Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/247

Deutscher

Stenografischer Bericht

247. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 32: tragsschulden in der Krankenversi- cherung Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Drucksachen 17/13402, 17/13947) . . 31701 A desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucher- – Bericht des Haushaltsausschusses ge- rechterichtlinie und zur Änderung des Ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung setzes zur Regelung der Wohnungsvermitt- (Drucksache 17/13959) ...... 31701 A lung (Drucksachen 17/12637, 17/13951) ...... 31691 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit Dr. (FDP) ...... 31691 B – zu dem Antrag der Abgeordneten (Schwandorf)  Dr. , Elke Ferner, (SPD) ...... 31692 D Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und (CDU/CSU) ...... 31693 D der Fraktion der SPD: Keine über- höhten Säumniszuschläge bei Bei- (DIE LINKE) ...... 31695 C tragsschulden Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ – zu dem Antrag der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 31696 B Dr. , , Sören Bartol (SPD) ...... 31697 B Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Privat Versicherte solidarisch versichern – Namentliche Abstimmung ...... 31698 C Private Krankenversicherung als Vollversicherung abschaffen Ergebnis ...... 31698 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, weiterer Ab- Zusatztagesordnungspunkt 15: geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versorgung der privat Ver- a) – Zweite und dritte Beratung des von sicherten im Basistarif sicherstellen den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines (Drucksachen 17/12069, 17/10119, 17/5524, Gesetzes zur Beseitigung sozialer 17/13947) ...... 31701 B Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung , Bundesminister  (Drucksachen 17/13079, 17/13947) . . 31701 A BMG ...... 31701 C – Zweite und dritte Beratung des von der Dr. Karl Lauterbach (SPD) ...... 31702 D Bundesregierung eingebrachten Ent- Lars Lindemann (FDP) ...... 31703 D wurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Bei- (CDU/CSU) ...... 31704 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Kathrin Vogler (DIE LINKE) ...... 31705 B scheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013 (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 17/13870) ...... 31730 C DIE GRÜNEN) ...... 31706 C Gabriele Molitor (FDP) ...... 31707 B in Verbindung mit Dr. Marlies Volkmer (SPD) ...... 31707 D (CDU/CSU) ...... 31708 D Zusatztagesordnungspunkt 17: Dr. Marlies Volkmer (SPD) ...... 31710 A Erste Beratung des von der Fraktion der SPD (CDU/CSU) ...... 31710 A eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht (Drucksache 17/13871) ...... 31730 C Tagesordnungspunkt 63: a) Erste Beratung des von der Fraktion der in Verbindung mit SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Ergänzung des Grundgesetzes um Volksinitiative, Volksbegehren, Zusatztagesordnungspunkt 18: Volksentscheid und Referendum (Drucksache 17/13873) ...... 31711 D Erste Beratung des von den Abgeordneten (Köln), , , b) Erste Beratung des von der Fraktion der weiteren Abgeordneten und der Fraktion SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten zes über Abstimmungen des Bundesvol- Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der kes (Bundesabstimmungsgesetz) Entscheidung des Bundesverfassungsge- (Drucksache 17/13874) ...... 31711 D richts vom 7. Mai 2013 zur Gleichstellung (SPD) ...... 31712 A eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht (CDU/CSU) ...... 31714 C (Drucksache 17/13872) ...... 31730 C Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) ...... 31715 D (DIE LINKE) ...... 31716 C in Verbindung mit Stephan Thomae (FDP) ...... 31717 D Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ Zusatztagesordnungspunkt 19: DIE GRÜNEN) ...... 31719 A Antrag der Abgeordneten Volker Beck (CDU/CSU) ...... 31720 C (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Dr. (BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN: Das Recht auf DIE GRÜNEN) ...... 31723 A Eheschließung für Personen gleichen Ge- Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) ...... 31723 C schlechts einführen (Drucksache 17/13912) ...... 31730 D Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE  GRÜNEN) (Erklärung nach § 30 GO) . . . 31723 D in Verbindung mit Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) ...... 31724 A Dr. (CDU/CSU) ...... 31724 D Zusatztagesordnungspunkt 20: (FDP) ...... 31725 C Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Altötting)  (Köln), Lisa Paus, Kai Gehring, weiterer Ab- (CDU/CSU) ...... 31726 C geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) ...... 31728 B DIE GRÜNEN: Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Febru- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) ...... 31728 D ar 2013 und vom 7. Mai 2013 zur Gleich- stellung eingetragener Lebenspartner- schaft mit der Ehe im Adoptions- und Ein- Zusatztagesordnungspunkt 16: kommensteuerrecht umsetzen Erste Beratung des von den Fraktionen der (Drucksache 17/13913) ...... 31730 D CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 31731 B eines Gesetzes zur Änderung des Einkom- mensteuergesetzes in Umsetzung der Ent- Ingrid Arndt-Brauer (SPD) ...... 31732 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 III

Michael Kauch (FDP) ...... 31734 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 31734 C menarbeit und Entwicklung Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ – zu dem Antrag der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 31735 B Dr. Bärbel Kofler, Dr. h. c. Gernot (CDU/CSU) ...... 31736 C Erler, Ulla Burchardt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Für eine nachhaltige Entwicklungs- DIE GRÜNEN) ...... 31737 D agenda ab 2015 – Millenniumsent- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 31738 B wicklungsziele und Nachhaltigkeits- ziele gemeinsam gestalten Olav Gutting (CDU/CSU) ...... 31738 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Johannes Kahrs (SPD) ...... 31738 D Thilo Hoppe, Dr. Valerie Wilms, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Dr. Daniel Volk (FDP) ...... 31739 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Für universelle Nachhaltig- keitsziele – Entwicklungs- und Um- Tagesordnungspunkt 65: weltagenda zusammenführen a) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksachen 17/13762, 17/13727, 17/13945) 31749 A Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Harald Leibrecht (FDP) ...... 31749 C Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, Dr. Bärbel Kofler (SPD) ...... 31750 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesundheit und Pflege soli- Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 31751 C darisch finanzieren (DIE LINKE) ...... 31752 C (Drucksachen 17/7197, 17/13929) ...... 31741 A Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ b) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN) ...... 31753 B Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Abgeordneten Harald Weinberg, Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) ...... 31754 B Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Karin Roth (Esslingen) (SPD) ...... 31755 C Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zuzahlungen für Patientinnen und Patienten jetzt abschaffen Tagesordnungspunkt 67: (Drucksachen 17/9067, 17/13067) ...... 31741 B a) Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Heinz Lanfermann (FDP) ...... 31741 B Schmidt, , Bärbel Höhn, Dr. (SPD) ...... 31743 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu der Willi Zylajew (CDU/CSU) ...... 31745 B Empfehlung für einen Beschluss des Harald Weinberg (DIE LINKE) ...... 31746 C Rates über die Ermächtigung zur Auf- nahme von Verhandlungen über ein Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ umfassendes Handels- und Investitions- DIE GRÜNEN) ...... 31748 A abkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft genannt, zwischen der Europäischen Union und Tagesordnungspunkt 64: den Vereinigten Staaten von Amerika – KOM(2013) 136 endg.; Ratsdok. a) Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, 7396/13 –  Dr. Christian Ruck, Hartwig Fischer (Göt- hier: Stellungnahme gegenüber der tingen), weiterer Abgeordneter und der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Ab- Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des ordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Gesetzes über die Zusammenarbeit von , Helga Daub, weiterer Ab- Bundesregierung und Deutschem Bun- geordneter und der Fraktion der FDP: Mil- destag in Angelegenheiten der Europäi- lenniumsentwicklungsziele, Post-MDG- schen Union – Transatlantische Han- Agenda und Nachhaltigkeitsziele – Für dels- und Investitionspartnerschaft nur eine gut verständliche, umsetzungsori- mit starken Standards entierte und nachprüfbare globale Ent- (Drucksache 17/13925) ...... 31757 B wicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda nach 2015 b) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, (Drucksache 17/13893) ...... 31749 A Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Barbara Höll, IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 66: DIE LINKE: zu der Empfehlung für ei- Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung nen Beschluss des Rates über die Er- der Beteiligung bewaffneter deutscher mächtigung zur Aufnahme von Ver- Streitkräfte an der United Nations Interim handlungen über ein umfassendes Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage Handels- und Investitionsabkommen, der Resolution 1701 (2006) vom 11. August transatlantische Handels- und Investi- 2006 und folgender Resolutionen, zuletzt tionspartnerschaft genannt, zwischen 2064 (2012) vom 30. August 2012 des Si- der Europäischen Union und den Vereinig- cherheitsrates der Vereinten Nationen ten Staaten von Amerika – KOM(2013) (Drucksache 17/13753) ...... 31765 B 136 endg.; Ratsdok. 7396/13 –  hier: Stellungnahme gegenüber der Dr. , Bundesminister  Bundesregierung gemäß Artikel 23 Ab- AA ...... 31765 C satz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 31766 C Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Thomas Kossendey (CDU/CSU) ...... 31767 D Bundestag in Angelegenheiten der Eu- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... ropäischen Union – Keine weitere Libe- 31769 A ralisierung über ein EU-Freihandelsab- (Bremen) (BÜNDNIS 90/ kommen mit den USA DIE GRÜNEN) ...... 31769 B (Drucksache 17/13894) ...... 31757 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 31770 A in Verbindung mit Erich G. Fritz (CDU/CSU) ...... 31771 A

Zusatztagesordnungspunkt 21: Tagesordnungspunkt 68: Antrag der Fraktion der SPD: zu der Emp- Antrag der Bundesregierung: Entsendung fehlung für einen Beschluss des Rates über bewaffneter deutscher Streitkräfte zur die Ermächtigung zur Aufnahme von Beteiligung an der Multidimensionalen In- Verhandlungen über ein umfassendes tegrierten Stabilisierungsmission in Mali Handels- und Investitionsabkommen, (MINUSMA) auf Grundlage der Resolu- transatlantische Handels- und Investitions- tion 2100 (2013) des Sicherheitsrates der partnerschaft genannt, zwischen der Euro- Vereinten Nationen vom 25. April 2013 päischen Union und den Vereinigten Staa- (Drucksache 17/13754) ...... 31772 B ten von Amerika – KOM(2013) 136 endg.; Ratsdok. 7396/13 –  Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- AA ...... 31772 B desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 Ullrich Meßmer (SPD) ...... 31773 B des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesre- Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister  gierung und Deutschem Bundestag in An- BMVg ...... 31774 C gelegenheiten der Europäischen Union – (DIE LINKE) ...... 31775 B Die Verhandlungen mit den USA zu einem transatlantischen Handels- und Investi- (BÜNDNIS 90/ tionsabkommen konsequent an europäi- DIE GRÜNEN) ...... 31776 A schen Standards ausrichten Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 31777 A (Drucksache 17/13904) ...... 31757 C Dr. (BÜNDNIS 90/ Nächste Sitzung ...... 31778 C DIE GRÜNEN) ...... 31757 D (CDU/CSU) ...... 31758 C Anlage 1 Rolf Hempelmann (SPD) ...... 31760 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 31779 A Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) ...... 31761 B Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 31762 D Anlage 2 Erich G. Fritz (CDU/CSU) ...... 31763 D Amtliche Mitteilungen ...... 31780 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31691

(A) (C)

247. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Beginn: 10.00 Uhr

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: setzung der EU-Verbraucherrechterichtlinie ist ein gutes Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist er- Beispiel für genau diesen Mittelweg. Ich trage Ihnen öffnet. auch einige Gedanken meiner Kollegin vor, die sich in diesem Bereich erheblich eingebracht hat Wir haben gestern zwischen den Fraktionen verabre- und heute leider nicht hier sein kann. det, dass heute zuerst der Tagesordnungspunkt 32 aufge- rufen wird: In den letzten Jahren hat der grenzüberschreitende Handel gerade im Internet zugenommen. Wir alle ken- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- nen das: Wir freuen uns darüber, im Internet Waren kau- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes fen zu können, schrecken aber manchmal davor zurück, zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtli- wenn das auf europäischer Ebene geschieht. Wir wissen, nie und zur Änderung des Gesetzes zur Rege- dass im Internet jedes Jahr Waren im Wert von 30 Mil- lung der Wohnungsvermittlung liarden Euro bestellt werden und dieser Bereich starke (B) – Drucksache 17/12637 – Zuwächse erfährt. (D) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- Problematisch wird es erst, wenn nach dieser schönen schusses (6. Ausschuss) Bestellung festgestellt wird, dass es Probleme gibt, dass nämlich die Rückgabe oder andere Dinge kompliziert – Drucksache 17/13951 – sind. Genau um diesem Problem zu begegnen, wurde Berichterstattung: nun auf europäischer Ebene die Verbraucherrechtericht- Abgeordnete Marco Wanderwitz linie erlassen, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Marianne Schieder (Schwandorf) in deutsches Recht umgesetzt wird. Judith Skudelny  Ich möchte noch einmal betonen, dass die Richtlinie Ingrid Hönlinger dem Prinzip der Vollharmonisierung folgt. Also: Die Mitgliedstaaten müssen genau diese Regelungen erlas- Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der sen. Die Vorgabe wird von der Regierungskoalition nun SPD und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bünd- auch umgesetzt. nis 90/Die Grünen vor. Über den Änderungsantrag wer- den wir namentlich abstimmen. Es werden zusätzliche verbraucherschützende Rege- lungen geschaffen, die allen Verbrauchern europaweit ein- Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu diesem Tages- heitliche Rechte garantieren. Wer also künftig über das In- ordnungspunkt zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich ternet in einem EU-Mitgliedstaat etwas bestellt, muss sich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. nicht mehr mit den komplizierten einzelstaatlichen gesetz- Ich eröffne die Sitzung und gebe das Wort dem Kolle- lichen Regelungen auseinandersetzen. Es gilt überall der gen Dr. Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion. gleiche Verbraucherrechtsschutz; das Niveau ist überall gleich. Ich glaube, das ist ein sehr guter Erfolg. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Von dieser Vereinheitlichung des Schutzes wird der grenzüberschreitende Handel entscheidend profitieren; denn Unternehmen können nun auch ohne Rechtsbera- Dr. Stefan Ruppert (FDP): tung, mit der ja hohe Kosten verbunden sind, europaweit Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und tätig werden. Das freut mich vor allem, weil das kleinen Herren! Ich möchte mit den Worten einleiten, dass die Unternehmen den Markt erst richtig öffnet. FDP seit jeher für einen angemessenen Ausgleich zwi- schen Verbraucherschutz und fairem Wettbewerb steht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Der heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf zur Um- der CDU/CSU) 31692 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Dr. Stefan Ruppert (A) Die Zielsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs und Mietpreisen in Deutschland finde ich es gut, dass (C) bietet somit nur Vorteile für alle Beteiligten. Bei seiner Sie nun auch versuchen, dieses Thema im vorliegenden konkreten Ausgestaltung haben wir noch einige Punkte Gesetz zu verankern. mit minimalem Änderungsbedarf erkannt und ihn ent- sprechend verbessert. (Lachen bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Da muss er selber lachen!) Künftig gelten bei Einkäufen, die außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatz getätigt werden, Da wir hier aber über eine europarechtliche Vereinheitli- europaweit die gleichen Informationspflichten und Wi- chung der Informationspflichten für Unternehmer und derrufsrechte. Wer also in Onlineshops in anderen euro- der Widerrufsrechte für Verbraucher diskutieren, ist das päischen Staaten einkauft, genießt die gleichen rechtli- Thema sicherlich an anderer Stelle besser aufgehoben. chen Regelungen bezüglich der Informationen und Man merkt auch, Sie wissen das selbst sehr gut. Rückgaberechte wie bei deutschen Internetshops. An die Adresse der Fraktion von Bündnis 90/Die Daneben wird die Frist, innerhalb derer im Fernabsatz Grünen möchte ich noch sagen: Es ist schön, dass Sie in oder an der Haustür geschlossene Verträge ohne Angabe Ihrem Entschließungsantrag fordern, in kaufrechtlichen von Gründen widerrufen werden können, europaweit auf Gewährleistungsrechten umfassende Regelungen vorzu- 14 Tage vereinheitlicht; bisher galt bekanntlich nur eine sehen, die den Interessen der kleinen und mittelständi- Mindestfrist von 7 Tagen. schen Unternehmen bei der Übernahme von Kosten für den Ein- und Ausbau einer mangelhaften Sache Rech- Künftig wird es bei unterlassener oder nicht ord- nung tragen. Aber wenn das so einfach zu regeln wäre, nungsgemäßer Widerrufsbelehrung kein ewiges Wider- hätten Sie uns doch mit Sicherheit heute schon einen fer- rufsrecht mehr geben, sondern dieses Recht erlischt nach tigen Gesetzentwurf vorgelegt, wie Sie das sonst auch einem Jahr und 14 Tagen. Auch durch diese Regelung tun. So einfach, wie Sie es sich machen, ist es leider haben kleine Unternehmen deutlich mehr Rechts- und nicht. Planungssicherheit, da damit Widerrufsbegehren, deren Anlass schon Jahre zurückliegt, ausgeschlossen werden (Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- können. Ich finde, auch das ist ein sehr guter Ansatz die- NEN]: Das wird schon!) ses Gesetzes. Wir müssen Ihre Anträge ablehnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der der CDU/CSU) CDU/CSU) Wir haben weitere Erleichterungen für Unternehmen Abschließend ist zu sagen, dass das vorliegende Ge- (B) (D) geschaffen, eine Musterwiderrufsbelehrung. Da es ge- setz eine gute und konstruktive Umsetzung der Richtli- rade für kleine Unternehmen schwierig sein kann, eine nie der europarechtlichen Ebene ist. Wir erhalten nicht korrekte einheitliche Widerrufsbelehrung zu erstellen, nur das hohe deutsche Verbraucherschutzniveau, son- profitieren von dieser Vereinfachung sowohl die Unter- dern vereinheitlichen es auch auf europäischer Ebene. nehmen als auch die Verbraucher. Wir haben hier also Die erwähnten Nachbesserungen beraten wir nun ab- eine gute Balance gefunden. schließend und haben dann ein Gesetz, von dem der eu- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der ropäische Verbraucher entscheidend profitieren wird. CDU/CSU) Die angesprochenen Vorteile, die sich für den grenzüber- schreitenden Handel ergeben, führen dazu, dass sich ins- Ein weiterer Punkt, bei dem die FDP unnötige Büro- gesamt eine gute Situation für alle ergibt. Die Unterneh- kratie vermeiden konnte – Sie wissen, das ist ein wichti- men, gerade kleine Unternehmen, haben neue Chancen, ges Anliegen unserer Partei –, sind die Ausnahmen von und der Verbraucher ist geschützt. Das ist eine gute Ba- den umfangreichen Informationspflichten bei Geschäf- lance. Ich glaube, damit gehen wir einen richtigen und ten des täglichen Lebens wie der Lieferung von Lebens- guten Schritt. mitteln. Bei diesen Geschäften ständen die Informations- pflichten in keinem Verhältnis zu dem Wert des Vielen Dank. Geschäfts. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Für Pauschalreiseverträge, die auf Kaffeefahrten ab- geschlossen werden, besteht auch künftig ein Widerrufs- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: recht. Dieses Recht gilt allerdings nicht für Verträge, bei Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Marianne denen sich der Verbraucher einen Unternehmer zur Ver- Schieder das Wort. tragsschließung nach Hause bestellt hat, da hier das Ar- gument des Überrumpelns, also der Schutz des Verbrau- (Beifall bei der SPD) chers, nicht mehr greifen kann. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Ich möchte noch kurz auf die Änderungs- bzw. Ent- schließungsanträge der Oppositionsfraktionen eingehen. Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- legen! Wir sprechen heute abschließend über ein für die Liebe Kollegen von der SPD, inhaltlich werde ich auf Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land Ihren Änderungsantrag nicht eingehen. Aber nach all sehr wichtiges Gesetzgebungsvorhaben, nämlich über den Debatten der letzten Wochen zu bezahlbaren Mieten die Umsetzung der EU-Verbraucherrechterichtlinie. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31693

Marianne Schieder (Schwandorf) (A) Sehr erfreulich ist – das möchte ich ausdrücklich be- Abschließend möchte ich noch ganz kurz auf unseren (C) tonen –, dass es gelungen ist, mit der sehr wünschens- wirklich sehr guten Änderungsantrag eingehen. Herr werten und notwendigen Vollharmonisierung im Bereich Kollege Ruppert, Sie müssen irgendetwas verwechselt des Verbraucherschutzes das hohe Niveau des deutschen haben; denn Sie laufen uns hinterher und nicht wir Ih- Verbraucherschutzes zu erhalten. Dies wurde uns auch nen. von den Experten und Expertinnen in der Anhörung vor dem Rechtsausschuss bestätigt. (Sören Bartol [SPD]: Da hat er selber gelacht! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Na ja!) Verbraucherinnen und Verbraucher sollen beim Er- werb von Waren oder Dienstleistungen europaweit ein- Dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vor überteu- heitliche Rechte erhalten, europaweit können einheitli- erten Mieten geschützt werden müssen, haben inzwi- che Muster für Widerrufsbelehrungen genutzt werden, schen alle erkannt, selbst die Union und, wie ich hoffe, und die Informationspflichten sind vollständig harmoni- auch die FDP. Die Bundeskanzlerin hat dies vor kurzer siert. Das ist sehr gut für die Kundinnen und Kunden. Zeit auf dem Verbrauchertag erst selbst gefordert. Sie hat Auch dass Verbraucherverträge, die im Fernabsatz oder damit eingestanden, dass wir Sozialdemokraten mit un- an der Haustür geschlossen wurden, künftig europaweit serer Forderung nach einer Deckelung von exzessiv stei- ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen wi- genden Mieten recht haben, dass wir uns damit auf dem derrufen werden können, ist sehr begrüßenswert. richtigen Weg befinden. Sie will das Ganze ja überneh- men. Sehr schade aber finde ich es, dass es der Bundes- regierung bei ihren Verhandlungen auf europäischer Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Ebene nicht gelungen ist, unser „ewiges“ Widerrufsrecht allen Dingen von Union und FDP, auf: zu erhalten. Jetzt ist es zu spät. Wir müssen die Vorgaben der Richtlinie umsetzen, Ausnahmen sind nicht gestattet. (Sören Bartol [SPD], an die CDU/CSU und Das bedeutet, dass das Widerrufsrecht bei unterbliebener FDP gewandt: Ihr habt heute die Chance, eurer oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung künftig schon Kanzlerin zu folgen!) nach 12 Monaten und 14 Tagen erlischt. Stimmen Sie heute unserem Änderungsantrag zu, und ( [CDU/CSU]: Was?) schaffen Sie wirklichen Verbraucherschutz für die Men- schen in diesem Land! – Ja freilich stimmt das. – Der Gesetzentwurf enthält zahlreiche gute Ansätze, aber man könnte ihn noch bes- Herzlichen Dank. ser machen. (Beifall bei der SPD) (B) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin (D) Binder [DIE LINKE] und Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Einige Vorschläge der Sachverständigen haben Sie auf- Marco Wanderwitz. gegriffen, und auch die Anregungen des Bundesrates ha- ben Sie berücksichtigt. Nachzulesen ist das alles in ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nem Änderungsantrag von circa 120 Seiten, den Sie uns neten der FDP) immerhin schon 36 Stunden vor der Abstimmung im Rechtsausschuss haben zukommen lassen. Ich begrüße Marco Wanderwitz (CDU/CSU): es sehr, dass damit das Widerrufsrecht jetzt doch für Pauschalreisen gilt, die auf sogenannten Kaffeefahrten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gebucht werden. Nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen begegnen dem Was man aber noch besser hätte machen können, hat- grenzüberschreitenden Warenverkehr, speziell im Inter- ten Sie in Ihrem Referentenentwurf schon dargelegt, net, häufig mit einer gewissen Skepsis: Man hat es mit jetzt aber wieder herausgenommen und aus den Augen anderen Sprachen zu tun. Vor allen Dingen hat man es verloren. Sie hätten schon noch einmal intensiv über mit unterschiedlichen nationalen Rechtssystemen der eine Anpassung der Regelungen zur Nacherfüllung im Beteiligten zu tun. Verbrauchsgüterkaufrecht nachdenken sollen; denn diese Regelung genügt den verbraucherschützenden Vorgaben Die EU-Verbraucherrechterichtlinie, deren nationale der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht vollständig. Umsetzung in ein deutsches Gesetz wir heute hier be- schließen, wird das Vertrauen in den europäischen Bin- In diesem Zusammenhang sollte im Rahmen der nach nenmarkt an dieser Stelle entscheidend stärken. Durch den Vorgaben des EuGH erforderlichen Neuregelung des die Vereinheitlichung der Rechte in den Mitgliedstaaten § 439 BGB wirklich geprüft werden, ob diese Vorschrift schaffen wir einen rechtssicheren Raum, der Vorausset- nicht uneingeschränkt gelten kann, also nicht nur für zung für das Funktionieren des europäischen Binnen- Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch für marktes ist. Geregelt werden dabei Bereiche mit einem Unternehmerinnen und Unternehmer. Das wäre nämlich europäischen Mehrwert, also insbesondere der Erwerb wirklich eine sinnvolle Neuregelung, die vor allen Din- von Waren und Dienstleistungen im Fernabsatz und au- gen unseren kleineren und mittleren Unternehmen sehr ßerhalb von Geschäftsräumen. Hier gibt es klare grenz- helfen würde. überschreitende Bezüge, die eine europäische Regelung (Beifall bei der SPD) sinnvoll machen. 31694 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Marco Wanderwitz (A) Auf Drängen der Bundesregierung in Brüssel wurde Um eine rechtssichere Widerrufsbelehrung zu ermög- (C) eine Regelung gegen Kostenfallen im elektronischen lichen, haben wir Musterwiderrufsbelehrungen in unse- Geschäftsverkehr in die im Dezember in Kraft getretene ren Gesetzentwurf integriert, wie wir das auch schon an Verbraucherrechterichtlinie aufgenommen. Nach der so- anderen Stellen im BGB getan haben. Das machen wir genannten Schaltflächenlösung kommt ein im Internet verstärkt, um unmittelbar mit dem Gesetz Rechtssicher- geschlossener Vertrag nur dann zustande – darüber ha- heit zu bieten, statt es der Rechtsprechung zu überlassen, ben wir hier im Haus schon intensiv debattiert –, wenn das entsprechend auszuformulieren. dem Verbraucher alle wesentlichen Informationen ver- ständlich zur Verfügung gestellt werden, bevor er einen Ferner werden künftig die Informationen vereinheit- unmissverständlich als zahlungspflichtige Bestellung licht, die ein Unternehmer dem Verbraucher vor Ab- ausgewiesenen Button, eine Schaltfläche, anklickt. schluss eines Fernabsatzvertrages oder Haustürgeschäf- tes unaufgefordert zur Verfügung zu stellen hat. Sie sind Aufgrund des dringenden Handlungsbedarfs, weil es in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Da- an dieser Stelle so viel Missbrauch gab, haben wir diese tenträger zu geben oder bei Fernabsatzverträgen entspre- Regelung auch bereits im August vergangenen Jahres, chend nach Vertragsabschluss zu bestätigen. Wir haben also vorauseilend und vorzeitig, in nationales Recht um- dabei eine Bagatellklausel eingeführt: Bei sofort durch- gesetzt. Bereits vier Wochen nach dem Inkrafttreten hat geführten Reparaturen oder Wartungsarbeiten, sofern der der Verbraucherzentrale Bundesverband der neuen Re- Besuch bestellt war – wenn beispielsweise ein Haus- gelung eine große Wirkkraft attestiert. Von 109 über- haltsgerät kaputt gegangen ist –, haben wir die Anforde- prüften Internetseiten, die in der Vergangenheit den Ver- rungen an die Informationspflichten erleichtert. Ich braucherinnen und Verbrauchern wegen verschleierter denke, das ist sachgerecht. Preisangaben viel Ärger bereitet haben, waren laut vzbv 92 Prozent nicht mehr aufrufbar, oder eine Anmeldung Ebenfalls ein wichtiger Punkt – ich glaube, einer der war nicht mehr möglich. Das ist ein erfreuliches Zeichen wichtigsten dieses Gesetzentwurfs –: Wenn ein Unter- und bestätigt die Wirksamkeit unserer gesetzgeberischen nehmer im Internet Voreinstellungen wählt, die der Ver- Lösungen an diesem Punkt. braucher erst ablehnen muss, um eine Vereinbarung über Zusatzleistungen zu vermeiden, wenn beispielsweise ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kästchen vorangekreuzt ist, mit dem man bei Buchung der FDP) einer Reiseleistung gleichzeitig eine Reisekostenrück- Mit den weiteren heute zu beschließenden Regelun- trittsversicherung erwirbt – diese Regelung ist künftig gen geben wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern unzulässig. Wenn ein Kästchen vorangekreuzt ist, ist der Vertrag an dieser Stelle unwirksam. Künftig muss ein (B) im Hinblick auf Informationen, Lieferbedingungen und (D) Widerrufsrecht zusätzliche Rechte in die Hand. Insbe- Kästchen aktiv angekreuzt werden. Ich glaube, das ist sondere bei Einkäufen in Internetshops im EU-Ausland ein weiterer wichtiger Punkt für mehr Verbraucherschutz gelten künftig grundsätzlich dieselben Informations- und im Internet. Widerrufsrechte wie bei Einkäufen in deutschen Inter- Die Verbraucherrechterichtlinie folgt dem Prinzip der netshops. Das gilt natürlich, wenn es die anderen EU- umfassenden Vollharmonisierung. Das heißt, es gibt we- Länder umsetzen, jeweils auch für die Bürger dieser nig Abweichungsmöglichkeiten. Wir haben künftig ei- Länder. nen möglichst einheitlichen rechtlichen Rahmen in Eu- Die Frist, innerhalb derer Verbraucher im Fernabsatz ropa. Gleichwohl konnten wir einige Öffnungsklauseln oder an der Haustür geschlossene Verträge ohne Angabe vorab in Brüssel durchsetzen, die insofern wichtig sind, von Gründen widerrufen können, wird europaweit ein- als dass die Richtlinie in einigen Punkten unterhalb un- heitlich auf 14 Tage festgelegt. Bisher war eine Schutz- seres hohen deutschen Verbraucherschutzrechtsniveaus frist von 7 Tagen vorgesehen, und die allermeisten EU- liegt. Wir können jetzt durch die Öffnungsklauseln, die Länder haben sich auch nur an diese Frist gehalten. Das wir in einigen Punkten aufgenommen haben, über die ist also ein deutliches Mehr an Verbraucherschutz. vollharmonisierte Richtlinie hinausgehen, sodass es in keinem Punkt zu einem Schleifen hoher deutscher Ver- Das bislang – Kollegin Schieder hat es angesprochen – braucherschutzstandards kommt. unbegrenzte Widerrufsrecht bei unterlassener oder nicht ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung erlischt künftig Ein kleiner Teil dieses Gesetzentwurfs befasst sich in nach einem Jahr und 14 Tagen. Diese etwas atypische der Tat – möglicherweise ist das der Punkt, liebe Kolle- Frist ergibt sich dadurch, dass man die Jahresfrist nach ginnen und Kollegen der SPD, an dem Sie Ihren Ände- Ablauf der 14 Tage beginnen lässt. Dieser Punkt kommt rungsantrag andocken – mit Mieten. Wir haben im Zuge im Ergebnis sowohl den Unternehmen als auch den Ver- dieses Vorhabens eine Änderung des Gesetzes zur Rege- braucherinnen und Verbrauchern zugute, weil Rechts- lung der Wohnungsvermittlung vorgenommen. Der sicherheit geschaffen wird. Missbrauch, den es an dieser Übergang der Gesetzgebungskompetenz für die soziale Stelle bisher gibt, ist künftig ausgeschlossen. Man kann Wohnraumförderung auf die Länder machte eine Klar- also künftig nicht mehr nach Jahren mit Hinweis darauf, stellung, sozusagen eine redaktionelle Gesetzgebung, dass eine Belehrung unterblieben ist, die Rückabwick- nötig, dass künftig einem Wohnungsvermittler auch ge- lung eines Kaufes fordern. Die dadurch entstehenden gen den Mieter einer durch Landesrecht aus öffentlichen Kosten würden letztlich auf alle anderen Verbraucherin- Haushalten geförderten Wohnung kein Anspruch auf nen und Verbraucher umgelegt. Zahlung eines Vermittlungshonorars zusteht. Wie ge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31695

Marco Wanderwitz (A) sagt, im Grunde genommen handelt es sich um eine re- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) daktionelle Gesetzgebung. Jetzt hat die Kollegin Karin Binder das Wort für die Fraktion Die Linke. (Sören Bartol [SPD]: Ihr könnt ja unserem Än- derungsantrag einfach zustimmen! Ganz ein- (Beifall bei der LINKEN) fach!) Karin Binder (DIE LINKE): Weder in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hier im Haus noch im gesamten parlamentarischen Ver- Meine Damen und Herren! Mit der Umsetzung der fahren, insbesondere nicht in der Anhörung, die wir Richtlinie für einen besseren Verbraucherschutz bleibt durchgeführt haben, hat das von Ihnen nun auf den letz- die Bundesregierung deutlich hinter ihren Möglichkeiten ten Metern des Gesetzgebungsverfahrens eingeführte zurück. Einige Chancen wurden genutzt, viele andere Thema irgendeine Rolle gespielt. leider vertan. Ihre Art der Umsetzung dieser EU-Richtli- (Sören Bartol [SPD]: Aber wenn die Kanzlerin nie ist symptomatisch dafür, wie die Bundesregierung das so spät merkt! – [SPD]: Jetzt mit dem Thema Verbraucherschutz umgeht: halbherzig haben Sie drei Tage nachgedacht, wie Sie den und ohne großes Interesse an den Belangen der Verbrau- Antrag ablehnen, kommen aber auf so was Ba- cher. nales!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Heute steht der Entwurf eines Gesetzes zur Umset- Positiv zu vermerken ist: Die Widerrufsfrist bei Ver- zung der Verbraucherrechterichtlinie auf der Tagesord- trägen, die im Fernabsatz oder an der Haustür geschlos- nung. Das Thema, dem sich Ihr Änderungsantrag wid- sen werden, wurde von 7 auf 14 Tage erhöht. Auch ei- met, ist in der Tat ein wichtiges rechtspolitisches und nige Informationsrechte für Verbraucherinnen und gesellschaftspolitisches Thema, allerdings ungeeignet Verbraucher wurden verbessert. Auch nichtentgeltliche für parlamentarische Schnellschüsse. Verträge, wie sie beispielsweise beim Handel von Daten entstehen können, werden von diesem Gesetz erfasst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Das sind alles kleine Schritte in die richtige Richtung. FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Negativ zu verbuchen ist: In vielen Bereichen klaffen Es bedarf intensiver Abwägungen der Eigentümer- und Lücken, vor allem beim Mietrecht. Sie hätten die Umset- Mieterrechte und auch der Auswirkungen auf den Woh- zung dieser Richtlinie nutzen können, um endlich mehr nungsbau. für die Rechte von Mieterinnen und Mietern zu tun. (B) (D) (Sören Bartol [SPD]: Ihr habt doch gerade ein (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Gesetz beschlossen, wo genau das Gegenteil neten der SPD) drinsteht! Einfach mal bei der Kanzlerin anru- Hier hätten Sie ein ganzes Paket schnüren können. Der fen! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse- Mietwohnungsmarkt erfährt derzeit einen rasanten Wan- Brömer [CDU/CSU]: Jeden Freitag dasselbe!) del. Ganze Stadtteile werden verändert, weil Menschen Ihr heutiges Vorgehen ist auf die schnelle populisti- nach Luxussanierungen und Mieterhöhungen aus ihren sche Schlagzeile ausgerichtet. Es ist ein schlichtweg un- Wohnungen vertrieben werden. Hier hätte die Regie- parlamentarisches Verhalten. Wenn wir in letzter Minute rungskoalition die Möglichkeit gehabt, die steigenden irgendetwas in einem Gesetzentwurf nachschieben wol- Mieten zu deckeln und Mieterhöhungen bei Neuvermie- len, ist das genau der Punkt, den Sie kritisieren. Wir tungen auszuschließen. bringen heute ein für die Verbraucherinnen und Verbrau- (Beifall bei der LINKEN) cher gutes Gesetz auf den Weg. Ich finde es sehr bedau- erlich, dass Sie mit Ihrem Verhalten diesem Gesetz nicht Maklerprovisionen sollten grundsätzlich vom Auftrag- den nötigen Rahmen geben; vielmehr versuchen Sie im geber und nicht vom Mieter bezahlt werden müssen. Grunde genommen, es zu diskreditieren. Das finde ich (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. sehr bedauerlich. Sören Bartol [SPD]) (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind auch bedauer- All das haben Sie aber nicht geregelt. lich!) Auch an anderen Stellen hat Ihr Gesetz Defizite. Das Wir werden das von Ihnen eingebrachte Thema natürlich Widerrufsrecht ist eine Aneinanderreihung von Ausnah- debattieren; wir werden aber keine Schnellschüsse pro- men, unter anderem bei Finanzdienstleistungen, Bauver- duzieren. trägen und auch der Lieferung von Lebensmitteln. Ähn- lich ist es bei den Informationspflichten, zum Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – bei den Personenbeförderungsverträgen wie auch bei Sören Bartol [SPD]: Wann denn? 2030, oder Warenautomaten. Auch dort haben Sie leider nicht nach- wann? Ihr habt genau das Gegenteil beschlos- gebessert. Unlautere Telefonwerbung dämmen Sie eben- sen! Die Kanzlerin hat wiederum das Gegen- falls nicht ein. Außerdem kritisieren wir, dass bei telefo- teil beschlossen! Ihr könnt nur Fukushima, nisch abgeschlossenen Verträgen – mit Ausnahme von echt!) Gewinnspielen – immer noch keine bestätigende Unter- 31696 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Karin Binder (A) schrift geleistet werden muss, um den Vertrag in Kraft zu Es fehlt noch an mehr. Die EU-Richtlinie fordert für (C) setzen. Mit der sogenannten Bestätigungslösung hätte Verstöße gegen Verbraucherschutzvorschriften Sanktio- man unseriösen Anbietern endlich das Handwerk legen nen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend können. Warum die Firmen die Kunden nur bei Gewinn- sind. spielen nicht mehr übers Ohr hauen dürfen, erschließt sich mir nicht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist die de- mokratiepolitische Sprecherin!) (Beifall bei der LINKEN) Hier hat der Gesetzentwurf der Bundesregierung gar In Art. 23 der Verbraucherrechterichtlinie der Euro- nichts zu bieten. Da muss nachgebessert werden. Die päischen Union heißt es – ich zitiere –: besten Verbraucherschutzrechte bringen nichts, wenn Verstöße folgenlos bleiben. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass angemes- sene und wirksame Mittel vorhanden sind, mit de- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen die Einhaltung dieser Richtlinie sichergestellt und bei der SPD) wird. Das Widerrufsrecht kann aber ohnehin nur ein Bau- Wie rechtfertigen Sie vor diesem Hintergrund die gna- stein im Gefüge der Verbraucherschutzrechte sein. Viel denlose Unterfinanzierung der Verbraucherarbeit in bedeutender sind für die Verbraucherinnen und Verbrau- Deutschland? Diese Defizite mit Ihrem Gesetz auszu- cher weitere Rechte, wie zum Beispiel ihre Gewährleis- gleichen, war nie Ihre Absicht. Und das werden Sie wohl tungsrechte. auch in dieser Legislaturperiode nicht mehr tun. Werfen wir einmal einen Blick auf die alltägliche Des Weiteren kritisieren wir, dass Sie die Beweislast- Praxis: Ein Verbraucher kauft eine Kaffeemaschine. Für umkehr bei der Reklamation von höherwertigen Produk- dieses Produkt hat er zwei Jahre lang Gewährleistungs- ten nicht verbessert haben, obwohl auch dies möglich rechte. Tritt nun innerhalb dieser zwei Jahre ein Mangel gewesen wäre. Wieder einmal macht die Regierungs- an der Kaffeemaschine auf, kann der Verbraucher von koalition nur einen halben Schritt bei verbraucherpoliti- seinem Verkäufer die Reparatur oder den Austausch des schen Umsetzungen von EU-Recht. Das Gesetz ist alles mangelhaften Produkts verlangen. Das Problem an der andere als ein großer Wurf für Verbraucherinnen und Sache ist: Die sogenannte Beweislastumkehr zugunsten Verbraucher. des Verbrauchers gilt nur sechs Monate lang. Während (Beifall bei der LINKEN) dieser Zeit muss der Verkäufer beweisen, dass er dem Verbraucher eine mangelfreie Kaffeemaschine geliefert (B) Daran haben wir uns in dieser Legislaturperiode schon hat. Nach Ablauf der sechs Monate muss hingegen der (D) fast gewöhnt; aber wir werden uns nicht damit zufrie- Verbraucher beweisen, dass die Kaffeemaschine schon dengeben. Die Fraktion der Linken wird sich deshalb bei kaputt war, als er sie erworben hat. Wie soll der Verbrau- Ihrem Gesetzentwurf enthalten. cher das beweisen? Das ist den meisten Verbrauchern in der Praxis nicht möglich. (Beifall bei der LINKEN) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Fragen Sie doch Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mal Frau Enkelmann, was sie meint!) Ingrid Hönlinger hat das Wort für Bündnis 90/Die Damit laufen die Gewährleistungsrechte innerhalb der Grünen. letzten anderthalb Jahre faktisch ins Leere. Wir müssen sicherstellen, dass Verbraucher ihre volle Gewährleis- Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tungsfrist ausschöpfen können, indem wir die Beweis- lastumkehr zugunsten des Verbrauchers auf zwei Jahre Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! verlängern. Verbraucherschutz darf nicht eine leere Vo- Heute debattieren wir über zwei Themen, die viele Men- kabel sein; Verbraucherschutz, meine Damen und Her- schen betreffen: das Verbraucherschutzrecht und das ren, muss den Alltagstest bestehen. Mietrecht. Das Verbraucherschutzrecht haben wir hier im Bundestag im Jahr 2002 umfassend reformiert. Heute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entwickeln wir die Verbraucherrechte weiter. Es geht sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- konkret um das Widerrufsrecht für Haustürverträge und KEN) Fernabsatzverträge. Fernabsatzgeschäfte werden zum Beispiel per Telefon oder im Internet getätigt. Nun hat die SPD einen Änderungsantrag zum Miet- recht eingebracht, zu Recht, Bei genauer Betrachtung stellen wir fest, dass diese Bundesregierung leider nur das umsetzt, was Brüssel (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zwingend vorschreibt. Sie hat offensichtlich nicht den Mut und auch nicht den Willen, die vorhandenen Spiel- denn die Mieten schnellen überall in die Höhe. Bezahl- räume zu nutzen, die die Richtlinie für einen umfassen- barer Wohnraum wird in Ballungsgebieten immer knap- den Verbraucherschutz eröffnet hat. per. Mietpreissteigerungen von über 7 Prozent wurden 2011 in Großstädten wie Berlin und Hamburg verzeich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie net; in der Studentenstadt Greifswald waren es sogar der Abg. Karin Binder [DIE LINKE]) mehr als 10 Prozent. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31697

Ingrid Hönlinger (A) Die Mietpreissteigerungen treffen vor allem einkom- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) mensschwache Haushalte. Familien müssen 30 oder des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 40 Prozent – manchmal sogar mehr – ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Das dürfen wir nicht länger hin- Dieser Satz war eine Kopie, leider eine schlechte. nehmen. Hier müssen wir endlich gesetzlich eingreifen, Hätte die Kanzlerin unser Programm, das wir am meine Damen und Herren. 14. April beschlossen haben, aufmerksam gelesen, hätte sie ihren Mitarbeitern die mühsame Korrekturarbeit der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nächsten Tage erspart. In unserem Programm ist fast und bei der SPD) wortwörtlich der Satz zu lesen, den sie der unbedachten Kanzlerinnenaussage eilends hinterherschickten: Wir Grünen fordern seit drei Jahren, dass Mietober- grenzen bei der Wiedervermietung von Wohnungen in Erstvermietungen von neugebauten Wohnungen Gebieten mit Wohnraummangel eingeführt werden. Eine sind davon grundsätzlich ausgenommen. solche Mietpreisbremse für Regionen, in denen die aus- Um Wohnen wieder für alle bezahlbar zu machen, reichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum brauchen wir neben einem sozialen Mietrecht auch Neu- nicht mehr gewährleistet ist, müssen wir jetzt endlich be- bau. schließen. Wohnen darf nicht zum Luxusgut werden; Wohnen ist ein Grundbedürfnis. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Wir brauchen neben dem öffentlichen und dem genos- LINKEN) senschaftlichen Wohnungsbau natürlich auch den sozia- len Wohnungsbau und private Investoren, die neuen Eine bezahlbare Wohnung schafft Sicherheit und Stabili- Wohnraum schaffen. Aber so tief ins Thema ist die tät für Mieter und für ihre Familien. Kanzlerin erst gar nicht eingestiegen; ihr ging es ja nur Wir werden deshalb dem SPD-Änderungsantrag zu- um die schnelle Meldung. stimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kurzfristig konnte Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. man meinen: Die Erkenntnis, dass die Bundesregierung endlich etwas gegen drastisch steigende Mieten unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmen muss, ist tatsächlich, Herr Pofalla, schon im und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Kanzleramt angekommen. – Der Mieterbund freute sich LINKEN) schon über die große Koalition beim Mietrecht. Zu früh (B) gefreut: Schon am nächsten Tag bemühte sich das (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Konrad-Adenauer-Haus darum, zurückzurudern, zu kon- Sören Bartol hat das Wort für die SPD-Fraktion. kretisieren, und nach nur zwei Wochen ist von der voll- mundig verkündeten Mietpreisbremse nur noch eine (Beifall bei der SPD) Möglichkeit auf Länderebene übrig. (Iris Gleicke [SPD]: Das ist wahr!) Sören Bartol (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird die Miet- Kollegen! Mit unserem Änderungsantrag geben wir Ih- preisbremse der Kanzlerin zum Rohrkrepierer. nen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Sie sich jetzt alle unterhalten, heute die Chance, die DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Glaubwürdigkeit Ihrer Kanzlerin bei den Mieterinnen LINKEN) und Mietern in diesem Land wiederherzustellen. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Union, Mieterschutz von den Mehrheitsverhältnissen in DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der den Ländern und deren gutem Willen abhängig machen, LINKEN) dann stehlen Sie sich aus der Verantwortung. Notwendig Wir wollen auch in unser Programm einführen, dass ist endlich eine bundesweite Mietpreisbremse bei Wie- Vermieter bei Neuvermietungen nur begrenzt die dervermietungen, die die Mietpreisspirale in allen be- Miete erhöhen dürfen. troffenen Städten bremst. Das steht so nicht im Regierungsprogramm der SPD, je- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten denfalls nicht exakt, sondern das ist laut Handelsblatt der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE die Aussage von Kanzlerin am 31. Mai GRÜNEN) gegenüber einem wohnungssuchenden Studenten. Die Kolleginnen und Kollegen von der Union und der (Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört!) FDP, die gesprochen haben, konnten vor Lachen kaum an sich halten. Erst am 1. Mai ist Ihre unsoziale Miet- Den Themenklau bei der SPD hat die Kanzlerin inzwi- rechtsreform in Kraft getreten. Ich möchte schon gerne schen freimütig eingeräumt. Die Süddeutsche sprach so- wissen, warum Ihnen knapp sieben Wochen später ein- gar von dreistem Plagiat. Aber das ist in Ihren Reihen ja fällt, dass es hier Nachbesserungsbedarf gibt. Sie hatten schon längst hoffähig. doch alle Chancen, unsere Vorschläge im Gesetzge- 31698 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Sören Bartol (A) bungsverfahren zu berücksichtigen. Sie haben an dieser Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (C) Stelle nichts, aber auch gar nichts gemacht. desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Än- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ derung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungs- DIE GRÜNEN) vermittlung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13951, den Ge- wissen doch ganz genau: Mit Ihrem Koalitionspartner setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12637 FDP ist sozialer Mieterschutz in diesem Lande nicht zu in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein machen. Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- che 17/13966 vor. Wir stimmen über den Änderungsan- (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) trag auf Verlangen der Fraktion der SPD namentlich ab. Deswegen wird das Versprechen der Kanzlerin ein un- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die eingelöster Scheck – den kann man niemals einlösen – vorgesehenen Plätze einzunehmen. für die Zeit nach der Bundestagswahl bleiben. Ich frage Sind alle Urnen besetzt? – Es fehlt noch ein Schrift- ganz ehrlich – vor allem die Zuhörerinnen und Zuhörer –: führer der Koalition. Gibt es einen Schriftführer der Ko- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die können nicht alition, der spontan bereit wäre, einzuspringen? – Das ist antworten!) heldenhaft. Jetzt fehlt keiner mehr. Nun sind alle Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Für diese Sachen wollen Sie am 22. September wirklich gewählt werden? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Haben alle Kolleginnen und Kollegen, die das woll- ten, ihre Stimmkarte einwerfen können? – Es haben alle (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- LINKEN) führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Heute bekommen Sie noch einmal die Chance – es ist gut, dass wir heute unseren Änderungsantrag noch ein- Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen mal einbringen konnten –, das Vertrauen der Mieterin- Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. nen und Mieter zurückzugewinnen. Zeigen Sie den Wählerinnen und Wählern, dass Sie es ernst meinen mit (Unterbrechung von 10.41 bis 10.46 Uhr) dem, was Ihre Kanzlerin vollmundig vor der Wahl allen verspricht. Stimmen Sie heute unserem Änderungsantrag Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (B) zu! Dann haben wir es geschafft, eine wirksame Lösung Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wie- (D) für Mieterinnen und Mieter in diesem Lande zu finden. der eröffnet. Ich bin gespannt, wie Sie sich an dieser Stelle gleich ver- Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und halten werden. Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab- Vielen Dank. stimmung bekannt: Abgegeben wurden 517 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 220 Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mit Nein haben gestimmt 297 Kolleginnen und Kolle- DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: gen, es gab keine Enthaltungen. Es ging um den Entwurf Die Spannung hält nicht lange an!) eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechte- richtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der Wohnungsvermittlung, hier um den Änderungsan- Ich schließe die Aussprache. trag der Fraktion der SPD, der hiermit abgelehnt ist.

Endgültiges Ergebnis Bärbel Bas Petra Ernstberger Klaus Hagemann Abgegebene Stimmen: 517; Karin Evers-Meyer (Peine) davon Elke Ferner Rolf Hempelmann ja: 220 Klaus Brandner Dr. Edgar Franke Dr. Barbara Hendricks nein: 297 (Essen) (Hildesheim) Dr. Eva Högl Ja Marco Bülow Christel Humme Ulla Burchardt Iris Gleicke SPD Günter Gloser Ingrid Arndt-Brauer Petra Crone Johannes Kahrs Dr. Angelika Graf (Rosenheim) Dr. h.c. Susanne Kastner Heinz-Joachim Barchmann Martin Dörmann Ulrich Kelber Gabriele Groneberg Dr. Hans-Peter Bartels Ingo Egloff Michael Groß Hans-Ulrich Klose Siegmund Ehrmann Hans-Joachim Hacker Astrid Klug Sören Bartol Dr. h.c. Dr. Bärbel Kofler Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31699

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) (Leipzig) DIE LINKE Cajus Caesar (C) Fritz Rudolf Körper Dr. Stephan Kühn Angelika Krüger-Leißner Renate Künast Thomas Dörflinger Karin Binder Markus Kurth Marie-Luise Dött Ute Kumpf Matthias W. Birkwald Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Eva Bulling-Schröter Dr. Ingrid Fischbach Steffen-Claudio Lemme Dr. Martina Bunge Nicole Maisch Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Gabriele Lösekrug-Möller Werner Dreibus Beate Müller-Gemmeke Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Dr. Konstantin von Notz Land) Diana Golze Omid Nouripour Dr. Petra Merkel (Berlin) Klaus-Peter Flosbach Ullrich Meßmer Dr. Dr. Hermann E. Ott Dr. Inge Höger Lisa Paus Dr. Hans-Peter Friedrich Franz Müntefering Dr. Barbara Höll Brigitte Pothmer (Hof) Dr. Rolf Mützenich (Augsburg) Erich G. Fritz Dr. Lukrezia Jochimsen Hans-Joachim Fuchtel Manfred Nink Harald Koch Elisabeth Scharfenberg Alexander Funk Thomas Oppermann Dr. Ingo Gädechens Holger Ortel Ulla Lötzer Dr. Frithjof Schmidt Dr. Aydan Özoğuz Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Schneider Heinz Paula Dorothea Steiner Johannes Pflug Dorothée Menzner Dr. Wolfgang Strengmann- Joachim Poß Petra Pau Kuhn Josef Göppel Dr. Wilhelm Priesmeier Richard Pitterle Hans-Christian Ströbele Peter Götz Dr. Paul Schäfer (Köln) Dr. Harald Terpe Dr. Wolfgang Götzer Dr. Ilja Seifert Hermann Gröhe Stefan Rebmann Kathrin Senger-Schäfer Jürgen Trittin Michael Grosse-Brömer Dr. Carola Reimann Sabine Stüber Markus Grübel Sönke Rix Alexander Süßmair Arfst Wagner (Schleswig) Dr. Wolfgang Wieland Monika Grütters Karin Roth (Esslingen) Kathrin Vogler Dr. Valerie Wilms Olav Gutting Marlene Rupprecht Johanna Voß Josef Philip Winkler (B) (Tuchenbach) Harald Weinberg (D) Dr. Annette Sawade Jörn Wunderlich fraktionsloser Jürgen Hardt Axel Schäfer (Bochum) Abgeordneter BÜNDNIS 90/ Bernd Scheelen Dr. DIE GRÜNEN Wolfgang Nešković Marianne Schieder (Schwandorf) Kerstin Andreae Werner Schieder (Weiden) Volker Beck (Köln) Nein Ursula Heinen-Esser (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Birgitt Bender CDU/CSU (Erfurt) Agnes Brugger (Spandau) Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Dorothee Bär Ernst Hinsken Dr. Martin Schwanholz Katja Dörner Thomas Bareiß Robert Hochbaum Hans-Josef Fell Günter Baumann Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Thomas Gambke Ernst-Reinhard Beck Franz-Josef Holzenkamp Dr. Kai Gehring (Reutlingen) Joachim Hörster Katrin Göring-Eckardt (Börde) Anette Hübinger Peer Steinbrück Britta Haßelmann Hubert Hüppe Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. Christoph Strässer Priska Hinz (Herborn) Peter Beyer Dieter Jasper Dr. Dr. Dr. h.c. Ingrid Hönlinger (Konstanz) Franz Thönnes Thilo Hoppe Dr. Egon Jüttner Rüdiger Veit Dr. Maria Böhmer Hans-Werner Kammer Katja Keul Klaus Brähmig Steffen Kampeter Dr. Marlies Volkmer Susanne Kieckbusch Michael Brand Andrea Wicklein Memet Kilic Dr. Bernhard Kaster Heidemarie Wieczorek-Zeul Sven-Christian Kindler Helmut Brandt Siegfried Kauder (Villingen- Maria Klein-Schmeink Dr. Schw.) Ute Koczy Dr. Volker Kauder Manfred Zöllmer Tom Koenigs Dr. Stefan Kaufmann Sylvia Kotting-Uhl 31700 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Christoph Poland Dr. Hans-Peter Uhl Heinz-Peter Haustein (C) Volkm ar K le in (Kleinsaara) Birgit Homburger Stefanie Vogelsang Michael Kauch Dr. Andrea Astrid Voßhoff Dr. Lutz Knopek Manfred Kolbe Dr. Dr. (Potsdam) Marco Wanderwitz Dr. Heinrich L. Kolb Hartmut Koschyk Lothar Riebsamen Dr. h.c. Jürgen Koppelin Thomas Kossendey (Hamburg) Sebastian Körber Peter Weiß (Emmendingen) Holger Krestel Dr. Sabine Weiss (Wesel I) Patrick Kurth (Kyffhäuser) Dr. Günter Krings Johannes Röring Ingo Wellenreuther Heinz Lanfermann Rüdiger Kruse Dr. Norbert Röttgen Peter Wichtel Dr. Christian Ruck Annette Widmann-Mauz Harald Leibrecht Dr. Hermann Kues Erwin Rüddel Klaus-Peter Willsch Lars Lindemann Dr. Karl A. Lamers (Weiden) Elisabeth Winkelmeier- Dr. Martin Lindner (Berlin) (Heidelberg) Anita Schäfer (Saalstadt) Becker Michael Link (Heilbronn) Andreas G. Lämmel Dr. Dagmar G. Wöhrl Dr. Erwin Lotter Dr. Karl Schiewerling Dr. Norbert Schindler Wolfgang Zöller Horst Meierhofer Ulrich Lange Willi Zylajew Patrick Meinhardt Dr. Max Lehmer Georg Schirmbeck Gabriele Molitor Christian Schmidt (Fürth) FDP Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Matthias Lietz Dr. Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Nadine Schön (St. Wendel) Christine Aschenberg- Dr. Dr. Kristina Schröder Dugnus (Lausitz) Dr. Jan-Marco Luczak (Wiesbaden) Daniel Bahr (Münster) Dr. Ole Schröder Florian Bernschneider Dr. Michael Luther Bernhard Schulte-Drüggelte Sebastian Blumenthal Jörg von Polheim Karin Maag Claudia Bögel Dr. Christiane Ratjen- Dr. Thomas de Maizière (Weil am Nicole Bracht-Bendt Damerau Hans-Georg von der Marwitz Rhein) Klaus Breil Dr. Birgit Reinemund Stephan Mayer (Altötting) Rainer Brüderle Dr. Dr. Peter Röhlinger (B) Dr. h.c. Dr. Stefan Ruppert (D) Philipp Mißfelder Dr. Patrick Sensburg Björn Sänger Bernd Siebert Sylvia Canel Christoph Schnurr Helga Daub Dr. Gerd Müller Johannes Singhammer Reiner Deutschmann Dr. Erik Schweickert Stefan Müller (Erlangen) Bijan Djir-Sarai Dr. Dr. Carola Stauche Patrick Döring Joachim Spatz (Bremen) Dr. Gerhard Drexler Torsten Staffeldt Mechthild Dyckmans Dr. Rainer Stinner Dr. Georg Nüßlein Christian Freiherr von Stetten Hans-Werner Ehrenberg Stephan Thomae Franz Obermeier Rainer Erdel Jörg van Essen Dr. Ulrike Flach Serkan Tören Dr. Michael Paul Dr. Edmund Peter Geisen Johannes Vogel Rita Pawelski Dr. (Lüdenscheid) Ulrich Petzold Thomas Strobl (Heilbronn) Hans-Michael Goldmann Dr. Daniel Volk Dr. Lena Strothmann Heinz Golombeck Dr. Guido Westerwelle Sibylle Pfeiffer Michael Stübgen Miriam Gruß Dr. Claudia Winterstein Dr. Joachim Günther (Plauen) Dr. Dr. Christel Happach-Kasan Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in gen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand- mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher ange- zeichen. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – nommen. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange- nommen. Die Koalitionsfraktionen waren dafür, die Op- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- positionsfraktionen haben sich gemeinsam enthalten, ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Gegenstimmen gab es keine. Drucksache 17/13967. Wer stimmt für den Entschlie- ßungsantrag? – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dritte Beratung Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt bei Zu- und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge stimmung durch Bündnis 90/Die Grünen, SPD und die sich erheben. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltun- Linke; dagegen haben CDU/CSU und FDP gestimmt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31701

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 15 a und 15 b auf: Verabredet ist es, eine Dreiviertelstunde zu debattie- (C) ren. – Dazu haben Sie keinen Widerspruch. Dann ist das ZP 15 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- so beschlossen. tionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung so- Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Bundes- zialer Überforderung bei Beitragsschulden regierung dem Bundesminister Daniel Bahr das Wort. in der Krankenversicherung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Drucksache 17/13079 – der CDU/CSU) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überfor- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! derung bei Beitragsschulden in der Kran- Unser Ziel ist klar: Jeder in Deutschland soll einen Kran- kenversicherung kenversicherungsschutz für die notwendigen Leistungen haben, unabhängig von Vorerkrankungen, Alter, Ge- – Drucksache 17/13402 – schlecht und Einkommen. Das ist gelebte Solidarität, die Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- in Deutschland seit vielen Jahren gezeigt wird und um schusses für Gesundheit (14. Ausschuss) die uns andere Länder beneiden. Die Versicherten kön- nen sich, wenn sie eine Krankheit haben oder ein großes – Drucksache 17/13947 – Risiko eingetreten ist, auf die Solidarität einer Kranken- Berichterstattung: versicherungsgemeinschaft verlassen. Abgeordneter Heinz Lanfermann Es geht aber nicht nur darum, die Solidarität der ande- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- ren einzufordern. Zur Solidarität in einer Versicherungs- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung gemeinschaft gehört es auch, dass die Solidargemein- schaft zu Recht verlangen kann und erwartet, dass – Drucksache 17/13959 – Beiträge zu einer Krankenversicherung gezahlt werden. Die alte Regierung hatte eine Regelung eingeführt, näm- Berichterstattung: lich eine allgemeine Versicherungspflicht, und wollte Abgeordnete Alois Karl dabei Anreize setzen, dass Menschen ihre Beiträge zah- Ewald Schurer len. Leider wurden damals Wucherzinsen eingeführt,  und es haben sich bei betroffenen Menschen Schulden-  berge angehäuft; die Menschen sind in einen Teufels- (B) Katja Dörner kreis von immer höheren Schulden geraten und kamen (D) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nicht mehr heraus. Deswegen war es richtig und wichtig, richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- dass diese Koalition, diese Bundesregierung, gehandelt schuss) hat und jetzt den Menschen, die von ihren Schuldenber- gen nicht mehr herunterkommen, eine Perspektive gibt, – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl wieder einen Krankenversicherungsschutz zu erhalten. Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Wir wollen, dass jeder in Deutschland über einen Kran- Abgeordneter und der Fraktion der SPD kenversicherungsschutz verfügt. Keine überhöhten Säumniszuschläge bei (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Beitragsschulden Deshalb haben wir die Säumniszuschläge, die alten Wu- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina cherzinsen, auf 1 Prozent gesenkt. Das gilt rückwirkend, Bunge, Harald Weinberg, Diana Golze, weite- damit die Menschen, die in den letzten Jahren nicht in rer Abgeordneter und der Fraktion DIE ihren Versicherungsschutz zurückkamen, eine Perspek- LINKE tive haben, wieder ihren Versicherungsschutz zu bekom- Privat Versicherte solidarisch versichern – men. Private Krankenversicherung als Vollversi- Außerdem schaffen wir für einen eng begrenzten Be- cherung abschaffen reich von Versicherten eine Rückkehrmöglichkeit. Wir – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina machen einen Schnitt, damit die Versicherten die Chance Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger- bekommen, nach Zahlung der Versicherungsbeiträge Schäfer, weiterer Abgeordneter und der Frak- wieder regulär versichert zu sein. tion DIE LINKE Privat Krankenversicherten zeigen wir mit dem Not- Versorgung der privat Versicherten im Ba- lagentarif einen Weg auf, wie auch sie einen bezahlbaren sistarif sicherstellen Krankenversicherungsschutz haben können. Für die Be- troffenen ist diese Regelung eine große Erleichterung. – Drucksachen 17/12069, 17/10119, 17/5524, Wir sorgen dafür, dass die betroffenen Menschen im 17/13947 – Krankheitsfall wieder abgesichert sind. Berichterstattung: Der Gesetzentwurf umfasst aber noch mehr. Wir un- Abgeordneter Heinz Lanfermann terstützen auch die Krankenhäuser in Deutschland, die 31702 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Bundesminister Daniel Bahr (A) tagtäglich eine ganz wichtige Aufgabe übernehmen. schlossen. Wir haben uns damals nicht vorstellen kön- (C) 18 Millionen Patienten werden jedes Jahr stationär auf- nen, dass ein Arzt, offenbar durch Mithilfe weiterer, in genommen. Wir haben eine Arbeits- und Leistungsver- Göttingen – und, wie wir erfahren haben, zuvor in Re- dichtung bei den Beschäftigten in den Krankenhäusern gensburg – so viel kriminelle Energie hat, dass er das zu verzeichnen. Es gibt einen Mengendruck, den Druck, Vertrauen in die Organspende bei einigen Menschen in besonders viel machen zu müssen. Mit diesem Gesetz Deutschland erschüttern konnte. sorgen wir für eine Entlastung der Beschäftigten in Krankenhäusern. Für die Jahre 2013 und 2014 ist ein un- Heute wissen wir: Eine solche kriminelle Energie war bürokratischer und schnell wirkender Versorgungs- bei anderen Krankenhäusern nicht festzustellen. Wir ha- zuschlag vorgesehen, um Fehlentwicklungen bei der so- ben die Überprüfung mehrerer Krankenhäuser angeord- genannten Kollektivhaftung, die Grund für den net. Es wurden zwar teilweise Unregelmäßigkeiten fest- Mengendruck ist, auszugleichen. Bisher war es so: Wenn gestellt, aber eine solche kriminelle Energie haben wir eine Uniklinik in Köln mehr transplantiert, dann erhält nicht noch einmal erlebt. das kleine Krankenhaus im Sauerland für eine Blind- Wir haben mit der gemeinsamen Verabschiedung des darmoperation eine schlechtere Vergütung. Der Versor- Transplantationsänderungsgesetzes im letzten Jahr viele gungszuschlag sorgt hier nun für einen Ausgleich. So Regelungen vorgegeben. Wir können festhalten, dass es können sich die Krankenhäuser auf eine verlässliche Fi- heute auch mit krimineller Energie so nicht mehr mög- nanzierung einstellen. lich ist, Wartelisten zu manipulieren, um einigen Patien- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ten einen Vorteil zulasten anderer Patienten zu verschaf- fen. Deswegen können wir mit gutem Recht und aus Die Tariflohnentwicklung wird teilweise ausgegli- Überzeugung den Menschen weiterhin raten, sich für die chen. Wir schaffen endlich einen vollen Orientierungs- Organspende zu entscheiden; denn kein Land hat so wert als Verhandlungskorridor, das heißt, die Kostenent- enge Grenzen und so harte Regeln wie Deutschland. wicklung im Krankenhaus kann besser abgebildet Dieses Gesetz wird weiter zur Sicherheit beitragen. Wir werden. nehmen weitere Änderungen vor: Mit der Einführung ei- Wir sorgen für bessere Qualität in den Krankenhäu- ner Pflicht zur Genehmigung der Richtlinien durch das sern. Wir wissen, dass Deutschland noch Nachholbedarf Bundesgesundheitsministerium sorgen wir für eine stär- im Bereich Hygiene hat. In dem Gesetz ist ein Hygiene- kere politische Legitimation. Außerdem ändern wir das förderprogramm vorgesehen. Damit lohnt es sich für die Transplantationsgesetz dahin gehend, dass die Manipu- Krankenhäuser, in Hygiene zu investieren. Es lohnt sich lation von Daten durch Ärzte strafbar ist. nicht, aus Kostengründen auf Hygiene zu verzichten und (B) damit für Keime und schwere Krankheiten im Kranken- Organspende ist aktive, gelebte Nächstenliebe. Or- (D) haus zu sorgen. ganspender sind Lebensretter. Deswegen wollen wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass sich wieder mehr Men- Dieses Gesetz verbessert die Qualität der Versorgung schen für die Organspende aussprechen. Es dürfen nicht in den Krankenhäusern. diejenigen bestraft werden, die auf der Warteliste stehen und dringend auf ein Organ warten, sondern es muss der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Arzt bestraft werden, der Fehlverhalten zeigt. Der ange- Ich habe die klare Erwartung, dass diese zusätzlichen sprochene Arzt aus Göttingen sitzt in Untersuchungs- Mittel, immerhin insgesamt 1,1 Milliarden Euro – damit haft. Ich gehe davon aus, dass er zu Recht eine Strafe be- haben wir einen Rekordwert an Ausgaben für die Kran- kommen wird; denn wir brauchen Vertrauen bei der kenhäuser in diesem Jahr erreicht –, von den Kranken- Organspende. Dafür setzen wir uns gemeinsam ein. häusern auch eingesetzt werden, um den Sparmaßnah- men bei der Pflege, die wir teilweise in Krankenhäusern (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erlebt haben, ein Ende zu bereiten. Die Krankenhäuser können jetzt investieren, um gerade in der Pflege neue Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Stellen zu schaffen, um neues Pflegepersonal in den Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Karl Krankenhäusern einzustellen. Wir geben den Kranken- Lauterbach das Wort. häusern diese finanziellen Möglichkeiten. Jetzt müssen die Krankenhäuser sie auch nutzen. (Beifall bei der SPD – Jens Spahn [CDU/ (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) CSU]: Schattenkompetenz!) Mit diesem Gesetz setzen wir das um, was uns alle im letzten Jahr hier im Bundestag intensiv beschäftigt hat. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Wir haben uns parteiübergreifend mit dem Thema Or- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ganspende beschäftigt, weil es uns alle unzufrieden ge- Herren! Der Minister hat einleitend darauf hingewiesen, stimmt hat, dass das Spenderaufkommen in Deutschland was in unserem Gesundheitssystem klappt: dass jeder ei- so gering ist. Wir sind der Meinung, dass die Organ- nen Versicherungsschutz bekommt, unabhängig von Er- spende ein so wichtiges Thema ist, dass man sich einmal krankungen und unabhängig davon, ob er zum Beispiel im Leben damit beschäftigen sollte. behindert ist. Das ist richtig. Das gilt aber nicht für die von Ihnen bevorzugte private Krankenversicherung. Letztes Jahr haben alle Parteien in diesem Bundestag gemeinsam die sogenannte Entscheidungslösung be- (Zurufe von der FDP: Oh!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31703

Dr. Karl Lauterbach (A) Da ist es nach wie vor so, dass behinderte Menschen kei- Sie wissen doch ganz genau, wofür sich die Menschen (C) nen Versicherungsschutz bekommen und viele Kranke entscheiden würden, wenn Sie ihnen die Wahl zwischen sich die Prämie nicht leisten können. Sie wollen, dass einem abgespeckten Notfalltarif, der nur das Nötigste das so bleibt. Das System, für das Sie persönlich und absichert, Ihre Fraktion stehen, ist ein System, das genau das ka- (Lars Lindemann [FDP]: Unfug!) puttmacht, was Sie am Anfang Ihrer Rede gelobt haben. und einer Bürgerversicherung, die sie komplett versorgt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lassen. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Null (Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer bezahlt die Kompetenz!) Bürgerversicherung? – Heinz Lanfermann [FDP]: Was machen Sie denn, wenn jemand in – Herr Lanfermann, bitte, Ihre Kommentare! der Bürgerversicherung seine Beiträge nicht Bei den Schuldenbergen und den Säumniszuschlägen zahlt?) ist es doch wie folgt: Die Leute, die Schulden gemacht Wofür würden die Menschen sich entscheiden? Für Ih- haben, werden doch, auch wenn ihnen jetzt kurzfristig ren Notfalltarif? Würde sich irgendjemand für Ihren ab- die Schulden erlassen werden, der Säumniszuschlag ein gespeckten Tarif entscheiden? Sie wagen es nicht, den bisschen reduziert wird, wieder Schulden machen. Tatsa- Menschen die Wahlmöglichkeit zu geben. Wenn Sie das che ist doch, dass die Menschen sich diese Krankenver- Wahlrecht einführen würden, dann wären Ihr Notfalltarif sicherung nicht leisten können. Das gilt gerade für die und Ihre Regelung der Säumniszuschläge platt. Privatversicherten. Wenn die Prämie höher ist, als meine Rente hergibt, dann kann ich zwar formal Ihr Angebot (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gabriele wahrnehmen und in die Versicherung zurückgehen; Molitor [FDP]: Mein Gott, was für ein Unsinn! – wenn ich dann aber sofort wieder Schulden machen Jens Spahn [CDU/CSU]: Und wenn jemand in muss, dann stehe ich nach allerkürzester Zeit wieder vor der Bürgerversicherung nicht zahlt? Was ist dem gleichen Problem. dann?) (Jens Spahn [CDU/CSU]: 100 Euro im Monat! Die Frage ist: Was wurde für die Krankenhäuser be- Sie kostet 100 Euro im Monat!) schlossen? Herr Bahr, es ist tatsächlich so, dass die Krankenhäuser unterfinanziert sind. Sie stellen jetzt – Ich komme darauf noch zu sprechen. – Wollen Sie mehr Geld zur Verfügung, aber auf die unintelligenteste dann erneut eine Amnestie? Derjenige, dem die Säum- Art und Weise, die es gibt. niszuschläge jetzt erlassen werden, kann sich die Versi- (B) (D) cherung doch weiterhin nicht leisten. (Beifall der Abg. Dr. Marlies Volkmer [SPD]) (Heinz Lanfermann [FDP]: 100 Euro im Mo- Die Krankenhäuser, die mehr Pflegekräfte einstellen, ha- nat Grundlagentarif!) ben keinen besonderen Vorteil. Die Krankenhäuser, die bessere Qualität liefern, haben keinen Vorteil. Die Kran- Sie machen Folgendes: Sie drängen die Menschen, kenhäuser, die sich spezialisiert haben, haben keinen die sich die Krankenversicherung in Deutschland nicht Vorteil. Mit der Gießkanne wird auf die Schnelle ein Be- leisten können, in eine amerikanische Notfallversor- trag nachgeschüttet. Davon werden dann diejenigen be- gung. Da wird nur noch das Nötigste bedient. Mehr gön- sonders profitieren, denen es schon gut geht. Die ande- nen Sie den Menschen nicht. ren können sich die Krankenhauspflege nach wie vor nicht leisten. Dieser Vorschlag wurde auf die Schnelle in (Jens Spahn [CDU/CSU]: Was ist denn Ihr einer für Sie charakteristischen Art und Weise erstellt: Vorschlag?) Handwerklich stimmt es vorne und hinten nicht. Sie hät- Bei einer Bürgerversicherung würde sich jeder so versi- ten die Gelegenheit nutzen und eine Initiative für Pflege chern können, wie er es braucht. und Qualität in die Wege leiten können. Das haben Sie sich schlicht nicht zugetraut. (Jens Spahn [CDU/CSU]: Und wer zahlt dann?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Menschen, die Sie mit einem unwürdigen amerika- Herr Lauterbach, Herr Lindemann würde Ihnen gern nischen Notfalltarif abspeisen wollen, würden sich, eine Zwischenfrage stellen. wenn Sie ihnen die Wahl lassen würden, alle für die Bür- gerversicherung entscheiden. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Sehr gern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Geben Sie den Menschen die Wahl! (Jens Spahn [CDU/CSU]: Was geschieht denn Lars Lindemann (FDP): mit dem, der die Bürgerversicherung nicht Herr Kollege Lauterbach, würden Sie uns in diesem zahlt?) Hohen Hause vielleicht erklären, was denn in Ihrer Bür- 31704 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Lars Lindemann (A) gerversicherung mit denjenigen passieren soll, die dort Dr. Karl Lauterbach (SPD): (C) ihre Beiträge nicht bezahlen können? Will noch jemand eine Zwischenfrage stellen? – Of- fensichtlich nicht. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Ich komme zum Krankenhaus zurück. Dazu gibt es Ganz einfach: Bei der Bürgerversicherung bezahlt je- im Gesetzentwurf schlicht und ergreifend keinerlei Ini- der – – tiative für bessere Qualität, keinerlei Initiative für bes- sere Hygiene, keinerlei Initiative für bessere Pflegever- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und sorgung. Es ist im Prinzip ein Gießkannengesetz, dessen der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, wie Wirkung vorne und hinten nicht ausreicht. denn?) Der einzige Ansatz in Ihrem Gesetz, weshalb wir uns – Frau Präsidentin, soll ich die Frage beantworten, später bei der Abstimmung zum Gesamtgesetz enthalten werden, (Heinz Lanfermann [FDP]: Ja, ist besser!) (Lachen des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU]) oder soll ich auf weitere Zwischenfragen warten? ist die Organtransplantation, die Organspende; denn da- bei sind wir mit Ihnen einer Meinung. Da respektieren Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wir auch Ihr persönliches Engagement. Das ist übergrei- Sie haben zugestimmt, die Frage von Herrn fend und einigermaßen sauber gemacht. Das würdigen Lindemann gestellt zu bekommen. Es wäre schön, wenn wir. Daher wollen wir, damit wir hier Schulter an Schul- Sie die beantworten. Ich gehe davon aus, dass jemand, ter stehen können, um denjenigen, die ein Organ benöti- der eine weitere Frage hat, sich meldet. gen, nicht zu schaden und das Vertrauen in das Spende- verfahren – Sie haben zu Recht ausgeführt, dass die Dinge dort besser sind, als sie allgemein dargestellt wer- Dr. Karl Lauterbach (SPD): den – nicht zu beschädigen, durch eine Enthaltung dieses In der Bürgerversicherung bezahlt jeder nach seinen Gesetz mittragen, das wir sonst nicht hätten mittragen Verhältnissen; jeder bezahlt nach seinem Einkommen. können. Das heißt, dass für denjenigen, der kein Einkommen hat, die zuständigen Träger und der Staat bezahlen. Derje- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist gut zu nige, der ein Einkommen hat, bezahlt nach seiner Leis- wissen!) tungsfähigkeit. Das sage ich in aller Offenheit; denn diesem Gesetz (B) (Heinz Lanfermann [FDP]: Und wer trotz fehlt es vorne und hinten an handwerklicher Qualität. (D) Eigentum nicht zahlt?) Wir machen das der Menschen wegen, wir machen es nicht Ihnen zuliebe; denn das Gesetz ist weit hinter dem Das ist ein sicheres und gerechtes System. Jeder zahlt, zurückgeblieben, was selbst in so kurzer Zeit möglich wie er zahlen kann, und keiner wird überfordert. Jeder gewesen wäre. wird aufgenommen – unabhängig von der Vorerkran- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das werden wir den kung, unabhängig von Behinderungen, Krankenhäusern erzählen!) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Und wenn er nicht Vielen Dank. überweist?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – unabhängig von der Person, unabhängig davon, ob er Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Hat die SPD eigent- verbeamtet ist oder nicht. Ein System, gerecht für alle; lich geklatscht? Vereinzelt haben Sozialdemo- jeder zahlt nach seinen Verhältnissen und seinen Mög- kraten geklatscht!) lichkeiten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jens Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Spahn [CDU/CSU]: Und wenn er nicht über- Jetzt hat der Kollege Johannes Singhammer für die weist? – Heinz Lanfermann [FDP]: Und wer CDU/CSU-Fraktion das Wort. trotz Einkommen nicht zahlt? Das ist doch die (Beifall bei der CDU/CSU) Frage! Das sind doch auch die Fälle! – Gegen- ruf von der SPD: Stellen Sie doch eine Zwi- schenfrage! – Heinz Lanfermann [FDP]: Es gibt Johannes Singhammer (CDU/CSU): doch Menschen, die zahlen einfach nicht! – Zu- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und ruf von der LINKEN) Herren! Herr Kollege Lauterbach, heute ist ein guter Tag für die Menschen in Deutschland, und zwar, weil viele Tausende Krankenversicherte künftig vor ungerechten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Beitragsschulden bewahrt und geschützt werden, weil Es sind Zwischenrufe und Zwischenfragen möglich. künftig Transparenz und Ordnung durch staatlich gere- Ich bitte jetzt Herrn Lauterbach, fortzufahren. Oder gelte Richtlinien bei der Organtransplantation herrschen möchten Sie eine Zwischenfrage stellen? – Das ist nicht und weil die Kliniken in Deutschland vor einer finanziel- der Fall. – Bitte schön, Herr Lauterbach. len Schräglage bewahrt werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31705

Johannes Singhammer (A) 18 Millionen Krankenhausbehandlungen im Jahr be- Krankenversicherung. Dazu kommen noch die Privat- (C) deuten, dass umgerechnet jeder Vierte in Deutschland in versicherten. Das ist nicht so, weil sie nicht zahlen wol- einer Klinik behandelt wird. Darum ist es so wichtig, len, sondern die allermeisten dieser Menschen können dass die Behandlung weiterhin exzellent bleibt. Deshalb sich den Versicherungsbeitrag einfach nicht leisten. Des- helfen wir schnell. Denn wer schnell gibt, gibt doppelt. halb verzichten sie auf diese wichtige Absicherung. Ab dem 1. August 2013 fließt Geld an die Kliniken, ins- Es waren Union und SPD, die vor Jahren gemeinsam gesamt in diesem Jahr für jede Rechnung im Zusammen- rankenversicherungspflicht eingeführt und damit hang mit den Fallpauschalen 1,65 Prozent zusätzlich, die K Hunderttausende in eine Schuldenfalle gelockt haben. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sie geben ja Denn auch wer nicht versichert ist, ist verpflichtet, nach- weniger, als Sie vorher genommen haben!) zuzahlen, und zwar mit Säumniszuschlägen von sagen- haften 5 Prozent im Monat, 60 Prozent im Jahr. Auf nach einem gerechten Verfahren, nämlich dem soge- diese Problematik hat die Linke übrigens immer wieder nannten Fallmix. Das heißt, es wird jedem Fall entspre- hingewiesen. Deshalb ist es positiv, dass wir heute hier chend seiner Werthaltigkeit dieser Zuschlag gewährt. über Veränderungen reden können. Das sind in diesem Jahr 400 Millionen Euro; im kom- menden Jahr beträgt der Versorgungszuschlag 500 Mil- Leider ist die Lösung, die Sie von Schwarz-Gelb jetzt lionen Euro. Wir werden damit insgesamt – dazu kom- vorschlagen, nicht wirklich gerecht. Denn wer trotz sei- men ja auch die Mittel für den wichtigen Bereich ner Versicherungspflicht seit 2007 nicht bei einer Kran- Hygiene – auf den angekündigten finanziellen Ausgleich kenkasse angemeldet war, soll das jetzt ohne Säumnisge- in Höhe von 1,1 Milliarden Euro für die Kliniken kom- bühr und ohne Beitragsschulden nachholen dürfen. Wer men. sich hingegen gesetzeskonform verhalten hat, aber nicht zahlen konnte, muss gegebenenfalls über 20 000 Euro an Wir wissen, dass ein großer Teil der Ausgabenzu- Beiträgen und Zinsen für die letzten zehn Jahre nachzah- wächse der Kliniken durch die Tariflohnsteigerungen be- len. Das geht so nicht. dingt sind. Zwei Drittel der Ausgaben der Kliniken sind Lohnkosten. Wir wollen, dass die enorm aufreibende (Beifall bei der LINKEN) schwierige Arbeit der Mitarbeiter in den Kliniken, von Jetzt argumentieren Sie, dass die bisher nicht Versi- den Ärzten bis zu den Pflegekräften, gerecht bezahlt cherten ja auch keine Leistungen erhalten hätten. Aber wird. Deshalb ist es wichtig, den Tariflohnausgleich in das gilt doch auch für jemanden, der sich erst Anfang dieser Gesamtsumme vorzusehen. Damit zeigen wir dieses Jahres oder Ende letzten Jahres bei einer Kran- auch Anerkennung für die schwierige Arbeit, die dort kenkasse angemeldet hat. Auch er hat von 2007 bis 2012 geleistet wird. Die Patientinnen und Patienten in den keine Leistungen in Anspruch genommen, muss aber Kliniken wollen auch, dass diejenigen, die sich um sie (B) dennoch für den gesamten Zeitraum nachzahlen. Ge- (D) kümmern, gerecht behandelt und entlohnt werden. recht geht anders. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Bei den Einnahmen der Kliniken ist noch eine wich- Für die Linke ist es nicht hinnehmbar, dass Menschen tige Verbesserung vorgesehen. Galt früher, dass höchs- medizinische Behandlungen verweigert werden, weil ihr tens ein Drittel der Differenz zur Grundlohnrate ange- Einkommen zu gering ist. Aber genau das bleibt weiter- rechnet wird, so wird der Orientierungswert jetzt voll in hin der Fall für die Privatversicherten mit Zahlungs- die Verhandlungen eingebracht werden können. Das be- schwierigkeiten. Für diese Menschen schaffen Sie jetzt deutet letztlich eine bessere Einnahmesituation der Kli- einen Notlagentarif für etwa 100 Euro im Monat mit mi- niken. Also kommt es auch auf diesem Weg zu Verbes- nimalen Leistungen. Diese Menschen haben dann nur serungen. noch Anspruch auf Akutbehandlungen bei Schmerzen Das alles zusammen wird dazu führen, dass die Klini- und auf Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt. ken in Deutschland auf eine bessere und sicherere finan- Dazu kommt: Diese Menschen werden leider auch zielle Grundlage gestellt werden. Damit haben die Kli- kaum eine Chance haben, jemals wieder in einen regulä- niken Planungssicherheit, und die Patienten haben ren Tarif zu wechseln. Denn im Notlagentarif werden Versorgungssicherheit. Deshalb ist dies ein guter Tag für keine Altersrückstellungen gebildet, sondern verbraucht. Deutschland. Das bedeutet, dass die regulären Prämien mit dem Alter (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schlicht immer unbezahlbarer werden. Schwarz-Gelb schützt damit lieber wieder die Versicherungskonzerne – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Jetzt hat die Kollegin Kathrin Vogler das Wort für die die so eine Menge Außenstände aus ihren Bilanzen strei- Fraktion Die Linke. chen können – als die Versicherten. (Beifall bei der LINKEN) (Harald Weinberg [DIE LINKE]: So ist das!) Unsere Alternative lautet: die PKV als Vollversiche- Kathrin Vogler (DIE LINKE): rung abschaffen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 150 000 Menschen in Deutschland sind (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ein ganz schön ein- heute nicht krankenversichert, und weitere ungefähr faches Weltbild! Aber das kennen wir von 50 000 haben hohe Beitragsschulden in der gesetzlichen Kommunisten!) 31706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Kathrin Vogler (A) Wenn Sie – damit spreche ich direkt den Kollegen dieses Thema wird uns auch in der nächsten Wahl- (C) Lauterbach an – unserem Antrag heute zustimmen, dann periode beschäftigen. braucht es keine solch komplizierten Sonderregelungen. Ich bedanke mich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wenn alle solidarisch gesetzlich versichert sind, haben alle einen bezahlbaren umfassenden Krankenversiche- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: rungsschutz. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Birgitt Bender das Wort. (Jens Ackermann [FDP]: Das hatten wir schon einmal! Die Lebenserwartung lag in diesem Staat bei 60 Jahren!) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Ab- Nun zu den Krankenhäusern. Sie haben die Mittel für stimmung steht heute ein sogenannter Omnibus; das die Krankenhäuser 2010 um rund 1,4 Milliarden Euro heißt, auf ein zugrunde liegendes Gesetz werden meh- gekürzt. Jetzt sollen sie 1,1 Milliarden Euro davon zu- rere Themen aufgesattelt. In dem zugrunde liegenden rückbekommen. Das ist doch, als würde man sich heftig Gesetz geht es um Beitragsschulden. An dieser Stelle ha- aufs Knie hämmern und sich dann freuen, wenn der ben wir es – das muss man hier einmal deutlich sagen – Schmerz nachlässt. mit einer Erblast der Großen Koalition zu tun; das will ich auch an die Freunde einer Neuauflage derselben rich- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist doch ein ten. Die Große Koalition hat – das war verdienstvoll – schönes Gefühl!) eine Versicherungspflicht für alle eingeführt, die Rege- Den real existierenden Pflegenotstand werden Sie damit lungen aber so ausgestaltet, dass, wenn Leute nicht so- nicht beheben; diese Erhöhung ist nämlich nur ein Trop- fort in ihre Krankenversicherung zurückgekehrt sind fen auf den heißen Stein. oder sich die Beiträge nicht haben leisten können, durch Wucherzinsen irrwitzige Schulden entstanden, die diese Diesen Teilen des Gesetzentwurfs können wir also Leute nie begleichen konnten. Dieses Problem wird erst nicht zustimmen. Wir werden uns deshalb bei der Ab- heute hier bearbeitet; das war überfällig. stimmung über das Gesamtpaket enthalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Den Antrag der SPD unterstützen wir. Es ist gut – wir begrüßen das ohne Einschränkungen –, Jetzt aber zu dem Teil des Gesetzentwurfs, der unsere dass die Wucherzinsen jetzt abgeschafft werden und dass (B) Zustimmung erhält. Vorgestern ist es uns in einer ge- es ein Zeitfenster für eine Rückkehr in die Krankenversi- (D) meinsamen Bemühung aller Fraktionen gelungen, erste cherung ohne Schulden geben wird; allerdings hat Änderungen am Transplantationsgesetz zu vereinbaren. Schwarz-Gelb einige Zeit gebraucht, bis man sich end- Vor einem Jahr wurden die Manipulationen an den War- lich zu dieser umfassenden Lösung durchringen konnte. telisten für Lebertransplantationen bekannt; doch noch (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Wir brauchen wei- immer gehen viele Staatsanwälte und Operateure davon tere vier Jahre!) aus, dass eine solche Manipulation lediglich eine schrift- liche Lüge sei und damit nicht strafbar. Mit der nun vor- Es ist aber durchaus auch Kritik an diesem Gesetzent- liegenden Gesetzesänderung wird klar: Eine Manipula- wurf zu üben: Mit der Schaffung des Notlagentarifes in tion von Patientendaten mit der Absicht, die Warteliste der privaten Krankenversicherung wird vor allem ein zu beeinflussen, ist künftig auf jeden Fall strafbar. Vorteil für die PKV entstehen; denn die Altersrückstel- lungen der Versicherten werden verfrühstückt. Außer- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. dem schützen Sie die PKV mit dem Gesetzentwurf wie- Dr. Marlies Volkmer [SPD]) der einmal vor Konkurrenz durch die GKV; denn de Das ist ein gutes Ergebnis der intensiven Beratungen un- facto machen Sie die Wahltarife der GKV platt. Da zeigt ter den Fraktionen und mit dem Bundesministerium für sie sich wieder, Ihre Klientelpflege zugunsten der PKV. Gesundheit. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Ich sage Ihnen: Wir werden dieses Problem durch die Kolleginnen und Kollegen des Gesundheitsausschusses Einführung der Bürgerversicherung lösen. Dann wird es und beim Bundesgesundheitsministerium, namentlich auch für Selbstständige leichter, die Beiträge zu zahlen: bei der Parlamentarischen Staatssekretärin Widmann- weil sich die Beiträge dann am realen Einkommen orien- Mauz. Ich freue mich wirklich, dass diese Gesetzesände- tieren. rung hier gemeinsam auf den Weg gebracht werden kann. Wir setzen damit ein deutliches Zeichen für mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Transparenz und Kontrolle in diesem sensiblen Bereich. Gabriele Molitor [FDP]: Dann wird es noch teurer! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Keine (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Drohungen!) neten der SPD und der Abg. Karin Maag [CDU/CSU] und Gabriele Molitor [FDP]) Herr Singhammer hat sich sehr dafür gelobt, dass für die Krankenhäuser jetzt viel Geld bereitgestellt wird. Über weitere Schritte auf diesem Weg werden wir in Auch wir begrüßen das. Aber man muss auch einmal der übernächsten Woche noch diskutieren. Ich bin sicher, über den Zickzackkurs von Schwarz-Gelb reden: Erst Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31707

Birgitt Bender (A) habt ihr ständig an den Krankenhäusern gespart und be- wenn sich Fachpolitiker aller Fraktionen zusammentun (C) hauptet, da sei noch Luft, und jetzt, wo ihr seht, dass und sich gemeinsam mit Experten sowohl des Bundesge- dem nicht so war, soll es wieder einen Geldregen geben, sundheitsministeriums als auch des Gesundheitssektors und zwar mit der Gießkanne. Wir sehen, dass in vielen treffen, um Prozesse zu begleiten und Fehler zu beheben. Krankenhäusern die Arbeitsbedingungen – einmal grob Wir haben mögliche Gesetzgebungsbedarfe mit dem gesagt – unter aller Sau sind, Ziel geprüft, das Vertrauen in die Organspende wieder- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Na, na!) herzustellen. Es ist in der Tat selten, dass man am Ende eine gemeinsame Initiative auf den Weg bringt, die dem was natürlich auch die Patienten ausbaden müssen. Des- Ziel dienen soll, schwerkranken Menschen zu helfen. wegen ist es richtig, dass es jetzt ein Notprogramm gibt; aber es ist genau das: nicht mehr und nicht weniger als Der vorliegende Änderungsantrag zum Transplanta- ein Notprogramm. tionsgesetz sieht zum einen strafrechtliche Sanktionen vor. Damit schaffen wir auch für Ärzte einen rechtlichen Was in der nächsten Legislaturperiode ansteht, ist die Rahmen; denn der starke Rückgang von postmortalen Inangriffnahme einer strukturellen Reform. Der Bund Organspenden ist auch darauf zurückzuführen, dass es muss sich mit den Ländern zusammensetzen, damit ins- eine starke Verunsicherung in der Ärzteschaft gegeben besondere das Problem der Investitionskostenfinanzie- hat. Wir wollen, dass die Ärzte demnächst wieder häufi- rung, die jetzt häufig aus den Betriebsmitteln erfolgt, ge- ger Angehörige von Verstorbenen ansprechen und auf löst wird. die Möglichkeit einer Organspende hinweisen. Zusätz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich haben wir uns darum gekümmert, dass die Richtli- nien der Bundesärztekammer eine höhere Verbindlich- Auch die Organspende ist bereits angesprochen wor- keit bekommen. den. Wir sind froh, dass Anliegen unserer Initiative in Verhandlungen mit den anderen Fraktionen aufgenom- All diese Maßnahmen dienen dem Ziel, das System men wurden. Es wird jetzt so sein, dass sich das Ministe- der Organspende in Deutschland gegen Manipulationen rium per Genehmigung in die Richtlinien für die Vertei- zu sichern und für mehr Transparenz zu sorgen. lung der Organe einmischt. Die bekommen dadurch eine (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kathrin größere Verbindlichkeit. Verstöße gegen diese Richt- Vogler [DIE LINKE]) linien seitens der Ärzte – Manipulationen bei der Diagnose etc. – werden strafrechtlich sanktioniert. Das Dass wir den Antrag noch vor der Sommerpause hier heißt, es geht nicht mehr, dass Ärzte, sei es aus Geldgier, einbringen, zeigt, dass uns dieses Thema besonders sei es aus falsch verstandener Hilfsbereitschaft oder aus wichtig ist. Wir wollen, dass die Bereitschaft zur Organ- (B) eigener Machtvollkommenheit, sagen: Was kümmern spende wieder wächst, wir wollen Vertrauen im Sinne (D) mich die Richtlinien? Was kümmert mich eine richtige der schwerkranken Menschen zurückgewinnen, und wir Dokumentation? Ich sorge dafür, dass meine Patienten wollen, dass wieder mehr Menschen in Deutschland sa- vorzeitig Organe bekommen. – Jetzt wird angesichts der gen: Ich bin Organpate. Knappheit der Organe, die wir nie vollkommen beseiti- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gen werden, dafür gesorgt, dass die Richtlinien wenigs- tens eingehalten werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir hätten es bei einigen Punkten besser gemacht, aber wegen der Punkte, die wir für positiv halten, werden wir diesem Gesetzentwurf zu- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: stimmen. Für die SPD-Fraktion hat jetzt Marlies Volkmer das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut! (Beifall bei der SPD) Das ist gut!) Dr. Marlies Volkmer (SPD): Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die FDP-Fraktion hat jetzt Gabriele Molitor das Was wir jetzt besprechen, gleicht einem Potpourri. Wir Wort. haben drei große Themen: Erstens. Wie können wir Bei- tragsschuldner in der Krankenversicherung vor Überlas- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tung schützen? Zweitens geht es um die Aufstockung der der CDU/CSU) Finanzmittel für die Krankenhäuser. Wir stimmen zu, dass die Krankenhäuser unterfinanziert sind; aber eine Gabriele Molitor (FDP): Verteilung nach dem Gießkannenprinzip halten wir nicht Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und für in Ordnung. Wir hätten uns vor allen Dingen auf Ver- Herren! Es ist schon mehrfach angesprochen worden, besserungen für das Pflegepersonal und die Erhöhung dass wir uns vor einem Jahr über alle Fraktionsgrenzen der Qualität in Krankenhäusern konzentriert. Drittens hinweg geeinigt und das Transplantationsgesetz geän- geht es um Änderungen im Transplantationsgesetz. Hie- dert haben und uns anschließend bekannt gewordene rauf möchte auch ich mich konzentrieren, auch wenn das Manipulationsfälle dazu gebracht haben, den Kontroll- von anderen Fraktionen schon angesprochen wurde; prozess zu begleiten. Es ist schon etwas Besonderes, denn das ist wirklich ein extrem wichtiges Thema. 31708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Dr. Marlies Volkmer (A) Vor noch nicht einmal einem Jahr haben wir hier frak- den müssen. Hier wird auch noch einmal ganz deutlich, (C) tionsübergreifend Änderungen im Transplantationsgesetz dass diese Richtlinien verbindlich sind und dass nicht ein beschlossen. Unser Ziel war es damals, das Vertrauen der Arzt glauben kann, sich über diese Richtlinien, aus wel- Menschen in den Organspendeprozess zu stärken. chen Gründen auch immer, hinwegsetzen zu können. Gleichzeitig hatten wir im Gesetz verankert, dass die Zum anderen war es für unsere Fraktion noch einmal Krankenkassen alle Versicherten anschreiben, über Or- besonders wichtig, dass wir im Transplantationsgesetz ganspende informieren, diesem Anschreiben einen Organ- nicht nur den Organhandel strafbewehrt haben, sondern spendeausweis beilegen und die Menschen auffordern, auch Manipulationen an Patientendaten und Laborwer- sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden. ten und falsche Übermittlungen unter Strafe stellen. Jetzt Natürlich sind wir damals davon ausgegangen, dass wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren die Zahl der Organspender dadurch steigen wird; denn oder mit einer Geldstrafe bestraft, wer solche Manipula- wir wissen aus Umfragen, dass zwar viele Menschen tionen vornimmt. grundsätzlich bereit sind, nach dem Tode ein Organ zu Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen, die spenden, dass aber eben längst nicht alle Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, nach ihrem Tod ein Or- prinzipiell dazu bereit sind, einen Organspendeausweis gan zu spenden, aber auch die Menschen, die auf der haben. Warteliste stehen, müssen sich darauf verlassen können, Dann geschah das, was hier schon beschrieben wor- dass die Organvergabe tatsächlich nur nach Dringlich- den ist: Im Sommer wurden wir von dem Organspende- keit und Erfolgsaussicht erfolgt. Ich bin überzeugt da- skandal in Göttingen überrascht. von, dass wir mit diesen Änderungen im Transplanta- tionsgesetz einen Schritt in die richtige Richtung gehen. (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das ist kein Wir werden in der übernächsten Woche noch Gelegen- Spendeskandal!) heit haben, über einen umfassenden fraktionsübergrei- Es stellte sich dann heraus, dass auch in drei anderen fenden Antrag zu diesem Thema zu debattieren. von insgesamt 24 Transplantationszentren Manipulatio- (Beifall bei der SPD) nen vorgekommen sind. Diese Aufdeckung ist auch da- durch begünstigt worden, dass wir im Transplantations- gesetz, das wir im vorigen Jahr beschlossen haben, die Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Prüfungskommission und die Überwachungskommis- Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Karin Maag das sion gesetzlich verankert und diesen Kommissionen Wort. auch größere Kompetenzen zugebilligt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) Dieser Skandal hat leider Gottes dazu geführt, dass (D) die Zahl der Organspenden weiter rückläufig gewesen Karin Maag (CDU/CSU): ist. Im vorigen Jahr, im Jahr 2012, sind die Organspen- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, den gegenüber 2011 fast um 13 Prozent zurückgegan- insbesondere Frau Kollegin Bender, Herr Kollege gen, und dieser Trend setzt sich leider auch in diesem Lauterbach! Mit 67 000 Arbeitslosen ist die Bürgerversi- Jahr fort. Im ersten Quartal gab es deutschlandweit nur cherung tot, und totgerittene Pferde sollte man nicht 230 Organspender. Im Vorjahreszeitraum waren es noch noch einmal satteln. 281. Das geht zulasten der Menschen, die dringend auf ein Organ angewiesen sind. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgitt Bender [BÜND- So war es richtig, dass fraktionsübergreifend eine Ar- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir schaffen mit der beitsgruppe in Zusammenarbeit mit dem Gesundheits- Energiewende viel mehr Arbeitsplätze! – Zu- ministerium getagt hat. Auch ich möchte mich ausdrück- ruf von der SPD: Das sagen Sie seit vier Jah- lich bei der Staatssekretärin Frau Widmann-Mauz ren! – Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Totge- bedanken, sagte leben länger!) (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Vor allen Dingen sollte man sich auch um die wirklichen Probleme der Menschen in Deutschland kümmern, so die diese Arbeitsgruppe meines Erachtens ganz toll ge- wie wir es tun. Wir kümmern uns um diese Probleme, führt hat. Vielen Dank noch einmal. wir kümmern uns um die Menschen, wenn es ihnen nicht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gut geht, und wir kümmern uns insbesondere auch mit FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN dem Gesetz zum Schutz gegen die Überforderung durch und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beitragsschulden darum, dass unser Gesundheitssystem Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Kurz vor der nicht zur Gesundheitsfalle wird. Seligsprechung!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) So gibt es nun zwei weitere Änderungen im Trans- Liebe Kollegin Volkmer, am Rande noch eines: Es ist, plantationsgesetz, die ganz wichtig sind – ich möchte glaube ich, falsch, wenn man vom „Organspendeskan- das noch einmal betonen –: dal“ redet. Es geht darum – was wir uns lange nicht vor- Zum einen ist verankert worden, dass die Richtlinien stellen konnten –, dass Wartelisten manipuliert werden. der Bundesärztekammer zur Transplantationsmedizin Das wollen wir jetzt in diesem Omnibusgesetz mit bis zu vom Bundesministerium für Gesundheit genehmigt wer- zwei Jahren bestrafen. Ich gehe davon aus, dass wir da- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31709

Karin Maag (A) mit das Vertrauen der Menschen in die Organspende zu- der Geschäftsgründung übernehmen, aber auch Kioskbe- (C) rückholen können. sitzer und Kneipenwirte, bei denen es zu wirtschaftli- chen Engpässen kommt. Genau für diese Gruppe ist es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wichtig, dass wir ihnen noch einmal eine Chance geben. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Unser Sozialstaat verdient seinen Namen auch des- neten der FDP) halb, weil keiner mehr Sorge haben muss, dass er den Arztbesuch nicht bezahlen kann. Seit dem 1. April 2007 Für diese Nichtzahler gibt es jetzt den Notlagentarif, gibt es im Bereich der GKV die Versicherungspflicht. der dazu führt, dass der bisherige Versicherungsvertrag Jeder, der einmal Mitglied in der GKV war oder ihr zu- ruht. Die Versorgung bei akuten Erkrankungen ist selbst- zuordnen ist, muss sich seither bei einer gesetzlichen verständlich gesichert. Mit einem prognostizierten Bei- Krankenkasse versichern. Diese Regelung wurde 2009 trag in Höhe von 100 Euro, Herr Lauterbach, wird das auf die PKV ausgedehnt. deutlich günstiger als der Basistarifvertrag, der bisher bei rund 600 Euro liegt. Tatsächlich hat die Große Koalition gemeinsam die hohen Säumniszuschläge eingeführt, um zu verhindern, (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Es gibt aber dass es für freiwillig Versicherte attraktiv werden auch keine Leistungen dafür! Nur Notversor- könnte, zulasten der Solidargemeinschaft keine Beiträge gung! – Gegenruf des Abg. Jens Spahn [CDU/ zu zahlen und stattdessen Schulden in Kauf zu nehmen. CSU]: Das stimmt doch nicht! Die hatten frü- Kündigung war ja ausgeschlossen. Diese Erwartungen her gar keine Versicherung!) haben sich nicht erfüllt. Deswegen müssen wir diese Re- gelung ändern. Mittlerweile sind die Schulden der säu- Frau Bender, ein Hinweis an Sie: Die angesparten Al- migen Beitragszahler bei der GKV auf 2,5 Milliarden tersrückstellungen bleiben bestehen. Es werden nur Euro angewachsen. Uns ist es wichtig, dass die Kranken- keine neuen gebildet. Das ist ein ganz wesentlicher Un- versicherung nicht mit der Angst vor Schulden verknüpft terschied. wird. Künftig wird deswegen ein regulärer Säumniszu- (Zuruf der Abg. Birgitt Bender [BÜND- schlag in Höhe von 1 Prozent des rückständigen Beitrags NIS 90/DIE GRÜNEN]) gelten. Wir nehmen den Neueinsteigern die Sorge vor der Über- Mit zwei weiteren Änderungen wollen wir auch die schuldung. Bisher musste schlimmstenfalls für seit 2009 Stundung und den Erlass von Beiträgen deutlich verein- nicht bezahlte Prämien mit einem Prämienzuschlag von fachen und befördern. Kurz: Wir stellen sicher, dass die bis zu 15 Monatsbeiträgen gerechnet werden. Hier gilt (B) Krankenkassen regelmäßig, regelhaft, von den Instru- (D) das Gleiche wie bei der GKV: Wer sich bis Ende des menten Stundung und Erlass in jedem Einzelfall ange- Jahres meldet, der wird von solchen Prämienzuschlägen messen Gebrauch machen können – übrigens nicht nur befreit. zugunsten der Versicherten, sondern auch im eigenen In- teresse der Kassen, um den enormen bürokratischen Noch eines haben wir gelernt: Anders als bei der Aufwand, wie er bisher entstanden ist, zu vermeiden. GKV sind bei der PKV die Kinder nicht beitragsfrei mit- Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind in versichert, sondern für sie muss ein eigener Vertrag ge- Deutschland immer noch 130 000 Menschen nicht versi- schlossen werden. Im Falle einer vorübergehenden Zah- chert. Für diese Nichtversicherten war in der Vergangen- lungsschwierigkeit der Eltern sind auch die Kinder heit der Preis für den Einstieg in die gesetzliche Kran- betroffen, wenn sie privat versichert sind. Für sie haben kenversicherung zu hoch. Hierbei geht es nicht nur um wir ein eigenes Leistungspaket geschnürt, auf dessen Säumniszuschläge, sondern vor allem darum, dass mit Grundlage alle Aufwendungen für Vorsorgeuntersu- Versicherungsbeginn für den Zeitraum, der ohne Versi- chungen und Schutzimpfungen, so sie von der Ständigen cherungsschutz war, maximal bis 2007 zurück, Beitrags- Impfkommission empfohlen werden, erstattet werden. forderungen entstanden sind. Im Gegenzug waren die Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass wir mit die- Kassen zwar zur Leistung verpflichtet, das hatte aber in sem Paket von Maßnahmen, die sich aus dem Gesetz zur der Praxis kaum Auswirkungen. Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschul- Mit einer Stichtagsregelung regeln wir einen vollstän- den in der Krankenversicherung ergeben, eine wirklich digen Schuldenerlass und setzen damit einen hohen An- umfassende Hilfestellung geben. Das Gesetz bringt uns reiz für jene, die bislang noch nicht versichert waren, dem Ziel näher, allen Bürgern in Deutschland einen sich endlich zu versichern. Wer sich also bis Ende dieses Krankenversicherungsschutz zu ermöglichen und unser Jahres bei einer Versicherung meldet, entgeht der Forde- gutes Gesundheitssystem bezahlbar zu halten. rung nach rückständigen Beiträgen und Säumniszuschlä- Herzlichen Dank. gen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Weil uns die Privatversicherten gleichermaßen am Herzen liegen, haben wir auch für diesen Bereich ein ähnliches System geschaffen. Auch in der PKV gibt es Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Rückstände in Höhe von 745 Millionen Euro. Nichtzah- Zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin ler sind insbesondere junge Selbstständige, die sich bei Marlies Volkmer das Wort. 31710 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Dr. Marlies Volkmer (SPD): schen, dass die Krankenschwestern, Krankenpfleger, (C) Liebe Kollegin Maag, ich nutze die Gelegenheit, zu Ärzte und alle anderen Berufsgruppen in einem Kran- sagen, dass ich mich vorhin in meiner Rede in der Tat kenhaus an den laufenden Lohnentwicklungen angemes- versprochen habe. Ich wollte „Skandal“ sagen, habe aber sen teilhaben. Denn nur so können wir die Berufsbilder, „Organspendeskandal“ gesagt. Es ist mir durchaus be- die wir im Krankenhaus brauchen, auch für die Zukunft wusst, dass das kein Skandal im Zusammenhang mit der sichern, und wir liefern mit diesem Gesetz an dieser Spende war, sondern dass dieser Skandal im Zuge des Stelle. Vermittlungsprozesses passiert ist. Das wollte ich gerne klarstellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Es ist aber normalerweise auch so, dass die Kranken- NISSES 90/DIE GRÜNEN) hausentgelte zu 100 Prozent für Personal- und Sachkos- ten zur Verfügung stehen. Nicht so aber in diesem Land, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: weil die Bundesländer ihrer Verpflichtung, zu 100 Pro- zent für die Investitionskosten aufzukommen, nicht Dann gebe ich jetzt dem Kollegen Lothar Riebsamen nachkommen. das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Ich gebe ausdrücklich der Kollegin Bender recht. Des- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wegen muss Schluss damit sein, dass die Länder ihrer Kollegen! In der Tat beinhaltet dieser Gesetzentwurf ei- Verpflichtung nicht nachkommen. nen ganzen Blumenstrauß von Maßnahmen zugunsten der Patientinnen und Patienten in unserem Land. Ich will (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der mich aber ausschließlich mit dem Thema Krankenhäuser FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- befassen; denn die über 2 000 Krankenhäuser mit NEN) 1,1 Millionen Beschäftigten sind natürlich eine wichtige, 1,1 Milliarden Euro: Das ist der Betrag, den die Kran- wenn nicht die wichtigste tragende Säule des Gesund- kenhäuser in 2013 und 2014 bekommen. Ab dem 1. Au- heitswesens in diesem Land. Nicht von ungefähr hat sich gust können die Krankenhäuser 1 Prozent und im nächs- diese Regierungskoalition in den vergangenen vier Jah- ten Jahr noch einmal 0,8 Prozent auf ihre Rechnungen ren sehr intensiv mit den Problemen der Krankenhäuser aufschlagen und haben damit sofort Geld zur Verfügung, (B) im Zusammenhang mit der Finanzierung der Personal- (D) das sie auch dringend brauchen. Ich habe einmal ausge- kosten und der Sachkosten auseinandergesetzt und hat rechnet, was der in dem Gesetzentwurf vorgesehene teil- ihr einen erheblichen Teil ihrer Arbeit gewidmet. weise Tarifausgleich für ein Krankenhaus in meinem Ich erinnere an das Versorgungsstrukturgesetz, mit Wahlkreis mit 500 Betten bedeutet: Diesem Kranken- dem wir für eine bessere Verzahnung zwischen den haus stehen dadurch in diesem Jahr rund 400 000 Euro Krankenhäusern und dem ambulanten Bereich gesorgt zusätzlich zur Verfügung. Das ist ein Wort! haben. Ich erinnere an das Infektionsschutzgesetz und widerspreche ausdrücklich Ihnen, Herr Professor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Lauterbach, dass wir nichts zur Verbesserung der Quali- neten der FDP) tät getan hätten. Wir haben das Infektionsschutzgesetz Ich habe das Infektionsschutzgesetz als Qualitätsver- eingeführt und verbessert und werden das heute noch besserungsmaßnahme schon erwähnt. Es wird nun auch einmal tun. Damit wird die Qualität in unseren Kranken- mit zusätzlichen Mitteln und einem Hygiene-Förderpro- häusern noch einmal erhöht. gramm unterlegt. Es werden Neueinstellungen von Hy- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gienefachkräften mit Zuschüssen in Höhe von 90 Pro- neten der FDP) zent der Kosten gefördert, Neueinstellungen von Fachärzten mit bis zu 75 Prozent und anderes mehr. Zu- Darüber hinaus haben wir mit dem Psych-Entgeltge- sammengerechnet geben wir bis 2020 für eine Verbesse- setz im vergangenen Jahr die Krankenhäuser bei der Fi- rung der Qualität 365 Millionen Euro für die Kranken- nanzierung der Personalkosten hinsichtlich der verein- häuser und – das sage ich noch einmal bewusst – für die barten Tariferhöhungen erneut unterstützt. Es war Patientinnen und Patienten aus. nachvollziehbar und auch richtig, dass die Krankenhäu- ser im Frühjahr dieses Jahres erneut auf uns zugekom- Wir sind auch einer wichtigen anderen Forderung der men sind und eine Verbesserung der Finanzsituation für Krankenhäuser nachgekommen, nämlich im Bereich des den laufenden Betrieb von uns eingefordert haben. Orientierungswertes flexibler zu sein, der seit dem 1. Ja- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE nuar 2013 gilt. Die Krankenhäuser konnten aber nur GRÜNEN]: Diese Erkenntnis ist euch aber über einen Teil dieser Kostensteigerungen, vom Statisti- spät gekommen!) schen Bundesamt festgelegt, verhandeln. Sie können für 2014/2015 über den vollen Orientierungswert verhan- Wir stehen dazu. Ja, es ist richtig, dass sie das getan ha- deln. Das war eine berechtigte Forderung der Kranken- ben, und wir liefern an dieser Stelle. Denn wir wün- häuser, der wir nachgekommen sind. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31711

Lothar Riebsamen (A) Es geht bei dem Gesetz nicht nur um Geld, sondern bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung für er- (C) auch um die Verbesserung der Kommunikation zwischen ledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp- den Krankenhäusern und den Kostenträgern. Es ist im- fehlung? – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann mer wieder von Problemen bei der Abrechnung die ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Rede. Mit der Einrichtung einer Schlichtungsstelle auf Wir setzen die Abstimmungen über die Beschluss- Bundesebene sorgen wir dafür, dass zukünftig diese empfehlungen des Ausschusses für Gesundheit auf Kabbeleien, wie ich es einmal nenne, vor Ort weitge- Drucksache 17/13947 fort. hend zurückgedrängt werden. Denn die Dinge von grundsätzlicher Bedeutung werden geregelt, und wir ge- Zusatzpunkt 15 b. Der Ausschuss empfiehlt unter hen davon aus, dass Streitigkeiten nicht mehr in dem Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung Umfang wie in der Vergangenheit auftreten. des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12069 mit dem Titel „Keine überhöhten Säumniszuschläge bei Zusammenfassend kann ich sagen: Wir liefern sofort. Beitragsschulden“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Wir helfen den Krankenhäusern, und wir bieten in dieser fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Regierungskoalition auch eine Perspektive über dieses Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung Wahljahr 2013 hinaus, dass wir uns in der nächsten durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktio- Wahlperiode mit Strukturen und mit der Bedarfsplanung nen waren dagegen. Es gab keine Enthaltungen. auseinandersetzen werden. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp- Herzlichen Dank. fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10119 mit dem neten der FDP) Titel „Privat Versicherte solidarisch versichern – Private Krankenversicherung als Vollversicherung abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: genstimmen? – Die Enthaltungen? – Die Beschlussemp- Wir sind am Ende der Debatte, die ich hiermit fehlung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/ schließe. CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Die Linke war Wir kommen zur Abstimmung über den von den dagegen. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch- setzentwurf zur Beseitigung sozialer Überforderung bei stabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Beitragsschulden in der Krankenversicherung. Der Aus- Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5524 schuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a sei- mit dem Titel „Versorgung der privat Versicherten im (B) (D) ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13947, den Basistarif sicherstellen“. Wer stimmt für diese Be- Gesetzentwurf auf Drucksache 17/13079 in der Aus- schlussempfehlung? – Die Gegenstimmen? – Die Ent- schussfassung anzunehmen. haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen Die Fraktion Die Linke hat beantragt, über Art. 5 d ei- wiederum bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und nerseits und über den Gesetzentwurf im Übrigen ande- Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke war da- rerseits getrennt abzustimmen. Deswegen rufe ich zu- gegen. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. nächst Art. 5 d in der Ausschussfassung auf. Ich bitte Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 63 a und 63 b diejenigen, die ihm so zustimmen wollen, um das Hand- auf: zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist Art. 5 d einstimmig angenommen. a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän- Jetzt stimmen wir über die übrigen Teile dieses Ge- zung des Grundgesetzes um Volksinitiative, setzentwurfs in der Ausschussfassung ab. Ich bitte dieje- Volksbegehren, Volksentscheid und Referen- nigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Die dum Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Damit sind die übrigen Teile des Gesetzentwurfes angenommen bei Zu- – Drucksache 17/13873 – stimmung durch CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Überweisungsvorschlag: Grünen. SPD und Linke haben sich enthalten. Gegen- Innenausschuss (f) stimmen gab es keine. Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein- Dritte Beratung gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Ab- und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz- stimmungen des Bundesvolkes (Bundesab- entwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. – stimmungsgesetz) Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist der – Drucksache 17/13874 – Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Überweisungsvorschlag: Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Innenausschuss (f) Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Rechtsausschuss Drucksache 17/13947 empfiehlt der Ausschuss, den Ent- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für wurf eines Gesetzes der Bundesregierung auf Drucksa- die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Da- che 17/13402 zur Beseitigung sozialer Überforderung mit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. 31712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Das Wort für die SPD-Fraktion gebe ich dem Kolle- Im Internet diskutieren heute Millionen in Foren oder (C) gen Thomas Oppermann. auf Blogs. Die Ereignisse der letzten Woche in der Tür- kei bewegen auch in Deutschland viele Menschen. Frü- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) her hätte das vielleicht zu Solidaritätsdemonstrationen auf den Straßen geführt. Heute bekunden Tausende ihre Thomas Oppermann (SPD): Unterstützung mit Tweets und Retweets, mit YouTube- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Beiträgen oder Like Buttons. parlamentarische Demokratie hat – nach über 60 Jahren können wir das feststellen – Aber auch die analoge Welt verändert sich. Denken Sie an das Hochwasser in Halle an der Saale. Das Rote (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Tolle Kreuz und die Feuerwehren mögen Schwierigkeiten ha- Ergebnisse!) ben, neue Mitglieder zu gewinnen; als aber in Halle das gut funktioniert. Sie ermöglicht schnelle Entscheidun- Hochwasser vor den Toren stand, ist die ganze Universi- gen, wenn es darauf ankommt. Sie hat auch den einen tät ausgerückt. Tausende von Studierenden und junge oder anderen guten Regierungswechsel ermöglicht, und Leute haben mit angepackt und Sandsäcke geschleppt. es gibt nicht den geringsten Grund, unsere parlamentari- Das Engagement ist also da. sche Demokratie infrage zu stellen. (Beifall bei der SPD) Allerdings dürfen wir nicht ignorieren, dass es Pro- bleme gibt. Die Kommunalwahlen in Schleswig-Hol- Diese Beispiele zeigen: Engagement wird heute viel stein vor drei Wochen sind mit einem Negativrekord zu weniger in Institutionen und Gremien geleistet. Es ist Ende gegangen: Nur noch 46 Prozent der Wahlberech- eher punktuell und themenbezogen. Das ist auch der tigten haben ihre Stimme abgegeben. Seit Jahren sinkt Grund dafür, warum sich an der Abstimmung über Stutt- die Wahlbeteiligung auf allen Ebenen. Wenn aber eine gart 21 mehr Menschen beteiligt haben als an der Kom- Mehrheit der Menschen nicht mehr an den Wahlen teil- munalwahl in Schleswig-Holstein. Das bedeutet aber nimmt, dann darf uns das nicht gleichgültig sein. auch: Der Rückgang der Wahlbeteiligung ist nicht zwangsläufig eine Absage an Demokratie. Er ist für uns (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ein Auftrag, unsere Demokratie fortzuentwickeln und zu DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der modernisieren. LINKEN) (Beifall bei der SPD) Die- Bild Zeitung hat heute ebenfalls eine Studie vorge- legt, nach der im Herbst nur jeder Zweite – jedenfalls Die SPD ist seit jeher die Partei der modernen Demo- (B) nach heutiger Bereitschaft – an der Bundestagswahl teil- kratie. Wir haben das Dreiklassenwahlrecht abgeschafft, (D) nehmen will. Sie empfiehlt im Kommentar eine Wahl- wir haben das Frauenwahlrecht und auch das Wahlalter 18 pflicht. Ich meine, die Wahlpflicht ist der falsche Weg. eingeführt. Wir müssen die Menschen von der Demokratie und der Notwendigkeit des Wählens überzeugen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da haben wir (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE mitgemacht!) GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der FDP) Jetzt schlagen wir vor, unsere repräsentative Demokratie um Elemente der direkten Demokratie zu erweitern. Wir Die Bertelsmann-Stiftung hat am Montag eine Studie wollen den Menschen auf Bundesebene ermöglichen, im zur Wahlbeteiligung veröffentlicht. Sie zeigt eines ganz Wege der Volksabstimmungen selbst zu entscheiden. deutlich: Viel zu viele Menschen fühlen sich heute von Dabei ist klar: Wir wollen die parlamentarische Demo- der Politik ausgeschlossen. Sie empfinden Politik als kratie um die Möglichkeit ergänzen, zwischen zwei schwer verständlich, haben resigniert und glauben nicht Wahltagen innerhalb von vier Jahren eine Regierung, die mehr daran, dass sich politisches Engagement lohnt. Ich man ja nicht einfach abwählen kann, dennoch in wichti- meine, wir dürfen diese Menschen nicht verloren geben, gen Sachfragen punktuell zu korrigieren. Diese Mög- meine Damen und Herren. lichkeit wollen wir den Bürgern einräumen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der LINKEN) Allerdings geht es nicht nur um Frust oder politisches Meine Damen und Herren, Abraham Lincoln hat das Desinteresse. Das ist der große Irrtum der Konservati- große Versprechen der Demokratie einst so formuliert: ven, die jede Veränderung immer gleich als Niedergang Demokratie ist die Regierung des Volkes durch das deuten. Tatsache ist nämlich auch, dass sich Formen des Volk für das Volk. Engagements gewandelt haben. Die Wahlbeteiligung mag noch so niedrig sein, trotzdem ist der Wunsch vieler Heute vertrauen immer weniger Menschen darauf, dass Menschen, etwa bei einem Bauprojekt in ihrer Nachbar- mit Wahlen allein eine Politik für das Volk zu schaffen schaft mitzureden, niemals größer gewesen. Niemals zu- ist. Die Menschen haben auch Gründe dafür. Hier im vor waren Bürgerinnen und Bürger so gut informiert und Bundestag werden mitunter die Interessen von Minder- kompetent wie heute. Schließlich ist die Fachinforma- heiten auf Kosten der Mehrheit ganz schamlos durchge- tion oft nur einen Mausklick entfernt. setzt. Denken Sie an die Mövenpick-Steuer oder an das Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31713

Thomas Oppermann (A) Meldegesetz, wo allein wirtschaftliche Interessen kleiner (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) Gruppen den Ausschlag gegeben haben. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Deutsche Bundestag sollte seine Macht in Zu- der LINKEN) kunft mit dem Volk teilen. Wir schlagen deshalb zwei Dinge vor: Es gibt viele politische Streitfragen, die den Bundes- tag beschäftigen: etwa den gesetzlichen Mindestlohn Erstens soll das Volk das Recht haben, selbst die Ini- von 8,50 Euro, eine verbindliche Frauenquote in Auf- tiative zu ergreifen und Gesetze per Volksentscheid zu sichtsräten, die Abschaffung des Betreuungsgeldes oder beschließen. Damit kann es Motor der Politik werden, die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften. Bei allen wenn wichtige Themen vom Bundestag ignoriert wer- diesen Themen stellen wir fest: Es gibt nicht nur demos- den. kopisch klare Mehrheiten in der Bevölkerung für diese Zweitens wollen wir, dass das Volk eingreifen kann, Forderungen; es gibt in einigen Fällen sogar Mehrheiten wenn es mit einem Gesetz des Bundestages nicht einver- im Deutschen Bundestag, aber aufgrund von Koalitions- standen ist; mit einem Referendum kann das Volk sozu- zwängen dürfen diese Mehrheiten nicht so abstimmen, sagen auf die Bremse treten. wie sie das wünschen. Zu den Details nur so viel: Wir halten es für angemes- (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das halte ich für sen, für eine bundesweite Volksabstimmung 1 Million ein Gerücht!) Unterschriften von Wahlberechtigten zu fordern. Damit Bei allem Respekt, lieber Kollege Grosse-Brömer, bei sorgen wir dafür, dass nur Themen von breitem Interesse aller Wertschätzung der Fraktionsdisziplin: zur Abstimmung kommen, aber diese Hürde ist auch nicht prohibitiv hoch. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben wir nicht!) Wir stellen außerdem sicher, dass die Rechte der Län- der gewahrt bleiben. Wenn ein Gesetz die Zustimmung Es muss doch die Möglichkeit geben, dass sozusagen der des Bundesrates braucht, dann ist in der Volksabstim- Wille der Mehrheit in dieser Gesellschaft einen Weg fin- mung eine doppelte Mehrheit nötig. Bundesweit muss det, sich durchzusetzen. die Mehrheit der Stimmen für das Gesetz sein, und ent- sprechend dem Stimmgewicht der Länder im Bundesrat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muss es auch eine Mehrheit unter den Ländern geben. der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Keine Frage! Das werden wir am Wir sorgen außerdem für Transparenz und Chancen- (B) 22. September wieder sehen!) gleichheit. Jede Kampagne für eine Volksabstimmung (D) muss offenlegen, wer hinter ihr steht und wer sie finan- Ich bin ganz sicher: Wenn wir das Instrument der ziert. Aber wir wollen eine Kostenerstattung durch den Volksabstimmung schon gehabt hätten, hätten wir in die- Staat, damit auch Gruppen – und Themen – eine Chance ser Wahlperiode ganz sicher ein Bürgerbegehren gegen haben, die keine starke Organisation im Rücken haben. das Betreuungsgeld auf den Weg gebracht, Meine Damen und Herren, wir haben bei diesen Vor- (Beifall bei der SPD) schlägen auch auf Erfahrungen aus den Bundesländern ein Bürgerbegehren für den gesetzlichen Mindestlohn zurückgegriffen. Allein seit der Wiederherstellung der von 8,50 Euro und ein Bürgerbegehren für die verbindli- deutschen Einheit hat es 69 Volksbegehren und 17 Volks- che Einführung der Frauenquote. entscheide auf der Ebene der Bundesländer gegeben. In Niedersachsen habe ich selbst 1993 bei der Verfassungs- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gegen reform im Landtag mitgewirkt, als wir mit Rot-Grün die das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Part- direkte Demokratie in der Landesverfassung verankert nerschaften!) haben. Ich sage Ihnen: Wir hätten in dem einen oder anderen Wie damals geht es auch heute darum, nicht nur die Fall wahrscheinlich auch gewonnen. Möglichkeit der Mitbestimmung des Volkes zu stärken, (Beifall bei der SPD – Ingo Wellenreuther sondern auch die Mitverantwortung; denn heute machen [CDU/CSU]: Oder auch nicht!) es sich viele Leute leicht und sagen: Die Politik kann es nicht; die bringt es nicht. – Wenn es die Möglichkeit Wie positiv die direkte Demokratie wirken kann, ha- gibt, politische Entscheidungen per Volksentscheid zu ben uns vor wenigen Wochen die Schweizer gezeigt. korrigieren, kann man sich nicht mehr so einfach heraus- Dort hatte sich das Parlament jahrelang dagegen ge- reden. sträubt, etwas gegen die exzessiven Gehälter von Mana- gern zu unternehmen. Dann hat das Volk eingegriffen (Beifall bei der SPD) und der Selbstbedienung per Volksentscheid mit großer Deshalb stärken wir auch die Mitverantwortung. Mehrheit ein Ende gemacht. Bei der direkten Demokratie bekommen wir – – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Wahl- beteiligung ist aber auch nicht höher!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich finde, da können wir von den Schweizern lernen. Herr Kollege. 31714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Thomas Oppermann (SPD): Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) Darf ich noch kurz zu Ende bringen, Frau Präsiden- Helmut Brandt hat jetzt das Wort für die CDU/CSU- tin? Ich nehme noch eine Minute. Fraktion.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Helmut Brandt (CDU/CSU): Sie haben ja noch einen anderen Redner auf der Liste. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Thomas Oppermann (SPD): (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Gib dir einen Gibt es eine Frage? Ruck!) – Ja, Dieter, ich gebe dir gleich die Gelegenheit, wenn du Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: noch eine Minute hast, nachdem der Kollege Oppermann Nein, es gibt keine Frage. Nach Ablauf der Redezeit seine Redezeit weit überzogen hat. lasse ich auch gar keine Fragen mehr zu. Sie haben Ihre Die Bundestagswahl rückt näher, und aus diesem Redezeit schon deutlich überschritten. Grund konnte es sich die SPD-Fraktion nicht verkneifen, das Thema Volksentscheid vor Beginn der parlamentari- Thomas Oppermann (SPD): schen Sommerpause und dem Auftakt des Bundestags- Okay. Danke schön. – Ich glaube, dass Volksent- wahlkampfes auf die Tagesordnung zu bringen. Ich hatte scheide in Deutschland auch die politische Kultur verän- den Eindruck, Herr Oppermann, Ihre Begründung, man dern werden. Eine Regierungsmehrheit muss stärker müsse einen Volksentscheid haben, um eine Regierung begründen, was sie vorhat. Sie muss viel mehr Überzeu- möglicherweise in die Schranken zu weisen, ist ein ers- gungsaufwand betreiben. Das geht nicht mehr so wie in tes Indiz, dass Sie den Wahlkampf schon verloren gege- der Europapolitik, wo oft der Eindruck erweckt wird, ben haben und hoffen, uns in der nächsten Wahlperiode dass man gar nicht richtig hinter den Dingen steht, die auf diese Art und Weise zu reglementieren. dort beschlossen werden. Bei politischen Entscheidun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- gen im Parlament muss man stärker im Auge behalten, ruf von der SPD: Das hätten Sie gerne!) was die Mehrheit der Bevölkerung will, und muss den Dialog früher suchen. Sie haben als Beispiel die Schweiz genannt. Das Bei- spiel, das Sie genannt haben, hatte sicher positive Ef- Ich glaube, dass die direkte Demokratie unserer Ver- fekte. Es gibt aber auch in der Schweiz Volksentscheide, fassung guttut. Das wird von Ihnen in der Union seit (B) die – nach meiner Einschätzung und Ihrer bestimmt (D) 60 Jahren blockiert. Besonders doppelzüngig agiert die auch – ein ganz anderes, nämlich negatives politisches Fraktion der CSU. Sie tritt immer dann für Volksabstim- Ergebnis gehabt haben. mungen ein, wenn es gegen den Euro geht. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Minarett!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Auch das sollte man bei der Diskussion berücksichtigen. Herr Kollege. Diese Diskussion kann und wird nicht dazu führen, uns als erklärte Gegner plebiszitärer Entscheidungen Thomas Oppermann (SPD): darzustellen. Das ist, wie Sie selber wissen, nicht der Wenn wir aber Volksabstimmungen für alle Themen Fall. einführen wollen, dann sind Sie dagegen. Sie haben ein Von Ihnen wurden bewusst wichtige Argumente ge- rein taktisches Verhältnis zu Volksabstimmungen. Das gen einen solchen Volksentscheid nicht vorgetragen. Ein lehnen wir ab. Wir brauchen – das möchte ich zum Volksentscheid ist ein auf einen Punkt reduziertes Ver- Schluss sagen – heute mehr Möglichkeiten zur Beteili- fahren, bei dem die gestellte Frage nur mit Ja oder Nein gung und zur demokratischen Mitbestimmung. Die ei- zu beantworten ist. Die Sachverhalte, mit denen wir uns nen erwarten das von uns. Für die anderen ist es eine tagtäglich hier beschäftigen, sind aber nicht einfach mit Chance, die Menschen wieder stärker politisch zu akti- Ja oder Nein zu beantworten und auf diese einfache Ant- vieren. wort zu reduzieren. Deshalb haben wir größte Zweifel, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer ob Volksentscheide auf Bundesebene – ich betone: auf verzichtet jetzt bei euch?) Bundesebene – tatsächlich den an sie gestellten hohen Ansprüchen gerecht werden. Meine dringende Bitte an Sie, Kolleginnen und Kolle- gen von der Union: Geben Sie Ihre Blockade auf! Über- Die größere Gefahr, die ich sehe, ist, dass Gesetzes- winden Sie endlich Ihre Angst! Ein Politiker, der Angst vorhaben, die über Jahre durch alle Gremien gegangen vor dem Volk hat, ist wie ein Fisch, der wasserscheu ist. sind und von Experten begleitet wurden, dann zu Fall Beide haben Ihre Bestimmung verfehlt. gebracht werden. Das kann nach meiner Auffassung im Einzelfall zu ganz gravierenden negativen Erscheinun- Herzlichen Dank. gen führen. (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer Sie müssen auch bedenken, dass bei Volksentschei- [CDU/CSU]: Fünf Minuten überzogen!) dungen die Gefahr besteht, dass wichtige Sachfragen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31715

Helmut Brandt (A) nicht nach sachbezogenen Gesichtspunkten entschieden teien, die im Stadtrat vertreten sind, also SPD, CDU und (C) werden, sondern danach, wie schlagwortartig und popu- Grünen, befürwortet worden ist. Das Ergebnis war: Das listisch Parolen unter das Volk gebracht werden, und Projekt ist abgelehnt worden, weil nur diejenigen an der dass sich Menschen in ihrer Entscheidung möglicher- Abstimmung teilgenommen haben, die dagegen waren. weise von ihrer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Diejenigen, die dafür waren, haben sich von der Vorstel- Bundes- oder Landespolitik leiten lassen. Ängste und lung leiten lassen: Das Projekt wird sowieso von allen Widerstand lassen sich bekanntlich wesentlich leichter Parteien getragen; also brauche ich an dieser Abstim- mobilisieren als Begeisterung. mung gar nicht teilzunehmen. – Hier sieht man die Ge- fahr, dass ein Vorhaben auch scheitern kann, wenn man (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: nicht die Kraft aufbringt, es – in diesem Falle: im Rat – Auch im Parlament!) zu beschließen. – Das birgt die Gefahr von Manipulationen, Michael. – Eine Bemerkung zu Ihrer Aussage zur Wahlbeteili- Die Folge wäre ein nicht auf sachliche Argumente, son- gung. Auch ich bedaure die geringe Beteiligung. Sogar dern auf Stimmungen gestütztes Ergebnis. bei dem Referendum, das in Stuttgart abgehalten worden (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: So ist, lag die Beteiligungsquote trotz des großen Medien- regiert doch die Kanzlerin!) rummels und trotz all der Umstände, die uns allen noch vor Augen sind, bei nur 48 Prozent. – Die Kanzlerin regiert, und wir kontrollieren sie ge- meinsam, Michael. Das ist ja unsere Aufgabe. ( [SPD]: Aber immerhin!) Zurück zum Tagesordnungspunkt. Wenn ein Volks- Das belegt, dass es selbst ein solch wichtiges Thema entscheid durchgeführt würde, wenn Ihr Gesetzentwurf nicht geschafft hat, die Mehrheit der Wählerinnen und also Erfolg gehabt hätte, dann wäre das Parlament, wie Wähler dazu zu bewegen, an der Abstimmung teilzuneh- von Ihnen zu Recht gesagt worden ist, an das Ergebnis men. Das Argument, dadurch könnten die zu beklagende der Abstimmung gebunden. Ein Interessenausgleich Unlust der Wähler und die festzustellende Demokratie- wäre im Einzelfall gar nicht mehr herzustellen. Oft wäre erlahmung beseitigt werden, greift insofern nicht. er aber nötig. Es ist richtig, dass wir immer wieder auch unpopuläre Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Entscheidungen treffen müssen. Aber langfristig haben Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des sich die meisten dieser Maßnahmen doch als richtig er- Kollegen Wiefelspütz? wiesen, auch wenn – darauf weise ich hin – zum Zeit- punkt der Verabschiedung ein Volksentscheid die Maß- Helmut Brandt (CDU/CSU): (B) (D) nahme verhindert hätte. Ich erinnere an Ihre eigenen Ja, gerne. Bitte schön. Hartz-IV-Gesetzgebungsverfahren. Ich bin davon über- zeugt: Wenn dazu damals ein Volksentscheid durchge- Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): führt worden wäre, hätten wir diese richtigen Reformen Herr Kollege Brandt, gelten Ihre Argumente auch im in dieser Form nicht auf den Weg bringen können. Hinblick auf die, wie ich finde, bewährten Instrumente (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Deshalb der direkten Demokratie in Nordrhein-Westfalen, dem machen wir ihn ja!) Bundesland, aus dem wir beide kommen, in Bayern oder in Niedersachsen? Was ist in diesen Ländern eigentlich – Ja, ja, Herr Hunko. Für Sie wäre das vielleicht die ein- so grundsätzlich anders? Immerhin sind diese Länder so zige Möglichkeit, politisch wirken zu können. Aber es groß, dass sie, wenn sie eigenständige Staaten wären ist nicht unsere Absicht, dazu beizutragen. – rein theoretisch –, möglicherweise geachtete und wich- Visionäre Entscheidungen, wie wir sie in der Vergan- tige Mitgliedstaaten der Europäischen Union wären. genheit immer wieder erlebt haben – ob es um das ge- (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: meinsame Europa oder um die Ostpolitik von Willy Bayern auf jeden Fall!) Brandt ging –, wären damals aus dem Zeitgeist heraus von den Bürgerinnen und Bürgern in einem Volksent- Worin besteht eigentlich der große Unterschied? Oder scheid vielleicht abgelehnt und gebremst worden. Das wollen Sie die Instrumente der direkten Demokratie in alles muss man mit bedenken. Bayern und Nordrhein-Westfalen abschaffen? Ich habe manchmal wirklich den Eindruck, manch ei- Helmut Brandt (CDU/CSU): ner, der mehr direkte Demokratie fordert, möchte sich in Lieber Herr Wiefelspütz, sicherlich wissen auch Sie, dem einen oder anderen Fall hinter dem Ergebnis eines dass in Nordrhein-Westfalen die Einführung eines Volksentscheids verstecken, weil er nicht die Kraft hat, Volksentscheids mit den Stimmen der CDU beschlossen eine schwierige Entscheidung selbst zu treffen, wie es in worden ist, sogar auf Initiative der CDU. Das belegt, unserer repräsentativen Demokratie aber nun einmal ge- dass wir diesen Ansatz nicht grundsätzlich ablehnen. fordert ist. Das ist, glaube ich, ein Gesichtspunkt, der im- mer wieder zum Tragen kommt. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist ja schon mal gut!) Ich habe ein Beispiel vor Augen. In Aachen ist kürz- lich ein Volksentscheid durchgeführt worden, und zwar Allerdings findet das in den Bundesländern in einem zu einem Projekt, das von allen großen politischen Par- kleineren Rahmen statt. Nordrhein-Westfalen ist mit sei- 31716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Helmut Brandt (A) nen 18 Millionen Einwohnern zugegebenermaßen ein Petra Pau (DIE LINKE): (C) großes Land; aber in diesem Rahmen lässt sich das noch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir handhaben. diskutieren über zwei Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion: Der erste will das Grundgesetz ändern, der zweite Außerdem muss man sich fragen: Welche Entschei- schlägt Verfahren vor. Beide zusammen sollen zu mehr dungen sind auf Bundesebene zu treffen? Wollen wir im Hinblick auf diese Entscheidungen, die sich deutlich von direkter Demokratie führen, zu Volksbegehren und den Entscheidungen, die auf Landesebene zu treffen Volksentscheiden auch auf Bundesebene. Mit diesen An- sind, unterscheiden, trägen nach dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ schleicht sich die SPD durch offene linke Tore. Ich erin- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: nere mich an einen entsprechenden Gesetzentwurf der Genau!) Fraktion Die Linke vom März 2010, also vor drei Jahren. tatsächlich eine solche Möglichkeit schaffen? Wir nei- Insofern kann ich nur sagen, Kollege Oppermann: Will- gen derzeit immer noch zu der Auffassung, dass das auf kommen im Club! Bundesebene nicht der richtige Weg ist. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Arfst (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Man beachte: GRÜNEN]) „derzeit“!) Andere würden vielleicht meinen – das klang hier – Jeder wird klüger. Das wird hoffentlich auch bei Ihnen schon an –: „Spät kommt ihr – doch ihr kommt!“ Das noch möglich sein. – Jedenfalls halten wir den Vor- trifft es leider nicht. Richtig müsste es heißen: „Spät schlag, den Sie gemacht haben, nicht für zustimmungs- kommt ihr – doch zu spät.“ Denn alle wissen: Bis zur würdig. Neuwahl des Bundestages verbleiben nur noch wenige Wochen. In dieser knappen Zeit ist dieser Wunsch in ei- (Christine Lambrecht [SPD]: Dann machen nem normalen parlamentarischen Verfahren nicht mehr Sie mal einen eigenen Vorschlag!) ins Werk zu setzen. Deshalb orakeln Böswillige, es gehe Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, jemand, der der SPD gar nicht um mehr Demokratie auf Bundes- sagt, Demokratie sei mehr, als alle vier Jahre zur Wahl ebene, sondern um puren Wahlkampf. Andere meinen, zu gehen, der hat natürlich völlig recht. Derjenige, der die SPD spekuliere darauf, dass die Unionsfraktion – der daraus jedoch den Schluss zieht, wir bräuchten plebiszi- Kollege Brandt zeigte sich eben wieder verlässlich – dies täre Entscheidungen auch auf Bundesebene, der ver- natürlich wie seit Jahrzehnten blockieren wird. kennt die zahlreichen Möglichkeiten, die unsere Demo- kratie im Meinungsbildungsprozess tatsächlich bietet. Um es deutlich zu sagen: Ich kann mir nicht vorstel- (B) len, dass die SPD, die älteste Partei in Deutschland, mit (D) Ich will von den entsprechenden Gesetzesinitiativen, solchen Tricks arbeitet, zumal es um eine gute Sache die wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht geht. haben, nur ein Projekt nennen: die frühzeitige Beteili- gung von Bürgerinnen und Bürgern am Planfeststel- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die lungsverfahren im Vorfeld großer Bauvorhaben. Uns war SPD ist tief gesunken!) natürlich bewusst – dieses Problem haben wir gelöst –, Aber, liebe Kollegen von der Union, wenn es doch so dass die Bürgerinnen und Bürger, die von einer Maß- sein sollte, gibt es einen Ausweg. Deshalb richte ich nahme betroffen sind, frühzeitig die Gelegenheit erhal- mich an Sie: Ich würde mir an Ihrer Stelle – ich weiß, ten müssen und jetzt auch haben, sich bei solchen Pro- „an Ihrer Stelle“ ist für uns beide nur schwer vorstellbar jekten zu beteiligen. Es gibt noch vielfältige andere – einen Ruck geben und mich nicht vorführen lassen. Möglichkeiten, die ich Ihnen nicht alle aufzählen muss. Lassen Sie doch die SPD mit ihrem Kalkül einfach ins Ich möchte, anders als es der Kollege vor mir ge- Leere laufen und stimmen Sie zu. macht hat, meine Redezeit nicht überstrapazieren, son- (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie dern möchte an dieser Stelle schließen. des Abg. Arfst Wagner [Schleswig] [BÜND- Es ist leicht durchschaubar, Herr Oppermann, warum NIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie gerade jetzt mit diesem Vorhaben kommen: Damit schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Ers- (Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Populis- tens machen Sie den Wahlkampfstrategen der SPD einen tisch!) Strich durch die Rechnung. Zweitens können wir dann Es ist wirklich ein auf den Wahlkampf zugespitztes Vor- die SPD beim Wort nehmen. haben, das wir aber inhaltlich ablehnen. (Christine Lambrecht [SPD]: Genau! – Ich danke Ihnen. Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Wenn wir regie- ren! Genau!) (Beifall bei der CDU/CSU) Nun aber zurück zum inhaltlichen Anliegen: mehr di- rekte Demokratie. Im Land Berlin wurde das gerade er- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: folgreich praktiziert: Mehr als eine Viertelmillion Bürge- Das Wort hat nun Petra Pau für die Fraktion Die rinnen und Bürger Berlins haben gefordert, dass die Linke. Energienetze wieder in kommunale Hand kommen und (Beifall bei der LINKEN) ein Stadtwerk Berlin künftig mit ökologischer Energie Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31717

Petra Pau (A) versorgt. Ich bin stolz, dass die Linke wesentlich dazu (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Die in der Eifel (C) beigetragen hat. sind clever!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Arfst Dieses Beispiel zeigt, dass wir den Bürgerinnen und Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/DIE Bürgern mehr zutrauen können, als Sie das gerade darge- GRÜNEN]) stellt haben. Auf Bundesebene sind Volksinitiativen, Volksbegeh- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ren und Volksabstimmungen aber noch immer ausge- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN schlossen, das heißt, die Bundesrepublik ist in Fragen und des Abg. Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]) direkter Demokratie tatsächlich noch ein EU-Entwick- Zum Schluss eine grundsätzliche Bemerkung. Art. 20 lungsland. Ich finde, das muss sich ändern. Grundgesetz besagt: (Beifall bei der LINKEN) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen … aus- In den letzten 25 Jahren gab es mehrere Initiativen für geübt. mehr direkte Demokratie. Sie wurden stets ausgebremst, und das nicht nur – das muss ich der Gerechtigkeit hal- Die Bürgerinnen und Bürger sind der Souverän, niemand ber sagen – durch die Unionsfraktionen. sonst. Das bleiben sie auch, wenn sie eigene Entschei- dungen durch Wahlen an die Volksvertreter delegieren. Die Bürgerrechtler der DDR hatten 1990 am Runden Wir Abgeordnete vertreten sie, aber wir ersetzen sie Tisch einen Verfassungsentwurf erarbeitet. Direkte De- nicht als Souverän. Deshalb müssen die Bürgerinnen mokratie war darin selbstverständlich vorgesehen. Er und Bürger jederzeit die Möglichkeit haben, diese dele- sollte eine Mitgift der DDR für das vereinte Deutschland gierten Entscheidungen zurückzuholen oder auch selbst sein. Dazu kam es nicht. zu treffen. Das ist der urdemokratische Sinn von Volks- 1991/1992 gab es im vereinten Deutschland einen initiativen, Volksbegehren und Volksabstimmungen. Paulskirchen-Konvent für eine neue Verfassung. Auch Deshalb unterstützen wir die Initiative der SPD. dieser Entwurf enthielt Formen direkter Demokratie, (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem aber auch dieses Angebot wurde ausgeschlagen, dieses BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mal vom Bundestag. 2004 gab es einen erneuten Versuch, eine Volksab- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: stimmung zu erwirken. Es ging um den Verfassungsent- Das Wort hat nun Stephan Thomae für die FDP-Frak- (B) wurf für die Europäische Union. Der damalige Außen- tion. (D) minister Joseph Fischer lehnte das ab. Er lasse sich seine EU-Verfassung nicht vom Volk zerschmettern, sagte er. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Stephan Thomae (FDP): Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder behaup- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen, verehrte Kolle- tete sogar, das Grundgesetz verbiete Volksabstimmun- gen! Wir beraten heute zwei Gesetzentwürfe der SPD- gen. Fraktion, die wir Liberale mit großer Sympathie und großem Interesse studiert haben. Bevor ich zu einer kriti- (Jimmy Schulz [FDP]: Das hat er gesagt?) schen Würdigung der Entwürfe komme, erlauben Sie mir zunächst einige grundsätzliche Überlegungen. Wir alle wissen, dass das nicht stimmt. Es stimmt: Der Begriff „Staat“ löst bei den meisten Das alles ist Geschichte. Aber die letzte Geschichte Menschen in unserem Land leider kaum mehr ein Wir- zur EU-Verfassung hält noch eine besondere Erzählung Gefühl aus. Das ist nicht gut. Viele Menschen erfahren parat, die vielleicht auch Sie, Kollege Brandt, überzeu- den Staat in Form von Staatsgewalten: gesetzgebende, gen könnte. ausführende und rechtsprechende Gewalt. Sie erleben ihn als den, der ihnen ein Bußgeldmandat für Falschpar- Der uns allen bekannte, bundesweit agile Verein ken an die Windschutzscheibe heftet. Manchmal erleben „Mehr Demokratie e. V.“ arrangierte damals mit einer sie ihn auch als einen Akteur der Wirtschaft: als feindli- Kleinstadt in der Eifel eine Volksabstimmung über den chen, übermächtigen, großen Konzern; sprich: sozusa- EU-Verfassungsvertrag. Die Bürgerinnen und Bürger gen als Goliath, dem die Menschen und die Gesellschaft stimmten ab, natürlich unverbindlich. Dafür machten sie als David, also als der Kleine, Schwache und Unterle- sich schlau, schlauer als anderswo. Politikerinnen und gene, gegenübertreten. Politiker warben für ihre Position, intensiver als an- derswo. Die Beteiligung an dieser Abstimmung war sehr Es sieht so aus, als hätten sich Volk und Staat irgend- hoch, die Bürgerinnen und Bürger fühlten sich einbezo- wie auseinandergelebt – das nützt keinem, das schadet gen, sie waren gefragt und sie entschieden sich souverän. allen –, und das, obgleich es zahlreiche Mitwirkungs- Übrigens votierten die Bürgerinnen und Bürger damals und Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Aber das sind oft – sehr zum Leidwesen meiner Partei – mehrheitlich für komplizierte Verfahren zu komplexen Themen. Da be- die EU-Verfassung. darf es oft eines fachkundigen Lotsen. So führt manches, 31718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Stephan Thomae (A) das gut gemeint war, dann doch dazu – eben weil ein lan- öffnen wollen und dass die Bürger über die Wahlen hi- (C) ger Atem erforderlich ist –, dass nicht mehr Begeiste- naus Einflussmöglichkeiten erhalten sollen. rung für die Politik entsteht, sondern bloß mehr Ver- druss. Was eigentlich zu einem Demokratiegewinn Man sieht also: Die FDP ist von dem, was in den Ge- führen sollte, führt am Ende dann zu Demokratieverlust, setzentwürfen der SPD steht, nicht so weit entfernt. und das sollte nicht sein. Aber, Kollege Oppermann, die SPD ist andererseits – jetzt komme ich zur kritischen Würdigung – auch nicht (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Jetzt kommen so nah an der FDP, dass wir heute sagen könnten: Wir Sie aber zur Sache!) stimmen einfach zu. Politik ist eben eine Ausdauersportart. Manchmal ist (Christine Lambrecht [SPD]: Das ist aber sehr es erforderlich, dass man sich über Jahre hinweg mit den schade!) Themen befasst. Das ist für den Bürger schwer zu hand- haben. Er verfügt ja nicht wie ein Parlamentarier über Beim genauen Blick in Ihre Gesetzentwürfe erkennt man Mitarbeiter, die Themen aufarbeiten können. Zwar eröff- im Detail – das sind keine Kleinigkeiten – verfahrens- nen neue Medien neue Möglichkeiten, sich zu informie- mäßige Unterschiede. ren, auch sich zu beteiligen, aber leider ist es so, dass, (Christine Lambrecht [SPD]: Er hat einen Not- wenn Beteiligung stattfindet, oft zu wenige hingehen. ausgang gefunden!) Das ist eines der Probleme, die wir alle gemeinsam lösen wollen und lösen müssen. Wir haben in der Bundestagsdrucksache 16/474, also Ich will auch ein Wort zum Thema Parlamentarismus aus der letzten Legislaturperiode, ein Quorum für die sagen – dazu hat der Kollege Oppermann, wie ich meine, Volksinitiative von 400 000 vorgeschlagen. In Ihrem Ge- sehr Zutreffendes gesagt –: Wir haben in Deutschland setzentwurf ist von einem Quorum von 100 000 die glücklicherweise einen nach dem Zweiten Weltkrieg ge- Rede. Hier gibt es also einen deutlichen Unterschied. wachsenen Parlamentarismus – nach all den geschichtli- (Christine Lambrecht [SPD]: Lassen Sie uns chen Erfahrungen, die wir in Deutschland sammeln darüber reden!) mussten –, der seinesgleichen sucht. Weil das so ist, sitzt das Parlament heute – ebenfalls glücklicherweise – fest Was die Frist für das Volksbegehren nach einer Volks- im Sattel. Deswegen meinen wir Liberale, dass wir keine initiative angeht, falls durch die Initiative kein Gesetz Angst davor haben sollten, dass mehr Bürgerbeteiligung zustande gekommen ist, fordert die SPD, dass innerhalb das Parlament irgendwie vom Thron stoßen könnte. von sechs Monaten ein Quorum von 1 Million erreicht werden muss. Unser Gesetzentwurf seinerzeit sah vor: (B) (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN 15 Prozent der Wahlberechtigten in acht Monaten. Auch (D) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie das ist ein Unterschied. bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Christine Lambrecht [SPD]: Darüber können Die Bürger sind keine Gefahr für das Parlament. Das wir reden!) sollten wir wissen. Wir müssen auch sehen, dass das Par- lament nicht notwendigerweise klüger ist als das Volk. Bei den Volksentscheiden hat die FDP in ihrem Gesetz- Es ist aber auch nicht notwendigerweise andersherum. entwurf aus der letzten Legislaturperiode ein Quorum Es gibt keine Richtigkeitsgewähr, weder für das Parla- von 15 Prozent formuliert. ment noch für die Bürger. Das müssen wir sehen. (Christine Lambrecht [SPD]: Auch darüber Nach unserer Verfassung ist es doch so: Nicht das können wir reden!) Parlament gewährt den Bürgern Beteiligungsrechte, son- dern die Bürger wählen uns als ihre Vertreter. Sie gewäh- Das sind zahlenmäßige Unterschiede. Sie werden ren uns Vertretungsmacht. Da ist es aus unserer Sicht lo- vielleicht sagen: Gut, das sind aber nur Zahlen. – Diese gisch, dass wir den Bürgern nicht den Stuhl vor die Tür Zahlen sind aber nicht willkürlich oder unwichtig. Zu setzen können. diesen Zahlen sind wir aufgrund eigener Überlegungen gekommen. Wir halten sie für wichtig. Das ist der Alle Staatsgewalt geht – das ist eben schon gesagt Grund, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, worden – vom Volke aus. Das besagt unser Grundgesetz. weshalb wir von der FDP heute Ihren Gesetzentwürfen Aber irgendwie kehrt diese Staatsgewalt bis zur nächsten nicht zustimmen können. Wahl nicht so recht zum Volk zurück. Demokratie ist für uns Liberale eine Mitmachveranstaltung. Parlamentaris- Vielen Dank. mus und Bürgerbeteiligung widersprechen sich nicht. Sie sind keine Gegensätze. Sie ergänzen sich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei LINKE]: Das war eine eingesprungene Sitz- Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- pirouette!) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen sind wir Liberale offen für mehr Bürgerbetei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ligung. Deswegen haben wir in unseren Beschlüssen for- Das Wort hat nun Ingrid Hönlinger für die Fraktion muliert, dass wir die Demokratie stärken, beleben und Bündnis 90/Die Grünen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31719

(A) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): chen eine rasant zunehmende und weitreichende Trans- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! parenz. Sie ermöglichen auch mehr Kommunikation und Gestern hatte ich in einem Parlamentsseminar Besuch Mitentscheidung durch informierte Bürgerinnen und von einer Schulklasse aus Hessen. Mit 32 Schülerinnen Bürger. und Schülern im Alter von circa 16 Jahren habe ich über das Thema Demokratie und Bürgerbeteiligung disku- Wenn Bürger ihre Anliegen umsetzen wollen, geht tiert. Die Schülerinnen und Schüler kamen direkt zur Sa- das manchmal blitzschnell: Schauen wir in die Türkei, che und fragten: Ist die Bevölkerung eigentlich gut ge- schauen wir hier auf die Blockupy-Bewegung, oder nug informiert, um über eine politische Sachfrage schauen wir, wie schnell sich Bürger zusammenfinden, abzustimmen? Und die Schüler fragten auch: Besteht um ihre Dämme in Sachsen-Anhalt und anderswo zu er- nicht die Gefahr, dass Bürgerbeteiligung populistisch höhen, wenn ihre Häuser und Dörfer bedroht sind. ausgenutzt wird? – Ich war sehr positiv überrascht, wie Bürgerbeteiligung und Volksabstimmungen sind ein nachdenklich, wie reflektiert und wie reif diese Jugendli- Gewinn für die Demokratie. Sie sind Bestandteil einer chen aufgetreten sind. modernen Demokratie. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Reifer als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie die SPD!) des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Was können wir daraus lernen? Demokratie, meine Wir müssen deshalb in diesem Hohen Hause endlich die Damen und Herren und auch Herr Sensburg, ist nicht nur gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen, dass die Bürge- eine Angelegenheit dieses Hohen Hauses. Demokratie rinnen und Bürger auch wirklich mitgestalten und mitbe- ist die Angelegenheit eines jeden einzelnen Bürgers. stimmen können. Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger informieren und beteiligen und wenn die Bürger sich interessieren, dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ist mehr Demokratie möglich. Demokratie lebt von Be- des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) teiligung. Ich bin überzeugt davon: Wenn viele mitden- ken, dann ist das Ergebnis auch meistens besser. Direkte Demokratie kann die repräsentative Demo- kratie sinnvoll ergänzen. Direktdemokratische Abstim- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mungen müssen auch die Rechte des Parlaments nicht sowie bei Abgeordneten der SPD) mindern. Nach unserem grünen Beteiligungsmodell Konfuzius hat diese Gedanken vor mehr als 2 500 Jah- kann der Bundestag während des Verfahrens alternative ren folgendermaßen zusammengefasst: Erkläre mir, und Regelungen verabschieden oder zur Abstimmung stel- len. Dem Parlament bleibt es auch unbenommen, ein (B) ich werde vergessen. Zeige mir, und ich werde mich er- (D) innern. Beteilige mich, und ich werde verstehen. durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz wieder zu ändern oder aufzuheben. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das war der erste chinesische Demokrat! Seitdem gab es Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger grund- keine mehr!) sätzlich über alle politischen Sachfragen abstimmen können. Das schließt auch finanzwirksame Volksinitiati- Was hindert uns eigentlich daran, unsere Demokratie zu ven ein. Ausgenommen sind das Haushaltsgesetz und einer echten Beteiligungsdemokratie weiterzuentwi- Abgabengesetze im Sinne der Finanzverfassungsartikel, ckeln? also Steuern, Zölle und Finanzmonopole. Ihre Änderung (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Haben die soll nach unserer Überzeugung dem Parlament vorbehal- chinesischen Kaiser das auch beherzigt?) ten bleiben. Die Einführung direktdemokratischer Elemente auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesebene ist seit Jahrzehnten eine der zentralen de- und bei der SPD) mokratiepolitischen Forderungen der grünen Bundes- Die Demokratie in Deutschland und Europa voranzu- tagsfraktion. Seit 1990 haben wir zahlreiche Initiativen bringen und direktdemokratische Entscheidungen zu er- im Bundestag vorgelegt. Diese sehen vor, dass Gesetzes- möglichen, ist seit jeher Ziel grüner Politik. Natürlich vorschläge in einem dreistufigen Verfahren – Volksini- fordern wir auch hier den Schutz der Menschenrechte tiative, Volksbegehren, Volksentscheid – von den Bürge- und Minderheiten. Das Volksbegehren zum Minarett- rinnen und Bürgern zur Abstimmung eingebracht und verbot in der Schweiz hat uns gezeigt, dass direkte De- beschlossen werden können. mokratie auch für menschenverachtende Hetze, für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Diskriminierung und für den Abbau von politischen, sowie bei Abgeordneten der SPD) wirtschaftlichen und sozialen Rechten einzelner Bevöl- kerungsgruppen benutzt werden kann. Wir stellen fest: Der Ruf nach mehr Bürgerbeteili- gung und Mitbestimmung ist in den vergangenen Jahr- Wir Grünen wollen vermeiden, dass Volksinitiativen zehnten lauter geworden, die Menschen in unserem dazu missbraucht werden, Stimmung gegen bestimmte Land – aber auch anderswo – sind informiert, bringen Bevölkerungsgruppen zu machen und menschenfeindli- sich mit ihrem Wissen ein und gestalten zunehmend ak- che Ressentiments zu schüren. Wir wollen keine tiv die Gesellschaft mit. Internet, Digitalisierung und Hetzkampagnen gegen Homosexuelle, Obdachlose, Social Media beschleunigen diesen Prozess und ermögli- Ausländerinnen und Ausländer oder gegen Menschen 31720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Ingrid Hönlinger (A) unterschiedlicher religiöser Überzeugungen, auch nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) im Gewand der Volksinitiative. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Petra Pau [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Deutschland ist Teil der Europäischen Union und un- Das Wort hat nun Ingo Wellenreuther für die CDU/ terliegt deshalb besonderen politischen und rechtlichen CSU-Fraktion. Verpflichtungen. Die Stellung Deutschlands als verläss- (Beifall bei der CDU/CSU) licher Partner im Rahmen europäischer Verhandlungs- prozesse ist ein hohes Gut, das wir Grünen schützen wollen. Deshalb wollen wir auch verhindern, dass di- Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): rekte Demokratie für nationalistische und europafeindli- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! che Interessen instrumentalisiert wird. Liebe Kollegen! Die Forderung nach mehr Plebisziten auf Bundesebene wurde in diesem Haus in den letzten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahren schon einige Male debattiert. Ich selbst halte, sowie bei Abgeordneten der SPD) glaube ich, heute die fünfte Rede dazu. Die Argumente sind ausgetauscht und bekannt. Wir setzen uns auch für eine weitere Demokratisie- rung der Entscheidungsprozesse in der EU ein. Es geht Mit heißer Nadel hat die SPD trotzdem noch in dieser uns darum, den Bürgerinnen und Bürgern der EU stär- vorletzten Sitzungswoche vor der Sommerpause zwei kere Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten Gesetzentwürfe gestrickt. bei der grundsätzlichen Ausrichtung der Europäischen Union zu geben. Mit der Europäischen Bürgerinitiative (Zuruf des Abg. Michael Hartmann [Wackern- steht den Unionsbürgerinnen und -bürgern seit dem heim] [SPD]) 1. April 2012 erstmals ein direktdemokratisches Instru- – Da wären Sie auch gut aufgehoben. – Erst vor drei Ta- ment zur Verfügung. gen haben Sie diese vorgelegt. Schon dadurch wird deut- lich, dass es Ihnen hier nicht um eine ernsthafte Debatte Ich möchte hier noch einmal festhalten: Auf Bundes- geht. Sie wollen vielmehr den Menschen vorgaukeln, ebene haben wir in Deutschland noch keine einzige dass sich in dieser schwierigen Frage noch in dieser Möglichkeit zur Durchführung direkter Demokratie. Wir Legislaturperiode etwas bewegen ließe. Aber diese sind also auf europäischer Ebene weiter als auf Bundes- neuen Gesetzentwürfe könnten weder in den Ausschüs- (B) ebene. Schon allein das sollte für uns Anlass sein, end- sen sachgerecht behandelt werden – Frau Pau hat darauf (D) lich direkte Demokratie auf nationaler Ebene zu ermög- hingewiesen –, noch könnte es im Bundestag eine zweite lichen. und dritte Lesung geben. Deswegen ist das Ganze eine Farce, die niemandem etwas bringt. In Wahrheit geht es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihnen allein darum, das Thema über eine Bundestags- sowie bei Abgeordneten der SPD) debatte in den Wahlkampf einzuführen. Wenn wir mit direkter Demokratie über europäische Schauen wir uns das Thema Volksabstimmungen trotz Angelegenheiten entscheiden, müssen wir den recht- allem noch einmal genauer an. In den jeweiligen Lan- lichen Rahmen so setzen, dass eine europäische Ange- desverfassungen und Gemeindeordnungen gibt es schon legenheit auch europäisch entschieden wird. Auf eine Vielzahl von plebiszitären Elementen. Der Bürger Deutschland beschränkte Volksinitiativen zu Grün- hat dort ein Mitbestimmungsrecht und kann mit seiner dungsverträgen der Europäischen Union oder gegen den Stimme Einfluss auf die jeweilige Politik nehmen. Beitritt eines neuen Mitgliedstaates sollen aus unserer Sicht unzulässig sein. Damit wollen wir nationale Blo- Schauen wir uns nun einmal an, wie es die SPD, die ckaden wichtiger Reformen verhindern. Stattdessen stre- Grünen und die Linke bei uns im Land tatsächlich mit ben wir europäische Referenden an, bei denen alle EU- dem Bürgerwillen halten und was Glaubwürdigkeit vor Bürger nach europäischem Recht über wesentliche Än- allem in der Politik bedeutet. Meiner Auffassung nach derungen der EU-Gründungsverträge abstimmen kön- halten Sie hier im Bundestag Sonntagsreden; nen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Wir Grüne haben ein schlüssiges Demokratiekonzept. GRÜNEN]: Es ist Freitag, Herr Kollege!) Wir sind die Partei, die den Willen der Bürgerinnen und doch in der politischen Praxis, dann, wenn es konkret Bürger ernst nimmt. Wir wollen mehr Demokratie in wird, verhalten Sie sich ganz anders. Deutschland und in Europa, und wir wollen die Bürge- rinnen und Bürger stärker einbeziehen. Wir sprechen Einige Beispiele. In Berlin stimmte das Volk 2008 nicht nur wohlfeile Worte. Wir wissen, wie innerparteili- über die Schließung des Flughafens Tempelhof ab. Ge- che Demokratie funktioniert. Wir handeln. Wir Grünen wiss: Die Beteiligung an dieser für Berlin ganz wichti- bieten glaubwürdig eine Politik der gesellschaftlichen gen Entscheidung war zu niedrig, als dass der Volksent- Demokratie an. scheid Gültigkeit hätte haben können. Der Regierende Bürgermeister, Herr Wowereit, hatte immer bekräftigt, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. dass der Senat die Absicht habe, Tempelhof zu schlie- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31721

Ingo Wellenreuther (A) ßen. Eine Woche vor dem Volksentscheid erklärte Herr (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ist (C) Wowereit wörtlich: undemokratisch! Pfui!) Aber wie auch immer die Abstimmung am nächsten Nächstes Beispiel: der sogenannte Filder-Dialog im Sonntag ausgeht: Ihr Ergebnis ist rein rechtlich nur Zusammenhang mit Stuttgart 21. Die Bürger sollten mit- eine Empfehlung. hilfe dieses Dialogs an der Entwicklung von Planungs- alternativen zum Filderbahnhof beteiligt werden. Schon Damit war klar, der Berliner Senat würde Tempelhof bei der Auswahl der Dialogteilnehmer wollte die grün- in jedem Fall schließen – basta! rote Landesregierung die Demokratie offenbar „lenken“: Eigentlich sollten 80 Bürger mitmachen. Von den ange- (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aha!) schriebenen 4 500 „Zufallsbürgern“ machten am Ende Deutlicher konnte Rot-Grün nicht zum Ausdruck brin- aber nur rund 40 mit. Auf der anderen Seite wurden viele gen, dass man von der Meinung der Bürger nichts hält. Interessierte, die sich seit Jahren mit dem Thema befasst haben, nicht zugelassen. Fazit: Die, die wollten, durften (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht, und die, die sollten, wollten nicht. NEN]: Das war Rot-Rot, Herr Kollege! Da muss man schon ein bisschen genauer sein!) (Arfst Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sind Sie für die SPD-An- Dies kann man nicht anders als zynisch und arrogant träge? – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE nennen, meine Damen und Herren. GRÜNEN]: Wofür sind Sie denn jetzt? Sind Sie für oder gegen Volksentscheide, oder ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) das alles Augenwischerei?) Zweites Beispiel. In Hamburg konnten die Bürger im Bereits die Besetzung des Dialogs hatte Rot-Grün ent- Jahre 2010 über die schwarz-grüne Schulreform abstim- sprechend gesteuert. Im Verlauf wurde der Bürgerwille men. Sie lehnten diese in wesentlichen Teilen ab. Interes- weiter unterdrückt und sogar zu eigenen politischen sant war dabei die Erklärung der grünen Schulsenatorin Zwecken missbraucht. 65 von insgesamt 109 Dialogteil- Goetsch. Sie hat behauptet, die Gegner der Schulreform nehmern stimmten für die sogenannte Gäubahn- hätten irrationale Ängste geschürt und die Hamburger Variante. So etwas nennt man eine klare Mehrheit. Im damit verunsichert. Das passt übrigens zu den Ausfüh- Nachhinein wurde dann bekannt, dass diese Variante den rungen, die Sie gerade gemacht haben, als Sie darauf Be- Finanzierungsvereinbarungen widersprochen hätte. zug genommen haben, dass Sie eine Volksabstimmung verloren haben. Mit anderen Worten: Weil das Ergebnis Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: des Volksentscheides aus Sicht der Grünen nicht zufrie- (B) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (D) denstellend ausfiel, müssen die Menschen gerissenen Kollegen von Notz? Bauernfängern auf den Leim gegangen sein. – Das zeigt überdeutlich Ihre Doppelzüngigkeit im Umgang mit Volksentscheiden. Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Nein. Noch einige Beispiele aus Baden-Württemberg. Die grün-rote Landesregierung will zurzeit im Schwarzwald (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einen Nationalpark einrichten. Das ist ein hochumstritte- NEN]: Weil Sie davor auch Angst haben müs- nes Projekt, weil es auch ökologisch nicht nur positive sen!) Effekte mit sich bringen würde. Die Argumente sind bekannt. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die daraufhin favorisierte Variante „Flughafenstraße“ Auf welcher Seite stehen Sie denn?) ließ Rot-Grün durch die Absage einer Kostenbeteiligung platzen. Deshalb haben sieben betroffene Kommunen am 12. Mai dieses Jahres eine Befragung ihrer Bürger (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durchgeführt. Ergebnis: Im Durchschnitt waren rund drei NEN]: Wir wollen hier über direkte Demokra- Viertel – 75 Prozent – der Bürger gegen das Projekt. – tie reden!) Der grün-roten Landesregierung ist das egal. Sie hat vor – Könnten Sie, Herr Präsident, bitte für Ruhe sorgen? wenigen Tagen die Gebietskulisse für den geplanten Na- Dieses Dazwischengeblöke stört etwas meine Ausfüh- tionalpark vorgestellt: 85 Prozent der Gesamtfläche rungen. liegen ausgerechnet auf dem Gebiet der Gemeinden Bai- ersbronn und Forbach; dabei standen gerade diese Ge- meinden bei Beteiligungsquoten von über 70 Prozent Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dem Projekt besonders ablehnend gegenüber: Rund Herr Kollege, Sie sind doch wohl mannhaft genug, 80 Prozent votierten gegen die Einrichtung des National- sich gegen die paar Leute durchzusetzen; Sie haben den parks. Vorteil des Mikrofons. (Zuruf von der FDP: Aha!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das kann SPD und Grüne wollen dieses Projekt trotzdem gnaden- aber im Hinblick auf die Geschäftsordnung los durchziehen. Das ist Ignoranz in Reinform. kein Argument sein!) 31722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): diese Weise die Vorzüge der repräsentativen Demo- (C) Vielen Dank, Herr Präsident. Ich finde, jeder sollte kratie wieder? der Aufgabe gerecht werden, für die er eingesetzt ist. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NEN]: Wir empfehlen Rousseau! Lesen bil- det!) Der Filder-Dialog war offensichtlich kein Meinungs- austausch. Bürger ins Leere reden und abstimmen zu las- Ich empfehle Ihnen daher: Nehmen Sie zunächst ein- sen, ist keine Bürgerbeteiligung, sondern Volksverdum- mal die bereits bestehenden Formen und Möglichkeiten mung. Aber eine Bürgerbeteiligung war von Grün-Rot der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung auf auch nie beabsichtigt. Die Bürger wurden nur dazu miss- kommunaler und Landesebene ernst, bevor Sie hier neue braucht, einen regierungsinternen Streit zu lösen. Formen etablieren wollen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Hinzu kommt – das wurde in den vergangenen Jahren GRÜNEN]: Wofür sind Sie denn, Herr Kol- lange diskutiert –, dass erhebliche rechtliche Zweifel an lege?) der Verfassungsmäßigkeit der hier zur Diskussion ste- Ein weiteres Beispiel: die Einrichtung der Gemein- henden Gesetzentwürfe bestehen. Wir haben mit guten schaftsschule. Bildungsexperten zufolge gefährdet die- Gründen in Deutschland ein föderales System. Die Län- ses Projekt die weithin bekannte ausgezeichnete Schul- der haben eigene Interessen, und sie müssen Gelegenheit qualität in Baden-Württemberg. In Bad Saulgau fand ein haben, diese im Rahmen der Gesetzgebung geltend zu kommunaler Bürgerentscheid statt, der zwar das Quo- machen. Das Grundgesetz sieht daher zwingend die rum nicht erreichte, im Ergebnis aber eindeutig war: grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzge- Rund 66 Prozent stimmten gegen diese neue Schulform. bung vor. Dieser Grundsatz steht unter der Ewigkeitsga- Massive Kritik von Eltern und Lehrern, von Elternver- rantie des Grundgesetzes und ist deshalb unabänderlich. bänden, vom Deutschen Philologenverband, vom Be- Diese Mitwirkung der Länder darf sich nicht in einer le- rufsschullehrerverband usw. schmettern Grüne und Rote diglich formalen Beteiligung erschöpfen; sie muss viel- ab. Sie halten ideologisch an ihrem Prestigeobjekt Ge- mehr bestimmenden Einfluss ermöglichen. meinschaftsschule fest. Den Schaden davon haben die Der Entwurf der SPD greift laut seiner Begründung Kinder und Jugendlichen. im Falle zustimmungspflichtiger Gesetze auf das Modell (Arfst Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/ des Schweizerischen Volks- und Ständemehr zurück. DIE GRÜNEN]: Deswegen Bürgerbeteili- Demnach soll beim Volksentscheid in Deutschland das gung, Volksentscheid!) Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe (B) seiner Bundesratsstimmen gelten. Das ist aber meiner (D) Ähnliches ist von einem Geothermieprojekt in Brühl Auffassung nach eine rein rechnerische, formale Metho- zu berichten, über das im Oktober letzten Jahres eine dik und etwas anderes als die grundgesetzlich geforderte Bürgerbefragung durchgeführt wurde. Das klare Ergeb- inhaltliche Mitwirkung der Länder. nis: 67 Prozent waren dagegen. Die Menschen haben Sorgen, dass es Erdbeben geben könne, die es bei ähnli- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) chen Projekten in Landau und in Insheim gibt. Grün-Rot Das von Ihnen vorgeschlagene Modell erlaubt zwar eine war das egal, das Projekt wird durchgezogen und der formale Berücksichtigung der Landesvölker, nicht aber Bürger mit seinen Bedenken ignoriert. des organschaftlich gebildeten Willens der einzelnen Das alles sind Beispiele, die das wahre Gesicht der Länder. Allein damit wird der Einfluss der Länder in kei- Opposition in der Frage der Bürgerbeteiligung zeigen. ner Weise gesichert. Das genügt nicht den Anforderun- gen des Art. 79 GG. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich verstehe, dass Ihnen diese Beispiele wehtun. Des- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wegen können Sie kaum noch an sich halten. – In der Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Theorie singen Sie im Bundestag das Hohelied der di- rekten Demokratie, aber dort, wo Sie in der Praxis Ver- Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): antwortung tragen, missachten Sie in vielen Fällen den Sofort. – Sie versuchen nun, dieses Defizit dadurch zu eindeutigen Willen der Bürger. Das nennt man Heuche- heilen, dass Sie in Ihrem Bundesabstimmungsgesetz ei- lei. Sie schaffen genau damit Politikverdrossenheit zum nen Paragrafen zur Wahrung der Interessen der Länder Schaden unseres Landes und unserer politischen Kultur. vorsehen. Das klingt auf den ersten Blick ganz gut, hilft Dazu passt im Übrigen der Leitartikel, der am Diens- aber bei genauerem Hinsehen kaum weiter. Das sind nur tag in der Badischen Zeitung erschienen ist und den Titel Möglichkeiten, mit denen die Länder ihre Auffassung zu trägt: „Politik des Gehörtwerdens: Grün-rote Theorie – den Gesetzesvorhaben äußern dürfen. Immerhin das ge- graue Praxis“. Der Autor Wulf Rüskampf schreibt darin: stehen Sie den Ländern zu. Aber das ist weit entfernt von der verfassungsmäßig geforderten inhaltlichen Mitwir- Widersprechen Bürger wohlgemeinten Ideen der kung; denn diese muss bestimmenden Einfluss haben. Regierung, werden sie gehört, aber eben nicht er- hört, wie Kretschmann sagt. Wenn es also nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fasse zusam- klappt mit der Akzeptanz – ist Schluss mit Basisde- men: Der heutige Vorstoß der SPD ist erkennbar nicht mokratie und Augenhöhe. Entdeckt Grün-Rot auf ernst gemeint und verfassungsrechtlich höchst bedenk- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31723

Ingo Wellenreuther (A) lich. Sie wollen damit die Bürger im Wahlkampf blen- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C) den. Das wird Ihnen nicht gelingen. Deswegen lehnen Herr Kollege Wellenreuther, Sie haben Gelegenheit wir den Gesetzentwurf ab. zur Reaktion. Danke schön. Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank, Herr Präsident. Ich bedanke mich auch ausdrücklich für Ihre Kommentierung vorhin. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr von Notz, natürlich bin ich persönlich für mehr Herr Kollege Wellenreuther, ein Blick in die Ge- Demokratie und für eine auf verfassungsrechtlich gesi- schäftsordnung könnte hilfreich sein. Dort wird von der cherter Grundlage durchzuführende Bürgerbeteiligung. freien Rede gesprochen. Die Argumente hierzu sind in den letzten Jahren ausge- tauscht worden. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Mein Petitum ist nur, dass dann, wenn Bürgerbeteili- Wenn Sie sich bei dem Verlesen Ihres Manuskripts ge- gung praktiziert wird, insbesondere auf kommunaler und stört fühlen, brauchen Sie sich nicht beim amtierenden Länderebene, die Ergebnisse, je nachdem, wie sie ausfal- Präsidenten zu beschweren. len, von der Opposition nicht so kommentiert werden, wie das vorhin auch Frau Hönlinger getan hat, nach dem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Motto: Wenn das Ergebnis negativ ausfällt, sind die DIE GRÜNEN) Menschen verführt worden. – Genau das waren ja die Bedenken im Hinblick auf Forderungen nach mehr di- Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun rekter Demokratie auf Bundesebene. Diese Bedenken Konstantin von Notz. sind auch von unserer Seite seit langem vorgetragen worden. Weil ein solches Vorgehen nicht auszuschließen Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE ist, gibt es meiner Auffassung nach gewichtige Argu- GRÜNEN): mente dafür, dass die direkte Demokratie auf Bundes- ebene nur schwer durchsetzbar sein wird. Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Wellenreuther, ich kann Ihre Frustration über die Nicht- Ich bin aber der Auffassung, dass auf kommunaler regierungsbeteiligung der CDU in Baden-Württemberg und Landesebene von der Bürgerbeteiligung sehr wohl gut verstehen. Das muss ganz schlimm und hart sein. und auch sehr intensiv Gebrauch gemacht werden sollte. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür liegen vor, (B) (D) (Zuruf von der FDP: Für das Land!) und ich würde es sehr begrüßen, wenn sich die Bürger dort beteiligen könnten. Deswegen haben Sie sich minutenlang an diesem erfreu- lichen Status quo abgearbeitet. Ich finde, die Zahlen in (Beifall bei der CDU/CSU) Baden-Württemberg sprechen für sich. Ich möchte darauf hinweisen, dass sich die Grünen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: bei den erfolgten Volksabstimmungen, vor allen Dingen Das Wort zu einer persönlichen Erklärung erhält nun bei der in Hamburg, auf die Sie Bezug genommen ha- Frau Hönlinger. – Bitte schön. ben, natürlich an die Voten gehalten haben, auch wenn die Abstimmungen nicht im Sinne der Grünen ausgegan- Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen sind. Ein demokratischer Diskurs darüber, wie sol- Herr Kollege Wellenreuther, Sie haben gesagt, dass che Abstimmungen verlaufen, sollte im Sinne der freien ich im Zusammenhang mit den Beispielen, die ich ge- Meinungsäußerung auch nach Ihrer Ansicht eigentlich nannt habe, zum Beispiel das Minarettverbot in der zulässig sein. Schweiz, ausgeführt hätte, dass es erhebliche Bedenken aus meiner Fraktion gegen direkte Demokratie gebe. Sie haben mich vorhin ja leider nicht zu Wort kom- Diese Bedenken gibt es nicht. men lassen. Deswegen habe ich mich jetzt noch einmal wegen folgender schlichter Frage an diesem Vormittag Wir meinen, wir müssen für die direkte Demokratie gemeldet: Sind Sie als CDU/CSU-Fraktion im Deut- ordnungsgemäße Regeln setzen, damit sie nicht miss- schen Bundestag für mehr Bürgerbeteiligung oder nicht? braucht werden kann, um zum Beispiel eine menschen- Das interessiert die Menschen – gerade in einem Wahl- verachtende Hetze gegen Homosexuelle oder Auslände- jahr. Deswegen würde ich dazu gerne etwas hören. rinnen und Ausländer durchzuführen. Das lässt sich im Rahmen direkter Demokratie aber durchaus erreichen; Vielen Dank. das ist keinerlei Argument gegen direkte Demokratie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir Grünen stehen nach wie vor zu unseren Forde- sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. rungen für mehr Demokratie, das heißt, auch für direkte Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE] – Demokratie. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Es geht Danke. nur um die Wahl! Jetzt habe ich es verstanden! Wahlkampf!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 31724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: desländer. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, (C) Jetzt erhält Kollege Wiefelspütz für die SPD-Fraktion Bayern sind alles Länder, wo das funktioniert. In Bayern das Wort. gibt es Verfassungsänderungen durch das Volk. (Beifall bei der SPD – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/ (Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU] mel- CSU]: Dieter, deine letzte Rede!) det sich zu einer Zwischenfrage) – Herr Kollege Sensburg, ich habe so wenig Redezeit. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Ich freue mich, dass Sie mir Gelegenheit geben, noch et- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hebe was zusätzlich zu sagen. Bitte schön, stellen Sie Ihre an zu einer freien Rede. Frage. (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Uhl Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: [CDU/CSU]: Das haben wir befürchtet!) Bitte schön, Herr Kollege Sensburg. Ihnen ist ja sozu- sagen schon das Wort erteilt worden. Wer hier im Deutschen Bundestag redet, sollte etwas im Kopf haben und nicht nur auf dem Blatt Papier. Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ich bitte um Nachsicht, Herr Präsident. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind kurz vor der Bundestagswahl. Ist es deswegen verboten, einen komplexen Gesetzentwurf zu erarbeiten und ein- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): zubringen? Ich möchte nicht zur Verwirrung beitragen und dem Präsidenten einfach vorgreifen; aber wenn er mir das (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Aber Wort erteilt, frage ich sehr gerne. populistisch!) Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben von einer völlig Ich bitte dieses Bündnis aus Herrn Wellenreuther und weißen Stelle im Grundgesetz geredet. Sie wissen aber Frau Pau sehr um Verständnis. Ich finde das wirklich schon, dass es in Art. 29 und in Art. 146 Stellen gibt, wo reichlich oberflächlich. Frau Pau – sie hat jetzt einen an- von Volksentscheiden geredet wird? deren Termin – und Herr Wellenreuther, wir, die wir die- sen Gesetzentwurf erarbeitet und eingebracht haben, wissen ganz genau, dass dieser Gesetzentwurf nicht Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): (B) (D) morgen verabschiedet sein wird. Ich gehe davon aus und Die sind kaum der Rede wert. hoffe, dass er in der nächsten Wahlperiode hier im Hause in den geordneten Verfahren ernsthaft diskutiert wird. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Wir haben aber doch wohl das Recht, einen wirklich in Eine ganz weiße Stelle gibt es also nicht. Das wollte Punkt und Komma ausformulierten und ernstgemeinten ich nur der Klarstellung halber erwähnen. Wenn Sie das Gesetzentwurf, der in der langen Kontinuität der Wil- auch so sehen, brauchen wir gar nicht vertieft weiterzu- lensbildung der SPD auf Parteitagen steht – im Jahre diskutieren. Falls nicht, hätten wir einen gewissen inhalt- 2002 haben wir den ersten Gesetzentwurf dazu hier im lichen Dissens darüber, was in unserem Grundgesetz Deutschen Bundestag vorgelegt, der nicht ganz so gut steht. wie dieser hier war –, einzubringen, wenn er vorliegt. (Beifall bei der SPD) Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Lieber Herr Kollege Sensburg, wir sind, wie das unter Wenn das ein Wahlkampfthema wäre, dann wäre ich Juristen häufig ist – ich selber bin ja auch einer –, ge- ja fast froh darüber. Das wird mit Sicherheit kein Wahl- meinsam Besserwisser. kampfthema sein. Das spiegelt schon die breite Reso- nanz auf diesen Tagesordnungspunkt hier im Deutschen (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Bundestag wider. Selbst von meiner Fraktion sind hier SPD) nicht Hunderte anwesend. Wir haben aber doch wohl ein Sie haben natürlich recht mit Art. 29 usw. Aber das ist Recht darauf – und darum bitte ich –, dass man sich mit – das wissen Sie doch – wirklich alles marginal. Es geht diesem Gesetzentwurf ernsthaft auseinandersetzt. hier um direkte Demokratie, es geht um Volksinitiative Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus; davon war und Volksentscheid, es geht um Volksgesetzgebung, es schon die Rede. Sie wird vom Volke in Wahlen und geht um Referenden, und es geht nicht um die nicht Abstimmungen und von anderen Verfassungsorganen wirklich praxisrelevante Frage der Neugliederung von ausgeübt. – Wahlen haben wir, Abstimmungen haben Bundesländern. Irgendwann sind hoffentlich Berlin und wir nicht. Insoweit ist das Grundgesetz sozusagen ein Brandenburg zusammen; aber ansonsten spielt das doch Versprechen, bei dem die Antwort fehlt. Abstimmungen nicht wirklich eine Rolle. Sie können doch nicht ernst- sind die weiße Stelle im Grundgesetz. Diese wollen wir haft sagen, dass das Stichwort „Abstimmungen“ im ausfüllen, nicht mit abenteuerlichen Vorschlägen, son- Grundgesetz sozusagen ein blühender Baum wäre. Es ist dern, lieber Herr Wellenreuther, orientiert an der ernst- bestenfalls eine karge Pflanze, die wirklich ganz winzig haften Verfassungspraxis ausgewachsener deutscher Bun- ist. Daraus wollen wir etwas machen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31725

Dr. Dieter Wiefelspütz (A) Herr Sensburg, wir sollten gemeinsam dem Volk et- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C) was zutrauen. Lieber Herr Kollege Wiefelspütz, Sie werden uns als Besserwisser fehlen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Ich finde es unglaublich, welches Misstrauen dem Volk geordneten der LINKEN und der FDP – hier gelegentlich entgegengebracht wird, nach dem Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Selbst mir Motto: Wir hier im Parlament sind die Oberschlauesten. wird er fehlen!) Selbstverständlich ist Deutschland eine repräsentative Das Wort hat nun Jimmy Schulz für die FDP-Frak- Demokratie. Diese repräsentative Organisation hat sich tion. bestens bewährt. Das wird doch nicht infrage gestellt; (Beifall bei der FDP) das bleibt auch so. Ein Land mit 80 Millionen Einwoh- nern kann sich nicht dadurch regieren, dass man diese 80 Millionen Menschen auf der Wiese vor dem Reichs- Jimmy Schulz (FDP): tag zusammenführt und sie täglich ihre Angelegenheiten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und besprechen lässt. Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Hause und an den Empfangsgeräten! Lieber Herr Wiefelspütz, auch von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mir Gratulation zu Ihrer vermutlich letzten Rede vor die- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sem Hohen Haus. FDP und des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer weiß, was noch kommt!) Insoweit ist die repräsentative Demokratie etwas außer- – Der Volksentscheid wahrscheinlich nicht mehr. ordentlich Bewährtes. Aber Volksentscheid, Bürgerbe- gehren und direkte Demokratie sind doch eine geniale Wie ist das mit dem Volksentscheid? Ich freue mich Ergänzung eines gut funktionierenden Verfassungssys- ganz besonders, dass mir die SPD nach den Linken zum tems. Wer hat denn Angst vor dem Volke an dieser wiederholten Male die Chance gegeben hat, zu diesem Stelle? Wer Angst hat, soll das sagen. wichtigen Thema zu sprechen; denn auch wir von der FDP haben uns intensiv mit dem Thema beschäftigt. Ge- Wir können Fehler machen und machen sie auch hin rade in der letzten Legislaturperiode haben wir auf und wieder; das Volk kann das bei direkter Demokratie Drucksache 16/474 einen solchen Vorschlag mit dem (B) sicherlich auch. Demokratie ist manchmal gefährlich. Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volks- (D) Aber erst dann meint man es ernst, wenn man Entschei- initiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das dungen des Volkes auch akzeptiert – so weh das tut –, Grundgesetz“ eingebracht. wenn sie einem selber nicht passen, wie beispielsweise die Entscheidung zum Minarettverbot. Das ist aber eben Wissen Sie eigentlich noch, wie Sie damals abge- Demokratie. Insoweit, denke ich, muss man das schon stimmt haben? Sie haben dagegen gestimmt. Woher wirklich ernst nehmen. kommt denn dieser Sinneswandel? Sie haben weder un- ter Rot-Grün noch während der Großen Koalition für ei- Herr Thomae, unser Gesetzentwurf ist ein ernsthaftes nen Volksentscheid gestimmt. In Ihrer Begründung aus Angebot. Über viele Details, über Quoren kann man re- der letzten Legislaturperiode hieß es: den. Ich bin der festen Überzeugung, lieber Herr Uhl, Die Fraktion der SPD erklärt, dass sie grundsätzlich lieber Herr Wellenreuther, lieber Herr Sensburg, dass es für eine Einführung von mehr direkter Demokratie für mehr direkte Demokratie hier im Deutschen Bundes- sei, wie dies das Grundgesetz auch prinzipiell zu- tag eine Mehrheit gibt, lasse. Man müsse allerdings vorsichtig vorgehen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ damit dies nicht dem Populismus und der Demago- DIE GRÜNEN) gie Vorschub leiste. Einem solchen Risiko müsse man sich aber stellen. Das Volk sei schließlich nicht noch keine verfassungsändernde Mehrheit, aber eine dümmer als die Parlamentarier. Mehrheit. Lassen Sie uns diesen Pfad verbreitern. Es Aha! Sie wollten also vorsichtig vorgehen und Populis- wird nicht ausreichen, diese Debatte bis zur nächsten mus verhindern. Dann frage ich mich, warum Sie diesen Bundestagswahl zu führen, Herr Thomae. Sie sollte viel- Gesetzentwurf jetzt kurz vor den Wahlen einbringen. Im mehr in den nächsten Jahren qualifiziert, ernsthaft, fle- Gesetzentwurf der FDP findet sich übrigens extra fol- xibel und daran orientiert stattfinden, dass unsere wun- gender Absatz: „Ein Volksentscheid ist ab drei Monaten derbare Demokratie mit direkter Demokratie noch ein vor einer Bundestagswahl unzulässig.“ Das fehlt in Ih- bisschen besser gemacht werden kann. rem Vorschlag. So viel zum Thema Populismus. Schönen Dank. Weiter heißt es in Ihrer damaligen Begründung: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es gebe Elemente der direkten Demokratie in DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der 16 Landesverfassungen und auch im neuen Vertrag LINKEN) von Lissabon – warum dann nicht auch auf Bundes- 31726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Jimmy Schulz (A) ebene? Es wäre dann aber auch zu überlegen, als Wir fordern einen Ausschuss für Internet und digitale (C) Gegengewicht die Legislaturperiode auf fünf Jahre Gesellschaft, der diese Arbeit fortführen soll. Er soll zu verlängern. diese Transparenz weiterleben, aber auch die Bürgerbe- teiligungsmethoden fortführen. Das ist eine neue Art der Die Idee, die Legislaturperiode auf fünf Jahre zu verlän- Bürgerbeteiligung und vielleicht auch mehr, als wir bis- gern, fehlt wiederum in Ihrem aktuellen Vorschlag. her gewagt haben. (Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Das muss auch Wir bleiben dabei: Die Volksinitiative muss auf Bun- nicht sein!) desebene eingeführt werden. Ich appelliere, dass wir das Es macht sich auch nicht gut, wenn man so etwas vor in den nächsten Jahren vielleicht alle gemeinsam hinbe- Wahlen fordert. kommen. Vielen Dank. Letzten Endes freut es mich, dass wir dieses Thema auf Bundesebene wieder einmal diskutieren. Ich habe (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mir Ihre beiden Gesetzentwürfe ganz genau angesehen. der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Der Kollege Thomae hat auf die Unterschiede in unseren GRÜNEN) Vorstellungen schon hingewiesen: Wir fordern deutlich höhere Schwellenwerte, damit wir vor Trivial- und Ba- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gatellanträgen geschützt bleiben. Zur Stärke der parla- Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSU- mentarischen Demokratie hat der Kollege Wiefelspütz Fraktion. schon Ausführungen gemacht. Für uns Liberale ist es wichtig, dass Volksinitiativen einen breiten Rückhalt in (Beifall bei der CDU/CSU) der Bevölkerung haben. Wir möchten, dass diese Chance zur Mitbestimmung einen hohen Stellenwert hat. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Insgesamt begrüßen wir Ihre Initiative. Leider gibt es Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! in Ihren Gesetzentwürfen aber Punkte, denen wir nicht Sehr geehrte Kollegen! Kurz vor Ende der Legislaturpe- zustimmen können. Das sind zwar nur Feinheiten, aber riode, kurz vor Toresschluss, hat die SPD endlich auch diese Feinheiten machen es uns in der heutigen Abstim- das Thema „Mehr direkte Demokratie“ entdeckt. Sehr mung nicht möglich, für Ihre Gesetzentwürfe zu stim- geehrter Herr Kollege Wiefelspütz, natürlich ist es nicht men. Deshalb fordern wir: Bürgerbeteiligung ja, Gesetz- verboten, in der vorletzten Sitzungswoche zwei kom- entwurf der SPD in dieser Form leider nein. plexe Gesetzentwürfe einzubringen; aber, mit Verlaub, es ist populistisch. (B) Aber Bürgerbeteiligung erschöpft sich eben nicht nur (D) in Abstimmungen und nicht nur in Volksinitiativen. In (Christine Lambrecht [SPD]: Damit kennen Sie sich ja aus!) unserem Bürgerprogramm für die kommende Bundes- tagswahl haben wir festgeschrieben, dass wir auch in Es ist populistisch; denn wenn es Ihnen ernsthaft um Zukunft für ein fakultatives Gesetzesreferendum und die das Thema gegangen wäre, dann hätten Sie wie die Grü- verfassungsrechtliche Verankerung von Volksinitiati- nen oder die Linke vor drei Jahren entsprechende Initia- ven, Volksbegehren und Volksentscheiden sind. Das tiven ergreifen können. Seit drei Jahren liegen die Initia- heißt für uns Bürgerbeteiligung. tiven der beiden anderen Oppositionsfraktionen auf dem Tisch. Sie haben drei Jahre ins Land ziehen lassen und in Aber es geht auch um Transparenz; denn Transparenz der Sache nichts unternommen, und in der vorletzten Sit- schafft wiederum Verständnis. zungswoche, obwohl Sie genau wissen, dass eine Be- (Beifall bei der FDP) schlussfassung schon allein aufgrund unseres Gesetzge- bungsverfahrens nicht mehr möglich ist, bringen Sie das Insbesondere in der Enquete-Kommission „Internet und Thema ein. digitale Gesellschaft“ haben wir uns mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung und der Transparenz, revolutionär (Widerspruch des Abg. Michael Hartmann für dieses Haus, beschäftigt, haben sie getestet und ex- [Wackernheim] [SPD]) perimentell ausprobiert. Wir haben zum Beispiel be- Herr Kollege Oppermann, Sie haben die Untersu- schlossen, dass alle Sitzungen der Enquete-Kommission chung des Instituts für Demoskopie Allensbach und der öffentlich sind und alle Dokumente öffentlich zugäng- Bertelsmann-Stiftung erwähnt, die zu Beginn dieser Wo- lich sind, dass alle Sitzungen der Enquete-Kommission che vorgestellt wurde. Ich ziehe aus dieser Untersuchung live im Internet gestreamt werden. eine andere Schlussfolgerung als Sie. Sehr interessant ist nämlich – Sie haben dies unterschlagen –, dass die Stu- Wir sind sogar noch einen Schritt weitergegangen, die festhält, dass die allgemeine Zufriedenheit mit der was die Bürgerbeteiligung angeht: Wir haben mit unse- Demokratie und dem politischen System in den letzten rem Tool „Adhocracy“, das zum Beispiel unter Demo- zehn Jahren deutlich gestiegen ist. kratie.de oder Enquetebeteiligung.de erreichbar war, versucht, mit Menschen in Kontakt zu treten, die sich ak- Das gilt insbesondere für die neuen Bundesländer. tiv an der Arbeit eines Ausschusses beteiligen wollen. 2003 waren lediglich 47 Prozent der ostdeutschen Bür- Diese Arbeit, die wir damit experimentell versucht ha- gerinnen und Bürger mit dem politischen System und ben, ist direkt in die Arbeit und Ergebnisse der Enquete- der repräsentativen Demokratie zufrieden. Inzwischen Kommission eingeflossen. sind es sage und schreibe 74 Prozent. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31727

Stephan Mayer (Altötting) (A) Auch in den westdeutschen Bundesländern gab es Ramsauer, sehr dankbar, dass er in seinem Haus ein (C) eine erhebliche Steigerung der Zufriedenheit in diesem Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung hat entwi- Zeitraum von zehn Jahren, und zwar von 72 Prozent auf ckeln lassen. Darin geht es ganz konkret darum, wie man 84 Prozent. Lediglich 11 Prozent der Bundesbürger sind stärker, intensiver und ernsthafter den Bürgerwillen mit mit dem derzeitigen politischen System und der parla- einbeziehen kann, wenn es um schwierige Verkehrs- mentarisch-repräsentativen Demokratie unzufrieden. infrastrukturmaßnahmen – das Stichwort „Stuttgart 21“ Ich bin mir sicher: Die Steigerung insbesondere in ist heute schon gefallen – oder insbesondere um den Bau den letzten vier Jahren liegt auch daran, dass die christ- von neuen 380-kV-Leitungen geht. lich-liberale Koalition hier in Berlin gut und erfolgreich Ein weiteres positives Beispiel für ernsthafte Bürger- regiert hat. Auch deshalb möchte ich in aller Deutlich- beteiligung: Der bayerische Ministerpräsident Horst keit sagen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Seehofer hat angekündigt, dass er vor einer erneuten Be- SPD: Ihr Vorschlag ist ein reines Feigenblatt. werbung der Stadt München für die Olympischen und (Christine Lambrecht [SPD]: Damit kennen Paralympischen Winterspiele 2022 das Volk befragen Sie sich auch aus!) will. Es ist angekündigt – dies wird auch durchgeführt –, dass am Sonntag, dem 10. November dieses Jahres, in Natürlich teile ich mit Ihnen die Sorge, dass der deut- allen Gebietskörperschaften, die von den Olympischen liche Rückgang der Wahlbeteiligung insbesondere bei und Paralympischen Winterspielen konkret betroffen Kommunalwahlen und Volksabstimmungen besorgniser- wären, eine Volksbefragung durchgeführt wird. regend ist. Aber ich habe deutliche Zweifel, dass man dieses Phänomen, das uns mit Sicherheit alle wachrüt- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warum nur in teln muss und auch nicht ruhig sein lassen darf, damit Bayern?) abstellen kann, dass man eine Initiative zur Einführung Wir haben nämlich festgestellt: Man kann eine derartige von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentschei- Bewerbung nicht ohne die Unterstützung der Bevölke- den ergreift. rung durchführen. Deswegen gibt es am 10. November (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie haben das in in der Stadt München, in Garmisch-Partenkirchen, in Bayern doch nicht wegen der Wahlbeteiligung den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein eingeführt, sondern weil es sachlich richtig ist!) Volksbefragungen. Das ist ernstgemeinte Bürgerbeteili- gung. Dieser Mechanismus, den Sie vorschlagen, ist hoch- kompliziert und unheimlich langwierig. Ich bin deshalb (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der festen Überzeugung, dass diese Initiative, wenn sie neten der FDP) Platz greifen und umgesetzt würde, nicht zu mehr Parti- (B) zipation, zu mehr Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von (D) führen würde, sondern genau zum Gegenteil: zu mehr der SPD, wenn man sich Ihre Initiative einmal genau an- Distanz gegenüber politischen Entscheidungen und in sieht, erkennt man: Sie ist doch unheimlich komplex. der Konsequenz zu mehr Politikverdrossenheit. Das geplante Verfahren würde maximal über zwei Jahre dauern. Das entspricht in keiner Weise mehr den Verhält- (Arfst Wagner [Schleswig] [BÜNDNIS 90/DIE nissen der heutigen Zeit, in der man gesetzgeberisch, GRÜNEN]: Ist das in Bayern auch so?) auch wenn es um die Umsetzung von EU-Richtlinien Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es geht, durchaus einmal schnell handeln muss. Angesichts geht natürlich darum, dass wir mehr Bürgerbeteiligung dessen ist ein Zeitraum von über zwei Jahren, wie er in ermöglichen. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen ist, viel zu lang. Er ist keiner in diesem Hause vor dem Bürger Angst haben in keiner Weise mehr zeitgemäß und angemessen. muss. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, wir alle sind auf- Ein weiterer Nachteil Ihrer Initiative ist, dass ein Ge- gefordert, die Bürger in unsere Meinungsfindungspro- setzentwurf, der einmal ins Verfahren eingebracht wor- zesse und Entscheidungsfindungsprozesse noch wesent- den ist, nicht mehr geändert werden kann. Auf Ihren lei- lich intensiver mit einzubinden. Das gilt aus meiner der viel zu früh verstorbenen Fraktionsvorsitzenden Sicht auch gerade angesichts der Herausforderungen, die Peter Struck geht das sogenannte Struck’sche Gesetz zu- uns derzeit durch die Energiewende noch bevorstehen, rück – jeder kennt es –: „Kein Gesetz verlässt den Bun- wenn es zum Beispiel um den Bau neuer Stromtrassen destag so, wie es eingebracht worden ist.“ Aufgrund un- oder um Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen geht. Hier terschiedlicher Interessen, Notwendigkeiten und auch muss man die Bürger wirklich ernst nehmen Bedürfnisse werden Gesetzentwürfe im Rahmen des par- (Christine Lambrecht [SPD]: Nicht nur hier!) lamentarischen Verfahrens natürlich noch einmal geän- dert. Genau dies wäre nach Ihrer Initiative ausgeschlos- und von Betroffenen zu Beteiligten machen. sen: Ein Gesetzentwurf könnte nur so zur Abstimmung Aber es ist reine Symbolpolitik, wenn man hier eine gebracht werden, wie er zu Beginn der Initiative einge- Gesetzesinitiative zur Einführung von Volksinitiativen, bracht wurde. Auch das ist aus meiner Sicht ein großer Volksbegehren und Volksentscheiden startet und sich um Fehler. das andere, aus meiner Sicht wesentlich wichtigere Ein weiteres Defizit Ihrer Initiative: Sie schließen Thema der Bürgerbeteiligung vor Ort nicht kümmert. zwar Haushaltsfragen in der Gesamtheit aus, aber nicht Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich im Einzelnen. Das bedeutet, man könnte jederzeit eine bin deshalb dem Bundesverkehrsminister, Dr. Peter Volksinitiative bezüglich eines bestimmten Einzeletats 31728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Stephan Mayer (Altötting) (A) starten. Man findet mit Sicherheit 100 000 Bürger in 80 Millionen Einwohnern. 60 Millionen werden abstim- (C) Deutschland, die bereit sind, zu unterschreiben, wenn es mungsberechtigt sein. Wir formen damit unsere Demo- darum geht, einen bestimmten Einzeletat aufgrund be- kratie nicht nach Schweizer Modell um – dafür gibt es stimmter Partikularinteressen zu erhöhen. Aber dies lässt zu viele Unterschiede im System –, aber wir schaffen auf natürlich außer Acht, dass der Gesamthaushalt stimmig Bundesebene das gleiche prinzipielle Abstimmungs- sein muss. Insofern halte ich es für sehr bedenklich, dass recht, das es in unseren Kommunen, in allen 16 Bundes- Sie in Ihrer Initiative Haushaltsfragen nicht gänzlich ländern und bei vielen unserer europäischen Nachbarn ausschließen. gibt. Wir schließen eine Lücke im Grundgesetz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir, die (Beifall bei der SPD) CSU – sie ist heute schon angesprochen worden –, neh- Uns ist klar, dass das neue Recht nicht mehr in dieser men Bürgerbeteiligung wirklich ernst, insbesondere Wahlperiode Realität wird; aber es wird kommen. Die wenn es um europapolitische Fragen geht. Wir haben auf beiden heute vorgelegten Gesetzentwürfe sind eine Ein- unserem Parteitag im Oktober letzten Jahres in München ladung an alle, die vielleicht in der nächsten Wahlpe- einstimmig beschlossen, dass, wenn es darum geht, dass riode einen Konsens zur Einführung von Volksentschei- Kompetenzen von der nationalen Ebene auf die supra- den finden wollen – eine Einladung nicht nur an Grüne, nationale, europäische Ebene abgegeben werden sollen, Liberale und Linke, sondern auch an die Union. Ich dies die Zustimmung durch eine Volksabstimmung weiß, dass es auch bei Ihnen Diskussionen in diese Rich- voraussetzt. Einer Volksabstimmung sollte die Frage un- tung gibt. Das ist gut. Die Zeiten ändern sich. Sie haben terliegen, ob neue Mitgliedsländer in die Europäische schon manches bei uns gefunden, das Sie mit uns teilen Union aufgenommen werden. Ebenso sollen Fragen von wollen. Wir würden uns freuen. erheblicher Finanzleistung durch Volksabstimmung zu beschließen sein. Dazu stehen wir. Diese Initiativen wer- Ich fand die Arbeit an diesen Gesetzentwürfen ziem- den wir auch weiterverfolgen. Das ist wirklich ernstge- lich vorbildlich. Wir hatten Workshops und Kongresse meinte, wichtige und richtige Bürgerbeteiligung. In die- dazu, haben Expertenrat eingeholt und Kritik erbeten. sem Sinne ist Ihrem Gesetzentwurf nur eine Absage zu Ich danke aus den Ländern besonders und erteilen. Wir nehmen Bürgerbeteiligung wirklich ernst, , die viel beigetragen haben, Professor und wir führen sie durch. Fabian Wittreck, Martin Weinert und den Experten von „Mehr Demokratie“, der Friedrich-Ebert-Stiftung und Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ganz besonders Christine Lambrecht sowie Dieter (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wiefelspütz, der seine ungewöhnlich lange Parlaments- der FDP) biografie in diesen Tagen abschließt. (B) (D) Dieter, es war mir eine Freude und Ehre, mit dir zu- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: sammengearbeitet zu haben. Das Wort hat nun Hans-Peter Bartels für die SPD- Fraktion. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ein paar Wochen war ich in Glarus. Glarus ist einer von Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zwei Schweizer Kantonen, wo einmal im Jahr alle Bür- Das Wort hat nun als letzter Redner in dieser Debatte gerinnen und Bürger aufgerufen sind, an der „Lands- Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion. gemeinde“ teilzunehmen. Die Versammlung auf dem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Marktplatz von Glarus entscheidet direkt über Gesetze, wählt Richter und Regierung. Glarus ist klein, hat viel- Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): leicht 30 000 Abstimmungsberechtigte. Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen An dem schönen Frühlingssonntag, an dem ich dort und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bei den bei- war, standen vielleicht 3 000 Glarner Bürger im Ring auf den Gesetzentwürfen der SPD stellen sich eigentlich dem Platz. Teilnehmerzahlen werden nicht bekannt ge- zwei Fragen. Die eine Frage ist: Meint es die SPD ernst geben. Es ist egal, wie viele Mitbürger, „Mitlandsleute“, mit dem, was sie heute vorlegt? Die zweite Frage lautet: wie es dort heißt, anwesend sind. Alle sind eingeladen. Ist das, was hier vorgelegt worden ist, inhaltlich taug- Wer kommt, entscheidet mit, und wer sich beschwert, lich, um uns im Sinne der stärkeren Beteiligung der Bür- hätte ja kommen können. Verdrossenheit zählt nicht. gerinnen und Bürger weiterzubringen? Was sollte das auch sein, Volksverdrossenheit? Es ist ein Die erste Frage ist eigentlich schon von mehreren wunderschönes Ritual, eingerahmt von 3 000 Meter ho- Kollegen beantwortet worden. Die SPD beschäftigt sich, hen Bergen. Dieses Jahr fand es zum 626. Mal statt. Man liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 1998 mit dem wird demütig vor dieser demokratischen Tradition. Thema. Sie hat in einer rot-grünen Regierung bis 2002 Was wir heute vorlegen, ist nicht ganz so schlicht wie keine Vorlage gemacht. Dann hat Claudia Roth Druck die „Landsgemeinde“; aber es ist die zeitgemäße Form gemacht. 2002 kam ein Entwurf, der aber nicht mehr in direkter Demokratie in einem sehr großen Land mit eine Gesetzesinitiative umgesetzt worden ist. So ging es Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31729

Dr. Patrick Sensburg (A) dann Schritt für Schritt mit der SPD weiter. Da müssen Je nachdem, wie man fragt, kommen ganz unterschiedli- (C) Sie sich doch eigentlich fragen, ob Sie intern überhaupt che Abstimmungsergebnisse dabei heraus. Deswegen ist geschlossen auf dem Weg in Richtung Volksinitiative bei den einzelnen Initiativen entscheidend: Wer stellt die sind. Das frage ich mich, wenn ich höre – Frau Kollegin Frage? Diese Frage beantwortet Ihr Gesetzentwurf nicht. Pau hat es eben angesprochen –, wie sich der ehemalige Bundeskanzler Schröder geäußert hat. Auch die ehema- (Christine Lambrecht [SPD]: Dann legen Sie lige Bundesjustizministerin, Frau Zypries, zeigt sich doch etwas Besseres vor!) ganz aktuell auf ihrer Internetseite Bürgerinitiativen ge- Zweitens. Wie wird die Komplexität gehandhabt? genüber skeptisch. Sie hat das zusätzlich noch vor eini- Muss die Fragestellung alle Details beinhalten, mit allen gen Tagen im Offenen Haus in Darmstadt gesagt. Anlagen, oder ist es eine ganz einfache Frage, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist, und wer gestaltet dann Dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück wird von später aus? Allein gestern haben wir 59 Gesetzesinitiati- „Bürgerrecht – Direkte Demokratie“ – ich zitiere – vor- ven auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages geworfen: Die SPD hat sich ein Parteiprogramm gege- gehabt. Wie wollen Sie das in einzelnen Abstimmungen ben, in dem sie Volksbegehren und Volksentscheide im entscheiden lassen? Auch diese Frage beantwortet Ihr Bund fordert. Von Peer Steinbrück habe ich dazu als Gesetzentwurf leider nicht. Kanzlerkandidat noch nichts gehört. – So äußerte sich die Sprecherin von „Bürgerrecht – Direkte Demokratie“. Frau Kollegin Hönlinger, Sie haben von Konfuzius geredet. Das ist – das muss ich leider erwähnen – kein Helmut Schmidt, Ihr ehemaliger Bundeskanzler, sagte besonders kluges Beispiel gewesen. Konfuzius geht von – ich zitiere –: einer Rollenethik aus. Er teilt den Personen ganz klare Schon seit Jahrzehnten bin ich ein ziemlich strikter Rollen zu. Er wird bei vielen Autoren gerade als antide- Anhänger der repräsentativen parlamentarischen mokratisch gehandelt. Ich empfehle, bei dem Friedens- Demokratie. nobelpreisträger Liu Xiaobo nachzulesen. Der kritisiert Konfuzius gerade wegen seines Demokratieverständnis- (Christine Lambrecht [SPD]: Sind wir alle!) ses. Ein anderes Zitat wäre klüger gewesen. Ich habe … immer Vorbehalte gegenüber Volksent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und scheiden und Volksbegehren gehabt. der FDP) (Christine Lambrecht [SPD]: Helmut Schmidt Wir brauchen eine Antwort auf die Frage: Wie be- kann nicht immer recht haben!) kommen wir an der Stelle eine Formulierung, die es er- möglicht, dass Bürger abstimmen? Diese Antwort liefert (B) Der Grund dafür ist, dass viele Fragen viel zu kom- der Gesetzentwurf leider nicht. (D) pliziert sind, um sie nach Gefühl und Wellenschlag mit Ja oder Nein beantworten zu können. Er gibt auch keine Antwort auf die Frage: Welche Gruppen entscheiden eigentlich bei einem Volksent- Dazu kann ich nur sagen: Schauen Sie doch einmal, dass scheid? Sind es Minderheiten? Wenn ein Thema viel- Sie in Ihren Reihen eine gemeinsame eigene Meinung leicht die Niedersachsen und die Schleswig-Holsteiner finden. Dann können Sie auch wieder dementsprechend interessiert, aber die Baden-Württemberger und die Bay- Vorschläge machen, die vielleicht inhaltlich besser sind. ern gar nicht, welche Quoren haben wir dann? Es wird (Sönke Rix [SPD]: Sie hätten vielleicht mal ei- immer die Schweiz als Musterbeispiel benannt. Gerade nen anderen fragen sollen! – Dr. Hans-Peter ist die Landsgemeinde Glarus erwähnt worden, die ein Bartels [SPD]: Was halten Sie denn davon? – Kanton ist. 3 000 haben abgestimmt. In der Schweiz hat Christine Lambrecht [SPD]: Was meinen Sie es bei allen Volksinitiativen in den letzten Jahren eine denn? Helmut Schmidt ist kein Mitglied der Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent gegeben. Kann Fraktion mehr!) denn das Ziel sein, weniger Menschen zur Mitentschei- dung zu bringen? Unser Ziel muss doch sein, mehr Men- Ich komme zum zweiten Teil, zum Inhalt. Ihre Ge- schen zur Mitentscheidung zu bringen. setzentwürfe sind fachlich – ich sage es mal gelinde – sehr dünn; denn Sie beantworten viele Fragen nicht, die Der Kollege Oppermann – ich sehe ihn jetzt nicht zu beantworten sind, wenn wir über Volksinitiativen, mehr – hat eben von Stuttgart 21 gesprochen und einen Volksbegehren und Volksentscheid reden. Vergleich mit Schleswig-Holstein angestellt. Verglei- chen Sie doch einmal in Baden-Württemberg! Über Erstens. Jetzt hören Sie einmal genau zu; das ist wich- Stuttgart 21 haben da 12,1 Prozent weniger Menschen tig. Wer genau stellt denn die Frage, über die abgestimmt abgestimmt, als bei der Landtagswahl ihre Stimme abge- werden wird? Das ist sehr wichtig. Man kann zum Bei- geben haben. Ihre Zahlen stimmen nicht. Ihr Gesetzent- spiel fragen: Ausstieg aus der Kernenergie, ja oder nein? wurf stimmt nicht. Man kann aber auch fragen: Ausstieg aus der Kernener- (Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Dann sollten gie, und wir akzeptieren, dass der Strompreis demnächst Sie einen besseren machen! Machen Sie!) allein durch die EEG-Umlage um 6 oder 7 Prozent steigt? Legen Sie doch etwas Besseres vor! Dann kann man auch vernünftig darüber diskutieren. (Christine Lambrecht [SPD]: Das haben Sie auch beschlossen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 31730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Dr. Patrick Sensburg (A) Der Kollege Mayer hat es gerade angesprochen: Was der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. (C) machen Sie denn, wenn es in einem Gesetzgebungsver- Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der fahren neue Erkenntnisse gibt? Sie nehmen sich jede Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Möglichkeit, ein laufendes Gesetzgebungsverfahren zu Ich rufe die Zusatzpunkte 16 bis 20 auf: beeinflussen, auch im Sinne der Bürger zu beeinflussen. Wenn in komplizierten Gesetzgebungsverfahren eine ZP 16 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Rechtswidrigkeit zutage tritt – im Parlament diskutieren CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines wir über so etwas –, haben Sie keine Möglichkeit, Sach- Gesetzes zur Änderung des Einkommensteu- verständige anzuhören. All das nehmen Sie sich und re- ergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des duzieren es auf eine einfache Fragestellung: Ja oder Bundesverfassungsgerichtes vom 7. Mai 2013 Nein? – Drucksache 17/13870 – Letzter Punkt: die Mitwirkung der Länder. Wenn man Überweisungsvorschlag: sich § 23 Abs. 2 Ihres Entwurfs eines Bundesabstim- Finanzausschuss (f) mungsgesetzes anguckt, stellt man fest: Darin ist nichts Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geregelt über die Mitwirkung der Länder – nur eine mi- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO nimale Quorenregelung im einzelnen Bundesland. Ich glaube, Sie sollten sich mit Ihren Ministerpräsidenten ZP 17 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein- einmal darüber auseinandersetzen, ob das ausreichend gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleich- ist, gerade wenn es um Finanzfragen geht. stellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht Ich glaube, letzten Endes wird Ihre Initiative daran scheitern, dass Sie unter dem Strich die Exekutive stär- – Drucksache 17/13871 – ken. Sie nehmen der Bevölkerung im Grunde die Mög- Überweisungsvorschlag: lichkeit, sich einzubringen. Sie schwächen das Parla- Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss ment. Sie schwächen die Mitwirkung der direkt Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gewählten Abgeordneten. Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Noch einmal das Beispiel des Kantons Glarus – dann ZP 18 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker bin ich auch am Schluss –: Die Leitung der Versamm- Beck (Köln), Lisa Paus, Kai Gehring, weiteren Ab- lung übernimmt der Landrat; er heißt dort „Landam- geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE mann“. Die Exekutive ist hier ganz stark an der Vorbe- GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes reitung beteiligt. zur Umsetzung der Entscheidung des Bundes- (B) verfassungsgerichts vom 7. Mai 2013 zur (D) All das, was Sie hier beschließen wollen, ist eine Gleichstellung Eingetragener Lebenspartner- Farce. Sie stärken nicht die Bürger, Sie stärken nicht den schaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht Parlamentarismus; Sie stärken unter dem Strich die Exe- kutive, die sich sehr deutlich einbringen wird. – Drucksache 17/13872 – Überweisungsvorschlag: Lassen Sie uns doch über Gesetzesinitiativen diskutie- Finanzausschuss (f) ren, die inhaltlich gut sind, die bestimmte Kompetenzen Rechtsausschuss vielleicht ausnehmen! Es könnte ein Weg sein, einmal Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO über die Fragen zu diskutieren, die man in Volksabstim- ZP 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker mungen stellen kann. Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: NIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Das Recht auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts einführen Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): In der nächsten Legislaturperiode haben wir Zeit, da- – Drucksache 17/13912 – rüber zu diskutieren. ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker (Sönke Rix [SPD]: Legen Sie auch mal etwas Beck (Köln), Lisa Paus, Kai Gehring, weiterer vor!) Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Heute war es eine Wahlkampfveranstaltung Ihrerseits. Fachlich war es leider nichts. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsge- richts vom 19. Februar 2013 und vom 7. Mai Danke schön. 2013 zur Gleichstellung Eingetragener Le- benspartnerschaft mit der Ehe im Adoptions- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Einkommensteuerrecht umsetzen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: – Drucksache 17/13913 – Ich schließe die Aussprache. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre würfe auf den Drucksachen 17/13873 und 13874 an die in auch dazu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31731

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile Thomas Strobl Respekt vor der Unterschiedlichkeit menschlicher Le- (C) für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. bensentwürfe und vor allem – das würde auch Ihnen nicht schaden –, sich zuweilen in dieser Bescheidenheit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu üben. Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen neten der FDP) und Kollegen! Ich möchte mit einem ganz offenen Wort beginnen: Meine Partei, die CDU, tut sich bei diesem Die Grenzen menschlicher Erkenntnis setzen notwen- Thema schwer. digerweise auch der Politik Grenzen, die nichts anderes als das Werk von Menschen ist. Daraus ziehen wir einen (Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das kann ich mir Schluss: Bevor der Staat tätig wird, liegt die weitestmög- vorstellen!) liche Verantwortung bei den Einzelnen, bei der Familie, Bei diesem Thema ringen wir um den richtigen Weg. Ich bei den Kommunen und bei gesellschaftlichen Gruppen habe Respekt vor denen, die Argument für Argument als diejenigen, die nach unseren Vorstellungen diese Ge- prüfen, die sich schwertun, die sich möglicherweise so- sellschaft tragen. Ehe, Familie, die Gemeinschaft, die gar quälen bei einer gesellschaftspolitischen Frage und Kommunen rangieren vor dem Staat. Das ist der Kern einer gesellschaftlichen Entwicklung, die so einfach konservativer Gesellschaftspolitik. Das ist im Übrigen nicht ist. auch der Unterschied zu den Sozialdemokraten und zu ihren gedanklichen Ablegern, den Grünen. (Johannes Kahrs [SPD]: Das sind aber auch ein Haufen anderer Menschen!) (Beifall bei der FDP – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Wissen Sie, mir sind bei gesellschaftspolitischen Fra- gen manchmal diejenigen, die von Anfang an genau ge- Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, wusst haben, wie es geht, nicht so sehr sympathisch, wie glauben wir an den besonderen Wert zwischenmenschli- diejenigen, die um das, was wichtig ist, wirklich ringen. cher Bindung und Verpflichtung. Wir glauben, dass eine Ich habe in den vergangenen Monaten in meiner Par- Gesellschaft stärker und auch freier wird, wenn Men- tei für diesen Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, schen sich freiwillig gegenseitig verpflichten, gegensei- geworben, nicht nur mit Blick auf die Rechtsprechung tig binden, wenn sie ein Leben lang füreinander Verant- des Bundesverfassungsgerichtes, die selbstverständlich wortung übernehmen. Aus diesem Grund treten wir aus immer zu respektieren und auch umzusetzen ist, sondern ganzer Überzeugung für die Ehe ein. Aus diesem Grund (B) weil ich in der Sache eine Überzeugung gefunden habe. halten wir in der Union, im Gegensatz zu den Grünen, (D) auch in der Zukunft am Ehegattensplitting fest. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- wie des Abg. Jörg van Essen [FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Überzeugung ist, dass die steuerliche Gleich- Aus diesem Grund stärken wir auch aus ganzer Über- stellung von Lebenspartnerschaften ein zeitgemäßer zeugung die Familien. Das haben wir zu Beginn der Le- Ausdruck konservativer Politik sein kann, in der es um gislaturperiode getan, indem wir das Kindergeld und den etwas sehr Grundsätzliches geht, nämlich um die Siche- Kinderfreibetrag deutlich angehoben haben. Wir werden rung von Freiräumen in dieser Gesellschaft, in denen un- nach der Bundestagswahl hier mit der Verbesserung der terschiedliche Lebensentwürfe verwirklicht werden kön- Renten für die älteren Mütter weitermachen. nen. Weil ich an den Wert zwischenmenschlicher Bindun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gen glaube, bin ich der Überzeugung: Wenn zwei Män- Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das hätten Sie ner oder zwei Frauen eine auf Dauer angelegte und schon eher haben können!) rechtlich verfestigte Partnerschaft eingehen, wenn sie Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mensch ist un- füreinander einstehen, wenn sie ein Leben lang füreinan- vollkommen. der Verantwortung übernehmen, wenn sie die Gemein- schaft und den Staat also auch entlasten, dann sollten sie (Johannes Kahrs [SPD]: Die CDU auch!) im Steuerrecht genauso behandelt werden wie hetero- Das ist unser christliches Menschenbild. Deswegen ist sexuelle Paare. auch die Politik, die von Menschen gemacht wird, un- vollkommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Johannes Kahrs [SPD]: Gerade die der Regierung!) Es mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, aber David Cameron hat recht: Als Konservativer kann man – Hören Sie doch einmal einen Moment zu. für Lebenspartnerschaften eintreten, nicht obwohl, son- Macht man diese Einsicht zur Grundlage von Politik, dern weil man ein Konservativer ist. dann bedeutet das: Demut, Bescheidenheit, Der Opposition wird es in dieser Debatte allerdings (Johannes Kahrs [SPD]: Bei so viel schlechter noch um einen weiteren Punkt gehen: um das volle Politik braucht man das auch!) Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Auch in dieser 31732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Thomas Strobl (Heilbronn) (A) Frage – das sei ganz offen gesagt – gibt es in meiner Par- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C) tei unterschiedliche Auffassungen. Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. (Mechthild Rawert [SPD]: Oh ja! Frau Steinbach zum Beispiel!) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Dazu haben wir den heute vorliegenden Gesetzent- Viele Menschen empfinden im Hinblick auf die Voll- wurf eingebracht. Lassen Sie uns diesen Schritt gemein- adoption ein gewisses Unbehagen, und sie zögern. sam machen! (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Danke schön. GRÜNEN]: Ja, aber die Sukzessivadoption setzen Sie ja auch nicht um!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Wer die Zwischenrufe der Grünen in den vergangenen GRÜNEN]: Die behutsamen Schritte kamen Debatten zu diesem Thema gehört hat, konnte feststel- alle vom Gericht!) len: Sie erkennen in diesem Zögern nichts als Dummheit oder gar ein Residuum von Homophobie. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist ja Kollege Beck, es passiert Ihnen selten, dass Sie über- auch so!) sehen werden, oder? Ich erkenne in diesem Zögern zunächst die Aufforde- (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- rung: Lasst uns eine Sache auf das Allergründlichste be- NIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] denken, wenn es um das Wohl von Kindern geht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und man wohl sagen! – Dr. Daniel Volk [FDP]: der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Zwölf Jahre Aber nicht überhört!) lang? – Mechthild Rawert [SPD]: Das hat die Das Wort hat nun Ingrid Arndt-Brauer für die SPD- Universität Bamberg schon längst getan!) Fraktion. Noch etwas sollten Sie nicht aus den Augen verlieren: (Beifall bei der SPD) Wir sehen derzeit in Frankreich, welche Konsequenzen eine Entscheidung im Adoptionsrecht haben kann, wenn sie nicht von einem sehr breiten gesellschaftlichen Kon- Ingrid Arndt-Brauer (SPD): sens getragen wird. Wir möchten auf den Straßen in Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- (B) Deutschland keine französischen Verhältnisse. Wir wol- nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir (D) len in Deutschland keine Spaltung der Gesellschaft, so diskutieren heute – man hätte eben einen falschen Ein- wie sie in Frankreich leider eingetreten ist. druck bekommen können – nur über Änderungen im Einkommensteuergesetz. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Dann tun Sie was dafür! – Josef Philip Winkler [BÜND- (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Richtig!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer will denn das?) Sie haben sich gerade ziemlich groß aufgeblasen, als Sie Der Kollege Beck, der heute nicht zugegen ist, sagten, dass Sie den richtigen Weg gesucht und ihn of- fensichtlich auch gefunden haben. Aber wir ändern nicht (Michael Kauch [FDP]: Doch, er ist da! – die Gesellschaft; wir ändern nur das Einkommensteuer- Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE gesetz. Das tun Sie übrigens nicht aus Überzeugung oder GRÜNEN]: Was? Da sitzt er doch!) deshalb, weil sie den richtigen Weg gefunden haben, hat in Sachen Lebenspartnerschaften seit einiger Zeit sondern weil das Bundesverfassungsgericht es Ihnen den Vorsitzenden der britischen Konservativen als zitier- aufgetragen hat; so viel dazu. würdige Autorität entdeckt; das ist in Ordnung. Viel- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem leicht darf ich einen Vorgänger Camerons vom Ende des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19. Jahrhunderts zitieren, der meinte: Aufgabe der Kon- servativen sei es – ich zitiere –, „Veränderungen zu ver- Auch andere große gesellschaftliche Themen sind Sie zögern, bis sie harmlos geworden sind“. In meinen Wor- nicht von sich aus, weil sich Ihre Überzeugung geändert ten: Es geht darum, den Wandel in einer Gesellschaft so hat, angegangen. Ich nenne als Beispiel die Wehrpflicht. zu gestalten, dass die Gesellschaft über ihn nicht aus- Natürlich: Es gab keine Wehrgerechtigkeit mehr, und einanderfällt oder gar zerbricht. Vielleicht kann man der kaum noch jemand wollte zur Bundeswehr. Was haben Überlegung zur schrittweisen, behutsamen Ausweitung Sie gemacht? Sie haben die Wehrpflicht ausgesetzt und der Rechte der Lebenspartnerschaften vor diesem Hin- sich gewundert, dass plötzlich gar keiner mehr zur Bun- tergrund auch dann etwas Gutes abgewinnen, wenn man deswehr kam. ein solches Vorgehen im Grunde für falsch hält und die Rechte am liebsten in einem Zug verwirklicht sehen (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der würde. Bundesfreiwilligendienst ist ein Erfolgsmo- dell!) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber diese Schritte kamen ja alle Auch hier haben Sie nicht die richtigen Maßnahmen er- vom Verfassungsgericht!) griffen. Auch dieses Thema haben Sie falsch angepackt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31733

Ingrid Arndt-Brauer (A) Ein anderes Beispiel ist das Thema Atomkraft. Im nach Einsprüchen offengehalten wurden, und es gab (C) Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung waren Sie für Bundesländer – das waren vor allem die Südländer, vor- eine Laufzeitverlängerung. nehmlich Bayern und Sachsen –, die diese Fälle, die in anderen Bundesländern offen gehalten wurden, abge- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sa- schlossen haben und die Bescheide für bestandskräftig gen Sie auch noch was zur Sache?) erklärt haben. Was kann denn jemand, der einen solchen Nach Fukushima haben Sie die Atomkraftwerke einfach Einspruch in Bayern eingelegt hat, dafür, dass sein Fi- abgeschaltet; Sie wollten Ihren Weg finden. Das haben nanzamt anders handelt als ein Finanzamt in Köln? Sie allerdings getan, ohne Begleitgesetze auf den Weg zu bringen. Wir haben hier die Energiewende gesetzlich be- Ich finde, das ist eine grobe Ungerechtigkeit, gegen schlossen. Dadurch ist sie aber noch nicht da. die Sie nicht vorgehen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen Sie auch noch etwas zu dem Gesetzent- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der wurf, um den es geht?) LINKEN) – Jetzt komme ich zu dem Gesetzentwurf. Ich bin sicher: Wenn wir das Gesetz heute verabschie- den, dann wird heute Nachmittag jemand Klage dagegen (Zurufe von der CDU/CSU: Ah!) einreichen, und er oder sie wird Erfolg haben. Ich denke, Auch da geht es um eine Reihe von Maßnahmen, zu de- so geht es wirklich nicht. nen man Sie zwingen musste, die dann aber ohne rich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der tige Überzeugung umgesetzt werden. Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE] und Josef (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der NEN]) Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) Wir können nicht unterschiedliche Rechtsformen in den Wir kommen jetzt also zur Änderung des Einkom- Bundesländern tolerieren und sie dann auch noch zur mensteuergesetzes. Ich betone: Wir von Rot-Grün haben Grundlage eines solchen Gesetzentwurfs machen. schon 2001 wahrgenommen – wir haben da einen guten Draht zur Bevölkerung –, dass die Gesellschaft offener (Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber das haben Sie und vielfältiger geworden ist und Menschen auch in an- doch in allen anderen Fällen der Umsetzung deren Formen leben wollten. Ich stehe auf Männer, mein von Verfassungsgerichtsurteilen gemacht!) Mann steht auf Frauen; da bietet sich die Ehe an. (B) – Nein, das haben wir nicht. Wir haben die Entfernungs- (D) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) pauschale für alle rückwirkend geändert, egal ob ein Einspruch eingelegt worden war oder nicht, ob ein Fall Aber andere Leute sind anders orientiert. Das haben wir offen oder bestandskräftig beschieden war. Wir haben es wahrgenommen, und wir haben gesagt: Wir machen ein für alle geändert. Ich denke, in diesem Fall muss man es schönes, rundes Gesetz dazu. – Das haben wir 2001 ge- auch tun. macht. Wir sind am Bundesrat mit unserem Vorhaben gescheitert. Wir wollten damals mehr tun, als nur ein Wir reden von 34 000 Eingetragenen Lebenspartner- paar rechtliche Dinge zu ändern. Wir wollten von An- schaften. Gehen wir einmal davon aus, dass nicht bei al- fang an auch die finanziellen Vorteile, die eine Ehe bie- len gravierende Einkommensunterschiede vorliegen. So tet, auf Lebenspartnerschaften übertragen; wir wollten teuer wird es also nicht werden; das kann nicht das Ar- eine echte Öffnung der Ehe. Das ist damals allerdings an gument sein. Konservativen und an nicht mutigen Liberalen geschei- tert; darauf muss man immer wieder hinweisen. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Sagt ja auch niemand!) Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht eingegriffen – endlich! Sie wollen jetzt genau das umsetzen, was Ihnen Ein anderes Argument darf es hier nicht geben. Ich das Bundesverfassungsgericht konkret aufgeschrieben denke, wir müssen die Leute gleichbehandeln und dür- hat: Sie müssen unbedingt das Einkommensteuerrecht fen es nicht davon abhängig machen, wo sie ihren und andere finanzielle Dinge ändern. Da sagt das Minis- Wohnsitz hatten. terium: Wir können nicht alles auf einmal machen; wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ändern erst einmal nur das, was wir dringend ändern DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara müssen, ändern das Einkommensteuerrecht. – Das Bun- Höll [DIE LINKE]) desverfassungsgericht sagt richtigerweise: Das muss rückwirkend bis 2001 gelten. – Da sagen Sie: Okay, wir Deshalb möchte ich ausdrücklich dafür werben, jetzt machen es rückwirkend. – nicht nur das Einkommensteuergesetz in der Minimalva- riante zu ändern, sondern es im größeren Stil zu machen. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Für alle offenen Stimmen Sie unseren Anträgen zu und tun Sie etwas Fälle!) Vernünftiges. Wenn Sie schon auf den richtigen Weg ge- – Ja, genau das ist der Punkt: Was bedeutet denn „offene kommen sind, dann sollten Sie den Weg bitte bis zum Fälle“? – Ich habe am Mittwoch im Finanzausschuss Ende gehen und sich nicht von einer Bundesverfassungs- nachgefragt. Es gab Bundesländer, in denen die Fälle gerichtsentscheidung zur nächsten hangeln. Da sollten 31734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Ingrid Arndt-Brauer (A) Sie im Sinne der Bürger handeln; das sollten Sie aufneh- (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: (C) men. So, Barbara, jetzt mach mal Attacke!) Vielen Dank. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegen! Ich komme mir vor wie in einem Kinderzim- mer. CDU/CSU und FDP verhalten sich wie eine Horde Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: von Kindern, die zwar wissen, dass sie aufräumen müs- Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak- sen, aber es nicht tun wollen. tion. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Im Koalitionsvertrag hatte die CDU/CSU per Unter- schrift die Gleichstellung versprochen, aber umsetzen Michael Kauch (FDP): will sie es nicht. Da wird gequengelt, mit den Füßen ge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist stampft und geheult – Herr Geis ist ein wunderbares Bei- ein Tag der Freude. Wir von der FDP haben uns schon spiel dafür –, um bloß nichts tun zu müssen. seit sehr vielen Jahren dafür eingesetzt, dass diejenigen (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Menschen, die gleiche Pflichten haben, auch gleiche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Rechte bekommen. Dieser Gesetzentwurf setzt hier den für die meisten Betroffenen wichtigsten Punkt um, näm- Es wird diskutiert: Später! Später! Ich mache es später! – lich eine Änderung bei der Einkommensteuer. Es ist gut, Die paar wenigen, die es wollen – die Wilde 13 der dass wir das, was wir auch in der Koalition lange streitig CDU/CSU –, werden in die Ecke gedrängt. Sie sollen ih- diskutiert haben – es hat lange gedauert –, jetzt mit einer ren Mund halten und dürfen hier im Bundestag nicht re- gemeinsamen Vorlage auf den Weg bringen. den. Das ist die Realität. Der ganze Prozess ist nervig. Es nervt einfach, so wie es Eltern nervt, wenn Kinder per- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten manent quengeln, obwohl sie wissen: Es ist die Norm, der CDU/CSU) dass man sein Kinderzimmer aufräumt, wenn man etwas Ich möchte vor allen Dingen Herrn Strobl für seine wiederfinden will. aus meiner Sicht für die Union wirklich wegweisende Was machen Sie? Sie benachteiligen Menschen, in Rede danken. Das ist das erste Mal, dass ein von der dem Sie sie zwingen, in ungerechten Verhältnissen zu le- Unionsfraktion nominierter Redner hier im Plenarsaal ben. Sie zwingen sie, Lebensenergie und Geld zu ver- (B) das ausgesprochen hat, was viele in der Unionsfraktion schwenden, um zu ihrem Recht zu kommen. Immer wie- (D) schon lange gedacht haben. Sonst wurden immer Redner der müssen die Betroffenen vor Gericht ziehen, sogar bis ans Pult geschickt, die eine andere Auffassung vertraten. zum Bundesverfassungsgericht. Dort bekommen sie Diesem Vortrag lag ein modernes konservatives Fami- recht. Und was ist Ihre Reaktion darauf? Sie ändern nur lienbild zugrunde. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar das, was absolut notwendig ist. dafür, dass Sie Ihre Position deutlich gemacht haben. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten NEN]: Und das auch noch schlecht!) der CDU/CSU) Im Finanzausschuss wird uns erklärt: Wir wollen eine Die Neuorientierung der Union, die hier sichtbar Generalklausel im Einkommensteuerrecht. – Ich frage wird, wird es ermöglichen, in der nächsten Wahlperiode sie: Warum gibt es keine Generalklausel für das Steuer- die letzten Schritte auf dem Weg zur vollständigen recht insgesamt, zum Beispiel in der Abgabenordnung? Gleichstellung zu gehen. Wir als Liberale werden darauf Wir könnten das umsetzen. Damit hätten wir die Pro- drängen. Nach der heutigen Rede bin ich sehr zuver- bleme beseitigt, die wir zum Beispiel noch im Bereich sichtlich, dass wir dabei erfolgreich sein werden. der Rürup- und Riester-Renten haben; denn hier ist der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin eben nicht abge- (Beifall bei der FDP) sichert. Wie sieht das beim Kindergeld aus? Hat der Le- Es ist ein Grund zur Freude, dass die schwulen und benspartner oder die Lebenspartnerin Kinder, dann be- lesbischen Eingetragenen Lebenspartner das Ehegatten- kommt man zwar den Kinderfreibetrag, aber kein Kindergeld. Man sieht: Es gibt im Steuerrecht immer splitting nutzen können. Ein noch größerer Grund zur noch eine Reihe von Lücken. Das kostet Kraft, weil es Freude wäre, wenn sie es behalten könnten und Rote und nervt; dabei wissen Sie – zumindest bezüglich des Grüne es Ihnen nicht nach der nächsten Wahl wieder Einkommensteuerrechts; Sie haben es schon unterschrie- wegnehmen würden. ben –, dass Sie die Regelungen ändern werden müssen. Vielen Dank. Es ist gut, dass wir heute das Wenige tun, aber es ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten enttäuschend, dass Sie nicht wenigstens zum Ende der der CDU/CSU) Legislaturperiode die Kraft hatten, im Steuerrecht insge- samt reinen Tisch zu machen. Das ist ein Armutszeug- nis. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Barbara Höll für die Fraktion Die (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Linke. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31735

Dr. Barbara Höll (A) Immer wieder wird gesagt, Änderungen im Adop- Das Schöne an Familienfesten ist ja, dass die Menschen (C) tionsrecht seien nicht möglich. Die Lebensrealität in aus unterschiedlichen Richtungen zusammenkommen, Deutschland hat sich aber verändert, und wir in der Poli- eine Partnerschaft feiern und alle gleichberechtigt in die tik sind verpflichtet, die veränderten Lebensrealitäten Lebenswelt einbezogen werden. wahrzunehmen. Unser Bund estagspräsident Herr Lammert (Johannes Kahrs [SPD]: Selbst die ungeliebte hat heute früh in seiner Rede bewusst das Wort „normal“ Verwandtschaft! – Thomas Strobl [Heilbronn] gebraucht und herausgestellt. Aber was ist denn schon [CDU/CSU]: Wenn die dunkelroten Verwand- normal? In Familien gibt es ganz unterschiedliche Kon- ten kommen, dann kommen wir nicht!) stellationen. Es gibt Ehen zwischen Männern und Frauen, mit und ohne Kinder. Es gibt Menschen, die Im Kern geht es darum: Gleiche Liebe, gleiche Pflich- ohne Trauschein zusammenleben: Männer mit Männern, ten, gleiche Rechte – nur das ist fair. Das sagt uns das Männer mit Frauen, Frauen mit Frauen, mit und ohne Bundesverfassungsgericht immer wieder. Zum Men- Kinder. Es gibt funktionierende Patchworkfamilien in schenbild: Herr Strobl, ja, wir sind alle imperfekt – zuge- unterschiedlichen Modellen. In manchen Familien blei- standen –, aber wir alle haben die gleiche Würde und die ben die Kinder immer in einer Wohnung und die Eltern gleichen Rechte. Das ist die Perspektive der Verfassung, wechseln, in anderen Familien wechselt die Betreuung und das ist die Perspektive der Menschenrechtskonven- der Kinder. Inzwischen gibt es Wahlverwandtschaften, tion. weil unsere Welt so mobil geworden ist. Das ist die Nor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, malität. Wir stehen in der Verantwortung und haben die bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Normen des Zusammenlebens der veränderten Normali- Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]) tät anzupassen. Das ist das, was die Bevölkerung zu Recht von uns erwartet. Wir als Opposition haben gelie- Diesen Grundsatz haben Sie notorisch verletzt, wenn es fert. Sie stümpern vor sich hin. um Schwule und Lesben ging. Alle Urteile, die das Bun- desverfassungsgericht erlassen hat, waren notwendig, (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie weil die Union zunächst im Bundesrat und später im bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Bundestag die Gleichberechtigung verhindert hat. Sie GRÜNEN) haben Schwulen und Lesben die gleichen Rechte ver- wehrt und ihnen damit auch die gleiche Würde abge- Ich sage Ihnen eines: Ich habe im vergangenen Jahr sprochen. Das ist skandalös. Dafür sollten Sie sich bei auf Einladung an der Segnung eines schwulen Paares den Menschen eigentlich entschuldigen. hier in Berlin teilgenommen. Ein anderes befreundetes Paar will seine Partnerschaft erst dann institutionalisie- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) ren, wenn es heiraten darf. Ich freue mich schon jetzt da- (D) rauf, auf dieser Hochzeit zu tanzen; denn die Öffnung Sie machen ja weiter so. Es hat sich nichts grundle- der Ehe steht als Nächstes an. gend verändert. Sie stümpern ein bisschen im Einkom- Ich danke Ihnen. mensteuerrecht herum. Die Regelungen zum Kindergeld sowie zur Riester- und zur Rürup-Rente gestalten Sie un- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem terschiedlich. Das alles macht keinen Sinn. Wir sollten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vielleicht versuchen, das im Ausschuss noch zu korrigie- ren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Bundesverfassungsgericht hat uns nicht nur in Das Wort hat nun Volker Beck für die Fraktion Bünd- seinem Urteil zum Einkommensteuerrecht gesagt – das nis 90/Die Grünen. sagt es uns immer wieder, bei jeder Rechtsmaterie mit den gleichen Worten –: Die Ungleichbehandlung von Ehegatten und Eingetragenen Lebenspartnern ist auch Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): unter Berücksichtigung des in Art. 6 Abs. 1 verankerten Herr Präsident! Frau Höll, wenn es Rot-Grün gibt, besonderen Schutzes der Ehe und der im Recht beste- können wir zusammen tanzen, weil es dann die Öffnung henden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht ge- der Ehe gibt. rechtfertigt. – Das gilt für alle Punkte, um die es geht. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Bei Zum Adoptionsrecht hat das Bundesverfassungs- Rot-Rot-Grün!) gericht im Februar gesagt: – Nein, ich habe nicht Rot-Rot-Grün gesagt, sondern: Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Le- Wenn es Rot-Grün gibt. benspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestal- tung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen (Kai Wegner [CDU/CSU]: Das wäre Rot-Rot- könnten, bestehen nicht … Grün! Das sollen die Menschen wissen!) Das gilt nicht nur für die Sukzessivadoption. Das gilt Wir feiern die Öffnung der Ehe dann auch mit Ihnen zu- auch für die gemeinschaftliche Adoption. Deshalb müs- sammen, wenn Sie das wollen. Da sind wir gar nicht so. sen wir das jetzt umsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- LINKEN) KEN) 31736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Volker Beck (Köln) (A) Dazu bedarf es keiner langen Überlegungen. Unseren Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nein, das (C) Gesetzentwurf dazu gibt es seit 2010. Das Verfassungs- werden wir verhindern!) gericht hat im Dezember Vertreter der Psychologenver- bände und der Jugendämter angehört. Es hat Vertreter al- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ler Fachorganisationen im Familienbereich angehört. Nächster Redner ist Olav Gutting für die CDU/CSU- Das einhellige Sachverständigenvotum lautete: Das kann Fraktion. nur gut für die Kinder sein. – Sie machen weiter anti- schwule und antilesbische Politik auf dem Rücken des (Beifall bei der CDU/CSU) Kindeswohls der Kinder in gleichgeschlechtlichen Le- bensgemeinschaften. Olav Gutting (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! bei der SPD und der LINKEN) Manche bezeichnen die anstehende steuerliche Gleich- stellung von Lebenspartnern im Einkommensteuer- Im Ausschuss liegt seit Anfang des Jahres unser Ge- bereich als eine Revolution. So stand es zumindest in ei- setzentwurf vor. Wir wollen Schluss machen mit allen ner Zeitung. Revolutionäres kann ich daran allerdings Diskriminierungen. Es ist doch ätzend, das man Gesetz nicht erkennen; denn seit über zehn Jahren gilt das Le- für Gesetz vorgeht: Höfeordnung, benspartnerschaftsgesetz in Deutschland. Es ist gesell- (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: schaftliche Realität. Dieses Lebenspartnerschaftsgesetz Sachgerecht!) ist in weiten Teilen der Ehe nachgebildet, insbesondere was die Pflichten angeht. Damit gilt der Grundsatz: Glei- Einkommensteuerrecht, Abgabenordnung. Immer wie- che Pflichten, gleiche Rechte! der muss man nachbessern. Lassen Sie uns alles auf ein- mal aufräumen. Ich verweise auf unseren Gesetzentwurf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie auf Drucksache 17/12676, der auf 17 Seiten 22 Artikel des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) beinhaltet. In diesem Zusammenhang hat Herr Krings ei- Die Eingetragenen Lebenspartnerschaften sind eine nen bedenkenswerten Satz gesagt: institutionalisierte Verantwortungsgemeinschaft. Dieses Ich halte es aber schon gesetzesökonomisch für – laut Gesetz – Füreinandereinstehenmüssen ist selbst- fragwürdig, für wenige Tausend betroffene Fälle verständlich auch die Berechtigung für die Privilegie- Dutzende von Gesetzen zu überarbeiten. rung im Steuerrecht. Schon im vergangenen Jahr habe ich mich aus diesen Gründen zusammen mit zwölf ande- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE ren Abgeordneten aus meiner Fraktion für die einkom- GRÜNEN]: Arbeitsverweigerung!) mensteuerrechtliche Gleichstellung der Lebenspartner- (B) (D) schaften ausgesprochen. Frau Kollegin Höll, ich kann Das kann man so sehen. nur sagen: Bei uns wird keiner deswegen in irgendeine (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Ecke gedrängt. GRÜNEN]: Arbeitsverweigerung!) (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aber reden Ich halte es für nicht gerichtsökonomisch, schwule durften Sie nicht!) und lesbische Paare für jede Diskriminierung einzeln Es ist schlicht eine Frage der Steuergerechtigkeit. Es ist nach Karlsruhe zu schicken, um die Diskriminierung zu schlicht eine Frage des Respekts vor gleichgeschlechtli- beseitigen und dem Gesetzgeber den Auftrag erteilen zu chen Lebenspartnerschaften. lassen, abermals ein Gesetz zu erlassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Deshalb ist es eigentlich an der Zeit – die Gesell- der FDP) schaft ist so weit; die Mehrheit des Bundesrates will es inzwischen, und auch viele Anhänger Ihrer Parteien Ich habe mich ein bisschen gewundert, warum ausge- sind dafür –: Lassen Sie uns die Ehe öffnen! Dann ist rechnet die Gleichstellung im Hinblick auf die gemein- dieser ganze Quatsch, um jede einzelne Regelung zu same Veranlagung so hohe Wogen schlägt. Wir haben kämpfen, einfach vorbei. Darin drückt sich dann auch bereits in der Vergangenheit in weiten Teilen des Steuer- die Akzeptanz aus. Solange wir unterschiedliche Rechts- rechts eine Gleichstellung erreicht: bei der Erbschaft- institute haben – Lebenspartnerschaft für Homosexuelle, und Schenkungsteuer, bei den Renten, im Beamtenrecht, Ehe für Heterosexuelle –, diskriminieren wir weiter. Das bei der Grunderwerbsteuer. Dennoch war es, wie ich wollen wir überwinden. Das wäre das richtige Signal. meine, im Rückblick und im Ergebnis richtig, vor der Das wäre übrigens auch im Sinne von Herrn Krings Umsetzung der steuerlichen Gleichstellung zunächst den ziemlich gesetzesökonomisch. Deshalb werden wir, Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes abzuwarten. wenn Sie das in dieser Legislaturperiode nicht machen, Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sind im ersten Jahr von Rot-Grün die Ehe öffnen. lesenswert. Insbesondere in den beiden Sondervoten wurde ganz deutlich, dass es dem Gesetzgeber bei der (Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist aber noch lang Einführung des Partnerschaftsgesetzes gerade nicht da- hin!) rum ging, ein der Ehe vollständig gleichgestelltes Insti- Das könnte schon 2014 wahr werden. tut zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei der SPD und der LINKEN – Thomas NEN]: Das Gegenteil ist der Fall!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31737

Olav Gutting (A) Dass die Opposition nun die Entscheidung des Bun- Zurück zum heutigen Gesetzentwurf der Koalition. (C) desverfassungsgerichtes dazu nutzen will – das ist hier Wir setzen den Beschluss des Bundesverfassungsge- gerade vorgetragen worden –, die Ehe als Gemeinschaft richts selbstverständlich und ohne Tränen und auch ohne zwischen Mann und Frau aufzuheben, ist schon bemer- irgendwelches Gejaule konsequent um. kenswert. (Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Doch, das (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE war lautes Gejaule!) GRÜNEN]: Nicht aufheben, erweitern!) Dieser Schritt hin zur steuerlichen Gleichstellung ist In der Vorlage, die Sie von Rot-Grün vorhin zitiert ha- richtig, er ist vielleicht sogar auch überfällig. Aber wir ben, heißt es – hören Sie einmal zu –, das „Konzept der sagen auch ganz klar, dass dieser Beschluss des Bundes- Geschlechtsverschiedenheit der Ehegatten“ sei überholt. verfassungsgerichts keineswegs die Öffnung der Ehe für Ich dachte zunächst, das sei ein Witz, aber Sie meinen gleichgeschlechtliche Paare bedeutet. das ernst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Er bedeutet gerade nicht, dass nun auch die Volladoption GRÜNEN]: Das ist die Zukunft! Gucken Sie von Kindern durch gleichgeschlechtliche Partner mög- mal nach Spanien oder Argentinien!) lich ist. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: GRÜNEN]: Warum denn nicht? – Mechthild Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Rawert [SPD]: Sie werden es noch erleben!) Kollegen Beck? Ich will jetzt hier gar nicht über das Kindeswohl schwa- Olav Gutting (CDU/CSU): dronieren. Nein, lassen Sie mich bitte fortfahren. – Die Ehe zwi- (Johannes Kahrs [SPD]: Sie schwadronieren schen Mann und Frau, die regelmäßige Vorstufe zur Fa- schon ziemlich lange!) milie, die durch Art. 6 geschützte Keimzelle der Gesell- Das Kindeswohl steht selbstverständlich immer im Zen- schaft, die Voraussetzung für die Generationenfolge, ist trum der Überlegungen. Die Volladoption von Kindern für SPD und Grüne nicht mehr schützenswert. durch zwei Männer oder zwei Frauen lehne ich persön- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE lich aus einem einzigen Grund ab: Es fühlt sich in mei- GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! – Josef nem Herzen falsch an. Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (D) NEN]: Die wird weiter geschützt!) GRÜNEN]: Das ist aber juristisch nicht über- Nur Mann und Frau sichern den Fortbestand des Ge- zeugend!) meinwesens. Ich weiß nicht, wann Ihnen diese Erkennt- Ich bitte Sie, das zu respektieren. nis abhandengekommen ist. Ich freue mich auf weitere gute Beratungen zu diesem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gesetzentwurf. Aber letztendlich ist das nur ein weiterer Mosaikstein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der Politik, die Sie gegen den Mittelstand und gegen Fa- Mechthild Rawert [SPD]: Sie werden es noch milien betreiben. erleben!) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wer das Ehegattensplitting abschaffen will, wer Kinder- Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle- geld und Kinderfreibetrag so umbauen will, dass jede gen Volker Beck. dritte Familie mit Kindern zukünftig stärker steuerlich belastet wird, wer wie Grün-Rot in Baden-Württemberg die Grunderwerbsteuer erhöht und damit genau die jun- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen Familien belastet und ausnimmt wie eine Weih- Herr Gutting, ein Vorurteil kann man nicht respektie- nachtsgans, die sich ein Nest bauen wollen, ren. Nichts anderes als ein Vorurteil ist es, wenn Sie auf Ihr Herz zeigen und dazu sagen, dass es sich dort falsch (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE anfühlt. Die Fakten aller Untersuchungen besagen, dass GRÜNEN]: Was hat das mit der Debatte zu es keinen rationalen Grund gibt, Schwule und Lesben tun?) bei Adoptionsentscheidungen zu benachteiligen. die ein gemeinsames Eigenheim schaffen wollen, dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann ich hier nur attestieren: Sie legen die Axt an die und bei der SPD – Stefan Müller [Erlangen] Wurzel der Zukunft unserer Gesellschaft und unseres [CDU/CSU]: Das entscheiden Sie?) Staates. – Ja, das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ich habe es Ihnen vorhin vorgelesen. Lesen Sie es noch Mechthild Rawert [SPD]: Thema verfehlt! einmal nach! – Unter Randziffer 104 der Entscheidung Setzen!) vom 19. Februar dieses Jahres schreibt das Gericht: 31738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Volker Beck (Köln) (A) Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Le- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C) benspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestal- Kollege Gutting, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion. tung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen könnten, bestehen nicht … Olav Gutting (CDU/CSU): Nehmen Sie sich das zu Herzen, und erzählen Sie hier Ich will mich recht kurzfassen. nicht großartig, Sie als Rechtsstaatspartei würden das Herr Beck, dass Sie hier die Homophobiekarte zie- Verfassungsgericht immer respektieren und seine Urteile hen, empfinde ich als respektlos. umsetzen. Nein, Sie tun es nicht. Sie rebellieren gerade gegen die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon wieder!) Das ist eine typische Reaktion von Ihnen; Sie spielen diese Karte ja immer wieder. Das finde ich nicht in Ord- und weigern sich, das hier umzusetzen. nung. Ich bin froh, dass, wenn es um das Kindeswohl Ich habe mich eigentlich gemeldet, weil Herr Strobl geht, nicht Sie entscheiden und auch nicht das Bundes- vorhin – das hat Herrn Kauch Hoffnung gemacht – verfassungsgericht allein. Wir werden – der Kollege Herrn Cameron mit seiner Aussage zur Öffnung der Ehe Strobel hat das vorhin deutlich gemacht – das alles in zitiert hat. Herr Cameron sagte: Ich bin nicht, obwohl ich Ruhe besprechen und uns mit entsprechenden Studien Konservativer bin, für die Öffnung der Ehe, sondern versorgen. weil ich Konservativer bin, bin ich für die Öffnung der (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ehe. Die gibt es schon! – Volker Beck [Köln] (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Ministe- habe ich ja zitiert!) rium hat schon alles vorgelegt!) Dann sagte Herr Gutting, das sei der Untergang des Ich bitte Sie aber, unsere Meinung zu respektieren. Abendlandes, die Destruktion von Ehe, Familie und Ge- sellschaft. Tauschen Sie sich doch einmal untereinander Frau Kollegin Höll, es ist billig, wenn Sie uns vorwer- aus. Geht diese homophobe Kampagne weiter, oder öff- fen, wir würden uns damit gegen Alleinerziehende rich- net sich die CDU/CSU, schlau geworden durch das Bun- ten. Ich mache es Ihnen ganz einfach: Stimmen Sie ein- desverfassungsgericht, endlich für die Gleichberechti- fach unserer geplanten Kindergelderhöhung und unserer gung und hat Respekt vor den lesbischen Bürgerinnen geplanten Erhöhung des Kinderfreibetrags zu! Das und den schwulen Bürgern dieses Landes? kommt nämlich auch Alleinerziehenden zugute. (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- sowie bei Abgeordneten der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade nicht!) Dazu müssen Sie nicht die Ehe abschaffen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Vielen Dank. Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich Kollegin Höll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Es Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): geht darum, die Ehe zu öffnen! Das ist etwas Herr Kollege Gutting, ich zählte in meiner Rede meh- anderes!) rere Formen von Familien auf, die es in Deutschland gibt. Familie ist da, wo Nähe ist, wo Kinder erzogen und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: betreut werden, wo Menschen gepflegt und betreut wer- Das Wort hat nun Johannes Kahrs für die SPD-Frak- den. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie der tion. Meinung sind, dass in Deutschland Kinder nur in Ehen geboren werden? Wollen Sie mit Ihren Ausführungen (Beifall bei der SPD) deutlich machen, dass die Millionen alleinerziehender Mütter und Väter in Deutschland nicht in der Lage sind, Johannes Kahrs (SPD): ihre Aufgaben richtig zu erfüllen? Würden Sie bitte zur Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kenntnis nehmen, dass bereits heute Tausende Kinder in Kollegen! Wir haben in den letzten Jahren häufig über Regenbogenfamilien leben? Das heißt, es ist längst Nor- dieses Thema diskutiert. Wir haben das alles in den letz- malität. Wir sprechen hier, wenn es um die Möglichkeit ten zwölf Jahren herauf und herunter diskutiert. Am der Volladoption geht, nur über sehr wenige Familien. Es Ende geht es um die Gleichberechtigung von Lesben und wäre nur der letzte Schritt einer bestehenden Entwick- Schwulen. Wir alle werden noch erleben, dass die Ehe lung. geöffnet wird. Dann hat sich das Klein-Klein, das uns die CDU/CSU in den letzten zwölf Jahren aufgezwun- Ich habe von Ihnen jedenfalls nicht gehört, dass Sie gen hat, endlich erledigt. der Ansicht wären, dass zwei Frauen, die sich dafür ent- scheiden, zusammenzuleben, die Kinder, die sie in diese Am Anfang der Debatte dachte ich: Frau Steinbach Beziehung mitbringen oder die in dieser Beziehung ge- und Herr Geis sind heute nicht da; aber die tapferen 13 boren werden, nicht weiter betreuen dürften. stehen hier. Sie werden entsprechende Reden halten und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31739

Johannes Kahrs (A) dann gemeinsam in diese Richtung gehen. Die Reden, (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das (C) die ich hier gehört habe – gerade die Rede von Ihnen, ist absurd! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Herr Gutting –, zeigen allerdings, dass die Union immer Gegen, nicht für!) nur das zu geben bereit ist, wozu das Bundesverfas- Da stellt man sich doch die Frage, warum dem so ist. Die sungsgericht sie zwingt. Frage ist relativ einfach zu beantworten: weil der ideolo- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE gische Kern der CDU/CSU, das, was sie als konservativ GRÜNEN]: Noch nicht einmal das!) und rechts ausweist, inzwischen fast gar nicht mehr vor- handen ist. Sie sind gegen die Atomkraft, Sie haben die Es nervt, dass wir hier immer und immer wieder über Wehrpflicht abgeschafft, Sie sind für ein bisschen Frau- dieses Thema diskutieren müssen. Wenn man mit jungen enquote und auch für ein bisschen Mindestlohn. Weil Sie Lesben und Schwulen spricht, weiß man, was sie be- immer mit so einem Wischiwaschi daherkommen, sind wegt: die Frage ihres eigenen Outings. Sie wissen noch viele Stammwähler verärgert. Jetzt können Sie noch ein nicht genau, wie sie sich orientieren sollen, sie haben bisschen gegen den Beitritt der Türkei zur EU und gegen Probleme: zu Hause, in der Schule, überall. Wer die Pro- Lesben und Schwule sein. Das ist Ihr Markenkern. Des- bleme durch Diskriminierung auf den Schulhöfen kennt, wegen haben Sie so hart gegen die Gleichstellung ge- kämpft. Das ist es, was unanständig ist. weiß, dass wir in dieser Debatte in vielen Punkten anein- ander vorbeireden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Der erste Redner von der CDU/CSU – das muss ich Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist ni- zugeben – hat es relativ geschickt gemacht: Er hat zu- veaulos!) mindest probiert, das, was man nicht erklären kann, noch halbwegs so darzulegen, dass es sich für jemanden, der Herrn Geis und Frau Steinbach nehme ich inhaltlich die Vorgeschichte nicht kennt, noch ganz logisch anhört. ab, dass sie von ihrer Position überzeugt sind. Frau In der Sache ist es aber so, dass die CDU/CSU seit zwölf Merkel aber handelt aus niederer Berechnung, um einige Prozente mehr bei der Wahl zu gewinnen. Das ist es, was Jahren vom Bundesverfassungsgericht zu jedem einzel- unanständig und schäbig ist. nen Schritt genötigt und bei jedem Schritt von den hier vertretenen Parteien – von der Linken, von der SPD, von Vielen Dank. den Grünen und von der FDP – getragen werden musste. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Selbst dann haben Sie die Fristen gerade eben eingehal- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten. Sie wollen die Gleichstellung der Schwulen und (B) Lesben nicht. Von sich aus tun Sie nichts, um diese (D) Gleichstellung herzustellen; daher müssen Sie vom Bun- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: desverfassungsgericht dazu genötigt werden. Das gibt Jetzt hat der Kollege Daniel Volk das Wort für die FDP-Fraktion. Anlass zum Fremdschämen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Olav Es gibt einige bei Ihnen, die sehen das nicht so; das ist Gutting [CDU/CSU] – Thomas Strobl [Heil- hoch respektabel, und das kann man nur unterstützen. bronn] [CDU/CSU]: Jetzt wird es wieder sach- Ich kenne einige Kollegen bei Ihnen, die in der Sache licher!) vollkommen richtig liegen. In der Vergangenheit ist die Union hier aber immer von denjenigen vertreten worden, Dr. Daniel Volk (FDP): die das komplett anders gesehen haben. Das Bundesver- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten fassungsgericht muss Sie zu jedem einzelnen Schritt nö- Damen und Herren! Wir erleben heute wirklich eine sehr tigen. Es geht nicht um uns; wir müssen das ertragen; schöne, geradezu historische Stunde mit der Vorlage des wir werden dafür bezahlt. Aber warum ersparen Sie Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung des Ehegatten- nicht denjenigen, die nicht wissen, wie sie ihr Outing splittings auf Eingetragene Lebenspartnerschaften. Ich hinbekommen sollen und die in Schulen und Betrieben finde, so manche Wortbeiträge in dieser Debatte waren diskriminiert werden, solche Debatten, die immer wieder dieser Thematik nicht angemessen. entsprechend kommentiert werden? Das ist das, was ich wirklich nicht verstehe. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Herrn Gutting zum Beispiel!) Politisch ergibt das Ganze überhaupt keinen Sinn. Ich finde es nicht ehrlich und nicht redlich, dass insbe- Wenn das alles stimmt, was Sie beide gesagt haben, und sondere die Redner der Opposition so tun, als hätten sie selbst wenn Sie das jahrelang hätten prüfen wollen, dann es schon immer gewusst. hätten wir das schon vor zwölf Jahren, zumindest aber vor acht oder zehn Jahren machen können. Aber die (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Frage ist, warum Sie von der CDU/CSU das nicht ge- DIE GRÜNEN) macht haben. Frau Merkel hat sich zu dem Thema jahre- Eines ist klar: Die Entscheidung des Bundesverfassungs- lang gar nicht geäußert, sich aber, beginnend mit dem gerichts zu der Frage der Gleichstellung Eingetragener niedersächsischen Landtagswahlkampf, in jedes Bierzelt Lebenspartnerschaften im Steuerrecht ist in sich logisch gestellt und für die Diskriminierung von Lesben und und zwingend konsequent. Deswegen waren wir als Schwulen gestritten. FDP-Fraktion auch äußerst erfreut über diese Entschei- 31740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Dr. Daniel Volk (A) dung und haben uns dafür eingesetzt, dass innerhalb der recht führen. Aber das Erstaunliche ist: Sie als Opposition (C) wenigen Wochen, die uns noch bleiben, dieses Urteil zü- wollen das Ehegattensplitting auf Eingetragene Le- gig umgesetzt wird. benspartnerschaften übertragen, gehen aber davon aus, dass Sie im nächsten Jahr – so lauten Ihre Wahlpro- Ich habe mich in die Geschichte der Beratungen über gramme – den Splittingtarif insgesamt – sowohl für Ehe- die Eingetragenen Lebenspartnerschaften in diesem gatten als auch für Eingetragene Lebenspartnerschaften – Haus vertieft. Dabei habe ich einen Gesetzentwurf mei- abschaffen. Ist das konsequente Politik? Was für eine in- ner Fraktion aus dem Februar 2004 gefunden. Darin geht kompetente Steuerpolitik machen Sie in diesem Bereich? es um die Gleichstellung Eingetragener Lebenspartner- Verzichten Sie hier auf solche Äußerungen! schaften im Sozialversicherungsrecht, in anderen Berei- chen und im Steuerrecht. Dieser wurde von den Fraktio- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen der Union, der SPD und der Grünen abgelehnt. Herr Kollege Beck, eines habe ich ja mit großer (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Freude gesehen: Sie haben innerhalb der grünen Partei Hört! Hört!) darüber abstimmen lassen, welche Themen im Wahl- Lieber Herr Kollege Beck, lieber Herr Kollege Kahrs, kampf besonders stark herausgestellt werden sollen. Ich liebe Frau Kollegin Arndt-Brauer, Sie alle drei waren da- habe mir die Liste mit der Reihenfolge nach der Abstim- mals schon Mitglieder dieses Parlaments und haben ge- mung sehr lange durchlesen müssen, bis ich auf Platz 48 gen die Gleichstellung im Steuerrecht gestimmt. Deshalb von 54 auf das Thema „Gleichstellung von eingetrage- dürfen Sie sich jetzt nicht hier hinstellen und behaupten, nen Lebenspartnerschaften“ gestoßen bin. Sie seien schon immer dafür gewesen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten GRÜNEN]: Bei uns steht es im Wahlpro- der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] gramm!) [CDU/CSU]: Es ist peinlich, dass die den Mund so voll nehmen!) Werfen Sie insofern also bitte nicht anderen Parteien vor, dass es bei ihnen möglicherweise schwierige Mei- nungsbildungsprozesse gibt, sondern schauen Sie auch Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: einmal auf Ihre eigene Partei. Damit würden Sie hier Herr Volk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- eine redliche und ehrliche Debatte führen. legen Volker Beck? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Daniel Volk (FDP): GRÜNEN]: In unserem Wahlprogramm steht (B) Nein, ich möchte gerne fortfahren. – Sechs Monate das!) (D) später gab es einen Gesetzentwurf der damaligen rot- Sie haben es aber versäumt, dem historischen Mo- grünen Koalitionsfraktionen. Ich habe ihn mir ange- ment der heutigen Debatte gerecht zu werden. schaut und sehr genau durchgelesen. Aber was fand sich hinsichtlich einer Übertragung des Ehegattensplittings (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – auf Eingetragene Lebenspartnerschaften? Nichts, Fehl- Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE anzeige! Sie haben das damals in Ihren eigenen Gesetz- GRÜNEN]: Selbstüberhöhung!) entwurf nicht aufgenommen. (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ist ja peinlich!) Damit schließe ich die Aussprache. Daran zeigt sich das Unredliche Ihres Auftretens in der Zusatzpunkte 16, 17 und 18. Interfraktionell wird heutigen Debatte. Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksa- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – chen 17/13870, 17/13871 und 17/13872 an die in der Ta- Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – sind ja schöne Pharisäer!) Damit sind Sie einverstanden. Dann verfahren wir so. Wenn Sie meinen, dieser Debatte einen moralischen Zusatzpunkt 19. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Impetus geben zu müssen, dann möchte ich auf einen Grünen auf Drucksache 17/13912 mit dem Titel „Das entscheidenden Punkt hinweisen. Es handelt sich hier Recht auf Eheschließung für Personen gleichen Ge- nicht nur um eine Frage der Steuergerechtigkeit, sondern schlechts einführen“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- auch um eine Frage der Steuervereinfachung. Eingetra- nen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen gene Lebenspartnerschaften übernehmen gegenseitig der CDU/CSU und FDP wünschen Überweisung zur fe- Pflichten. Deswegen müssen sie auch gleiche Rechte be- derführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur kommen. Mitberatung an den Innenausschuss, den Finanzaus- schuss, den Haushaltsausschuss sowie den Ausschuss (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Nach ständi- GRÜNEN]: Haben wir immer gesagt!) ger Übung stimmen wir zuerst über den Antrag auf Aus- Der Splittingtarif, der jetzt nicht nur für Ehegatten, son- schussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt dern auch für Eingetragene Lebenspartnerschaften gelten für die Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- wird, wird zu einer vereinfachten Veranlagung im Steuer- tungen? – Damit ist die Überweisung so beschlossen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31741

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Somit stimmen wir heute nicht über den Antrag selbst den Linken, über die eigentlich gar nicht so viel zu sagen (C) ab. ist, Zusatzpunkt 20. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Dann setzen Grünen auf Drucksache 17/13913 mit dem Titel „Die Sie sich doch wieder!) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom außer dass auch Sie zu diesem seltsamen Wettbewerb 19. Februar 2013 und vom 7. Mai 2013 zur Gleichstel- zwischen den drei Oppositionsfraktionen beitragen, die lung eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe im heute Morgen von der Kollegin Maag schon ermahnt Adoptions- und Einkommensteuerrecht umsetzen“. Die worden sind, sie möchten nicht immer das tote Pferd der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung Bürgerversicherung reiten, in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Überweisung zur federführenden Beratung an (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Schildbürger- den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Innen-, versicherung!) den Finanz- und den Haushaltsausschuss sowie den Aus- zumal es einigen in Ihren Reihen und auch den Gewerk- schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Auch schaften nicht egal ist, dass dadurch 67 000 Arbeits- hier stimmen wir zuerst über die Ausschussüberweisung plätze bei der Privatversicherung auf dem Spiel stehen ab. Wer stimmt für die Überweisung? – Wer stimmt da- bzw. vernichtet würden. gegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung so Nun gut, Sie streiten sich über Farbe und Ausstattung beschlossen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak- der Autos, die Sie anbieten; aber alle haben eines ge- tionen. Die Oppositionsfraktionen waren dagegen, es meinsam: Sie kämen gar nicht durch den TÜV, sie bekä- gab keine Enthaltungen. Auch hier stimmen wir nicht men gar keine Betriebserlaubnis, weil sie schon aus über den Antrag in der Sache ab. rechtlichen Gründen gar nicht funktionieren würden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 65 a und b auf: (Beifall bei Abgeordneten der FDP) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Sie arbeiten mit einem gut erfundenen Wort, der richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- „Bürgerversicherung“, einem Wort, das allerdings etwas schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten bezeichnet, was wesentliche Mängel hat. Es ist ein reines Dr. Martina Bunge, Kathrin Senger-Schäfer, Einnahmemodell. Manche sagen auch „Verbreiterungs- Harald Weinberg, weiterer Abgeordneter und der modell“. Fraktion DIE LINKE (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Abkassieren!) Gesundheit und Pflege solidarisch finanzieren – Oder „Abzocke“, natürlich. Es bringt nichts Neues be- (B) (D) – Drucksachen 17/7197, 17/13929 – züglich der medizinischen Versorgung. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist der Berichterstattung: Strukturvertrieb in der privaten Krankenversi- Abgeordneter Dr. Harald Terpe cherung: Abzocke! Das sind die Arbeitsplätze, b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- die Sie schützen wollen!) richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- Es bringt auch keinen Fortschritt bei dem Hauptproblem: schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald der demografischen Entwicklung, nämlich dass mehr Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, wei- Ältere, die bekanntlich mehr Geld kosten, von weniger terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Jüngeren finanziert werden müssen. Dabei steigen die Zuzahlungen für Patientinnen und Patienten Beiträge immer weiter, wenn es beim jetzigen System bleibt. Es gibt auch einen Rückschritt bei der Zukunfts- jetzt abschaffen sicherung, die wir mit der Krankenversicherung betrei- – Drucksachen 17/9067, 17/13067 – ben müssen. Wir müssen nämlich, auch im globalen Wettbewerb, Arbeitsplätze sichern. Wir haben die Bei- Berichterstattung: träge stabil gemacht. Sie wollen sie wieder erhöhen, Abgeordnete Dr. Martina Bunge (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- Hierfür ist eine halbe Stunde Debatte vorgesehen. – NIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir nicht nur bei der Parität, sondern – so die SPD – auch so. durch die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze für Ich eröffne die Aussprache. Das Wort gebe ich dem die Arbeitgeberseite. Das ist eine ungeheuer schwere Kollegen Lanfermann für die FDP-Fraktion. Belastung und eine Gefährdung von Arbeitsplätzen. Da zeigt sich auch schon der wesentliche Unterschied: Wir (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) machen eine Politik für Wachstum und Beschäftigung, und Sie wollen mal wieder austesten, was man noch al- Heinz Lanfermann (FDP): les an Belastungen auf die Wirtschaft und die Arbeitneh- mer verteilen kann. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer wieder freitags treffen wir uns hier zu gesundheitspoliti- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- schen Debatten, weil es ja noch ein paar überjährige An- ruf von der SPD: Deswegen gibt es so viele träge abzuarbeiten gilt. Heute sind es zwei Anträge von Minijobs!) 31742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Heinz Lanfermann (A) Bei dem Wettbewerb zwischen den Krankenkassen Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit handelt es (C) sieht es auch ganz düster aus. Die Linken fordern gleich sich um nichts anderes als um einen Systemkampf, mit den Einheitsbeitrag, dem die PKV abgeschafft werden soll. Einige sagen das ganz ehrlich und direkt, andere sagen: Nein, nein; es gibt (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Den haben einen einheitlichen Markt. – Und der größte Trickser ist wir doch! Oder?) natürlich wieder Herr Lauterbach, der sagt: Das machen und bei der SPD kommt etwas ganz Neues: Wir sind wir ganz fair; jeder kann sich aussuchen – aber nicht von klug und verzichten auf die Erhebung von Beiträgen aus der GKV in die PKV; nein, natürlich nur umgekehrt –, Zinsen und Mieterträgen; dafür machen wir eine große von der PKV in die GKV zu wechseln; ein Jahr hat er Steuersäule. – Das sagt Herr Lauterbach und schreibt es Zeit dazu, er nimmt seine Rückstellungen mit, und dann jetzt auch überall. Wissen Sie, das sind dieselben Abge- ist alles in Ordnung. ordneten, die uns schon wegen weniger Milliarden, die „Rückstellungen“ ist ein gutes Wort. Sie sind scharf es braucht, um zum Beispiel einen steuerfinanzierten So- auf die 180 Milliarden. Die haben über die Jahre mehr zialausgleich zu finanzieren, sagen: als 9 Millionen Menschen in Deutschland für ihr Alter (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE) und für die Zukunftssicherung zusammengespart. Da- rauf wollen Sie zugreifen. Das Problem ist nur: Die pri- Da kommt der Finanzminister; der nimmt euch das wie- vate Versicherung ist, auch wenn Sie es nicht glauben der weg; da kommen die Haushälter. wollen, eine solidarische Versicherung, in der jeder da- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE rauf angewiesen ist, dass auch die anderen ihre Pflichten GRÜNEN]: Das ist genau so passiert!) erfüllen. Aber wenn Sie die Bürgerversicherung machen, dann (Beifall bei der FDP) kommen alle Finanzminister und Haushälter aus Bund und Ländern und geben Ihnen die Milliarden, die bei den Das heißt – das hat der Gesetzgeber so geregelt –, dass Beiträgen fehlen. Das glaubt Ihnen niemand. die privaten Krankenversicherungen Zuzug brauchen von neuen und jüngeren Mitgliedern und dass die Mit- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) glieder über die Rückstellungen füreinander einstehen. Wenn Sie also einen Teil aus der privaten Versicherung Bei den Grünen wird es noch absurder. Sie wollen die herausnehmen, belasten Sie damit die anderen, die blei- Krankenkassen zu zweiten Finanzämtern machen, mit ben. Deswegen ist Ihr Modell untauglich. Erhebungen, mit dem Einnehmen von Beiträgen auf Mieten und Zinsen. Ich sage Ihnen eins: Wenn Sie vor dem 22. September (B) (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE vor den Bürger treten und sagen: „Wir haben ein tolles (D) GRÜNEN]: Das gilt für die Rentner schon Angebot, nämlich die Bürgerversicherung“, dann ist das heute! Da ist gar kein Unterschied!) ungefähr folgendermaßen: Jemand geht auf den Markt, um sich Obst zu kaufen. Die Angebote klingen erst ein- Allerdings wissen Sie nicht genau, ob dann auch die Be- mal ganz fantastisch. Dann fragt er direkt einen Obst- lastungen abgerechnet werden dürfen. Das Allerperver- händler: Was haben Sie denn im Angebot? Daraufhin seste – wenn ich das einmal so sagen darf – bei den Grü- sagt der Händler: Ich habe ein wunderbares Angebot: nen ist: Bei der Steuer wollen Sie das Splittingmodell Hier habe ich faule Äpfel, da habe ich schimmelige Ap- zurückfahren, also dämpfen – natürlich zulasten der Bür- felsinen, aber Sie können auch die Pflaumen mit den ger –, und bei der gesetzlichen Krankenversicherung Würmern haben. Suchen Sie sich etwas aus. – Genau so wollen Sie wieder ein Splittingmodell einführen, sodass ist das mit der Bürgerversicherung. man, wenn einer oben an der Belastungsgrenze ist und der andere nicht, dies schön zusammenzählt, damit für (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der die Familie insgesamt mehr Geld herauskommt. Das ist CDU/CSU – Dr. Martina Bunge [DIE die 90-Prozent-Lüge von Herrn Trittin, der glaubt, er LINKE]: Das ist jetzt billig, Herr könne der Bevölkerung weismachen, sie sei nicht betrof- Lanfermann!) fen, da man angeblich nur bei einigen Reichen mehr Ich hoffe, die Frau Präsidentin gibt mir noch ein biss- Steuern abgreift. chen Redezeit. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Maria (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Die vier Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Minuten sind um!) NEN]: Faktencheck!)

Die Honorare für Kliniken und Ärzte sind ein weite- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: res Problem. Sie wollen weismachen, es gäbe dann Ein- Das tue ich nicht, sondern weise Sie darauf hin, Herr heitshonorare, wissen aber genau, woher Sie die Milliar- Kollege, dass Sie schon deutlich überzogen haben. den nehmen wollen. – Nein, das wissen Sie nicht; denn wenn es keine PKV mehr gäbe, fehlten Ihnen mindes- tens 10 Milliarden Euro im System, weil dort – was bei Heinz Lanfermann (FDP): Ihnen ja indirekt wieder zur Zweiklassenmedizin führt – Das habe ich bemerkt, Frau Präsidentin. – Manchmal bekanntlich mehr gezahlt wird und viele Praxen nur da- fällt mir der Abschied auch nicht schwer, aber ich von leben. möchte mich trotzdem in aller Form von Ihnen verab- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31743

Heinz Lanfermann (A) schieden. Dies ist meine letzte Rede hier im Deutschen die grundsätzlich einen einheitlichen Wettbewerbsrah- (C) Bundestag. men schafft Ich habe durch meine Arbeit in der Kommunalvertre- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Was denn jetzt?) tung, im Landtag, im Bundestag in verschiedenen Berei- chen viel erlebt. Ich habe als Vorsitzender eines Untersu- und damit einen fairen Wettbewerb zwischen PKV und chungsausschusses in Nordrhein-Westfalen an großen GKV gewährleistet. Das brauchen wir. Dingen mitwirken können. Ich war dann Abgeordneter (Beifall bei der SPD – Heinz Lanfermann für Brandenburg. Ich bin den Parteifreunden in Branden- [FDP]: Den garantieren Sie dann?) burg sehr dankbar dafür, dass sie mich hierher geschickt haben, auch wenn ich aus dem Westen komme. Wir ha- Herr Lanfermann, mehr als 70 Prozent der Menschen ben sehr gut zusammengearbeitet. In der Gesundheits- sagen: Wir brauchen eine Bürgerversicherung, die strikte politik haben wir auf einigen Themenfeldern viel er- Trennung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung reicht. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihr weiteres und privater Krankenversicherung ist unfair. – Gerade Schaffen und danke für Ihre Aufmerksamkeit. gestern konnten wir lesen, was der Vorstandsvorsitzende der AOK Graalmann gesagt hat: dass sich jeder dritte Danke schön. Privatversicherte wünscht, wieder in die gesetzliche (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Krankenversicherung zurückkehren zu können. bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das ist ein deutliches Zeichen, eine Abstimmung mit Da habe ich Sie zunächst falsch verstanden. Ich den Füßen. dachte, Sie wollten mit dem üblichen Engagement auf Warum ist das so? Die Antwort ist ganz einfach. Es die Zwischenrufe eingehen. Auch ich wünsche Ihnen im gibt heute keine gesellschaftliche Mehrheit dafür – da Namen des ganzen Hauses natürlich alles Gute für das, sind die Menschen sehr sensibel –, dass Normalverdie- was Sie jetzt vorhaben. ner, Altersrentner und chronisch Kranke automatisch der (Beifall – Heinz Lanfermann [FDP]: Danke GKV zugeordnet werden, während sich die Gutverdie- schön!) ner der Solidarität entziehen können und teilweise wirk- lich weniger Beiträge zahlen. Das empfinden viele als Ich gebe dem Kollegen Edgar Franke für die SPD- sozial ungerecht. Wie heißt es im Märchen Aschenputtel Fraktion das Wort. der Gebrüder Grimm – ich bin nämlich Nordhesse –: (Beifall bei der SPD) „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpf- (B) chen.“ Ich glaube, das Bild zeigt, wohin die Reise geht. (D) Dr. Edgar Franke (SPD): Warum kann die PKV so gute Tarife anbieten? Auch Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- das hat einen einfachen Grund: Sie können deswegen legen! Herr Lanfermann hat eben in seiner letzte Rede bessere Tarife anbieten, weil sie die im Schnitt Gesünde- gesagt: Immer wieder freitags diskutieren wir das Thema ren und wirtschaftlich Stärkeren versichern. Insofern ist Bürgerversicherung. – Es ist in der Tat so, dass wir das eben kein fairer Wettbewerb zwischen der gesetzli- schon ein paar Mal am Freitag auch die Anträge der Lin- chen Krankenkasse und der privaten Krankenversiche- ken diskutiert haben. rung. Der diabetische Millionär, der öfter bei uns im Ge- sundheitsausschuss herumgegeistert ist, ist sicherlich Sicherlich sind die Anträge ein bisschen dem Bundes- eher die Ausnahme. tagswahlkampf geschuldet. Das hört sich, Herr Weinberg, zunächst ganz gut an, aber gute Absicht allein Das heißt, die private Krankenversicherung kann die reicht nicht. Eine Bürgerversicherung für Gesundheit vielbeschriebene Rosinenpickerei betreiben und anders und Pflege ist sicherlich der richtige Weg, aber man kalkulieren. Es besteht eben kein Kontrahierungszwang. muss es handwerklich ordentlich machen. Wir brauchen keine Einheitsversicherung. Wir brauchen auch keinen Aus Sicht der SPD ist die Patientenperspektive ent- Einheitsbeitrag. Wir brauchen vielmehr Wettbewerb um scheidend. Grundsätzlich muss jeder den gleichen Zu- Qualität und Leistung. gang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung ha- ben. Das ist ein Programmsatz, für den die SPD auch in Wir brauchen auch, Herr Weinberg, einen Wettbe- der Regierung immer gestanden hat, liebe Freundinnen werb zwischen den Kassen. Dabei ist aber, Herr und Freunde. Lanfermann, der Wettbewerb nicht das Ziel, sondern der Wettbewerb muss das Instrument sein, um effizientere Deshalb brauchen wir einen fairen Wettbewerb zwi- Leistungen für die Patienten zu ermöglichen. schen GKV und PKV. Was bedeutet fairer Wettbewerb? Fairer Wettbewerb bedeutet – ich habe es vorhin schon (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bis dahin gesagt – für beide Versicherungszweige einen einheitli- könnten wir auch unterschreiben! – Beifall des chen Wettbewerbsrahmen. Das bedeutet im Wesentli- Abg. Jens Spahn [CDU/CSU]) chen drei Punkte. Es bedeutet erstens: keine Beitragsdif- Wir brauchen eine Bürgerversicherung, ferenzierungen nach individuellem Gesundheitsrisiko, also keine Risikoselektion. Es bedeutet zweitens, dass (Jens Spahn [CDU/CSU]: Nein, wir brauchen sich die Beitragshöhe am Arbeitnehmereinkommen Wettbewerb!) orientiert. Es bedeutet drittens: Wir haben eine einheitli- 31744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Dr. Edgar Franke (A) che Honorarordnung für beide Versicherungszweige. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist umla- (C) Dann ist die Niederlassung von Ärzten an Orten mit vie- gefinanziert, nicht steuerfinanziert!) len Privatpatienten eben nicht mehr so attraktiv. Damit kann man gleichzeitig mittelbar auch Einfluss auf die – Das Umlagesystem ist so schlecht nicht, Herr Verteilung der Ärzte jenseits der Bedarfsplanung neh- Weinberg. men. Man hat also auch noch in der Hinsicht eine posi- (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Eben!) tive Wirkung, was die faire Verteilung von Ärzten be- trifft. Die Kapitaldeckung hat gerade in der Finanzmarktkrise – da gebe ich Ihnen ja recht – einige Schwierigkeiten ge- Herr Weinberg, unser Bürgerversicherungsmodell un- habt. Die Verzinsung war schlecht. Ich glaube, man hat terscheidet sich von Ihrem Modell vor allen Dingen in da das grundsätzliche Problem der privaten Krankenver- zwei Punkten. sicherung perspektivisch gesehen. Erster Punkt. Wir wissen, dass die Hauptlast unseres Letzter Punkt – meine Redezeit läuft langsam ab – ist Sozialversicherungssystems die mittleren Einkommens- die Frage, wie wir es mit der Beitragsautonomie halten. gruppen tragen. Deswegen wollen wir die Beiträge in Auch das ist ein Punkt, den ich unter Wettbewerb subsu- der Krankenversicherung stabil halten, und deswegen mieren würde. Die Krankenkassen haben, angeregt wollen wir die Beitragsbemessungsgrenze gerade nicht durch diese Regierung, viel zu hohe Beiträge festgesetzt. höher gestalten. Wir wollen den Faktor Arbeit entlasten, Ich glaube, wir brauchen wieder Beitragsautonomie, um was immer auch Gegenstand unserer Regierungspolitik diesen fairen Wettbewerb, den ich beschrieben habe, ein- war. Ich glaube, das ist der richtige Weg. zuleiten. (Heinz Lanfermann [FDP]: Die Arbeitgeber- (Zurufe von der FDP) grenze wird doch bei Ihnen erhöht! Das steht doch im Programm!) – Sehr geehrter Lars Lindemann, ich wundere mich im- mer, dass ihr den Einheitsbeitrag beibehalten habt, weil Zweiter Punkt. Wir wollen keine Verbeitragung von ihr doch sonst immer für Wettbewerb seid. Miet- und Kapitaleinnahmen. (Heinz Lanfermann [FDP]: Haben Sie doch (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Freibetrag! abgeschafft!) Selbst genutztes Wohneigentum ist bei uns Wenn wir Wettbewerb hätten, – beitragsfrei!)

Denn gerade mit einer Verbeitragung von Mieteinnah- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (B) men würden wir auch den kleinen Häuslebauer treffen. Herr Kollege. (D) Gerade das wollen wir ebenfalls nicht. Herr Weinberg, soziale Umverteilung kann man nicht Dr. Edgar Franke (SPD): mit dem Beitragsrecht in der Krankenversicherung ma- – hätten wir einen ganz anderen Beitragssatz, als wir chen; dazu braucht man das Steuerrecht. Wir haben nicht ihn jetzt haben. nur die zweckgebundene Abgeltungsteuer vorgeschla- gen, sondern wir haben auch ein Steuerkonzept, das es (Heinz Lanfermann [FDP]: Wir haben ja die möglich macht, dass wir mit einem erhöhten Steuerzu- Zusatzbeiträge gemacht! Die gefallen ihnen ja schuss die Beiträge in der Krankenversicherung niedrig nicht!) halten, Herr Spahn. Insofern ist das Bürgerversiche- rungsmodell der SPD völlig seriös durchkalkuliert. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der SPD) Herr Kollege.

Zurzeit geistern auch die anderen Modelle wieder Dr. Edgar Franke (SPD): durch die gesundheitspolitische Diskussion. Frau Maag Ich darf vielleicht noch zwei Sätze sagen. hat heute Morgen schon das Bild vom toten Pferd ge- braucht. Herr Lanfermann ist sozusagen auf ihm gerit- (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie haben den Bei- ten. Aber eines ist klar: Das Pferd „Kopfpauschale“, das trag gemacht!) Montgomery geritten hat, ist in der Tat tot, Herr Zöller. Und wer hat es erschossen? Das war Merkel höchstper- Der vorliegende Antrag der Linken bedeutet bezogen sönlich. Deswegen wird es, glaube ich, einkommens- auf die Zuzahlungen Mindereinnahmen im Haushalt in unabhängige Beiträge nicht mehr geben. Das ist auch ein Höhe von 3 Milliarden Euro. Schritt in die andere Richtung: in eine solidarisch finan- (Heinz Lanfermann [FDP]: Das macht denen zierte Bürgerversicherung. gar nichts aus!) Eines darf man auch nicht vergessen, nämlich unsere Sicherlich sind Zuzahlungen als Steuerungselement Sozialstaatstradition. Helmut Schmidt hat einmal gesagt: nicht geeignet. Die größte Kulturleistung im 20. Jahrhundert, die wir in Deutschland haben, war der Sozialstaat. – Unsere ge- Wir brauchen eine seriöse Gegenfinanzierung. Eine setzliche Krankenversicherung hat zwei Weltkriege seriöse Gegenfinanzierung war immer ein Prinzip der überlebt, und sie hat Revolutionen überlebt. Politik der SPD im Bereich Gesundheit. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31745

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Stellungnahmen gebeten, uns angeschaut, was es an (C) Herr Kollege Franke. möglichen Hoffnungen in diesem Bereich gibt, müssen im Ergebnis aber feststellen: Es ist und bleibt ein Wun- Dr. Edgar Franke (SPD): dermittel, dessen Wirksamkeit wir ganz erheblich in In dem Sinne, glaube ich, müssen wir sehen, dass wir Zweifel ziehen. Dies tun auch alle Experten. Es war nie- die Bürgerversicherung langsam einführen und politi- mand dabei, den man ernst nehmen muss, der deutlich sche Schritte gehen, – gemacht hätte, dass es hier Chancen gibt. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Nicht alle! – Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Mechthild Rawert [SPD]: Sie waren auf einer Herr Kollege Franke. anderen Anhörung!) Ich beginne mit der Frage „Einbeziehung aller Ein- Dr. Edgar Franke (SPD): kommensarten“ – es ist schon von Vorrednern angedeu- – um die Patientinnen und Patienten besser zu versor- tet worden –: Einnahmen aus Kapital, Mieten, Pachten gen. usw. Dazu müsste man eine neue Kranken- und Pflege- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Abstellen den versicherung, eine Einheitskasse, einen Apparat auf- Mann!) bauen, der irrsinnig wäre. Ich danke Ihnen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Den gibt es schon! In den Finanzämtern!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich glaube, dieser Verwaltungsapparat würde einen Sie brauchen sich bei mir nicht zu bedanken. Das war Großteil der Mittel aufzehren, sodass vermutlich dem- nämlich nicht freiwillig. nächst die Verwaltungskosten höher wären als die Hono- (Heiterkeit – Beifall bei der SPD) rare, die wir an Ärzte zahlen. Ich gebe dem Kollegen Willi Zylajew jetzt das Wort (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) für die CDU/CSU-Fraktion. Ich will darauf hinweisen, dass man diese Beitrags- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mittel monatsscharf einziehen müsste. Es müsste also der FDP) parallel zum Finanzamt ein Apparat aufgebaut werden. Dazu sagt selbst der GKV-Spitzenverband – schauen Sie sich das Protokoll der Anhörung an –: Das ist unrealis- Willi Zylajew (CDU/CSU): (B) tisch, unvernünftig, unverhältnismäßig und einfach nicht (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! praktikabel. Dieser Antrag ist der erneute Aufguss einer Tinktur, die als Wundermittel für das Gesundheitswesen angepriesen Ich spreche jetzt – weil es im Aufguss eine Rolle wird. Dieses propagierte Wundermittel soll hochwirk- spielt – das Thema Beitragsbemessungsgrenze an. Wir sam sein, für und gegen alles gut. Es soll unabhängig wissen: Dagegen steht das Äquivalenzprinzip. von jeder Prozessqualität entwickelt werden. Damit ver- bunden sind Heilsversprechen. (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Jetzt kommt schon wieder das Äquivalenzprinzip in (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Manchmal der gesetzlichen Krankenkasse!) funktioniert sogar Placebo!) – Frau Dr. Bunge, auch in der Sozialversicherung müs- – Kollege Weinberg, die hohe Ergebnisqualität wird in sen Beitrag und Leistung irgendwo in einem Verhältnis Aussicht gestellt – da gebe ich Ihnen recht –, zumindest zueinander stehen. für den, der daran glaubt. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Martina (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Bunge [DIE LINKE]: Es gibt Solidarität im „Bürgerversicherung“ ist so ein Zauberwort – ich Verhältnis und nicht Äquivalenz! Das ist sozial wiederhole es –: für und gegen alles gut. Dieses Wunder- determiniert!) mittel wird in unterschiedlichen Varianten entwickelt. Es – Das ist eindeutig. Nicht nur für mich ist das nicht allein gibt in unserer Gesellschaft bzw. im Deutschen Bundes- eine juristische Frage, sondern auch eine Frage, wie die tag zurzeit verschiedene Varianten, die wir begutachten Menschen das empfinden. sollen. Es entsteht der Eindruck, dass die Bürgerversi- cherung selbst gegen Beschwerden hilft, die man ohne Der nächste Teil im Aufguss ist die Botschaft, dass deren Einführung gar nicht hätte. eine Einheitskasse – bei der mit der PKV auch die Bei- hilfe wegfallen würde – alles richten und regeln kann. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Die Lebenserfahrung bzw. die praktische Erfahrung Dies wird nach meiner Einschätzung ein Stück weit zeigt uns: Das Gegenteil ist richtig. Solch eine Einheits- aus dem Antrag der Drucksache 17/7197 deutlich. Er kasse schadet unserem Gesundheitswesen. Die gesamte enthält die immer wieder auftauchenden Positionen. Gesellschaft erzielt aus unserer Sicht gute Erfolge durch Dennoch haben wir uns sorgfältig mit dem Thema ausei- Wettbewerb in fast allen Lebens- und Wirtschaftsberei- nandergesetzt. Wir haben uns in einer Anhörung damit chen, in der Bildung, dem Sport und in der Kultur. Das befasst, haben alle Experten aus der Republik um ihre gilt auch für das Gesundheitswesen und die Pflege. 31746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Willi Zylajew (A) Selbst die GKV, die, was ihre Leistungen bzw. Bei- Harald Weinberg (DIE LINKE): (C) träge anbelangt, geregelt ist, profitiert vom Wettbewerb Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen der Kassen untereinander. Die Menschen entscheiden und Kollegen! Meine Damen und Herren! Erst einmal sich für eine bestimme Kasse – mal für die eine, mal für vorab: Wir stehen für einen fairen demokratischen Wett- die andere –, weil sie eine bestimmte Kasse als für sich bewerb der Ideen untereinander. Ihre Idee ist – das vorteilhaft empfinden. Ich finde, die Kassen müssen um wissen wir schon seit längerem – die einkommensunab- Mitglieder werben bzw. sich durch Service, Satzungs- hängige Kopfpauschale. Unsere Idee ist die Bürgerversi- leistungen und Angebote für besondere Leistungen um cherung. Am Ende werden die Wählerinnen und Wähler Mitglieder bemühen. entscheiden, welche von beiden Ideen zum Zuge kom- men wird. Dazu stehen wir auch, Herr Spahn; das ist so. Die Einheitskasse würde zu einer Reduzierung füh- ren. Wir sind uns auch relativ sicher: Nach der Einheits- Zur Bürgerversicherung allgemein und insbesondere kasse, die Sie wollen – – zu unserem Vorschlag wird nicht nur, aber auch hier und heute eine Menge Unsinn erzählt. Meine Redezeit ist (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Die wollen sehr kurz. wir gar nicht!) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das hängt mit den – Natürlich wollen Sie eine Einheitskasse. Wählern zusammen!) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Einheitsmensch! – Deswegen werde ich versuchen, einige dieser Punkte Harald Weinberg [DIE LINKE]: § 1 SGB V! aufzunehmen und richtigzustellen. Das sollten Sie aber wissen!) So behaupten Union und FDP, teilweise auch SPD Eine Einheitsversicherung ist eine Einheitskasse; das ist und Grüne, dass unsere Vorstellungen eines solidari- doch das Gleiche. Machen Sie sich doch nichts vor: In schen Gesundheitssystems nicht mit der Verfassung zu Ihrem System ist kein Wettbewerb vorgesehen. Sie wol- vereinbaren seien, in wesentlichen Teilen verfassungs- len alle Systeme abschaffen. Es soll eine Kasse geben, widrig seien. Gerade vor dem Hintergrund der letzten die Geld einzieht. Dabei lassen Sie völlig offen, in wel- Debatte, die wir geführt haben, muss ich sagen: Das sa- cher Form das geschehen soll. Dabei haben Sie sich mit gen uns schon die richtigen Verfassungsexperten. Alle der Realität überhaupt noch nicht auseinandergesetzt. diese Fraktionen haben nämlich Gesetze beschlossen, die sich später als verfassungswidrig herausgestellt ha- Anschließend wird ja auch eine Einheitsversorgung ben, und sie haben es in dem Bewusstsein getan, dass sie kommen. Dies muss man den Menschen auch ein Stück verfassungswidrig sind. (B) weit deutlich sagen. Wenn Sie sich damit auf den Markt (D) stellen, werden Sie sich wundern, wie gering das Inte- (Zuruf von der FDP: Unerhört!) resse sein wird, wenn Ihrer 08/15-Bürgerversicherung dann auch noch eine 08/15-Bürgerversorgung folgt. – Natürlich! Klar! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) NEN]: Was ist denn das für ein Quatsch?) Das Europa- und Bundeswahlrecht, die Sicherungsver- Wir sagen Ihnen klar und eindeutig: Wettbewerb wird wahrung, die Vorratsdatenspeicherung und das Splitting uns weiterhelfen. Wir haben bisher vom Wettbewerb pro- bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, all das ist fitiert. Im Gesundheitswesen und in der Pflege können durch das Verfassungsgericht wieder kassiert worden; wir beachtliche Erfolge verzeichnen. Da ist Deutschland Sie mussten nachbessern. Das ist so. Sie wussten es teil- vielen anderen Ländern weit überlegen – auch wenn wir weise schon vorher. Das ist die Faktenlage. Ich an Ihrer immer wieder ein Stück weit nachjustieren müssen. Ob Stelle würde mir überlegen, ob Sie wirklich die Berufe- Pflege oder Gesundheitswesen: Wir als Union wollen nen sind, uns an dieser Stelle das Grundgesetz zu erklä- Qualität, wir wollen Vielfalt, wir wollen Wettbewerb, wir ren. wollen eine gute Versorgung im gesamten Bundesgebiet, wir wollen gute Leistungen. Daher lehnen wir Ihren An- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten trag ab. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Danke sehr für die Aufmerksamkeit. Das überlassen Sie vielleicht besser anderen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jens In diesen Tagen ist eine Studie des WSI, des Wirt- Spahn [CDU/CSU]: Richtig hergeleitete schafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deut- Schlussfolgerung!) schen Gewerkschaftsbundes, veröffentlicht worden. Das Institut hat sich von Ihrer Rhetorik nicht verunsichern lassen und hat unseren Vorschlag, die Beitragsbemes- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sungsgrenze abzuschaffen, in einem Rechtsgutachten Der Kollege Harald Weinberg hat jetzt das Wort für untersuchen lassen. Es hat sich herausgestellt: Es ist ver- die Fraktion Die Linke. fassungsrechtlich möglich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31747

Harald Weinberg (A) Die Beitragsbemessungsgrenze – das nur noch einmal Jetzt noch einmal zum Thema Arbeitsplätze, weil das (C) als allgemeine Information – sorgt dafür, dass Menschen auch immer wieder angesprochen worden ist; 76 000 Ar- mit hohem Einkommen prozentual weniger Krankenver- beitsplätze. Man muss als Allererstes feststellen, dass sicherungsbeiträge zahlen müssen als die mit mittlerem Sie ganz offensichtlich die Interessenvertreter des Struk- oder geringem Einkommen, turvertriebs der privaten Krankenassekuranz sind; vulgo: Drückerkolonnen. Die Hälfte dieser Arbeitsplätze liegen (Heinz Lanfermann [FDP]: Wie beim Brot!) im Strukturvertrieb. weil die Beiträge gedeckelt sind. Das ist ungerecht, und (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das sind jetzt das wollen wir abschaffen. keine Menschen? – Stefan Müller [Erlangen] (Beifall bei der LINKEN) [CDU/CSU]: Was haben Sie eigentlich für ein Menschenbild? Ich bin entsetzt!) Sie sagen: Das ist nicht verfassungsmäßig. Wir haben festgestellt: Das ist durchaus verfassungsmäßig; es ent- Das sind Menschen, die bis zu neun Monatsbeiträge erst spricht dem Sozialstaatsgedanken. einmal für sich selber kassieren. Sie wissen, dass dieses Geschäftsmodell nicht besonders schön ist. (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Verstoß gegen (Beifall bei der LINKEN) das Äquivalenzprinzip! – Heinz Lanfermann [FDP]: Das Brot ist für die Reichen auch billi- Ein Weiteres. ger als für die Armen!) Jetzt kommen wir noch einmal zu dem Thema „Ab- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schaffung der privaten Krankenversicherung“. Ich will Herr Kollege. es verhältnismäßig kurz machen. Jedes Gesetz greift in bestehende Verträge, in das Eigentum und gegebenen- Harald Weinberg (DIE LINKE): falls auch in die Berufsfreiheit ein. Es steht außer Frage, dass das so geschieht. Ob das verfassungsrechtlich geht Ja. Vielleicht noch zwei Sätze. oder nicht, hängt davon ab, ob der Eingriff angesichts (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das sagen aber des gewünschten Ziels gerechtfertigt ist oder nicht, ob heute alle! – Gegenruf des Abg. Willi Zylajew der Gesetzgeber Gestaltungsspielräume hat oder nicht. [CDU/CSU]: Nein, ich war schneller!) Das Ziel, das wir mit der Bürgerversicherung erreichen wollen, hat einen hohen Verfassungsrang. Es geht da- Mit der Absenkung der Beiträge, die unser Konzept rum, die gesetzliche Krankenversicherung in der Zu- beinhaltet, geht logischerweise eine Stärkung der Bin- (B) kunft funktionsfähig zu halten, alle Menschen in eine nennachfrage einher. (D) hochwertige Gesundheitsversorgung einzubeziehen und (Jens Spahn [CDU/CSU]: Abstellen!) das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes zu erfüllen. Im Ergebnis werden mehr Arbeitsplätze geschaffen, als (Beifall bei der LINKEN) verloren gehen. Das muss man real sehen. Noch einmal zu dem Thema der Abschaffung der (Beifall bei der LINKEN) PKV. Die Vorstellungen der Grünen und der SPD gehen dahin, wahlweise eine Übergangsfrist vorzusehen oder einen Zwang für private Krankenversicherer, Bürgerver- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sicherungskonditionen anzubieten. Das würde beides Herr Kollege. das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung im Prinzip genauso kaputtmachen und letztlich nur einen Harald Weinberg (DIE LINKE): sanften Tod der privaten Krankenversicherung herbei- Was Sie machen, ist nie gewerkschaftliche Position führen. Der Unterschied zu uns ist im Wesentlichen der, gewesen. Sie vertreten sozusagen den Heizer auf der E- dass wir klar sagen, was wir an dieser Stelle wollen. Lok. (Beifall bei der LINKEN) Ein Letztes. Den Menschen in diesem Lande sei ge- Zu der Frage von Belastung von allen. sagt: Lassen Sie sich nicht alles erzählen von denjeni- gen, die die Bürgerversicherung kaputtreden wollen (Jens Spahn [CDU/CSU]: Er hat schon zehn nach dem Motto: Minuten!) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Abstellen! Einfach Noch einmal ganz klar: Unser Bürgerversicherungskon- abstellen!) zept führt dazu, dass Versicherte mit einem Einkommen Wenn man es nur oft genug sagt, dann wird schon et- von unter 6 000 Euro im Monat entlastet werden, und was hängen bleiben. – Das sind diejenigen, die von dem Versicherte mit einem Einkommen von über 6 000 Euro bisherigen System zu Unrecht profitieren und die Sie im Monat werden belastet. Wer anderes behauptet, wie verunsichern wollen. das beispielsweise in der Bertelsmann-Studie geschieht, redet Unsinn. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der LINKEN) Herr Kollege Weinberg. 31748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Harald Weinberg (DIE LINKE): Auch in der Pflegeversicherung will die Linke eine Bür- (C) Wer ein solidarisches Gesundheitswesen möchte, der gerversicherung, allerdings sind ihre Beitragssatzsen- wählt die Bürgerinnen-und-Bürger-Versicherung, und kungsfantasien in unseren Augen völlig unrealistisch. der wählt die Linke. Den Wertverlust und auch die Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs werden sie langfristig nicht Vielen Dank. unter 2 Prozent halten können. (Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ Union und FDP machen es sich noch einfacher. Sie CSU]: Fahren Sie lieber zum Parteitag! – denken gar nicht erst über den neuen Pflegebegriff nach Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ab und auch nicht über die damit einhergehenden Beitrags- zum Parteitag jetzt!) satzsteigerungen, die dann umzusetzen sind. Sie reichen die Reformbaustelle einfach an die nächste Regierung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: weiter. Das ist ehrlich gesagt armselig. Elisabeth Scharfenberg hat jetzt das Wort für Bünd- nis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird dem Parlament nicht einmal mehr die Mög- Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lichkeit gegeben, sich über die Empfehlungen des Ex- NEN): pertenbeirats auszutauschen, weil wir den Bericht gar Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- nicht erst in die Hände bekommen, um darüber zu disku- legen! Allein das Wort Bürgerversicherung in den Mund tieren. zu nehmen, reicht im Moment schon aus, um die Gemü- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ist noch gar nicht ter der Union und FDP richtig hochkochen zu lassen. fertig!) Seit Wochen machen Sie und einige sich als Verlierer wähnende Lobbygruppen gegen das Konzept der Bür- Den Schwarzen Peter dem Beirat zuzuschieben nach gerversicherung mobil. Das wird Ihnen aber nichts dem Motto, er hätte nicht schnell genug gearbeitet, und nützen, weil die Bürgerinnen und Bürger von einer deshalb sei der Bericht nicht rechtzeitig fertig geworden, Zweiklassenmedizin genug haben. Auch die Privatversi- ist nun wirklich eine Verdrehung der Tatsachen. Der cherten haben genug von den absolut unkalkulierbaren Auftrag für den Bericht kam aus dem Haus des Gesund- Steigerungen ihrer Versicherungsbeiträge. heitsministers. Dort muss dann auch Sorge dafür getra- gen werden, dass der Bericht rechtzeitig fertig wird. Das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lasse ich unserem Gesundheitsminister überhaupt nicht DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der durchgehen. LINKEN) (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bürgerversicherung muss kommen. Das wissen Sie genauso gut wie wir auf dieser Seite des Parlaments. Die grüne Pflegebürgerversicherung könnte das Pro- Ich persönlich zähle dabei auf die Einsichtsfähigkeit der blem auf einen Schlag lösen. Vielleicht denken Sie, liebe Bundeskanzlerin. Ist sie doch bekannt dafür, ihr Mäntel- Kolleginnen und Kollegen von der Koalition einfach chen schnell zu wenden, wenn der Wind aus einer ganz einmal nach, statt nur reflexhaft dagegen zu beißen. anderen Richtung weht. Vielen Dank. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN was! Nein, nein! Sie haben das falsch verstan- sowie bei Abgeordneten bei der SPD – Jens den!) Spahn [CDU/CSU]: Wir sind doch ganz lieb!) Doch eine Bürgerversicherung für Gesundheit und für Pflege muss natürlich auch umsetzbar sein. Da liegen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wir Grünen und die Linken mit unseren Vorstellungen Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur weit auseinander. Die Linke möchte eine Einheitsversi- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit cherung. Wir nicht. Das sage ich gleich noch einmal, zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel falls mich der eine oder andere auf der Regierungsbank „Gesundheit und Pflege solidarisch finanzieren“. Der nicht richtig verstanden hat: Eine Bürgerversicherung Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf bedeutet nicht, die Einheits-AOK einzuführen. Das kön- Drucksache 17/13929, den Antrag der Fraktion Die nen Sie sich als Argument für die nächsten Podiumsdis- Linke auf Drucksache 17/7197 abzulehnen. Wer stimmt kussionen einfach abschminken. Wir Grüne wollen eine für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – vielfältige Kassenlandschaft, die eine Bürgerversiche- Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung an- rung anbietet. genommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SPD. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Weinberg [DIE LINKE]: Mit 114 Kassen!) Ich komme zur Abstimmung über die Beschlussemp- Die Linke möchte die Beitragsbemessungsgrenze ab- fehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag schaffen. Wir nicht. Abschaffen ist völlig überzogen. der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Zuzahlungen für Eine Anpassung an das geltende Niveau in der Renten- Patientinnen und Patienten jetzt abschaffen“. Der Aus- versicherung ist unserer Meinung nach sachgerecht. schuss empfiehlt auf Drucksache 17/13067, den Antrag Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31749

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) auf Drucksache 17/9067 abzulehnen. Wer stimmt für die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- der CDU/CSU) haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Dage- Harald Leibrecht (FDP): gen war die Fraktion Die Linke. Bündnis 90/Die Grünen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! haben sich enthalten. Heute lief hier in Berlin die Diskussion zu den Empfeh- lungen zur Post-2015-Entwicklungsagenda, die Altbun- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 64 a und b despräsident Horst Köhler als Mitglied des Beratungs- auf: gremiums des UN-Generalsekretärs für Deutschland a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle mitgestaltet hat. Es passt also sehr gut, dass wir heute die Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Hartwig Fischer Zukunft der globalen Entwicklungsagenda im Deutschen (Göttingen), weiterer Abgeordneter und der Frak- Bundestag diskutieren. tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Die Millenniumsentwicklungsziele sind ein Meilen- Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Michael Kauch, stein hin zu einer gerechten Welt. Sie sind Ansporn und Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Maßstab zugleich für die weltweiten Anstrengungen im Fraktion der FDP Kampf gegen Armut und Unterentwicklung. Dank des großen Engagements vieler Geberländer, Nichtregie- Millenniumsentwicklungsziele, Post-MDG- rungsorganisationen und auch vieler privater Geber sind Agenda und Nachhaltigkeitsziele – Für eine bis heute beachtliche Fortschritte gemacht worden. Die gut verständliche, umsetzungsorientierte und Zahl der Menschen, die von extremer Armut betroffen nachprüfbare globale Entwicklungs- und sind, konnte halbiert werden. Die Bildungschancen ha- Nachhaltigkeitsagenda nach 2015 ben sich vor allem auch für Mädchen deutlich verbes- sert. Die Zahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem – Drucksache 17/13893 – Trinkwasser konnte ebenfalls halbiert werden. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Leider konnten in den Bereichen der Bekämpfung des richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- Hungers, der Verringerung der Mütter- und Kindersterb- sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) lichkeit und der Gleichstellung der Geschlechter die Ziele trotz Verbesserungen nicht erreicht werden und – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel bleiben weiterhin eine große Herausforderung. Die nicht Kofler, Dr. h. c. Gernot Erler, Ulla Burchardt, erreichten Ziele und die Bekämpfung der Armut müssen (B) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der darum Teil dieser neuen Agenda sein. Daher begrüße ich (D) SPD den Vorschlag der Vereinten Nationen, die extreme Ar- mut – sie betrifft Menschen, die mit weniger als Für eine nachhaltige Entwicklungsagenda 1,25 Dollar pro Tag auskommen müssen – sowie den ab 2015 – Millenniumsentwicklungsziele Hunger in der Welt bis 2030 vollständig zu beseitigen. und Nachhaltigkeitsziele gemeinsam gestal- ten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) – zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Die globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeits- Hoppe, Dr. Valerie Wilms, Ute Koczy, weite- agenda steht vor der großen Herausforderung, die Ziele rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- der Armutsbekämpfung und der Nachhaltigkeit, die so- NIS 90/DIE GRÜNEN genannten Sustainable Development Goals, die SDGs, zu vereinen. Mit der Zusammenführung der Prozesse Für universelle Nachhaltigkeitsziele – Ent- von MDGs und SDGs wird etwas Neues geschaffen. Wir wicklungs- und Umweltagenda zusammen- führen entwicklungspolitische Ziele und eine globale führen nachhaltige Entwicklung zusammen. Um die weltweiten – Drucksachen 17/13762, 17/13727, 17/13945 – Herausforderungen bewältigen zu können, müssen wir weg von dem engen Denken in fachpolitischen Grenzen Berichterstattung: und müssen hin zu einer Politik, die alle handelnden Per- Abgeordnete Sibylle Pfeiffer sonen, Institutionen und Handlungsfelder zusammen- Dr. Bärbel Kofler führt. Helga Daub (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Heike Hänsel der CDU/CSU) Thilo Hoppe Schon heute enthalten die MDGs den Aspekt der öko- Hierzu ist vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattie- logischen Nachhaltigkeit. Trotzdem stehen wir beim ren. – Dazu höre ich und sehe ich keinen Widerspruch. weltweiten Klima- und Umweltschutz noch vor einem Dann verfahren wir so. Berg von Aufgaben. Die CO2-Emissionen steigen welt- weit weiter an. Viele Entwicklungsländer kämpfen mit Ich erteile für die FDP-Fraktion dem Kollegen Harald den Folgen des Klimawandels. Die Zerstörung der Re- Leibrecht das Wort. genwälder ist vielerorts immer noch erschreckend. Im- 31750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Harald Leibrecht (A) mer mehr Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben lich und engagiert unterstützt hat. Ich danke den Mitar- (C) bedroht. Die Ergebnisse der Arbeit der Enquete-Kom- beiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Bundesta- mission „Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität“ ma- ges für ihre großartige Unterstützung, die ich immer sehr chen deutlich, wo Umweltgrenzen überschritten werden geschätzt habe. und dass wir das Problem der globalen Güter nur durch globale Antworten lösen können und hierfür die Struktu- Ich wünsche allen Mitgliedern des Bundestages alles ren der Global Governance stärken müssen. Gute und allseits eine glückliche Hand bei ihrer parla- mentarischen Arbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten behaltet immer das Wohl der Menschen, die in diesem der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE wunderbaren Land leben, im Blick und vergesst nie, für GRÜNEN) wen ihr hier in diesem Hohen Haus sitzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, Alles Gute, auf Wiedersehen und nochmals vielen dass den Menschen ohne intakte Umwelt und ohne in- Dank! taktes Klima die Lebensgrundlage genommen wird. Ich (Beifall im ganzen Hause) begrüße es, dass Deutschland ab 2013 jährlich 500 Mil- lionen Euro in den weltweiten Naturschutz und den Er- halt der Artenvielfalt investiert. Das ist ein richtiger Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Schritt und ein ermutigendes Signal, das deutlich macht, Herr Kollege, auch wir wünschen Ihnen alles Gute dass die Bundesregierung ihre internationalen Verpflich- und viel Erfolg und Freude bei dem, was Sie jetzt vorha- tungen ernst nimmt. ben. Ich begrüße ferner, dass der Bundestag fraktionsüber- (Beifall) greifend beschlossen hat, dass das Parlament zukünftig Jetzt gebe ich der Kollegin Bärbel Kofler für die frühzeitig und umfassend über laufende und zu erwar- SPD-Fraktion das Wort. tende Verhandlungen zur Umwelt- und Nachhaltigkeits- politik im Rahmen der Vereinten Nationen informiert wird und dass dadurch seine Beschlüsse auch berück- Dr. Bärbel Kofler (SPD): sichtigt werden. Das war leider nicht immer der Fall; wir Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- wurden oftmals, zum Beispiel bei Regierungsverhand- gen! Wir debattieren heute, leider zu etwas vorgerückter lungen, vor vollendete Tatsachen gestellt. Stunde am Nachmittag, über ein sehr wichtiges Thema. Ich bin froh, dass wir auch in diesem Auditorium die Ge- Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, legenheit haben, das Thema der Millenniumsentwick- (B) bitte gestatten Sie mir zum Abschluss eine persönliche lungsziele und die Frage zu diskutieren, wie wir mit dem (D) Anmerkung. Da ich nicht mehr für den Deutschen Bun- Prozess der Neugestaltung und Ausgestaltung der nach- destag kandidiere und dies wohl meine letzte Rede in folgenden Ziele zur nachhaltigen Entwicklung, den Sus- diesem Hohen Haus sein wird, möchte ich die Gelegen- tainable Development Goals, umgehen. heit nutzen, mich bei all meinen Kolleginnen und Kolle- gen, mit denen ich in den vergangenen elf Jahren zu tun Es ist angesprochen worden, dass die MDGs, die Mil- hatte – sei es in meiner eigenen Fraktion, sei es in den lenniumsentwicklungsziele, einen großen Entwicklungs- anderen Fraktionen –, für die sehr gute, kollegiale und fortschritt gebracht haben, dass sie zu großen Anstren- freundschaftliche Zusammenarbeit zu bedanken. Ob frü- gungen vieler Länder und vieler Menschen geführt her im Auswärtigen Ausschuss, im Ausschuss für wirt- haben und dazu beigetragen haben, Armut wirklich sub- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Un- stanziell zu bekämpfen. Ich glaube, darüber sind wir uns terausschuss „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ in diesem Haus weitgehend einig. Bei vielen der Ziele oder früher für viele Jahre im Unterausschuss „Abrüs- sind positive Ergebnisse zu sehen. Gerade im Bereich tung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“: Wir hat- der Bildung ist vieles passiert, auch bei der Bekämpfung ten jederzeit ein gutes und faires Miteinander, manchmal extremer Armut ist einiges wirklich vorangegangen. hart in der Sache, aber immer herzlich im persönlichen Trotzdem muss man auch im Zusammenhang mit den Umgang. MDGs erkennen, dass die regionalen Unterschiede und Es war und ist für mich eine große Ehre und auch eine Disparitäten unheimlich groß sind und nicht alle Punkte, Freude, Mitglied des Deutschen Bundestages zu sein. die für eine nachhaltige Armutsbekämpfung relevant Das ist schon etwas ganz Besonderes und wahrlich keine sind, in den acht MDGs aufgegriffen wurden. Deshalb Selbstverständlichkeit. Nach drei Legislaturperioden glaube ich, dass die Überleitung von den 2015 auslau- möchte ich mich wieder verstärkt dem eigenen Unter- fenden MDGs zu den SDGs von eminenter Bedeutung nehmen widmen und mich neuen Herausforderungen ist und es ganz wichtig ist, dass wir Parlamentarier uns stellen. Auch wenn der Abschied aus dem Bundestag mit in diesen Prozess einbringen. Es hat jetzt einen ersten etwas Wehmut einhergeht, so freue ich mich auf das, Zwischenbericht des High Level Panels der UN zum was kommt, und ich wünsche mir etwas mehr Zeit für Thema des Übergangs zwischen den beiden Prozessen meine wunderbare Frau, für meine Kinder, für meine gegeben. Hier ist sicherlich sehr positiv anzumerken, Freunde. dass man sich einheitlich für eine Agenda globaler Ent- wicklungs- und Nachhaltigkeitsziele ausgesprochen hat. Ich danke auch meinem Mitarbeiterteam, das mich Es ist aber auch anzumerken, dass zum Beispiel VENRO über viele Jahre hinweg so fleißig, geduldig, immer fröh- Kritik an diesem Bericht geäußert hat, die wir, glaube Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31751

Dr. Bärbel Kofler (A) ich, ernst nehmen sollten. VENRO kritisiert, dass keine anerkennen und in die entsprechenden Prozesse einbe- (C) Konsequenzen gezogen werden, obwohl bekannt ist, wo ziehen. die Problemfelder liegen. Mein vierter Punkt. Transparenz und faire Handelsbe- Ein Beispiel: Aus der Erkenntnis, dass ein rein auf ziehungen sind uns sehr wichtig. Wachstum basierendes Wirtschafts- und Gesellschafts- modell auch negative Folgen haben kann, werden keine Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Konsequenzen gezogen. Es wird angemerkt – das ist ent- Frau Kofler. scheidend –, dass alle Länder in den SDG-Prozess einbe- zogen werden sollten. Die Verantwortung darf also nicht nur bei den Entwicklungsländern abgeladen werden, Dr. Bärbel Kofler (SPD): sondern auch wir müssen unser Verhalten ändern, wenn Die Anforderungen der EU-Transparenzrichtlinie es zum Beispiel um Wachstum und Klimawandel geht. würden hier einen entscheidenden Beitrag leisten. Es Wie ist das mit nachhaltigem Wachstum? Wie gehen wir wäre wichtig, diese neuen Ansätze in den SDG-Prozess mit Ressourcen um, mit all den negativen Konsequenzen einzubeziehen. des Klimawandels gerade bei den Ärmsten der Armen? Ich bedanke mich. Es geht aber auch grundsätzlich darum, bei unserer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Gesetzgebung Veränderungen vorzunehmen. Als Bei- DIE GRÜNEN) spiel nenne ich die Debatte, die wir hier vor einigen Mo- naten über die Gesetzgebung zur Einführung verpflich- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tender Sozialstandards in der Lieferkette geführt haben. Sibylle Pfeiffer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU- Wir müssen mit unserer Gesetzgebung dazu beitragen, Fraktion. dass die Näherin in Bangladesch zu vernünftigen Ar- beitsbedingungen arbeiten kann und damit einen Beitrag (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dazu leisten kann, aus der Armut herauszukommen. Wir haben große Verpflichtungen, sowohl in unserer Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): nationalen Gesetzgebung als auch in der europäischen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesetzgebung. Wir können nicht warten und immer nur In den Jahren 1999/2000 waren sie plötzlich da: die auf die Entwicklungsländer zeigen, sondern wir müssen MDGs. Acht einfache Sätze, acht Zielvorgaben, einfach, selbst handeln und aktiv werden. So ist es im SDG-Pro- verständlich, nicht perfekt, teilweise sich in den Forde- zess angelegt, und es muss ihm auch zugrunde gelegt rungen wiederholend, aber es waren Ziele, und alle rich- (B) werden. teten sich danach. (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Plötzlich war es eine Agenda, die für alle wichtig war, DIE GRÜNEN) die allen zur Orientierung diente. Die Entwicklungslän- der wie auch wir, die Gebernationen, richteten sich da- Wir Sozialdemokraten haben in unserem Antrag vier nach. Die MDGs waren Teil von High Level Forums, Themenfelder formuliert, die für uns von großer Bedeu- von Regierungsverhandlungen, der Agenda von Staats- tung sind. Diese sollten in die Zielsetzung aufgenommen und Regierungschefs, von G 8, G 7, G 20, wo auch im- werden. Die Themen nachhaltiges Wirtschaften und Kli- mer. maschutz habe ich bereits angesprochen. Aber es gibt zwei weitere Punkte, die von entscheidender Bedeutung Sie hatten Auswirkungen. Sie zwangen die Entwick- sind, bisher aber nicht ausreichend berücksichtigt wor- lungsländer, sich politisch neu zu orientieren, allein den sind. beim Thema PRSP, Poverty Reduction Strategy Papers, die in den Entwicklungsländern plötzlich für Good Zum Thema soziale Sicherung und Basisschutz. Las- Governance gesorgt haben. Sie haben die Agenda der sen Sie mich zitieren, was die ILO, die Internationale Politik nachhaltig verändert. Sie haben Veränderungen Arbeitsorganisation in Genf, zum weltweiten Basis- herbeigeführt, die wir – das behaupte ich einfach ein- schutz für die Menschen sagt – ich zitiere –: mal – ohne die MDGs nie erreicht hätten. Basis-Gesundheitsversorgung ist eine besonders er- Die MDGs, so wenig perfekt sie auch waren, haben folgversprechende Methode, die Lebensbedingun- dafür gesorgt, dass wir Dinge erreicht haben, die wir gen armer Menschen durch den Schutz vor untrag- sonst nie erreicht hätten. Wir haben die Ziele teilweise baren ökonomischen Risiken zu verbessern. erreicht. Einige haben wir noch nicht erreicht. Wir haben aber auch noch ein bisschen Zeit. Ich finde, es ist un- Er trägt also nachhaltig dazu bei, die Menschen aus der glaublich, was diese MDGs, die niemand verabschiedet Armut herauszuholen. Dadurch erhalten sie die Chance, hat, die für niemanden verpflichtend waren, in Gang ge- zukünftig ein besseres Leben zu führen, selbstbestimmt setzt haben. existieren zu können und ihre Familien ernähren zu kön- nen. Warum sage ich das? Die MDGs waren einfach, prak- tikabel und realisierbar. Darin lag der Charme der Mein dritter Punkt ist das Thema menschenwürdige MDGs. Daran konnte sich jeder orientieren. Als es jetzt Arbeit. Auch hierzu hat die ILO einige Ausführungen hieß: „Wir brauchen eine neue Agenda für die Zeit nach gemacht. Wir sollten das als neuen Unterpunkt der SDGs 2015“, bekam ich Angst. Ich hatte Angst davor, dass wir 31752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Sibylle Pfeiffer (A) etwas bekommen, mit dem niemand umgehen kann. Ich Lieber Harald, dir alles Liebe und alles Gute. Es war (C) hatte Angst vor dem Ergebnis, weil wir mittlerweile ei- schön, dich kennengelernt zu haben. Gestalte deine Zu- nen so hohen Anspruch hatten, weil die Agenda 2015 re- kunft so, wie du es gerne hättest. Danke, dass du hier lativ erfolgreich war. Dann passierte etwas, was ich in warst! meinen kühnsten Träumen nicht erwartet hatte: In zwölf einfachen, simplen, nachvollziehbaren Sätzen wurden (Harald Leibrecht [FDP]: Danke!) die Ziele formuliert. Darin wird genau das beschrieben, Vielen Dank. was, wie ich glaube, für die Zukunft wichtig ist. Für meine Begriffe ist darin fast alles beschrieben, was wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) brauchen: gute Regierungsführung, Arbeitsperspektiven für Jugendliche, Klimawandel, Entwicklungsförderung, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Umwelt, Handel, Klimaschutz und der globale An- Kathrin Vogler hat jetzt das Wort für die Fraktion Die spruch. Ich glaube, die Ziele sind auch ausgewogen. Die Linke. Entwicklungsländer werden genauso gefordert wie die aufstrebenden Länder, die Schwellenländer China, Bra- (Beifall bei der LINKEN) silien, Indien usw. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Es werden aber auch Aufgaben für uns formuliert. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Forderung ist, dass wir die Forderungen, die wir an Wenn wir heute schon absehen können, dass die Millen- die Entwicklungsländer stellen, ebenfalls erfüllen. Auch niumentwicklungsziele bis 2015 nur teilweise erreicht wir sollen dem Anspruch gerecht werden, dem die sich werden, muss man daran erinnern, dass das auch an den schnell entwickelnden Länder wie die Schwellenländer gebrochenen Versprechen der Industrieländer liegt, die gerecht werden sollen. Wir Geberländer sollen uns ge- einfach nicht genug Geld für die Armutsbekämpfung nauso an den Zielen orientieren wie alle anderen. ausgeben. Seit 1970 gibt es die Selbstverpflichtung, die Ich glaube, es war gut, dass Professor Horst Köhler öffentlichen Entwicklungsausgaben auf 0,7 Prozent des Deutschland in dem High Level Panel vertreten hat. Er Bruttonationaleinkommens anzuheben. 2012 ist diese hat es geschafft, für Einfachheit, Praktikabilität und Rea- ODA-Quote auf 0,38 Prozent zurückgegangen. Der Ent- lisierbarkeit zu sorgen. Er hat mit seinem Wissen, sei- wicklungsetat für 2013 wurde um 87 Millionen Euro nem Können, seiner Sach- und Fachkompetenz diesen verkleinert. Auch für 2014 sind weitere Kürzungen ge- Prozess eingeleitet. Ich finde, die Bundeskanzlerin hatte plant. Da hat diese Regierung einfach auf ganzer Linie eine glückliche Hand, als sie ihn dorthin geschickt hat. versagt.

(B) Natürlich kann man ganz viel wollen. Natürlich kann (Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD] und Thilo (D) man die Latte ganz hoch hängen. Ich bin aber der Mei- Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nung, dass wir die Ziele so formulieren müssen, dass wir Aber wenn wir die Ziele nicht erreichen, liegt das si- sie auch erreichen können. Nur wenn das Ziel erreichbar cher auch am Prozess, der von vielen Bewegungen als ist, kann man es mit Motivation, Engagement und Inno- von oben verordnet empfunden wird, und daran, dass vationskraft erreichen. Es ist nicht gut, die Ziele so hoch eine breite Beteiligung aus der Bevölkerung derzeit ein- zu hängen, dass sich keiner mehr traut, sie zu verfolgen. fach fehlt. Das Gleiche gilt im Übrigen für die SDGs, die Es ist auch gut, dass wir nur 12 Handlungsfelder mit 54 Unterzielen formuliert haben. Wir können daraus ein nachhaltigen Entwicklungsziele, die aus dem umstritte- Pamphlet mit 135 Seiten machen. Das können wir ma- nen Rio-Gipfel im letzten Jahr hervorgegangen sind. chen, aber wenn wir zehn Seiten davon gelesen haben, Zum letztjährigen Gipfel hat übrigens die Linke einen haben wir keine Lust mehr. Wer will denn so etwas an- Antrag gestellt, der positiv auf den Erdgipfel von 1992 gehen? Nur erreichbare Ziele kann und will man ange- verweist. 1992 ging es in Rio zum Beispiel um eine Frie- hen. So können wir erfolgreich sein. densdividende. Durch Abrüstung sollten die Mittel für zivile Entwicklung frei werden. Doch die Rüstungsaus- Kollegin Kofler, natürlich müssen wir über Sozial- gaben sind heute höher denn je: 1 600 Milliarden Dollar standards, soziale Sicherung, Arbeitsnormen und was weiß ich sonst noch alles reden. Das ist alles richtig. Ich werden jährlich weltweit für Rüstung ausgegeben. Da will diese Punkte aber nicht in die MDGs packen, weil wundern wir uns, dass die ODA-Quote nicht erreicht daraus sonst ein hochwissenschaftliches Werk würde werden kann? und wir uns in Einzelheiten verlieren würden. Ich denke, Im Vorfeld des Rio+20-Gipfels haben Friedensorgani- das ist das, was VENRO meint. Wenn wir über die Ziele sationen – unterstützt durch zahlreiche Nobelpreisträ- reden, brauchen wir nicht über die Konsequenzen zu re- ger – einen Appell mit dem Titel „Abrüstung für nachhal- den. Wir sollten über die Ziele reden und nicht über den tige Entwicklung“ herausgegeben. Dort wurde kritisiert, Weg. Ich glaube, so sollten wir das angehen. Wir sollten dass die weltweit für Rüstung aufgebrachten Mittel um wissen, was wir wollen. Es ist richtig, dass wir über ein Vielfaches diejenigen übersteigen, die wir für die Be- Ziele reden und nicht über den Weg. kämpfung des Hungers und des Elends einsetzen. Sie for- Nach meinem Dafürhalten können wir das vorlie- derten eine Reduzierung der jährlichen Rüstungsausga- gende Papier unterschreiben; das würde ich mir wün- ben um 10 Prozent, um mit den dadurch frei werdenden schen. So wie es ist, ist es wunderbar. Mitteln Hunger und Armut zu bekämpfen. Leider geht keiner der vorliegenden Anträge auf diese Forderung ein. (Beifall bei der FDP) Schade! Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31753

Kathrin Vogler (A) Die SPD kümmert sich in ihrem Antrag wenigstens Sie drehte dann den Spieß um und wies darauf hin, (C) um soziale Fragen und um die Arbeitsbedingungen. Des- dass nicht alle, aber viele Probleme, viele globale He- wegen unterstützen wir ihren Antrag. rausforderungen ihre Ursache in den Industrienationen haben. Sie sagte: Nehmen wir zum Beispiel den Klima- Aber ich will auch noch ein paar Sätze zum Antrag wandel. Der hat in der Sahelzone schon zu Ernteverlus- der Union und der FDP verlieren. Der Titel lautet „Mil- ten von bis zu 20 Prozent geführt; die CO -Emissionen lenniumsentwicklungsziele, Post-MDG-Agenda und 2 Afrikas sind jedoch sehr gering und liegen unter 1 Tonne Nachhaltigkeitsziele – Für eine gut verständliche, umset- pro Jahr und Einwohner. Ihr Deutschen, so sagte sie, zungsorientierte und nachprüfbare globale Entwick- pustet mehr als zehnmal so viel CO in die Luft, genau lungs- und Nachhaltigkeitsagenda nach 2015“. Wenn es 2 11,6 Tonnen pro Person und Einwohner. Was ökologi- Ihnen um gute Verständlichkeit geht, hätten Sie viel- sche Nachhaltigkeit betrifft, seid ihr Deutschen in einem leicht bei Ihrem eigenen Antrag anfangen sollen. Entwicklungsland. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD) (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da hat sie recht!) Aber wahrscheinlich haben Sie sich gedacht, mit dem Bürokratensprech könnten Sie davon ablenken, dass Sie Recht hat sie, was das Entwicklungsland Deutschland gar keine klaren Ziele haben. betrifft. Doch es gilt, das eine zu tun, also auch klar auf die hausgemachten Probleme der klassischen Entwick- (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das stimmt lungsländer hinzuweisen, und das andere nicht zu ver- allerdings!) nachlässigen. Wir in den Industrienationen müssen uns Ihre Forderungen bleiben oberflächlich und vage, gar- an die eigene Nase fassen und kritisch fragen lassen, niert mit vielen schönen Worten. welche Auswirkungen unsere Wirtschaftsweise, unsere Konsummuster und unser Lebensstil auf das Weltklima Da schreiben Sie etwa von der gemeinsamen Verant- im weitesten Sinne haben. wortung. Ich finde, wir sollten zunächst einmal über un- sere eigene Verantwortung sprechen, zum Beispiel da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rüber, dass aus Deutschland weiterhin Kleinwaffen, Wir brauchen, um den Wissenschaftlichen Beirat der diese Massenvernichtungsmittel des 21. Jahrhunderts, in Bundesregierung zu zitieren, eine große sozial-ökologi- alle möglichen Krisenregionen und eben auch in Ent- sche Transformation, die auch mit einer Entkarbonisie- wicklungsländer exportiert werden. rung unserer Wirtschaft verbunden sein muss. Überall (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) auf der Welt muss es eine Energiewende hin zu den Er- (B) neuerbaren geben. Wenn Länder wie Malawi oder Tan- (D) Da war 2012 ein absolutes Rekordjahr. Die Bundesregie- sania, in denen der CO2-Verbrauch pro Kopf im Jahr bei rung genehmigte Kleinwaffenverkäufe in Höhe von unter 0,9 Tonnen und der Elektrifizierungsgrad bei unter 76,15 Millionen Euro – mehr als doppelt so viele wie im 10 Prozent liegen, ihre Energie zum Teil auch aus heimi- Vorjahr. Verantwortung heißt für die Linke: Verbot von scher Kohle produzieren wollen, habe ich dafür Ver- Rüstungsexporten und aktive Friedenspolitik statt Mili- ständnis. Aber neue Kohlekraftwerke in Europa? Das tärinterventionen. geht gar nicht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn Frieden und Abrüstung sind die Grundlagen für Ich finde es sehr gut, dass in allen drei Anträgen zu nachhaltige Entwicklungsprozesse, auch nach 2015. den Post-MDG-Zielen eine gemeinsame Agenda gefor- Ich bedanke mich. dert wird, also die Zusammenführung von Armutsbe- kämpfung und Umweltagenda. Wir alle streiten gemein- (Beifall bei der LINKEN) sam für nachhaltige Entwicklungsziele weltweit, für Ziele, die auf keinen Fall weniger ehrgeizig und nicht Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schwammiger sein dürfen als die MDGs. Die neuen Thilo Hoppe hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die SDGs, die Sustainable Development Goals, müssen weit Grünen. darüber hinausgehen, umfassender, ganzheitlicher sein. Sie müssen die Menschenrechte stärker einbeziehen und Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eben auch wirklich ökologisch nachhaltig sein, also eine Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der planetari- Es war auf einer Akademietagung zur künftigen Ent- schen Grenzen beschreiben. Wir brauchen ehrgeizige wicklungsagenda, als sich eine junge Afrikanerin zu Ziele zur Besiegung des Hungers in der Welt, aber Wort meldete und uns auf dem Podium vorwarf, oft von ebenso zum Schutz der Ozeane, des Klimas, der Boden- oben herab auf die Entwicklungsländer zu blicken, fruchtbarkeit und der biologischen Vielfalt. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das macht ihr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit eurem Antrag doch erst recht!) Wie gesagt, in den drei Anträgen, die uns heute vor- wie ein Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger und dem liegen, gibt es viele Gemeinsamkeiten. Das ist auch gut Vorwurf: Ihr habt eure Hausaufgaben noch nicht ge- so. Deshalb lehnen wir Grünen auch keinen dieser An- macht. träge ab. Doch was in dem Antrag der SPD und vor al- 31754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Thilo Hoppe (A) lem auch in dem Antrag der Koalition fehlt und zu kurz Wenn es jetzt um die SDGs geht, sollten wir nicht (C) kommt, sind die notwendigen Veränderungsprozesse bei vergessen: Die MDGs hatten viele Vorteile. Es gab ein uns, in unserem Land, im Entwicklungsland Deutsch- stabiles Koordinatensystem. Die Ziele waren zahlenmä- land. Wenn wir zu Recht für eine große Transformation ßig begrenzt, sie waren klar formuliert, und sie waren hin zu einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Ent- klar überprüfbar. Ich glaube, ich spreche auch für uns wicklung streiten, dann müssen wir uns auch beherzter alle, wenn ich sage: Wir haben bis 2015 viel zu tun. Das und mutiger dafür einsetzen, dass der eigene ökologi- MDG 1, also die Millenniumsentwicklungsziele, die vor sche Fußabdruck geringer wird. Das hat Konsequenzen über zehn Jahren verabschiedet wurden, wird aber auch für unsere Agrarpolitik, für unsere Verkehrspolitik, für 2015 noch nicht erreicht sein; wir werden über 2015 hi- unsere Wirtschafts- und Energiepolitik. Das hat auch ei- naus darauf hinarbeiten müssen. Es muss weiterhin das nige – vielleicht schmerzliche – Konsequenzen für unse- Leitbild unserer Entwicklungspolitik sein. ren Lebensstil und unser Konsummuster. Diese Konse- quenzen hält man den Menschen in Zeiten eines Es gibt einen Spruch, der heißt – und das stimmt Wahlkampfes vielleicht nicht so gerne deutlich vor Au- auch –: Freude gehört zu den ganz seltenen Gütern, die gen. sich vermehren, wenn man sie teilt. – Ich glaube, dass man sagen kann: Wir haben viel erreicht. – Dazu hat die Unser Antrag blendet dies nicht aus. Wir fordern uni- Entwicklungspolitik dieser Legislaturperiode mit beige- verselle Ziele, die wirklich für alle Länder gelten, also tragen. Wir haben viel erreicht: Die Zahl der Menschen, auch für Deutschland, die auch hier eine ehrgeizige die in extremer Armut leben, konnte schon vor dem Ziel- sozial-ökologische Transformation initiieren. datum halbiert werden. Der Anteil der Menschen, die keinen zuverlässigen Zugang zu Trinkwasser haben, ist Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: um die Hälfte gesunken. Für über 200 Millionen Men- Herr Hoppe. schen in den Slums haben sich die Lebensbedingungen verbessert. Vor allem konnten die Bildungschancen für Mädchen im Grundschulbereich an die von Jungen ange- Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): glichen werden. Im Angesicht von Klimawandel und einer Milliarde Hungernder gilt nach wie vor der alte Spruch – er wurde Es gibt aber immer noch genug offene Baustellen: in den 70er-Jahren auf Kirchentagen geprägt –: Anders Immer noch leben 1,3 Milliarden Menschen in extremer leben, damit andere überleben. Einkommensarmut, immer noch müssen 800 Millionen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen hungern, immer noch können 61 Millionen sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Kinder keine Schule besuchen. (B) (D) KEN) Dazugetreten sind neue Herausforderungen, an die man vor zehn Jahren gar nicht gedacht hat: Wir ringen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: um eine Neuregelung des internationalen Finanzsys- Jetzt hat die Kollegin Dagmar Wöhrl das Wort für die tems. Aufstrebende Schwellenländer setzen neue Ak- CDU/CSU-Fraktion. zente; auch sie müssen zukünftig ihren Anteil leisten. Und es gibt immer mehr Konfliktpotenziale auf der gan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zen Welt.

Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Ich glaube, wir alle wollen, dass unser Planet nicht Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! geplündert wird. Wir wollen unseren Enkeln keine Müll- Liebe Kollegen! Wir reden heute über die Millenniums- halden hinterlassen, wie sie laut dem Bericht, der dem entwicklungsziele. Das ist ein großes Wort für ein großes Club of Rome vor kurzem vorgelegt wurde, drohen. Wir Vorhaben. Als ich mir ein paar Notizen für diese Rede alle wollen, dass die Schere zwischen Arm und Reich gemacht habe, habe ich mich an etwas anderes erinnert, nicht noch weiter auseinandergeht. Wir alle wollen, dass was wir alle kennen. Als Neil Amstrong am 21. Juli die Menschen ein menschenwürdiges Leben führen kön- 1969 auf dem Mond gelandet ist, hat er gesagt: „Das ist nen und die Menschenrechte auf der ganzen Welt geach- ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger tet werden. Schritt für die Menschheit.“ Die Kernfrage ist: Wie kommen wir im Hinblick auf Es liegt etwa zehn Jahre zurück, dass sich 189 Staaten die Entwicklung zu einem Konsens, der sich auch um- gemeinsame Ziele im Bewusstsein einer globalen Ver- setzen lässt? Ein Konsens, der sich in der Realität nicht antwortung gesetzt haben. Sie haben gesagt, dass sie umsetzen lässt, nützt uns nichts. Wir müssen einen glo- diese Ziele erreichen wollen, dass sie die Herausforde- balen fairen Konsens aushandeln. Dabei müssen wir die rungen des 21. Jahrhunderts angehen wollen. Ich glaube, Entwicklungsländer mit ins Boot holen. Wir dürfen nicht zur Erreichung dieser Ziele haben viele Tausende Men- den Fehler wiederholen, dass international etwas ausge- schen viele kleine Schritte gemacht. Es ist unwahr- handelt wird, was den Entwicklungsländern dann über- scheinlich wichtig, dass wir als Politiker erkennen: Wir gestülpt wird. Die Entwicklungsländer müssen von An- haben nur dann eine reale Chance, eine zukunftsfähige fang an mit im Boot sein. Nur so schaffen wir es Weltpolitik zu entwickeln, wenn international die Ein- ökonomisch und ökologisch, Wachstum und Wohlstand sicht wächst, dass wir eine globale Verantwortung ha- für in Zukunft bald 9 Milliarden Menschen auf der Welt ben. zu ermöglichen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31755

Dagmar G. Wöhrl (A) Die Kollegin Koczy – sie ist leider nicht da – hat vor sehr vermissen. Du warst ein ganz pfundiger Kollege. (C) kurzem im Zusammenhang mit der komplizierten Situa- Schön, dass du bei uns warst. tion in Afghanistan etwas Wichtiges gesagt: Man braucht Karin Roth, die gleich nach mir spricht, hält ihre strategische Geduld. – Das ist richtig. Ich glaube, da ha- letzte Rede. Liebe Karin, wir gehören zwar zu unter- ben wir einen Konsens. Für den Erfolg braucht man aber schiedlichen Lagern, aber unsere Ziele sind die gleichen. noch etwas mehr: Man braucht auch ein bisschen strate- Die Wege, die wir gehen, sind manchmal verschieden, gische Vernunft. und wir haben uns auch gekabbelt, aber du warst eine Wenn ich mir die Anträge anschaue, muss ich feststel- ganz pfundige Kollegin. len: Man könnte sie im Grunde genommen alle unter- In dem Sinne: Vielen Dank. schreiben. Aber man muss sich auch fragen: Was ist rea- listisch, was ist umsetzbar? Überfrachten wir die Ziele (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP nicht mit einem Wust von allen möglichen Punkten, die und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit eingebracht werden? Wir brauchen klare, verhand- lungsfähige Ziele. Ich glaube, wenn man die Trauben zu Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: hoch hängt, dann werden sie mit Sicherheit sauer wer- Die Kollegin Karin Roth hat jetzt das Wort für die den, und das wollen wir nicht. SPD-Fraktion. Wir brauchen schnell Ergebnisse; denn wir haben ge- (Beifall bei der SPD) lernt: Verhandlungszeit ist in der Politik eine der knapps- ten Ressourcen. Deswegen müssen wir uns vor allem um Karin Roth (Esslingen) (SPD): die Umsetzung des Prozesses kümmern. Dazu müssen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir neue Partner gewinnen: Wir müssen die Wirtschaft In der Tat ist das Thema Millenniumsentwicklungs- mit ins Boot holen. Damit die Bevölkerung Arbeit hat, ziele 2015 eine wichtige Zäsur in der internationalen müssen regionale Wertschöpfungsketten in den Entwick- Entwicklungspolitik. Es ist gar keine Frage – das ist hier lungsländern selbst entstehen. Die Schwellenländer zum Ausdruck gekommen –, dass wir bis 2015, aber müssen zukünftig ihren Teil dazu beitragen, vor allem auch darüber hinaus noch viel zu tun haben. Ich freue auch in trilateralen Projekten. Die Zivilgesellschaft muss mich, dass es bei der strategischen Einschätzung, dass in diesem Bereich noch viel mehr eingebunden werden. Millenniumsentwicklungsziele notwendig waren und Wir müssen klären, welchen institutionellen Rahmen weiterhin sein werden, um internationale Politik und na- wir für die Umsetzung der Agenda brauchen. Wir brau- tionale Politik zu koordinieren und uns in die Lage zu chen Überprüfungsmechanismen, und wir brauchen versetzen, erreichbare Ziele zu definieren, eine große (B) mehr Teilhabe an diesem Prozess. Übereinstimmung gibt. (D) Insofern ist es eine große politische Chance für uns Ich persönlich und, wie ich glaube, wir alle wünschen alle, egal in welchen Parteien wir sind, dass wir unsere der Sonderveranstaltung im Herbst einen guten Erfolg. internationale Verantwortung für die Globalisierung Die Diskussionen werden danach erst losgehen. Wir als ernst nehmen und entsprechende Maßnahmen national Parlamentarier hoffen, dass wir in die Diskussion einge- wie international organisieren. Einer der entscheidenden bunden werden. Punkte im Rahmen dieses Prozesses ist, dass wir nicht Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Ganz nur europäisch und national denken, sondern immer wichtig ist für mich, dass wir den Fokus auf Mädchen auch die Auswirkungen unseres Handelns auf die ganze und junge Frauen legen. Wir haben aus unseren Erfah- Welt mit bedenken. rungen in der Entwicklungspolitik gelernt, dass sie der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schlüssel für die Entwicklung in diesen Ländern sind. der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Ihnen muss man die Chance geben, dass sie sich einbrin- GRÜNEN) gen und Verantwortung übernehmen können. Ich bin froh, dass wir im Rahmen des High Level Präsident Obama kommt nächste Woche nach Berlin. Panels des UN-Generalsekretärs, an dem Herr Professor Wir hatten die Freude, seine Schwester kennenzulernen. Köhler, der ehemalige Bundespräsident, mitgearbeitet hat, zu einem gemeinsamen Ziel gekommen sind: zu dem wichtigen Ziel der Armutsbekämpfung. Bis zum Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jahr 2030 soll kein Mensch mehr auf dieser Welt hun- Frau Kollegin. gern oder gar wegen Hunger sterben. Das ist doch ein großartiges Ziel. Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Bei dieser Gelegenheit möchte ich – Frau Pfeiffer, Sie Ich komme zum Schluss. – Sie hat einen wichtigen kennen mich – etwas ganz nebenbei sagen: Wenn Sie das Satz gesagt: Für mich hat sich eine Tür geöffnet, und Millenniumsentwicklungsziel 1 lesen, dann sehen Sie, auch ich will für andere Türen öffnen. – Ich glaube, mit dass es drei Unterpunkte gibt. Einer davon betrifft die jeder Tür, die wir für Frauen öffnen, öffnen sich Türen soziale Sicherung. Das ist ein wichtiger Punkt bei der für uns alle. Reduzierung der Armut. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu Herrn (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das habe ich Kollegen Leibrecht. Auch ich werde dich, lieber Harald, doch gesagt!) 31756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Karin Roth (Esslingen) (A) Insofern haben die Millenniumsentwicklungsziele schon Karin Roth (Esslingen) (SPD): (C) die richtige Sprache getroffen. Dafür sind wir sehr dankbar. Ich komme gleich zum Schluss. – Dazu gehört aus meiner Sicht auch, die Handelsbeziehungen so zu orga- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nisieren, dass die Einhaltung der Menschenrechte und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vernünftige Arbeitsbedingungen wirklich möglich sind Vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung und es keine Kinderarbeit mehr gibt. – bald werden auf der Welt 9 Milliarden oder gar 10 Mil- All das haben wir bei der Arbeit zur Erreichung der liarden Menschen leben – müssen wir sehen, was not- zwölf Ziele, die auf den Millenniumsentwicklungszielen wendig und was machbar ist. Aus unserer Sicht ist es aufbauen, vor uns. Diese zwölf Ziele sind gut. Lassen wichtig, die Globalisierung sozial zu gestalten, aber auch Sie uns an die Arbeit gehen, und lassen Sie uns vor allen die Umverteilung zu organisieren. Daher ist es richtig, Dingen nicht nur darüber reden, sondern finanzieren wir dass das Thema Verteilungsgerechtigkeit in den Mittel- dies auch und machen wir damit die entsprechenden punkt gestellt wird. Deshalb haben wir verlangt, dass wir Konzepte wirklich wahr. zum Beispiel das 0,7-Prozent-Ziel erreichen. Damit leis- ten auch wir unseren Beitrag zur Verbesserung der Lage (Beifall bei der SPD) in diesen Ländern. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Vorsit- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zende des Entwicklungsausschusses, Frau Wöhrl, hat es des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schon gesagt: Das ist meine letzte Rede hier im Deut- schen Bundestag. Das freut mich einerseits, andererseits Wir brauchen dazu eine verbindliche Haushaltspla- bin ich – Sie kennen mich – leidenschaftlich dabei. nung in den nächsten Jahren. Ich hoffe, dass wir nach der nächsten Wahl auch einen entsprechenden Haushaltsplan Ich bin sehr froh, dass ich in den letzten elf Jahren, aufstellen und nicht nur darüber reden. also in drei Legislaturperioden, in unterschiedlichen Be- reichen gearbeitet habe: erst im Bereich Arbeit und Wirt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaft, dann als Parlamentarische Staatssekretärin im DIE GRÜNEN) Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und Ich darf sagen, dass die SPD jedes Jahr immerhin jetzt im Entwicklungsausschuss. Ich bin sehr dankbar 1 Milliarde Euro zusätzlich fordert, um dieses Ziel zu er- dafür, dass wir diese Arbeit gemeinsam machen konn- reichen. Das ist aus meiner Sicht mutig, aber wir werden ten. es tun, und ich gehe davon aus, dass wir unsere Zusagen Ich möchte vor allen Dingen meinen Kolleginnen da- auch halten werden. für danken, dass wir über die Fraktionsgrenzen hinweg (B) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thilo einen gemeinsamen Gender-Antrag formuliert haben. (D) Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Ein weiterer Gedanke in diesem Zusammenhang: Die CSU und der FDP) Frage, wie die Schwellenländer und die Industrienatio- Einige haben manchmal Probleme damit gehabt, aber nen in Zukunft mit den Entwicklungsländern umgehen, ich sage Ihnen: Bei der Frauenfrage kennen wir nichts! welche Rolle wir diesen Ländern also als Entwicklungs- Da sagen wir: Die Vernunft siegt. partner einräumen und wie wir sie mitnehmen werden, scheint mir sehr wichtig zu sein. Im Hinblick auf die Be- Das Gleiche gilt auch für das Thema „Internationaler völkerungsexplosion insbesondere in Afrika befürchte Mädchentag“. Wir haben dazu beigetragen, dass dieser ich sehr – das will ich an dieser Stelle sagen –, dass die Internationale Mädchentag bei der UN beschlossen wor- Industrienationen und die Schwellenländer ihre derzei- den ist. Darauf dürfen wir stolz sein. Auch das gehört zu tige ökonomische Situation weiter ausbauen und nur ein unserem parlamentarischen Handeln. minimaler ökonomischer Ausgleich erfolgt. Wenn das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten passiert – dafür sind wir dann mitverantwortlich –, dann der CDU/CSU und der FDP) können schwerwiegende Konflikte, auch kriegerische Auseinandersetzungen, entstehen. Machen Sie also weiter so – ein wenig so, wie Frau Wöhrl sagt: immer das Ergebnis im Kopf. Manchmal Ich möchte uns alle davor warnen, diese Explosions- sind die Wege verschieden, aber immerhin. gefahr zu unterschätzen; denn der Frieden in der Welt ist nicht in allen Bereichen gesichert. Diesen Frieden in der Ich danke Ihnen allen für Ihre Freundlichkeit, für Ihre Welt zu erreichen, ist aber etwas, was wir alle gemein- Geduld, aber vor allen Dingen für die gute Zusammenar- sam wollen, und dafür ist die Entwicklungspolitik ein beit. wichtiges Instrument für uns alle. Deshalb glaube ich, (Beifall im ganzen Hause) dass wir die Friedensfähigkeit und die Friedensmöglich- keiten in diesen Staaten unterstützen müssen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Roth, auch bei Ihnen bedanken wir uns herzlich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und wünschen Ihnen alles Gute und eine gute Zeit. (Beifall) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Ich schließe die Aussprache. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31757

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Frak- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla (C) tionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/13893 Lötzer, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Barbara mit dem Titel „Millenniumsentwicklungsziele, Post-MDG- Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Agenda und Nachhaltigkeitsziele – Für eine gut ver- DIE LINKE ständliche, umsetzungsorientierte und nachprüfbare glo- bale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda nach zu der Empfehlung für einen Beschluss des Ra- 2015“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt da- tes über die Ermächtigung zur Aufnahme von gegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag ange- Verhandlungen über ein umfassendes Handels- nommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen; und Investitionsabkommen, transatlantische Linke und SPD haben dagegen gestimmt, Bündnis 90/Die Handels- und Investitionspartnerschaft ge- Grünen hat sich enthalten. nannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung des KOM(2013) 136 endg.; Ratsdok. 7396/13 Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 17/13945 ab. hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a die Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck- die Zusammenarbeit von Bundesregierung sache 17/13762 mit dem Titel „Für eine nachhaltige Ent- und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten wicklungsagenda ab 2015 – Millenniumsentwicklungs- der Europäischen Union ziele und Nachhaltigkeitsziele gemeinsam gestalten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Keine weitere Liberalisierung über ein EU- dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Freihandelsabkommen mit den USA ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitions- – Drucksache 17/13894 – fraktionen; SPD und Linke waren dagegen, Bündnis 90/ Die Grünen hat sich enthalten. ZP 21 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- zu der Empfehlung für einen Beschluss des Ra- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- tes über die Ermächtigung zur Aufnahme von nen auf Drucksache 17/13727 mit dem Titel „Für univer- Verhandlungen über ein umfassendes Handels- selle Nachhaltigkeitsziele – Entwicklungs- und und Investitionsabkommen, transatlantische Umweltagenda zusammenführen“. Wer stimmt für die Handels- und Investitionspartnerschaft ge- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent- nannt, zwischen der Europäischen Union und (B) haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- den Vereinigten Staaten von Amerika (D) men. Die Koalitionsfraktionen haben zugestimmt, Bünd- KOM(2013) 136 endg.; Ratsdok. 7396/13 nis 90/Die Grünen dagegen, Linke und SPD haben sich enthalten. hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Ich rufe die Tagesordnungspunkte 67 a und 67 b so- Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über wie Zusatzpunkt 21 auf: die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten 67 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten der Europäischen Union Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Verhandlungen mit den USA zu einem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN transatlantischen Handels- und Investitions- abkommen konsequent an europäischen Stan- zu der Empfehlung für einen Beschluss des Ra- dards ausrichten tes über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- – Drucksache 17/13904 – und Investitionsabkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft ge- Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. – Da- nannt, zwischen der Europäischen Union und mit sind Sie einverstanden. Das ist dann so beschlossen. den Vereinigten Staaten von Amerika Für Bündnis 90/Die Grünen gebe ich das Wort jetzt KOM(2013) 136 endg.; Ratsdok. 7396/13 Frithjof Schmidt. hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über NEN): die Zusammenarbeit von Bundesregierung Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten Der Europäische Rat beschließt heute voraussichtlich der Europäischen Union das Mandat für die Verhandlungen über eine transatlanti- Transatlantische Handels- und Investitions- sche Handels- und Investitionspartnerschaft. Dass die partnerschaft nur mit starken Standards Europäische Union und die USA darüber reden, die Ko- operation zu verstärken, Handelsregeln zu vereinheitli- – Drucksache 17/13925 – chen und zu vereinfachen, Investitionen zu fördern und 31758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Dr. Frithjof Schmidt (A) Kontrollmechanismen zu etablieren, ist politisch und der Öffentlichkeit vor. Es darf keine geheime Ver- (C) wirtschaftlich sinnvoll und bietet Chancen. schlusssache sein. Allerdings gibt es viele Befürchtungen, dass diese Danke für die Aufmerksamkeit. Verhandlungen in der Sache falsch angelegt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bauernverbände und Gewerkschaften, Umweltschützer und bei der SPD) und Verbraucherinitiativen, Datenschützer, Lebensmit- telproduzenten und manche Industrieunternehmen, sie alle eint die Sorge, dass als Ergebnis der Verhandlungen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wichtige Standards in der Europäischen Union ausge- Jetzt hat Peter Beyer für die CDU/CSU-Fraktion das hebelt, verwässert oder unterlaufen werden. Wer sich die Wort. Auseinandersetzungen um die Freihandelsabkommen der Europäischen Union in den letzten Jahren ansieht, Peter Beyer (CDU/CSU): der erkennt, dass diese Sorgen nicht aus der Luft gegrif- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und fen sind. Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dr. Schmidt, Sie haben trotz der Kürze der Zeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, viele richtige Dinge aufgezählt, aber ich hätte mir ge- bei der SPD und der LINKEN) wünscht, dass Sie doch ein bisschen mehr die unglaubli- Das gilt zum Beispiel für Importverbote von Lebensmit- chen Chancen dieser transatlantischen Handels- und In- teln, die unzulässig behandelt wurden, sei es mit Wachs- vestitionspartnerschaft betonen. Ich denke, es wird jetzt tumsförderern, sei es mit Chlor, für Produkte von ge- Aufgabe der Koalition sein, darauf hinzuweisen. klonten Tieren und auch für chemische Produkte, die der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – REACH-Verordnung nicht entsprechen. Das gilt für Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ma- europäische Zulassungs- und Kennzeichnungsvorschrif- chen wir jetzt!) ten, für gentechnisch veränderte Organismen, und das gilt für Datenschutzvorschriften ebenso wie für Gesund- Sie haben es schon gesagt: Parallel zu unserer Debatte heitsstandards, um nur einiges konkret anzusprechen. hier treffen sich die zuständigen Ressortminister der EU, um die nächsten Schritte zur Aufnahme von Verhandlun- Schon im Verhandlungsmandat für die Kommission gen mit den Vereinigten Staaten zur Schaffung ebenjener muss in dieser Hinsicht klargestellt werden, dass der Handels- und Investitionspartnerschaft zu besprechen. Acquis communautaire der Europäischen Union nicht Dabei handelt es sich um einen Meilenstein in der euro- zur Debatte steht und nicht angetastet werden darf. atlantischen Kooperation, der die Chance in sich birgt, (B) ein neues Zeitalter in den transatlantischen Beziehungen (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einzuläuten. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Hierzu erwarten wir eine klare Haltung der Bundes- regierung. Diese fehlt bisher. Gelingt der erfolgreiche Abschluss der Verhandlun- gen, entsteht nicht weniger als der größte Wirtschafts- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: raum der Welt. Neben der rein ökonomischen Wirkweite Wie wahr!) der TTIP, wie wir sie nennen, beeindruckt auch ein Blick Ich kann nicht nachvollziehen, warum sich die Bundes- auf die geografische Dimension. Es entsteht gewisser- regierung nicht aktiv dafür einsetzt, dass die Bereiche maßen ein Binnenmarkt vom Schwarzen Meer im Osten audiovisuelle Medien und Kultur von den Verhandlun- bis hin an die Küste Kaliforniens im Westen. Das Beste gen ausgenommen werden. Öffentliche Dienstleistun- daran ist: Wir können daran einen bedeutenden Anteil gen, Medien und Kultur sind nicht einfach nur eine haben. Ware. Das steht schon so im Lissabon-Vertrag. Diese Worum geht es dabei konkret? Es geht im Wesentli- Bereiche bedürfen eines besonderen Schutzes. Das chen um drei Dinge: Es geht um Wachstum, es geht um musste Ihnen der Bundesrat in der letzten Woche ins Arbeitsplätze, und es geht um unseren Wohlstand. Oder Stammbuch schreiben, als er sich klar für die Heraus- ganz simpel ausgedrückt, wie es Tim Bennett vom TBC nahme von audiovisuellen Medien und Kulturgütern gesagt hat: Es geht um Jobs, Jobs, Jobs. Aus deutscher ausgesprochen hat, übrigens auch mit den Stimmen von Sicht ist dabei besonders hervorzuheben, dass gerade un- schwarz-gelb regierten Ländern. Und wenn Ihnen das ser deutscher Mittelstand als Rückgrat unseres Wohl- nicht reicht, dann lesen Sie einmal, welche Kritik der In- standes und unserer Wirtschaft von der TTIP profitieren tendant des Bayerischen Rundfunks, Herr Wilhelm, Ihr wird. Für die kleinen und mittelständischen Unterneh- früherer Regierungssprecher, heute an der Bundesregie- men stellen die bestehenden doppelten Zulassungs-, Zer- rung übt. Wir werden das Mandat besonders daran mes- tifizierungs- und Normierungsprozesse oft ein großes sen, ob dieser Punkt durchgesetzt wurde. Handelshindernis dar. Angesichts der Bedeutung dieses Abkommens müs- Doch bei aller Euphorie hinsichtlich der Chancen, die sen im Verhandlungsprozess neue Standards in Sachen das Abkommen bietet, ist klar, dass die Verhandlungen demokratischer Beteiligung gesetzt werden. Sie müssen nicht einfach werden. Die Herausforderungen liegen vor die Verhandlungen so transparent wie möglich gestalten. allem darin, beim Abbau nichttarifärer Handelshemm- Deswegen fordern wir von Ihnen: Legen Sie das Mandat nisse – das betrifft Fragen nach Standards, Regulierun- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31759

Peter Beyer (A) gen, Agrargütern, öffentlichem Beschaffungswesen und Eine solche Übereinkunft könnte als Impuls dienen, (C) audiovisuellen Medien – das für beide Seiten bestmögli- multilaterale Verhandlungen wie die Doha-Runde wie- che Ergebnis zu erzielen. derzubeleben. Dass es in diesen Bereichen unterschiedliche Auffas- (Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Ach Gott!) sungen gibt, ist für uns nicht neu. Gerade deshalb ist es von so überragend wichtiger Bedeutung, dass eben kein Die Entstehungsgeschichte der NAFTA – das ist viel- Thema bereits im Vorfeld von Verhandlungen ausge- leicht auch für Sie ein Blick zurück in die Geschichte; klammert wird, wie es insbesondere unsere französi- dabei können Sie noch etwas lernen – zeigt uns dies in einer Situation, die mit den heutigen Bedingungen ver- schen Freunde bei den audiovisuellen Medien, auch on- gleichbar ist. Es lohnt sich manchmal, sich mit der Han- line, gefordert haben. Nur auf diese Weise können wir delsgeschichte auseinanderzusetzen. nämlich verhindern, dass die Verhandlungen in eine Ne- gativspirale geraten, bei der jede Seite auf ihre Ausnah- (Rolf Hempelmann [SPD]: Schön, dass Sie das meregelung pocht. gemacht haben!) (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ist Mit der TTIP ist es uns jetzt möglich, ein transatlanti- das!) sches Abkommen zu etablieren, das gleichsam einer den Atlantik überspannenden vertraglichen Klammer neben Daher läuft auch der hier zur Debatte stehende Antrag die NATO tritt, die in einem anderen Bereich diese der Grünen leider in die völlig falsche Richtung. Funktion bereits ausfüllt. Mit einiger Berechtigung möchte ich bereits jetzt von einer Wirtschafts-NATO (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sprechen. Somit besitzt eine transatlantische Koopera- der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ tion mit einem erhöhten Integrationsgrad nicht nur im si- DIE GRÜNEN]: Leider nichts verstanden!) cherheitspolitischen Kontext eine strategische Notwen- digkeit, sondern auch und gerade im Bereich der Wir alle in Deutschland, in Europa und in den USA ha- Ökonomie. Es gilt, unsere Spitzenposition bei der Inno- ben noch in sehr unguter Erinnerung, welches Schicksal vations- und Technologieführerschaft zu erhalten, zu ge- dem ACTA-Abkommen widerfahren ist. Die Menschen stalten und auch weiter auszubauen. Denn nur so wird es gingen damals auf die Straße, weil sie das Gefühl hatten, uns gelingen, unseren Wohlstand zu sichern. da würde gemauschelt und in Hinterzimmern ein Abkommen verhandelt, dessen Regelungen sie benach- Meine Damen und Herren, dass die EU und die USA teiligen. Deswegen – da stimme ich, lieber Herr die weltweit produktivsten, effizientesten und am engs- (B) Dr. Schmidt, mit Ihnen überein – appelliere ich an die ten miteinander verzahnten Wirtschaftsregionen sind, (D) deutsche Bundesregierung, sich nachdrücklich dafür ein- kommt nicht von ungefähr. Denn Basis sowie Dreh- und zusetzen, dass während der Verhandlungen in vertretba- Angelpunkt unserer Beziehungen ist das Verständnis von ren Zeitabständen Berichte an den Bundestag gegeben Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit des Individu- werden, in denen über den Fortlauf der Verhandlungen ums und das Prinzip der Marktwirtschaft. informiert wird. Formal sind zwar weder die nationalen Sicherheitspolitisch sind wir seit Jahrzehnten institu- Parlamente noch das Europäische Parlament an den Ver- tionell eng in der NATO verbunden. Daher ist es von be- handlungen beteiligt. Aber nur durch eine vollständige sonderer Wichtigkeit, nun entschlossen die Verhandlun- Transparenz des Prozesses von Anfang an ist die erfor- gen über die TTIP aufzunehmen. derliche Akzeptanz gewährleistet, die wir benötigen, um bei den Menschen Vertrauen in die Sache und die Kom- In der kommenden Woche – damit komme ich zum petenz der Verhandlungsführer zu bilden. letzten Punkt – werden wir den amerikanischen Präsi- denten Obama in Berlin begrüßen können. 50 Jahre nach (Beifall bei Abgeordneten der FDP) der für uns Deutsche so bedeutenden Rede des damali- gen US-Präsidenten John F. Kennedy dürfen wir von Ich schlage darüber hinaus vor, dass wir uns im Bun- Obama nicht weniger als eine wegweisende transatlanti- destag, im Europäischen Parlament sowie im US-Kon- sche Grundsatzrede erwarten. gress fraktionsübergreifend für die TTIP stark machen. Insbesondere dann, wenn die Verhandlungen ins Stocken Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: geraten sollten, wird es unsere Verantwortung als Parla- Herr Kollege. mentarier sein, in geeigneter Form und öffentlich auf das große Ganze, den Zusammenhang und den Mehrwert dieses Megaprojektes hinzuweisen. Peter Beyer (CDU/CSU): Ja, ich komme zum Schluss. – Unsere Bundeskanzle- Denjenigen, die befürchten, durch die TTIP würden rin Angela Merkel hat sich stets und in vorderster Front multilaterale Vereinbarungen, wie sie in der Welthan- für die TTIP stark gemacht. Eine so starke Freundschaft delsorganisation ausgehandelt werden, unterminiert, hält es auch aus, ja sie gebietet es sogar, dass man auch möchte ich diese Sorge gerne nehmen. Die TTIP ist als manchmal unangenehme Dinge anspricht. Daher sage komplementäres Element zu verstehen, und zwar kom- ich: Es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin das amerika- plementär zu bestehenden Regelungen der Welthandels- nische Abhörprogramm Prism bei ihrer Begegnung mit organisation. Obama thematisieren wird. 31760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wenn man diesen Weg geht, dann kann man sicherstel- (C) Herr Kollege. len, dass bilaterale und multilaterale Konstruktionen ei- nander nicht widersprechen. Peter Beyer (CDU/CSU): Heute soll im Rahmen des EU-Handelsministerrates Ich erhoffe mir dadurch auch ein Stück Klarheit über über das Mandat entschieden werden. Insofern kommen die möglichen Auswirkungen von Prism auf die bevor- wir mit unserer Debatte fast schon ein bisschen spät. Es stehenden TTIP-Verhandlungen. ist kein Widerspruch, auf der einen Seite zu betonen, Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. dass dieses Handelsabkommen eine besondere Bedeu- tung hat, und sich auf der anderen Seite intensiv darum (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu kümmern, dass das Verhandlungsmandat sorgfältig ausgestaltet und vorbereitet wird. Genau das ist unser Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Anliegen. Wir wollen frühzeitig den Rahmen für die Der Kollege Rolf Hempelmann hat jetzt das Wort für Verhandlungen so setzen, dass es anschließend nicht zu die SPD-Fraktion. Verstimmungen und zu Missverständnissen zwischen zwei wichtigen Partnern, der EU auf der einen Seite und den USA auf der anderen Seite, kommt. Rolf Hempelmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- Genau aus diesem Grund hat in der vergangenen Wo- gen! Herr Beyer, ich habe gerade noch einmal im che die SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag einge- Kürschner nachgelesen: Es ist Ihre erste Legislaturpe- bracht, den Kultur- und Medienbereich aus den Verhand- riode in diesem Parlament. Ich denke, in der Situation lungen herauszunehmen und auf diese Art das sollten Sie etwas vorsichtiger sein, statt hier eine Lehr- Verhandlungsmandat einzugrenzen. Für uns sind audio- stunde abzugeben und Ihren Kollegen zu sagen, sie soll- visuelle und kulturelle Dienstleistungen nicht lediglich ten vielleicht einmal etwas über die Welthandelsge- Wirtschaftsgüter. Es sind Kulturgüter mit einer zentralen schichte lesen. Bedeutung, gerade auch für die demokratische Willens- bildung, für die Integration, für die Erhaltung der kultu- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was ist rellen und sprachlichen Vielfalt. Das ist gerade in Eu- denn das für eine Arroganz! – Dr. Rainer ropa und gerade heute von ganz überragender Stinner [FDP]: Unter 70 Jahren läuft da gar Bedeutung. nichts! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Dann soll- ten Sie den Kürschner einmal ein bisschen ge- Der bisherige Mandatsentwurf bezieht sich allein auf nauer lesen!) die Regeln der WTO ohne die Verpflichtungen aus dem (B) UNESCO-Abkommen über den Schutz und die Förde- (D) Es tut mir furchtbar leid, aber gehen Sie doch einfach da- rung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Wir ver- von aus, dass auch Ihre Kollegen im Deutschen Bundes- wiesen auch in der letzten Woche bereits darauf, dass in tag in anderen Fraktionen ihren Job durchaus machen. den Verhandlungen und im Abkommen die jeweils fort- Ich will Ihnen aber durchaus recht geben in dem ers- schrittlichsten Regeln – das ist eben auch vom Kollegen ten Punkt, den Sie genannt haben. Das ist auch mein ers- Schmidt angesprochen worden – sozialer, ökonomischer, ter Punkt: Es ist in der Tat richtig, dass dieses transatlan- ökologischer Standards zugrunde gelegt werden sollen. tische Handelsabkommen durchaus eine Menge Ich glaube, das ist sowohl im Interesse der EU als auch Chancen für beide Wirtschaftsräume bietet, für den ame- im Interesse der USA; denn es ist keineswegs so, dass in rikanischen Wirtschaftsraum ebenso wie für den euro- jedem Fall die EU-Standards die höheren sind. Das ist in päischen. verschiedenen Feldern durchaus unterschiedlich. Des- wegen ist das ein sinnvoller Antrag. Der Sinn dieses Gleichzeitig ist aber zu sagen – den Zusammenhang Antrags wird ja durch die Tatsache belegt – auch das haben Sie angetippt –, dass das nicht bedeuten darf, dass ist eben angesprochen worden –, dass nicht etwa nur wir etwa den Kurs verlassen wollen, insbesondere auf A-Länder, sondern auch B-Länder genau diesem Antrag multilaterale Abkommen und auf die Weiterentwicklung zugestimmt haben. der Welthandelsrunde, der Doha-Runde, zu setzen und insbesondere auf die Mechanismen der WTO. Sie haben In dem Antrag, den wir heute vorlegen, konkretisie- gesagt, darüber müssten wir uns keine Sorgen machen; ren wir das weiter. Wir machen deutlich, dass wir gerade denn die Freihandelsabkommen seien komplementär. im Bereich von Arbeits-, Gesundheits-, Umwelt- und Das wird in der Tat immer gesagt, und sie sollen auch so Datenschutz und bei den Bürger- und Verbraucherrech- angelegt sein. Aber wenn Sie gelegentlich bei den Parla- ten diese höchsten Standards auch wirklich durchgesetzt mentarierrunden vorbeischauen, die im Zusammenhang sehen wollen. Bedenken sind hier ja nicht unberechtigt, mit den Welthandelsrunden stattfinden, dann werden Sie und das ist auch nicht unanständig. Man greift einen feststellen, dass der von Ihnen propagierte Glaube nicht Partner wie die USA damit auch nicht in unangemesse- überall geteilt wird. Es gibt durchaus ein hohes Maß an ner Weise an. Es ist einfach so, dass aus Gründen, die Skepsis, ob alle Freihandelsabkommen, die in den letz- aus US-Sicht verständlich sein mögen, beispielsweise ten Jahren getätigt worden sind, kompatibel mit den ILO-Kernarbeitsnormen nicht in Gänze ratifiziert und multilateralen Systemen sind. Es gibt auch Vorschläge, unterzeichnet sind, anders als in der EU. Deswegen ist solche bilateralen Verträge bei der WTO vorzulegen und dieser Hinweis wichtig. Wir wollen nicht hinter die er- ratifizieren zu lassen. Das wäre kein unkluger Weg. reichten Standards zurückfallen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31761

Rolf Hempelmann (A) Genauso ist es etwa bei der Zulassung ganz bestimm- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (C) ter Produkte, insbesondere aus dem Lebensmittelbe- CDU/CSU – Lachen bei der SPD) reich. Es ist gut, dass wir in der EU fortschrittliche Stan- Die FDP, aber auch ihr Koalitionspartner, die CDU/ dards haben, die insbesondere mit Blick auf die CSU, stehen dafür. Sie sehen vor allen Dingen – das un- Gesundheit der Verbraucher so festgelegt worden sind. terscheidet uns von der linken Hälfte des Hauses – die Auch hinter diese Standards dürfen wir in Zukunft nicht Vorteile eines solchen Abkommens für Deutschland und zurückfallen. Insofern ist es nicht etwa so, dass wir hier Europa und nicht nur die Nachteile. Einschränkungen des Mandats oder Konkretisierungen bezüglich der Norm- und Standardsetzungen formulie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulla ren, die dann dazu führen sollen, dass es hier nicht zu ei- Lötzer [DIE LINKE]: Dann nennen Sie uns nem Vertrag kommt. Das ist überhaupt nicht unsere In- die doch!) tention, im Gegenteil: Alle können nur gewinnen. Wir haben aber eine weite (Peter Beyer [CDU/CSU]: Genau das wird die Wegstrecke zurückzulegen und vor allen Dingen gegen Wirkung sein!) einen weltweit wieder um sich greifenden Protektionis- mus anzukämpfen. Wenn Sie sich das heutige Handels- Wir wollen, dass das Ganze ein Erfolg wird. Es wird blatt ansehen, können Sie – dabei geht es um das Thema aber kein Erfolg werden, wenn auf der Wegstrecke der „Abschied vom Freihandel“ – nachlesen, wer Protektio- Verhandlungen alle diese Dinge zu Missstimmungen und nismus verursacht und wer sein Geschädigter ist. letztlich auch zu Verzögerungen führen. Deutschland steht bei den „Tätern“ – vor allem wegen (Peter Beyer [CDU/CSU]: Quatsch!) der Abschottung – auf Platz sechs, aber bei den Geschä- digten – also den Opfern von Protektionismus – hinter Das muss man am Anfang klären. China und den USA schon auf Platz drei. Protektionis- Im Übrigen ist es so, dass wir als Parlament auf der mus schadet gerade Ländern wie Deutschland. Wer übri- Wegstrecke – jedenfalls in der Vergangenheit – wenig gens ist noch geschädigt? Es sind – in dieser Reihenfolge – Italien, Frankreich und Großbritannien. Danach kommen Möglichkeiten hatten, unseren Einfluss noch geltend zu noch drei weitere europäische Länder. Wir sind die Leid- machen. Deswegen unterstützen wir ausdrücklich die tragenden von Protektionismus. Deswegen wenden wir Forderungen, die gerade auch vom Bündnis 90/Die Grü- uns – Sie nicht! – auch so entschieden gegen ihn. nen gekommen sind, dass wir als Parlament auf der Wegstrecke regelmäßig zu informieren sind. Das gilt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- aber auch für eine breitere, aufgeklärte Öffentlichkeit. rufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deren diesbezügliche Erwartungen sollten wir gemein- (B) Ich fasse Ihre Anträge einmal zusammen. Die SPD (D) sam erfüllen. will viel herausnehmen, die Grünen wollen noch mehr Vielen Dank. herausnehmen, und die Linken wollen es gar nicht ha- ben. Damit schaden Sie Ihrem Land. Sie glauben doch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht im Ernst, dass, wenn Sie hier etwas herausnehmen, DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Joachim das ohne eine Antwort von der anderen Seite des Atlan- Pfeiffer [CDU/CSU]) tiks bleibt. Wenn Sie audiovisuelle Produkte herausneh- men wollen, nehmen sie die Autos heraus. Die Franzo- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sen nehmen dann nicht nur gentechnisch veränderte Produkte, sondern die gesamte Landwirtschaft heraus. Martin Lindner hat jetzt das Wort für die FDP-Frak- Dann bleibt ein Schweizer Käse übrig. Sie mögen das tion. wollen, wir lehnen das ab. Wir wollen ein umfassendes (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Abkommen haben, und dafür machen wir uns stark. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Hempelmann [SPD]: Was haben Sie gegen Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! In- Schweizer Käse?) zwischen stehen die USA und Europa gemeinsam für Bei den Verhandlungen müssen wir drei wesentliche 60 Prozent der global getätigten Investitionen, für Punkte berücksichtigen: erstens die international immer 50 Prozent des ökonomischen Outputs, für 40 Prozent stärker verflochtene und diversifizierte Wirtschaft, zwei- des Weltsozialproduktes und für ein Drittel aller welt- tens den Aufstieg der Schwellenländer und drittens die weiten Patente. 71 Prozent der Auslandsinvestitionen in Bedeutung neuer Technologien für den transatlantischen den USA kommen aus Europa, und 56 Prozent der US- Handel. An der Stelle möchte ich daran erinnern, dass, Auslandsinvestitionen sind in Europa angelangt. Die was den transatlantischen Handel anbelangt, im Bereich USA haben damit im vergangenen Jahr China als Top- Fahrzeugbau inzwischen bis zu 80 Prozent, im Bereich investor in Deutschland abgelöst. Chemie 76 Prozent und im Bereich Maschinen- und An- lagenbau 61 Prozent der Produktion im Rahmen mit- Auf diesem soliden Fundament finden jetzt – in der einander verflochtener Unternehmen abgewickelt wer- Endkurve – die Verhandlungen zu TTIP statt. Es ist auch den. kein Zufall, dass gerade jetzt unter dieser schwarz-gel- ben Bundesregierung die Verhandlungen vorangetrieben (Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist bekannt! – werden. Klaus Barthel [SPD]: Ach was!) 31762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Dr. Martin Lindner (Berlin) (A) Die Schwellenländer, die immer mehr in den Vorder- Liberalisierung auf breiter Front ist gefragt. Politische (C) grund rücken, werden ebenfalls profitieren. Auch Japan, Führung ist gefragt, um den Partikularinteressen auf bei- Korea oder meinetwegen China werden davon profitie- den Seiten des Atlantiks die Stirn zu bieten. Wir müssen ren, wenn wir einheitliche Standards haben. Diese Län- schon deswegen weiterregieren, damit die Hasenfüße der haben es dann beispielsweise, was die Zuarbeit zum der Opposition hier nicht den Takt verschleppen. Automobilbereich anbelangt, nicht mehr mit zwei oder (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mehreren Standards zu tun. Wir hoffen natürlich – und der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ setzen auch darauf –, dass dies zu einer Wiederbelebung DIE GRÜNEN) des WTO-Prozesses führen wird. Wir müssen – das ist wichtig – in der transatlantischen Partnerschaft vorange- Wir, vor allen Dingen die FDP, stehen in der Tradition hen, meine Damen und Herren. des großen Friedrich List, des Vorkämpfers des Deut- schen Zollvereins. Es gibt nur einen Unterschied: Er Der dritte Punkt betrifft die neuen Technologien wie musste – in Anführungszeichen – „nur“ gegen die würt- zum Beispiel Elektromobilität und Nanotechnologie. Ich tembergische Obrigkeit kämpfen; er hatte es noch nicht nenne ganz bewusst an der Stelle beispielhaft Technolo- mit der Opposition des Jahres 2013 zu tun, mit solchen gien wie Fracking, das zur Shale-Gas-Gewinnung ange- Schlappschwänzen und Hasenfüßen, wie Sie das sind, wandt wird. Die USA gehen da voran. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN]: Eine absolute Pleite ist das! Die sind im Rückwärtsgang, was Fracking anbetrifft!) die nur miesepetrig sind, die immer nur das Schlechte sehen, die immer nur die Laus im Pelz sehen. Die USA werden in relativ kurzer Zeit zu einer einiger- (Rolf Hempelmann [SPD]: So geht es nicht!) maßen autarken Selbstversorgung ihrer Bevölkerung mit Shale Gas auf der Grundlage von Fracking kommen. Sie Das ist der Unterschied. Deswegen werden wir weiter können sich überlegen, welche globalen Auswirkungen kämpfen für freien Handel, für offene Märkte, für gegen- das hat. seitige Verflechtung durch Investitionen. 15 Millionen Menschen verdanken heute ihren Arbeitsplatz dem (Zuruf des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) transatlantischen Handel. Es werden auf jeden Fall wei- tere hinzukommen. Glauben Sie, dass die USA sich in Zukunft im Mittleren Osten wie beispielsweise auf der Arabischen Halbinsel genauso engagieren werden wie bisher, wenn sie lange Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (B) nicht mehr dieselben geopolitischen Interessen an den Herr Lindner. (D) Öl- und Gasvorkommen in Mittelost haben? Das wird auch auf uns extreme Auswirkungen haben. Deswegen Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): ist es wichtig, dass wir bei Technologien wie der Shale- Ich komme zu meinen letzten beiden Sätzen. – Wir Gas-Gewinnung zu einem Austausch mit den USA kom- werden ein transatlantisches Wirtschaftsmodell pflegen, men und wechselseitig profitieren. Das ist für mich der das globale Maßstäbe setzt. Wir zeigen der Welt, wie dritte und wesentliche Punkt dieses Abkommens, den eine Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand gesi- wir beachten müssen. chert werden kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herzlichen Dank. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Uwe Die außenpolitische Bedeutung ist in Ihren Reden Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: überhaupt nicht vorgekommen. Ich finde es extrem Peinlich, peinlich, peinlich! Der schämt sich schade, dass der Kollege Klose hier heute nicht sprechen nicht mal dafür! – Rolf Hempelmann [SPD]: kann, weil er das im Unterschied zu Ihnen weiß. Das darf nicht wahr sein!)

(Rolf Hempelmann [SPD]: Die Rednerliste Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schreiben wir aber noch selbst!) Ulla Lötzer hat das Wort für die Fraktion Die Linke. Es besteht durchaus eine gewisse Mattigkeit im trans- atlantischen Verhältnis, wenn auch – zugegebenermaßen – Ulla Lötzer (DIE LINKE): auf hohem Niveau. Umso wichtiger ist es, dass wir mit Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Kollege diesem Abkommen die Sache wiederbeleben, dass wir Schmidt, Kollege Hempelmann, nach den Worten von der Welt auch zeigen, dass der Westen lebt und auch Herrn Beyer, aber insbesondere von Herrn Lindner soll- heute noch in der Lage ist, sich den Herausforderungen ten Sie wirklich noch einmal darüber nachdenken, woher zu stellen, und nicht alles nach Osten blickt. Sie die Hoffnung auf Chancen durch dieses Abkommen nehmen, wenn es von dieser Regierung mit verhandelt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wird oder Vertreter dieser Regierung einen Einfluss da- rauf haben. Das ist die zusätzliche außenpolitische Bedeutung dieses Abkommens, die über das rein Ökonomische weit hin- (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ausgeht. NEN]: Das ist wahr! Da haben Sie recht! – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31763

Ulla Lötzer (A) Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es gibt noch einen weiteren Grund für die Ablehnung. (C) NEN) Sie haben auch gesagt, dass es eine Besonderheit gegen- über anderen Abkommen mit Lateinamerika oder einzel- – Die hat aber mit Einfluss auf das Verhandlungsmandat; nen Schwellenländern gibt. Sie haben davon gesprochen, das werden Sie ja nicht bestreiten. Herr Beyer, dass sich hier die größten Wirtschaftsregio- (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Natürlich haben nen mit den größten Industrieländern vereinigen. wir Einfluss!) (Peter Beyer [CDU/CSU]: Gute Sache!) Auch beim G-8-Gipfel wird das eine Rolle spielen. Sie schotten sich damit auch gegen den Rest der Welt ab, Herr Lindner, wenn Sie von „Hasenfüßen“ und der- wenn dieses Abkommen verhandelt ist. gleichen reden: Zur Beseitigung von Schutzschranken (Peter Beyer [CDU/CSU]: Das ist Unsinn! für Umwelt, Mensch und Natur gehört wahrlich kein Dann haben Sie das Prinzip noch gar nicht ver- Mut. Dazu, in internationalen Verhandlungen solche standen! Beschäftigen Sie sich mal damit, Frau Standards aufzustellen, Sozialstandards zu schützen, Kollegin! Sie haben keine Ahnung!) Umweltstandards zu schützen, würde Mut gehören. Al- les andere ist längst Fakt. Das ist wirklich keine Kunst Das ist auch eine Form von Protektionismus: Protektio- mehr, für die man jemand Besonderes braucht. nismus gegenüber dem Rest der Welt. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Ich bin einmal gespannt, was China und die anderen Pfeiffer [CDU/CSU]: Margot Honecker Schwellenländer zu diesem Abkommen sagen. Ich spricht!) denke, sie werden es als Affront betrachten, gerade weil Herr Schmidt hat schon viele Punkte zu den Lebens- Sie sich ihnen gegenüber abschotten. Ich denke, dass das mitteln aufgeführt. Die Sozialstandards hat Kollege auch Folgen für den weltweiten Handel haben wird. Der Hempelmann angesprochen. Wenn Sie von Chancen auf weltweite Handel mit den Schwellenländern ist inzwi- Beschäftigung reden, dann sage ich: Wer Sozialstandards schen äußerst bedeutsam: auch für Deutschland, auch für einreißt und nicht schützt, der erzeugt Wettbewerbsdruck die Wirtschaft, auch für die Beschäftigung. Er wird da- zulasten der Beschäftigten und der Arbeitsbedingungen; durch gefährdet. Diesen Aspekt darf man in der Konse- der schafft keine Chancen auf Beschäftigung. quenz nicht vergessen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Deshalb sagen wir: Dieses Abkommen schafft keine neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Leitplanken im Sinne von Schutz von Mensch und Na- (B) tur. Es reißt Leitplanken ein und gefährdet internationale (D) Es geht um Zulassungsvorschriften für Arzneimittel. Handelsabkommen, die auf fairer Grundlage entstehen. Es geht um die erweiterten Rechte großer Konzerne, ge- Deswegen sagen wir diesmal einfach nur Nein zu diesem gen Regierungen zu klagen. Wo bleibt da der Mut, eine Verhandlungsmandat. demokratische Regulierung durchzusetzen? Der fehlt Ih- nen völlig. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: „Diesmal“ war der Witz des Natürlich geht es – Sie haben es auch gesagt – um Tages!) völlige Liberalisierung. Es geht um Privatisierung, Dere- gulierung. Es geht darum, die Daseinsvorsorge endlich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: für Privatisierung und Liberalisierung zu öffnen, und das Jetzt hat der Kollege Erich G. Fritz das Wort für die betrifft nicht nur die audiovisuellen Dienstleistungen. CDU/CSU-Fraktion. Die französische Regierung hat in dieser Woche ange- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kündigt, sie wolle Fernsehen, Filme und kulturelle Dienstleistungen im Interesse der kulturellen Vielfalt ausnehmen. Die Reaktion war deutlich. Die US-Regie- Erich G. Fritz (CDU/CSU): rung hat sofort verkünden lassen: Dann gibt es keine Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Verhandlungen. Wer Einschränkungen formuliert, würde Herren! die Verhandlungen aufs Spiel setzen. In diesem Fall ist (Michaela Noll [CDU/CSU]: Jetzt kommt es die Frage, ob auch nur eine Ihrer Forderungen, Kolle- etwas Vernünftiges!) ginnen und Kollegen der Grünen und der SPD, die wir weitgehend teilen, nach fairen Verhandlungen und fairen Ich werde diese Debatten in Zukunft sehr vermissen. Handelsabkommen erfüllt wird. Bei dieser EU-Kommis- (Zuruf von der CDU/CSU: Oh!) sion, bei dieser US-Regierung – Obama hin oder her – und bei dieser Bundesregierung hat keine Ihrer Forde- Auch diese hat wieder einmal gezeigt: Mehrheit zu ha- rungen auch nur den Hauch einer Chance auf Realisie- ben, ist nicht gleichbedeutend mit Wahrheit und Weis- rung. Deshalb sagen wir in diesem Fall tatsächlich: Man heit. muss ein klares Nein des Parlaments zu einem solchen Verhandlungsmandat sehr deutlich machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des (Beifall bei der LINKEN) Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) 31764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Erich G. Fritz (A) Aber nachgewiesen wurde heute im Saale: Umgekehrt Marktführerschaft. Auf der anderen Seite handelt es sich (C) stimmt es schon gar nicht. um unterschiedliche Kulturen. In den USA läuft vieles, was bei uns über das Ordnungsrecht läuft, über das Haf- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und tungsrecht. Das ist zwar nicht automatisch vereinbar. der FDP) Das heißt aber noch nicht, dass die Standards unter- Der Umgang mit diesem Thema zu einem Zeitpunkt, schiedlich hoch sind. Das heißt auch nicht, dass der eine bei dem es um die Erteilung des Verhandlungsmandats die Standards des anderen übernehmen muss. Es heißt geht, ist unverhältnismäßig, liebe Ulla Lötzer. Dieses vielmehr, dass wir zum ersten Mal die Chance haben, transatlantische Freihandelsabkommen ist immer wieder darüber in einer Art und Weise zu reden, dass etwas Ge- aufgetaucht wie das Ungeheuer von Loch Ness, alle paar meinsames dabei herauskommt. Jahre. In den letzten 23 Jahren habe ich es des Öfteren (Rolf Hempelmann [SPD]: Das widerspricht erlebt. Zum ersten Mal haben wir die Chance, nach der überhaupt nicht unserem Antrag!) Initiative von Angela Merkel und der Reaktion von Obama – nur in dieser Legislaturperiode kann er es ma- Ich vermute, die Standards werden besser sein als die- chen –, dass es zu einem sehr weitreichendem Abkom- jenigen, die es jetzt gibt. Wir haben Standards, die zum men kommt, welches die auf der anderen Seite des At- Teil für die USA eine Herausforderung sind, die für sie lantiks übliche Art der Vorteilssuche auf Kosten des aber auch Vorteile bringen; Rolf Hempelmann hat zu anderen zu Ende gehen lässt. Recht zwei davon genannt. In den USA ist die Diskus- sion über Standards in bestimmten Bereichen unterent- (Rolf Hempelmann [SPD]: Dazu ist nichts zu wickelt. In der Bevölkerung bzw. auf regionaler Ebene sagen!) gibt es dort aber ein sehr großes Interesse daran, in die- sem Bereich weiterzukommen. Auch das kann man nut- Zum ersten Mal gibt es die Möglichkeit, dass dieses zen. Abkommen, das eminent politisch ist und nicht nur wirt- schaftspolitisch zu sehen ist, dazu führt, dass die beiden Ich möchte mit Blick auf meine Redezeit nur noch stärksten Wirtschaftsräume dieser Welt zusammenfin- wenige Sätze zum Antrag der Linken sagen. Die Vorstel- den, aufeinander zugehen – das muss schon sein –, ohne lung, dieses Abkommen diene vorwiegend der Großin- dass es jemanden richtet. Es muss die Möglichkeit ge- dustrie, ist äußerst abwegig. ben, dass dieses Abkommen zum Anlass genommen (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist wird für eine wichtige Erweiterung des multilateralen abenteuerlich! Es ist genau das Gegenteil!) Systems, die ins Stocken geraten ist. Ich könnte Ihnen – leider haben wir die Zeit dafür nicht – an vielen Stellen Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Unternehmen (B) nachweisen, dass das so ist. Eines geht natürlich nicht: der Großindustrie sind auf beiden Seiten des Atlantiks (D) Man kann solche Verhandlungen nicht beginnen, indem Marktinsider. Das heißt, sie können alle Vorteile der je- jeder aufschreibt, worüber man nicht redet. weiligen Märkte nutzen. Der Marktzugang – öffentliche Ausschreiben etc. – ist der Bereich, aus dem unser Mit- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – telstand heutzutage ausgesperrt ist. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ist es! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Er hat die Wahrheit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gesprochen!) Wir haben jetzt die Chance, an dieser Stelle Beschäf- Wenn man das tut, dann will man das Abkommen in tigung zu generieren. Die Schaffung von 400 000 neuen Wirklichkeit nicht. Da ist die Haltung „Wir wollen es so- Arbeitsplätzen in der EU – davon 100 000 neue Arbeits- wieso nicht“ eindeutiger. plätze in Deutschland – hört sich vielleicht nicht nach viel an. Daraus entsteht aber etwas: Daraus entstehen (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Richtig! – Felder, die heute noch nicht beackert werden können, Dr. Rainer Stinner [FDP]: Falsch, aber wahr!) deren Potenziale dann aber – da traue ich dem innovati- ven deutschen Mittelstand einiges zu – durchaus geho- Mir gefällt an der Debatte nicht, dass, wenn es um ben werden können. Standards und um Verhandlungen geht, automatisch ge- sagt wird: Das ist gleichbleibend mit dem Schleifen und Zur Transparenz: Ich glaube, wir haben gemeinsame Absenken von Standards. Warum denn eigentlich nicht Anforderungen. Die Europäische Kommission war nicht umgekehrt? dazu genötigt, sondern sie hat wohl eingesehen, dass es notwendig ist, dass sie dem Handelsausschuss des Euro- (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Eben! – Rolf päischen Parlaments – dieser tagt öffentlich – in jeder Hempelmann [SPD]: Das ist unser Wunsch! Phase der Verhandlungen die jeweiligen Ergebnisse und Mehr wollten wir ja gar nicht!) Voten vorträgt. Das ist typisch. Das sind nur Reflexe. Auch die vor- Wir haben – Rolf Hempelmann hat diesen Prozess ge- liegenden Anträge sind nur Reflexe und stehen für die nauso lange begleitet wie ich – am Anfang des WTO- immer gleichen Verhaltensweisen. Prozesses ebenfalls Schwierigkeiten gehabt, zu erfahren, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) was läuft. Aber zum Schluss gab es ein Berichtswesen der Bundesregierung, das bei jedem neuen Schritt den Man muss bei den Standards Folgendes sehen. Bei aktuellen Stand wiedergegeben hat. Die Abgeordneten den Industriestandards sind die Interessen klar erkenn- waren damit zufrieden. Nicht jeder war mit dem Ergeb- bar. Dort gilt: Wer die Norm schreibt, hat sozusagen die nis zufrieden. Das ist aber eine andere Sache. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31765

Erich G. Fritz (A) Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom (C) im Wirtschaftsausschuss zugesagt, in gleicher Weise zu 11. August 2006 und folgender Resolutionen, verfahren. Im Übrigen hat es noch kein EU-Mandat ge- zuletzt 2064 (2012) vom 30. August 2012 des geben, das so öffentlich entstanden ist wie dieses. Ich Sicherheitsrates der Vereinten Nationen habe zumindest in der Zeit, in der ich Prozesse dieser Art verfolge – ich habe schon viele öffentliche Debatten – Drucksache 17/13753 – dazu erlebt –, niemals zuvor ein solches Mandat vorher Überweisungsvorschlag: schriftlich in der Hand gehabt. Auswärtiger Ausschuss (f)  Rechtsausschuss Wir müssen die vorliegenden Anträge leider ablehnen Verteidigungsausschuss – auch den SPD-Antrag –, Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union obwohl im SPD-Antrag viel Richtiges steht. Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: halbe Stunde Aussprache vorgesehen. – Dazu sehe und Herr Kollege! höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- sen. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Bundesregierung will mit den Verhandlungen we- Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Bundes- der das Grundgesetz noch den Föderalismus abschaffen regierung dem Bundesminister Guido Westerwelle das oder über das Dienstleistungsabkommen der WTO hi- Wort. nausgehen. Es macht nur keinen Sinn, vorher Stolper- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) steine aufzustellen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wärtigen: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herren! Kolleginnen und Kollegen! Wir können nicht Ich schließe damit die Aussprache. über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der UNIFIL-Mission debattieren, ohne unseren Blick auf die Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Lage im Nachbarland Syrien zu richten. Die Hinweise (B) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache auf den Einsatz chemischer Substanzen in Syrien neh- (D) 17/13925 mit dem Titel „Transatlantische Handels- und men wir sehr ernst. Wir werden den Informationsaus- Investitionspartnerschaft nur mit starken Standards“. tausch über die Faktenlage intensiv fortsetzen. Wir drän- Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – gen auf eine Beratung über die neu vorgetragenen Enthaltungen? – Damit ist der Antrag abgelehnt, bei Zu- Berichte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, mit stimmung durch Bündnis 90/Die Grünen und die SPD; dem Ziel, dass es zu einer gemeinsamen Position des Si- alle übrigen Fraktionen waren dagegen. cherheitsrates kommt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Deutschland wird weiter darauf hinwirken, dass es zu Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13894 mit dem der geplanten internationalen Syrien-Konferenz kommt. Titel „Keine weitere Liberalisierung über ein EU-Frei- Auch wenn die Chancen einer solchen Syrien-Konferenz handelsabkommen mit den USA“. Wer stimmt für diesen derzeit nicht überragend groß sind, sollten und werden Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die- wir unsere Bemühungen um eine politische Lösung fort- ser Antrag ist abgelehnt, bei Zustimmung durch die ein- bringende Fraktion; alle übrigen Fraktionen waren dage- setzen. gen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13904 mit dem Ti- NISSES 90/DIE GRÜNEN) tel „Die Verhandlungen mit den USA zu einem transat- Dauerhafter Frieden in Syrien wird nur mit einer politi- lantischen Handels- und Investitionsabkommen konse- schen Lösung möglich sein. Wenn ich die Reaktion rich- quent an europäischen Standards ausrichten“. Wer tig deute, scheint dies die Auffassung des überwiegen- stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- den Teils des Hohen Hauses zu sein. haltungen? – Der Antrag ist abgelehnt, bei Zustimmung durch SPD und Bündnis 90/Die Grünen; die übrigen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Fraktionen waren dagegen. bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 66 auf: NISSES 90/DIE GRÜNEN) Beratung des Antrags der Bundesregierung Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brau- chen so schnell wie möglich ein Ende der Gewalt und Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- den Einstieg in einen politischen Prozess. scher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) 31766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) Deutschland selbst wird keine Waffen nach Syrien lie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (C) fern. Wir respektieren, wenn Partner von uns zu einer anderen Bewertung kommen. Aber wer Waffenlieferun- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gen ins Auge fasst, muss sicherstellen, dass diese Waffen Das Wort hat der Kollege Rolf Mützenich für die nicht in falsche Hände geraten. Was es für Folgen haben SPD-Fraktion. kann, wenn Extremisten und Terroristen moderne Waf- fentechnologie in die Hände bekommen, haben wir an- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) derswo – mit sehr ernsten Folgen – bereits gesehen. Dr. Rolf Mützenich (SPD): (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegen! In der Tat: Dies sind kritische und entschei- Die Bundesregierung, meine sehr geehrten Damen dende Tage, seitdem die US-Regierung behauptet, zwei- und Herren, hat inzwischen über 160 Millionen Euro zur felsfreie Erkenntnisse im Hinblick auf den Einsatz von Verfügung gestellt, das meiste davon für humanitäre Chemiewaffen zu haben. Meine Fraktion ist der Mei- Hilfe, die den Flüchtlingen und Binnenvertriebenen zu- nung, dass die US-Regierung den Vereinten Nationen gutekommt. Deutschland ist damit einer der stärksten ihre Kenntnisse und ihre Beweise schnellstens zur Verfü- Geber. Ich kann Ihnen aber versichern: Wir werden wei- gung stellen muss. Das gehört in die Vereinten Nationen. tere Möglichkeiten der Unterstützung prüfen. Letztlich müssen dann die Mitgliedsländer und auch die Mitglieder des Sicherheitsrates angemessen handeln. Die Gefahr eines Flächenbrandes ist real. Der Kon- flikt in Syrien greift immer stärker um sich. Kämpfer der Meiner Meinung nach müssen die Hinweise auch dem Hisbollah haben sich an den Kämpfen aufseiten des Re- Internationalen Strafgerichtshof – auch wenn er zum jet- gimes beteiligt. Im Libanon stehen erneut konfessionelle zigen Zeitpunkt nicht unmittelbar ermitteln kann – für Konfliktlinien unter Spannung. Neue Gewaltausbrüche spätere Ermittlungen zur Verfügung gestellt werden. Das können nicht ausgeschlossen werden. sind wir den Menschen in Syrien und der Region insge- samt schuldig. Die ohnehin schwierige innenpolitische Lage im Li- banon wird durch die Flüchtlingsströme aus Syrien wei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem ter verschärft. 1 Million syrische Flüchtlinge allein im BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Libanon entsprechen etwa einem Viertel der Gesamtbe- Herr Außenminister, auch wenn Sie zum jetzigen völkerung des Landes. Das Land kommt damit zweifels- Zeitpunkt keine Erkenntnisse haben, bitte ich Sie, wei- ohne immer mehr an seine Belastungsgrenze. terhin nach Erkenntnissen zu suchen. Wie wir aus der (B) Presse erfahren haben, gibt es die eine oder andere Reise (D) Inzwischen haben wir in Deutschland die Vorausset- in die Region. Wir bitten Sie, sich mit den Partnern vor zungen für die Aufnahme von 5 000 Flüchtlingen ge- Ort auszutauschen. schaffen, die vor allem aus dem Libanon zu uns kommen sollen. Zudem gilt für alle Menschen, die seit April 2011 Es besteht kein Zweifel, dass in erster Linie das Re- aus Syrien zu uns nach Deutschland gekommen sind, ein gime Assad die Verantwortung für die Eskalation und sogenannter Rückführungsstopp. Das betrifft allein auch für die Brutalisierung dieses Konfliktes trägt; denn 11 000 Asylsuchende. Niemand wird nach Syrien abge- als vor zwei Jahren friedliche Demonstranten in ver- schoben. schiedenen Städten in Syrien auf die Straße gegangen sind, hat das Regime Assad innerhalb von Tagen mit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten brutaler Gewalt auf die Proteste reagiert. der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Wir von der SPD-Fraktion sagen eindeutig: Es gibt keine militärische Lösung in diesem Konflikt. Hier im Die Unterstützung durch UNIFIL bei der Ausrüstung Bundestag besteht ein breiter Konsens, dass Waffenliefe- und Ausbildung der libanesischen Streitkräfte bleibt un- rungen nicht der richtige Weg sind; denn in der Region erlässlich. Die Mission leistet einen entscheidenden herrscht kein Mangel an Waffen, sondern ein Mangel an Beitrag, um einen Flächenbrand in der Region zu ver- Vertrauen und Diplomatie. hindern. Es ist im internationalen, aber auch in unse- rem ureigenen Interesse, die deutsche Beteiligung an (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP UNIFIL fortzusetzen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit der Verlängerung des Mandats entsprechen wir auch den Wünschen Israels, des Libanon selbst und der Deswegen haben mich die aktuellen Äußerungen Ih- Vereinten Nationen. Diese haben ausdrücklich um die res Koalitionspartners überrascht, Herr Außenminister. Fortführung der deutschen Beteiligung gebeten. Das Ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie darauf eingehen. Bundestagsmandat für die Beteiligung am UNIFIL-Flot- Nicht irgendwer, sondern der Kollege Schockenhoff hat tenverband soll unverändert um zwölf Monate bis zum heute für die CDU/CSU-Fraktion erklärt, dass seine 30. Juni 2014 verlängert werden. Die Personalober- Fraktion für eine Flugverbotszone in der Region eintre- grenze bleibt unverändert bei 300 Personen. ten wird. Ich habe hier eine entsprechende Meldung von 13.30 Uhr vorliegen. Ich finde, dass die Bundesregie- Im Namen der Bundesregierung bitte ich Sie um Ihre rung mit derartigen Erklärungen sorgfältig umgehen Zustimmung zu diesem Mandat. muss. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31767

Dr. Rolf Mützenich (A) Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) schluss des Deutschen Bundestages, den wir gemeinsam DIE GRÜNEN) gefasst haben, auch mit den Stimmen der SPD-Bundes- Zu UNIFIL. Wir von der sozialdemokratischen Partei tagsfraktion. Dort heißt es unter Punkt 4 – ich zitiere –: haben UNIFIL von Anfang an unterstützt, nicht nur, weil Der Einsatz dient nicht der Einrichtung oder Über- wir das Mandat des Sicherheitsrates, das immer wieder wachung einer Flugverbotszone über syrischem verlängert worden ist, für richtig erachtet haben. Wir wa- Territorium. ren und sind der Meinung, dass der Waffenschmuggel verhindert werden muss und es dafür ein UN-Mandat ge- Ich finde, dieser Konsens muss erhalten bleiben. Deswe- ben muss. Wir sehen ja, welche Verwerfungen es zurzeit gen muss es in dieser Debatte einen entsprechenden Hin- auf den Golanhöhen gibt. weis darauf geben. Ich glaube, mit diesem UNIFIL-Mandat war auch ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten politischer Zweck verbunden. Wir glaubten, dass wir da- der CDU/CSU – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: mit den ohnehin fragmentierten Staat Libanon in Bezug Der kommt!) auf seine staatliche Souveränität unterstützen könnten. Die israelische Marine hat die Quarantäne von libanesi- In der Tat ist es richtig, alle Anstrengungen auf die schen Häfen sehr schnell aufgehoben. Wir haben beim Genf-2-Konferenz zu konzentrieren, weil, wie gesagt, Grenzmanagement geholfen, und wir haben, wie ich ein Mangel an Diplomatie herrscht. Auch wenn es, wie glaube, auch die Konfliktparteien im Innern des Libanon ich glaube, nur sehr wenig Hoffnung gibt, muss man in zusammengeführt. Deswegen war das UNIFIL-Mandat den nächsten Tagen weiterhin alles unternehmen, damit mehr als die Verhinderung von Waffenschmuggel. Die- zumindest das Minimalziel, dass die Konferenz stattfin- ses Mandat diente insbesondere der Sicherung der staat- det, erreicht wird. Es wäre ein Hoffnungsschimmer, lichen Souveränität des Libanon. wenn dort eine Waffenruhe vereinbart werden könnte, Ich finde, Deutschland und Europa haben die Auf- zumindest für Stunden. Wir müssen den Menschen in gabe, dafür zu sorgen, dass das fragile Gleichgewicht im Syrien zumindest die Möglichkeit geben, aus den um- Libanon nicht weiter geschwächt wird. Die Hisbollah kämpfen Zonen herauszukommen. Auf dieser Grundlage trägt in der Tat eine riesengroße Verantwortung für die könnte vielleicht ein weiterführendes Mandat der Ver- Eskalation des Bürgerkrieges in Syrien und damit indi- einten Nationen erreicht werden. rekt natürlich auch der Iran als Förderer der Hisbollah. Das Problem ist, dass die Bundesregierung derzeit Gleichwohl ist es wichtig, die Worte abzuwägen, um die keinen maßgeblichen Anteil am Zustandekommen dieser innenpolitische Situation im Libanon nicht weiter zu verschärfen. Deswegen ist meine Bitte, auch an die Bun- (B) Konferenz hat. Ich finde, dass die Bundesregierung mehr (D) desregierung und an die Europäische Union, alle Bemer- tun könnte. Insbesondere könnte sie auf den einen oder kungen in die Richtung zu unterlassen, noch stärker in- anderen internationalen Akteur stärker einwirken, der nerhalb des EU-Rahmens vorzugehen, solange keine diese Konferenz nicht unterstützt. Ich glaube, wir haben handfesten Beweise – auch gegen die Hisbollah – vorlie- durchaus Gelegenheit, noch intensiver mit der russi- gen. schen Regierung darüber zu reden, und zwar auch und gerade in dieser Situation. Zwar haben Sie Länder wie Wir werden verantwortungsvoll in den Ausschüssen Saudi-Arabien und Katar als Gestaltungsmächte in der über dieses Mandat debattieren. Ich kann für die SPD- internationalen Politik identifiziert, aber ich frage mich, Fraktion sagen, dass wir dieses Mandat verlängern wer- ob Ihre Analyse richtig ist. Denn es ist fraglich, ob diese den. Länder wirklich bereit sind, an der Herstellung einer In diesem Zusammenhang möchte ich mich an den friedlichen Ordnung mitzuwirken, und ob sie tatsächlich mir folgenden Redner, den Parlamentarischen Staatsse- verantwortliche Gestaltungsmächte sind. Das wäre nach kretär Kossendey, wenden: Ich habe gehört, dass das meinem Dafürhalten eine wichtige Frage gewesen. Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag ist. Ich möchte Sie haben mehr humanitäre und medizinische Hilfe mich ganz herzlich für die gute, vertrauensvolle und im- angekündigt. Zumindest wollen Sie das prüfen. Ich mer souveräne Zusammenarbeit bedanken. Das sage ich finde, wir sollten sie bereitstellen. Leider haben wir viel ganz persönlich, aber auch im Namen meiner Fraktion. zu lange gebraucht, um gerade einmal 5 000 Flüchtlinge Ganz herzlichen Dank! aufzunehmen. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ immerhin –, aber insgesamt hat dieser Prozess viel zu DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der lange gedauert. CDU/CSU und der FDP) Ich will noch Folgendes sagen: Wir dürfen angesichts der massiven Auseinandersetzungen und trotz des Bür- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gerkriegs in Syrien nicht vergessen, dass die Umbrüche Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege in der arabischen Welt unseren Respekt und unsere An- Thomas Kossendey. erkennung verdienen; denn dort tun sich Menschen zu- sammen, um ihren Ländern den richtigen Weg zu wei- Thomas Kossendey (CDU/CSU): sen. Ich finde, das muss auch vom Deutschen Bundestag Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aus gesagt werden. Es ist in der Tat im Augenblick eine schwierige Diskus- 31768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Thomas Kossendey (A) sion, weil das, was wir zu UNIFIL sagen wollten, natür- Weg weiter unterstützen, dass sie ihre nationalen Gren- (C) lich durch die Lage in Syrien überlagert wird. zen selbst schützen kann. Lieber Herr Kollege Mützenich, ich danke für Ihre Der Libanon bedarf genau wie die gesamte Region ei- netten Worte. Allerdings möchte ich auf Folgendes hin- ner tragfähigen Sicherheit und Stabilität. Wir brauchen weisen: Das, was zum Thema Flugverbotszone zu sagen – das ist der Wunsch aller Beteiligten – dort auch weiter ist, hat der Außenminister sehr deutlich gesagt. Sie brau- internationale Präsenz. Ich bitte Sie deswegen – auch im chen sich keine Sorgen zu machen, dass da eine Ände- Namen der Bundesregierung – um Unterstützung dieses rung in der Meinung des Außenministers eingetreten ist. Antrags, der vorsieht, UNIFIL für ein weiteres Jahr 300 Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung zu stellen. Die UNIFIL-Mission – wenn ich darauf zurückkom- men darf – hat den Auftrag, die militärische Eskalation Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies wird – Kollege zwischen dem Libanon und Israel zu verhindern und Mützenich hat es angesprochen – voraussichtlich meine letztendlich auch das angespannte Verhältnis zwischen letzte Rede im Deutschen Bundestag sein. Gestatten Sie diesen beiden Ländern zu entschärfen. Diese nun schon mir deswegen ein paar kurze Anmerkungen. Vor knapp sieben Jahre andauernde Mission führt, so glaube ich, 26 Jahren, am 16. Oktober 1987, stand ich im Deutschen langsam und schrittweise zum Erfolg. Einige Beispiele Bundestag in Bonn als relativ junger Abgeordneter und hat Kollege Mützenich aufgezählt, wir könnten noch an- hielt meine Jungfernrede. Interessanterweise ging es da- dere nennen. bei um den Einsatz der Bundesmarine im Mittelmeer. Genauso wie damals werbe ich heute um Zustimmung Libanon und – ich betone das ausdrücklich – auch für einen Einsatz der deutschen Marine im Mittelmeer. Israel haben beide darum gebeten, UNIFIL, diesen wich- So schließen sich eben manchmal die Kreise. Vieles hat tigen Stabilitätsanker in der Region, zu verlängern. Sie sich seit der Rede damals verändert. Es gibt aber auch wollen eine weitere Präsenz der Friedenstruppen der Konstanten. Vereinten Nationen, und das betrifft natürlich ausdrück- lich auch den deutschen Beitrag zu UNIFIL. Unser Bei- Damals hatte ich an den Anfang meiner Rede drei trag hat ein doppeltes Mandat. Zum einen sichern wir die Dinge gestellt: Erstens. Die Bundesrepublik ist eine seeseitigen Grenzen des Libanon, und zum anderen friedliebende Nation. Zweitens. Die Bundesrepublik – das ist in der Öffentlichkeit häufig so nicht gesehen steht in der Solidargemeinschaft aller NATO-Länder. worden – unterstützen wir die libanesischen Streitkräfte Drittens. Wir sind eine Handelsnation, die in ganz be- beim Aufbau ihrer Fähigkeiten. Derzeit beteiligen wir sonderem Maße auf sichere Seeverbindungen angewie- uns an UNIFIL mit der Korvette „Braunschweig“ und sen ist. – Das gilt auch nach einem Vierteljahrhundert (B) dem Schnellboot „Frettchen“, mit einem nationalen Un- und auch unter veränderten außenpolitischen Rahmenbe- (D) terstützungskommando in Limassol, aber auch durch ei- dingungen weiter. nen Anteil am UNIFIL-Hauptquartier in Naqoura. Ich möchte mich am Ende meiner Arbeit im Deut- Eine Vielzahl von Projekten, die wir da angepackt ha- schen Bundestag bei allen Kolleginnen und Kollegen be- ben, ist in der Tat gut weiterentwickelt worden. Im letz- danken – bei den aktiven Kolleginnen und Kollegen, ten Jahr wurde mit der Inbetriebnahme der letzten Küs- aber auch bei denen, die ausgeschieden sind –, mit denen tenradarstation der Aufbau einer Küstenradarkette ich mehr als zweieinhalb Jahrzehnte zusammenarbeiten abgeschlossen. Ich glaube, dass die libanesische Marine durfte. Wir haben diskutiert, wir haben gestritten, am Ende dieses Jahres über die Fähigkeit verfügen wird, manchmal wurde es auch ziemlich energisch. Ich habe eine vollständige Radarüberwachung ihrer eigenen mich dabei bemüht, immer hart in der Sache, aber fair Küste selbst sicherzustellen. im Umgang zu sein. Ich hoffe, dass mir das in den aller- meisten Fällen gelungen ist. Das ist auch ein ganz wichtiger Beitrag im Sinne der Ertüchtigungsinitiative, die wir im Dezember in den (Beifall im ganzen Hause) Europäischen Rat einbringen wollen. Auch der Naviga- tionssimulator, den wir dort installiert haben und mit Schließlich will ich nach über 26 Jahren als Vertei- dem wir libanesische Soldaten ausbilden, ist eine ausge- digungspolitiker einen Dank aussprechen an unsere sprochen hilfreiche Anschaffung gewesen. Er hilft, dass Soldatinnen und Soldaten sowie an die zivilen Mitarbei- Soldaten im Libanon ausgebildet werden können. Wir terinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr, die aufopfe- helfen übrigens auch dadurch, dass wir libanesische Ka- rungsvoll ihren Dienst tun, sei es in der Hitze in Dschi- detten bei uns in Deutschland ausbilden. buti im Juli, sei es in der Kälte im Winter in Pristina, sei es im Staub in Afghanistan, sei es im Sturm im östlichen Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, dass wir im Mittelmeer bei UNIFIL, sei es beim Eindämmen des zivilen Bereich eine Menge tun. Auch darüber ist hier Hochwassers, sei es bei Übungen in der norddeutschen gesprochen worden. Der Außenminister und Sie, Herr Tiefebene bei flauem Regen oder auch bei langen Tagen Mützenich, haben es angesprochen. Die instabile Lage in am Schreibtisch oder an welchem Platz auch immer un- der Region werden wir eigentlich nur dann einigermaßen ser Land sie einsetzt. Sie leisten, finde ich, einen un- stabilisieren können, wenn es uns gelingt, ein Gleichge- schätzbaren Dienst an der Gemeinschaft. Lassen Sie uns wicht bei den Streitkräften zu schaffen. Dieses zu errei- den Soldaten nichts anderes einreden. Ich wünsche unse- chen, erfordert natürlich ein Mindestmaß an Stabilität. ren Soldatinnen und Soldaten und unseren zivilen Mitar- Deswegen werden wir die libanesische Marine auf dem beiterinnen und Mitarbeitern sowie ihren Familien Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31769

Thomas Kossendey (A) Glück, Gesundheit und immer eine unversehrte Heim- diese Syrien-Konferenz vorbereitet wird, Russland unter (C) kehr. den Augen der Weltöffentlichkeit ganz unverhohlen seine Absicht bekannt gegeben hat, sowohl MiGs als Herr Präsident, ich melde mich zum Ende der Legis- auch Flugabwehrraketen an das syrische Regime zu lie- laturperiode ab. fern?

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich nehme die Ich habe immer von allen Seiten verlangt, keine Waf- Meldung entgegen und wünsche Ihnen alles Gute für Ihr fen in die Region zu liefern. weiteres Leben. (Beifall) (Beifall bei der LINKEN) Nun hat Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Das gilt für Frankreich, das gilt für Großbritannien, und Linke das Wort. das gilt genauso für Russland. Ich habe Russland in die- ser Frage immer kritisiert. Ich glaube nicht, dass russi- (Beifall bei der LINKEN) sche Waffenlieferungen zur Stabilisierung der Situation beitragen. Das weiß man auch in Russland. Ich kann mit Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): gutem Gewissen kritisieren, weil ich alle kritisiere. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! An diesem Punkt hatte die Rede von Außenminister Ich möchte zu Beginn dieser Debatte, die sich durch die Westerwelle einen doppelten Boden. Er hat gesagt: Die Vorkommnisse rund um Syrien, den Krieg in Syrien, Bundesregierung ist gegen Waffenlieferungen; aber sie völlig verändert hat, zwei, drei Punkte benennen, bei de- geht partnerschaftlich mit den Ländern um, die Waffen nen aus meiner Sicht hier eine Übereinstimmung herbei- liefern. – Die Entscheidung von Frankreich und Großbri- geführt werden kann. tannien und das Versagen der Europäischen Union haben Ich bin entschieden dafür, dass man nur auf eine poli- zu einer Verschärfung der Krise beigetragen und unter tische Lösung setzt. Es kann und wird keine militärische anderem auch zum Abzug der österreichischen Truppen Lösung geben. Wenn man auf eine politische Lösung vom Golan geführt. Man muss die Partner klar auffor- setzt – das hat auch der Herr Außenminister betont –, dern – und mit gutem Beispiel vorangehen –, keine Waf- muss man an der internationalen Syrien-Konferenz fest- fen in den Nahen Osten zu liefern. Das kann man aber halten. Wenn diese Konferenz fallengelassen wird, wird nur fordern, wenn man selber glaubwürdig ist. Da darf die Waffengewalt in der ganzen Region nicht mehr zu man auch keine Panzer oder anderen Rüstungsgüter an stoppen sein. Ich wünsche mir hier, ehrlich gesagt, auch Saudi-Arabien oder Katar liefern; durch so etwas wird (B) (D) mehr Initiative der Bundesregierung, eine solche Konfe- man unglaubwürdig. renz zu befördern und auf Partnerinnen und Partner ein- (Beifall bei der LINKEN) zuwirken, ihre Position im positiven Sinne hinsichtlich des Stattfindens einer solchen Konferenz zu verändern. Ich möchte, dass wir auf eine politische Lösung set- zen, dass wir an der Syrien-Konferenz festhalten und et- Die geplante Syrien-Konferenz lebt davon, dass die was dafür tun, dass sie stattfindet. Ich habe viel mit der USA und Russland sie mit auf den Weg gebracht haben. nichtgewaltsamen syrischen Opposition über diese Fra- Ich will Ihnen aber auch sagen: Ohne eine Teilnahme des gen gesprochen; wir unterhalten gute und enge Bezie- Irans an dieser Konferenz wird kein stabiles Ergebnis zu hungen zu ihr. Von dort hören wir immer: Legt die Latte erreichen sein. Zu dieser Frage hat der Außenminister dafür, was ihr von der Konferenz erwartet, nicht zu nichts gesagt. Ich bitte sehr, darauf hinzuwirken, dass hoch! Wenn es gelänge, dass einige humanitäre Verabre- auch der Iran an dieser Konferenz beteiligt wird, auf der dungen getroffen werden, wäre das in der jetzigen Situa- man versuchen sollte, die Konfliktparteien zusammen- tion schon ein gewaltiger Erfolg. Es wäre schon gewal- zubringen. tig, wenn diese Konferenz überhaupt stattfindet. Ich befürchte – vieles erinnert mich an den Vorlauf Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: des Irakkrieges –, dass die Entscheidung der USA zu ei- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der nem Krieg führen kann. Wenn die USA anfangen, Waf- Kollegin Beck? fen zu liefern, bin ich einmal gespannt auf die Kritik der USA an den Waffenlieferungen aus Russland. Den Maß- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): stab, den Sie hier an Russland anlegen, müssen Sie dann Ja. auch an die USA anlegen. Ich kann nur sagen: Ich finde Obamas Entscheidung katastrophal. Es gibt keine stich- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: haltigen Hinweise dafür, dass die USA tatsächlich ge- Bitte schön, Kollegin Beck. prüft hätten, ob in Syrien Chemiewaffen eingesetzt wur- den. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass man das als Vorwand benutzt – diese Debatte läuft ja nicht erst seit Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE gestern –, um zu der getroffenen Entscheidung zu kom- GRÜNEN): men. Wir werden das Obama auch sagen, wenn er nach Herr Kollege Gehrcke, Sie haben auf das gemeinsame Berlin kommt. Interesse hingewiesen, das wir alle an einer politischen Lösung haben. Wie stehen Sie dann dazu, dass, obwohl (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ach so?) 31770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Wolfgang Gehrcke (A) – Natürlich. Ich freue mich schon auf die Demonstratio- der großen Anzahl der Flüchtlinge und wegen der Bedin- (C) nen. Obama sagt ja wie sein Vorgänger: Wir wollen gungen, unter denen die Flüchtlinge dort aufgenommen keine Kriege. werden. Ich bin froh, dass auch die Bundesrepublik be- reit ist, 5 000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Diese (Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Dimension hat der Herr Außenminister genannt. Wir Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ sind der Meinung, dass deutlich mehr Flüchtlinge bei DIE GRÜNEN]) uns aufgenommen werden könnten. Aber ich freue mich Was das UNIFIL-Mandat angeht, so habe ich hier im- auch, dass dazu in dieser Woche im Deutschen Bundes- mer vertreten: Dieses Mandat war notwendig, um den tag ein interfraktioneller Antrag verabschiedet wurde. Krieg zu beenden. – Wir wollten aber nie eine Teilhabe Darin heißt es, dass die Bundesregierung stärker über- deutscher Soldaten an diesem Mandat, und dabei bleibt prüfen möge, ob mehr Flüchtlinge aufgenommen wer- es. Wir werden gegen eine Verlängerung des Mandats den können. stimmen. Die Situation in Syrien ist tragisch. Die neueste offi- Der Libanon ist leider nicht stabilisiert worden, er ist ziell genannte Zahl der Toten liegt bei 93 000; voraus- heute labiler denn je. sichtlich ist ein Drittel dieser Opfer Kinder. Ich verstehe (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alle Menschen sehr gut, die jetzt zu dem Ergebnis kom- NEN]: Aber nicht wegen UNIFIL!) men: Angesichts dieser Horrorbilder und der schreckli- chen Taten, die von beiden Bürgerkriegsparteien mittler- – Nicht wegen des UNIFIL-Mandats, sondern weil man weile begangen werden, muss man doch den Mördern in politisch nichts zustande gebracht hat. Das ist das, was den Arm fallen. – Das Problem ist, dass kein Mensch man kritisieren muss. eine Ahnung hat, wie man diese Situation von außen mi- Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, was litärisch entschärfen kann, ohne dass die Situation noch man politisch machen kann! schlimmer wird. Herzlichen Dank. Eine Flugverbotszone würde bedeuten, dass Russland im Sicherheitsrat übergangen wird. Das ist im Übrigen (Beifall bei der LINKEN) das, was der Kollege Schockenhoff in seiner Presse- erklärung fordert. Er sagt, dass man Russland übergehen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: muss. Das wird nach meiner Auffassung nicht dazu füh- Das Wort hat nun Omid Nouripour für die Fraktion ren, dass eine diplomatische Lösung einfacher wird, im Bündnis 90/Die Grünen. Gegenteil. (B) Diejenigen, die Waffen liefern wollen, müssen zwei (D) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fragen beantworten: Erstens. Wer sammelt diese Waffen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den nach dem Konflikt wieder ein? Wir haben hier häufig letzten Jahren haben wir häufig in gewöhnlichen Bahnen über Mali diskutiert. Diese Diskussionen hätten nicht über UNIFIL diskutiert. UNIFIL leistet einen Beitrag stattgefunden, wenn die Waffen in Libyen nach dem Kon- zum Frieden und hat dazu beigetragen, den Krieg zwi- flikt hätten eingesammelt werden können. Die zweite schen der Hisbollah auf der einen Seite und Israel auf der Frage lautet: Wie kann man, wenn man Waffen liefert, anderen Seite zu beenden. UNIFIL leistet einen Beitrag verhindern, dass Russland und Iran nicht noch mehr Waf- dazu, dass auf dem Seeweg keine Waffen in den Libanon fen als bisher nach Syrien liefern und sich die Eskalation geschmuggelt werden können. Im Rahmen von UNIFIL fortsetzt? wird darüber hinaus die libanesische Marine ausgebildet. Alle diese Überlegungen finden vor dem Hintergrund Dass die Obergrenze für dieses Mandat von des möglichen Chemiewaffeneinsatzes statt. Es ist gut, 1 200 Soldatinnen und Soldaten auf 300 gesenkt werden dass das überprüft werden soll. Ich bin auf die Beweise konnte, ist ein Beleg dafür, dass diese Mission erfolg- sehr gespannt. Mir fehlt, ehrlich gesagt, bisher die Fanta- reich ist. Ich möchte den Soldatinnen und Soldaten und sie, mir auszumalen, welche Instanz unabhängig vor Ort ihren Familien für ihren Beitrag dazu herzlich danken. Proben hat entnehmen können, die belegen, dass Che- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN miewaffen in einem Kampf zum Einsatz gekommen sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und sind; denn das ist der zentrale Punkt. der SPD) Die Konfessionalisierung und Regionalisierung des Die Diskussion, die heute geführt wird, ist keine nor- Konflikts schreiten immer weiter voran, was auch Aus- male und gewöhnliche Diskussion. Das liegt an der Situa- wirkungen auf die Situation im Libanon hat, die zuneh- tion in Syrien; das ist mehrfach gesagt worden. Gerade mend instabiler wird. Es ist notwendig, dass wir alle weil die Situation in Syrien so ist, ist eine friedenserhal- möglichen Anstrengungen unternehmen, damit es zu ei- tende UN-Mission heute in der Region nicht mehr selbst- ner Verhandlungslösung kommt. verständlich. Dass es Probleme gibt, sieht man an dem Ich muss eingestehen, dass auch bei mir selbst eine Abzug der österreichischen Soldaten vom Golan. In die- riesige Ratlosigkeit herrscht, was Syrien betrifft. Es ist ser Situation spielt UNIFIL eine besondere Rolle. beklemmend, wenn man sich die Bilder anschaut. In der Gerade weil die Situation so besonders ist, braucht Situation, in der wir uns befinden, müssen wir alle Maß- der Libanon unsere Hilfe. Er braucht unsere Hilfe wegen nahmen – und wenn sie noch so gering sind – ergreifen, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31771

Omid Nouripour (A) die wir ergreifen können. Das bedeutet: humanitäre (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Hilfe, Hilfe für die Flüchtlinge. Dazu gehört auch, eine NEN]: Richtig!) Plattform zu bieten, wo über eine Lösung diskutiert wird. Dazu dient zum Beispiel die geplante internatio- Wer in einer solchen Situation die kleinen Ansätze für nale Konferenz. Das ist ein kleiner Beitrag, um wenigs- die Möglichkeit einer Konferenz, die es jetzt gab, infrage tens halbwegs stabilisierend einzuwirken. stellt – auch wenn die Hürden dafür groß sind und die Antworten auf die Fragen, wer wirklich zu involvieren UNIFIL leistet einen Beitrag zur Stabilisierung des ist und wie das geschieht, nicht klar sind –, der, glaube Libanon, und dafür kann ich nur meine Dankbarkeit zum ich, versündigt sich in einer Art und Weise an einer Lö- Ausdruck bringen. sung, die man gar nicht schlimm genug beschreiben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann; denn jeder weitere Monat, jede weitere Woche und und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der sogar jeder weitere Tag ist eine humanitäre Katastrophe CDU/CSU) und führt in dieser Region zu einer weiteren Destabili- sierung und zu einer Auflösung von Strukturen, die in diesem Raum, wenn auch schwach, noch immer in der Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Lage waren, politisch zu tragen und Staaten handlungs- Das Wort hat nun als letzter Redner zu diesem Debat- fähig zu machen – wie auch immer wir dazu standen. tenpunkt Kollege Erich Fritz für die CDU/CSU-Frak- tion. Ich bin deshalb sehr für UNIFIL; aber es gibt nichts (Beifall bei der CDU/CSU) anderes als den Appell an die Mitglieder des Sicherheits- rates, vor allen Dingen an die, die das vorantreiben müs- sen, aber auch an die, die jetzt nur abwarten. China Erich G. Fritz (CDU/CSU): könnte eine Rolle spielen, weil es mit seinen guten Be- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ziehungen zum Iran einen Einflusskanal wie kaum ein Zum Mandat selbst ist das Wesentliche gesagt worden. anderer Staat hat. Ich sehe aber keine Aktivitäten. Wer Rolf Mützenich, Staatssekretär Kossendey, der Herr diesem Schauspiel weiter zuschauen kann, der gehört Minister und Omid Nouripour haben das dargelegt. Wir nicht in die internationale Gemeinschaft, der stellt sich unterstützen die Mission aus den Gründen, die vorgetra- abseits dieser internationalen Gemeinschaft, die in der gen worden sind. UN-Charta manifestiert ist.

Als ich am 19. Dezember 1990 zur Eröffnung des ers- Meine Damen und Herren, jetzt kommt ein schwerer ten gesamtdeutschen Bundestages dieses Haus betrat, Übergang. Das ist nämlich meine letzte Rede im Deut- noch in einem anderen Zustand als jetzt, und der Rede (B) schen Bundestag. (D) des Alterspräsidenten Willy Brandt zuhörte, die sehr an- gemessen und sehr politisch für die damalige Zeit war, Wie man sich leicht vorstellen kann, möchte ich herz- war mir nicht klar, dass ich in meiner Bundestagszeit lichen Dank sagen. Zum einen möchte ich all meinen über so viele Auslandseinsätze abstimmen muss. Mitarbeitern in dieser Zeit danken, die mit großer Quali- Wenn ich die Bilder von Syrien sehe, dann befällt tät und großer Leidenschaft geteilt haben, was ich ge- mich die gleiche unerträgliche Qual, die mich befiel, als macht habe. Zum anderen möchte ich mich beim ganzen der Krieg auf dem Balkan passierte. Auf dem Balkan Haus und bei meiner gesamten Fraktion dafür bedanken, hatten wir aber eine Option, nämlich den Eingriff von dass ich so sein durfte, wie ich bin, dass sie mich bei außen, und man konnte einigermaßen unterscheiden, wer meinen Leidenschaften, denen ich gefolgt bin, zufrie- auf welcher Seite stand, wer die Guten und wer die Bö- dengelassen haben und dass ich das in einer Art und sen waren. Weise tun durfte, die mir sehr entgegenkam. Wenn ich mir anschaue, was in Syrien geschieht, dann Die Themen, die wir hier gemeinsam häufig bespro- ist das überwiegende Gefühl eben doch Ratlosigkeit. Ich chen haben, sind für die Menschen viel wichtiger, als sie glaube nicht, dass es ein guter Dienst ist, wenn jetzt die meinen. Es sind meistens keine Themen, die zum Bei- amerikanischen Vorschläge in den Mittelpunkt der Dis- spiel im Wahlkreis eine Rolle spielen; aber es ist unend- kussion rücken oder wenn gar die vielleicht sogar nur in- lich wichtig, dass wir in dieser Welt zu Regeln kommen, nenpolitisch motivierten Gefechte zwischen Regierung die über die Staatsgrenzen hinaus tragen. Das gilt für fast und Opposition in den USA bei uns aufgegriffen wür- alle Politikbereiche. den, um das eigentlich notwendige Ziel der Diskussion bei uns aus dem Blick zu bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Herr Außenminister hat mit Recht gesagt: Es kann keine Alternative zu einer politischen Lösung ge- Deshalb bedanke ich mich für das Engagement, das ben, und wir können keine Waffen liefern. – Denn jeder gerade in diesen Fragen in diesem Haus immer wieder von uns weiß, dass dann, wenn der hier sinnvollerweise zu spüren ist und auch zum Ausdruck kommt, auch gemachte Vorschlag, den internationalen Kriegsverbre- wenn wir dabei nicht immer einer Meinung sind. Es cherprozess schon einmal vorzubereiten, in die Tat um- wäre doch schlimm, wären wir bei all diesen Fragen ei- gesetzt würde, dort vermutlich Täter von allen Seiten sit- ner Meinung. Dann brauchten wir diese Einrichtung zen müssen. nicht, die so notwendig ist. Denn wie sagt Norbert 31772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Erich G. Fritz (A) Lammert immer: Regiert wird überall; es kommt darauf zähle, möchte auch ich die Gelegenheit nutzen, Herrn (C) an, ob es ein Parlament gibt, in dem die Minderheit ge- Kossendey und Herrn Fritz herzlich für die langjährige achtet wird. Zusammenarbeit zu danken. Ich wünsche Ihnen beiden viel Glück, viel Gesundheit und viel Aktivität im Unru- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr hestand. Alles Gute! richtig!) Das, so glaube ich, praktizieren wir vorbildhaft, auch (Beifall im ganzen Hause) wenn es uns nicht immer gelingt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Februar Ich wünsche Ihnen und wünsche dem Deutschen dieses Jahres haben wir in großer Einigkeit die deutsche Bundestag für die Zukunft viel Erfolg, auf dass die Deut- Unterstützung für die Mission der Afrikanischen Union schen ihren erfolgreichen Weg weitergehen können, die in Mali, AFISMA, beschlossen. Ich habe bereits damals, Menschen mit Vertrauen auf die Politik schauen und wir als ich das Mandat eingebracht habe, darauf hingewie- auch in Zukunft dazu beitragen können, dass es Lösun- sen, dass die Mission AFISMA in eine Mission der Ver- gen auf dieser Welt gibt und nicht nur neue Konflikte. einten Nationen überführt werden könnte. Am 25. April 2013 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Vielen Dank. genau das beschlossen. Jetzt sollen die Aufgaben von (Beifall im ganzen Hause) AFISMA auf MINUSMA übertragen werden. Der Ein- satz der internationalen Unterstützungsmission AFISMA Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: endet damit. Die Personalobergrenze von 150 Soldatin- Kollege Fritz, auch ich wünsche Ihnen alles Gute. nen und Soldaten soll wie bisher weitergelten und über- Herzlichen Dank für Ihre Arbeit. führt werden. (Beifall) Mali hat erste Schritte auf dem Weg zur Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung und zur demokratischen Ich schließe die Aussprache. Regierungsführung sowie zur nationalen Einheit unter- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf nommen. Ich betone ausdrücklich alle drei Dinge, weil Drucksache 17/13753 an die in der Tagesordnung aufge- diese zusammengehören. Die Sicherheitslage hat sich im führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Norden Malis im Vergleich zum Februar verbessert, aber verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung sie bleibt fragil. so beschlossen. Ein wichtiger nächster Schritt ist die Durchführung Ich rufe Tagesordnungspunkt 68 auf: freier, fairer, transparenter und vor allen Dingen inklusi- (B) (D) Beratung des Antrags der Bundesregierung ver Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Hierzu be- darf es einer möglichst weitgehenden Wiederherstellung Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur der staatlichen Autorität auch im Norden. Ich kann Ihnen Beteiligung an der Multidimensionalen Integrierten versichern, dass sich die malische Regierung nach Ein- Stabilisierungsmission in Mali (MINUSMA) auf schätzung der Bundesregierung tatsächlich in intensiven Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Sicher- und ernsthaften Gesprächen mit Vertretern der Bevölke- heitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013 rungsgruppen im Norden befindet. Der Zeitplan aber ist – Drucksache 17/13754 – ehrgeizig. Die Durchführung der Wahlen wird sicherlich nicht einfach. Der Kreis, der zu dieser Stunde der De- Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f)  batte folgt, weiß, welche rein praktischen und nicht nur Rechtsausschuss politischen Probleme damit verbunden sind. Die Ver- Verteidigungsausschuss schiebung der Wahlen um einige Wochen könnte nötig Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe werden; ich sage das ausdrücklich im Konjunktiv. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wille zur baldigen Durchführung der Wahlen muss aber Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union klar erkennbar sein. Das ist auch unsere Botschaft an un- Haushaltsausschuss sere malischen Partner. gemäß § 96 GO Wichtig ist, dass die Wahlen auch in der Region Kidal Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die stattfinden können, die noch von der Tuareg-Rebellen- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre organisation MNLA kontrolliert wird. Der von der mali- keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. schen Regierung eingeleitete Prozess des Dialogs und Ich eröffne die Aussprache und erteile Bundesaußen- der Versöhnung, den Deutschland aktiv unterstützt, wird minister Guido Westerwelle das Wort. auch nach den Wahlen eine langfristige Aufgabe und notwendig und sinnvoll bleiben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) MINUSMA ist vor dem Hintergrund der Herausfor- Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- derungen in Mali breiter und umfassender angelegt, als wärtigen: AFISMA es war. Dies umfasst die Stabilisierung wichti- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ger Bevölkerungszentren. Es beinhaltet die Unterstüt- ren! Kolleginnen und Kollegen! Da ich selber zu den zung bei der Wiederherstellung der staatlichen Autorität etwas dienstälteren Mitgliedern dieses Hohen Hauses im ganzen Land und ausdrücklich auch die Unterstüt- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31773

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) zung für die Umsetzung des Fahrplans für den Über- Bei diesem Mandat, über das wir heute reden, geht es (C) gang, einschließlich des nationalen politischen Dialogs. darum – das hat der Außenminister eben dargestellt –, eine bereits bestehende Mission in eine UN-mandatierte Der deutsche Beitrag wird geschätzt; das ist mir per- Mission mit einem größeren Aufgabenbereich zu über- sönlich in der letzten Woche in New York noch einmal führen. Wir sollten uns dies noch einmal kurz vor Augen versichert worden. Den Respekt und den Dank für un- führen; denn mit diesem Einsatz und mit der Beteiligung sere Landsleute im Einsatz möchte ich noch einmal aus- an MINUSMA unterstützt die Bundesregierung die Be- drücklich erwähnen und ihn gegenüber den Soldatinnen mühungen der internationalen Gemeinschaft, zur Stabili- und Soldaten zum Ausdruck bringen. Unsere Frauen und tät in Afrika, insbesondere in dieser Region Afrikas, bei- Männer in Uniform, sie leisten Großartiges! zutragen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Die Mission, über die wir heute reden, wird nach der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) im Kongo die zweitgrößte Mission sein. Das macht, wie Das deutsche Engagement für Mali ist umfassend. ich finde, sehr deutlich, dass die Vereinten Nationen die Anlässlich der Geberkonferenz für Mali am 15. Mai in Bedeutung Afrikas erkennen und sich für diesen Konti- Brüssel hat die Bundesregierung, vertreten durch Minis- nent starkmachen. Deutschland beteiligt sich derzeit mit ter Niebel, Mittel in Höhe von insgesamt 100 Millionen 180 Soldatinnen und Soldaten ebenfalls an der EUTM- Euro für 2013 und 2014 zugesagt. Wir haben diese Zu- Mission, mit der Europa zur Ausbildung der malischen sage ausdrücklich an Fortschritte im Transitionsprozess Armee beitragen will und die Armee in die Lage versetzt geknüpft. Darüber hinaus unterstützt Deutschland seit wird, ihre Fähigkeiten zu festigen. Jahren mit humanitären Maßnahmen die Menschen in Die derzeit afrikanisch geführte Mission AFISMA Mali wie auch malische Flüchtlinge in der Sahelzone. wird durch MINUSMA ersetzt und wird unter Führung Ich bin dankbar für die Einigkeit zwischen der Koali- der Vereinten Nationen zum 1. Juli 2013 starten. Die bis- tion und den überwiegenden Kräften der Opposition herigen Kernaufgaben – der Minister hat darauf hinge- über die Grundlinien der deutschen Mali-Politik. Ich wiesen – bleiben erhalten. Zusätzlich kommen weitere hoffe, dass uns diese Einigkeit auch bei der Beratung Hilfen, auch logistische Unterstützung, dazu. Führungs- und Verabschiedung von MINUSMA leitet. Ich bitte Sie und Verbindungsaufgaben sowie Stabsfunktionen, die um eine breite Unterstützung für dieses Mandat. bislang nicht vorgesehen waren, werden ebenfalls in diese Mission einfließen. Insgesamt 11 200 Soldaten und Ich will nochmals ausdrücklich sagen – damit das hier bis zu 1 440 Polizisten, die hauptsächlich aus den nicht als eine Routineangelegenheit am Freitagnachmit- ECOWAS-Staaten rekrutiert werden, soll die neue Mis- (B) tag verstanden wird –: Die Lage hat sich verbessert. sion umfassen. Dagegen erscheinen 150 Beteiligte ei- (D) Aber sie bleibt unverändert fragil und ernst. Vor diesem gentlich sehr wenig. Aber ich denke – auch das sollte Hintergrund ist sich, denke ich, jeder bewusst, dass die man an dieser Stelle anerkennen –, Deutschland leistet in Überführung dieses Mandates ein ernster und verantwor- diesen Bereichen wesentlich mehr und hat nicht zuletzt tungsvoller Vorgang ist. Dennoch beantragen wir sie auch die Entwicklungszusammenarbeit wieder aufge- hier, weil wir davon überzeugt sind, dass der Einsatz nommen, um mit dazu beizutragen, dass es den Men- vernünftig ist, dass er erfolgversprechend ist und dass schen insgesamt besser geht. dies ein wichtiger Beitrag ist, um die Afrikaner zu befä- higen, in Afrika selbst für die Lösung ihrer Probleme die Es bleibt das Ziel, Mali zu stabilisieren, um mit der entscheidende Verantwortung zu übernehmen. Stabilisierung Malis die Region insgesamt stabil zu hal- ten und einen wichtigen Beitrag in Afrika zu leisten. Ich Vielen Dank. meine aber auch und unterstreiche das ausdrücklich – es ist eben schon gesagt worden –: Es kann nicht darum ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hen, ständige militärische Präsenz aufrechtzuerhalten, sondern es muss darum gehen, dass die politischen Pro- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: bleme in Mali, die in der Region entstanden sind, wie Das Wort hat nun Ullrich Meßmer für die SPD-Frak- das mögliche Auseinanderfallen im Norden, auch poli- tion. tisch gelöst werden. Das wird nicht allein militärisch ge- hen, sondern dies schafft nur die Voraussetzung dafür. (Beifall bei der SPD) Die Regierung Malis hat dafür einen Fahrplan be- schlossen, eine sogenannte Roadmap, die es zu unter- Ullrich Meßmer (SPD): stützen gilt. In erster Linie geht es darum – auch das ist Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- schon angesprochen worden –, die staatlichen Autoritä- gen! Meine Damen und Herren! Herr Außenminister, ten durch Wahlen zu legitimieren. Dass es sehr ambitio- dass das hier keine Routineangelegenheit ist, will ich niert ist, bereits im Juli Wahlen durchzuführen, sehe ich ausdrücklich unterstreichen. Das zeigt auch die starke ähnlich. Man darf auch nicht darauf hoffen, dass man sie Präsenz der Bundesregierung: Drei Minister sind in der unendlich verschieben kann. Aber man muss zumindest Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt anwesend. Ich sicherstellen, dass bei den stattfindenden Wahlen alle glaube, auch das sollte einmal herausgestellt werden; betroffenen Gruppen einbezogen sind, dass zum Beispiel denn es macht deutlich, wie wichtig diese internationa- die Flüchtlinge, die aus dem Norden weggegangen sind, len Fragen für uns sind. eine entsprechende Möglichkeit bekommen oder auch 31774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Ullrich Meßmer (A) diejenigen, die bislang an der Vorbereitung des Wahlpro- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) zesses noch nicht beteiligt sind. Denn nur dann, wenn DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der die betroffenen Gruppen auch an der Wahl beteiligt sein CDU/CSU und der FDP) können, haben sie Einfluss auf die politische Entwick- lung in Bamako und damit auch auf die staatliche Auto- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: rität. Nur so erreicht man Akzeptanz für die künftige Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidi- Entwicklung in Mali selbst. gung Thomas de Maizière. Bislang haben sich nämlich der Ausnahmezustand im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Norden und der Ausnahmezustand in Bamako wechsel- neten der FDP) seitig bedungen. Nur durch die gemeinsamen Wahlen sehe ich zumindest die Chance, hier wieder eine gemein- Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver- same Position zu beziehen. Erst ein befriedeter Norden teidigung: und die territoriale Integrität Malis schaffen die Räume, in denen auch unsere Entwicklungszusammenarbeit die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie der Außenminister möchte ich mich im Namen der Früchte trägt, die wir uns von ihr erhoffen. Die EU und Bundesregierung herzlich dafür bedanken, dass sich eine Deutschland haben dies immer wieder deutlich gemacht. breite Zustimmung zu diesem Mandat abzeichnet. Das Es geht auch nicht nur darum, immer nur die politisch- war auch schon beim Mandat für die durch die Europäi- militärische Stabilität im Blick zu haben, sondern auch sche Union betriebene Ausbildung in Mali der Fall. Das um die Lebensqualität und die Lebenswirklichkeit der ist, glaube ich, gut. Menschen, die in diesen Ländern leben. Immerhin geht es hier um eine Resolution der Verein- Von daher bauen wir darauf, dass es mit der Roadmap ten Nationen unter Berufung auf Kapitel VII der Charta der malischen Regierung und mit der Unterstützung der der Vereinten Nationen, also um ein robustes Mandat. Vereinten Nationen und insbesondere der in dieser Re- MINUSMA wird nicht nur die Verantwortung der bishe- gion bzw. in der Nachbarschaft befindlichen Staaten ge- rigen afrikanischen Mission AFISMA übernehmen; die- lingen kann, wieder ein stabiles und sich selbst tragendes ser Einsatz ist breiter: Er reicht von der Stabilisierung Mali herzustellen. Denn das ist wichtig für die Stabilität wichtiger Bevölkerungszentren über die Unterstützung in dieser Region, und das haben, glaube ich, auch die bei der Wiederherstellung der staatlichen Autoritäten im Anrainer erkannt, die dieses Mandat entsprechend mit ganzen Land, über die Unterstützung bei der Umsetzung unterstützen. des politischen Fahrplans für den Übergang einschließ- (B) lich des politischen Dialoges und des Wahlprozesses, (D) Wir, unsere Fraktion, unterstützen dieses Mandat, über den Schutz von Zivilpersonen und des Personals weil wir es für notwendig halten. Es dient dem Schutz der Vereinten Nationen, über die Förderung und den der Zivilbevölkerung, und es wird nötig sein, um Rache- Schutz der Menschenrechte, über die Unterstützung für akte verschiedener militanter Gruppen und von Teilen humanitäre Hilfe bis hin zur – Sie haben es gesagt, Herr des Militärs im Norden zu verhindern. Es muss dem Abgeordneter Meßmer – Unterstützung beim Erhalt von Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verein- Kulturgütern. All das ist in dem Mandat der Vereinten ten Nationen dienen, genauso wie der Unterstützung und Nationen erwähnt. Hinzu kommt schließlich die Unter- dem Schutz derjenigen, die im Bereich der humanitären stützung für die nationale und internationale Justiz. Es Hilfe dort tätig sind und die ebenfalls ein sicheres Um- ist also ein breiter und vernetzter Ansatz, wie wir ihn im- feld brauchen. mer für richtig halten. Deswegen unterstützen wir ihn gerne. Dieses Mandat muss dem Erhalt des Kulturguts, das während der Auseinandersetzung bereits teilweise zer- Wir machen das in der gleichen Größenordnung wie stört wurde, dienen. Es muss Aufbauarbeiten und den für AFISMA. Wir stellen also bis zu 150 Soldatinnen Zugang dazu wieder ermöglichen. Nicht zuletzt brau- und Soldaten zur Verfügung. Das bezieht sich auf Luft- chen wir dieses Mandat für den Aufbau und die Unter- transport, logistische Unterstützung, Einzelpersonen für Hauptquartiere und Stäbe der Vereinten Nationen, stützung einer funktionierenden Justiz und eines funktio- Experten für Verbindungs- und Beratungsaufgaben, nierenden Sozialsystems. Für mich trägt der Anteil, den technische Unterstützung für truppenstellende Nationen Deutschland in diesem Mandat leistet, mit dazu bei, dass und auch auf Luftbetankung – wir haben darüber, wie der Schutz und die Förderung der Menschenrechte in Sie wissen, im Zusammenhang mit AFISMA diskutiert –; dieser Region nicht nur ein Wunsch bleiben, sondern sie kann nun weiterhin unter den Rahmenbedingungen Wirklichkeit werden können. Dieses Mandat bedeutet der MINUSMA-Resolution stattfinden. Mit dieser Un- für mich auch, einen wichtigen Schritt zu tun, um eine terstützung tragen wir dazu bei, dass das neue UN-Man- humanitäre Katastrophe, wie sie in anderen Teilen dieser dat von Beginn an auf ein solides Fundament gestellt Region stattfand, zu verhindern. Von daher werden wir wird. in den Beratungen den Antrag der Bundesregierung un- terstützen. Ich habe davon gesprochen, dass dieses Mandat unter Berufung auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Na- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit auch an tionen ausgeführt wird. Wenn wir um die Zustimmung diesem späten Nachmittag. zu diesem Mandat bitten, dann heißt das eben auch, dass Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31775

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) das Gründe hat: Dieser Auftrag kann risikoreich sein. Betreiben des Premiers die Immunität entzogen werden. (C) Auch der Außenminister hat davon gesprochen. Sieht so eine Politik der Versöhnung aus? Wie sollen in der Situation Wahlen stattfinden? Wie bei dem Mandat für EUTM Mali, also dem Man- dat für die Ausbildungsmission der Europäischen Union, Die Wahrheit ist: Der Einsatz der Bundeswehr hilft will ich darauf aufmerksam machen: Dies ist kein Spa- nicht der Bevölkerung, er unterstützt vielmehr ein Klima ziergang. Wir können keine verlässliche Aussage über der Repression in Mali. Das hat auch einen Grund. Wie die Dauer dieses Mandates machen. Es ist jetzt auf ein so oft geht es nicht um die Stabilisierung der Demokra- Jahr befristet. So sehen es auch die Vereinten Nationen. tie. Ihnen geht es um die Stabilisierung eines Regimes, Wir haben gelernt: Wir brauchen Geduld in Afrika. Das das westlichen Firmen den Zugriff auf Malis Wirtschaft wird und kann schwierig werden. Deswegen sage ich be- und Bodenschätze erlaubt. reits jetzt: Wir haben gelernt, dass der Beginn von Mis- sionen nicht mit überschwänglichen Erwartungen be- Fast ganz Mali ist in rechteckige Gebiete aufgeteilt, gleitet werden sollte; vielmehr müssen wir nüchtern und für die Lizenzen zur Rohstoffgewinnung vergeben wer- realistisch auch die Chancen und Risiken, die darin be- den. Es geht auch darum: Die Bundeswehr soll einen stehen, betrachten. Fuß in der Tür haben, damit die deutschen Konzerne in Zukunft nicht leer ausgehen, wenn in der Region neue Umso mehr bitten wir um eine verantwortungsvolle Rohstoffquellen erschlossen werden. Beratung und dann auch um eine Zustimmung in Kennt- nis und Bewusstsein, dass hier keine leichte Aufgabe (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das Bild nicht nur auf die deutschen Soldatinnen und Soldaten, muss immer passen!) sondern auf alle, die im Auftrag der Vereinten Nationen dort tätig sind, zukommt. Es gibt einige davon. In Mali gibt es reiche Vorkommen an Gold, Kupfer, Eisen, Diamanten, Granat, Erdgas, Ich möchte gerne die Gelegenheit nutzen, zu Herrn Phosphat, Bauxit und Erdöl. Aus Niger – die Förderung Fritz ein Wort zu sagen. Uns beide verbindet nicht nur findet an der malischen Grenze statt – kommen 40 Pro- politisch, sondern auch fußballerisch eine Leidenschaft. zent des Urans für die französischen Atomkraftwerke. Das will ich jetzt aber nicht vertiefen. Zu Herrn Auch im malischen Boden wird Uran vermutet. Was Kossendey möchte ich nur sagen: Er hat zwar jetzt seine heißt das konkret? Beispielsweise soll in der malischen letzte Rede gehalten, aber seine Amtszeit als Parlamen- Gemeinde Falea eine Uranmine gebaut werden. Sie tarischer Staatssekretär ist so schnell noch nicht vorbei. droht Landwirtschaft, Umwelt und kulturelles Erbe zu Ihnen beiden alles Gute und Gottes Segen! zerstören sowie das Grundwasser zu vergiften. Dagegen wehren sich die Einwohner Faleas. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (D) bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Meine Damen und Herren, ich unterstütze die interna- NISSES 90/DIE GRÜNEN) tionale Kampagne zur Rettung Faleas gegen die Berg- baukonzerne. Sie unterstützen in der Sahelzone einen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Krieg zur Sicherung der französischen Atomwirtschaft Das Wort hat nun Christine Buchholz für die Fraktion und von Bergbaukonzernen. Das ist der Unterschied Die Linke. zwischen Ihrer und unserer Politik. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner Christine Buchholz (DIE LINKE): [Berlin] [FDP]: Ist das auch Ihre Abschieds- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Was rede heute?) heute in Mali passiert, ist eine neue Etappe einer Politik, die die Erbeutung der Rohstoffe des Kontinents zum Ziel Der Bundestag möchte den seit Februar laufenden hat.“ Einsatz der Bundeswehr in Mali im Rahmen des Man- dats AFISMA praktisch unverändert fortführen. Es (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ach, Frau kommt lediglich ein neues Etikett darauf, das UNO- Buchholz! Verschonen Sie uns!) Etikett. Man könnte doch meinen, dass an dieser Stelle – So kommentiert die ehemalige malische Ministerin für einmal Bilanz gezogen wird: Was haben denn die fran- Kultur, Aminata Traoré, den derzeit laufenden interna- zösischen Kampfflugzeuge gemacht, die von der Bun- tionalen Militäreinsatz in ihrem Land. deswehr im Einsatz aufgetankt worden sind? Welche Ziele haben sie bombardiert? Wie viele Tote hat es gege- Die Bundeswehr unterstützt die Armee der ehemali- ben? Weder im Antrag noch im Ausschuss noch hier im gen Kolonialmacht Frankreich bei der dauerhaften Be- Plenarsaal gab es ein Wort dazu. Da drängt sich doch der setzung des Landes. Traoré sowie andere Malierinnen Eindruck auf, dass es Teil Ihrer Politik ist, die Opfer des und Malier wehren sich dagegen. Einsatzes zu verschweigen. Dass sich SPD und Grüne (Beifall bei der LINKEN) damit zufriedengeben, finde ich erbärmlich. Sie stellen der Bundesregierung gewissermaßen einen Freibrief für Wie passt die Tatsache, dass die Regierung in Bamako einen Einsatz aus, von dem keiner weiß, wer oder was erneut den Ausnahmezustand bis in den Juli hinein ver- genau bombardiert wird. längert hat, zur positiven Bilanz, die Sie seit Beginn des Einsatzes ziehen? Neun oppositionellen Abgeordneten Aminata Traroé sagt: „Mali wird gedemütigt. Wir – darunter sechs aus dem malischen Norden – soll auf werden Zeuge der Militarisierung der Gesellschaft.“ – 31776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

Christine Buchholz (A) Meine Damen und Herren, an dieser Demütigung betei- Waffen niederzulegen und sich wieder in den malischen (C) ligt sich die Linke nicht. Staat zu integrieren. (Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder Angesichts dieser Lage wächst im restlichen Mali die [CDU/CSU]: Schämen Sie sich, Frau Wut. Aus Kidal gibt es Nachrichten, nach denen Teile Buchholz!) der schwarzafrikanischen Bevölkerung von den hellhäu- tigen Tuareg misshandelt und vertrieben werden, mit der Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Begründung, sie seien Spione der malischen Armee. Das Wort hat nun Katja Keul für Bündnis 90/Die Grü- Hier wird Hass gesät, wo Mali dringend Versöhnung nen. bräuchte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Wir haben keine Angst vor Wahlen. Aber wir wählen Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem gemeinsam und überall. – Das war die eindrückliche MINUSMA-Mandat wird es erstmals einen weiteren Botschaft einer Delegation malischer Abgeordneter in UN-geführten Bundeswehreinsatz neben UNIFIL geben. der letzten Woche hier in Berlin. Solange die malische Wir Grünen haben immer – auch in personeller Hinsicht – Armee nicht nach Kidal dürfe, so lange könne es keine eine stärkere Unterstützung der UNO gefordert. Wir be- Präsidentschaftswahlen geben, hieß es. grüßen daher die Überführung des im Februar beschlos- Die Sorgen der Franzosen, es könnte zu Racheakten senen Mandats zur Unterstützung der afrikanischen der malischen Armee an den Tuareg in Kidal kommen, AFISMA in eine UN-Friedensmission. sind sicherlich nicht völlig unbegründet. Immerhin war Die bereits mandatierte Beteiligung der Bundeswehr es ein Massaker an malischen Soldaten genau in dieser bleibt mit bis zu 150 Soldaten für Lufttransport und Region, das Anfang 2012 einer der Auslöser des Put- Luftbetankung unverändert. Sie unterstützen die etwa sches war. Unter Einbindung der internationalen Trup- 10 000 Soldaten aus den Nachbarländern Malis. Diese pen und unter dem Dach der UNO sollte das Risiko aber Truppen sind bereits seit April auch im Norden Malis beherrschbar sein. Der jetzige Zustand in Kidal ist es in präsent und sollen gemeinsam mit der malischen Armee dieser Form nicht mehr lange. die befreiten Städte sichern, damit die Flüchtlinge aus Ich rege dringend an, dass die Bundesregierung ge- dem Süden und den Nachbarstaaten in ihre Heimat zu- genüber unseren französischen Partnern Stellung bezieht rückkehren können. und sich für eine volle Wiederherstellung der malischen Souveränität einsetzt. (B) Viele trauen sich noch nicht zurück, weil sie erlebt ha- (D) ben, dass die staatlichen Sicherheitskräfte sie nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schützen konnten. Viele sind traumatisiert. Die gesamte Infrastruktur im Norden ist zerstört. Die Rückkehrer fin- Wie wichtig es ist, das staatliche Gewaltmonopol den keinen Wohnraum, keine Elektrizität, keine Schulen wiederherzustellen, wenn Frieden gelingen soll, zeigt und keine staatliche Verwaltung. das Beispiel des Nachbarlandes Libyen. Dort ist es seit Ende des NATO-Einsatzes nicht gelungen, die Milizen Es wird für Mali eine Riesenherausforderung, die ge- zu entwaffnen. Am Montag hörten wir erstmals wieder planten Präsidentschaftswahlen am 28. Juli so zu organi- von Kämpfen, bei denen 30 Menschen starben und Hun- sieren, dass auch die Flüchtlinge aus dem Norden daran derte verletzt wurden. Ein stärkeres ziviles Engagement teilnehmen können. wäre dort jetzt dringend nötig. Die internationale Ge- Verschärft wird diese Herausforderung durch die Si- meinschaft scheint immer nur dorthin zu schauen, wo tuation in der Region Kidal, die nach wie vor nicht unter das Militär bereits im Einsatz ist, und wundert sich, wa- der Kontrolle der malischen Sicherheitskräfte steht und rum sie mit ihren Friedensmaßnahmen immer zu spät zunehmend für Spannungen zwischen den Maliern und kommt. den Franzosen sorgt. Sosehr die Malier dankbar dafür Mali kann im Gegensatz zu Libyen auf 20 Jahre de- sind, dass französische Truppen den Terror beendet ha- mokratischer Kultur zurückgreifen: arm, aber liberal und ben, so wichtig ist es ihnen aber auch, dass sie die Sou- religiös tolerant. Hoffen wir, dass den Maliern die Ver- veränität über ihr eigenes Staatsgebiet vollständig wie- söhnung gelingt und die Menschen den Terror des Jahres dererlangen. In Kidal herrscht derzeit die MNLA, die 2012 überwinden lernen! Mit dem vorliegenden Mandat Anfang letzten Jahres den unabhängigen Staat Azawad wollen wir sie dabei unterstützen. ausgerufen hatte und damit den Islamisten entscheidend in die Hände spielte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nachdem die Extremisten von al-Qaida, Ansar al-Din und MUJAO die Oberhand gewannen und die Bevölke- Die Parlamentarier äußerten übrigens auf Nachfrage rung in Angst und Schrecken versetzten, verschwand die noch den Wunsch, Deutschland möge helfen mit Prothe- MNLA in der Versenkung und wäre dort auch geblieben, sen „made in Germany“ für die Menschen, denen die Is- wenn sie nicht ihre historisch engen Verbindungen zu lamisten Gliedmaßen amputiert haben. Das wäre doch Frankreich hätte nutzen können, um nach der Befreiung eine hervorragende Fähigkeit, die Deutschland hier ne- in Kidal wieder die Macht zu übernehmen. Nun stellt ben der militärischen Unterstützung zur Verfügung stel- sich das Problem, dass die MNLA nicht bereit ist, die len könnte. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31777

Katja Keul (A) (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Herr Verteidigungsminister, Sie haben von Gefahren (C) DIE GRÜNEN]: Genau! Und zu dem Terror und realistischer Einschätzung gesprochen. Deshalb von den Linken kein einziges Wort!) möchte ich einen kleinen Rückblick wagen. Wir haben MONUSCO im Kongo. Vor MONUSCO hatten wir Ar- Machen Sie’s möglich! temis, ein klarer Auftrag, in Ituri 2003 unter französi- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. scher Führung und mit deutscher Beteiligung Sicherheit herzustellen. Es ist uns gelungen, Ituri weitestgehend zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN befrieden. MONUSCO hat die Mandatur übernommen. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Daran sind über 50 Nationen beteiligt, und es entstehen CDU/CSU und der FDP) Kosten von über 1 Milliarde Euro. Das hat drei bis vier Jahre funktioniert. Aber wir stellen fest, dass diese Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: 50 Nationen zusammengewürfelt eine Befriedung im Letzter Redner des heutigen Tages ist Kollege Kongo nicht erreichen können. 4 Millionen Tote – die Hartwig Fischer für die CDU/CSU-Fraktion. höchste Zahl nach dem Zweiten Weltkrieg – sprechen eine deutliche Sprache. Das Mandat läuft noch. Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Wir haben mit 46 Nationen UNAMID, UNMISS mit Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 58 Nationen und mit Kosten von 1,6 Milliarden Euro im Frau Keul, ich teile Ihre Einschätzung in Bezug auf vergangenen Jahr für Südsudan und Darfur. In Darfur Kidal. Die Delegation war auf meine Einladung hier, geht das Sterben und Leiden weiter. eine Woche lang. Ich hatte einige aus der Delegation be- reits kennengelernt. Herr Minister, ich bin Ihnen sehr Jetzt blickt die Welt nach Syrien. Der Kongo ist ausge- dankbar, dass Sie mich da mitgenommen hatten. So ha- blendet. Darfur ist ausgeblendet. Das Sterben und Leiden ben wir dort Abgeordnete kennengelernt. in Darfur und im Ostkongo wird medial nicht mehr wahr- genommen. Wenn Sie einmal die sterbenden und toten Wir haben versucht, die Probleme mit ihnen zu be- Kinder gesehen haben, wenn Sie mit vergewaltigten, kör- sprechen und auch weiterzugeben, was die Stadt Kidal perlich geschändeten und seelisch zerstörten Frauen ge- und die Region betrifft, weil auch ich der Auffassung sprochen haben, dann relativiert sich für Sie vieles bei uns bin: Wenn es dort keine gemeinsame Lösung, sondern in der Bundesrepublik Deutschland, in diesem Wohl- eine Lösung nur durch die Franzosen gibt, wird es mit standsstaat. den Wahlen in der gesamten Region außerordentlich schwierig, und dann gibt es keine staatliche Autorität in Herr Minister – ich sage das an alle drei; einer ist der Region. Deshalb hoffe ich, dass die politischen Bin- nicht mehr im Saal –, ich bedanke mich für die tolle Zu- (B) dungen innerhalb Europas zu einer Einigung führen, da- sammenarbeit und das immer offene Ohr, das Sie hatten. (D) mit die Malier mit beteiligt werden; natürlich nur mit Ich glaube, dass Deutschland und Europa in Zukunft viel den Franzosen, damit es zu keinen Massakern kommt. mehr für die Ausbildung, die Ertüchtigung und die Aus- Ich spreche den zweiten Punkt an. Ja, sie möchten rüstung der Afrikaner geben muss. Das wird eine ge- gerne eine Zusammenarbeit in Bezug auf die Prothesen. meinsame Aufgabe sein. Wir brauchen die Ertüchtigung, Das war der Grund, warum ich sie zu der Firma weil die Afrikaner afrikanische Lösungen brauchen, Ottobock gebracht habe; denn ich weiß, wie die Firma (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: So Ottobock und auch ihre Stiftung in vielen Bereichen ar- ist es!) beiten und mithelfen, aufzubauen. Dies haben wir nach dem Bürgerkrieg in Angola und nach den Unruhen in weil sie dann die Zukunft in Frieden und Sicherheit ei- Kenia gesehen. genverantwortlich und nachhaltig gestalten können. Wir sind vielleicht nur über ein oder zwei Jahrzehnte an der Im Übrigen glaube ich, dass sie auch mit den Frauen Gestaltung beteiligt gewesen, die Zukunft werden sie gesprochen haben. Aminata Traoré hat uns zu dem, was aber nur, von uns entsprechend ausgebildet, alleine ge- Sie behaupten, kein einziges Wort gesagt. Das erschüttert stalten können. mich schon; denn wir hatten einen offenen Dialog. Ich habe mit Aminata Traoré auch in Bamako besprochen. Lassen Sie mich in meiner letzten Rede noch einmal Ich werde das, was Sie behauptet haben, genau recher- darauf hinweisen: Ich weiß, liebe Freunde, auch bei uns chieren, weil sie darum gebeten hat, dass die Malier ge- gibt es Armut. Aber die Armut, von der ich rede, ist der meinsam mit den Franzosen und mit einer internationalen Kampf um das Überleben. Schlechte Nahrung, fehlen- Gruppe, insbesondere mit Ländern der Afrikanischen des Wasser, vermeidbare Krankheiten und Bürger- Union, den Friedensprozess stabilisieren. Wir werden Sie kriege! Ich bitte Sie einfach, meine Homepage anzukli- daran festnageln, in welcher Art und Weise Sie diese Be- cken: www.30000-kinder-sterben-taeglich.de. Ich danke hauptungen in die Debatte einbringen. meinen Mitarbeitern und meiner Fraktion, dass sie mich getragen und ertragen haben. Ich gehe von Bord und ma- (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie kön- che ehrenamtlich weiter. nen es nachlesen! Vor drei Wochen hat sie es geschrieben!) Vielen Dank. Wir als Fraktion unterstützen die Resolution 2100 (Beifall im ganzen Hause – Marieluise Beck MINUSMA. Deshalb will ich dazu nicht mehr viel sa- [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein gen. großer Verlust!) 31778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ha- (C) Auch Ihnen, Herr Fischer, sage ich herzlichen Dank ben wir das so beschlossen. für Ihre politische Arbeit. Alles Gute für Ihr weiteres Le- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- ben! ordnung. (Beifall) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, den 26. Juni 2013, 13 Uhr, ein. Ich schließe die Aussprache. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf freundliches Wochenende. Drucksache 17/13754 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (Schluss: 17.19 Uhr)

(B) (D) Anlagen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31779

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

 entschuldigt bis  entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Altmaier, Peter CDU/CSU 14.06.2013 Lay, Caren DIE LINKE 14.06.2013

Bätzing-Lichtenthäler, SPD 14.06.2013 Lenkert, Ralph DIE LINKE 14.06.2013 Sabine Liebich, Stefan DIE LINKE 14.06.2013 Becker, Dirk SPD 14.06.2013 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 14.06.2013 Bockhahn, Steffen DIE LINKE 14.06.2013 Möhring, Cornelia DIE LINKE 14.06.2013 Brackmann, Norbert CDU/CSU 14.06.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 14.06.2013 Bulmahn, Edelgard SPD 14.06.2013 Nietan, Dietmar SPD 14.06.2013 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 14.06.2013 Nord, Thomas DIE LINKE 14.06.2013 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 14.06.2013 Petermann, Jens DIE LINKE 14.06.2013 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 14.06.2013 Piltz, Gisela FDP 14.06.2013 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ 14.06.2013 DIE GRÜNEN Ploetz, Yvonne DIE LINKE 14.06.2013

(B) Ernst, Klaus DIE LINKE 14.06.2013 Pronold, Florian SPD 14.06.2013 (D) Gohlke, Nicole DIE LINKE 14.06.2013 Remmers, Ingrid DIE LINKE 14.06.2013

Granold, Ute CDU/CSU 14.06.2013 Rößner, Tabea BÜNDNIS 90/ 14.06.2013 DIE GRÜNEN Gunkel, Wolfgang SPD 14.06.2013 Roth (Heringen), SPD 14.06.2013 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 14.06.2013 Michael

Hiller-Ohm, Gabriele SPD 14.06.2013 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ 14.06.2013 DIE GRÜNEN Hintze, Peter CDU/CSU 14.06.2013 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 14.06.2013 Hofmann (Volkach), SPD 14.06.2013 Frank Schlecht, Michael DIE LINKE 14.06.2013

Kamp, Heiner FDP 14.06.2013 Schmidt (Eisleben), SPD 14.06.2013 Silvia Kipping, Katja DIE LINKE 14.06.2013 Schwabe, Frank SPD 14.06.2013 Klimke, Jürgen CDU/CSU 14.06.2013 Sharma, Raju DIE LINKE 14.06.2013 Kopp, Gudrun FDP 14.06.2013 Skudelny, Judith FDP 14.06.2013 Korte, Jan DIE LINKE 14.06.2013 Steinke, Kersten DIE LINKE 14.06.2013 Krellmann, Jutta DIE LINKE 14.06.2013 Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 14.06.2013 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ 14.06.2013 DIE GRÜNEN Tempel, Frank DIE LINKE 14.06.2013

Kunert, Katrin DIE LINKE 14.06.2013 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 14.06.2013 31780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Der Bundesrat nimmt Bezug auf seine Stellungnahme (C)  entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich vom 2. November 2012 (BR-Drucksache 523/12 (Be- schluss)) und begrüßt den bevorstehenden Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union. Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 14.06.2013 Der Bundesrat würdigt die von der Republik Kroatien Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 14.06.2013 seit ihrer Unabhängigkeit im Rahmen des Assoziierungs- Beate DIE GRÜNEN und Beitrittsprozesses mit der EU erzielten großen Fort- schritte unter anderem bei der Übernahme und Umset- Ziegler, Dagmar SPD 14.06.2013 zung des gemeinschaftlichen Besitzstandes. Die kroati- schen Anstrengungen zur Aussöhnung mit den Nachbarn Zimmermann, Sabine DIE LINKE 14.06.2013 sind dabei als Modell für die gesamte Region besonders zu würdigen. Er stellt fest, dass diese Reformbilanz mit weitreichenden politischen, sozialen, gesellschaftlichen Anlage 2 und wirtschaftlichen Veränderungen verbunden ist. Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat nimmt die Einschätzung der Kommis- Der Bundesrat hat in seiner 910. Sitzung am 7. Juni sion in ihrem abschließenden Monitoringbericht vom 2013 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- 26. März 2013 zum Stand der Beitrittsvorbereitungen stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 und der Erfüllung der von der Republik Kroatien über- des Grundgesetzes nicht zu stellen bzw. einen Einspruch nommenen Verpflichtungen zu weiteren Reformen in gemäß Artikel 77 Absatz 3 des Grundgesetzes nicht ein- den Bereichen Justiz und Grundrechte sowie Wettbe- zulegen: werbsfähigkeit zur Kenntnis. – Gesetz zu dem Vertrag vom 9. Dezember 2011 Er geht davon aus, dass die Republik Kroatien die über den Beitritt der Republik Kroatien zur Euro- Beitrittsvorbereitungen bis zum 1. Juli 2013 abgeschlos- päischen Union sen haben wird. Er unterstreicht die Wichtigkeit, dass die Begründung: Republik Kroatien den begonnenen Reformprozess auch nach dem Beitritt weiter fortführt. Gemäß Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 Grundgesetz ist die Zustimmung des Bundesrates mit zwei Dritteln seiner Der Bundesrat betont die andauernde Bereitschaft der Stimmen erforderlich, wenn durch Änderungen der deutschen Länder, die Republik Kroatien bei ihren Re- (B) vertraglichen Grundlagen der EU und vergleichbare formanstrengungen auch nach dem EU-Beitritt unter an- (D) Regelungen das Grundgesetz seinem Inhalt nach geän- derem durch Fortsetzung der erfolgreichen Zusammen- dert oder ergänzt wird oder solche Änderungen und Er- arbeit in gemeinsamen Regierungskommissionen weiter gänzungen ermöglicht werden. Der Beitrittsvertrag re- zu unterstützen. gelt erstmalig verbindlich für Kroatien die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament, die Stimmenzahl im Er sieht den bevorstehenden EU-Beitritt der Republik Rat sowie das künftig geltende Quorum für Entschei- Kroatien als positives Beispiel dafür, dass sich die Bei- dungen mit qualifizierter Mehrheit (Artikel 18 ff. der trittskriterien der EU mit entschlossener Anstrengung in Beitrittsakte). Insbesondere der geltende EUV wird einem überschaubaren Zeitraum erfüllen lassen und die durch diese Regelungen des Beitrittsvertrags entspre- europäische Perspektive weiterhin mit Leben erfüllt ist. chend angepasst. Durch den Beitrittsvertrag werden endgültig und rechtlich verbindlich die institutionellen Der Bundesrat spricht sich im Zuge des Beitritts der Bestimmungen geändert und damit der Kreis der Be- Republik Kroatien zur EU erneut dafür aus, kroatischen fugten, die übertragene Hoheitsrechte ausüben, geän- Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern bereits in der ersten dert. Zudem wird auch die Höchstzahl der Mitglieder Phase die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit zu gewähren. des Europäischen Parlaments gegenüber den Festle- Der Bundesrat hält an seiner Auffassung fest, dass gungen in den europäischen Verträgen für die Auf- auch bei künftigen Erweiterungen im Interesse der nahme von Kroatien erhöht. Durch den Beitritt ver- Glaubwürdigkeit der Union die umfassende Beitrittsreife schieben sich im Ergebnis Stellung und Gewicht der vor der Festlegung eines konkreten Beitrittszeitpunkts Bundesrepublik Deutschland im institutionellen Ge- gegeben sein muss. Er begrüßt daher das neue Konzept füge der EU. Das relative Stimmengewicht Deutsch- der Kommission für künftige Beitrittsverhandlungen, lands, insbesondere im Rat, und damit die Möglichkei- das die frühzeitige Einleitung der Beratungen zu den Ka- ten seiner Einflussnahme bei der Ausübung der auf die piteln Justiz, Grundrechte sowie Recht, Freiheit und Si- EU übertragenen Hoheitsrechte verändern sich. Dies cherheit vorsieht. Dies kann es ermöglichen, im Bei- stellt eine wesentliche Änderung der vertraglichen trittsprozess nicht nur die Einleitung der notwendigen Grundlagen der EU dar, durch die das Grundgesetz sei- Reformen, sondern auch das Erzielen konkreter, nach- nem Inhalt nach geändert bzw. ergänzt wird. Somit ist haltiger Resultate bei ihrer Umsetzung über einen länge- die Zustimmung des Bundesrates mit zwei Dritteln ren Zeitraum hinweg zu überprüfen. Neben der strikten seiner Stimmen erforderlich. Erfüllung aller Beitrittskriterien bleibt die Aufnahmefä- Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- higkeit der EU eine wichtige Voraussetzung für einen ßung gefasst: EU-Beitritt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31781

(A) – Gesetz zur Anpassung von Rechtsvorschriften des und Verwaltung nur eingeschränkt erreicht wer- (C) Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien den kann, da die Belange von Menschen mit Be- zur Europäischen Union hinderungen noch nicht ausreichend berücksich- tigt werden. – Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesre- gierung und Deutschem Bundestag in Angelegen- Er hätte es begrüßt, wenn die Vorschriften zur heiten der Europäischen Union (EUZBBG) Barrierefreiheit in § 16 EGovG nicht nur im Wege einer „Sollregelung“ aufgenommen wor- – Drittes Gesetz zur Änderung des Conterganstif- den wären. In diesem Sinne wären auch im De- tungsgesetzes Mail-Gesetz und im Signaturgesetz verpflich- – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/89/EU tende Regelungen zur Barrierefreiheit von De- des Europäischen Parlaments und des Rates vom Mail-Diensten und qualifizierter elektronischer 16. November 2011 zur Änderung der Richtlinie Signatur geboten. Die Bundesregierung wird ge- 98/97/EG, 2006/48/EG und 2009/138/EG hinsicht- beten, die Anforderungen an die Barrierefreiheit lich der zusätzlichen Beaufsichtigung der Finanz- der elektronischen Kommunikationswege bei zu- unternehmen eines Finanzkonglomerats künftigen Änderungen des E-Government-Geset- zes, des De-Mail-Gesetzes und des Signaturgeset- – Gesetz zur Förderung und Regulierung einer Ho- zes so zu verbessern, dass insbesondere blinde norarberatung über Finanzinstrumente (Honorar- und sehbehinderte Menschen uneingeschränkt anlageberatungsgesetz) daran teilhaben können. – Gesetz zum Staatsvertrag vom 14. Dezember 2012 Begründung: über die abschließende Aufteilung des Finanzver- mögens gemäß Artikel 22 des Einigungsvertrages In § 16 EGovG wird geregelt, dass die Bundesbe- zwischen dem Bund, den neuen Ländern und Ber- hörden die Barrierefreiheit der elektronischen lin (Finanzvermögen-Staatsvertrag) Kommunikation und der Verwendung elektroni- – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU scher Dokumente „in angemessener Form ge- über die Verwalter alternativer Investmentfonds währleisten sollen“. Damit wird zum einen die eigentliche V (AIFM-Umsetzungsgesetz – AIFM-UmsG) ollzugsebene der Bundesgesetze – Landes- und Kommunalbehörden – ohne nach- – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Kre- vollziehbare Gründe ausgespart. Zum anderen ditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze wird ein Ermessensspielraum eröffnet, der zu Rechtsunsicherheit führt und die berechtigten In- (B) – Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Pla- teressen von Menschen mit Behinderungen ent- (D) nung der Sanierung und Abwicklung von Kredit- gegen den für die Bundesrepublik Deutschland instituten und Finanzgruppen verbindlichen Vorgaben der Behindertenrechts- – Gesetz zur Familienpflegezeit und zum flexiblen konvention der Vereinten Nationen rechtswidrig Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Be- vernachlässigt. Eine Orientierung bei der zukünf- amte des Bundes tigen Änderung der angesprochenen Gesetze bie- tet die im Gesetzgebungsverfahren abgegebene – Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwal- gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Blin- tung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften den- und Sehbehindertenverbandes und des Deut- Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- schen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in ßung gefasst: Studium und Beruf. 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Bestre- 4. Der Bundesrat anerkennt jedoch die Notwendig- ben der Bundesregierung, mit dem Gesetz zur keit, zeitnah eine gesetzliche Grundlage insbe- Förderung der elektronischen Verwaltung sowie sondere für die Ersetzung des Schriftformerfor- zur Änderung weiterer Vorschriften die Moderni- dernisses im Verwaltungsverfahren durch Mittel sierung der Verwaltung voranzubringen, die Effi- der technikneutralen elektronischen Kommunika- zienz der Verfahren zu steigern und mehr Bürger- tion zu schaffen. Erforderliche Nachbesserungen nähe zu praktizieren. des Gesetzes werden daher nach dessen Inkraft- treten im Rahmen der in Artikel 30 des Gesetzes 2. Der Bundesrat bekräftigt seine in der Stellung- vorgesehenen Evaluierung vorzunehmen sein. nahme vom 2. November 2012 aufgeführten Be- denken gegen das Gesetz, insbesondere im Hin- 5. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, blick auf die fehlenden Regelungen zu den bei dieser Evaluierung insbesondere zu untersu- Sicherheitsstandards. Er bedauert, dass seine An- chen, ob und inwieweit die im De-Mail-Gesetz regungen zur Verbesserung des Gesetzentwurfs fehlende standardisierte Ende-zu-Ende-Verschlüs- nur zum Teil Eingang in das Gesetz gefunden ha- selung und die mangelnde Barrierefreiheit zu ver- ben. minderter Akzeptanz und Nutzung des Verfah- rens durch die Bürgerinnen und Bürger führt. 3. Der Bundesrat weist darauf hin, dass das mit dem Gesetz verfolgte begrüßenswerte Ziel der Er- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, über leichterung der Kommunikation zwischen Bürger die Ergebnisse der Evaluierung des Gesetzes 31782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) nicht nur den Bundestag, sondern auch den Bun- der Einschätzung der gerichtlichen Praxis sowie der (C) desrat zu unterrichten. Schuldnerberatungsstellen vieler Länder. – Gesetz zur Verbesserung der Rechte von interna- Insofern begrüßt der Bundesrat, dass der Deutsche tional Schutzberechtigten und ausländischen Ar- Bundestag zumindest dem Vorschlag des Bundesrates beitnehmern gefolgt ist, das Gesetz nach vier Jahren zu evaluieren. Der Bundesrat wird die weitere Entwicklung des Ver- – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesarchivge- braucherinsolvenzverfahrens begleiten und behält setzes sich schon jetzt weitergehende Maßnahmen für den – Gesetz zur Übertragung von Aufgaben im Bereich Fall vor, dass nach dem Ergebnis der dann vorzuneh- der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare menden Auswertung Restschuldbefreiungen nach be- reits drei Jahren in kaum nennenswertem Umfang er- – Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im folgen. notariellen Beurkundungsverfahren – Erstes Gesetz zur Änderung des Treibhausgas- – Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, Emissionshandelsgesetzes nicht rechtlichen Vaters – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) – … Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgeset- Nr. 259/2012 zes – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) – Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Be- Nr. 528/2012 schuldigten im Strafverfahren – Gesetz zur Übertragung der Zuständigkeiten der – Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungs- Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinter- verfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte bliebenenversorgung nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gefasst: – Viertes Gesetz zur Änderung des Straßenver- kehrsgesetzes und anderer Gesetze Der Bundesrat begrüßt, dass der Deutsche Bundestag das Verbraucherinsolvenzverfahren und das Verfahren – Gesetz über die Bundesförderung der Investitio- über die Restschuldbefreiung durch das Gesetz zur nen in den Ersatz der Schienenwege der öffentli- Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und chen nicht bundeseigenen Eisenbahn im Schienen- zur Stärkung der Gläubigerrechte reformiert. Er hat in güterfernverkehrsnetz (B) seiner 900. Sitzung am 21. September 2012 insbeson- (D) – Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsge- dere befürwortet, dass die derzeit sechs Jahre dau- setzes und anderer Gesetze ernde Wohlverhaltensperiode abgekürzt und redlichen Schuldnern damit die Möglichkeit verschafft wird, zu – Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesfernstra- einem bereits wesentlich früheren Zeitpunkt die Rest- ßenmautgesetzes schuldbefreiung und damit die Chance für einen wirt- schaftlichen Neuanfang zu erhalten, Bundesratsdruck- – Gesetz zur Änderung des Verkehrsleistungsgeset- sache 467/12 (Beschluss). zes – Gesetz zur Anpassung des Luftverkehrsrechts an Der Bundesrat befürchtet allerdings angesichts der die Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommis- vom Deutschen Bundestag im Vergleich zum Gesetz- sion vom 3. November 2011 zur Festlegung techni- entwurf der Bundesregierung angehobenen Mindest- scher Vorschriften und von Verwaltungsverfahren befriedigungsquote von 35 Prozent der angemeldeten in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivil- Forderungen, dass das Gesetz die selbst gesteckten luftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 Ziele verfehlen wird, nämlich einerseits redlichen des Europäischen Parlaments und des Rates vom Schuldnern alsbald einen unbelasteten Neustart zu er- 20. Februar 2008 möglichen und andererseits durch die Belohnung be- sonderen Engagements diese zu überobligationsmäßi- – Erstes Gesetz zur Änderung des Ausführungsge- gen Anstrengungen zu motivieren. setzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme Denn ein Anreizsystem ist selbst nach Einschätzung von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages nur dann effektiv, wenn wenigstens 15 Prozent aller – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Personen, die sich in einem Restschuldbefreiungsver- Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und fahren befinden, die Möglichkeit eröffnet wird, vorzei- des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahr- tig nach drei Jahren Restschuldbefreiung zu erlangen. gastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Än- Nicht nur die vom Rechtsausschuss des Deutschen derung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 Bundestages angehörten Sachverständigen haben in- – Gesetz zur Errichtung einer Schiffsunfalldaten- dessen überwiegend zum Ausdruck gebracht, dass bank und zur Änderung des Seefischereigesetzes schon die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vor- geschlagene Mindestbefriedigungsquote von 25 Pro- – Gesetz zur Neuregelung des gesetzlichen Messwe- zent kaum zu erreichen sei. Dies deckt sich auch mit sens Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31783

(A) – Zweites Gesetz über die Maßnahmen zur Be- kommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Euro- (C) schleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze päischen Union und ihren Mitgliedstaaten einer- seits sowie Kolumbien und Peru andererseits und Ferner hat der Bundesrat die folgende Entschließung weist ergänzend auf Folgendes hin: gefasst: 1. Der Bundesrat geht in Übereinstimmung mit dem 2. Der Bundesrat erkennt an, dass es mit dem Asso- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des ziierungsabkommen zwischen der EU und ihren Deutschen Bundestages (BT-Drucksache 17/13258, Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika an- S. 23) davon aus, dass die im Bundesbedarfsplan dererseits erstmals seit Inkrafttreten des Vertrags für verbindlich erklärten Netzverknüpfungs- von Lissabon gelungen ist, ein biregionales Asso- punkte keine Vorgabe für den konkreten Standort ziierungsabkommen zu schließen. Es leistet mit der damit zusammenhängenden Betriebsanlagen seinen drei Grundpfeilern – politischer Dialog, bedeuten. Die Standorte derartiger Anlagen müs- Zusammenarbeit und Handel – einen wichtigen sen in den nachfolgenden Planungsschritten in den Beitrag für die weitere regionale, soziale und dafür vorgesehenen, transparenten Verfahren ohne politische Integration zwischen der EU und Zen- starre Begrenzung der Standortsuche festgelegt tralamerika. werden. 3. Der Bundesrat begrüßt dabei insbesondere die 2. Der Bundesrat bedauert, dass Bundesregierung neuen Möglichkeiten, die sich mit dem im Ab- und Bundestag auch in den übrigen Punkten der kommen verankerten politischen Dialog für den Stellungnahme des Bundesrates vom 1. Februar Austausch auf Regierungs- und parlamentari- 2013 im Wesentlichen nicht gefolgt sind. Er er- scher Ebene sowie für den Dialog mit der Zivil- achtet es weiterhin für besonders wichtig für die gesellschaft zur weiteren Befriedung, Stabilität Beschleunigung des Netzausbaus, dass den mit und Demokratisierung der gesamten Region Zen- den weiteren Planungen und Zulassungsentschei- tralamerikas ergeben. dungen befassten Unternehmen und Behörden ein größerer Spielraum im Hinblick auf die techni- 4. Der Bundesrat begrüßt die Aufnahme einer Men- sche Ausführung der Trassen zugebilligt wird. schenrechts- und Demokratieklausel in das Ab- Dies ist von entscheidender Bedeutung sowohl kommen, wonach die Achtung von Menschen- um im weiteren Verlauf flexibel auf Belange vor rechten, Demokratie und der Grundsatz der Ort eingehen zu können, als auch um weitere in- Rechtstaatlichkeit Richtschnur und wesentliche novative technische Konzepte zu erproben. Elemente des Abkommens und dessen Umsetzung (B) sein sollen. Er hält allerdings die vorgesehenen (D) 3. Der Bundesrat hat zur Kenntnis genommen, dass Mechanismen im Falle der Missachtung dieser während des Gesetzgebungsverfahrens die Ver- Bestandteile für unzureichend, um die Beachtung ordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen und Einhaltung der Menschenrechtsklausel tat- Parlaments und des Rates vom 17. April 2013 zu sächlich zu gewährleisten. Leitlinien für die transeuropäische Energieinfra- struktur und zur Aufhebung der Entscheidung 5. Der Bundesrat kritisiert in diesem Zusammen- Nr. 1364/2006/EG und zur Änderung der Verord- hang, dass das Assoziierungsabkommen mit Zen- nungen (EG) Nr. 713/2009, (EG) Nr. 714/2009 tralamerika die Anwendung des allgemeinen und (EG) Nr. 715/2009 verabschiedet wurde Streitbeilegungsmechanismus für die Regelungen (ABl. L 115 vom 25. April 2013, S. 39). Die Aus- des Nachhaltigkeitskapitels gemäß Artikel 284 wirkungen werden mit der Anerkennung bean- Absatz 4 des Abkommens explizit ausschließt. tragter Leitungen durch die Kommission in diesem Jahr auch Verbindungen des Bundesbe- 6. Das vorliegend vielmehr zur Anwendung kom- darfsplangesetzes betreffen. Die Bundesregierung mende Verfahren einer Überprüfung der Einhal- sollte daher den Anpassungsbedarf an das Euro- tung von wichtigen Normen und Übereinkünften parecht prüfen und im Hinblick auf das Ergebnis unter anderem aus dem Bereich des Arbeitsrechts dieser Prüfung die Länder konsultieren. und auf dem Gebiet der Umwelt durch eine Sach- verständigengruppe kann nicht überzeugen, da – Viertes Gesetz zur Änderung des Energieeinspa- die Sachverständigengruppe gemäß Artikel 299 rungsgesetzes des Abkommens lediglich nichtbindende Emp- fehlungen zur Lösung der Angelegenheit ausspre- – Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Juli 2012 zur chen kann. Gründung einer Assoziation zwischen der Euro- päischen Union und ihren Mitgliedstaaten einer- 7. Der Bundesrat weist daher erneut darauf hin, dass seits und Zentralamerika andererseits es bei Freihandels- und Assoziierungsabkommen Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- der EU mit Drittstaaten dringend notwendig ist, ßung gefasst: nicht nur die detaillierten Vereinbarungen zu Handel, Dienstleistungen und Investitionen, son- 1. Der Bundesrat nimmt Bezug auf seinen Be- dern gerade auch die Bestimmungen in Bezug auf schluss vom 3. Mai 2013 (BR-Drucksache 259/13 Menschenrechts-, Arbeitsrechts- und Umweltfra- (Beschluss)) zum Gesetz zu dem Handelsüberein- gen mit einem effektiven und klar definierten 31784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013

(A) Streitbeilegungs- und Klärungsverfahren zu be- – Gesetz zu dem Abkommen vom 3. Februar 2012 (C) wehren. zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Grenada über den Informationsaustausch in Steu- 8. Der Bundesrat verkennt dabei nicht, dass mit dem ersachen ausgehandelten Nachhaltigkeitskapitel, der Men- schenrechtsklausel sowie den eingegangenen – Gesetz zu dem Abkommen vom 23. Juli 2012 zwi- arbeits-, sozial-, umwelt-, rechts- und verbrau- schen der Bundesrepublik Deutschland und der cherpolitischen Verpflichtungen die EU Möglich- Republik Österreich über die Nachnutzung der keiten zur Einflussnahme auf die Situation der Ar- ehemaligen deutsch-österreichischen gemeinschaft- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Umwelt lichen Grenzzollämter und der Menschenrechte in den Staaten Zentral- – Gesetz zur Änderung des Abkommens vom amerikas erhalten soll. Er erinnert daran, dass wei- 11. April 1955 über die Internationale Finanz-Cor- terhin große Anstrengungen in den Staaten Zen- poration tralamerikas im Hinblick auf die Verbesserung des sozialen Zusammenhalts, der nachhaltigen Ent- – Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen wicklung und des demokratischen Engagements Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG) erforderlich sind. Insbesondere bei der Moderni- – Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Förde- sierung der öffentlichen Verwaltung, beim Kampf rung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge- gegen Korruption, illegalen Drogenhandel, Terro- Verbesserungsgesetz – AltvVerbG) rismus und Straflosigkeit sowie bei der Stärkung des Rechtssystems und des zivilgesellschaftlichen – Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie so- Dialogs müssen weitere erhebliche Anstrengun- wie zur Änderung steuerlicher Vorschriften gen in den Staaten Zentralamerikas unternommen (Amtshilferichtline-Umsetzungsgesetz – Amtshil- und konkrete Verbesserungen erzielt werden. feRLUmsG) 9. Der Bundesrat bedauert daher, dass anders als beim EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben und Peru bislang keine konkreten Fahrpläne zur mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz Verbesserung der Situation unter anderem von 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu Gewerkschaftern sowie zur Verbesserung von So- den nachstehenden Vorlagen absieht: zial- und Umweltstandards von den Regierungen der Staaten Zentralamerikas vorgelegt wurden. Er Innenausschuss appelliert an die Bundesregierung, das Europäi- (B) (D) sche Parlament und die Kommission, hier aktiv – Unterrichtung durch die Bundesregierung zu werden und unter anderem sicherzustellen, Bericht über die Methode zur Risikoanalyse im Bevöl- dass die Umsetzung der vereinbarten Nachhaltig- kerungsschutz 2010 keitsstandards in den Staaten Zentralamerikas – Drucksache 17/4178 – von der Kommission und dem Europäischen Par- lament wirkungsvoll überprüft wird. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Gefahrenbericht der Kommission zum Schutz 10. Er fordert die Bundesregierung und die Kommis- der Zivilbevölkerung beim Bundesministerium des In- sion ferner dazu auf, die Implementation der von nern den Staaten Zentralamerikas eingegangenen ar- – Drucksachen 17/8100, 17/8833 Nr. 1.1 – beits-, sozial, umwelt-, rechts- und verbraucherpo- litischen Verpflichtungen auch schon im Rahmen – Unterrichtung durch die Bundesregierung der vorläufigen Anwendung des Abkommens eng Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2011 zu begleiten und auch auf nationaler und europäi- – Drucksache 17/8250 – scher Ebene auf Strukturen hinzuwirken, die eine Implementation sicherstellen und ein wirkungs- – Unterrichtung durch die Bundesregierung volles Monitoring garantieren. Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 – Drucksachen 17/12051, 17/12238 Nr. 1.6 – 11. Der Bundesrat übermittelt diese Entschließung direkt an die Kommission. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 189 der Inter- nationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 – Unterrichtung durch die Bundesregierung über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011 – Gesetz zur dem Seearbeitsübereinkommen 2006 – Drucksachen 17/10365, 17/10707 Nr. 1.8 – der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar 2006 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Erfolg der Programme zur Technolo- – Gesetz zu dem Abkommen vom 3. April 2011 zwi- gieförderung im Mittelstand in der laufenden Legisla- schen der Bundesrepublik Deutschland und den turperiode, insbesondere über die Entwicklung des Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand – ZIM Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch – Drucksache 17/12771 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2013 31785

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung (Bericht der Bundesregierung zum Kulturgutschutz in (C) Stand und Bewertung der Exportinitiative Erneuerbare Deutschland) Energien für die Jahre 2010 und 2011 – Drucksachen 17/13378, 17/13812 Nr. 1.1 – – Drucksachen 17/12772, 17/13170 Nr. 1.1 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Nationales Reformprogramm 2013 Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- – Drucksachen 17/12900, 17/13170 Nr. 1.3 – ner Beratung abgesehen hat. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission Innenausschuss 2010/2011 Drucksache 17/12449 Nr. A.3 – Drucksache 17/10365 – Ratsdokument 18124/12 hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 17/13595 Nr. A.6 – Drucksache 17/12940 – Ratsdokument 8410/13

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Rechtsausschuss Drucksache 17/13183 Nr. A.8 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 7489/13 Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland Haushaltsausschuss – Drucksache 17/11200 – Drucksache 17/13595 Nr. A.12 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 8648/13 Nationaler Radverkehrsplan 2020 – Den Radverkehr gemeinsam weiterentwickeln Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Drucksache 17/10681 – Drucksache 17/13595 Nr. A.13 Ratsdokument 8703/13 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/13183 Nr. A.24 Ratsdokument 7510/13 (B) Vierzehnter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bun- (D) desregierung – Weißbuch – Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe – Drucksache 17/13100 – Drucksache 17/12449 Nr. A.12 EP P7_TA-PROV(2013)0027 Drucksache 17/12449 Nr. A.13 Ausschuss für Kultur und Medien EP P7_TA-PROV(2013)0032 Drucksache 17/12783 Nr. A.11 – Unterrichtung durch die Bundesregierung EP P7_TA-PROV(2013)0055 Bericht über die Auswirkungen des Gesetzes zur Aus- Drucksache 17/12783 Nr. A.12 führung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. No- EP P7_TA-PROV(2013)0058 vember 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Drucksache 17/12783 Nr. A.13 Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und EP P7_TA-PROV(2013)0059 Übereignung von Kulturgut (Ausführungsgesetz zum Drucksache 17/12783 Nr. A.14 Kulturgutübereinkommen) EP P7_TA-PROV(2013)0060 Drucksache 17/13340 Nr. A.23 und EP P7_TA-PROV(2013)0090 den Schutz von Kulturgut vor Abwanderung ins Aus- Drucksache 17/13340 Nr. A.24 land EP P7_TA-PROV(2013)0102 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980