DIE GRÜNEN – 11. WP Fraktionssitzung: 19. 1. 1988

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19. Januar 1988: Fraktionssitzung

AGG, B.II.1, 2140. Überschrift: »Protokoll der 42. Fraktionssitzung am 19. 01. 1988«. Beginn: 14.15 Uhr. Sitzungsleitung: Hubert Kleinert, Christa Vennegerts.

Anwesend:1 Abgeordnete: Beck-Oberdorf, Beer, Brahmst-Rock, Briefs, Daniels, Ebermann, Flinner, Garbe, Häfner, Hensel, Hillerich, Hoss, Hüser, Kleinert, Knabe, Kreuzeder, Krieger, Lippelt, Mechtersheimer, Nickels, Oesterle-Schwerin, Olms, Rust, Saibold, Schilling, Schily, Schmidt-Bott, Sellin, Stratmann, Teubner, Trenz, Unruh, Vennegerts, Vollmer, Volmer, Weiss, Wetzel, Wollny, Wüppesahl Gäste: Juan Radrigan (chilenischer Künstler)

TOP 2: [Lfd. parl. Woche] Redebeiträge und sonstige Vereinbarungen dazu s. Plenums-News Nr. 54/11. WP.

TOP 1: [Begrüßung des chilenischen Künstlers Juan Radrigan] Hubert Kleinert begrüßt Juan Radrigan, einen der 78 chilenischen Künstler, die von dem rechtsgerichteten »Comando 135« mit dem Tode bedroht werden, wenn sie nicht innerhalb eines Monats das Land verlassen.2 Juan Radrigan schildert die Situation der seit 14 Jahren ständig bedrohten, wechselnden Gruppen durch Todesschwadronen und rechte Untergrundorganisationen, die mit Billigung und Unterstützung des Regimes agieren. Er bittet um Unterstützung dabei, das Problem chilenischer Künstler einer breiten Öffentlichkeit nahezubringen und fordert Bundesregierung, Parteien und Politiker auf, ihren Einfluß geltend zu machen, das Leben der Künstler und die Freiheit der Kunst in Chile zu schützen. Ludger Volmer informiert darüber, daß ökologische Gruppierungen in Chile dabei sind, entsprechende Parteien zu gründen, und zwar die »Grüne Zukunft« und die »Hu- manistische Partei«. Die Solidarität hier müsse auf eine breite Ebene gestellt werden. Hubert Kleinert: Es müsse uns eine Selbstverständlichkeit sein, im Rahmen aller Möglichkeiten das chilenische Anliegen zu unterstützen. Um 19.00 Uhr findet ein Gespräch mit den chilenischen Gästen im Presseclub statt. Die im Aufruf angegebene Konto-Nr. der DEUMECH ist wie folgt zu ändern: 1294380100.

TOP 3: [Nukem/Transnuklear]3 Hubert Kleinert: 1. Eine überarbeitete Fassung unseres eigenen Antrages auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wird eingebracht4 (Anlage 1): Es sollen kurzfristig

1 Informationen über anwesende Fraktionsmitarbeiter liegen – abgesehen von der Protokollführerin Görg – nicht vor. 2 Vgl. dazu die Artikel »Chile: Kommando gegen Künstler« bzw. »Chile: Polizeischutz für Künstler«; »taz«, 6. November 1987, S. 7, bzw. 13. November 1987, S. 6. 3 Zum Hintergrund vgl. Dok. 42, TOP 1, bzw. bes. Anm. 7. 4 Zum vorangehenden Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vgl. Dok. 42, Anm. 11. – Zum neuen Antrag vom 20. Januar 1988 vgl. BT Drs. 11/1681 neu. – Der Untersuchungsausschuss »Transnuklear/Atomskandal« wurde am 21. Januar 1988 vom Bundestag auf der Grundlage von

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Verhandlungen mit den anderen Parteien geführt werden, um möglichst viele unserer Forderungen durchzusetzen. 2. Wird überlegt, ob noch ein zusätzlicher Antrag eingebracht werden soll. Es sei ein guter Antrag formuliert worden ( und Matthias Küntzel). Die Frage sei nur, ob die Debatte um den Untersuchungsausschuß damit überlagert werde. Thomas Ebermann liest den »Plutonium-Bunker«-Antrag vor. Er ist für die Einbringung und eine Pressekonferenz dazu am Tag der Debatte. Es müsse offengelegt werden, was und in welchen Mengen dort lagere. Hubert Kleinert: Er sei auch für das Einbringen. Sein Argument: In der gegenwärtigen Situation habe Töpfer immer mehr Schwierigkeiten zu begründen, warum diese Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Otto Schily: Daß die Geheimhaltung nicht aufgehoben wurde, sei in der Öffentlichkeit untergegangen. Deshalb müsse der Antrag eingebracht werden. Darüber hinaus gehöre diese Frage auch in den Untersuchungsausschuß. -Oberdorf: Alles was zur Offenlegung aufrufe, renne offene Türen ein. Sie sei auf jeden Fall für Einbringung des Antrags. Dietrich Wetzel unterstützt ebenfalls den Antrag. Was weiterhin noch rüberkommen müsse sei, daß selbst Leichtwasserreaktoren Plutonium erzeugten (z. B. Biblis jährlich

250 kg). Die angeblich sicheren Kontrollen seien extrem löchrig. Peter Sellin: Alkem müsse mit aufgenommen werden. Es wird einstimmig beschlossen, den Antrag »Plutonium-Bunker« mit einer Änderung einzubringen (Anlage 2).5 Besetzung des Untersuchungsausschusses: Otto Schily wird einstimmig zum Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses gewählt.6 StellvertreterInnen-Frage: : Das AK-Votum sei mit 4 : 1 für Wolfgang Daniels abgegeben worden. Angelika Beer spricht sich für eine Frau aus. Sie schlägt Lilo Wollny vor und bittet sie, sich zu bewerben. Hias Kreuzeder: Wunsch des AK V sei, daß der Koordinations- und Informationsfluß zwischen den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses und dem AK sichergestellt sei. Otto Schily bittet die Gesamtfraktion, die Arbeiten im Untersuchungsauschuß zu unterstützen. Die Thematik habe eine so wichtige Bedeutung für die Grünen, wie bisher nicht gehabt. Es sollten auch keine sich widersprechenden Erklärungen in der Presse abgegeben werden. Die Kandidaten, Wolfgang Daniels und Michael Weiss, stellen sich vor. Antrag auf geheime Wahl. Ergebnis (37 abgegebene Stimmen): Michael Weiss: 26

Anträgen der CDU/CSU und FDP sowie der SPD eingesetzt. Der Antrag der GRÜNEN wurde abgelehnt. Vgl. dazu DATENHANDBUCH 1949–1999, Bd. II, S. 2198. 5 Zu dem Antrag vom 20. Januar 1988 betr. »Unterrichtung der Bevölkerung über die im Hanauer ALKEM-Bunker gelagerten Spaltstoffe« vgl. BT Drs. 11/1682. 6 Den Vorsitz im Untersuchungsausschuss »Transnuklear/Atomskandal« hatte die Abg. Matthäus- Maier (SPD) bzw. später der Abg. Bachmaier (SPD) inne. Der Abg. Schily war lediglich ordentliches Mitglied im Untersuchungsausschuss.

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Wolfgang Daniels: 7 bei 4 ungültigen Stimmen. Persönliche Erklärung Wolfgang Daniels: Er ist enttäuscht und empfindet die Wahl als Bewertung seiner Arbeit im Umwelt-AK. Die Sache gehöre in die Zuständigkeit des Umwelt-AK. Der Stil sei nicht gut. Otto Schily: Das Ergebnis könne man so nicht sehen. Die Fraktion wisse seine Arbeit zu schätzen. Es sei kein Mißtrauen gegen ihn. Er stellt den Antrag, daß die Fraktion das Vertrauen in Wolfgangs [Daniels] Arbeit bestätigt. : Es sei keine Bewertung der Arbeit. Sie finde es schlecht, jedesmal Ehrenerklärungen abzugeben. Eckhard Stratmann spricht sich gegen den Antrag aus. Hier werde nicht offen dis- kutiert. Wir müßten ehrlicher und offener darüber reden, warum Wolfgang [Daniels] in Abstimmungen unterliege – im angemessenen Rahmen, nicht jetzt. Otto Schily: Es handle sich nicht um eine Ehrenerklärung. Wolfgangs [Daniels] Arbeitsgrundlage sei angesprochen. Wir sollten den Antrag verabschieden. Wolfgang Daniels: Es gebe immer andere Gründe für seine Ablehnung, obwohl er zuständig sei. Permanent bestehe eine Konkurrenzsituation. Wilhelm Knabe: Wir wissen im AK, daß Wolfgang [Daniels] gute Arbeit macht, darüber kann man nicht abstimmen. Sein Antrag auf Nichtbefassung wird mit 24 : 1 : 7 angenommen. Christa Vennegerts: An geeigneter Stelle solle darüber diskutiert werden, Wolfgang [Daniels] selbst könne Vorschläge machen. Willi Hoss: Er möchte persönlich mit Wolfgang [Daniels] reden. Diese Ebene finde er besser. Eckhard Stratmann: Im Antrag zum Untersuchungsausschuß sollten unter Pkt. 5 die personellen Überschneidungen mit einbezogen werden. Konsens.7 Otto Schily schlägt vor, ein Dreiergespräch anzumelden bei CDU und SPD, bestehend aus den beiden für den U[ntersuchungs]A[usschuß] nominierten Personen und Wolfgang Daniels. Mehrheitlich bei 2 Enthaltungen angenommen. Redebeitrag zum Untersuchungsausschuß: Otto Schily und Michael Weiss ziehen zu- gunsten Wolfgang Daniels zurück. Bärbel Rust: Sie habe verzichtet, unter der Bedingung, daß jemand aus dem Ausschuß rede und kritisiert die Rückzüge. Abstimmung: Die Rede hält Wolfgang Daniels: 16 : 0 : 11.8 Otto Schily schlägt vor, im Herbst dieses Jahres einen Kongreß »Energie 2000« zu veranstalten, unter Einbeziehung eines breiten Spektrums von Fachleuten, gesellschaftlichen Kräften und Umweltverbänden. Wir sollten einen positiven Ansatz suchen und ein Angebot machen, wie ein Energiekonzept aussehen könne.

7 Punkt 5 des Antrags der Grünen lautete: »Haben die Strahlenschutzkommission, die Physikalisch- Technische Bundesanstalt, die Reaktorsicherheitskommission, das Bundesamt für Wirtschaft, die Technischen Überwachungsvereine sowie sonstige staatliche oder staatlich beauftragte Institutionen Verstöße gegen Rechtsvorschriften geduldet oder an ihnen mitgewirkt? Welche personellen Verflechtungen bestehen zwischen den genannten Institutionen und den Betreibern kerntechnischer Anlagen?« Vgl. BT Drs. 11/1681 neu. 8 Zur Rede des Abg. Daniels am 21. Januar 1988 in der Debatte über die Einsetzung des Untersuchungsausschusses »Transnuklear/Atomskandal« vgl. Vgl. BT Plenarprotokoll 11/55, S. 3788 f.

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Eckhard Stratmann: Er finde den Vorschlag gut; der Zeitpunkt könne jedoch vor- gezogen werden, da die Vorarbeiten weit gediehen seien. Antrag Otto Schily: Die Fraktion beschließt, daß im Juni 1988 ein Kongreß »Energie 2000« unter Einbeziehung eines breiten Spektrums von Fachleuten, Umweltverbänden und verschiedenen gesellschaftlichen Kräften stattfindet.9 Die Arbeitsgruppe Energie wird um die Mitglieder des Untersuchungsausschusses und Interessierte erweitert. Bei 1 Enth. einstimmig angenommen. Lilo Wollny verliest ein Solidaritätstelegramm an die Blockierer der BGS Waldersee- Kaserne in Lübeck.10 Die Fraktion unterstützt dieses Telegramm. – Konsens – (Anla- ge 3).11 Freitag ist eine Blockade in Lübeck geplant, an der bisher 5 Personen des BuVo teilnehmen. Ein Bus wird morgens um 8.00 Uhr abfahren. Gerald Häfner: Die Fraktion möge beschließen, daß möglichst gemeinsam dorthinge- fahren wird – wird nicht abgestimmt –. Außer [von] Gerald [Häfner] und Lilo [Wollny] kommen keine konkreten Zusagen (Plenum, andere bereits vereinbarte Termine etc.). Christa Vennegerts: Es werden noch nähere Informationen eingeholt. Wer mitfahren möchte, melde sich im Büro von Lilo Wollny.

TOP 4: [Zu verabschiedende Vorlagen] Michael Weiss stellt das »Bundesbahnsanierungsgesetz« vor. Einstimmig angenommen.12 Regula Bott: Sie stellt einen Offenen Brief vor, der bezüglich der Kriminalisierung von technologiekritischen Frauen verfaßt wurde. Mit redaktionellen Änderungen zu Pkt. 4 wird der Brief einstimmig angenommen (Anlage 4).13

Darüber hinaus stellt sie einen Finanzantrag zur Zahlung von je DM 2 000 zur Deckung von Prozeßkosten der beiden festgenommenen Frauen. Einstimmig, bei 1 Enthaltung angenommen.

TOP 5: [Verschiedenes] BILD-Zeitungs-Boykott: Thomas Wüppesahl begründet seinen Antrag14 und weist nochmals darauf hin, daß er nicht eine Erweiterung des Boykotts erreichen möchte, sondern eine Berücksichtigung der im GG verankerten Pressefreiheit und unserer Programmatik.

9 Der »Energiewende-Kongress« fand erst im April 1989 statt. Vgl. dazu weiter Dok. 60, TOP 2, und Dok. 79, TOP X. 10 Mitte Januar 1988 besetzten Umweltaktivisten die Zufahrten zu einer BGS-Kaserne in Lübeck, um den LKW-Weitertransport von radioaktivem Abfall zu verhindern. Vgl. dazu den Artikel »Atomtransporte: Ganz Lübeck blockiert«; »taz«, 19. Januar 1988, S. 4. 11 Zu dem Solidaritätstelegramm der Fraktion DIE GRÜNEN vom 19. Januar 1988 vgl. AGG, B.II.1, 2139. 12 Zu dem Gesetzentwurf vom 5. Februar 1988 zum »Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn (Bundesbahnsanierungsgesetz)« vgl. BT Drs. 11/1789. 13 Vgl. hier Anlage A. 14 Vgl. hier Anlage B.

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Angelika Beer: Der Boykott der BILD-Zeitung sei selbstverständlich und es habe gute Gründe für den Beschluß15 gegeben (Diskriminierung von Frauen und Minderheiten), Sie bittet um Bekräftigung des Boykotts gemäß ihrem Antrag (Anlage 5).16 Trude Unruh: Verbieten sei keine Position. Die Grauen Panther würden sich an einen solchen Beschluß sowieso nicht halten. Es sei darüber hinaus eine Diskriminierung von

Menschen, die sich diese Zeitung kaufen (z. B. Arbeiterschaft). Charlotte Garbe: Verbote gehen den Älteren gegen den Strich. Das könne sie nur unterstützen. Sie sei gegen einen Boykott. Jutta Oesterle-Schwerin: Sie habe den Tod von Rudi Dutschke erlebt. BILD habe »mit- geschossen«. Die Menschen, die BILD lesen, wüßten, daß sie ein Schundblatt lesen. Wir würden dann nur die Zeitung aufwerten. Verena Krieger: Die Kritik an der BILD-Zeitung war das berechtigte Aufbegehren gegen menschenfeindlichen, alle sozialen Bewegungen diskriminierenden und bekämpfenden Massenjournalismus. Peter Sellin: Der Presseboykott gegen die BILD-Zeitung soll unseren Anspruch auf eine faire Berichterstattung sichern und gebe Möglichkeiten, die anderen Zeitungen, die sich ähnlich verhalten, ebenfalls zu kritisieren. Thomas Wüppesahl verlangt einen pragmatischen Umgang mit BILD und die Abgrenzung gegen einen falschen Moralismus. Maulkorberlasse seien abzulehnen. : Die BILD-Zeitung sollte nicht Medium der Vermittlung unserer politischen Positionen sein. Politische Beschlüsse, die nicht eingehalten werden können, sollten nicht gefaßt werden. Da zu erwarten sei, daß mehrere Mitglieder der Fraktion sich nicht daran halten werden, sei es nicht sinnvoll, den Boykott zu erneuern. Ebenso falsch sei es, ihn aufzuheben. Deshalb beantragt er Nichtbefassung beider Anträge. : Zeitungen, die, wie die BILD-Zeitung, Frauen mißbrauchen für menschen- verachtende Darstellungen, sollten boykottiert werden. Wir Grünen müssen entschie- den an unseren Positionen festhalten. Abstimmung: Der Antrag auf Nichtbefassung wird mit 5 : 15 : 1 abgelehnt. Antrag Thomas Wüppesahl (Aufhebung) 2 Antrag Angelika Beer (Bekräftigung) 20 bei 1 Enthaltung Trude Unruh stellt fest, daß die Fraktion die Beschlußlage der Grauen Panther zur Kenntnis nimmt, die es Trude [Unruh] ausdrücklich erlaubt, allen Presseorganen Interviews zu geben. Personalsituation in Schleswig-Holstein: Trude Unruh will wissen, was in Schleswig-Holstein los sei, was an dem Konzept Otto Schily, Thea Bock dran sei.17

15 Zu dem Beschluss zum Boykott der »Bild«-Zeitung vgl. Dok. 2, TOP 0. 16 Vgl. hier Anlage C. 17 Im Vorfeld der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 8. Mai 1988 gab es Überlegungen im Landesverband der GRÜNEN, Thea Bock und Otto Schily als Spitzenkandidaten zur Wahl antreten zu lassen und sich zugleich zu einer Koalitionsaussage zugunsten der SPD zu bekennen. Im Falle eines Wahlsiegs für ein rot-grünes Bündnis sollten Bock und Schily das Umwelt- und Justizministerium besetzen. Die Überlegungen trafen im Landeshauptausschuss jedoch auf erheblichen Widerstand und scheiterten letztlich. Vgl. dazu die Artikel »Schleswig-Holsteins Grüne haben eine Idee«, »Zögernder Blick über den Deichrand« sowie »Nekrolog auf Grün«; »taz«, 9. Januar 1988, S. 5, 11. Januar 1988, S. 4, und 1. Februar 1988, S. 4.

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Angelika Beer stellt die Beschlußlage des LHA in Schleswig-Holstein dar. Antje Vollmer: Soviel Omnipotenzphantasien bei soviel Ohnmacht haben wir noch nie gesehen. In einem freundschaftlichen Gespräch wurde von allen Seiten betont, daß es wichtig sei, daß die Grünen in Schleswig-Holstein gewinnen, auch alle personellen Schritte müßten getroffen werden. Antrag Eckhard Stratmann auf Übernahme der Kosten des Ota Šik-Seminars. Die Kosten werden aus dem Topf der Fraktion bezahlt. Protokoll: Gundi Görg

Anlage A

20. Januar 1988: Pressemitteilung Nr. 58/88 der Fraktion DIE GRÜNEN. AGG, B.II.1, 2139.

Keine Kriminalisierung von technologie-kritischen Frauen! Offener Brief der Fraktion DIE GRÜNEN IM BUNDESTAG

Die Bundestagsfraktion DIE GRÜNEN hat in ihrer gestrigen Sitzung folgenden Offenen Brief verabschiedet und an Bundesinnenminister Zimmermann sowie an die Innenminister der Länder Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg und an den Rechtsausschuß und Innenausschuß des Deutschen Bundestages geschickt. Gleichzeitig wurden Solidaritätsschreiben und Spenden an die betroffenen Frauen weitergeleitet:

»Am 18. 12. 1987 haben Beamte der Polizei und des Bundeskriminalamtes Wohnungen und Büros in Hamburg, Hannover und in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens durchsucht und zwei Frauen festgenommen. Die Aktionen richteten sich im wesent- lichen gegen Frauen, beziehungsweise Frauengruppen, die sich kritisch mit der Gentechnologie und den Fortpflanzungstechniken beschäftigen. Ihnen wurde der

Pauschalvorwurf gemacht, gegen den § 129 a StGB verstoßen zu haben, beziehungsweise es wurden mit äußerst dubiosen ›Beweisen‹ Kontakte zur ›Roten Zora‹ oder die Beteiligung an deren illegalen Aktivitäten als Vorwurf genannt. Wir sind empört über das offen rechtswidrige Vorgehen der Bundesanwaltschaft und über den Versuch, technologie-kritische Frauen und Gruppen zu terroristischen Vereinigungen abzustempeln und in ihrer Arbeit zu behindern. Die betroffenen Gruppen haben Informationsmaterial, wissenschaftliche Berichte und Veröffentlichungen jeder Art zur Gen- und Fortpflanzungstechnologie gesammelt, eigene Papiere erarbeitet und verbreitet. Die nun zum Teil beschlagnahmten Materialien stehen allen Personen und Gruppen zur Verfügung, die sich informieren wollen über diese Techniken, die Kritik daran und die Argumente für einen breiten Widerstand dagegen. Darüber hinaus haben viele der nun schikanierten und vorverurteilten Frauen als sachkundige Referentinnen ein breites Spektrum von interessierten Personen aus Kirchen, Parteien und Bildungseinrichtungen informiert. Mit dieser Arbeit haben sie zum Entstehen einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Techniken wesentlich beigetragen. Finden solche polizeilichen Aktionen, wie vor kurzem bei der Umweltbibliothek, in Ostberlin statt, so werden sie von allen politischen Parteien als Beschränkung der

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Menschenrechte und als staatlicher Übergriff auf die Meinungsfreiheit lautstark verurteilt. Wenn dagegen hierzulande das Etikett ›terroristische Vereinigung‹ benutzt wird, um in gleicher Weise die Verfolgung von kritischen Personen in der Öffent- lichkeit zu betreiben und zu legitimieren, so wird das von den staatstragenden Parteien stillschweigend akzeptiert. Gerade die Ereignisse der letzten Wochen und Monate haben wieder deutlich gemacht, daß die Bundesregierung es vorzieht, sich mit Ärzten, Wissenschaftlern und Industrievertretern hinter verschlossenen Türen zu einigen über die Legitimierung ihrer heute schon kriminellen Praxis – in der Embryonenforschung, bei Zwangssterilisationen, bei Leihmüttergeschäften, bei Forschungsarbeiten mit potentiellen B-Waffen-Erregern oder bei dem Bestreben, in Zukunft gentechnische Produktionsanlagen im nicht-öffentlichen Verfahren zu genehmigen. Mit dieser Politik versucht die Bundesregierung, eine offene Auseinandersetzung über die Gefahren der Gen- und Fortpflanzungstechniken und die dann erst mögliche, demokratische Entscheidung, ob sie weiterentwickelt werden sollen oder nicht, im Keim zu ersticken. Die wichtigste Gefahr für eine breite, offene geführte Diskussion über die Gefahren solcher lebensbedrohenden Techniken bietet die Aufklärungsarbeit und der legitime Widerstand kritischer Personen und Gruppen. Diese Auseinandersetzung muß jetzt geführt werden – nicht erst wenn die ersten Gen-Labors oder Gen-Skandale hochgegangen sind. Wir erklären unsere Solidarität mit den betroffenen Frauen und rufen dazu auf, sie durch Briefe und Spenden zu unterstützen. Wir fordern einen Bericht der Bundesregierung über das Vorgehen des Bundes- kriminalamtes. Wir fordern die sofortige Freilassung der beiden inhaftieren Frauen.«

Anlage B

7. Januar 1988: Antrag des Abgeordneten Thomas Wüppesahl an die Fraktionsversammlung. AGG, B.II.1, 2139.

»Die Fraktionsversammlung der GRÜNEN beschließt, daß auch die BILD-Zeitung zukünftig nicht weiter boykottiert wird. Unabhängig davon bleibt es jeder FraktionärIn überlassen, inwieweit sie selbst Interviews gibt und zum Beispiel Gespräche führt, wie es zu anderen Medien und im besonderen den politisch nahestehenderen üblich ist.« Begründung: 1. Es gibt 10 bis 12 Millionen tägliche BILD-LeserInnen. Über einen Boykott dieser größten Tageszeitung Europas werden gleichzeitig 10 bis 12 Millionen LeserInnen mit boykottiert – tendenziell sogar ignoriert, wenn wir außer Betracht ließen, daß praktisch jede StaatsbürgerIn selbstverständlich weiteren Informationsflüssen wie Rundfunk und Fernsehen ausgesetzt ist. 2. Warum wird lediglich die BILD-Zeitung boykottiert? und nicht sämtliche Erzeugnisse des Springer-Hauses? Oder doch zumindest die von der Aufmachung und Gestaltung deckungsgleiche BamS? Und wieso werden nicht die vergleichbaren

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Erzeugnisse der Regenbogenpresse vom Heinrich Bauer Verlag, Burda-Verlag oder auch das Boulevard-Blatt »Express« aus Köln boykottiert? Die Beantwortung dieser Fragen liegt auf der Hand: Zum einen wäre es ein wunderschönes Eigentor, wenn wir einen Informationsboykott von Medien, die wir im politischen Raum als Tribüne dringend brauchen, auf so breiter Ebene praktizierten und zum anderen wäre unser undemokratisches Agieren offenkundig. 3. Sämtliche Pressegesetze der Länder sehen vor, daß Behörden und vergleichbare Institutionen verpflichtet sind, Medien-VertreterInnen auf Verlangen Auskunft zu geben.

Diese aus Art. 5 Grundgesetz (unter anderem Pressefreiheit) abgeleitete Konkretion bleibt noch weit unter dem programmatisch formulierten Anspruch im Bereich der Pressefreiheit unserer Partei. Und dennoch spielen wir uns mit einem Feindbild, das ansonsten von uns bei anderen gesellschaftlichen Gruppen immer wieder angeprangert wird, zur SchiedsrichterIn auf. Die Entsprechung wäre, daß die Bayerische Staatsregierung eine Anordnung ausspricht, wonach den ihnen unterstehenden Behörden verboten würde, der TAZ Informationen oder Interviews zu geben. 4. Ist es nicht vielmehr so, daß die BILD-Zeitung eine Art von Symbolcharakter für die Linken in der Bundesrepublik hat und es objektiv zu anderen Erzeugnissen keine nennenswerten Unterschiede mehr gibt als den, daß die Aufarbeitung der durch diese Zeitung und in ihren Redaktionen statt gefundenen Mißbräuche bei der inhaltlichen Fertigung des Blattes durch Personen wie Wallraff und vielen anderen mehr am intensivsten und durchdringendsten vorgenommen worden ist? 5. Ein Verbot der Zusammenarbeit, wie es in der letzten Fraktion beschlossen worden war und von praktisch allen FraktionärInnen auch in der jetzigen als bestehend übernommen worden ist, widerspricht zutiefst den grundsätzlichen Ansprüchen unserer eigenen Programmatik. Unabhängig davon bleibt es natürlich jedem Mitglied unserer Fraktion unbenommen, genauso wie es zur Zeit auch bei anderen Medien bereits praktiziert wird, für sich politisch-persönlich zu entscheiden, ob ein Interview gegeben wird, ein Informationsgespräch stattfindet oder andere Formen der Zusammenarbeit aufgrund des eigenen Anspruches besser unterbleiben.

Anlage C

11. Januar 1988: Stellungnahme und Antrag der Abgeordneten Angelika Beer. AGG, B.II.1, 2139.

Bezug: Fraktionsrundbrief Nr. 19/11. WP, Punkt 4.2. Antrag Wüppesahl Betreff: Boykott der BILD-Zeitung Da geht es also los mit Schwung ins neue Jahr! Auch die letzten vernünftigen Vorsätze, die GRÜNE einmal hatten, werden munter über Bord geworfen. Das alte Jahr hörte auf mit der Selbstamnestierung Otto Schilys und fängt an mit der Selbstamnestierung der BILD-Zeitungsboykottbrecher! Lieber Thomas [Wüppesahl], wie kannst gerade Du, der doch bereits so einige Male versucht hat, auf dem Wege des Interviews mit der BILD-Zeitung die Millionen unserer Bevölkerung anzusprechen, beantragen »Die Fraktionsversammlung der GRÜNEN beschließt, daß auch die BILD- Zeitung zukünftig nicht weiter boykottiert wird«?

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»Nicht weiter«, das heißt, ein bisher eingehaltener Boykott wird aufgehoben. Sicher kannst Du Dir der Unterstützung zum Beispiel Trude Unruhs gewiß sein. Nicht umsonst, denn schließlich wären so infame Äußerungen wie beispielsweise, Thomas Ebermann würde für Gewalt eintreten, sehr viel schwieriger in die Öffentlichkeit zu tragen gewesen. Aber gerade auch deshalb hat zum Beispiel das GRÜNE Treffen am

12. 12. im Pantheon meine Aufforderung, daß sich auch die GRÜNEN im Bundestag an den BILD-Zeitungs-Boykott halten sollen, per Akklamation begrüßt. Mehr noch, sie forderten den Zusatz, daß dies auch für Fraktionsmitglieder gelten müsse, die nicht Mitglied der Partei die GRÜNEN sind. Deine Antragsbegründung gibt ein wunderschönes BILD darüber, wie man Positionen auf den Kopf stellt. Da ist nicht mehr die Rede von undemokratischen, ja oft genug menschenfeindlichen Praktiken des Springerverlages, die in der »Berichterstattung« der BILD-Zeitung alles andere in den Schatten stellt und insbesondere sich durch Frauenfeindlichkeit auszeichnet. Sondern auf einmal bilden wir uns das alles nur noch ein? Und dann ist da ein so schönes Wort wie »Feindbild« gerade richtig, um die Tatsachen medienwirksam auf den Kopf zu stellen. Lediglich Deinen Anspruch (Punkt 5 der Antragsbegründung), für Dich politisch-per- sönlich auch in dieser Frage zu entscheiden, kann ich nachvollziehen. Denn Dein bisheriges Verhalten – insbesondere gegenüber dem Landesverband der GRÜNEN Schleswig-Holstein, zeigt ja genau diesen Stil. Für mich allerdings ist genau das auch ein wichtiger Grund, den von Dir gestellten Antrag auf das Schärfste zurückzuweisen. Aber entscheidend für meinen nachstehenden Antrag, die Fraktion möge endlich den Boykott-Beschluß der alten Fraktion der GRÜNEN bestätigen, ist die Tatsache, daß der Boykott der BILD-Zeitung eine politische Entscheidung war, die nichts an ihrer Richtigkeit verloren hat. Die Tatsache, daß wir es noch nicht geschafft haben, die Millionen BILD-ZeitungsleserInnen hiervon zu überzeugen, sollte für uns nicht der Anlaß sein, uns mit der Springerpresse auszusöhnen, die ihre Monopolstellung im Medienbereich immer weiter ausbreitet und eine ausgewogene Berichterstattung immer weiter zurückdrängt. Viele Grüße Angelika18 [Beer]

Antrag Die Fraktion die GRÜNEN im Bundestag bestätigt den Beschluß der Partei DIE GRÜNEN sowie der alten Bundestagsfraktion, die BILD-Zeitung zu boykottieren. Für Interviews pp. stehen die Fraktionsmitglieder, egal ob Parteimitglieder oder nicht, nicht zur Verfügung.

18 Vorname handschriftlich.

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