholzflößerei auf der Saale (1258). Neben der Flößerei auf der Werra und der Saale gab Obwohl darin noch keine näheren Angaben über die es in Thüringen auch auf der Schwarza (1267 beurkun- genauen Flößstrecken und die transportierten Holz- det), der Gera, der Apfelstädt, der Ilm, der Elster und mengen gemacht werden, darf man aber annehmen, auf den südthüringischen Flüssen Steinach, Rodach dass die Floßstrecke in jener Zeit wenigstens von Zie- und Haßlach zeitweilig Trift und Flößerei. genrück bis Halle gereicht hat. Urkundlich ist auch be- legt, dass im 16. Jahrhundert die ausgedehnten Wälder Über die Gera bekam Erfurt Brenn- und Bauholz aus des Buntsandsteinhügellandes der Saalfeld-Rudol- dem Thüringer Wald zugeführt (Akte 7730 des Rb. EF, städter Heide über den alten Flößerort Uhlstädt viel StA Gotha; zit. in K. KOCH 2005). Östlich von Oberhof Flößholz geliefert haben (LANGE 1992, S.4/5). wurde dazu in den 90er Jahren des 17. Jahrhunderts (JAEGER 1965) ein künstlicher Triftgraben gebaut, der Mit dem gestiegenen Brennholzbedarf der Schmelzhüt- auf einer Länge von 23 km das Kehltal mit dem Ohratal ten an der Oberen Saale (Eisen-, Saiger- und Alaun- verband. hütten) trat seit dem 16. Jahrhundert die Scheitholztrift verstärkt neben die Langholzflößerei. Scheitholz wurde Gotha bezog Scheitholz über die Apfelstädt aus dem der Saale vor allem aus den Wäldern im Einzugsgebiet Thüringer Wald (16. bis 18. Jahrhundert). Um den der Sormitz und der Loquitz zugeleitet. Schon 1572 wachsenden Holz- und Wasserbedarf der Residenzstadt wurde die Scheitholzflößerei bis nach Jena ausgedehnt, zu decken, wurde auf Veranlassung des Herzogs Ernst später bis zu den Salinen in Halle, Teuditz und Poserna I. dazu eigens ein Flößgraben gebaut (1648 bis 1653), (1577), Kösen (seit 1731) und Dürrenberg (seit 1763). Um die Scheitholztrift zu erleichtern, mussten an vielen der bei Georgenthal aus der Apfelstädt abzweigt und Nebenbächen wassertechnische Eingriffe vorgenom- dann weiter zum Leina-Kanal bei Emleben führt. Auch men werden, d.h. es wurden Steinräumungen durch- mehrere Flößteiche an den Quellflüssen im Thüringer geführt, windungsreiche Fließstrecken begradigt, Floß- Wald weisen noch auf die Jahrhunderte alte Tradition gräben gebaut, Engpässe und andere Hindernisse be- hin (HÄHNLEIN, KRAMER U. KIRSTEN 2000, S.35). seitigt und Floßteiche zur Wasserspeicherung angelegt. An den baumfrei zu haltenden Ufern wurden Laufwege Auf der Ilm wurde die Flößerei erstmals 1300 im Stif- für die Floßknechte geschaffen, um von dort mit langen tungsbrief für das neu errichtete Nonnenkloster in Floßhaken Holzstaus und -verkeilungen auflösen zu (Stadt-)Ilm bezeugt. Ende des 17. Jahrhunderts wurde können. Auch waren an den Herkunfts- und Zielorten einer der drei Berggräben, die den Kunstanlagen der Stapelplätze für große Scheitholzmengen einzurichten. Bergwerke in Ilmenau Wasser aus der Ilm zuleiteten, als Floßgraben genutzt, um Hölzer aus den "Hinterber- Im 19. Jahrhundert rückte die Langholzflößerei wieder gen" dem Werk zuzuführen (JAEGER 1970, S.274). stärker in den Vordergrund. Eichicht und Uhlstädt, ge- folgt von Kaulsdorf, Löbschütz, Ölknitz und Saalfeld, Die Weiße Elster spielte seit dem 17. Jahrhundert für waren in jener Zeit Zentren des Floßholzaufkommens die Brennholzversorgung des Leipziger Raumes eine an der Mittleren Saale; an der Oberen Saale lag Remp- große Rolle. Nachdem die Triebes zwischen 1622 und tendorf an der Spitze. Seinen Höchststand erreichte 1631 durch die Erhöhung des Pöllwitzer Teichdammes der Floßverkehr zwischen 1850 und 1880 infolge der flößbar gemacht und 1666 auch die Leuba für die Flö- Nachfrage nach Bauholz in den boomenden Gründer- ßerei hergerichtet worden war, stieg die auf beiden zeitstädten. Teilweise wurden Saaleflöße auch die Un- Flüssen der Weißen Elster zugeleitete Holzmenge er- strut aufwärts getreidelt, um die waldarme Landschaft heblich an. Schon 1574 war die Elster über einen 93 mit Bauholz zu versorgen. km langen Flößgraben zwischen Crossen an der Elster

117 Historische Waldnutzungen

und Podebuls mit der Saale verbunden worden. Seit Steinach geflößt (REGEL 1896). Ein künstlicher Flößgra- 1579 erhielt Leipzig und seit 1582 Merseburg das ben zwischen Steinach und dem Rödental versorgte Brennholz über diesen Elsterfloßgraben (LANGE 1992, die Residenzstadt Coburg mit Brennholz aus dem Thü- S.6). ringer Wald (seit 1578).

Südlich des Thüringer Waldes im Einzugsgebiet des Mains wurde auf der Rodach, der Haßlach und der

Tab. 3.7-8: Flur- oder Ortsname Standort Urkundl. Erw. Flur- und Forstnamen im Floßplatz Gera bei Ichtershausen, nahe Eischleber Grenze Thüringer Wald bzgl. Floßplatz Flur Molsdorf, südl. d. Dorfes an der Gera Flößerei (GERBING 1910). Flößgraben Flur Frankenhain Flößwiese Flur Wölfis Flößteich Rennsteig/Nordseite, zw. Meiboldesstr. u. Ohra Der alte Flößgraben Rennsteig/Nordseite, zw. Ohra und Gera 1702-1719 Floßberg Rennsteig/Nordseite, zw. Ilm und Schorte 1534 Floßgraben Rennsteig/Südseite, zw. Hasel u. Lichtenau Floßberg Rennsteig/Südseite, zw. Schweina u. Druse

3.7.4 Historische Waldnutzungsformen in Thüringen schen Ohra und Gera weist heute noch auf die plün- 3.7.4.1 Hochwälder dernde Bewirtschaftungsform hin (GERBING 1910).

Auch wenn sie als Ausdrucksform der modernen Forst- Als sich die wirtschaftlichen Schäden durch die Plente- wirtschaft gelten, so sind Hochwälder doch in bestimm- rung immer deutlicher abzeichneten, ging man zur ten Gebieten Thüringens wie den nadelwaldbestimmten schlagweisen (flächenweisen) Nutzung im "John" oder Hochlagen des Thüringer Waldes und des Schieferge- "Jahn" über. Hierunter sind streifenweise Holzboden- birges seit jeher die dominierende oder sogar die einzige flächen zu verstehen, die auf eine bestimmte Zeit für Nutzungsform gewesen. Bis Ende des 16. Jahrhunderts jeweils bestimmte Gewerbe zur Nutzung freigegeben war dort eine unregelmäßige, einzelstammweise Plen- wurden. Waren sie ausgehauen, so wurden sie für terwirtschaft üblich. Sie besagt: Jeder holte sich, was einige Jahre "geschlossen", um danach für ein anderes er benötigte und wo er das Holz am bequemsten schla- Gewerbe, das weniger wertvolle Stämme benötigte, gen und transportieren konnte, so dass der Wald auf wieder "geöffnet" zu werden. Wenn alles nutzbare Holz das wertvolle Holz hin regelrecht ausgeplündert wurde geerntet war, mussten die Flächen zum Schutz vor ohne die Verjüngung zu sichern (plentern von "plündern" Wildverbiss eingehegt werden. Die Wiederverjüngung = ungeregelt nutzen; H 1994). Der Forstname OFFMANN erfolgte dann aus stehen gebliebenen "Scherbäumen" "Plänterhieb" auf der Nordseite des Rennsteiges zwi- (Samenüberhälter). Der Begriff leitet sich von "ausscheren“ (= aussondern) ab. Mit der Zeit entwickelte sich so erneut ein Hochwald, in dem ein ziemlich gleichaltriger Bestand wuchs (JAEGER 1965).

3.7.4.2 Niederwälder

Bei der Niederwaldwirtschaft wurden die Gehölze in kurzen, regelmäßigen Umtriebszeiten (bis 40 Jahre) meist dicht am Boden abgeschlagen, d.h. "auf den Stock gesetzt". Die Stümpfe trieben dann an den ver- bliebenen vegetativen Gehölzteilen wieder aus und stellten so die Regeneration sicher. Niederwälder be- standen deshalb nur aus einer niederen Gehölzschicht. Aufgrund der kurzen Umtriebszeit bildeten sich lediglich Abb. 3.7-15: gebüschartige oder vorwaldartige Strukturen, die mit- Hochwald im schematischen Aufriss. unter fast undurchdringlich dicht sein konnten.

118 Historische Waldnutzungen

Die Fähigkeit aus Stöcken oder Wurzeln Ausschläge zu bilden, besitzen in den heimischen Wäldern vor- nehmlich die Laubhölzer sowie Eibe und Wacholder. Für die Bewirtschaftung in Niederwaldform besonders geeignet waren solche mit einem hohen Regenerati- onsvermögen, die auch sehr gutes Brenn- und Nutzholz abgaben. Dazu gehörten Arten wie Hasel, Linde, Ahorn, Eiche, Esche, Aspe, Schwarzpappel, Ulme und Weide und die erst während der Eisenzeit eingewanderte Hainbuche. Das Abtreiben des Waldes erfolgte parzel- lenweise, indem man den Wald in eine der Umtriebszeit entsprechende Zahl von Schlägen einteilte, von denen jährlich ein Schlag genutzt wurde. Mitunter ließ man gut geformte stärkere Stockausschläge zu Überhältern Abb. 3.7-16: heranwachsen (sog. "Laßreitel", abgeleitet von stehen Niederwald bei Bad Blankenburg (Foto: H.-H. Meyer 2005). gelassenen Reisern). Sie lieferten Samen und Bauholz.

Das hier beschriebene sehr einfache Verfahren der In den von Fichten und Tannen bestimmten Höhenlagen Niederwaldnutzung galt nur für kleinere Waldungen. des Schiefergebirges und des Thüringer Waldes fehlten Größere Waldkomplexe (z.B. Hainleite, Kyffhäuser) Niederwälder ganz. wiesen ein kompliziertes, dem Gelände angepasstes System von Hiebsfolgen auf, um die Flächen der jähr- Gemeinschaftlich genutzte Allmendewälder und private lichen Kahlhiebe in den Niederwäldern nicht zu groß Bauernwälder wurden am häufigsten als Niederwälder zu gestalten (WITTICKE 2007). bewirtschaftet. In Sachsen-Weimar-Eisenach und in den beiden Schwarzburgischen Fürstentümern war die Das beim Stockhieb anfallende Schwachholz war in Wirtschaftsform aber auch in den herrschaftlichen Wal- den holzarmen Gebieten oft das einzige Heizmaterial. dungen verbreitet, wie umfangreiches Quellenmaterial Die schlanken und biegsamen Ruten von Hasel, Hain- belegt: Nicht umsonst war das Wirken der klassischen buche, Erle und Weide eigneten sich bevorzugt zur Forstwirtschaft gerade auf die Ablösung von Niederwäl- Herstellung von Körben, Zäunen und Flechtwerk im dern in den „Staatswäldern“ gerichtet (s. z.B. GOTTLOB Haus (WILLERDING 1996, S.28). Die Hasel war ein be- KÖNIG; WITTICKE 2007). sonders begehrtes Gehölz, da sie Nutzholz und gleich- zeitig Nüsse als Nahrung lieferte. In Weinbaugebieten Dass bevorzugt bäuerlich genutzte Wälder niederwald- wurden mit dem Bast der Linde die Reben an die artige Strukturen hatten, hängt auch mit der natürlichen Weinstöcke gebunden. Laubholzbestockung in den Altsiedelgebieten (Lössbe- cken und Täler) zusammen. Die Herrschaftswälder Verbreitung in Thüringen standen häufig im „Hohen Walde“ oder im „Oberland“ Niederwaldwirtschaft ließ sich am besten dort betreiben, und wiesen Nadelholzanteile auf, die immer Hochwald- wo es von Natur aus ausschlagkräftige Laubgehölze bewirtschaftung erzwangen. Außerdem war die Nieder- gab: In den tiefen und mittleren Lagen der Eichen- waldbewirtschaft mit den regelmäßigen Kahlhieben für Hainbuchen-wälder zwischen 300 und 450 m gab es die Brennholzgewinnung rationell, übersichtlich und sie verbreitet; aus wirtschaftlichen Gründen eigneten gefahrenarm. Die dünnen Knüppel waren mit der Axt sich aber nicht alle Standorte dazu gleichermaßen gut. auch durch Witwen, Kinder und alte Dorfbewohner schlagbar und, in Kurzstücke geteilt, auch transportier- Auf den qualitativ höherwertigen Böden, die naturgemäß bar. Starkholzschläge - der Baum wurde bis zum Ende der landwirtschaftlichen Intensivnutzung vorbehalten des 18. Jahrhunderts „biberartig“ mit der Axt in Brusthöhe blieben, fanden sich Niederwälder eher selten. Auch gefällt - ergaben wegen des unkontrollierbaren Umstür- auf trockenwarmen, flachgründigen und hängigen zens, trotz der Erfahrung der vereidigten Holzfäller, Standorten blieben ihnen in Konkurrenz zum Wein- häufig schlimme Unfälle. Außerdem erforderte danach und Streuobstbau meist nur die dorfferneren Lagen. die Aufarbeitung von Brennholzscheiten erheblich Kraft Ideale Bedingungen boten die dauerfeuchten, zeitweilig und Zeit (WITTICKE 2007). überschwemmten Flussauen, wo es im Einwirkungs- bereich von Eisgang und Treibgut bereits vom Habitus Heute kommen niederwaldartige Formen in Thüringen her ähnliche Buschwälder gab. Dort verdrängten Nie- nur noch inselhaft, meist auf schwer zugänglichen oder derwälder zusammen mit Kopfbäumen und Wiesen waldbaulich schwierigen Standorten vor (Steillagen, vielerorts die naturnahen Erlenbruch- und Auwälder. tonige Böden, staunasse Lagen; s. Karte 8). Fast aus-

119 Historische Waldnutzungen

nahmslos handelt es sich um nicht mehr genutzte Be- stände, die allmählich durchwachsen.

Im Obereichsfeld findet man sie stellenweise noch am Rande des Werratals (westlich Heiligenstadt) auf Bunt- sandsteinhängen. Im Südharzer Zechsteinhügelland gibt es sie bei Ellrich. Am Alten Stolberg und am Kyff- häuser stocken sie auf paläozoischen Konglomeraten, Sandsteinen und Zechsteingips. An der Wind- und Hainleite bei Sondershausen, der Schmücke und Hohen Schrecke östlich Heldrungen besetzen sie Böden auf Buntsandstein und Muschelkalk. In Südwestthüringen Abb. 3.7-17: sind im Buntsandsteinhügelland bei Wasungen (Werra) Mittelwald im schematischen Aufriss. noch vereinzelte Vorkommen erhalten, ebensolche auf gleichem geologischen Untergrund südlich von Schalkau Ahorn (Berg- und Feld-Ahorn), Esche, Eiche, Hainbuche bei Sonneberg. In Mittelthüringen gibt es Restbestände und Elsbeere. In den Buntsandsteinhügelländern do- auf der Ilm-Saale-Platte südlich Arnstadt und am Großen minierte die Eiche. Das genutzte Unterholz wurde von Kalmberg östlich Stadtilm, in beiden Fällen auf Muschel- Hainbuche, Stieleiche, Hasel, Winter- und Sommerlinde kalk. In Ostthüringen erstreckt sich eine größere Kon- und anderen stockausschlagfähigen Arten geprägt. zentration noch erhaltener Niederwaldflächen auf den Schiefer- und Buntsandsteinhängen des Schwarzatals Die Mittelwaldbewirtschaftung war optimal an die Be- zwischen Schwarzburg, Bad Blankenburg und der dürfnisse der ländlichen Selbstversorgung angepasst. Mündung der Schwarza in die Saale (Abb. 3.7-16). Im Das Unterholz diente wie im Niederwald zur Beschaffung Talsystem des Oberen Saaletals haben Restbestände von Brennholz zum Heizen und Kochen, aber auch zur zwischen Saalburg und Ziegenrück, auch ober- und Gewinnung von Werk- und Flechtholz sowie Gerbrinde unterhalb von Kaulsdorf sowie innerhalb des Sormitz- (Gerberlohe, Lohwald). Das Oberholz lieferte Starkholz und des Loquitztales - zumeist auf Schiefergesteinen und bis zur Einführung der Kartoffel das Futter (Eicheln, - überdauert. Recht viele Relikte findet man entlang Bucheckern) für die Schweine, die während des größten der mittleren Saale: bei Kirchhasel unterhalb von Ru- Teils des Jahres im Wald gehalten wurden. Ihre Blütezeit dolstadt am linken Saaletalrand im Buntsandstein sowie erlebte die Mittelwaldwirtschaft im 17. und im 18. Jahr- weiter nördlich auf der Muschelkalkplatte südlich, west- hundert, als auch der Nutzungsdruck auf den Wald lich und nördlich von Jena (Reinstädter Grund, Mün- sein größtes Ausmaß erreichte. Im 19. Jahrhundert chenrodaer Grund, Porstendorf, Tautenburger Wald). verlor sie immer mehr an Bedeutung. Einerseits waren Auch im Bereich des Elstertals sind an Steilhängen viele Wälder durch schonungslose Hiebführung, durch vereinzelte Niederwaldareale erhalten geblieben: am Waldweide und Streunutzung zu Niederwäldern und Nordrand des Wünschendorfer Beckens bei Gera-Lieb- Gebüschland degradiert worden. Zum Rückgang kam schwitz südlich von Berga sowie im Auma- und Weidatal es aber auch durch die gestiegene Nachfrage nach bei Weida. Starkholz, welches am kostengünstigsten und schnell- sten im Hochwald erzeugt werden konnte. So begann die Überführung und Umwandlung der Mittelwälder in 3.7.4.3 Mittelwälder Hochwälder, ein Prozess, der in manchen ehemaligen Mittelwälder standen mit ihrem Stockwerkbau aus Unter- Mittelwäldern noch immer nicht abgeschlossen ist. und Oberholz zwischen den Betriebsarten des Nieder- Heute erfolgt eine Mittelwaldpflege nur noch auf kleinen und des Hochwaldes. Das Unterholz bestand aus Flächen, meist im Rahmen des Naturschutzes (z.B. Stockausschlägen, das Oberholz aus Kernwüchsen NSG Gottesholz bei Arnstadt). (meist Eichen oder Buchen), die zu Mast tragenden Bäumen wurden und gleichzeitig stärkeres Holz für Verbreitung in Thüringen Bauten und Möbel lieferten. Es ist zu vermuten, dass Mittelwälder waren in Thüringen noch zu Beginn des sich diese Wirtschaftsform in den Gebieten ursprüngli- 19. Jahrhunderts weiter verbreitet als Niederwald. In cher Laubholzbestockung aus den aufgelichteten über- erster Linie wurden Gemeindewälder mittelwaldartig nutzten Weidewäldern im Laufe der Zeit von selbst bewirtschaftet. Zahlreiche Forstordnungen hatten ihn entwickelt hat, um die Versorgung mit starkem Nutzholz bis ins 18. Jahrhundert ausdrücklich vorgeschrieben. sicher zu stellen. Buchen-Mittelwälder kamen bevorzugt auf frischen, Auf den Muschelkalkplatten war die Hauptbaumart des anlehmigen Standorten vor: auf den Muschelkalkhöhen Oberholzes die Buche, in der Regel in Mischung mit in der Umrahmung des Thüringer Beckens, im Muschel-

120 Historische Waldnutzungen kalk Südwestthüringens und in der Rhön ebenso wie Suche nach Eicheln und Bucheckern dem Boden Früch- im nordwestlichen Thüringer Wald. Eichen-Mittelwälder te und Keimlinge und zerstörten die Bewurzelung. Mit stockten auf den sauren und armen Böden der Bunt- der Zeit bildete sich das typische Aussehen des Hude- sandsteinhügelländer Nordwest-, Ost- und Südwest- waldes heraus: lichte, mit breitkronigen Einzelbäumen thüringens. Aber auch auf schweren Keuper-Tonböden sowie Baumgruppen bestandene, kräuterreiche Wälder. im Thüringer Becken, auf den tonreichen Rötsockeln Am Ende, meist nach Jahrhunderten, stand die offene der Muschelkalkschichtstufen und auf flachgründigen, Triftweide, in der nur noch ganz bestimmte Strauch- trockenen Kalk- und Gipsrendzinen (Muschelkalk, Zech- und Krautarten dem Weidedruck standhielten (s. Pkt. stein) dominierte die Eiche (JAEGER 1965, S.127). 3.7.3.1).

Heute sieht man nur noch wenigen Waldbeständen die Eichenmischwälder, deren Baumschichten aus Eichen einstige Mittelwaldnutzung an. In Nordthüringen finden und anderen Lichthölzern bestanden, boten für die sich kleinere Areale im Eichsfelder Buntsandsteingebiet Waldweide die besten Voraussetzungen. Sie waren bei Heiligenstadt, auf der Südseite des Kyffhäusers unterholzreicher und lieferten dem gras- und blattfres- (auf Zechsteingips) sowie an den Hängen der Hainleite senden Vieh von vornherein mehr Futter als die dunklen bei Sondershausen (auf Muschelkalk). Im mittleren Hallenwälder der Buche. Deren Blätterdach war selbst Thüringen gibt es Restareale am Rande des Hainich für Ziegen in unerreichbarer Höhe, und die Strauch- bei Bad Langensalza und auf den Muschelkalkhöhen und die Krautschicht boten kaum Futter, da die Früh- bei Erfurt und Weimar (z.B. Fahnersche Höhe, Steiger- lingsgeophyten, die meisten Farne und viele andere wald, Ettersberg). In Ostthüringen gibt es sie westlich typische Waldkräuter für Haustiere giftig oder ungenieß- der Saale: auf der Muschelkalkfläche im Jenaer Forst, bar sind (ELLENBERG 1996, S.43ff). weiter südlich auf der Ilm-Saale-Muschelkalkplatte bei Kröbitz und am Schönberg bei Reinstädt. Auf Buntsand- Aufgelichtete Buchenwälder mit Blößen, wie sie im stein stocken mittelwaldähnliche Areale noch an den Laufe der Zeit durch die intensive Holznutzung immer Hängen des Rinnetals unterhalb der Heilsberger Mühle häufiger entstanden, gaben demgegenüber recht gute nordwestlich Rudolstadt. Das südliche Altenburger Weidewälder ab. Das Vieh konnte hier neben den Buch- Lösshügelland und das Ronneburger Ackerhügelland eckern auch von den Knospen und den frischen Zweigen weisen noch viele kleine von historischer Mittelwaldbe- der jungen Bäume zehren. Dadurch entstanden die wirtschaftung geprägte Waldparzellen auf. Gleiches wulstigen Verbissformen, die man an manchen Rotbu- gilt für die Hänge des Aumatales westlich von Weida. chen heute noch erkennen kann. Die flächenmäßig größte Konzentration an Waldarealen mit noch erkennbaren Mittelwaldstrukturen hat in Süd- Dessen ungeachtet boten die von Natur aus lockeren westthüringen im Keuper- und Basalthügelland zwischen Eichen-Wälder für die Mast die ergiebigsten Bestände, Römhild und Heldburg überdauert (z.B. an den Hängen weil sie fast jedes Jahr reichlich Samen ansetzen. Wie des Großen Gleichbergs). andernorts so förderten auch die thüringischen Bauern ihren „heiligen“ Baum nach dem Sinnspruch „Die besten Schinken wachsen in den Eichenkronen“. 3.7.4.4 Hudewälder

Kaum eine andere historische Kulturlandschaft wurde Ihre größte Ausdehnung erreichten die Hudewälder im in der Malerei so klischeehaft überliefert wie die der 18. Jahrhundert. Zunehmende Waldverwüstung und Hudewälder. Unzählige Landschaftsgemälde des 17. Holzknappheit führten in der Folgezeit immer häufiger bis 19. Jahrhunderts haben diese parkartigen Wälder zu Einschränkungen und Verboten der Waldweide. Das mit ihren mächtigen Altbäumen für die Nachwelt über- Ende bereiteten schließlich die Gemeinheitsteilungen steigert festgehalten. Für die Maler der Romantik waren des 19. Jahrhunderts, d.h. die Privatisierungen der sie Ausdruck eines Idealtyps. Seit der zweiten Hälfte einst gemeinschaftlich genutzten Wälder und Weiden, des 18. Jahrhunderts bestimmte dieses Naturideal die mit einer Aufhebung der Weiderechte verbunden auch den europäischen Gartengeschmack in Gestalt waren. Zum Bedeutungsverlust der Waldweide trugen der "Englischen Parks", die ebenso wie die Gemälde außerdem die neuartigen Futterpflanzen bei, vor allem jener Zeit einen Eindruck von der Offenheit und Weit- Klee, Kartoffeln und Rüben, die fortan die Mast in den räumigkeit dieser historischen Waldlandschaften ver- Wäldern überflüssig machten. mitteln (vgl. Abb. 3.7-3). Mit der Einstellung der Beweidung veränderten sich Hudewälder erhielten ihren unverwechselbaren Habitus Aussehen und Artenzusammensetzung der Hudewälder durch intensive Beweidung. Rinder, Pferde, Schafe rasch. Gehölze wuchsen auf und verdichteten die Be- und Ziegen fraßen bevorzugt die frischen blattreichen stände. Sie verdrängten die Krautschicht und traten in Zweige des Jungwuchses. Schweine entzogen auf der Nährstoff- und Lichtkonkurrenz mit den Altbäumen, von

121 Historische Waldnutzungen

denen viele in der Folge eingingen. In diesem fortge- Verbreitung in Thüringen schrittenen Zustand der Sukzession befinden sich heute Hudewälder, die in ihrem Charakter noch weitgehend die meisten historischen Hudewälder in Deutschland, dem ursprünglichen Bild entsprechen, sind in Thüringen wobei man ihnen den Ursprung aber noch an bestimm- nahezu verschwunden. Einige Reliktflächen (über 5 ten Beweidungsmerkmalen ansehen kann. Neben ha) sind in der Tabelle 3.7-9 aufgeführt (GLASER U. HAU- deformierten "Hudebäumen“ gehören dazu die unge- KE 2004). nießbaren, bedornten oder bestachelten "Weideunkräu- ter" wie Wacholder, Ginster, Schlehen, Wildrosen, Distelarten u.a.

Nr. 1: Hutewald beim Nordöstlich Mihla, Nationalpark Hainich/Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal. Harsberg, 7 ha Waldtyp: Kiefernmischwald, ehemaliger Hudewald, starkes Baumholz. Keine Beweidung mehr. Nr. 2: Eichenwald Kindel, Westlich Wolfsbehringen, Hainich (Randgebiet), ehemaliger TÜP Kindel. 40 ha Waldtyp: lichter Eichenwald z.T. mit Buche, mit hohem Totholzanteil, Mehrzahl der Bäume um 1900 gepflanzt. Ehemalige Hudenutzung fraglich. Nr. 3: Hundertäcker, Östlich Herpf, Südthüringisches Muschelkalkland. Waldtyp: Ehemaliger Hudewald 5 ha (kulturbestimmter Kiefernmischwald). Keine Beweidung mehr. Nr. 4: Hutewald Am Nordwestlich Reichenhausen, Hohe Rhön, Biosphärenreservat Rhön. Steinkopf, 18 ha Waldtyp: Basenreicher Buchenmischwald im montanen Bereich, ca. 200 Jahre alt. Starke Verbuschung durch Nutzungsaufgabe. Nr. 5: Hutewald Rhönzins- Südwestlich Reichenhausen, Hohe Rhön, Biosphärenreservat Rhön. hut, 16 ha Waldtyp: Bodensaurer Buchenmischwald im montanen Bereich, ca. 200 Jahre alt. Starke Verbuschung durch Nutzungsaufgabe.

Tab. 3.7-9: Ehemalige Hudewälder mit einer Flächengröße von über 5 ha in Thüringen (aus: GLASER U. HAUKE 2004).

3.7.5 Über die Schutzwürdigkeit historischer Wald- Der Baumartenwechsel und der häufige Wechsel der bauformen Wuchsklassen bedingen zugleich einen hohen ästhe- tischen Reiz. Historische Waldformen gelten als schön Mit dem Niedergang der historischen Waldnutzungen und landschaftlich attraktiv. Besonders der Hudewald sind aus der Kulturlandschaft mittlerweile viele ökolo- gilt auch heute noch als Landschaftsbildideal. Seine gisch wertvolle Nieder-, Mittel- und Hudewaldflächen knorrigen und deformierten Bäume rufen Assoziationen verschwunden. Oft geschah dies ohne menschliches von einer romantischen Naturlandschaft wach. Nicht Zutun allein durch Ausbleiben der Nutzung im Rahmen selten knüpfen sich auch lokale Traditionen und Legen- der natürlichen Sukzession; solche aufgelassenen Be- den an die Hudewälder und ihre alten Bäume. stände sind mittlerweile durchgewachsen und verbuscht. Viele Mittelwälder sind in Buchenhochwald überführt Darüber hinaus stellen die verbliebenen Reste histori- worden, um Ebeleben entstanden über Zwischenstadien scher Waldformen wertvolle Zeugnisse ehemals weit Eichenhochwälder. Andere Bestände wurden kahl ge- verbreiteter Nutzungen und damit Dokumente alter schlagen und durch Aufforstung mit Fichte oder Kiefer Kulturlandschaften dar. Ihnen fällt deshalb eine beson- in monotone Hochwälder überführt. Auch die wenigen dere Funktion in Lehre und Forschung zu. Für die Re- noch vorhandenen Restflächen historischer Nutzwälder konstruktion der Vegetations- und Kulturgeschichte sind inzwischen bestandsbedroht und mit ihnen natur- liefern sie grundlegende Informationen, ebenso für die schutzfachliche, wissenschaftliche und kulturgeschicht- Entwicklung alternativer extensiver Landnutzungskon- liche Werte. zepte (SONNENBERG U. GERCKEN 2003).

Mittel-, Nieder- und Hudewälder gehören aufgrund ihrer Bislang sind die Bemühungen zur Erhaltung und Pflege Strukturvielfalt zu den artenreichsten Lebensräumen. von historischen Waldnutzungsformen unzureichend. Dank der engen Verzahnung von Wald-, Offenland-, Der hohe Arbeits- und Kostenaufwand und die nur be- Saum- und Gebüschhabitaten beherbergen sie viel grenzt zur Verfügung stehenden Mittel schränken die mehr Pflanzen- und Tierarten als die dichten, schlag- Handlungsmöglichkeiten ein, so dass entsprechende weise bewirtschafteten Hochwälder. Darunter sind Maßnahmen nur auf wenigen repräsentativen und gut zahlreiche gefährdete Arten (s. dazu WESTHUS et al. erhaltenen Beispielsflächen realisiert werden können 1996; ROSSMANN 1996). (z.B. im NSG "Gottesholz" bei Arnstadt [Mittelwaldnut-

122 Historische Waldnutzungen zung] und im NSG "Tennreisig" bei Niederwillingen in Holzart bei der Namensgebung von Bedeutung gewesen der Nähe von Stadtilm [Niederwaldbewirtschaftung]; sein (MANTEL 1990). Ortsnamen weisen in der Regel Kontakt: UNB Arnstadt). weiter in die Vergangenheit zurück als Forstnamen, die erst entstanden sind, als man Waldungen zu unter- Schwerpunkte bei der Auswahl künftiger Flächen sollten scheiden begann. Die alten Orts- und Flurnamen sind aus Artenschutzgründen auf trockenwarmen, feuchten ursprünglich aus der Mundart hervorgegangen und oder wechselfeuchten Standorten liegen, sie müssen wurden teilweise bei der Übersetzung ins Hochdeutsche aber auch die Nutzungsmöglichkeiten für das anfallende verfälscht, weil die Bedeutungen dieser Worte nicht Holz und die Besitzverhältnisse berücksichtigen (WEST- mehr bekannt waren und deshalb falsch interpretiert HUS et al. 1996). Welche Bewirtschaftungs-, Sicherungs- wurden. Deshalb sollte man bei der Interpretation von und Pflegemaßnahmen durchzuführen sind, ist vom Flurnamen unbedingt ältere Schreibungen hinzuziehen. Einzelfall abhängig. Eine komplexe Übersicht mit wei- Dringend muss davor gewarnt werden, eigene Inter- terführenden Literaturverweisen ist bei ROSSMANN (1996) pretationen vorzunehmen. Die Ortsendung -lohe könnte veröffentlicht. z.B. einen Rückschluss auf die Lohrindengerberei zu- lassen. Andererseits bedeutet "Loh" soviel wie "bewach- sene Lichtung" oder "niederes Holz", mancherorts auch 3.7.6 Quellen zur Erfassung historischer Wald- "Viehweide". nutzungsformen (n. KOCH 2005)

Waldbiotopkartierung: Das Ziel der Waldbiotopkartierung Schriftliche Quellen: Wertvolle Hinweise auf die frühere ist die naturraumbezogene flächendeckende Erfassung Land- und Waldnutzung sind historischen Schriftquellen und Dokumentation der aktuellen Naturausstattung zu entnehmen. Dazu gehören Dorfchroniken, Urkun- sowie die Beurteilung des forstlichen und naturschutz- denbücher, Urbarien, Losungs- und Stadtbücher, histo- fachlichen Wertes aller Biotope in Waldgebieten. Im rische Waldbereitungen und Waldbeschreibungen, Zuge der Waldbiotopkartierung wurden auch die Be- Wald- und Forstordnungen, Forstbetriebs- und Forst- wirtschaftungsarten aufgenommen und damit gleich- taxationswerke sowie Flurnamenbücher. Diese sind in zeitig die Restflächen historischer Bewirtschaftungsfor- Archiven und Bibliotheken einzusehen (s. SCHMIDT & men wie Nieder-, Mittel- und Hudewälder dokumentiert. MEYER et al. 2006). Beispiele: Hennebergische Wälder- Die Waldbiotopkartierung eignet sich daher auch als beschreibung von 1587, Kursächsisch-Albertinische Arbeitsgrundlage für die Erfassung von Relikten der Waldbeschreibungen der albertinischen Ämter in Thü- historischen Waldnutzungsformen. ringen von 1557 und 1591, Ernestinische Waldbereitung von 1557, Forstbereitung des Fränkischen Oberlandes Historische topographische Karten: In Thüringen liegen von 1555 (näher erläutert in WITTICKE 2004). die Preußischen Urmesstischblätter (um 1850) und die Historischen Messtischblätter (um 1930) als Nachdrucke Sagen, Fabeln und Märchen: Für den Forsthistoriker flächendeckend vor (Landesvermessungsamt). Sie können sie interessant sein, wenn sie die Art und Weise beinhalten Informationen über forstliche Einzelobjekte festhalten, in der man den Wald nutzte. Beispiel: Im und ehemalige Flächennutzungen wie Laub-, Nadelholz, Märchen "Das kalte Herz" von Wilhelm Hauff werden Mischwald, Schonungen, Lichte Stellen, Plantagen und die ärmlichen Lebensumstände eines Köhlers und Baumschulen, Förstereien u.a.m. (vgl. SCHMIDT U. MEYER seiner Familie geschildert. et al. 2006: Historische Karten). Des Weiteren sind aus diesen Kartenwerken das Forstwegenetz und die da- Landschaftsmalerei: Die Abbildung des Waldes in Ge- maligen Landesgrenzen sowie die der Kreise und Ge- mälden und Grafiken begann in der ersten Hälfte des meinden (Gemarkungen) ablesbar. Durch Buchstaben, 16. Jahrhunderts (MANTEL 1991). Doch stellte der Wald Ziffern und Namen (z.B. Staatsforst Arnstadt, Martinro- zu jener Zeit noch kein bevorzugtes Bildmotiv dar, gal- daer Forst, Pfarrholz) können Rückschlüsse auf frühere ten doch die vom Menschen geschaffenen Offenland- Eigentumsverhältnisse oder die Schlag- und Parzellen- flächen, die Rodungen, das Lichte und Freie, als schön. einteilung gezogen werden. Gelegentlich lassen sich Die Bilder der berühmten Landschaftsmaler der fran- auch ehemalige Bewirtschaftungsformen wie die Hau- zösischen Schule des 17. Jahrhunderts oder später bergwirtschaft anhand entsprechender Signaturen be- der deutschen Romantik (z.B. Caspar David Friedrich) legen. übersteigerten dieses Ideal. Sie bildeten meist keine realen Landschaftsausschnitte ab, sondern Idealland- Orts-, Flur- und Straßennamen: Sie lassen Rückschlüs- schaften, die vom Künstler dem Gesamtcharakter eines se sowohl auf die frühere Nutzung als auch auf die Vorbilds (z.B. Hudelandschaft) nachempfunden wurden, einstige Holzartenverteilung zu. Allerdings kann neben im konkreten Fall aber nie bestanden haben (Näheres der Häufigkeit auch die Seltenheit einer bestimmten dazu s. SCHMIDT U. MEYER et al. 2006).

123 Mühlen und Mühlenlandschaften

3.8 Mühlen und Mühlenlandschaften *)

3.8.1 Einführung: Bedeutung und Geschichte Daneben tritt die verwunschene Einsamkeit der Mühlen. Namentlich die Wassermühle mit ihrem klappernden "..Die Haselbacher Windmühle, etwa drei km von Heu- Mühlrad und dem unergründlichen, von Teichrosen und kewalde entfernt, konnten wir von unseren Feldern gut Schilf bewachsenen Mühlteich ist in Märchen, Volkslie- erkennen....Die Mühle liegt in einer Windstraße, was dern und in der Malerei (PETER BRUEGHEL, LUDWIG RICH- kaum zu glauben, aber wahr ist...Ich kann mich noch TER u.a.) zum Inbegriff des romantischen Genres ge- erinnern, als die Mühle noch gemahlen hat. Bei uns worden. war Windstille, auch die anderen Mühlen, welche wir noch vom Felde erkannten, standen stille. Aber die Mithin beinhaltet das Thema Mühlen und Müllerei über Haselbacher Mühle lief normal wie bei jedem Wind. In die bloßen materiellen Hinterlassenschaften hinaus der Ernte war die Haselbacher Mühle mehr als ein eine Vielfalt von Assoziationen und Phantasien, die "Wetterglas" für meinen Vater; wenn früh bei Windstille sich bis heute mit alten Mühlstätten verbinden lassen, die Haselbacher Mühle lief, haben wir gleich aufgehört, selbst wenn die Gebäude schon seit Jahrhunderten weiter zu mähen und erst eingefahren, was in Puppen aus der Landschaft verschwunden sind. stand, denn am nächsten Tag hat es geregnet" (KURT SCHNEIDER, Der Mühlturm 1/1992). Die ältesten Maschinen der Menschheit haben ihren Ursprung in den frühesten Bauernkulturen. Was mit Solange es sie gibt, haben wasser- und windbetriebene rauen Reibsteinen begann, die mit der Hand gegenein- Mühlen im täglichen Leben der Menschen eine wichtige ander hin und her geschoben wurden, entwickelte sich Rolle gespielt. Als Mahl- und Schälmühlen versorgten in kleinen Schritten über die handbewegte kleine Dreh- sie die Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln (Mehl, mühle zur leistungsfähigeren Wassermühle in römischer Graupen); aus Raps, Rüben und Leinsamen halfen sie Zeit (lat. molina = Mühle). Bereits im 3. Jahrhundert Öl zu pressen oder aus Baumstämmen Balken und u.Z. sind Wassermühlen in den römischen Provinzen Bretter zu sägen. Schießpulver und Gips ließen sich belegt. Ins westliche Thüringen dürften sie von den mit ihrer Hilfe zermahlen, aus Hadern und Lumpen fränkischen Kolonisatoren mitgebracht worden sein Papier herstellen, Tuche durch Walken geschmeidig (8. Jahrhundert). In das ehemals slawische Siedlungs- machen und Baumrinde ("Lohe") zerstoßen, um daraus gebiet östlich der Saale kamen sie wohl erst im Rahmen Säure für die Ledergerbung zu gewinnen. Die Kraftwerke der hochmittelalterlichen Rodekolonisation, zu deren der vorindustriellen Zeit lieferten aber auch die Energie planmäßigen Dorfgründungen auch Wassermühlen um Bau- und Werksteine zu zersägen, Erz zu zertrüm- gehörten. mern, glühendes Eisen zu schmieden sowie Blasebälge, Schleif- und Polierscheiben, Bohrmaschinen, Pumpen Mit dem Aufblühen städtischer Gemeinwesen und dem und eine Vielzahl bergmännischer "Kunstgezeuge" und wachsenden Nahrungsbedarf begann im Hochmittelalter vieles andere mehr anzutreiben. die große Zeit der Wassermühlen (11.-13. Jahrhundert). Jede Burg und jede Stadt hatte ihre eigenen Mühlen. Kein anderes Gewerbe war gleichzeitig so von den Die Einrichtung von Mühlen und Wasserrädern bescher- Naturkräften bestimmt. Bei Wind- und Wassermangel te den Landesherrn über den Mühlzins beträchtliche standen die Mühlräder still; während andererseits nicht Einnahmen. Auch Mönchsorden wie die Benediktiner selten Fluten und Stürme die Existenzgrundlagen des und Zisterzienser gründeten Mühlen (Klostermühlen) Müllers vernichteten. Diese Abhängigkeit von den Na- und wurden zu innovativen Kräften in der Mühlenbauerei. turgewalten und die oft auch räumliche Abgeschieden- heit der Mühlen trugen wesentlich zur Verklärung des Das Recht zur Genehmigung einer Mühlstatt oblag an Berufsstandes bei. Mühlen galten als geheimnisumwit- fast allen Flussläufen der jeweiligen Obrigkeit (Fürsten, tert, unheimlich und anziehend. Jahrhunderte hindurch Klöster etc.). Diese Regelung, die mit einem Verbot boten sie die Schauplätze "von Liebe, Lust und Leid, von Mühlengründungen innerhalb festgelegter Abstände auch von Mord und Totschlag und vom Walten finsterer verbunden war („Mühlbann“), und das sog. Wasserrecht Mächte einer abergläubischen Volksseele" (MAGER, gewährleisteten, dass sich die vielen konkurrierenden MEIßNER U. ORF 1988, S.146). Zahlreich sind die Le- Nutzungen in und an den Flüssen nicht über Gebühr genden und Märchen, die sich dieser Themen bedienen, behinderten (Fischerei, Flößerei etc.) und die Müller klischeehaft die Motive wie die sündhafte Moral des sich nicht gegenseitig das Wasser streitig machten. Müllers und der Müllerin, ihre Tücke und Klugheit, die sie in der Phantasie des Volkes in die Nähe teuflischer Für einen forcierten Aufschwung der Wasserkraftnutzung Mächte rückten ("Teufelsmühlen"). sorgte im 15. und 16. Jahrhundert die Technisierung

124 *) Verfasst unter Mitarbeit von Herrn Alfred Kirsten, Erfurt (Thüringer Mühlenverein). Mühlen und Mühlenlandschaften des Bergbaus. Mit dem Vortrieb immer tieferer Schächte riss auch der Bau von Talsperren. In den Jahren 1926- war man zunehmend auf maschinelle Hilfe angewiesen. 1932 versanken allein 21 Mühlen und Hammerwerke Zum Fördern der Erze und des tauben Gesteins und in den Fluten der Bleilochtalsperre (UNGELENK 1972, zum Antrieb der Pumpen, Pochwerke und der Blase- S.42). bälge kamen mächtige hölzerne Wasserräder zum Einsatz, deren Kraft über Nockenwellen und Feldge- Mittlerweile sind die historischen Mühlen fast vollständig stänge in vertikale und laterale Bewegungen übersetzt aus den Orts- und Landschaftsbildern verschwunden. wurden. Feldgestänge, aus Holz gezimmerte Balken- Ihr symbolisches Herzstück, der Mahlstein, wurde konstruktionen, übertrugen z.T. über viele hundert Meter zerschlagen, als Mauer- und Pflastersteine verbaut Entfernung die durch die Wasserräder in Tallage er- oder zu steinernen Tischen und gärtnerischen Gestal- zeugte mechanische Antriebsenergie zu höher gelege- tungselementen umfunktioniert. nen Förderschächten. Das dazu benötigte Aufschlag- wasser wurde in dafür eigens angelegten Stauteichen Die Erhaltung der noch bestehenden Mühlengebäude gesammelt und über kilometerlange Grabensysteme und ihrer technischen Einrichtungen erweist sich als den Bergwerken zugeleitet. äußerst mühevolle und kostspielige Aufgabe, die heute im wesentlichen von ehrenamtlichen Kräften geleistet Im Hügelland, wo Gefälle und Wassermenge der Bäche werden muss. Ihrem Enthusiasmus ist es zu verdanken, oft nicht ausreichten, um Wassermühlen wirtschaftlich dass inzwischen einige alte Mühlen erfolgreich als Mu- zu betreiben, wandte man sich seit dem 16. und 17. seum betrieben werden; andere öffnen nur zu beson- Jahrhundert immer häufiger der Windkraft zu. Den deren Gelegenheiten der Öffentlichkeit ihre Tore, wie leichten, aus Holz gebauten Bockwindmühlen folgten zum Beispiel am alljährlich zu Pfingsten stattfindenden im 18. und 19. Jahrhundert die leistungsfähigeren Palt- Deutschen Mühlentag. rock- und Turmwindmühlen. Sie alle dienten im Gegen- satz zu den flexibler einzusetzenden Wassermühlen fast ausschließlich als Mahlmühlen, selten auch als 3.8.2 Mühlentechnische Grundlagen Sägemühlen. Mühlen bestehen aus drei wesentlichen Bauelementen: dem Antrieb in Form des Wasserrades oder Flügelkreu- Geradezu revolutionierende Veränderungen erfuhr das zes, der Kraft- und Bewegungsübertragung mittels Wel- Mühlenwesen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit len, Getrieberädern, Riemen oder Ketten und dem dem erheblich angestiegenen Nahrungsmittelbedarf Mahlgang mit den beiden Mühlsteinen als Verarbeitungs- infolge der Industrialisierung und des gründerzeitlichen maschine. Ihr Prinzip beruhte Jahrtausende lang auf Städtewachstums wurden die handwerklich betriebenen der Drehbewegung der beiden aufeinander reibenden Kleinmühlen nach und nach von sog. "Kunstmühlen" Mahlsteine, dem feststehenden Boden- und dem darauf mit verbesserter Technik und höheren Mahlleistungen kreisenden Läuferstein. und später von den hochmechanisierten Mühlenwerken abgelöst. Die klassischen Mahlgänge mit Mühlsteinen Von den in übereinanderliegender Stellung gelagerten wurden durch Walzenstühle ersetzt; die Dampfmaschine Mahlsteinen unterschieden sich die sogenannten Kol- und später (ab etwa 1880) der Elektromotor machten lergänge. Hier rollten hochgestellte Steine in einem das Mühlengewerbe vom Standort der Wasserkraft und kreisförmigen Kanal, einem steinernen Rundgefäß oder von der Unzuverlässigkeit des Windes unabhängig und auf einer ebenen, kreisförmigen, aus Steinplatten ge- ermöglichten eine fast grenzenlose Leistungssteigerung. bildeten Tenne und zerquetschten mit ihren geriffelten In den verbliebenen Wassermühlen verdrängten Turbi- Schmalseiten das Mahlgut. Eingesetzt wurden diese nen, die mit höherem Wirkungsgrad und damit effektiver Steine in Öl-, Pulver- und Papiermühlen. In Masse- arbeiteten, die traditionellen Wasserräder. An die Stelle und Schwerspatmühlen dienten sie zum Zerkleinern der klappernden und knarrenden Mühlen in dörflicher von Mineralien für die Porzellan- und Farbenherstellung. Landschaft trat ein mehrstöckiger, nüchterner Fabrikbau Auch die Waidmühlensteine sind diesem Typ zuzuord- meist am Rande der Stadt, der von den Merkmalen der nen. In den Waidmühlen wurden die angewelkten Waid- Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts geprägt war. blätter zu einer breiartigen Masse zerquetscht und zer- rieben. Der Antrieb erfolgte häufig göpelartig durch Die Eröffnung der Gewerbefreiheit im Müllereiwesen Pferde (s. Kap. 3.4 "Historischer Waidanbau"). und das Aufkommen von großen Handelsmüllereien drängten seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts immer Entscheidend hing die Wirkung des Mahlvorganges mehr Betriebe in den wirtschaftlichen Ruin. Die rasante von der Qualität des Mühlsteines ab, der möglichst hart technische Entwicklung und durch sie ausgelöste Ratio- und rau sein sollte. In älterer Zeit nahm man wegen nalisierungen führten schließlich zu dem großen "Müh- des schwierigen Transportes dazu meist geeignete lensterben" im 20. Jahrhundert. Lücken in den Bestand Steine aus der Umgebung, wie Sand- und Kalkstein,

125 Mühlen und Mühlenlandschaften

Basalt und Granit. Am häufigsten fand körniger, leicht Zahlreich waren die teilweise nach gleichem Prinzip zu bearbeitender Sandstein Verwendung. Schnell arbeitenden Anlagen im Umfeld der Hüttenwerke: die lernte man aber die besseren Qualitäten zu schätzen, Zain-, Stab- und Blechhämmer, die Nagelhütten, die vor allem wenn es um den Verschleiß und das lästige Ketten- und Ankerschmieden, die Drahtmühlen, die "Nachschärfen" ging. Walz- und Steinschneidmühlen, die wasserradbetrie- benen Blasebälge und die Sägemühlen. Ihre wuchtigen Schon 1534 verlangte der Goldbergbau bei Steinheid Schläge und das metallische Kreischen der Sägen im Thüringer Wald für das Zermahlen der goldhaltigen erfüllten bis ins 19. Jahrhundert hinein manches enge Quarze ausdrücklich Porphyr-Mühlsteine, weil alle an- Flusstal im Schiefergebirge und im Thüringer Wald, wo deren Steine zu weich waren (LEFFLER 2002, S. 10). sich einst Hämmer, Sägemühlen und andere Werkmüh- Gut eignete sich der Stein auch für die Gipsmüllerei. len in dichter Folge aufreihten (s.u., z.B. im Sormitz- Mit der Zeit wurde insbesondere der Crawinkler Porphyr und im Schleusetal). Heute erinnern dort meist nur zu einem regelrechten Exportschlager. Die Steine, die noch Straßen- und Flurnamen wie "Hammermühle" in einem Areal von etwa 15 km Längenausdehnung o.ä. an die einstige Existenz solcher vorindustriellen zwischen Lütschegrund und dem Rennsteig (Schnee- Produktionsstätten. kopf) gebrochen wurden, erlangten einen internationalen Ruf. Über die nahe vorbei ziehende Via Regia (Hohe Straße), die von Paris über Frankfurt, Erfurt, Breslau 3.8.3 Bau und Funktion im Überblick bis nach Kiew führte, wurden Handelsbeziehungen bis Wassermühlen nach Russland unterhalten. Nach der Entdeckung der Angetrieben wurden die Wassermühlen jahrhunderte- Neuen Welt gingen Mühlsteine über Holland oder Ham- lang mit hölzernen, später eisernen Mühlrädern, welche burg nach Amerika, auch nach Norwegen und Schwe- je nach Geländesituation (Gefälle), verfügbarer Was- den (L 2001, S. 16, 27, 91). Zeitweilig gab es in EFFLER sermenge, Leistungsbedarf und Funktion der Mühle in Crawinkel fast 70 Fuhrleute, die Mühlsteine, heimische unterschiedlichen Konstruktionen eingesetzt wurden. Holzprodukte, Kienruß u.a. bis weit über die Landes- grenzen hinaus beförderten. Die unterschlächtigen Wasserräder tauchten ihren un- teren Teil in das Fließgewässer. Ihre Schaufeln wurden Heute sind die ausgedienten oder funktionslos gewor- von der Strömung angetrieben. Bei den mittelschläch- denen Mühlsteine oft die einzigen Zeugen an Plätzen, tigen Rädern erfolgte die Beaufschlagung in Höhe der wo einst Mühlen gestanden haben, darunter sind viele Wasserradwelle. Dabei machte man sich ebenso wie Steine aus Crawinkel. Sogar in Mauern wurden un- bei den oberschlächtigen Wasserrädern, bei denen brauchbare Exemplare verbaut. Das von einem Mühl- aus einem über das Rad geführten Gerinne das Wasser steinhauer erbaute Wohnhaus in der Waldstraße 6a, von oben auf das Rad läuft, das Gewicht des Wassers Crawinkel, enthält im Fundament eine Vielzahl solcher zu Nutze. An die Stelle der Schaufeln traten geschlos- Mühlsteine (LEFFLER 2001, S. 89). Viel mehr davon sene Zellen zum Auffangen des Wassers. Diese Kon- liegen noch immer in den Brüchen und legen Zeugnis struktion hatte den Vorteil, dass sich durch die Vergrö- vom risikoreichen Gewerbe der Steinhauerei ab. ßerung der Zellen und des Radumfanges (Hebelarm) die Leistung steigern ließ, solange nur genügend Wasser Während sich bei den Mahlmühlen über Jahrhunderte zur Verfügung stand. Deshalb mussten an kleinen die Rotationsbewegung bewährt hatte, erweiterte bei Flüssen Mühlteiche mit Wehranlagen (Staubretter, den Werkmühlen die Einführung der schon erwähnten Schütze) eingerichtet werden, mit denen sich für die Nocken- oder Daumenwelle seit dem 11. Jahrhundert Betriebszeiten der Mühle Wassermengen ansparen die praktischen Einsatzmöglichkeiten beträchtlich. Mit ließen. Dabei war durch den Eichstrich des Mahlpfahles ihrer Hilfe ließ sich die Drehbewegung in eine Hin- und eine maximale Aufstauhöhe vorgegeben, nach der sich Her-, oder auf- und abwärtsgehende Bewegung um- der Müller bei der Wasserregulierung verbindlich zu wandeln, mit der Stampf- und Pochwerke, Hammerwer- richten hatte. Für die Zuführung des Wassers sorgten ke, Blasebälge, Sägewerke, Wasserpumpen und die Mühlgräben, die das Triebwasser auf möglichst kurzem Fahrkünste der Bergwerke betrieben werden konnten. Weg und bei geringstem Gefälle (Energieerhaltung!) zur Mühle führten. Die Poch- oder Stampfwerke bestanden aus einer Rei- he von hölzernen, unten meistens mit Eisen beschla- In Bergbaugebieten, wo Antriebswasser für vielerlei genen Pochstempeln (Stampfen), mit denen Erz und Zwecke und in großen Mengen benötigt wurde, legte Gipsgestein, Knochen und Schießpulver zerkleinert, man sog. Kunstteiche an, denen über teilweise Kilometer ölhaltige Samen, Eichenrinde (Lohe) und Tabakblätter lange Kunstgräben das Aufschlagwasser zugeleitet zerquetscht, Leder und Stoffe gewalkt sowie Lumpen wurde (z.B. im Ilmenauer Revier; s. dazu BAUER, L., für die Papierherstellung zerrissen wurden. HIEKEL, W. u. E. NIEMANN 1964).

126 Mühlen und Mühlenlandschaften

(a)

Abb. 3.8-1: (a) Heiligen Mühle Erfurt, 1291 als Mahlmühle urkundlich erwähnt. Die Wasserkraft der Schmalen Gera treibt zwei unterschlächtige Wasserräder (Foto: H.-H. Meyer 2007).

(b)(b)

Abb. 3.8-2: Abb. 3.8-4: Prinzip der Wasserkunst. a) Wasserrad mit Pleuelstange und Mittelschlächtiges (a) und oberschlächtiges (b) Wasserrad Krummem Zapfen; b) Feldgestänge; c) Kunstkreuz (n. WA- nach BELIDOR (um 1740; aus: WÖLFEL 1987). GENBRETH 1989; aus: SCHMIDT, SCHREIER, DREGER 2000).

Abb. 3.8-3: Wasserkunstanlage der Zeche „Moritz Wilhelm“ bei Suhl um 1700 mit großem Wasserrad, Krummem Zapfen, Pleuelstange, Feld- gestänge und dem vierarmigen Kreuzhebel („Kunstkreuz“), der die Pumpen antrieb (Deutsches Museum München, Plansammlung Nr. 002080; aus: SCHMIDT, SCHREIER, DREGER 2000).

127 Mühlen und Mühlenlandschaften

Im Bergbau kam mit dem Kehrrad auch ein spezielles großdimensioniertes Wasserrad mit zwei gegenläufigen Radkränzen zum Einsatz, das den oberschlächtigen Betrieb in wechselnden Drehrichtungen ermöglichte, um beispielsweise über Ketten und Seile Kübel für die Grubenentwässerung oder Lastaufzüge auf- und ab- wärts zu betreiben.

Die Gebäude der Wassermühlen bestanden zumeist aus dem in Thüringen üblichen mitteldeutschen (frän- kischen) Gehöft und waren als Dreiseit- oder Vierseithof ausgebildet. Mühle und Wohntrakt lagen dabei meist im gleichen Gebäudeteil; hinzu kamen Ställe und eine Scheune, da die Müllerei von alters her mit landwirt- schaftlichem Nebenerwerb verbunden war.

Nach der Statistik des Thüringer Mühlenvereins konnten bisher fast 2800 historische Standorte wassergetriebener Mühlen und Anlagen in Thüringen nachgewiesen wer- den (frdl. mündl. Mitt. A. KIRSTEN, Stand 2007). Nur ganz wenige (rd. 10 %) sind davon heute noch als solche zu erkennen; eine gar verschwindend geringe Zahl ist noch mit funktionierender Mühlentechnik erhal- ten, verfügt über einen Wasserzulauf und nutzt die Wasserkraft durch Wasserrad oder Turbine.

Besonders sehenswerte und baugeschichtlich wertvolle Wassermühlen, die in ihrer Struktur noch weitgehend erhalten sind, wurden in der folgenden Tabelle 3.8-1 3.8-5: zusammengestellt (Angaben aus: BAUCH u. KIRSTEN Kehrradmaschine mit wechselnder Drehrichtung zur Wasser- 2003 und 2007; Reihenfolge nicht nach Bedeutung, förderung (n. AGRICOLA 1556). sondern nach Landkreisen geordnet).

Technische Erfindungen wie der „Krumme Zapfen“ mit Pleuelstange, das „Feldgestänge“ und das „Kunstkreuz“ setzten die Drehbewegung des Wasserrades in eine Seitwärts- bzw. Auf- und Abwärtsbewegung um, mit der Pumpen („Wasserkunst“) und bewegliche Einfahr- hilfen („Fahrkunst“) angetrieben wurden. Der Name „Kunst“ drückt die hohe Wertschätzung dieser Anlagen in jener Zeit aus.

Häufig sind die Stangenkünste im Salinenwesen zur Anwendung gekommen, um die Wasserkraft eines nahegelegenen Flusses zum Soleschacht zu leiten und dort Pumpen anzutreiben. Eines der interessantesten Bauwerke dieser Art wurde für die Saline in Bad Kösen gebaut, die 1731 ihren Betrieb aufnahm. Von der Saale übertrug ein Feldgestänge von 180 m Länge die Was- serkraft zu den Solepumpen am Borlachschacht. Vom Borlachschacht führte die Stangenkunst als einfaches Gestänge weiter bis zum 130 m entfernten Gradierwerk, Abb. 3.8-6: um die Sole mit Kolbenpumpen auf das Gradierwerk Mühlengebäude mit oberschlächtigem Wasserrad und innerer zu heben (WÖLFEL 1987, S. 142). Teile dieser Anlage Technik (aus: BEYER 1735, Theatrum Machinarum Molinarium. sind inzwischen wiederhergestellt und zu besichtigen. Leipzig, Rudolstadt).

128 Mühlen und Mühlenlandschaften

Lkr. Altenburger Land: • Öl- und Graupenmühle Mühlberg (Spring): 1528 erwähnt, 1993/94 Mühle saniert, neu errichtet, • Wassermühle Treben: Mühlentechnik und Wasserkraft Erneuerung des oberschlächtigen Wasserrades, nicht mehr vorhanden, Nutzung für Wohnzwecke Museum, Mühlenmotel • Wassermühle Windischleuba (Pleiße): 1397 erwähnt, • Zitzmannmühle Ingersleben (Apfelstädt): 1848 als Technik z.T. noch vorhanden, große geschlossene Öl- und Graupenmühle erbaut [Obermühle], 1866 Hofanlage mit Stall- und Wohngebäuden (u.a. Bohlen- Anlegung einer Sägemühle, 1922 Einbau einer stube, Räucherkammer, Backofen, Lehmofen) Francis-Schachtturbine, moderne 50-t-Mühle für • Mühlenwerke Gardschütz (Pleiße): um 1400 erwähnt, Roggen und Weizen moderne Turbinenanlage, einzige noch produzierende • Obermühle Wechmar (Apfelstädt): 1555 erwähnt, Mühle im Altenburger Land 1802 Neubau, Einstellung des Mahlbetriebes 1984, Lkr. Eichsfeld: Mühlentechnik vorhanden, Mühlgraben von der Apfelstädt zugeschüttet • Büschlebsmühle Worbis (Wipper): 1663 Erwähnung als Pulvermühle, 1797 Öl- und Schneidemühle, Lkr. Greiz: 1838-40 Bau des Kalksandstein-Aquädukts für Antrieb • Liebsdorfer Eisenhammer Weida (Auma): 1770 erbaut, von ehemals drei Wasserrädern, seit 1840 produzie- mit erhaltener Technik rende Getreidemühle • Steinermühle Hohndorf (Triebitzbach): 1595 erstmals • Große Mühle Dingelstädt (Unstrut): 1581 erwähnt, erwähnt, sehr schön gelegene Wassermühle mit komplette Müllereieinrichtung, Antrieb durch Francistur- betriebsfähigem oberschlächtigen Wasserrad und bine und Elektromotoren, seit 2004 wieder als Mahl- betriebsfähiger Müllereitechnik mühle in Betrieb • Leubamühle Naitschau (Leuba): 1721 erwähnt, seit • Herrnmühle Heiligenstadt (Geislede): Ersterwähnung 1956 bis heute tätige Motormühle mit kompletten 1248/1318, älteste der ehemals 13 Wassermühlen Müllereimaschinen der Stadt, 1740 neu errichtet, komplette Mühlenein- • Hütermühle Endschütz (Möschbach): erste Erwäh- richtung vorhanden, 5-etagiger Kornspeicher, z.Zt. nung im 30jährigen Krieg, seit 1729 in heutiger Form, kein Wasserrad Wasserkraft über oberschlägiges Wasserrad bis 1975 • Kapsmühle Heiligenstadt (Geislede): 1413 erwähnt, genutzt, großer Vierseithof mit kombiniertem Wohn- 1921 Umbau und Modernisierung, heute Antrieb durch Mühlengebäude, heute Reiterhof Elektromotoren, komplette Müllereitechnik, Mahlbetrieb • Clodramühle (Weiße Elster): im 15. Jh. erwähnt, Mühlen- gebäude um 1790 errichtet, ohne Müllereitechnik, seit Stadt Erfurt: 2000 neues großes Zuppinger-Wasserrad zur Elektro- • Heiligen Mühle (Schmale Gera): 1291 als Mahlmühle energiegewinnung, Ausflugsgaststätte nebenan erwähnt, als "Untere Papiermühle" vom 16. Jh. bis • Erzmühle Göhren-Döhlen (Weida): bestand schon 1813 betrieben, ab 1839 Graupenmühle, funktions- vor 1556, früher Säge- und Mahlmühle, letztere bis fähige Graupengänge (Rarität !), Antrieb durch zwei 1974 in Betrieb, jetzt gut erhaltene Wassermühle unterschlächtige Wasserräder, kleine Mühlenaus- im Tal der Weida als Teil einer kompletten Vierseit- stellung, Kulturveranstaltungen Hof-Anlage, z.Zt. kein Wasserrad, ohne Zufluss, • Neue Mühle Erfurt (Gera): 1259 erwähnt, 1736 Neu- Technik nahezu komplett erhalten bau als "Neue Mühle", komplette Technik funktionsfähig, • Lochmühle Hohenleuben (Triebes): 1503 erster Nach- 4,50 m hohes Zuppinger-Wasserrad und Francis- weis, ehemals Mahl-, Öl- und Sägemühle, 1926 Ein- stellung des Mahlbetriebes, 2001 Inbetriebnahme einer Schachtturbine, Mühlenmuseum Francis-Spiralturbine, Wassermühle unterhalb der histo- Lkr. Gotha: rischen Burgruine Reichenfels an der Triebes gelegen • Neumühle (Weiße Elster): 1350 erwähnt, Mühlen- • Gölitzenmühle Mühlberg (Spring): 1528 erwähnt, gebäude von 1908, betriebsfähige Mahlmühle mit Mühlengebäude von 1842, zwei oberschlächtige Turbinenantrieb und Elektroenergieerzeugung, Wasserräder, mit Müllereitechnik arbeitende Sägemühle mit Elektroantrieb nebenan • Lohmühle Tambach-Dietharz (Apfelstädt): 1536 er- • Mühlenwerke Schulze Wünschendorf/Elster (Weiße wähnt, Mahl- und Lohmühle, Schneidemühle, ober- Elster): großer Gebäudekomplex im Kern von 1885 schlächtiges Wasserrad für Lohebearbeitung [Stamp- mit Mühlgraben, 1921 Umrüstung auf Francisturbine, fen], Sägegatter, Kaplanturbine zur Elektroenergie- komplette Müllereitechnik, Mahlbetrieb gewinnung, Lohmühlenmuseum, Ausstellungen zur • Bermichsmühle Staitz (Weida): 16. Jh. erwähnt, ehe- Lohegewinnung und Lohgerberei mals Mahl-, Säge- und Knochenstampfmühle, heute • Tobiashammer Ohrdruf (Ohra): 1526 als Eisenham- restaurierter Vierseithof, ohne Mühlentechnik mer und ab 1737 als Kupferhammer betrieben, eine der ehemals 39 Wasserkraftanlagen an der Ohra, Lkr. Hildburghausen: zwischen 1851 und 1854 Einbau des Blechwalzwerkes, • Karstmühle Kloster Veßra: 1847 Umbau zur handwerk- historische Schauanlage mit fünf funktionstüchtigen lichen Kleinstmühle, 1987 Umsetzung in das Museum Schauhämmern, Walzwerk und Nasspochwerk, Kloster Veßra, erhaltene Mühlentechnik, Mühle und 12 000 PS Dampfmaschine im Scheunengebäude, Wohnhaus bilden eine Einheit, oberschlächtiges Was- Museum serrad

129 Mühlen und Mühlenlandschaften

• Dorfmühle Hinternah (Nahe): 1575 urkundl. erwähnt, Lkr. Nordhausen: als zweigeschossiger Bau mit Schiefer-Mansarddach • Wassermühle Wolkramshausen (Wipper): komplette erbaut, produzierende Mahlmühle mit Turbine Müllereieinrichtung aus der Zeit um 1910/20 • Schloßmühle Reurieth (Werra): kombiniertes Wohn- • Neue Mühle Nordhausen-Urbach (Krummbach): und Mühlengebäude von 1797, funktionstüchtiges Nachweis seit 1692, vorbildlich saniertes Mühlen- unterschlächtiges Wasserrad, komplette Müllereitech- gebäude mit historischer Mühlentechnik, oberschläch- nik von 1920, restaurierte Francisturbine zur Elektro- tiges Wasserrad energiegewinnung • Untermühle Obergebra (Wipper): Francis-Schacht- • Märbelmühle Sachsenbrunn (Werra): altes Fabrik- turbine zur Elektroenergieerzeugung, komplette Mülle- gebäude als typischer Vertreter einer in Südthüringen reitechnik vorhanden einst verbreiteten Wassermühlenart, Herstellung von Steinmärbeln im 19. Jh. und Tonmurmeln im 20. Jh., Saale-Holzland-Kreis: bis 1955 betrieben • Talmühle Thalbürgel (Gleise): 1133-1526 als Kloster- Ilmkreis: mühle, Gebäude von1843, 1873 Porzellanwalzenstuhl, seit 1970 Antrieb mit Elektromotor, komplett erhaltene • Klunkermühle Dienstedt (Ilm): im 14. Jh. erwähnt, 1911 Mühlentechnik neu errichtet, zwei Francisturbinen zur Elektroenergie- • Untermühle Freienorla (Orla): 1176 erstmals erwähnt, erzeugung, Sägemühle noch betriebsbereit 1895 neu errichtet, heute Wasserkraftnutzung zur • Wassermühle Kleinhettstedt (Ilm): 16. Jh. erstmals Energiegewinnung, Vermahlungstechnik über Wasser- erwähnt, 1839 Modernisierung und Erweiterung als radantrieb vorführbar, Mühlenkomplex in Pensionsbe- Mahl-, Schneide-, Öl- und Gipsmühle, ab 1890 nur trieb eingebunden Mahlbetrieb, 1999 Inbetriebnahme einer Senfmühle, • Wassermühle Hainbücht (Roda): 1432 erstmals er- Produktion von Qualitätssenf nach alten Rezepturen, wähnt, betriebsfähige Mühle mit komplett erhaltener Mühlencafé alter Mühlentechnik, unterschlächtiges Metallwasserrad • Wassermühle Eischleben (Wipfra): vor 1500 Kloster- • Naupoldsmühle Eisenberg (Rauda): 15. Jh. urkund- mühle [Kloster Ichtershausen], Francisturbine, kom- lich erwähnt, Ende 19. Jh. Umwandlung zur Ausflugs- plette Müllereieinrichtung vorhanden, Nutzung als gaststätte im Mühltal der Rauda, heute Mühltalmuseum Kleinkunstbühne mit Ausstellung historischer Mühlentechnik und Müh- • Wassermühle Großhettstedt (Ilm): 1650 erwähnt, 1964 lenmodelle Einstellung des Mahlbetriebes und der Wasserkraft- • Obermühle Geunitz (Reinstädter Bach): im 17. Jh. er- nutzung, 2002 Inbetriebnahme eines neuen Wasserra- wähnt, eine der zahlreichen Wassermühlen im Rein- des zur Elektroenergiegewinnung, Müllereitechnik städter Grund, oberschlächtiges funktionsfähiges Was- teilweise erhalten serrad von 6,20 m Durchmesser 1999 neu gebaut, • Braunsteinmühle Geraberg (Zahme Gera): ehema- komplette Müllereitechnik vorhanden, zu Schauzwecken liges Erzpochwerk zur Verkleinerung von Manganerz betriebsfähig, Mahlbetrieb bis in die 1980er Jahre (Braunstein), 1855 gegründet, komplette Erzaufbe- • Leutramühle Maua (Leutrabach): 1517 erwähnt, durch reitungsanlage, neues Wasserrad, Ausstellung zu „Thüringer Sintflut“ 1613 stark geschädigt, im 17. und Erzabbau und -verarbeitung 18. Jh. Neu- und Umbau, bis 1972 in Betrieb, Mühlen- Kyffhäuserkreis: technik von 1920 noch erhalten, oberschlächtiges Wasserrad • Klostermühle Mönchpfiffel (Wilde Rohne): 1237 vom Kloster Walkenried erworben, Walzenstühle von 1900 Saale-Orla-Kreis: und 1920, 1934 Einbau einer Francis-Spiralturbine, • Heinrichshütte in Wurzbach: Technisches Schaudenk- technisches Schauobjekt mal, 1729 als Drahthütte errichtet, 1982 Stilllegung und • Dammmühle Mönchpfiffel-Nikolausrieth (Helme): Umfunktionierung zum Museum und Schaudenkmal, 1704 erwähnt, mit Motorkraft Müllerei möglich, z.Zt. funktionstüchtiger Wasserradantrieb, größte Dampfma- kein Wasserrad und Mühlgraben verfüllt schine Europas aus der ehemaligen Maxhütte Unter- • Wassermühle Bottendorf (Unstrut): 1311 als Mahlmühle wellenborn im Außenobjekt erwähnt, 1680 zur Kupferhütte umgerüstet, 1842 wieder Mahlmühle, 1960-1992 Futtermittelproduktion, Mühlen- • Riedel-Mühle Schönborn: 1650 erwähnt, 1890 neu technik vorhanden aufgebaut, seit 1970 Elektroantrieb, produzierende • Steinfahrtsmühle Greußen (Schwarzburger Helbe): Mahlmühle mit Roggenbrot-Bäckerei 1476 als landesherrliche Mühle erwähnt, seit 1916 • Ruhmühle Ebersdorf (Friesau): 1931 erbaut anstelle Francisturbine, Stilllegung 1977, komplette Müllerei- der früheren Ebersdorfer Wassermühle, produzierende technik vorhanden, Teil eines Vierseithofes Getreidemühle (Elektrokraft) • Teichmühle Sondershausen (Bebrabach): 1571 als • VEAG Wasserkraftmuseum Fernmühle in Ziegenrück Mahlmühle erwähnt, 1888 modernisiert, 1902 Umwand- (Saale): 1258 als Mahlmühle erwähnt, 1874 Übernahme lung zur Schneidmühle, neues oberschlächtiges Was- der Mühle durch die Pappenfabrik und Umbau zu Kraft- serrad, historische Dampflokomobile von 1922, einst werk, seit etwa 1900 Elektroenergieerzeugung durch zum Antrieb des Sägegatters verwendet zwei Francisturbinen [ca. 150 kW], seit 1966 Museum

130 Mühlen und Mühlenlandschaften

• Sägemühle Reitzengeschwenda: in sehr gutem Zustand • Museum "Otto Ludwig" in Eisfeld: darin technische Ein- als Teil eines Heimatmuseums, erbaut zwischen 1924 richtung der Vogelsmühle bei Truckenthal, die als eine und 1926, nachdem die Saalemühlen dem Talsperren- der letzten Märbelmühlen bis 1954 in Betrieb war bau weichen mussten, noch erhaltene Sägemühle mit Unstrut-Hainich-Kreis: funktionstüchtigem Vollgatter ist Teil des Heimat- museums, seit Anbeginn Elektroantrieb, keine Wasser- • Lohmühle Nägelstedt (Unstrut): 1290 erwähnt, Mühlen- mühle ! gebäude um 1850 errichtet, Mühlentechnik noch vor- handen, z.Zt. kein Wasserrad Lkr. Saalfeld-Rudolstadt: • Obermühle Heyerode (Lampersbach): 17. Jh. erwähnt, • Obermühle Dorndorf (Wiedabach): Mühlengebäude fast 6 m hohes oberschlächtiges Wasserrad, komplette von 1802, Mahl- und Sägemühle, Peltonturbine von Mühlentechnik vorhanden 1910, 1973 stillgelegt, komplette Getreidemühlenein- Wartburgkreis: richtung noch vorhanden, als Sägewerk noch in Betrieb • Obermühle Teichröda (Remdaer Rinne): 1486 erwähnt, • Hörselmühle Schönau (Hörsel): 1416 erwähnt, seit Mühlentechnik aus den 1930er Jahren z.T. vorhanden, 1947 Francis-Schachtturbine, funktionstüchtige Säge- neues Wasserrad zur Elektroenergiegewinnung mühle mit Elektroenergiegewinnung • Talmühle Wickersdorf (Schwarze Sorbitz): im 17. Jh. Lkr. Weimarer Land: erwähnt, intaktes oberschlächtiges Wasserrad, zum Wassermühle Taubach (Ilm): ältester nachweisbarer Betreiben des Sägegatters und eines Generators, • Mühlenstandort Thüringens, 1120 urkundl. erwähnt, Pension durch die "Thüringische Sintflut" 1613 zerstört, 1721 • Mittelmühle Rudolstadt (Rinne): Städtische Wasser- grundlegender Neuaufbau, 1935 und 1955 Moder- mühle, 1263 erwähnt, ehemalige Schlossmühle, nisierungen, 1991 Erneuerung des Wasserrades und Müllereitechnik vorhanden, nicht betriebsfähig, Nutzung zur Energiegewinnung Mühlenschänke • Handelsmühle Denstedt (Ilm): 1170 als Mahl- und Öl- • Nestler-Mühle Rudolstadt-Schwarza (Schwarza): mühle urkundl. erwähnt, 1613 zerstört durch die im 13. Jh. erstmals erwähnt, 1907 als modernes drei- "Thüringische Sintflut", Mühlengebäude von 1751, stöckiges Mühlengebäude errichtet, funktionsfähige Antrieb über Francis-Turbine, Erzeugung von Qua- Wasserkraftanlage mit 60 PS-Francisturbine, moderne litätsmehlen auf sieben Walzenstühlen Mühlentechnik, noch in Betrieb • Pfeiffers Mühle Buchfart (Ilm): 1613 durch die "Thü- Lkr. Schmalkalden-Meiningen: ringische Sintflut" zerstört, komplett eingerichtete Kleinst- mühle, Nutzung der Wasserkraft [eisernes Wasserrad] • Untere Mühle Breitungen (Truse): im 17. Jh. erwähnt, für Mahlbetrieb und Energiegewinnung; erweitert durch Grundmauern von 1757, Antrieb durch unterschläch- Motormühle mit historischer Technik als „Begeg- tiges Wasserrad, noch Mahlbetrieb, Verkauf von nungsstätte Historische Müllerei“ Mühlenprodukten • Gesenkschmiede Lubenbach Zella-Mehlis: 1850 erbaut, Tab. 3.8-1: ursprünglich Sägewerk, 1918 zur Gesenkschmiede Noch erhaltene baugeschichtlich wertvolle Wassermühlen umgebaut, ältester Brettfallhammer Deutschlands, (aus: BAUCH u. KIRSTEN 2003 und 2007) Antrieb mit Turbine und Wasserrad, heute Museum für historische Schmiedetechnik

Lkr. Sömmerda:

• Dreysemühle Sömmerda (Unstrut): seit 1721 nach- gewiesen, Bauten von 1879/80, Energiegewinnung mit Wasserrad, komplette Mühlentechnik, Mahlbe- trieb, Mühlencafé • Trostdorf-Mühle Ringleben (Mahlgera): seit 14. Jh. achweisbar, Neubau 1887 als Getreide- und Ölmühle, Mühlentechnik vollständig erhalten, neues Zuppinger Wasserrad (6,50 m) für Elektroenergiegewinnung und Mühlenantrieb • Cuxmühle Werningshausen (Schmale Gera): seit 1765 nachweisbar, 1933 als Getreidemahlmühle mit Wohn- haus neu errichtet, Mühlentechnik vollständig erhalten, Wasserkraftnutzung

Lkr. Sonneberg:

• Äußere Mühle Schalkau: 1503 erwähnt, Mühlenbau aus 18. Jh., bis 1991 Mühlenbetrieb, komplette Mülle- reitechnik vorhanden, seit 1994 Elektroenergieerzeu- gung mit oberschlächtigem Wasserrad

131 Mühlen und Mühlenlandschaften

Abb. 3.8-7: Karstmühle Kloster Veßra mit oberschlächtigem Was- serrad. Kleinstmühle mit gesamter Technik und Wohn- haus bilden eine Einheit. Hennebergisches Museum (Foto: H.-H. Meyer 2005).

des 19. Jahrhunderts häufig auch zweigängig (Mahl- u. Schrotgang), in manchen Fällen auch zum Ölschlagen.

Dass von einst wohl mehreren hundert Exem- plaren heute nur noch ganz wenige Bockwind- mühlen erhalten sind, hängt mit der leichten Bauweise zusammen. Viele wurden, wenn sie altersschwach geworden oder - wie 2007 die Windmühlen Krippendorfer Mühle - von Stürmen zertrümmert worden Unter den windbetriebenen Mühlen waren einst in Thü- waren, als Brenn- und Nutzholz zweckentfremdet. ringen drei Bautypen vertreten: Bockwindmühlen, Palt- Andere wurden auch in Teile zerlegt und anderswo rockwindmühlen und Kappenwindmühlen. wieder aufgebaut.

Die Bockwindmühle - wegen ihrer großen Verbreitung Die folgende Auflistung der noch vorhandenen Mühlen im deutschen Sprachraum auch als "Deutsche Wind- entstammt den Angaben des Thüringer Mühlenvereins mühle" bezeichnet - war bis ins 19. Jahrhundert die (n. BAUCH u. KIRSTEN 2003 und 2007, frndl. mündl. Mitt. bei weitem häufigste Windmühle. Sie wurde vermutlich A. KIRSTEN 2007). von den Zisterziensern im 13. Jahrhundert ins Land gebracht (MAGER, MEIßNER u. ORF 1988).

Bei den Bockwindmühlen war das gesamte Mühlenge- häuse aus Holz gefertigt. Im Falle der ehemaligen Oettersdorfer Mühle (bei Schleiz) war dieser Korpus 12 m hoch und hatte eine quadratische Grundform von 6 x 6 m. Er enthielt das hölzerne Getriebe und den schweren Mahlgang. Dazu kam das rotierende Flügel- kreuz mit einem Durchmesser von 17 m.

Um die Mühle in den Wind zu stellen, war der Korpus drehbar auf einem hölzernen Sockel gelagert. Dieser bestand aus dem Bock (Fußgestell) und dem Ständer, auch "Hausbaum" genannt. Zur Drehung diente der Sterz, ein schräg zum Erdboden geneigter Balken am hinteren Ende der Mühle, der meist aus einem gebogen gewachsenen Baum hergestellt war. Änderte sich die Windrichtung, musste der Müller seine Arbeit unterbre- chen und den Mühlenkasten in die entsprechende Richtung drehen.

Um die Leistung optimal dem Wind anzupassen, besa- ßen die Flügel hölzerne Jalousieklappen oder „Türen“, einhängbare etwa 2 m lange Bretterbeschläge, die bei starkem Wind geöffnet und in windschwachen Zeiten geschlossen werden konnten, wodurch eine relativ gleichmäßige Drehgeschwindigkeit erreicht wurde. Abb.3.8-8: Bockwindmühlen dienten im wesentlichen der Vermah- Erste Darstellung einer Bockwindmühle nach einem Stich von lung von Getreide. Sie waren eingängig, seit der Mitte RAMELLI, um 1580 (aus: SCHNELLE 1991).

132 Mühlen und Mühlenlandschaften

Abb. 3.8-9: Seit 1742 steht in Krippen- dorf (Saale-Holzland-Kreis) eine Bockwindmühle. Die jetzige, 1860 unter Ver- wendung von Teilen einer anderen Bockwindmühle neu errichtet, wurde durch den Orkan „Kyrill“ am 18. Januar 2007 völlig zerstört. Ein Wiederaufbau ist ge- plant. Historische Beson- derheit: Die Schlacht von Jena 1806 fand im Umfeld der Bockwindmühle statt (Foto: H.-H. Meyer 2005).

Der Bockwindmühle nahe verwandt ist die Paltrock- Bockwindmühlen: windmühle. Der um 1600 in den Niederlanden aufge- • Ballstädt (Lkr. Gotha): 1834 erbaut, 1933 aus Hohen- kommene Bautyp erhielt seinen Namen aufgrund der eggelsen [Sachsen-Anhalt] umgesetzt, zwei Flügel mit Ähnlichkeiten mit einem Gewand pfälzischer Einwan- Volljalousie, zwei Flügel mit Türen, Mühle voll funk- derer, das die Niederländer "Pfalzrock" = "Paltrock" tionsfähig, Rekonstruktion 1982-1984 nannten. An die Stelle des Bockes trat hier ein solides • Bechstedtstraß (Lkr. Weimarer Land; 50): 1620 erwähnt, Fundament aus Mauerwerk. Darauf war eine Rollenbahn 1834 Neuerrichtung nach Brand, bis 1960 in Betrieb, 2000/2001 umfassende Rekonstruktion, neues Flügel- aus Gusseisen montiert, auf der sich das gesamte kreuz [Jalousieflügel], Mühle wieder windgängig, voll hölzerne Mühlengebäude bewegen ließ. Eine Windrose funktionsfähiger windbetriebener Schrotgang sorgte für die automatische Vordrehung in den Wind. • Klettbach (Lkr. Weimarer Land): Standort seit 1810, 1909 ersetzt durch die 1743 in Esperstedt (Kyffhäuser- Da Paltrockwindmühlen im Vergleich zu den Bockwind- kreis) erbaute Mühle, Stilllegung 1961, teilweise erhal- mühlen stabiler konstruiert waren und einen geräumi- tene Mühlentechnik geren Innenraum aufwiesen, bewährten sie sich bis • Krippendorf (Saale-Holzland-Kreis; 69): 1742 erbaut, ins 20. Jahrhundert als relativ moderne Mahlmühlen. 1860 unter Verwendung von Teilen einer anderen Bock- windmühle neu errichtet, mit voll funktionsfähiger Technik Zwei Mühlenbaufirmen spezialisierten sich in den 20er und windgängigem Jalousieflügelkreuz; historische Be- Jahren sogar auf den Umbau von Bockmühlen zu sonderheit: Standort im Umfeld der Schlacht von Jena Paltrockmühlen (MAGER, MEIßNER U. ORF 1988). In 1806; am 18.01.2007 durch den Orkan „Kyrill“ zerstört Thüringen gab es nur eine einzige Paltrockwindmühle, • Langenroda (Kyffhäuserkreis): 1732 erbaut, bis 1962 die heute noch erhalten ist (n. BAUCH u. KIRSTEN 2007): in Betrieb, ab 1995 Rekonstruktion, neues Flügelkreuz mit Segelbespannung, windgängig, Mühlencafé • Lumpzig (Lkr. Altenburg; 143): älteste Windmühle Ost- Paltrockwindmühle: thüringens und einzige erhaltene Bockwindmühle im Altenburger Land, Bj. 1732, z. Zt. Restaurierung • Niederböhmersdorf (LK Greiz; 108): 1843 erbaut • Mehlhornsmühle Nauendorf (Lkr. Greiz; 138): Bj. 1725, als Bockwindmühle, 1922 Umbau zur Paltrockwind- nördlich Ronneburg, schadhaft mühle, gut erhalten • Pölzig (Lkr. Greiz; 142): Bj. ca. 1740, schadhaft Tab. 3.8-3: • Porstendorf (Saale-Orla-Kreis; 91): 1837 erbaut, Einzige erhaltene Paltrockwindmühle in Thüringen. Nummer Betrieb bis 1945, Mühlentechnik komplett erhalten siehe Übersichtskarte (n. BAUCH u. KIRSTEN 2003 und 2007). • Rückersdorf OT Haselbach (Lkr. Greiz; 128): Bj. 1740, südlich Ronneburg, schadhaft • Schillingstedt (Lkr. Sömmerda; 38): 1850/51 erbaut, Von den Bock- und Paltrockwindmühlen unterscheiden 1987-1992 Rekonstruktion, neues Jalousie-Flügelkreuz, sich die Kappenwindmühlen durch ihren mächtigen, Mühlentechnik mit Schrotgang nicht drehbaren Unterbau, dem eine kleine, in die je- • Tüngeda (Wartburgkreis; 65): 1840 erbaut, 1875 an weilige Windrichtung drehbare Kappe (Haube) aufsitzt. den heutigen Standort umgesetzt, 1984-87 rekonstruiert, mit Jalousieflügeln, komplette Mühlentechnik Kappenwindmühlen, eine holländische Erfindung des Tab. 3.8-2: 15./16. Jahrhunderts, erfuhren ihre größte Ausbreitung Erhaltene Bockwindmühlen in Thüringen. Nummer siehe in Thüringen erst im 19. Jahrhundert. Ihre wichtigsten Übersichtskarte (n. BAUCH u. KIRSTEN 2003 und 2007). Vertreter waren hier die (selteneren) meist achteckigen,

133 Mühlen und Mühlenlandschaften

Kappenwindmühlen:

• Altenbeichlingen (Lkr. Sömmerda): Turmwindmühle, um 1850 erbaut, Mahlbetrieb bis 1956 • Dittersdorf (Saale-Orla-Kreis; 103): 1866 erbaut, bis 1925 mit Wind betrieben, auf Eisenkugeln gelagerte Dachhaube als technische Besonderheit, teilweise erhaltene Müllereitechnik • Dittrichshütte (Lkr. Saalfeld-Rudolstadt; 75): 1865 er- baut, eine der am höchsten gelegenen Turmwind- mühlen Deutschlands, um 1953 stillgelegt, Mahlgang erhalten, doppelte Windrose, Flügelkreuz nur Attrappe, Mühlenmuseum • Immenrode (Kyffhäuserkreis; 14): Turmwindmühle, letzte, südlich der Hainleite noch vorhandene Wind- mühle von einst 51, 1859 erbaut, Müllerwohnung im Erdgeschoss der Mühle als Besonderheit, Stein- gänge noch vorhanden • Knapp-Mühle Linda (Saale-Orla-Kreis; 98): Galerie- holländer, Standort seit 1812/13, Gebäude von 1867, seit 1993 technisches Schauobjekt, komplett erhaltene Mühlentechnik • Rüdersdorf (Lkr. Greiz; 89): Zylindrische Turmwind- mühle, Bj. 1830, guter Zustand • Weira (Saale-Orla-Kreis; 81): 12-eckige Holländer- Abb. 3.8-10: mühle, 1816 erbaut, massives Sockelgeschoss aus Paltrockwindmühle mit Jalousieflügeln und Windrose (aus: Bruchsteinmauerwerk, ehemalige Getreide- und Loh- SCHNELLE 1991). mühle (für Windmühle einzigartig in Deutschland !), Antriebs- und Müllereitechnik fast komplett erhalten, 1964 Mahlbetrieb eingestellt nach oben sich verjüngenden hölzernen Ständerhol- • Weißensee (Lkr. Sömmerda; 36): 1862 wurde die länder und die (häufigeren) steinernen zylindrischen 16-eckige Turmwindmühle unweit einer abgebrann- Turmholländer-Mühlen. ten Bockwindmühle erbaut, Mühlentechnik komplett erhalten

Die Achtkantwindmühle, die oft auch im engeren Sinne Tab. 3.8-4: als Holländerwindmühle bezeichnet wird, besitzt ein Erhaltene Kappenwindmühlen. Nummern siehe Übersichtskarte (meist) achteckiges gemauertes Fundament, auf dem (n. BAUCH u. KIRSTEN 2003 und 2007). ein ebenfalls (meist) achteckiges, hölzernes und nach oben sich verjüngendes Mühlengebäude steht. Der massive Unterbau konnte durchaus mehrgeschossig sein, denn je höher die Mühle war, desto günstiger lagen die Windverhältnisse.

Im Unterschied zur Achtkantwindmühle ist die Turm- windmühle konisch in der Form und vollständig massiv aus Ziegelmauerwerk oder Natursteinen errichtet.

Bei beiden Mühlen ist die auf einem Rollenkranz gela- gerte Haube mit dem Flügelkreuz drehbar. Das Verdre- hen erfolgte anfangs entweder mit dem Ster(t)zbalken (=Außenkrühwerk), der an der Haube befestigt war, oder dem im Gebäude befindlichen Innenkrühwerk bzw. später (18. Jahrhundert) mit der Windrose. Dadurch brauchte der Müller bei Windwechsel nicht mehr den Mahlgang zu unterbrechen.

Abb. 3.8-11: Holländerwindmühle mit Jalousieflügeln und Windrose (Erd- holländerwindmühle) (aus: SCHNELLE 1991).

134 Mühlen und Mühlenlandschaften

Zur Bedienung des Sterzes oder zur Begehung der durfte nicht gebaut und durften keine Bäume gepflanzt Flügel und zum An- und Abbinden der Segeltuchbe- werden. Ein strenger Mahlzwang legte überdies für spannung war dem Mühlencorpus mitunter eine Galerie jedes Dorf fest, in welchen Mühlen man das Getreide vorgebaut ("Galerieholländer"). Ihnen standen die zum Mahlen oder Schroten abzuliefern hatte. galerielosen Erdholländer gegenüber mit ihrem fast den Erdboden streifenden Flügelkreuz. Mit der Lockerung der Gesetze (1810-1819) und der vollständigen Aufhebung des Mahlzwangs bzw. des Kappenwindmühlen waren durch ihren feststehenden Mühlenbannes 1869 nahm die Zahl der Mühlen, be- Unterbau merklich stabiler und haltbarer als die leicht- sonders die der Windmühlen, sprunghaft zu. Die Mitte gewichtigen Bockwindmühlen. Dennoch haben auch des 19. Jahrhunderts - der auf den Übersichtskarten von ihnen nur sehr wenige in gutem Zustand überdauert. erfasste Zeitschnitt - darf folglich als wahre Blütezeit der Mühlen angesehen werden.

3.8.4 Verbreitung historischer Mühlen in Thüringen 3.8.4.1 Verbreitung der Wassermühlen - Mühlenlandschaften Wie die Karte 10 zeigt, hat es vor 150 Jahren in nahezu allen Teilregionen Thüringens Wassermühlen gegeben. Auch wenn heute nicht mehr viel darauf hinweist, so Bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch erwar- prägten doch noch vor anderthalb Jahrhunderten Wind- tungsgemäß Konzentrationen in den fließgewässer- und Wassermühlen regional das Landschaftsbild. Die und reliefreichsten Landschaften erkennen. Besonders beiden Übersichtskarten 10 und 11 zum Thema, - sie im mittleren und südlichen Thüringer Wald, im Thüringer beruhen auf den Informationen der um 1850 aufgenom- Schiefergebirge und in den Buntsandsteinhügelländern menen Preußischen Urmesstischblätter (Feldoriginale) reihten sich Wassermühlen in einzelnen Tälern geradezu - stellen die Situation jener Zeit dar. Sie spiegeln zugleich perlenschnurartig aneinander. Manche bildeten dort typische Verbreitungsmuster wider, denen spezielle buchstäblich Mühltäler, mit einer Ober-, einer Mittel- Naturgegebenheiten sowie bestimmte ökonomische und einer Untermühle oder anderen unterscheidenden sowie rechtliche Rahmenbedingungen zugrunde lagen. Namensgebungen.

In erster Linie bestimmte die Verfügbarkeit von Wasser- In den thüringischen Mittelgebirgen gaben der Holz- und Windkraft den Standort bzw. die Antriebsform der reichtum und der Bergbau Anlass zur Gründung zahl- jeweiligen Mühle. In zweiter Hinsicht entschied das reicher Mühlen oft weit abseits von bestehenden Dörfern herzustellende Produkt bzw. die Arbeit, die zu leisten und Städten. Einige große Talzüge im Thüringer Wald war, über die Art des Antriebs. Generell erwiesen sich und im westlichen Schiefergebirge bildeten regelrechte die Wassermühlen dabei als flexibler und dauerhafter Industriegassen. einsetzbar. Sie dienten als Mahl-, Schneid- und Ham- mermühlen, als Quetsch- und Schälmühlen, während Neben Hammer- und Walzmühlen, die Eisen zu Stäben die Windmühlen fast nur als Mahlmühlen zum Einsatz und Blechen, zu Nägeln, Ketten und Draht weiterver- kamen. Die vielfältige Nutzung von Wassermühlen arbeiteten, gab es in besagten Tälern um die Mitte des ergab sich auch daraus, dass im zertalten Gelände der 19. Jahrhunderts eine noch größere Zahl von Säge- Getreidebau eine geringere Rolle spielte als in den mühlen („Schneidmühlen“), die aus Fichten- und Tan- flachen und windoffenen Ackerhügelländern, den prä- nenholz Breter und Bohlen schnitten. Nur im nordwest- destinierten Standorten der Windkraftnutzung. lichen Thüringer Wald, wo die Buche dominiert, die sich als Hartholz in der vorindustriellen Zeit nur schwer Darüber hinaus bestimmten strenge gesetzliche Vor- bearbeiten ließ, waren sie weniger verbreitet (v. MINCK- schriften die Zahl und Lage der Mühlen. Kaum ein WITZ 1968). anderes Gewerbe unterlag jahrhundertelang vergleich- baren Einschränkungen. Bis zur Einführung der Ge- Im Folgenden werden Täler mit besonders vielen und werbefreiheit um die Mitte des 19. Jahrhunderts gehör- unterschiedlichen Mühlen vorgestellt. ten das Wasserrecht und das Recht zur Genehmigung einer Mühlstatt an fast allen Flussläufen der jeweiligen Im Vessertal zwischen Schleusingen und Vesser be- Obrigkeit (Fürsten, Klöster etc.). Diese Regelungen standen nach Aussagen der Preußischen Urmesstisch- bescherten den Landesherrn durch den Mühlzins be- blätter um 1850 allein 4 historische Schneidmühlen, 1 trächtliche Einnahmen; sie gewährleisteten außerdem, Blech- und 2 Eisenhämmer sowie 1 Eisenwerk, südlich dass sich die konkurrierenden Nutzungen in und an von Schleusingen 3 Sägemühlen und eine Papiermühle. den Flüssen (vor allem Fischerei, Schifffahrt, Flößerei Zu den von Schmiede- und Hammerwerken geprägten etc.) nicht über Gebühr behinderten. Mindestens in der Tälern gehörten in jener Zeit auch das Sormitztal und Größenordnung von 100 Metern um Windmühlen herum das Obere Schwarzatal. Im Sormitztal kamen auf

135 Mühlen und Mühlenlandschaften

merwerke (Beispiele: Masserhammer, Oberhammer, Schwagerhammer, Röhrhammer, Kernstalmühle, Schwarzmühle, Blaue Mühle, Rote Mühle, Obstfelder- schmiede, Blechhammer). Die große Zahl an Mühlen auf dem Kartenblatt Zeulenroda (5337) ist auf die vielen Mahlmühlen im Weidatal zurückzuführen.

Im Sonneberger und Hildburghäuser Land waren neben den Schneidmühlen die Märbelmühlen häufig und ge- radezu regionstypisch. Sie hatten Mahlsteine mit kon- zentrisch angebrachten Rillen, zwischen denen kleine Steinwürfel zu Kugeln (Murmeln) abgeschliffen wurden, die man im 18. und 19. Jahrhundert als Kinderspielzeug, Munition, Ballastmaterial für Segelschiffe und andere Zwecke verwendete. Es gab Ton- und Kalksteinmärbeln. Ihren Ursprung hat die Märbelmüllerei in Steinach an der Steinach und in Oeslau an der Röthen. Dort war es 1769 Johann Bernhardt Trinks und 1771 Moritz Au- gust von Thümmel als ersten gelungen, Steinmärbel in Massenproduktion herzustellen (RAU 2003).

Eine der größten regionalen Wassermühlendichten Thüringens lässt sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts Abb. 3.8-12: für das Flusssystem der Orla konstatieren, auch wenn Untermühle Freienorla. 1176 erstmals erwähnt, nach 1895 das in der Übersichtskarte wegen der Bezugsbasis der neu errichtet. Bis 1978 trieb die Orla über ein unterschlächtiges Darstellung (Viertelquadranten) nicht deutlich wird. Fast Zuppinger-Wasserrad eine Mahlmühle an; heute nutzt man 60 Standorte sind dort zwischen Könitz und Triptis auf die Technik zur Elektroenergiegewinnung. Die Vermahlungs- den historischen Karten lokalisierbar: Neben Getreide- technik mit Wasserradantrieb ist vorführbar (Foto: Chr. Glink 2004). mühlen, Walkmühlen und anderen auf die bäuerliche Wirtschaft der Orlasenke bezogenen Mühlen finden sich geologisch bedingt auch viele Kalk- und Gipsmühlen 20 km Lauflänge 20 historische Mühlen (Beispiele: (Büchersmühle, Rothspitzenmühle, Obere Walkmühle, Langwassermühle, Pulvermühle, Knauermühle, Hein- Schleichermühle, Schlagmühle, Harrasmühle, Kalkmüh- richshütte, Bärenmühle, Klettigshammer, Klettigsmühle, le bei Neustadt, Grünaumühle bei Oppurg, Baiermühle Zschachenmühle, Neumühle, Heberndorfer Mühle, bei Krölpa u.a.). Grubersmühle, Hockenrodaer Hammer), im Oberen Schwarzatal von Katzhütte bis Schwarzburg auf 25 km Wie weit in manchen Fällen die Ausnutzung der Was- Lauflänge 20 historische Mühlen, Schmiede- und Ham- serkraft ging und wie vielfältig die Nutzungen selbst

Abb. 3.8-13: Historische Mühlen und Hammerwerke im Schwar- zatal südlich Katzhütte (Historisches Messtisch- blatt von 1939, Nr. 5432, Großbreitenbach; Original- maßstab 1 : 25 000, ver- kleinert; Nachdruck des Thüringer Landesamtes für Vermessung und Geoinfor- mation).

136 Mühlen und Mühlenlandschaften

bei einer einzelnen Mühle waren, lässt sich besonders Name Mühlendichte in km gut am Beispiel der Apfelstädt demonstrieren. • Mühlbachtal bei Großenehrich: auf 1,5 km Lauflänge kamen 5 historische Mühlen 3,3 Auf ihrem rd. 35 km langen Weg von Tambach-Dietharz • Werratal bei Eisfeld: auf 2,2 km Lauflänge bis zur Mündung in die Gera bei Ingersleben konnten kamen 6 historische Mühlen 2,7 von A. Kirsten 59 (!) historische Mühlen dokumentiert • Geisledebach bei Geisleden am Dün: auf werden (HÄHNLEIN, KRAMER U. KIRSTEN 2000), davon 18 1,5 km Lauflänge kamen 4 historische Mühlen 2,7 in Tambach-Dietharz, 9 in Georgenthal und 6 in Wan- • Hagebachtal bei Neustadt am Ohmgebirge: auf dersleben. Als Beispiel werden nachfolgend die Mühlen 2,2 km Lauflänge kamen 5 historische Mühlen 2,2 von Tambach-Dietharz genannt. Sie waren bis auf eine • Mühltal in Jena: auf 3 km Lauflänge kamen Ausnahme allesamt im 19. Jahrhundert noch in Betrieb: 6 historische Mühlen 2,0 Mühle im Spittergrund (Mahlmühle, Drechslerei), Neue • Ohnetal oberhalb Niederorschel: auf 2,5 km Mühle/Spittermühle (Mahl-, Öl- und Graupenmühle), Lauflänge kamen 5 historische Mühlen 2,0 • Unstruttal bei Dingelstädt: auf 3,2 km Kirchmühle (Mahlmühle, Metallwarenfabrik), Schneide- Lauflänge kamen 6 historische Mühlen 1,9 mühle Hünefeld (Schleifkotten, Drahthammer, Schnei- • Wipper zwischen Worbis und Kirchworbis: auf demühle), Triftmühle (Mahl-, Öl-, Graupen-, Papiermüh- 3 km Lauflänge kamen 5 historische Mühlen 1,6 le, Bürstenfabrik), Mühle am Triftgraben (Schneidemüh- • Eisenberger "Mühltal": auf 7,5 km Lauflänge le, Eisenhammer), Mühle im Tammichgrund (Polierhütte, kamen 10 historische Mühlen 1,3 Knochen-, Mahl-, Ölmühle, Bürstenfabrik), Schneide- • Gleistal von Thalbürgel bis Golmsdorf: auf mühle Stötzer (1907-1957), Mühlichs Mühle (Schnei- 10 km Lauflänge kamen 11 historische Mühlen 1,1 demühle), Mühle am Heuloch (Schneidemühle, Werk- • Brahmetal zwischen Groitschen und Gera: auf statt), Lipse-Mühle (Mahlmühle), Teichmühle (Schnei- 8 km Lauflänge kamen 9 historische Mühlen 1,1 • Hexengrund mit Wiedabach zwischen Engerda de-, Mahl-, Graupen-, Tabak-, Farbmühle, Holzwaren- und Zeutsch an der Saalemündung: auf 8 km fabrik), Herrschaftliche Schneidemühle (Schneidemüh- Lauflänge kamen 9 historische Mühlen 1,1 le), Ölmühle bei der herrschaftlichen Schneidemühle • Sormitztal von Wurzbach über Leutenberg bis (Mahl-, Öl- und Graupenmühle), Untermühle (Mahlmüh- Hockeroda: auf 20 km Lauflänge kamen le), Ölmühle Pfestorf (Ölmühle), Mühle in Hasselfeld 20 historische Mühlen 1,0 (Eisenhammer, Papiermühle, Pappenfabrik), Rudolfs- • Mühlen der Tälerdörfer (Oberlauf Roda oberhalb mühle (Schneidemühle, Drahthütte). Erdmannsdorf, Weißbach und Nebentäler): auf 30 km Lauflänge kamen 30 historische Mühlen 1,0 Stark ausgebaut war die Wasserkraftnutzung seit jeher • Vessertal oberhalb Schleusingen: auf 11 km in allen größeren Städten und anderen gewerbestarken Lauflänge kamen 10 historische Mühlen 0,9 • Rodatal zwischen Geisenhain, Stadtroda und Orten, z.B. in Mühlhausen, Bad Langensalza, Heiligen- Jena-Lobeda: auf 17 km Lauflänge kamen stadt, Gotha, Blankenburg, Saalfeld, Gräfenthal, Leu- 15 historische Mühlen 0,9 tenberg, vor allem aber in Erfurt. Dort konnten an den • Sprottetal von Posterstein über Schmölln bis verschiedenen Gera-Armen allein im Stadtkern 42 zur Pleißemündung bei Saara: auf 17 km ehemalige Mühlenstandorte nachgewiesen werden, Lauflänge kamen 15 historische Mühlen 0,9 darunter zwischen Anger und Fischmarkt die "Neue • Zeitzgrund zwischen Stadtroda und Hermsdorf: Mühle", die heute als Mühlenmuseum die lange Tra- auf 10 km Lauflänge kamen 8 historische Mühlen 0,8 dition des Erfurter Mühlengewerbes bezeugt (Standort • Pleißetal zwischen der sächsischen Landes- grenze bei Ponitz bis Altenburg: auf 18 km 1259 erstmals urkundlich erwähnt; BAUCH U. KIRSTEN Lauflänge kamen 15 historische Mühlen 0,8 2007). • Oberes Schwarzatal von Katzhütte bis Schwarzburg: auf 25 km Lauflänge kamen Vergleichsweise gering war die Dichte der Wassermüh- 20 historische Mühlen 0,8 len in den fließgewässerarmen Muschelkalklandschaften • Weidatal von Läwitz bis zur Triebesmündung: im Nordwesten und Südosten des Thüringer Beckens auf 18 km Lauflänge kamen 14 historische und in Südwestthüringen (einschl. Rhön), wo ein großer Mühlen, große Verluste durch Talsperren Teil des Oberflächenwassers im Untergrund versickert Zeulenroda und Weida 0,8 und deshalb für den Antrieb von Wasserrädern nicht Tab. 3.8-5: genutzt werden kann (Karsthydrologie im Muschelkalk). Mühlenreiche Täler bzw. Talabschnitte in Thüringen um 1850 (Quelle: Preußische Urmesstischblätter). Die Gesamtzahl der Auch das flache und niederschlagsarme Innerthüringi- historisch nachweisbaren Mühlen kann noch höher sein. sche Keuperbecken und das landschaftlich ähnliche Altenburger und Weißenfelser Land gehörten in Thü- ringen zu den Regionen mit vergleichsweise geringer Dichte an Wassermühlen. Windmühlen traten in diesen offenen Ackerhügelländern an ihre Stelle (s.u.).

137 Mühlen und Mühlenlandschaften

Abb. 3.8-15: Turmwindmühle Dittrichshüt- te. Die 1865 erbaute Mühle ist eine der am höchsten ge- legenen Turmwindmühlen Deutschlands. Ihr Mahlgang ist noch erhalten, das Flügel- kreuz nur Attrappe (Foto: C. Glink 2004).

Voranstehend werden die wassermühlenreichsten Täler Im Gegensatz dazu prägten in den lössreichen Acker- bzw. Talabschnitte Thüringens tabellarisch genannt. hügelländern des Thüringer Beckens und im Ronne- Angegeben sind neben der Zahl der historisch belegten burger Gebiet um die Mitte des 19. Jahrhunderts Wind- Mühlenstandorte (Quelle: Preußische Urmesstischblät- mühlen das Bild ganzer Landstriche, so dass manche ter) auch die Länge des Talabschnittes und die dort Gemeinde die Windmühle im Ortssiegel bzw. im Stempel angetroffene Mühlendichte (Quotient: Mühlen pro km führte (z.B. Kleinfalke südwestlich Ronneburg). Tallänge). Im Schnitt fand sich vor 150 Jahren in den mühlenreichsten Tälern etwa alle 500 bis 2000 m Lauf- Einige Orte im Thüringer Becken hatten bis zu 4 Wind- länge eine Mühle. mühlen, meist Bockwindmühlen, gleichzeitig in Betrieb (z.B. nordwestlich Ebeleben: Holzthaleben 4, Groß-

3.8.4.2 Verbreitung der Windmühlen Vergleicht man die Verbreitung der historischen Wind- mühlen (Karte 11) mit derjenigen der Wassermühlen, so zeigen sich erwartungsgemäß die naturbedingten Unterschiede. Windmühlen konzentrierten sich im We- sentlichen auf windoffene, stark getreidebaulich geprägte Agrarlandschaften, in denen die Wasserkraft nicht über- all in ausreichender Menge zur Verfügung stand: auf das Thüringer Keuperbecken und seine randlichen Muschelkalkhochlagen, das Osterland um Ronneburg, größere Offenlandinseln auf der Hochfläche des Schie- fergebirges und die Ränder der Orlasenke. Bemerkens- wert ist, dass in Südwestthüringen keine Windmühlen verzeichnet sind, was daran liegen mag, dass hier "Wasser als stetigere Kraftquelle reichlich vorhanden war und .. die Zahl der Windtage im schon kontinental beieinflussten Gebiet zu gering war, um Windmühlen wirtschaftlich betreiben zu können" (LANGE 2001).

Abb. 3.8-14: Holländermühle in Linda. Galerieholländer, erbaut 1867, bis 1965 in Betrieb, seit 1993 technisches Schauobjekt, komplett erhaltene Mühlentechnik (Foto: C. Glink 2004).

138 Mühlen und Mühlenlandschaften

Windmühlenlandschaften

Dün - Nördliches Thüringer Becken Gera-Thränitz, (136) Gera-Bieblach, (137) Beerwalde, (138) Großenstein, Nauendorf (4 Mühlen), (139) Gera-Hain, (140) (3) Hüpstedt/Beberstedt, (4) Keula [3 Mühlen], (5) Holz- Roben, (141) Aga (2 Mühlen), (142) Pölzig, (143) Bethen- thaleben [4 Mühlen], (6) Kleinberndten, (8) Menteroda, (9) hausen, Lumpzig (2 Mühlen), (144) Reichstädt u. Klein- Obermehler, (10) Urbach [2 Mühlen], (11) Kleinbrüchter, tauscha (3 Mühlen), (145) Wildenbörten, (146) und (147) (12) Großbrüchter [3 Mühlen], (13) Großberndten [2 Mühlen], Dobitschen, (148) Naundorf, (149) Altenburg, (150) Rositz, (14) Immenrode, (15) und (16) Schlotheim, (17) Mehrstedt, (151) Waltersdorf, (152) Zechau, (153) und (154) Alt- und (18) Holz- und Rockensußra (3 Mühlen), (19) Ebeleben [2 Neupoderschau, (155) Lucka, darin Raum Ronneburg: Mühlen], (20) Rockstedt, (21) Großenehrich, (22) und (23) 10 km Radius/29 Windmühlen Trebra, (32) Kirchheilingen, (33) Blankenburg, (34) Kutzle- ben, (35) Frömmstedt, (36) Weißensee, (37) Hemleben, Ostthüringen - Vogtland (38) Schillingstedt, (40) Bachra, (41) und (42) Buttstedt; bei Ebeleben: 10 km Radius/28 Mühlen (76) Goßwitz-Bucha (3 Mühlen), (77) Ranis, (78) Pöss- neck, (79) Grobengereuth, (80) Gertewitz, (81) Neustadt/ Hainich-Vorland - Fahnersche Höhen Orla, Weira, (82) Weltwitz, (83) Alsmannsdorf, (91) Por- stendorf, (92) Triptis (4 Mühlen), (93) Wetzdorf, (94) Brauns- (25) Langula, (26) Kammerforst, (27) Flarchheim, Mülver- dorf, (95) Wiebelsdorf, (96) Wüstenwetzdorf, (97) Moßbach stedt, Weberstedt [4 Mühlen], (28) Großengottern, (29) (2 Mühlen), (98) Linda u. Kleina (2 Mühlen), (99) Dreba (3 Schönstedt [3 Mühlen], (30) Waldstedt, (31) Zimmern, (52) Mühlen), (100) Knau, (101) Tausa, (102) Pahnstangen, Döllstädt [2 Mühlen], (53) Dachwig, (54) Großfahner/Gier- (103) Dittersdorf, (104) Tegau, (105) Muntscha, (106) Auma städt [2 Mühlen], (55) Bienstädt, (56) Töttelstädt, (57) Tröch- (2 Mühlen), (107) Hohenleuben (3 Mühlen), (108) Nieder- telborn, (58) Friemar [2 Mühlen], (59) Molschleben, (60) böhmersdorf, (109) Zeulenroda (5 Mühlen), (110) Schleiz, Eschenbergen, (61) Hausen/ Bufleben, (62) Hochheim, (111) Oettersdorf, (112) Löhma, (113) Gräfenwarth, (114) (63) Wangenheim, (64) Wiegleben, (65) Tüngeda, (66) Remptendorf, (115) Friesau, (116) Ebersdorf, (117) Elias- Behringen brunn, (118) Tanna (2 Mühlen), (119) Mielesdorf, (120) Neuhäuser, (121) Pöllwitz, (122) Gommla; Raum Auma- Zentrales Thüringer Becken - Weimarer Land Triptis-Neustadt: rd. 25 Mühlen

(43) Sprötau, (44) Schloßvippach [3 Mühlen], (45) und (46) Sonstige Gebiete Neumark, (47) Hottelstedt, (48) Hopfgarten, (50) Bechstedt- straß, (51) Egstedt (1) Günterode, (2) Holungen, (7) Diedorf, (24) Ringleben, (39) Hechendorf, (49) Kötschau, (67) Gossel, (68) Haufeld, Osterland (69) Krippendorf, (70) Cospeda, (71) Wilsdorf-Zimmern, (72) Frauenprießnitz, (73) Egelsdorf, (74) Oberhain, (75) (123) Seelingstädt-Chursdorf (2 Windmühlen), (124) Klein- Dittrichshütte, (84) Großbockedra, (85) Mörsdorf, (86) falke, (125) Linda, (126) Reust, (127) Rückersdorf, (128) Göritzberg b. Bürgel, (87) Königshofen, (88) Eisenberg, Haselbach, (129) Nischwitz, (130) Weißbach, (131) Poster- (89) Rüdersdorf, (90) Münchenbernsdorf, (156) Langen- stein, (132) Paitzdorf, (133) und (134) Ronneburg, (135) grobsdorf

Tab. 3.8-6: Windmühlenlandschaften in Thüringen (Quelle: Preussische Urmesstischblätter, um 1850). brüchter 3, Keula 3, Schönstedt bei Bad Langensalza bleibt noch mehr zu tun. Nach wie vor sind Mühlen 3, Schloßvippach bei Sömmerda 3). Sie lagen fast im- dem Verfall preisgegeben, bei anderen sind technische mer verkehrsgünstig an Wegen oder Straßen zwischen Einrichtungen ausgebaut oder funktionsuntüchtig, so den Orten, häufig westlich wegen der vorherrschenden dass sie nur mit erheblichen finanziellen Mitteln wieder Westwinde. Eine Rekorddichte von Windmühlen befand betriebsfähig zu machen sind. sich im Ronneburger Gebiet. Dort konnte man von der historischen Landmarke, dem Reuster Berg, auf dem Wichtig ist, den Abriss möglichst vieler Relikte zu ver- selbst bis 1902 eine Windmühle stand (Nr. 126), einst hindern und, wo erforderlich, vorläufige Sicherungs- die Flügel von 21 Windmühlen drehen sehen. maßnahmen vorzunehmen. Unverzichtbar ist dabei, die Sensibilität der Eigentümer für das kostbare Kulturgut zu schärfen und sie bei ihren Erhaltungs- und Pflege- bemühungen zu unterstützen. Dieses ist ein zentrales 3.8.5 Ausblick Anliegen des Thüringer Landesvereins für Mühlener- Auch wenn in der Vergangenheit zum Schutz und zur haltung und Mühlenkunde TVM e.V. (Anschrift: A. Kirs- Pflege historischer Mühlen viel geleistet worden ist, so ten, Mittelhäuser Straße 3, 99089 Erfurt).

139 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

3.9 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Abb. 3.9-1: Arbeitsvielfalt im historischen Bergbau, nach den beigefügten Wappen „Sächsisches Bergwerk“ genannt. Der Spruch dient der Ermahnung und Ermunterung der im Bergbau Tätigen. Holzschnitt um 1530 (aus: HEILFURTH 1981).

3.9.1 Einführung ersten Goldfunde am Goldberg bei Reichmannsdorf zugeschrieben. Spätestens im 12. Jahrhundert muss Thüringen ist ein altes Bergbauland. Bedingt durch die in seinem Untergrund dokumentierte erdgeschichtliche auch der Bergbau auf Eisenstein im ehemaligen Berg- Entwicklung von über einer halben Milliarde Jahre tritt amtsbezirk Altenstein und an der Sturmheide zu Ilmenau hier eine Vielfalt unterschiedlichster Gesteine zu Tage, begonnen haben. Erste urkundliche Belege für den die auch wertvolle Lagerstätten beinhalten. Vor allem Bergbau am Stahlberg bei Schmalkalden reichen bis die bei der variskischen Gebirgsbildung im Paläozoikum ins 14. Jahrhundert zurück. durch Druck und Hitze veränderten und intensiv verfal- teten und zerbrochenen Grundgebirgskörper der thü- Selbst wenn fast alle historischen Erz- und Mineralla- ringischen Mittelgebirge sind reich an Erzen und anderen gerstätten unter heutigen Maßstäben "Kleinvorkommen" mineralischen Rohstoffen, die seit mehr als einem darstellen, so hat der Bergbau doch einigen Regionen Jahrtausend immer wieder zu bergbaulichen Aktivitäten Thüringens zeitweilig einen gewissen wirtschaftlichen Anlass gegeben haben. Wohlstand gebracht und in Einzelfällen sogar die Grundlage für eine überregional erfolgreiche, da spe- Bei Schmalkalden ist Bergbau erstmals im Jahre 900 zialisierte Gewerbeentwicklung bereitet. Die Schmal- bezeugt, etwa zur gleichen Zeit für Vesser bei Schmie- kaldener Eisenindustrie, die Waffenherstellung von defeld. Um 1100 werden westfälische Bergleute auf Suhl und die Maxhütte bei Saalfeld bieten dafür die Veranlassung des Erzbischofs von Köln in den Wäldern bekanntesten Beispiele. So manche baulichen Zeug- südwestlich Saalfeld angesiedelt. Ihnen werden die nisse dokumentieren dort noch heute den wirtschaftli-

140 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften chen Erfolg, der einst auf den Erträgen des Bergbaus begründet war.

Mittlerweile gehören die meisten Aktivitäten der Roh- stoffgewinnung der Vergangenheit an. Der Erzbergbau ist (fast) vollständig eingestellt worden. Die Gewinnung von Uranpechblende bei Ronneburg endete 1990. Der Eisenerz-, Fluss- und Schwerspatabbau im Trusetal ging ebenfalls 1990/91 zu Ende, desgleichen der Flussspatabbau auf dem Ilmenauer Floßberggang. Schon 1969 wurden die Eisenerzgruben von Wittmanns- gereuth geschlossen, die von Schmiedefeld 1970.

Noch länger zurück liegt die Einstellung des Antimon- bergbaus von Oberböhmsdorf bei Schleiz (1954) und des Kupferbergbaus im Kamsdorfer Revier (1921). Der Kobaltbergbau auf dem Roten Berg bei Saalfeld wurde Mitte des 19. Jahrhunderts eingestellt; die Goldwäsche- rei an der Schwarza und der Goldbergbau bei Reich- mannsdorf hatten bereits im 18. Jahrhundert ihr Ende gefunden. Abb. 3.9-2: Vom einst bedeutenden Kalibergbau des Südharzer Pingengelände Tännig bei Lobenstein (Foto: G.-R. RIEDEL und des Werrareviers hat nach den Marktanpassungen 2006). der 1990er Jahre nur ein einziges Werk überlebt (Un- terbreizbach bei Vacha). 3.9.2 Bergbauliche Sachzeugen

Auch der Abbau diverser Industrieminerale ist mittler- Zeugnisse des historischen Bergbaus sind in Thüringen weile Geschichte. Dies gilt für die Schwerspatgewinnung noch vielerorts erhalten. Im Folgenden werden die auf- von Leutnitz bei Bad Blankenburg und Könitz bei fälligsten Geländespuren, geordnet nach den wichtigsten Saalfeld (letztmalig 1929 bzw. 1964) ebenso wie für Bergbauformen (Seifenbergbau, Tage- und Tiefbau), den Asbestbergbau bei Wurzbach (im 1. Weltkrieg). kurz vorgestellt. Auch die einst bedeutende Gewinnung von Farberden wie Ocker, Rötel, Umbra und Schieferschwarz bei Unter Seifenbergbau versteht man das Waschen und Saalfeld, Gräfenthal, Steinach, Greiz und Triebes hat Ausspülen von Rohstoffen - vor allem Zinn und Gold - unter den Wirtschaftsbedingungen des 20. Jahrhunderts aus Gewässern und ihren Sedimenten (Sand, Kies). nicht mehr bestehen können. Der historisch bedeutende Als Zeugnisse in der Landschaft bleiben ausgebaute und einst an vielen Orten, z.B. bei Saalfeld, Gräfenthal, oder verlagerte Gerinne (Griesbach, Grumbach) und Saalburg, Zeulenroda und Großbreitenbach umgegan- kleine, meist kreisförmige Halden entlang der Gerinne gene Alaunschieferbergbau zur Vitriolgewinnung ist erhalten (Raithalden). Durch späteren Ausbau und Um- bereits Mitte des 19. Jahrhunderts der Konkurrenz der gestaltung der Gewässer und ihrer ufernahen Bereiche modernen Großchemie zum Opfer gefallen. (Fischfang, Mühlen, Hochwasserschutz) sind die Spuren der Goldwäsche mittlerweile selten geworden. Nach wie vor im Abbau stehen Baustoffe wie Gips und Dolomit, Hartgesteine für die Schotter- und Splitther- stellung, Sandstein für die Bausandgewinnung, Tone für die Ziegelindustrie, in bescheidenem Rahmen auch noch der traditionsreiche Dachschiefer sowie verschie- dene Werk- und Dekorationssteine.

Unterdessen ist durch die weltweit gestiegene Nachfrage auch der Erzbergbau in Thüringen wieder interessant geworden. Bei Gehren im Ilm-Kreis wird seit 2006 wieder Flussspat gewonnen, nachdem das alte Berg- Abb. 3.9-3: werk im Schobsetal bei Gehren und Langewiesen 1991 Modell eines kleinen Suchstollens mit Schacht (aus: SCHMIDT stillgelegt worden war. u. DREGER 2004).

141 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Pingen wurden bisher nicht systematisch erfasst. Die historischen Messtischblätter (1850, 1930) geben sie nur unvollständig wieder. Recherchen bei den Bergäm- tern und in den Archiven sowie Geländekartierungen sind deshalb unverzichtbar, um ihren Bestand zuver- lässig zu ermitteln.

Bedingt durch die mit der Teufe wachsenden Probleme bei der Entwässerung und Belüftung und beim Ausbau der Stollen herrschte der Duckelbergbau in Thüringen über viele Jahrhunderte bis ins ausgehende Mittelalter vor. Erst neue Technologien bei der Wasserhaltung und Bewetterung und hoher Kapitaleinsatz ermöglichten seit dem 15. Jahrhundert tiefere Schächte und ausge- dehntere „Grubengebäude“ anzulegen. Mit Handpum- pen war kein Bergwerk trocken zu halten. Die wichtigste technische Lösung brachte in diesem Zusammenhang die sog. „Wasserkunst“, d.h. die Nutzung von Oberflä- chenwasser aus Bächen, Teichen oder Flüssen, mit dem über große Wasserräder und Gestängekonstruk- tionen Pumpen oder Wasserhebewerke sowie Mecha- nismen zur Erz- und Personenbeförderung angetrieben Abb. 3.9-4: werden konnten (s. Kap. 3.8. „Mühlen und Mühlen- Treppenartiges Abteufen einer Schachtanlage (aus: SCHMIDT landschaften“). Gleichzeitig sorgten spezielle Stollen, u. DREGER 2004). die von den Tälern her mit leichtem Anstieg in den Berg getrieben wurden („Wasserlösestollen“), dafür, dass das Grubenwasser abfließen konnte; zusätzliche senk- Tagebau fand in seiner frühesten Form - von der Bron- rechte Schächte erhöhten die Belüftung (bergmännisch: zezeit bis ins Mittelalter - als Duckelbergbau/Fuchsloch- Bewetterung). abbau statt, war es doch anfangs nur möglich die ober- flächennahen Partien der zu Tage streichenden Erz- Lange Zeit begrenzte die Belastbarkeit der Förderseile gänge abzubauen. Um an die erzhaltigen Gesteine zu die Länge von Schächten auf etwa 20-30 m (SCHMIDT gelangen, wurden flache, mehr oder weniger unregel- u. DREGER 2004). Wollte man tiefer vordringen, musste mäßige Gruben oder Gräben angelegt ("Abbaupingen"), von einer Strecke oder einer sog. Teilsohle aus ein später auch enge Schächte mit einigen Metern Tiefe neuer Schacht abgesenkt werden („Blindschacht“ = und ca. 50-60 cm Durchmesser („Schachtpingen“, Schacht ohne Tageslicht). Auch dieser war maximal Übergangsform zum Tiefbau). In der Regel zeichnen 30 m lang und so fort. Nur durch das treppenartige Ab- die Pingen durch ihre Lage die tagesnahen Ausstrich- teufen war es möglich in 100 und mehr Meter Teufe linien der Erzgänge nach, so dass sie häufig perlen- vorzudringen (Abb. 3.9-4). Dies geschah bis weit in die schnurartig aneinander gereiht erscheinen („Pingen- Neuzeit hinein überwiegend durch Handarbeit mit züge“, Abb. 3.9-5). Schlägel (eine Art Fäustel), Eisen (ein auf einen Holzstiel gesteckter Meißel) und Keilhaue. Später erleichterte Findet man Abbaupingen im Gelände, ist ihre die „Schießarbeit“ (Sprengung) den Streckenvortrieb. Altersbestimmung schwierig, denn noch im 19. Jahrhundert können vergleichbare Strukturen im Rahmen von Prospektionsarbeiten entstanden sein (Suchstollen, s. Abb. 3.9-3); unter glücklichen Umständen ist ihre Datierung dann nur durch Auswertung von Archivalien oder durch archäo- logische Fundstücke möglich (z.B. mittelalterliche Scherben).

Abb. 3.9-5: Historischer Übersichtsriss von 1817 mit Halden- und Pingenzügen entlang der Randverwerfung des Thürin- ger Waldes am Domberg bei Suhl (aus: SCHMIDT u. DREGER 2004).

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Zur Sicherung ihrer Standfestigkeit mussten die Schäch- schiefergrube "Feengrotten"; Schmalkalden: ehemalige te mit Holzverstrebungen und Bohlen ausgekleidet wer- Eisenerzgrube Asbach; Schmiedefeld: Schaubergwerk den. Abschnitte von Stollen und Strecken in brüchigem Morassina; Sondershausen: "Erlebnisbergwerk" (Kali- Gestein wurden mit einer Türstockzimmerung versehen, bergwerk); Stedtfeld bei Eisenach: Bergbaulehrpfad; die aus stabilen Rundhölzern bestand, was sehr teuer Suhl: Bergbauwanderweg Domberg-Sauerberg; Tru- war. Nicht zuletzt deshalb gehörte der Bergbau zu den setal: ehemalige Eisenerzgrube Hühn mit Geologie- größten Holzverbrauchern seiner Zeit (s. a. Kapitel 3.7. und Bergbaulehrpfad sowie Wurzbach: Technisches „Historische Waldnutzungen“). Schaudenkmal "Heinrichshütte".

Während sich die Spuren des Duckelbergbaus nicht Museen mit bergbaulichen Exponaten befinden sich selten in Form ausgedehnter Grubenfelder mit Dutzen- u.a. in Altenburg (Naturkundliches Museum Mauritia- den oder Hunderten von Einzelstrukturen manifestieren, num), in Gera (Museum für Naturkunde mit Ausstellung sind von alten Tiefbauanlagen oft nur singuläre Formen "Minerale und Bergbau Ostthüringens"), Ronneburg als obertägig sichtbare Sachzeugen erhalten geblieben: (Bergbaumuseum), Meuselwitz (Stadtmuseum mit Einbruchstrichter von 5-20 m Durchmesser, die durch Bergbauabteilung, Verein Kohlebahnen mit Museum), Nachsacken der Erde über einem aufgegebenen Schleusingen (Naturhistorisches Museum Schloss Schacht oder Stollen entstanden sind (Einbruchspingen). Bertholdsburg), Schmalkalden (Technisches Denkmal Sehr selten haben Stolleneingänge intakt überdauert "Neue Hütte") und Theuern bei Steinach (Goldmuseum). (Stollenmundlöcher). Weitaus häufiger wurden sie ge- zielt unzugänglich gemacht oder verschüttet und sind dann nur an vorgelagerten Bergehalden aus taubem 3.9.3 Allgemeines zur Verbreitung der Bergbau- Abraummaterial erkennbar (Abb. 3.9-11). gebiete in Thüringen

Aufgrund seiner wechselvollen erdgeschichtlichen Ver- Halden, Einbruchspingen und Mundlöcher sind in his- gangenheit hat Thüringen ein breites Spektrum an La- torischen Messtischblättern äußerst lückenhaft verzeich- gerstätten unterschiedlichster Entstehung und Art auf- net. Sie wurden bisher denkmalpflegerisch nicht syste- zuweisen, die im Laufe der Jahrhunderte bergbauliche matisch erfasst. Aktivitäten angeregt haben. Aus geologischen Gründen sind die Lagerstätten (und damit auch die Bergbauge- Betriebsgebäude und andere obertägige Anlagen des biete) räumlich sehr ungleich verteilt. Ein Blick auf die historischen Bergbaus haben selten die Zeiten über- Übersichtskarte der historischen Bergwerke (Karte Nr. dauert. Dazu gehören Fördertürme und Schachthäuser, 12) lässt das deutlich werden. Magazine, Zechenhäuser als Betriebs- und Verwal- tungsgebäude, Pochwerke als wasserradbetriebene Zerkleinerungsanlagen von Erzen, Gebäude zur nass- Die weitaus meisten Standorte konzentrieren sich dem- mechanischen Trennung des Erzes (Nasswäsche), nach auf die Hochschollen der Mittelgebirge einschließ- Hütten- und Hammerwerke und anderes mehr. Vor- lich der sie begleitenden Zechsteinränder: auf den Harz nehmlich der Intitiative von Einzelpersonen und Vereinen und den Kyffhäuser, den Thüringer Wald und das Thü- ist es zu verdanken, dass ein kleiner Teil dieses histo- ringer Schiefergebirge. Nur dort kommen die alten Ge- rischen Erbes vor dem Abriss gerettet werden konnte. steine des sog. "Grundgebirges" mit ihren erzreichen Horizonten und Gangfüllungen dank Hebung, Faltung Beachtlich ist in Thüringen die Zahl der Besucher- und und Abtragung unmittelbar an die Erdoberfläche, so Schaubergwerke sowie ihnen nahe stehenden Einrich- dass sie bergbaulich erschlossen werden konnten. tungen wie Wanderpfaden und Museen, die Zeugnisse und Traditionen des historischen Bergbaus der Öffent- Als besonders erzhöffig erwiesen sich dabei einige tief- lichkeit präsentieren. Die wichtigsten werden nachfol- reichende herzynische (Nordwest-Südost verlaufende) gend in alphabetischer Reihenfolge genannt: Ilfeld: Störungszonen: die Randstörungen des Thüringer Wal- Kupferschieferbergwerk "Lange Wand"; Ilmenau: ehe- des bei Schmalkalden und Ilmenau und die Eichenberg- malige Spatgrube "Volle Rose" in Langewiesen; Kams- Gotha-Saalfelder Störungszone im Bereich des Saalfeld- dorf: Eisenerzgrube "Vereinigte Reviere Kamsdorf" und Kamsdorfer Reviers. Wiederholt sind dort im Laufe der Bergbaulehrpfad; Lehesten: Technisches Denkmal Erdgeschichte heiße metallische Tiefenwässer an Ver- "Historischer Schieferbergbau" und Schieferlehrpfad werfungen bis in Oberflächennähe aufgedrungen und Probstzella-Lehesten-Ludwigstadt; Leutenberg: Berg- haben die Nachbargesteine durch Mineralaustausch baugeologischer Wanderweg; Bad Liebenstein: Fluss- (sog. Metasomatose) in Eisen- und andere Erzlager- spatgrube "Am Aschenberg"; Merkers: "Erlebnisberg- stätten umgewandelt. Außerdem tritt an den Rändern werk" (Kalibergwerk); Netzkater: Steinkohlen-Besucher- der Mittelgebirge der berühmte Kupferschiefer durch bergwerk Rabensteiner Stollen; Saalfeld: alte Alaun- die Aufschleppung der Zechsteinschichten zu Tage.

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Der Kupferschiefer ist eine durch organisch-kohlige bene Horstgebirge des Thüringer Waldes mit seinen Beimengungen schwarz gefärbte nur etwa 0,5 m mäch- Gängen und Bruchlinien einschließlich der Zechstein- tige dünnblättrige Mergelschicht an der Basis des Zech- aufbiegungen der nördlichen und südlichen Randstö- steins, die aufgrund besonderer Bildungsbedingungen rungen. im Zechsteinmeer mit geringen Prozentanteilen Kupfer, daneben aber auch mit Blei, Zink, Nickel, Gold, Platin (1.1) Bergbaugebiet Möhra-Kupfersuhl und Silber angereichert ist. Seit dem Mittelalter wurde nordwestlich von Bad Lie- benstein bei Epichnellen, Eckardtshausen, Kupfersuhl, Im Thüringer Becken und im Südwestthüringischen Waldfisch, Glücksbrunn und Schweina kupfer- und ko- Triasbergland versperrten die undurchlässigen Ton- balthaltiges Erz abgebaut und vor Ort geschmolzen. und Salzschichten der Zechsteinformation den Aufstieg Die Grundlage bildete der Kupferschiefer, der hier infol- metallhaltiger Lösungen aus den tieferen Erzbildungs- ge der Aufbiegung der Zechsteinschichten im Zuge der bereichen des Grundgebirges in das aufgelagerte Deck- Südrandverwerfung des Thüringer Waldes in einem gebirge (in Thüringen vor allem Schichtgesteine des schmalen Band zu Tage tritt (Abb. 3.9-6). Buntsandsteins, Muschelkalks und Keupers). Die Na- turräume außerhalb der Mittelgebirge sind deshalb in Bodenfunde und Halden deuten heute noch auf den Oberflächennähe weitgehend frei von metallischen Er- uralten Bergbau hin, an dem auch Luthers Vater beteiligt zen geblieben, enthalten in Senkungsgebieten aber war. Er war Bergmann bei Möhra-Kupfersuhl. reiche Sedimentlagerstätten (Stein- und Kalisalz in Nord- und Südwestthüringen; tertiäre Braunkohle im (1.2) Bergbaugebiet Schmalkalden-Ruhla- Altenburger Land). Brotterode Revier Schmalkalden-Trusetal Unter den thüringischen Eisenerzvorkommen gehörten 3.9.4 Bergbauräume diejenigen des Schmalkalder Reviers Jahrhunderte Im Folgenden werden die historischen Bergbauräume lang zu den bedeutendsten. Es sind Lagerstätten, die mit ihren lagerstättenkundlichen und geschichtlichen an zwei große, herzynisch streichende Störungen ge- Grundlagen näher vorgestellt (Nummern s. Karte 12). bunden sind, die hier den Zechsteingürtel durchdringen und aus großer Tiefe heiße metallische Lösungen em- (1) Bergbaulandschaft Nordwestlicher Thüringer Wald (Bergbaugebiete Kupferrevier Möhra-Kupfersuhl, Abb. 3.9-6: Schmalkalden-Ruhla-Brotterode, Nördlicher Thüringer Geologische Aufrichtungszone am Rand des Thüringer Waldes Wald-Rand, Zentraler Thüringer Wald) zum Werratal mit den Stätten des historischen Kupferschie- Die Bergbaulandschaft „Nordwestlicher Thüringer Wald“ ferabbaus zwischen Schweina und Kupfersuhl (aus: WAGEN- umfasst geologisch das herzynisch (s.o.) herausgeho- BRETH u. STEINER 1990).

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Abb. 3.9-7: Geologie und Bergbau im Raum Schmalkalden-Brotterode (aus: WAGENBRETH u. STEINER 1990). Blockbild rechts: Schmalkalder Eisenerzlagerstätten und Bergbauspuren in der Landschaft (Kreuzschraffur = Eisenerz). porgefördert haben: die Stahlberg-Mommeler Störung abzubauen. Man nimmt an, dass hier die frühesten zwischen Seligenthal und Bad Liebenstein und die 2 Gewinnungsstellen gelegen haben. Südöstlich des km nordöstlich parallel verlaufende Klinger Störung Trusetals sind auf dieser Störung zahlreiche Pingen (Abb. 3.9-7). In ihrem Verlauf ist es durch Mineralaus- bekannt. Westlich des Trusetales liegen an der Klinger tausch (Metasomatose) zur Umwandlung der Nachbar- Störung die Baryt/Limonitlagerstätten Vorderberg, Kohl- gesteine in Ei-senerzlagerstätten gekommen. berg, Klinge, Atterode und Steinbach bei Bad Lieben- stein. Der ca. 900 m lange, max. 90 m breite und bis zu 40 m mächtige Erzkörper des Stahlbergs enthielt hochwer- Dank dem Holzreichtum der Wälder und der Wasserkraft tigsten Eisenstein, der schon im Mittelalter am westlichen der Gebirgsbäche waren im Schmalkalder Revier früh- Stahlberg über- und untertage abgebaut wurde (Ham- zeitig ideale Voraussetzungen gegeben, das gewonnene merberg, Erzschwinde, Dachslöcher). Das von den Eisenerz an Ort und Stelle zu verhütten und zugleich Schmalkalder Stahlschmieden begehrte Erz enthielt einem vielseitigen und überregional bedeutenden Eisen bis zu 40-50 Prozent Eisen und 4-6 Prozent Mangan. verarbeitenden Handwerk den Boden zu bereiten. Als Begleitmineral tritt in Verwachsungen und Gängen Schwerspat (Baryt) auf, der aber erst seit dem 19. Jahr- Frühe Zeugnisse des mittelalterlichen und möglicher- hundert in größerem Umfang gewonnen wurde. weise bis in die Keltenzeit zurückreichenden Bergbaus stellen die schon erwähnten Pingenzüge dar, die am Auch die Klinger Störung ist ein traditionsreiches Berg- Ringberg bei Asbach, an der Erzschwinde bei Auwal- baugebiet. Da die an den Nordwest-Südost verlaufenden lenburg und an vielen anderen Stellen des Reviers Klinger Gangzug gebundenen Lagerstätten bis nach heute noch zu sehen sind. Übertage reichen, waren sie leicht aufzufinden und

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Es liegt nahe, dass das Trusetal überhaupt erst im del kam das Aus für den Trusetal-Schmalkalder Bergbau Zuge der Erschließung der Erzlagerstätten besiedelt (1991). Die ehemaligen Eisenerzgruben Hühn und wurde, da die mittelalterlichen Dorfkerne von Herges, Asbach und die Flussspatgrube "Am Aschenberg" in Elmenthal und Laudenbach auf sehr alten Schlacken- Bad Liebenstein werden seitdem als Museums- und halden errichtet wurden. Gleiches gilt für die Orte Seli- Schaubergwerke weiter geführt. genthal und Steinbach-Hallenberg. Die Wallenburg, von der heute nur noch der romanische Bergfried er- Revier Ruhla-Brotterode halten ist, könnte dem Schutz der in ihrer nächsten Mit dem Schmalkalder Revier einst wirtschaftlich eng Nähe betriebenen Eisenerzgruben gedient haben (LOH- verwoben, gründet das Revier um Ruhla-Brotterode SE 1965). Erste urkundliche Belege für den Bergbau vornehmlich auf den Nordnordwest-Südsüdost strei- am Stahlberg reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück, chenden Quarz-Hämatitgängen im Kristallin von Ruhla- beim Bergwerk Mommel bei Herges-Vogtei bis 1536. Brotterode. Hervorzuheben sind die Vorkommen bei Ruhla, der Mühlrain-, Wasserberg- und Gerberstein- Bis ins 19. Jahrhundert kam der Großteil der Eisenerz- Gangzug südlich Ruhla, und die Gänge am Gehege förderung aus den Gruben Mommel und Klinge bei und am Seimberg bei Brotterode. Diese Ganglagerstät- Herges-Vogtei sowie aus der Grube Stahlberg bei Seli- ten sind vermutlich gleichzeitig mit den metasomatischen genthal. Ihr Hauptabsatzgebiet waren die Eisenwerke Lagerstätten im Zechsteingürtel des Thüringer Waldes von Schmalkalden. In ihrer Blütezeit um 1820 gab es entstanden. In vielen von ihnen ist das Roteisenerz mit dort elf Schmelzwerke, die 14 Eisen- und 12 Stahlhäm- Manganerz, Schwerspat, Flussspat und Quarz durch- mer belieferten. Etwa 2500 t Eisen bzw. Stahl wurden setzt. jährlich verarbeitet (MESSERSCHMIDT et al. 1999). Im Raum Ruhla wurde mit dem Bergbau spätestens Ab den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, als die Re- während des Hochmittelalters begonnen. Zeugnisse gion durch die neu eröffnete Bahnstrecke Schmalkalden- dieses ersten frühen Eisenbergbaus (z.B. Pingen) las- Wernshausen an das deutsche Eisenbahnnetz ange- sen sich heute noch an verschiedenen Stellen der Ruh- bunden wurde (1874), verschlechterte sich die Situation laer Berge finden, besonders auf der "Walper" im Raum für den Bergbau rapide. Fortan konnten Eisen und Glasbach, am Wasserberg und am Bergstieg (MESSER- Steinkohle zu konkurrenzlos günstigen Preisen aus SCHMIDT et al. 1999). Westfalen bezogen und erstmals sogar bestes schwe- disches Roheisen eingeführt werden. Das einheimische In Brotterode spricht die Erwähnung von drei Eisen- Hüttenwesen und der Eisenbergbau sanken in dieser hämmern um das Jahr 1340 dafür, dass dort die Ge- Zeit zur Bedeutungslosigkeit herab. winnung von Eisenerz schon länger zurückliegt und wahrscheinlich sogar den Anlass zur Ortsgründung Das Ende des traditionsreichen Bergbaus im Schmal- gab (LOHSE 1965). Bereits in der ersten Hälfte des 18. kalder Revier wäre besiegelt gewesen, wenn nicht Jahrhunderts waren aber nahezu alle Eisenerzgruben 1861 der Chemiker August Wilhelm von Hofmann die zum Erliegen gekommen, da sich ein Abbau nicht mehr Anilinfarben erfunden hätte. In der Folge stellten sich lohnte. Seitdem musste das Eisenerz für die drei damals

die Gruben auf die Gewinnung von Schwerspat (BaSO4, noch bestehenden Hämmer eigens von der Mommel Bariumsulfat) um, der bei der Herstellung dieser Farben bei Herges-Vogtei und vom Stahlberg herangeschafft als Trägermittel benötigt wird. Daneben trat der Abbau werden.

von Flussspat (CaF2=Kalziumfluorid), Alabaster und Gips. Flussspat begann in der aufstrebenden Hütten- Der Niedergang des Ruhlaer Eisenerzbergbaus begann industrie als Flussmittel (Name !) eine wichtige Rolle im 17. Jahrhundert. Auch hier lagen die Gründe in der zu spielen. Flussmittel werden Schmelzen zur Verrin- Erschöpfung der Lagerstätten und in den schwierigen gerung ihrer Schmelztemperatur und Viskosität zuge- Abbaubedingungen auf den oft geringmächtigen, häufig setzt. unterbrochenen und mitunter steil in die Tiefe abwei- chenden Erzgängen. Von einigen späteren, erfolglosen Mit dem Spatabbau war der Fortgang des Bergbaus Versuchen abgesehen, z.B. durch Krupp und die Ober- gesichert. Trotz Wirtschaftskrisen und Weltkriegen, die schlesische Hütte, war mit Ausgang des 18. Jahrhun- immer wieder für Rückschläge sorgten, hielt sich der derts Schluss mit dem Eisenerzbergbau (MESSERSCHMIDT Bergbau auf Eisen und Spat noch über ein Jahrhundert et al. 1999). lang. Zu DDR-Zeiten konzentrierten sich die Aktivitäten auf das Gebiet um Trusetal und Steinbach (Gruben Im 19. Jahrhundert trat an seine Stelle die Gewinnung Klinge, Arminius, Vorder- und Hübelsberg, Hühn, Mom- von Manganerzen. Bis die 1930er Jahre wurden be- mel und Kochenfeld). Erst mit der Einführung der Markt- sonders am Liesenberg und am Vorderen Nesselrain wirtschaft und dem damit unvermeidlichen Strukturwan- Pyrolusit (Braunstein, Weichmanganerz) und Psilomelan

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(Hartmanganerz, schwarzer Glaskopf) in Stollen abge- gab es allein im Revier Friedrichroda 20 Eisenbergwer- baut. Daneben erlangte der Abbau von Schwer- und ke, z.B. am Gottlob, am Wolfsstieg, am Abtsberg, am Flussspat wirtschaftliches Gewicht. Von 1878 bis 1924 Sperrweg und am Schorn (LÄMMERHIRT 1999). Im 19. fand er im Riffkalkgebiet westlich und nördlich von Thal Jahrhundert wurde der Abbau wegen der Erschöpfung statt: am Spitzigen Stein, am Wolfsberg, am Krumsberg, der Lagerstätten im Wesentlichen eingestellt. am Wittgenstein und am Großen Ebertsberg. Bei Ruhla begann der Schwerspatbergbau 1888 am Kirchberg Auf den einstigen Kupferbergbau weist heute noch eine (Gruben Jakobswiese und Gerhard) und im Granit des der bekanntesten geologischen Sehenswürdigkeiten Hinteren Nesselrains (Gruben Friedrich bzw. Frieden- Thüringens hin. Auf der Suche nach Kupferschiefer stein). Bei der Suche nach Schwerspat wurde 1894 hatten gothaische Bergleute im 18. Jahrhundert im die Kittelsthaler Tropfsteinhöhle entdeckt. Anfang der Bereich der nördlichen Randverwerfung bei Friedrichro- 50er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde der Abbau im da den Herzog-Ernst-Stollen in den Berg getrieben und Kirchberg eingestellt und Mitte der sechziger Jahre dabei ein mächtiges, steil gestelltes Gipslager gefunden. auch im Hinteren Nesselrain (MESSERSCHMIDT et al. Von 1778 bis 1903 wurde dort der Gipsstein unter Tage 1999). abgebaut. 1784 stieß man auf eine Kristallgrotte, die ehemals ein großer Auslaugungshohlraum in den Gips- (1.3) Bergbaugebiet Nördlicher Thüringer-Wald- schichten war. Über Jahrtausende hatten sich dort aus Rand wässrigen Lösungen glasartige Gipskristalle herauskri- Fast überall, wo die Zechsteinschichten durch die He- stallisiert. Ihr Name, das sog. Marienglas, erinnert heute bung der Thüringer Mittelgebirge an deren Rändern noch an die frühere Verwendung in Kirchen und Klö- aufgebogen und in Oberflächennähe gekommen sind, stern, wo die dünnplattigen Kristalle als Glasersatz zur haben sie zu frühem Bergbau Anlass gegeben. Das Verzierung von Altären, Kronleuchtern und Gemälden ist auch im Bergbaugebiet am Nordrand des Thüringer (Marienbildern) dienten. Jahrzehntelang wurde das Waldes der Fall. Es umfasst die Zechsteinausstriche Marienglas abgebaut. Erst im Jahre 1903 stellte man von Stedtfeld bei Eisenach bis Catterfeld und Luisenthal den Bergbau ein und gab die „Marienglashöhle“ in bei Ohrdruf mit Kupferschiefer-, Eisen-, Mangan-, Friedrichroda zur Besichtigung frei. Schwerspat- und Flusspatlagerstätten (s. Tab. 3.9-4). (1.4) Bergbaugebiet Zentraler Thüringer Wald Die Anfänge des Kupferschiefer- und Eisenerzbergbaus Dieses Bergbaugebiet umfasst mehrere, wirtschaftlich gehen in diesem Gebiet vermutlich bis ins Mittelalter weniger bedeutende Eisenerz-, Mangan- und Schwer- zurück. In der Blütezeit, Mitte des 16. Jahrhunderts, spatlagerstätten bei Tambach-Dietharz und Oberhof,

Abb. 3.9-8: Bergbaugebiet am Nordrand des Thüringer Waldes bei Ilmenau-Elgersburg (aus: WAGENBRETH u. STEINER 1990). f-f Floßberggangzug, k1-k2-k3 Ausbiss des Kupferschiefers (k1 = Sturmheide), J Johannisschacht, E Erdfälle (in Auslaugungssenken über Zechstein), H Halden des Martinrodaer Stollens.

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die vom 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts je- Als 1796 auch noch der Martinrodaer Entwässerungs- weils nur für kurze Zeit abgebaut wurden. stollen an mehreren Stellen einbrach und die Grube ersoff, führte das zur Einstellung aller bergbaulichen Um Tambach-Dietharz wurden Eisenerzgruben bei der Aktivitäten. Eine Wiederaufnahme durch die „Sächsisch- Ebertswiese (1703, 1709), am Sperrhügel (1706, 1722), Thüringische Kupferbergbau- und Hüttengesellschaft“ im Kerngrund (1718), im Marderbachstal (1726), im im Ilmenauer „Mittelfeld“ (1857-1860) blieb ohne die Großen und Kleinen Finsterbach (1726), im Spittergrund erhoffte Ausbeute („Neuehoffnungsschacht“, „Karl (1729), am Rosengarten nahe der Alten Ausspanne August“). Ein Teil der Schachtgebäude ist noch erhalten. am Rennsteig (1729) und am Großen Buchenberg (1772) nachgewiesen. Im Raum Oberhof befanden Weitaus größere wirtschaftliche Bedeutung erlangten sich abbaufähige Lagerstätten am Wadeberg, am Löf- die Flussspat- (Fluorit-) und Manganlagerstätten im felbühl (Braunstein), im Kehltal (Spat, Mangan), am Zuge der Floßberg- und der Stechberg-Gangstörung Greifenberg, am Mittelberg (Kupfer, Silber) sowie im zwischen Ilmenau und Gehren. Die Fluoritförderung Gebiet zwischen Altem Berg und Silbergraben (Silber). auf dem Floßberggang begann um 1750, die Mangan- gewinnung im Oehrenstocker Revier bereits Ende des 17. Jahrhunderts. Zwei Flussspatgruben, die eine in (2) Bergbaulandschaft Mittlerer und Südlicher Ilmenau (Schortetal), die andere in Gehren (Schobsetal), Thüringer Wald (Bergbaugebiete Ilmenau, Suhl- förderten noch bis 1991. Ausgelöst durch die weltweit Schleusingen, Großbreitenbach, Zechsteinrandsenke gestiegene Nachfrage wurde der Abbau im Schobsetal Königsee-Allendorf) 2006 wieder aufgenommen. Mit den Revieren um Ilmenau und Suhl weist der Mittlere Thüringer Wald zwei wichtige historische Bergbauräume Zeugnisse des historischen Bergbaus lassen sich in auf. Beide liegen an den lagerstättenreichen Rändern Ilmenau und Umgebung heute noch an vielen Stellen des Thüringer Waldes, das eine an der nördlichen, das finden: Stolleneingänge, Tagesbrüche und Bergehalden andere an der südlichen Randstörung. Während in Il- erinnern ebenso daran wie bauliche Zeugen, z.B. das menau die historischen Anfänge auf den Kupferbergbau Zechenhaus in Ilmenau, in dem die Bergwerksverwal- zurückgehen, waren es um Suhl Eisenerz führende tung ihren Sitz hatte, oder das Bergmannsglöckchen Gänge, die einst die Rohstoffgrundlage für die hoch („Bergmannskapelle“), das mittags und abends die spezialisierte Eisen verarbeitende Industrie der Stadt Bergleute zum Beginn der Schicht rief. Wahrscheinlich geliefert haben. handelt es sich dabei um eine Radstube, in der eines der großen Antriebsräder der Wasserpumpen unterge- (2.1) Bergbaugebiet Ilmenau bracht war. Orts- und Flurnamen wie Münzstraße, Gül- In Ilmenau hatte der am Gebirgsrand des Thüringer dene Pforte, Saigerhütte oder Schlackenhalde künden Waldes aufgeschleppte Kupferschiefer an der Sturm- ebenfalls von der alten Bergbautradition (nähere Infor- heide und beim Nachbardorf Roda vom Mittelalter bis mationen s. Homepage der Interessengemeinschaft 1737 einen berühmten Bergbau nach Silber und Kupfer zur Erhaltung alter Bergmannstraditionen Ilmenau, veranlasst, mit zwei Blütezeiten: vom Ende des 16. Jahr- Oehrenstock und Umgebung). hunderts bis zum Beginn des 30jährigen Krieges und vom Ende des 17. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Mangan-, Schwer- und Flussspatabbau fanden auch Aufwändige Anlagen waren erforderlich, um das reichlich im benachbarten Arlesberg-Gehlberger Revier bei anfallende Grubenwasser abzuleiten. Anfangs kamen Gehlberg, Geraberg, Elgersburg und Arlesberg statt. für die Entwässerung Pferdegöpel zum Einsatz, die Das Gebiet besteht aus einer Vielzahl von Mineralgän- später von Wasserkünsten abgelöst wurden. Die riesi- gen, die überwiegend parallel zum Thüringer Wald- gen Wasserräder mit Durchmessern bis zu 12 m wurden Rand streichen (z.B. Heinrichsglücker Gangzug, Mittel- von Aufschlagwassern betrieben, die man über Berg- berger Gangzug). Die einst recht bedeutende Mangan- gräben eigens aus dem Thüringer Wald heranführte. erzgewinnung begann in der zweiten Hälfte des 17. Der längste Entwässerungsstollen reichte bis Martinroda. Jahrhunderts (1668) und hielt mit Unterbrechungen bis ins 20. Jahrhundert (1949) an. Älter sind die Aktivitäten Als 1748 der weimarische Herzog Ernst August, ein des Kupferschieferabbaus (St. Christoph am Raub- großer Förderer des Bergbaus, starb und am 3. No- schloß: vor dem 30jährigen Krieg). vember 1752 ein verheerender Brand fast die ganze Stadt vernichtete, kam der Bergbau in Ilmenau zum Wenig erfolgreich blieb der Bergbau bei Manebach Erliegen. Goethe, der im Herzogtum Weimar das Amt südlich Ilmenau. Zunächst wurde hier überwiegend sil- eines Bergbaudirektors innehatte, versuchte ab 1777 berhaltiges Bleierz abgebaut. Dann trat an seine Stelle die Förderung erneut aufzunehmen, doch ohne Erfolg. der Steinkohlenbergbau. Wegen des akuten Brennholz- Man fand den Kupferschiefer metallarm bis völlig taub. mangels wurde er 1731 aufgenommen, nach einer kur-

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Abb. 3.9-9: Älteste Ortsansicht von Manebach um 1700 mit Bergwerksanlagen (St. Andreas-Stollen, St. Philippus-Schacht), mit Ilm, Mühl- und Altem Hammergraben in der Talaue. Der Neue Kunstgraben oben am Hang führte Antriebswasser zu den Kupferschiefergruben von Ilmenau (MYLIUS 1709, aus: FIALA 2000).

zen Blüte (bis 1768) jedoch wieder weitgehend einge- und Stollenanlagen - vermutlich das umfangreichste stellt und nur in Notzeiten (z.B. 1946-1949) reaktiviert. Bergbaugebiet der Region (SCHMIDT u. DREGER 2004).

(2.2) Bergbaugebiet Suhl-Schleusingen Die Erzgänge waren nicht sehr mächtig - manche Gru- Im Raum Suhl waren die im Zuge der Gebirgsrandver- be baute nur 10-20 cm schwache Erzadern ab -, dafür werfung zwischen dem Thüringer Wald und dem Bunt- bot das reine und weichschmelzige Roteisen aber seit sandsteinvorland streichenden Roteisen-Mineralgänge dem ausgehenden Mittelalter die ideale Grundlage für Anlass für einen mindestens bis ins frühe Mittelalter eine bedeutende Rüstungs- und Harnischfabrikation, reichenden Eisenerzbergbau. Es handelt sich um zwei aus der sich vor dem Dreißigjährigen Krieg die bekann- teilweise parallel streichende Gangzüge, die vom Dom- ten Gewehrfabriken entwickelten. Damals erreichte die berg nordwestlich bis zum Döllberg südöstlich der Stadt Suhler Waffenproduktion ihre Blütezeit. Nach dem Nie- verlaufen. Sie führen überwiegend Roteisenerze (Hä- dergang gab Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen- matit), daneben aber auch Schwer-, Flussspat, Mangan- Naumburg-Zeitz um 1690 dem Bergbau neue Impulse, und Kupfererze. so dass Suhl wirtschaftlich vorübergehend den kursäch- sischen Bergstädten ebenbürtig war. Gegen Ende des Heute liegen über tausend Halden und Pingen alter 18. Jahrhunderts verblasste die Bedeutung als Berg- Bergwerke rund um die Stadt versteckt in den Wäldern. baustadt. Die letzte Phase begann um 1850, als die Am Südwesthang des Dombergs befindet sich - entlang Industrialisierung im Hennebergischen vorübergehend der Gebirgsrandstörung perlenschnurartig aufgereiht viel Eisen benötigte, und endete aus Rentabilitätsgrün- mit etwa 700 noch im Gelände nachweisbaren Schacht- den um 1880.

149 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Abb. 3.9-10: Zeugnisse des historischen Bergbaus am Hang des Domberges bei Suhl. Die beiden unterschied- lichen Hintergrundfarben bezeichnen die geologi- sche Situation nördlich und südlich der Randver- werfung des Thüringer Waldes (aus: SCHMIDT u. DREGER 2004).

Abb. 3.9-11 (unten): Verlauf der Gebirgsrandverwerfung mit einfallenden Erzgängen am Domberg bei Suhl (KRUG VON NIDDA 1838, aus: SCHMIDT u. DREGER 2004).

(2.3) Bergbaugebiet Großbreitenbach (2.4) Bergbaugebiet Zechsteinrandsenke König- Im Bergbaugebiet von Großbreitenbach waren die im see-Allendorf Umkreis von heißen Granitschmelzen (Granitintrusio- Aufgrund seiner Lage am Rande der Mittelgebirgsscholle nen) auftretenden sulfidischen Kupfer-Blei-Zinkerze wird dieses Bergbaugebiet durch eine Aufbiegung der sowie Schwarzschiefer des Proterozoikums (Präkam- Zechsteinschichten und durch tektonisch bedingte briums) Gegenstand eines alten Kupfer-, Silber-, Alaun- Gangspalten geprägt. Wie in den meisten Zechstein- und Vitriolbergbaus: z.B. am Silberberg und im Katz- ausstrichen Thüringens treten hier neben dem Band mannstal bei Möhrenbach, bei Tannenglasbach nördlich des Kupferschiefers im Bereich der Störungen Verdrän- Unterneubrunn, bei Wildenspring (Kupferabbau vor gungs-Eisenerze sowie Schwerspatgänge auf. dem 30jährigen Krieg, im 18. Jahrhundert auch Fluorit- abbau), bei Ölschröte, Wallbrücke nordöstlich von Urkundlich sind zahlreiche (meist kleine) historische Großbreitenbach (im 17. Jahrhundert Silber- und Kup- Bergwerke belegt. Nach Deubler (1964) sind allein in ferabbau, später Alaun, Vitriol und Ocker), östlich und Allendorf 11 Erzgruben nachgewiesen, die zwischen westlich von Altenfeld (St. Georg und Erfurter Stollen, dem 15. und dem 18. Jahrhundert in Betrieb waren vor dem 30jährigen Krieg Silber und Kupfer, später (Silber- und Kupfererz, Eisenerz, Kobalt, Blei); in Aschau Alaun und Vitriol) sowie am Kirchberg ostsüdöstlich bei Königsee 2 (Kupfer bzw. Eisenerz; Nachweise aus Böhlen (Kupferabbau vor dem 30jährigen Krieg). dem 15.-18. Jh.), in Oberhain 2 (Eisenerz, 18. Jh.)

150 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften sowie jeweils eine bei Barigau (Eisenerz, 17.Jh.) und Historische Zentren des ca. 60 km² großen Areals bil- Unterschöbling (Silber und Kupfer, 15.-18. Jh.). den der sich zwischen Saalfeld und Kamsdorf erheben- de Rote Berg mit seinen Eisen, Kupfer und Kobalt füh- Schwerspatgruben bestanden in Dörnfeld, Garsitz und renden Zechsteinschichten, die Schwerspatgänge zwi- Allendorf, die bis in die 1920er Jahre thüringische Blei- schen Kamsdorf, Könitz und Goßwitz und der reiche weißfabriken mit hochreinen Rohstoffen für die Farb- Kupfer-, Blei- und Silbererze führende Haus-Sachsener produktion belieferten (s.a. Ausführungen zu Schwer- Gangzug im Bereich der Gebirgsrandstörung südwest- spatgruben in Leutnitz, Kamsdorf und Könitz im über- lich von Saalfeld. nächsten Abschnitt). Die Entstehung dieses Lagerstättengebietes beruht auf seiner besonderen geologisch-tektonischen Situation (3) Bergbaulandschaft Thüringer Schiefer- im Durchdringungsbereich der Eichenberg-Gotha-Saal- gebirge felder Störung mit der Zechstein-Aufrichtungszone am (Bergbaugebiete Saalfeld-Kamsdorf-Könitz, Schmie- Nordrand des Thüringer Schiefergebirges. Einerseits defeld-Gräfenthal, Leutenberg-Weitisberga, Loben- stein, Nordwestliches Vogtland) verlaufen hier zahlreiche Nordwest-Südost (herzynisch) streichende Verwerfungsspalten, in denen in erdge- (3.1) Bergbaugebiet Saalfeld-Kamsdorf-Könitz schichtlicher Vergangenheit heiße wässrige Minerallö- Das geschichtlich bedeutendste Bergbaugebiet Ostthü- sungen (Hydrothermen) aufgestiegen sind. Ihr Metall- ringens erstreckt sich über ca. 20 km in West-Ost- und gehalt stammte aus Sedimenten, die das Erzrevier un- bis zu 4 km in Nord-Süd-Richtung zwischen Saalfeld terlagern (z.B. S, Fe und Cu enthaltende Alaunschiefer und Könitz. Geologisch hat es Anteil sowohl an der bzw. Schwarzschiefer des Silurs). Bei ihrer Ausfällung Nordabdachung des Thüringer Schiefergebirges mit entstanden Gänge mit Schwerspat- und anderen Mine- seinen paläozoischen Gesteinen als auch an den Zech- ralfüllungen. Andererseits bewirkten die eisenhaltigen steinausstrichen der Orlasenke. Hydrothermen im Kontaktbereich der Zechsteinkalkstei-

Abb. 3.9-12: Historisches Bergbaugebiet am Roten Berg bei Saalfeld mit Pingen, Hohlwegen und Relikten der alten „Eisenstraße“. Am nörd- lichen Bildrand die Maxhütte Unterwellenborn. Historisches Messtischblatt von 1940, Bl. 5334, Saalfeld, Originalmaßstab 1 : 25 000, verkleinert (Nachdruck des Thüringer Landesamtes für Vermessung und Geoinformation).

151 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

ne eine Umwandlung des Kalziumkarbonats (CaCO3) bergbau und mit ihm verbunden auf die Gewinnung

in Eisenkarbonat (FeCO3, Siderit) auf dem Wege der von Kobalterzen. Insbesondere die Nachfrage nach Metasomatose. Dort, wo die Wässer auf die kohligen Kobalt war nach der Erfindung des europäischen Hart- Schieferhorizonte des Unteren Zechsteins trafen, wur- porzellans durch Böttger 1709 angestiegen, weil es zur den Sulfide als Kupfer- und Schwefelkies (Chalkopyrit, Herstellung der kostbaren Porzellanfarbe Kobaltblau Pyrit), als Fahlerz (Kupferantimonsulfid, Kupferarsen- benötigt und daher teuer bezahlt wurde. Viele aufge-

sulfid) und Markasit (FeS2) fixiert. lassene Gruben wurden in der Folge auf dem Roten Berg wieder bebaut. Erst mit der Erfindung des künst- Wo die schon genannten Schwarz- und Alaunschiefer lichen Ultramarins im Jahre 1828 und der Stilllegung ohne Überdeckung zu Tage treten, wurden diese Ge- des Saalfelder Blaufarbenwerks (1833) ging die Nach- steine bereits im 16. Jahrhundert zur Gewinnung von frage merklich zurück. Alaun, Eisen- und Kupfervitriol sowie Schwefelsäure abgebaut und verarbeitet. Schon um 1530 ist Alaun- Die Eisenerzgewinnung erlangte im Saalfelder Raum schieferabbau im Arnsgereuther Tal nahe Garnsdorf größere Bedeutung, als nach dem 30jährigen Krieg bei belegt, wo sich heute die Feengrotten befinden. 1599 Kamsdorf/Könitz die phosphorarmen, leichter schmelz- wird von einer Siedehütte im Bereich der heutigen baren Erze in den Zechsteinschichten aufgeschlossen Feengrotten berichtet. In der Zeit nach dem Dreißigjäh- worden waren. Dank der oberflächennahen Lage konnte rigen Krieg beschränkte sich die Alaun- und Vitriolge- hier der Bergbau anfangs mit einfachsten Mitteln be- winnung auf das Werk am Wetzelstein bei Obernitz, trieben werden. Relikte in Form von Pingen und Halden das seinerzeit wirtschaftlich bedeutendste Alaunwerk prägen - unter Buschwerk und Bäumen verborgen - Thüringens. Dieses bei der heutigen Schokoladenfabrik noch heute die Landschaft um Könitz, ebenso wie die direkt an der Saale gelegene Alaunwerk war schon Reste der so genannten Eisenstraße. Auf dieser wurde 1544 eröffnet worden. ein Großteil der Erze zu Hütten und Hammerwerken in den Thüringer Wald transportiert, ins Loquitz- und Die Feengrotten selbst befinden sich in dem 1855 still- Lichtetal, nach Suhl, Mehlis und Zella, ja sogar bis nach gelegten Alaunbergwerk Jeremiasglück. Nachdem dort Schmalkalden. In den Waldhütten verwendete man der letzte Alaunschiefer herausgeholt worden war, fäll- Kamsdorfer Brauneisenstein als Zuschlagmittel, um ten Sickerwasser an den Wänden und Decken der auf- die Qualität der eigenen (sauren) Erze zu verbessern. gelassenen Stollen seltene Minerale aus (z.B. Diadochit, Der Verlauf der Eisenstraße im Bereich des Roten Melanterit). Es sind diese buntfarbenen Mineralausblü- Berges ist heute noch an alten Hohlwegen erkennbar; hungen und Tropfsteine, die die ehemalige Alaungrube Name und Streckenführung sind auf dem Historischen zu einem vielbesuchten touristischen Anziehungspunkt Messtischblatt von Saalfeld (Bl. 5334, Abb. 3.9-12)) gemacht haben. ausgewiesen.

Bis in die Bronzezeit zurückverfolgen lassen sich gar Mit den Jahren erhöhte sich der technische Aufwand die Anfänge des Bergbaus im Saalfeld-Kamsdorfer La- im Kamsdorfer Revier immer mehr. Die Grubengebäude gerstättenbezirk (Reste spätbronzezeitlicher Verhüt- wurden tiefer und weitläufiger, die Wasserhaltung tungsanlagen, Bronze-Depotfunde). Einen Aufschwung schwieriger. Deshalb wurden Mitte des 18. Jahrhunderts erfuhr die prähistorische Metallurgie kurz vor der Zei- der Neuhoffnunger Stollen und der Treuer-Gewerken- tenwende durch die von den Kelten getragene Latène- Verbindlichkeitsstollen aufgefahren, die heute noch der Kultur, die im Orlagau sehr viele Zeugnisse zurückge- Wasserlösung des Kamsdorfer Revieres dienen. Diese lassen hat. Kupfer und Eisen waren in jener Epoche und andere technische Verbesserungen konnten freilich die begehrtesten Metalle. Später trachteten die Schürfer nicht verhindern, dass sich die wirtschaftliche Lage des auch verstärkt nach Edelmetallen wie Gold und Silber, Bergbaus mit Beginn des Industriezeitalters (Mitte des die im ausgehenden Mittelalter der Stadt Saalfeld eine 19. Jahrhunderts) zunehmend verschlechterte, da die eigene Münzstätte bescherten. Die wichtigsten der frü- Nachfrage nach heimischem Eisenstein immer mehr hen Gruben lagen im Gebiet des Roten Berges und zurückging. Der Grund: Die seit alters her mit Holzkohle auf dem weiter südwestlich streichenden Gangzug betriebenen Thüringer Eisenhütten, bis dahin die Haupt- Haus Sachsen, der die Randverwerfung des Schiefer- abnehmer, zeigten sich der Konkurrenz oberschlesischer gebirges begleitet. Der Eisenerzbergbau fand im Mit- und rheinisch-westfälischer Hüttenwerke, die nach telalter vor allem auf dem Eisenberg bei Unterwirbach englischem Vorbild ihre Hochöfen mit Steinkohlenkoks statt, wie aus noch erhaltenen Abbauspuren geschlos- beschickten, nicht mehr gewachsen. In dieser Lage sen werden kann. erwies sich als glücklicher Umstand, dass 1877 im nahe gelegenen Unterwellenborn das damals hochmo- Nach dem 30jährigen Krieg verlagerte sich das Schwer- derne Bessemer-Stahlwerk der Eisenwerkgesellschaft gewicht der bergbaulichen Aktivitäten auf den Kupfer- Maximilianshütte (Stammsitz Sulzbach-Rosenberg) in

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Abb. 3.9-13: Pingen und Halden des historischen Eisenbergbaus bei Goßwitz, nahe Kamsdorf. Ausschnitt aus der Topographischen Karte 1 : 10 000 (TK 10 DDR) M-32-59-B-b-2, Stand: 1987.

Betrieb genommen wurde. Die „Maxhütte“ stieg fortan senden Mengenanforderungen decken zu können. Den zum wichtigsten Abnehmer der Kamsdorfer Eisenstein- entscheidenden Leistungssprung brachte aber erst die gruben auf. Mit der 1871 eröffneten Eisenbahnlinie Einführung der Großbohrlochsprengung, die Ladearbeit Gera-Saalfeld-Eichicht verbesserte sich auch die Ver- mittels Hochlöffelbagger und die gleislose Förderung kehrsanbindung grundlegend, denn die Bahn schuf die durch Schwerlastkraftwagen nach dem 2. Weltkrieg. Voraussetzung für die kostengünstige Anfuhr von Stein- Diese Technologie führte zur endgültigen Einstellung kohlenkoks und den Abtransport der schwerlastigen der untertägigen Gewinnung 1958, reichte aber nicht, Fertigprodukte. um den steigenden Bedarf der expandierenden eisen- schaffenden Industrie in der DDR mit Zuschlagkalken Die zur Neige gehenden Eisenerzvorräte in Kamsdorf zu befriedigen. Deshalb wurde 1963 der Großtagebau und die abbautechnisch günstigen neuen Aufschlüsse Kamsdorf in Betrieb genommen. Durch den Einsatz in der Grube Schmiedefeld [bei Neuhaus] veranlassten hochwertigerer Importerze verminderte sich aber schon 1898 die Umstellung des Werkes Unterwellenborn auf ab 1968 der Bedarf an Zuschlagkalk in der Eisenhüt- das für phosphorreiche Erze geeignete Thomasverfah- tenindustrie zunehmend, so dass für den Kamsdorfer ren. Das Kamsdorfer Revier übernahm fortan die Ver- Kalkstein neue Produktnischen gefunden werden mus- sorgung der Unterwellenborner Hochöfen mit eisenhal- sten. Die Herstellung von Schotter, Splitt und Asphalt- tigen, dolomitischen Zuschlagkalken, die zur Verhüttung mischgut für den Straßen- und Wegebau und die Pro- der sauren Thüringer-Wald-Erze erforderlich waren. duktion von Düngekalk für die Land- und Forstwirtschaft Solche Erze bezog man ab 1942 (bis 1968) auch aus ("Kamsdorfer Magnesiummergel") wurden zu neuen der Eisenerzgrube Wittmannsgereuth ca. 6 km süd- Produktionszweigen, die bis heute erfolgreich betrieben westlich von Saalfeld. Die Gewinnung erfolgte dort im werden. Tage- und Tiefbau. Von der Verladestation der Seilbahn wurde das Erz über eine Strecke von rd. 12,5 km zur Auch der Hüttenstandort Unterwellenborn hat die „Maxhütte“ nach Unterwellenborn transportiert. schwierigen wirtschaftlichen Zeiten der Wende und der weltweiten Stahlkrise in den 90er Jahren überstanden. Nachdem die Kalke anfangs überwiegend untertägig Nach einem tief greifenden Restrukturierungsprozess abgebaut wurden, legte man 1934 östlich und westlich wurde die "Maxhütte Unterwellenborn GmbH" von der von Goßwitz zwei kleine Tagebaue an, um die wach- Luxemburger ARBED-Gruppe übernommen und zu

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Abb. 3.9-14: Mit Gebüsch bewach- sene Halden des hi- storischen Eisenerz- bergbaus bei Saalfeld (Krölpa) (Foto: H.-H. Meyer 2004).

Abb. 3.9-15: Geologie und Lagerstätten im Bergbaugebiet Saalfeld-Kamsdorf-Könitz (aus: WAGENBRETH u. STEINER 1990).

einem leistungsfähigen Elektrostahlwerk ausgebaut, (Leutnitz bei Bad Blankenburg). Besonders die gang- das allerdings keine heimischen Roherze mehr, sondern förmigen Vorkommen sind sehr rein, so dass sie sich ausschließlich Eisen- und Stahlschrott verhüttet. sehr gut für die Farbproduktion eigneten.

Heute erschließt der Montanlehrpfad Kamsdorf das Abgebaut wurde Schwerspat (Bariumsulfat) im größeren weiträumige historische Bergbaugelände bei Kamsdorf- Umfang in der Umgebung von Leutnitz bei Bad Blan- Goßwitz mit seinen letzten übertägig noch vorhandenen kenburg (seit ca. 1820-1929) und in Könitz bei Saalfeld Zeugnissen des einstigen Eisenstein-Bergbaus. Dazu (1859-1964). Die Bedeutung dieser Lagerstätten lag gehören Halden und Tagebaue, Stollen und deren darin, dass sie wegen ihrer Reinheit für die thüringische Mundlöcher sowie bergbauliche Gebäude wie das 1822 Farbindustrie einen entscheidenden Standortvorteil erbaute Revierhaus, das Schachtgebäude und das boten. Mit dem Rohprodukt aus Leutnitz und Könitz Maschinenhaus des Ersatzschachtes von 1904 (Abb. wurden lange Zeit die Bleiweißfabriken von Königsee, 3.9-17). Es steht als einziges erhalten gebliebenes Neuwerk/Oelze und Sitzendorf sowie verschiedene Schachtensemble der letzten Epoche des Eisenerz- Saalfelder Farbwerke beliefert, die daraus weiße Farbe und Eisenkalktiefbaus unter Denkmalschutz. Seit 2001 herstellten (LANGE 1997). bietet auf dem gleichen Gelände das Besucherbergwerk "Vereinigte Reviere Kamsdorf" untertägige Führungen Im Bereich der alten Könitzer Grube "Werner" ist der an. "Wernergang" heute noch am östlichen Stoß des Groß- tagebaues Kamsdorf zu sehen. Geologisch im weitesten Sinne zum Kamsdorfer Revier gehörig, ist abschließend noch kurz auf den ehemaligen (3.2) Bergbaugebiet Schmiedefeld-Gräfenthal- Schwerspatabbau in der Region einzugehen. Überwie- Steinach gend ist die Schwerspatmineralisation hier an die im Am Südostrand des Schwarzburger Sattels um Schmie- Randbereich der Schiefergebirgsscholle verlaufenden defeld, Gräfenthal und Steinach prägten sedimentäre tektonischen Gangspalten gebunden (Könitz); sie kommt Eisenerzlagerstätten des Oberen Ordoviziums und aber auch nesterweise (Kamsdorf) und als metasoma- silurische Alaunschiefer eine Jahrhunderte lange Berg- tische Verdrängung innerhalb des Zechsteinkalkes vor baugeschichte.

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Frühe bergmännische Aktivitäten sind im Gelände in Form zahlloser Grubenfelder und deutlicher, zum Teil kilometerlanger Pingenzüge überliefert. Sie lassen sich zeitlich nicht datieren, müssen aber bis ins 14. Jahr- hundert oder weiter zurückreichen, da bereits in einem Teilungsvertrag von 1414 Eisenhämmer zu Wallendorf und Schmiedefeld, in Jehmichen, Geschwenda, Berns- dorf, Arnsgereuth, Volkmannsdorf und Zopten genannt werden. Außerdem wird von 1462 ab eine Saigerhütte in Gräfenthal urkundlich erwähnt; Kupferhämmer sind 1690 in Meernach und Wallendorf nachgewiesen (JAE- GER 1970).

Wesentlich älter noch dürfte der Goldabbau am Gold- berg bei Reichmannsdorf sein. Nach schriftlichen Quel- len wurden in diesem Gebiet bereits um 1100 auf Veran- lassung des Erzbischofs von Köln westfälische Bergleute angesiedelt, die wohl vor allem auf der Suche nach Gold waren. Alte Spuren der Goldgewinnung in Form des Duckelbergbaus sind dort heute noch zu finden (s. Abschnitt "Historische Goldgewinnung").

Mindestens seit dem 12. Jahrhundert und bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ging im Schmiedefelder Revier der Eisenbergbau um. Pingen und zum Teil noch begehbare Schächte sind am Venusberg erhalten Abb. 3.9-17: geblieben. Die 1-5 m mächtigen sauren oolithischen Schachtgebäude des Ersatzschachtes von 1904 in Kamsdorf Eisenerze waren dort durch Luftzutritt in Oberflächen- (Foto: G.-R. Riedel 2006). nähe zu Rot- und Brauneisenerzen (Hämatit und Limo- nit) oxidiert. Nach Jahrhunderte langem Abbau war der "Eiserne Hut" dieser Lagerstätte etwa um 1700 er- schöpft. Erst als die „Maxhütte“ aus Unterwellenborn die Schmiedefelder Kuxe (Abbauberechtigungen) 1892 erwarb, begann im Bereich des heutigen Westfeldes ein profitabler Neuanfang. In den folgenden acht Jahr- zehnten entstanden dort mehrere bis zu 45 m tiefe Tagebaue; außerdem wurde im Tiefbau ein Grubenge- bäude mit über 10 Abbausohlen bis zu einer Teufe von 280 m niedergebracht.

Nach der Einstellung des Bergbaus 1972 wurden die meisten obertägigen Anlagen abgerissen und verschrot- tet. Erhalten geblieben sind aber noch der Bahndamm der Grubenbahn, die Fundamente der Seilbahn, diverse Abraumhalden und als markantestes Landschaftsele- ment das große Tagebaurestloch "Westfeld". Darüber hinaus wird die Erinnerung an die Eisenerzgewinnung durch den Bergbau-Lehrpfad und die Bergmannsge- denkstätte im Westfeld wach gehalten.

Auch der Alaunschieferbergbau hat in Schmiedefeld landschaftliche Spuren hinterlassen. Im Schwefelloch, einem engen Kerbtal unterhalb von Schmiedefeld, sind entsprechende Aktivitäten seit dem Jahre 1683 urkund- lich belegt. Durch Auslaugung der schwefelkieshaltigen Abb. 3.9-16: Tonschiefer (Graptolithenschiefer) wurden unterschied- Historische Bergkapelle bei Könitz (Foto: C. Schmidt 2004). liche chemische Grundstoffe wie Alaun, Eisen- und

155 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Kupfervitriol, Schwefel, Schwefelsäure und auch Farb- gebunden. Von ihm zeugen noch heute Pingen und erden gewonnen. die Reste des ehemaligen Schachtes Jonas Walfisch, von dem Stollen wie der Silberschlüsselstollen und Heute noch lassen sich im oberen Schwefelloch/Grusen- Berghalden erhalten sind. Im 16. Jahrhundert ging man bachtal Spuren des historischen Alaunbergbaus auffin- zum Tiefbau über, der mit Unterbrechungen bis ins den: Halden, Pingen, Stützmauern, Mundlöcher, Reste 19. Jahrhundert fortgesetzt wurde. Letztmalig wurde von Laugenbühnen und Keller. Große Abraumhalden die Grube zwischen 1957 und 1960 im Rahmen von zeugen darüber hinaus von der jüngsten und gleichzeitig Erkundungsarbeiten durch die SDAG Wismut vorüber- kürzesten Bergbau-Episode im Schwefelloch. gehend reaktiviert.

Anfang der 1950er Jahre, als die Wismut auf der Suche Auf der Leutenberger Goldkuppe ist historischer Berg- nach Uran Aufschlussarbeiten in dem Gebiet durch- bau seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesen. Pingen, führte, entdeckten Bergleute in den aufgelassenen in denen Magnet- bzw. Schwefelkies gewonnen wurden Stollen Tropfsteingebilde in eindrucksvollen Formen (16. Jh. bis 1860), Stollenreste sowie Schacht- und Ta- und Farben. Seit 1993 sind diese "Märchengrotten", gesanbrüche einer alten Antimongrube (15. bis 18. Jh.) die in der Entstehung den "Feengrotten" bei Saalfeld deuten darauf hin. Auch ist in Leutenberg durch Hüt- vergleichbar sind, als Schaubergwerk "Morassina" tenschlackenfunde der Standort einer Schmelzhütte öffentlich zugänglich. Der Name erinnert an den früheren (16. Jh.) belegt. Der Anteil an Kobaltarseniden in den Besitzer, den Kaufmann Johann Leonard Morassi, der Kupfererzen ließ bei der Verhüttung eine unverwech- die Grube zu Beginn des 18. Jahrhunderts erworben selbare blaue Schlacke entstehen, deren Spur sich in und bis 1860 unter dem Namen "Morassina" betrieben Form blauer Kiesel im Sormitzbett verfolgen lässt ("Sor- hatte. mitzsteine"). Die ehemalige Leutenberger Kupferhütte erschmolz Kupfererze vom Roten Berg bei Saalfeld. (3.3) Bergbaugebiet Südwestlicher Als Zuschlagstoffe dienten Schwefel- bzw. Magnetkies Schiefergebirgsrand der Goldkuppe. Zur Schmelzhütte gehörte auch ein In diesem Gebiet waren die goldhaltigen Quarzgänge Schwefel-, Alaun- und Vitriolwerk, das aus schwefel- im Bereich des Schwarzburger Sattels mit den bekann- kiesreichen Rußschiefern die begehrten chemischen ten alten Goldbergbauorten Steinheid und Goldisthal Grundstoffe extrahierte (Alaun- und Schwefelsiederei). Objekte eines sehr frühen historischen Bergbaus (s. Abschnitt "Historische Goldgewinnung"). Die Goldvor- Die Hinterlassenschaften des historischen Bergbaus kommen von Steinheid waren schon 1362 bekannt um Leutenberg sind durch einen "Bergbaugeologischen (ELLENBERG 2002, S. 238), das Vorkommen von Gol- Wanderweg" erschlossen (SALZMANN 1997). disthal vor dem 15. Jahrhundert. (3.5) Bergbaugebiet Lobenstein-Hirschberg Bei Brattendorf (nordwestlich Eisfeld) und Mengersge- Zum Lobenstein-Hirschberger Revier gehörten über reuth-Hämmern (nordwestlich Sonneberg) standen 120 erzführende Gänge, die sich in der südöstlichen außerdem Kupfer- und Eisenerze im Abbau, die am Fortsetzung des Saalfelder Störungssystems um Lo- Südrand der Schiefergebirgsscholle in Verbindung mit benstein und Saaldorf im Westen und zwischen Sparn- der Aufrichtungszone der Zechsteinschichten ausstrei- berg und Gefell im Osten in herzynischer Richtung chen. Der Eisenerzbergbau in Mengersgereuth-Häm- (Nordwest-Südost) erstrecken. Gegenstand des Berg- mern geht wohl mindestens bis ins 15. Jahrhundert baus waren neben überwiegend Siderit (Eisenkarbo- zurück. Der Ortsteil Hämmern führt seinen Namen von nat/Eisenspat) bzw. Limonit (Brauneisenerz) in erster den 1516 urkundlich belegten Hammerwerken. Linie Chalkopyrit (Kupferkies) und Fluorit (Flussspat), z.T. auch Nickelerze. (3.4) Bergbaugebiet Leutenberg - Weitisberga Diese räumlich etwa 10 km voneinander entfernten In der Umgebung von Lobenstein und Hirschberg ist Gebiete historischen Bergbaus liegen beide über Kon- eine große Zahl von historischen Erzgruben überliefert, takthöfen granitischer Schmelzen, in denen von heißen über die aber nur wenig Informationen vorhanden sind. metallhaltigen Lösungen Erze ausgeschieden wurden. Allgemein ist der Bergbau in diesem Gebiet sehr alt. Darauf basiert ein vielfältiger, vermutlich seit dem Mittel- Die erste schriftliche Überlieferung stammt aus dem alter betriebener historischer Bergbau vor allem auf Jahre 1232, als den Reußenfürsten durch Kaiser Fried- Silber, Blei und Magnetkies bei Weitisberga, Gahma rich I. das Bergbauprivileg erteilt wurde. Spuren früher (Silberberg) und Leutenberg (Goldkuppe). Erzverhüttung sollen auf dem Tännich und dem Köseler Berg, am Koselbach und Langwasser gefunden worden Der Weitisbergaer Silberbergbau ist an die erzreichen sein (Reste ehemaliger Rennfeuer, Schlackenhalden). Kontakthöfe des Henneberg- und des Sormitztalgranites In seiner Blütezeit - kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg

156 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

- wurden im Lobensteiner Revier 133 Eisenerzgruben, Zeugnisse des Antimonbergbaus lassen sich in der 3 Silber- und 3 Kupfergruben gezählt. Die gewonnenen Schleizer Gegend noch im historischen Revier bei Erze wurden in nahgelegenen Hütten- und Hammer- Oberböhmsdorf feststellen (Duckelbergbau). Sein Alter werken verarbeitet (Solmsgrün, Benignengrün, Hein- ist unbekannt. Erst 1958 wurde der Betrieb der letzte richshütte und Klettigshammer bei Wurzbach). Späte- Grube (Halber Mond) eingestellt, nachdem die Erzvor- stens um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die räte erschöpft waren. meist kleinen Lagerstätten in der Mehrzahl erschöpft; 1924 wurde der Abbau in der letzten Grube des Loben- steiner Reviers eingestellt. (4) Bergbaulandschaft Osterland (Bergbaugebiete Gera-Ronneburg, Altenburg-Meuselwitz) (3.6) Bergbaugebiete Nordwestliches Vogtland (Schleiz, Zeulenroda, Greiz) (4.1) Bergbaugebiet Gera-Ronneburg Im nordwestlichen Vogtland konzentrieren sich die Stät- Der Bergbau in und um Gera war mit Ausnahme des ten des historischen Bergbaus auf das Schleizer Revier, Uranbergbaus bei Ronneburg (s.u.) nie sehr bedeutend, untergeordnet auch auf die Umgebung von Zeulenroda aufgrund seiner vielfältigen Rohstoffbasis aber sehr alt und Greiz. Halden, Pingen, verfallene Stollen und alte und teilweise bis in die Bronzezeit zurückreichend. Flur- und Ortsnamen erinnern daran. Während im Damals baute man auf den Zechsteinausstrichen den Mittelalter vorrangig nach Gold und Silber gesucht Kupferschiefer ab. Das für die Bronzeherstellung gleich- worden war, boten später die Eisen- und Antimonerze falls erforderliche Zinn wurde in den Flusssanden der Ansatzpunkte für bergbauliche Aktivitäten, auch wenn Weißen Elster sowie auf ihren Hoch-, Mittel- und Nie- diese nicht so bedeutend waren wie im Lobensteiner derterrassen als Seifenzinn (Sand, Kies) gewonnen. Revier. Im Gebiet zwischen Köstritz und Caaschwitz waren Eisenerzlager sind vor allem um Pörmitz und Görkwitz vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zahlreiche kleine verbreitet. Es handelt sich um Roteisenerze, die im Kupfergruben in Betrieb, die gleichzeitig auch geringe Gefolge des oberdevonischen Diabasmagmatismus Mengen Silber lieferten. Auf der Lasur sind Spuren untermeerisch, d.h durch chemische Wechselwirkung eines umfangreichen Duckelbergbaus aus dieser Zeit des aufgeheizten Meerwassers mit dem Nebengestein erhalten geblieben. Trotz des Steinbruchbetriebes und (Diabastuffe, Knotenkalk), entstanden sind (Erze vom der industriellen Bebauung haben dort einige Halden, sog. Lahn-Dill-Typ). Die Antimonvorkommen sind an Pingen und Stollenmundlöcher als historische Sach- Bruchstörungen (Quarzgänge) des Bergaer Sattels zeugen überdauert. gebunden, die besonders im Raum Schleiz bei Ober- böhmsdorf und Lössau sowie nördlich Greiz größere Auch Bergbau auf Eisen ist in mehreren Intervallen in Mengen an Antimonit führen. fast allen geschichtlichen Epochen und auf unterschied- lichen Lagerstätten nachweisbar, vor allem südöstlich Jahrhunderte lang stand der Bergbau auf Eisenerz an Wünschendorf und um Liebschwitz südlich Gera (Bron- erster Stelle. Trotz schwieriger Lagerungsverhältnisse zezeit bis ins 18. /19. Jh.). Pingen und flache Halden (Falten-, Schuppen- und Bruchstrukturen) waren in den des Duckelbergbaus, des Gangbergbaus und des Sei- besten Zeiten - kurz vor dem 30jährigen Krieg - bis zu fenbergbaus sind noch immer sichtbar (ZEIDLER 2002). 120 Gruben in Betrieb. Für die Verhüttung und Weiter- verarbeitung sorgten Hochöfen in Saalburg, Burgk, Jüngeren Datums ist die Solegewinnung aus den un- Thomasmühle bei Schleiz und in Görkwitz sowie zahl- tertägig anstehenden Zechsteinsalzen im Norden von reiche Hammerwerke, die in den wasserreichen Tälern Gera zwischen Langenberg und Bad Köstritz. Eine der Umgebung das Roheisen schmiedeten. Erst im 19. Bohrung von 90 m Teufe stieß dort 1822 auf ein 9 m Jahrhundert ging der Eisenerzbergbau als Folge der mächtiges Steinsalzlager. Die daraufhin gegründete Konkurrenz oberschlesischer und rheinisch-westfä- Saline, zu Ehren des reußischen Fürsten "Heinrichs- lischer Hüttenwerke stark zurück. 1869 wurde der Be- trieb des letzten Eisenhüttenwerks, des Burgkhammers, halle" genannt, verwendete Sole erstmals, um daraus eingestellt. 1899 war in der Umgebung von Schleiz nur chemische Grundstoffe zu produzieren (1846 Beginn noch die Eisensteingrube "Neue Hoffnung" bei Pörmitz der Sodaproduktion aus Kochsalz, später Erweiterung in Betrieb. Kurz nach der Jahrhundertwende war der auf Glaubersalz, Salzsäure, Schwefelsäure und andere Abbau dann auch dort eingestellt worden. Chemikalien). Nach Erschöpfung der Lagerstätte wurde die Saline 1909 geschlossen. Spuren historischen Eisenbergbaus finden sich im Schleizer Revier vor allem in der Umgebung der Ho- Heute verbindet man mit dem Raum Gera-Ronneburg henofenmühle nördlich von Görkwitz an der Krähenleite vor allem die historische Uranerzgewinnung: das in und der Johannisleite. den Auswirkungen folgenschwerste Kapitel der Thürin-

157 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Abb. 3.9-18: Schrägluftbild des Tagebaurestlochs Lichtenberg; im Hintergrund die charakteristischen Spitzkegelhalden, im Vordergrund Abtrag der Nordhalde (WISMUT GmbH, Thür. Minist. f. Landwirtsch., Natursch. u. Umwelt 1999).

ger Bergbaugeschichte. Bis 1990 wurde hier unter und Gauern, wurden mit Abraummassen wieder verfüllt; strengster Geheimhaltung das Ausgangsmaterial für die beiden großen wurden nach der Einstellung der die Atombomben und Kernkraftwerke der ehemaligen Förderung als Absetzbecken für die feinkörnigen UdSSR gewonnen. Die DDR war dadurch nach den Schlämme der Aufbereitung (Tailings) genutzt. Heute USA und Kanada vorübergehend zum drittgrößten stellen diese Industriellen Absetzanlagen (IAA) schwer Uranproduzenten der Welt aufgestiegen. zu sanierende Altlasten dar.

Die Uranregion bei Gera umfasst 3 Teilgebiete: im Nor- Neben der Lagerstätte bei Culmitzsch-Sorge erwiesen den das Bergbaugebiet um Ronneburg (Ronneburger sich seit 1950 auch ältere, tiefere Schichten des Ordovi- Erzfeld) beiderseits der BAB 4, im Süden das Gebiet ziums, Silurs und Devons unmittelbar südlich von Ron- um Seelingstädt mit Bergbau und Aufbereitung und die neburg als erzhöffig. Es waren bauwürdige Urananrei- Städte Gera und Ronneburg mit ihren Verwaltungs- cherungen, die sich bald als größtes Vorkommen dieser und Versorgungseinrichtungen, Bergbau begleitenden Art in Europa herausstellten. Zwischen 1952 und 1956 Betrieben und öffentlichen Einrichtungen für die Ver- wurden die ersten Schächte der Bergwerke Schmirchau, sorgung von ehemals mehreren 10 000 Bergarbeitern Lichtenberg und Reust geteuft; 1967 folgte das Bergwerk (Wohnungen, Sport- und Kultureinrichtungen). Paitzdorf im Osten der Lagerstätte, 1974 das nördlich der A4 gelegene Bergwerk Beerwalde und 1980 das Am Beginn stand der obertägige Uranerzabbau in der am weitesten nördlich gelegene Bergwerk Drosen, das Zechstein-Lagerstätte von Culmitzsch-Sorge (1949 - mit seiner 780 m - Sohle auch die größte Teufe des 1967). Den teilweise kilometergroßen Erdwunden gesamten Ronneburger Lagerstättenkomplexes erreich- mussten Felder, Wälder und sogar ganze Dörfer wei- te. Insgesamt bemaß sich die Länge der Grubenbaue chen. Zwei von ihnen, die Löcher bei Sorge-Settendorf bei Einstellung des Betriebes auf mehr als 1000 km.

158 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Dort, wo die erzführenden Gesteinsfolgen über Tage Technische Verbesserungen - wie die Einführung der ausstrichen, wurde ihr Abbau auch obertägig vorange- Brikettpressen und die Erschließung des Reviers durch trieben. Den ersten kleineren Tagebauen am östlichen die Eisenbahn 1872 - sowie der ansteigende Bedarf Stadtrand von Ronneburg (1952/53) und bei Stolzenberg an Rohkohle durch die aufblühende Industrie der Grün- (1955-57) folgte 1958 der Aufschluss des Tagebaues derzeit begünstigten die Bildung von großen kapital- Lichtenberg, der bis zur Stilllegung 1977 auf eine Tiefe kräftigen Aktiengesellschaften, die in der Folgezeit die von knapp 240 m, eine Länge von 1900 m und eine bestehenden Gruben aufkauften und noch freie Kohle- Breite von 900 m gekommen war. Selbst nach umfang- felder erwarben. Dazu kamen Brikettfabriken, wie die reichen Verfüllungen war das Restloch noch 160 m tief. in Rositz (1873-1992), Zipsendorf (1886-1991) und Zechau (1898-1991). Nach der Einstellung der Urangewinnung 1991 wandelte sich das Ronneburger Revier mit seinen radioaktiv und 1917 siedelte sich mit der "Deutschen Erdöl AG" (DEA) chemisch-toxisch belasteten Produktionsrückständen in Rositz die erste auf Braunkohle basierende Mineral- in einen der aufwändigsten Sanierungsfälle Europas. ölfabrik Deutschlands an. Sie sollte Paraffine, Bitumen Mit der Übernahme der "SDAG Wismut" durch die Bun- und Treibstoffe für die kaiserliche Marine herstellen. desrepublik Deutschland begannen die Arbeiten zur Verwahrung, Sanierung und Wiedernutzbarmachung Einen "Quantensprung" erfuhr der Bergbau im Alten- von rd. 2500 ha belasteter Flächen, darunter 700 ha burg-Meuselwitzer Revier nach dem 2. Weltkrieg. Weil Halden, 430 ha industrieller Absetzanlagen, das 160 in der DDR die heimische Braunkohle zum wichtigsten ha große Restloch des Tagebaues Lichtenberg sowie Energieträger erklärt worden war, begann seit 1950 ein verzweigtes untertägiges Grubengebäude in einer die Kohleförderung und -verarbeitung in großen Dimen- flächenmäßigen Ausdehnung von ca. 74 km². sionen. Abgebaut wurde jetzt schwerpunkthaft das durchschnittlich 14 m mächtige Thüringer Hauptflöz, Das Landschaftsbild um Ronneburg wird sich durch das zwischen Ramsdorf und Regis-Breitlingen durch die Sanierung noch einmal erheblich verändern. Am zahlreiche Schächte und Tagebaue aufgeschlossen Ende sollen alle belasteten Gebäude, Anlagen und wurde. Auch ein Dorf musste umgesiedelt werden (Rup- Betriebsflächen abgerissen, entsorgt und dekontaminiert persdorf 1950-52). Die charakteristischen Bruchfelder, sein. Weitere vordringliche Maßnahmen sind die Um- die später aufgrund von Senkungen über den ausge- lagerung bzw. Abdeckung der Schadstoff belasteten kohlten Gruben entstanden, sind auf den Äckern zwi- Halden, die Entwässerung und Abdeckung der industri- schen Wintersdorf und Rositz heute noch zu erkennen. ellen Absetzanlagen (IAA) und die Verfüllung des Tagebaus Lichtenberg mit dem Material der umzula- gernden Halden. In der Endphase der Sanierung ent- Erst die politische und wirtschaftliche Wende 1990 be- steht eine naturnahe Wiedereinbindung der Region in siegelte das Ende des Braunkohlenbergbaus und seiner den Landschafts- und Naturraum, zu der auch die Folgeindustrien. Obwohl die Förderung in den Tage- umfangreichen Neugestaltungen im Rahmen der Bun- bauen auf Ostthüringer Gebiet bereits 1977 ausgelaufen desgartenschau Gera und Ronneburg 2007 beitragen. (Tagebau Haselbach) bzw. gestundet worden war Die markanten Spitzkegel- und Plateauhalden und die (Tagebau Groitzscher Dreieck), wurde die technische Vielzahl der obertägigen Anlagen, die Jahrzehnte lang Veredlung in völlig überalterten Fabriken noch bis zuletzt das Bild bestimmten, werden dann der Vergangenheit weiter betrieben. angehören. Nach der Stilllegung begann in den 1990er Jahren eine (4.2) Bergbaugebiet Altenburg-Meuselwitz Phase großflächiger und aufwändiger Sanierungen, Im nordöstlichsten Teil Thüringens sind die Zeugnisse um die bedenklichen Boden- und Grundwasserbela- des historischen Braunkohlebergbaus um Altenburg stungen, besonders um den Standort des ehemaligen und Meuselwitz unübersehbar. In Oberflächennähe Teerverarbeitungswerkes Rositz ("Bitterfeld Thürin- stehen in diesem Gebiet, das geologisch bereits zum gens"), zu beseitigen. Diese Maßnahmen werden noch Senkungsraum der Leipziger Tieflandsbucht gehört, Jahre benötigen. Im Bereich der Halden, Kippen und umfangreiche Braunkohlevorkommen aus der Tertiärzeit Restlöcher soll langfristig eine strukturreiche und öko- an, die seit dem 17. Jahrhundert über- und untertägig logisch stabile Landschaft wiederhergestellt werden. abgebaut wurden. Die Flutung des Großtagebaues Haselbach ist bereits erfolgt. Der Haselbacher See verfügt mittlerweile über Etwa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fand der Abbau Strandbereiche, die für die Freizeitnutzung zielgerichtet ausschließlich in Kleinstbetrieben statt (z.B. in Altenburg, entwickelt werden sollen. Oberlödla, Untermolbitz, Oberzetscha, Pöppschen, Bocka, Treben, Serbitz, Waltersdorf, Gröba, Dippelsdorf, Mit der Aufgabe der Braunkohlenförderung und -ver- Kleinmecka). edlung verlor auch ein Großteil der Gebäude und Be-

159 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Abb. 3.9-19: Braunkohletagebau bei Meuselwitz im Altenburger Land. Historisches Messtischblatt von 1928, Bl. Meuselwitz 4939, Originalmaß- stab 1 : 25 000. Nachdruck Thüringer Landesamt für Vermessung und Geoinformation.

triebsanlagen ihren Nutzwert. Auf Grund des Baualters (5) Bergbaulandschaft Harz und Harzvorland und des Bauzustandes der Brikettfabriken und Kraft- (Bergbaugebiete Ilfelder Becken, Südliches Harz- werke (Rositz 1912, Zechau 1885, Zipsendorf 1905, vorland-Kyffhäuser, Kalirevier Südharz-Unstrut) Haselbach 1908) stellt sich die Suche nach einer sinn- vollen und wirtschaftlichen Nachnutzung als äußerst Kaum eine andere Landschaft vereint auf so engem schwierig dar. Die ehemalige Brikettfabrik Zechau - zu- Raum ein so breites Spektrum verschiedener Gesteins- letzt ein Technisches Museum - wurde 2003 geschlos- und Erzvorkommen wie der Harz und sein unmittelbares sen; auch die 1905/06 in Betrieb genommene Brikett- Vorland einschließlich dem Kyffhäuser. Beides sind fabrik Phoenix mit ihrem markanten Klinkerbau ist seit schräg gestellte Mittelgebirgsschollen aus variskisch 1999 außer Funktion, obwohl ihre Produktionsanlagen gefalteten und von Gängen durchsetzten Gesteinen. 1990 grundlegend saniert worden waren. Vorläufig ge- Im Ilfelder Gebiet sind es Sediment- und Vulkangesteine, sichert werden konnte der Erhalt eines Gleisabschnitts die zur Zeit des Rotliegenden in einer beckenartigen der Kohlebahn zwischen den Bahnhöfen Regis-Brei- Struktur abgelagert wurden ("Ilfelder Becken"), im Kyff- tingen und Meuselwitz als touristische Schmalspurbahn. häuser mächtige rotgefärbte Konglomerate und Sand- steine des Oberkarbons. Ihrem Charakter als "Pult- schollen" entsprechend tragen Harz und Kyffhäuser

160 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften auf ihren Südrändern eine aufgebogene Decke aus Sedimenten des Zechsteins (Kupferschiefer, Gips, Kalk und Salz).

(5.1) Bergbaugebiet Ilfelder Becken Zwischen roten oder grauen Konglomeraten, Sandstei- nen und vulkanischen Deckenergüssen sind im Ilfelder Becken geringmächtige Steinkohlenflöze eingeschaltet, die vom 18. bis ins 20. Jahrhundert wiederholt Objekt eines bescheidenen Bergbaus waren: bei Neustadt am Vaterstein und an der Heinrichsburg, in der Umgebung von Ilfeld (Talbrauerei-Netzkater-Brandesbach-Tal) und bei Sülzhayn. Abb. 3.9-20: Da die Südharzer Kohlen qualitätsmäßig weit hinter Bergehalden des historischen Kalibergbaus prägen die Land- den Ruhrgebiets- und den schlesischen Kohlen zurück- schaft bei Sondershausen (Foto: H.-H. Meyer 2007). fielen und die Flöze durchschnittlich nur 0,5 bis 1 m mächtig waren, wurden sie fast ausschließlich in wirt- und Petersdorf, hochwertigen Gips (Alabaster), der im schaftlichen Notzeiten abgebaut. Letztmalig wurde kurz Gegensatz zum heute üblichen obertägigen Abbauver- nach dem 2. Weltkrieg Südharzer Steinkohle gewonnen. fahren in früheren Jahrhunderten häufig im Tiefbau ge- Der als Besucherbergwerk eingerichtete "Rabensteiner wonnen wurde (südlich Neustadt am Brandberg und Stollen" zeugt heute noch davon. im Harzfelder Holz, ca. 30 Stollen). Besonders begehrt war das als Glasersatz verwendete Marienglas, eine Auch die in den Zerrspalten des variskischen Gebirgs- aus durchsichtigen blättrig spaltenden Kristallen beste- rumpfes gewachsenen Eisen- und Manganerze waren hende Variante des Gipses (Alter Stolberg, Stempeda). Gegenstand bergmännischer Tätigkeit: Eisenerz wurde in früheren Jahrhunderten am Hegerskopf zwischen (5.3) Bergbaugebiet Kalirevier Südharz-Unstrut Buchholz und Stempeda, an der Harzeburg, im Fisch- Fast ein Jahrhundert lang prägte der Abbau von Kalisalz bachtal (zwischen Talbrauerei und Netzkater) sowie im die Wirtschaft und die Kulturlandschaft im Norden Thü- Nonnenforst am Netzkater abgebaut, Mangan u.a. ringens. Als "Geburtsstunde" für das Südharzer Kalire- westlich Ilfeld. Der Manganerzbergbau hatte seine vier gilt eine Bohrung bei Kehmstedt im Jahre 1888, Hauptphase im 18. und 19. Jahrhundert. Das Braun- bei der das erste Kalisalz der Region in 455 m Teufe steinhaus und der Bergbaulehrpfad "Kleiner Mönche- angetroffen wurde. Der erste Schacht wurde 1895 in berg" erinnern daran. 1922 kam er zum Erliegen. Sondershausen bis auf 670 m Teufe niedergebracht (Gewerkschaft Glückauf); das Kalilager im preußischen (5.2) Bergbaugebiet Südliches Harzvorland- Bleicherode erschloss man 1901. Kyffhäuser In diesem Gebiet gab der Kupferschiefer, der hier dank Die Erschließung der Kalifunde Nordthüringens war der Aufbiegung der Zechsteinschichten in einem schma- die Reaktion auf einen weltweiten Bedarf und eine len Band an die Erdoberfläche kommt, den Anlass für gleichzeitig fast monopolartige Stellung der deutschen einen sehr frühen Bergbau (12., 13. Jh.). Nach einer Kaliindustrie. Als Grundstoff in der Textil-, Glas- und hundertjährigen Blütezeit (Mitte 17. bis Mitte 18. Jh.) Sprengstoffindustrie sowie in der Medizin hatten die endeten die bergbaulichen Aktivitäten in der Mitte des schwefelsauren Salze während der Jahrhundertwende 19. Jahrhunderts wegen Erschöpfung der Lagerstätten wichtige Absatzfelder gefunden. Zum Hauptabnehmer und mangelnder Rentabilität. war jedoch die Landwirtschaft geworden, die Kalisalze in wachsenden Mengen als Düngemittel zur Steigerung Am Harz wurde der Kupferschiefer im Hohensteinschen und Sicherung der Erträge und zur Ödlandkultivierung Revier bei Ilfeld (2), im Kyffhäuser bei Badra (4), im benötigte. Rathsfeld (5) und bei Udersleben (6) ausgebeutet. Uralte Abraumhalden, die meist von Gebüsch überwu- Dank der großen Nachfrage nahm der Kalibergbau im chert und stark verwittert sind, legen heute noch Zeugnis Südharzer Revier vom Start an einen beispiellosen davon ab. Aufschwung. Bis 1915 war die Zahl der Schächte auf rd. 50 angestiegen, das entsprach rd. einem Viertel Neben dem Kupferschiefer lieferte der Zechsteingürtel aller deutschen Kalischächte. Die Boomzeit des „Weißen zwischen Ilfeld, Niedersachswerfen und Neustadt, vor Goldes“ hielt indes nicht lange an. Während und nach allem aber im Bereich der Orte Harzungen, Rüdigsdorf dem 1. Weltkrieg führten der Verlust des deutschen

161 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Kali-Weltmonopols und die Weltwirtschaftskrise zu Jahre machten sie zusammen mit dem neuen Werk einem drastischen Rückgang der Exporte, in dessen Merkers (Produktionsaufnahme 1925) das Werratal Folge viele Schächte stillgelegt werden mussten. Ende trotz Inflation und Weltwirtschaftskrise zum leistungs- der 20er Jahre hatten im Südharz-Unstrut-Revier gerade fähigsten Kaliabbaugebiet der Welt. einmal 6 Werke mit 15 Schächten überlebt, die auch die staatlich gelenkte Autarkiewirtschaft der National- In der Weltwirtschaftskrise (ab 1929), als die US-Nach- sozialisten und die Kriegsjahre überstanden: Glückauf frage fast völlig zurückging, brach auch die Produktion Sondershausen, Bischofferode, Sollstedt, Roßleben, im Werrarevier weitgehend zusammen. Alexandershall Volkenroda und Bleicherode. Nach dem Ende des 2. stellte 1931 seinen Betrieb komplett ein. Doch mit Ra- Weltkrieges gingen die Werke als SAG-Betriebe in tionalisierungs- und Mechanisierungsmaßnahmen über- sowjetische Verwaltung über, bis sie 1952 in VEB's standen die Werke im Werratal diese schwierige Zeit, umgewandelt zu wichtigen Devisenbringern für die auch die Staatswirtschaft und Kriegspolitik der 30er Planwirtschaft der DDR wurden. Technisch rückständig und 40er Jahre. überlebten sie die Wende nicht. Nach 100jähriger Pro- duktion stellten bis auf das Solbergwerk in Kehmstedt Nach der Kapitulation machte das Werk Merkers dann bei Bleicherode alle Gruben ihren Betrieb ein: 1990 weltweit Schlagzeilen, als die vorrückende amerikani- schlossen die Gruben in Volkenroda, Bleicherode und sche Armee unter General Patton dort einen großen Sollstedt, 1991 die in Sondershausen und Roßleben Teil der Reichsbankreserven, Goldbarren und zentner- und als letztes 1993 das Kaliwerk Bischofferode. weise Banknoten sowie wertvolle Kunstwerke aus deutschen Museen entdeckt hatte. Sie waren von den Ein Großteil der obertägigen Anlagen wurde im Rahmen nationalsozialistischen Machthabern in den bombensi- von Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen mittler- cheren Stollen des Kaliwerkes, das damals noch weitab weile abgerissen. Die Schächte der Grube Roßleben von den Außengrenzen Deutschlands lag, eingelagert wurden verfüllt. Das Grubenfeld der Grube Volkenroda worden. und die Grube Bischofferode werden noch über mehrere Jahrzehnte Haldensickerwässer der Rückstandshalden In der DDR wurden die ehemaligen Werrawerke Heili- aufnehmen. In den übrigen 3 Gruben sind zur Bergsi- genroda, Kaiseroda und Sachsen-Weimar zu volksei- cherung aufwändige Versatzmaßnahmen erforderlich genen Betrieben umgewandelt und 1958 zum Kalikom- (GRÜNEMEIER 1998). Als weithin sichtbare Monumente binat "Werra" mit Sitz in Merkers zusammengeführt, der einstigen bergbaulichen Blüte werden nur der För- das seit 1970 als Werk "Werra" dem bis 1990 beste- derturm des Petersenschachtes Sondershausen und, henden VEB Kombinat "Kali" mit Sitz in Sondershausen wenn die Nachnutzung gesichert ist, das Gebäudeen- angehörte. semble des Bergwerkes Bleicherode erhalten bleiben. Die Grube in Sondershausen hat sich unterdessen als Schon zu DDR-Zeiten hatte man große Anstrengungen Erlebnisbergwerk über die Grenzen Thüringens hinaus unternommen, um Förderleistungen und Produktivität einen Namen gemacht. zu erhöhen. Seit 1966 waren die Gruben Merkers und zum Einsatz von Bergbaugroßgeräten übergegangen; schrittweise konnten in der Folge die (6) Bergbaulandschaft Südwestthüringen kleinen Schachtanlagen Springen I (1964), Kaiseroda (Bergbaugebiete Kalirevier Werratal, Rhön) I (1965), Menzengraben (1966) und Alexandershall (1967) stillgelegt werden. (6.1) Bergbaugebiet Kalirevier Werratal Südlich des Thüringer Waldes leitete 1893 der Kalisalz- Unter den marktwirtschaftlichen Bedingungen der fund bei Kaiseroda in der Buntsandsteinlandschaft des 1990er Jahre zwang der Rückstand gegenüber den Werratals das "Kalifieber" ein. Auch hier war man im technisch überlegenen westlichen Kaliproduzenten zu Steinsalz des Zechsteins fündig geworden, aber noch einem tief greifenden Strukturwandel in der Region. ahnte niemand, dass damit eine der bis heute weltweit 1997 wurden die Kalistandorte an der Werra unter dem wirtschaftlich bedeutendsten Kalilagerstätten entdeckt Dach der "Kali und Salz AG" zum Verbundwerk "Werra" worden war. Die beiden nur etwa 2 m mächtigen Kali- vereinigt und die Förderung in allen Werken bis auf flöze der Werrafolge sollten sich fortan als qualitativ den Standort Unterbreizbach eingestellt. herausragende Lagerstätten erweisen. Dennoch ging es unter Tage weiter. Noch für viele Kaum hatte im Jahre 1901 das erste Kaliwerk (Kaisero- Jahre werden Sicherungs- und Verwahrungsarbeiten da I) seinen Betrieb aufgenommen, folgten bis 1906 nötig sein, um die langfristige Standsicherheit der Gru- die Werke Alexandershall, Wintershall, Hattorf, Heili- bengebäude zu gewährleisten. Hierzu werden Millionen genroda und Sachsen-Weimar. Bis Ende der 1920er Tonnen Salz abgebaut und in Teile des Grubenfeldes

162 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

wieder eingebracht, deren Stabilität nur auf diese Weise gesichert werden kann. Die Grube Merkers hat sich mitt- lerweile zu einer überregional bekann- ten Touristenattraktion entwickelt, bei der alljährlich Tausende von Besuchern auf Rundfahrten unter Tage die Welt des „Weißen Goldes“ erleben können.

(6.2) Bergbaugebiet Rhön Neben ihren harten Basaltgesteinen, die früher als Pflastermaterial und für den Wasser- und Küstenbau weit über die Grenzen des Naturraums hinaus Absatz fanden, weist die Rhön an mi- neralischen Bodenschätzen nur klei- nere Kohlelagerstätten auf. Es sind Braunkohlen, die unter dem Einfluss vulkanischer Hitze stellenweise zu Glanz- oder Pechkohlen mit einem relativ hohen Heizwert umgewandelt worden sind.

Doch nur bei Kaltennordheim (Wind- berg), bei Dermbach (), Vacha (Kirstingshof bei Oberzella) und Frankenheim besaßen sie abbauwür- dige Qualität und Mächtigkeit (max. 2- 3 m), so dass sie - meist in Notzeiten - abgebaut wurden. Nur die Grube vom Windberg bei Kaltennordheim förderte vorübergehend größere Mengen. Um die Förderung zu steigern, hatte man Mitte des 19. Jahrhunderts den 480 m langen Carl-August-Stollen in den Berg getrieben, aus dem zwischen 1858 und 1877 etwa 300 000 Zentner Kohle gewonnen und an die Salinen Schmal- kalden und Salzungen sowie an die Abb. 3.9-21: Kupferschmelzhütte in Kupfersuhl ver- Thüringer Goldwäscher im 16. Jahrhundert (aus: SCHADE 2001). kauft wurden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Betrieb wegen (7) Historische Goldgewinnung nachlassender Rentabilität eingestellt. Eine kurzzeitige Wiederaufnahme der Förderung in den 1920er Jahren Ungezählte Orts- und Flurnamen weisen in Teilen blieb wegen der geringen Ergiebigkeit und der schwie- Thüringens auf goldführende Gesteine, Bäche und auf rigen Entwässerung ohne den erhofften wirtschaftlichen die historische Goldgewinnung hin (Tabelle 3.9-2). Erfolg. Die Kerngebiete der Thüringer Goldvorkommen mit der Heute lassen sich nur noch wenige Spuren des alten größten Ausdehnung, der größten Anzahl und Dichte Bergbaus in der Rhön entdecken: verfallene Stollen- an historischen und aktuellen Fundpunkten liegen im mundlöcher und flache, dicht bewachsene Abraumhal- Schiefergebirge. Die Grundgebirgsmassive des den, in denen auch noch Braunkohlestücke zu finden Schwarzburger und des Bergaer Sattels (Lobensteiner sind. Am Standort der Windberggrube ist das „Alte Horst) mit ihren uralten Gesteinen (Paläozoikum, Jung- Grubenhaus“ noch erhalten. proterozoikum) sind reich an quarzführenden Spalten (Quarzgängen), an die ein sehr geringer, unsichtbarer Goldgehalt gebunden ist. Den nachfolgenden Verwitte-

163 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Abb. 3.9-22: Lageskizze der ehemaligen Goldlagerstätte am Goldberg bei Reichmannsdorf (aus: SCHA- DE 2001).

der Itz, der Steinach und der Werra ein- schließlich der Schleuse mit ihren jewei- ligen Zuflüssen als Gold führend.

Im Gebiet des Bergaer Sattels sind Goldseifen im Einzugsgebiet der Oberen Saale beiderseits der Bleilochtalsperre und an der Weißen Elster in Höhe und oberhalb des Wünschendorfer Beckens verbreitet.

Sogar Bäche und Flüsse des vergleichs- weise jungen Rotliegenden (Goldlauter- Formation) führen Goldseifen. SCHADE (2001) verfolgte sie von der Oberhöfer Mulde im Thüringer Wald über die Schol- le von Masserberg bis ins Stockheimer Becken bei Sonneberg (Überlieferung von Goldwäscherei bei Neuhaus-Schier- schnitz). Der größte Teil dieses Goldes geht in die Werra. Minimale Goldmen- gen gelangen in die Gera. Die goldfüh- renden Bäche im Einzugsgebiet der rungsvorgängen ist es zu verdanken, dass sich dieses Haßlach und der Föritz entwässern über die Rodach sog. "Berggold“ dann in einer oberflächennahen Kon- in Richtung Main. zentrationszone so weit anreichern konnte, dass es abbauwürdig war. Vor allem im Bereich des Schwarz- Mittlerweile wurde in 222 Flüssen, Bächen, Tälern, burger Sattels waren die Quarzgänge das Objekt einer Gründen und Gräben Seifengold nachgewiesen; Anfang sehr frühen Goldgewinnung in den bekannten Berg- des 20. Jahrhunderts waren nur gut 30 goldführende bauorten Steinheid, Goldisthal und Reichmannsdorf. Bäche und Flüsse in Thüringen bekannt, die in der Die Anfänge liegen dort, so ist urkundlich überliefert, nachfolgenden Tabelle aufgelistet sind (SCHADE 2001, bereits um 1100. Zu jener Zeit soll das Kloster Saalfeld S.43 und 57): westfälische Goldwäscher und Goldgräber ins Land geholt haben, die dem Flusslauf der Schwarza und deren Seitentälern folgten, bis sie an die Primärlager- Apelsbach Pechseifenbach stätte der goldhaltigen Quarze gelangten, dem Goldberg Blambach Raspiseifenbach Cordobanger Bach Rehtal von Reichmannsdorf. Dunkeltal Reichenbach Frauenbach Ronnseifenbach Ein Teil des oberflächennah angewitterten Gesteins Große Wulst Saale wurde im Laufe der Jahrtausende in Bäche und Flüsse Grubental Schlagebach gespült. Dort wurden die Goldpartikel heraus gewaschen Grümpen Schlötenbach und aufgrund ihrer Schwere (Dichte) in bestimmten Häderbach Schwarza Fangpositionen und Schichten angereichert. So ent- Katze Sieglitzbach standen die sog. Goldseifen ("Waschgold"), die außer Köselbach Sormitz in den Flussauen meist auch in den Kiessanden der Langwasser Weida Leuba Weiße Elster höheren quartären Terrassen zu finden sind. Lichte Werra Lichterbach Wettera Im Bereich des Schwarzburger Sattels bergen insbe- sondere die Einzugsgebiete der Schwarza und der Tab. 3.9-1: Loquitz (ohne die obere Sormitz) Waschgoldlagerstätten. Gold führende Bäche und Flüsse in Thüringen. Kenntnisstand Südlich des erweisen sich die Oberläufe Anfang des 20. Jhs. (aus: SCHADE 2001).

164 Historischer Bergbau und Bergbaulandschaften

Die historische Goldgewinnung ist in Thüringen durch kuppe bei Steinheid sowie der Stollen "Mit Gebet und zahlreiche Orts- und Flurnamen, durch Museumsexpo- Arbeit" im Reichmannsdorfer Goldberg blieben aber nate und durch landschaftliche Sachzeugnisse belegt. ohne den erhofften Ertrag. Neben den Bächen, Bergen, Quellen und Flurteilen, die in ihrem Namen unmittelbar auf Goldgewinnung Auch die Goldwäscherei wurde noch bis ins 19. Jahr- oder Goldvorkommen verweisen, werden auch die hundert praktiziert. Eindrucksvolle Belegstücke aus Namen "Venetianer" oder "Venediger" mit Goldsuchern Schwarzagold werden im Naturhistorischen Museum in Verbindung gebracht, denn im Mittelalter hatte die in Rudolstadt aufbewahrt, z.B. ein Nugget von etwa aufblühende norditalienische Handelsstadt erzkundige 10 g Gewicht. Es wurde im 16. Jahrhundert entdeckt Prospektoren in die mitteleuropäischen Gebirge ent- und in ein Kollier, das sog. "Schmuck-Körbchen", ein- sandt, um dort nach bestimmten Metallen (z.B. Kobalt) gearbeitet. für die Herstellung farbiger Gläser zu suchen. Dabei haben sie vermutlich auch Gold gefunden.

Bei der ältesten Form der Goldgewinnung, der Gold- Orts-, Lage wäscherei, wurden die Talböden örtlich in regelrechte Flurname „Mondlandschaften“ umgewandelt. Felder flacher rund- Goldbach Nebenbach der Steinach licher Abraumhügel aus Kies und Sand zeugen beson- Goldbach Nebenbach der Rodach ders in einigen Tälern Ostthüringens noch heute von Goldbach Nebenbach der Friesau der historischen Goldwäscherei. Solche Hügel von 1- Goldbachwiesen Flur nahe Ebersdorf 3 m Höhe und bis zu 10 m Durchmesser finden sich Goldberg Berg bei Altenfeld a.R. u.a. im Einzugsgebiet der Saale bei Lobenstein im Langwassergrund und am Köselebach. Auch im Wet- Goldberg Berg bei Reichmannsdorf teratal unterhalb von Gräfenwarth sind im Bereich des Goldberg Berg bei Bad Blankenburg Bleilochstausees vom 16. Jahrhundert bis 1638 Gold- Goldberg Berg bei Goldisthal, 735 m seifen abgebaut worden, wovon gut erhaltene Seifen- Goldberg Berg bei Arnsgereuth, 622 m halden künden. Stark vertreten sind Spuren der Gold- Goldberg Berg bei Ohrdruf, 452 m wäscherei im Talsystem der Weißen Elster, besonders Goldberg Berg bei Schmerbach, 433 m im Leuba-, Weida- und Triebestal. Im Wünschendorfer Goldberg Berg bei Falken/Werra, 379 m Becken und im Geraer Stadtgebiet belegen archäolo- Goldborn Quelle bei Goldisthal gische Funde, urkundliche Erwähnungen und zahlreiche Goldborn Quelle a. Hinteren Hühnbg., 813 m Orts- und Flurnamen von jahrhundertelanger Seifen- Goldborn Quelle a.d. Hohen Scharte, 814 m goldgewinnung, die sich zeitweise bis auf die höheren Goldborn Quelle d. Steinrutsche, Schweina Lagen beiderseits der Weißen Elster zwischen Köstritz Goldene Lauter Quellbach der Lauter und Eisenberg ausgedehnt hatte. Goldgelänge Flur bei Lobenstein Auch der Abbau von Berggold hat deutliche Spuren Goldhelm Flur SE Manebach hinterlassen. Über 900 dicht nebeneinander niederge- Goldhügel Berg bei Meilitz, 232 m brachte kurze Schächte weisen am Goldberg von Reich- Goldisthal Ort im Schwarzatal mannsdorf auf einen seit dem Hochmittelalter betrie- Goldkuppe Berg bei Leutenberg, 441 m benen Duckelbergbau hin (Abb. 3.9-22). Umfangreich Goldlauter Ortsteil von Suhl sind auch die tagebauartigen Auffahrungen der "Gabe Goldlauterberg Berg bei Goldlauter, 874 m Gottes" auf dem Tännich oberhalb von Schwarzburg Goldleite Flur Saalehang SE Walsburg und die Grubenbaue im Steinheider Revier. Dort er- Goldwäsche Flur a.d. ob. Werra (Weißgrund) reichten schon vor 1500 die aufgefahrenen Schächte Gülde Nebenbach der Weida Teufen bis zu 20 m (SCHADE 2001, S.42). Güldene Brücke Flur NE Schneekopf, 978 m Güldene Kirche Flur am Steinberg bei Glasbach In der Neuzeit (bis ins 19. Jh.) wurden die Schächte und Stollen bei der Prospektion nach neuen Lagerstätten Tab. 3.9-2: immer tiefer ins Innere der Berge vorangetrieben. Der Orts- und Flurnamen, die auf Goldfunde hinweisen könnten ca. 200 m lange "Fürstenstollen" gegenüber der Schiffs- (aus: SCHADE 2001).

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Bergbaugebiet (BG) Geologie Bergbaugeschichte Relikte

1. Bergbaulandschaft Nordwestlicher Thüringer Wald

1.1. BG Möhra-Kupfersuhl Zechsteinaufbiegung (Kupferschiefer) im Zuge Historischer Kupfer- und Kobalterzabbau Pingen, Halden der Südrandverwerfung des Thüringer Waldes

1.2. BG Schmalkalden- Ruhla- Lagerstätten im Zuge der südlichen Randverwer- Bedeutender historischer Eisenstein- und neuzeit- mittelalterliche Pingenzüge und Halden, tlw. unter Brotterode fung des Thüringer Waldes (Stahlberg-Mommeler licher Schwerspatabbau bei Schmalkalden; histo- heutigen Orten, Tief- und Tagebaue, Schauberg- und Klinger Störung), metasomatische Eisenerze; rischer Eisensteinabbau bis 18. Jh., Manganerz- werke Roteisen und Mangan führende Quarzgänge im abbau 19. Jh. bis 1930 bei Ruhla-Brotterode Ruhlaer Kristallin

1.3. BG Nördlicher Thüringer- Zechsteinaufbiegung (Kupferschiefer) im Zuge Historischer Kupferschieferabbau, Eisenbergbau, Marienglashöhle (= Kristallgrotte in ehemaligem Wald-Rand der Nordrandstörung des Thüringer Waldes; Rot- Blüte mit 20 Bergwerken im 16. Jh., im 19. Jh. Gipsauslaugungshohlraum, Besucherhöhle) eisen führende Mineralgänge am Gebirgsrand eingestellt

1.4. BG Zentraler Thüringer Wald Mangan- und Schwerspatgänge bei Tambach- Wirtschaftlich weniger bedeutende Mangan- und Pingen und Halden Dietharz und Oberhof Schwerspatlagerstätten, die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts kurzzeitig abgebaut wurden. 2. Bergbaulandschaft Mittlerer und Südlicher Thüringer Wald 2.1. BG Ilmenau Zechsteinaufrichtungszone am Gebirgsrand des Historischer Silber- und Kupferbergbau auf der Pingen und Halden, Reste wasserwirtschftlicher nördlichen Thüringer Waldes, Fluorit und Mangan- Sturmheide u. bei Roda, Blüte um 1600 und 1700, Anlagen, Zechenhaus, Orts- und Flurnamen gänge, u.a. Floßberg-Stechberg-Gangstörung erfolgloser Wiederaufnahmeversuch unter Goethe (bis 1796), neuzeitlicher Fluoritabbau bei Ilmenau und Gehren bis 1991, Fortsetzung in Gehren seit 2006, Manganerzabbau seit 17.Jh.; Steinkohle- bergbau bei Manebach im 18. und 19. Jh.

2.2. BG Suhl-Schleusingen Hämatit-Mineralgänge im Zuge der südlichen Bergbau seit frühem Mittelalter, Blüte 16. Jh., über 1000 Pingen und Halden, Stollenmundlöcher Thüringer-Wald-Randstörung Grundlage der Suhler Waffenindustrie

2.3. BG Großbreitenbach Kupfer-Blei-Zinkerzgänge im Umkreis des Schleu- Mittelalterlicher Silber- und Kupferbergbau (z.B. setalgranits Silberberg, Katzmannstal bei Möhrenbach), später Alaunbergbau

2.4. BG Zechsteinsenke bei Aufrichtungszone der Zechsteinschichten mit dem Urkundlich sind zahlreiche (meist kleine) histori- Königsee-Allendorf Kupferschiefer am Rande der Schiefergebirgs- sche Bergwerke belegt (Silber- und Kupfererz, scholle; im Kontaktbereich von tektonisch beding- Eisenerz, Kobalt, Blei); Schwerspatgruben in ten Gangspalten Verdrängungs-Eisenerze sowie Dörnfeld, Garsitz und Allendorf, die bis in die Schwerspatgänge 1920er Jahre thüringische Bleiweißfabriken belie- ferten 3. Bergbaulandschaft Thüringer Schiefergebirge

3.1. BG Saalfeld-Kamsdorf-Könitz Metasomatische Lagerstätte im Zechsteinkalk mit Bergbau seit vorgeschichtlicher Zeit, historisches zahlreiche Pingen und Halden, Stollenreste, Be- Eisen, Kupfer, Blei, Kobalt und Schwerspat füh- Zentrum am Roten Berg und auf dem Haussach- sucherbergwerk mit Resten obertägiger Anlagen, renden Erzgängen in der Aufrichtungs- und Stö- sener Gangzug; im Mittelalter Bergbau auf Eisen, bergbauhistorischer Lehrpfad, "Feengrotten" als rungszone am nördlichen Schiefergebirgsrand Kupfer und Silber, später Kobalt und Alaun, ehemaliges Alaunbergwerk und vielbesuchtes Schwerspat- und Kalksteinabbau im 19. und 20. Ausflugsziel Jh.

3.2. BG Schmiedefeld-Gräfenthal- Oolithische, sedimentäre Eisenerze der Gräfentha- Berggoldabbau bei Reichmannsdorf und Eisen- Spuren des Duckelbergbaus am Goldberg von Steinach ler Schichten (Ordovizium), aufgeschlossen am erzbergbau bei Schmiedefeld seit 12. Jh., Eisen- Reichmannsdorf, Pingenzüge und Schächte, Ta- Südostrand des Schwarzburger Sattels, Störungen erzgewinnung bis 20 Jh., Alaunschieferabbau gebaue und oberirdische Anlagen des 19. und 20. mit Spateisen- und Roteisengängen vom 17. bis 19. Jh. Jh. bei Schmiedefeld, Morassina-Besucherberg- werk

3.3. BG Südwestlicher Schiefer- Goldhaltige Quarzgänge im Bereich des Schwarz- Eisenerzbergbau bei Mengersgereuth-Hämmern: Spuren des Duckelbergbaus, Goldseifenhügel gebirgsrand burger Sattels bei Steinheid und Goldisthal, Kupfer- vermutlich seit 15. Jahrhundert; Goldabbau von und Eisenerze in Verbindung mit der Aufrichtungs- Steinheid und Goldisthal schon vor dem 15. Jahr- zone der Zechsteinschichten am Rande der hundert Schiefergebirgsscholle bei Brattendorf (Cu, NW Eisfeld) und Mengersgereuth-Hämmern (Fe, NW Sonneberg).

3.4. BG Leutenberg-Weitisberga Erzreiche Kontakthöfe im Umfeld des Henneberg- Historischer Bergbau auf Silber, Blei, Magnetkies Pingen, alte Stollen, in Leutenberg Schacht- und und Sormitztalgranits u.a. seit dem Mittelalter (z.B. Silberberg bei Gah- Tagesanbrüche einer alten Antimongrube, kobalt- ma, Goldkuppe in Leutenberg) blaue Hüttenschlacken ("Sormitzsteine"), bergbau- geologischer Wanderpfad Leutenberg

3.5. BG Lobenstein-Hirschberg Über 120 herzynische Gänge in der Fortsetzung Abbau von Eisenerz, Kupferkies und Flussspat, Pingen, alte Stollen, Funde von Rennfeuern, des Saalfelder Störungssystems Anfänge im Mittelalter oder früher, Blüte um 1600 Schlackenhalden, Technisches Schaudenkmal mit 133 Eisenerzgruben, 3 Silber- und 3 Kupfer- Heinrichshütte in Wurzbach (1729 als Drahthütte gruben, Erschöpfung der meisten Lagerstätten errichtet) im 19. Jh.

3.6. BG Nordwestliches Vogtland Untermeerisch entstandene Eisenerzlager vom Im Mittelalter Bergbau auf Gold und Silber, später Spuren von Duckelbergbau, alte Schächte, Halden, (Schleiz, Zeulenroda, Greiz) Lahn-Dill-Typ (Oberdevon) in Pörmitz und Görk- auf Eisen und Antimonerze, Blüte um 1600, bis Pingen, Stollenmundlöcher, alte Flur- und Ortsna- witz; antimonreiche Quarzgänge auf den Flanken zu 120 Gruben in Betrieb, dazu zahlreiche Hoch- men des Bergaer Sattels bei Schleiz und Greiz öfen und Hammerwerke, Einstellung des Bergbaus um die Wende zum 20. Jh., Antimonbergbau bis 1958 4. Bergbaulandschaft Osterland 4.1. BG Gera-Ronneburg Zechsteinausstriche mit Kupferschiefer und Eisen- Prähistorischer und mittelalterlicher Kupferschiefer- Spuren des Duckelbergbaus auf der Lasur, Halden, erzlagen; ordovizische Lederschiefer, silurzeitliche und Eisenerzbergbau auf der Lasur bzw. bei Pingen, Stolllenmundlöcher, Goldseifenhügel; Diabase, unterdevonische Knollenkalke und Wünschendorf und Liebschwitz; Bergbau auf Saline Heinrichshall 1822-1909 (Zechsteinsalz); Zechsteinschichten mit bauwürdigen Urananrei- Uranerz in den Räumen Ronneburg und See- Zeugnisse des Uranbergbaus: Halden, Tagebau- cherungen lingstädt von 1949 bis 1991 restlöcher, Schacht- und Industrieanlagen 167 168

Bergbaugebiet (BG) Geologie Bergbaugeschichte Relikte

4.2. BG Altenburg-Meuselwitz Braunkohlenlager der Tertiärzeit, entstanden in Seit dem 17. Jh. über- und untertägig abgebaut, Haselbacher See und andere Tagebaurestlöcher Senkungsbecken der Leipziger Tieflandsbucht großflächig seit 1872 (Eisenbahnanschluss) mit als Landschaftsschutz- und Erholungsgebiete, Brikettfabriken, petrochemischer Industrie, Kraft- Bruchfelder, Kohlebahn, Reste der Betriebsanla- werken, Großtagebauen, Dorfumsiedlungen gen und Gebäude 5. Bergbaulandschaft Harz und Harzvorland 5.1. BG Ilfelder Becken Steinkohlenlager im Ilfelder Rotliegendbecken; Steinkohlengewinnung vom 18.-20. Jh.; Eisen- Halden, alte Stollen, Besucherbergwerk "Raben- Eisen- und Manganerzgänge bei Ilfeld und Manganabbau: Blüte 18., 19. Jh. steiner Stollen", Braunsteinhaus und Besucher- lehrpfad "Kleiner Möncheberg"

5.2. BG Südliches Harzvorland- Kupferschiefer in den Zechsteinausstrichen des Historischer Kupferschieferabbau (12. bis 19. Jh.), Halden Kyffhäuser Südharzes und Kyffhäusers Alabaster- und Gipstiefbau, Marienglasabbau z.B. am Alten Stolberg

5.3. BG Kalirevier Südharz-Unstrut Kalisalzflöz Staßfurt der Staßfurtfolge 1888 erste Bohrung fündig bei Kehmstedt, 1895 Rückstandshalden, Förderturm des Petersen- (Zechstein 2) erster Kalischacht in Sondershausen, weitere schachtes Sondershausen, Erlebnisbergwerk Werke in Bischofferode, Sollstedt, Rossleben, Sondershausen, verschiedene obertägige Anlagen Volkenroda und Bleicherode. Einstellung der Produktion aus wirtschaftlichen Gründen ab 1990/1993 6. Bergbaulandschaft Südwestthüringen 6.1. BG Kalirevier Werratal Kaliflöze Thüringen und Hessen der Werra-Folge 1893 Bohrung bei Kaiseroda fündig, in den 20er Erlebnisbergwerk Merkers, Reste obertägiger (Zechstein 1) Jahren leistungsfähigstes Kalibergbaugebiet der Anlagen, Rückstandshalden Welt, 1925 Inbetriebnahme der Kalifabrik Merkers, in den 60er Jahren schrittweise Schließung der kleinen Schachtanlagen, nach der Wende Schlie- ßung des Schachtes Merkers, Fortführung des Abbaus in Unterbreizbach

6.2. BG Rhön Tertiäre Braunkohleflöze, durch Hitzeeinfluss unter Abbau seit dem 18. Jh. bei Kaltennordheim, Dem- Stollenmundlöcher, Abraumhalden Lavaströmen zu Glanzkohlen umgewandelt bach, Vacha und Frankenheim; Einstellung wegen Unrentabilität im 19. Jh. 7. Historische Goldgewinnung in Thüringen 7.1. Berggold Goldführende Quarzgänge in paläozoischen und Historischer Abbau bei Steinheid, Goldisthal und Zahlreiche Orts- und Flurnamen, Spuren von älteren Gesteinen des Schwarzburger und Bergaer Reichmannsdorf seit dem frühen Hochmittelalter Duckelbergbau, Schächte und Stollen, Goldexpo- Sattels (Schiefergebirge) (12. Jh.) nate in Museen, Goldmuseum Theuern

7.2. Seifengold Seifengold (Waschgold) in Flussablagerungen, Historischer Abbau seit dem 12. Jh. Zahlreiche Orts- und Flurnamen, Seifenhügel, vor allem im Einzugsgebiet der Schwarza und Goldexponate in Museen, z.B. in Rudolstadt Loquitz, an der Oberen Saale, im Flusssystem der Weißen Elster

Tab. 3.9-3: Übersicht der historischen Bergwerke und der Goldgewinnung in Thüringen (n. REH U. SCHRÖDER 1974, ergänzt). Nr. Name Lage Rohstoff Bedeut. Bemerkungen

1. Bergbaulandschaft Nordwestlicher Thüringer Wald

1.1. Bergbaugebiet Kupferrevier Möhra-Kupfersuhl

14 Epichnellen E Förtha Cu 0 vor 30jähr. Krieg u. 1856 ... 59, 1898 ... 1906 ausgebeutet 15 Eckartshausen SSW Eisenach Cu 0 vor 30jähr. Krieg u. 1856 ... 59 ausgebeutet 16 Kupfersuhl SSW Eisenach Cu, Co 0 vor 30jähr. Krieg, 1854 ... 59, 1900 ... 06 ausgebeutet 17 Waldfisch zw. Möhra Cu 0 vor 30jähr. Krieg u. 1854 ... 59 ausgebeutet u. Gumpelstadt 18 Glücksbrunn NW Schweina Cu, Co 1 Cu vor 30jähr. Krieg ausgebeutet, 1649 Wiederaufnah- me, Co vor allem 1715 ... 19, u. 1740 ... 60; schwacher Betrieb 1826 ... 60 u. 1904 ... 06 1.2. Bergbaugebiet Schmalkalden-Ruhla-Brotterode

21,22 Eisenerzgänge W, SW u. NE Ruhla Fe 0 vor 30jähr. Krieg ausgebeutet 23 Friedenstein W Ruhla Ba, F 1 1888 ... 99, 1920 ... 30, 1934 ... 37 ausgebeutet 24 Mühlrain SE Ruhla Ba, Fe 0 1921 ... 30 Baryt ausgebeutet 24 Kirchberg SE Ruhla Ba, Fe 0 1905 ... 08, 1912, 1947 ... 48 ausgebeutet 25 Wasserberg SE Ruhla Fe, Ba 0 vor 30jähr. Krieg bebaut 25 Gerberstein SSE Ruhla Fe 0 vermutl. vor 30jähr. Krieg bebaut 26 Neufanger SSW Ruhla Fe, Ba 0 vermutl. vor 30jähr. Krieg bebaut Gangzug 27 Schößler NE Steinbach Fe 0 vermutl. vor 30jähr. Krieg bebaut 28 Floßberg-Gang E Steinbach F, Fe 2 13. Jh. ... Anfang 19. Jh. Fe, ab 1910 ... 1989/90 Fluorit- Abbau 29 Gehege (August) WNW Brotterode Fe 1 vorwiegend 16. u. 17. Jh., zuletzt 1925 30 Klinge N Trusetal Fe, Ba 1 seit 1183 bebaut, ausgebeutet 31 Seimberg (Clara) SSE Brotterode Fe 1 vorwiegend 16. u. 17. Jh., zuletzt 1925 32 Mommel NW Trusetal Fe, Ba 2 Fe seit 1536, Ba seit 1904, bis 1990/91 33 Hühn NE Trusetal Ba, F 2 Ba im Eich- u. Michelsberg seit 1911, im Hühn seit den 20er J., bis 1990/91 34 Ebersrod N Schmalkalden Ba, Fe 2 Fe im 18. Jh. u. 1836 ... 37, Ba 1880 ... 81, 1920 35 Stahlberg, N Schmalkalden Fe, Ba 1 seit 13. Jh., 1516 als Grube erwähnt, ausgebeutet Erzschwinde 36 Kühberg E Asbach Cu, Co 0 Cu im 16. Jh., Co 1722 ... 1847 37 Andreas u.a. E Asbach Ba 0 etwa 1888 ... 1929 38 Komberg, SE Asbach Fe, Mn 0 Fe vermutl. vorgesch. u. seit 1474, Mn im 19. Jh. ... Ringberg etwa 1912 39 Arzberg, W u. NE Mn, Fe 0 vor 30jähr. Krieg Hellenberg Steinbach-H.

1.3. Bergbaugebiet Nördlicher Thüringer-Wald-Rand

19 Albert, W., SSE Eisenach Cu 0 vor d. 30jähr. Krieg u. im 18. Jh. 1764 ausgebeutet, Mosbach 1908 erkundet 20 Thal NNW Ruhla Ba, F 1 1910 ... 14, 1922 ... 23 ausgebeutet 40 Revier S Friedrichroda Fe, Mn, 1 bereits vor 30jähr. Krieg, Blüte 18. Jh., ... 1855 Friedrichroda Ba 41 Catterfeld SE Friedrichroda Cu, Co 0 Cu Ende 17. Jh. ... nach 1712, Co 1775 ... 88, 1835 ... 38 42 Schlöffelsmühle SE Friedrichroda F 0 - 43 Luisenthal S Ohrdruf Mn, Pb, Cu 1 1545 ... 1629 89 Kupferschiefer S Schmerbach Cu 0 vor 15. Jh. ... ca. 1612 bebaut, 1682 ... 85 89 Kupferschiefer Fischbach-Cabarz Cu 0 1708 ... 12, 1720 ... 27, 1763 ... 67, in Cabarz 1773

1.4. Bergbaugebiet Zentraler Thüringer Wald

44 Finsterbach SE Tambach- Ba 0 1923 ... 27 Dietharz 45, 46 Helene u. NNW Oberhof Mn 0 im 19. Jh. Graf Moltke 53 Zufriedenheit SE Oberhof Ba 0 um 1900

169 Nr. Name Lage Rohstoff Bedeut. Bemerkungen

2. Bergbaulandschaft Mittlerer Thüringer Wald

2.1. Bergbaugebiet Ilmenau

47 Bergmanns- WSW Mn, Fe, 0 im 19. Jh. kopf Gräfenroda Ba 48 St. Christoph NW Arlesberg Cu, Pb 0 vor 30jähr. Krieg am Raubschloß 49 Kühnszeche W Arlesberg F 0 um 1900, 1916 ... 20 50 Arlesberg-Gehl- SW Geraberg Mn 1 1668 ... Ende 19. Jh., 1915 ... 27, 1934 ... 49 berger Revier 51 Sturmheider u. NW Ilmenau Cu, Ag 1 um 1216 ... 1739, 1792 ... 98 ausgebeutet, Rodaer Werk 19. u. 20. Jh. mehrfach erkundet 52 Morgenrot-Alexe N Gehlberg Ba, F, Mn 1 1830 ... 1914 54 Freundschaft E Gehlberg Ba 0 um 1900 58 Kickelhahn SW Ilmenau Fe, Mn 0 - 59 Trossrand SSW Ilmenau Fe 0 - 62 Oehrenstock SE Ilmenau Mn 1 Ende 17. Jh. ... 1898 63, 57 Floßberggang SSE Ilmenau F, Mn 2 seit etwa 1750 Fluorit, seit 1847 Mn, 1860 1991 F; Wiederaufnahme F 2006 60, 61 Pluto SSE Ilmenau F 1 seit 1935, ausgebeutet 64 Stechberggang W Gehren F, Ba, Fe, Mn 2 seit 1860 1991

2.2. Bergbaugebiet Suhl-Schleusingen

55 Domberg, Röder, W u. E Suhl Fe 1 1350 ... 30jähr. Krieg, 1690 ... 1747, 1764 ... 1816 Döllberg 56 Pochwerksgrund NNE Goldlauter Cu, As, Ag 0 seit 16. Jh. zeitweise 65 Schwarze Crux WSW Schmiedefeld Fe 1 um 900 erwähnt, 1744 ... 50, 1780 ... 1849, 1858 ... 60, 1921 ... 23 66 Gelbe Crux W Vesser Fe, S, Cu 0 um 1775 und Marie 67 Christians Glück SW Schleusinger Ba 0 - Neundorf 68 Gethles W Schleusingen Ba, F, Fe 1 17. u. 18. Jh. (Limonitlager)

2.3. Bergbaugebiet Großbreitenbach

78 Wildenspring NE Großbreiten- F, Ba 0 Cu vor 30jähr. Krieg, vor allem F 1696 ... 1706, 1725 bach 73 Ölschröte, NE Großbreiten- Ag, Cu, 0 im 17. Jh. Ag u. Cu, später Alaun, Vitriol, Ocker Wallbrücke bach S, Fe 74 St. Georg, E u. W Altenfeld Ag, Cu, S 0 vor 30jähr. Krieg Ag u. Cu, später Alaun, Vitriol Erfurter Stolln 75 Kirchberg ESE Böhlen Cu 0 vor 30jähr. Krieg, zahlreiche Wiederaufnahmeversuche ohne Erfolg 69 Arolsberg E Frauenwald F 0 1905, 1910, 1928, 1932 ... 34, 1940 70 Tannenglasbach SW Neustadt a.R. Cu, Pb, Se 0 1832 ... 34 71 Silberberg, WSW Cu 0 um 1686, 1798 ... 1801, 1838 ... 53 Katzmannstal Möhrenbach 72 NW-Hang des SW Königsee Fe 0 - Langenberges

2.4. Zechsteinrandsenke Königsee-Allendorf

76 Dörnfeld, Garsitz W Königsee Cu, Ba 0 Cu vor dem 30jähr.Krieg, Ba 1783 ... 1825, 1900 ... 07, 1923 ... 28 ausgebeutet 77 Harkort NW Allendorf Ba, Cu, Co 1 Cu vor dem 30jähr.Krieg, Co im 18. Jh., Ba 1923 ... 27 ausgebeutet

3. Bergbaulandschaft Thüringer Schiefergebirge

3.1. Bergbaugebiet Saalfeld-Kamsdorf-Könitz

84 Auguste SE Leutnitz Ba, Cu, Co 1 im 19. Jh. und 1926 ... 28 ausgebeutet 85 Silberberg SW Bad Ag, Cu 0 Ag seit etwa 1470, Cu im 18. Jh., vor allem um 1731 Blankenburg gewonnen 86 Eisenberg S Unterwirbach Fe 1 1375 ... 1660, 1846 ... 48, seit 1941

170 Nr. Name Lage Rohstoff Bed. Bemerkungen

87 Haus Sachsen W Saalfeld Cu, Pb, Ag 1 um 1488, 1700 ... 44, 1879 ... 81 88 Dittrichshütter Dittrichshütte, Fe 1 1375 ... 1618, 1725 ... 1840 mit Unterbrech., Mulde Döschnitz 1937 ... 38 erkundet 90 Wittmannsgereuth SW Saalfeld Fe 1 alte Bergbauspuren, 1943 1968/69, ausgebeutet 101 Jeremiasglück, Garnsdorf, Vitriol, 0 bis 1863, jetzt Schaubergwerk Feengrotten Ferdinand SSW Saalfeld Alaun 102 Beulwitz, Pöllnitz SW und S Saalfeld Cu 0 um 1523, 1723 ... 29, 1765, 1810 103 Rotenbach SE Saalfeld Vitriol, Alaun 0 vorwiegend im 17. u. 18. Jh. 104 Haus Sachsen S Saalfeld Cu, Pb, Ag 1 um 1488, 1700 ... 44, 1879 ... 81 105 Wetzelstein SSE Saalfeld Alaun 0 1544 ... 1834, ausgebeutet 106 Mühltal, Obernitz SE Saalfeld Alaun 0 vorwiegend im 17. u. 18. Jh. 107 Fischersdorf SE Saalfeld Alaun 0 vorwiegend im 17. u. 18. Jh. 108 Kaulsdorf WNW Eichicht Alaun 0 vorwiegend im 17. u. 18. Jh. 109 Kupfererzrevier Kamsdorf E Cu, Co 1 vor- u. frühgesch., 1295 ... 1867 Saalfeld 110 Eisenerzrevier Kamsdorf-Könitz Fe 1 1715 ... 1949 111 Schwerspatgrube SE Könitz Ba 1 ab 1890, ausgebeutet 112 Pickelwiesen ESE Könitz Ba 0 abgebaut 113 Friedrich Anton, E Könitz bis Seisla Cu 0 1688 ... 1740 Dinklers Glück u.a. 114 Pößneck N und S Pößneck Cu, Fe 0 um 1450, 1680 ... 1730, 1813 ... 15 115 Bodelwitz SE Pößneck Ba 0 etwa 1922 erkundet 116 Neunhofen und SW und Cu, Ba 0 vermutl. im 17. oder 18. Jh. Silberberg S Neustadt/Orla

3.2. Bergbaugebiet Schmiedefeld-Gräfenthal-Steinach

95 Schmiedefeld N und E Fe 1 sehr alter Eisenerzabbau Schmiedefeld 96 Schwefelloch E Schmiedefeld Vitriol, Alaun 1 18. Jh. ... 1863 97 Goldberg W Reichmannsdorf Au 0 im 14. Jh. ausgebeutet, zahlreiche spätere Versuche erfolglos 98 Gebersdorf WNW Gebersdorf Fe 1 ausgebeutet 99 Eisenerzgruben W und NE Steinach Fe 1 Mitte 15. Jh. ... 1867 100 Arnsbach W Creunitz Vitriol, Alaun 1 18. Jh. ... 1861

3.3. Bergbaugebiet Südwestlicher Schiefergebirgsrand

79 Brattendorf NW Eisfeld Cu 0 vermutl. vor 30jähr. Krieg 80 St. Niklas u.a. SW u. W Goldisthal Au 0 vor 15. Jh. ... 1602 93 Eisenerzgruben Mengersgereuth- Fe 0 Mitte 15. Jh. ... 1867 Hämmern 94 Am Grümpenbach W u. SW Steinheid Au 0 1500 52, 1558 77, 1581 90, 1691 1720, 1822 24

3.4. Bergbaugebiet Leutenberg-Weitisberga

118 Goldkuppe W Leutenberg Fe, Vitriol 0 1561 ... 67, Mitte 19. Jh. und 1900 ... 20 119 Goldkuppe W Leutenberg Sb 0 1917 117 Alaunwerk SW Leutenberg Alaun 0 vermutl. 18. Jh. 120 Jonas Walfisch NW Weitisberga Pb, Zn, Ag 1 um 1500 ... 66, 1691 ... 1705, 1722 ... 58, 1821 ... 34, 1839 ... 55, 1899 ... 1903 121 Großer Silberberg SSW Gahma As, S 0 13. Jh. bis z. 30j. Krieg, 1699, 1784, 1793 ... 95, 1902 ... 09, 1917 ... 18

3.5. Bergbaugebiet Lobenstein-Hirschberg

145 Pfaffenhügel, S Röppisch Fe 1 vor dem 30jährigen Krieg, 1692 1753 Eisengruben 146 Luchsloch SE Zoppoten Fe 0 vor dem 30jährigen Krieg, 1692 1751, 1869 99 zeitweise 147 Lange Wiese SE Zoppoten Alaun 0 vor 1550 ausgebeutet 148 Graf Otto u.a. SE Schönbrunn Fe 1 vermutl. vor dem 30jährigen Krieg, 1861 62, 1896 99, 1910 11 149 Silberknie, N Saaldorf Fe, Cu, Vitri- 0 1710 ... 1848 mit Unterbrechungen Fe, Christians Glück ol, Alaun 1779 1831 Alaunschiefer ausgebeutet

171 Nr. Name Lage Rohstoff Bedeut. Bemerkungen 149 Schlößlein N Saaldorf Fe, Cu, vor dem 30jährigen Krieg, 1710 95 zeitweise, Pb, Ni 1 1835 65 150 Güldener Hirsch, WNW Saaldorf Alaun 0 1551 1618, 1683 1710, 1779 1804 Hansenlöcher 151 Stahlhäuslein ENE Saaldorf Fe, Cu, Ni 1 vor dem 30jährigen Krieg, 1710 95 zeitweise, 1835 65 152 Sträußlein, NE Saaldorf Fe 1 vor dem 30jährigen Krieg u. 1710 1842 zeitweise Osterlamm 153 Fortuna ENE Saaldorf Fe 1 1700 19, 1723 25, 1797 1838 155 Landesfreude E Lobenstein Fe, Ni 1 vor dem 30jährigen Krieg, 1807 1899 und 1910 156 Beschert Glück, SW Saaldorf Fe, Cu 1 vor dem 30jährigen Krieg, 1710 79, 1786 ... 1801, Büffelstolln 1819 ... 48, 1857 ... 74, 1877 ... 78, 1822 ... 1900, 1910 ... 21 158 Bau auf Gott NW Fe 0 vermutlich vor dem 30jährigen Krieg, beständig Lemnitzhammer 1764 ... 1875 159 Gesamt SW Saaldorf Fe 1 15. Jh. bis 30jähr. Krieg, 1650 ... 1899 Reussisch Haus 160 Albert, Bau auf NE Frössen Fe 0 1716 ... 1809, 1837 ... 38, 1847 ... 51, 1857 Gott, Neujahrs- zeche 161 Toter Mann WSW Blankenstein Fe, Ni 0 vor dem 30jährigen Krieg bis 1638, 1747 ... 69, 1815, 1823 162 Kupferplatte SW Blankenstein Fe, Cu, F 0 bereits im 15. Jh., vor 1700 ... 63, 1790 ... 96, 1838 ... 39 163 Engel, W Blankenstein Fe, Cu 0 vor d. 30j. Krieg, 1754, 1826 ... 27, 1829 ... 33, Absanger Zug 1847 ... 50, 1894, 1896 ... 97 164 Alaunwerk NNE Blankenstein Alaun 0 18. Jh. 165 Zufriedenheit NW Pottiga Fe, Cu, F 0 vermutlich vor dem 30jährigen Krieg, 1734 ... 45, 1822 ... 24, 1837 ... 39, 1849 ... 68, 1875 ... 78, 1914 ... 20 166 Johanneszeche SE Pottiga Alaun, 0 1747 ... 99 Alaun und Vitriol, 1860 ... 66 Ocker Ocker 167 Glückauf, SE Göritz Fe 0 1822, 1839, 1899 ... 1900 Staarenburg 168 Armenhilfe SE Ullersreuth Fe, Cu 1 im 18. Jh., 1827 ... 88, 1899 169, Gabe Gottes und W und SW Gefell Fe 1 vor 1710 ... 20, 1727 ... 29, 1749, 1800 ... 39, 170 Morgenröte 1847 ... 69 171 Weißer Falke SW Mödlareuth Fe, Ni 0 1870 ... 78 172 Mühlberg SSE Gebersreuth Fe 1 1938 ... 39 erkundet 173 Eisenhügel E Gebersreuth Fe 1 1896 ... 1901

3.6. Bergbaugebiet Nordwestliches Vogtland (Schleiz, Zeulenroda, Greiz)

125 Silberberg S Kleinreinsdorf Pb, Sb, Ag 0 vor dem 30jähr. Krieg, 1741 ... 71, 1792 ... 1858 127 Triebes S und NE Triebes Fe 0 1898-99 bebaut 128 Büchersmühle N Zeulenroda Alaun 0 bis ins 19. Jh. 129 Adolph NW Langen- Sb 0 vor dem 30jährigen Krieg wolschendorf 130 Göschitz-Vogels- zwischen Göschitz Fe 0 1870 ... 1901, zeitweise berg u.Tegau 131 Löhma NE Schleiz Fe 0 vor dem 30jähr. Krieg, 19. Jh. 132 Pörmitz N Schleiz Fe 1 zeitweise v. 14. Jh. ab, 1864 ... 1920 133 Görkwitz NNW Schleiz Fe 1 vom 14. Jh. bis zum 30jährigen Krieg, im 18. u. 19. Jh. zeitweise 134 Agnesfeld NNW Schleiz Fe 1 vom 14. Jh. bis zum 30jährigen Krieg, im 18. u. 19. Jh. zeitweise 135 Lohmen NW Oschitz Fe 1 nach dem 30jährigen Krieg bis 1889, zeitweise 136 Spitzgrube SSE Schleiz Sb 0 um 1692 und 1873 ... 80 137 Oettersdorf NNE Schleiz Fe 0 vor dem 30jährigen Krieg 138 Burgholz E Löhma Cu, Ba 0 um 1590 ... 30jähr. Krieg, 1790 ... 95 139 Trau auf Gott ESE Lössau Sb 0 um 1700 140 Halber Mond NE Oberböhmsdorf Sb 1 vor d. 30jähr. Krieg, zeitweise im 17. Jh., 1846 ... 66, ab 1937, ausgebeutet 141 Luise S Oberböhmsdorf Fe 0 1864 ... 67 und 1871 142 Heinrichsfreude S Schleiz Sb 0 vor dem 30jährigen Krieg, 1849 ... 59, 1876 ... 78

172 Nr. Name Lage Rohstoff Bedeut. Bemerkungen

143 Ich bau auf Gott NNW Unterkoskau Fe 1 1847 50, 1860 72, 1891 1902

4. Bergbaulandschaft Osterland

4.1. Bergbaugebiet Gera-Ronneburg

122, Tinz, Trebnitz, Gera Cu 0 1560 ... 69, 1601 ... 04, 1619 ... 21, 1701 ... 34 123 Lasur-Berg W Wismut N und S Ronneburg U 2 1949 1991

4.2. Bergbaugebiet Altenburg-Meuselwitz

B Meuselwitz, NW Altenburg Braunkohle 2 17. Jh. ... um 1990 Rositz u.a.

5. Bergbaulandschaft Harz und Harzvorland

5.1. Bergbaugebiet Ilfelder Becken

1 Ilfelder Revier W Ilfeld Fe, Mn, Ba 1 seit dem 17. Jh. ... 1922 ausgebeutet

5.2. Bergbaugebiet Südliches Harzvorland-Kyffhäuser

2 Hohensteinsches Ilfeld-Herrmanns- Cu 0 vom 16. Jh. ... 1861 ausgebeutet Revier acker 3 Krummer Weg SE Kelbra Ba 1 1920 ... 25 erschlossen, ausgebeutet 4 Gut Glück E Badra Cu 0 im 16. Jh. ausgebeutet, erkund. 1855 .. 60, 1901 5 Rathsfeld NW Frankenhausen Cu 0 16. ... 18. Jh. ausgebeutet 6 Udersleben SE Udersleben Cu, Pb, Zn 1

5.3. Bergbaugebiet Kalirevier Südharz-Unstrut

K Kaliwerke Sondershausen (11), Kalisalz 2 1895 1993 Bischofferode (8), Sollstedt (10), Ross- leben (7), Volkenroda (12), Bleicherode (9)

6. Bergbaulandschaft Südwestthüringen

6.1. Bergbaugebiet Kalirevier Werratal

K Kaliwerke Alexandershall (174), Kalisalz 2 seit 1901, Werk Unterbreizbach noch in Betrieb Heiligenroda (175, 176), Großherzog von Sachsen (180), Sachsen-Weimar (178), Merkers (179), Kaiseroda (181)

6.2. Bergbaugebiet Rhön

B Gruben bei Kaltennordheim (183), Braunkohle 0 18.Jh. 19. Jh. Dermbach (182), Vacha (177), Frankenheim (184)

7. Historische Waschgoldgewinnung

81, Goldseifen Schwarzatal und Au 0 vor allem im 16. Jh., mit Unterbrechungen bis 1914 82, 83 Nebentäler 91, Goldseifen Schwarzenbrunn, Au 0 im 16. Jh. ausgebeutet 92 Theuern, Grümpen 124 Goldseifen SE Loitsch Au 0 im 16. Jh. ausgebeutet 126 Goldseifen W Schlötenmühle Au 0 vermutl. im 16. Jh. ausgebeutet N Greiz 144 Goldseifen Wettera, Au 0 vor dem 30jährigen Krieg bis 1638 NE Saalburg 154 Goldseifen Kösele-Bach, Au 0 vor dem 30jährigen Krieg ausgebeutet W Lobenstein 157 Goldseifen Langwassergrund, Au 0 vor dem 30jährigen Krieg ausgebeutet S Wurzbach

Tab.3.9-4: Verzeichnis der historischen Bergwerke und Lagerstätten in Thüringen (n. R EH u. SCHRÖDER; aus: HOPPE u. SEIDEL 1974, verändert und ergänzt). Bemerkungen: 0 = unbedeutende Vorkommen; 1 = kleine und geschichtlich bedeutsame Lagerstätten; 2 = größere, teils überregional bedeutende Lagerstätten.

173 Steinbrüche und Steinbruchlandschaften

3.10 Steinbrüche und Steinbruchlandschaften in Thüringen

Es sind nicht nur die in Bauwerken sichtbaren Gesteine, Gesteine, mit ihrer verkehrlichen Erreichbarkeit und die zur regionalen Typik der Thüringer Landschaften ihrer Nachfrage zusammen. beitragen. Auch Steinbrüche prägen, wenn sie durch ihre Größe oder durch markante Felswände den Blick In den von Festgesteinen bestimmten Mittelgebirgen auf sich ziehen oder durch hohe räumliche Dichte und Thüringer Wald, Schiefergebirge und Harz sowie in große Zahl auffallen, regional das Landschaftsbild. den Muschelkalk- und Buntsandsteingebieten sind Steinbrüche weder in der erwartet großen Zahl noch Die beiliegende Karte der historischen Steinbrüche auch nur annähernd flächendeckend vertreten, sondern Thüringens (Karte 13) - abgeleitet aus den Feldorigi- sie konzentrieren sich dort auf einzelne regionale nalen der Preußischen Urmesstischblätter (um 1850) Schwerpunkte meist mit besonders marktfähigen Ge- - vermittelt allerdings nur einen sehr unvollständigen steinen (s.u.). Überblick der räumlichen Verteilung. Insgesamt sind in der Karte in über 350 Viertelquadranten jeweils 1 Im Thüringer Wald sind es die Sandsteine und Porphyre oder mehr historische Steinbrüche ausgewiesen. In aus dem Rotliegenden in der Umgebung von Tambach Wirklichkeit dürften es aber erheblich mehr sein, denn und Oberhof, im Kyffhäuser die roten Konglomerate bei nachträglichen Überprüfungen hat sich herausge- aus dem Karbon, im Thüringer Schiefergebirge die stellt, dass viele kleine, abgelegene oder zu jener Zeit Schiefergesteine aus dem Ordovizium bzw. Unterkar- bereits aufgelassene Abbaustellen bei den frühen geo- bon, die in der Gegend von Schwarzburg, bei Steinach dätischen Aufnahmen übersehen worden oder aus und auf der sog. Steinernen Heide bei Lehesten Ton- heute unklaren Gründen unberücksichtigt geblieben und Dachschiefer in hervorragenden Qualitäten geliefert sind. Besonders eklatant wirkt sich diese Ungenauigkeit haben. auf dem Kartenblatt Jena aus, wo von den preußischen Kartographen kein einziger Steinbruch verzeichnet Eher in größeren Abständen reihen sich an der West- wurde, während das spätere Messtischblatt aus dem flanke des Bergaer Sattels im Ausstrich der Silur- und Jahre 1919 rund 70 solcher historischen Abbaustellen Devonschichten von Bad Lobenstein über Saalburg, registriert (s.a. WEISE 1997, S.132). Sieht man von die- Schleiz, Zeulenroda bis nach Weida Steinbrüche auf, sen zweifellos erheblichen Unzulänglichkeiten ab, so in denen die devonzeitlichen Knotenkalke ("Saalburger lassen sich aber sehr wohl gewisse räumliche Muster Marmor"), Diabas und Pikrite sowie der dekorative in der Verteilung der Steinbrüche erkennen. Ockerkalk ("Goldfleckmarmor") gebrochen wurden bzw. noch werden (auf der Karte nur lückenhaft erkennbar). Zur Zeit der Entstehung der Karten hatte soeben das Eisenbahnzeitalter begonnen. Die Hauptstrecke von Im nördlichen Vorland des Thüringer Schiefergebirges Bebra über Eisenach-Gotha-Erfurt nach Weimar war weist sich der Zechsteinausstrich zwischen Königsee bereits in Betrieb genommen worden (1847); noch fehl- im Westen über Saalfeld und Pößneck, Neustadt bis ten aber die anderen Haupt- und Nebenverbindungen. Triptis als weitere Landschaft aus, die reich an Stein- Auch die Straßen waren zu jener Zeit erst zu einem brüchen ist. Hier boten die Steilränder der Kalk- und geringen Teil ausgebaut, nur wenige gepflastert oder Gipsstufen und die markanten Riffberge zwischen Kö- mit einer unkomfortablen Kiesdecke versehen. Schwer- nitz und Neustadt seit alters her günstige Möglichkeiten gewichtige Massengüter, zu denen auch Bau- und für die Natursteingewinnung und die Kalkbrennerei. Werksteine zu zählen sind, konnten deshalb nur über kurze Entfernungen wirtschaftlich transportiert werden In den Buntsandsteingebieten sind es vor allem die (10-30 km). Die Karte spiegelt noch weitgehend diesen Ausstriche des Mittleren und Unteren Buntsandsteins, vorindustriellen Zustand lokaler Rohstoffversorgung die regional bedeutende Bau- und Werksteine hervor- wider. gebracht haben: in Nordwestthüringen (Eichsfeld) der Niedersächsische Bausandstein und der Chirotherien- Zunächst fällt auf, dass sich die historischen Steinbrüche sandstein (Mittlerer B.), in Mittelthüringen der Tonndorfer in Thüringen sehr ungleichmäßig verteilen, dass ein- Sandstein südwestlich von Bad Berka (Mittlerer B.), in zelne Teilgebiete fast keine Steinbrüche aufweisen, Ostthüringen der "Kraftsdorfer Sandstein" aus dem während in anderen Bereichen besonders viele auf Unteren Buntsandstein (Raum Eisenberg-München- engem Raum auftreten. Dieses Muster hängt freilich bernsdorf) sowie in Südthüringen Werksteine des Un- nicht nur mit den Mängeln der Kartierung, sondern teren und Mittleren Buntsandsteins (Raum Schleusin- auch mit den räumlichen Ausstrichen der nutzbaren gen-Hildburghausen) und der Dermbacher Sandstein

174 Steinbrüche und Steinbruchlandschaften südwestlich von Bad Salzungen (Mittlerer Buntsand- Steinbrüche waren nicht die einzigen Natursteinquellen. stein). Wie schon angedeutet verwendete man für den Bau von Scheunen und Mauern häufig Lesesteine. Reich Im Muschelkalkgebiet konzentrieren sich viele Stein- an Lesesteinen waren Gebiete, wo klüftige Bankgesteine brüche auf den Raum Erfurt-Weimar: auf die Fahner- nahe an der Oberfläche anstehen und ihre Bruchstücke sche Höhe, den Ettersberg und das Muschelkalkplateau durch Abtragung, Frostwechsel oder Pflugarbeit ans südlich der Autobahn. Das hat mit dem großen Stein- Tageslicht kamen. Die Muschelkalkhochflächen mit bedarf dieser an Baudenkmälern reichen Städte zu tun. ihren flachgründigen Rendzinaböden sind zu diesen Gleiches gilt für Jena, obwohl auf dem Kartenblatt kein buchstäblich "steinreichen" Landschaften zu zählen, einziger Steinbruch verzeichnet ist. Hier begünstigte gebietsweise auch die Buntsandsteinhügelländer. Vor die besondere Reliefsituation mit den tief eingeschnit- allem aber gehören die Thüringer Mittelgebirge dazu, tenen Nebentälern des Saaletals, in denen die harten insbesondere Thüringer Wald und Schiefergebirge, Werksteinbänke des Unteren Muschelkalkes (vor allem geradezu lehrbuchartig auch die Basaltrhön. In den die Terebratel- und Schaumkalkbänke) von Natur aus Eiszeiten wurden die dort anstehenden spröden Fest- aufgeschlossen sind, die historische Bau- und Werk- gesteine durch die zerstörerische Wirkung des Spal- steingewinnung (z.B. Pennickental). In Nordwestthürin- tenfrostes tiefreichend zerrüttet. Anschließend wurde gen sind die Werksteinbänke des Unteren Muschelkal- das dabei gebildete lehmig-steinige Lockermaterial kes in den Schichtstufen des Hainich und der Hainleite durch das sommerliche Rutschen und Fließen des Auf- sowie im Dün und Ohmgebirge durch historische Stein- taubodens ("Solifluktion") weitflächig hangabwärts ver- brüche aufgeschlossen. Im Muschelkalk Südthüringens teilt, gab es doch in der waldfreien Landschaft keine finden sich zahlreiche Brüche zwischen Themar und Baumwurzeln, die den Boden festhielten. Örtlich wurden Römhild. die Steine frei gespült. Zurück blieben Felsklippen, grobstückige Blockschutthalden und Blockmeere sowie Währenddessen erstaunt die große Zahl kartierter steinige Lehmböden, die vermutlich jahrhundertelang Steinbrüche im zentralen Thüringer Keuperbecken. Hauptquellen für die örtliche Gewinnung von Naturstei- Obwohl dort auf großen Flächen Lockersedimente wie nen gewesen sind. Das könnte die Armut an Steinbrü- der eiszeitliche Löss die Festgesteine überdecken, chen in diesen Gebieten erklären. Heute kann man finden sich über 100, d.h. rund ein Viertel aller um 1850 sich von der einstigen Lesesteindichte freilich kaum kartierten Steinbrüche in diesem Gebiet. Teilweise mag noch ein Bild machen, da die meisten im Laufe der das daran liegen, dass in der weitgehend offenen und Jahrhunderte von den Äckern aufgelesen, in Mauern, flachwelligen Keuperlandschaft die Kartierung exakter Gebäuden und Chausseen verbaut oder andernorts war als in den schwer zugänglichen Wald- und Berg- verbracht worden sind. Zeitweilig wurde in den steinar- landgebieten. Der entscheidende Grund dürfte aber men Regionen sogar ein regelrechter Handel damit sein, dass auf den Lössdecken der Keuperlandschaft betrieben. nur wenig Lesesteine zur Verfügung standen. Lesesteine waren Jahrhunderte lang die am leichtesten zugängliche Die zweite Karte zum Thema „Steinbrüche und Stein- Quelle für Bausteine, da sie die Bauern auf ihren Fel- bruchlandschaften“ (Karte 14), abgeleitet aus den Be- dern kostenlos aufsammeln oder mit einfachen Mitteln funden der Wald- und der Offenlandbiotopkartierung, ausgraben konnten (s.u.). Im Keuperhügelland war zeigt gegenüber den Angaben der historischen Mess- man dagegen viel stärker als in den anderen Teilen tischblätter ein abweichendes Bild. Hier konzentrieren Thüringens auf die lokalen Festgesteinsaustritte ange- sich die Objekte vor allem auf die Festgesteinsgebiete, wiesen, die in überwiegend kleinen Brüchen abgebaut während im Keuperhügelland mit seinen Lössdecken wurden und die umliegenden Dörfer und Städte mit vergleichsweise wenige Steinbrüche verzeichnet sind. Dolomit- und Sandsteinen und mit Travertin belieferten. Die große Dichte im Thüringer Wald sowie in der Nähe Auch in Südthüringen spielten die Ausstriche der Keu- der tief eingeschnittenen Flusstäler ist sicher auch da- persandsteine für die Bau- und Werksteingewinnung mit zu erklären, dass bei der Kartierung neben nach- eine lokale Rolle (z.B. in Bedheim südlich Hildburghau- weislichen Steinbrüchen auch natürliche Felsverwitte- sen). rungsbildungen aufgenommen worden sind, die man nur schwer von anthropogenen Strukturen unterschei- Zu den eher steinbrucharmen Landschaften zählt das den kann, wobei jene durchaus auch Baumaterial ge- Altenburger Land in Ostthüringen. Wegen der weiträu- liefert haben könnten. Eine nähere Erläuterung der in migen Überdeckung mit jungen Lockersedimenten der den „Steinbruchlandschaften“ abgebauten Naturbau- Tertiär- und Quartärzeit sind historische Steinbrüche steine erfolgt im 2. Teil von Band 2 (in Arbeit) im Zusam- dort nur auf den horstartigen Grundgebirgsdurchbrüchen menhang mit ihrer Orts- und Landschaftsbildprägung mit ihren Porphyren, Schiefern und Sandsteinen zu im Kapitel „Natursteinlandschaften“. finden.

175 Hohlwege und Hohlwegslandschaften

3.11 Hohlwege und Hohlwegslandschaften

3.11.1 Bedeutung und wissenschaftliche Erfas- und Tierarten als Rückzugsgebiete dienen. Zum anderen sung von Hohlwegen bieten Hohlwege relief- und bodenbedingte Sonder- standorte, die mittlerweile Seltenheitswert haben: schat- Hohlwege, volkstümlich auch "Holen" genannt - sind tige Rohbodenböschungen, die Arten kühlfeuchter, alte Wege, die durch fortwährende, oft Jahrhunderte armer Standorte ein Überleben ermöglichen (Bärlappe, alte Benutzung im Zusammenwirken mit Bodenerosion Farnen, Flechten, Moose) bzw. Hohlräume bewohnen- in zumeist hängiges Gelände eingeschnitten wurden. den Arten Unterschlupf gewähren (Hummeln, Sand- In Teilregionen Thüringens sind historische Hohlwege geradezu landschaftstypisch. Allerdings fallen sie häufig wespen, Fuchs- und Dachsbaue). Der naturschutzfach- erst bei näherem Hinsehen auf, da ihre Böschungen liche Wert wird zudem durch die Vernetzungsmöglichkeit in der Regel dicht mit Feldgehölzen und Sträuchern mit anderen Biotoptypen unterstützt, wie Steinbrüchen, bewachsen sind, die die Geländeeinschnitte kaschieren. Ackerterrassen, Hecken und Streuobstwiesen, die oft Unseren Vorfahren erschienen Hohlwege dunkel und in unmittelbarer Nähe von alten Hohlwegen liegen (s. bedrohlich, hinderlich und beschwerlich. Mit der Indu- dazu LANGE 1997). strialisierung der Landwirtschaft sind im Laufe des 20. Jahrhunderts viele Strukturen bei Flurbereinigungen Aus den genannten Gründen wurden Hohlwege als bedenkenlos zugeschüttet oder eingeebnet worden, "Besonders geschützte Biotope" in das Landesnatur- um mehr landwirtschaftliche Nutzfläche zu gewinnen schutzrecht aufgenommen (§18 des Thüringer Natur- und den Einsatz von Maschinen zu optimieren. Andere schutzgesetzes). Geschützt sind demnach "alle Wege, sind - verbreitert und mit Normböschungen versehen die mindestens 1 m tief eingeschnitten sind und deren - in modernen Straßen und Wegen aufgegangen; und Böschungsneigung an der steilsten Stelle mehr als 30° nicht wenige sind der Zerstörung nur deshalb entgan- beträgt, unabhängig von ihrer Vegetationsbedeckung, gen, weil sie in Wäldern und Forsten verborgen der die sehr variabel sein kann . und von der Art des Vergessenheit anheim gefallen sind, oder, weil sich Weges . In den Schutz eingeschlossen sind Steilbö- eine Umgestaltung wirtschaftlich nicht lohnte. schungen und die nicht genutzten Streifen entlang der Böschungsoberkante". Heute erkennen wir in Hohlwegen wertvolle Biotope "aus zweiter Hand": Zum einen bewirken sie durch ihre Detailliert erfasst wurden Hohlwege bisher exemplarisch Barrierewirkung eine Nutzungserschwernis, in deren nur im Mittleren Thüringer Wald (FISCHER 1987, LANGE Folge reich gegliederte und störungsarme Gehölzstruk- 1997). Thüringen weit werden sie seit Anfang der 90er turen mit hohem Totholzanteil entstehen, die vielen aus Jahre von der Offenland- und der Waldbiotopkartierung der monotonen Kulturlandschaft verdrängten Pflanzen- übersichtsartig aufgenommen. Da sich Hohlwege oft nur schwer von reinen Erosi- onsrinnen unterscheiden las- sen, werden bei beiden Kar- tierungen alle rinnenartigen Strukturen bei den Biotopkar- tierungen thematisch zusam- mengefasst ("Hohlwege und Erosionsrinnen"). Auch wer- den wegen des hohen Auf- wandes Form- und Größen- unterschiede nicht registriert, sondern alle Strukture gleich-

Abb. 3.11-1: Kastenhohlweg südlich Camburg auf einer höheren Terrasse im Saaletal (Foto: H.-H. Meyer 2005).

176 Hohlwege und Hohlwegslandschaften behandelt als generalisierte Punkt- bzw. Strichelemente 3.11.2 Grundlagen der Verbreitung und aufgenommen (s. Karte 15). Entstehung von Hohlwegen

Anhand der Übersichtskarte 15 soll im Folgenden zu- Da in den Daten der Biotopkartierungen nur der aktuelle nächst das räumliche Verbreitungsmuster von Hohlwe- Bestand an Hohlwegen erfasst wird, wurden im Rahmen gen in Thüringen überblicksartig vorgestellt und in sei- dieser Arbeit zusätzlich die für Thüringen flächen- nen Naturraumabhängigkeiten charakterisiert werden. deckend vorhandenen historischen Karten der Preußi- Anschließend werden die unterschiedlichen Entste- schen Urmesstischblätter ausgewertet und die dort hungsursachen erörtert ("Funktionstypen"). registrierten Hohlwege auf Viertelquadrantenbasis digi- talisiert. Die daraus entwickelte Karte 16 der historischen Wie ein Blick auf die Karte zeigt, treten Hohlwege zwar Hohlwege gibt einen ungefähren Überblick über die grundsätzlich in allen Naturräumen auf, dort in Abhän- Verbreitung um die Mitte des 19. Jahrhunderts, wobei gigkeit von den Untergrund- und Reliefverhältnissen eine Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen der Biotop- vornehmlich aber nur in ganz bestimmten Gebieten: kartierung, wie sich zeigen wird, nur eingeschränkt gegeben ist.

1. Kyffhäuser und südliches Zechsteinvorland steins, tlw. (bei a) im Röt und Unteren Muschelkalk; am (Mittelgebirgsscholle mit großer Reliefenergie) Steilrand zum Saaletal bei Hummelshain und Kahla- Löbschütz in härteren Sandsteinen des Mittleren Bunt- 2. Nordthüringer Buntsandsteinhügelland sandsteins) (mäßig reliefierte Täler- und Kuppenlandschaft, Hohl- • Rinne- und Rottenbachtal (a) wege meist in weichen Tonsteinen des Unteren Bunt- • Vordere und Hintere Heide, Hummelshainer Buntsand- sandsteins) mit Konzentrationen bei steinhügelland (b) • Heiligenstadt (a) • Tal der Roda, Seitentäler der Weißen Elster von • Nordhausen (b) Eisenberg über Bad Köstritz bis Gera (c) • Sondershausen (c, Windleite) sowie • Heldrungen (d, Schrecke) 7. Thüringer Wald (hohe Reliefenergie in mäßig festen bis harten Grund- 3. Nordwestthüringer Muschelkalk-Platten und - Schicht- gesteinen des Rotliegenden und Karbons) stufen • Mittlerer Thüringer Wald um Tambach-Dietharz, (Kalkgebiet mit hoher Reliefenergie zum Werratal; auf Oberhof und Zella-Mehlis (a) den Abdachungen von Hainich, Dün und Hainleite zum • Waltershauser Vorberge (b) Thüringer Becken weiche Mergelsteine des Oberen • Gebiet südwestlich Gehren (c) Muschelkalks) mit Teilgebieten • Südlicher Thüringer Wald bei Schleusingen (d) • Werra-Bergland und Hainich (a) • Dün (b) und 8. Thüringer Schiefergebirge • Hainleite (c) (Hohlwege meist an Taleinschnitten oder auf Hoch- flächen mit tonig verwitterten Schiefergesteinen) 4. Thüringer Keuperbecken • Südliches Schiefergebirge b. Sonneberg (a) (mäßige Reliefenergie, aber weiche Ton- und Mergel- • Östliches Schiefergebirge b. Lehesten (b), Gefell (c), steine des Unteren und Mittleren Keupers im Übergang Ziegenrück-Plothen (d), Zeulenroda (e), Weida (f) zu bzw. Wechsel mit Mergelsteinen des Oberen Mu- und Greiz (g) schelkalks) • Nordrand bei Bad Tennstedt und bei Greußen (a) 9. Altenburger Ackerhügelland • Fahner Höhen (b) (mäßige bis geringe Reliefenergie, Hohlwege meist in • Südrand im Übergang zur Muschelkalkplatte bei weichen Löss- und Geschiebelehmdecken, Ohrdruf (c) und Erfurt (d) an Taleinschnitten) • bei Brahmenau, Schmölln und Altenburg 5. Ilm-Saale-Ohrdrufer Muschelkalk-Platte (hohe Reliefenergie an Stufenrändern und in Tälern, 10. Südthüringer Buntsandsteinland harte Kalksteine des Unteren Muschelkalkes (Wellen- (mäßig reliefierte Täler- und Kuppenlandschaft, Hohl- kalk) im Übergang zum weichen Rötsockel aus Tonstei- wege meist in weichen Tonsteinen des Unteren Bunt- nen des Oberen Buntsandsteins, Mergelsteine im Obe- sandsteins und an Steilrändern des Werratals) ren Muschelkalk) • Salzunger Bergland (a) • Stufenränder im Gera- und im Ilmtal (a) • Hildburghauser Bergland (b) • Tannrodaer Gewölbe (b) 11. Rhön 6. Ostthüringer Buntsandsteinhügelland (Basaltkuppenland, Hohlwege meist an steilen Rändern (kuppig-wellige Tälerlandschaft, Hohlwege meist in der Muschelkalk-Buntsandstein-Schichttafeln) weichen Ton- und Schluffsteinen des Unteren Buntsand- • bei Geisa und Kaltennordheim

Tab. 3.11-1: Hohlwegslandschaften.

177 Hohlwege und Hohlwegslandschaften

Wie sich aus der Übersichtstabelle leicht entnehmen sie verbreitet mit lehmigen Verwitterungsdecken von lässt, haben Hohlwege ihre Verbreitungsschwerpunkte Schiefern, Grauwacken und anderen Grundgebirgsge- einerseits in Bereichen mit hoher Reliefenergie, d.h. steinen (8). An den Talflanken größerer Flusstäler wie mit großen Höhenunterschieden auf engem Raum und im Mittleren Saaletal sind Hohlwege überdies in leisten- dadurch bedingten Steilpassagen. Beispiele dafür bieten artige Reste höherer Flussterrassen und in Soli- die Ilm-Saale-Ohrdrufer-Muschelkalk-Platte mit ihren fluktionsdecken eingeschnitten. Randstufen und tiefen Taleinschnitten (5a), auch die Nordwestthüringer Muschelkalkhöhen mit ihren kerb- Neben den Faktoren Hangneigung und Gesteinshärte zertalten Rändern zum Werratal (3a); zahlreich sind nahmen die Nutzungsart und die Nutzungsintensität reliefbedingte Hohlwege außerdem an den Passwegen Einfluss auf die Verbreitung und die morphologische über den Kamm des Mittleren Thüringer Waldes (7a). Ausprägung von Hohlwegen. Die markantesten Formen findet man heute noch im Verlauf historischer Fernstra- Unschwer ist an diesen Lokalitäten der Einfluss des ßen, wo diese weichen Untergrund oder schmale Ge- Reliefs zu erklären: Bei steiler Bergfahrt erfuhr der Un- birgspässe überqueren mussten: beispielsweise im tergrund durch den verstärkten Hufschlag der Zugpferde Zuge der Querungen des Thüringer Waldes bei Tam- eine Lockerung, bei abschüssiger Talfahrt wirkten die bach-Dietharz entlang der alten Schmalkalder Straße beim Bremsen oft blockierten Räder zerstörerisch auf und zwischen Oberhof, Zella-Mehlis und Suhl (7a) an die Wegesohle ein, indem sie den Untergrund lockerten der einst bedeutenden Handelsstraße von Erfurt über bzw. zu pulverförmigem Staub zermahlten. Auch Schafe, Coburg nach Nürnberg (sog. "Kreuzstraße"). Ganze Ziegen und Rinder, die herdenweise durch die Hohlwege Bündel von Hohlwegen ziehen entlang dieser Trasse hinauf zu den Hochweiden getrieben wurden, trugen hinauf zu den Pässen am Rennsteig (z.B. Zellaer und durch ihre Tausenden und Abertausenden Tritteinwir- Suhler Loibe). Im Laufe der Jahrhunderte wurden dort kungen erheblich zur Zerrüttung des Untergrundes bei. durch Fuhrwerke, durch Reit- und fußläufigen Verkehr Wasser sorgte dann lediglich für den Abtransport des Rinnen von mehreren hundert Metern Länge und bis gelockerten Materials. zu einigen Metern Tiefe in den Untergrund aus Sedi- ment- und Vulkangesteinen des Rotliegenden hinein In reliefarmem Gelände konnten Hohlwege dagegen geschnitten. nur über weichem Gesteinsuntergrund entstehen. In der Konsequenz findet man Hohlwege dort vorzugs- Weitaus häufiger als aus dem Fernverkehr resultierten weise auf Löss- und Geschiebelehm wie im Altenburger Hohlwege aus dem regionalen und lokalen Verkehr. und Weißenfelser Land (9), auf Ton- und Mergelsteinen Von Kirchdörfern und Städten mit zentralörtlichen Funk- des Unteren und Mittleren Keupers (und ebenfalls auf tionen führten (und führen heute noch) Wege oft auffällig Löss) im zentralen Thüringer Becken (4). Auf den Hoch- speichen- oder strahlenförmig zu den Nachbarorten. flächen des Ostthüringer Schiefergebirges korrelieren Auf weichem Untergrund und bei fehlender Befestigung

Abb. 3.11-2: Kerbenhohlweg im Penni- ckental bei Jena (Foto: R. Meyer 2006).

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Abb. 3.11-3: Hohlwegstern bei Gefell. Historisches Messtischblatt von 1935, Bl. 5537, Gefell, Originalmaßstab 1 : 25 000, vergrößert. Nachdruck des Thüringer Landesamtes für Vermessung und Geoinformation. wurden sie über die Jahrhunderte oftmals zu Hohlwegen Im weiteren Sinne zu den Flurerschließungswegen zu umgeformt. Lehrbuchartige Beispiele dafür präsentieren zählen sind die im Zuge alter Viehtriften entstandenen die historischen Karten für die Zeit um 1850 und selbst Hohlwege. Triftwege führten oft über viele Kilometer noch 1930 in einigen Dörfern auf der Hochfläche des aus den Tälern hinauf zu den kollektiv genutzten Wald- Ostthüringer Schiefergebirges, wie in Gefell bei Hirsch- weiden und Hutungen. In der Regel bestanden sie aus berg (8c; Abb. 3.11-3) oder in Löhma, Göschitz und 8 bis 12 m breiten Wiesenstreifen, die mitunter von Pahren südwestlich von Zeulenroda (8e). Mittlerweile niedrigen Erdwällen gesäumt wurden, um das Vieh sind die meisten dieser Wege aufgrund ihrer Ortsnähe zusammenzuhalten (DENECKE 1969, S. 269; s.a. Abb. oder ihrer Lage inmitten der dorfnahen Ackerflächen 3.6-3). Vornehmlich Schafe, aber auch Ziegen, Rinder eingeebnet oder in neuen und breiteren Asphaltstraßen und Schweine wurden zumeist in großen Herden auf aufgegangen, so dass man die alten Hohlwegesterne diesen Wegen getrieben. Die immer wieder begangenen kaum noch wahrnehmen kann. Teilstücke tieften sich dabei genau so schnell in den Boden ein wie Spuren, die mit Wagen befahren wurden. Nicht viel günstiger ist der Erhaltungsgrad bei den rei- Die Hufe der Tiere lockerten den Untergrund oft inten- nen Flurwegen. Zur Erschließung der Feldfluren führten siver als rollende Räder, so dass auch ohne jeden einst zahlreiche Hohlwege von den Talgründen in mehr Wagenverkehr Hohlwege entstanden, die durch Stark- oder weniger direkter Linie auf die an Hängen, auf regenerosion weiter vertieft wurden. Hochflächen und Hügeln gelegenen Gewanne. Heute noch sind solche Wege an ihrem kamm- oder finger- Spuren alter Triftwege gibt es viele in Thüringen. Am förmigen Verlauf zu erkennen, wobei sie oft in der Nähe deutlichsten sind sie heute noch an den Steilrändern alter Terrassenfluren enden (s. Abb. 3.3-2, 3.3-7). Be- der Muschelkalkplatten erkennbar (5, 6). Beispiele dauerlicherweise wurden im Zuge von Flurbereinigun- finden sich auf der westsaalischen Muschelkalkplatte gen viele der alten Wege zusammen mit den Terrassen im Reinstädter Grund nördlich und südlich Gumperda beseitigt; andere sind nach Nutzungsaufgabe mittler- (bei Kahla), nordwestlich von Remda (s. Abb. 3.6-2) weile dicht mit Gehölzen zu- und überwachsen, so oder zwischen Engerda und Heilingen westlich von dass sie kaum noch als schutzwürdige, charakteristische Orlamünde. In diesen und anderen Fällen gleicher Ensembles der historischen Kulturlandschaft erlebbar geologischer und morphologischer Position sind am sind. Böschungsfuß - im weichen, tonigen Rötsockel (Oberer

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Buntsandstein) - tiefe und breite Hohlwege mit teils Alternativ boten Hohlwege, soweit sie ausreichend tief fingerartigen Verästelungen entwickelt, die sich dann in nutzbare Gesteine hineingeschnitten waren, sicher hangaufwärts - im härteren Wellenkalk - in geröllreichen, auch selbst Anlass, an den Wegeböschungen nach meist kerbenförmigen Erosionsrinnen fortsetzen. Dass Steinen zu graben. Vor allem in den Verbreitungsge- es sich dabei um ehemalige Triftwege handelt, beweisen bieten begehrter Naturbausteine wie dem Bausandstein historische Karten, auf denen im Umfeld solcher Rinnen des Mittleren Buntsandsteins ( Hohlwegslandschaften sehr häufig Hutungen dargestellt sind (s. Abb. 3.6-2). 2, 6, 10) oder den harten Werksteinbänken des Unteren Auch Flur- und Wegenamen ("Trift") belegen ihre frühere und Oberen Muschelkalks (3, 5) dürfte die historische Funktion. Steingewinnung örtlich an der Entstehung und Erwei- terung von Hohlwegen maßgeblich beteiligt gewesen Gelegentlich ging die Bildung hohlwegartiger Formen sein, beispielsweise im Jenaer Forst (Terebratel- und auch von alten Steinbrüchen und zu ihnen führenden Schaumkalkbänke) und im Pennickental bei Jena. Die Wegen aus. Die Steingewinnung spielte in Thüringen, tiefen Grabenstrukturen im Böschungsbereich des Ro- das reich an Naturbausteinen ist, seit ältester Zeit eine ten Berges bei Saalfeld könnten ebenfalls durch die große Rolle (s. Kap. 3.10). Da die gebrochenen Gesteine Bausteingewinnung (Zechsteinkalk) angelegt oder zu- meist ortsnah verbaut wurden, gab es in vorindustrieller mindest erweitert worden sein (Abb.3.9-12). Zeit weitaus mehr Steinbrüche als heute, die zugleich viel kleiner waren und in der Regel Gruben- oder Gra- Im weiteren Sinne den Hohlwegen zugehörig sind ab- benform hatten. Diese sog. "Steingräben" sind kaum schließend noch die sog. Holzschleifen zu erwähnen, über 2 Meter tief und oft viele Dekameter lang, was sie rinnenförmige Spuren, die beim Holzrücken entstanden Hohlwegen zum Verwechseln ähnlich sehen lässt. sind, als Baumstämme noch mit Pferden zu den Verla- deplätzen geschleift wurden. Oft zeigen sie einen fä- Örtlich führen auch echte Hohlwegstrecken zu den his- cherförmigen Verlauf mit einer Hauptspur, die zum torischen Steinbrüchen hin. Diese „Steinwege“ verban- einstigen Sammelplatz führte, und Abzweigungen, die den einst den Steinbruch mit dem nächstgelegenen mitten im Wald enden. In der Form ähnlich, zogen die Holzweg oder einer größeren Straße (Beispiel: Steins- Holzschurren, für die ein durchgehendes Gefälle not- burg b. Suhl, Friedberg b. Suhl; FISCHER 1987, S.8). wendig war, an steilen Berghängen hinab, wodurch die

Abb. 3.11-4: Hohlwege und Erosionsrinnen am Anstieg der Orlasenke zur Vorderen Heide. Historisches Messtischblatt von 1940, Bl. 5334 Saalfeld, Originalmaßstab 1 : 25 000. Nachdruck des Thüringer Landesamtes für Vermessung und Geoinformation.

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Baumstämme oft von selbst zu Tal rutschten. Zwischen Als "Spurenfächer" bezeichnet Denecke (1969) Hohl- Saalfeld und Pössneck sowie zwischen Lausnitz und wege, die sich von einem sehr tiefen Haupthohlweg Neustadt konzentrieren sich auf dem Anstieg von der ausgehend z.T. fächer- oder kammartig ausweiten, um Orlasenke zur Rudolstädter Heide in den weichen, schließlich sackgassenförmig auszulaufen. Sie verban- tonreichen Schichten des Unteren Buntsandsteins un- den die genutzten Wirtschaftsflächen in den Wäldern, zählige solcher Strukturen neben echten Hohlwegen auf den Ackerfluren und Hutungen mit den Dörfern in und Wegebündeln. Es sind wahrscheinlich die ein- den Tälern. Beispiele sind heute noch in den weichen drucksvollsten Beispiele dieser Art in Thüringen. Die Sedimentgesteinen des Unteren Buntsandsteins von Wälder der Heide versorgten einst die Orlasenke mit Bad Köstritz bis in den Geraer Stadtwald anzutreffen. Bau- und Grubenholz.

3.11.4 Erosionstälchen

3.11.3 Formtypen Neben den echten Hohlwegen gibt es ähnlich ausse- hende kerben- oder schluchtartige Tälchenformen, die Neben den unterschiedlichen Entstehungstypen lassen ihre Entstehung im wesentlichen der Wassererosion sich Hohlwege nach bestimmten Formmerkmalen un- verdanken. Da sie sich im äußeren Erscheinungsbild terscheiden, die hier kurz erläutert werden sollen, weil oft nicht von Hohlwegen unterscheiden lassen und wie sie oft auch auf Alter und Entstehung schließen lassen. diese im weiteren Sinne anthropogene Ursachen haben, werden sie hier ebenfalls als Formelemente der Kultur- Besteht die Grundform beiderseits aus steilen Hängen landschaft besprochen. und einer durch Gefällsknick scharf abgesetzten Sohle, spricht man von Kastenhohlwegen, wobei die Sohle In der Regel weisen sich Erosionstälchen als schmale, entweder als Erosionsfläche oder als Aufschüttungsflä- tief eingeschnittene Rinnen aus, die in den historischen che ausgebildet sein kann. Eine Aufschüttung trat häufig und aktuellen Topographischen Karten durch spezielle am Fuß von Steigungsstrecken auf, da dort durch Stark- Böschungs- oder Rinnensignaturen von den größeren regen bevorzugt Sand und Kies eingeschwemmt wur- Kerb- oder Muldentälern als eigenständige Formele- den. mente unterschieden werden. Viele dieser Tälchen sind nur wenige hundert Meter lang, oft im Grundriss Wird ein Hohlweg nicht mehr benutzt, flachen sich die stämmchenförmig und allenfalls wenig verzweigt. Ihre Böschungen mit zunehmendem Alter ab. Solche Mul- Querprofile variieren von wenige Meter eingetieften denhohlwege stellen deshalb in der Regel fossile For- Kerben oder Schluchten bis zu steilwandigen Kasten- men des Kastenhohlwegs dar. formen mit aufgeschütteter Sohle. Derartige teilver- schüttete Tälchen werden auch als "Tilken", im süd- Kerbhohlwege entstehen bei steilem Gefälle durch deutschen Raum als "Tobel" bezeichnet. starke linienhafte Tiefenerosion in der Hohlwegspur, auch durch Holztransport ("Holzschleifen", s.o.). Dabei Ihre markanten Konturen und der Sachverhalt, dass wird eine schmale, kerbige Sohle ausgebildet, die nicht die meisten von ihnen Trockentäler sind, d.h. allenfalls immer klar von einem natürlichen Kerbtälchen unter- bei Starkregen oder Schneeschmelze kurzzeitig durch- schieden werden kann. flossen werden, charakterisieren sie als historische, weitgehend inaktive Talformen. Vergleichbare Talbil- Ein Identifikationsmerkmal, mit dem sich Hohlwege dungen sind aus vielen Teilen Deutschlands beschrieben eindeutig von reinen Erosionstälchen unterscheiden worden. Ihre Entstehung wird der verstärkten Boden- lassen, sind parallele Spurführungen. Auf stärker be- abspülung im Gefolge der Waldrodungen des Hochmit- fahrenen Trassen oder auf Wegstrecken in weichem telalters und starkregenreichen Klimaphasen zuge- Untergrund entwickelten sich mit der Zeit Spurenstränge schrieben (vgl. BORK 1988). oder Spurenbündel aus nebeneinander liegenden, aus- einander und wieder zusammen laufenden Eintiefungen, Es gibt breite Form- und Funktionsübergänge zu Hohl- die beim Ausweichen vor Gegenverkehr oder beim wegen. Im Unterschied zu diesen wurden sie jedoch Überholen, vor allem aber durch das Umgehen von im Wesentlichen durch fließendes Wasser geformt, so morastigen und ausgefahrenen Wegestrecken gebildet dass sie ausschließlich den Richtungen des höchsten wurden. Andere sind darauf zurückzuführen, "dass Gefälles folgen. Auch sind sie nie auf konvexen Wöl- leichte Karren oder auch Reiter den kürzesten, steilsten bungslinien eingeschnitten. Weg wählten, während schwere Fuhren eine Bahn suchen mussten, die weniger steil, dafür aber länger Erosionstälchen lassen, wie schon mehrfach erwähnt war" (DENECKE 1969, S.64). wurde, eine enge räumliche Bindung zu ehemaligen

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Hutungsflächen und Triften erkennen (Offenlandcha- auffällige Hohlwegdichte auf dem Kartenblatt Rudolstadt rakter, Tritterosion). Dieser Zusammenhang erklärt ist auf eine Faktorenbündelung zurückzuführen (an auch viele Objekte, die heute unter Wald liegen und den Rändern des Saaletales weiche Ton-Schluffsteine deshalb auf waldärmere Zeiten hinweisen. des Unteren Buntsandsteins und hohe Reliefenergie; an der Randstufe der Ilm-Saale-Ohrdrufer Muschelkalk- Ihre Hauptverbreitungsareale korrelieren mit den Ge- platte zahlreiche Hutungen auf dem weichen Rötsockel). bieten hoher Reliefenergie (und nachweislich histori- scher Waldarmut), d.h. mit den steilhängigen Flanken der großen Talzüge im Thüringer Schiefergebirge und 3.11.6 Ausblick den Muschelkalkplatten, auch wenn sie aus vergleichs- Wie eingangs bereits ausgeführt wurde, stehen Hohl- weise widerstandsfähigen Gesteinen bestehen (z.B. wege mit mindestens 1 m Eintiefung und Böschungs- Schwarza- und Sormitztal, Oberes und Mittleres Saa- neigung an der steilsten Stelle von mindestens 30° als letal, Weißelstertal, Werratal). Einzelne Konzentrationen §18-Biotope unter gesetzlichem Schutz. Sie unterliegen können durch bergbauliche Entwaldung mitverursacht dadurch dem Veränderungsverbot, d.h. sie dürfen we- sein (Räume Saalfeld, Greiz). der intensiver genutzt noch durch Ausbaumaßnahmen beeinträchtigt werden. Unter den Gesteinsformationen weisen die feinkörnigen Sand- und Tonsteine des Unteren Buntsandsteins die Andererseits ist aber die Unterbindung jeglicher Nut- höchste Verbreitungsdichte auf (Paulinzellaer Bunt- zungen für diese Formen langfristig bestandsgefähr- sandsteinland, Rand der Saale-Sandsteinplatte süd- dend. Durch Sedimenteinspülung und Abflachung der westlich Münchenbernsdorf und westlich Gera). Glei- Böschungen verwaschen sich die markanten Einschnitte ches gilt für die weichen Rötsockel (Oberer Buntsand- mit der Zeit; durch die natürliche Sukzession verschwin- stein) in den Fußbereichen der Muschelkalkschichtstu- den sie unter einem undurchdringlichen Dickicht von fen. Neben den schon erwähnten triftbedingten Hohl- Feldgehölzen und Gebüschen. wegen finden sich dort als Folge der Jahrhunderte langen hohen Erosionsdisposition (Offenland mit Hut- Bei einer Reihe von umweltschonenden Nutzungsarten ungen) vielerorts Narben historischer Rinnenerosion können Hohlwege ihre charakteristischen Dimensionen (z.B. Hang des Großen Kalmberges bei Remda; Abb. behalten (Fußweg, Rad- oder Reitweg, Lehrpfad). Ihnen 3.8-2). sollte im Rahmen von Pflege- und Erhaltungsmaßnah- men unbedingt der Vorzug gegeben werden, freilich unter Verzicht auf Versiegelung durch Asphalt oder Be- 3.11.5 Hohlwege um 1850 ton. Alte Pflasterungen verdienen als baugeschichtliche Bezogen sich die bisherigen Ausführungen auf die Zeugnisse (landschaftstypische Natursteine !) einen heute noch erhaltenen, in den Biotopkartierungen er- ganz besonderen Schutz. fassten Hohlwege, so soll im Folgenden kurz der his- torische Zeitschnitt vor rd. 150 Jahren betrachtet werden, Für die gut erhaltenen Hohlwegsysteme unter Wald wie er sich aus den Preußischen Urmesstischblättern wird empfohlen, auf eine intensive forstwirtschaftliche (um 1850) entnehmen lässt (Karte 16). Zu diesem Nutzung zu verzichten und sie für eine naturnahe Wald- Zweck wurde für jeden Viertelquadranten eines Karten- entwicklung vorzusehen (Naturwaldreservate oder GLB; blattes die Zahl der Hohlwege von jeweils mindestens LANGE 1997, S.58, 59). 500 m Gesamtlänge aufgenommen.

Die Quadrantendarstellung ist zwar bei weitem nicht so detailliert und lagetreu wie die punktgenaue Bio- topkartierung, dafür zeigen sich aber (neben großen Lücken !) Hohlwegkonzentrationen, die bei den Biotop- kartierungen nicht erfasst worden sind. Im Nordthüringer Buntsandsteinhügelland dokumentieren die Karten für die Mitte des 19. Jahrhunderts noch viele unbefestigte Ortsverbindungen, die dem Charakter nach Hohlwege waren, besonders südwestlich von Walkenried (Ma- ckenrode, Holbach, Limlingerode, Schiedungen). Mitt- lerweile sind die meisten von ihnen Flurbereinigungen und dem Straßenneubau gewichen. Gleiches gilt für die einst regionstypischen Hohlwege auf der Schiefer- gebirgshochfläche Ostthüringens und im Vogtland. Die

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