Plenarprotokoll 19/110

Deutscher

Stenografischer Bericht

110. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Inhalt:

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble ...... 13525 A (DIE LINKE) ...... 13548 D Begrüßung des Präsidenten der Nationalver- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 13549 D sammlung der Republik Ungarn, Herrn Dr. Laszlo Köver ...... 13525 A Dr. h. c. (Univ Kyiv) (CDU/ CSU) ...... 13550 D Begrüßung des Botschafters der Republik Po- len, Herrn Professor Dr. Andrzej Przylebski 13525 A (SPD) ...... 13552 A Wahl des Abgeordneten Alexander Müller als (CDU/CSU) ...... 13553 A Schriftführer ...... 13526 B Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft und Tagesordnungspunkt 1: Energie a) Erste Beratung des von der Bundesregie- , Bundesminister BMWi ...... 13554 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Volker Münz (AfD) ...... 13556 A zes über die Feststellung des Bundeshaus- haltsplans für das Haushaltsjahr 2020 (SPD) ...... 13557 A (Haushaltsgesetz 2020) (FDP) ...... 13558 B Drucksache 19/11800 ...... 13526 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: -Förster (DIE LINKE) ...... 13559 C Finanzplan des Bundes 2019 bis 2023 Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 13560 C Drucksache 19/11801 ...... 13526 B Dr. (CDU/CSU) ...... 13561 C , Bundesminister BMF ...... 13526 C Steffen Kotré (AfD) ...... 13562 C Allgemeine Finanzdebatte (einschließlich Einzelpläne 08, 20, 32 und 60) (SPD) ...... 13563 C (AfD) ...... 13534 D (FDP) ...... 13564 C (CDU/CSU) ...... 13536 C (DIE LINKE) ...... 13565 C (FDP) ...... 13538 C Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ Johannes Kahrs (SPD) ...... 13539 C DIE GRÜNEN) ...... 13566 C Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 13541 A Dr. (CDU/CSU) ...... 13567 C Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ Hansjörg Müller (AfD) ...... 13568 C DIE GRÜNEN) ...... 13542 B (CDU/CSU) ...... 13543 C (SPD) ...... 13569 B Dr. (AfD) ...... 13545 B Hansjörg Durz (CDU/CSU) ...... 13570 A (Heidelberg) (SPD) ...... 13546 B (SPD) ...... 13571 A Christian Dürr (FDP) ...... 13547 D (CDU/CSU) ...... 13572 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Einzelplan 16 Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ Bundesministerium für Umwelt, Natur­ DIE GRÜNEN) ...... 13593 D schutz und nukleare Sicherheit (AfD) ...... 13595 A Svenja Schulze, Bundesministerin BMU ...... 13573 C Dr. (SPD) ...... 13596 B (AfD) ...... 13574 D (FDP) ...... 13597 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 13575 C Heidrun Bluhm-Förster (DIE LINKE) ...... 13597 D Ulla Ihnen (FDP) ...... 13577 C Dr. (BÜNDNIS 90/ Heidrun Bluhm-Förster (DIE LINKE) ...... 13578 C DIE GRÜNEN) ...... 13599 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 13600 A DIE GRÜNEN) ...... 13579 D Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD) ...... 13601 A Dr. Matthias Miersch (SPD) ...... 13581 A (SPD) ...... 13602 A (AfD) ...... 13582 A Dr. (FDP) ...... 13603 B Hermann Färber (CDU/CSU) ...... 13582 D (DIE LINKE) ...... 13604 C Dr. Lukas Köhler (FDP) ...... 13583 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13605 C (DIE LINKE) ...... 13585 A (CDU/CSU) ...... 13606 B Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13586 A (SPD) ...... 13607 B (SPD) ...... 13586 D (CDU/CSU) ...... 13608 A (AfD) ...... 13588 C Isabel Mackensen (SPD) ...... 13609 A Rüdiger Kruse (CDU/CSU) ...... 13589 D (CDU/CSU) ...... 13609 D Ingo Gädechens (CDU/CSU) ...... 13591 A (SPD) ...... 13610 D Nächste Sitzung ...... 13611 D Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung und Anlage Landwirtschaft Julia Klöckner, Bundesministerin BMEL . . . . . 13592 C Entschuldigte Abgeordnete ...... 13613 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13525

(A) (C)

110. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Beginn: 10:00

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Der Bundespräsident hat am 1. September in Polen Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte unseren Willen bekräftigt, die deutsche Schuld nicht zu nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. vergessen. Am selben Tag hat meine polnische Amtskol- legin mit mir gemeinsam in der deutschen Hauptstadt bei Ich begrüße Sie zur ersten Sitzung nach der Sommer- einem deutsch-polnischen Gottesdienst im Berliner Dom pause, und besonders herzlich begrüße ich im Namen der des Kriegsausbruchs gedacht. Danach warben wir vor der Mitglieder des Hauses unsere Gäste: Auf der Ehrentribü- Kriegsruine des Anhalter Bahnhofs gemeinsam für ein ne hat der Präsident der Nationalversammlung der sichtbares Zeichen des Gedenkens an die Millionen pol- Republik Ungarn, Seine Exzellenz Herr Dr. Laszlo nischer Opfer des Zweiten Weltkriegs – eine Initiative, Köver, mit seiner Delegation Platz genommen. Herzlich die von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen dieses willkommen! Hauses unterstützt wird. Auch das kann zur Versöhnung (Beifall) und zur Verständigung beitragen – über Jahrestage hi- naus. Außerdem begrüße ich nicht weniger herzlich den (B) Botschafter der Republik Polen, Seine Exzellenz Herr Ein Denkmal allein reicht aber nicht, um die wichtigs- (D) Professor Dr. Andrzej Przylebski. Herzlich willkom- ten Lehren aus dem Zivilisationsbruch des Zweiten Welt- men! kriegs wachzuhalten: den Erhalt des Friedens, den Schutz unseres zivilen Miteinanders, den Respekt vor dem ande- (Beifall) ren, die Anerkennung seiner Freiheit, Unabhängigkeit Heute vor 80 Jahren endete die Schlacht bei Wizna. und Würde. Im zusammenwachsenden Europa als der an- Anders als bei uns sind diese Kämpfe zehn Tage nach spruchsvollsten Antwort auf die historischen Gewalter- Beginn des deutschen Überfalls auf Polen Teil der Erin- fahrungen des 20. Jahrhunderts braucht es – wie der His- nerung unserer Nachbarn – als Geschichte ihres Freiheits- toriker Karl Schlögel seit Langem fordert – eine willens, der heroischen Verteidigung durch wenige Hun- konsequente „Osterweiterung des westlichen Horizonts, dert gegen eine Übermacht von Zehntausenden deutschen aber auch eine Westerweiterung des Ostens“. Soldaten. Polen wurde 1939 das erste Opfer eines histo- Dazu kann dieses Gedenkjahr beitragen, in dem wir an risch beispiellosen rassenideologischen Vernichtungs- die Verheerungen des Krieges vor 80 Jahren erinnern, feldzuges, von dem vor 80 Jahren noch niemand ahnen aber auch an die historischen Glücksmomente vor 30 Jah- konnte, welche Ausmaße er annehmen würde. Der von ren. 1939 und 1989: Beide Jahre bilden eine historische Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg hinterließ ei- Klammer im „kurzen 20. Jahrhundert“ – ein Begriff, der nen zerstörten Kontinent und Narben, die noch immer üblicherweise Eric Hobsbawm zugeschrieben wird, der schmerzen. aber in Wahrheit auf den ungarischen Historiker Ivan Die Polen litten am längsten unter der Besatzung durch Berend zurückgeht. die Wehrmacht, unter dem Terror von SS und Sicherheits- Auf die Befreiung von der nationalsozialistischen Ge- dienst. Sie erlebten die gezielte Ermordung ihrer intellek- waltherrschaft folgte die Ost-West-Konfrontation des tuellen Elite, die Verwüstung ganzer Landstriche, die völ- Kalten Kriegs, die jahrzehntelange Spaltung Europas. lige Zerstörung ihrer Hauptstadt Warschau – die Erst in den friedlichen Revolutionen 1989 erkämpften Vernichtung jüdischen Lebens. Der polnische Staat wur- sich die Menschen in den Staaten des ehemaligen Ost- de als Folge des Hitler-Stalin-Paktes unter zwei über- blocks ihre Unabhängigkeit und Freiheit. Ihnen verdan- mächtigen Nachbarn aufgeteilt und seiner Souveränität ken wir die Überwindung der am Ende des Weltkriegs auf beraubt. Der Hinweis auf den sowjetischen Einmarsch der Konferenz von Jalta begründeten Teilung der Welt von Osten am 17. September 1939 relativiert deutsche und nicht zuletzt unsere staatliche Einheit. Verbrechen nicht, aber er ist für das Verständnis der traumatischen Nachwirkungen des Kriegs in Polen wich- Heute vor 30 Jahren, am 10. September 1989, öffnete tig. Ungarn seine Grenzen für die DDR-Flüchtlinge. Allein in 13526 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Budapest hielten sich rund 30 000 DDR-Bürger auf. Im Einbringung des Haushalts 6 Stunden, für Mittwoch (C) ganzen Land warteten etwa 200 000 Ostdeutsche auf eine 8 Stunden, für Donnerstag 7 Stunden und 30 Minuten Gelegenheit zur Flucht. Die Botschaft der Bundesrepub- sowie für Freitag 4 Stunden und 30 Minuten vorgesehen. lik war überfüllt – wie die Vertretungen in Warschau und Sie sind damit einverstanden? – Dann wird so verfahren. Prag auch. Und die Grenzöffnung in Ungarn löste eine neue Dynamik aus: Zwei Monate später fiel die Berliner Dann hat das Wort zur Einbringung des Haushalts der Mauer, das Symbol des Kalten Kriegs. Wir Deutsche ver- Bundesminister der Finanzen, Herr Olaf Scholz. gessen den mutigen Beitrag Ungarns zur Wiedervereini- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gung unseres Landes nicht! der CDU/CSU) (Beifall im ganzen Hause) Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen: Es ist die Aufgabe von uns allen, aber gerade auch der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist jetzt jungen Generation, die Idee eines vereinten Europas als der dritte Haushalt dieser Regierung, den wir miteinander Erbe des Kriegs weiterzutragen, sie angesichts der He- beraten. rausforderungen in einer gründlich veränderten Welt mit Leben zu füllen. Deshalb freue ich mich besonders, dass (Otto Fricke [FDP]: Oje!) heute auch die Teilnehmer des Deutsch-Ungarischen Jun- Und wie die beiden zuvor ist es ein solider Haushalt, der gen Forums anwesend sind. Seien Sie uns herzlich will- ohne neue Schulden auskommt. kommen! Trotzdem haben wir unsere Spielräume genutzt. Es ist (Beifall im ganzen Hause) ein expansiver Haushalt, der viele Investitionen und viele Europa braucht Begegnungen wie diese, den beständi- Entscheidungen für die Zukunft beinhaltet – und das ist gen Austausch über unsere unterschiedlichen histori- auch richtig so; denn wir stehen vor großen Herausforde- schen Erfahrungen, kulturellen Prägungen und Erwartun- rungen. gen an die Zukunft. Dabei müssen wir nicht immer einer Meinung sein, aber neugierig aufeinander bleiben und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten uns respektvoll begegnen. Nur so wird gelingen, was der CDU/CSU) der polnische Dichter Czeslaw Milosz bereits 1983 for- Vielleicht ist es jetzt, zum Ende des Jahrzehntes, doch derte: „Europa den Europäern näherzubringen“! Daran zu wichtig, sich einmal klarzumachen: Die 20er-Jahre stehen arbeiten, das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die kurz bevor, eigentliche Verpflichtung, die uns aus dem Kriegsbeginn (B) vor 80 Jahren erwächst. (Otto Fricke [FDP]: Bitte nicht!) (D) Ich danke Ihnen. und damit natürlich viele große Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben. Wenn wir Haushaltspolitik ma- (Beifall im ganzen Hause) chen, reflektieren wir natürlich das, was wir für die Zu- Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich darauf hinzu- kunft erwarten, und versuchen, uns bestmöglich auf das weisen, dass die Fraktion der FDP mitgeteilt hat, dass die einzustellen und vorzubereiten, was zu tun ist. Kollegin als Schriftführerin ausscheidet. Als Die eine große, wichtige Aufgabe ist, dafür zu sorgen, Nachfolger schlägt die Fraktion den Kollegen Alexander dass in einer Welt, die immer schwieriger wird, der Zu- Müller vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre sammenhalt unserer Gesellschaft auch zukünftig funktio- keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Alexander niert. Wie sehr das notwendig ist, können wir an all den Müller als Schriftführer gewählt. Verwerfungen merken, die gegenwärtig überall zu be- Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 1 a und b auf: obachten sind. Ich will nur an das, was ein anderes Parla- ment jeden Tag bewegt, erinnern: den Brexit und die Ent- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- scheidung, die die britische Bevölkerung in dieser gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest- Hinsicht getroffen hat. Es war die Sorge vor der Zukunft, stellung des Bundeshaushaltsplans für das die zu der aus unserer Sicht bedauerlichen und falschen Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020) Entscheidung geführt hat, die EU zu verlassen. Aber es ist auf alle Fälle ein Zeichen dafür, dass eine Gesellschaft, Drucksache 19/11800 die nicht zusammenhält, auch nicht sicher sein kann, wie Überweisungsvorschlag: sie ihre Zukunft bewältigen soll. Zusammenhalt ist die Haushaltsausschuss wichtigste Aufgabe für die Zukunft. b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rung der CDU/CSU) Finanzplan des Bundes 2019 bis 2023 Das merken wir auch, wenn wir uns über die amerika- Drucksache 19/11801 nische Politik Gedanken machen und über deren Ringen darum, ob Wälle aufgebaut werden sollen und wie man Überweisungsvorschlag: Zollpolitik mit anderen Ländern betreibt. Das alles sind ja Haushaltsausschuss auch Reflektionen auf eine große Unsicherheit im eige- Im Rahmen der Haushaltsberatungen sind für die heu- nen Land über die Frage, wie es in Zukunft eigentlich tige Aussprache im Anschluss an die etwa 45-minütige weitergehen soll. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13527

Bundesminister Olaf Scholz (A) Und selbstverständlich ist auch bei uns in Deutschland den Vorhaben, die über diesen Haushalt mit auf den Weg (C) und in anderen Ländern Europas was los. Ich will aus- gebracht werden. drücklich an dieser Stelle sagen, dass natürlich auch wir überall merken, dass der Zusammenhalt unserer Gesell- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schaft ein Thema ist, das die Bürgerinnen und Bürger der CDU/CSU) bewegt. Deshalb ergibt sich daraus auch für mich der Und natürlich und nicht zuletzt ist es ganz wichtig, dass klare Auftrag an uns: Nur eine Gesellschaft, die zusam- wir auch dazu beitragen, dass die Lebensverhältnisse in menhält, ist auch gegen die Irrungen und Ressentiments unserem Land gleichwertig sind. Wir haben dazu eine des Nationalismus und des rechten Populismus gefeit. Kommission gehabt, die Vorschläge gemacht hat. Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesregierung hat sich dazu verhalten. Es sind dort der CDU/CSU) viele Aufgaben benannt, etwa was die Wirtschaftsförde- rung in Regionen betrifft, die zusätzliche Unterstützung Dass wir das hinbekommen, ist eine wichtige Aufgabe für brauchen. die Bundesregierung und dieses Haus. Deshalb haben wir in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Dingen voran- Aus meiner Sicht ist eine ganz wichtige Frage, für die gebracht, die für den Zusammenhalt wichtig sind. wir verpflichtet sind eine Lösung zu finden, die Proble- matik der Altschulden der Kommunen. Es geht um den Arbeitsmarkt, wo wir sehr erfolgreich Mittel eingesetzt haben, um einen sozialen Arbeitsmarkt (Otto Fricke: Aufgabe der Länder!) in Deutschland zu schaffen. Es geht um die Frage, wie wir die Arbeitsrechte von Beschäftigten verbessern. Da lie- Es kann nicht sein, dass einige trotz bester Anstrengung gen einige Dinge, die wir uns fest vorgenommen haben, nicht in der Lage sind, für sich selber eine bessere Zu- noch vor uns, etwa was die Leute betrifft, die zu kunft zu erreichen. Weihnachten die Pakete ausliefern werden, oder was die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fragen derjenigen betrifft, die sich Sorgen machen um die der CDU/CSU) Befristung ihrer Beschäftigung. Es ist notwendig, dass wir dort zu Verbesserungen kommen, und wir schaffen Und natürlich leisten wir auch mit dem, was wir tun, die Voraussetzungen dafür. ein wenig einen Beitrag dazu, dass die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land besser werden kann, zum (Beifall bei der SPD) Beispiel mit den Entscheidungen der letzten Zeit und de- Das gilt ebenso, wenn man sich über die Frage Gedan- nen, die noch kommen, zur Verbesserung der Einkom- ken macht, wie man eigentlich seine Miete bezahlen soll. menssituation unserer Bürgerinnen und Bürger: mit Kin- (B) Es ist gut, dass sich die Bundesregierung jetzt vorgenom- dergelderhöhungen, mit Steuersenkungen für untere und (D) men hat, in diesem Bereich weitere gesetzgeberische mittlere Einkommen und mit der Entscheidung, die dem- Fortschritte zu machen, die dazu beitragen, dass mehr nächst ansteht, dass der Soli für 90 Prozent derjenigen, Sicherheit für Mieterinnen und Mieter entsteht. die ihn heute zahlen, abgeschafft wird. Das alles führt zu besseren Einkommensverhältnissen für die Bürgerinnen (Beifall bei der SPD) und Bürger in diesem Land. Es ist richtig, dass wir in dieser Situation alles dazu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten beitragen, damit Familien in diesem Land gut leben kön- der CDU/CSU) nen. Deshalb ist es gut, dass dieser Haushalt unsere Hal- tung zur Frage: „Wie stärken wir Familien?“, mitreflek- Und dass wir den Soli für so viele abschaffen – für tiert. Diejenigen, die wenig Geld verdienen, aber dennoch 90 Prozent derjenigen, die ihn bisher gezahlt haben –, mit dem Einkommen gut zurechtkommen sollen, stärken dass wir die Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem wir mit dem Starke-Familien-Gesetz, mit dem Ausbau Staat im Hinblick auf diese Aufgabe darüber hinaus für von Krippen und Kitas. Es geht um ein bezahlbares und weitere reduzieren, sodass nur ganz wenige in Zukunft gestaltbares Leben für Familien in diesem Land. Auch diese Aufgabe noch schultern müssen – die können es das hat mit Zusammenhalt zu tun. aber auch, weil sie sehr viel Geld verdienen –, ist auch eine Entscheidung der Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gehört zu einer guten Haushaltspolitik und zum Zusam- der CDU/CSU) menhalt unserer Gesellschaft dazu. Wir haben vor uns die große Aufgabe, etwas für dieje- nigen zu tun, die Pflege benötigen – es werden immer (Beifall bei der SPD) mehr –, Ich habe ja vernommen – das werden wir in dieser Debatte sicher auch wieder hören –, dass hier von einigen (Otto Fricke [FDP]: Das ist eine versprochen worden sei, dass diejenigen, obwohl sie Mil- Regionalkonferenzrede!) lionen Euro verdienen, eine Steuerentlastung von 100 und für diejenigen, die sie leisten. Deshalb finde ich sehr 000 Euro brauchen. Ich sage: Das hat niemand verspro- richtig, dass die Bundesregierung sich nicht nur vorge- chen. Wir haben vielmehr versprochen, dass wir so lange nommen hat, die Standards für die Pflege zu verbessern die Aufgaben der deutschen Einheit finanzieren, wie es und dafür zu sorgen, dass mehr und besser ausgebildet notwendig ist. Und da ist noch etwas zu tun, wie jeder wird, sondern auch daran zu arbeiten, dass diejenigen, die weiß, der in Deutschland herumkommt. Und ich sage: Es dort arbeiten, besser bezahlt werden. Auch das gehört zu ist richtig, dass diejenigen, die sehr hohe Einkommen 13528 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Bundesminister Olaf Scholz (A) haben, diesen solidarischen Beitrag auch in den nächsten DIE GRÜNEN]: Dann macht es doch, kann (C) Jahren noch leisten. man nur zurufen! Nicht ankündigen, machen!) (Beifall bei der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Zum Beispiel haben wir ein Gesetz auf den Weg ge- Sozialistischer Populismus, Herr Scholz!) bracht, das sich jetzt unmittelbar auswirkt, indem wir die Möglichkeiten begrenzt haben, online Umsatzsteuerbe- Dass wir in dieser Weise durch viele Maßnahmen dazu trug zu begehen. Die Plattformen, die dort als Handels- beigetragen haben, dass die Einkommen der Bürgerinnen plattformen dienen, haben sich jetzt in zunehmendem und Bürger besser werden, hat auch einen messbaren Ef- Maße angemeldet. Das wird zu Mehreinnahmen führen, fekt auf die Konjunktur. Wir alle diskutieren über die wo bisher viele Steuern überhaupt nicht abgeführt worden wirtschaftliche Entwicklung; aber mittlerweile bestätigen sind. uns auch viele, dass es durch die Maßnahmen, die dieses Haus beschlossen hat, und durch die Maßnahmen, die die Wir leisten einen Beitrag zur Steuerehrlichkeit, aber wir Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, einen Impuls finanzieren damit auch unser Gemeinwesen. Gut, dass für die wirtschaftliche Entwicklung im Inland gibt. wir das gemacht haben. ( [AfD]: Nach unten!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es können bis zu 0,7 Prozent des Sozialproduktes sein, die sich allein auf Maßnahmen der Bundesregierung, des Meine Damen und Herren, dazu gehört, dass wir das, Bundestages stützen. Wir haben die Binnenkonjunktur was übrigens auch im Zusammenhang mit der Bekämp- gestärkt – und das ist auch richtig so, meine Damen und fung von Schwarzgeldströmen, von Steuerhinterzie- Herren! hungsmöglichkeiten und der Finanzierung von Dingen, die problematisch sind, steht, auch international diskutie- (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: ren, nämlich dass Immobiliengeschäfte nicht missbraucht Deshalb haben wir auch minus 0,1!) werden können für die Finanzierung von Dingen, die sich Und natürlich – auch das gehört dazu – haben wir noch nicht gehören. Aus diesem Grunde, aber auch weil es aus einige Dinge vor, die zu organisieren und zu finanzieren Fairnessgründen nicht sein kann, dass gerade beim Ver- nicht leicht wird. Aber es wird gehen, weil wir jetzt die kauf großer Immobilien die Grunderwerbsteuer, die jeder Grundlagen dafür schaffen, indem wir auf eine solide zahlen muss, von einigen nicht gezahlt wird, ist es richtig, Haushaltspolitik, auf eine seriöse Haushaltspolitik beste- dass die Bundesregierung jetzt einen Gesetzentwurf auf hen. Ich nenne ein Thema, das sich diese Regierung vor- den Weg gebracht hat, der solche Share Deals unterbindet genommen hat und das eine große Herausforderung sein und dazu beiträgt, dass eine bessere Finanzierung durch (B) wird, nämlich die Situation von Rentnerinnen und die Zahlung von Grunderwerbsteuer auch von denjenigen (D) Rentnern in diesem Land zu verbessern, indem wir in geleistet wird, die sehr große Immobilienkomplexe ver- Deutschland so etwas wie eine Grundrente wieder ein- kaufen. führen; denn das ist notwendig. Wenn viele Bürgerinnen und Bürger auf das schauen, was sie nach einer ganz an- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten strengenden Lebensleistung an Rente bekommen, dann der CDU/CSU) denken sie: Das darf doch nicht wahr sein. – Und wir Wir haben noch einiges vor: Dazu zählt zum Beispiel als Deutscher Bundestag und als Bundesregierung sollten die Anzeigepflicht, die wir für Steuergestaltungsmodelle uns gemeinsam vornehmen, diesen Bürgerinnen und Bür- vorsehen. Da werden wir europäische Vorhaben umset- gern beizustehen. Sie haben es verdient, sie haben viel zen. Und wenn es nach mir geht, werden wir auch Wege geleistet in ihrem Leben. finden, wie das im nationalen Rahmen gleichermaßen ge- macht werden kann. Wir sollten uns in dieser Hinsicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vielleicht mal ein Beispiel an den Briten nehmen, die der CDU/CSU – Dr. [AfD]: Das das seit Jahrzehnten schon sehr erfolgreich machen. Ich darf doch nicht wahr sein!) glaube, wir müssen rechtzeitig Wind davon bekommen, Eins ist aber auch klar: Man kann ein Gemeinwesen wenn neue Steuergestaltungsmodelle erfunden werden, nicht gut finanzieren, man kann eine Gesellschaft, die und wir müssen dann rechtzeitig gegen sie vorgehen kön- zusammenhält, nicht organisieren, wenn es ein Steuer- nen. system gibt, das nicht gerecht ist. Deshalb war es aus meiner Sicht wichtig, dass wir zum Beispiel mit dem Soli (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Patrick einen Beitrag zur gerechten Finanzierung unserer ge- Schnieder [CDU/CSU]) meinsamen Aufgaben geleistet haben. Deshalb bleibt es Aus meiner Sicht gehört zur Gerechtigkeit auch, dass auch richtig, dass wir alles unternehmen, damit sich nicht wir verstehen, dass in der Welt, in der wir heute leben, einige auf die eine oder andere Weise der Steuerzahlungs- viele Dinge, die uns wichtig sind, gar nicht mehr allein pflicht entziehen und ihren Beitrag zur Finanzierung des auf nationalem Boden bewegt und entschieden werden Gemeinwesens, den sie angesichts ihrer wirtschaftlichen können. Deshalb brauchen wir internationale Kooperatio- Möglichkeiten leisten könnten, nicht leisten. Wir müssen nen und internationale Verständigung über die Fragen, die alles unternehmen, damit solche Praktiken unterbunden für die Zukunft von allergrößter Bedeutung sind. werden, meine Damen und Herren! Aus meiner Sicht zählt dazu zum Beispiel, dass wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten etwas dagegen tun, dass große globale Konzerne sich der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ der Besteuerung entziehen. Deshalb haben wir eine Initi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13529

Bundesminister Olaf Scholz (A) ative eingebracht in die internationalen Strukturen, in die schaftsgeschehens sich bisher einer solchen Besteuerung (C) Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und entzogen hat, meine Damen und Herren. Entwicklung, OECD, und in die Treffen der Finanzminis- ter und Regierungschefs der G-7- und G-20-Staaten, und (Beifall bei der SPD) gesagt: Wir wollen ein globales System der Mindestbe- steuerung etablieren, damit wenigstens überall fair Wir haben dazu aber auch gesagt: Ja, es muss dann so Steuern gezahlt werden und nicht einige, die die Möglich- sein, dass wir diese Aufgabe so lösen, dass unter den keiten dazu haben, irgendwo keine oder fast keine Ländern, die eine solche Steuer erheben, Fairness Steuern zahlen. herrscht. Deutschland hat einen großen Markt, andere Länder nur sehr kleine. Das müssen wir zusammenbrin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen. Auch das steht jetzt zur Debatte. der CDU/CSU) So wie es aussieht, werden wir im nächsten Jahr zu einer Eins will ich bei dieser Gelegenheit noch sagen: Weil Verständigung kommen. Die Diskussionen sind sehr weit alle gemerkt haben, dass das jetzt nicht nur in irgendwel- vorangeschritten. chen Papieren, Verträgen oder Vorhaben von Regierun- gen steht, sondern dass die Umsetzung dieser Vereinba- Das betrifft dann nicht nur die Frage, wie wir zu einer rung unmittelbar vor der Realisierung steht, haben seit solchen globalen Mindestbesteuerung kommen können, zwei, drei Monaten die Lobbyisten dieser Republik ange- sondern auch eine Frage, die dazu Schnittmengen hat, fangen, sich im Internet als Influencer zu diesem Thema nämlich: Wie können wir die veränderten Geschäftsmo- zu äußern, überall in Veröffentlichungen zu sagen, dass delle, die sich für globale Internetplattformen ergeben, so sie das nicht wollen. Ich betrachte den lobbyistischen in den Griff bekommen, dass auch von denen Steuern Aufstand in dieser Frage als ein gutes Zeichen, dass wir gezahlt werden? Auch dieses Problem muss bei dieser unmittelbar vor der Realisierung eines wichtigen Projek- Gelegenheit gelöst werden. Alles sieht danach aus, dass tes dieser Regierung stehen. es uns gelingt. (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ein Recht auf Meinungsfreiheit gibt es auch der CDU/CSU) noch!) Und dann gibt es noch ein Thema, das diese Regierung sich schon zum zweiten Mal vorgenommen hat – es stand Auch das will ich dazusagen: Wir werden uns nicht be- schon im Koalitionsvertrag der letzten Wahlperiode, und eindrucken lassen, sondern das Vorhaben durchziehen, es sieht so aus, dass wir dazu jetzt miteinander etwas das wir uns im Interesse der Bürgerinnen und Bürger (B) zustande bringen werden –, nämlich die Verständigung dieses Landes vorgenommen haben. (D) darüber, dass wir wie in anderen Ländern, zum Beispiel in England an der Londoner Börse oder in Frankreich an Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass es, um der Pariser Börse, auch in Deutschland eine Besteuerung in einer Welt, die unsicherer wird, einen guten Weg zu von Finanztransaktionen vornehmen. gehen, eine wichtige Aufgabe für die Zukunft ist, dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft zusammenhält, und ein paar (Beifall bei der SPD) Beispiele benannt, die genau auf dieses Thema zielen, Wir haben uns in dieser Frage darauf verständigt, dass wir weil sie dazu beitragen, dass Deutschland ein gerechteres versuchen wollen, das über eine verstärkte Zusammen- Land wird, als es heute ist. Gleichzeitig geht es aber da- arbeit in der Europäischen Union zu schaffen. Die Ar- rum, dass wir die Zukunft auch dadurch gewinnen, dass beitsgruppe dazu tagt mit großer Intensität. Und auch hier wir in richtiger Weise investieren. Deshalb ist es gut, wie hoffe ich, dass wir jetzt kurz davor stehen, eine Verstän- ich eingangs schon gesagt habe, dass der Haushalt, den digung herbeizuführen, die zwei Dinge beinhaltet: wir hier vorlegen, ein expansiver Haushalt ist. Wir haben die Möglichkeiten genutzt, die sich für uns ergeben. Ich Das ist zum einen die Frage, wie die Steuer erhoben habe die Stichworte ja alle schon gehört: Manche meinen, wird. Unser Vorschlag ist, sich an dem gut funktionier- sie kritisierten damit die Regierung. Aber ich sage: Sie enden französischen Beispiel zu orientieren; denn was loben uns. Also: Wir haben den Spielraum genutzt, den irgendwo anders klappt, das kann man ja in Deutschland wir mit unserer Rücklage haben. Wir haben schon im auch machen. Im Übrigen ist das nicht so unterschiedlich Koalitionsvertrag vorgesehen, dass wir sie einsetzen wol- zu dem Modell, das in Großbritannien heute praktiziert len für eine aktive Investitionspolitik. Genau das haben wird. Diejenigen, die uns jetzt also von überall warnen wir gemacht und in den nächsten Jahren vor. und sagen, das könne man nicht machen, weil das etwa den Wirtschaftsstandort Deutschland beeinträchtigen (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wir würde, irren sich gewaltig; denn diese beiden großen gehen ans Ersparte!) Länder zeigen, dass das überhaupt keine Beeinträchti- gung mit sich bringt, Wir nutzen die geringeren Zinsaufwendungen für hö- here Investitionen und eine expansive Haushaltspolitik, (Otto Fricke [FDP]: Die haben eine ganz toll um die wirtschaftliche Lage in unserem Land zu laufende Wirtschaft in Großbritannien! Das stabilisieren. Auch das ist richtig. Wenn uns das als Kritik läuft ganz super da!) vorgehalten wird, dann sage ich: Es ist ein Lob; denn wir sondern eine gute Möglichkeit der Besteuerung ist, die tun genau das, was in dieser Zeit notwendig und richtig fair ist. Es beklagen ja viele, dass dieser Teil des Wirt- ist, meine Damen und Herren. 13530 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Bundesminister Olaf Scholz (A) (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das Bundeshaushalt in den nächsten Jahren noch unterstüt- (C) habe ich die ganze Zeit befürchtet, dass so was zen. kommt!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Und wir schaffen das in einem Rahmen, in dem das trotz- der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer dem nicht dazu führt, dass wir neue Schulden machen. [CDU/CSU]: Die Länder hoffentlich auch!) Das ist dann natürlich die besondere Leistung. Es ist richtig: Wir brauchen mehr Sozialwohnungen in Was die Investitionen betrifft, hört man hier ja immer Deutschland, als es heute der Fall ist. schöne Zahlen. Es gibt eine große Debatte darüber, wie viele es sein (Otto Fricke [FDP]: Ja! Vor allen Dingen von sollen. Ich will aus meinem Herzen keine Mördergrube Ihnen!) machen. Wenn wir erreichen wollen, dass die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland nicht sinkt, dann müs- Ich bin ganz besonders beeindruckt, weil man angesichts sen in diesem Land jährlich ungefähr 80 000 Sozialwoh- der Investitionsvorschläge, die gegenwärtig aus allen po- nungen gebaut werden. Das ist eine gemeinsame Anstren- litischen Lagern erhoben werden, sieht, dass alle mal gung von Gemeinden, Ländern und Bund. Der Bund hat zehn rechnen können. Es wird also – richtigerweise – seine Voraussetzung dazu geschaffen, indem er jetzt die für das nächste Jahrzehnt eine Menge an Investitionen Möglichkeit hat, diese Mittel weiter bereitzustellen. Wir gefordert. Wenn wir jetzt bei etwa 40 Milliarden Euro werden es tun. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Investitionen pro Jahr sind und in der Finanzplanung Landes haben es verdient. sichtbar gemacht haben, dass wir das die nächsten Jahre auch durchhalten können, sage ich mal für das nächste (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Jahrzehnt: Es werden mindestens 400 Milliarden Euro Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Investitionen sein, die dieser Bundeshaushalt schultert. Und weil ja manche denken: Wenn wir über geförder- Das ist ein Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur ten Wohnungsbau reden, dann betrifft es sie nicht selbst, und der Zukunftsfähigkeit unseres Landes. will ich sagen: Das ist ein großer Irrtum; denn in praktisch (Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Otto jeder deutschen Stadt hat die Hälfte aller Haushalte theo- Fricke [FDP] – Otto Fricke [FDP]: Das heißt, retisch den Anspruch auf einen Wohnberechtigungs- die Investitionsquote sinkt jedes Jahr!) schein. Das ist ein Zeichen dafür, wie wenig an einigen Stellen hierzulande verdient wird und wie sehr es not- Weil wir die nächsten Jahre natürlich dazu nutzen wer- wendig ist, dass wir eine solche Aufgabe wie den preis- den, den Aufwand weiter zu steigern, wird es noch mehr. werten Neubau bei Wohnungen auch zu einer Aufgabe (B) der gesamten öffentlichen Hand machen. Wir haben das (D) Aber wir wollen ja die Seriösen in dieser Debatte sein. investiv möglich gemacht. (Lachen bei der AfD und der FDP – Otto Fricke Das Gleiche gilt für die anderen großen Themen, die [FDP]: Wollen reicht nicht!) sich mit unseren jungen Leuten beschäftigen: Kitas und Deshalb rechnen wir mit den Zahlen, die heute da sind, Schulen. Auch dort haben wir das Grundgesetz geändert, und nicht mit irgendwelchen fantastischen Annahmen. um besser helfen zu können und bessere Unterstützung Trotzdem: Es bleibt eine große Leistung, dass wir die geben zu können. Und wir haben die Mittel bereitgestellt, höchste Summe an Investitionen in diesem Haushalt seit damit es in Deutschland qualitativ bessere und mehr sehr sehr langer Zeit untergebracht haben. Die Steigerung Ganztagsangebote gibt und damit es auch möglich ist, in den letzten drei Haushalten stellt eine aktive Steige- Gebühren zu senken. Das sind drei große Herausforde- rung zugunsten von Investitionen dar. Das hat diese Re- rungen für Gemeinden, Länder und Bund. Wir leisten gierung richtig gemacht. Aus meiner Sicht muss es auch unseren Beitrag dazu. Die Bundesministerin hat alle so weitergehen. wichtigen Vorhaben auf den Weg gebracht, damit es über- all in Deutschland stattfinden kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Weil uns Investitionen so wichtig sind, weil sie eine so Es ist wirklich eine gute Sache, zu sehen, wenn zentrale Rolle für die Zukunft spielen, haben wir – übri- praktisch im Wochenrhythmus irgend- gens mit der Hilfe fast des ganzen Hauses; das will ich wo in Deutschland einen Vertrag unterschreibt, in dem ausdrücklich sagen – in diesem Jahr mehrfach das diese Dinge auch real umgesetzt werden. Ich glaube, Grundgesetz geändert, um die Investitionstätigkeit stei- das ist ein guter Fortschritt für unser Land und ein Zei- gern zu können. Zum Beispiel haben wir sichergestellt, chen dafür, dass wir auf die Zukunft setzen. dass der soziale Wohnungsbau, der in Deutschland so Die hohen Investitionen, die wir heute haben, und die wichtig ist, nicht im nächsten Jahr endet. Mittel, die wir in diesem Zusammenhang nutzen, sind natürlich nur dann sinnvoll einsetzbar, wenn sie auch aus- (Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt gegeben werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) diesem Haushalt, mit unserer Finanzplanung und mit un- Wir haben das Grundgesetz geändert, damit auch in den serer politischen Strategie das klare Signal aussenden: 20er-Jahren sozialer Wohnungsbau stattfinden kann. Ich Investitionen in Infrastruktur, Investitionen in Krippen sage hier: Wir werden ihn mit vielen Milliarden aus dem und Kitas, Investitionen in den Wohnungsbau wird es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13531

Bundesminister Olaf Scholz (A) auch im ganzen nächsten Jahrzehnt geben. Denn wir müs- überhaupt existieren. Auch das hat etwas mit Zukunfts- (C) sen überall dafür Sorge tragen, dass die Planungskapazi- fähigkeit zu tun. täten in den Gemeinden, in den Ländern und bei den Unternehmen wieder ausgebaut werden. Dass wir unser (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katharina Geld, das wir bereitstellen, nicht überall loswerden, ist ein Landgraf [CDU/CSU]) Missstand, der schnell beendet werden muss. Da muss Womit unsere wirtschaftliche Lage gegenwärtig zu unser ganzes Land zusammenarbeiten und auf die Zu- kämpfen hat und was dazu führt, dass sich das weltweit kunft setzen. gegenwärtig nicht in die richtige Richtung entwickelt, das wissen wir ziemlich genau. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Otto Fricke (Otto Fricke [FDP]: Die anderen!) [FDP]) Es hat etwas damit zu tun, was Christine Lagarde noch als Eines will ich im Hinblick auf die Investitionen und die Chefin des Internationalen Währungsfonds so treffend Finanzplanung doch noch sagen: Aus meiner Sicht ist es formuliert hat: mit den man-made Problems. Damit sind ganz zentral, dass wir mit der Solidität der letzten Jahre Handelsstreitigkeiten gemeint, insbesondere zwischen und der Solidität, die die Finanzplanung und der Haus- den USA und China, die jetzt schon viel zu lange dauern. haltsentwurf für das nächste Jahr vorsehen, die Grund- Das will ich mit allem Ernst sagen: Zölle sind irgendwie lagen dafür geschaffen haben, dass wir in einer wirt- der falsche Trend. Ich glaube, dass wir wieder zurück- schaftlich schwierigen Situation handeln können; denn kommen müssen zu einer Situation, in der ein regelbasier- dann wird es schon sehr auf uns ankommen, als größte ter, geordneter, internationale Arbeitsbedingungen, faire Volkswirtschaft mitten in der Europäischen Union, ob wir Lieferketten und Umweltschutzfragen beachtender freier einer sich ins Negative wendenden Konjunktur etwas ent- Handel das ist, was unseren Wohlstand in der Welt gegenhalten können. schafft. (Otto Fricke [FDP]: Jetzt kommt zum ersten Aber es sind gar nicht die Zölle das Entscheidende; das Mal ein Stück Wahrheit!) muss hier klar gesagt werden. Das größte Problem für die Weltwirtschaft ist, dass keiner weiß, wie es demnächst Aus meiner Sicht ist es deshalb ganz zentral, dass wir weitergehen wird. Wenn das zwei Monate der Fall ist, mit den soliden Finanzgrundlagen, die wir heute haben, in wenn das drei Monate der Fall ist und wenn das fünf der Lage sind, mit vielen, vielen Milliarden gegenzuhal- Monate der Fall ist, dann hat das noch keine großen Aus- ten, wenn tatsächlich in Deutschland und Europa eine wirkungen. Aber jetzt geht dieser Streit schon zu lange, Wirtschaftskrise ausbricht. Wir werden es dann auch und überall in der Welt warten Unternehmen darauf, dass (B) tun. Das ist gelebter Keynesianismus, wenn man das so sie endlich das positive Signal kriegen, dass die Sache (D) sagen will. Es ist eine aktive Politik gegen die Krise, aber sich wieder in eine andere Richtung bewegt, damit sie dazu muss sie erst einmal da sein, meine Damen und endlich investieren können. Deshalb muss man aus Herren. dem, was Christine Lagarde gesagt hat, auch den richti- gen Schluss ziehen: Man-made Problems können auch (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das von denen wieder gelöst werden. Es ist dringend erforder- war wieder nur der halbe Keynes!) lich, dass die USA und China zu einer Verständigung in Nur dass wir es können, ist erst einmal die Botschaft. dem Handelsstreit kommen. Dass wir es tun werden, ist die zweite Botschaft, die sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch an die Wirtschaft und alle in unserem Land richtet, der CDU/CSU) weil es natürlich zentral ist für die Zukunftsfähigkeit un- serer Gesellschaft. Zu den Zukunftsaufgaben, die vor uns liegen, gehört auch der menschengemachte Klimawandel. Ich will aus- Ich will ausdrücklich sagen, dass die Lage aber gegen- drücklich sagen: Es ist einer, den die Menschen gemacht wärtig so ist, dass wir zwar eine sich abschwächende haben mit ihrer wirtschaftlichen und industriellen Tätig- Konjunktur haben, dass es aber unverändert lauter Symp- keit. Er hat mittlerweile ein Ausmaß erreicht, das wir alle tome gibt, die nichts mit einer Krise, die nach unten mar- gemeinsam als bedrohlich empfinden können und emp- schiert, zu tun haben. Wir haben einen Fachkräftemangel. finden müssen. Wenn aber ein paar Hunderttausend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit guter Qualifikation an den richti- Eigentlich ist es ja so, dass wir das schon lange wissen. gen Fabriken und Bürogebäuden anklopfen würden, wür- Ich erinnere mich jedenfalls an die Bücher, die mich als den sie alle morgen früh eingestellt. Das ist die wirtschaft- noch nicht 20-Jährigen sehr bewegt haben, über die liche Lage, in der wir uns befinden. „Menschheit am Wendepunkt“ und über die „Grenzen des Wachstums“, die der Club of Rome damals geschrie- Wir haben eine Baukonjunktur, bei der unverändert die ben hat. Nun hat er sich mit seinen Prognosen ein wenig Kapazitäten überausgelastet sind und wir dringend dafür vertan. werben, dass endlich in den Kapazitätsausbau investiert wird. Denn wenn man in Deutschland 400 000 Wohnun- ( [CDU/CSU]: Genau! – gen im Jahr bauen will, wenn man die Infrastruktur so Beatrix von Storch [AfD]: Genau! Es gab keine weiterentwickeln will, wie wir das hier finanziell möglich Eiszeit, wie angekündigt, aber was soll’s!) machen, dann brauchen wir größere heimische Kapazitä- Wenn man die heutige Entwicklung betrachtet, ist es auf ten – zum Beispiel in der Bauwirtschaft –, als sie heute alle Fälle so, dass der damals prognostizierte Mangel an 13532 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Bundesminister Olaf Scholz (A) Rohstoffen – fossilen Rohstoffen zum Beispiel – gar nicht (Otto Fricke [FDP]: Das ist eine sehr weite (C) eingetreten ist, sondern diese bedrückenderweise noch Sicht!) lange zur Verfügung stehen. Die reale Situation ist aber Und deshalb ist es aus meiner Sicht richtig, dass wir jetzt trotzdem die, dass wir es in den letzten Jahrzehnten nicht mit einem richtigen Neustart dazu beitragen, dass es auch geschafft haben, all die notwendigen Entscheidungen zu richtig klappt. treffen, die verhindern, dass die Erderwärmung so wei- tergeht, dass das Klima so bedroht wird. Jetzt ist es fünf Ein paar Dinge, um die wir uns jetzt kümmern müssen, vor zwölf. Wir müssen handeln. Die Bürgerinnen und haben wir schon angepackt, zum Beispiel den Ausstieg Bürger erwarten das von dieser Regierung und von die- aus der Atomenergie. Dieser wurde vor langer Zeit auf sem Parlament – zu Recht. den Weg gebracht und wird nun Anfang des nächsten Jahrzehnts realisiert. Das war eine richtige Entscheidung, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten meine Damen und Herren. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Wir werden deshalb auch nicht mit kleinen Maßnah- men durchkommen und auch nicht mit mehr vom Selben. Für mich war das – das will ich an dieser Stelle gerne Unter „mehr vom Selben“ begreife ich das Vorgehen, nur sagen – ein besonderer Moment, dass ich als neugewähl- weitere Förderprogramme aufzulegen und zu sagen: Das ter Bundestagsabgeordneter nach 1998 mitentscheiden war die ganze Politik. – Der Energie- und Klimafonds der konnte, dass die Atomkraftwerke, gegen die ich demonst- Bundesregierung, über den ich gleich noch zwei Sätze riert hatte, nun Stück für Stück abgebaut werden. sagen will, ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass bloße (Beifall bei der SPD – Zurufe von der AfD: Förderprogramme alleine nicht ausreichen. Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Genauso richtig ist es, dass wir einen solchen Prozess für Wir haben in diesem Fonds eine ganze Reihe von Förder- die Kohleverstromung in Deutschland auf den Weg ge- maßnahmen aufgeschrieben, die alle nicht abgefragt und bracht haben. Wir werden spätestens in 20 Jahren aus der nicht genutzt werden. Deshalb sage ich: Es ist dringend Kohleverstromung aussteigen. erforderlich, dass wir zu einer Gesamtregelung kommen, (Beatrix von Storch [AfD]: Zurück ins in der Fördermaßnahmen ein wichtiger Teil sind, aber Mittelalter! Klar!) nicht die ganze Politik. Das wird nicht reichen, meine Damen und Herren. Das ist ein zentraler Beitrag zum Klimaschutz in diesem Land, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) Wir haben übrigens entschieden, dass wir diesen der CDU/CSU) Fonds, anders als es in den letzten Jahren üblich war, nicht mit dem Haushalt zuleiten. Damit das gelingt, muss investiert werden, übrigens nicht immer vom Staat, sondern ganz oft auch privatwirtschaft- Denn: Wenn unsere Analyse richtig ist, dass darunter lich. viele Maßnahmen sind, die sich als nicht effektiv erwie- sen haben, wir aber für den Bereich Verkehr oder in der (Beatrix von Storch [AfD]: Hört! Hört!) Frage, wie unsere Häuser gedämmt werden und wie wir Dazu zählt zum Beispiel der Ausbau des Übertragungs- heizen, in der Frage, wie sich die Landwirtschaft entwi- netzes für Strom, dazu gehört der Ausbau und die Wei- ckelt, in der Frage der Abfallwirtschaft und der kleinen terentwicklung der Gasnetze und dazu gehört zum Bei- Industrie – das sind all die Bereiche, um die es jetzt geht – spiel der Einstieg in neue Erzeugungsformen, die regelbar wichtige Entscheidungen voranbringen wollen, dann soll- sind, zum Beispiel durch massive Investitionen und durch ten wir auf effektive Maßnahmen setzen und das, was uns Förderung der Wasserstoffwirtschaft. Dazu zählt selbst- dafür wichtig ist, umsetzen. Deshalb ist es richtig, dass verständlich, dass wir die erneuerbaren Energien weiter der Energie- und Klimafonds nach den Beratungen der ausbauen. 65 Prozent bis 2030, das ist das Ziel dieser Bundesregierung zu den Klimaentscheidungen Ende die- Regierung, und wir werden alles dafür tun, dass das auch ses Monats zugeleitet wird und nicht vorher. Das ist der tatsächlich klappt. richtige Weg, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD – Otto Fricke: Deswegen der CDU/CSU) nach der Haushaltsdebatte! Ja!) Wir müssen dafür sorgen, dass die Dinge, die wir mit Ich akzeptiere, dass die übliche Kritik kommt, die im- Europa zusammen auf den Weg gebracht haben, jetzt mer lautet, dass man doch alles viel früher hätte machen auch funktionieren können. Die Europäische Union hat können. Diese Kritik ist berechtigt. Allerdings sollte je- weitreichende Entscheidungen getroffen hinsichtlich der der, der sie ausspricht, sich an seine eigene Nase fassen. CO2-Emissionen, die Fahrzeuge 2030 haben dürfen. Das Er war auch dabei, als zu wenig geschehen ist. Das gilt hilft uns jetzt bei der Bekämpfung des menschengemach- übrigens für praktisch alle Fraktionen dieses Hauses, ten Klimawandels. Das waren sehr ehrgeizige Ziele. Nun erleben wir, dass die deutsche Industrie Milliarden in al- (Otto Fricke [FDP]: Nicht ganz!) ternative Antriebstechniken und Antriebsformen inves- auch für diejenigen, die sich sehr für den Klimaschutz tiert, die für die Zukunft wichtig sind: Elektromobilität, einsetzen. Plug-in-Hybride. Es geht zum Beispiel auch um Entschei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13533

Bundesminister Olaf Scholz (A) dungen im Hinblick auf die Frage: Wie kriegen wir es hin, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) dass auch bei größeren Fahrzeugen irgendwann Brenn- NEN]: Aber wir reden doch jetzt über den Bun- stoffzellen und Wasserstoff eine Rolle spielen? Diese In- deshaushalt, oder?) vestitionen müssen wir unterstützen. Wenn wir in Zu- Das hat die Bürgerschaft mitgemacht, kunft so langsam vorankommen wie bisher, was den Ausbau von Ladestationen betrifft, dann werden wir nicht (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schnell genug sein. Wir müssen schon das Tempo und die NEN]: Mich interessiert jetzt gar nicht, was Kraft haben, die wir schon einmal in diesem Land hatten, Hamburg macht! – Gegenruf des Abg. als es darum ging, Eisenbahnstrecken und Straßen zu Dr. [FDP]: Er muss sich bewer- bauen. Dieses Tempo brauchen wir jetzt auch beim Aus- ben! Das ist eine Bewerbungsrede!) bau von Ladestationen. das Land Schleswig-Holstein und die Bundesrepublik (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschland auch. Diese Planung ist jetzt, 2019, beendet, und die Strecke wird Anfang der 20er-Jahre fertiggestellt Wir müssen sicherstellen, dass es in diesem Land Millio- sein. Das ist ein klares Zeichen dafür, wie lang die Vor- nen davon gibt und nicht ein paar Zehntausend. läufe sind, aber auch dafür, wie richtig es ist, genug Geld in diesem Bereich zu investieren. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Manche Investitionen müssen sehr langfristig vorbe- Neben all den Maßnahmen, die wir in diesem Zusam- reitet werden. Wir sagen jetzt alle zu Recht – und ich menhang brauchen, brauchen wir natürlich auch ein Sys- sage: sehr zu Recht –: Wir werden uns nicht nur auf die tem der CO -Bepreisung. Auch darüber diskutieren wir Frage konzentrieren können, wie die Antriebe von Fahr- 2 jetzt. Wir machen das sehr sorgfältig. Ich bin sehr dank- zeugen in Zukunft sein werden, sondern wir müssen zum Beispiel auch das Schnellbahnnetz ausbauen und mehr U- bar, dass die Bundesumweltministerin, die Bundesregie- rung insgesamt eine ganze Reihe von sehr guten Wissen- und S-Bahnen bauen, damit Umstiegsmöglichkeiten schaftlern und Instituten beauftragt hat, diese Frage zu überhaupt existieren. Auch ein wichtiges Thema ist: erörtern und Vorschläge dazu zu machen; denn wir haben Wir müssen dafür sorgen, dass die Stationen alle behin- uns mit einer besonderen, einer ganz neuen Situation aus- dertenfreundlich und barrierefrei sind, einanderzusetzen. Wir haben im Bereich der großen In- (Beatrix von Storch [AfD]: Und dustrie ein System der Bepreisung gefunden: das europä- gendergerecht!) ische Emissionshandelssystem. Das funktioniert, nachdem die Preise einigermaßen gestiegen sind – anders (B) anders als das heute der Fall ist. Das ist mit hohen Inves- als anfangs –, mittlerweile ganz gut. Alle sagen uns vo- (D) titionen verbunden, die mit einem langen Vorlauf auf den raus, dass diese Industriebereiche auf Basis dieser Preis- Weg gebracht werden müssen. bildung die verschiedenen Ziele, die wir uns in Deutsch- land und Europa gesetzt haben, erreichen werden. Jetzt Wenn heute eine Stadt und ein Land entscheiden, eine aber reden wir über die Bereiche, die nicht von diesem neue S-Bahn- oder eine neue U-Bahn-Strecke auf den europäischen Emissionshandelssystems umfasst sind. Weg zu bringen, wird sie erst in den 30er-Jahren vollendet Wir reden also ausdrücklich über etwas, was Millionen sein. Aber das ist für uns kein Grund, sich zurückzuleh- Haushalte, Millionen Bürgerinnen und Bürger direkt be- nen, sondern ein Grund, jetzt den Weg zu bereiten, damit trifft. Wenn wir also Bepreisungen machen, hat das Fol- diese Planungen auf den Weg gebracht werden und in gen für die Kosten des Autofahrens und für die Kosten diesem, im nächsten und im übernächsten Jahrzehnt diese des Heizens, und das betrifft viele Millionen Bürgerinnen Dinge stattfinden. und Bürger. Das Gleiche gilt für die anderen Sektoren, die ich vorhin genannt habe. (Beifall bei der SPD) Wir müssen also sehr gut sein, und wir müssen aus der Es hilft ja manchmal, dass man auch schon mal etwas Perspektive der Bürgerinnen und Bürger denken und Vor- anderes gemacht hat, in diesem Fall ich als Bürgermeister. schläge machen, die aus ihrer Sicht funktionieren. Das Die erste Entscheidung, die ich in der ersten Woche, als heißt, wir müssen wissen, dass, wenn die Preise steigen, ich neu gewählt war, getroffen hatte, war, eine U-Bahn- sich nicht jemand gleich am nächsten Tag ein neues Auto Strecke zu verlängern; für diejenigen, die sich in Ham- kauft, sondern, wie geplant, zwei, drei, vier, fünf, sechs burg auskennen: von der HafenCity Universität zu den Jahre später. Und wir müssen wissen, dass niemand, weil Elbbrücken, 1,4 Kilometer. Als die Strecke 2019 einge- die Preise steigen, gleich am nächsten Tag einen Hand- weiht wurde, war ich schon nicht mehr Bürgermeister, werker anruft, um zu sagen: Ich installiere in meinem sondern Bundesminister der Finanzen. Haus eine neue Heizung. – Aber wir müssen erreichen, dass all das geschieht, und zwar mit großzügigen und (Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD]) besser ausgestalteten Förderprogrammen, als wir sie heu- Das zeigt, wie dringend jetzt sofortiges Handeln ist. te haben, aber auch mit gesetzlichen Regeln und, selbst- verständlich, indem wir dafür sorgen, dass man sich auf (Beifall bei der SPD) die veränderte Situation einstellen kann. Wichtig ist, dass alle wissen: Auf lange Sicht wird es teurer, CO2 zu ver- Die zweite Entscheidung, die ich getroffen hatte, war, brauchen, sodass sie jetzt die richtigen Entscheidungen eine S-Bahn-Strecke neu zu bauen. treffen und ihre eigenen Möglichkeiten besser nutzen. 13534 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Bundesminister Olaf Scholz (A) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Wenn uns das gelingt – wir zählen zu denen, die das (C) GRÜNEN]: Und warum macht ihr es nicht?) können –, dann ist das auf alle Fälle auch ein Beitrag Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. zum Klimaschutz in der Welt; denn dann können wir anderen sagen: Wir haben eine bessere Alternative, als (Beifall bei der SPD) weitere 500 Kohlekraftwerke da und dort zu bauen, wir Wir werden diese Aufgabe gemeinsam schultern. haben eine bessere Alternative, als dass jetzt in Zukunft die ganze Welt mit Autos vollgestellt wird, mit dem CO2- Ich glaube im Übrigen, dass es gut wäre, wenn wir in Verbrauch, wie wir ihn auch schon in den letzten Jahren in dieser Frage so etwas wie einen über die Regierungspar- Deutschland, in Europa, in den USA, in Japan und in teien hinausreichenden nationalen Konsens erreichen Australien hatten. Dann gäbe es nämlich keine Luft könnten; denn tatsächlich ist die Aufgabe, den menschen- zum Atmen mehr. gemachten Klimawandel aufzuhalten und gleichzeitig ein wirtschaftlich erfolgreiches Land zu bleiben, das hoch- (Jürgen Braun [AfD]: Schlechte Luft moderne Hochtechnologiearbeitsplätze bietet, das global, verbreiten! Das ist Ihre Alternative!) also auf dem Weltmarkt, weiter wettbewerbsfähig ist, Unsere Technologien können eine Lösung sein, die bezahlbar ist – auch an anderen Ort in der Welt. (Beatrix von Storch [AfD]: Ja, ohne Energie und CO2-Ausstoß! Meine Güte!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine ganz zentrale Herausforderung, die wir gemeinsam der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE schultern müssen. Und dann müssen wir auch Fragen be- GRÜNEN) antworten, die uns die Bürgerinnen und Bürger stellen, Das nützt der Beschäftigung, das stellt sicher, dass wir Fragen, die sie, wie ich finde, zu Recht stellen. Eine lau- auch in Zukunft gut bezahlte Arbeitsplätze haben, das tet: Warum ist es denn richtig, dass Deutschland aus der stellt sicher, dass wir auch in Zukunft eine erfolgreiche Kohleverstromung aussteigt, wenn gleichzeitig in Afrika Exportnation sind, und das ist gut für das Klima in der und Asien tausend zusätzliche Kohlekraftwerke gebaut Welt. Wir können dann auch besser argumentieren, wenn werden? wir andere bitten, bei dieser Aufgabe mitzumachen. Denn (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zurufe diese Wahrheit gilt immer: Was wir auf diesem Globus von der AfD: Jawohl!) machen, betrifft uns alle, und wir müssen miteinander verantwortlich handeln. Deshalb müssen wir uns auch Eine andere Frage ist zum Beispiel: Warum ist es rich- füreinander verantwortlich fühlen, und dies ist ein Bei- tig, dass wir bei Fahrzeugen jetzt auf moderne Antriebs- trag, den wir leisten können. (B) techniken mit weniger CO2-Emissionen setzen, wenn (D) gleichzeitig überall in der Welt noch Millionen zusätz- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) liche neue Fahrzeuge mit klassischen Verbrennungstech- Meine Damen und Herren, ich habe es eingangs schon niken auf den Markt kommen? gesagt: Das ist erneut ein solide finanzierter Haushalt. (Beatrix von Storch [AfD]: Und jetzt die Wir kommen ohne neue Schulden aus. Das verschafft Antwort!) uns die Kraft für die Zukunftsfähigkeit, und für massive Investitionen in die Zukunft, für eine Gesellschaft, die wir Die Antwort auf diese Frage kann und muss auch gegeben brauchen, die zusammenhält. Das verschafft uns auch die werden. Fähigkeit, dagegenhalten zu können, falls sich die Kon- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von junktur in Europa und in Deutschland tatsächlich schlech- der AfD: Ja, los!) ter entwickeln sollte, als wir hoffen wollen. Die Antwort lautet: Und das werden wir tun. Ich habe es schon gesagt: Das ist die Aufgabe dieses Haushaltes, und das hat sich die (Beatrix von Storch [AfD]: Am deutschen Regierung fest vorgenommen. Wesen soll die Welt genesen!) Schönen Dank. Weil wir es können. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU – Lachen bei der AfD)

Das ist die Antwort! Sie sind nicht nur kulturell ein Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Rückschritt für dieses Land, Sie sind auch technologisch Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem 19. Jahrhundert. Kollegen Peter Boehringer, AfD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: Jetzt NISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der sinkt das Niveau!) AfD) Peter Boehringer (AfD): Es gibt eine Wahrheit: Wir haben die Ingenieurinnen Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! und Ingenieure, und wir haben die Finanzkraft. Nun ha- Wir haben gehört: „Wir schaffen das – Teil 2“. ben wir die Technologien, die Systeme und die Techniken zu entwickeln, mit denen das bewältigt werden kann. (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13535

Peter Boehringer (A) Die Regierung stellte und stellt heute keine seriöse sogar von 54 Milliarden Euro. Herr Minister, ist das Igno- (C) Haushaltsplanung vor. Von einer vollständigen und reali- rieren der Rechtsmeinung all dieser Institutionen seriös? stischen Abbildung aller Belastungen sind wir erneut weit Sie riskieren ein Milliardendesaster für kommende entfernt. Der Finanzminister will in den nächsten zwölf Steuerzahler. Monaten verzweifelt auf geduldigem Papier noch den Schein der Haushaltssolidität aufrechterhalten. Dabei ist (Beifall bei der AfD) übrigens die aktuelle Steuerflut eine Leistung der Bürger Weiterhin ist es eine anhaltende Vernebelung, beim und Unternehmen, nicht der Regierung. Soli von – Zitat – 90 Prozent Nichtmehrzahlern zu spre- chen, wenn doch mehr als 50 Prozent des Soliaufkom- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer mens erhalten bleiben. Sie schaffen materiell nur den [CDU/CSU]: Toll! Das war schon immer so! halben Soli ab, der Rest ist ein rhetorischer Trick, nichts Was für eine Erkenntnis!) anderes. Doch die Kassenlage wird 2020 anders aussehen. Ebenso wie die GroKo ächzen inzwischen viele Unter- (Beifall bei der AfD) nehmen. Wir erleben gerade die letzten warmen Steuer- Und selbst diese rhetorischen 90 Prozent Nichtzahler sind sommertage vor dem konjunkturellen Winter. Die gängel- noch eine Falschangabe: Da die Solizahlung auf Erträge nde Politik gegen deutsche Schlüsselindustrien aus rein der ohnehin gemolkenen Sparer erhalten bleibt, sind es in ideologischen Gründen wird am Arbeitsmarkt und im Wirklichkeit mehr als 10 Prozent der Steuerzahler, die Haushalt ein Desaster anrichten, auch wenn CO2-Gebüh- den Soli weiterzahlen werden. ren erst einmal noch mehr Geld in die Kassen spülen werden. Dann das Thema Klima. Der Bundestag wäre ja heute der Ort, um über das sagenumwobene Klimabudget zu Die Einnahmeseite des Haushalts ist zudem durch die sprechen. Doch von der Regierung wurde und wird uns historisch nie gesehenen Konjunkturdauerprogramme der nun eine Haushaltsplanung vorgelegt, in dem dieser nach Zentralbank positiv verzerrt. Ab Herbst wird die EZB Mediengerüchten riesige CO2-Teil selbst heute zur ersten schon wieder 200 Milliarden Euro zusätzliches Luftgeld Lesung einfach fehlt. Das ist eine parlamentarische Zu- ins System schießen. Zentralbanken zerstören mit dieser mutung. Voodoo-Ökonomie wirklich alle Märkte. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Und soweit ein Bruchteil davon doch schon im Haushalt Mit Nullzinskrediten ist alles finanzierbar – auf Kosten steht, reden wir von 100 Millionen Euro Zertifikatzahlun- der Bürger; denn dieser Ausnahmezustand enteignet Spa- (B) gen an eine EU, die sich anmaßt, CO2 planwirtschaftlich (D) rer und Rentner ebenso wie Mieter durch die Immobilien- zu kontingentieren und die Bürger vollideologisch abzu- preisblase. zocken. Der Staat spart so pro Jahr mehr als 100 Milliarden (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Euro, die Bürger verlieren diesen Betrag. Ohne diesen absoluten Sondereffekt wäre der Haushalt niemals ausge- Thema Großrisiken. Ganz viele finden sich im Haus- glichen. halt nicht wieder. Erneut fehlen trotz vielfacher Auffor- derung, Herr Minister, die milliardenschweren Rückstel- (Beifall bei der AfD) lungen für die Euro-Rettungsrisiken. Der Haushalt ist Gerechterweise müsste diese Zinsersparnis unmittelbar alleine schon deswegen nicht ausgeglichen. zu Steuersenkungen führen. Immerhin ist sie die Kehr- Weiterhin sehen wir große Bankenrettungsrisiken, teil- seite der durch Minuszinsen kaputtgeschlagenen Alters- weise indirekte über die EZB, aber damit auch wieder vorsorge der Menschen. Die Nullprozentgeldpolitik ist deutsche Risiken. Es droht ein Bruch des ehernen Ver- eine Kriegserklärung an die Bürger. sprechens von 2012: Nie wieder Bankenrettung mit (Beifall bei der AfD) Steuergeld! Faktisch ist damit die von der SPD doch so heißgeliebte (Beifall bei der AfD) Vermögensteuer eigentlich bereits wieder eingeführt. Die Kompensationszahlungen für den rein ideologisch Doch was macht das Finanzministerium? Man schafft verfügten Kohleausstieg waren zunächst – zunächst! – noch nicht einmal die überfälligste aller Steuern ab: den um 60 Prozent geringer budgetiert als versprochen. Sie Soli. Dabei wird der Soli bereits ab 2020 keine Rechts- wurden dann unter dem Druck des Wahlkampfs wieder grundlage mehr haben. Die AfD, der Wissenschaftliche erhöht, aber leider nicht voll in den Finanzplan einge- Dienst, der Bundesrechnungshof sehen das so. Das Fi- stellt. Für 2020 sind es nur 500 Millionen Euro. nanzministerium weiß das auch ganz genau, gibt es aber Gar nicht eingeplant sind die vermutlich erfolgreichen offiziell nicht zu. Sogar der ehemalige Leiter der BMF- Entschädigungsklagen von Kraftwerksbetreibern. Sehr Steuerabteilung klagt gegen die weitere Soli-Erhebung, saubere und effiziente Grundlastkraftwerke werden aus ebenso der Steuerzahlerbund. rein ideologischen Gründen vom Netz gezwungen. Ener- (Widerspruch bei der SPD) getisch, umwelttechnisch und auch ökonomisch ist das ein grotesker Vorgang. Damit besteht schon im nächsten Jahr ein Haushaltsrisiko von 20 Milliarden Euro, für die ganze Planungsperiode (Beifall bei der AfD) 13536 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Peter Boehringer (A) Die juristischen Folgen sind klar: Milliardenschwere Kämpfern im Irak. Ich fordere die Regierung zu einer (C) Sonderabschreibungen und entgangene Betriebsgewinne expliziten Erklärung zur Entstehung dieser Meldung auf. werden eingeklagt werden. Das BMF kennt dieses Risiko doch schon bestens vom Kernkrafturteil 2016. Sie stellen (Beifall bei der AfD) es aber nicht ein. Nach Ihnen die Sintflut: Ist das seriös? Die GroKo müsste sich endlich bemühen, deutsches Geld für deutsche Bürger zu nutzen. Wahrhaft bürgerliche Risiko EU-Zahlungen Deutschlands: Sie sind weiter- Parteien würden das tun. Immerhin kommt das Steuer- hin mit 1,0 Prozent ab 2021 kalkuliert, obwohl die Regie- geld von ebendiesen Bürgern, und noch ist es viel. Der rung ohne Not bereits jetzt viel höhere Versprechungen an Finanzminister kann die in fetten Jahren illegitim aufge- die EU gemacht hat. Da rechnen wir also auch mit einem häufte Asylrücklage zwar noch aufbrauchen, doch auch Defizit. diese 30 Milliarden Euro werden 2021 komplett weg sein. Risiko Brexit-Zusatzkosten: Gemäß dem bislang nicht Ich komme zum Schluss. Nach uns die Sintflut bzw. unterzeichneten Brexit-Vertrag sollte Großbritannien schlagende Megarisiken: Das ist der absehbare Plan die- noch 45 Milliarden Euro an die EU zahlen. Danach sieht ser hochseriösen Bundesregierung. es im Moment nicht aus. Über die aktuelle Finanzpla- nungsperiode wird Deutschland also bei einem No- Herzlichen Dank. Deal-Brexit mit etwa 12 Milliarden Euro dabei sein, teil- weise schon 2020. Auch dies ist im Haushalt nicht vor- (Beifall bei der AfD) gesehen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Andreas Jung, Risiko Verteidigungsmehrausgaben: Hier herrscht eine CDU/CSU. völlig unklare Situation. Die Truppe will viel mehr, die NATO ohnehin. Die Positionen der Verteidigungsminis- (Beifall bei der CDU/CSU) terin und des Finanzministers sind aber unterschiedlich. Keine Klarheit! Andreas Jung (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Die Investitionen sind entgegen dem, was Sie eben diskutieren den Entwurf des Bundeshaushaltes, und wenn gesagt haben, mit unter 10 Prozent des Haushalts wieder er so umgesetzt wird, dann erfolgen Investitionen in den einmal viel zu niedrig. Es gibt keinen realen Aufwuchs in gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Bundesfinanzmi- 2020. Das stimmt einfach nicht. Für den Breitbandausbau nister hat die Themen benannt: Wohnen, gleichwertige und den DigitalPakt gibt es gar nichts, und die Investi- (B) Lebensverhältnisse, Pflege, Familien, aber eben auch (D) tionsquote sinkt sogar. Das sind die Fakten, Herr Minis- und gerade Investitionen in die Zukunft. Deshalb ist für ter, entgegen dem, was Sie eben gesagt haben. uns besonders wichtig, dass wir mit diesem Bundeshaus- halt Investitionen auf Rekordniveau erreichen. (Beifall bei der AfD) Von dem stetig steigenden Risiko eines Strombla- (Otto Fricke [FDP]: Das stimmt doch nicht!) ckouts spricht niemand; es kommt im Haushalt auch nicht Auch da ist die Zahl genannt worden: 40 Milliarden Euro. vor. Es steigt aber permanent durch die Energiewende. Wer jetzt glaubt, Herr Kollege Fricke, dass es alleine reichen würde, noch mehr Mittel einzustellen, der muss – Die Migrationskosten im Sozialetat sind auch nicht zu unterschätzen. Der Kostensockel steigt ständig. Die und das tun wir ja auch alle gemeinsam – sich auch mit Kompensation an Länder und Gemeinden wird erhöht der Frage beschäftigen, wie diese Mittel abfließen, weil wir zwischen dem, was wir in den Haushalt an Investitio- werden müssen. Das ist ein weiteres Großrisiko in der nen eingestellt haben, und dem, was abgeflossen ist, eine Planung. Jeder will heute zwar irgendwie Migranten auf- nehmen, aber keiner will die Zeche dafür zahlen. Das ist Lücke haben. die gutmenschliche Heuchelei. Die Aufnahmebereit- (Otto Fricke [FDP]: Ja, aber zu wenig in den schaft der Kommunen wird mit Steuergeld erkauft. Gute letzten Jahren eingestellt!) Taten auf fremder Leute Kosten haben aber keinen mo- ralischen Wert. Das hat mit Planungsprozessen und teilweise auch mit Akzeptanz zu tun. Deshalb brauchen wir eine gesell- (Beifall bei der AfD) schaftliche Anstrengung für Investitionen. Die bildet sich im Bundeshaushalt ab, geht aber auch weit darüber hi- Risiko bedingungslose Grundrente: Sie ist im Haushalt naus. Wir wollen Investitionen für die Zukunft unseres in keiner Weise eingeplant. Eine reine Luftnummer! Landes. Dann gibt es ein Sonderrisiko. Es steht eine Medien- meldung im Raum, wonach 20 Milliarden Euro an den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Irak fließen könnten, damit IS-Mörder mit deutschem des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Pass dort nicht zu streng verurteilt werden. Die Regierung Es ist ein Bundeshaushalt, mit dem wir unsere inter- bestätigt diese Planung zwar nicht, erklärt aber auch das nationalen Verpflichtungen erfüllen: Die internationale der Meldung zugrundeliegende Papier nicht. 20 Milliar- Sicherheit – auch für die nationale Sicherheit haben wir den Euro: Das wäre mehr als die Etats für Familie, ein starkes Programm – erfährt einen Aufwuchs bei der Senioren, Frauen und Jugend und für Entwicklungshilfe NATO-Quote. Was die Entwicklungspolitik angeht, leis- zusammen – nur für das Wohlergehen von ein paar IS- ten wir ein Bekenntnis zur wirtschaftlichen Zusammen- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13537

Andreas Jung (A) arbeit: Der Entwicklungshaushalt erfährt einen Auf- Es ist auch für uns eine Frage der Gerechtigkeit, zu (C) wuchs, und die ODA-Quote wird solide aufrechterhalten. sagen: Wir haben eine große Aufgabe, an die wir gemein- NATO-Quote, ODA-Quote, Sicherheit, Entwicklung, in- sam herangehen und die wir gemeinsam zu Ende bringen. ternationale Verpflichtungen ganzheitlich gedacht, das Wir stehen zum Koalitionsvertrag. Deshalb machen wir gehört für uns zusammen, und deshalb ist es der richtige jetzt diesen Schritt. Für uns bleibt unter Wahrung der Weg. Dieser Pfad des Aufwuchses muss genau so weiter Solidität in Haushaltsfragen die Maßgabe, weitere Schrit- beschritten werden. te zu machen. Da wollen wir auch über Unternehmen- steuern sprechen; denn wir wollen die Wirtschaft in den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mittelpunkt stellen. Dabei geht es gerade um Personen- Es ist ein Entwurf, der ohne neue Schulden auskommt. gesellschaften. Sie dürfen nicht schlechter behandelt wer- Wir leben in einer Zeit, in der uns sehr bewusst wird: Ein den als Kapitalgesellschaften. Gerade Personengesell- Haushalt ohne neue Schulden ist keine Selbstverständ- schaften entsprechen unserem Bild sozialer lichkeit. Die schwarze Null ist eine Errungenschaft; sie Marktwirtschaft. Wir sehen auch da Handlungsbedarf, ist nicht selbstverständlich. Wir müssen um sie ringen, und deshalb gibt es hier ganz klare und deutliche Initiati- und wir wollen darum ringen. Anders als für andere ist ven unserer Fraktion. Da müssen wir dranbleiben. Wirt- es für uns nicht irgendeine haushalterische Nummer, die schaft ist wichtig, und von der Wirtschaft hängt vieles ab, man, wenn es mal nicht mehr passt, einfach beiseitelegen was wir in anderen Bereichen finanzieren und umsetzen kann. können. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) GRÜNEN]: Das ist ein Dogma für Sie!) Jetzt reden wir in besonderer Weise über die Fragen des Klimaschutzes. Es ist angesprochen worden: Er ist eine Haushaltspolitik ist eben kein Dogma, Herr Kollege, globale Herausforderung, für die wir, Deutschland, als ein (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Land, in dem der Pro-Kopf-Ausstoß doppelt so hoch ist GRÜNEN]: Doch!) wie der internationale Schnitt, auch national eine beson- dere Verantwortung haben. Deshalb geht es jetzt darum, sondern Ausdruck von Generationengerechtigkeit und eine Lücke zu schließen zwischen den Zielen und dem, auch Ausdruck von Nachhaltigkeit. Sie machen einen was erreicht ist. Das ist eine besondere Aufgabe. Wir Fehler, wenn Sie Nachhaltigkeit nur über Ökologie defi- wollen sie in einem Geiste angehen, in dem zum Aus- nieren. Sie gehört dazu und ist ganz wichtig; aber wenn druck kommt, was Sie gesagt haben: Wir sind ein Land Sie einseitig vorgehen, dann entsteht eine Schieflage. Wir mit Ingenieuren, ein Land, das auf Technologie setzt, ein (B) sagen: Ökologie, Wirtschaft und Soziales, das gehört al- Land mit einem innovativen Mittelstand, mit einer In- (D) les zusammen, und das muss sich auch in einem Haushalt dustrie, die nach vorne denkt und technologische Lösun- abbilden. gen entwickelt. Deshalb wollen wir auf Innovation set- zen. Das ist unser Weg. Nur so werden wir am Ende (Beifall bei der CDU/CSU) erfolgreich sein. Das sieht man im Übrigen, wenn man die wirtschaft- Das Ganze ist ja eine globale Frage. Weltweit wird liche Entwicklung in den Blick nimmt. Vielleicht haben genau gekuckt: Wie machen das die Deutschen? Betrei- Sie verfolgt, wie in den letzten Monaten die Prognosen ben sie konsequenten Klimaschutz so, dass individuelle der Wirtschaftsentwicklung Schritt für Schritt nach unten Mobilität auch als Ausdruck von Freiheit erhalten wird, korrigiert worden sind. Jede Korrektur der Prognose der dass Arbeitsplätze, das Wohlstand erhalten werden? Wirtschaftsentwicklung ist eine Herausforderung für den Wenn uns das gelingt – nur das kann unser Weg sein –, Bundeshaushalt; denn in der Planung der nächsten Jahre dann werden uns auch andere folgen. Nur so erfüllen wir fehlen somit Milliarden Euro. Offensichtlich wird der diese globale Aufgabe sinnvoll. Das ist unser Weg: Inno- ganz unmittelbare Zusammenhang: Bei guter wirtschaft- vationen müssen in den Mittelpunkt. licher Entwicklung haben wir Mittel für Klimaschutz, für Soziales, für Familien, für Infrastruktur und vieles mehr. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber wenn die wirtschaftliche Entwicklung runtergeht, dann haben wir überall ein Problem. Deshalb wollen Ich komme zu der Frage, wie das mit diesem Haushalt wir die Wirtschaft in den Mittelpunkt stellen, und deshalb zusammenzubringen ist. Wenn wir sagen: „Die Klima- sind wir der Meinung, dass es richtig ist, was Olaf Scholz politik hat für uns eine große Priorität“, dann bin ich sehr gesagt hat. Es war notwendig, bestimmte Schritte zu ma- dafür, dass wir das mit dem verbinden, was Ralph chen. Zum Beispiel haben wir jetzt den Beschluss gefasst, Brinkhaus generell zum Haushalt sagt, nämlich dass wir dass für 90 Prozent der Steuerzahler der Soli wegfallen eine Generalüberprüfung brauchen, einen Check von soll. Wir sind aber auch der Meinung: Diesen Schritten Kopf bis Fuß, dass wir nicht immer nur die Frage stellen müssen weitere folgen. Sie haben zu Recht, Herr Bundes- dürfen: „Was kann on top kommen?“, sondern auch die finanzminister, in den Entwurf hineingeschrieben: Der Frage stellen müssen: Welches sind Aufgaben, die jetzt Wegfall des Solis für 90 Prozent der Steuerzahler ist ein vielleicht nicht vordringlich sind? Deshalb wollen wir erster Schritt. – Wir sind der Meinung, einem ersten eine generelle Überprüfung, die eine Prioritätensetzung Schritt müssen weitere folgen; sonst haben wir Stillstand, mit sich bringt! Wenn die Zeiten schwieriger werden und und das wollen wir beide nicht. die Kassenlage enger, dann bedeutet das für uns nicht automatisch neue Schulden, sondern dann heißt das für (Beifall bei der CDU/CSU) uns: Prioritätensetzung. 13538 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Andreas Jung (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Beifall bei der FDP) (C) Abgeordneten der SPD) Otto Fricke (FDP): Es heißt „Effizienz“. Das gilt nicht nur für die Energie; Geschätzter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen das gilt auch in anderen Bereichen. Wir müssen genau und Kollegen! Herr Finanzminister, ich hoffe, Sie sehen fragen: Welche Maßnahme kostet wie viel? Was bringt auf dem Handy der Bundeskanzlerin neue Lösungen für sie? Wie erreichen wir den größtmöglichen Erfolg durch den Haushalt. die eingesetzten Mittel? Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. ( [Erfurt] [SPD]: Sehr gut!) Eines ist eigentlich ganz selbstverständlich. Wenn wir Aber zu Ihrer Rede muss man feststellen: Ich habe ge- sagen: „Jetzt wird Klimaschutz ein herausragendes The- dacht, es gebe 23 Regionalkonferenzen bei der SPD. Die Rede, die Sie hier gehalten haben, war die für die 24. ma, und der CO2-Ausstoß ist Maßstab“, dann wird Len- ken nicht nur durch Senken gelingen, sondern selbstver- Regionalkonferenz. ständlich bedeutet das, dass der, der mehr CO2 verursacht, (Zuruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] egal in welchem Bereich, mehr bezahlen muss, und der, [SPD]) der weniger CO2 verursacht, der einspart, entlastet wird. Das ist unsere Linie. Die werden und wollen wir so um- Es war nicht die Rede eines Haushaltsministers. setzen, dass die soziale Balance gewahrt wird, dass wir (Beifall bei der FDP und der AfD – Carsten wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Das ist die besondere Schneider [Erfurt] [SPD]: Aber hallo!) Verantwortung. Dass er mit dieser Rede bei euch gewonnen hat, ist klar. Da akzeptieren wir, Herr Bundesfinanzminister, dass Das nützt ihm aber im Zweifel bei der Wahl für den es unterschiedliche Ansätze, Vorschläge, Instrumente Parteivorsitz nicht viel. gibt. Wir stehen gemeinsam vor der Herausforderung, die Klimapolitik aufzuforsten. Da mag jeder erst einmal Aber – da bin ich dann wieder auf Ihrer Seite – wir sind unterschiedliche Herangehensweisen haben. Ich bin si- eine Kulturnation. Deswegen möchte ich mit Rilke an- cher, dass wir das am Ende zu einem guten Mischwald fangen: zusammenführen. Mischwälder sind auch am nachhal- (Zurufe von der SPD: Oh!) tigsten. Vor dieser Aufgabe steht jetzt die Koalition. Da- für stehen wir insgesamt. Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, Ich möchte ausdrücklich den Gedanken eines nationa- und auf den Fluren lass die Winde los. (B) len Konsenses über einen Klimapakt aufnehmen, weil (D) eines nicht passieren darf: dass wir jetzt Maßnahmen be- Das kennen wir alle. Aber es ist im Endeffekt symbolisch schließen, die dann nicht umgesetzt werden. Ich nehme für das, was wir gegenwärtig in der Haushaltspolitik er- einmal die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung. leben. Seien wir doch ehrlich! Die letzten acht Jahre wa- Das ist eine Maßnahme, die effizient ist, die für das Klima ren für den Haushalt und für eine Große Koalition, die gut ist, die für das Handwerk gut ist, bei der Konjunktur gern Geld ausgibt, groß. Es gab jedes Jahr kontinuierli- und Natur zusammenkommen. Diese haben wir hier ches Wirtschaftswachstum, Steuermehreinnahmen. Zum schon einmal beschlossen. Dann ist sie in den föderalen Glück gab es auch mehr Arbeit für uns alle, für die Bürger Mühlen zwischen Bundestag und Bundesrat zerrieben mehr Arbeitsplätze. Aber – das ist der Hauptvorwurf mei- worden. Wir reden immer noch von dem schlafenden ner Fraktion an diese Koalition – Sie negieren, dass Ril- Riesen des Wärmemarkts. Er schlummert weiter vor sich kes Schatten da sind, dass nämlich diese Zeit vorbei ist. In hin. Ihrer Rede war nichts davon zu hören, dass wir auf dem Arbeitsmarkt inzwischen immer weiter steigende Kurz- Es darf nicht passieren, dass wir im Bund etwas be- arbeiterzahlen haben, war nichts davon zu hören, dass schließen, was aber dann doch nicht kommt, dass es Hän- inzwischen die Zahl der neu zur Verfügung stehenden gepartien gibt. Deshalb wäre es wichtig, hier weiter zu Stellen sinkt, war nichts davon zu hören, dass die Auf- denken, über eine Koalition hinaus. Es ist notwendig, tragseingänge zurückgehen, war nichts davon zu hören, weiter zu denken, über eine Generation hinaus. Die Be- dass die Industrieproduktion zurückgeht. schlüsse dürfen nicht Halbwertzeiten von Legislaturpe- Und Sie negieren auch noch das, was Sie in Ihren ei- rioden haben. Deshalb ist dieser Weg, zu sagen: „Wir genen Monatsberichten allen eigentlich zu erkennen ge- müssen jetzt ambitioniert vorangehen und dann weiter- ben, nämlich dass die Steuereinnahmen sich nicht einmal denken im Sinne eines breiten Konsenses“, richtig. An mehr in diesem Jahr so entwickeln, wie Sie es geplant dem arbeiten wir. Das gilt für den Bundeshaushalt in hatten. Sie wissen zudem schon jetzt, dass die Steuer- besonderer Weise. schätzer Ihnen für das nächste Jahr einiges an Minus rein- Herzlichen Dank. schreiben werden. All das negiert diese Regierung. Eine Regierung, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei eine solche wirtschaftliche Entwicklung negiert, schaut Abgeordneten der SPD) nicht in die Zukunft, die schaut aus Angst nur noch in die Gegenwart und versucht, sich in irgendeiner Weise Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: über den Dezember zu retten. Das ist katastrophal für Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDP. unser Land. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13539

Otto Fricke (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten unseren Bürgern und in unseren Unternehmen liegt, dann (C) der AfD) kann ich Ihnen wirklich nur empfehlen, ein anderes Ge- Meine Damen und Herren, das Negieren der Wirtschaft dicht von Rilke zu lesen, und das heißt „Aus einer Sturm- ist ja schön, wenn man sie nicht mag. Aber nehmen wir nacht“. doch das Thema Investitionen. Ich muss das vielleicht für Herzlichen Dank. die linke Hälfte des Hauses hier noch einmal erklären: Es ist gut und richtig, wenn der Staat mehr investiert. Aber (Beifall bei der FDP – [Spandau] das haben Sie in den letzten Jahren als Große Koalition [SPD]: Wo waren die Vorschläge?) doch nicht gemacht. Es ist, wie gesagt, richtig, wenn man investiert. Kollege Jung und Sie behaupten immer wie- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der: Absolut geben wir ja jetzt mehr für Investitionen Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs, SPD. aus. – Und dann rühmen Sie sich auch noch dafür, dass das Baukindergeld eine Investition sei. Also wenn ein (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eckhardt Privater ein altes Haus kauft, dann darf Herr Scholz sa- Rehberg [CDU/CSU]) gen: „Das ist eine Investition des Staates“? Das ist ein komisches Verständnis von Investitionen. Wenn wir die Johannes Kahrs (SPD): CO2-Regeln demnächst nicht einhalten und dann Straf- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und zahlungen drohen, werden Sie auch die noch als Investi- Kollegen! Wenn man sich so anhört, was es in den beiden tionen definieren. So machen Sie Investitionspolitik. So Oppositionsreden, die wir bisher hören durften, über die- haben Sie sie jedenfalls in der Vergangenheit gemacht. sen Bundeshaushalt zu reden gab, dann Das ist aber kein Blick in die Zukunft. Zukunft wäre, liebe linke Seite, wenn die, die neun Zehntel der Investitionen (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Zieht ihr ihn in diesem Land tätigen, gefördert würden, und das sind zurück!) die Privaten und die Unternehmer. Da müssen wir etwas stellt man fest, dass dieser Haushalt deutlich stärker war machen. Herr Minister, ich wette mit Ihnen, Sie werden als diese Oppositionsreden. spätestens im Frühjahr die Abschreibungsregeln ändern, weil Sie merken, dass Sie ohne die Privatwirtschaft nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vorankommen. Da können Sie über den Staat so viel re- Otto, von dir bin ich wirklich Besseres gewohnt. den, wie Sie wollen – es ist der Private, der am Ende dieses Land nach vorne bringt. (Otto Fricke [FDP]: Noch besser?) Normalerweise bringst du inhaltliche Vorschläge – heute: (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) der AfD) nichts. Herr Boehringer hat zumindest immer noch ein bisschen Science-Fiction dabei gehabt. Selbst dafür hat Meine Damen und Herren, wir reden immer wieder es heute nicht gereicht. Also, dieser Haushalt scheint so über die Frage, wie wir die Prioritäten wirklich klüger gut zu sein, dass zumindest die Oppositionsvertreter au- setzen können. Genau das ist das Problem: Wir reden ßer einem Hauch Pathos und etwas Rilke nicht viel zu nicht darüber, wo wir „weniger“ sagen könnten und wo bieten hatten. wir „mehr“ sagen müssten, wir sagen immer nur, wo es mehr werden soll. (Otto Fricke [FDP]: Deswegen ist das halbe Kabinett auch schon weg!) Seit Neuestem ist es – da bin ich mir mit dem Kollegen Kahrs einig – jetzt so: Streich es grün an; dann darfst du Otto! Ernsthafterweise muss man doch feststellen, dass dafür auch mehr Geld ausgeben. der Höhepunkt dieser Debatte die Rede des Bundesfi- nanzministers war. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie wollen mehr Steuern senken!) (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nein, das ist nicht die Lösung. Wenn wir nachhaltig in- vestieren wollen, dann müssen wir auch ehrlich sein, Viele hier in diesem Hohen Hause hatten unsere Regio- dann dürfen wir nicht diesen Scheinmut haben, immer nalkonferenzen kritisiert. Ehrlicherweise: Ich finde, das nur mehr zu fordern, sondern müssen auch sagen, auf Ergebnis kann sich sehen lassen. was wir verzichten wollen. Es ist, wie wenn ein Bürger erkennt, dass er für sein Haus etwas tun muss; dann muss (Beifall bei Abgeordneten der SPD) er auch für sich selber sagen, auf was er dafür verzichten Im Kern ist es doch so, lieber Otto – wenn ich noch einmal will. Verzichten ist das Problem der Sozialdemokratie – darauf zurückkommen darf –: Als du hier die letzten acht das merke ich jetzt schon wieder an den Zwischenrufen –, Jahre die Finanzminister kritisiert hast, hast du immer zu das ist Ihre Stärke beileibe nicht. dem jetzt amtierenden Bundesfinanzminister geguckt. Hättest du Augen in deinem Hinterkopf gehabt, dann hät- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten test du den Blick gesehen, den der amtierende Bundes- der AfD – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Wo tagspräsident dir zugeworfen hat. sind Ihre Vorschläge?) Meine Damen und Herren, zum Schluss: Wenn Sie (Otto Fricke [FDP]: Aber in den vier Jahren schon nicht die Realitäten anerkennen, wenn Sie schon war ich nicht da!) nicht erkennen, dass eine ganz wesentliche Lösung in Darüber hast du aber geurteilt. 13540 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Johannes Kahrs (A) (Heiterkeit bei der SPD) dann wüssten sie auch, dass es sich überhaupt nicht lohnt, (C) rechtsradikal zu wählen, Deswegen sollte man ja nicht über Dinge urteilen, die man nicht versteht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sondern dass es sich lohnt, eine solide, eine vernünftige, eine pragmatische Haushaltspolitik zu wählen. Wenn man sich die Reden der Opposition anhört, stellt man fest: Bisher war da nichts; vielleicht kommt ja noch Da nun die AfD keinen einzigen Vorschlag gemacht hat mal was. Wenn man sich mit diesem Haushalt beschäftigt, und die FDP auch keinen, können wir darauf zurückkom- dann sieht man: Er ist ein solider Haushalt, er ist vernünf- men, was in diesem Bundeshaushalt steht: Es gibt Re- tig, er ist ehrlich, und er ist transparent. Diese Koalition kordinvestitionen in Höhe von 40 Milliarden Euro in je- hat wieder einen Haushalt ohne neue Schulden vorgelegt. dem Jahr bis 2023. Wir investieren ein Drittel mehr als in Gleichzeitig kommt der ganze Themenbereich Klima der letzten Legislaturperiode. Wir investieren 50 Milliar- erst – das stimmt, jawohl –, nachdem das Klimakabinett den Euro in die Bahn. Es gibt für die Leistungs- und getagt hat. Ehrlicherweise: Wann soll er denn sonst kom- Finanzierungsvereinbarung eine Laufzeit von zehn Jah- men? Haushaltsklarheit, Haushaltswahrheit: Wir reden ren und nicht nur von fünf Jahren. Es gibt die von allen hier über den Kernhaushalt. Das, was das Klimakabinett geforderte Planungssicherheit, damit man Kapazitäten noch vorbringt, wird hier vorgelegt. Wir haben noch ent- aufbauen kann, damit die Firmen wissen, was auf sie sprechende Diskussionsmöglichkeiten; darüber können zukommt, damit sie neue Mitarbeiter einstellen und Ma- wir reden. schinen kaufen können, damit Investitionen langfristig abfließen. Genau das ist gemacht worden. Wir investieren In diesem Haushalt werden wir über Klimawandel, in den öffentlichen Nahverkehr. Hier werden die Mittel Digitalisierung und Wohnungsbau entscheiden. „Gleich- verdoppelt – noch einmal einen ganz herzlichen Dank, wertige Lebensverhältnisse“ in diesem Land heißt zum Herr Finanzminister; ich glaube, dass das eine gute Sache Beispiel auch, zu fragen, wie man Kommunen entschul- ist, weil gerade der öffentliche Nahverkehr für uns wirk- det. Wir werden darüber reden, wie der Kohlekompro- lich wichtig ist. miss umgesetzt werden kann. Man sieht: Alle diese Auf- Gleichzeitig investieren wir insbesondere im Bereich gaben werden in dem Haushalt angegangen. Der Bund „sozialer Wohnungsbau“. Alleine in 2020 geht dorthin 1 schreitet in vielen Punkten voran. Man muss aber auch Milliarde Euro. Es wäre schön, wenn die Länder das einmal anmerken, dass es nicht angehen kann, dass der Geld, das sie von uns für den sozialen Wohnungsbau be- Bund hier in die Vorleistung geht und die Länder es nicht kommen, auch für den sozialen Wohnungsbau ausgeben tun. (B) würden; das ist in der Vergangenheit in vielen Ländern (D) (Beifall des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU]) nicht passiert. Das ist einer der Gründe, warum wir die Probleme haben, die wir haben. Der Bund muss aufpas- Der Kollege Rehberg wird sich bestimmt – ohne dass sen, dass sein Geld auch zielgerichtet ausgegeben wird. ich seine Rede kenne – dazu heute wieder ausführlich äußern. Im Ergebnis haben alle Länder Überschüsse – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der etwas, womit wir nicht gesegnet sind. Damit zahlen sie CDU/CSU) ihre eigenen Altschulden auf Landesebene zurück, statt Wir brauchen nicht nur Sozialwohnungen; wir brau- sich um die Kommunen, die Digitalisierung, die Infra- chen auch im normalen Mittelfeld bezahlbare Wohnun- struktur oder andere Dinge zu kümmern. gen. Man muss sich darüber unterhalten, welche Maß- nahmen dafür richtig sind. Die Bundesländer haben da Ich höre bestimmt gleich von den Grünen, was wir alles unterschiedliche Ansichten. Aber auch als Bundes- hätten tun müssen, sollen und überhaupt. Eine grüne Fi- gesetzgeber müssen wir uns vielleicht einmal darüber nanzministerin in Schleswig-Holstein kümmert sich da- unterhalten, ob so ein Unsinn wie Index- und Staffelmie- rum, dass sie Altschulden zurückzahlt. Das ist ein Bei- ten etwas ist, was man den Menschen zumuten kann. Es spiel dafür, wie grüne Haushaltspolitik in der Praxis geht. werden Mietverträge unterschrieben, weil der Zwang Das ist nicht das, was der Kollege Kindler gleich fordern groß ist, weil man keine Alternativen hat, und dann hat wird – auch ohne dass ich die Rede gelesen habe, kann ich man diese Index- und Staffelmieten. Ich glaube, das ist mir das entsprechend denken. etwas, worauf man dankend verzichten kann. Wir stellen fest, dass die Bürger durch diesen Haushalt Wenn man sich anguckt, wie viel Geld wir im Bereich entlastet werden. Der Bundesfinanzminister hat es ge- „sozialer Arbeitsmarkt“ investieren, kann man sagen, sagt: Der Soli wird für 90 Prozent der Menschen in die- dass wir auch da gut aufgestellt sind. sem Land abgebaut. Und wenig überraschend: Die AfD, die sich ja immer zwischen neoliberal und rechtsradikal Die „Süddeutsche Zeitung“ hat Bundesfinanzminister bewegt, will natürlich auch die Reichen in diesem Land Olaf Scholz dafür gelobt, dass er alle Vorhaben, die im entlasten. Wenn die Wähler der AfD wüssten, dass die Koalitionsvertrag stehen, durchfinanziert hat, ohne neue AfD sie gar nicht im Sinn hat, sondern das staatliche Schulden zu machen. Ich meine: Wenn die „Süddeutsche Rentensystem abschaffen will, die Reichen entlasten Zeitung“ einen lobt und die AfD einen kritisiert, dann hat möchte und sich nicht um ihre Wähler und die Bürger man, hast du, Olaf, alles richtig gemacht. Ich glaube, der kümmert, Mix macht es, und das ist gut. Die Bundeskanzlerin hat erklärt, dass auch sie zum Ziel eines ausgeglichenen (Widerspruch bei der AfD) Haushaltes steht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13541

Johannes Kahrs (A) Jetzt wird mir gesagt, dass ich keine Zeit mehr habe, rer. Auch in dieser Frage wird die Bundesregierung zu (C) um fortzufahren; aber der Kollege Rehberg wird be- einem Sicherheitsrisiko für unser Land, und das darf nicht stimmt da weitermachen, wo ich aufgehört habe. sein. (Heiterkeit des Abg. Otto Fricke [FDP] – (Beifall bei der LINKEN) Dr. [FDP]: Das fürchten wir auch!) Jeder siebte Euro aus dem Bundeshaushalt soll in das Wettrüsten fließen. Das entspricht einer Rüstungsquote Ich danke allen Beteiligten und wünsche uns weiterhin von 14 Prozent. Die Investitionsquote dagegen stagniert eine konstruktive Debatte. bei 11,1 Prozent. Nur jeder neunte Euro wird in die Zu- Vielen Dank. kunft investiert. Ich sage Ihnen: Statt sich eine Wettrüs- tungsquote von der NATO vorschreiben zu lassen, sollten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir lieber eine dynamische Investitionsquote in unser der CDU/CSU) Grundgesetz schreiben. Wir brauchen einen robusten Rüstungsdeckel, wir brauchen Investitionen, meine Da- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: men und Herren! Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Gesine (Beifall bei der LINKEN) Lötzsch, Die Linke. Allein bei der Deutschen Bahn gibt es einen Investi- (Beifall bei der LINKEN) tionsstau von 57 Milliarden Euro. Und jeder, der zumin- dest ab und zu mit der Bahn fährt, weiß, wovon ich rede. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Aber womit beschäftigt sich der Minister, der über den Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten größten Investitionstopf verfügt, nämlich Herr Scheuer? Damen und Herren! Ich glaube, diesem Selbstlob muss Er kämpft mit der Abwicklung der gescheiterten Maut. man deutlich etwas entgegensetzen. Ich finde, Herr Scheuer ist eine personifizierte Investi- tionsbremse. Einen solchen Minister brauchen wir nicht! (Beifall bei der LINKEN) Er ist zu einem Klumpenrisiko geworden. In diesem Haushalt steht deutlich zu viel für Rüstung, zu wenig für Investitionen und viel zu wenig für Soziales. (Beifall bei der LINKEN) Dieser Haushalt bedroht dadurch die Sicherheit der Men- Nun haben wir in dieser Debatte schon wieder viel über schen in unserem Land, und das darf nicht sein, meine die Schuldenbremse und die schwarze Null gehört. Das Damen und Herren. sind natürlich alles Nebelkerzen. Dass die Schuldenbrem- (B) (D) se ökonomischer Unsinn ist, hat sich inzwischen sogar bis (Beifall bei der LINKEN) in die Reihen ihrer einstigen Befürworter herumgespro- Augenscheinlich reagiert die Bundesregierung nur chen. Doch in diesem Haus gibt es anscheinend immer noch auf dumpfe Reize. Beispiel: US-Präsident Trump noch mehr neoliberale Buchhalter als sachverständige stößt wüste Drohungen aus. Sein Botschafter hat bereits Ökonomen. mit dem Abzug der US-Truppen aus unserem Land ge- droht, wenn wir den Rüstungskonzernen nicht noch mehr (Otto Fricke [FDP]: Ui! Das Wort fehlte noch! Geld in den Rachen werfen. Wir als Linke sagen: Zieht Kommt noch Hartz IV?) die Truppen ab! Das würde viel Geld sparen und die Si- Die Koalition hat sich selbst an Armen und Beinen cherheit in unserem Land erhöhen. gefesselt. Die eine Fessel ist die Schuldenbremse, und (Beifall bei der LINKEN) die andere Fessel ist der Ausschluss von Steuererhöhun- gen für Vermögende. Und nehmt die abscheulichen Atomwaffen gleich mit. Europa muss endlich atomwaffenfrei werden! (Otto Fricke [FDP]: Die Verfassung ist für Sie eine Fessel?) (Beifall bei der LINKEN) Diese Selbstfesselung ist ein Sicherheitsrisiko, das wir Viele wissen es gar nicht: Von Ramstein in Deutsch- uns nicht leisten können, meine Damen und Herren. land aus werden Todesdrohnen nach Jemen geschickt. Das ist furchtbar. Furchtbar ist auch, dass die Bundesre- (Beifall bei der LINKEN) gierung zulässt, dass von deutschem Boden aus Mord- kommandos gesteuert werden. Die US-Truppen sind of- Um endlich wieder handlungsfähig zu werden, müssen fensichtlich zu einem Sicherheitsrisiko für unser Land diese Fesseln gelöst werden. Wir wollen höhere Vermö- geworden, und das muss ein Ende haben. gensteuern und eine echte Finanztransaktionsteuer, Herr Scholz, nicht so ein Placebo, wie Sie es gerade vorge- (Beifall bei der LINKEN) schlagen haben. Dann bekommen wir wirklich Spielraum In diesen Tagen ist bekannt geworden, dass die Bun- für Zukunftsinvestitionen. desregierung eine Schallmauer durchbrochen hat. Sie will (Beifall bei der LINKEN) zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, nach NATO-Kriterien berechnet, über 50 Milliarden Euro Diese Bundesregierung ist auch ein Sicherheitsrisiko, für das Militär ausgeben. Meine Damen und Herren, wer weil sie nichts gegen die zunehmende Spaltung der Ge- das Wettrüsten beschleunigt, macht diese Welt unsiche- sellschaft tut. 13542 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Gesine Lötzsch (A) Nun wird ja immer hervorgehoben, wie groß der Etat Wir haben große Herausforderungen, große Fragen, die (C) für Arbeit und Soziales ist. Aber man muss wissen, dass uns beschäftigen: Klima, Digitalisierung, gleichwertige über 100 Milliarden Euro davon in die gesetzliche Rente Lebensverhältnisse. Um das zu bewältigen, müssen wir gehen. Das heißt, für Arbeit und Soziales im engeren viel investieren. Wir sagen klar: Investitionen haben eine Sinne stehen lediglich 38,94 Milliarden Euro zur Verfü- positive Rendite. Sie rechnen sich. Sie bringen mehr Le- gung. In Anbetracht einer drohenden Rezession ist das bensqualität, mehr Wohlstand, und sie stabilisieren übri- grob fahrlässig. Hier muss nachgesteuert werden, meine gens auch die Konjunktur. Damen und Herren. Das, was Sie behauptet haben, Herr Scholz, ist falsch. (Beifall bei der LINKEN) Sie frieren in der Finanzplanung die Investitionen ein. Das Armutsrisiko für Menschen, die neu in die Rente (Otto Fricke [FDP]: Ja!) gehen, wird sich in den nächsten elf Jahren in Ostdeutsch- land fast verdoppeln. Wir brauchen also sofort, meine Insgesamt, gemessen an den Ausgaben, sinkt die Investi- Damen und Herren, eine solidarische Mindestrente. tionsquote sogar. (Beifall bei der LINKEN) (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) Doch selbst für die Grundrente, die ja immerhin im Koa- Das heißt, Sie senken hier eigentlich Investitionen. Ich litionsvertrag steht, haben Sie keine Vorsorge im Haushalt fordere Sie auf: Gehen Sie runter von dieser Investitions- getroffen. Das Gleiche trifft für den Klimaschutz zu. Und bremse, Herr Scholz! das ist ein Armutszeugnis für diese Regierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall bei der LINKEN) wie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, nutzen wir die Haushalts- beratungen! Dann haben wir die Chance, unser Land si- Das liegt natürlich auch daran, Herr Scholz, dass das cherer, gerechter und solidarischer zu machen. Dafür Einzige, worauf Sie sich mit der Union im Haushalt eini- steht Die Linke. Gestalten wir eine gute Zukunft! gen können, die schwarze Null ist. Das ist der Kitt, der Sie noch zusammenhält, und das, obwohl wir sehr, sehr große (Beifall bei der LINKEN) Investitionsbedarfe haben, insbesondere beim Klima- schutz. Gleichzeitig sind wir in der Situation, dass der Bund momentan an zehnjährigen Bundesanleihen sogar Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Geld verdient. Trotzdem klammern Sie sich krampfhaft (B) Nächster Redner ist der Kollege Sven Kindler, Bünd- zusammen mit der Union an dem Dogma „schwarze (D) nis 90/Die Grünen. Null“ fest. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Spannende ist, dass inzwischen viele Teile der Wirtschaft, viele Ökonomen Ihnen da vehement wider- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sprechen: Michael Hüther, der BDI, NEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Otto Fricke [FDP]: Der neue Freund des BDI!) ren! Herr Scholz, in Ihrer Rede waren ja – für Ihre Ver- viele Ökonomen. Und nicht nur die, Herr Scholz; auch in hältnisse – sogar etwas Leidenschaft, Energie zu spüren, Ihrer eigenen Partei habe ich wahrgenommen, dass die aber auch viel Selbstbeweihräucherung und viel Selbst- meisten Bewerber für den SPD-Parteivorsitz inzwischen lob. Denn seien wir doch mal ehrlich: Ohne den fetten sagen: Hören Sie auf, sich an der schwarzen Null festzu- Griff in die Rücklage, die Sie haben, hätten Sie diesen beißen! Hören Sie auf mit diesem Dogma, und sorgen Sie Haushalt doch nie richtig aufstellen können; dann wären jetzt endlich für Investitionen! Sie doch völlig blank gewesen. Das ist doch die Wahrheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Haben wir sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP) jetzt Minus oder haben wir kein Minus?) Die Zeiten haben sich verändert. Ein ungeregelter Bre- Bei der Union kann ich das sogar ein bisschen verste- xit steht vielleicht vor der Tür. Weltweit eskalieren Han- hen. Die Union hat sonst nicht so viel als Markenkern, delskonflikte. Kinder und Jugendliche gehen lautstark für wofür sie eigentlich steht. Deswegen ist die schwarze Klimaschutz auf die Straße. Doch wir finden keine Ant- Null quasi eine Art Ersatzreligion, so eine heilige Kuh worten in diesem Etat, keine Antworten im Haushalt für die Union geworden. Ich finde, hat es 2020. Der Energie- und Klimafonds ist ja nicht mal Teil sehr ehrlich benannt. Er hat gesagt, die schwarze Null sei des Entwurfs. Man kann im wahrsten Sinne des Wortes identitätsstiftend für die Union. sagen: Das ist Stückwerk, was Sie hier abliefern. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wäh- Und ich finde, ehrlich gesagt: Dass es keine ökonomi- rend die Grünen ja für Wirtschaft und innere schen, keine klimapolitischen Antworten im Haushalts- Sicherheit stehen, oder wie?) entwurf gibt, ist brandgefährlich in dieser Situation. Es ist ja schön für die Union und auch schön für ihr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gruppengefühl, dass das ihre Identität stiftet, nur hat Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13543

Sven-Christian Kindler (A) das mit kluger Haushaltspolitik und kluger Wirtschafts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) politik einfach rein gar nichts zu tun. Zustimmung der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sagen klar: Es geht nicht nur um den Haushalt Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: 2020, über den wir heute diskutieren. Es geht um das Nächster Redner ist der Kollege Eckhardt Rehberg, nächste Jahrzehnt. Wir wollen ein Jahrzehnt der Zu- CDU/CSU. kunftsinvestitionen. Wir haben Ihnen dafür in den letzten (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wochen einen Vorschlag unterbreitet. Denn völlig klar Dr. Stefan Ruppert [FDP]) ist, dass sich die großen Investitionssummen, die wir jetzt stemmen müssen – viele reden von mehreren Hundert Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Milliarden Euro, die das bedeuten wird –, nicht allein Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was aus dem laufenden Haushalt werden finanzieren lassen. wir aktuell erleben, ist ein Überbietungswettbewerb: Wer Deswegen schlagen wir vor – die Schuldenbremse nicht stellt mehr Geld ins Schaufenster? Liebe Kolleginnen und abzuschaffen; wir wollen sie erhalten –, die Schulden- Kollegen, wenn man das letzte Jahrzehnt und das Thema bremse zu ergänzen um einen Investitionsmotor. Wir wol- Schulden betrachtet, frage ich: Wie geschichtsvergessen len neue öffentliche Investitionsgesellschaften und einen kann man eigentlich sein? Als ich 2009 in den Haushalts- Bundesinvestitionsfonds gründen. ausschuss gekommen bin, hatten wir ein Volumen von 300 Milliarden Euro und 86 Milliarden Euro Schulden – (Otto Fricke [FDP]: Wir wollen nicht Ausfluss der Finanzkrise. schwimmen, aber wir wollen tauchen!) (Zuruf von der SPD: Neuverschuldung!) Wir haben deutlich gesagt: Wir wollen klare Grenzen dafür ziehen, klare Kriterien, das heißt: unter 60 Prozent – Alle die, die heute meinen, wieder Schulden machen zu Maastricht –, maximal 1 Prozent vom BIP. Es geht um müssen, sollen sich mal bitte zurückerinnern, Herr Kolle- Nettoinvestitionen, nicht um konsumtive Ausgaben. Es ge Kindler, dass wir fünf Haushaltsjahre gebraucht ha- geht um neue wertsteigernde Investitionen, die wir täti- ben – drei mit der FDP, zwei mit der SPD –, um keine gen wollen. Das ist unser Angebot. Das ist unser Vor- neuen Schulden mehr zu machen. Das ist die Ausgangs- schlag. So kann man die Investitionen des Bundes ver- position dafür gewesen, dass wir ab 2014 wieder massiv doppeln, und das ist angesichts der Herausforderungen investieren konnten und Bürger und Länder und Kommu- auch dringend notwendig. nen entlastet haben. (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der SPD) Mit unserem Vorschlag für eine große Investitionsof- Ohne diese schwarze Null wäre das alles in den letzten fensive bis 2030 sorgen wir dafür, dass sich Länder und Jahren nicht gegangen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Kommunen, die Wirtschaft, die Bauwirtschaft auch da- rauf einstellen können. Wir schaffen Planungssicherheit, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei wir schaffen Verlässlichkeit, damit sie ihre Kapazitäten Abgeordneten der SPD und der FDP) erweitern und mehr Personal einstellen. Denn warum flie- Auch das Nächste ist geschichtsvergessen. Was hat ßen denn Investitionsmittel zum Teil nicht ab? Weil es denn die Euro-Krise hervorgerufen? Doch nicht zu wenig keine Verlässlichkeit gibt. Das ist doch auch die Verant- Schulden; es waren doch zu viele Schulden wortung der Bundesregierung. Wie war das in den letzten Jahren, sei es unter Herrn Schäuble, sei es unter Herrn (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist Scholz? Da liegt doch die klare Verantwortung. Es gab das!) eine Zickzack-Investitionspolitik, die nach Kassenlage in Spanien, Portugal und Griechenland. Und weil sie zu gemacht wurde. Da gab es mal hier ein Sonderprogramm, viele Schulden hatten, konnten sie sich am Kapitalmarkt dann gab es wieder nix, da ein Sonderprogramm, dann nicht mehr refinanzieren. Wollen wir da wieder hin? Wol- wieder nix. So kann man natürlich keine Planung voran- len wir eine Politik machen, die jedes Jahr 35 Milliarden treiben. Das ist keine lange Linie. Das ist doch die Wahr- Euro neue Schulden auftürmt, die dann unsere Kinder und heit. Enkel abtragen müssen? Ich kann für meine vier Enkel sagen: Nein, das möchte ich denen nicht zumuten und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch nicht aufbürden. Wir sagen Ihnen: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei kommen, die niedrigen Zinsen zu nutzen, um eine große Abgeordneten der SPD und der FDP) Offensive für Klimaschutz, für Digitalisierung nach vor- Das ist keine solide Politik. Das ist für mich auch keine ne zu bringen und das auch über Kredite zu ermöglichen. gute Sozialpolitik und keine Generationengerechtigkeit. Wir fordern Sie auf: Handeln Sie jetzt! Die Zukunft gibt es nämlich nicht zum Nulltarif. Man muss jetzt investie- Wenn man die Vorschläge der Grünen im Haushalts- ren und darf sich nicht an die schwarze Null klammern. ausschuss allein aus den letzten drei Jahren betrachtet: Man kann ja über eure Mehreinnahmen streiten, die den Vielen Dank. Industriestandort Deutschland massiv gefährdet hätten. 13544 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Eckhardt Rehberg (A) Aber wenn ich das mal beiseitelasse: Ihr hattet in den drei fentliche Personennahverkehr ist keine Bundessache, (C) Jahren in euren Vorschlägen 13 Milliarden Euro Diffe- das ist die Verantwortung von Ländern und Kommunen, renz zwischen Einnahmen und Ausgaben. Was hat das, liebe Kolleginnen und Kollegen. Kollege Kindler, mit solider Politik zu tun? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Abgeordneten der SPD und der FDP) GRÜNEN]: Das ist eine Behauptung!) Ein weiterer Punkt. Die Einnahmesituation des Bun- Nichts, aber auch gar nichts. Sie tuten hier in ein Horn, deshaushaltes ist schwieriger geworden, ja. Aber eines das Ihnen überhaupt nicht zusteht, und Ihr politischer An- gehört zur Wahrheit dazu: Im letzten Jahrzehnt, also im satz beseitigt nicht die Probleme, die wir haben. Vergleich bis zum Jahr 2010, hat der Bund die Länder bei (Beifall der Abg. Michael Grosse-Brömer der Umsatzsteuer um 16 Milliarden Euro entlastet. Um [CDU/CSU] und Johannes Kahrs [SPD]) 16 Milliarden Euro! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bis zu diesem Jahr noch die Situation, dass die Der Staat, wir, hat kein Einnahmeproblem, wir haben Einnahmen aus der Umsatzsteuer beim Bund höher als ein Umsetzungsproblem, liebe Kolleginnen und Kolle- bei den Ländern sein werden. Ab nächstem Jahr steigen gen. Das ist unser Kernproblem. die Umsatzsteuereinnahmen der Länder massiv an, beim Bund flachen sie deutlich ab. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Noch ein Punkt: Sozialausgaben. Der Bund entlastet Das Kernproblem sind Planungskapazitäten. Aber das die Kommunen um über 7 Milliarden Euro bei der Grund- größte Problem ist doch unser kompliziertes Genehmi- sicherung im Alter im Vergleich zum Jahr 2010. Bei den gungs- und Planungsrecht. Lieber Olaf Scholz, es ist ja Kosten für die Unterkunft sind es gute 6 Milliarden Euro. schon schlimm, dass Sie prognostizieren, dass man für Wenn ich jene 16 Milliarden Euro und diese 14 Milliarden den Bau einer neuen S-Bahn-Strecke über ein Jahrzehnt Euro zusammenzähle, dann bin ich bei einer Entlastung braucht. Aber ich sage Ihnen: Ich kenne Bauvorhaben, wo der Länder durch den Bund im Vergleich zum Jahr 2010 an Schienenstrecken neben drei Gleisen das vierte Gleis von 30 Milliarden Euro. gelegt werden sollte, die nach 30 Jahren noch nicht ange- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nächste Frage packt werden konnten, weil das Planungs- und Genehmi- stellt sich zum Thema Altschulden. Wer hat nach Arti- gungsrecht kompliziert ist und weil die Klagen durch drei kel 28 Grundgesetz die Finanzverantwortung für die Instanzen gehen. Das ist die Realität in dieser Republik. Kommunen? Und wenn wir jetzt so weit sind, dass die Windkraftlobby (B) in dem Bereich den Artenschutz aushebeln will – das (Otto Fricke [FDP]: Eben!) (D) kann man ja gerne tun –, dann muss man bitte für jegliche Infrastrukturvorhaben die gleichen Bedingungen Der Bund oder die Länder? schaffen – nicht nur für den Windkraftausbau. (Otto Fricke [FDP]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Die Länder hatten im letzten Jahr insgesamt einen Über- bei Abgeordneten der SPD und der AfD) schuss von 14,6 Milliarden Euro. Für die nächsten Jahre Ein nächster Punkt. Der Gesamtstaat hat für mich drei sind die Prognosen positiv. Der Durchschnitt der Kom- Ebenen. Das sind der Bund, die Länder und die Kommu- munen hat auch einen Überschuss. Jetzt muss man sich nen. bei diesem Thema die Frage stellen: Was machen wir mit dem Land Hessen? Stichworte: Hessenfonds und Ent- (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) schuldung über 5 Milliarden. Was machen wir mit Nie- Wenn ich an das Thema Klima denke: Ich habe von den dersachsen? Das ist noch unter Rot-Grün gelaufen. Was 16 Ländern dazu so gut wie nichts oder gar nichts gehört. macht Mecklenburg-Vorpommern, das ein Entschul- Für alles ist der Bund zuständig. Ich nenne einen Punkt, dungsprogramm über Haushaltssicherungskonzepte ge- den öffentlichen Personennahverkehr. Wir als Bund ge- genüber seinen Landkreisen und Kommunen fährt? Das ben Regionalisierungsmittel in der Größenordnung von heißt, diese Länder nehmen ihre Verantwortung wahr, aktuell 9 Milliarden Euro. Vor zwei Jahren waren es 7 Mil- und andere tun das nicht. liarden Euro. Der Bundesrechnungshof hat einen Bericht gemacht. Erste Feststellung: Zu dem Zeitpunkt, Ende (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) 2016, lagen 2,7 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel Gucken Sie sich mal die Überschüsse an, und zwar bei den 16 Ländern auf Halde. 2,7 Milliarden! Und weiter auch von Ländern und Kommunen mit hohen Kassenkre- hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass im Schnitt diten. Ich habe die Zahlen drauf, lasse sie jetzt aber mal der 16 Länder nur 27 Prozent eigene Mittel für den öffent- beiseite. Ich warne davor, dieses Thema anzufassen; denn lichen Personennahverkehr ausgegeben wurden. Das bes- es wird neue Ungerechtigkeiten schaffen. Diejenigen, die te Land liegt bei 62 Prozent, das schlechteste Land bei an der Stelle verlieren und nichts gewinnen, werden den 2 Prozent und sieben Länder unter 10 Prozent. Liebe Finger heben, und diejenigen, die etwas gewinnen, weil Kolleginnen und Kollegen, jetzt rechne ich die Entflech- der Bund ihnen hilft, werden nicht Danke sagen. Das sage tungsmittel, GVFG usw. noch nicht mal mit. Das sind ich voraus. Deshalb halte ich diesen Weg für brisant und alles Bundesmittel. Ich sage einfach: Letztendlich geben sehr gefährlich. die Länder im Schnitt überhaupt kein eigenes Geld für den öffentlichen Personennahverkehr aus. Und der öf- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13545

Eckhardt Rehberg (A) Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zum Thema Die Bereiche Landwirtschaft und Soziales gehören in (C) „negative Zinsen“ machen. Eigentlich sind negative Zin- nationale Verantwortung zurückgeholt, wie es unsere Eu- sen eine Absurdität. Negative Zinsen tragen unter ande- ropaprogrammatik vorsieht. Zig Milliarden auszugeben, rem dazu bei, dass gerade für die kleinen Sparer eine um dann in etwa die Hälfte des eigenen Geldes zurück- Geldentwertung eintritt. zubekommen, hört sich nicht nach einem guten Geschäft an. (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der AfD) Negative Zinsen sind eigentlich auch nicht gut für die Die Briten haben das genauso erkannt wie andere Fall- Ökonomie. stricke und Kropfbildungen im Bermudadreieck und Steuergrab von Brüssel, Luxemburg und Straßburg. Lieber Kollege Kindler, Sie haben sowohl Wolfgang Schäuble als auch Olaf Scholz mehrere Male vorgewor- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wollen fen, dass sie ihre Bundeshaushalte nur auf niedrige oder Sie austreten, oder was?) negative Zinsen stützen bzw. gestützt haben. Wenn Sie Dem Beharren auf dem Brexit wird für Deutschland den Vorschlag mit dem 35-Milliarden-Euro-Paket wirk- eine erhebliche Mehrbelastung bei der Finanzierung fol- lich ernst meinen und das bis 2030 so laufen soll, wie Sie gen. Deutschlands Anteil am EU-Haushalt wird dann das ausgerechnet haben, nicht mehr ein Fünftel, sondern ein Viertel betragen, ob- (Otto Fricke [FDP]: Trotz negativer Zinsen!) wohl wir seit April 2011 vom Heidelberger Professor Franz-Ulrich Willeke wissen können und müssen, dass dann müssen Sie sich für das nächste Jahrzehnt niedrige Deutschland allein zwischen 1991 und 2014 mit fast oder negative Zinsen wünschen. Ich sage ganz einfach: 255 Milliarden Euro 46 Prozent aller EU-Nettozahlungen Ich wünsche mir das nicht, gerade für unsere Kleinsparer aufbrachte und doch nur besagtes Fünftel oder Viertel in Deutschland. Anteil am Sozialprodukt des Ganzen hatte. Dabei hat die Bundesregierung in der Vergangenheit noch so Herzlichen Dank. ziemlich jeden Vertragsbruch der EU nicht nur akzeptiert, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sondern auch noch mit deutschem Geld alimentiert. Vor bei Abgeordneten der AfD – Anja Hajduk diesem Hintergrund erinnert die skizzierte Budgetent- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben wicklung an den ewig gleichen Versicherungsvertreter, das nicht verstanden, Herr Rehberg!) der jedes Jahr pünktlich vor Weihnachten an der Tür klin- gelt und Ihnen eine angeblich neue Police verkaufen will – zusätzlich zu der alten natürlich –, (B) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (D) Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Harald (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie die Weyel, AfD. AfD! Das ist auch jedes Jahr dasselbe!) (Beifall bei der AfD) obwohl bereits die alten Verträge ein völlig schiefes Preis-Leistungs-Verhältnis aufwiesen. Aber, so der Ver- sicherungsvertreter, nur in der EU seien wir rundum ab- Dr. Harald Weyel (AfD): gesichert, weshalb wir nicht so kleinlich sein sollten mit Sehr geehrter Präsident! Kollegen! Verehrte Damen neuen Extramilliarden. und Herren da droben und da draußen, mit deren entei- gnetem Steuergeld das Ganze hier finanziert wird! (Beifall bei der AfD – Anja Hajduk [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Sie lebt es sich (Lachen der Abg. [SPD]) ganz gut in der EU, oder?) Noch ein Wort vorweg zu dem, was auf der knapp Die Prämie steigt halt jedes Jahr, egal wie viele Mit- linken Seite des Hauses geäußert wurde: Es läuft ja offen- versicherte es gibt. Und wenn einmal der Versicherungs- bar darauf hinaus, dass man steuerfinanzierte Investi- fall eintritt, ja, dann werden wir wahlweise auf das Klein- tionsprogramme machen will, Stichwort „Keynesianis- gedruckte verwiesen – oder der Sachbearbeiter ist gerade mus“. Was machen Sie, wenn in der Hochkonjunktur im Urlaub. Wie bei der Sache mit der überwiegend die Krise kommt? Das andere Stichwort ist Investitions- unqualifizierten Masseneinwanderung in Richtung sicherheit: Was sagen Sie den Privatleuten, den Unter- Deutschland. nehmen, deren Diesel Sie mit Ihrer ruckartigen Politik enteignen? ( [SPD]: Oh! Geht das wieder los!) (Beifall bei der AfD) Diese Psychologie des betrügerischen Haustürgeschäfts, bei dem immer wieder die gleichen Leute reinfallen, ist in Kommen wir zu einem anderen Punkt. Rund 33 Milliar- der EU systemimmanent. Im Schadensfall stehen wir halt den Euro im Haushalt gehen erst mal brutto und vorab alleine da, immer wieder. nach Brüssel, und über den Agrarfonds kommen dann knapp 5 Milliarden Euro zurück und auch ein paar Hun- Die Konsequenzen des massiven Wasserrohrbruchs dert Milliönchen über Sozialfonds etc. pp. All dies spricht des Jahres 2015, bei dem der Keller mit einem Schlag dem Subsidiaritätsprinzip glatt Hohn. volllief, mussten wir selbst tragen. Allein die Kosten da- für belaufen sich seitens des Bundes auf über 20 Milliar- (Beifall bei der AfD) den Euro. Das sind zwei Drittel der regulären EU-Bei- 13546 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Harald Weyel (A) träge. Und auch dabei hat uns die vermeintliche Rundum- Aufgaben – vom Straßenbau bis zur inneren und äußeren (C) versicherung à la Maastricht, Lissabon, Schengen, Dublin Sicherheit, bis hin zum Theater in der Kommune. Das ist im eigenen feuchten Keller stehen lassen. Was über die eine ganz wichtige Sache. Jahrzehnte hin Tröpfchen für Tröpfchen reinsickerte, wurde 2015 zum massiven Wasserrohrbruch. Die EU ist Dann danke ich natürlich noch Europa. Unsere Mög- nicht in der Lage und willens, hier die Klempnerarbeit zu lichkeit, einen Exportüberschuss zu erzielen, hat sehr viel leisten. Uns helfen wohl nur noch nationale Bordmittel, mit Europa zu tun. Dass wir in Europa so zentral einge- wie sie ihrem Volk gegenüber verantwortlichere andere bettet sind und unsere Wirtschaft hier einen absoluten Staaten auch munter praktizieren. An der Stelle könnte Widerhall findet, dass jeder Euro, den wir nach Europa man insbesondere die heute schon mal gelobten Bulgaren geben, bei uns Wirtschaftsdynamik und Wachstum er- und Ungarn noch mal loben. Diesen Job machen sie ne- zeugt, muss doch jedes Kind erkennen. Man braucht benbei auch noch für uns. nur zu gucken, wo unsere Euro landen, die wir nach Brüs- sel geben. Aber dieses Beispiel ist nur die Spitze des Eisberges der organisierten EU-Verantwortungslosigkeit. Unter der (Beifall bei der SPD) Wasseroberfläche verbergen sich noch: Enteignung der Sie kommen im Regelfall mehrfach zurück. Bürger durch Nullzinspolitik, Kontrollverlust bei der EZB und andere Dinge. Bei den EU-Institutionen ist es (Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) wie bei Katzen, die Mäuse fangen sollen, es aber nicht tun, weil der Futternapf immer zu voll ist. Da wir das Ja, manchmal lacht man einfach an der falschen Stelle. Futter bezahlen, sollten wir über eine Diät nachdenken. Das ist ein Indikator dafür, ob man es verstanden hat oder nicht. In dem Fall galt das Zweite. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Verlässlichkeit und Zukunftsplanung – das ist schon Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Lothar ein wichtiger Punkt, und zwar für die Arbeitnehmerinnen Binding, SPD. und Arbeitnehmer, für alle Menschen im Land, auch für Unternehmen. Deshalb – ich rede über die Einnahmeseite (Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: des Haushalts – haben wir natürlich auch über Steuer- Das verspricht schon gleich eine gute Rede zu senkungen nachgedacht, weil auf der einen Seite Steuer- werden!) (B) senkungen im richtigen Moment die Binnennachfrage (D) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): stabilisieren können und andererseits Steuersenkungen ökonomische Dynamik über die Unternehmen erzeugen Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Lie- können – im richtigen Moment. Auf den Moment komme be Kolleginnen und Kollegen! Ich will erst mal allen ich noch zurück. Leuten danken, die es uns ermöglicht haben, diesen Haus- halt zu beschließen. Das sind nämlich alle Bürgerinnen Der Soli ist eine gigantische Entlastung von 10 Milliar- und Bürger in Deutschland, alle Menschen, die hier leben, den Euro. Sie haben es vorhin gesagt. alle deutschen Frauen und Männer, übrigens auch die Gastarbeiter der ersten, zweiten und dritten Generation (Christian Dürr [FDP]: Aber wo steht das denn und übrigens auch alle Leute, die hier mit und ohne deut- im Bundeshaushalt 2020? Das steht doch gar schen Pass leben. Sie alle speisen unseren Steuertopf, nicht drin!) (Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!) Die obersten 3,5 Prozent können es sich, offen gestanden, leisten, ihn noch ein bisschen zu zahlen. Ein Appell an die und zwar in einer nennenswerten Größenordnung. CDU/CSU: Sobald wir über die Tarifkurve der Einkom- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stefan mensteuer reden – der Spitzensteuersatz gehört ein biss- Ruppert [FDP]) chen angehoben und die Kurve nach rechts geschoben –, können wir den Soli sofort komplett abschaffen. Es wäre Wenn viele davon gehen würden, dann würde hier alles toll, wenn CDU/CSU hier die Blockade aufgibt, dann zusammenbrechen, dann könnte auch der Bundesminister könnten wir etwas tun. Scholz, so gut er ist, keinen ausgeglichenen Haushalt vor- legen. Er braucht die Menschen, die Steuern zahlen. Wir (Beifall bei der SPD) alle brauchen sie. Wir nehmen die Steuern ein und ver- Wichtig sind natürlich die Familien. Durch das Fami- teilen sie wieder. lienentlastungsgesetz gibt es auch einen riesengroßen Be- (Peter Boehringer [AfD]: Die SPD treibt sie trag, der für die Binnennachfrage zur Verfügung steht. aber weg!) Der soziale Arbeitsmarkt ist eine sehr gute Idee, weil die Leute aus der verkrusteten Arbeitslosigkeit kommen, Die Leistungsfähigkeit des deutschen Volkes ist exor- die für Einzelne schon lange existiert. bitant. Wir haben 3 500 Milliarden Euro Bruttoinlands- produkt, ganz grob. Davon nimmt der Staat ungefähr Natürlich – das hat zwar nichts direkt mit Steuern zu 800 Milliarden Euro als Steuern ein und verteilt sie für tun, aber ohne die ginge es auch nicht –: 40 Milliarden das, was wir brauchen: in die gemeinwirtschaftlichen Euro Investitionen sind keine Kleinigkeit. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13547

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Gesine Lötzsch und Christian Kindler haben heute ge- Natürlich haben wir auch Investitionen nötig, und wir (C) sagt: Es muss mehr investiert werden. – Wäre das denn in haben auch Investitionen im Bereich der Umweltpolitik diesem Haushalt, in dieser Lage wirklich gut? Schauen und der Nachhaltigkeit nötig, die gut finanziert sind. Des- wir mal die Kapazitäten an, die die Wirtschaft zur Ver- halb denken wir über einen CO2-Preis nach. Wir sprechen fügung stellt. Nehmen wir an, wir würden 20 Milliarden von „CO2-Bepreisung“. Das, muss ich sagen, gefällt mir Euro mehr investieren. Was würde dann passieren? Sie nicht. Das ist eine Steuer, und deshalb nenne ich sie auch bekämen keine Schultoilette extra, Sie bekämen keine „CO2-Steuer“. Die Idee ist, dass wir diese Steuer an die Wohnung extra, Sie würden nur in den Preis investieren, Leute, die sich umweltfreundlich verhalten, auch an die der würde nämlich steigen. So eine „kluge“ Idee kann ich Leute, die es sich sozial nicht leisten können, zurückge- Ihnen gar nicht zutrauen, dass Sie sagen: Wir wollen in ben. Es sollen letztendlich nur die diese Steuer zahlen, die einer Phase investieren, in der keine Kapazitäten vorhan- sich umweltschädlich verhalten. Das ist doch eine sehr den sind. gute Idee. Das ist Steuerung vom Feinsten. Vorhin sagte jemand, Keynes wäre eine Sache für die (Beifall bei der SPD – Karsten Hilse [AfD]: Hochkonjunktur. Nein, Keynes ist eine Sache für die Totaler Bullshit! Mann, Mann, Mann!) Hochkonjunktur und die Rezession. Haben wir eine Die Reform des Mieterstroms steht an. Natürlich wol- Hochkonjunktur, hält sich der Staat zurück. Logisch, len wir die Mehrwertsteuer bei den Bahntickets absenken. dann macht es die Wirtschaft allein. Geht es der Wirt- Wir wollen die Stromsteuer absenken. Das sind alles ver- schaft schlecht, kümmert sich der Staat um Nachfrage, braucherfreundliche Maßnahmen, die aber letztendlich und dann dynamisiert er die Wirtschaft, die unter Druck natürlich auch der Binnennachfrage dienen. Wir haben gerät. Genau so macht man das. Wir nennen das antizyk- auch eine Kaufprämie für Elektrofahrzeuge und die Hal- lische Globalsteuerung. bierung der Dienstwagenbesteuerung im Blick. Das sind Wir haben die Grundsteuer als eine verlässliche Ein- alles sehr gute Instrumente, die uns helfen. nahme für die Kommunen entwickelt. Das befindet sich Wir arbeiten außerdem an globalen Systemen, und gerade noch im Gesetzgebungsverfahren, ist aber auf ei- zwar im ersten Schritt an einer Mindestbesteuerung und nem guten Weg. Da wäre es natürlich schon gut, was im zweiten Schritt an einer Digitalsteuer. Es ist ja in Ord- Verlässlichkeit angeht, wir würden aus der Kleinstaaterei nung, dass Google keine Steuern zahlt – für Google. Für noch ein bisschen rauskommen. Es wäre gut, wenn wir alle anderen ist es schlecht; denn Google nutzt unsere ein bundesweit einheitliches Gesetz und keine Extrawürs- Gesellschaften, um Gewinne zu machen. Also soll Goo- te für einzelne Länder hätten. Ich jedenfalls fände das sehr gle auch zurückgeben, was der Gesellschaften Ihres ist. wichtig. (B) (Beifall bei der SPD) (D) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern haben wir hier eine sehr gute, auch internatio- nale Aufstellung. Deshalb kann ich zu dem Haushalt nur Wir haben die Einkommensteuer durch Verschiebung gratulieren und noch mal allen Bürgerinnen und Bürgern der Eckwerte und Erhöhung der Freibeträge gesenkt. Der für eine faire Steuerzahlung danken. Bei denen, die nicht Minister hat erwähnt: Wir wollen auch Leuten mehr fair gezahlt haben, bedanke ich mich nicht. Steuern abnehmen. – Das stimmt. Wenn Leute heute ein Grundstück verkaufen, ist Grunderwerbsteuer zu zahlen. (Beifall bei der SPD) Wenn jemand von Ihnen da oben auf der Tribüne seinem Nachbarn ein Grundstück verkauft, dann ist Grunder- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: werbsteuer zu zahlen. Diese ist in den Ländern unter- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Dürr, schiedlich hoch, ungefähr 3 bis 6 Prozent. Wenn Sie die- FDP. ses Grundstück jetzt aber nicht an Ihren Nachbarn verkaufen, sondern es in eine GmbH geben und dann (Beifall bei der FDP) diese GmbH mit dem Grundstück an Ihren Nachbarn ver- kaufen, ja, dann ist keine Grunderwerbsteuer zu zahlen. Christian Dürr (FDP): Nun machen Sie das mit Ihrem Nachbarn zwar nicht, aber Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bestimmte Leute machen das. Die geben das Grundstück Kollegen! Herr Bundesminister Scholz, Sie haben in Ihrer in eine GmbH, und – wie ein Wunder – verkaufen sie gar Einbringungsrede von Bildung gesprochen, einer wichti- kein Grundstück mehr, sondern nur noch GmbH-Anteile. gen Zukunftsaufgabe auch für den Bund, wie wir gemein- Deshalb wollen wir ein Gesetz machen, das eben genau sam nach der Verfassungsänderung festgestellt haben. das verhindert. Tatsache ist: Ihre Bundesregierung kürzt im Einzelplan der Bundesbildungsministerin 70 Millionen Euro für den (Dr. Florian Toncar [FDP]: Das werden Sie kommenden Etat. Sie haben über Investitionen gespro- aber nicht schaffen mit Ihrem Entwurf!) chen. Tatsache ist: Sie planen einen Rückgang der Inves- Auch die Leute, die diesen Trick anwenden, sollen im titionsquote. Sie haben über das Thema Klimaschutz ge- Regelfall Steuern zahlen, damit wir auf der Einnahme- sprochen, Herr Scholz. Tatsache ist: Der Teil des seite dort stabilisieren, wo die großen Gewinne gemacht Bundeshaushaltes, der sich um das Thema Klimaschutz werden. Das ist eine sehr gute Sache. kümmert, wird überhaupt nicht vorgelegt. Sie haben, Herr Minister Scholz, über die schwarze Null gesprochen. Tat- (Beifall bei der SPD) sache ist: Sie brauchen, um diesen Bundeshaushalt zum 13548 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Christian Dürr (A) Ausgleich zu bringen, alte Kreditermächtigungen aus der zuschlag fällt, ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der (C) Asylrücklage. Mit anderen Worten: Sie brauchen neue deutschen Politik, die Sie zu beantworten haben, Kolle- Schulden. Das hat mit der schwarzen Null nichts zu tun. ginnen und Kollegen der CDU/CSU. Es ist ein Haushalt der gebrochenen Versprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: Auch die, die (Beifall bei der FDP) nicht regieren wollen, haben das zu verantwor- Ich will auch Ihre steuerpolitischen Vorhaben aufgrei- ten!) fen, die Sie hier angesprochen haben, und zwar als Erstes Ich will an dieser Stelle eine interessante Liste vorle- die Finanztransaktionsteuer. Es ist vorhin mehrfach ge- sen: , Hans Michelbach, Annegret sagt worden, auch von Herrn Binding gerade eben: Wir Kramp-Karrenbauer, Peter Strobel, Carsten Linnemann, haben eine Nullzinsphase. Die Kleinsparer sind insbeson- Markus Söder, Markus Blume, Albert Füracker, Ingo dere betroffen. Das heißt, wenn die Kleinsparer jetzt ver- Senftleben, Mike Mohring und Peter Altmaier. Das sind suchen, am Aktienmarkt wenigstens noch an eine Rendite alles Politiker von CDU und CSU, die seit Bildung der für ihr Erspartes zu gelangen, kommt Herr Scholz vorbei Großen Koalition Anfang 2018 die vollständige Abschaf- und nimmt ihnen das auch noch weg. Diese Politik geht fung des Solidaritätszuschlages gefordert haben. Mein gegen den Mittelstand, gegen den Mittelbau der Gesell- Lieblingszitat ist das des Kollegen Linnemann. Er hat schaft, Herr Scholz. gesagt: Der Soli gehört abgeschafft, sonst glaubt uns überhaupt keiner mehr. – Ja, es ist eine Frage der Glaub- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten würdigkeit. Die Union ist immer dann eine glühende An- der AfD) hängerin der Abschaffung des Soli, wenn sie das Herr Scholz, Sie haben den Solidaritätszuschlag ange- Scheitern auf die SPD schieben kann. Das ist die Wahr- sprochen. Ich habe über die Sommerpause die Bilder der heit Ihrer Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion gesehen. Da liegt dann jemand Union. im Liegestuhl mit einem Cocktail in der Hand, und das Geld fällt ihm sozusagen direkt in den Schoß. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) Bundestagsabgeordnete werden nach Ihrer Planung den Solidaritätszuschlag weiterhin in voller Höhe zahlen Es geht hier neben der Glaubwürdigkeit der deutschen müssen. Das ist, mit anderen Worten, das Selbstbild der Politik auch um das Grundgesetz für die Bundesrepublik SPD-Abgeordneten im Deutschen Bundestag: im Liege- Deutschland. Es ist eine Frage der Verfassung. Das ist stuhl liegen, und das Geld fällt vom Himmel. Ein interes- nicht nur die Meinung eines ehemaligen Präsidenten (B) santes Selbstbild, das Sie da haben. des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, nicht (D) nur die eines Kabinettsmitglieds, nämlich Ihres Kollegen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Das be- der AfD) stätigt nicht nur das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, das im Auftrag der Viel wichtiger ist: Sie haben zu Recht gesagt, Deutsch- CDU/CSU-Bundestagsfraktion erstellt wurde, sondern land drohe eine Rezession, ein wirtschaftlicher Ab- das ist auch die Meinung der breiten Mehrheit, die sich schwung. Aber die Wahrheit ist: Es sind nicht Millionäre juristisch auskennt. Es gibt in dieser Frage in Wahrheit und Milliardäre, die zuvorderst den Solidaritätszuschlag keine zwei Meinungen. Der Soli ist ab dem 1. Januar 2020 weiterhin zahlen sollen, meine Damen und Herren, son- verfassungswidrig. Wer erklärt, er werde einen Bundes- dern es ist der deutsche Mittelstand. Es trifft die kleinen haushalt verabschieden, in dem der Soli weiter eine Rolle und mittleren Familienbetriebe. Die wollen Sie weiter spielt – das sage ich sehr deutlich in Richtung des zahlen lassen, denen grätschen Sie in die Beine, Herr schwarzen Teils dieser Bundesregierung –, der begeht Minister Scholz. offenen Verfassungsbruch, und das dürfen Parlamentarier (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten im Deutschen Bundestag nicht tun. Das gehört sich nicht, der AfD) was Sie hier vorhaben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich will beim Thema Soli bleiben. Beim Etatentwurf Herzlichen Dank. für 2020 geht es nicht nur um den Haushaltsplan für das kommende Jahr. Vielmehr stehen wir – und das sage ich (Beifall bei der FDP und der AfD – Johannes in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der CDU/ Kahrs [SPD]: Sie hätten das alles ändern kön- CSU-Bundestagsfraktion – vor einer historischen Ent- nen, wenn Sie regiert hätten!) scheidung. Mit dem Solidaritätszuschlaggesetz in den 90er-Jahren ist das Versprechen verbunden gewesen, dass Vizepräsidentin : mit dem Auslaufen der Hilfen für Ostdeutschland dieses Das Wort hat der Kollege Fabio De Masi für die Frak- Gesetz wieder vollständig abgeschafft wird. tion Die Linke. (Beifall bei der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: (Beifall bei der LINKEN) Ihr wolltet ja nicht regieren! Ihr hättet das ja machen können!) Fabio De Masi (DIE LINKE): Deswegen sage ich in Richtung der Kollegen von der Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Union: Ob mit dem Haushalt 2020 auch der Solidaritäts- Finanzminister bemerkte vor einiger Zeit: Die fetten Jah- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13549

Fabio De Masi (A) re sind vorbei. – Aber für wen sind die fetten Jahre in (Otto Fricke [FDP]: Für Reiche!) (C) diesem Land vorbei: für die Arbeitnehmerinnen und Ar- Für Reiche. – Die Investoren sollen 2 Prozent Zinsen beitnehmer, für die Rentnerinnen und Rentner, für die bekommen, und wir verzichten freiwillig auf minus alleinerziehenden Väter und Mütter oder für die 45 0,4 Prozent Zinsen, die der Staat momentan bezahlen reichsten Haushalte in diesem Land, die so viel besitzen muss, und wir sollen diese Stiftung subventionieren, um wie die Hälfte der Bevölkerung und sich das nicht erar- so die Schuldenbremse auszutricksen. Jeder Dreijährige beitet haben? Diese Frage muss der vorliegende Haushalt versteht, dass das ein völlig beklopptes Geschäft für den beantworten. Staat ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie Herr Finanzminister, ich freue mich darüber, dass sich bei Abgeordneten der SPD, der AfD und des die SPD auf den Weg gemacht hat und wieder über die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erhebung der Vermögensteuer diskutiert. Das heißt doch nichts anderes, als dass wir das Geld zum (Beifall der Abg. Dr. [DIE Fenster rausschmeißen, nur um die Schuldenbremse ein- LINKE] und Lothar Binding [Heidelberg] zuhalten. Nichts verdeutlicht den Unsinn der Schulden- [SPD]) bremse besser als dieser Vorschlag von Herrn Altmaier. Ich will nicht kleinlich sein; ich bin auch gar nicht in der (Beifall bei der LINKEN) Position, kleinlich sein zu können. Aber man muss dann Es gibt gute Gründe, Investitionen über Kredite zu fi- auch so ehrlich sein, den Bürgerinnen und Bürgern zu nanzieren, zum Beispiel wenn sie Vermögen für zukünf- verraten, dass dies mit dieser Koalition nicht stattfinden tige Generationen schaffen. Wenn wir eine Universität für wird, Herr Finanzminister. Es wird die Vermögensteuer unsere Enkelkinder bauen, dann ist es doch logisch, dass nicht geben, wenn Sie weiter zusammen auf der Regie- sie nicht nur durch die heutigen Steuerzahlerinnen und rungsbank herumeiern. Steuerzahler finanziert wird, sondern dass die Finanzie- rung zeitlich gestreckt wird – jedes Unternehmen macht (Beifall bei der LINKEN – das so –, zumal wenn wir für jeden Euro, den wir uns [SPD]: Wenn Sie in der Opposition sitzen, auch heute leihen, morgen nur 90 Cent zurückzahlen müssen. nicht!) Wer das nicht tut, der würde auch mit einer Currywurst- Deutschland steht vor dem Abschwung. Es gibt inter- bude auf der Reeperbahn pleitegehen, Herr Scholz. nationale Unsicherheiten, Brexit und Handelskrieg. Das kann für Deutschland eine hässliche Sache werden, weil (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs (B) wir viel zu exportabhängig sind. Wir sind Drittletzte in [SPD]: Auch das gibt es!) (D) der OECD bei Investitions- und Bildungsausgaben. Für Weil Sie hier viel über Steuergerechtigkeit gesprochen ein Rilke-Zitat hat es bei Otto Fricke zwar noch gereicht; haben, will ich daran erinnern, dass der Cum/Ex- und der aber wir müssen mehr tun. Cum/Cum-Skandal unser Land nach Schätzungen bis zu 30 Milliarden Euro gekostet haben. Das entspricht 1 Mil- Weil Sie, Herr Scholz, hier über die 20er-Jahre gespro- lion Euro für jede Schule. Allein Cum/Ex hat 10 Milliar- chen haben, sage ich: Man darf sich nicht im Jahrhundert den Euro gekostet. Wir haben Verfahren laufen, bei denen irren. Schließlich haben wir wieder eine Vermögensver- es um 5,5 Milliarden Euro geht. Erst 2,4 Milliarden Euro teilung wie in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. sind zurückgeholt worden. Das heißt, 3 von 4 Euro, die Wir verspielen die Zukunft dieses Landes, weil in den die Cum/Ex-Gangster, die Gangster in Nadelstreifen, er- Schulen der Putz von der Decke bröckelt, weil unsere gaunert haben, liegen immer noch in deren Portemonnaie. Brücken marode sind und weil Zehntausende Wohnungen Darum müssen Sie sich kümmern, Herr Finanzminister. fehlen. Stattdessen haben Sie eine Verteidigungsministe- Dann wird es etwas mit der Zukunft dieses Landes, mit rin, die sagt: Wir müssen das 2-Prozent-Ziel der NATO, dem sozialen Zusammenhalt. Das können wir bei diesem also 2 Prozent der Wirtschaftskraft für Rüstung auszuge- Haushalt nicht erkennen. ben, erfüllen. Was passiert eigentlich, wenn das Brutto- inlandsprodukt sinkt? Senken Sie dann auch die Rüs- (Beifall bei der LINKEN) tungsausgaben dementsprechend? Ich frage das für einen Freund. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Anja Hajduk das Wort. Michael Hüther, ein arbeitgebernaher Ökonom – er ist bekanntlich nicht bei den Linken –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Otto Fricke [FDP]: Na ja, da wäre ich mir nicht Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): so sicher!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und kritisiert die „mitunter theologisch anmutende Begeiste- Herren! Sehr geehrter Herr Finanzminister, Sie haben rung für die Schuldenbremse“. Er sagt, das sei, „als ob der Ihre heutige Rede damit begonnen, darauf hinzuweisen, Staat Geldscheine auf dem Bürgersteig liegen lässt, statt dass der Haushalt für das Jahr 2020 der dritte Haushalt sie aufzuheben“. Und was schlägt Herr Altmaier vor? sei, den Sie vorlegen, und dass er solide sei. Ich möchte Herr Altmaier schlägt vor, dass wir eine Klimaanleihe dazu Folgendes sagen: Gestern ist ein Artikel mit der begeben. Überschrift „Unvollendet“ erschienen. Ich finde, das 13550 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Anja Hajduk (A) Wort „unvollendet“ ist noch eine freundliche Umschrei- genz und der Digitalisierung im Vergleich zu China und (C) bung für diesen Haushalt; denn das Grundgesetz ver- den USA stehen, dann sehen wir, dass wir da schon einen pflichtet Sie, einen Haushaltsplan vorzulegen, der alle richtigen Rückstand haben. Deswegen ist Ihre defensive Einnahmen und Ausgaben des Bundes enthält. Gleichzei- Art, wenn es um die Zukunftsinvestitionen unseres tig sagen Sie – ich zitiere aus dem genannten Artikel von Landes geht, verantwortungslos. gestern –: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Wir brauchen einen großen Wurf in der Klimapolitik, wenn wir als Regierung weiter eine Berechtigung haben Wir erhalten für unsere Vorschläge auch breite Unterstüt- wollen, das Land zu führen“ … zung. Wir brauchen nämlich eine Investitionsoffensive, bei der es genau um diese Zukunftsaufgaben geht. Wir Die ganzen Maßnahmen, die sich mit diesem Klimapaket müssen verlässlich, massiv, engagiert und mutig für den verbinden, das Sie auf den 20. September terminiert ha- Ausbau des Klimaschutzes, für moderne Technologien ben, werden wohl nicht finanzierungsneutral sein. Des- und für die Digitalisierung eintreten. wegen sage ich Ihnen: Das ist nicht nur ein unvollendeter Haushalt, sondern das ist ein unvollständiger Haushalt Herr Rehberg, ich kann Ihnen als letzten Punkt sagen: und, wie ich glaube, dem politischen Geist des Grundge- Das, was wir vorschlagen, orientiert sich, bezogen auf das setzes nicht angemessen. Schuldenregime, an den Maastricht-Kriterien, wonach unser Schuldenstand bei unter 60 Prozent des Bruttoin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) landsprodukts liegen muss. Deswegen ist das Neue, was Ich erwähne das, weil Sie sich hier hingestellt und außer- wir vorschlagen – die Gründung von Investitionsgesell- dem von der Entschuldung der Kommunen gesprochen schaften und die Auflegung eines Investitionsfonds –, im haben. Auch darüber findet sich nichts in diesem Haus- Rahmen unserer Verfassung und der Maastricht-Kriterien halt. sehr maßvoll und nachhaltig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir können nicht akzeptieren, dass das für den Deutschen Kollegin Hajduk, Sie müssen bitte zum Schluss kom- Bundestag die Basis der Beratung dieses Haushalts in men. erster Lesung sein soll. Dahinter steckt ja auch eine Not. Um diesen Haushalt Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „ohne neue Schulden“ dastehen zu lassen – da gebe ich Handeln Sie jetzt; denn unsere gute Zukunft gibt es dem Kollegen Dürr recht –, verbrauchen Sie eine Rück- wahrlich nicht zu Ihrem billigen Nulltarif. (B) lage von knapp 30 Milliarden Euro. Das kann man überall (D) nachlesen. Sich dann hier hinzustellen und zu sagen, die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ser Haushalt sei solide und komme ohne neue Schulden aus, ist selbstgerecht. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. h. c. Hans (Christian Dürr [FDP]: Genau!) Michelbach das Wort. Das zeigt auch, wo die GroKo steht. Sie ist in ihren Grundfesten überhaupt nicht stabil. Und die Menschen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) spüren das. Die Menschen wissen, dass Sie ihnen gar nicht die Antwort auf die Frage geben, wo Sie hinwollen. Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie verkaufen nur noch eine mühsam aufrechterhaltene Frau Präsidentin! Herr Bundesfinanzminister, Sie ha- Fassade. ben heute zur Haushaltseinbringung eine geradezu per- fekte Bewerbungsrede für den SPD-Vorsitz gehalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn es Ihnen nützt, soll es mir recht sein, aber zum und bei der FDP) Haushalt gehören natürlich immer auch Wahrheit und Dabei wäre es nötig, die Grundsatzfragen, was für eine Klarheit. Die Wahrheit ist, dass Sie beim Soli eben nicht Haushaltspolitik, was für eine Wirtschaftspolitik und was 90 Prozent aller Steuerzahler entlasten wollen, wie Sie für eine Klimaschutzpolitik wir im nächsten Jahr und für heute ausgeführt haben. 100 Prozent der mittelständi- die nächsten zehn Jahre brauchen, zu beantworten. Diese schen Kapitalgesellschaften sollen keine Entlastung be- Grundsatzfragen würden wir gerne mit Ihnen diskutieren. kommen, obwohl das gerade jetzt für Wachstum und Be- schäftigung dringlich wäre. Herr Scholz, Sie haben im Zusammenhang mit techno- logischen Innovationen für den Klimaschutz gesagt: Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten können das aufgrund des vorhandenen Know-hows. – Ich der CDU/CSU) glaube, da haben Sie einen wichtigen Punkt angespro- Ich glaube auch, dass man von einem Bundesfinanz- chen. Wir Grünen haben viel dafür getan und wollen auch minister erwarten können muss, dass er bereit ist, zu- weiter viel dafür tun, das technologische Know-how in nächst Dank an die Steuerzahler für deren Leistungen Europa zu erhalten – gerade vor dem Hintergrund der zu sagen. Herr Bundesfinanzminister, was mich gestört Herausforderungen im Klimaschutz und in der Digitali- hat, ist, dass Sie die Unternehmer demgegenüber gerade- sierung. Dass wir das in Europa können, ist aber keine zu an den Pranger gestellt haben, Selbstverständlichkeit. Wenn wir uns anschauen, wo wir als Deutschland und Europa bei der künstlichen Intelli- (Christian Dürr [FDP]: Ja!) 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Vizepräsidentin Petra Pau (A) indem Sie gesagt haben, dass sie eigentlich nur Steuer- Dieser Haushalt ist die Fortsetzung der konsequenten (C) hinterziehung im Kopf haben. Umsetzung des Koalitionsvertrages. Dazu gehören unter anderem weitere Erleichterungen für Arbeitnehmer und (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unfug, Familien sowie Maßnahmen zur Belebung des Woh- Herr Kollege! Man sollte doch keinen Unfug nungsneubaus und zur Wohnungseigentumsbildung für erzählen, nicht mal, wenn man in der CSU ist! Familien. Das wird sich im Geldbeutel der Bürger spürbar Wenn man das auch noch ablesen muss, wird es bemerkbar machen. Zudem erhöhen wir die Investitions- nicht besser!) mittel für die Infrastruktur, meine Damen und Herren. Nicht mit Gerechtigkeitsphrasen kann man unsere Auf- Das ist echte Zukunftsvorsorge. Deswegen muss man gaben politisch lösen. Man muss sich für die Leistung diesem Haushalt allen Respekt zollen. bedanken, die letzten Endes durch die Steuerzahler er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bracht wird. Wir haben eine Besteuerung nach der Leis- des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) tungsfähigkeit. Die oberen 10 Prozent der Steuerzahler tragen zu über 50 Prozent, die oberen 50 Prozent der Bereits jetzt hat diese Koalition 61 Prozent der verein- Steuerzahler zu über 90 Prozent zum Einkommensteuer- barten Vorhaben umgesetzt oder substanziell in Angriff aufkommen bei. Das gilt es anzuerkennen, meine Damen genommen. Das ist rekordverdächtig, das ist ein deutli- und Herren. cher Leistungsnachweis. Aber die Haushaltspolitik muss sich natürlich immer auch dem Effizienzgedanken stel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und len. Deswegen halte ich es für richtig, dass die Effizienz der FDP) der Haushaltsansätze stärker geprüft wird. Die Wahrheit ist aber auch: Meine Damen und Herren, so weit, so gut. Aber ich komme nicht darum herum, etwas Wasser in den Wein zu (Johannes Kahrs [SPD]: Dass bei Ihnen keiner schütten. Wir sehen, dass die konjunkturelle Dynamik zu in der Union klatscht, das ist die Wahrheit!) lahmen beginnt und bereits erste Bereiche des Arbeits- Mit dem heute eingebrachten Haushaltsentwurf 2020 und marktes tangiert werden. Die wirtschaftliche Entwick- der mittelfristigen Finanzplanung setzt die Koalition die lung fordert eine Antwort auf die Frage, wie wir die wirt- solide Haushaltspolitik fort. Dieser Haushalt stellt sich schaftliche Dynamik erhalten und wieder verbessern. Wir den aktuellen und künftigen Herausforderungen. Wir dürfen nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen kommen zum siebten Mal in Folge ohne neue Schulden ist. Wir müssen einer Rezession vorbeugen, eine Rezes- aus. Die Wahrheit ist: Wir halten mit diesem Haushalts- sion verhindern. Alles andere wäre verantwortungslos ge- entwurf die Kriterien des Euro-Stabilitätspakts vollstän- genüber den Menschen in unserem Land. Deshalb müs- (B) (D) dig ein. Auch die Einhaltung des 60-Prozent-Kriteriums sen wir handeln und insbesondere auch die steuerlichen in Bezug auf die Gesamtverschuldung ist ein wichtiger Rahmenbedingungen für die Bürger und die Wirtschaft Erfolg unserer Finanzpolitik, ein wichtiger Erfolg dieser verbessern; das ist die Aufgabe der Gegenwart. Das be- Koalition, den man nicht kleinreden darf, meine Damen trifft die steuerliche Forschungsförderung, eine Moder- und Herren. Das ist ein wichtiger Beitrag, um die Heraus- nisierung der Unternehmensbesteuerung, ein umfassen- forderungen der Zukunft besser zu bewältigen. des Soli-Abschaffungsgesetz, um bei den Steuerzahlern Vertrauen zu erreichen, Angesichts der Rekordsteuereinnahmen und einer im- mer noch guten Wirtschaftsentwicklung sind wir gerade- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) zu verpflichtet, diesen Weg der Tugend beizubehalten. und eine Grundsteuerreform ohne Steuererhöhungen. Wir dürfen jetzt nicht Belastungen für die Zeiten auf- Die Grundsteuer darf nicht zu einer verkappten neuen bauen, in denen die Steuereinnahmen vielleicht nicht Vermögensteuer degeneriert werden, meine Damen und mehr so gut fließen wie heute. Ich sage dies mit Blick Herren. auf manche Diskussionen und Forderungen, zum Schuldenmachen zurückzukehren, wie wir es heute von (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Grünen gehört haben, weil das Schuldenmachen der- der CDU/CSU) zeit so billig sei, wie sie sagen. Ich kann darauf nur ent- gegnen: Wo bleibt denn da Ihr Nachhaltigkeitsgedanke? Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Die Leistungen für die Bürger werden vor Ort finanziert. Des- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wegen habe ich kein Verständnis dafür, dass jetzt ein Bundesland die Umlagefähigkeit der Grundsteuer ändern Wer so denkt, denkt nicht über das Heute hinaus. Wer so will. Letzten Endes ist es ja nicht der Vermieter, der die denkt, schadet der Glaubwürdigkeit einer zukunftsge- Infrastruktur vor Ort nutzt, sondern der Mieter nutzt die rechten Finanzpolitik. Leistungen der Kommunen vor Ort. Deswegen kann es nicht sein, dass wir hier zu einer Veränderung der der- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zeitigen Situation kommen. Die Politik der schwarzen Null ist erfolgreich, und sie Zum Schluss möchte ich dafür werben, dass wir im ist ein wichtiges Signal. Deutschland ist damit ein Stabi- Interesse einer guten Zukunft unseres Landes und seiner litätsanker in der EU, ein Anker einer stabilen Währung, Menschen nicht nachlassen. Das muss sich auch in der eines stabilen Euro. Dazu gehören Ausgabendisziplin, Finanzpolitik widerspiegeln. Förderung des Wirtschaftswachstums und eben keine Steuererhöhungen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 13552 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Es macht eben schon einen Unterschied, wer regiert. Das (C) Abgeordneten der FDP) wird auch beim Haushalt der neuen Verteidigungsminis- terin deutlich. Olaf Scholz sorgt für einen deutlichen An- Vizepräsidentin Petra Pau: stieg der Mittel für die Finanzierung der Bundeswehr, aber er hechelt keinem 2-Prozent-Ziel hinterher, sondern Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die macht es angemessen und klug: 6 Milliarden Euro mehr SPD-Fraktion. als 2018. Ich denke, das kann sich sehen lassen. (Beifall bei der SPD) Wer schafft das alles, meine Damen und Herren? Da- mit möchte ich auf Herrn Michelbach reagieren. Das sind Andreas Schwarz (SPD): zum einen die fleißigen Menschen, die hier Tag für Tag Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! arbeiten gehen, und es sind zum anderen natürlich fleißi- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Ver- ge, innovative und risikobereite Unternehmer, lauf der Debatte fällt mir ein Zitat ein: (Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ Tadeln ist leicht, deshalb versuchen sich so viele darin. CSU]: Wie der Kollege Schwarz!) Mit Verstand loben ist schwer, darum tun es so wenige. die bereit sind, Arbeitsplätze zu schaffen und zu investie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beginnen heute ren. Die erwarten von uns, dass wir so regieren, wie wir mit der parlamentarischen Beratung zum Bundeshaushalt regieren, und vor allen Dingen ohne neue Schulden; denn 2020. das sorgt für Generationengerechtigkeit. ( [FDP]: Jetzt sind wir aber (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas gespannt!) Mattfeldt [CDU/CSU]) Der Auftakt ist gelungen, und ich verrate Ihnen auch Welches Signal sendet dieser Haushalt an Europa und gerne, warum. Unser Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Welt, meine Damen und Herren? Erstmals seit 17 Jah- hat einen Etatentwurf vorgelegt, der die drei wesentlichen ren erfüllen wir wieder die Maastricht-Kriterien, und das Herausforderungen und Erwartungen der Menschen in in einer Zeit, in der es in ist, Verträge zu brechen. Damit unserem Land voll erfüllt. Was wollen denn die Men- geht Deutschland mit gutem Beispiel voran. Unsere Bot- schen in unserem Land? Sie wollen Investitionen in die schaft an die Welt ist: Wir sind ein wirtschaftlich starker Zukunft, sie wollen die Stärkung des gesellschaftlichen und zuverlässiger Partner. Auf uns können sich Europa Zusammenhalts, und sie wollen keine neuen Schulden. und die Welt verlassen. (B) Und ich kann festhalten: Noch nie wurde in diesem Land (D) so viel investiert, wie es die aktuelle Große Koalition Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, die Ergebnisse der macht. Beratungen des Klimakabinetts werden wir noch in die- sen Haushalt gießen müssen. Ich bin aber optimistisch, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass diese Koalition die Kraft aufbringen wird, für einen der CDU/CSU) starken Klimaschutz mit sozialem Ausgleich und mit Verglichen mit der letzten Legislaturperiode investieren Blick auf die Industrie etwas Vernünftiges zu formen. wir fast 160 Milliarden Euro – das sind 40 Milliarden Dieser Dreiklang muss unser Ziel sein. Euro mehr; das ist ein Anstieg um 30 Prozent –, weil Meine Damen und Herren, als Berichterstatter zum wir das können. Das ist die Botschaft, die wir an das Land Einzelplan 08 will ich noch ein paar Worte zum Haushalt senden. Das sind Investitionen in die Zukunft unseres des Bundesfinanzministeriums sagen. Unter Vizekanzler Landes, in Schule, in den Klimaschutz, in den Breitband- Olaf Scholz haben wir für eine Trendwende beim Zoll ausbau, in Bildung und Forschung und somit in die Zu- gesorgt. Warum? Der Zoll hat in den letzten Jahren sehr kunftsfestigkeit Deutschlands. viele Aufgaben bekommen, ist aber personell und aus- Schauen wir uns die Vergleichszahlen aus der Zeit, als stattungstechnisch nicht mitgewachsen. Mit den letzten Schwarz-Gelb regierte, an. Bundeshaushalten haben wir für Tausende neue Stellen gesorgt. Nun sorgen wir für eine bessere Ausstattung und (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das war auch auch für umfangreichere Ausbildungsmöglichkeiten und nicht schlecht!) -kapazitäten. Das ist ein klares Signal an die 40 000 Zöll- Das war auch nicht schlecht, aber wir sind besser. nerinnen und Zöllner in unserem Land. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 2013 betrugen die Investitionen 24,8 Milliarden Euro; heute sind es circa 40 Milliarden Euro. Die Ausgaben für Wir stärken auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit Bildung und Forschung lagen 2013 bei 17,9 Milliarden mit zusätzlichen Kompetenzen und Personal. Auch das Euro; 2020 sind es 25 Milliarden Euro. Bei den Ausgaben Bundeszentralamt für Steuern verstärken wir. Was bedeu- für innere und äußere Sicherheit lagen wir Ende 2013 tet dies konkret? Früher oder später bekommen wir sie, unter Schwarz-Gelb bei 36,5 Milliarden Euro; 2020 sind die Steuertrickser; denn Steuerhinterziehung und Steuer- es 50,9 Milliarden Euro. gestaltung werden immer schwieriger. Die Menschen in unserem Land erwarten von uns, dass Steuern gerecht, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ehrlich und fair gezahlt werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13553

Andreas Schwarz (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss darf ich des Bundes“. Ohne den Druck der Haushälter im Bundes- (C) anmerken: Ich freue mich auf intensive Wochen der Be- tag ginge bei dieser Sache nichts voran. ratung. Ich wünsche uns Haushältern insgesamt viel Kraft, gute Ideen und ein glückliches Händchen. Glück Eine transparente Gesamtübersicht durch das Finanz- auf und allen eine gute Zukunft! ministerium brauchen wir insbesondere auch dort, wo wir ressortübergreifend in Schlüsseltechnologien investieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich denke hier allen voran an das Thema „künstliche der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Sehr Intelligenz“. Nahezu jedes Ressort legt hierzu Program- gute Rede!) me auf, stellt Mittel zur Verfügung und setzt Schwerpunk- te. Das gilt es nicht zu kritisieren. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir brauchen aber eine Übersicht, um zu prüfen, in- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Tankred Schipanski wieweit es um effektiven Mitteleinsatz geht, inwieweit das Wort. Doppelungen vermieden oder Synergien genutzt werden – und dies gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU) im internationalen Vergleich im Bereich „künstliche In- telligenz“ relativ geringe Summen investiert. Wenn wir in Tankred Schipanski (CDU/CSU): die USA blicken, sehen wir: Pro Jahr sind es dort 1,3 Mil- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! liarden Dollar. In China sind es bis 2030 gut 150 Milliar- Meine Damen und Herren! Schwerpunktthema der Koa- den Dollar, die in KI investiert werden. Die Bundesregie- lition und dieses Haushaltes ist die Digitalisierung. Es ist rung hat in ihrer Strategie Künstliche Intelligenz guter Brauch bei den Haushältern geworden, die Haus- immerhin 3 Milliarden Euro angekündigt. Herr Finanz- haltsansätze der Digitalpolitik in der allgemeinen Aus- minister, als Parlamentarier gehe ich natürlich davon aus, sprache zum Bundeshaushalt sowie bei den dass es sich um frisches Geld handelt, und nicht um Schlussrunden zu beleuchten. Dafür herzlichen Dank! schöngerechnete Summen bereits bestehender Projekte. Von dieser Möglichkeit möchte ich im Folgenden auch Generell werden wir die Höhe dieser Investitionssum- gerne Gebrauch machen. me im Verhältnis zu den internationalen Investitionen Die Koalition hat sich bewusst gegen ein Digitalminis- aber überdenken müssen. Die CDU/CSU-Bundestags- terium entschieden. Sie sieht richtigerweise in jedem Res- fraktion hat auf ihrer Klausurtagung in der vergangenen sort ein Digitalressort. Dies wird dem Querschnittscha- Woche in Potsdam das Themenfeld „Künstliche Intelli- rakter der Materie gerecht, stellt aber insbesondere für die genz“ noch mal beleuchtet und Themenschwerpunkte oder Projekte benannt, beispielsweise ein Sonderpro- (B) Haushaltspolitiker eine große Herausforderung dar. Da- (D) bei sind wir insbesondere auf ein kooperatives Zusam- gramm für das Anziehen junger Talente, sogenannte KI- menwirken mit dem Bundesfinanzministerium angewie- Exzellenzprofessuren, aber auch noch einmal gefordert, sen. dass das Bundeswirtschaftsministerium die versproche- nen KI-Transferzentren einrichtet, aber natürlich auch Mit der Umsetzungsstrategie „Digitalisierung gestal- das große Cloud-Projekt „Gaia-X“ vorantreibt. ten“ wurde ein umfangreiches Aufgabenbuch mit 111 Vorhaben für diese Legislatur vorgelegt. Die Herausfor- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weitere derung dabei: Es gibt keinen eigenen Digitalhaushalt, und parlamentarische Hausaufgaben im Bereich der Digital- damit aktuell auch keine übersichtlichen Aufstellungen politik für diesen Haushalt benennen. Um digitale PS auf aller Ausgaben für Digitalisierungen. Jedes Ministerium die Straße zu bringen, ist es notwendig, dass wir im Bun- verortet zahlreiche Digitalisierungsprojekte in seinen desinnenministerium das Programm „Modellprojekte Einzelplänen, ob es sich um Zuwendungen an Dritte han- Smart Cities“ fortführen, dass wir die 5G-Pilotregionen delt oder um Projekte, die die Digitalisierung der Bundes- erweitern – ein wichtiges Programm im Bundesverkehrs- verwaltung selbst betreffen. Es gibt zudem keine genaue ministerium –, dass wir für die Umsetzung des Online- Definition dessen, was als Digitalisierungsprojekt gilt zugangsgesetzes dem Innenministerium und seinen nach- und was nicht. Doch wir brauchen eine transparente Ge- geordneten Behörden die notwendigen zusätzlichen samtübersicht, um wirklich nachvollziehen zu können, Stellen und die notwendigen Investitionssummen zur welche Prioritäten die Regierung in ihrer Digitalpolitik Verfügung stellen, dass wir für die Umsetzung des IT- setzt, ob die Maßnahmen sinnvoll ineinandergreifen, ob Sicherheitsgesetzes 2.0 das Bundesamt für die Sicherheit die Investitionen zielgenau getätigt werden, um dann ge- in der Informationstechnik mit den notwendigen Stellen gebenenfalls nachsteuern zu können. ausstatten und dass wir die Games-Förderung, die wir im letzten Haushaltsjahr im Haushalt des Bundesverkehrs- Diese transparente Gesamtübersicht fordere ich an die- ministeriums begonnen haben, auf gleichem Niveau fort- ser Stelle vom Bundesfinanzministerium ein. Den Ver- schreiben. such einer Übersicht hatte das Bundesfinanzministerium nach einer Berichtsanforderung von Kollegin Hajduk im Ich könnte die Aufzählung der vielen Einzelmaßnah- Mai 2018 unternommen. Es blieb aber eben nur ein Ver- men noch fortführen. Sie sehen, die haushalterischen such. Eine nachvollziehbare, transparente Gesamtüber- Aufgaben im Digitalbereich sind nicht nur facettenreich, sicht war das nicht. Parlamentarische Steuerung und Kon- sondern auch herausfordernd, mit Blick auf die ressort- trolle lassen sich mit diesen Informationen nur übergreifende Koordinierung der Digitalpolitik. Um die- unzureichend ermöglichen. Wie notwendig eine Nachjus- se Aufgabe effektiv wahrnehmen zu können, brauchen tierung ist, zeigt das Mammutprojekt „IT-Konsolidierung wir also eine transparente Aufschlüsselung und Zusam- 13554 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Tankred Schipanski (A) menfassung der Digitalisierungsansätze des Bundeshaus- Wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik (C) halts, die die ambitionierte Digitalpolitik mit Zahlen un- Deutschland in den letzten 40 Jahren mehrfach solche termauern. Das muss unser Anspruch für die Aufstellung Momente gehabt. Otto Graf Lambsdorff hat die Bedeu- des nächsten Bundeshaushalts sein. Das ist ein wichtiger tung von Wirtschaft und Wachstum 1982 mit seinem The- Auftrag für das Bundesfinanzministerium, damit wir die- senpapier in den öffentlichen Diskurs gerückt. Auch der se Zukunftsinvestitionen zielgenau steuern können. damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte den Mut, mit der Agenda 2010 auch vielen in den eigenen Unsere Digitalisierungsstrategie ist auch eine klare In- Reihen unbequeme Wahrheiten zu sagen. Ich meine, es vestitionsstrategie in unsere Zukunft. In diesem Sinne ist auch jetzt wieder an der Zeit, dass wir uns darüber wünsche ich uns gute Beratungen dieses Haushalts. verständigen, was geschehen muss, damit die Anzahl der Arbeitsplätze dauerhaft hoch bleibt, damit in die Zu- Vielen Dank. kunft investiert wird und damit die Wirtschaft nachhaltig (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei wächst. Abgeordneten der SPD) (Zuruf des Abg. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzdebat- Ich habe mit einigen von Ihnen hier, von der Opposi- te liegen nicht vor. tion vor allen Dingen, im letzten Jahr diskutiert, wann endlich die Mittelstandsstrategie des Bundeswirtschafts- Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums kommt, die ich 2018 in der Tat angekündigt ministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzelplan hatte. Wir haben die Eckpunkte dieser Strategie im Au- 09. gust vor meiner Mittelstandsreise präsentiert. Ich kann sagen: Ich habe aus allen Teilen des Landes, von allen Das Wort hat Bundesminister Peter Altmaier. Verbänden, von allen Betroffenen dafür ein hohes Maß an Unterstützung bekommen. Die Menschen fühlen sich er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mutigt, weil deutlich wird, dass wir ihnen nicht immer mehr wegnehmen, sondern dass wir ihnen auch etwas Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und zurückgeben wollen, weil wir die Themen ansprechen, Energie: die die Menschen umtreiben. Deshalb: Geben Sie sich Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und heute einen Ruck und sagen Sie auch einmal etwas Posi- Herren! Wir haben in den letzten Wochen und Monaten tives über die Politik dieser Bundesregierung! Die Wäh- (B) nicht nur gute Nachrichten zur konjunkturellen Entwick- lerinnen und Wähler werden es Ihnen danken. (D) lung bekommen. Aber es liegt mir sehr daran, noch ein- mal zu unterstreichen: Was wir an rückläufigem Wachs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei tum, an enttäuschenden Zahlen erlebt haben, das ist zum Abgeordneten der SPD) überwiegenden Teil außenwirtschaftlich bedingt. Das Wir haben ja in den letzten Monaten einiges auf den hängt damit zusammen, dass weltweit in vielen Bereichen Weg gebracht. Wir haben bei der steuerlichen Förderung Handelskonflikte die Wirtschaftsbeziehungen belasten. von Forschung und Entwicklung einen neuen Weg be- Was die deutsche Wirtschaft angeht, insbesondere den schritten. Ich hätte mir gewünscht, dass wir noch ein biss- Mittelstand, die vielen Hidden Champions, die Hand- chen mutiger herangegangen wären. Die steuerliche För- werksunternehmen und viele andere, im Baugewerbe, derung von Forschung und Entwicklung ist ein aber auch in weiteren Bereichen: Dort ist die Wirtschafts- Instrument, das vor allem mittelständischen Unterneh- leistung nach wie vor gut, findet nach wie vor Wachstum men zugutekommt. Wir werden sie so ausgestalten, dass statt. Deshalb sage ich: Ich bin stolz auf diese Leistung, von der Auftragsforschung gerade die Mittelständler, die die jetzt zehn Jahre in Folge von den mittelständischen keine eigenen FuE-Abteilungen haben, profitieren. Unternehmen in Deutschland erbracht wird. Wir sind dabei, beim Soli einen ersten Schritt zur Ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei lastung von vielen, vielen Bürgerinnen und Bürgern in Abgeordneten der SPD) Deutschland in der Größenordnung von über 10 Milliar- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir den Euro zu machen. Aber ich sage auch – auch wenn es nicht wollen, dass aus der Wachstumsschwäche, aus der im Bundeskabinett, in der Bundesregierung im ersten An- Wachstumspause, die wir im zweiten Quartal erlebt ha- lauf noch nicht möglich war, dazu einen Konsens zu er- ben, eine Delle in der wirtschaftlichen Entwicklung wird, zielen –: Aus Sicht des Bundeswirtschaftsministers brau- wenn wir wollen, dass der Aufschwung sich auch im chen wir Klarheit, wann der Soli für alle und endgültig zehnten und elften Jahr fortsetzt, dann dürfen wir die ausläuft. Krise jetzt nicht herbeireden, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Zuruf von der AfD) des Abg. Karsten Klein [FDP]) und dann müssen wir der Wirtschaft jetzt Signale geben, Dass wir uns dabei an den Realitäten orientieren, dass wir die das Vertrauen stärken, die Investitionskräfte freiset- eine solide Haushaltsführung nicht gefährden, das ver- zen und dafür sorgen, dass sich unternehmerisch denken- steht sich von selbst. Aber ich würde mir wünschen, dass de Menschen ermutigt fühlen. wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13555

Bundesminister Peter Altmaier (A) mal darüber nachdenken, was notwendig ist, um diese sind, nicht am Ende die Verlierer sind. Wir hatten früher (C) Planungssicherheit zu erzielen. in den 70er- und 80er-Jahren beim Strukturwandel in der Kohle- und Stahlindustrie keine aktiven Begleitmaßnah- Wir haben mit dem Bundesfinanzminister in den letz- men des Bundes beschlossen. Wir haben jetzt zum ersten ten Monaten darüber gesprochen, dass es notwendig ist, Mal, noch bevor der Strukturwandel stattfindet, dafür ge- die Personengesellschaften zu entlasten, dass es notwen- sorgt, dass Neues entstehen kann. Wir wollen eben nicht dig ist, für den Fall, dass Geld im Unternehmen investiert nur Straßen bauen, wir wollen nicht nur neue Gewerbe- wird und dort bleibt, bessere und günstigere Regelungen gebiete erschließen – das ist alles sehr wichtig –, sondern im steuerlichen Bereich zu schaffen. Der Bundesfinanz- wir wollen vor allen Dingen auch erreichen, dass inves- minister hat sich dazu öffentlich geäußert, deshalb kann tiert wird. Deshalb gibt es einen Vorschlag, über den wir ich das hier sagen. Ich würde mir jedoch wünschen, dass im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal dis- wir schnell und zügig zu einem Konzept kommen, das in kutieren werden, nämlich den der Einführung einer AfA, der Öffentlichkeit vorgestellt werden kann, weil auch da- um Investitionen gezielt anzureizen. von für viele Unternehmerinnen und Unternehmer ein Anreiz ausgehen würde, Gewinne im Unternehmen zu Meine sehr verehrten Damen und Herren, in wenigen belassen und nicht für konsumtive Zwecke zu verwenden. Tagen wird das Klimakabinett der Bundesregierung zu- sammentreten, und wir werden dort darüber entscheiden, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wie wir langfristig erreichen wollen, dass unsere Klima- Ich wünsche mir, dass wir darüber hinaus einen Ein- ziele für 2030 und danach eingehalten werden. Wir fühlen stieg finden in eine umfassende Körperschaft- und Unter- uns dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet. Aber, nehmensteuerreform. Meine sehr verehrten Damen und meine sehr verehrten Damen und Herren, Herren, wir haben erlebt, dass die USA von den weltwei- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten Abschwungtendenzen in der Wirtschaft bislang weni- NEN]: Das „Aber“ ist das Problem, Herr ger erfasst werden als andere Länder. Alle Experten sagen Altmaier!) uns: Es hat auch etwas damit zu tun, dass man dort den Mut zu dieser Unternehmensteuerreform hatte. Wir haben es ist auch von entscheidender Bedeutung, dass wir so erlebt, dass auch in Großbritannien und in Frankreich weit als möglich marktwirtschaftliche Mittel beschließen, Debatten über die Höhe der Unternehmensteuern geführt weil der Markt die Ziele schneller und billiger erreicht als werden, was am Ende dazu führen könnte, dass Deutsch- jede staatliche dirigistische Politik. land im internationalen Vergleich zurückfällt. Das ist kei- ne ideologische Debatte. Es ist für eine Volkswirtschaft, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die 51 Prozent ihrer Industrieproduktion in andere Länder neten der FDP – Oliver Krischer [BÜND- (B) exportiert, von entscheidender Bedeutung, dass es attrak- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt kein (D) tiv bleibt, in den Standort Deutschland zu investieren und Gegensatz!) hier zu produzieren. Ansonsten dürfen Sie sich nicht be- Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass wir nicht klagen, wenn Unternehmen mehr darüber nachdenken, mit Verboten operieren, sondern mit marktwirtschaftli- wie sie neue Arbeitsplätze im Ausland schaffen können, chen Instrumenten. statt hier bei uns – dort, wo sie dringend gebraucht wer- den. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden seit zwei Jahren darüber! – Weiterer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie des Abg. Reinhard Houben [FDP]) müssen mal handeln!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Ich habe gestern einen Vorschlag vorgelegt, der dazu vor wenigen Wochen im Bundeskabinett das Strukturstär- führen kann, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger ei- kungsgesetz beschlossen und in den Bundestag einge- nen Anreiz haben, mit dazu beizutragen, dass die notwen- bracht. Wir halten Wort, wir halten Wort gegenüber den digen Investitionen getätigt werden. vielen, vielen Tausend Beschäftigten im Bereich der Braun- und Steinkohle sowie in der Elektrizitätswirt- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaft. Wir sorgen dafür, dass neue Arbeitsplätze entste- NEN]: Geldverschwendung ist das, was Sie hen und dass eine bessere Infrastruktur gebaut wird, und da vorschlagen!) zwar lange bevor die alten Kraftwerke dann irgendwann Die Idee der Gründung einer Bürgerstiftung Klima- durch moderne, umweltverträglichere Energieproduzen- schutz ist auch schon von Sozialdemokraten, zum Bei- ten ersetzt werden. spiel Matthias Miersch, und von Alexander Dobrindt ge- äußert worden. Eine Bürgerstiftung kann helfen, das (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Engagement ganz vieler zu erreichen und damit auch „Irgendwann“?) Investitionen in Klimaneutralität zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, das ist für die Glaubwür- digkeit der Politik von hoher Bedeutung. Wenn wir er- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE reichen wollen, dass die populistischen Stimmenfänger GRÜNEN]: Das ist das Geld der Steuerzahler!) von rechts und von links keine Chance haben, dann müs- Meine sehr verehrten Damen und Herren, der letzte sen wir deutlich machen, dass wir auch die Gelder zur Punkt, der mir wichtig ist: Die Entscheidung über eine Verfügung stellen, die dafür notwendig sind, damit die CO2-Bepreisung werden wir uns nicht einfach machen. Regionen, die vom Strukturwandel am meisten betroffen Wir werden auch dies marktwirtschaftlich lösen. Aber der 13556 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Bundesminister Peter Altmaier (A) entscheidende Punkt ist: Wir müssen die Einnahmen wie- Automobilausstellung, fordern sogenannte Aktivisten so- (C) der an die Bürgerinnen und Bürger und an die Unterneh- gar in aller Öffentlichkeit, die Grenzen des legalen Pro- men zurückgeben. tests zu überschreiten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE Neben der Automobilindustrie fährt die Regierung GRÜNEN]: Sagen Sie mal, wie!) aber auch unsere Energieversorgung an die Wand. Aus der Kernkraft und der Kohleverstromung auszusteigen, Weil wir in Europa das Land mit den höchsten Strom- ohne dass das Problem der Speicherung von Wind- und preisen für private Haushalte und mit den zweithöchsten Solarstrom gelöst ist, Strompreisen für die Industrie sind, ist es für mich als Wirtschaftsminister wichtig, diese Chance zu nutzen, (Zuruf von der SPD: Was?) um die Netzentgelte und die Strompreise in Deutschland sowie die EEG-Umlage zu senken. Damit leisten wir ei- gefährdet die Versorgungssicherheit, meine Damen nen Beitrag dazu, dass die Klima- und Energiewende ge- und Herren. lingt und die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass die Politiker in der Bundesregierung und im Parlament ihre (Beifall bei der AfD – [DIE Probleme ernst nehmen und entschlossen handeln. LINKE]: Schwachsinn! Keine Ahnung!) Jetzt debattieren wir hier über den Haushalt des Wirt- Vielen Dank. schafts- und Energieministeriums, und ein wichtiger Son- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei derhaushalt, der Energie- und Klimafonds, liegt uns noch Abgeordneten der SPD) nicht einmal vor. Das ist eine Missachtung des Parla- ments. Vizepräsidentin Petra Pau: Der Rechnungshof hat massive Kritik an der Steuerung Das Wort hat der Abgeordnete Volker Münz für die und Umsetzung der Energiewende geübt. Er hat gefor- AfD-Fraktion. dert, dass die Bundesregierung endlich die Ziele Bezahl- barkeit und Versorgungssicherheit konkret definiert und (Beifall bei der AfD) die Kosten transparent macht. Der Rechnungshof kommt zu dem niederschmetternden Ergebnis, dass – so wört- Volker Münz (AfD): lich – „das Risiko des Vertrauensverlusts in die Fähigkeit Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister von Regierungshandeln“ besteht, und zwar dann, wenn Altmaier! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem die Kosten der Energiewende weiter ansteigen und die Jahr hieß es noch von der Bundesregierung und von allen Ziele weiterhin verfehlt werden. Und das werden sie, (B) (D) Seiten links von meiner Fraktion, Deutschland sei in einer meine Damen und Herren! Wir werden damit das Klima guten wirtschaftlichen Verfassung. Dabei war schon seit der Welt nicht nennenswert beeinflussen können. Langem klar, dass das Wachstum nicht ewig andauern würde, auch nicht mit einer Negativzinspolitik und der (Beifall bei der AfD) Geldschwemme durch die EZB. Stattdessen wird riesiges Volksvermögen vernichtet. (Beifall bei der AfD) Es werden Kosten verursacht, die in die Hunderte von Milliarden Euro gehen. Die betriebene Energiewende ist Deutschland befindet sich am Beginn einer Wirt- ökologisch kontraproduktiv, ökonomisch gesehen Hara- schaftskrise, und die ist zu einem großen Teil hausge- kiri und sozial ungerecht. macht, und zwar von dieser Regierung, meine Damen und Herren. (Beifall bei der AfD – [SPD]: Wo waren Sie heute Morgen kurz vor 9?) (Beifall bei der AfD) Schon bald werden Heulen und Zähneklappern einset- Insbesondere unsere Schlüsselindustrie, die Automobil- zen. Dann wird es keine Fridays-for-Future-Demonstra- branche, wird mutwillig an die Wand gefahren. Zum Ver- tionen mehr geben, sondern Mondays for Jobs, meine sagen von Regierung und Parlament bei der Festlegung Damen und Herren. nicht rational begründeter Abgasgrenzwerte kommt – wohl wahr – auch das Versagen der Automanager hinzu. (Beifall bei der AfD – Falko Mohrs [SPD]: Wie Die Automobilindustrie und die Autokonzerne haben die schlecht ist das denn!) absurden Abgasgrenzwerte akzeptiert, anstatt die Politik von etwas Besserem zu überzeugen. Aber jetzt muss es Unser Wohlstand als Basis für unseren Sozialstaat und darum gehen, unsere wichtigste Branche und Millionen für den inneren Frieden wird aufs Spiel gesetzt, und hier direkt und indirekt betroffene Arbeitsplätze zu schützen, stehen uns noch einige Zerreißproben bevor. Es ist an der meine Damen und Herren. Zeit, dass der Wirtschaftsminister und die Regierung Ver- nunft walten lassen und der Wirtschaft und den Bürgern (Beifall bei der AfD) keine neuen Verbote und Belastungen wie zum Beispiel Stattdessen hat die Politik dazu geführt, dass eine Hetz- die CO2-Steuer auferlegen, sondern sie entlasten. jagd auf die eigene Automobilindustrie stattfindet. Da Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. werden noch mehr Dieselfahrverbote gefordert und um- gesetzt. Dies kommt einer Enteignung der Dieselautobe- (Beifall bei der AfD – Falko Mohrs [SPD]: Das sitzer gleich. Und jetzt, im Vorfeld der Internationalen haben Sie nicht verstanden!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13557

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: entwirft und Verbote ausspricht. Wir brauchen Angebote (C) Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernd für klimaschonende und nachhaltige Investitionen. Westphal das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Industrie- und Mittelstandspolitik ist dabei von hoher Bernd Westphal (SPD): Relevanz. Deutschland ist Industriestandort und soll es Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und auch bleiben. Kollegen! Aktuell wird so intensiv wie lange nicht mehr (Zuruf von der AfD: Ach!) über Gesellschaft, über grundlegende Fragen der Wirt- schaftspolitik, über Klimaschutz und Mobilität im Industrie und Mittelstand stehen für die Innovationen, die 21. Jahrhundert, aber auch über die Fragen diskutiert, wir für den Erhalt der Wertschöpfungsketten hier in wie und von was wir zukünftig leben wollen, welche ge- Deutschland dringend benötigen. Der Markt allein wird staltende Rolle die Politik hat und welche Rahmenbedin- die notwendigen Investitionen und Innovationen nicht gungen sie für die Wirtschaft setzt. Wir müssen reflektie- zeitnah realisieren können. Deshalb ist staatliche Unter- ren, was in unserem Land gut und was nicht so gut läuft, stützung notwendig, und zwar bei Forschung und Ent- und wir müssen eine Antwort darauf finden, wie wir die wicklung, ja, auch bei Batteriezellenproduktion. Aber, epochalen Umbrüche unserer Zeit begleiten und gestalten Herr Altmaier, wir brauchen die Unterstützung auch für wollen. die Wasserstoffwirtschaft. Nach einem über zehn Jahre andauernden Aufschwung (Beifall bei der SPD) geht es jetzt um eine Wirtschaftspolitik, die zur Stärkung Damit verbunden ist eine Technologieoffensive für Elekt- des Standortes beitragen muss. Wir brauchen wettbe- roingenieure, für den Leitungs- und Rohrbau, für hand- werbsfähige Rahmenbedingungen durch ein langfristig werkliche Betriebe und andere, mit einer leistungsfähi- und nachhaltig wirkendes Gesamtkonzept. Vor allem gen, digitalisierten Infrastruktur, mit Investitionen in brauchen wir einen klaren Kurs; das erwarten Wirtschaft Aus- und Weiterbildung, mit einer funktionierenden und Gesellschaft zu Recht. Fachkräftezuwanderung, aber auch mit der Abschaffung von Hemmnissen für den internationalen Handel. (Beifall des Abg. [SPD]) Wir brauchen einen neuen wirtschafts- und gesell- Unsere Beschäftigung liegt auf Rekordniveau. Die rea- schaftspolitischen Konsens. Dass das gelingen kann, hat len Einkommen steigen, und die Wirtschaft wächst trotz die sogenannte Kohlekommission gezeigt. Viele Ziel- (B) jüngster Eintrübung. Vor diesem Hintergrund erscheint es konflikte wurden dort gelöst und haben zu Kompromis- (D) paradox, dass das Armutsrisiko trotzdem gestiegen ist sen geführt. und dass Arbeit nicht automatisch vor Armut schützt, vor allem wenn man weiblich und alleinerziehend ist. Was allerdings nicht geht, ist, dass wir bei den wichti- 9 Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor. gen Projekten wie der Energiewende auf halbem Wege Gleichzeitig stehen immer weniger bezahlbare Wohnun- stehen bleiben. Klimapolitik ist immer eng verbunden mit gen zur Verfügung. dem Thema Energie. Die Energiewende eröffnet daher ein Feuerwerk an Chancen. Um sie zu nutzen, brauchen Wohlstand für alle – dieses Versprechen der sozialen wir eine strategiefähige Politik. Der globale Energiever- Marktwirtschaft gilt leider nicht mehr uneingeschränkt. brauch wird weiter steigen. Das heißt für uns, eine Strate- Daher müssen wir – daran sollte auch der gie zu entwickeln, die die Erderwärmung unter 2 Grad Bundeswirtschaftsminister ein großes Interesse haben – hält und den Wohlstand für alle mit der ökologischen dafür sorgen, dass die Tarifbindung wächst. Nach Tarif Tragfähigkeit unseres Planeten in Einklang bringt. bezahlte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Das gibt Sicherheit, sichert den Lebensunterhalt, sichert die (Beifall bei der SPD) Renten, schafft sozialen Zusammenhalt, liebe Kollegin- Dafür müssen wir, die Industriestaaten, bis 2050 klima- nen und Kollegen. neutral werden. Ein radikaler Umbau der Industriegesell- schaft ist dafür notwendig. Das wird mit einem massiven (Beifall bei der SPD) Ausbau der erneuerbaren Energien, effizienten Technolo- Mit dem Haushalt 2020 erhöhen und verstetigen wir gien und klaren Strategien gelingen. die öffentlichen Investitionen. Damit schaffen wir die Strategiefähigkeit zeigt sich aber auch in der Umset- Grundlage für zukünftiges Wachstum und für Wohlstand. zung von Politik. Bei den Themen „Ziele ernst nehmen“ und „beschließen, welche Maßnahmen notwendig sind“ Ich finde allerdings, dass es an der Zeit ist, ein neues gibt es sicherlich einige Dinge, bei denen wir besser wer- Bündnis für eine nachhaltige Wirtschaft zu schmieden. Es den müssen. ist an der Zeit, das Industrieland Deutschland zu stärken, die Rahmenbedingungen für den Mittelstand, das Hand- Wind- und Sonnenenergie werden langfristig die Säu- werk und für die Start-up-Szene neu zu justieren. Es ist an len unserer Energieversorgung bilden. Da der Ausbau der der Zeit, der Wirtschaft klare Rahmenbedingungen auf Windenergie wegen fehlender Akzeptanz fast zum Erlie- dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 an die Hand zu gen gekommen ist, brauchen wir jetzt dringend Taten in geben. Wir brauchen eine Innovations- und Investitions- Ländern und Bund, um eine Zukunftsbranche wie die offensive statt einer Politik, die nur Ausstiegsszenarien Windenergie und wichtige zukunftsfähige Arbeitsplätze 13558 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Bernd Westphal (A) zu erhalten. Wir brauchen also mehr Dynamik und Ver- tung von ganz Deutschland geschrumpft. Jetzt ist es (C) lässlichkeit, einen klaren Kurs und Überzeugungskraft, sicher nicht Ihre Aufgabe, Herr Minister, zuallererst das damit wir hier für mehr Akzeptanz sorgen. Wort „Rezession“ in den Mund zu nehmen – keine Frage. Aber es wäre Ihre Aufgabe, zuallererst über Maßnahmen Die schon heute sichtbaren Schäden in der Natur, in nachzudenken, Maßnahmen zu konzipieren, die dieser den Wäldern, in der Landwirtschaft, das Niedrigwasser in Abwärtsentwicklung entgegenwirken. den Flüssen werden Konsequenzen für die Wirtschaft haben. Wenn wir nichts machen, liebe Kolleginnen und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kollegen, wird es richtig teuer. Deshalb ist es jetzt not- der AfD) wendig, Maßnahmen für Investitionen zu ergreifen und für Akzeptanz zu sorgen. Davon können wir leider viel zu wenig feststellen in den letzten Wochen und Monaten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Maßnahmenpaket eins. Wir befinden uns in einem har- ten internationalen Steuerwettbewerb. Amerika, Groß- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen einen britannien und Frankreich haben die Steuern für ihre Bür- neuen Blick auf die Wirtschaftspolitik, der Nachhaltigkeit gerinnen und Bürger und Unternehmen gesenkt. und Lebensqualität ins Zentrum rückt, der Wettbewerbs- fähigkeit stärkt, der soziale Fortschritte wie mehr Zeit- ( [AfD]: Richtig!) souveränität und veränderte Erwerbsbiografien abbildet. Unser Anspruch als Sozialdemokraten ist, dass die Digi- Aber was findet hier in Deutschland statt? Die Große talisierungsdividende auch bei den Beschäftigten an- Koalition leistet sich eine spießbürgerliche Diskussion kommt. Uns geht es um ein inklusives und nachhaltiges über ein politisches Versprechen, über eine verfassungs- Wachstum, das unsere Lebensgrundlagen erhält, von dem mäßig gebotene Komplettabschaffung des Solidaritätszu- die ganze Bevölkerung profitiert. schlags. Die Kolleginnen und Kollegen der Union lassen es zu, dass die SPD den Solidaritätszuschlag zu einer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) „Reichensteuer light“ verkommen lässt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Petra Pau: der AfD) Herr Westphal, Sie können selbstverständlich weiter- sprechen, tun das aber auf Kosten Ihrer Kollegen. Wir Freie Demokraten haben eine klare Vorstellung und Erwartungshaltung an diese Bundesregierung, näm- Bernd Westphal (SPD): lich dass ab dem 1. Januar 2020 der Solidaritätszuschlag (B) Nein, Frau Präsidentin, ich bin am Ende meiner Rede. – komplett abgeschafft ist. (D) Albert Einstein hat mal gesagt: „Probleme kann man nie- (Beifall bei der FDP) mals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie ent- standen sind.“ Deshalb werden wir als Sozialdemokraten Maßnahmenpaket zwei: strukturpolitische Maßnah- neue Impulse für die Wirtschaftspolitik setzen. men. Herr Minister, es ist in keiner Weise feststellbar, dass Sie mit Ihren vorhandenen Instrumenten, mit Ihren Vielen Dank. Werkzeugen und Ihren Fördertöpfen einen strukturpoliti- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Maßnahmenkatalog in Ihrem Haushalt geschaffen der CDU/CSU) haben, der diesem Abwärtstrend, den ich vorhin beschrie- ben habe, entgegenwirkt. Sie tun gerade so, als hätte es in den letzten 24 Monaten keine gesellschaftspolitischen Vizepräsidentin Petra Pau: Diskussionen in diesem Land gegeben, die dazu geführt Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Karsten haben, dass vor allem der Automobilbereich extrem an Klein das Wort. Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) Karsten Klein (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bun- Ihr Einzelplan spiegelt die Instrumente von vor vier desminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich Jahren wider. Das ist Vergangenheit. Wir möchten, dass gilt zuallererst unser Dank all denjenigen, die durch ihre Sie endlich in die Pötte kommen und gegen diesen Ab- Leistungsbereitschaft unseren Wohlstand in diesem Land wärtstrend etwas machen, Herr Minister. sichern – keine Frage, Herr Minister. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Dritter Bereich: Energie. Sie haben zu Recht angespro- Aber unser Auftrag muss dann auch sein, dafür zu chen, dass wir in Deutschland immer noch die höchsten sorgen, dass diese auch in Zukunft in der Lage sind, ihre Strompreise in Europa haben. Das ist die aktuelle Situa- Leistungsbereitschaft in Wohlstand zu transferieren. Man tion, und das belastet die Arbeitsplätze in diesem Land. muss festhalten: Seit Mai 2018 sind die Auftragseingänge Aber wie ist die aktuelle Situation in Ihrem Haus, in der des produzierenden Gewerbes rückläufig. Seit vier Quar- Bundesregierung? Durch Ihre Maßnahmen im Hinblick talen schrumpft die Wertschöpfung in diesem Wirt- auf den Kohleausstieg führen Sie die Fehler der Vergan- schaftsbereich. Im letzten Quartal ist die Wirtschaftsleis- genheit fort: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13559

Karsten Klein (A) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Wieder spielt Geld keine Rolle. Wieder setzen Sie auf Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm-Förster für zentralistische, planwirtschaftliche Instrumente. Die Er- die Fraktion Die Linke. fahrungen der Vergangenheit und der Bundesrechnungs- (Beifall bei der LINKEN) hofbericht, der ein vernichtendes Urteil über das Manage- ment der Energiewende in Ihrem Haus spricht, bleiben Heidrun Bluhm-Förster (DIE LINKE): unter Ihrer Führung völlig unberücksichtigt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Ich will auf die Inhalte der Zielsetzung der Kohlekom- Kolleginnen und Kollegen! Der aktuelle Etatentwurf mission und auf das Ergebnis gar nicht eingehen. Aber des Wirtschaftsministeriums steht unter dem Motto – letztlich ist es doch so, Herr Minister: Jeder, der am Ver- ich zitiere –: mehr Mittel für künstliche Intelligenz, Di- handlungstisch saß, hat etwas versprochen bekommen. gitalisierung sowie Luft- und Raumfahrt. Ich finde es Aber wer das bezahlt und wie viel das kostet, davon ha- höchst beeindruckend, Herr Minister, dass Sie mit diesem ben Sie als federführender Minister überhaupt keine Ah- Motto dem Ministerium zu einem neuen Namen verhel- nung. Seit Januar fragen wir in regelmäßigen Abständen fen. Sie wollen also mehr Geld für Technologien ausge- zu den Kosten und dazu, wer sie tragen soll, in Ihrem ben. Das finden auch wir nicht schlecht. Aber was ist mit Haus nach. Die Antworten sind blumig, aber – kurzge- den Positionen Wirtschaftsförderung, Nachhaltigkeit und fasst –: Sie wissen es nicht. Energieeffizienz? (Beifall bei der FDP) (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Machen wir auch alles!) Ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, weiß nicht, was schlimmer ist: eine Bundesregierung, die in einen solch Auch darauf haben Sie in Ihrer Rede eben nicht viel Zeit epochalen Wandlungsprozess einsteigt, keine Ahnung verwendet. von den Kosten und davon, wer sie tragen soll, hat, oder Sie müssten doch eigentlich selbst bemerken, dass Ihre eine Bundesregierung, die in Wahrheit die Zahlen kennt, Schwerpunktsetzung den aktuellen Anforderungen im aber diesem Haus, dem Deutschen Bundestag, und den Zeitalter von Klimawandel und ökonomischer Struktur- Bürgerinnen und Bürgern, der deutschen Öffentlichkeit, schwäche in einzelnen Regionen in keiner Weise gerecht diese Zahlen bewusst vorenthält. wird und, ja, der Entwicklung zuwiderläuft. Selbst wenn Sie, wie im Etat vorgesehen, bei der Entwicklung digita- (Beifall bei der FDP) ler Technologien eine bedeutende Aufstockung auf fast Deshalb kann ich Sie, Herr Minister, nur auffordern, die- 117 Millionen Euro vornehmen, wollen Sie doch nicht im (B) ses Versteckspiel bezüglich der Kosten des Kohleauss- Ernst behaupten, dass Sie damit die Bundesrepublik aus (D) tiegs und des Klimawandels zu beenden. Nennen Sie die- dem digitalen Dornröschenschlaf erwecken können. sem Haus die Kosten! Herr Minister, auch Sie haben es schon einmal in der Noch tollkühner wird die ganze Sache mit den Vor- Öffentlichkeit gesagt. Ich war in diesem Jahr im Sommer schlägen, den Kohleausstieg und die Bekämpfung des in Finnland, Estland und in Norwegen unterwegs. Es war Klimawandels über neue Schulden oder Schattenhaushal- mir zeitweise echt peinlich, zu sagen, aus welchem Land te zu finanzieren. Ganz frei nach dem Motto: Kaputte ich komme, wenn es darum ging, welche digitalen Ent- Welt oder Schuldenberge, mit einem von beidem müssen wicklungen unsere Nachbarländer vollzogen haben. Da, zukünftige Generationen schon leben können. Meine sehr denke ich, haben wir großen Nachholbedarf. Unsere An- geehrten Damen und Herren, das kann kein Weg für strengungen, Herr Klein, dürfen dabei nicht alten Tech- Deutschland, für unser Land, sein. nologien gelten, sondern neuen. Herr Minister, ich fordere Sie auf: Beenden Sie die (Beifall bei der LINKEN) Versteckspiele bei der Finanzierung! Packen Sie es mutig Dazu kommt: Viele der von Ihnen finanzierten Projekte an! Nehmen Sie sich ein Beispiel an uns Freien Demo- haben reinen Modellcharakter. Eine Anwendungssicher- kraten! Setzen Sie bei der Bekämpfung des Klimawan- heit ist damit nicht gegeben. Auch der KI-Bereich, den dels auf die Menschen in diesem Land und auf die soziale Sie mit 28 Millionen Euro fördern wollen, ist viel zu Marktwirtschaft! Ziehen Sie die CO2-Bremse, indem Sie klein, um – ich zitiere aus Ihrem Einzelplan – „Treiber den Zertifikatehandel auf den Gebäude- und den Ver- für volkswirtschaftlich relevante Ökosysteme zu sein“. kehrssektor ausweiten! Ich frage mich, warum gerade bei der Entwicklung digi- (Beifall bei der FDP) taler Technologien noch immer mehrere Millionen Euro aus dem Haushalt 2019 als nicht ausgegebene Reste ver- Und stellen Sie endlich Technologieoffenheit in Ihren zeichnet sind, wo Sie doch diese Positionen im Haushalt Förderinstrumenten sicher! Liebe Kolleginnen und Kol- 2020 verdoppeln wollen. legen, es geht nicht um den Fortbestand der Großen Koa- lition, und es geht auch nicht um das nächste Konjunktur- Die Linke findet, dass der Etat des Wirtschaftsminis- programm für Bündnis 90/Die Grünen, sondern es geht teriums ein ganz falsches Zeichen setzt, und zwar nicht, um unser Land und um die Arbeitsplätze. was die Förderung der Digitalisierung angeht, sondern was die Vernachlässigung anderer dringend benötigter Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Strukturlösungen betrifft. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) 13560 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Heidrun Bluhm-Förster (A) Wirtschaft ist für uns, für meine Fraktion, für mich und gangen. Die Zeit lässt mir dafür jetzt keinen Raum mehr, (C) vor allem für viele Bürgerinnen und Bürger die Voraus- aber ich freue mich auf die Debatten in der Sitzungszeit setzung für Soziales, für Bildung und Kultur und für vie- bis November. Vielleicht können wir da noch das eine les andere im Leben. Die soziale Schieflage im Land ist oder andere erreichen. aber in der Konjunkturbelebung der letzten Jahre nicht beseitigt worden, nein, sie wird immer schiefer. Dafür Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. trägt der Wirtschaftshaushalt eine wesentliche Verant- (Beifall bei der LINKEN) wortung. Dieser Verantwortung wird er auch mit dem Entwurf für 2020 nicht gerecht. Vizepräsidentin Petra Pau: Meine Fraktion plädiert seit Jahren für eine massive Das Wort hat Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/ Stärkung der KMU in strukturschwachen Regionen oder Die Grünen. für die Erhöhung der Finanzmittel für das Zentrale Inves- titionsprogramm Mittelstand, ZIM. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall bei der LINKEN) Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nachdem Sie im letzten Jahr eine moderate Steigerung Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und der ZIM-Mittel vorgenommen haben, werden sie im Jahr Herren! Sehr geehrter Herr Minister, das Schrumpfen 2020 wieder gekürzt, und die Schere zwischen Ost und der Wirtschaft im letzten Quartal sei ein „Weckruf“, ha- West wird immer größer. ben Sie in einem „Spiegel“-Interview Ende August ge- sagt. Angesichts dessen, dass das keine Überraschung Liebe Kolleginnen und Kollegen, ähnlich ist es beim und absehbar war, habe ich mich gefragt, ob Sie das nicht Thema „ländliche Räume“. Hier gibt es trotz aller Struk- als ganz persönlichen Weckruf hätten nehmen müssen. turprobleme Chancen für Innovationen. Aber Anschubfi- Ich sage das so freundlich, weil das einen ein bisschen nanzierungen in Infrastrukturmaßnahmen verpuffen, ratlos macht. Ich denke, wir stehen seit Langem vor wich- wenn danach keine dauerhafte neue Wertschöpfung in tigen wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Vor der Gang gesetzt werden kann. Auch hier müssen über die Eintrübung der Konjunktur wird länger gewarnt, und ins- Modellfinanzierung hinaus dauerhafte, verlässliche Fi- gesamt findet man in Ihrem Haushaltsentwurf, Herr nanzhilfen zur Verfügung stehen. Altmaier, keine wirklich passenden Antworten. In der parlamentarischen Sommerpause wurden offen- Dabei muss die deutsche Wirtschaft sich wirklich wan- sichtlich auch bewusst die Ergebnisse der Arbeit der deln. Die Themen „Digitalisierung“, „künstliche Intelli- (B) Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ des genz“ und auch die Klimakrise fordern insbesondere eine (D) BMI im Sommerloch versenkt. Jedenfalls erscheinen Veränderung unserer Wirtschaft heraus. Deswegen ist mir die Statements der Bundesregierung im sogenannten mit Blick auf Ihren Haushalt folgender Ansatz wichtig: „Plan für Deutschland“ vom Juli 2019 ziemlich uninspi- Wir müssen Innovationen glaubhaft stärken und auch das riert. Das Wirtschaftsministerium war federführend in der Thema Klimawandel anpacken. Auf den ersten Blick Facharbeitsgruppe „Wirtschaft und Innovation“ beteiligt scheint es, dass der Haushaltsentwurf des BMWi sogar und versuchte, die bereits laufenden Förderprogramme innovationsfreundlich ist. Da gibt es neue Programme zur für die Kommissionsziele neu zu interpretieren. Das nichttechnischen Innovationsförderung, zur Förderung war alles, mehr nicht. Und da wundert man sich in der der Bioökonomie oder die Agentur für Sprunginnovatio- Bundesregierung darüber, dass in strukturschwachen Re- nen. Aber – das ist jetzt ein dickes Aber – bei den wirklich gionen das Vertrauen in staatliches Handeln weiter ver- großen Aufgaben, da scheitert die Regierung, da scheitern loren geht. Gerade im ländlichen Raum fühlen sich die auch Sie. Menschen seit Jahren nicht mehr beachtet, ganz nach dem Motto „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner“. Da wundern (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Was erzählen wir uns wieder – nach Brandenburg und Sachsen – über Sie uns jetzt?) den Rechtsruck in der Gesellschaft. Damit komme ich zum Punkt „künstliche Intelligenz“. Dabei gibt es wirkliche Möglichkeiten, auch in länd- Die Regierung hat 3 Milliarden Euro angekündigt. Inzwi- lichen Räumen produktiv zu werden. Im Bericht der schen soll es nur noch 1 Milliarde Euro zusätzliches Geld Facharbeitsgruppe „Raumordnung und Statistik“ der sein, in 2019 und 2020 jeweils 500 Millionen Euro. Aber Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ wird in Ihrem Haushalt sind nur 44 Millionen Euro zusätzlich davon gesprochen – ein Hinweis, versteckt herauszule- für künstliche Intelligenz vorgesehen. Der Punkt ist: Der sen –, dass die dezentrale Standortpolitik so auszugestal- überwiegende Teil ist irgendwo im Finanzministerium im ten sei, dass über Steueranreize gezielte Ansiedlungen sogenannten Einzelplan 60 geparkt. Für dieses Geld gibt von Unternehmen in der Fläche erfolgen können und über es keine konkreten Ideen. Da wird auch nichts umgesetzt. vernünftige Nach- und Neunutzungskonzepte ein ökono- Über die große Aufgabe „künstliche Intelligenz“ wird mischer Innovationsschub vollzogen werden kann. Im also gesprochen – ich würde sogar sagen, noch zu wenig Haushaltsplan des Ministeriums findet sich davon aber gesprochen –, aber fast gar nichts getan. nichts. Diese Kommissionsergebnisse müssen also weiter verarbeitet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich wäre gern noch auf Energiepolitik und die entspre- Der zweite Punkt ist die Klimapolitik. Hier zeigt sich chende Forschung sowie auf Gebäudesanierung einge- erst recht das Scheitern der Regierung, insbesondere bei Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13561

Anja Hajduk (A) Ihnen als Energieminister, beim Umgang mit politischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Großaufgaben. Wenn ich mir den Haushaltsplan ansehe, dann kann ich sogar sagen: Man bekommt den Eindruck, Vizepräsidentin Petra Pau: im BMWi wird gar keine Energiepolitik mehr gemacht: Es ist relativ übersichtlich, wie wir die Redezeiten in Die Mittel zur Energieforschung werden gekürzt, die für den Fraktionen regeln. Da Sie jetzt nicht die letzte Red- die „Europäische Zusammenarbeit Ausbau Erneuerbare nerin Ihrer Fraktion waren, wirkt sich das auf die Redezeit Energien“ sogar um 60 Prozent, usw. usw. Da können Sie der Kollegin Dröge aus. Wir haben dies die ganze Zeit so jetzt natürlich sagen: Das kommt ja alles noch im Klima- gehandhabt: gegenüber den großen Fraktionen genauso kabinett am 20. September, im Haushalt für den EKF. – wie gegenüber den kleinen Fraktionen. Da kann ich Ihnen, Herr Altmaier, nur sagen: Dann kön- nen wir das alles an dieser Stelle nicht sinnvoll debattie- Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Linnemann für ren, obwohl Sie als Regierung verpflichtet sind, dem Par- die CDU/CSU-Fraktion. lament einen Haushalt vorzulegen. Die ökologische Transformation der Wirtschaft ist in diesem Haushalts- (Beifall bei der CDU/CSU) plan nicht umgesetzt. Das habe ich gerade auch schon dem Finanzminister gesagt. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- Aber es geht hier nicht nur um die Missachtung der nen und Kollegen! Dieses Haushaltsjahr ist ein anderes, parlamentarischen Beratung, es geht auch darum, dass als wir es in den vergangenen Jahren erlebt haben. Die die Bürgerinnen und Bürger und auch die Wirtschaft Steuereinnahmen sprudeln, aber nach vielen, vielen gar nicht wissen, was kommt. Sie lassen sie im Unklaren. Quartalen Wachstum haben wir zum ersten Mal ein Quar- Es wird doch die ganze Zeit darüber diskutiert: Was pas- tal gesehen, in dem das Bruttoinlandsprodukt ge- siert denn bei der energetischen Gebäudesanierung? Was schrumpft ist. Hierzu hat unser Wirtschaftsminister die planen Sie denn beim Thema CO2-Preis? Ich kann Ihnen Antwort gegeben. Es war für mich eine Punktlandung, nur sagen: Wir Grüne haben bei den Grundfragen, die wir weil er einfach einmal seinem Kompass gefolgt ist und zu diskutieren haben, eine klare Vorstellung. Wir haben in einer Mittelstandsstrategie aufgeschrieben hat, was er sie Ihnen auch präsentiert: CO2-Preis, gleichzeitig kom- machen würde, wenn er alleine regieren würde. Das ist pletter Abbau der Stromsteuer und Rückgabe des gesam- Regierung, das ist Koalition. Man muss sich immer eini- ten Geldes in Form eines Pro-Kopf-Energiegeldes an die gen. Bürgerinnen und Bürger. Schlagen Sie von mir aus etwas anderes vor, aber schlagen Sie endlich etwas vor. Diese Mittelstandsstrategie zeigt genau den Weg in die Zukunft auf. Sie zeigt, was wir in Deutschland brauchen, (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit es dem Mittelstand und der Wirtschaft auch in fünf (D) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und zehn Jahren gut geht. Genauso ist es bei der Finanzpolitik. Wie finanzieren (Beifall bei der CDU/CSU) wir die großen Aufgaben und die Investitionsbedarfe? Wir Grüne sagen: Nutzen und gründen Sie Investitions- Wir alle machen viele Unternehmensbesuche. Ich rede gesellschaften, von mir aus auch die BImA, die Bundes- genauso wie die Kollegen viel mit den Beschäftigten und anstalt für Immobilienaufgaben! Die können sich ver- den Arbeitgebern. Wenn Sie mich persönlich fragen: Es schulden, die haben Eigenkapital. Dann kann man das gibt eigentlich fünf Themen, die wir angehen müssen und unter Einhaltung der Schuldenbremse nutzen. Oder legen wo wir schon viel tun – einiges fehlt –, und es sind meines Sie einen Bundesinvestitionsfonds für zehn Jahre auf! Erachtens immer die gleichen fünf großen Themen; zu- Das habe ich dem Finanzminister gesagt, aber Ihnen sage mindest wenn es danach geht, worauf ich angesprochen ich es auch. Das haben wir vorgeschlagen. Sie sagen werde. Das ist erstens das Thema Fachkräfte, zweitens nichts. Sie klammern an der schwarzen Null und sagen: das Thema Steuern, drittens der Bürokratieabbau und die Ja, wir rechnen mit einer Eintrübung der Wirtschaft. – Flexibilisierung, viertens die Energiekosten und damit Damit vermitteln Sie keinen Optimismus. Sie haben kei- auch die Klimapolitik und fünftens die Digitalisierung, ne Ideen. Diese Großaufgaben muss eigentlich eine Re- ein Querschnittsthema, das sich durch alle Themen zieht. gierung in Deutschland anpacken und leisten. Erstens: Fachkräfte. Wir haben das Fachkräfteeinwan- derungsgesetz auf den Weg gebracht und es vereinfacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben es ausgerollt. Wir haben es geöffnet, nicht nur Letzter Punkt: Kohleausstieg. Ich muss zum Ende für Akademiker – das gab es bereits –, sondern auch für kommen, sonst bekomme ich eine Rüge der Präsidentin, Menschen mit Berufsabschlüssen, die hier einen Arbeits- dieses Mal sogar zu Recht. Beim Kohleausstieg ist es vertrag unterschreiben und in Deutschland willkommen zwingend, dass Sie das Strukturwandelgesetz mit dem sind. Damit geben wir der Welt ein Signal, unter welchen Ausstiegsgesetz verknüpfen. Das ist für die gesellschaft- Bedingungen man legal nach Deutschland kommen kann liche Akzeptanz wichtig. Das ist für das Vertrauen der und unter welchen nicht. Gleichzeitig müssen wir das Menschen wichtig. Auch hier haben Sie gerade einmal Thema Flexirente vorantreiben und freiwilliges, längeres die erste Hälfte auf das Papier gebracht und die nächste Arbeiten attraktiver machen. Auch wenn es hier und da Großaufgabe immer noch nicht bewältigt. Ich fürchte, das Kritik gibt: Es ist meine feste Überzeugung, dass wir mit wird im November nicht besser sein. Die GroKo hat lei- dem, was wir gestern in großen Teilen vereinbart haben, der keinen Elan für die Zukunft, aber die Zukunft gibt es nämlich dass wir den Meisterbrief stärken wollen – das nicht zum Nulltarif. freut mich ganz besonders –, das Handwerk insgesamt 13562 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Carsten Linnemann (A) attraktiver machen und somit junge Leute nicht nur eine Berichterstatter dafür eingesetzt hat, dass wir die Mittel (C) Karrieremöglichkeit im akademischen Bereich, sondern für Programme zur Entwicklung digitaler Technologien auch im Handwerk sehen, und das ist richtig so. fast verdoppeln; denn das sollten wir angehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Frau Präsidentin, es war fast eine Punktlandung. Vielen Abgeordneten der SPD) Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Zweitens: das Thema Steuern. Wenn Sie uns im Hin- (Beifall bei der CDU/CSU) blick auf die Unternehmensteuern mit Ländern auf die- sem Globus vergleichen, die ähnlich entwickelt sind wie wir, kommen Sie, wenn Sie Körperschaftsteuer, Gewer- Vizepräsidentin Petra Pau: besteuer und Soli zusammenrechnen, in Deutschland im- Das Wort hat der Abgeordnete Steffen Kotré für die mer auf 30 bis 35 Prozent. AfD-Fraktion. (Bernd Westphal [SPD]: Die anderen haben (Beifall bei der AfD) eine Vermögensteuer!) Es gibt kein Land auf diesem Globus, das vergleichbar Steffen Kotré (AfD): hohe Sätze hat. Die müssen runter, meines Erachtens auf Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau 25 Prozent; Peter Altmaier, du hast das ausgesprochen. Präsidentin! Nein, Herr Westphal, die Energiewende ist Ein wichtiger Punkt ist – da kommen wir, meine ich, kein Feuerwerk an Chancen, mit der SPD zusammen, weil Olaf Scholz das auch häufig predigt –, dass wir in Deutschland endlich Personenge- (Bernd Westphal [SPD]: Für euch nicht!) sellschaften und Kapitalgesellschaften steuerlich gleich- sondern ein Feuerwerk an Verbrennung von volkswirt- stellen müssen. Denn gerade Personengesellschaften sind schaftlichen Ressourcen. oft Familienunternehmen, die das Prinzip Haftung und generationenübergreifendes Denken par excellence le- (Beifall bei der AfD) ben. Diese müssen wir stärken und gleichstellen; das müssen wir angehen. Herr Linnemann, Sie sagen, dass wir nur einen Anteil von 2 Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß haben. Das ist Drittens: Bürokratieabbau. Wir reden gerade über das richtig. Das ist unser Reden. Wir kriegen das nicht hin, Bürokratieentlastungsgesetz III. Wir kommen da auch wenn nur wir in Deutschland dafür unsere Industrie voran; die Gespräche mit Herrn Heil laufen. Bei der Fle- schreddern. (B) xibilisierung gibt es einen Dissens – ich finde, in diesem (D) Hause muss man das auch einmal aussprechen –, und (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Mit Ihnen zwar in Bezug auf das Arbeitszeitgesetz. Ich glaube, kriegen wir noch nicht einmal Signale hin!) den Dissens, der hier mit einigen Parteien besteht, kann man eigentlich auflösen. Denn uns als CDU/CSU-Bun- Richtig ist: Wir müssen die industriellen und die inno- destagsfraktion geht es nicht um eine Ausweitung der vativen Bereiche voranbringen, damit wir CO2 anders Arbeitsstunden. Es geht um eine Modernisierung des Ar- behandeln; wenn Sie denn CO2 als Teufelszeug sehen. beitszeitrechtes, das wir übrigens auch im Sinne der Ar- Das wäre der richtige Ansatz. Nichts anderes sagen wir. beitnehmer angehen. Ich denke an die vielen Start-ups (Beifall bei der AfD) und die Arbeitnehmer, die diese Flexibilität brauchen. Ich denke an die vielen Menschen, die einen Telearbeits- Im vorliegenden Haushaltsentwurf finden wir wieder platz zu Hause haben, die mehr Flexibilität wollen und die Subventionen für die Markteinführung von E-Mobilität. uns daher ansprechen. Hier, finde ich, müssen wir endlich Aber wie alle Marktwirtschaftler wissen: Subventionen einmal vorankommen. Wir müssen in der Zeit von heute für die Markteinführung alter Technik sind schädlich. Das ankommen, nämlich in der digitalisierten Welt. ist schädlich für die Wirtschaft und hinausgeworfenes Geld. Darüber hinaus zerstört die E-Mobilität im Zusam- Viertens: Energiekosten und Klima. Wir führen hier menhang mit dem Lithiumabbau für die Herstellung von eine Wirtschaftshaushaltsdebatte. Jeder von Ihnen, der Batterien die Lebensgrundlage zum Beispiel der indige- auf der Hannover-Messe war, muss erkennen: Wenn wir nen Bevölkerung in Südamerika. Die Förderung einer nicht den Fokus auf Technologie und Innovation legen, Tonne Lithium bedarf 1 Million Liter Wasser, das ver- haben wir keine Zukunft. dunstet, also nicht mehr da ist. Der Grundwasserspiegel (Bernd Westphal [SPD]: Windenergie!) sinkt, und Flüsse und Feuchtgebiete trocknen aus. Es kommt zu Wasserknappheit in den entsprechenden Ge- Wir können mit einem Anteil von 2,3 Prozent am welt- meinden vor Ort. Darüber hinaus ist die Abbautechnolo- weiten CO2-Ausstoß den Klimawandel nicht allein abfe- gie mit Bodenkontamination und verseuchtem Trinkwas- dern. Aber wir können durch Innovation der Welt die ser verbunden. Das alles ist mit dem Lithiumabbau vor Technologie zur Verfügung stellen, damit wir hier voran- Ort in Südamerika verbunden. Das zerstört die Lebens- kommen. Darauf muss unser Fokus liegen. grundlage für die Viehzucht. Lamas kommen behindert (Beifall bei der CDU/CSU) zur Welt, sterben frühzeitig. Fünftens: natürlich das Thema Digitalisierung. Ich Wenn ich an dieser Stelle ein Zitat eines Vertreters der freue mich, dass sich Andreas Mattfeldt als unser betroffenen Indigenen bringen darf: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13563

Steffen Kotré (AfD) (A) Der Abbau von Lithium für Europa und der Wechsel zum Thomas Jurk (SPD): (C) Elektroauto werden unsere Gemeinden und unsere Land- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten schaft umbringen. Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst mit einer Bestandsaufnahme beginnen. Die wirtschaftliche Lage in Lassen Sie sich das bitte einmal auf der Zunge zergehen. der Bundesrepublik Deutschland stellt sich nicht mehr so E-Mobilität ist also umweltschädlich und zerstört Le- gut dar wie in den letzten Jahren. Die Exporte sinken und bensgrundlagen. der Auftragseingang in der Industrie geht zurück und damit verbunden auch die Wirtschaftsleistung. Erste Aus- (Beifall bei der AfD) wirkungen gibt es mittlerweile auch auf dem Arbeits- Hören wir also auf, diese rückwärtsgewandte, umwelt- markt. So lag die Arbeitslosigkeit im August nur gering- schädliche Technologie zu subventionieren und weiter zu fügig unter dem Wert des Vorjahresmonats. unterstützen. Hören wir vor allen Dingen auf mit der Die Ursachen liegen auf der Hand: Die Unternehmen manischen und pathologischen Propaganda für diese leiden unter außenpolitischen Verwerfungen wie der un- Technik, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Diesel- berechenbaren Handelspolitik der USA, den fortwähren- technologie zum Beispiel viel umweltfreundlicher ist. den Russland-Sanktionen sowie der Verunsicherung durch die Iran-Krise und den Brexit. (Beifall bei der AfD) Hören wir einfach damit auf, und fangen wir einfach Trotzdem bin ich optimistisch, denn die an, mehr im Bereich Kernspaltung und Kernfusion zu Binnenkonjunktur läuft dank tarifvertraglich steigender forschen. Löhne und stetig steigender Ausgaben der öffentlichen Hand nach wie vor. Die Zinsen sind bekanntermaßen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) niedrig, und die Sozialkassen haben ausreichende Rück- lagen, um vorübergehende Einnahmerückgänge zu ver- Es gibt auf dem Gebiet der Kernspaltung nunmehr die kraften. Vor allen Dingen – das ist mir besonders wichtig – vierte Generation an Reaktoren, die nach menschlichem investiert der Bund nach wie vor kräftig. Im Finanzpla- Ermessen vermutlich sicher sein wird. nungszeitraum bis 2023 sind es jährlich 40 Milliarden Euro. Da die bisherigen Entflechtungsmittel, die nach (Marianne Schieder [SPD]: Das glaubt kein der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen Mensch!) mittlerweile den Ländern zustehen, eigentlich hinzuge- rechnet werden müssten, sind es sogar 43 Milliarden Eu- Die Wissenschaftler werden noch feststellen, dass das so ro. (B) ist. Beim Zwei-Flüssigkeiten-Reaktor, Dual Fluid, kann (D) keine Kettenreaktion vonstattengehen. Das Schöne ist: (Beifall bei der SPD) Wir können das Endlagerproblem lösen. Die Strahlung wird nur noch 300 Jahre anhalten, aber auch das werden Gut, dass das beklatscht wird; denn das ist ein Effekt, wir lösen, wenn wir die bisher theoretisch ermittelten den man nicht übersehen sollte. Forschungsergebnisse auch praktisch umsetzen. Das Klar ist aber auch, dass die SPD sinnvolle, wachstums- müssen wir eben, und dafür brauchen wir Geld. stärkende Vorschläge unterbreiten wird, sollte die Kon- Vor allen Dingen: Vernachlässigen wir nicht wie bisher junktur weiterhin schwächeln. Das war auch in der Kri- die Kernfusion. Am Max-Planck-Institut für Plasmaphy- senzeit 2008/2009 der Fall. Da haben wir angepackt. sik in Greifswald gibt es eklatante Engpässe in der Finan- Darauf können sich die Menschen im Land verlassen. zierung. Die Wissenschaftler dort müssen betteln, damit Zum Etat des Bundeswirtschaftsministeriums – der sie entsprechende Kapazitäten für die Auswertung ihrer Kollege Altmaier ist gerade in wichtigen Gesprächen – Versuchsreihen erhalten. Eine Versuchsreihe dauert drei sage ich: Wir haben in diesem Einzelplan eine deutliche Monate und die Auswertung dann zwei Jahre, weil kein Steigerung, und zwar um etwa 950 Millionen Euro, wo- Personal und vor allem keine Rechnerkapazität vorhan- durch wir im Einzelplan 09 ein Budget von etwa 9,1 Mil- den sind. Das ist ein Skandal für unser Land. Die Asiaten liarden Euro verzeichnen. Bei dieser auffälligen Steige- laufen uns davon; denn sie wissen, wie wichtig Zukunfts- rung handelt es sich allerdings um einen einmaligen technologie ist. Sie investieren dort massiv. Es ist eine Sondereffekt. Der Bund wird seinen Beitrag im Zusam- Schande für Europa, dass wir unseren Blick hier nicht menhang mit den bestehenden Altlasten des Steinkohle- öffnen, sondern immer noch an alten Technologien fest- bergbaus nicht zeitlich gestaffelt, sondern diesmal in ei- halten und die zukunftsweisenden Technologien verlie- ner Rate zahlen. Der Bund wird damit die Förderung ren. Das muss aufhören. Damit muss Schluss sein. Lassen deutscher Steinkohle seit 1998 mit sage und schreibe wir bei uns endlich wieder ideologiefreie Wissenschaftler 45 Milliarden Euro subventioniert haben. Dazu kommen sprechen! Das fordern wir. noch die Zahlungen für das Anpassungsgeld für die Berg- Vielen Dank. leute, die erst in einigen Jahren auslaufen werden. Ich finde, das ist eine beachtliche Solidarleistung des Landes (Beifall bei der AfD) für die Menschen in den Steinkohlerevieren an Ruhr und Saar. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Für die SPD-Fraktion hat nun Thomas Jurk das Wort. Mattfeldt [CDU/CSU]) 13564 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Thomas Jurk (A) Wir werden uns in den nächsten Wochen natürlich we- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) niger mit den Steinkohlesubventionen, sondern mehr mit Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Reinhard den geplanten Strukturhilfen für die Braunkohlereviere Houben. befassen. Deshalb will ich auf einen wichtigen Unter- schied aufmerksam machen: Anders als bei den Absatz- (Beifall bei der FDP) hilfen zur Förderung deutscher Steinkohle geht es bei den geplanten Strukturhilfen nicht um Subventionen, sondern Reinhard Houben (FDP): um tatsächliche Investitionen in die Zukunft. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, als Sie vor 18 Monaten das Wirt- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas schaftsministerium übernommen haben, verbanden viele Mattfeldt [CDU/CSU]) damit – gerade auch aus der Union –, dass Ihr Haus, das Superwirtschaftsministerium, ein Gegengewicht zum Fi- Wir wollen die Mittel zur Wirtschaftsförderung in den nanzministerium werden würde. Braunkohlerevieren einsetzen und besonders in Infra- struktur sowie in Forschung und Entwicklung investie- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Na, ren. Herr Bundeswirtschaftsminister Altmaier, ich habe gewichtsmäßig!) Ihnen genau zugehört. Ich glaube, es ist besonders wich- Es hat sich aber gezeigt, wer in dieser Frage Koch und tig, wirtschaftsfördernde Maßnahmen zu ergreifen, die wer Kellner ist. Deswegen fehlt auch in diesem Haushalt neue Formen der Beschäftigung ermöglichen. Wir stehen wieder eine signifikante Entlastung für die deutsche Wirt- beispielweise in der Oberlausitz in einer Konkurrenzsi- schaft, tuation zu Polen und Tschechien, die andere Fördersätze und andere Förderbedingungen haben. Deshalb halte ich (Beifall bei der FDP) den Hinweis auf eine Sonder-AfA, vielleicht entspre- chend dem früheren Fördergebietsgesetz, oder eine ent- und ich gehe auch nicht davon aus, dass sich das in den sprechend ausgestaltete Investitionszulage für sehr rich- nächsten zwei Jahren noch ändern wird. tig. Wir werden während der Beratungen zum Herr Minister Altmaier, Sie haben uns am Anfang Ihrer Strukturstärkungsgesetz sicher noch darauf eingehen. Tätigkeit eine glänzende Zukunft – mindestens 15, wenn nicht sogar 20 Jahre mit einem Wachstum von 2 bis (Beifall bei der SPD) 2,5 Prozent – versprochen. Nun haben wir zumindest in Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde, wir einigen Branchen eine Rezession. sind es den Menschen in den betroffenen Regionen schul- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Eine dig, ob nun im rheinischen undS im Helmstedter Revier, Beruhigung!) (B) in Mitteldeutschland oder in der Lausitz, dass wir ihre (D) bisherigen Arbeitsleistungen honorieren und sagen: Wir Ich weiß, Herr Minister, es ist nicht Ihre Schuld, aber bauen euch eine Brücke in eine gute Zukunft, in eine sagen Sie deswegen auch nicht, wir würden eine Krise Zukunft mit Perspektive, mit neuen, gut bezahlten Ar- herbeireden. Meinen Sie im Ernst, dass eine Rezession beitsplätzen. – Das setzt aber bei allem gesellschaftlichen ausbricht, wenn ein Oppositionspolitiker oder ein Regie- Konsens voraus, dass wir die Vorschläge der Kommission rungspolitiker bei brummender Wirtschaft einmal laut „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ tatsäch- „Rezession“ sagen würde? lich eins zu eins umsetzen; denn alles andere wäre nicht (Heiterkeit der Abg. Katharina Dröge glaubwürdig. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Überschätzen wir unseren Einfluss an dieser Stelle also Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist bereits nicht! Ich sage auch: Zum Glück. angesprochen worden: Die Kommission „Gleichwertige (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Reden Sie es Lebensverhältnisse“ hat sehr interessante Vorschläge ge- aber bitte auch nicht herbei!) macht. Ich finde das insbesondere deswegen interessant, weil man sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt fühlt, wir Nein, ich rede es nicht herbei. Wir haben in der Politik täten jetzt alles nur für die Braunkohlereviere. Nein, wir aber das Problem, dass wir die Zahlen erst mit einem haben Disparitäten im ganzen Land, auch zwischen Stadt Nachlauf von drei bis sechs Monaten bekommen, und und Land. Es gilt, sich die sinnvollen Vorschläge dieser was in der betrieblichen Realität in der deutschen Wirt- Kommission ganz genau anzuschauen, auch den Hinweis, schaft im Moment los ist, ist nicht von mir, sondern von dass die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio- anderen Kolleginnen und Kollegen in dieser Runde ja nalen Wirtschaftsstruktur“ unter demografischen Ge- schon deutlich gesagt worden. sichtspunkten betrachtet werden muss, damit die darüber (Beifall bei der FDP) geförderten Maßnahmen dazu beitragen, die Verwerfun- gen, die wir in manchen strukturschwachen Regionen Herr Altmaier, Sie haben ein bisschen darum gebeten, verzeichnen, zu beheben. Ihre Mittelstandsstrategie positiv zu bewerten; Herr Linnemann hat das auch getan. Ich bin vom ZDF dazu In diesem Sinne wünsche ich gute Haushaltsberatun- befragt worden gen. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Oh! Wichti- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas ger Mann! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sehr Mattfeldt [CDU/CSU]) löblich!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13565

Reinhard Houben (A) und habe in der ersten Runde gesagt: Da ist so viel von der (Beifall bei der LINKEN) (C) FDP-Programmatik abgeschrieben worden; das ist su- per. – Das hat das ZDF aber nicht gebracht. Sie kennen Klaus Ernst (DIE LINKE): das Verfahren: Sie werden so lange gefragt, bis die Ant- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wort den Vorstellungen des Redakteurs ungefähr ent- Herr Minister! Herr Houben, einen Satz muss ich schon spricht. Deswegen ist dieses Lob leider nicht richtig rü- zu Ihnen sagen. bergekommen. (Reinhard Houben [FDP]: Das ist ja nett von ( [CDU/CSU]: Wer sich Ihnen! – Gegenruf des Abg. Michael Theurer anpasst, ist selber schuld!) [FDP]: Habt ihr das abgesprochen?) Herr Altmaier, die entscheidende Frage ist aber immer: Sie haben wieder über die Realität in den Betrieben ge- Was setzt man durch? Natürlich sind in Ihrer Mittel- sprochen. Ich war gestern in einem Betrieb, einem großen standsstrategie einige Dinge, die wir als FDP durchaus Hersteller in der Automobilindustrie. Ich kann Ihnen sa- unterstützen können und gerne auch unterstützen wollen. gen: Dieser Betrieb produziert hier in Deutschland. Entscheidend ist aber auf dem Platz. Entscheidend ist, was diese Bundesregierung am Ende des Tages wirklich (Michael Theurer [FDP]: Gehen Sie auch zu beschließt und umsetzt. kleinen Herstellern?) Er stellt inzwischen Autos her, die zu 100 Prozent elekt- (Thomas Jurk [SPD]: Lindner ist in die Kabine risch sind, und hat 1 500 neue Jobs geschaffen. Er bekennt gegangen!) sich ganz bewusst zum Standort Deutschland. Vielleicht Deswegen werden wir diesen Prozess weiterverfolgen. sind die Betriebe, die Sie besuchen, nicht die besten, weil diese glauben, sie müssten ins Ausland gehen, um dort Ich sage aber in der Rückschau: Was Ihre Industrie- niedrige Löhne und niedrige Steuersätze auszunutzen, strategie angeht, habe ich bisher erst ein Ergebnis faktisch feststellen können, nämlich die Genehmigung des Zu- (Michael Theurer [FDP]: Quatsch!) sammenschlusses von Zollern und Miba – das war sozu- sagen eine Art Morgengabe an den Mittelstand, weil die weil sie sonst nichts verdienten. Berichterstattung über Sie, Herr Altmaier, in den letzten (Reinhard Houben [FDP]: Blödsinn!) Monaten nicht gerade unheimlich super war – gegen alle Hinweise der Fachleute, dass man das eigentlich nicht Herr Houben, denken Sie einmal darüber nach. genehmigen sollte. Deswegen würde ich mich freuen, (Beifall bei der LINKEN) wenn von Ihrer Mittelstandsstrategie mehr übrig bleiben (B) würde als die Frage „Industriestrategie versus Miba/Zol- Herr Altmaier, ich habe in Ihrem Haushaltsentwurf (D) lern“. wirklich geforscht: Wo sind denn Antworten auf die wirk- lich dringenden Herausforderungen? Wo sind Maßnah- (Beifall bei der FDP) men für den sozial-ökologischen Umbau? Da wollen Meine Damen und Herren, wir müssen – da haben Sie Sie jetzt mit einem Klimapaket nachlegen – einverstan- schon eine wichtige Funktion, Herr Minister – endlich den. Aber Digitalisierung, chinesische Expansionspolitik, wieder ein Klima in diesem Land schaffen, in dem man Strafzölle der Amerikaner, exterritoriale Sanktionen, Ab- die Wirtschaft nicht als Problem, sondern als Teil der schottungspolitik der USA, ein riesiger Investitionsstau, Lösung, als Partner für technische Entwicklungen, als sinkende Wachstumsraten, zunehmende Kurzarbeit: Herr Partner zur Sicherung unseres Wohlstandes, ansieht. Altmaier – es tut mir leid –, die Antworten darauf sind in Denn wenn unsere Industrie und unsere Wirtschaft nicht Ihrem Haushaltsentwurf nicht zu finden. Das, was wir funktionieren, Herr Minister, dann haben wir nicht die hier sehen, ist eher Kleinkram, aber nicht das, was wirk- Mittel, die wir für alle sozialpolitischen, klimapolitischen lich notwendig wäre. und weiteren Ziele, die wir über unseren Haushalt und Das war Anfang des Jahres noch anders, Herr Altmaier. unsere Steuereinnahmen finanzieren wollen, brauchen. Da haben Sie in Ihrer Industriestrategie festgestellt – ich Wir müssen es schaffen, dass die Menschen in diesem möchte Sie zitieren –, „dass die Summe der betriebswirt- Land wieder eine positive Einstellung zur deutschen schaftlichen Einzelentscheidungen der Unternehmen ei- Wirtschaft haben. Wir haben nämlich den Eindruck, dass nes Landes nicht ausreicht, um globale Kräfte- und Wohl- die Stimmung in Deutschland, was die deutsche Industrie standsverschiebungen auszugleichen oder zu verhindern: und Wirtschaft angeht, im Moment schlecht ist. Denn ein Unternehmen hat sein Fortkommen im Blick, Deswegen: Wir brauchen die Wirtschaft. Wir wollen nicht das des gesamten Landes.“ Sie leiten daraus eine Partner der Wirtschaft sein. Es wäre auch schön, wenn die aktivere Rolle des Staates im Wirtschaftsgeschehen ab. Bundesregierung sich entsprechend verhalten würde. Ein weiteres Zitat aus Ihrem Bericht: „Bloßes Abwarten und Nichtstun reichen nicht aus.“ Vielen Dank. Aber wo ist all das nur in Ihrem Haushaltsentwurf zu (Beifall bei der FDP) finden, Herr Altmaier? Wo sind die konkreten Aktivitä- ten, die Aktivitäten des Wirtschaftsministeriums? Vizepräsidentin Petra Pau: China strebt eine Technologieführerschaft an. Glauben Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Sie tatsächlich, dass wir dem durch eine Senkung der Die Linke. Unternehmensteuer begegnen können, gerade angesichts 13566 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Klaus Ernst (A) der Tatsache, dass seit 2012 die nichtfinanziellen Kapital- (Beifall bei der LINKEN) (C) gesellschaften weniger als 10 Prozent ihrer Gewinne rein- vestieren? Was nützt es, für sie die Steuern zu senken? Vizepräsidentin Petra Pau: Dann haben sie mehr im Säckel, aber wir haben dadurch Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die nicht mehr Investitionen. Kollegin Katharina Dröge das Wort. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die FDP sagt dann natürlich: Die Unternehmen gehen dann ins Ausland. – Aber das tun Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sie ja nicht, wie ich gerade nachgewiesen habe. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Sehr geehrter Minister Altmaier, Sie In Ihrer jüngsten Mittelstandsstrategie, Herr Altmaier, hatten bislang als Wirtschaftsminister keine einfache wehren Sie sich dagegen, dass Unternehmen, die Subun- Zeit. Ich habe in den vergangenen Jahren die Arbeit vieler ternehmen beschäftigen, für deren Einhaltung des Min- Wirtschaftsminister verfolgt, und ich glaube, keiner ist so destlohns haften sollen. Glauben Sie tatsächlich, dass da- viel von so vielen unterschiedlichen Gruppen kritisiert durch die exterritorialen US-Sanktionen und die daraus worden wie Sie in Ihrer Amtszeit. Das ist überraschend; resultierenden geringeren Auftragseingänge für unsere denn eigentlich haben Sie ja gar nichts gemacht. Industrie aufgefangen werden? Herr Altmaier, auch ein Unternehmensstrafrecht lehnen Sie ab. Die Einschrän- Das, was Sie uns in Ihrer Amtszeit im Bundestag vor- kung von sachgrundlosen Befristungen lehnen Sie ebenso gelegt haben, waren nett klingende Strategien; das waren ab. Kommissionen, aus denen nichts folgt, und Ankündigun- gen in der Presse. Aber ansonsten haben wir hier im Bun- Herr Linnemann, ich habe gehört, Sie wollen auch die destag bislang herzlich wenig von Ihnen diskutieren kön- Arbeitszeit weiter flexibilisieren. Glauben Sie tatsäch- nen. lich, dass das die Probleme löst? Ist das Ihre Antwort an die Wirtschaft? Ist das Ihre Antwort auf drohende (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Strafzölle der USA? Meine Damen und Herren, Sie wer- den den Herausforderungen in keiner Weise gerecht. Das Da ist es umso überraschender, dass Sie es trotzdem ist fatal. geschafft haben, selbst die deutsche Wirtschaft, die Ihnen eigentlich wohlgesonnen sein müsste, bzw. selbst die mit- (Beifall bei der LINKEN) telständische Wirtschaft so gegen sich aufzubringen, dass deren Vertreter mittlerweile öffentlich und vehement Kri- Wir müssten die Nachfrage stärken, notwendige Investi- tik an Ihnen äußern. Sie haben es – wiederum mit einer tionen anschieben und klare Weichenstellungen vorneh- (B) zentralen Strategie Ihrer Amtszeit, nämlich der Industrie- (D) men. strategie – geschafft, sogar Ihre eigene Fraktion so sehr Ein Letztes muss ich Ihnen noch sagen. Wenn wir beim gegen sich aufzubringen, dass sie sich mit öffentlichen Klimaschutz nicht endlich Tempo machen, kostet das die Äußerungen gegen Sie wenden musste. künftigen Generationen sehr viel Geld und die künftigen Herr Linnemann hat hier eine sehr freundliche Rede Bundeshaushalte Milliarden. 35 Windräder sind im letz- gehalten. Zur Industriestrategie hat er aber sehr klare ten Halbjahr in Deutschland an Land aufgestellt worden. Worte gefunden. Und selbst Ihr Generalsekretär, Paul Die dahinterstehende Industrie liegt am Boden; Sie wis- Ziemiak, musste jetzt dem „Handelsblatt“ sagen, er sen das. Wo sind nun die Aktivitäten, um das zu ändern? möchte das wirtschaftspolitische Profil der CDU wieder Sie schlagen vor, eine Stiftung zu gründen, bei der es schärfen. Ich würde sagen, das ist hart, wenn man den Anleihen mit einer Verzinsung von 2 Prozent für diejeni- Wirtschaftsminister stellt. gen gibt, die da ihr Geld anlegen. Mit diesem Geld sollen Maßnahmen zur CO2-Minderung finanziert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben immer gesagt: Der Staat ist kein guter Unter- Deshalb kann ich verstehen, dass Sie verunsichert sind. nehmer. Wenn Sie diese Stiftung gründen, dann machen Ich kann verstehen, dass man, wenn man so von den ei- Sie den Staat auch zum schlechten Banker. Wenn Sie am genen Leuten kritisiert wird, eine Bremse im Kopf hat. Finanzmarkt Geld leihen, zahlen Sie dafür keine Zinsen. Aber einen Wirtschaftsminister, der mutlos ist und der Sie haben sogar den Vorteil, dass Sie weniger zurückzah- eigentlich handlungsunfähig ist, weil er vor den eigenen len müssen, als Sie geliehen haben, weil wir Negativzin- Leuten Angst hat, können wir in diesem Land nicht ge- sen haben. brauchen. Wenn Sie also die 2 Prozent an die verschenken wollen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Geld haben, dann müssen Sie das so machen. Wir lehnen das ab. Herr Altmaier, dieses Land rutscht wirtschaftlich ge- rade in den Keller, und wir brauchen einen Wirtschafts- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- minister, der den Mut hat, jetzt dagegenzusteuern. Neh- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) men wir das Thema Wettbewerbsfähigkeit, und schauen wir uns die Unternehmen in diesem Land genau an: Was Wir glauben, das, was Sie vorgelegt haben, Herr brauchen sie? Sie brauchen keine Steuersenkung, wenn Altmaier, ist eine magere Bilanz, und ich hoffe, Sie wer- man bedenkt, wie viel Kapital in Deutschland zur Ver- den noch besser. fügung steht; sie brauchen eine funktionierende Infra- Recht herzlichen Dank. struktur. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13567

Katharina Dröge (A) Wenn man das Thema Wettbewerbsfähigkeit wirklich (Beifall bei der CDU/CSU) (C) ernst nimmt, dann brauchen die Unternehmen den Breit- bandausbau. Die Finanzierung kriegen Sie aber nicht hin. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Sie brauchen Investitionen in Klimaschutz. Die zu finan- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- zieren, kriegen Sie auch nicht hin. Und wir brauchen ne sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat – es ist Investitionen in Zukunftstechnologien. Auch das kriegen angeklungen –, wir haben es in den letzten Jahren, wenn Sie nicht hin. Das wäre eigentlich der Job, den Sie als wir hier über den Haushalt debattiert haben, immer mit Wirtschaftsminister hätten. vollen Kassen zu tun gehabt und auch mit der höchsten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beschäftigung aller Zeiten. Die haben wir noch heute mit 45 Millionen Beschäftigten. Wir hatten ständig steigende Gerade die jungen Menschen erwarten von uns, dass Steuereinnahmen. Damit ist jetzt, wie es aussieht, zu- Sie etwas gegen die Klimakatastrophe tun und dass wir nächst einmal Schluss. Es gibt in diesem Jahr eventuell jetzt mit aller Kraft handeln. Ich glaube, Sie sind so pa- sogar – da brauchen wir nichts schlecht- oder herbeizu- ralysiert von den Debatten in der eigenen Fraktion, dass reden; man muss einfach nur die Zahlen anschauen – eine Sie nur noch unlogische Vorschläge hinkriegen. Sie ha- technische Rezession. Wenn das Bruttoinlandsprodukt in ben sich gerade selber für Ihre Idee der Klimastiftung zwei aufeinanderfolgenden Quartalen inflationsbereinigt gelobt. Ich habe sie mir angeschaut. Zuerst habe ich ge- sinkt, dann reden wir davon, und eine solche Rezession dacht, ich mache einen Denkfehler und checke es nicht, kann dieses Jahr durchaus eintreten. was Sie uns vorschlagen, weil ich mir gesagt habe, so unlogisch kann das nicht sein. Im Endeffekt schlagen Ich verweise auch auf den Brexit und die nach wie vor Sie uns vor, dass Sie, obwohl Sie als Staat sich zu 0 Pro- bestehende Verschuldungssituation anderer Länder in Eu- zent Zinsen Geld leihen können, stattdessen den Leuten ropa, über die niemand mehr spricht, auf Frühindikatoren lieber 2 Prozent Zinsen schenken, damit sie Investitionen wie die Kurzarbeit. Die Kurzarbeit im industriellen Be- tätigen, die Sie selber billiger hinkriegen. Das ist so un- reich hat sich gegenüber dem letzten Jahr bereits verdop- logisch. Das ist keine vernünftige Wirtschaftspolitik; das pelt, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. Wenn man ist einfach nur Ideologie. mal die letzten Wochen und Monate Revue passieren lässt im Hinblick auf das, was angekündigt wurde, Arbeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN plätze, insbesondere in Großunternehmen, abzubauen, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) dann sollte man schon innehalten und sagen: Wahrschein- lich wird es nicht mehr so weitergehen wie die letzten Wenn Sie über das Thema Klimaschutz reden, Herr Jahre, sondern wir müssen jetzt entsprechende Reformen Altmaier – Sie sind ja ein kluger Mensch; Sie sehen, (B) in Angriff nehmen; denn jetzt ist die beste Zeit dazu. Jetzt (D) was gerade im Amazonas passiert –, dann wissen Sie haben wir noch die Gelegenheit dazu, mit einem ent- auch, was die Brände im Amazonas bedeuten und dass sprechenden Umsteuern im Haushalt die richtigen wir nur noch wenige Prozente der Amazonasfläche durch Weichenstellungen vorzunehmen. Ich glaube, das ist un- die Brände verlieren müssen, um dann in der Gefahr zu sere Aufgabe. stehen, den gesamten Amazonas zu verlieren. Sie wissen, was das für das Weltklima bedeutet. Unsere Aufgabe ist nicht Schwarzmalerei; die braucht es nicht. Es braucht sicher auch keine klassischen Kon- Angesichts dessen kann ich es nicht verstehen, dass junkturprogramme. Hier war wieder von Programmen sich die deutsche Bundesregierung nicht mit aller Kraft zur Nachfrageerhöhung die Rede. Die Binnennachfrage und allen Mitteln, die Sie haben, dafür einsetzt, den Ama- ist nach wie vor die tragende Säule des Bruttoinlands- zonasregenwald zu bewahren und die Klimakrise aufzu- produkts und auch des – wenn auch noch bescheidenen – halten. Ich kann es nicht verstehen, dass Sie Präsident Wachstums. Deshalb müssen wir eher aufpassen, dass das Macron so im Regen stehen lassen, wenn er sagt: Lassen Ganze nicht nach hinten losgeht. Ein klassisches Kon- Sie uns das Mercosur-Abkommen jetzt nutzen! Lassen junkturprogramm, zum Beispiel in der Bauindustrie, wür- Sie uns wirtschaftliche Sanktionen aussprechen! de heute das Gegenteil bewirken. Wenn Sie sich mal die Gegen Bolsonaro und seine Klimawandelleugnerpoli- Auftragslage der Bauunternehmen anschauen, stellen Sie tik hilft nichts anderes als wirtschaftliche Sanktionen. fest: Deren Kapazitäten sind hoffnungslos ausgelastet. Sie bekommen kaum ein Angebot, egal ob im Handwerk, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Baubereich oder im Bereich der Digitalisierung, etwa und bei der LINKEN) beim Glasfaserausbau. Deshalb würde ein solches Pro- gramm sicher ins Leere laufen. Wenn Sie das Klima schützen und wirklich etwas tun wollen, dann müssen Sie das am Amazonas beweisen, Was wir brauchen, sind kluge und gezielte Strukturre- und dafür sind Sie jetzt bei dem Mercosur-Abkommen formen, auf die ich gerne noch mit ein paar Punkten ein- gefordert. gehen will; eine ganze Reihe sind bereits genannt worden. Wir brauchen vor allem weiterhin einen soliden Haushalt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb halten wir als Union und ich überhaupt nichts davon, dass wir hier die schwarze Null infrage stellen Vizepräsidentin Petra Pau: oder die schwarze Null gegen den Klimaschutz ausspie- len. Wir haben es doch erlebt. Sind wir alle zusammen Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Joachim Pfeiffer denn so kurzsichtig und denken wir nicht mehr an das, das Wort. was noch vor wenigen Jahren war? Wir haben über 40 Jah- 13568 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Joachim Pfeiffer (A) re über unsere Verhältnisse gelebt – von 1969 bis 2010 –, Vizepräsident : (C) mit den damit verbundenen Folgen nicht nur im Bund, Herr Kollege, Sie haben jetzt noch einen Satz. sondern auch in den Ländern und in den Gemeinden, etwa dass wir Spielraum verloren haben. Jetzt haben wir uns diesen Spielraum in der Aufschwungsphase mühsam zu- Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): rückerkämpft, und es wäre, glaube ich, grundfalsch, das Produkte und Dienstleistungen – – jetzt aufzugeben. (Das Mikrofon wird abgeschaltet) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Deshalb ist die schwarze Null eine nachhaltige Aktion Vielen Dank. – Wenn Sie ankündigen, zum Ende zu kom- und ein nachhaltiges Instrument, das wir sozusagen men, sollten Sie dieser Ankündigung auch Taten folgen dauerhaft vor die Klammer ziehen müssen. lassen; sonst hat der nachfolgende Redner aus Ihrer Frak- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Korrekt!) tion ein kleines Problem. Was sollen wir jetzt tun? Dinge wie Fachkräfte und Als nächster Redner hat der Kollege Hansjörg Müller, Arbeitsmarkt sind angesprochen worden. Ich will auf AfD-Fraktion, das Wort. das Thema Innovationen eingehen; meine Redezeit ist (Beifall bei der AfD) leider sehr beschränkt. Wir haben erreicht, dass 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwick- Hansjörg Müller (AfD): lung ausgegeben werden. Das ist super. Aber das reicht noch lange nicht aus; denn wir wollen in absehbarer Zeit Hohes Präsidium! Verehrter Herr Minister! Liebe Kol- 3,5 oder sogar 4 Prozent erreichen, und da legt auch der leginnen und Kollegen! Was braucht unsere deutsche Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Wirtschaft am dringendsten, damit sie wieder atmen Energie entsprechend nach. Wir fördern die Innovations- kann? Abbau der Überbürokratisierung! Der Haushalts- und Technologiepolitik in 2020 noch mehr als im Vorjahr. plan des Bundeswirtschaftsministeriums besteht aus 224 Statt 3,1 Milliarden Euro stehen künftig 3,4 Milliarden Seiten, wovon sich nur eine Zeile mit dem Bürokratieab- Euro zur Verfügung. Es sind also über 200 Millionen Euro bau beschäftigt. Versteckt unter „Sonstige Bewilligun- mehr, die in die Projektförderung fließen. gen“ heißt es: „Maßnahmen zum Bürokratieabbau sowie zur Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie“. Das Diese Projektförderung ist gut. Das Zentrale Innova- Budget dafür beträgt 1 Million Euro. Bezogen auf den tionsprogramm Mittelstand beispielsweise, die industriel- Gesamtplan des Wirtschaftsministeriums von 9,1 Milliar- (B) (D) le Gemeinschaftsforschung gilt es weiter auszubauen. den Euro sind das sagenhafte 0,01 Prozent. Wir haben gemeinsam die Perspektive entwickelt, die Es wäre sinnvoll die circa zehn verschiedenen Förder- sogar noch weiter zu erhöhen. Da müssen wir schrittweise töpfe für kleine und mittelständische Unternehmen in et- hinkommen. Dann können wir entsprechende Innovatio- wa zwei Fördertöpfen zusammenzufassen; denn sonst nen und Produkte erreichen. blickt in diesem Beantragungsdschungel kein Unterneh- Wir müssen auf europäischer Ebene – das hat heute mer mehr durch. noch keiner angesprochen – die IPCEI-Projekte, also Im- Besonders dreist, Herr Minister, sind die Ausgaben aus portant Projects of Common European Interest, vorantrei- Kapitel 0910, Position 541 01: ben. Wir haben sie in der Mikroelektronik, wir brauchen sie bei Batterien, aus meiner Sicht auch bei 5G oder bei (Zuruf von der FDP: Ach die!) der künstlichen Intelligenz. – Die Zeit läuft davon; des- Das sind 4,7 Millionen Euro für die Propaganda des Wirt- halb komme ich zum Ende. – Wir müssen diese Innova- schaftsministeriums zur – wortwörtlich; ich zitiere – tionen im Projektbereich weiter ausbauen. „Überwindung von Vorbehalten ..., um alle Zielgruppen Wir wollen und werden das durch eine zweite Säule wirksam zu erreichen“. ergänzen, nämlich die steuerliche Forschungsförderung, Am effektivsten wäre es, den ganzen Förderunsinn zu für die sich das ganze Haus hier, soweit ich das sehe, in streichen. Dieser führt immer zu massiven Geldverlusten den vergangenen Jahren immer eingesetzt hat. durch ausufernde Bürokratie. Der Unternehmer weiß besser als der Staat, worin es sich zu investieren lohnt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Anstatt sein Geld erst durch überhöhte Steuern einzusam- meln und ihm dann mit Verlusten zurückzugeben, wäre Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. die bessere Lösung: Steuerfreistellung für reinvestierte Gewinne. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): (Beifall bei der AfD) Deshalb gilt es jetzt, in dieser Legislaturperiode, im nächsten Jahr diese steuerliche Forschungsförderung Zum falschen Grundansatz des Bundeshaushalts die endlich aufs Gleis zu bringen. passenden Worte des freiheitlichen Ökonomen, Roland Baader, zitiert aus seinem Werk „Kreide für den Wolf“: (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bin ein glühender Anhänger des demokratischen Dann haben wir die Chance, - Rechtsstaats; ich bekenne mich zur freiheitlichen, indivi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13569

Hansjörg Müller (A) dualistischen und christlichen Kultur, Tradition und Zivi- men in seinen Fokus nimmt und Eckpunkte für eine Mit- (C) lisation des Abendlandes und der freien westlichen Welt. telstandsstrategie vorgelegt hat. Und genau aus diesem ernsten Grund sage ich allen hier versammelten Volksvertretern, allen Parteien, Politikern (Beifall des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/ und Regierungsmitgliedern: Ich brauche Eure Subventio- CSU]) nen und Transferzahlungen nicht; ich will nicht Euer Kin- Auffällig ist allerdings, dass die Vorschläge aus dem der-, Mutterschafts- und Sterbegeld, nicht Eure tausend BMWi häufig dann konkret werden, wenn andere – vor- Almosen und milden Gaben, die Ihr mir vorher aus der nehmlich SPD-geführte – Ressorts für die Umsetzung Tasche gezogen habt – und mir und meinen Kindern noch verantwortlich sind. in fünfzig Jahren aus der Tasche ziehen werdet. ... Aber: Laßt mich dafür auch in Frieden. Ich bin nicht Euer (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Buchhalter, Statistiker und Belegsammler, der die Hälfte Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) seiner Lebenszeit damit zubringt, Eure Schnüffel-Büro- So wird geplant, die Steuerbelastung von Unternehmen kratie zu befriedigen, der von einem Paragraphen-Knäuel auf 25 Prozent abzusenken. Der Ansatz, Steuern zu sen- zum anderen taumelt ... Schickt Euer Millionenheer von ken, weil andere Länder ihre Steuersätze zurückdrehen, ...parasitären Umverteilern nach Hause ... greift meiner Ansicht nach aber zu kurz. Einem Unter- bietungswettbewerb auf Kosten der Bürgerinnen und (Zuruf von der SPD: Hey!) Bürger wollen wir uns nicht anschließen. Dies ist mein Leben ... Ich bin ein freier Mann, (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des ( [BÜNDNIS 90/DIE Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) GRÜNEN]: Pfui!) Allerdings entlasten wir durch die schrittweise Ab- der für sein Schicksal selbst und allein verantwortlich ist, schaffung des Solidaritätszuschlages. Zudem setzen wir der sich in die Gemeinschaft einfügt und die Rechte an- uns für Steuergerechtigkeit ein, und die definieren wir derer genauso respektiert wie er seinen eigenen Pflichten nicht über möglichst niedrige Sätze. Steuergerechtigkeit nachkommt, der aber keine selbsternannten Ammen und definiert sich unter anderem darüber, dass es uns gelingt, scheinheiligen Guten Onkels, keine ausbeuterischen der Praxis von Großkonzernen, ihre Gewinne ins Ausland Wohltäter und von mir bezahlten Paradiesverkünder zu verlagern, endlich einen Riegel vorzuschieben. Steuer- braucht. gerechtigkeit heißt, Betriebe, die ihren Verpflichtungen nachkommen – und das sind gerade die kleinen und mitt- (Timon Gremmels [SPD]: Thema verfehlt!) leren Betriebe –, zu schützen und denjenigen auf die Füße (B) Das war sehr wohl zum Thema. zu treten, die – das ist der falsche Ansatz – ihre Gewinne (D) durch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung maxi- Es war Roland Baaders Traum, dass ein Bundestags- mieren wollen. abgeordneter diese, seine Rede für ihn in diesem Hohen Hause hält. In memoriam Roland Baader. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich bedanke mich. Des Weiteren wollen wir Unternehmen entlasten, wenn sie in Forschung und Entwicklung investieren. Mit der (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Timon steuerlichen Forschungszulage von Bundesminister Gremmels [SPD]: Nicht einmal eine eigene Re- Scholz fördern wir die Arbeitsplätze und geben neue Im- de können Sie halten!) pulse. Mit mehr Mitteln im Haushalt wird auch die in- dustrielle Gemeinschaftsforschung gestärkt. Das ist der richtige Ansatz; denn Kooperation ist die Ideenschmiede Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und vor allen Dingen die Umsetzungsschmiede in der Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als nächste Red- heutigen Zeit. nerin spricht zu uns die Kollegin Sabine Poschmann, SPD-Fraktion. Allerdings würde ich mir dieses auch beim ZIM-Pro- gramm wünschen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) (Heidrun Bluhm-Förster [DIE LINKE]: Wir auch!) Sabine Poschmann (SPD): Hier sollte der Titel ebenfalls erhöht werden oder zumin- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dest gleich bleiben, aber nicht sinken. Ich glaube, darüber Kollegen! Wir kommen zum Thema zurück. müssten wir noch einmal gemeinsam reden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Bei der Industrie ist aufgrund zurückhaltender Aus- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- landsnachfrage ein Auftragsrückgang zu verzeichnen. NEN) Mittelstand und Handwerk dagegen bleiben relativ stabil. Neben steuerlichen Anreizen und Förderprogrammen Deshalb ist es wichtig, gerade diesen Bereich, den Mittel- ist es wichtig, dass wir endlich – es wurde schon genannt – stand und das Handwerk, als Stabilitätsanker weiter zu mit dem Bürokratieabbau vorankommen, aber nicht, wie stützen. Daher begrüße ich, dass Bundesminister es zunächst vom Minister vorgeschlagen wurde, auf Kos- Altmaier nun auch kleine und mittelständische Unterneh- ten der Arbeitnehmer. Eine Begrenzung der Auftragge- 13570 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Sabine Poschmann (A) berhaftung beim Mindestlohn etwa, wie vorgeschlagen, Netzinfrastruktur haben. Im Cloud-Geschäft sitzen die (C) ist hier nicht der richtige Weg. Die hohe Anzahl der Miss- Weltmarktführer schon seit Jahr und Tag nicht in brauchsfälle beim Mindestlohn spricht eindeutig dage- Deutschland, nicht in Europa. Wir müssen immer wieder gen. feststellen, dass in den Weltregionen, die viele digitale Märkte dominieren, nicht unbedingt die Datensouveräni- Bei der Wiedereinführung der Meisterpflicht in einigen tät des Nutzers im Mittelpunkt steht. Doch dieser Haus- Gewerken sind wir mit der Koalitionsarbeitsgruppe zum halt setzt die Segel auf mehr Souveränität. Glück schon wesentlich weiter gekommen. Der Entwurf liegt bereits vor; er stößt auf breiten gesellschaftlichen Allein im Einzelplan Wirtschaft ist für den Bereich Konsens. Damit stärken wir das Handwerk, machen es „Digitale Agenda“ eine halbe Milliarde Euro vorgesehen. attraktiver für Fachkräfte und schaffen Sicherheit für die Ein Großteil dieses Geldes – fast die Hälfte – wird dabei Verbraucher. für die Finanzierung eines europäischen Programms zur Entwicklung und Förderung von Mikroelektronik auf- Es gibt viele sinnvolle Ansätze, glaube ich, die deut- gewendet. Diese Investition ist Teil eines EU-Groß- sche Wirtschaft zu stärken. Eine pauschale Steuerentlas- projektes, das insgesamt staatliche Investitionen in Höhe tung der Unternehmen ist meiner Ansicht nach zurzeit von 1,75 Milliarden Euro umfasst. Zusammen mit ande- nicht notwendig und wird von uns auch nicht mitgetra- ren Mitgliedstaaten wird Deutschland diese Summe stem- gen. men. Denn wir müssen in Europa in der Lage sein, wett- Herzlichen Dank. bewerbsfähige und energieeffiziente Computerchips herzustellen. Diese brauchen wir nicht nur für die ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) netzte Produktion, sondern auch für die Bindung von Folgeinvestitionen in Wissenschaft und Forschung. Denn Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nur wer über das Know-how von Hochtechnologie ver- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner fügt, der wird auch in der Lage sein, die digitale Revolu- spricht zu uns der Kollege Hansjörg Durz, CDU/CSU- tion souverän nach seinen Werten zu gestalten. Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doch dafür ist nicht allein die Fähigkeit zur Herstel- lung digitaler Hardware notwendig. Wir brauchen auch Hansjörg Durz (CDU/CSU): kluge Ideen, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Um den Technologie- und Innovationstransfer aus For- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der schung und Entwicklung in die Wirtschaft zu ermögli- (B) Haushaltsentwurf für das kommende Jahr reiht sich in die chen, werden im kommenden Jahr allein im Wirtschafts- (D) Kette der nachhaltigen und generationengerechten Fi- haushalt mehr als 44 Millionen Euro ausgegeben. nanzpolitik der vergangenen Jahre ein. Doch die schwar- Hier finde ich vor allem zwei Projekte erwähnenswert: ze Null bedeutet nicht ein Null an Investitionen. die Agentur für Sprunginnovationen und die Einrichtung Ganz im Gegenteil: So steigt allein das Budget des von Reallaboren. Bei beiden geht es um Innovation, um Wirtschaftsministeriums im kommenden Jahr um rund Möglichmachen. 12 Prozent. Grund dafür sind vor allem die Investitionen im Bereich Digitalisierung. Damit hat der Einzelplan des (Beifall bei der CDU/CSU) Bundeswirtschaftsministers seinen Anteil an der Rekord- Die Agentur für Sprunginnovationen soll in den komm- investitionssumme des gesamten Haushaltsentwurfes. enden zehn Jahren mit Investitionen in Höhe von 1 Mil- Diese Summe liegt bei 40 Milliarden Euro, eine Rekord- liarde Euro Unternehmen fördern, die auf radikale tech- summe, die es umzusetzen gilt. nologische Neuerungen und neuartige Geschäftsmodelle setzen. Wie diese Innovationen umgesetzt, wie bestehen- Die Beratung und Verabschiedung eines Haushaltes ist de regulatorische Ansätze hinterfragt und weiter- aber nicht nur angesichts dieses Rekordwertes etwas Be- entwickelt werden können, soll in Reallaboren erkundet sonderes. In Anlehnung an einen bekannten Satz der po- werden; denn die Devise des lebenslangen Lernens muss litischen Philosophie kann man sagen: Souverän ist, wer auch für den Staat gelten. über den Haushalt entscheidet. – Wer das Geld verteilt, lenkt die Entwicklung unserer Gesellschaft. Haushaltsde- Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit zu stär- batten sind deshalb auch Ausdruck dieser Parlamentssou- ken, aber auch die Freiheit und den Wohlstand in der veränität. digitalen Zukunft zu mehren, das ist ein Anliegen dieses Haushaltes, und das sollte auch Anliegen dieses Parla- Solch ein hohes Maß an Souveränität kann Deutsch- ments sein, wenn wir in den nächsten Wochen diskutie- land, ja, kann Europa in der digitalen Welt in vielen ren, was wir gegebenenfalls noch besser machen können. Feldern nicht ausüben. Ob wir auf die Herstellung von Zwei Vorschläge vielleicht dazu: Hardware schauen oder auf die Entwicklung von Anwen- dungen zu künstlicher Intelligenz: Oftmals mangelt es am Zum einen müssen wir den Mittelstand bei der Digita- Transfer von Ideen, oftmals mangelt es an Unternehmen. lisierung seiner Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse Das hat Folgen, wie die Debatten der Digitalpolitik be- in der Breite noch besser unterstützen. Dazu sind nicht reits in diesem Jahr gezeigt haben. So müssen wir aner- nur Förderprogramme vonnöten. Zusätzlich müssen wir kennen, welch starke Marktposition beispielsweise An- uns auch die Fristen für Abschreibungen bei digitalen bieter aus Fernost mittlerweile beim Ausbau der 5G- Investitionen ansehen. Wir müssen diese verkürzen; denn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13571

Hansjörg Durz

(A) gerade technologische Innovationen haben eine sehr kur- Und wir wollen, dass die Einnahmen aus einer CO2- (C) ze Halbwertszeit. Die heutigen Fristen machen Investitio- Bepreisung an die Menschen zurückgegeben werden, die nen in digitale Technologien oft unrentabel. Das muss sich klimafreundlich verhalten. sich ändern. Außerdem machen wir deutlich: Auch Unternehmen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei müssen ihren Beitrag leisten. Ich bin mir sicher: Beim Abgeordneten der FDP) Klimaschutz sind die deutschen Unternehmen deutlich weiter als die rechte Seite dieses Hauses, gerade weil Und mit Blick auf den Bundeshaushalt brauchen wir diese Unternehmen wissen, dass innovative, klima- noch mehr Transparenz. Im Gesamthaushalt stecken viele freundliche Technologien sie in Zukunft zu Exportweltm- Mittel für Digitales. Sie sind über zahlreiche Einzelpläne eistern machen bzw. dafür sorgen, dass sie Exportwelt- der Ministerien verstreut. Allerdings gibt es keine Ge- meister bleiben. Genau das können wir erreichen, indem samtübersicht. Doch diese brauchen wir. wir innovative Klimaschutzideen und -technologien auf den Weg bringen, meine sehr verehrten Damen und Her- Das macht unsere Anstrengungen in diesem Bereich ren. deutlich sichtbarer, das erkennt auch die Arbeit des Aus- schusses Digitale Agenda an, und das stärkt die Souverä- (Beifall bei der SPD) nität dieses Hauses. Ich nenne Ihnen beispielhaft vier Unternehmen, die Ich danke Ihnen. wirklich vorangehen: BASF will bis 2030 klimaneutral wachsen, Bosch will schon 2020 komplett klimaneutral (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei sein, Volkswagen führt eine unternehmensinterne CO2- Abgeordneten der SPD) Bepreisung ein, und thyssenkrupp schließlich arbeitet an einer klimafreundlichen Stahlproduktion, bei der Was- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: serstoff statt Kohle eingesetzt wird. Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächstem Redner er- (Andreas Rimkus [SPD]: Bravo!) teile ich das Wort dem Kollegen Timon Gremmels, SPD- Diese Liste ließe sich fortsetzen. Die deutsche Indust- Fraktion. rie ist mit ihren Technologien viel weiter als Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Timon Gremmels (SPD): (B) Drittens. Ja, es ist ein Gesamtkonzept notwendig; denn (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Unternehmen brauchen Planungs- und Investitionssicher- Damen und Herren! Lassen Sie mich gegen Ende der heit. Ob bei Investitionen in die E-Mobilität, in die Was- Debatte zum Einzelplan des Wirtschafts- und Energiemi- serstofftechnologie oder in den klimaneutralen Stahl: Un- nisters drei Anmerkungen machen. ternehmen müssen wissen, wie es in den nächsten 30 Jahren weitergeht. Das Gleiche gilt für die Bürgerin- Erste Anmerkung. Klimaschutz scheitert in erster Linie nen und Bürger, die ihre Heizungen austauschen, ihr nicht am Geld. Das merken wir derzeit beim Energie- und Dach sanieren oder sich ein neues Auto kaufen müssen. Klimafonds: Da ist genug Geld vorhanden, allerdings Auch sie brauchen Planungssicherheit, und die wollen wird es nicht abgerufen. Deswegen ist es richtig, dass wir schaffen. wir dieses Mal anders vorgehen: Zunächst verständigt sich das Klimakabinett auf notwendige Maßnahmen, (Beifall bei der SPD) und dann stellen wir als Bundestag die finanziellen Mittel bereit. Ich glaube, das ist ein richtiger Weg. Wir als SPD- Deswegen brauchen wir ein schlüssiges Gesamtkon- Fraktion unterstützen das ausdrücklich, meine sehr ver- zept, welches Ordnungsrecht, Förderprogramme und na- ehrten Damen und Herren. türlich auch eine neutrale Beratung umfasst. Diese drei Dinge sind wichtig. Und, Herr Altmaier – leider haben Zweite Anmerkung. Klimaschutz darf Bürgerinnen Sie dazu in Ihrer Rede gar nichts gesagt –, wir brauchen in und Bürger nicht finanziell überfordern. Machen wir dieser Gesamtstrategie auch den Ausbau der erneuerba- uns ehrlich: Klimaschutz wird uns etwas kosten, und Kli- ren Energien. Wir müssen da vorankommen. Wenn wir maschutz darf uns auch etwas kosten. Aber wir als SPD das Ziel, bis 2030 65 Prozent unserer Energie aus erneuer- sagen klar und deutlich: Wir dürfen Bürgerinnen und baren Energiequellen zu gewinnen, erreichen wollen, Bürger mit mittleren und kleinen Einkommen nicht über- muss auch das Teil unserer Haushaltspolitik werden, mei- lasten. Das ist unser Maßstab für all das, was ansteht. ne sehr verehrten Damen und Herren. Da muss das Wirt- Deswegen werden wir dafür sorgen, dass mit einer schafts- und Energieministerium deutlich mehr leisten. CO2-Bepreisung nicht der unsanierte Pendler und die Menschen, die im ländlichen Raum leben, die Zeche zah- (Beifall bei der SPD) len. Da sind wir der Anwalt dieser Menschen, meine sehr Dazu zwei konkrete Beispiele: Erstens. Der PV-Deckel verehrten Damen und Herren. gehört abgeschafft. Photovoltaik ist die am meisten ak- zeptierte und preiswerteste Form der Energieerzeugung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Dr. Gero (Dr. [AfD]: Das stimmt Clemens Hocker [FDP]) nicht!) 13572 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Timon Gremmels (A) Zweitens müssen wir auch beim Windradausbau vo- weiter unterstützen, und gegebenenfalls – das kündige ich (C) rankommen. Vielleicht kann der ergrünte Herr Söder ja als Haushälter hier bereits an – ist bei diesem Haushaltsti- endlich mal die 10H-Regelung in Bayern abschaffen, da- tel auch noch Luft nach oben, sodass wir das Volumen mit auch dort Windkraft ausgebaut wird. dieses Titels ein bisschen aufwachsen lassen können. (Zuruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ Übrigens, auch Ausgründungen aus unseren For- CSU]) schungseinrichtungen sind ein Mittel zu weiterem wirt- schaftlichem Erfolg. Noch nie wurde in Deutschland so Zum Schluss möchte ich sagen: Mit der Sozialdemo- viel Geld für Forschung bereitgestellt wie in den vergan- kratie, den Ergebnissen des Klimakabinetts und diesem genen Jahren. Das gilt nicht nur für das Wirtschaftsmi- Bundeshaushalt werden wir dafür sorgen, dass eine so- nisterium, das gilt auch für alle anderen Ministerien. zial-ökologische Wirtschaftspolitik in Deutschland um- gesetzt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Ich danke Ihnen. Glück auf, meine sehr verehrten Da- men und Herren! Wichtig ist nur, dass diese Forschungen auch umgesetzt werden. Leider ist es bei uns so, dass viel zu viele gute (Beifall bei der SPD) Forschungen bei uns in der Schublade landen und nicht auf den Markt gebracht werden. An dieser Stelle darf ich Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sagen: Wir müssen hier einfach besser werden, meine Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letztem Redner zum Damen und Herren! Vielleicht mag es zukünftig auch Einzelplan 09 erteile ich dem Kollegen Andreas klug sein, die Vergabe von Forschungsmitteln an Erfolge Mattfeldt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. bei Ausgründungen oder an Umsetzungen in die Praxis zu knüpfen. Ich weiß, das ist provokant; aber wenn wir (Beifall bei der CDU/CSU) besser werden wollen, müssen wir vielleicht neue Wege gehen. Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, ich möchte aber auch noch Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und auf die Haushaltstitel zu Energie und auf den Energie- Kollegen! Zehn Jahre in Folge deutsches Wirtschafts- und Klimafonds eingehen, den ich als Hauptberichterstat- wachstum, das ist – ich glaube, das dürfen wir alle ge- ter seit Kurzem betreue und der ja hauptsächlich im Bun- meinsam sagen – schon etwas Einmaliges. Man sucht deswirtschaftsministerium bearbeitet wird. Bereits im vergebens nach wissenschaftlichen Abhandlungen, die vergangenen Jahr habe ich angekündigt, dass sowohl einen so langen Aufstiegszyklus einmal erforscht haben. (B) die Energietitel im Einzelplan 09 als auch der Energie- (D) Liebe Kollegen der Opposition, natürlich ist es Ihre und Klimafonds nach meiner Ansicht komplett neu aus- Pflicht, auf Missstände hinzuweisen. Sie müssen auch gerichtet gehören. Hier sind wir dabei. Wir haben mit die wichtige Kontrollfunktion im Parlament ausüben; Haushaltsmitteln unter anderem 20 Reallabore aufgebaut, das sieht unser demokratisches System so vor. Man kann die nun endlich das Erforschte in die Praxis umsetzen. Es aber vielleicht auch einmal anerkennen, dass in den ver- geht hier um Speichertechnologien, es geht um effiziente gangenen Jahren vieles – im Übrigen entgegen Ihrer Wasserstoffproduktion, um Methanvermeidung – nur um Prognose – nicht so falsch entschieden wurde, was wir einige Labore zu nennen. Seien Sie gespannt; auch inner- Koalitionäre für das Wirtschaftsministerium beschlossen halb der nächsten Wochen, während der Beratungen, wird haben; denn der wirtschaftliche Erfolg über einen so lan- hier noch einiges hinzukommen. gen Zeitraum spricht für sich. Wir haben vieles richtig (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gemacht, meine Damen und Herren. Frau Hajduk, damit unterscheiden wir uns schon von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihnen. Wir als Union reden nicht nur – wir machen viel- leicht nicht so ein großes Bohei; da könnten wir besser Ja, derzeit mag es sein, dass wir auf eine wirtschaft- werden –, sondern wir handeln auch. Von Ihnen höre ich liche Beruhigung – so möchte ich es nennen – zusteuern. immer nur, dass Sie permanent fordern, aus allen versor- Dies hat unterschiedliche Gründe, die allerdings vor al- gungssicheren Energien – am besten sofort – auszustei- lem mit weltpolitischen Irritationen begründet sind. Ich gen: Kernenergie wollen wir nicht, Kohle wollen wir möchte für unser Land die Lage nicht dramatisieren. Den- nicht, Stromtrassen sind auch nicht richtig, wenn man noch sollten wir wachsam sein, und wir sollten uns mit sich das vor Ort anschaut, und Gas ist auch böse. – Es diesem Haushalt 2020 – in anderen haben wir es auch ist Ihnen leider vollkommen egal, ob die deutsche Wirt- schon getan – hierauf vorbereiten. schaft ihre Wettbewerbsfähigkeit aufgrund zu hoher Für mich persönlich liegt der Schlüssel für weiteren Strompreise einbüßt oder nicht. Ich jedenfalls werde nie wirtschaftlichen Erfolg in einer Unterstützung der Grün- begreifen, dass Sie nicht verstehen, dass man nur dann für derkultur. Nur wenn mehr Menschen als derzeit den Mut Klimapolitik Geld ausgeben kann, wenn dieses Geld vor- haben, ihre Ideen in eigene Selbstständigkeit umzusetzen, her aufgrund einer starken Wirtschaft verdient wurde. dann werden wir als Deutschland auch in den kommen- den 20 Jahren noch eines der erfolgreichsten Länder die- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei ser Welt sein, meine Damen und Herren. Damit dies mög- Abgeordneten der SPD, der AfD und der FDP) lich ist, werden wir auch mit diesem Haushalt die Und wissen Sie, irgendwann reicht es eben auch nicht Gründerszene mit Programmen wie EXIST und INVEST mehr aus, den Menschen nur zu sagen, wo man aussteigen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13573

Andreas Mattfeldt (A) soll. Vielmehr wollen selbst Ihre Sympathisanten wissen, Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Ein- (C) in welche versorgungssicheren Energien Sie denn einstei- zelplan 16. gen wollen, Das Wort hat zunächst für die Bundesregierung Frau (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundesministerin Svenja Schulze. und nicht nur, was Sie alles zusätzlich besteuern wollen. Frau Ministerin, warten Sie vielleicht noch mal zehn Sekunden, bis die Kolleginnen und Kollegen die Plätze Auch Sie müssen irgendwann realistische Antworten ge- getauscht haben. – Frau Ministerin, Sie haben das Wort. ben. Nur erneuerbare Energien – das sagen selbst Ihre grünen Kollegen in der Kohlekommission – werden es alleine nicht schaffen. Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Natur- schutz und nukleare Sicherheit: Meine Damen und Herren, wir als Union sehen uns als Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Regulativ, und – das darf ich sagen – wir sind uns einig in Herren Abgeordnete! Sie alle wissen, die Vorboten der unserer Fraktion: Von Deutschland muss und von Klimakrise sind schon längst in Deutschland angekom- Deutschland wird das Signal ausgehen, dass wir techno- men: Wir erleben Hitze, wir erleben Dürre, Waldbrände, logieoffen CO2-freie oder CO2-arme Energie in einem Stürme, Starkregen. Der Klimawandel ist inzwischen die angemessenen Kostenrahmen – das müssen wir auch wis- Sorge Nummer eins vieler, vieler Menschen hier bei uns sen – produzieren können. in Deutschland. Er politisiert eine ganze Generation, und viele wollen jetzt endlich etwas dagegen tun. Ehrlich ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sagt machen wir es ihnen aber nicht einfach. Es ist eben dadurch nicht einfach, dass der Verbrenner immer noch Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. billiger ist als das E-Auto, das Flugzeug billiger als die Bahn, die alte Ölheizung billiger als die neue Wärme- Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): pumpe. Das ist die derzeitige Situation, und die Weichen Ich glaube auch, es wäre gut, wenn das Ganze ein stehen im Moment auf Weiter-so. Das ist etwas, das so Exportschlager werden würde. nicht bleiben kann. Für mich ist Weiter-so keine Option. Meine Damen und Herren, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU] ) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Unsere Generation, diese politische Generation hier, Herr Kollege, bitte. hat die Pflicht, die Erde für die künftigen Generationen (B) bewohnbar zu halten. Der Klimaschutz ist eine Chance (D) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): für eine bessere, für eine lebenswertere Zukunft mit leise- zum Abschluss könnte man aus Haushältersicht na- ren, mit sauberen Autos, mit modernen Bussen und Bah- türlich noch einiges sagen über Afrika, maritime Wirt- nen, mit Solarzellen, mit Windrädern, mit gesunden Wäl- schaft etc. pp. Ich darf aber auch sagen: Wir fangen mit dern, mit frischer Luft zum Atmen. Da will ich hin. Da den Beratungen erst an. Ich lade Sie herzlich ein, wie in will die Bevölkerung hin. Und das ist die Gestaltungsauf- den vergangenen Jahren auch, sich hieran im gewohnt gabe, die diese Bundesregierung hat. konstruktiven Rahmen zu beteiligen. Das gilt natürlich auch für die Opposition. Dann werden wir hier – da bin Mit der Einrichtung des Klimakabinetts haben wir ein ich ganz sicher – einen guten Haushalt im November Versprechen gegeben. Wir haben nämlich versprochen, verabschieden. dass 2019 das Jahr des Handelns im Klimaschutz, das Jahr der Entscheidungen wird. Und dieses Versprechen Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. werden wir im Klimakabinett am 20. September auch einlösen. Es gilt dann, Farbe zu bekennen. Ja, das stimmt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Verkehrs- und Bauminister, Wirtschaftsminister und Abgeordneten der SPD) Landwirtschaftsministerin, wir alle hier auf der Regie- rungsbank haben verstanden, was es heißt, eine lebens- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: werte Erde zu erhalten. Wir machen klimafreundliches Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Ich kann der CDU/ Verhalten einfacher, billiger, und wir werden klimaschäd- CSU-Fraktion leider keine Zeit mehr abziehen, aber an liches Verhalten teurer und weniger attraktiv machen. Wir sich wäre das notwendig geworden. machen deutlich, wohin die Reise gehen soll, nämlich in Richtung Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts, bis (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das wusste 2050. Das ist vollkommen klar. ich!) Ich stehe dafür ein, dass es dabei fair, dass es dabei – Das war mir bekannt, dass Sie das wissen. Ich habe auch glaubwürdig zugeht. Und das heißt erstens, dass unser kurz gezögert, Ihnen das Mikro abzudrehen; aber beim Klimaschutzpaket den künftigen Generationen, den pro- letzten Redner fand ich das unangemessen. testierenden Jugendlichen da draußen auch wirklich ge- Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 09 liegen mir recht wird. Ein weiteres Mal die Klimaziele zu reißen, das nicht vor. können wir uns als Hochindustrieland nicht mehr leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für der CDU/CSU) 13574 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Bundesministerin Svenja Schulze (A) Das wäre übrigens nicht nur peinlich, das wäre diesmal Genau aus diesem Grund hat die Bundesregierung das (C) dann eben auch teuer für den Bundeshaushalt, und es umfassende Aktionsprogramm Insektenschutz beschlos- wäre auch eine Ungerechtigkeit gegenüber all denen, sen. Das ist eine Konsequenz aus den vielen guten Ini- die nach uns kommen. tiativen und Volksbegehren, die wir im ganzen Land gesehen haben. Für den Insektenschutz stellt die Bundes- Deshalb trete ich dafür ein, den Kampf gegen die Er- regierung insgesamt künftig 100 Millionen Euro bereit. derhitzung in einem Klimaschutzgesetz wirklich festzu- Allein in meinem Haushalt finden sich dafür 20 Millionen schreiben. Darin soll es einen Kontrollmechanismus ge- Euro. ben, gemäß dem jährlich überprüft wird, ob wirklich genug passiert im Klimaschutz. Das heißt dann übrigens Der Entwurf für den Einzelplan 16 stärkt nicht nur den nicht, dass ich montagmorgens bei meinen Kollegen vor- Klimaschutz und den Insektenschutz, er stärkt jetzt end- beigehe und gucke, ob sie ihre Hausaufgaben gemacht lich auch die Abkehr von der Wegwerfgesellschaft, er haben. Das heißt auch nicht, dass ich meinen Staatssek- stärkt den verantwortungsvollen Umgang mit den Hinter- retär von der Leine lasse, obwohl er das natürlich sehr gut lassenschaften der Atomkraft, er stärkt die Vielfalt der könnte. Es geht nicht um mehr Macht für das Umwelt- Arten, der Lebensräume in Deutschland und auch inter- ministerium. Es geht um mehr Verbindlichkeit für diese national. Deswegen möchte auch ich hier die Gelegenheit und für alle nächsten Regierungen. Diese Koalition muss nutzen, noch mal allen ausdrücklich zu danken, die dazu den Nachweis antreten, dass es wirklich ernst gemeint ist. beigetragen haben, die geholfen haben, diesen Haushalt auf den Weg zu bringen. Ich freue mich auf die Haus- (Beifall bei der SPD) haltsberatungen und auf die Zusammenarbeit mit dem Fairer und glaubwürdiger Klimaschutz heißt zweitens, Parlament. dass wir die Anstrengungen und die Chancen wirklich Herzlichen Dank. gerecht verteilen müssen. Deswegen setze ich mich für eine CO2-Bepreisung ein, bei der jeder genau weiß, was (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in den nächsten Jahren auf ihn bzw. auf sie zukommt: ein der CDU/CSU) kontinuierlich steigender, aber eben nicht rasant steigen- der CO2-Preis. Deshalb will ich, dass wir einkommens- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schwache Haushalte entlasten, damit sie zum Klima- Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Redner schutz beitragen können. Deshalb will ich dafür sorgen, hat der Kollege Martin Hohmann, AfD-Fraktion, das dass auch die Sektoren, die uns im Moment noch Sorgen Wort. machen, in denen die Emissionen stagnieren oder sogar steigen – der Verkehrssektor, der Gebäudesektor und der (B) (Beifall bei der AfD) (D) Landwirtschaftssektor –, jetzt endlich klare Ziele vorge- setzt bekommen und auf Kurs kommen. Martin Hohmann (AfD): (Beifall bei der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, Fairer und glaubwürdiger Klimaschutz heißt drittens, und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses dass wir auch unsere internationale Verantwortung wahr- für die hervorragende Aufbereitung des Zahlenwerks im nehmen und dem Pariser Klimaschutzabkommen gerecht „Grünen Buch“ danken. werden. Daher ist es wirklich gut, dass die Internationale Klimaschutzinitiative im Haushalt des Bundesumweltmi- Beim großen Bürgerfest des Bundespräsidenten sprach nisteriums jetzt einen weiteren Aufwuchs erfährt. Das ist dieser den bedeutsamen Satz: Wer Mut zur Zukunft hat, ein wichtiges Signal in die richtige Richtung. scheut auch den Streit nicht – allerdings muss er den anderen dabei achten. – Dieses Leitmotiv eignet sich be- Meine Damen und Herren, immer mehr Menschen in sonders für diesem Land erkennen, dass das Reparieren von Schäden in Zukunft deutlich teurer wird, als wenn wir jetzt endlich (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die AfD!) entschlossen handeln, und zwar handeln mit dem ganz die Beratung des Umwelthaushalts, und besonders aus klaren Ziel vor Augen, nämlich dem Ziel einer besseren, der Sicht der AfD. Wir werden als Klimaleugner, Klima- einer lebenswerteren Zukunft. Jetzt geht es darum, aus gegner und auch deswegen als Rechtspopulisten be- dieser richtigen Erkenntnis auch die richtigen politischen schimpft. Entscheidungen abzuleiten. Jetzt geht es darum, Verant- wortung zu übernehmen. Deswegen sind das Klimakabi- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE nett und der 20. September so wichtig. GRÜNEN]: Ja, seid ihr ja auch!) Genau in diesem Sinne, nämlich nicht später zu repa- Wenn wir auch wegen unserer Ablehnung der unbewie- rieren, sondern jetzt zu handeln, habe ich letzte Woche senen Klimamodelle des IPCC das Verbot der Einwegplastiktüten als Teil meiner Initia- (Klaus Mindrup [SPD]: Da sind Sie verdammt tive zur Reduzierung von Plastikmüll auf den Weg ge- alleine!) bracht. als Rechtspopulisten gelten, dann hat das eine klare Fol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karsten ge: Trennscharf rechts von uns sitzen die Klimagläubi- Hilse [AfD]: Es klatschen zwei Abgeordnete! gen, die man dann konsequenterweise als Linkspopulis- Es ist Mist! Also wirklich!) ten bezeichnen müsste. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13575

Martin Hohmann (A) (Beifall bei der AfD) Martin Hohmann (AfD): (C) Bei diesem Gedanken wird mancher aus der CDU, man- CO2 ist eine gute Gabe Gottes. cher aus der CSU innerlich revoltieren. Fakt ist jedoch: (Beifall bei der AfD) Die CDU/CSU hat sich in der sogenannten Klimapolitik der Stimmführerschaft der linken Kerntruppe in diesem Haus unterworfen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) und das sind die Grünen. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): (Beifall bei der AfD) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kol- So gesehen besteht der Vorwurf des Linkspopulismus zu lege Hohmann, wer wie Sie die Bibel zitiert, müsste wis- Recht. sen, dass die Bewahrung der Schöpfung ein urkonservati- ves Thema ist, Die Folgen des und auch dieses Linkspopulismus sind immer gleich: wirtschaftlicher Niedergang von Industrie, (Zuruf von der AfD: Genau! Sie sind nicht Handel und Handwerk, Abstieg der Mittelschicht, Ver- konservativ!) elendung der Unterschicht – bei großen Zuwächsen für die Global Player und natürlich die Funktionäre. bei dem wir uns dem lieben Gott unterwerfen und nicht den Grünen, und dass es aus den Gründen, die Sie ange- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Sie schon län- rissen haben, nämlich der Überlegung, dass man Ressour- ger diesem Haus angehören, stört es Sie gar nicht, aus der cen schonen muss, eigentlich Sinn macht, den Weg, den Kohleverstromung und zugleich aus der Atomkraft aus- wir beschreiten wollen, mitzugehen. Ich glaube, dass das zusteigen? ein richtiger Weg ist, Ressourcen zu schonen und verant- wortungsvoll mit unserer Schöpfung umzugehen. (Zuruf von der SPD: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Der IPCC, dem Sie sonst ja praktisch blind vertrauen, Abgeordneten der SPD) geht im Hinblick auf seine Klimaziele jedenfalls von ei- ner Weiternutzung der Atomkraft aus. Es gibt – lassen Sie mich das einleitend noch sagen – ein Narrativ auf der anderen Seite von denjenigen, die mit (B) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE viel Alarmismus sagen: Alles zu wenig, alles zu spät. – (D) GRÜNEN]: Stimmt nicht!) Das treibt auch mich um, und ich möchte hier ganz klar zu Und stört es Sie nicht, dass weltweit Hunderte von neuen Protokoll geben: Deutschland spielt eine immens wichti- Kohle- und Atomkraftwerken entstehen? Stört es Sie ge Rolle beim Thema Klimaschutz. Klimaschutz ist ein nicht, dass es keinen 100 Prozent durchgerechneten, internationales Thema, und es war niemand anderes als sicheren Plan für eine absolut verlässliche Energieversor- unsere Bundeskanzlerin, die dieses Thema auf der inter- gung in diesem, in unserem hochindustrialisierten Land nationalen Agenda gehalten hat. gibt? Die Strukturwandelkommission steht lediglich für Klimaschutz ist ein Thema, das am Schluss nur mit ein vages politisches Versprechen. Was die Wähler davon erneuerbaren Energien vorangebracht werden kann, halten, haben die hervorragenden AfD-Wahlergebnisse in Sachsen und in Brandenburg gezeigt. (Karsten Hilse [AfD]: Hören Sie doch auf!) (Beifall bei der AfD) und es sind die deutschen Stromverbraucher, die aktuell 26 Milliarden Euro pro Jahr dafür ausgeben, dass das Selbstverständlich sind auch wir als AfD für einen Ganze marktgängig geworden ist. sparsamen, verantwortlichen und überlegten Umgang mit den Rohstoffen unseres Landes und dieser Erde. Aber Ich stelle die Frage, meine Damen und Herren: Hätte wir unterwerfen uns nicht dem Narrativ, das Sie, koste es, Deutschland das nicht gemacht, womit würden wir denn Klimaschutz betreiben wollen? Da kann man lamentie- was es wolle, durchsetzen wollen. Nein, CO2 ist kein Gift. Es gibt keinen wissenschaftlich fundierten Beweis dafür, ren: zu viel, zu teuer. – Das ist alles richtig. Fakt ist doch dass der leichte Kohlendioxidanstieg verantwortlich ist genau das. für die mäßige Erwärmung in den letzten 300 Jahren. Dann gibt es welche, die sagen, der große Teil der CO2- (Beifall bei der AfD) Einsparung in Deutschland habe zu tun mit der Wieder- vereinigung. Auch das stimmt. Aber auch das ist eine Vielmehr gilt: Ohne CO2 kein Leben. große volkswirtschaftliche Leistung, die wir erbracht ha- ben. Was sagt die Bibel? Am dritten Tag schuf Gott Pflan- zen und Bäume und – implizit – das CO2. CO2 ist also (Karsten Hilse [AfD]: Deindustrialisierung ist kein Teufelszeug. CO2 ist ein Lebensmittel. eine wirtschaftliche Leistung? Hören Sie mal, was Sie sagen! Also wirklich!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das will ich an der Stelle einmal ganz deutlich unterstrei- Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. chen. 13576 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Georg Nüßlein

(A) (Beifall bei der CDU/CSU) auch bei der CO2-Kreislaufwirtschaft. CCU, da schauen (C) Klimaschutz ist das Topthema, nicht nur im Umwelt- die Grünen nicht mehr ganz so begeistert. Ich glaube, dass bereich, sondern momentan das Thema, das die Politik das Thema Energieeffizienz eine Rolle spielen wird. insgesamt dominiert. Wenn Sie die Bürgerinnen und Ich bin der festen Überzeugung, dass wir im Bereich Bürger fragen, dann sagen Ihnen gut 80 Prozent: Das ist der Energiewirtschaft noch ein ganzes Stück des Weges ein sehr wichtiges Thema. – Der Haken ist: Von diesen vor uns haben. Das kann man gut, das kann man schlecht 80 Prozent sagen wiederum 80 Prozent, dass andere das machen. Heute hat ein Minister die Frage gestellt: Was Problem lösen sollen und dass sie insbesondere kein Geld macht es denn für einen Sinn, aus der Kohle auszusteigen, für die Thematik ausgeben wollen. Das macht das Ganze wenn in der gleichen Zeit das Zehnfache an Kohlekapa- politisch so schwierig. zitäten weltweit aufgebaut wird? Mich hat seine Antwort Nun können wir eines tun: Wir können das Ganze poli- „Weil wir es können“ an dieser Stelle nicht wirklich über- tisch gut oder schlecht lösen. Wir können das Thema zeugt. Ich sage Ihnen: Es macht nur dann Sinn, wenn wir negativ belegen. Dann reden wir, wie etliche hier, über es nicht so machen, wie es bisher grüne Planung war. Verzicht, über das Thema „Weniger ist mehr“, was jeden- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: falls in meinem Wahlkreis nicht der Lebensrealität der Sie sollten mal Ihre Scheuklappen ablegen!) Mehrheit entspricht. Wir können ankündigen, wie es die Bundesumweltministerin vorhin vorsichtig angedeutet Grüne Planung war bisher: Wir kaufen dann den Strom hat, dass alles teurer wird. Dann müssen wir im Blick aus dem Ausland. Die Statistik in Deutschland wird schon haben, welche soziale Konsequenz das hat, wenn am irgendwie stimmen. – Wenn Sie mir das nicht glauben, Schluss beispielsweise nur noch die Reichen Auto fahren dann fragen Sie Herrn Baake; das war seine Idee. können. Oder wir können das in Kauf nehmen, was ein Professor, der in diesem Bereich sehr bekannt ist – ich Wir müssen uns überlegen, wie wir das Thema regene- nenne keinen Namen –, mir und anderen gegenüber vor rative Energien voranbringen, und zwar so, dass es die Kurzem angedeutet hat. Er hat nämlich gesagt: Das wird Menschen verstehen, dass wir die Leitungen dazu haben, über kurz oder lang zu Veränderungen in der Siedlungs- dass wir die Speicher dafür haben. struktur führen. (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch!) GRÜNEN]: Eine Rede mit Andeutungen!) Da gibt es genügend Hemmnisse. Da sind wir dabei. Es Zu glauben, dass wir durch Urbanisierung die Probleme wird Teil dessen sein, was demnächst entsprechend be- schlossen wird. Wir brauchen eine Wasserstoffstrategie, (B) lösen, ist falsch. Dass wir neue schaffen, ist sicherlich (D) richtig. einen Ansatz, den man nicht nur national fahren kann, so wie Sie es gerne hätten. Wir sollten auch nicht sagen: das (Beifall bei der CDU/CSU) bisschen überschüssigen Strom. Das Thema Nordafrika Ich sage Ihnen, das ist letztendlich etwas, bei dem man wird eine Rolle spielen. Wir brauchen das Thema Wasser- das Thema Stadt und Land, Alternativen, Möglichkeiten stoff im Verkehr, wir brauchen dort übrigens auch syn- tatsächlich im Blick haben muss. Und ich glaube, wir thetische Kraftstoffe. Ihnen geht es nur darum, einen An- sollten uns einmal darüber Gedanken machen, ob man schlag auf den Verbrennungsmotor zu vollziehen, weil nicht das Thema Klimaschutz zu einem neuen Innova- Sie endlich einmal die Chance sehen, dies durchzusetzen. tionsmotor entwickeln kann. Ich sage Ihnen: Wenn es uns gelänge, den ganzen Pkw- Verkehr auf elektrisch umzustellen, bliebe doch die Fra- (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD] – ge: Was ist im Bereich der Luftfahrt, was ist im Bereich Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Schiffe, was ist im Bereich des Gütertransports eine NEN]: Ah! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ sinnvolle Alternative? Deshalb sind wir von der Union DIE GRÜNEN]: Eine ganz neue Erkenntnis!) ganz klar der Meinung, dass wir technologieoffene Lö- sungen brauchen. – Doch! (Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN]) NEN]: Und wo sind jetzt die Anträge dazu?) – Natürlich nicht so, wie Sie es machen. Sie machen es Synthetische Kraftstoffe, die Weiterentwicklung der mit Verboten, mit Vorschriften. Wir wollen das anders THG-Quote und die Anrechenbarkeit der alternativen machen: mit Anreizen, mit Leitplanken, intelligent, nicht Kraftstoffe auf der europäischen Ebene: All das sind The- wie Sie. men, die sinnvoll sind. Ich kann all das fortsetzen in Rich- tung Wärme, Geothermie und Fernwärmenetze. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Sie wollen doch nur Ausstieg. Ausstieg war noch nie ein GRÜNEN]: Ja! Lassen Sie hören!) Thema, das uns politisch vorangebracht hat. Es geht doch jetzt darum: Wo sind beispielsweise im Bereich der in- Wie bauen wir das aus? Wie machen wir das? All das sind dustriellen Produktion Potenziale? Dinge, die wir auf der Agenda haben. Ich sage Ihnen: Die Kreislaufwirtschaft ist noch lange (Zuruf des Abg. Dr. Tobias Lindner nicht am Ende. Da gibt es eine Menge Potenzial, übrigens [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13577

Dr. Georg Nüßlein (A) – Jetzt schreien Sie doch nicht so laut. Hören Sie lieber auf dem falschen Dampfer; das sage ich Ihnen ganz offen. (C) zu; da können Sie was lernen. Deshalb werden wir etwas machen, was sinnvoll ist, näm- lich das Thema technologieoffen und innovationsorien- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU tiert voranzubringen und nicht einfach nur die kleinen und der SPD) Leute zu schröpfen in der Hoffnung, dass man von denen, Wir sind auf dem Weg, die Klimaschutzgesetzgebung die viel Geld haben, gewählt wird, meine Damen und so vorzubereiten, dass da nicht nur das drin ist, was ur- Herren. sprünglich die Bundesumweltministerin wollte. Vielen herzlichen Dank. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sollen nichts vorbereiten! Sie sollen was machen!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie hat sich ja vorgestellt, sie macht den Klima-Ranger und sagt den anderen, wo es langgeht; der Bundesfinanz- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Nüßlein. – Liebe Kol- minister aber gibt kein Geld dafür, und die, die dazwi- leginnen und Kollegen, in einem Punkt hat der Kollege schen sind, die das Ganze umsetzen wollen, sind am Georg Nüßlein auf jeden Fall recht: Gleichzeitige Zwi- Schluss die bösen Buben, die nichts hingekriegt haben. schenrufe sind hier oben nicht wahrnehmbar, und unsere Protokollanten haben das Problem, dass sie die dann nicht (Michael Theurer [FDP]: Jetzt kommt Söder!) für die Ewigkeit festhalten können. Vielleicht sollte man sich daran gewöhnen, die Zwischenrufe nacheinander zu Das wird nicht die Idee und nicht das Ergebnis sein. gestalten. Wir werden mit dem Klimakabinett die Chance haben, eine ganze Menge an Maßnahmen zu beschreiben, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Ihnen, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: FDP-Fraktion, das Wort. Sie sollen was machen!) um das Thema, so wie ich es gerade eben beschrieben (Beifall bei der FDP) habe, massiv voranzubringen. Wir werden das nicht über eine Verteuerung machen, sondern auf einem Weg, der Ulla Ihnen (FDP): schlüssig dazu führt, dass diese Gesellschaft, dass diese Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen Wirtschaft modern und leistungsfähig bleibt. Deutsch- und Kollegen! Wie geht eigentlich die Bundesregierung land, meine Damen und Herren, ist ein Industriestaat. mit unserem Geld um? Diese Frage stellen wir uns jedes (B) (D) Ich gehe so weit, zu sagen: der letzte wirklich bedeutende Jahr im Herbst bei den Haushaltsberatungen. Das Parla- Industriestaat Europas. Und ich will, dass das so bleibt. ment berät heute den Haushaltsentwurf des Bundesum- Das ist die Überschrift über dem Ganzen. Es muss beides weltministeriums für das kommende Jahr in erster Le- gelingen, nämlich Klima zu schützen und die Industrie sung. Für uns Haushälter hat das die Konsequenz, dass und die Arbeitsplätze in diesem Land zu erhalten. wir ohne Informationen über das kommende Klimapaket und über einen noch unvollständigen Haushalt beraten. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit so was wie Ihrer Rede!) (Beifall bei der FDP) Jetzt sage ich Ihnen noch was, weil Sie gerade so Das beschränkt nicht nur uns Haushälter. Sie, Frau Minis- schreien – Sie werden sich wundern –: Ein großer Teil terin, sind nicht nur dem Parlament noch ein paar Zahlen der Automobilzulieferer in diesem Land ist momentan in schuldig, sondern den Bürgerinnen und Bürgern auch einer ganz, ganz schwierigen Situation. endlich ein entschlossenes und planvolles Vorgehen beim Klimaschutz. Wenn ich es so sagen darf: Da herrscht noch ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dürre bei den Klimaschutzmaßnahmen. Deshalb sollten Selbst verschuldet!) wir heute auch nicht darüber reden, was wir noch gar Ich weiß, was passiert, wenn wir wieder in einer Situation nicht kennen, so wie wir es bisher gehört haben. Betrach- stecken wie 2008 und die Kolleginnen und Kollegen aus ten wir doch einfach mal, was uns zum jetzigen Zeitpunkt dem Wahlkreis zurückkommen und sagen: „Kurzarbeit, als Haushalt vorliegt: Kündigungen, Schwierigkeiten“, weil eine Schlüsselin- 2,6 Milliarden Euro sollen dem Bundesumweltministe- dustrie auf dem Prüfstand ist. Da kann man sagen: Da rium zur Verfügung stehen. Das sind verglichen mit dem ist das Management selber schuld. – Stimmt. Da sind Jahr 2019 337 Millionen Euro zusätzlich. Das zusätzliche die ganz maßgeblich mit dran schuld. Geld fließt aber nicht in Umwelt- und Naturschutz. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Grund für den Aufwuchs liegt vor allem in den ge- Nein! Ihre falsche Politik!) stiegenen Kosten für die End- und Zwischenlagerung ra- Aber, meine Damen und Herren, es hilft denen, die dort dioaktiver Abfälle. Der Bundesrechnungshof hat gerade angestellt sind und jeden Monat auf das Gehalt angewie- eine verheerende Bilanz für die von Ihrem Haus verwal- sen sind, überhaupt nicht, wenn wir diese teten Gelder zur Deckung der Kosten der Stilllegung der Schuldzuweisungen machen. Deshalb müssen wir auch Schachtanlage Asse II herausgegeben. Das Controlling überlegen, wie es an der Stelle weitergeht. Und wenn Ihres Hauses sei vollkommen ungeeignet, um das Projekt wir einseitig nur auf Elektromobilität setzen, sind wir effizient zu steuern. Wir reden hier von Hunderten Mil- 13578 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Ulla Ihnen (A) lionen Euro, die durch Ihre mangelhafte Planung an (Beifall bei der FDP) (C) Steuergeld verloren gehen. Hier müssen Sie unbedingt Meine Damen und Herren, der Haushaltsentwurf die- gegensteuern. Die Menschen rund um die Asse in Nieder- ses Ministeriums lässt bislang leider noch keine Trend- sachsen haben es verdient, dass es endlich vorangeht mit wende in der Umweltpolitik erkennen. Es wäre so wich- der Rückholung. tig, dass sich Energie- und Klimaschutzmaßnahmen von (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Sylvia unwirksamen Subventionen weg und zu Forschung und Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Entwicklung hin orientieren. Frau Ministerin, im Bereich der Umweltpolitik haben (Beifall bei der FDP) Sie es ebenfalls gerade geschafft, sich sowohl bei der Nur mit neuen Technologien werden wir CO2-Emissio- Wirtschaft als auch bei den Umweltverbänden unbeliebt nen nachhaltig und effektiv reduzieren. Nur eine Klima- zu machen. Ihr aktueller Gesetzentwurf zum Verbot von politik, die beide Ziele miteinander verbindet, wird inter- Plastiktüten ist Wortbruch gegenüber dem Einzelhandel. national zum Vorbild werden. Dabei unterstützen wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Freie Demokraten Sie sehr gerne. der CDU/CSU) Vielen Dank. Der ist seinen freiwilligen Verpflichtungen nachgekom- (Beifall bei der FDP) men. Diese hatten Sie im Februar dieses Jahres noch aus- drücklich gelobt. Und Umweltverbände stellen völlig zu Recht fest, dass dieses Verbot ökologisch rein gar nichts Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bewirken wird, Vielen Dank, Frau Kollegin Ihnen. – Als nächste Red- nerin spricht zu uns die Kollegin Heidrun Bluhm-Förster, (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Fraktion Die Linke. weil die Plastiktüten erstens noch da sind und zweitens (Beifall bei der LINKEN) Papiertüten oder Ähnliches ökologisch unwirksamer sind. Heidrun Bluhm-Förster (DIE LINKE): (Beifall bei der FDP und der AfD) Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was sagt der vorliegende Das Regime über die Plastiktüten ist Ihnen aber anschei- Umweltetat den Bürgerinnen und Bürgern unseres nend wichtiger als die rechtzeitige Vorlage des Klima- Landes? Welchen aktuellen gesellschaftlichen Forderun- paketes. Dies hätten wir über die Sommerpause gerne gen werden wir mit diesem Haushalt gerecht? Wo sind die (B) (D) gehabt. Vorstellungen des Klimakabinetts, das am 20. September (Beifall bei der FDP und der AfD) 2019 tagen will, in Zahlen gegossen schon einmal vor- liegend? Das sind die Fragen, die wir Linke uns stellen, Verschwenden Sie bitte nicht Ressourcen für unnötige wenn wir diesen Haushaltsvorschlag beurteilen. Gesetzesvorhaben, sondern steuern Sie damit bestehende Programme Ihres Hauses um, die nicht greifen. So hat der (Beifall bei der LINKEN) Bundesrechnungshof die Nationale Klimaschutzinitiative Vor allem durch Fridays for Future und die Auseinan- in seinem Bericht zum Haushaltsentwurf geradezu in der dersetzung um die richtigen Reaktionen auf Klimawandel Luft zerrissen. Kurz gefasst: zu viel Geld für zu wenig und Erderwärmung ist die Umwelt ins Zentrum der poli- Emissionseinsparungen. Das kann man wirklich besser tischen Arbeit für uns alle gerückt, und das hat Auswir- machen. Wir Freien Demokraten weisen, wenn ich so kungen auf die politische Stimmung und vor allem aber sagen darf, als Serviceopposition seit zwei Jahren darauf auch auf die Glaubwürdigkeit von uns Politikerinnen und hin. Wir freuen uns zum Beispiel auch, dass es der Haus- Politikern. haltausschuss geschafft hat, den schlechtlaufenden Titel „Investitionen zur Vermeidung von Umweltbelastungen Nun könnte man erwarten, dass sich dies auch in der im Ausland“ zu streichen. Schwerpunktsetzung bei der Regierungstätigkeit nieder- schlagen würde; aber bei der Betrachtung des Etats des Unter anderem die Nationale Klimaschutzinitiative Bundesumweltministeriums für 2020 kann man da leider trägt durch ihre Unwirksamkeit dazu bei, dass Deutsch- wieder nur Stillstand registrieren. Dass die Umweltminis- land seine Klimaziele für 2020 verfehlt. Deshalb unter- terin es gegenüber dem gesamten Kabinett schwer hat, fällt Deutschland ab 2020 einem Sanktionsmechanismus, will ich gar nicht in Abrede stellen. In der ganzen Bun- und wir müssen Emissionsrechte ankaufen. Dafür haben desregierung hat die Umwelt außer in Sonntagsreden und Sie 100 Millionen Euro jährlich in den Haushalt einge- vollmundigen Ankündigungen so gar keine Lobby. stellt, und das werten Sie dann auch noch als Investition. Wenn wir ehrlich sind, könnte es am Ende auch ein Viel- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na, na!) faches dieser Summe werden. Auch das ist eine Folge der Sonst würde der Etat der Ministerin nicht nur 0,6 Prozent mangelnden Courage, um in Ihrem Haus eine Reform der des Gesamthaushalts ausmachen, sondern den Forderun- Maßnahmen und Förderprogramme, die nicht effektiv gen, die die Bürgerinnen und Bürger an uns stellen, würde wirken, endlich anzusteuern. Ein bisschen verbieten, ein mit anderen Haushaltsansätzen entsprochen werden. bisschen abwracken oder eine neue Steuer: Das ist keine Lösung, das ist Stückwerk. Ein Plan sieht anders aus. Frau Ministerin, offensichtlich konnten Sie nicht ein- Deshalb sind wir alle auf das Klimapaket gespannt. mal Ihren eigenen Parteikollegen, den Finanzminister, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13579

Heidrun Bluhm-Förster (A) davon überzeugen, dass diese Probleme dringend ange- im zweiten Halbjahr 2020 vorgesehen ist. Auch in diesem (C) gangen werden müssen. Diese Versäumnisse von heute Bereich gibt es also eigentlich keine Erhöhung der Mittel werden künftige Generationen von Politikerinnen und für die greifbaren Projekte. Politikern, Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern teuer be- zahlen müssen. Die Zeichen der Zeit lassen den Rück- In Sachen Klimaschutz ist zur Erklärung des BMU schluss zu, dass Sie das Ziel nicht richtig gesteckt haben; vom Juli dieses Jahres, die Förderung in den Bereichen denn die langfristige Finanzplanung bis 2023 sieht in der Klimaschutz und Biodiversität in Entwicklungs- und Tat vor, den Haushaltsansatz des Einzelplans 16 von ak- Schwellenländern auf lokale Kleinprojekte auszurichten, tuell 2,6 Milliarden Euro auf rund 2,3 Milliarden Euro zu zu sagen: Das ist falsch; hier kann es nicht um klassische senken. Entwicklungshilfe gehen; Klimaschutz erfordert weit mehr Engagement in der Sache und auch mit Geld. (Zurufe von der LINKEN: Unglaublich!) (Beifall bei der LINKEN) Ich weiß nicht, meine Damen und Herren von der Koali- tion, wie Sie das den Bürgerinnen und Bürger glaubhaft Meine Damen und Herren, die Entscheidung der Mi- erklären wollen. nisterin vom 13. August 2019, die finanzielle Förderung von Wald- und Biodiversitätsschutzprojekten in Brasilien (Beifall bei der LINKEN) auf Eis zu legen, ist ein großer politischer Fehler. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein entscheidender (Beifall bei der LINKEN) Kernpunkt linker Politik ist das Eintreten für einen nach- haltigen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. Frau Ministerin, lesen Sie bitte im Protokoll die Rede der Dazu bedarf es allerdings auch der Einsicht in die Tat- Abgeordneten Dröge von den Grünen zum Wirtschafts- sache, dass der von Menschenhand gemachte Klimawan- etat von vorhin nach. Plastischer kann man dieses Prob- del und der Raubbau an der Natur nicht ohne grundlegen- lem gar nicht deutlich machen. Auch auf der Reise von de Veränderungen in unser aller Verhalten aufzuhalten uns Berichterstattern nach Brasilien haben wir festge- sind. stellt, wie sehr das Volk vor Ort den Regenwald in Brasi- lien schützen möchte. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ihr seid ja Und, Frau Ministerin, das Verbot von Ölheizungen ist CO -frei hingeflogen!) nicht gerade Motivation für die Bürgerinnen und Bürger, 2 diesen Prozess mitzugestalten. Es kommt darauf an, dass Sie und wir alle nicht kleinlich werden und vor allem das Geld nicht zu Hause behalten. (B) (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Stimmt zwar, (D) ist aber in Ihrer Argumentation unlogisch!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Eine Reihe von Forderungen der Fraktion Die Linke ist Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. nach wie vor höchst aktuell und ist mit politischem Ge- staltungswillen auch sofort umsetzbar. Heidrun Bluhm-Förster (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen mit geduldigen Verhandlungen und diplo- Dazu gehört vor allem und in erster Linie die stärkere matischem Geschick und selbstverständlich mit einer Besteuerung von Reichtum, damit langfristig unser aller weiter gehenden, möglicherweise aufgestockten Mittel- Lebensumfeld erhalten bleiben kann. Dazu gehört zwei- vergabe insbesondere den NGOs und den indigenen Völ- tens die Zusammenführung von Umwelt-, Wirtschafts- kern vor Ort helfen, den Regenwald für uns alle zu retten. und Landwirtschaftspolitik, nicht nur ressorttechnisch, Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. sondern auch in einem abgestimmten Einsatz von Haus- haltsmitteln. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Drittens gehört dazu natürlich ein ökologisch nachhalti- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin ges Verkehrskonzept. hat das Wort die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Bünd- Im Verhältnis zu unseren Vorschlägen sind die Maß- nis 90/Die Grünen. nahmen der Bundesregierung auf dem Umweltsektor bla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mabel; denn die notwendigen und längst überfälligen grundlegenden Korrekturen, die meine Fraktion seit Lan- gem fordert, sind nicht zu erkennen. Stattdessen gibt es Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kleinteilige Anpassungen und kaum Mutiges im Etatent- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wurf. Zwar werden die Mittel für die internationale Zu- „Kein Pillepalle mehr“ beim Klimaschutz hat die Kanz- sammenarbeit im Bereich des Umweltschutzes deutlich lerin für den Herbst angekündigt. Der Tag der Wahrheit erhöht, die Mittel im Bereich Klimaschutz aber eben ist heute; nicht. Und wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was?) dass ein Großteil der zusätzlichen Mittel im Bereich des Umweltschutzes für die Ausgestaltung der Präsentation denn die Ernsthaftigkeit dieser Ansage müsste sich im des BMU während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Haushalt wiederfinden. Tut sie aber nicht. 13580 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Sylvia Kotting-Uhl (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tenprogramm vorgelegt. Beides ist ein Anfang, mehr aber (C) 2,62 Milliarden Euro ist die Umwelt der Regierung nicht. Sie wollen – ja, bitte, mindestens – ein Verbot von wert. Welcher große Brocken davon fließt in den Klima- Herbiziden und Insektiziden auf geschützten Flächen, schutz? Richtig: Keiner! Die Mittel für die internationale (Zuruf von der FDP: Kommen Sie mal in den Klimafinanzierung werden um 10 Millionen Euro erhöht. Harz!) Wo im Gesamthaushalt finden sich aber die 40 bis 50 Mil- liarden Euro, die für das angekündigte Klimapaket vom hebeln das aber gleich wieder mit Ausnahmen aus, zum 20. September gebraucht werden? Sie finden sich jeden- Beispiel wenn die Bewirtschaftung nötig sei. Was denn falls nicht in diesem Haushalt. Er enthält dagegen immer nun? Wenn die Bewirtschaftung es vermeintlich nicht noch 55 Milliarden Euro für umweltschädliche Subven- nötig macht, dann spritzt sowieso niemand. Das ist eine tionen, und es verdichtet sich die Vermutung, dass Sie Nullnummer. weder Geld noch einen Plan für den Klimaschutz haben, sondern eben nur Pillepalle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen überdies: Wenn Sie im Dauerfight mit Ohne Plan erschlagen Sie sich derzeit gegenseitig mit Frau Klöckner wegen Stickstoffeinträgen und aufgrund in die Luft geworfenen Ideen, weil Sie sich von der jun- des Grundwasserschutzes nicht die Unterstützung des gen Generation auf der Straße getrieben fühlen. Kabinetts bekommen und wenn Deutschland sich bei den GAP-Verhandlungen nicht endlich für eine Umkehr (Karsten Hilse [AfD]: Von einem Teil!) zugunsten von Umwelt und Natur einsetzt und den Vieh- Sie missverstehen da aber etwas: Das ist kein Spiel. Den bestand im eigenen Land nicht wieder an die Fläche bin- jungen Menschen ist es Ernst; denn sie spüren, dass es um det, dann wird Ihr Insektenschutzprogramm für den Um- ihre Zukunft geht. – Sie verspielen und verzocken diese weltschutz so viel wert sein wie dieser Haushalt, nämlich Zukunft. Sie verschenken die Generationengerechtigkeit nichts. an die Lobbyisten dieser Republik. Das ist unverantwort- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich. Für die Generationengerechtigkeit ist Klimaschutz viel mehr notwendig als die schwarze Null. Die Hälfte Ihres Haushaltes ist aufgrund von Altlasten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gebunden, nämlich dem Atommüll. Ich bin die Letzte, die gegen eine so sicher wie irgendwie mögliche Lagerung Sie, Frau Schulze, wollen keine Blamage in New York des Atommülls ist. Das wird uns technisch und gesell- und nicht mit leeren Händen kommen. Genauso wird es schaftlich noch vor genug Probleme stellen. Was ist das (B) aber sein. So wie nach Katowice werden Sie auch nach aber in Zeiten der Klimakrise und des Artensterbens für (D) New York mit leeren Händen kommen, weil Ihre Kabi- ein Zeichen, wenn die Hälfte des Umwelthaushalts für nettskolleginnen und -kollegen und die Kanzlerin Ihnen den Umgang mit früheren Fehlern aufgewendet wird, die Hände nicht füllen. Seit Sie im Amt sind, lassen die während in die Vermeidung und Abfederung heutiger Sie doch im Regen stehen. Sie können weder eine CO2- Fehler fast nichts investiert wird? Bepreisung noch das überfällige Kohleausstiegsgesetz in New York vorlegen. Die 40 Milliarden Euro an Struktur- So wird das nichts, und so überfordern Sie die junge wandelhilfe für die Kohleregionen sind in einen Gesetz- Generation unseres Landes. Die will freitags nämlich entwurf gegossen. Aber wo ist der Kohleausstieg? endlich wieder in die Schule gehen, kann das aber nicht, solange Sie Ihre Hausaufgaben nicht machen. Wen wollen Sie denn damit in New York von Deutsch- lands Ernsthaftigkeit überzeugen? Sie sagen: Wir als In- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dustrieland müssen es vormachen. – Ja, das ist richtig, Karsten Hilse [AfD]: Die einfach nur sehr laut aber, liebe Ministerin Schulze, das war vorgestern. Wir sind!) machen schon lange nur noch vor, wie es nicht geht. Vielleicht können wir Sie in den anstehenden Beratungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dazu bringen. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Von wegen!) Wir wollen Klimaschutz, aber in der Landwirtschaft Wenn Sie sich offen dafür zeigen, jetzt zu handeln, darf sich nichts ändern. Wir wollen Klimaschutz, aber anstatt die Zeit zu verspielen und Lösungen zu vertagen, die Automobilindustrie darf man höchstens bitten. Wir dann versteht vielleicht auch die CDU den Unterschied wollen Klimaschutz, bremsen die Energiewende aber so zwischen „Ich möchte auch gerne grün sein“ und echter lange aus, bis der Wirtschaftsminister zu einem Windgip- grüner Politik. Versuchen wir es! fel einladen muss, weil er plötzlich feststellt, dass der Ausbau der Windkraft eingebrochen ist. Wie kam das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da kommt nichts bei raus!) Vielen Dank, Frau Kollegin Kotting-Uhl. – Als näch- ster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Matthias Eine andere große Krise ist das Artensterben. Es gibt Miersch, SPD-Fraktion. jetzt 10 Millionen Euro mehr für den Wildnisfonds, und Sie, Frau Schulze, haben endlich das versprochene Insek- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13581

(A) Dr. Matthias Miersch (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Steffi (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber be Sylvia Kotting-Uhl, der Tag der Wahrheit ist nicht für die Braunkohle!) heute. Das, was die Kohlekommission gemacht hat, ist vorbild- (Zuruf von der AfD: Aber bei euch immer! – haft für unsere Gesetzgebung. Hier wird die Bundesre- Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das haben wir gierung liefern müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. in der Rede gehört, dass heute nicht der Tag der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wahrheit ist!) Das unterscheidet uns vielleicht auch in der Herange- Aber richtig ist, dass die Koalitionsparteien in diesem hensweise. Mit der Polarisierung, die wir hier erleben, Koalitionsvertrag vereinbart haben, im Jahre 2019 eine wird kein Konsens, kein gesellschaftlicher Kompromiss, Klimaschutzgesetzgebung zu verabschieden, die gewähr- der über Legislaturperioden hinweg hält, erreicht werden leistet, dass die Klimaziele 2030 eingehalten werden. Ja, können. in der Tat, das Jahr 2019 ist das Jahr der Wahrheit, um zu sehen, ob wir dieses Ziel erreichen, liebe Kolleginnen und (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kollegen. Er ist schon da! Sie müssen nur noch ein Gesetz dazu machen!) (Beifall bei der SPD) Deswegen bin ich froh, dass wir die Kommission hatten, Lassen Sie mich am Anfang einmal sagen: In dieser und bin stolz, dass wir jetzt garantiert im Herbst dieses Haushaltsdebatte höre ich, wer alles überfordert wird. Kommissionsergebnis in Gesetze gießen können, liebe Was wir alle in diesem Haus erst einmal begreifen müs- Kolleginnen und Kollegen. sen, ist: Was kostet es eigentlich die Gesellschaft, was kostet es zukünftige Generationen, wenn wir beim Klima- (Beifall bei der SPD) schutz versagen? Das muss man einpreisen, wenn es hier Das Zweite – ohne das ist nämlich alles nichts – ist ein um Haushaltsdebatten geht, liebe Kolleginnen und Kol- verlässlicher Pfad und eine Gesetzgebung, mit der wir bis legen. 2030 das Ziel erreichen, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 65 Prozent zu erhöhen. Das, liebe Kollegin- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven- nen und Kollegen, wird der zweite wichtige Baustein in Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Klimaschutzgesetzgebung sein müssen. NEN]) (Beifall bei der SPD) (B) Dass der Kollege Nüßlein nun ausgerechnet heute den (D) neuen Gedanken vorgebracht hat, Das Dritte ist, dass wir die organisierte Unverantwort- lichkeit beenden; das hat Svenja Schulze hier deutlich (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Viele! Viele!) gemacht. In der Regierung muss klar sein, dass alle dafür dass Klimaschutz Innovationspotenzial hat, macht mir für verantwortlich sind, die Sektorziele und die Klimaschutz- die nächsten Wochen Mut. ziele zu erreichen, die wir vereinbart haben. Insofern brauchen wir ein wirkungsvolles Klimaschutzgesetz, lie- (Heiterkeit bei Abgeordneten des be Kolleginnen und Kollegen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Bis jetzt hatte ich den Eindruck, dass die Kollegin Svenja Der vierte Punkt sind dann die konkreten Maßnahmen. Schulze gerade den CSU-Ministerien immer noch Nach- Es ist in der Tat so: Ich habe eigentlich noch nie einen hilfe dahin gehend anbieten musste, Bundesfinanzminister hier so reden hören wie heute Olaf (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Oh, oh!) Scholz, der gesagt hat: Wir brauchen die Begriffe „Zu- sammenhalt“ und „Zukunft“. dass Klimaschutz im Mobilitätsbereich, Klimaschutz im Baubereich und Klimaschutz im Landwirtschaftsbereich (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Eine Innovationspotenzial hat. Ich finde, es ist toll, dass Sie das Regionalkonferenz der SPD war das!) heute erkannt haben. Wir brauchen einen sehr starken handlungsfähigen Staat, der niemanden im Stich lässt, wenn es um Umstieg und (Beifall bei der SPD) Transformation geht. Deswegen brauchen wir Investitio- Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob wir tatsäch- nen in die Daseinsvorsorge, in die Mobilität, in die Ge- lich liefern, will ich an vier großen Beispielen deutlich bäudewirtschaft. Wir dürfen dort niemanden überfordern. machen. Sie zeigen, wo wir in den nächsten Wochen tat- Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das, was sächlich liefern müssen. wir heute Morgen gehört haben, ist, finde ich, ein guter Das Erste – da gebe ich der Kollegin Kotting-Uhl zu Auftakt für unsere Beratungen. Dann werden Sie sicher- 100 Prozent recht –: lich sehen, Frau Kotting-Uhl: Diese Regierung und diese Koalition liefern. Lassen Sie uns in den nächsten Wochen (Zuruf von der AfD: Ja, wie immer!) ganz eng zusammenarbeiten, damit daraus wirklich etwas Gutes wird. Neben den Strukturhilfen brauchen wir auch im Herbst ein ganz klares Kohleausstiegsgesetz. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 13582 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Matthias Miersch (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Land weiß: Wir werden uns weiter für sie einsetzen“ – an (C) der CDU/CSU) Verlogenheit kaum zu überbieten. (Beifall bei der AfD – Dr. Georg Nüßlein Vizepräsident Wolfgang Kubicki: [CDU/CSU]: An Dummheit auch!) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Miersch. – Als nächster Redner hat der Kollege Marc Bernhard, AfD-Fraktion, Sie sind schon lange keine Umwelt- oder Naturschutz- das Wort. partei mehr, sondern Klimahysteriker, die alles – ob Mensch, Tier oder Umwelt – auf dem Altar ihrer Klima- (Beifall bei der AfD) religion opfern.

Marc Bernhard (AfD): Jetzt sollen die Deutschen praktisch im nationalen Al- Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Vor ziemlich leingang das Weltklima mit einer CO2-Steuer retten. genau einem Jahr haben Sie von den Grünen und den Durch diese Universalsteuer werden alle Bereiche des Linken die gewaltsamen Ausschreitungen im Hambacher menschlichen Lebens mit einem Preisschild versehen, Forst massiv unterstützt, und Sie von den Grünen haben dessen Höhe die Regierung quasi nach Belieben festlegen sogar die Rodung des Waldes erst genehmigt und an- kann, ob für Brot, Butter, Kleidung, Smartphones oder schließend heuchlerisch Ihren Parteitag an den Rand selbst Wasser oder auch ganz einfach nur fürs Atmen. des Hambacher Forstes verlegt. Finden Sie das eigentlich Denn fast 10 Prozent des menschengemachten CO2 ent- nicht selber ziemlich verlogen? steht ganz einfach nur durchs Atmen. Und wozu das al- les? Nur um den Bürgern noch mehr Geld abzupressen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Beim Hambacher Forst ging es damals um 200 Hektar Wald für den Kohleabbau. Für Windindustrieanlagen Der Wahnsinn geht ja noch weiter. Die über 30 000 wurden dagegen in den letzten Jahren bereits viele Windindustrieanlagen erzeugen gerade einmal 18 Prozent Tausend Hektar Wald abgeholzt. des Stroms in Deutschland, und Sie wollen zukünftig 100 Prozent aus instabilen Energiequellen erzeugen. Da- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zu müssten in Deutschland mehr als 100 000 weitere Wo sind denn diese Tausende Hektar?) Windindustrieanlagen gebaut werden. Ja wo sollen die Und in Zukunft wollen Sie noch viele Zigtausende Hektar denn alle noch hingestellt werden? mehr an Wald zerstören. Eines ist jedenfalls sicher, liebe Grünen: Wenn Sie sich hier durchsetzen, dann gibt es bald keinen Wald, keine (B) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) Was erzählen Sie hier für einen Quatsch?) Bienen, Vögel oder Fledermäuse mehr, und die Kinder – auch Ihre Kinder, soweit Sie überhaupt welche haben – Ja, schreien Sie nur! Die Wahrheit tut weh. So ist es. Wo werden Sie fragen: Warum habt ihr nichts dagegen unter- bleibt eigentlich Ihr Protest bei diesen Tausenden von nommen? Hektaren, gegen diese immense Umweltzerstörung? Ihre Politik zerstört die Umwelt, tötet Tiere und macht (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Menschen krank und arm. Damit muss endlich Schluss Es gibt keine Tausende von Hektar!) sein. Wo bleibt Ihr Protest gegen die Vernichtung von Tausen- (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- den Hektar Wald? Die Tatsache, dass Sie das gutheißen, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie sind ein wi- zeigt Ihre ganze Doppelmoral. derlicher Hetzer! Weiter gar nichts! Nur Phra- (Beifall bei der AfD) sendreschen!) Die Menschen, die im Umfeld von Windindustriean- lagen wohnen, leiden unter Infraschall und zermürbenden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Lichtreflexionen, ganz zu schweigen von den zahllosen Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner er- Tieren, die in diesen Industrieanlagen Tag für Tag ge- hält das Wort der Kollege Hermann Färber, CDU/CSU- schreddert werden. So werden jedes Jahr 250 000 Fleder- Fraktion. mäuse wegen geplatzter Lungen und anderer innerer Or- gane qualvoll getötet. 1 200 Tonnen Insekten jedes Jahr: (Beifall bei der CDU/CSU) Das bedeutet 5 Milliarden bis 6 Milliarden Bienen, Heu- schrecken und Käfer jeden Tag. Hermann Färber (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: men und Herren! Umweltschutz, Naturschutz, Klima- Das ist hier keine Märchenstunde, sondern der schutz und Artenschutz sind für uns alle existenzielle Deutsche Bundestag!) Themen. Dabei ist es wichtig – und so steht es auch im 600 000 Vögel wie Störche, Rotmilane und Bussarde Klimaschutzplan –, dass wir Ökologie und Ökonomie werden jedes Jahr durch Windindustrieanlagen zerhackt. nicht gegeneinander ausspielen, sondern beides miteinan- der ins Gleichgewicht bringen und niemanden mit Maß- Vor diesem Hintergrund ist das Zitat Ihrer Fraktions- gaben und Bedingungen überfordern. vorsitzenden Göring-Eckardt – „Wir wollen, dass … jede Biene und jeder Schmetterling und jeder Vogel in diesem (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13583

Hermann Färber (A) Als Mitglied des Umweltausschusses und des Aus- Ja, mehr als die Hälfte der Fläche in Deutschland wird (C) schusses für Ernährung und Landwirtschaft weiß ich, landwirtschaftlich genutzt. Die Bäuerinnen und Bauern dass gerade in der Umweltdebatte sehr emotional disku- spielen deshalb eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung tiert wird. Nehmen wir beispielsweise das Aktionspro- von Lebensräumen, auch für Insekten. Deshalb brauchen gramm Insektenschutz. Darin wird die Verantwortung sie dafür unsere Unterstützung und unsere Förderung. für den Insektenrückgang hauptsächlich der Landwirt- Man muss an dieser Stelle aber auch sagen: Zahlreiche schaft angelastet. ökologische Förderprogramme der Kommunen, der Landkreise in Deutschland, die mit eigenem Geld die An- (Zuruf von der AfD: Maismonokultur!) lage, die Bewirtschaftung und die Pflege ökologisch Das sieht man auch an der Finanzierung im Bundeshaus- wertvoller Flächen gefördert haben, wurden in den ver- halt. Von rund 100 Millionen Euro, die insgesamt dafür gangenen Jahren durch die Umsetzung europäischer De- zur Verfügung stehen, kommen nach meinen Informatio- minimis-Vorgaben geradezu zu Tode verwaltet. nen lediglich 12 Millionen Euro aus dem Bundesumwelt- ministerium. Ministerin Schulze hat vorhin 20 Millionen (Beifall bei der CDU/CSU) Euro erwähnt. Pläne wie die Aufnahme von Streuobstwiesen und ar- tenreichem Grünland in die Liste der nach § 30 des Bun- Frau Ministerin, vielleicht müssen wir die Zahlen abglei- desnaturschutzgesetzes geschützten Biotope sind nicht chen. Vielleicht haben Sie noch ein bisschen was übrig. zielführend. Wie wollen wir denn den Bewirtschaftern Alle restlichen Mittel werden jedoch durch das Landwirt- von Streuobstwiesen, von artenreichem Grünland bitte schaftsministerium bzw. durch das Bildungs- und For- schön erklären, dass diese Gebiete, die sie selber freiwil- schungsministerium bereitgestellt. lig und eigenständig zu ökologisch wertvollen Flächen Die Ursachen des Insektenrückgangs sind sehr vielfäl- ausgebaut haben, die sie gehegt, gepflegt und im Sinne tig und komplex. Um den Insektenrückgang zu stoppen, der Artenvielfalt bewirtschaftet haben, nun vor ihnen müssen wir aber wissen, was denn eigentlich die Ursa- selbst geschützt werden müssen? chen sind. Die These meines Vorredners, dass die Heu- Es wird schon sehr viel gemacht in Deutschland, auch schrecken in den Windenergieanlagen zu Tode kommen, vonseiten der Landwirtschaft. Allein in Baden-Württem- finde ich schon steil. Ich hätte Heuschrecken – anders als andere Insekten – doch eher am Boden vermutet. berg gibt es rund 400 000 Hektar ökologisch besonders naturverträglich bewirtschaftete Fläche, zusätzlich noch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 200 000 Hektar nach den Richtlinien des Ökolandbaus, zusätzlich 40 000 Hektar Vertragsnaturschutz, zusätzlich Ich freue mich, dass im Einzelplan des Umweltminis- 12 000 Hektar nur an Blühstreifen. Ich finde, das (B) teriums insbesondere die Forschung eine Aufwertung er- Schlimmste an Maßnahmen, wie sie jetzt geplant sind, (D) halten hat und dass für diesen Bereich 1,7 Millionen Euro ist, dass durch sie das Vertrauen der Menschen in den mehr zur Verfügung stehen. Neben einem intensiven In- Staat, in die Regierung zerstört wird. sektenmonitoring sollen auch die Auswirkungen der Energiewende untersucht werden und gerade auch dort Die Entscheidung über die Grenzen der unternehmer- die Schnittstelle von Ökonomie und Naturschutz unter- ischen und fachlichen Entscheidungen der Landwirte darf stützt werden. nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung gestellt sein. Für alle Umweltmaßnahmen muss gelten: Wichtig Weiterhin begrüße ich, dass das Bundesprogramm Bio- ist die allgemeine, die gesellschaftliche Akzeptanz. Diese logische Vielfalt im Haushalt von derzeit 32 Millionen erreicht man mit Identifikation der Betroffenen, durch Euro auf 42 Millionen Euro aufgestockt wurde. Auch Informationen und durch Freiwilligkeit, mit Anreizen diese Gelder kommen dem Aktionsprogramm Insekten- und Wertschätzung, aber nicht mit einer Überfrachtung schutz zugute. Damit sollen nämlich konkrete Maßnah- der Menschen durch strikte Vorgaben, Kontrollen und men umgesetzt werden, wie zum Beispiel Masterpläne Sanktionen. für den Insektenschutz in der Stadt. Das ist sehr wichtig; denn die Flächenversiegelung und die monotonen Haus- Herzlichen Dank. gärten sind ebenfalls maßgeblich für den Verlust der Ar- tenvielfalt verantwortlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Allerdings – das muss ich auch sagen – ist im Aktions- programm bei der Erhaltung dieser Insektenlebensräume Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mehr von „Anregungen“, „Anstößen“ und „aktiv wer- Vielen Dank, Herr Kollege Färber. – Als Nächstes den“ die Rede, während im Bereich der Landwirtschaft spricht nunmehr zu uns der Kollege Dr. Lukas Köhler, erneut schärfere Maßnahmen durchgesetzt werden sollen. FDP-Fraktion. Verbindliche Vorgaben durch ein Insektenschutzgesetz, (Beifall bei der FDP) durch Rechtsverordnungen mit Änderungen im Natur- schutzrecht, im Pflanzenschutzrecht, im Düngerecht, im Wasserrecht führen nach meiner Erfahrung, auch als Dr. Lukas Köhler (FDP): praktizierender Landwirt, in erster Linie zu mehr Büro- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten kratie und zu mehr Belastung und zeigen, dass es dadurch Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! am Ende nicht besser, sondern eher schlechter wird. Ich fand den doch recht amüsant geführten Streit über Innovationspotenziale zwischen Ihnen, Herr Miersch, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und Ihnen, Herr Nüßlein, ganz spannend. Ich fand vor 13584 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Lukas Köhler (A) allen Dingen spannend, was danach kam. Bei Ihnen war werb, Innovation und Klimaschutz wirklich anzuregen, (C) der nächste Punkt die Frage des Kohleausstiegs und die und darauf sollte auch die Bundesregierung setzen. Frage der Verbote. Meine Damen und Herren, Innova- tionspolitik, Wettbewerbspolitik, aber auch das Fortkom- Aber was wir im Moment hören, ist eine Potpourri aus men in der Klimapolitik schaffen wir nicht durch Verbote unterschiedlichen Maßnahmen und unterschiedlichen und Regulierungen; das schaffen wir durch die freien Gegebenheiten. Das eine ist der Vorschlag einer nationa- Kräfte, die am Markt und im Wettbewerb herrschen. len Ausweitung des Emissionshandels auf alle Verursa- cher von CO2. Das ist schon mal ein guter erster Schritt – (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) darüber kann man sicherlich reden –, aber, meine Damen und Herren, auch das ist nicht effizient. Das reduziert Das ist der einzige Weg, wie wir Klimaschutz wirklich nicht da, wo die Kosten am günstigsten sind, weil es zwei hinbekommen werden. Das ist der einzige Weg, wie wir Sektoren aufmacht. Nur dann, wenn ein vergleichbarer, wirklich für die Zukunft etwas erreichen können. Das ist ein einheitlicher CO -Preis besteht, sind wir wirklich ef- der einzige Weg, wie wir etwas tun können. Dafür, glaube 2 fizient, und das ist das, worauf es am Ende doch an- ich, gibt es ein paar gute Systeme, ein paar gute Anreize. kommt: nicht auf Ideologie, nicht auf Überzeugung, son- Aber was wir bis heute von der Bundesregierung ge- dern darauf, dass wir mit dem einen Euro das Sinnvollste hört haben und was wir vor allen Dingen heute durchge- und Effizienteste machen, was wir im Klimaschutz tun hend hören, ist: „Wir bräuchten“, „Wir brauchen mal“, können, und das fehlt mir hier. „Wir sollten“, „Wir müssen“. Das sind gute Oppositions- reden, aber, meine Damen und Herren, das sind doch (Beifall bei der FDP) keine Regierungsreden. Der zweite Vorschlag ist eine CO2-Steuer. Meine Da- men und Herren, eine CO -Steuer ist wirklich das (Beifall bei der FDP) 2 schlechteste Mittel, das wir im Klimaschutz in Form einer Von einer Regierung erwarte ich: „Es kommt“, „Wir ma- Bepreisung einsetzen können. Das rangiert als nur nach- chen“, „Das ist das nächste Ziel“. gelagerte Option; denn niemand weiß, was das wirklich an Klimaschutz bedeutet. Niemand weiß, wie hoch diese (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Wir sind das Steuer sein muss. Niemand weiß, ob sie wirkt, wann sie Parlament, Herr Kollege!) wirkt und bei welcher Höhe sie wirkt. Davon habe ich bisher noch nichts gehört. Ich erinnere mich da ganz gern an das Gebäudeenergiegesetz, das im- (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Bei Zertifikaten mer noch fehlt, und zwar seit zwei Jahren. auch nicht!) (B) Was wir weder brauchen noch weiter tun können, ist, Das ist die große Frage. Sie legen den Preis fest, aber (D) planlos Geld in der Klimapolitik ausgeben. Sie können nicht die Einsparziele, und das können wir uns nicht er- natürlich sehr viel Geld für sehr viel Klimaschutz aus- lauben. Dafür haben wir einfach keine Zeit mehr. geben; das ist toll. Sie können aber auch sehr viel Geld (Beifall bei der FDP) für sehr wenig Klimaschutz ausgeben, und das ist das, was gerade passiert. Das, meine Damen und Herren, ist Dafür haben vor allen Dingen wir und hat die Welt nicht genau der falsche Weg. Das führt nämlich am Ende zu gar mehr die Kapazitäten, um das auszugleichen. keiner Klimapolitik, und die können wir uns auf gar kei- nen Fall leisten. Liebe Frau Schulze, Sie haben sich fantastischerweise am letzten Freitag schon dazu geäußert und gesagt, dass (Beifall bei der FDP) Sie von der CO2-Steuer ein wenig abrücken. Das halte ich für sehr sinnvoll. Ich hoffe, diesen Weg gehen Sie weiter; Wirklich erfolgreich ist unsere Klimapolitik dann und nur dann schaffen wir auch das Ziel, das wir uns vorge- nur dann, wenn wir aus jedem einzelnen Euro das Maxi- nommen haben. Das muss das Ziel des Sonderberichts mum an Klimaschutz rausholen; denn wir haben weder des IPCC sein, das 1,5-Grad-Ziel. die Zeit noch das Geld, es anders zu tun. Dafür muss aber die Politik ein striktes CO2-Limit setzen. Dazu müssen Aber wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, geht das wir ein jährlich sinkendes Limit festlegen, über das hi- nicht ohne CO2-Abscheidung und -speicherung. Beides naus nichts ausgestoßen werden kann. Lieber Herr müssen wir anreizen. Wir Freien Demokraten haben letz- Miersch, dann schaffen wir auch das, was in Ihrem Koa- te Woche vorgelegt, wie das funktionieren könnte, und litionsvertrag steht, nämlich bis 2030 unsere Ziele einzu- zwar mit einer Blockchain-basierten Kryptowährung, mit halten, und das können wir heute schon garantieren. Das der derjenige belohnt wird, der CO2 durch Technologien, können wir aber nur über eine Mengensteuerung, und die aber auch durch Aufforstung oder Renaturierung der gibt es eben nur im Emissionshandel. Moore aus der Atmosphäre holt. – Ich weiß, Sie lachen alle. Sie haben alle ein bisschen Sorge vor neuen Techno- (Beifall bei der FDP – Dr. Matthias Miersch logien. [SPD]: Zu Ende denken!) Das heißt, der muss so schnell wie möglich ausgeweitet (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Angst vor der werden, um die Ziele auch wirklich zu erreichen. Nur FDP! Ist auch begründet!) dann gibt es das. Das ist tatsächlich der einzige Weg, Das passiert immer: Die Leute lachen erst, wie wir Ökologie und Ökonomie wirklich sinnvoll ver- binden können; denn nur das setzt Anreize, um Wettbe- (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13585

Dr. Lukas Köhler (A) dann bekämpfen sie es, und am Ende kommt das, was wir cken und weniger als die Hälfte des Geldes in Zukunfts- (C) wollen. Ich glaube, das ist der Weg, das wird auch hier aufgaben wie Klimapolitik und Ähnliches. passieren. Denn nur Innovation, nur das Vertrauen in die Zukunft wird dafür sorgen, dass wir wirtschaftlich vor- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia wärtskommen, und nur dann werden wir das Klima am Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ende auch wirklich schützen. Meine Damen und Herren, Hinzu kommt, dass neben den Mitteln im Umweltetat wir dürfen keine Angst vor der Zukunft haben. beim Bundesforschungsministerium noch einmal 400 Millionen Euro für die Bewältigung des Erbes der Wir sollten vor allen Dingen – das erwarte ich von der staatlichen Atomforschung eingestellt sind – und das nur, Bundesregierung – auch tun, was wir sagen. Wir sollten weil die Atomenergienutzung in Deutschland mit allen einen Energie- und Klimafonds in den Haushalt Mitteln durchgepeitscht wurde, nicht nur zur Strompro- schreiben, sodass man auch darüber diskutieren kann, duktion, sondern auch, um zu demonstrieren, dass wie viel da wirklich ausgegeben wird. Deutschland auch Atommacht sein könnte. Meine Damen und Herren, ich bin gespannt auf die Die Atomkonzerne wurden Ende 2016 durch Union, weitere Debatte. Ich freue mich auf den Haushalt. Ich SPD und leider auch Grüne gegen eine im Vergleich zu freue mich vor allen Dingen darauf, zu sehen, wie viel den erwarteten Kosten mickrige Einmalzahlung von rund Geld Sie wirklich ausgeben, und dass Sie wegkommen 24 Milliarden Euro und ohne Nachschusspflicht von den vom „Wir brauchen mal“ hin zum „Wir tun mal“. Haftungsrisiken der Finanzierung der dauerhaften Atom- Danke. mülllagerung befreit. Das geht definitiv zulasten der Steuerzahler. Denn eines war damals schon sicher, und (Beifall bei der FDP) es wird immer sicherer: Die Kosten für eine möglichst sichere Lagerung des Atommülls steigen und steigen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Ihnen hat gerade schon darauf hingewiesen, was Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Köhler. – Als nächster in der Asse passiert: In der Asse rosten die Atommüllfäs- Redner hat das Wort der Kollege Hubertus Zdebel, Die ser vor sich hin. Hier wurde gegen jede Vernunft Atom- Linke. müll versenkt, obwohl selbst Laien schon klar war, dass (Beifall bei der LINKEN) der Salzstock absaufen könnte. Wir haben inzwischen einen Bericht des Bundesrechnungshofs vorliegen, mit Hubertus Zdebel (DIE LINKE): fatalen Ergebnissen, was das Controlling durch die Bun- desregierung angeht. Wir werden den Finger weiter auf Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! die Wunde legen. Was ist mit der Bundesgesellschaft für (B) Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen in (D) Endlagerung? Was ist mit der neu gegründeten Bundes- der Umwelt- und Klimapolitik. Ein Artensterben enor- gesellschaft für Zwischenlagerung, was macht die da in men Ausmaßes und drohende Kipppunkte einer eskalier- Zukunft in diesem Bereich? Es kann nicht so bleiben, dass enden Klimakrise erfordern ein schnelles und massives das quasi an der langen Leine läuft. Ich glaube, die Bun- Umsteuern. desregierung, aber auch das Parlament müssen zukünftig (Beifall bei der LINKEN) sehr viel genauer hinschauen, was dort tatsächlich pas- siert. Immer mehr Menschen in der Welt sind in wachsendem Maß von den Folgen einer unverantwortlichen Wirt- (Beifall bei der LINKEN) schaftsweise bedroht, die auf Profitmaximierung ohne Auch der Umbau von Schacht Konrad verzögert sich Rücksicht auf Mensch und Natur beruht. erneut, um weitere fünf Jahre. Warnungen, dass es auch (Beifall bei der LINKEN) hier, wie bei der Asse, zu einer Katastrophe kommen kann, gibt es sehr viele. Das muss sich ändern. Statt hier endlich das Scheitern einzuräumen und einen Man müsste meinen, dass in einer solchen Situation ein Neustart anzusetzen, wird weiter gutes Geld versenkt. starkes Umweltministerium mit Blick nach vorn und den Wir werden dazu entsprechende Anträge in die weiteren erforderlichen Ressourcen an die Arbeit geht. Doch die Haushaltsberatungen einbringen. Wirklichkeit ist: Trotz des massiv steigenden Bedarfs gibt es nur marginale Fortschritte, ansonsten nichts als Still- Ich gebe, um der Anregung des Präsidenten zu folgen, stand. Ihnen jetzt noch acht bzw. sechs Sekunden Zeit für even- tuelle Zwischenbemerkungen oder Zwischenrufe. Inzwischen werden über 1,1 Milliarden Euro im Um- welthaushalt – das ist mehr als die Hälfte des gesamten Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Umweltetats – nur noch für das radioaktive Erbe des (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Irrwegs der Atomenergienutzung ausgegeben. Sie kön- nen mir glauben, dass ich der Letzte bin, der die Mittel, die dafür eingestellt werden, infrage stellen will; es kostet Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nun einmal Milliarden, diesen Irrweg vernünftig zu be- Vielen Dank, Herr Kollege. – Von diesem Angebot hat enden. Aber es ist doch definitiv kein starkes Signal, niemand Gebrauch gemacht. Als nächste Rednerin wenn wir den überwiegenden Teil des Umweltetats in spricht zu uns die Kollegin Dr. Bettina Hoffmann, Bünd- die Bewältigung des Erbes der Atomenergienutzung ste- nis 90/Die Grünen. 13586 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) man es sein lassen; denn die EU-Zulassung für Glyphosat (C) endet 2022. Aber Sie kündigen an, bis 2024 den Ausstieg Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): anzupacken. Sie lassen Insektengifte auf dem Markt und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde verbuchen das noch als Erfolg. die Restlaufzeit von allen Kollegen dazunehmen. Und an die Reihen der AfD: Übrigens sind die Haupt- ursache für Insekten- und Vogelsterben nicht Windkraft- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: anlagen, Das geht leider nicht. (Karsten Hilse [AfD]: Sondern Glasscheiben Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und Autos!) Der UN-Klimagipfel und der UN-Nachhaltigkeitsgip- sondern es ist nachweislich eine verfehlte Landwirt- fel stehen vor der Tür. Frau Ministerin, dort müssen Sie schaftspolitik. drängende Fragen beantworten. Wie wollen Sie wegkom- men von fossilen Energien? Wie wollen Sie die Agenda (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 2030 umsetzen? Ich bin gespannt, was Sie dort sagen und Sie interessieren sich überhaupt nicht für Tiere. vor allem was Sie dann tun werden. Unseren Bürgerinnen und Bürgern ist jedenfalls klar: Die Regierung muss mehr (Karsten Hilse [AfD]: Monokulturen für tun, um unseren Planeten zu schützen – und zwar sofort. Biogasanlagen!) Sie glauben, Sie können auf Stimmenfang bei Windkraft- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gegnern gehen. Das werden wir Ihnen vermiesen. Nach zwei Jahren GroKo ist noch kein relevantes Um- weltgesetz verabschiedet worden, alles nur Ankündigun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gen, Herr Miersch. Beispiel Klima: Wir warten seit Janu- [AfD]: Mit Ihren handgeba- ar auf Schritte zum Kohleausstieg. Stattdessen versinken tikten Sachen da!) CDU, CSU und SPD immer noch im Streit um das rich- Mein Fazit: Die Umwelt in Deutschland ist in einem tige Instrument. Mit 50 Milliarden Euro umweltschädli- schlechten Zustand; global ist das verheerend. In einer cher Subventionen feuern Sie die Krise sogar noch an. Welt der Trumps und Bolsonaros braucht es glaubwürdi- Beispiel Kreislaufwirtschaft: Mit Aktionismus veran- ge internationale Vorbilder für eine ambitionierte Um- stalten Herr Söder und Frau Schulze ein Plastiktüten- weltpolitik. Tamtam. (Hansjörg Müller [AfD]: Frau Merkel zum Bei- (B) (D) (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- spiel! – Karsten Hilse [AfD]: Ein blühendes SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Beispiel!) Aber wir Grüne sind ja schon froh, dass überhaupt etwas Deutschland ist schon lange kein Vorreiter mehr. Wie passiert. Ein Gesamtkonzept, mit dem wir von steigenden wenig Ihnen die Umwelt wert ist, sieht man an dem Mi- Müllmengen wegkommen: Fehlanzeige! nietat, von dem noch die Hälfte – wir haben es gehört – für die Lagerung von radioaktivem Müll ausgegeben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird. Was wir jetzt brauchen, ist ein Kreislaufwirtschaftsinsti- (Karsten Hilse [AfD]: Braucht man gar nicht!) tut; das könnte Ihnen auf die Sprünge helfen. Der Energie- und Klimafonds mit zentralen Klima- Beispiel Wasserschutz: Auch beim Wasserschutz tröp- schutzprojekten ist ja im Haushalt noch gar nicht abge- felt es dahin. Seit Jahren ist klar, dass zu viel Nitrat aus zu bildet; Strafzahlungen sind aber schon eingepreist. Was viel Gülle unser Grundwasser verschmutzt. Demnächst soll man da überhaupt noch erwarten? Statt in Zukunft zu wird die Bundesregierung wohl zu Strafzahlungen von investieren, zahlen wir heute für die Fehler der Vergan- 850 000 Euro verdonnert werden – pro Tag. Doch der genheit, und morgen zahlen wir auch für die Fehler von Bauernverband diktiert weiter, was gemacht werden soll. heute. Jetzt ist Handeln angesagt. Wir müssen unseren Beispiel Luftqualität: Das einzige Gesetz aus dem Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlassen. Sie BMU sollte Gerichte abhalten, die EU-Grenzwerte ein- mahnen das zu Recht an jedem Freitag in diesem Land an. zufordern und die Menschen vor Dieselabgasen zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schützen – zum Glück vergeblich. Beispiel Artenschutz: Alle Welt redet vom Schutz un- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: serer Wälder. Frau Schulze, passen Sie bitte wenigstens Vielen Dank Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat auf, dass Frau Klöckner nicht Milliarden von Steuergel- das Wort der Kollege Klaus Mindrup, SPD-Fraktion. dern in Forstplantagen steckt. Fördern Sie naturnahe Wäl- der, den Biotopverbund, und weisen Sie Schutzgebiete (Beifall bei der SPD) aus. Klaus Mindrup (SPD): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ach ja, das berühmte Insektenschutzprogramm wurde Kollegen! Vor uns stehen lokal und global drei große ja schon angesprochen – ein Sammelsurium. Fast könnte Herausforderungen. Die erste Herausforderung ist die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13587

Klaus Mindrup (A) Klimakrise, die zweite Herausforderung sind das Arten- Heute ist es so, dass die amerikanischen Gewerkschaf- (C) sterben und der Verlust an Biodiversität, und die dritte ter sich erkundigen: Was macht ihr denn da in Deutsch- Herausforderung sind das Schaffen echter Kreislaufwirt- land? Was macht ihr mit dem Kohleausstieg? Was macht schaften und das Beenden des Eintrags von problemati- ihr mit dem Kohlekonsens? schen Stoffen in unsere Ökosysteme. (Karsten Hilse [AfD]: Da sind Sie 14 Tage in Es ist nicht das erste Mal, dass wir vor solchen globalen die Vereinigten Staaten geflogen, auf Steuer- Herausforderungen stehen. Wir hatten die Herausforde- zahlerkosten!) rung des Ozonlochs. Damals, 1985, hat die internationale Staatengemeinschaft mit dem Wiener Übereinkommen Sie sagen, es ist der richtige Weg, die Menschen nicht zum Schutz der Ozonschicht und später mit dem Mont- ins Bergfreie fallen zu lassen, die Regionen nicht in Ruhe real-Protokoll gehandelt, und FCKW wurde verboten. zu lassen. Was die SPD sagt – neue Arbeit für die Regio- Damals wurde auf Naturwissenschaftler gehört, heute nen, Zukunft für die Regionen –, ist auch für andere Län- werden Naturwissenschaftler denunziert. der ein Beispiel, und das werden wir hier umsetzen. (Ulli Nissen [SPD]: Pfui!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD) Das ist der Grund, warum die Populisten in der Welt wieder nach vorne kommen. Und weil Sie uns dann auch noch sagen – da können Sie so viel brüllen, wie Sie wollen –, dass wir damit allein Aber schauen wir uns einmal an, was sie praktisch auf der Welt sind: machen. Schauen wir uns an, was unter Präsident Trump passiert: Trump hat seinen Wählerinnen und Wählern (Karsten Hilse [AfD]: Bald sind Sie bei 5 Pro- versprochen, die Kohle zu schützen, aber unter keinem zent! Dann wissen Sie, wie viele Leute Ihnen Präsidenten der USA sind mehr Kohlekraftwerke stillge- noch glauben!) legt worden als unter Trump – weil die Kohle einfach Gucken Sie sich Kalifornien an, eine der am meisten nicht zukunftsfähig ist. 2018 wurden in den USA 44 Koh- entwickelten Volkswirtschaften der Welt. In Kalifornien lekraftwerksblöcke mit einer Kapazität von 15,4 Giga- ist kein aus Kohle gewonnener Strom im Stromsystem watt stillgelegt. Damit wurde der bisherige Abschaltre- mehr enthalten. Kalifornien wird im Jahr 2024 das letzte kord aus 2015 übertroffen. Weitere Stilllegungen von 117 Atomkraftwerk abschalten. Wir sind nicht alleine, wir Kraftwerksblöcken mit 36,7 Gigawatt Leistung sind be- befinden uns inmitten einer weltweiten Bewegung. Sie reits angekündigt; es werden wahrscheinlich weitere fol- sind alleine! gen. (Beifall bei der SPD) (B) (Karsten Hilse [AfD]: Müssten Sie doch gut (D) finden!) Kalifornien baut die dezentralen Erneuerbaren aus. Ab Der Kohleanteil an der Stromerzeugung ist in den USA dem nächsten Jahr muss jedes neue Dach in Kalifornien von 39 Prozent im Jahr 2014 auf 27 Prozent in diesem eine Photovoltaikanlage haben. Sie bauen die Dezentra- Jahr zurückgegangen bzw. wird zurückgehen. lität aus, sie bauen die Speicher aus. Das machen auch wir in Deutschland: mit dem Koalitionsvertrag und dem Ziel, (Karsten Hilse [AfD]: Dann müssten Sie den 65 Prozent Erneuerbare bis 2030 zu schaffen. doch gut finden! Das ist doch der Klimaschüt- zer vor dem Herrn!) (Marc Bernhard [AfD]: Wo stellen Sie die überall hin?) Dann geht es weiter – das ist interessant, Herr Hilse; ich komme dazu gleich noch –: Das wird die neue Bürgerenergie sein, auch in den ländlichen Regionen. (Karsten Hilse [AfD]: Ja, das ist doch der Klimaschützer!) (Beifall bei der SPD) Gucken wir uns einmal an, was die Unternehmen dort Die Menschen in den ländlichen Regionen können machen. Peabody Energy, ein großer Energieversorger, dann ihre Dächer nutzen, um PV-Strom zu erzeugen, konnte eine Insolvenz aufschieben, indem die Altersrente und können mit Windkraft auch Geld verdienen. der Bergarbeiter um 88 Prozent gekürzt wurde. Die In- (Karsten Hilse [AfD]: Quatsch! Das sieht man solvenzabwicklung beinhaltete gleichwohl eine Bargeld- doch, wie viele Windkraftanlagen gebaut wur- prämie in Höhe von 11,9 Millionen US-Dollar für die den, wie viel Geld man mit denen verdienen Topführungskräfte. Was zeigt uns das? Das ist der Weg kann! Sie treiben die alle in den wirtschaftli- der Populisten: Sie versprechen viel und halten nichts, chen Ruin! – Marc Bernhard [AfD]: Wo wollen (Marc Bernhard [AfD]: Und Sie versprechen Sie die denn noch hinstellen?) viel und machen das Gegenteil! – Weitere Zu- Schauen wir, nachdem wir die USA verlassen haben, rufe von der AfD) nach Bayern. Ich freue mich ja, dass Herr Söder sagt, er und sie machen eine Politik zulasten der Arbeitnehme- wolle auch beim Klimaschutz vorangehen. rinnen und Arbeitnehmer und zulasten der Rentnerinnen und Rentner. (Karsten Hilse [AfD]: Mann, Mann, Mann! Sie reden hier, als ob Sie in Sachsen noch zweistel- (Beifall bei der SPD) lig wären!) 13588 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Klaus Mindrup (A) Ich finde es bemerkenswert, dass er Konsense, die wir (Karsten Hilse [AfD]: Das sehen die (C) hier hart errungen haben, in Zweifel zieht. Aber ob er sächsischen Arbeitnehmer sehr anders!) glaubwürdig ist, da habe ich meine Zweifel. Wer den Wir haben gemeinsam vor wenigen Wochen mit der IG Ausbau von Windkraft in Bayern blockiert und gleich- Metall unter dem Motto „FairWandel“ mit 50 000 Men- zeitig Klimaschützer sein will, der ist nicht glaubwürdig; schen demonstriert. Die Umweltministerin Schulze war das muss man klar feststellen. mit mir auf der Straße – danke schön! –, (Beifall bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein (Zuruf des Abg. [AfD]) [CDU/CSU]: Beschäftigen Sie sich doch mit der Glaubwürdigkeit der SPD, da haben Sie und der Arbeitsminister war mit auf der Straße. genügend zu tun!) Sie können, wie gesagt, so viel brüllen, wie Sie wollen. Die Industrie in Bayern sieht das ja auch. Wo soll denn Ihre Zukunft ist keine gute Zukunft. der Strom herkommen? Im Strommix braucht man Wind- energie. Es sind übrigens nur 35 000 Anlagen, die man in (Zuruf der Abg. [AfD]) Deutschland braucht, um 200 Gigawatt im Jahr 2050 zu Bei Ihnen geht es nämlich in eine Richtung: Es geht berg- erreichen; denn die Technik wird immer moderner. ab bei Ihnen. (Marc Bernhard [AfD]: Im Moment gibt es 31 Danke schön. 000, und die decken nur 18 Prozent ab! Was erzählen Sie denn für einen Quatsch! So ein (Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Ulli Humbug!) Nissen [SPD]) – Wenn die AfD nicht rechnen kann, kann ich nichts dafür. Das liegt vielleicht an Ihrer Schulbildung. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Mindrup. – Als nächster (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Redner hat der Kollege Karsten Hilse, AfD-Fraktion, Aber zurück zu Bayern. Bayern bekommt Fördermittel das Wort. für den Regionalverkehr, aber was macht Bayern im Au- genblick? Sie schreiben neue Zugstrecken für Diesello- (Beifall bei der AfD) komotiven aus. Das kann doch nicht wahr sein! In Schles- wig-Holstein werden moderne, batterieelektrische Züge Karsten Hilse (AfD): eingesetzt, in Niedersachsen wasserstoffbetriebene. Die Der war gut, Herr Mindrup. – Herr Präsident! Meine (B) batterieelektrischen Züge werden bei mir im Wahlkreis Damen und Herren! Liebe Kohlekumpel in ganz Deutsch- (D) produziert; das kann man sich einmal angucken. Es kann land, vor allen Dingen aus Jänschwalde! Für wen es berg- doch nicht sein, dass wir Bayern Geld für den Regional- ab geht, hat man in Sachsen an den Wahlergebnissen ge- verkehr geben und hinterher noch Strafzahlungen leisten sehen: 7,7 Prozent für die SPD. Aber gut. müssen, weil der CO2-Ausstoß steigt. Das ist doch voll- kommen absurd. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein In diesem Haushalt werden wieder einmal Hunderte [CDU/CSU]: Mag daran liegen, dass sie bei Millionen Euro für sogenannten Klimaschutz verschwen- Ihnen produziert werden!) det. Ich möchte Ihnen, liebe Zuschauer, einmal aufzeigen, was es für Menschen sind, die Ihre Steuergelder mit vol- Jetzt kommen wir noch mal zu Herrn Trump und zur len Händen auf der Grundlage einer absurden Hypothese Automobilindustrie. Hier wird ja immer so getan, als sei aus dem Fenster werfen. Diese können somit nicht mehr Regulierung Teufelszeug. Herr Trump hat den Automo- für vernünftige Dinge ausgegeben werden. bilkonzernen gesagt, er hebt die Regulierung auf. Was haben die Automobilkonzerne gesagt? Wir wollen das Wir haben die Bundesregierung gefragt, auf Grundlage nicht; denn ohne Regulierung sind wir gar nicht konkur- welcher Studie sie zu der Aussage kommt, dass 97 Prozent renzfähig. – Daran sieht man, dass Regeln für den Klima- aller Wissenschaftler die Hypothese vom menschenge- schutz und Innovationen Hand in Hand gehen machten Klimawandel unterstützen. Bisher führte man meistens die Studie von John Cook an, der mit mehreren (Beifall bei der Abg. Lisa Badum Studenten 11 944 Veröffentlichungen untersuchte. Neben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) einigen anderen Schwachpunkten bei der Datengewin- und dass man nicht eine Ökonomie ohne Regeln haben nung: Es wird in 7 930 Veröffentlichungen, also in knapp kann. Wenn das selbst die Leute in den USA kapieren, zwei Dritteln der Schriften, gar nicht auf die Ursache des muss es doch auch bei uns möglich sein. Vielleicht Klimawandels eingegangen. Diese Studie kann also nicht kommt es dann auch bei den Leuten an, die rechts von für die 97-Prozent-Aussage herangezogen werden. mir sitzen. In der Antwort brachte man zum Ausdruck, dass man jetzt davon überzeugt sei, dass 99 Prozent aller Wissen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schaftler die Hypothese vom menschengemachten Kli- Ich kann Ihnen nur sagen: Die SPD steht an der Seite mawandel für richtig halten. Grundlage ist eine Studie der Klimaschützerinnen und Klimaschützer, aber auch an von James Powell, der wissenschaftliche Arbeiten aus der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. den Jahren 2013 und 2014, in denen die Begriffe „Global Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13589

Karsten Hilse (A) Warming“ und „Climate Change“ vorkommen, aus einer (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) entsprechenden Datenbank gesammelt hat. NEN]: Sie sollten sich mal mit wirtschaftlicher Arbeit beschäftigen! – Zuruf des Abg. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) NEN]: Würde die Bundesregierung arbeiten wie Sie!) Liebe Bürger, Sie sehen also, welche Methoden diese Bundesregierung als Begründung verwendet, um Sie In den Kurzzusammenfassungen, sogenannten Abstracts, weiter auszuplündern, um Ihre Arbeitsplätze zu vernich- also nicht einmal im Originalartikel, suchte er die Arbei- ten. ten, in denen die Ansicht, der Klimawandel sei men- schengemacht, explizit zurückgewiesen wird. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Gauland ist ganz begeistert von Ihrer Re- Sein Ergebnis: In 99,94 Prozent der rund 24 000 Ab- de! Da kriegen Sie Fleißkärtchen!) stracts wird der menschengemachte Klimawandel nicht explizit zurückgewiesen. Powell und die Bundesregie- Und natürlich nähern wir uns mit dieser Bundesregierung rung schlussfolgern daraus, dass der Konsens darüber, der in Hypothese eins beschriebenen Zustände: Die Wirt- dass der Klimawandel menschengemacht ist, 99,94 Pro- schaft wird zerstört, und das Volk wird verarmt sein. Das zent – oder für die Bundesregierung: rund 99 Prozent – zu verhindern, ist die AfD angetreten. beträgt. (Beifall bei der AfD) Diese Vorgehensweise ist natürlich absoluter Irrsinn – Auch deshalb lehnen wir ab, auch nur einen einzigen da werden Sie mir wahrscheinlich auch recht geben –, Cent, der von der Bevölkerung hart erarbeitet wurde, was die Bundesregierung jedoch nicht hindert, die auf für die auf der Grundlage einer absurden Theorie veran- diese absurde Art gewonnenen Ergebnisse zu überneh- lassten sogenannten Klimaschutzmaßnahmen auszuge- men. Das ist nicht nur komplett unwissenschaftlich, ben, die zudem auch noch massive Umweltschäden ver- ursachen. Ein freundliches Glückauf in die Lausitz, vor (Ulli Nissen [SPD]: Mit allen Dingen nach Jänschwalde! Unwissenschaftlichkeit kennen Sie sich ja aus!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. sondern auch in seiner Infantilität unüberbietbar und ein Beleg dafür, dass im Umweltministerium nicht Wissen- (Beifall bei der AfD) schaftler, sondern Ideologen das Sagen haben. (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Rüdiger (D) Die Antwort der Bundesregierung veranlasste Journa- Kruse, CDU/CSU-Fraktion. listinnen, drei nicht ganz so absurde Hypothesen mit der gleichen Methode zu überprüfen, von denen ich hier zwei (Beifall bei der CDU/CSU) thematisieren will. Hypothese eins: Die Regierung Merkel hat das Ziel, die deutsche Wirtschaft zu zerstören Rüdiger Kruse (CDU/CSU): und Armut herbeizuführen. Hypothese zwei: Die UN ist Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehr- ein kommunistisches Regime, das den vermeintlich men- ten Damen und Herren! Tucholsky hat ja gesagt: Es ist schengemachten Klimawandel nutzt, um Armut herbei- schwer, keine Satire zu schreiben. – Aber ich hätte nicht zuführen. erwartet, dass ein AfD-Redner einen Text von Jan Böh- mermann vorliest. Aber gut, es kann ja auch mal ganz (Zuruf des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) lustig hier werden. Die zwei hier genannten Hypothesen wurden beide – (Zurufe von der AfD) wohlgemerkt bei der Verwendung der Powell’schen Me- thode – bestätigt. Das können Sie doch gar nicht beurteilen. (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Zurufe von der AfD) Das würde bedeuten: Es gibt einen wissenschaftlichen Doch, das kann man auch in der „heute-show“ so zei- Konsens von 97,5 Prozent darüber, dass die Regierung gen. Merkel die deutsche Wirtschaft zerstören und Armut her- Wir haben in dieser Haushaltsdebatte eine sehr deut- beiführen will, und einen wissenschaftlichen Konsens liche Steigerung im Etatentwurf des Umweltministeriums von 99,9 Prozent darüber, dass die UN ein kommunisti- lesen können, nämlich von 25 auf 39: Für 2019 ist näm- sches Regime ist, lich 25-mal, für 2020 39-mal das Wort „Nachhaltigkeit“ (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) in den Entwurf geschrieben worden. Das ist ein Wort, das ich persönlich sehr schätze. Ich vertraue darauf, dass das den Vorwand eines menschengemachten Klimawan- Worten dann auch Taten folgen. Das ist ja so die Reihen- dels benutzen will, um Armut herbeizuführen. Natürlich folge. Einige der Vorredner haben bemängelt, dass dieser ist ein immer größer werdender Teil der Menschen in Etat so klein ist, obwohl die Probleme im Umwelt- und unserem Land von der Richtigkeit zumindest der ersten Klimaschutz so groß sind. Nun ist es aber so, dass Um- Hypothese überzeugt, allerdings sind es noch nicht welt- und Klimaschutz sich eben nicht nur im Umwelt- 97,5 Prozent. ministerium entscheiden, sondern auch in anderen Fel- 13590 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Rüdiger Kruse (A) dern. Deswegen kommt der Haushaltsdebatte eine so die sie in den nächsten Jahrzehnten dringend braucht, ist (C) große Verantwortung zu; denn wir müssen entscheiden, doch fantastisch. wo wir die Mittel allokalisieren, das heißt: Was machen wir im Bereich Wirtschaft? Was machen wir im Bereich Wir haben ja auch schon vorher die Technologie geliefert, Verkehr? die das Hochlaufen der CO2-Emissionen ermöglicht hat. Das heißt, die Wirkung, die wir haben, ist schon groß. Das Das Wort „Nachhaltigkeit“ ist auch deswegen richtig, bedeutet auch: Wenn wir hier umstellen, werden wir auch weil es aufzeigt, dass es nicht funktionieren wird, immer eine große Wirkung erzielen. Damit kann Deutschland nur in die Segmente zu gucken, wenn wir Klimaschutz seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. erreichen wollen, wenn wir das Ökosystem erhalten wol- len, sondern man muss natürlich einen Querschnitt bil- Dann gibt es noch ein schönes Beispiel. Wenn wir all- den. Wir brauchen in diesem Haus keinen Konsens über gemein über Technologiefeindlichkeit reden, hören wir die Maßnahmen; daran habe ich gar kein Interesse. Ich von vielen Seiten immer: Wisst ihr noch, der Transra- möchte im Streit über die Maßnahmen sein; aber ich pid? – Genau. Den hat uns keiner abkaufen wollen, weil möchte im Ziel einig sein. Dann kann sich darstellen, wir ihn nicht benutzt haben. Wer soll denn deutsche Kli- ob einer mehr Ordnungspolitik machen möchte oder mehr matechnologie kaufen, wenn wir sie nicht benutzen? Wettbewerb. Wobei man zum Wettbewerb auch sagen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des muss: Wettbewerb ist eine staatliche Veranstaltung. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was wir brauchen, sind Kriterien, und die können sich Wenn man den heimischen Markt nicht bedienen will, aus unseren Nachhaltigkeitszielen ergeben. Wir haben wenn man die Voraussetzung dafür nicht schafft, dann gemeinschaftlich, sehr stark unter deutscher Federfüh- wird sich auch kein Abnehmer dafür finden. Deswegen: rung, weltweit 17 Ziele vereinbart. Das ist knapp doppelt Wenn man national denkt, muss man in genau diese Rich- so viel wie die zehn Gebote; aber sich die zu merken, wird tung gehen. Für unsere deutsche Industrie ist das die man noch hinbekommen. Daraus ergeben sich dann auch Chance; denn Billigtechnologie und Umweltstandard Kriterien, an denen man erkennen kann: Erreichen wir der Vergangenheit können andere viel, viel besser. Wir das? Das fehlt an vielen Punkten in unserem Haushalt. wollen unseren hohen Standard halten. Wenn wir uns mal Wir beschließen in unserem Haushalt Maßnahmen, angucken, wie viel Prozent der gezahlten Sozialleistun- steuern aber nicht nach und überprüfen nicht: Erreichen gen der Welt in Deutschland ausgegeben werden, sehen wir das auch? wir nämlich, dass wir mit viel, viel mehr dabei sind. Was Deswegen sind wir zum Beispiel ins Hintertreffen ge- wir anstreben sollten, ist, dabei zu helfen, diesen Standard auch weltweit zu etablieren. Das können wir nur mit Pro- (B) raten mit unseren 2020-Zielen. Es ist ja nicht so, dass das (D) nicht ernst gemeint gewesen ist. Vielmehr hat die Nach- dukten, die wirklich einen Weltstandard erfüllen. Dafür kontrolle über die Jahre gefehlt, das Nachsteuern hat ge- sind wir gut. fehlt. Und wir haben uns sicherlich auch ein bisschen Aber meine Bitte ist wirklich, dass wir auch innerhalb davon verführen lassen, zunächst einmal die niedrig hän- der Bundesregierung zu einem Konsens kommen, dass genden Früchte einzusammeln. Da war man ja auch ganz wir uns insgesamt an den Nachhaltigkeitszielen ausrich- erfolgreich. Aber das Dumme ist eben, dass man die mitt- ten. Dann erwarten wir mit hoher Spannung – das Unvoll- leren und langfristigen Dinge sehr rechtzeitig mitdenken endete ist nämlich nur in der Musik und der Literatur muss. Darum ist es zwar richtig, zu sagen: Mit unserem spannend – zu unseren Schlussberatungen einen komplet- Geld, mit dem wir in Deutschland mit Investitionen viele ten Haushaltsplan. Dieser muss sehr, sehr gut sein. Er Effekte erzielen, könnte man anderswo viel, viel mehr muss so sein, dass wir nicht hinterher von jeder 14-jähri- bewirken. – Ja, aber wenn wir weltweit 2050 da ankom- gen Schülerin gesagt bekommen: Mit dem, was ihr hier men wollen, dass wir kein CO2 mehr emittieren, dann aufgeschrieben habt, könnt ihr eure eigenen Ziele nicht müssen wir überall die entsprechende Technik haben, erreichen. und die können wir nicht 2049 erfinden. Das heißt, wir müssen jetzt die entsprechenden Impulse auslösen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist aber hochgelegt, die Latte!) Natürlich sind wir nur für zwei Komma irgendwas Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Wir sind ja Das ist die Latte, die wir als Parlament legen. auch nur 1 Prozent der Weltbevölkerung. Das hindert uns aber nicht daran, mehr Autos zu bauen, als dieses 1 Pro- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zent braucht. Hochgelegt!) (Beifall bei SPD sowie bei Abgeordneten der Das ist auch unsere Aufgabe. CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Vielen Dank. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Das hindert uns auch nicht daran, mehr Maschinen zu bauen, mehr Technologie zu entwickeln, als wir hier in Deutschland brauchen. Das heißt, wenn wir auch sonst Vizepräsident Wolfgang Kubicki: außerhalb der Grenzen von Deutschland denken und han- Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Als letzter Redner deln, dann müssen wir das im Klimaschutz natürlich auch zu diesem Einzelplan erhält das Wort der Kollege Ingo tun. Die Möglichkeit, der Welt die Technologie zu liefern, Gädechens, Schleswig-Holstein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13591

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei sen deutlich machen, dass das kein Quälkram ist, sondern (C) Abgeordneten der CDU/CSU) für die Gesellschaft existenziell wichtig. Wenn wir wol- len, dass Klimaschutz nicht nur ein Strohfeuer der politi- Ingo Gädechens (CDU/CSU): schen Debatte ist, müssen wir die Maßnahmen attraktiv Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir gestalten. Wer den Menschen nur Verbote vorsetzen haben über 80 Minuten interessanter Debatte über Um- möchte und auflistet, was alles nicht geht und auf was welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erlebt: mal auf- wir alles verzichten müssen, der, meine sehr verehrten geregt, mal sachkundig, mal ein bisschen oberflächlich. Kolleginnen und Kollegen, wird scheitern. Mir macht das große Freude, weil dieses Thema für uns, für unser Land und für die Welt enorme Bedeutung hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Klima-, Umwelt- und Naturschutz einerseits, nukleare Der Schwerpunkt unserer Klimaschutzpolitik muss für Sicherheit andererseits haben bei uns – das haben zumin- mich daher in einem vielfältigen Anreizsystem liegen, dest die Redner der Regierungskoalition deutlich ge- das klimafreundliches Verhalten belohnt. Ein Beispiel – macht – einen wirklich hohen Stellenwert. Das erkennt wir haben es in der Debatte gehört – sind die Ölheizun- man daran, dass der Einzeletat steigt. Das sage ich als gen, die aktuell diskutiert werden. Wer hier „Verbot“ sagt, Haushälter; denn für uns sind dann manchmal Zahlen löst bei vielen Eigenheimbesitzern Ablehnung und Angst sehr wichtig, wobei wir auch sagen: Nicht Masse ist klas- aus. Wer hier aber Umsteigeprämien oder aber Einspar- se, sondern aus der Masse von 2,6 Milliarden Euro muss potenziale skizziert, macht die Sache wesentlich attrakti- auch etwas Vernünftiges gemacht werden. Der Etat steigt ver und sorgt für Akzeptanz. um 338 Millionen Euro und damit um 14,8 Prozent. Mit Blick auf die Teile des Haushaltes kann man sagen: Alles (Beifall bei der CDU/CSU) erfreulich, 20 Prozent Aufwuchs beim Umweltschutz, Insofern, verehrte Kolleginnen und Kollegen, brauchen 20 Prozent mehr beim Klimaschutz, 15 Prozent Steige- wir keine Verbotsdebatten, sondern eine Verbesserungs- rung beim Naturschutz. Dabei muss man immer wieder debatte. darauf hinweisen, dass insbesondere Ausgaben für Um- welt- und Klimaschutz zusätzlich noch an vielen anderen Zweitens – wir hörten es auch schon von einigen Red- Stellen in anderen Einzelplänen verankert sind. nerinnen und Rednern –: Klimaschutz kann nur weltweit gelingen. Wohl kaum eine Herausforderung unserer Tage Als ich an dieser Stelle vor einem Jahr zum Einzelplan ist so international wie der Klimaschutz. Nur wenn alle 16 reden durfte, standen wir alle noch unter dem Eindruck mitmachen, können wir am Ende zu einem guten Ergeb- eines außergewöhnlich trockenen Sommers 2018 und ei- nis kommen. Leider scheint das Problembewusstsein (B) ner zunehmenden Bedeutung des Klimawandels. Heute noch nicht überall angekommen zu sein. (D) sind wir in einer ähnlichen Situation. Wiederum haben wir einen relativ trockenen Sommer gehabt. Unsere eige- (Martin Reichardt [AfD]: Vielleicht ja auch ein nen Wälder leiden, und die politische Debatte hat natür- falsches Problembewusstsein!) lich noch mal einen erheblichen Hype erlebt – Stichwort: Fridays for Future – und eine Omnipräsenz bekommen, Vielleicht aus Ihrer Sicht. Aber wir gehen da ganz prag- die uns alle beschäftigt. matisch vor. Im Hinblick auf die vor uns liegenden Herausforde- Die Kollegin Bluhm-Förster hat ja gesagt, dass wir, rungen ist dies zu begrüßen. Umso wichtiger ist, dass schon bevor die Wälder im Amazonas brannten, gucken die Bundesregierung noch in diesem Monat umfangrei- wollten, was mit unseren Geldern in Brasilien passiert. che Vorschläge vorlegen wird, wie wir im Klimaschutz Wir sind dort hingeflogen – nicht emissionsfrei, muss noch besser werden können, als wir es schon sind. Und man fairerweise sagen. Aber wir waren nicht in Rio de auch wenn viel Kritik geäußert wurde, muss man sagen: Janeiro an der Copacabana, sondern wir sind in die Re- Wir haben doch schon einiges erreicht. genwälder gefahren, haben uns mit 14 Häuptlingen indi- gener Völker zusammengesetzt und uns tatsächlich ange- Ja, es stimmt: Wahr ist, dass wir uns höhere Ziele ge- guckt, wo die grüne Lunge der Welt atmet und wo wir viel setzt haben und zumindest die beabsichtigten Einsparun- größer und viel effektiver Klimaschutz betreiben könn- gen bis 2020, auch aufgrund des – Gott sei Dank – lang- ten. Sie alle haben die aktuellen Bilder vor Augen, Sie anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwungs, nicht haben kennen die Aussagen von Präsident Bolsonaro. Es funk- einhalten können. Darum ist es wichtig, dass wir noch tioniert nur, wenn wir andere Völker, andere Länder be- ordentlich eine Schippe drauflegen. geistern, mit in diesen Klimaschutz einzusteigen. Bei meinen vielen Gesprächen in der sitzungsfreien Deutschland kann alleine nur wenig machen, aber Zeit wurde mir immer wieder signalisiert, dass es eine Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen, und breite Mehrheit in der Bevölkerung für mehr Klimaschutz wir müssen die selbstgesteckten Ziele, die wir uns gege- gibt. Diese Bereitschaft ist aber nicht bedingungslos. Wir ben haben, auch erfüllen. Eine wichtige Frage ist für mich müssen behutsam vorgehen und kluge Entscheidungen daher, wie wir in den skeptischen Ländern unserer Erde treffen. Ich möchte in vier kurzen Thesen skizzieren, für mehr Klimaschutz werben können. Für mich gibt es was mich und die CDU/CSU-Fraktion dabei in den nur einen Weg: Deutschland und Europa müssen zeigen, kommenden Beratungen leiten wird. dass Klimaschutz nicht nur möglich ist, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Erstens. Klimaschutz muss – anders, als das hier einige Redner dargestellt haben – Freude verbreiten. Wir müs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 13592 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Ingo Gädechens (A) Nur wenn unsere Klimaschutzmaßnahmen attraktiv sind, (Beifall) (C) können wir skeptische Länder zu mehr Klimaschutz mo- tivieren. Zugleich ist aber auch klar: Wir dürfen nicht der Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Versuchung erliegen, nur die Defizite anderer Länder zu Landwirtschaft: sehen, sondern wir müssen zuerst selbst liefern; denn es Jetzt kann nichts mehr schiefgehen. Herzlichen Dank. – bringt nichts, viel Geld in Klimaschutzmaßnahmen, in Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erneut internationale Projekte zu stecken, wenn wir selbst unsere lege ich dem Parlament einen Rekordhaushalt vor: Hausaufgaben noch nicht erledigt haben. 6,5 Milliarden Euro für das Bundeslandwirtschaftsminis- terium. Das entspricht einer Steigerung um 194 Millionen Und drittens ist mir sehr wichtig: Klimaschutz darf Euro. Das ist ein großer Erfolg; denn die Steuereinnah- nicht auf dem Rücken des ländlichen Raumes ausgetra- men steigen nicht so weiter wie erwartet. Wir sehen die gen werden. Kürzungen bei anderen Ministerien, nicht so beim (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei BMEL. Mein Dank gilt dem Bundesfinanzministerium Abgeordneten der FDP) für die gute Zusammenarbeit. Als Abgeordneter eines ländlichen Wahlkreises macht Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Geld wird benö- mir dieser Punkt aktuell sehr große Sorgen. Der An- tigt; denn die Landwirtschaft ist im Umbruch. Die Land- spruch, gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und wirtschaft war schon immer im Wandel, aber jetzt erleben Land sicherzustellen, ist gerade für die Union von heraus- wir eine Zäsur – eine Zäsur in den Erwartungen, die an die ragender Bedeutung. Schon ein flüchtiger Blick zeigt, Landwirtschaft gerichtet werden, im Übergang von tradi- dass die Menschen im ländlichen Raum von einer mög- tionell zu modern, bei Umwelt-, Klima- und Tierschutz, lichen CO2-Bepreisung im Vergleich zur städtischen Be- aber auch eine Zäsur im Ton der Auseinandersetzung, im völkerung überdurchschnittlich betroffen sein könnten. Umgang miteinander. Dabei machen es sich viele zu ein- Das gilt beispielsweise ganz praktisch in Bezug auf Mo- fach mit ihren Erwartungen an die Bauern und an das bilität. Im ländlichen Raum geht nun mal wenig ohne Landleben. Zielkonflikte werden kaum noch formuliert, Autos, weil dort kein Bus fährt. aber Ideologien ganz klar adressiert. So sollen Lebens- mittel ausreichend vorhanden, die Ernten sicher und für (Beifall bei der CDU/CSU) uns Verbraucher ansehnlich, aber vor allen Dingen sollen Viertens, liebe Kolleginnen und Kollegen: Rüdiger sie günstig sein. Alle Menschen sollen satt werden, aber Kruse, ein Kollege im Haushaltsausschuss, der sich auch der Bauer soll sich als Landschaftsgärtner profilieren. gerne mit Zahlen beschäftigt, hat es gesagt: Es muss nach- Bauern sollen auf Pflanzenschutzmittel verzichten, aber haltig sein. – Es ist so ein Begriff; alles muss nachhaltig im Supermarkt will man nur den schönsten Salatkopf. (B) (D) sein. Aber wenn wir hier aus der schwarzen Null, die für Landwirte sollen Tiere unter besten Bedingungen halten, kommende Generationen nachhaltig ist, eine „Zero Emis- aber mehr zahlen will dafür kaum jemand. sion“ machen, dann haben wir eine doppelte Nachhaltig- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) keit. Wir brauchen nicht nur eine schwarze Null in un- serem Haushalt, einen ausgeglichenen Haushalt, wir Gefühlt möchten die meisten Fleisch von Tieren essen, brauchen auch eine grüne Null, was Emissionsausstoß die nie geschlachtet worden sind, angeht. Das ist unser Ziel, und dafür werden wir gemein- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sam in den kommenden Wochen streiten. Das ist wie eine Rede aus dem letzten Jahrhun- Herzlichen Dank. dert!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei aber Lock- und Dumpingangebote bei Lebensmitteln im Abgeordneten der SPD) Supermarkt funktionieren nach wie vor. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das schleichende schlechte Gewissen wird meist allein Vielen Dank, Herr Kollege Gädechens. Es wäre schön, bei den Bauern abgeladen. Viele beklagen zwar, dass wenn Sie beim nächsten Mal die rote Null beachten wür- Höfe sterben und dass die vermeintlich Großen immer den, die auf der Anzeige steht. größer werden, aber machen gleichzeitig mit, wenn Land- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das war die wirte pauschal als Klimasünder, Tierquäler und Umwelt- letzte Rede, Herr Präsident!) vergifter in eine Ecke gestellt werden. Dann wundern sie sich, dass immer mehr junge Menschen sich scheuen, Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 16 liegen mir diesen Beruf zu ergreifen. nicht vor. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, Sie mal was zur Sache!) Einzelplan 10. – Sehen Sie, das ist genau der Punkt: Zwischenruf der Ich erteile zunächst das Wort der Frau Bundesministe- Grünen: Jetzt sagen Sie mal was zur Sache. – Sie tragen rin Julia Klöckner, verbunden mit meinen persönlichen dazu bei, dass der Berufsstand der Bauern gespalten wird, Glückwünschen und denen des gesamten Hauses zu ihrer dass die Gesellschaft gespalten ist, Sie tragen zu einer kirchlichen Vermählung am letzten Samstag. Polarisierung bei, indem Sie in gute und schlechte Land- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13593

Julia KlöBundesministerin ckner (A) wirtschaft unterteilen, in Groß und Klein unterteilen, in- dern nur durch mehr Innovation und Forschung. Genau (C) dem Sie pauschal von Ackergiften und Agrarfabriken re- hier greift unser Haushalt auch an. Wir unterstützen auf den. Das spaltet die Landwirtschaft, und das ist auch eine Grundlage der Nutztierstrategie oder der Ackerbaustrate- Arroganz aus einer städtischen Sicht dem Land gegen- gie, die gerade entsteht. Wir forschen, wie wir schonender über. Das tragen wir so nicht mit. produzieren können – mit weniger Dünger, weniger Pflanzenschutzmitteln – und wie wir Alternativen in die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Praxis überführen. Dafür nehmen wir über 15 Millionen Abgeordneten der AfD und der FDP) Euro in die Hand. Allein dieses pauschale Einteilen spaltet die Gesellschaft Das Bundesprogramm Ökologischer Landbau führen und die Bauernschaft. wir weiter. Ich hatte gerade ein Gespräch mit Ökowinzern Als zuständige Bundesministerin setze ich mich aktiv darüber, wie wir den Kupfereinsatz reduzieren können. für mehr Tierwohl und für mehr Umwelt- und Klima- Wir weiten die Maßnahmen im Bereich der Digitalisie- schutzleistungen in der Landwirtschaft ein. Ja, ich weiß: rung nochmals aus, und zwar auf 22,5 Millionen Euro, Ich mute den Landwirten einiges zu, und zwar eine Wei- Herr Spiering. terentwicklung. Wir entwickeln Alternativen bei der be- Unsere digitalen Testfelder, die Experimentierfelder, täubungslosen Ferkelkastration, werden aus dem Küken- gehen jetzt an den Start, um zu untersuchen, wie die Di- Töten aussteigen und verlangen von den Schweinehaltern gitalisierung zu mehr Tierwohl, zu mehr Biodiversität, andere Haltungsbedingungen. Wir etablieren ein Tier- wohlkennzeichen, schauen bei den Tiertransporten ge- auch zu Arbeitserleichterung und zu mehr Umweltschutz führen kann. Über 37 Millionen Euro stehen im Jahr 2020 nauer hin oder nehmen Reglementierungen bei Pflanzen- für das Bundesprogramm Nachhaltige Nutztierhaltung schutzmitteln vor. Wir schichten mehr um von der ersten in die zweite Säule, um mehr für Umweltleistungen zu zur Verfügung – mehr als doppelt so viel wie im laufen- den Jahr. Das Ziel ist, die Tierhaltung weiter- tun. Das sind nur einige Beispiele, die für unsere Bauern- zuentwickeln. Wir fordern nicht einfach etwas von den familien massive Veränderungen bedeuten. Ich bin mir Landwirten, sondern geben ihnen auch die Chance, die dessen bewusst. Aber abwarten wäre keine kluge Alter- Landwirtschaft umzustellen und ökonomisch, ökologisch native. und auch sozial in den ländlichen Räumen verwurzelt zu (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Auch die bleiben. Denn aus der Hauptstadt heraus etwas zu for- eigene Fraktion schläft!) dern, wie das Land schön sein soll mit einer gewissen Romantik, das führt uns nicht weiter. Das Aktionsprogramm Insektenschutz beispielsweise sorgt bei manchen für Aufregung. Zunächst müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU) (B) aber auch bilanzieren, dass es nur mit Anreizen auch in (D) der Landwirtschaft nicht geht. Wir brauchen Anreize und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ordnungsrecht. Genau das ist aber der Ansatz beim Ak- tionsprogramm Insektenschutz. Wir wollen seitens des Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Bundes 50 Millionen Euro jährlich in einen „Sonderrah- Kollegin Göring-Eckardt? menplan Insektenschutz einstellen. Das sind insgesamt 83 Millionen Euro jährlich mit den Landesgeldern zusam- Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und men. Das ist etwas, womit wir den Bauern konkret helfen. Landwirtschaft: Wir lassen sie nicht alleine und fordern eben nicht nur, Sehr gern. wie das gerne die Grünen machen, sondern zeigen auch einen Weg, wie so etwas umgesetzt werden kann. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Klöckner, Sie stehen hier immer und sagen, wir Ich begrüße im Übrigen auch die ganz aktuellen Über- würden aus der Stadt heraus Forderungen stellen. Ich höre legungen aus der Agrarwirtschaft, im integrierten Pflan- aus dem ländlichen Raum die Forderung, dass es endlich zenschutz von der bislang üblichen wirtschaftlichen Planungssicherheit braucht. Ich höre von Bäuerinnen und Schadensschwelle zu einer ökologischen Schadens- Bauern in dieser Republik die Ansage: Bitte sagt uns end- schwelle überzugehen. Aber da muss auch klar sein, lich, wie wir zu einer anständigen Landwirtschaft kom- wenn man dann weniger Ertrag hat, dass das auch abge- men. Wir wollen keine Tierfabriken mehr, puffert werden muss. (Christian Haase [CDU/CSU]: Was ist das Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen einen denn? Wir reden noch mal! Sie wissen doch Gesellschaftsvertrag der Verbraucherinnen und Verbrau- gar nicht, was das ist!) cher mit den Landwirten. Es kann nicht sein, dass wir und wir wollen auch nicht mehr gezwungen sein, mit sonntags Forderungen an die Landwirtschaft stellen, aber Ackergiften zu arbeiten. von Montag bis Samstag anders einkaufen oder nicht die Gelder zur Verfügung stellen, mit denen die Landwirt- Die wollen Umstellungen, und die wollen eine Land- schaft umgestellt werden kann. wirtschaftsministerin haben, die an ihrer Seite steht. Die wollen eine Landwirtschaftsministerin haben, die klar er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kennt, dass die Klimakrise auch bei einer Umstellung der Mehr Nachhaltigkeit geht erfolgreich, nicht indem wir Landwirtschaft bewältigt wird, und dafür wollen sie Hil- die Zeit zurückdrehen oder nur Forderungen stellen, son- fe. Sie wollen nicht, dass jemand Landwirtschaftsminis- 13594 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Katrin Göring-Eckardt (A) terin ist, der nur an der Seite derjenigen steht, die glauben, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (C) die Funktionäre der Landwirtschaft zu sein. Wer echte Abgeordneten der AfD und der FDP) Landwirtschaft will, wer zukunftsfähige Landwirtschaft Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen Tierhal- will, tung weiterentwickeln mit den sogenannten Ställen der (Zuruf von der AfD: Wann kommt die Frage?) Zukunft. Es gibt nicht den einen Stall der Zukunft. Wir müssen uns überlegen, was tierwohlgerecht ist, aber nicht der muss jetzt umstellen und darf nicht im Klein-Klein vom Bauchgefühl her, sondern durch Bewegungsprofile immer diejenigen schützen, die weiterhin die alte Land- mithilfe der Digitalisierung. Wer schon in einem ent- wirtschaft verfechten. sprechenden Stall war, sieht, wie ruhig Tiere sein können, wenn der Faktor Mensch nicht mehr zu Unruhe führt. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geben Geld für die Tierwohlkompetenzzentren aus, um Landwirte über Neuerungen in der Tierhaltung zu infor- Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und mieren. Wir nehmen Geld in die Hand, um ein Tierwohl- Landwirtschaft: kennzeichen nach Europarechtskriterien zu etablieren, Frau Abgeordnete Göring-Eckardt, mit Ihrer Zwi- um am Ende eines zu erreichen, nämlich dass der Ver- schenfrage haben Sie das beste Beispiel für eine städt- braucher selbst in die Pflicht genommen wird und auch ische Sicht geliefert, die ziemlich wenig mit dem Land entscheiden kann, ob er es wirklich ernst meint, für mehr und der Landwirtschaft zu tun hat. Tierwohl auch mehr Geld ausgeben zu wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Bei aller Veränderung brauchen wir auch ein Bekennt- Abgeordneten der AfD und der FDP) nis zu Stabilität und klaren Rahmenbedingungen. Es geht Denn zu behaupten, dass Landwirte sagen, sie wollten nicht um Forderungen, sofort oder im nächsten Jahr aus eine anständige Landwirtschaft, unterstellt, dass sie heute etwas auszusteigen. Das schafft kein Landwirt. Nur wer eine unanständige Landwirtschaft haben, und das weise weiß, wo die Reise hingeht, ist auch bereit, zu investieren. ich wirklich von uns. Der größte Teil unseres Haushaltes ist ein solches Be- kenntnis. Wir planen Ausgaben für die landwirtschaftli- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: che Sozialpolitik in Höhe von sage und schreibe 4,1 Mil- Sollen wir Ihnen mal zeigen, wo es die gibt?) liarden Euro zur Absicherung von Krankheit, Alter und Unfällen. Das ist eine soziale und eine faire Politik für Sie haben wieder von Agrarfabriken gesprochen. Sie unsere Landwirtschaft. Das ist ein starkes Signal für un- selber wissen, dass es auch Ökobetriebe gibt, die Tausen- sere Bäuerinnen und Bauern. de Stück Geflügel haben. (B) Auch das Thema Ernährung spielt eine große Rolle. Es (D) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE gibt so viele Unsicherheiten wie nie, wenn es darum geht, GRÜNEN]: Agrarfabriken!) welche Ernährung richtig oder falsch ist. Mein Ziel ist – Ja, das ist der Punkt. Das sind keine Agrarfabriken. – deshalb, Komplexitäten abzubauen und Gesundes zur Ich will einmal festhalten: Frau Göring-Eckardt sagt, Be- einfachen Wahl zu machen. Sie wissen: Es läuft derzeit triebe mit Tausenden Stück Geflügel sind nur dann keine die von der EU-Kommission geforderte Verbraucherbe- Agrarfabriken, wenn die Wirtschaftsweise ihrer Vorstel- teiligung zu einer vereinfachten Nährwertkennzeichnung. lung entspricht. Aber das ist es doch, was zur Spaltung in Ich werde die Ergebnisse vorstellen, wenn sie vorliegen. unserer Gesellschaft führt. Es gibt zwei Schwerpunkte im Bereich Ernährung: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zum einen gibt es Aktionen zu den ersten 1 000 Tagen eines Menschen, zur Sensibilisierung, wie gut Stillen ist. Es geht nicht um die Quantität, sondern um die Qualität Ein zweiter Schwerpunkt sind die Senioren; denn im Al- der Bewirtschaftung. Wenn ein kleiner Betrieb, den Sie ter muss man sich anders ernähren. Wir wollen einen nie als „Agrarfabrik“ titulieren würden, nicht ordentlich stärkeren Blick auf Senioren richten und erforschen, mit Tieren und nicht ordentlich mit dem Boden umgeht, wie Ernährung und Demenzerkrankungen zusammen- dann funktioniert die Gleichung „Klein ist gut“ nicht. hängen, und haben die Vernetzungsstellen für Senioren- Deshalb sage ich: Lassen Sie Kampfbegriffe wie „Acker- ernährung ins Leben gerufen. gifte“ und „Agrarfabriken“ weg. Ich möchte noch etwas zu den ländlichen Räumen sa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen. Wir stärken die ländlichen Räume. Wir haben mit der der AfD) Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ unse- Wissen Sie, Sie treffen damit auch Ihre Ökolandwirte. ren „Plan für Deutschland“ vorgelegt. Die Themen Dorf- Auch die brauchen nämlich Pflanzenschutzmittel; Sie erneuerung, Ehrenamt und Digitalisierung stehen im würden es Ackergift nennen. Hören Sie auf, die Landwirt- Zentrum. Wir werden den Menschen vor Ort helfen, mit schaft zu spalten. einem Stück weit mehr Hauptamt Ehrenamt zu erhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich werden wir (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: uns auch mit unserem Wald beschäftigen. Ich glaube, Sind Sie nicht die Ministerin für Ökolandwir- darüber wird anschließend noch länger und intensiver ge- te?) sprochen werden. Auch bei diesem Thema müssen wir Es ist gut, dass nicht die Grünen dieses Ministerium füh- aus den Ideologien rauskommen. Wir brauchen Wieder- ren. bewaldung. Wir haben eine Fläche in der Größe von 3 300 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13595

Julia Klöckner, (A) Fußballfeldern allein durch Brände verloren. Zuletzt sind hinsichtlich der Nitratbelastung des Grundwassers aus- (C) uns 110 000 Hektar Wald durch Dürre, durch Kalamitäten reicht. und Borkenkäfer komplett verloren gegangen. Deshalb (Zuruf von der SPD: Und wenn nicht?) müssen wir klimastabile Bäume pflanzen, CO2-Binder, Mitkämpfer beim Klimaschutz. Dafür setzen wir uns Wie weit sind Sie mit Ihrer wichtigen Initiative zur ein, nicht nur in unserem Klimakabinett, sondern auch Reduzierung der Lebensmittelverschwendung? Frau Ilse beim Verbändegespräch, das wir geführt haben, und beim Aigner, Agrarministerin von 2008 bis 2013, hat sich an Waldgipfel. dieser Mammutaufgabe schon versucht, ohne Erfolg. Ich danke allen, die mithelfen, die nicht pauschal von Die letzte Frist, in der die betäubungslose Ferkelkast- Holzfabriken oder von Holzplantagen reden. Unsere ration erlaubt ist, läuft rapide ab. Was haben Sie für die Försterinnen und Förster haben unseren Wald über Jahre Ferkelproduzenten in der Schublade? und Jahrzehnte kontinuierlich zu einem klimastabilen Beenden Sie die Kakofonie in den eigenen Reihen hin- Mischwald umgebaut; daran müssen wir weiter arbeiten. sichtlich des Tierwohllabels! Seit zwei Jahren wird Geld Wir müssen sie unterstützen und dürfen sie nicht be- in die Hand genommen, um ein Label auf freiwilliger schimpfen. Basis einzuführen. Jetzt wird plötzlich von Teilen der Herzlichen Dank. Koalition ein verpflichtendes Label gefordert. Das kann es nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein ganz wichtiger Punkt: Die Ministerin wollte sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass auch für das Risiko Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Trockenheit der ermäßigte Versicherungssteuersatz in Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner ist Höhe von 0,03 Prozent der Versicherungssumme zum der Kollege Wilhelm von Gottberg von der AfD-Fraktion. Tragen kommt. Wie weit ist die Angelegenheit gediehen? (Beifall bei der AfD) Frau Klöckner, ist es nicht auch an der Zeit, von der Ernährungsministerin ein deutliches Wort zu den Forde- Wilhelm von Gottberg (AfD): rungen aus dem Ökospektrum hinsichtlich der Halbie- Herr Präsident! Frau Ministerin Klöckner! Meine Da- rung oder gänzlichen Eliminierung des Fleischkonsums men und Herren! Keine Frage, Frau Klöckner ist eine einzufordern? hochmotivierte Ministerin, die mit Freude die Leitung Derzeit sollte der Burn-out des Waldes ganz oben auf ihres Ressorts wahrnimmt. Die Ministerin zählt „zu den Ihrer Agenda stehen. Es handelt sich um eine Jahrhun- (B) umtriebigsten Kabinettsmitgliedern“, so die „FAZ“ vor dertkatastrophe, so die Einschätzung der Arbeitsgemein- (D) einigen Wochen. Ihr voller Terminkalender ist sicherlich schaft Deutscher Waldbesitzerverbände. Hier hat es an der Tatsache geschuldet, dass sie sich selbst eine hohe einem frühzeitigen Hilfsprogramm für den deutschen Leistungsvorgabe gestellt hat. Das ist nachzulesen in ih- Wald durch das Landwirtschaftsministerium gefehlt. rer Berliner Rede, die sie zum Erntedankfest 2018 gehal- Die Herren von der Marwitz und Schirmbeck – beiden ten hat. Unabhängig von dieser Rede haben Frau Klöck- wird man ihre Kompetenz für den Wald nicht absprechen ner und ihr Haus viele Vorschläge und Initiativen können – haben auf einer Pressekonferenz am 28. August angeregt oder auf den Weg gebracht. Frau Klöckner, be- 2019 ein Hilfsprogramm für den notleidenden deutschen herzigen Sie ein wenig die alte menschliche Erfahrung Wald gefordert. Für das Herausschaffen des Windwurf- „Weniger ist mehr“ oder, schärfer formuliert: Aktivitäten und Käferholzes sowie die Wiederaufforstung der Kahl- sind noch keine Effektivitäten. Viele Ihrer guten Ideen flächen seien 2,3 Milliarden Euro erforderlich. versanden oder werden bedauerlicherweise auf die lange Bank geschoben. Beispiele: Einen Tag später hat dann Frau Klöckner bei einem Fach- gespräch mit den Forstverbänden eine halbe Milliarde Problem Wolf. Er gehört zwar nicht zu Ihrem Ressort, Euro aus dem Klimaschutzfonds in Aussicht gestellt. Im- aber die negativen Folgen dieser Raubtiereinbürgerung merhin! Gleichzeitig hat sie ein umfangreiches Wieder- haben ausschließlich die Menschen in Ihrem Verantwor- aufforstungsprogramm für 110 000 Hektar Kahlfläche tungsbereich zu tragen. Setzen Sie sich bitte dafür ein, angekündigt. Das ist sehr gut und aus Klimaschutzgrün- dass auch in Deutschland eine Höchstzahl für die Wolfs- den dringend geboten. Frau Ministerin, Sie benutzen bei population festgelegt wird. Ihren Ankündigungen immer recht zahlreich den Begriff Die Reduzierung der ersten Säule der GAP schon im „Nachhaltigkeit“. Tragen Sie doch bitte dafür Sorge, dass Haushaltsjahr 2020 zugunsten der zweiten Säule, wie Ihre Ankündigungen nachträglich auch umgesetzt wer- kürzlich wohl im Kabinett beschlossen, findet nicht un- den. sere Zustimmung. Wie schon bei den Beratungen zum Haushalt 2019 wiederhole ich hier für das Zahlenwerk 2020 meine Was ist mit der Verschärfung der Düngeverordnung? grundsätzliche Kritik: Die haushaltspolitischen Grund- Sie waren kürzlich diesbezüglich in Brüssel. Es kann sätze Wahrheit und Klarheit sowie Sparsamkeit und Wirt- nicht das Ziel Ihrer Politik sein, eine weitere Verschär- schaftlichkeit haben bei dem vorliegenden Entwurf keine fung der Düngeverordnung zu akzeptieren. Klug wäre es, Beachtung gefunden. Einige Beispiele: die Auswirkungen der Düngeverordnung von 2017 bis zum Jahre 2021 abzuwarten. Es ist gut möglich, dass dann Für das Deutsche Zentrum für Ernährungsforschung erkennbar wird, dass die jetzt geltende Düngeverordnung werden 2,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Dieser 13596 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Wilhelm von Gottberg (A) Titel wurde neu geschaffen. Eine sparsame Haushaltsfüh- wenn wir die Borchert-Kommission ernst nähmen, die (C) rung gebietet es, diesen Titel zu streichen. wir zusammen auf den Weg gebracht haben. Die Personalausgaben für die Bundesanstalt für Land- ( [BÜNDNIS 90/DIE wirtschaft und Ernährung weisen gegenüber dem Vorjah- GRÜNEN]: Sehr richtig!) reshaushalt einen Aufwuchs von 15 Millionen Euro aus. Verbraucherinnen und Verbraucher, Landwirte und Tier- Bei den Mitteln für Aufträge und Dienstleistungen im schutzorganisationen sitzen dort zusammen und machen Bereich der Informationstechnik wird eine Steigerung ge- sich Gedanken darüber, wie die Tierhaltung in den nächs- genüber dem Vorjahr um 300 Prozent vorgesehen. ten 10, 20, 30 Jahren in Deutschland gestaltet werden soll. Ein entsprechendes Ergebnis würde Planungssicherheit Beim Friedrich-Loeffler-Institut gibt es einen Auf- bringen. wuchs der Mittel für die Personalbesoldung um 6 Millio- nen Euro. Offenbar ist hier auch eine neue B-3-Stelle (Beifall des Abg. Friedrich Ostendorff geschaffen worden. Warum, und für wen? [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Beim Deutschen Biomasseforschungszentrum wird ei- Dieser Ansatz, Frau Kollegin Klöckner, ist für uns essen- nem Stelleninhaber neben dem beträchtlichen B-2-Gehalt ziell: zusammen und nicht gegeneinander. eine besondere persönliche Zulage von monatlich 1 050 Euro gewährt. Dafür heben wir nicht die Hand. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist geboten, bei den Personalaufwendungen genau hinzuschauen. Die Erhöhungen gelten ja nicht nur für Das beinhaltet aber, dass man diese Kommission ernst dieses Haushaltsjahr, sondern für die gesamte Beschäfti- nimmt und auf das Ergebnis wartet. gungszeit. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie wollen jetzt, anscheinend aus purem Aktionismus, Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. ein Tierwohllabel einführen, bei dem wir Parlamentarier nicht wissen, nach welchen Kriterien es vergeben werden Wilhelm von Gottberg (AfD): soll; denn diese Kommission arbeitet ja noch, und wir als Ja. – In der zweiten Lesung werden wir uns mit dem SPD-Bundestagsfraktion wollen sie sehr ernst nehmen. Zahlenwerk noch näher befassen. Darüber hinaus wollen Sie das Ganze wieder nicht ver- pflichtend einführen. (B) Die AfD wird ihr Votum zum Haushalt davon abhängig (D) machen, wie die Koalition mit unseren Änderungsanträ- Liebe Frau Ministerin, wir haben in den letzten Jahren gen umgeht. schon sehr viel Hochglanz in Ihrem Haus erlebt. Substanz Danke. war an vielen Stellen nicht zu spüren. Was wir im Augen- blick im Bereich „Wald und Landwirtschaft“ erleben, (Beifall bei der AfD) hängt auch damit zusammen, dass es immer große Worte, aber nur wenige Taten gegeben hat, durch die Nachhal- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: tigkeit tatsächlich gelebt und umgesetzt wurde. Der nächste Redner: Dr. Matthias Miersch für die SPD- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Fraktion. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Hier, liebe Frau Kollegin Klöckner, wird es einen Dis- sens zwischen Parlament und Regierung geben, den wir Dr. Matthias Miersch (SPD): auflösen müssen. Es ist ein sehr entscheidender Dissens Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die darüber, wie wir Politik gemeinsam gestalten; denn aus Haushaltsdebatte bietet immer auch die Möglichkeit, meiner Sicht und aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion Grundsätzliches zu sagen. Deswegen möchte ich meine werden wir die großen gesellschaftspolitischen Heraus- drei Minuten darauf verwenden, Ihnen, Frau Ministerin, forderungen nur in einem Diskurs lösen können, der in zu sagen, dass wir in Bezug auf Ihr Vorgehen einen hand- einer Form von Verbindlichkeit mündet, auf die sich alle festen und sehr grundsätzlichen Dissens haben. Ich will Verbraucherinnen und Verbraucher verlassen können. Ei- Ihnen das sehr deutlich an dem Beispiel der 20 Millionen ne Schaumschlägerkennzeichnung bringt niemanden in Euro schildern, die im Haushalt, den wir hier heute bera- diesem Land weiter, die Landwirte nicht und die Verbrau- ten, für die Einführung eines Tierwohllabels vorgesehen cher auch nicht. sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Gra- DIE GRÜNEN) benkämpfe zwischen den Fronten beendet werden müs- sen und die Landwirte nicht Zielscheibe sein dürfen, son- Insofern haben wir einiges miteinander zu diskutieren. dern dass wir einen gesellschaftlichen Grundkonsens Ich freue mich auf die Diskussionen. darüber brauchen, wie die Nutztierhaltung in Deutsch- Vielen Dank. land gestaltet werden soll. Das, was wir in der Kohle- kommission geschafft haben, könnten wir auch schaffen, (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13597

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sikoausgleichsrücklagen zu bilden, um schlechte Wirt- (C) Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Ulla schaftsjahre durch frühere Gewinne ausgleichen zu Ihnen. können. Das, liebe Frau Ministerin, sollte ebenfalls schnellstmöglich in Angriff genommen werden. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ulla Ihnen (FDP): Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen legen, in Ihrem Haushalt, Frau Ministerin, gibt es immer und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung über noch vieles, was nicht zielgerichtet wirkt. Das Bundes- den Etat der Landwirtschaftsministerin. Sie hat es schon programm Ländliche Entwicklung wird nicht annähernd erwähnt: Gut 6,5 Milliarden Euro befinden sich in ihrem ausgeschöpft. Die Fördermittel für den Ökolandbau ver- Haushalt. Das ist etwas mehr als im letzten Jahr. Dieser puffen einfach. Man sagt ja so schön: Das Gras wächst Aufwuchs kommt vor allem der Alterssicherung der nicht schneller, wenn man daran zieht. Den Mut, Subven- Landwirte zugute. tionsabbau anzugehen und durchzusetzen, bleiben Sie Land- und Forstwirtschaft sehen sich ja zahlreichen bisher einfach schuldig. Sie setzen mit dem Haushalt Herausforderungen ausgesetzt; das haben wir schon in auf das Prinzip Hoffnung. Aber den Plan dahinter sehe den wenigen Beiträgen hier gehört. Deswegen glauben ich nicht. Ich kann ihn in den Zahlen bislang nicht er- wir Freie Demokraten: Die Politik steht in der Pflicht, kennen. auch mit dem Haushalt einen Rahmen zu setzen, damit Zum Schluss möchte auch ich noch auf das Thema die Branche gut und zukunftssicher wirtschaften kann. Wald eingehen. Dem Wald in Deutschland geht es nicht Doch das haben Sie, Frau Ministerin, bislang nicht ge- gut. Mancherorts stirbt er regelrecht ab. Da haben wir schafft. Beispielsweise haben Sie sich beim Disput um einen alarmierenden Zustand; das weiß jeder. Für Land- die Düngeverordnung keine Freunde in der Landwirt- und Forstwirtschaft werden zu viel Sonne und zu wenig schaft gemacht und darüber auch in Ihrer Rede kein Wort Niederschlag zur Existenzbedrohung. Der Sommer ist verloren. Für die Landwirte werden die Maßnahmen zur vorbei, aber die Bundesregierung lässt uns bis heute auf Nitratreduzierung langsam zur Quadratur des Kreises. das Klimapaket und auf die Hilfe für die Wald- und Forst- Hier stehen Existenzen auf dem Spiel, weil die Bundes- besitzer warten. Doch die Forstwirtschaft dürfen wir doch regierung in Brüssel nicht mehr erreichen konnte. Die gerade jetzt nicht alleine lassen. Unserem Wald kommt Rechnung zahlt am Ende der Berufsstand. beim Klimaschutz gerade als CO2-Senke eine besondere Rolle zu. Deshalb meine ich, dass Sie auch prüfen müs- (Beifall bei der FDP) sen, ob nicht die Absorption von CO2 innerhalb des künf- (B) Das ist vor allem kein gutes Zeichen für junge Menschen, tigen Klimapaketes vergütet werden müsste. (D) die sich trotz der fast widrigen Bedingungen ganz be- wusst für die Landwirtschaft entscheiden. (Beifall bei der FDP) Nun haben Sie es mit dem Agrarpaket auch noch ge- Meine Damen und Herren, gerade Forschung und Ent- schafft, dass bundesweit Landwirte mit grünen Kreuzen wicklung wie auch die Digitalisierung müssen wir jetzt stumm gegen Sie und Ihre Politik protestieren. Unter dem stärken, um Innovationen in der Land- und Forstwirt- Agrarpaket leidet der gesamte ländliche Raum, der ja für schaft in der Praxis anwendbar zu machen. Ich möchte die Große Koalition anfangs eine hohe Priorität hatte. an Roman Herzog erinnern. Er hat einst gesagt: 1,5 Milliarden Euro für die ländliche Entwicklung wur- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den zum Antritt der Bundesregierung versprochen. Die NEN]: Dass ein Ruck durchs Land gehen Stärkung der ländlichen Räume und Gebiete wäre ja auch muss!) dringend geboten. Wer sich diese prioritär genannten Ausgaben für den ländlichen Raum aber genauer ansieht, Die Fähigkeit zur Innovation bestimmt unser Schicksal. – wird enttäuscht. Wirkungslose und seit Jahrzehnten nicht Wir Freien Demokraten würden uns gerne als Serviceop- zielgerichtet wirkende Subventionen werden einfach als position in diesem Sinne dafür einsetzen, mutig und in- zusätzliches Geld für den ländlichen Raum umetikettiert. novativ diese Herausforderungen zu meistern. Auch für das schon diskutierte freiwillige und auch aus Vielen Dank. unserer Sicht unnötige zusätzliche Tierwohllabel zahlt die Landwirtschaft einen hohen Preis; denn auch diese (Beifall bei der FDP) Ausgaben zählen zu den 1,5 Milliarden Euro für den länd- lichen Raum. Das hat für mich ein bisschen was von einer Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Fata Morgana. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Heidrun Bluhm- (Beifall bei der FDP) Förster, Fraktion Die Linke. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, dass man (Beifall bei der LINKEN) Land- und Forstwirten endlich Raum geben muss, ihre Aufgabe eigenverantwortlich und auch unabhängiger Heidrun Bluhm-Förster (DIE LINKE): auszuüben. Schließlich haben sie als die Produzenten un- Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe serer Lebensmittel auch wirklich große Verantwortung. Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen mich ja schon Zum eigenverantwortlichen Wirtschaften gehört konse- einige Zeit. Ich werde nicht müde, zu betonen, dass die quenterweise auch die Möglichkeit für die Betriebe, Ri- Agrar- und Landwirtschaftspolitik ohne Zusammenden- 13598 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Heidrun Bluhm-Förster (A) ken mit der Wirtschafts- und Umweltpolitik heute nicht Transparenz bei der Mittelvergabe und bitten, dies auch (C) mehr möglich ist. Jedes aufmerksame Beobachten des den Abgeordneten des Parlaments mitzuteilen – vielleicht Strukturwandels im ländlichen Raum lässt dies offenkun- wissen die Koalitionäre mehr, aber wir wissen nichts –, dig werden. Die Frage, wie nachhaltig Agrarbetriebe heu- und zum anderen brauchen wir ein definitives Umsteuern te wirtschaften und wie die gesamte Ernährungsindustrie in der Förderpolitik insgesamt. funktioniert, ist sowohl eine Gewissens- als auch eine politische Frage, die vernünftigerweise auch durchdachte (Beifall bei der LINKEN) Antworten von uns Politikerinnen und Politikern einfor- Unsere Maxime lautet: öffentliches Geld für öffentliche dert. Leistungen. (Beifall bei der LINKEN) Nicht weniger auffällig ist die Reduzierung der Gelder Und da gehen die Meinungen aus unserer Sicht noch zu im Bereich nachwachsender Rohstoffe um mehr als weit auseinander. 10 Millionen Euro, wovon aber neben Forschung und Entwicklung selbst der Aufbau von Produktlinien und Bezeichnend ist der Etatentwurf des BMEL für 2020, der Bereich von der Erzeugung bis zur Verwendung nach- der sich weder in seiner Größenordnung noch in seiner wachsender Rohstoffe betroffen sind. Auch die Position Stoßrichtung im Vergleich zu vergangenen Haushalten „Energieeffizienz in Landwirtschaft und Gartenbau“ wesentlich verändert hat. Schon im letzten Jahr habe ich scheint nicht mehr so förderungswürdig zu sein; denn an dieser Stelle kritisch angemerkt, dass die seinerzeiti- ein Großteil der Mittel ist im Haushalt 2019 bisher gar gen 6,3 Milliarden Euro des Einzelplans für Ernährung nicht abgerufen worden. und Landwirtschaft kein Budget eines Weiter-so sein dür- fen und dass die Gelder, die wir auch über die EU in die Liebe Kolleginnen und Kollegen, allen Unkenrufen Agrarwirtschaft stecken, nicht zur Stabilisierung des Sta- zum Trotz sind doch Ansätze zum ressortübergreifenden tus quo verschwendet werden sollten. Nun ist es dem Handeln vorhanden. Die Ministerin hat für Ende Septem- Entwurf zufolge mit wenig mehr als 6,5 Milliarden Euro ber 2019 zum Nationalen Waldgipfel eingeladen, der und kaum signifikanten Änderungen in den Einzelposten nach eigener Aussage in Zusammenarbeit mit den Bun- doch leider wieder genau das geworden. Die viel disku- desländern ein Ergebnis- und Tatengipfel werden soll. In tierten notwendigen Veränderungen in der Landwirt- Anbetracht der großen Probleme, Schäden und Kalamitä- schaft bleiben dabei aus unserer Sicht weitgehend auf ten der Waldflächen ist das sicherlich ein hehrer An- der Strecke. spruch, dem nun natürlich auch Taten folgen müssen. Zahlen dazu findet man im Haushalt 2020 allerdings noch Nach wie vor ist die Linke der Überzeugung, dass die nicht. (B) dringenden Reformvorhaben in der Debatte um die Neu- (D) ordnung der kompletten Agrarförderung in der Gemein- Interessanterweise hat das Umweltministerium vor ei- samen Agrarpolitik auf EU-Ebene und auch unter deut- niger Zeit Leitlinien für die Wiederbewaldung in scher Beteiligung an der Gemeinschaftsaufgabe weitaus Deutschland vorgestellt und sich dabei konkret auf das größere Anstrengungen einfordern, als es die Bundesre- Wiederbewaldungsprogramm des BMEL bezogen. Au- gierung umzusetzen vermag. ßerdem wird darin ein Paradigmenwechsel im Wald zur Sicherung ökologisch hochwertiger Waldökosysteme (Beifall bei der LINKEN) dargestellt. Jetzt muss nur noch die Waldwirtschaft mit ins Boot. Dann könnte man sagen: Na, geht doch. Es geht dabei nach wie vor unter anderem darum, wie wir die agrarpolitischen Leistungen für das Gemeinwohl und Die Linke erwartet, dass mit politischer Vernunft und ihre Effekte für den sozialökologischen Umbau der Land- sozialökologischer Weitsicht endlich zielgenaue Maß- wirtschaft in Zukunft gerecht honorieren, statt öffentliche nahmen ergriffen werden. Gelder bedingungslos und undifferenziert in die Fläche zu verteilen. (Beifall bei der LINKEN) Bei der Förderung von Unternehmensgründungen und Wenn Sie unseren Antrag vom Mai 2019 auf Einrichtung von Start-ups im ländlichen Raum dürfen sich die zustän- eines Nothilfefonds hervorholen, dann wissen Sie jetzt digen Ministerien aber auch nicht im Wege stehen, son- schon, was Sie im September auf Ihrem Waldgipfel be- dern müssen eine gemeinsame Strategie entwickeln. Hier schließen müssen. erwarte ich auch vom Wirtschaftsministerium eine stär- (Beifall bei der LINKEN) kere Konzentration auf den ländlichen Raum. Das habe ich Herrn Altmaier heute Mittag in der Etatberatung auch Ich freue mich jedenfalls auf die Ergebnisse und bin ge- schon mit auf den Weg gegeben. spannt, ob unsere Vorschläge Eingang finden. (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, wenn wir uns den Haus- (Beifall bei der LINKEN) haltsplan des Ministeriums genauer anschauen, dann fällt auf, dass es eine Steigerung um 50 Millionen Euro im Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sonderrahmenplan Förderung der ländlichen Entwick- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner: lung im Rahmen der GAK geben soll. Wofür diese Mehr- Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen. ausgabe aber eingesetzt werden soll, bleibt das Geheim- nis der Ministerin. Hier fordern wir Linken zum einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13599

(A) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihnen der gleiche Finanzminister eine globale Minderaus- (C) Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gabe – für die Zuschauerinnen und Zuschauer an den Kollegen! Gestern war hier in Berlin seit Langem wieder Fernsehgeräten: Sie müssen im Vollzug diesen Betrag ein Tag, wo es nahezu durchgeregnet hat. Das mag einen einsparen, das heißt weniger ausgeben – von 110 Millio- persönlich nicht unbedingt erfreuen, wenn man zu Fuß nen Euro reingedrückt hat. Dann bleiben nach Adam Rie- oder mit dem Rad unterwegs ist. Aber seien wir doch se 84 Millionen Euro. Zieht man davon noch die 70 Mil- ehrlich: Solche Tage hätte es in diesem Jahr, in diesem lionen Euro ab, die notwendigerweise in die Sommer mehr gebraucht. Alterssicherung der Landwirte gehen müssen, bleiben Ihnen ganze 14 Millionen Euro in einem Milliardenetat, Wenn wir uns die Debatte von vor einem Jahr in Er- um die Herausforderungen der Zukunft wie Klimakrise, innerung rufen, nachdem wir ebenfalls einen Dürresom- bessere Ernährung und mehr Transparenz für die Ver- mer hatten: Da standen viele an diesem Pult – Sie auch, braucherinnen und Verbraucher zu meistern. Das wird Frau Ministerin – und haben diskutiert, was man alles tun Ihnen mit diesem Ansatz vorne und hinten nicht gelingen, könnte, tun müsste. Sie hätten in den letzten zwölf Mona- Frau Ministerin. ten die Gelegenheit dazu gehabt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider trägt dieser Etatentwurf eine große Überschrift, Noch ein Wort zu einer weiteren netten Überschrift, die und die lautet: hätte. Dieser Etatentwurf, so wie Sie ihn man im Haushaltsplan findet – es ist auch schon ange- uns heute vorlegen, ist ein Weiter-so. Das ist kein Auf- sprochen worden –: Tierwohl-Label. Da denkt man, es bruch. Das ist eine Wette auf übermorgen, die Sie hier könnte den Tieren bessergehen, wenn dieses Label käme. abschließen; das ist kein Handeln im Jetzt. Mein Eindruck ist: Das Ganze ist irgendwie wieder Aus- druck einer Veranstaltung, wo man es allen recht machen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und niemandem wehtun will: ein freiwilliges Tierwohl- Um es klar und deutlich zu sagen: Den Landwirtinnen Label, wo sich Anbieter rausziehen können, indem sie und Landwirten, auch den Forstwirtinnen und Forstwir- sagen: „Ich will da nicht drunterfallen“, mit Kriterien, ten, die unter diesem Sommer leiden mussten, die Ver- die am Ende vielleicht niemand richtig durchblickt, so- luste und Schäden erlitten haben, müssen wir helfen, dass am Ende des Tages Verbraucherinnen und Verbrau- wenn sie Hilfe brauchen. Aber genauso klar muss doch cher im Biomarkt, im Supermarkt, an der Theke oder sein: Wer Hilfe in Anspruch nimmt, der muss bereit sein, sonst wo stehen, auf irgendein Label blicken, wenn über- nicht nur an der Symptombekämpfung mitzuwirken, son- haupt eines da ist, und gar nicht transparent durchschauen dern auch an der Ursachenbekämpfung. können: Unter welchen Bedingungen ist denn dieses Tier (B) aufgewachsen und gehalten worden? Nein, das ist kein (D) (Beifall bei Abgeordneten des Ansatz, der den Tieren hilft, und es ist kein Ansatz, der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft, Frau Mi- Dazu braucht es ein Umsteuern sowohl in der Landwirt- nisterin. schaft als auch im Wald. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe Ihnen sehr genau zugehört, Frau Klöckner, Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit mehr Transpa- und fand es schon interessant, dass Sie fast die Hälfte renz, wenn Sie es wirklich ernst meinen mit mehr Wett- Ihrer Redezeit darauf verwendet haben, über eine Spal- bewerb um Tierwohl, dann brauchen Sie eine verpflich- tung zu sprechen und darüber, dass es unsere Ökobauern tende Kennzeichnung über die Haltungsbedingungen, so seien. Vielen Dank für das Kompliment! Aber ich nehme wie wir Grüne es seit Jahren fordern. Ihre Aufgabe als Ministerin durchaus so wahr, dass es auch Ihre Bäuerinnen und Bauern sind, um die Sie sich (Beifall bei Abgeordneten des genauso zu kümmern haben. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben spannende Haushaltsberatungen vor uns, die zeigen werden, ob es Ich habe den Eindruck, Sie machen hier eine Politik, wirklich bei homöopathischen Dosen von 14 Millionen mit der Sie niemandem wehtun wollen, mit der Sie es Euro – hier ein bisschen, da ein bisschen – bleibt. Wir allen recht machen wollen. In Ihrem Haushalt legen Sie haben Haushaltsberatungen vor uns, bei denen Sie die an der ein oder anderen Stelle ein klein wenig drauf. Aber Frage beantworten müssen, ob Sie wirklich umsteuern neue Schwerpunkte, ein Umsteuern, dass Sie sagen: „Da wollen, ob Sie Leuten die Botschaft vermitteln wollen muss sich etwas ändern; da schichten wir um“, sucht man „Da muss sich was ändern; wir nehmen euch mit, aber in Ihrem Haushalt vergebens, Frau Ministerin. wir erwarten, dass ihr mitmacht“ oder ob alles bleiben soll (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wie bisher. Wir Grüne werden Vorschläge machen, wie wir jetzt handeln können, wie wir jetzt umsteuern können, Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann zeigt das wie wir jetzt für mehr Verbraucherschutz und für das doch: Sie werden den Herausforderungen, vor denen Tierwohl arbeiten können. Wir sind gespannt auf Ihren wir stehen, nicht gerecht. Sie bekommen im kommenden Umgang damit. Jahr zwar 194 Millionen Euro mehr; das liest sich auf den ersten Blick gut. Was Sie auch erwähnen müssen, ist, dass Herzlichen Dank. 13600 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Tobias Lindner (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So sollen zum Beispiel artenreiches Grünland und Streu- (C) obstwiesen unter Schutz gestellt werden: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zuruf der Abg. [FDP]) Die nächste Rednerin ist die Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion. raus aus der Bewirtschaftung ohne Entschädigung für die Bauern. Hier ist die Grenze überschritten! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gitta Connemann (CDU/CSU): Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bauernkind – das bin ich, das sind mein Vater, mein Nein!) Bruder und Generationen vor uns. Meine Familie steht für Denn erst dank der Pflege durch Generationen von Land- das tägliche Brot, für das Leben in der Natur, für eine wirten ist diese Vielfalt überhaupt erst entstanden. Berufung. Bauern denken nicht in Zehnjahresplänen, son- dern in Generationen. Sie übernehmen Verantwortung für Meine Fraktion weiß: Artenschutz geht nur mit Land- ihr Land, ernähren die Menschen, und deshalb haben sie wirtschaft. Vertragsnaturschutz ist der einzig richtige Recht auf unser Vertrauen, Recht auf Respekt, Recht auf Weg. Dafür brauchen wir mehr Geld. Das sagt selbst Achtung ihres Eigentums. das Bundesamt für Naturschutz. Für meine Fraktion ist darüber hinaus klar: Es darf keinen Eingriff ohne Aus- (Beifall bei der CDU/CSU) gleich geben! Heute haben sie Existenzangst. Seit 1990 mussten (Beifall bei der CDU/CSU) 57 Prozent der Höfe aufgeben – jeder zweite. Sie kapitu- lierten – vor Niedrigpreisen, teurer Fläche, Bürokratie. Noch eines: Insekten sind nicht nur die Bienen, son- Der Rest steht heute auch an der Wand. Der Handel führt dern auch die Kirschessigfliege, der Borkenkäfer, der Ei- einen grausamen Preiskampf. Notfalls kommt die Ware chenprozessionsspinner. Sie zerstören Weinberge, Obst- eben aus dem Ausland. Wie dort produziert wird, interes- plantagen und auch Wälder oder machen krank. Deshalb siert kein Schwein. Der Verbraucher erwartet Höchstleis- muss Pflanzenschutz möglich bleiben, auch in FFH-Ge- tungen für Tiefstpreise. Der Grill darf etwas kosten, aber bieten – ideologiefrei. das Fleisch darauf nicht. Medien und Öffentlichkeit sehen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – in der Landwirtschaft den Sündenbock der Nation: Kli- [FDP]: Dann endlich agieren!) makiller, Wasservergifter, Insektentöter. Ich kenne keinen Bauern, der Natur und Schöpfung mit (Carina Konrad [FDP]: Können wir jetzt über (B) Füßen tritt. Der öffentliche Eindruck ist aber – manchmal (D) den Haushalt reden? – Zuruf von der AfD) auch gewollt – ein anderer, gerade wenn es um Tierhal- Jeder verlangt etwas von ihnen, ohne zu wissen, wie es tung geht. Ich danke Julia Klöckner. Sie hat Jochen geht. Den Preis zahlen die Bauern, ihre Familien, das Borchert beauftragt, den Weg für die künftige Nutztier- Land, am Ende wir alle. Denn was wären wir ohne Höfe? haltung aufzuzeigen. Tierhalter brauchen Planungssicher- heit. Die Gesellschaft muss sich festlegen: Welche Tier- Aber zur Wahrheit gehört: Sie fühlen sich vom Markt haltung wollen wir in Zukunft, und was sind wir dafür zu zerrieben, von der Gesellschaft geächtet, von der Politik zahlen bereit? Wir brauchen diesen Gesellschaftsvertrag, verlassen. Ja, Politik. Hier müssen endlich alle realisie- bindend für alle, über Wahlperioden hinweg. ren: Höfe sind Betriebe. Sie müssen produzieren, was der Markt verlangt, und das ist nicht 100 Prozent Öko. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. [AfD]) Bio lässt sich nicht politisch verordnen, liebe Grüne; das ist gerade in Schweden gescheitert. Viele kennen Bauer Willi. Gegenwärtig sieht er nur noch zwei Alternativen für die Landwirtschaft: entweder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abwicklung – sozialverträglich wie beim Kohleausstieg – Unsere Bauern brauchen keinen staatlichen Vormund, sie oder Überlebenskampf. Ich bin froh, dass er sich mit brauchen einen fairen Rahmen. anderen dafür entschieden hat, zu kämpfen, mit einem grünen Kreuz, einer Mahnung an uns alle. Diese Rede (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist für mich ein grünes Kreuz: Unsere Landwirtschaft NEN]: Geht’s noch platter? – Harald Ebner hat ihren Wert, sie ist unverzichtbar. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was habt ihr denn zehn Jahre lang gemacht? Hättet das Prob- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lem doch lösen können!) Wer regiert denn hier?) Lieber Matthias Miersch, du hattest über Dissens ge- Dafür werden wir kämpfen. Dafür gebe ich Ihnen mein sprochen. An dieser Stelle haben wir einen Dissens mit Wort als Bauernkind. dem Bundesministerium für Umwelt, wegen seines Ak- tionsprogramms Insektenschutz. Bislang ist es nur eine (Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann Absichtserklärung. Aber die Stoßrichtung von Ministerin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann re- Schulze lässt Landwirte gerade verzweifeln, und ich ver- gieren Sie eigentlich? – Harald Ebner [BÜND- stehe sie; denn es droht Enteignung durch die Hintertür. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein schwarz regiertes Agrarministerium seit 2005! – Britta (Zuruf der Abg. Carina Konrad [FDP]) Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13601

Gitta Connemann (A) Wie viele Höfe sind eigentlich gestorben, ha- verteilungsprämie – Industrielobbyismus und damit wei- (C) ben zugemacht, seit Sie regieren? Mannomann, teres Höfesterben. auf der Nummer geht es nicht! – Gegenruf des Abg. Albert Stegemann [CDU/CSU]): Unter (Beifall bei der AfD) Ihnen gäbe es gar keine Bauern mehr!) Denn mit der Umverteilungsprämie werden in Deutschland die ersten 46 Hektar eines Betriebes stärker Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gefördert als die folgenden, und das mit insgesamt sage Für die AfD-Fraktion hat als Nächste das Wort die und schreibe 2 000 Euro jährlich. Mit dieser lächerlichen Kollegin Dr. Birgit Malsack-Winkemann. Summe von 2 000 Euro pro Jahr erhalten Sie nachweis- lich nicht einen einzigen Arbeitsplatz. Deutschland könn- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) te hier mehr tun. Die EU-Regeln erlauben, bis zu 30 Pro- zent der Direktzahlungen der EU an kleine Betriebe Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): umzuverteilen. Das fordern wir, die AfD, die einzige Al- Verehrter Präsident! Werte Kollegen! Ein neuer Haus- ternative für Deutschland. halt Ernährung und Landwirtschaft – alte Probleme. Aus- gangssituation ist, dass die Förderung der Landwirtschaft (Beifall bei der AfD – Dr. Gero Clemens im Wesentlichen durch EU-Agrarsubventionen – circa Hocker [FDP]: Nicht für die Landwirtschaft!) 58 Milliarden Euro für die EU-Staaten jährlich – erfolgt, Tatsächlich sind es nur 7 Prozent, Frau Ministerin, und fast 40 Prozent des EU-Haushalts. das unter Ihrer Verantwortung. Dazu kommen seitens des Bundes in 2020 965 Millio- Dazu schützen Sie mit Ihrer Umverteilungsprämie von nen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung lächerlichen 2 000 Euro die Großbetriebe Deutschlands. der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, einschließ- Denn auf der Agrarministerkonferenz Ende März/Anfang lich 200 Millionen Euro für den Sonderrahmenplan „För- April in Brüssel wurde beschlossen, dass jeder Mitglied- derung der ländlichen Entwicklung“. staat, der etwas Geld für die ersten Hektar umverteilt, gerade keine Kappung bei Zahlungen ab 100 000 Euro Wer erhält das Geld? Wie nachhaltig ist die deutsche zu befürchten hat. Sie, Frau Ministerin, wissen ganz ge- Landwirtschaft? Forscher durchleuchteten für den Bun- nau, dass ein Fünftel der Agrargelder in Deutschland an destag das System und fragten, über welche Daten die nur 1 Prozent der Betriebe geht, 80 Prozent der Gelder an Politik verfügt. Das Ergebnis ist niederschmetternd: mas- nur 20 Prozent. So kassierte Südzucker 2016 Subventio- sive Nachhaltigkeitsdefizite auf allen Ebenen. Die ökolo- nen in Höhe von 1,82 Millionen Euro bei einem Gewinn gische Nachhaltigkeit habe sich sogar verschlechtert, ur- in den letzten beiden Geschäftsjahren von 300 Millionen (B) teilten Experten, wie in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Euro. Und Sie, Frau Klöckner, manifestieren dieses ge- (D) 12. Juli 2019 zu lesen war. Danach steige der Einsatz von samte marode System und seinen unerträglichen Büro- Pflanzenschutzmitteln, die Artenvielfalt nehme ab, die kratismus mit Ihrer lächerlichen Umverteilungsprämie Abhängigkeit von Futterimporten wachse. Intensive For- und lassen sich für diesen handfesten Skandal, der unsere men der Nutztierhaltung ohne Auslauf nehmen zu, und Landwirte ruiniert, sogar noch feiern. immer häufiger werden Nutztiere einseitig auf hohe Leis- tung getrimmt. Eine einzige Katastrophe! Ist das das Er- Zugrunde liegt dem allem das Prinzip „Mehr Geld für gebnis einer seit über einem Jahrzehnt angeblich so fabel- mehr Fläche“. Es führt dazu, dass europaweit Klein- haft ökologischen Landwirtschaftspolitik der CDU, Frau bauern ihre Höfe aufgeben. Allein zwischen 2005 und Klöckner? Und es geht weiter; denn die sozialen und 2016 wurden knapp 30 Prozent aller Betriebe mit ver- ökonomischen Folgen entsprechen dem ökologischen fehlter Landwirtschaftspolitik quasi staatlich eliminiert. Desaster. Die Landwirtschaft verzeichnet wie fast alle So geht es nicht weiter, Frau Ministerin. Wie wäre es anderen Schlüsselbranchen Arbeitsplatzverluste in groß- damit, die Arbeitsplatzanzahl eines Betriebs oder ökolo- em Stil. Allein von 2012 bis 2017 sank die Rinderhaltung gische Tierhaltung und Tierschutz zu honorieren und den um 18 Prozent, der Milchkuhbetrieb um 28 Prozent, und dürregeschädigten Wald unserer Heimat aufzuforsten, an- die Schweinehaltung hat sich zwischen 2007 und 2016 statt mit für den Sondermüll bestimmten ineffizienten sogar halbiert. Viele Bauern beklagen finanziellen Druck, Windrädern den Wald weiter abzuholzen? und viele wollen umsteuern, doch die Mittel fehlen. Ver- braucher in Deutschland wollen gesunde Ökolebensmit- (Beifall bei der AfD) tel aus der Region, doch Bauern finden kaum Hilfe bei der Das fordern wir, die AfD, die einzige Alternative für Umstellung ihrer Höfe auf Biohöfe. Deutschland. (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Oh Gott!) Stattdessen fördern Sie in der Art eines nicht mehr zu toppenden Industrielobbyismus Großbetriebe, wenn Sie Deutschland liegt beim Ökolandausbau weit hinter an- fordern, dass ein Betrieb pro Hektar Fläche nur zwei deren europäischen Ländern. 20 Prozent bis 2030 haben Großvieheinheiten halten darf, also 2 Kühe oder 20 Scha- Sie angepeilt. Und wo liegen wir, Frau Ministerin? Zwi- fe. An der Landwirtschaft verdienen Düngemittel- und schen lächerlichen 7 und 9 Prozent. Und was tun Sie, Frau Saatguthersteller, die Ernährungsindustrie und vor allem Klöckner? Sie versprechen zwar, dass Sie Umweltbelan- Marketingfirmen in großem Stil, nur nicht unsere deut- ge in Zahlungen aus Europa berücksichtigen wollen, und schen Landwirte. behaupten, dass Sie mit der sogenannten Umverteilungs- prämie kleinere und mittlere Betriebe fördern, doch in Unsere Landwirte müssen wegen immer höherer Auf- Wahrheit fördern Sie – gerade mit Ihrem System der Um- lagen täglich um ihr Überleben kämpfen. Aber mit In- 13602 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) dustrielobbyismus, gespickt mit vergifteten Zuckerstück- Traubeneiche geerntet werden kann. Das ist ein Problem, (C) chen wie der Umverteilungsprämie, lebt es sich viel leich- insbesondere wenn wir uns vor Augen führen, dass allei- ter, nicht wahr, Frau Klöckner? Genau diese Politik wird ne im Cluster Forst und Holz in Deutschland 1,1 Millio- den Niedergang Ihrer Parteien an den Wahlurnen sichern, nen Beschäftigte arbeiten, dass wir Beschäftigte in der und dafür dankt Ihnen die kommende Volkspartei, die nachgelagerten Forstwirtschaft, in den Sägewerken, in einzige Alternative für Deutschland, die AfD. der Holzwerkstoffindustrie und im Möbelhandwerk ha- ben. Danke schön. Darum ist es richtig, dass die SPD-Bundestagsfraktion (Beifall bei der AfD) in einem Positionspapier hier über den Tag hinaus denkt und deutlich artikuliert hat, wie wir das Bauen mit Holz Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: stärken wollen, wie wir eine Holzbauinitiative voranbrin- Der nächste Redner ist der Kollege Dirk Wiese, SPD- gen wollen. Das sind die Punkte, die wir über den Tag, Fraktion. über die derzeitige Katastrophe hinaus brauchen, und die werden wir auch in die Beratungen einbringen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dirk Wiese (SPD): der CDU/CSU und des Abg. Dr. Gero Clemens Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Hocker [FDP]) Kollegen! Wer in den letzten Tagen und Wochen, wie es Ich habe die 1,1 Millionen Beschäftigten erwähnt. Bei viele gemacht haben, in den Wäldern seines Wahlkreises mir im Hochsauerland hängen 25 Prozent der Arbeits- unterwegs gewesen ist, der hat die katastrophale Situa- plätze von der holzbasierten Wertschöpfung ab. Die Be- tion, der hat die immer deutlicher werdenden Folgen des schäftigten wollen Antworten darauf haben, wie Wald Klimawandels, der hat die Folgen von Trockenheit ge- auch künftig genutzt werden darf. Das muss man immer sehen. Die anschaulichste Folge, die wir momentan er- bedenken. Darum ärgert es mich manchmal wirklich, leben, ist die Ausbreitung des Borkenkäfers. Dies stellt wenn ich Sommerinterviews lese oder höre nach dem die Waldeigentümer, die Waldbesitzer, vor enorme He- Motto: „Der Wald muss stillgelegt werden.- Nein! Still- rausforderungen. Das Wichtigste, was jetzt gemacht wer- gelegte Flächen sind momentan die Ursache dafür, dass den muss, bevor wir über alles andere reden, ist, das Holz sich der Borkenkäfer ausbreitet. Wenn ich solche Sachen aus dem Wald und verwertet zu bekommen. höre oder lese, dann ist es mir egal, ob jemand in einer In diesem Zusammenhang ist es richtig, dass die Bun- Stadt oder im ländlichen Raum wohnt. Dann kann ich nur sagen: Frau Göring-Eckardt, Sie haben das Thema nicht (B) desregierung die Mittel, die sie zur Unterstützung der (D) Waldwirtschaft zur Verfügung gestellt hat, noch einmal verstanden. verdoppelt. Das ist kein großer Schritt – das muss man (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sagen –, aber es ist trotzdem ein Signal. Ich glaube, dass der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Peter in den Haushaltsverhandlungen und den anstehenden De- Felser [AfD]) batten das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Wir brauchen hier noch mehr Unterstützung. Allerdings – darauf muss ich Sie, Frau Klöckner, ein- mal hinweisen –: Wir haben auch Unterstützungsmög- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lichkeiten für den Wald im Rahmen der Gemeinsamen der CDU/CSU) Agrarpolitik der Europäischen Union wie etwa Möglich- Wir brauchen dann aber auch neue Konzepte für den keiten der Förderung einer Ansiedlung von Agroforstsys- Brandschutz, und wir müssen uns sehr intensiv mit der temen. Aber diese Möglichkeiten werden in Ihrem Hause Frage beschäftigen, wie der Wald zukünftig aussehen nicht genutzt. Hier müssen Sie endlich einmal Förder- soll. Wir brauchen mehr klimastabile Mischwälder; das richtlinien erlassen. Hier besteht Potenzial; die Gelder ist keine Frage. Was wir allerdings nicht brauchen, ist die sind vorhanden. Auch hier muss man vorangehen. lapidare Forderung, Wald jetzt einfach stillzulegen und (Beifall bei der SPD) der Nutzung zu entziehen. Schauen wir uns eine andere große Baustelle in Ihrem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Haus an: die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der der CDU/CSU und des Abg. Dr. Gero Clemens Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Es ist richtig, Hocker [FDP]) dass die Gelder mittlerweile auf gut 1 Milliarde Euro Manchmal kommt die eine oder andere Forderung nach erhöht worden sind. Aber es kann nicht sein, dass in dem Motto: „Na ja, jetzt müssen wir nur noch Laubholz den letzten vier Jahren 440 Millionen Euro durch mangel- anpflanzen, und dann ist alles in Ordnung.“ – Nein! Die hafte Verwaltung in den Ländern nicht ausgegeben wor- Buche ist von den Klimaauswirkungen genauso betroffen den sind. wie Nadelholz, zum Beispiel die Fichte, während zum (Beifall bei der SPD) Beispiel die Douglasie bei uns in den Sauerländer Wäl- dern wächst und grün ist. Auf der anderen Seite hören wir Und es kann nicht sein, dass gerade in meinem Heimat- Forderungen wie: „Wir wollen mehr Laubholz haben; wir bundesland Nordrhein-Westfalen alleine in 2018 durch müssen vielleicht mehr Traubeneichen anpflanzen.“ Dies die schwarz-gelbe Landesregierung 14 Millionen Euro müssen wir immer direkt auch aus wirtschaftlicher Per- Fördermittel links liegen gelassen worden sind. Das ist spektive betrachten; denn es braucht 300 Jahre, bis eine verfehlte Verwaltungspolitik in den Bundesländern. Hier Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13603

Dirk Wiese (A) müssen wir ansetzen. Nordrhein-Westfalen mit der mischem Pflanzenschutz katastrophale Auswirkungen (C) schwarz-gelben Landesregierung ist leider ein unrühmli- auf die Ökobilanz hat. Wir sprechen davon, dass die Bö- ches Beispiel. den austrocknen, wenn der Bauer wieder pflügen muss. Wir sprechen von Winderosion. Wir sprechen davon, dass (Beifall bei der SPD – [FDP]: Humusbildung erschwert wird. Und letzten Endes wird Die war früher rot-grün!) jedes Mal, wenn der Bauer den Acker wieder pflügen Wir dürfen in den Haushaltsverhandlungen auch Fol- muss, um Unkraut zu bekämpfen, auch CO2 emittiert. gendes nicht vergessen: Ja, wir hören momentan nichts Das ist ein Bärendienst für das Klima, und das ist ein aus dem Milchbereich, wir hören nichts darüber, wie sich Bärendienst für ökologisches Gleichgewicht, meine Da- der Milchmarkt weiterentwickelt. Aber auch hier werden men und Herren. die Herausforderungen nicht kleiner werden. Auch auf die Milchviehhalter und die Milchbauern werden wieder (Beifall bei der FDP) Herausforderungen zukommen, es wird wieder eine Am allerschlimmsten ist, dass offenbar noch nicht ein- Milchkrise kommen. Darum müssen wir jetzt, in einer mal in Ihrem eigenen Hause wissenschaftliche Argumen- Zeit, in der es einigermaßen funktioniert, dafür sorgen, te Raum greifen. Wir haben hier vor wenigen Wochen den die Milchviehhalter in der Wertschöpfungskette gegen- geschätzten Kollegen Stübgen gefragt, welche wissen- über denjenigen, die momentan den Reibach machen, schaftliche Grundlage dieses Verbot ab 2023 hat. Wissen zu stärken. Das müssen wir jetzt angehen und dürfen es Sie, was er geantwortet hat? Er hat erklärt, dass man in der nicht erst, wenn die nächste Krise kommt und dann ver- gegenwärtigen gesellschaftlichen Stimmungslage – of- sucht wird, mit Aktionismus zu handeln. Das wäre nach- fenbar will keiner da draußen mehr chemischen Pflanzen- haltig, und ich kann sagen, dass wir als SPD da dranblei- schutz – nicht den Rücken gerade machen kann und dass ben. man da eben nicht auf Wissenschaft setzt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich sage Ihnen eines, Frau Ministerin: Sie sind nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diejenige, die von allen geliebt und gemocht werden der CDU/CSU) muss, sondern Sie als Landwirtschaftsministerin sind in der Verantwortung, Entscheidungen auf wissenschaftli- cher Grundlage statt einfach aus dem Bauch heraus zu Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: treffen. Der nächste Redner: der Kollege Dr. Gero Hocker, FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) (B) (Beifall bei der FDP) Der zweite Punkt ist Ihr Prestigeobjekt freiwilliges na- (D) tionales Tierwohllabel. Ich bin Berufsoptimist, aber ich Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): sage Ihnen, dass das nicht funktionieren wird, alleine aus Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- dem Grunde, dass staatliche Alleingänge in einem Bin- ren! Verehrte Frau Ministerin! Der Landwirtschaft, dem nenmarkt noch nie funktioniert haben. Wir können das ja ländlichen Raum in Deutschland, steht das Wasser bis einmal durchspielen. Was passiert, wenn ein Landwirt zum Hals. Ursächlich dafür sind politische Fehlentschei- sich entscheidet, dieses Label erreichen zu wollen? Er dungen der Vergangenheit, politische Fehlentscheidun- muss in noch mehr Tierwohl investieren, größere Ställe gen auch der Gegenwart. Aber vor allem liegt es daran, bauen, zur Bank gehen und sich einen Kredit besorgen, dass Sie immer wieder den Anschein erwecken, dass Sie den er ja auch wieder zurückzahlen muss. Übrigens: Ob er gerne den teilweise haarsträubenden Forderungen von vor Ort eine Genehmigung für den Stallbau bekommt, NGOs mehr Raum geben als wissenschaftlich fundierter steht auf einem ganz anderen Blatt. Dieser Landwirt geht Politik in der Landwirtschaft. Das machen wir Ihnen zum zur Bank und nimmt Geld auf, um in mehr Tierwohl Vorwurf, und das können wir Ihnen nicht durchgehen investieren zu können. Das Problem ist jedoch, dass er lassen. am Markt überhaupt nicht die Situation vorfindet, um gleichzeitig höhere Preise durchdrücken zu können, weil (Beifall bei der FDP) der Verbraucher in Deutschland eben leider nach der Ich gebe Ihnen drei Beispiele. Sie reisen mit der Um- Geiz-ist-Geil-Mentalität Lebensmittel erwirbt. weltministerin nach Brüssel. Die geneigte Öffentlichkeit Das führt dazu, dass eher der, der höhere Standards erwartet einen Kompromiss, ein neues Papier, wie man erfüllt, aus dem Markt herausgedrängt wird und letzten die Nitratvorgaben aus Brüssel umsetzen kann. Man ist in Endes noch mehr Fleisch aus Polen, aus der Ukraine, aus heller Erwartung. Und alles, womit Sie zurückkommen, Spanien und sonst woher auf den deutschen Markt drängt. sind zwei faule Kompromisse, die alles andere als neu Damit haben Sie keinen Beitrag zu mehr Tierwohl ge- sind. Sie haben sich offenbar mit Frau Schulze verstän- leistet, sondern Sie haben nur dazu beigetragen, dass digt auf ein freiwilliges nationales Tierwohllabel und auf deutsche Landwirte, die höchste Standards erfüllen, aus ein Verbot von chemischem Pflanzenschutz ab dem Jahre dem Markt gedrängt werden. 2023. Meine Forderung an Sie, verehrte Frau Ministerin: Sor- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) gen Sie dafür, dass es endlich europaweit gleiche Stan- Sehr verehrte Frau Ministerin, jeder Experte wird dards für Tierhaltung gibt! Damit erreichen Sie mehr für Ihnen bestätigen, dass ein vollständiges Verbot von che- Tierhaltung und sorgen dafür, dass Landwirte in Deutsch- 13604 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Dr. Gero Clemens Hocker (A) land und in Europa endlich auf Augenhöhe miteinander schaftlich begründete Entscheidungen treffen und keine (C) Wettbewerb betreiben können. Entscheidungen aus dem Bauch heraus. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Franziska Herzlichen Dank. Gminder [AfD]) (Beifall bei der FDP) Mein letzter Punkt ist, dass Sie bis 2021 auf die Ver- wendung von Insektiziden und Herbiziden in Natur- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schutzgebieten verzichten wollen. Ich sage Ihnen, dass Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die das der Sargnagel für unseren deutschen Wald wird, der Kollegin Amira Mohamed Ali. es in Zeiten von Klimawandel und Trockenheit nicht auch noch aushält, wenn man dem Borkenkäfer und anderen (Beifall bei der LINKEN) Schädlingen einfach freie Bahn lässt. Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): Ich lade Sie gerne einmal nach Niedersachsen ein, Frau Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- Ministerin, dann können wir durch den Harz, dann kön- gen! Liebe Gäste! Frau Klöckner, Ihr Haushaltsplan ist nen wir durch den Solling fahren. Da werden wir kilome- ganz nach dem Geschmack der Agrar- und Lebensmittel- terlang an grauen Baumskeletten entlangfahren, die durch industrie, weil er nichts an dem bestehenden falschen den Zerfallprozess Tag für Tag über Jahrzehnte CO frei- 2 System verändert. Er ist gleichzeitig Ihre Halbzeitbilanz, setzen. Ich sage Ihnen, es wäre sinnvoller gewesen, ge- und die sieht düster aus, vor allem für die Verbraucher- rade im Hinblick auf das Ziel, CO einzusparen, dass 2 innen und Verbraucher, die verantwortungsvollen Land- dieser Wald bewirtschaftet worden wäre, dass dieses Holz wirte und die Tiere in den Megaställen der industriellen in Dachstühlen, in Türen, in Möbeln, wo auch immer, die Massentierhaltung. Funktion hätte ausüben können, tatsächlich CO2 zu bin- den. Das Gegenteil ist der Fall, wenn man zum Beispiel Gerade einmal 4 Prozent des Gesamtbudgets sind für dem Borkenkäfer einfach freie Hand lässt. den gesundheitlichen Verbraucherschutz und gesunde Er- nährung vorgesehen. Dabei muss hier ganz dringend ge- Ich frage Sie: Was ist das für ein Irrsinn, wie wir ge- handelt werden. genwärtig in Deutschland Klimaschutz diskutieren? Wir diskutieren über eine CO2-Steuer, über Zertifikatehandel, (Beifall bei der LINKEN) wir diskutieren darüber, wie man im Amazonas den Wald Ernährungsbedingte Krankheiten wie Diabetes Typ 2, so- schützen kann. Aber wir kriegen es vor unserer eigenen genannter Altersdiabetes, nehmen zu, sogar bei Kindern. Haustür nicht hin, den Wald in Deutschland in die Lage zu (B) Eine transparente Kennzeichnung, zum Beispiel die Le- (D) versetzen, seiner Funktion als CO -Senke gerecht zu wer- 2 bensmittelampel, wäre ein wichtiger erster Schritt; aber den. Das ist abstrus, und Sie können niemandem in Brasi- auch da stehen Sie nach wie vor auf der Bremse. Ich lien oder anderswo erklären, dass er seinen Wald nicht denke, dass Ihnen da mal wieder die Lebensmittelkonzer- abbrennen darf, wenn wir es selber nicht hinbekommen, ne im Nacken sitzen. unseren Wald in Deutschland zu schützen. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!) (Beifall bei der FDP – Harald Ebner [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie sagen, ist abs- Ihr freiwilliges Tierwohllabel, das Sie mit 20 Millionen trus! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE Euro pro Jahr fördern wollen, verdient den Namen nicht. GRÜNEN]: An Abstrusität nicht zu überbie- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. ten! Sie haben es nicht verstanden! Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die Kriterien der Einstiegsstufe, zum Beispiel ein paar Zentimeter mehr Platz im Stall, sind lächerlich gering. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. Fleisch aus solch einer Produktion mit dem Label „Tier- wohl“ auszuzeichnen, ist Verbrauchertäuschung. Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): (Beifall bei der LINKEN) Das ist mein letzter Satz, sehr verehrter Herr Präsi- dent. – Es werden in diesen Tagen und Wochen Tausende Und solange alles nur freiwillig geschehen soll, wird sich grüne Kreuze in Deutschland aufgestellt. Das Kreuz ist nichts verändern. Wir brauchen verbindliche, wesentlich eigentlich das Symbol der Hoffnung. Ich kann Ihnen sa- höhere Standards: deutlich mehr Platz im Stall, Freilauf- gen, dass viele Landwirte in Deutschland dieses Symbol möglichkeiten, keine betäubungslose Kastration, kein gegenwärtig als Symbol der Resignation aufstellen, weil Kükenschreddern, keine qualvollen, überlangen Tiertran- sie das Gefühl verlassen hat, dass Landwirtschaftspolitik sporte. in Deutschland ihre Interessen im Sinn hat. Ich sage (Beifall bei der LINKEN) Ihnen: Die Landwirte da draußen wollen keine zusätzli- chen Dürrehilfen, die am Ende nur denjenigen zugute- Und diese Standards müssen selbstverständlich auch kommen, die vielleicht aus ganz anderen Gründen in durchgesetzt werden. Solange die Betriebe, wie aktuell, Schieflage geraten sind, sie wollen keine zusätzlichen im Schnitt nur alle 17 Jahre und nur 1 Prozent der Tier- Subventionen aus Brüssel. Sie wollen einfach faire Wett- transporter kontrolliert werden, nützen die besten Label bewerbsbedingungen und auch, dass Sie endlich wissen- und Gesetze nichts. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13605

Amira Mohamed Ali (A) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) (C) Wir brauchen zuverlässige Kontrollen, die die ständige Einhaltung der Regeln sicherstellen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Seit Jahren produziert die Agrarindustrie immer größ- Harald Ebner. ere Umweltprobleme. Sie leidet unter dem Klimawandel, den sie aber zum Teil selbst mit verursacht, ebenso wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das dramatische Insektensterben und die antibiotikaresis- tenten Keime. Und sie ist verantwortlich für die Belas- Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tung des Grundwassers mit giftigem Nitrat. Mit diesem Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Haushalt wird sich daran nichts grundlegend ändern, und Kollegen! Die Rede von Frau Ministerin Klöckner war das finden wir einfach unverantwortlich. aus meiner Sicht an Dreistigkeit tatsächlich nicht zu über- bieten. (Beifall bei der LINKEN) Die EU droht jetzt mit Strafzahlungen in Höhe von 850 (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) 000 Euro pro Tag, wenn die Nitratbelastung des Grund- Sie schreiben das jahrzehntelange Höfesterben wegen der wassers so weitergeht. 850 000 Euro pro Tag, die aus Agrarindustrialisierung genau den Kritikern dieser Ent- Steuergeldern fällig werden! Und weil die Agrarindustrie wicklung zu! Also dreister geht es wirklich nicht. Druck macht, weigern Sie sich, an die Ursache des Gülle- problems heranzugehen: Wir brauchen weniger Tiere in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Ställen. Und Herr Hocker, welche NGO haben Sie denn gemeint? Die einzige NGO, der die Ministerin folgt, ist der Deut- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. sche Bauernverband. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fragen Sie die große Mehrheit der Bevölkerung! Die sagt (Lachen bei Abgeordneten der FDP) Ihnen: Tierfabriken, Schlachtfabriken, Glyphosat und Co Vielleicht können Sie das noch konkretisieren. auf den Feldern und Nitrat im Grundwasser durch die Unmengen von Gülle wollen wir nicht. Man muss an (Carina Konrad [FDP]: Wir haben da dieses System heran, ein System, das aktuell die Land- unterschiedliche Wahrnehmungen!) wirte, die nachhaltig wirtschaften, verdrängt und diejeni- Jetzt hat sie den Wald entdeckt, die Frau Ministerin. gen fördert, die Raubbau an der Natur betreiben. Es sollte Leider Gottes ist es wie immer: Erst wenn Ihnen gar (B) genau andersherum sein. nichts anderes übrig bleibt, Frau Ministerin, dann begin- (D) nen Sie über das Reagieren nachzudenken. Der Wald hät- (Beifall bei der LINKEN) te schon viel früher Ihre Aufmerksamkeit verdient ge- Das Gegenargument ist immer das gleiche: Angeblich habt, und er hätte auch Gewicht im Haushalt bekommen wollen die Verbraucher diese Landwirtschaft; denn sie müssen; aber Ihnen, Frau Ministerin, ist die Überschrift kaufen ja die Produkte in den Supermärkten. – Auch wichtiger als der Text. Sie, Frau Klöckner, haben das gerade wieder gesagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und ja, es stimmt, wir alle müssen überlegen, wie viel Fleisch wir essen und was es uns wert ist. Aber es sind Letzte Woche haben Sie den Aktionsversuch Insekten- nicht die Verbraucher, die das billige Fleisch in die Regale schutz vorgestellt, eine lange Aufzählung voller Hinter- legen, sondern diejenigen, die große Profite durch die türen. Nicht einmal das, was da übrig bleibt, schlägt sich industrielle Massenproduktion machen. Diese Verant- im Haushaltsentwurf Ihres Hauses nieder. Ganz im Ge- wortung können Sie nicht länger auf die Verbraucher ab- genteil: Dort sind 500 000 Euro Aufwuchs vorgesehen. wälzen. Aber dann streichen Sie gerade die Programme zusam- men, die Umwelt und Insekten nützen. Beim Ökolandbau (Beifall bei der LINKEN) und der Eiweißstrategie kürzen Sie um fast 1,5 Millionen Ja, Frau Klöckner, das wird Ihnen jetzt wehtun, aber Euro. Da rutscht Ihr ohnehin kläglicher Saldo ruckzuck die Kosten für die Neuausrichtung der Agrarpolitik sollen ins ökologische und ins haushalterische Minus. So wird nach unserer Vorstellung vor allem diejenigen tragen, die das nichts, Frau Ministerin. jahrelang große Profite mit diesem System eingefahren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- haben. wie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LIN- (Beifall bei der LINKEN) KE]) Auch wenn das möglicherweise bedeutet, dass Clemens Sie wollen ja gar nichts ändern; Sie wollen so weiter- Tönnies dann auf seine nächste Jacht verzichten muss. machen wie bisher mit ein paar kosmetischen Änderun- gen an der Fassade. Sie schichten bei der GAP ein biss- Wenn Sie endlich den Mut aufbringen, die mächtigen chen zugunsten der Agrarumweltmaßnahmen um. Es Akteure der Agrar- und Lebensmittelindustrie in die Ver- wäre möglich, noch 10 Prozent umzuschichten. Sie antwortung zu nehmen, dann ist auch Die Linke an Ihrer schichten 1,5 Prozent um. Ist das Ihr Ernst? Seite. Bei diesem Weiter-so machen wir aber nicht mit. Auch das Tierhaltungskennzeichen ist so angelegt, Danke. dass sich garantiert nichts ändert. Nur wer will, macht 13606 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Harald Ebner (A) mit. Marktdurchdringung: Fehlanzeige! Das hilft keinem schaftsministerin hat schon vieles zum Einzelplan 10 ge- (C) Tier. sagt. Deshalb möchte ich etwas zur aktuellen Stimmung unter den landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- sagen. wie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LIN- KE]) Ich weiß, wie sich Landwirte in diesen Tagen fühlen. Und jetzt also noch der Wald. Der war bislang Ihr Stief- Ich kenne das Gefühl, von zwei Mühlsteinen zerrieben zu kind. Aber jetzt können Sie sich dem Ruf nach Finanz- werden. Um im angedeuteten Bild zu bleiben: Der eine hilfen nicht mehr entziehen. Ja, dem Wald geht es Mühlstein entspricht der Sehnsucht der Gesellschaft nach schlecht. Es geht ihm nicht so schlecht wie dem Amazo- einer anderen Art der Landwirtschaft. Auf der anderen nas-Regenwald, der wegen Fleisch- und Sojahunger Seite ist da der Mühlstein der ökonomischen Realität. brennt, aber auch hier brennt der Wald. Er verdorrt und Diese spielt sich in einem globalen Markt ab, und das wird von Käfern totgefressen, vor allem wegen des jahr- hat mit einem Verbraucher zu tun, der ganz wesentlich zehntelang verschleppten Klimaschutzes hierzulande, preisorientiert einkauft. Zwischen diesen beiden Mühls- aber eben auch wegen des viel zu oft verschleppten Wald- teinen entsteht so einiges, aber eben leider kein Optimis- umbaus und wegen einer intensiven Holznutzung, die mus. Ja, die Bundesregierung hat der Landwirtschaft mit dem Waldboden schadet, ihn verdichtet und den Wasser- dem Aktionsprogramm Insektenschutz vieles abverlangt. haushalt schädigt. Aber ich sage an dieser Stelle auch ganz klar: Die CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag steht felsenfest Der Wald ist mehr als ein Haufen ungesägter Bretter. an der Seite unserer Bauernfamilien. Große Monokulturen aus Nadelhölzern sind leichte Beute für Feuer und Käfer. Entwässerung und Verdichtung (Beifall bei der CDU/CSU) durch schwere Maschinen tun das ihre. Es ist schon lange Wir werden bei der Umsetzung des Aktionsprogramms Zeit, etwas zu tun, Frau Ministerin. der Bundesregierung in geltendes Recht parlamentarisch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sehr genau hinschauen, ob und inwieweit ein Ausgleich der Interessen verfolgt wird. Dieses Aktionsprogramm In Ihrem Haushaltsentwurf können wir dazu nichts ent- darf keinesfalls ausschließlich auf dem Rücken der Land- decken. Er ist unzureichend. wirte ausgetragen werden. Bereits im Rahmen der laufen- Wenn man alle Titel zum Wald im Einzelplan 10 zusam- den Haushaltsverhandlungen klären wir, was seitens des menrechnet, haben Sie gerade einmal 5 Millionen Euro Bundes konkret zur Flankierung der Herausforderungen zusätzlich eingestellt. Versprochen haben Sie 500 Millio- für unsere Landwirte getan werden kann. (B) nen Euro, und davon haben Sie noch keinen einzigen Cent (Beifall bei der CDU/CSU) (D) in der Kasse. Da werden Sie sicher nachsteuern müssen. Und wir schützen das Eigentum. Wenn eine Regelung auf Ja, wir brauchen Geld für den Wald, aber nicht für ein Grundlage des Aktionsprogrammes dazu führen sollte, Weiter-so. Es geht heute darum, dieses Geld sinnvoll in dass in Eigentum von Landwirten eingegriffen wird, dann einen Wald zu investieren, der Zukunft hat, statt Fehler muss ein finanzieller Ausgleich erfolgen. der Vergangenheit zu belohnen. Wir werden darauf drän- gen, dass die Investitionen hier ökologisch sinnvoll und (Beifall bei der CDU/CSU) langfristig wirksam angelegt werden, damit der Wald ökologischer und stabiler wird und selber zum Klimaret- Insektenschutz muss auch tatsächlich Insekten ter wird bzw. Klimaretter bleibt. Den Waldumbau, Frau schützen. Wer zum Beispiel wirklich den Erhalt von Ministerin, müssen Sie verbindlich regeln, damit das Streuobstwiesen unterstützen möchte, sollte deshalb auch Geld, das wir hier ausgeben, in eine ökologisch sinnvolle Anreize und keine neuen Verbote schaffen. Zukunft investiert wird, sonst sind Ihre 500 Millionen (Beifall des Abg. [CDU/ Euro hinausgeschmissenes Geld. CSU]) Danke schön. Wir wollen – das ist ganz klar – eine regional verwur- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zelte, flächendeckende und wettbewerbsfähige Landwirt- schaft in Deutschland erhalten, und wir wollen einen ef- fizienten Klima- und Insektenschutz mit den, aber nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gegen die Bauernfamilien. Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der Kollege Albert Stegemann. Meine Damen und Herren, wenn wir über die Perspek- tiven unserer Landwirtschaft im Jahr 2020 sprechen, dann (Beifall bei der CDU/CSU) müssen wir uns aber auch ehrlich machen. Laut des ak- tuellen Ernährungsreportes des BMEL ist es knapp drei Albert Stegemann (CDU/CSU): Vierteln der Befragten sehr wichtig, dass Tiere artgerecht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- gehalten werden. So weit, so gut. Aber nur 16 Prozent der be Kollegen! Ich danke zunächst unserer Bundesministe- Verbraucher, also nicht einmal ein Viertel, sind laut einer rin Julia Klöckner und ihren Mitarbeitern im Ministerium Studie der Fachhochschule Osnabrück auch tatsächlich für den Haushaltsentwurf 2020. Damit hat ihr Haus einen bereit, für mehr Tierwohl tiefer in die Tasche zu greifen. sehr guten Aufschlag für die weiteren Beratungen im Deutschen Bundestag abgeliefert. Die Bundeslandwirt- (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13607

Albert Stegemann (A) Ich sage Ihnen: Wir brauchen hier ein Umdenken. Jeder in Deutschland sterben nach Angaben des Robert-Koch- (C) Einzelne kann mit seinem individuellen Konsum zu mehr Instituts jährlich circa 2 400 Menschen an multiresisten- Tierwohl in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung bei- ten Keimen, weil bei ihnen gar keine Antibiotika mehr tragen. Diese Eigenverantwortung kann man dem Ver- wirken. Das Ministerium für Ernährung und Landwirt- braucher niemals abnehmen. Es geht nicht um Sonntags- schaft zeigt sich besorgt über die Ergebnisse und wirbt reden, sondern um Alltagshandeln. Jeder muss einen für eine deutliche Beschränkung beim Einsatz von Anti- Beitrag leisten, wenn es um mehr Tierwohl geht: die Po- biotika in der Tierhaltung. Es verweist auf die Deutsche litik, die Landwirte und der Verbraucher. Antibiotika-Resistenzstrategie und empfiehlt, die Diskus- sion über Antibiotikaresistenzen fortzuführen. Aber Auf- (Beifall bei der CDU/CSU) gabe des Ministeriums ist es nicht, diese seit Jahren be- Dafür ist das staatliche Tierwohlkennzeichen ein guter kannte Problemlage zu diskutieren. Nein, es muss endlich Ansatz. Es gibt den Verbrauchern die Möglichkeit, zu willens sein, das Problem zu lösen. zeigen, was ihnen Tierwohl tatsächlich wert ist, und es (Beifall bei der SPD) gibt den Tierhaltern die Möglichkeit, einen Vermark- tungsweg für Fleisch mit mehr Tierwohl zu eröffnen, Die Politik muss mit gesetzlichen Regeln diesen hoch- wenn man es denn richtig macht. gefährlichen und massenhaften Einsatz von Antibiotika stoppen. Brauchen wir nicht auch viel mehr Kontrollen in Genau dafür stellen wir im Bundeshaushalt 2020 die rich- der Fleischproduktion? Wenn wir vom Antibiotikaeinsatz tigen Weichen. Zugleich müssen wir allerdings in genau in der Tiermast sprechen, kommen wir nicht darum he- diesem Bereich Zielkonflikte lösen. So kann es zum Bei- rum, von der industriellen Fleischproduktion zu reden. spiel nicht sein, dass neue Ställe, die mehr Platz für ein Werden nämlich Tausende Tiere auf engem Raum in ei- Tier bieten und es an die frische Luft lassen, schlicht nem Stall gehalten, sind Krankheiten vorprogrammiert. deshalb nicht gebaut werden können, weil das Emissions- Dann müssen massenhaft Antibiotika eingesetzt werden, recht dem entgegensteht. Ich weiß aus zahlreichen Ge- weil ohne ihren Einsatz diese Art der Fleischproduktion sprächen mit jungen Landwirten, dass sie für mehr Tier- gar nicht möglich ist. Es leuchtet jedem ein, dass bei der wohl gerne umbauen wollen. Ihnen wird dazu zurzeit aber industriellen Geflügelmast der Antibiotikaeinsatz in keine rechtliche Grundlage gegeben. Daran verzweifelt Fleischkonzernen aufwendige hygienische Maßnahmen eine ganze Generation von jungen Landwirten. Deswe- erspart. Hohe Produktionskosten werden somit vermie- gen müssen wir jetzt vorankommen und zügig ein neues den und die Effektivität gesteigert. Dafür zahlen wir für modernes Bau- und Emissionsschutzrecht auf den Weg die öffentliche Gesundheit einen viel zu hohen Preis. bringen, das Innovationen für mehr Tierwohl ermöglicht. Dafür wollen wir uns alle, insbesondere die Unionsfrak- Das Landwirtschaftsministerium verweist nur auf eine (B) tion, einsetzen. EU-Verordnung, die erst bis zum Jahr 2022 erlassen wer- (D) den soll. Bis dahin soll eine Liste derjenigen Reserve- Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. antibiotika aufgestellt werden, die der Humanmedizin (Beifall bei der CDU/CSU) vorbehalten bleiben müssen. Dabei setzt das Ministerium weiter auf Freiwilligkeit und Eigeninitiative der Fleisch- industrie. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die Kollegin Nezahat Baradari ist die nächste Rednerin Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir können für die SPD-Fraktion. nicht drei weitere Jahre warten, bis in Brüssel etwas zur Eindämmung des Antibiotikamissbrauchs geschieht – (Beifall bei der SPD) drei weitere Jahre, in denen sich Resistenzen gegen Anti- biotika weiter verbreiten und Menschen weiter sterben. Nezahat Baradari (SPD): Das ist unverantwortlich. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun- (Beifall bei der SPD) desministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Nach einem Bericht Reserveantibiotika gehören nicht in die Tiermast. Der des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirt- massenhafte Einsatz von Antibiotika darf nicht länger schaft vom 19. Juni 2019 ging der Verbrauch von Anti- Bedingung und Grundlage industrieller Fleischproduk- biotika bei Masthühnern, -puten und -kälbern in den letz- tion sein. Diese Entwicklung muss aufgehalten werden. ten Jahren kaum zurück. Schlimmer noch: Nach diesem Dazu muss der Einsatz von Antibiotika in der Hühner- Bericht muss man davon ausgehen, dass ein Reserveanti- mast drastisch reduziert werden. Weiter-so in der Geflü- biotikum, wie Colistin, seit einiger Zeit in der Hühner- gelmast ist ohne Zweifel höchst fahrlässig. Nehmen wir und Putenmast vermehrt eingesetzt und möglicherweise die Forderungen von Ärzten und Wissenschaftlern ernst in großem Maße dem Futter beigemischt wird, obwohl und schreiten als Gesetzgeber endlich ein! das in der EU seit 2006 verboten ist. Sehr geehrte Frau Bundesministerin, liebe Frau Klöck- Nach einer im April 2019 vorgelegten Studie der Uni- ner, Sie haben immer wieder betont, wie besorgt Sie über versität Greifswald, die auch dem Ausschuss für Ernäh- den massiven Einsatz von Antibiotika sind. Ich möchte rung und Landwirtschaft vorliegt, war mehr als jedes Sie bitten: Haben Sie den Mut, endlich zu handeln! dritte Hähnchen mit Keimen belastet, die Resistenzen ge- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gen Reserveantibiotika aufweisen. Alle Hähnchenfleisch- proben kamen aus deutschen Schlachtkonzernen. Allein (Beifall bei der SPD) 13608 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Betriebsleiter heute entscheiden nach rein betriebswirt- (C) schaftlichen Argumenten. Ich kann Ihnen Betriebe zei- Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege gen, ich kann Ihnen Milchbauern zeigen, die auf Bio- Artur Auernhammer. milch umstellen wollen. Die gehen zu ihrer Molkerei, (Beifall bei der CDU/CSU) und die Molkerei sagt: Sorry, wir haben zu viel Biomilch; wir können sie nicht mehr vermarkten. – Auch das gehört Artur Auernhammer (CDU/CSU): zur gesamten Wahrheit dazu. Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei men und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir disku- Abgeordneten der FDP) tieren jetzt schon sehr lange über die deutsche Agrarpo- litik, und ich danke der Bundesministerin Julia Klöckner Ich sehe ja ein, dass wir eine öffentliche Diskussion für die Vorstellung des Haushaltes. Es ist wieder ein Re- haben, die sehr unterschiedlich gelagert ist. Wir haben kordhaushalt von über 6,5 Milliarden Euro. viele Menschen, die über die Landwirtschaft diskutieren, die kluge Vorschläge machen, aber wir haben auch die Vieles ist bereits gesagt. Notwendiger denn je ist es Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten. Es sollte aber heute, die Stimme zu erheben für eine wettbewerbs- unsere Aufgabe als Politik sein, hier auch als fähige, nachhaltige und bäuerliche Landwirtschaft in Brückenbauer unterwegs zu sein und diese wieder zusam- Deutschland. Es geht um die Zukunft unserer Bäuerinnen menzuführen. Teile dieser Debatte haben nicht dazu ge- und Bauern, und es geht um noch viel mehr: Es geht auch führt. um die Zukunft der jungen Menschen im ländlichen Raum, die sich in diesen Wochen, in diesen Tagen dazu Es gibt vieles, was wir in letzter Zeit der deutschen entschlossen haben, den Beruf des Landwirts, den Beruf Landwirtschaft zugemutet haben. Ich denke an die Dün- der Bäuerin zu erlernen oder ein Studium in der Land- geverordnung. Wir haben 2017 eine Düngeverordnung wirtschaft zu beginnen. Sie wollen eine Perspektive in der erlassen, die viele Betriebe vor große Schwierigkeiten Landwirtschaft und keine Diskussion, wie sie heute hier stellt und die sich auch auf die kleinbäuerlichen teilweise geführt worden ist, meine Damen und Herren. Strukturen enorm auswirkt. Viele kleinbäuerliche Betrie- be können diese Auflagen nicht erfüllen. Sie können nicht (Beifall bei der CDU/CSU) in neue Technik investieren. Sie werden die Lösung neh- Die Stimmungsmache in Bezug auf die Landwirtschaft men, dass sie sagen: Wir steigen aus. – So ist es mit vielen hat schon fast etwas Flächenbrandartiges, angefeuert von Aufgaben. Wenn wir nicht aufpassen, wenn wir mit den linksgrüner Ideologie, von NGOs, ganzen Auflagen unserer Landwirtschaft noch mehr auf- bürden, dann ist dies eigentlich ein Befeuern des Struk- (B) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: turwandels, und dagegen müssen wir kämpfen. (D) Sind Sie jetzt bei der AfD, oder was?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem die nicht müde werden, die Landwirtschaft in ihrer ge- Sommer waren viele Kolleginnen und Kollegen im Walde samten Breite zu verteufeln. unterwegs. Das finde ich positiv. Es hilft aber nicht, Bäu- me nur zu umarmen; man muss auch etwas tun für den (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- deutschen Wald. NEN]: Ich sage nur: Seit 14 Jahren stellen Sie den Landwirtschaftsminister!) (Heiterkeit der Abg. Carina Konrad [FDP] – Meine sehr verehrten Damen und Herren, das lassen wir Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihnen nicht durchgehen. Ist das ein Hinweis für die Ministerin, oder was?) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Der deutsche Wald braucht unbedingt unsere Unterstüt- GRÜNEN]: 14 Jahre!) zung. Man muss den Wald pflanzen, und man muss ihn Eben wurden die Antibiotika angeprangert. Sie haben pflegen. Man muss den Wald schützen, aber man muss kein Wort davon gesagt, wie der Antibiotikaeinsatz in der ihn auch nutzen dürfen. Teile dieses Hauses sind der Mei- Humanmedizin ist. Sie haben kein Wort davon gesagt, nung, den Wald sollte man nicht nutzen, sondern stillle- wie viele Antibiotika die Menschen eigentlich zu sich gen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch der nehmen und dass das dann im Abwasser landet und dann deutsche Wald ist ein Riesen-CO2-Speicher, ein Riesen- wieder in den Kreislauf kommt. Auch das gehört zur lieferant von Baustoffen und auch ein Energielieferant. Wahrheit dazu. Das müssen wir noch stärker in den Fokus rücken. Damit sind wir gut unterwegs im deutschen Wald. (Carina Konrad [FDP]: Das stimmt!) Der Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft hat sich (Beifall bei der CDU/CSU) enorm reduziert. Wir werden die anstehende Beratung nutzen, um über das eine oder andere zu diskutieren. Ich könnte jetzt noch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei etwas zum Tierwohl-Label sagen, aber ich möchte nur Abgeordneten der FDP) anmerken, dass mir eine verpflichtende Herkunftskenn- Heute haben wir auch wieder gehört, wir müssten noch zeichnung wichtig ist, damit der Verbraucher weiß, wo mehr in die Bioproduktion einsteigen, wir müssten noch das Produkt herkommt. Viele Verbraucher sagen uns, sie mehr Betriebe dazu bewegen, umzustellen. Wir sind wollen wissen, wo das Produkt herkommt. Wenn drauf- längst aus der ideologischen Diskussion heraus. Die steht, das Produkt kommt aus Deutschland – noch besser: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13609

Artur Auernhammer (A) es ist aus Bayern –, dann kauft er es auch. Wenn das bringen und die dafür notwendigen Infrastrukturen für (C) Produkt aus anderen europäischen Ländern oder aus Län- die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte zu erhal- dern der übrigen Welt stammt, ist er vielleicht etwas zu- ten bzw. wieder auszubauen, ganz nach dem Motto: nach- rückhaltend. haltig produzierte Lebensmittel aus der Region für die Region. ( [SPD]: Die Bundesländer!) (Beifall bei der SPD) Ich habe nicht Nordrhein-Westfalen erwähnt, Herr Kol- lege, keine Angst. – Hier brauchen wir eine noch etwas Als Pfälzerin liegt mir zudem der traditionelle Weinbau weiter gehende Entwicklung, aber ich glaube, wir sind im besonders am Herzen. Diesem Thema möchte ich hier im parlamentarischen Verfahren in einer guten Diskussion. Hohen Haus mehr Raum geben. Letztes Wochenende ha- ben wir in meinem Wahlkreis Neustadt-Speyer, in Bad Insgesamt muss man sagen: Die Motivation der jungen Dürkheim an der Deutschen Weinstraße, den 603. Wurst- Menschen, die jetzt in die Landwirtschaft einsteigen, die markt, das größte Weinfest der Welt, eröffnet. jetzt den Beruf ergriffen haben, die jetzt an die Univer- sitäten gehen, um Landwirtschaft zu lernen, ist sehr groß. (Beifall bei der SPD) Wir wollen dazu beitragen, dass diese Motivation anhält und dass sie eine gute Zukunft haben. Hier werden Winzerhandwerk, Tradition und friedliches Miteinander gefeiert. Daher freue ich mich ganz beson- Vielen Dank. ders, im nächsten Jahr bei der großen Novelle des Weingesetzes mitwirken zu können. Mit den Chancen (Beifall bei der CDU/CSU) der Digitalisierung, einer Modernisierung des Bezeich- nungsrechts und der verbesserten Absatzförderung wer- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: den wir unseren Beitrag für den Erfolg des deutschen Vielen Dank, Herr Kollege Auernhammer. – Jetzt kom- Weinbaus leisten. men wir zur ersten Rede unserer neuen Kollegin Isabel Vielen Dank. Mackensen von der SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall) der CDU/CSU) Die erste Rede in der ersten Sitzungswoche, das sieht mir sehr rekordverdächtig aus. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Und auch noch die Redezeit vorbildlich eingehalten. Isabel Mackensen (SPD): (B) Glückwunsch! – Der Kollege Christian Haase hat das (D) Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die gesell- schaftlichen Fragen nach mehr Tierwohl, Biodiversität (Beifall bei der CDU/CSU) und Klimaschutz werden immer lauter. Der ökologische Landbau kann einen relevanten Beitrag zur Lösung der Christian Haase (CDU/CSU): umwelt- und ressourcenpolitischen Herausforderungen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dieser Zeit leisten und gilt zu Recht als ein Schlüssel Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich für eine nachhaltige Landwirtschaft. Das erklärte Ziel möchte zunächst der Ministerin für ihre Rede danken. Sie der Bundesregierung – so steht es auch im Koalitionsver- hat nicht nur die richtigen Inhalte gebracht, sondern sie trag – ist die Erhöhung des Anteils der Flächen für den hat vor allen Dingen auch ihre Sorge zum Ausdruck ge- Ökolandbau auf 20 Prozent bis zum Jahr 2030. Im Jahr bracht, dass in dieser Diskussion oftmals Ideologie vor 2018 betrug der Flächenanteil mit 1,521 Millionen Hektar Sachverstand steht. Leider haben viele Redner ihre Be- nur rund 9,1 Prozent. 20 Prozent bis 2030 zu erreichen, fürchtung im Nachhinein erfüllt. Da wünschte ich mir von wird bei dem jetzigen Tempo schwierig. Gleichzeitig dem einen oder anderen doch ein wenig Selbstreflexion. kann es nur eine Etappe auf dem Weg zu einer nachhal- tigen Landwirtschaft sein, die mit Blick auf die steigende (Beifall bei der CDU/CSU) Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher nach Ich freue mich aber, dass wir uns bei einem Thema Bioprodukten auch von dieser Seite gewünscht wird. Da- einig sind: Wir müssen etwas für unsere Wälder tun. her werde ich mich zusammen mit meinen Kolleginnen Die Ministerin hat dafür ein umfangreiches Maßnahmen- und Kollegen von der SPD-Bundestagsfraktion für den paket vorgelegt, das im Augenblick auf der ministeriellen weiteren Ausbau sowie für die Förderung von Forschung Ebene verhandelt wird. Wir wissen alle, dass unsere Wäl- und Innovation des ökologischen Landbaus einsetzen. der an einem entscheidenden Punkt stehen. In der Klima- politik spricht man gerne von einem Kipppunkt; so etwas (Beifall bei der SPD) haben wir jetzt im Wald. Wir müssen uns überlegen: Wie Hinzu kommt, dass Bioprodukte häufig nicht direkt vor machen wir unseren Wald klimafit? Welche neuen Baum- Ort verkauft, sondern über weite Strecken transportiert arten pflanzen wir an? Was ist standortgerecht? Dabei werden. jedoch würden von der Stärkung regionaler schauen wir nicht nur auf heute; denn so ein Baum wächst Wertschöpfungsketten die Konsumentinnen und Konsu- ja hundert Jahre. Wir müssen entscheiden, was für die menten, vor allem aber auch die Landwirtinnen und nächsten hundert Jahre der richtige Wald, der richtige Landwirte profitieren. Das Ziel muss sein, Angebot und Baum ist, den wir jetzt anpflanzen müssen, bevor er dann Nachfrage nach regionalen Erzeugnissen zusammenzu- irgendwann hiebreif wird. 13610 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019

Christian Haase (A) Ich denke, es hat sich mittlerweile überall herumge- glaube, diese Menschen müssen wir fördern. Wir müssen (C) sprochen, dass nur ein bewirtschafteter Wald eine wirk- auf die Köpfe der Menschen setzen anstatt nur auf vom liche CO2-Senke ist. Die romantische Idee einer Wald- Bund verordnete Programme. wildnis, die das Klima schützt, entbehrt leider jeder (Beifall bei der CDU/CSU) wissenschaftlichen Grundlage. Nur nachhaltig verarbei- tetes Holz bindet CO2 auf Dauer. Wir haben den Menschen auch versprochen, sie beim Thema Ehrenamt nicht alleine zu lassen. Wir müssen (Beifall bei der CDU/CSU) Bürokratie abbauen. Ich bin froh, dass wir uns jetzt inner- Deshalb müssen wir uns auch Gedanken über eine Holz- halb der Bundesregierung bei der Ehrenamtsinitiative ha- bauinitiative machen. Holz ist ein großartiger und viel- ben einigen können. Sie wird jetzt kommen. Wir werden seitig einsetzbarer Baustoff. Wir müssen auch bei der die Mittel entsprechend aufteilen. Ich glaube, es ist wich- Vermarktung alle Potenziale bündeln, um auf Überkapa- tig, den Ehrenamtlichen zu sagen: Wir danken euch nicht zitäten und Engpässe reagieren zu können. Ich danke in nur, sondern wir stehen euch auch mit Rat und Tat bei diesem Zusammenhang meinem Kollegen Dirk Wiese. euren Aufgaben zur Seite. Ich glaube, an dieser Stelle sind wir uns ziemlich einig. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich hoffe, Sie geben auch Ihrem Kollegen, dem Bundes- finanzminister, noch etwas Rückenwind, wenn es um die Bei dem letzten Punkt, den ich anbringen will, müssen Verteilung der Gelder des EKF geht. wir ein bisschen Geografie machen; das liegt mir. Kennen Sie Groß Lüsewitz? Kennen Sie Waldsieversdorf oder (Rainer Spiering [SPD]: Haben wir!) Großhansdorf? Was haben diese Orte gemeinsam? Der Danke schön. eine oder andere aus der Landwirtschaft weiß es viel- leicht. Ich will Sie auch nicht länger auf die Folter span- Erlauben Sie mir, zu drei Themen etwas zu sagen, die nen: In diesen Orten investiert über diesen Haushalt das mir besonders am Herzen liegen. Landwirtschaftsministerium. Das Julius-Kühn-Institut Ein Thema ist heute schon mehrfach genannt worden: richtet eine neue Klimahalle in Groß Lüsewitz ein, und Tierwohl. Auch die Ministerin legt großen Wert darauf. das Thünen-Institut ertüchtigt seine Gewächshaustechnik Wir nehmen in unserem Haushalt sehr viel Geld dafür in in Waldsieversdorf und Großhansdorf. Das nenne ich De- die Hand. Das unterstütze ich ausdrücklich. Auch mir als zentralisierung. Warum sollten wir landwirtschaftliche Fleischliebhaber liegt das Thema sehr am Herzen. Nach Institute überhaupt in der Stadt – in Berlin, in Hamburg der erfolgreichen Einigung auf ein freiwilliges staatliches oder in München – ansiedeln? Tierwohllabel innerhalb der Bundesregierung stellen wir (Beifall bei der CDU/CSU) (B) weitere 20 Millionen Euro bereit, um das Label bekannt (D) zu machen. Wir möchten die Verbraucher für Fleisch Unser Landwirtschaftsministerium macht das schon seit sensibilisieren, an das bei seiner Erzeugung besonders jeher anders, und das soll auch in Zukunft so bleiben. hohe Anforderungen gestellt wurden. Hinzu kommen Ich freue mich auf die Haushaltsplanberatungen. 28 Millionen Euro zur Förderung von Tierwohlmaßnah- men und das auf 38 Millionen Euro aufgestockte Bundes- Schönen Dank. programm Nutztierhaltung. Nehmen wir dazu noch die (Beifall bei der CDU/CSU) 15 Millionen Euro aus der GAK, die wir extra für Inves- titionen in diesem Bereich zur Verfügung stellen wollen, dann kommen wir auf ein Gesamtpaket von 100 Millionen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Euro. Ich glaube, nichts zeigt besser, dass wir verstanden Vielen Dank, Herr Kollege Haase. – Die letzte Redne- haben und gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern rin in der Debatte: die Kollegin Ursula Schulte, SPD- etwas zur Verbesserung der Tierhaltung tun wollen, weil Fraktion. das eine gesellschaftliche Herausforderung ist. Wir von (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU jedenfalls lassen die Bäuerinnen und Bauern bei diesem Thema nicht im Stich. Ursula Schulte (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minis- Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, sind die terin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr ver- ländlichen Räume. Ich denke, wir sollten die ländlichen ehrten Damen und Herren! Der Entwurf des Haushalts Räume weiter im Blick behalten. Die BULE-Förderung 2020 des Bundesministeriums für Ernährung und Land- zeigt, wie vergleichsweise kleine Beträge vor Ort große wirtschaft sieht Ausgaben in Höhe von gut 6,3 Milliarden Wirkung entfalten können. Die Menschen vor Ort wissen Euro vor. Die soziale Absicherung der Landwirte macht am besten, wo man anpacken muss. Daher sollte unser zwei Drittel dieser Ausgaben aus – das relativiert Ihre Credo weiter lauten, die Leute in den Regionen zu befä- Aussage etwas, Herr Auernhammer –, und die Tendenz higen, selbst aktiv zu werden. Wir brauchen keinen Zent- steigt. ralismus von Berlin aus. Es gibt viele tolle Initiativen, Damit Sie mich richtig verstehen: Ich möchte, dass alle Menschen, die sich einen Kopf machen, die Ideen ent- Landwirte gegen Lebensrisiken wie Krankheit, Unfall wickeln, wie wir die Digitalisierung einsetzen können. und Alter gut abgesichert sind. Ich denke da an die #LandRebellen, ein Projekt der Andreas Hermes Akademie. Ich denke an die Dorf-Digi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tal-Experten im Kreis Höxter, in meinem Wahlkreis. Ich der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13611

Ursula Schulte (A) Dennoch stelle ich mir vor dem Hintergrund einer sich möchte ich, dass sich die Menschen die gesunde Ernäh- (C) verändernden Landwirtschaft – weg vom klassischen rung am Ende auch leisten können. bäuerlichen Familienbetrieb, hin zu Betriebsgrößen, die teilweise industrielle Formen angenommen haben – die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frage, ob das jetzige agrarsoziale System noch in die Zeit der CDU/CSU) passt. Falsche Ernährung beginnt leider oft schon kurz nach Wir reden über ein System, das aus einer Zeit stammt, der Geburt. Deswegen ist die Sicht auf das sogenannte 1 als die Altenteiler kaum Bargeld zur Verfügung hatten. 000-Tage-Fenster so bedeutend. Zwar ist jetzt endlich ein Wir reden über ein System, das hauptsächlich geschaffen Verbot von Zucker in Säuglings- und Kindertees auf den wurde, um die Hofabgabe sicherzustellen und damit den Weg gebracht worden, aber das kann nur ein Anfang sein; Strukturwandel zu beschleunigen. Die Hofabgabe im Zu- denn wenn ich lese, dass Beikost für Babys in der Regel sammenhang mit der Rente gibt es nicht mehr. Angesichts zu viel Zucker und zu wenige gesunde Inhaltsstoffe ent- solcher Veränderungen ist es sicherlich gerechtfertigt, hält, dann ärgert mich das nicht nur maßlos, sondern dann einmal über dieses agrarsoziale System nachzudenken. weiß ich auch, dass noch viel zu tun ist. Ernährungsfehler und Mangelernährung in dieser frühen Phase des Lebens (Beifall bei der SPD) haben nämlich weitreichende Folgen für die Entwicklung Liebe Kolleginnen und Kollegen, 4 Milliarden Euro für der Kinder. Hier muss das Forschungsinstitut für Kinder- die Agrarsozialpolitik und nur 15,7 Millionen Euro für ernährung eine größere öffentliche Bedeutung bekom- Maßnahmen im Bereich „gesunde Ernährung“. Hier ist men. Falls notwendig, müssen die Haushaltsmittel ent- eine deutliche Unwucht im Haushalt, und ich finde, das sprechend angepasst werden. müssen wir ändern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinderlebensmittel Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass enthalten weiterhin oft mehr Zucker als Lebensmittel für für den Bereich „gesunde Ernährung“ im ersten Halbjahr Erwachsene. Dafür gibt es keinen einzigen vernünftigen 2019 lediglich 10,7 Prozent der Mittel verausgabt worden Grund. Das grenzt für mich teilweise sogar an Körperver- sind. Da fragt man sich als Politikerin, warum das so ist. letzung. Hier besteht wirklich akuter Handlungsbedarf. Hier ist uns das Ministerium eine Erklärung schuldig. Die (Beifall bei der SPD) Fragen haben wir gestellt; die Antworten stehen leider noch aus. Wenn wir also ernsthaft wollen – damit muss ich leider zum Schluss kommen –, dass all unsere Kinder gesund Wenn wir uns den Welternährungsbericht 2019 an- aufwachsen, dann dürfen wir Werbung für ungesunde schauen und lesen, dass weltweit jeder neunte Mensch Kinderlebensmittel nicht länger zulassen. Dann müssen (B) hungert, dann relativieren sich unsere Ernährungsproble- (D) Limonade und Kinderlebensmittel verpflichtend weniger me ziemlich schnell. Unsere Regale sind prall gefüllt. Die Zucker enthalten. Dann, ja dann, müssen wir auch Ener- Auswahl ist so groß, dass mancher Kunde schier verzwei- gydrinks für unter 16-Jährige verbieten. felt. Hungern muss bei uns niemand. Dennoch: Nicht jeder hat das Geld, sich bio zu ernäh- (Beifall der Abg. Amira Mohamed Ali (DIE ren und damit nachhaltiger zu leben. Früher war klar: LINKE)) Man aß, um satt zu werden oder um zu genießen. Als Ich hätte Ihnen jetzt noch gerne etwas zum Thema ich jetzt las, dass Essen immer mehr moralisiert und ta- Lebensmittelverschwendung, zur Reduktionsstrategie buisiert wird, habe ich für einen Moment nachgedacht und zur Lebensmittelampel erzählt. Das kann ich leider und gesehen: Ja, da ist tatsächlich etwas dran. Auf der nicht mehr. einen Seite steht der aufgeklärte, gutsituierte Verbrau- cher, der Wert auf gesundes Essen und einen nachhaltigen Aber herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Lebensstil legt, auf der anderen Seite stehen diejenigen, (Beifall bei der SPD) die den Kopf voller Sorgen haben, kaum etwas über ge- sunde Ernährung wissen und sich aufgrund materieller Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Nöte nicht ausgewogen ernähren können. Hier wird die Vielen Dank, Frau Kollegin Schulte. – Es liegen zu soziale Spaltung unserer Gesellschaft noch einmal deut- diesem Einzelplan keine weiteren Wortmeldungen vor. lich sichtbar. Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der SPD) Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Um das ganz deutlich auch zu sagen: Ich bin dennoch nicht für eine Art Zwangsernährung mit Bioprodukten in Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- öffentlichen Kantinen, um den Biolandbau anzukurbeln, tages auf morgen, Mittwoch, 11. September 2019, 9 Uhr, wie von der geschätzten Kollegin Künast vorgeschlagen. ein. Ich möchte vielmehr, dass die Menschen wissen, wie ge- Die Sitzung ist geschlossen. sunde Ernährung aussieht. Dabei setze ich auf Ernäh- rungsbildung, und zwar von der Kita an. Außerdem (Schluss: 17.35 Uhr) 13612 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 10. September 2019 13613

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1

Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r)

Akbulut, Gökay DIE LINKE Bär, Dorothee CDU/CSU Dassler, Britta Katharina FDP Esken, Saskia SPD Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Gabriel, Sigmar SPD Gerdes, Michael SPD Hagl-Kehl, Rita SPD Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Hirte, Dr. Heribert CDU/CSU Holtz, Ottmar von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Jensen, Gyde* FDP Kühn (Dresden), Stephan BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Lauterbach, Dr. Karl SPD Lechte, Ulrich FDP Lischka, Burkhard SPD Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU Mattheis, Hilde SPD Meyer, Christoph FDP Mieruch, Mario fraktionslos (B) Nahles, Andrea SPD (D) Petry, Dr. Frauke fraktionslos Roth (Heringen), Michael SPD Rupprecht, Albert CDU/CSU Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Scheer, Dr. Nina SPD Schiefner, Udo SPD Schüle, Dr. Manja SPD Schulz, Jimmy FDP Weber, Gabi SPD Weiler, Albert H. CDU/CSU Weisgerber, Dr. Anja CDU/CSU Werner, Katrin DIE LINKE

*aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333