SWR2 Klassiker

Suzanne Danco: Die sublime Stimme Eine Sendung von Uwe Schweikert

Sendung: Dienstag, 25. Mai 2021, 20.05 Uhr Redaktion: Bernd Künzig

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überdies anzuvertrauen. Von Gender Crossing sprach damals noch niemand. Hören wir zunächst einmal unvoreingenommen, wie Suzanne Danco sich dabei aus der Affäre zieht. Die Aufnahme entstand im April 1949 in London; am Klavier begleitet Guido Agosti.

Musik 1 Robert Schumann: „Dichterliebe“, Op. 48, Nr. 1-10 (Suzanne Danco, Sopran/Guido Agosti, Klavier – Aufnahme: 26.-28. April 1949)

Zu Beginn der heutigen „Klassiker“-Sendung, die Suzanne Danco gewidmet ist, sang die belgische Sopranistin in einer Aufnahme aus dem Jahr 1949 die ersten zehn Lieder aus dem Zyklus „Dichterliebe“ von Robert Schumann. Im Liedgesang ist das vokale Gender Crossing auch heute noch die Ausnahme und Schumanns „Dichterliebe“ so unbestritten ein männliches Territorium wie Wagners „Wesendonck-Lieder“ oder Strauss‘ „Vier letzte Lieder“ eine Soprandomäne. Sängerinnen wie Lotte Lehmann, die bereits 1941 die „Dichterliebe“ aufnahm, haben früher und erfolgreicher mit dieser Tradition gebrochen als ihre männlichen Kollegen, die bis heute etwa um „Frauenliebe und -leben“ verlegen einen Bogen machen. Auch wenn in einen Fall ein männliches, im andern ein weibliches lyrisches Ich spricht, handelt es sich beide Male um emotionale Haltungen, die an kein Geschlecht gebunden sind, sondern die jeder Liebende erfahren kann. Dabei hat Schumann, anders als Wagner oder Strauss, „Dichterliebe“ nicht einmal für eine spezifizierte Stimmgattung geschrieben und den Zyklus überdies im Erstdruck der Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient gewidmet – ein Fingerzeig, den man nicht übersehen sollte. Lotte Lehmann stürzt sich mit opernhafter Identifizierung, ja geradezu exzentrischer Emphase in die Erzählung einer unglücklichen Liebe, die mit dem Begraben aller Träume endigt. Dancos Darstellung wirkt dagegen moderner, jedenfalls zurückhaltender und selbstverständlicher. Man käme erst gar nicht auf den Gedanken einer übergriffigen Inbesitznahme. Danco ist keine interventionistische Interpretin, die sich vor die Musik stellt, gar das singende Ich mit ihrer eigenen Person verwechselt. Sie nimmt vielmehr eine deutlich distanzierende Haltung ein, wie sie Schumanns Musik entspricht. Akzeptiert man dies, so wird man ihre leichte, bewegliche Stimmführung auch nicht, wie man ihr oft vorwarf, als gläsern, gar kühl charakterisieren. Was scheinbar so einfach klingt, ist in Wahrheit ein subtile Deklamation der musikalischen Prosodie, die das ganze emotionale Spektrum des Erlebens ausschöpft – Witz und Ironie etwa im gleich folgenden Lied „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“, in sich hinein gesungene Empfindsamkeit im daran anschließenden Lied „Am leuchtenden Sommermorgen“ oder den tiefsten, geradezu unterdrückten Schmerz im Lied „Ich hab‘ im Traum geweinet“.

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Musik 2 Robert Schumann: „Dichterliebe“, Op. 48, Nr. 11-16 (Suzanne Danco, Sopran/Guido Agosti, Klavier – Aufnahme: 26.-28. April 1949)

Suzanne Danco, der die heutige „Klassiker“-Sendung gewidmet ist, sang in einer Aufnahme aus dem Jahr 1949 die letzten sechs Lieder aus Robert Schumanns Zyklus „Dichterliebe“. Am Klavier begleitete einfühlsam Guido Agosti, Partner so gut wie aller ihrer Lied- Einspielungen. So idiomatisch sich Suzanne Danco nicht nur musikalisch, sondern auch sprachlich ins deutsche Lied einzufühlen vermochte, ganz zuhause war sie im französischen Kunstlied des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der „mélodie“. Die jetzt neu aufgelegte Sammlung ihrer Decca-Aufnahmen enthält mit Kompositionen von Hector Berlioz, Charles Gounod, Gabriel Fauré, Claude Debussy und wesentliche Stationen der französischen Liedgeschichte von der Romantik bis zur Moderne. Wie ihre große Vorgängerin Ninon Vallin war sie eine unübertreffliche Debussy-Interpretin, weil sie die Melodie nicht spricht, sondern die Worte melodisiert. Sie widersteht der Versuchung, emotional zu werden und fügt dem Ausdruck, wie er komponiert ist, keine Exaltation der Leidenschaften hinzu. Alles ist Kontur und Linie und dennoch klingt ihr Ton berückend, ja geradezu schwärmerisch. Suzanne Danco singt mit dem geistigen Bewußtsein, nicht mit dem Affekt. Wir hören sie zunächst in zwei Liedern aus Debussys „Ariettes oubliées“ auf Texte von Paul Verlaine. Im ersten, „Green“, überhäuft der Liebende die Geliebte mit Blumen, Blättern und Zweigen; im zweiten, „Spleen“, leidet er unter der fixen Idee, dass sie ihn verlässt. Am Klavier begleitet wieder Guido Agosti. Die Aufnahme entstand im Dezember 1950.

Musik 3 Claude Debussy: „Ariettes oubliées“, L.60, Nr.5 „Green“ und Nr.6 „Spleen“ (Suzanne Danco, Sopran/Guido Agosti, Klavier – Aufnahme: 7.-9. Dezember 1950)

Suzanne Danco, am Klavier begleitet von Guido Agosti, sang zuletzt in einer Aufnahme vom Dezember 1950 zwei Lieder aus den „Ariettes oubliées“ von Claude Debussy. Leichtfüßig und betörend gestaltet sie auch die schwärmerische Erotik von Debussys kleinem Liedzyklus „Trois Chanson de Bilitis“. Bei den drei Liedern der Bilitis handelt es sich um Vertonungen von Prosagedichten, die der mit dem Komponisten befreundete Pierre Louÿs einer fiktiven Zeitgenossin der antiken Dichterin Sappho in den Mund legt. Im ersten Lied, „La flûte de Pan“, spielt Bilitis mit ihrem Liebhaber gemeinsam auf der Hirtenflöte; im zweiten, „La chevelure“, berauscht er sich im Traum an ihrem Haar; im dritten, „Le tombeau de Naïades“, jagt Bilitis am winterlichen Grab der Najaden einen Satyr. Suzanne Danco wird wiederum von Guido Agosti

4 begleitet. Die hinreißende Aufnahme – äußerlich kühl, innerlich brennend – entstand im Dezember 1950.

Musik 4 Claude Debussy: „Trois Chansons de Bilitis“, L.90 (Suzanne Danco, Sopran/Guido Agosti, Klavier – Aufnahme: 7.-9. Dezember 1950)

Zuletzt hörten wir Suzanne Danco, am Klavier begleitet von Guido Agosti, in einer Aufnahme aus dem Jahr 1950 mit den „Trois Chansons de Bilitis“ von Claude Debussy. Zum Abschluss der heutigen „Klassiker“- Sendung, die an die belgische Sopranistin erinnert, greifen wir aus der Fülle ihrer auf acht CDs wiederaufgelegten DECCA-Recitals ein Lied heraus, das abseits ihres üblichen Repertoires liegt und doch ins Zentrum ihrer Kunst führt – Johann Sebastian Bachs „Komm, süßer Tod, komm, sel’ge Ruh“ aus dem 1736 erschienenen „Schemellischen Gesangbuch“. Die berührende, ins Herz treffende Wirkung ihres Gesangs beruht einmal mehr darauf – so Jürgen Kesting –, „dass Suzanne Danco den Text mit strenger Expressivität vorträgt, ihn aber nicht emotionalisiert.“ An der Orgel begleitet Jeanne Demessieux; die Aufnahme entstand im Oktober 1952.

Musik 5 Johann Sebastian Bach: „Komm, süßer Tod“ aus dem „Schemelli- Gesangbuch“, BWV 478 (Suzanne Danco, Sopran/Jeanne Demessieux, Orgel – Aufnahme: Oktober 1952)

Zum Schluss der heutigen Klassiker-Sendung sang Suzanne Danco, von Jeanne Demessieux an der Orgel begleitet, das geistliche Lied „Komm, süßer Tod“ von Johann Sebastian Bach.

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