WESTERWELLE-Interview für die "Neue Osnabrücker Zeitung"

FDP| 27.08.2005 - 02:00

WESTERWELLE-Interview für die "Neue Osnabrücker Zeitung"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. gab der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HANS BRINKMANN:

Frage: Herr Westerwelle, die Linkspartei trifft sich heute zum Parteitag in . Wie schätzen Sie die Gruppierung PDS/WASG ein - als drittstärkste Kraft, die Union und FDP am 18. September die Mehrheit kosten kann, oder doch eher als instabile Verbindung, die in der Wählergunst noch deutlich absacken dürfte?

WESTERWELLE: Die Gefahr, daß es nach dieser Bundestagswahl eine linke Mehrheit aus SPD, PDS und Grünen im gibt, ist absolut real. Und wenn es dazu kommt, dann werden SPD, PDS und Grüne auch eine linke Regierung bilden. Das wäre verheerend für das Land; dies würde die Arbeitslosigkeit verdoppeln und nicht halbieren.

Frage: Was macht Sie so sicher, daß diese Parteien tatsächlich ein Regierungsbündnis schmieden - bei all den Gegensätzen auch personeller Art, etwa zwischen Schröder und Lafontaine?

WESTERWELLE: Bundeskanzler Schröder ist nach dieser Bundestagswahl Geschichte; er macht nur noch seine Abschiedstournee. An seine Stelle wird jemand aus der nächsten Generation rücken -vielleicht Herr Wowereit, vielleicht Herr Gabriel. Die haben keinerlei Hemmungen, mit der PDS und den Grünen zusammen eine Regierung zu bilden - siehe Berlin. Andere werden sich einbinden lassen, auch ein Herr Fischer von den Grünen. Der sieht doch den Weltfrieden in Gefahr ohne einen Außenminister Joseph Fischer. Und was Herrn Lafontaine angeht: Für Oskar Lafontaine ist die PDS nur der nützliche Idiot im Sinne Lenins. Anders als ist Lafontaine nicht von der Sache getrieben, sondern von dem Durst nach einem Triumph über Gerhard Schröder. Für ihn ist die PDS nur eine Warteschleife auf dem Weg zurück an die SPD-Spitze.

Frage: Hessens Ministerpräsident Koch hat gefordert, die "Bedrohung durch ein rot-rot-grünes Bündnis" stärker herauszustellen und den Wahlkampf darauf zuzuspitzen. Halten Sie das auch für angebracht?

WESTERWELLE: Die Wahlkampfführung der Union muß Herr Koch mit der Unionsspitze besprechen; die FDP braucht diesen Weckruf nicht. Wir haben von Anfang an gesagt: Schwarzgelb statt Rotgrün. Und erst Recht Rot-Rot-Grün. Und ich denke, daß auch zunehmend mehr Bürger erkennen, wie gefährlich eine solche linke Mehrheit im Bundestag wäre. Umgekehrt kann ich verbindlich versichern: Wenn Schwarzgelb auch nur eine Stimme Mehrheit hat gegenüber den Linksparteien, werden wir eine gemeinsame, überzeugende Bundesregierung bilden.

Frage:Wie sehen Sie denn die Rolle der Gewerkschaften mit Blick auf SPD und Linkspartei? Ex- Sozialminister Riester bemüht sich gerade, Gewerkschafter für einen Wahlaufruf zugunsten der SPD zu gewinnen...

WESTERWELLE: Es ist verheerend, wie viele Gewerkschaftsfunktionäre mittlerweile diesen neosozialistischen Thesen hinterher rennen. Das belegt im Übrigen auch meine seit Jahren vertretene Auffassung, daß wir die Arbeitnehmerrechte gegenüber diesen abgehobenen Gewerkschaftsfunktionären dringend stärken müssen. Wir werden dafür sorgen, daß künftig die

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Arbeitnehmer in den Betrieben mehr entscheiden können und die Vetorechte von Gewerkschaftsfunktionären gegen die Arbeitnehmerentscheidungen abgeschafft werden.

Frage: Auf solche Vorhaben hat Schröder mit dem Vorwurf reagiert, bei einer Regierung von Union und FDP gerate der innere Frieden in Gefahr...

WESTERWELLE: Das ist absurd. Der innere Frieden Deutschlands wird durch nichts mehr gefährdet als durch Massenarbeitslosigkeit, marode Staatsfinanzen und ein brüchiges Sozialsystem. Dafür trägt eben dieser Bundeskanzler mit seiner rotgrünen Regierung in den letzten sieben Jahren die Verantwortung.

Frage: Union und FDP treffen sich am 1. September zum sogenannten "Wechselgipfel". Wird da neben einer Demonstration der Regierungsalternative auch noch einmal Tacheles geredet über die Strategie und Wahlkampfpatzer?

WESTERWELLE: Dieser Wechselgipfel ist zwischen den Parteivorsitzenden von CDU, CSU und FDP vereinbart worden, weil wir noch einmal der Öffentlichkeit klarmachen wollen, was das Gegenmodell zu einer linken Mehrheit im Bundestag ist. Wir wollen das klare gegenseitige Koalitionsbekenntnis bekräftigen und zeigen, daß wir willens und auch fähig sind, einen Neuanfang in Deutschland zu schaffen.

Frage: Aber es gibt doch anhaltende Differenzen. Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Glos, hat gerade erklärt, die von der Union angestrebte Erhöhung der Mehrwertsteuer sei "nicht verhandelbar". Läßt sich die FDP so abspeisen?

WESTERWELLE: Das sind starke Sprüche, die auch in dem einen oder anderen Bierzelt gut ankommen. Aber wenn man miteinander regieren will, dann setzt man sich an einen Tisch, führt Koalitionsverhandlungen, und dann weiß jeder, auch Herr Glos: Keiner geht aus Koalitionsverhandlungen so raus wie er reingegangen ist.

Frage: Das heißt im Klartext: Die Mehrwertsteuer ist verhandelbar?

WESTERWELLE: Wir wollen keine Mehrwertsteuer-Erhöhung, weil sie Kaufkraft schmälert und die Schwarzarbeit eher befördert. Mit der Berufung von Prof. Kirchhof ins Kompetenzteam der Union haben wir da nun auch einen hervorragenden Verbündeten...

Frage: ...der aber just erklärt hat, er trage die Erhöhung der Mehrwertsteuer mit...

WESTERWELLE: Er hat sie mehrfach abgelehnt. Ich verstehe, daß die Union bei dem bleibt, was sie in ihrem Programm aufgeschrieben hat. Umgekehrt muß aber auch die Union verstehen, daß wir für unser Programm werben. Und wir sind der Überzeugung, Steuersenkungspolitik ist das beste Beschäftigungsprogramm. Wir werden ein niedrigeres und gerechteres Steuerrecht durchsetzen. Das ist die Mutter aller Reformen, denn nur so werden wir wieder international wettbewerbsfähig und schaffen in Deutschland neue Arbeitsplätze. Ich bin überzeugt: Mit Professor Kirchhof, unserem Finanzexperten Hermann-Otto Solms und vielen Gleichgesinnten in den Ländern wie dem Hamburger Wirtschaftssenator Ulldal sind wir in der Lage, innerhalb weniger Wochen einen völligen Neuanfang im deutschen Steuerrecht zu vereinbaren und auf den Weg zu bringen.

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