Plenarprotokoll 15/141

Deutscher

Stenografischer Bericht

141. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung ...... 13066 B Gerhard Rübenkönig (SPD) ...... 13050 B Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) ...... Tagesordnungspunkt I: 13052 C (fraktionslos) ...... a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- 13054 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . 13056 B zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr Bernhard Kaster (CDU/CSU) ...... 13057 C 2005 (Haushaltsgesetz 2005) Petra-Evelyne Merkel (SPD) ...... 13059 C (Drucksachen 15/3660, 15/3844) ...... 13007 A Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 13061 C b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch die (SPD) ...... 13062 B Bundesregierung: Finanzplan des Bun- Namentliche Abstimmung ...... 13064 A des 2004 bis 2008 (Drucksachen 15/3661, 15/3844, 15/4326) 13007 B Ergebnis ...... 13064 A

Tagesordnungspunkt I.13: Tagesordnungspunkt I.14: Einzelplan 04 Einzelplan 05 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt Auswärtiges Amt (Drucksachen 15/4304, 15/4323) ...... 13007 B (Drucksachen 15/4305, 15/4323) ...... 13066 D (CDU/CSU) ...... 13007 D Gerhard Schröder, Bundeskanzler ...... 13014 D in Verbindung mit Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . 13023 A Michael Glos (CDU/CSU) ...... 13024 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Dr. (FDP) ...... 13024 C Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ (SPD) ...... 13026 C CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Fälschungen der ukrainischen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13029 C Präsidentschaftswahlen Dr. (CDU/CSU) ...... 13035 B (Drucksache 15/4265) ...... 13067 A Franz Müntefering (SPD) ...... 13042 D Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU) ...... 13067 A Michael Glos (CDU/CSU) ...... 13044 A (Wiesloch) (SPD) ...... 13070 B Dr. (FDP) ...... 13048 D Dr. (FDP) ...... 13071 D II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 13092 A DIE GRÜNEN) ...... 13073 C Johannes Kahrs (SPD) ...... 13094 B (CDU/CSU) ...... 13075 D Günther Friedrich Nolting (FDP) ...... 13097 C Lothar Mark (SPD) ...... 13078 A (BÜNDNIS 90/ Dr. (FDP) ...... 13081 D DIE GRÜNEN) ...... 13098 B Joseph Fischer, Bundesminister AA ...... 13082 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13100 A (CDU/CSU) ...... 13086 A Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . . . . . 13101 B Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 13087 B (SPD) ...... 13103 B (SPD) ...... 13088 A Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) ...... 13089 C DIE GRÜNEN) ...... 13103 C Ursula Lietz (CDU/CSU) ...... 13104 C Tagesordnungspunkt I.15: Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär BMVg ...... 13105 D Einzelplan 14 Jürgen Koppelin (FDP) ...... 13107 D Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 15/4312, 15/4323) ...... 13091 B Georg Schirmbeck (CDU/CSU) ...... 13109 A Bernd Siebert (CDU/CSU) ...... 13109 C in Verbindung mit Ulrike Merten (SPD) ...... 13111 A Dietrich Austermann (CDU/CSU) ...... 13113 A Tagesordnungspunkt I.16: Jürgen Koppelin (FDP) ...... 13113 C a) Zweite und dritte Beratung des von der Ulrike Merten (SPD) ...... 13113 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und Tagesordnungspunkt I.17: Soldaten der Bundeswehr (Soldatin- Einzelplan 23 nen- und Soldatengleichstellungsdurch- setzungsgesetz – SDGleiG) Bundesministerium für wirtschaftliche (Drucksachen 15/3918, 15/4255) ...... 13091 C Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 15/4318, 15/4323) ...... 13115 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses (CDU/CSU) ...... 13115 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ Ursula Lietz, Christian Schmidt DIE GRÜNEN) ...... 13116 B (Fürth), Annette Widmann-Mauz, Jürgen Koppelin (FDP) ...... 13116 D weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU:Soldatinnen- (SPD) ...... 13117 A und Soldatengleichstellungsdurch- Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) ...... 13118 D setzungsgesetz zügig umsetzen Markus Löning (FDP) ...... 13120 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, Anita Schäfer (Saal- Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) ...... 13121 B stadt), Christa Reichard (Dresden), Dr. (SPD) ...... 13122 A weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Frauen und Fa- Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ milien in der Bundeswehr stärken DIE GRÜNEN) ...... 13122 D und fördern Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . 13124 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 13125 B Lenke, Klaus Haupt, Helga Daub, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion Brigitte Schulte (Hameln) (SPD) ...... 13125 D der FDP: Bundeswehr stärken – Be- Markus Löning (FDP) ...... 13127 C schäftigungsbedingungen für Solda- tinnen und Soldaten verbessern Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ ...... 13128 C (Drucksachen 15/3717, 15/3049, 15/3960, 15/4255) ...... 13091 D Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU) ...... 13130 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 III

Karin Kortmann (SPD) ...... 13131 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Nächste Sitzung ...... 13132 D (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes über die Feststellung des Bundeshaus- Anlage 1 haltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haus- haltsgesetz 2005), hier: Einzelplan 04 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 13133 A (Tagesordnungspunkt I.13) ...... 13133 B

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(A) (C) Redetext

141. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sache 15/4340, der sich auch auf den Einzelplan 04 be- Sitzung ist eröffnet. zieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt worden. Wir setzen die Haushaltsberatungen – Punkt I – fort: Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an die Aussprache über den Einzelplan namentlich abstimmen a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die werden. Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Haushaltsjahr 2005 die Aussprache vier Stunden vorgesehen. – Ich höre kei- (Haushaltsgesetz 2005) nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Drucksachen 15/3660, 15/3844 – Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (B) (Erste Beratung 124. Sitzung) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung Michael Glos (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 Herren! Die Haushaltsdebatte gibt traditionell Gelegen- – Drucksachen 15/3661, 15/3844, 15/4326 – heit, eine Bestandsaufnahme zu machen. Die Bilanz von Rot-Grün ist verheerend. Deutschland hat die höchste Berichterstattung: Staatsverschuldung und die geringste Investitionsquote Abgeordnete Dietrich Austermann der letzten 50 Jahre. In Europa sind wir Deutschen Walter Schöler Wachstumsschlusslicht mit weiter fallender Tendenz. Dr. Auf Deutschland lastet ein ganz gewaltiger Schulden- berg, der vor allen Dingen die Zukunft unserer Kinder Ich rufe dazu Punkt I.13 auf: belastet: 1,4 Billionen Euro Gesamtschulden, 100 Mil- Einzelplan 04 lionen Euro Zinsen jeden Tag. Die Hälfte des Bundes- haushalts wird durch die Bedienung der Schulden und Bundeskanzler und Bundeskanzleramt die Unterstützung der Rentenkassen aufgefressen. Für – Drucksachen 15/4304, 15/4323 – Investitionen in die Zukunft steht immer weniger Geld zur Verfügung. Diese Entwicklung ist so dramatisch, Berichterstattung: dass in der vergangenen Woche sogar der Bundesrech- Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig nungshof zum ersten Mal in seiner Geschichte weit über Bernhard Kaster die Kritik an Misswirtschaft oder Verschwendung in Steffen Kampeter Einzelfällen hinausgegangen ist. Ich zitiere den Präsi- Gerhard Rübenkönig denten des Bundesrechnungshofs: „Die Schieflage ist so Bartholomäus Kalb extrem, dass es einem den Atem verschlägt.“ Petra-Evelyne Merkel Alexander Bonde (Zurufe von der SPD: Oh!) Jürgen Koppelin Es gibt offensichtlich auch noch verantwortungsvolle Es liegt ein Änderungsantrag der AbgeordnetenGenossen, Herr Bundeskanzler, die sich nicht nur um Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Über den Ände- ihre Karriere, sondern um Deutschland Sorgen machen. 13008 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Michael Glos (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Zuruf von der SPD: Das ist auch das Erbe von (C) neten der FDP) Ihnen! – [SPD]: Von Ih- nen sind auch viele Schulden dabei!) Ich kann nur feststellen: Engels hat kein Vertrauen mehr zu den Marxisten, die heute regieren. – Herr Benneter, für meine Enkel bedeutet das eine Be- lastung von 246 000 Euro, für die sie überhaupt nichts (Heiterkeit bei der CDU/CSU) können. Der Haushalt ist Murks. Das Vertrauen ist verspielt. Das (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie viel Kapital ist vernichtet. davon sind aus der Ära Kohl? – Weitere Zu- rufe von der SPD) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schöne Bilder, aber alles falsch!) Die werden mich fragen: Du warst damals im Bundes- tag, warum habt ihr das getan? Herr Bundeskanzler, Deutschland sitzt in einer Schuldenfalle. Immer hö- auch Ihre beiden Kinder werden Sie fragen, wenn es so here Schulden bringen immer höhere Zinsbelastungen, weit ist. Das ist für mich eine unverantwortliche Politik. die wieder über zusätzliche Kreditaufnahmen finanziert werden müssen. Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Regierungserklärung am 14. März 2003 gesagt: neten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Genau richtig! Nennen Sie mal den Die Bundesregierung hält an dem Ziel fest, bis Anteil von Kohl!) 2006 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu er- reichen. Ich kann nur sagen: Rot und Grün verschlechtern jeden Tag die Zukunftschancen unserer Kinder und unserer Wer soll Ihnen nach dem Zahlenwerk, das inzwischen Enkel. vorliegt, und den Abschlüssen, die immer wieder auf den Ich zitiere weiter aus Ihrer Regierungserklärung, Herr Tisch gelegt worden sind, noch glauben? Bundeskanzler: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir brauchen Zukunftsinvestitionen statt Zinszah- neten der FDP) lungen. Das gesamtstaatliche Defizit ist in nur vier Jahren Das ist richtig. Das kann ich nur unterstreichen. Bloß: um 200 Milliarden Euro gewachsen. Mit Worte über allein reichen nicht. Heute muss der Bund – ich 17 000 Euro belasten die Schulden von Bund, Ländern erwähne es noch einmal – Tag um Tag 100 Millionen (B) und Kommunen jeden Bürger, ob alt oder jung. Euro Zinsen zahlen. DieseGelder stehen für Bildung (D) Allein im kommenden Jahr plant der Bund eine Brut- und für Forschung und Technologie nicht zur Verfügung. tokreditaufnahme von 218 Milliarden Euro, wovon al- Darunter leiden wir schmerzlich. lerdings 195 Milliarden Euro zur Tilgung fälliger Schul- Die Investitionsquote im Haushalt 2005 ist mit den verwendet werden. Die sich aus dieser Rechnung9 Prozent geringer als je zuvor. So weit ist es mit der viel ergebende Neuverschuldung beträgt rund 22 Milliarden gepriesenen Nachhaltigkeit gekommen. Deutschland ist Euro. Das sind weniger als die 40 Milliarden Euro, die auf einem Irrweg. Wir erleben eine Art Argentinisierung als Zinsbelastung im Haushalt enthalten sind. unseres Landes. Argentinien war früher ein reiches Land. Es müssen gigantische Summen am Kapitalmarkt ge- wälzt werden, um diese Belastung zu finanzieren. Sollte (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist es in absehbarer Zeit zu einer spürbaren Erhöhung des doch Unsinn hoch drei!) Zinsniveaus kommen, wird sich der Bund bei einer durchschnittlichen Laufzeit seiner Kredite von nur vier Heute trauen seine Eliten ihrem eigenen Land nicht mehr Jahren – das ist vollkommen neu – einer nicht überseh- und haben mit dem eigenen Land wenig am Hut. baren zusätzlichen Zinsbelastung aussetzen. Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungszeit hat sich Bei dem erwähnten gesamtstaatlichen Schuldenstand die Kluft zwischen sehr reich und ganz arm ungeheuer von 1,4 Billionen Euro sind die Verbindlichkeiten der ausgeweitet. Der Mittelstand geht vor die Hunde. gesetzlichen Rentenversicherung und der Pensions- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kassen nicht mitgerechnet. Siebetragen nach Berech- neten der FDP) nungen von Professor Sinn 270 Prozent unseres Brutto- inlandsproduktes. Dieter Rampel, der Chef der Hypo- Auch das ist Realität: Unter Rot-Grün ist Deutschland Vereinsbank, berechnete diese Renten- und Pensionsver- ein Stück zu einer Bananenrepublik geworden. pflichtungen unlängst. Er hat gesagt: Betriebswirtschaft- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo le- lich sauber bilanziert, stünden aus diesen Schulden pro ben Sie eigentlich?) Kopf der Bevölkerung 65 000 Euro in den Büchern. Wenn ich zu diesen 65 000 Euro die vorhin erwähnten In neun Bundesministerien wird wegen Korruption er- 17 000 Euro hinzurechne, Herr Bundeskanzler, sind es mittelt. Im Verkehrsministerium geben sich die Staatsan- 82 000 Euro Schulden pro Bundesbürger, die wir jedem wälte die Klinke in die Hand. 100 Verdachtsfälle auf neugeborenen Kind in die Wiege legen. Korruption hat die Regierung in einer Aufstellung für Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13009

Michael Glos (A) den Haushaltsausschuss selbst zugegeben. Das ist Tatsa- Sobald klar ist, dass der Beitritt dieses Landes unum-(C) che unter Schröder und Fischer in unserem Land. kehrbar ist, wird es eine gewaltige Verlagerung von Ar- beitsplätzen aus Deutschland in die Türkei geben; denn (Beifall bei der CDU/CSU) es gibt einen Wettlauf der Industrie um die billigsten Ar- Sie sind ja nicht einmal mehr bereit, unsere Verfas- beitsplätze. Wenn ich manche Wirtschaftsführer reden sung zu beachten, obwohl Ihnen Ihr Amtseid das vor- höre – auch das macht mir Angst –, dann habe ich den schreibt. Der Nachtragshaushalt 2004 und auch derEindruck, dass sie erst zufrieden sind, wenn die Lohnne- Haushalt 2005 verstoßen klar gegen das Grundgesetz, benkosten und die Löhne bei null sind. Das wollen wir weil die Summe der Investitionen geringer ist als dieganz bestimmt nicht; das will niemand von uns. Neukreditaufnahme. Wir werden dies – der Kollege Merz hat es gestern hier angekündigt – vor dem Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) verfassungsgericht überprüfen lassen. Am Horizont sind aber sehr große Gefahren zu erken- Ich sage noch einmal: Die Bundesregierung verspielt nen. Nach einer Studie der TU München werden in den unser aller Zukunft. Schulden anzuhäufen ist zutiefst un- nächsten zehn Jahren 150 000 Arbeitsplätze jährlich in moralisch gegenüber künftigen Generationen. allererster Linie nach Osteuropa verlagert. Wir brauchen deswegen Reformen und eine Rückbesinnung auf öko- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nomische Grundwahrheiten. Viele haben geglaubt, dass neten der FDP) der Weg, mit immer weniger Arbeit immer reicher zu An die Adresse der Grünen, die Nachhaltigkeit zum Ziel werden, für die Deutschen quasi geschichtlich vorpro- erkoren haben, kann ich nur sagen: Nachhaltigkeit er- grammiert ist und dass die westlichen Industrieländer zeugt man nicht dadurch, dass man ein paar Schafe im – wie von Zauberhand geleitet – den Weg in die Spaßge- Vorgarten hält und vielleicht noch Wolle spinnt, um da- sellschaft und in ein Freizeitparadies gehen. Vergessen raus Socken selbst zu stricken wurde dabei: Niemand kann die Gesetze der Ökonomie außer Kraft setzen. Das heißt, Wohlstand und soziale Si- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- cherung gibt es nur als Ergebnis von Arbeit und Leis- NEN) tung. Das Wohlstandsniveau hängt vom Können des – so ging es bei den Grünen doch los; auf ihren Parteita- Einzelnen und natürlich auch von der Leistungsfähigkeit gen war doch ständig das Geklapper von Stricknadeln zu der Gesamtwirtschaft sowie von der vorhandenen Infra- hören –, struktur ab. In diesen Bereichen ist in Deutschland noch fast alles in Ordnung. Aber PISA lässt grüßen und zeigt, (Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dass wir auch hier abfallen. ordneten der FDP) (B) (D) Wir alle bekennen uns zum Sozialstaat und möchten sondern Nachhaltigkeit besteht darin, dass man künftige ihn erhalten. Aber wir müssen ihn natürlich mit den ge- Generationen nicht so stark belastet. samtwirtschaftlichen Möglichkeiten in Einklang brin- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen. Ich kann nur sagen: Sozial ist alles, was Arbeits- plätze schafft bzw. erhält. Mit kurzen Arbeitszeiten sind Wir wissen, dass auf Deutschland ein gewaltigerwir nicht wettbewerbsfähig. Ich möchte nicht alle statis- Wettbewerbsdruck lastet. Die Ursachen sind die EU-Ost- tischen Daten auflisten, die verdeutlichen, wie lange in erweiterung, der europäische Binnenmarkt und die Glo- den einzelnen Ländern gearbeitet wird. Nur so viel: In balisierung. Deutschland fällt im globalen Wettbewerb den USA arbeitet man – bezogen auf die tarifliche Ar- immer weiter zurück, statt die Herausforderungen anzu- beitszeit – im Durchschnitt circa 400 Stunden mehr als nehmen. in Deutschland. Deutschland kann nicht mit immer we- Im industriellen Kern unserer Wirtschaft gehen jeden niger Arbeit immer wohlhabender werden. Die 35-Stun- Tag Hunderte von Arbeitsplätzen verloren. Die durchden-Woche war ein gewaltiger Irrweg. Es waren DGB den sich vollziehenden Wandel bedingten Arbeitsplatz- und SPD, die diese Entwicklung vollkommen kritiklos verluste seit 1991 sind dramatisch. So sind im Textilge- vorangetrieben haben. werbe 180 000, im Baugewerbe mehr als 1,1 Millionen, in der Metall erzeugenden Industrie 230 000 und in der (Beifall bei der CDU/CSU) Maschinenbaubranche fast 700 000 Arbeitsplätze verlo- Herr Trittin, Sie sowie Ihre Freundinnen und Freunde ren gegangen. Insolvenzen, Massenentlassungen undsind wesentlich daran schuld, dass sich unser Land in die Abwanderung in Niedriglohnländer – egal wann man die falsche Richtung entwickelt hat. Zeitungen aufschlägt, man liest ständig neue Hiobsbot- schaften. Ich nenne Ihnen die Stichworte Opel, VW und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Karstadt. Das sind aktuell nur die bekanntesten Fälle. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie beantworten die damit Früher hieß es bei Ihnen in den kurzen Pausen während verbundenen Fragen nicht, wenn Sie sich in Unterneh- des Strickens, der Strom komme aus der Steckdose. Sie merbeschimpfungen flüchten und nur vom Versagen des haben sich inzwischen ein ganzes Stück durchgesetzt. Managements reden. Sie sind dabei, die sichersten Kernkraftwerke der Welt abzuschalten. Schon jetzt werden Arbeitsplätze auch nach Bulga- rien und Rumänien verlagert, weil die Aufnahme ja (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: quasi vor der Tür steht. Das gilt ebenfalls für die Türkei: Das ist auch gut so!) 13010 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Michael Glos (A) Sie vertreiben die energieintensiven Industrien. Dafür (Joachim Poß [SPD]: Ja! – Beifall bei Abge- (C) erfindet man immer neue Öko- und Windradsteuern. Mit ordneten der SPD) dem so genannten EEG und Ähnlichem sind im Grunde Das fällt auf Sie zurück. Wenn Sie sagen, dass die Werte, Steuern für Spinnereien verbunden, die Ihrer Ideologie die die Deutschen groß gemacht haben, Verlogenheit entsprechen, die aber an derwirtschaftlichen Wirklich- und Ähnliches sind, keit der Welt ein ganzes Stück vorbeigehen. (Zurufe von der SPD: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Katrin Göring-Eckardt dann ist das eine Schande. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kom- men Sie wirklich ins Fantasieren!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Ihre Rede ist die pure – Frau Göring-Eckardt, inzwischen braucht man keine Verlogenheit!) Wissenschaftler, keine Soziologen mehr, um zu sehen, dass der Weg der 68er ein Irrweg war. Selbst die Schla- Trotz Ihres Geschreis, Herr Poß, kann ich nur sagen: gersänger amüsieren sich heute darüber. Es gab einen, Die Menschen spüren im rauen Wind der Globalisierung der hat das Lied „Barfuß im Regen“ gesungen. Dieses und der Bedrohung durch Terror sowie religiösen Fana- Lied trifft jetzt eigentlich auf Rot-Grün zu. Der Sänger tismus, dass wir in Deutschland wieder Orientierung, ein dieses Liedes hieß Michael Holm. Er kommt jetzt wie- Wertefundament brauchen; sonst funktioniert es auch im der. Er sagt über die 68er: Ökonomischen nicht. Unser Volk ist, wie ich meine, eine Schicksalsgemein- Ökonomisch war 1968 ein Desaster, weil vergessen schaft. Es war sein Schicksal, dass es sich politisch ein- wurde, was die Basis dieses Landes war: dass wir mal eine Zeit lang falsch entschieden hat. Aber diese Deutsche schneller, fleißiger und kreativer waren, Schicksalsgemeinschaft entsteht natürlich aus einer ge- dass wir uns viel mehr plagten als die anderen. meinsamen Geschichte – selbstverständlich im Schlech- Heute gilt das alles nicht mehr, der Speck der guten ten wie im Guten –, aus einer gemeinsamen Sprache, aus Jahre ist aufgebraucht. einer gemeinsamen Kultur, aus einer gemeinsamen Tra- (Zuruf von der SPD: Wie hieß doch gleich der dition und auch aus unserer gemeinsamen christlichen Künstler? Ich habe den Namen vergessen!) Religion, die zumindest die Basis unseres Landes gelegt hat. Wir, die CDU/CSU, bekennen uns zu dieser Das ist das wirtschaftliche Erbe. nationalen Identität und zu einem selbstverständlichen Wie sieht das geistige Erbe der 68er aus? Traditio-Patriotismus, das heißt zur Liebe zu unserem Land. (B) nelle Werte wurden verachtet. – es gibt Ohne Liebe zu unserem Land können wir auch seine(D) ihn noch immer – diskriminierte Disziplin, Fleiß undProbleme nicht lösen. Leistungsbereitschaft als Tugenden, mit denen man auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ein KZ führen kann. Carl-Ludwig Thiele [FDP]) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Eine Regierung ohne Vaterlandsliebe – sie stolpern doch alles ziemlich aus der Mottenkiste!) nicht zuletzt deswegen von Problem zu Problem, weil – Herr Schmidt, das war die Diskriminierung von Arbeit Ihnen diese Liebe fehlt – ist nicht in der Lage, die Pro- und Leistung. Ich sage das, auch wenn Sie es heute nicht bleme dieses Landes zu lösen. mehr hören können, weil Sie von diesen saudummen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sprüchen, die es gegeben hat, inzwischen eingeholt wor- den sind. Herr Müntefering, ich habe irgendwo gesagt, dass diejenigen, die Deutschland heute führen, mit Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt land nichts am Hut haben. Sie haben sich daraufhin be- [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! – Krista Sager troffen gefühlt. Ich habe überhaupt nicht nur an Sie ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie dacht; Sie führen Deutschland nicht allein. Das hat sich mehr leisten könnten, würden Sie jetzt nicht in an viele so genannte Intellektuelle, Journalisten, Kom- der Opposition sitzen!) mentatoren, aber natürlich auch ein Stück an Rot-Grün Sie haben dem nicht widersprochen. Ihr alle habt vorgerichtet. Sie haben dann Frau Merkel aufgefordert, sich „Lafo“ gekuscht. für diese – ich zitiere Sie – Unverschämtheit, die auf die deutsche Sozialdemokratie gezielt sei, zu entschuldigen. Ich meine, das Gegenteil ist richtig:Traditionelle (Beifall bei der SPD) Werte, nationale Identität, Zusammenarbeit und Bin- dung machen ein Volk stabiler, selbstbewusster und da- Ich habe es aber überhaupt nicht auf die deutsche Sozial- mit leistungsfähiger. demokratie bezogen. (Joachim Poß [SPD]: Aber nicht Ihre Verlo- (Widerspruch bei der SPD) genheit!) Jetzt muss ich mich auch einfach einmal bedanken; – Man hört Zwischenrufe bei der Übertragung leiderdas gehört, finde ich, dazu. Zwei Wochen später haben nicht. Herr Poß, deswegen will ich das wiederholen: Sie Sie den Beweis dafür geliefert, dass sich die deutsche haben von „Verlogenheit“ gesprochen. Sozialdemokratie zu Recht hat angesprochen fühlen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13011

Michael Glos (A) müssen, als Sie nämlich den 3. Oktober, unserenNatio- (Franz Müntefering [SPD]: Können Sie das (C) nalfeiertag, abschaffen wollten. noch einmal vorlesen, Herr Glos? Lesen Sie die Sache doch noch einmal vor!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Müntefering, es war Bayern mit Franz Josef Strauß, Das zeigt, dass Ihr Protest – vielleicht haben Sie es da- das gegen den Grundlagenvertrag geklagt hat, als Ihre mals schon gewusst – blanke Heuchelei gewesen ist,Partei die Präambel des Grundgesetzes mit dem Wieder- Herr Müntefering. vereinigungsgebot ändern wollte. Auch das ist eine ge- schichtliche Wahrheit. ( [SPD]: 84 hat Stoiber das vorgeschlagen! – Gegenruf des Abg. Eckart (Beifall bei der CDU/CSU) von Klaeden [CDU/CSU]: 1884? – Lachen bei Sie sollten sich schämen, vor allem für den Fraktions- der CDU/CSU) vorsitzenden oder stellvertretenden Fraktionsvorsitzen- – Auf Ihr Geschrei, gnädige Frau, habe ich schon gewar- den der Grünen; ich weiß gar nicht, wie viele ihr habt tet. Es war kalkulierbar, dass das kommt. Deswegenund wie das alles so funktioniert. habe ich die Geschichte extra noch einmal mitgebracht. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Es ging um Folgendes: Da gab es kluge und weniger GRÜNEN]: Nicht so viele wie Sie! Es sind kluge Ratgeber. Einer der weniger klugen war Geißler. immer dieselben!) Er hat gesagt, man solle in Bayern Feiertage abschaffen. Jeder spricht für sich und alle sprechen gegeneinander. Aber da sind wir in Bayern ganz allergisch, weil das un- Jedenfalls will dieser famose Herr Ströbele – Herr Trittin sere Sache ist. will es, glaube ich, auch – den Feiertag am 3. Oktober durch einen islamischen Feiertag ersetzen. Mit Patrio- (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tismus hat das überhaupt nichts zu tun. Genau! Die anderen sollen mehr arbeiten und Sie haben mehr Feiertage! So stellen Sie sich (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gerechtigkeit in der Welt vor!) Ulrich Heinrich [FDP]) Wir sind trotz unserer Feiertage und unserer Traditionen Dieser gescheiterte Anschlag auf unseren nationalen immer noch sehr viel leistungsfähiger als andere Bun- Feiertag wirft ein grelles Licht auf Rot und Grün. Ich be- desländer. danke mich beim Bundespräsidenten herzlich dafür, dass er ein klares Wort gesagt hat. Herr Bundeskanzler, ich (Beifall bei der CDU/CSU) hoffe nicht, dass Sie noch einmal auf die Idee kommen, (B) diesen Feiertag abschaffen zu wollen. (D) Dann hat Edmund Stoiber gesagt: Wenn Heiner Geißler so sehr daran gelegen ist, dann stelle ich ihm an- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) heim, als Bundestagsabgeordneter den Antrag zu stellen, Unser Land braucht – auch das ist eine Lehre aus der den Tag der Deutschen Einheit als Feiertag aufzugeben Geschichte – Partner und Vertrauen in aller Welt. Wir oder ihn auf einen Sonntag zu verlegen. dürfen dieses Vertrauen nicht gedankenlos aufs Spiel set- (Walter Schöler [SPD]: Das war ein guter Rat- zen. Ich stimme Volker Rühe zu, der heute in einem In- schlag!) terview im „Handelsblatt“ sagt: Die deutschen Offiziere dürfen nicht aus den NATO-Stäben zurückgezogen wer- Stoiber hat das nicht gefordert; er hat nur gesagt, dass er den, wenn es Planungen im Irak gibt. Das wäre höchst es Herrn Geißler anheim stellt. verheerend, wenn wir hier einen Sonderweg gehen. (Lachen und Beifall bei der SPD und dem Unser Verhältnis zu den USA ist ungeheuer sensibel, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) etwas, was Sie umtreiben muss, etwas, was die Kraft von Fischer überfordert. Er ist heute ein Super-Genscher ge- – Entschuldigung! Hören Sie doch zu! Er hat einen klug- worden. Damals gab es die Story: Zwei Flugzeuge sto- scheißerischen Ratschlag mit einer entsprechenden Ant- ßen über dem Atlantik zusammen; in beiden saß Gen- wort zurückgewiesen. scher. – Genscher flog wenigstens noch immer über den Atlantik, während Fischer heute in der Welt umherreist, (Beifall bei der CDU/CSU) von Entwicklungsland zu Entwicklungsland, und um Das ist seinerzeit auf Herrn Geißler und auf diejenigen, eine Schimäre kämpft. die das in Bayern gefordert haben, zurückgefallen. Das (Joachim Poß [SPD]: Was soll das heißen?) ist ein rhetorischer Kniff gewesen. Den wird man doch noch machen dürfen. Er sammelt Stimmen für einen Sitz im UN-Sicherheits- rat, obwohl er da nichts zu gebenedeien hat. Dazu kann (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ich nur sagen: Er hat auch nicht das nötige Geld und nicht die nötigen Mittel, um dort entsprechend mitwir- Obwohl wir Bayern am meisten natürlich von uns ken zu können. selbst überzeugt sind – das gilt selbst für uns Franken, die von den Bayern erobert worden sind –, haben wir nie Weil wir schon über Werte reden, denke ich auch an etwas gegen Deutschland und gegen die deutsche Nation die überzeugende Wiederwahl von Präsident Bush. getan. Wir können uns den Präsidenten der Amerikaner nicht 13012 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Michael Glos (A) selbst aussuchen; das macht immer das amerikanische sehr nah an der Ukraine liegt, und die Europäische(C) Volk. Die Amerikaner können sich unsere RegierungUnion überhaupt nicht um die Ukraine gekümmert ha- auch nicht aussuchen; wahrscheinlich hätten wir sonst ben. eine andere. Aber das ist nun einmal so. Neben dem Re- kordergebnis für den Präsidenten sollte uns auch die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) deutliche Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses Sie, Herr Fischer, hätten bei Ihren Flügen rund um die bei stark gestiegener Wahlbeteiligung zu denken geben. Welt dort wenigstens ab und zu einmal eine Zwischen- Wenn das die Kommentatoren der öffentlich-rechtlichen landung machen können. Medien in Deutschland hätten verhindern können, hätten sie es getan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Lachen bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht ja darum, ob die Ukraine eine West- oder eine Ich habe das alles von China aus verfolgt. Die Chinesen Ostausrichtung wählt. Eine Westausrichtung der Ukraine und auch Putin, der Freund von Herrn Schröder, hatten liegt in ganz hohem Maß im deutschen Interesse. Eine schon längst gratuliert, starke ukrainische Demokratie mit einem westlich orien- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Also tierten Präsidenten wollte die Mehrheit der Wähler in der waren auch Sie nicht in den USA!) Ukraine und diese liegt auch – ich sage das noch ein- mal – im Interesse Deutschlands. Wiktor Juschtschenko als in den öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland wird offensichtlich um seinen Wahlsieg betrogen. immer noch davon gesprochen wurde, dass die Anwälte aufmarschierten, Ohio kippen werde und was weiß ich Ich finde es gut, dass es seit gestern endlich eine Er- noch alles. Die Bundesregierung wird wahrscheinlich klärung von Herrn Fischer dazu gibt. Gestern ist es ihm nach Burkina Faso irgendwann als Allerletzter gratuliert eingefallen. Ich weiß nicht, ob seine Diplomaten ge- haben, weil man sich auf die Öffentlich-rechtlichen ver- schlafen haben oder ob sie immer noch mit der Erteilung lassen hat. Die deutschen Diplomaten, die die Bundesre- ungerechtfertigter Visa beschäftigt sind. Man löst die gierung in die Welt geschickt hat, sind ja teilweise auch Probleme eines Landes nicht dadurch, dass man in ganz nicht viel besser in Bezug auf ihre Einschätzung in die- großem Stil rechtswidrig Visa erteilt. Ich komme noch ser Frage. zu diesem Thema. Herr Bundeskanzler, ich erwarte von Ihnen, dass Sie heute etwas zur Ukraine und zu dem, was (Widerspruch bei der SPD – Wilhelm Schmidt dort abläuft, sagen. [Salzgitter] [SPD]: Unglaublich!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ob Sie es (D) hören wollen oder nicht: Wenn man den Blick einseitig nur auf die Vollmit- gliedschaft der Türkei richtet, weil man auf die Wähler- (Jörg Tauss [SPD]: Wir wollen nicht!) stimmen der türkischstämmigen Deutschen schielt, In Amerika wäre es unvorstellbar, dass die Kandidatur (Lachen bei Abgeordneten vom BÜNDNIS 90/ eines gläubigen Katholiken für ein öffentliches Amt in DIE GRÜNEN) der Form abgelehnt wird, wie es bei Rocco Buttiglione durch das Europäische Parlament geschehen ist. also allein dies zum Maßstab für die Interessenvertre- tung eines Volkes macht, dann liegt man in der Außen- (Beifall bei der CDU/CSU) politik immer falsch. Auch das ist eine Tatsache, die zeigt, wie sich bei uns (Beifall bei der CDU/CSU) das Koordinatensystem immer mehr verschiebt. All das ist nicht zum Vorteil unseres Landes. Ich meine, Ver-Ich meine, die Vollmitgliedschaft der Türkei liegt nicht trauen kann nur aus festenWertevorstellungen erwach- im Interesse unseres Landes; eine gute Partnerschaft sen. liegt im Interesse unseres Landes. Eine aktuelle Studie des Osteuropa-Instituts München besagt, die angebli- Die Außenpolitik dieser Bundesregierung ist deswe- chen Vorteile einer Mitgliedschaft werden übertrieben gen so schlimm, weil sie mit zweierlei Maß misst. Wäh- und Risiken heruntergespielt. Wenn Sie den Aussagen rend Sie, Herr Bundeskanzler, gegenüber unserem Ver- des Osteuropa-Instituts nicht glauben, dann vertrauen bündeten USA immer mehr auf Distanz gehen, biedern Sie wenigstens Helmut Schmidt. Er hat gestern gesagt: Sie sich kritiklos bei Putin an. Als lupenreinen Demo- kraten, wie Sie es bei „Beckmann“ formuliert haben, Die europäischen Diplomaten lassen sich täuschen sieht sich nicht einmal Putin selber. Eine solche Aussage – er hat damit auch die deutschen gemeint –, würde ihn beleidigen. weil sie nur Istanbul, Izmir oder Ankara kennen. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das stimmt! Sie kennen aber Anatolien nicht. Da hat er Recht! Das hat er auch nie von sich behauptet!) (Zurufe von der SPD) Da sind Sie zu weit gegangen. – Man wird doch bei der SPD, verdammt noch mal, noch Helmut Schmidt zitieren dürfen! Deswegen war es auch ein ganz grober Fehler – jetzt wird es ernst –, dass sich Deutschland, das nun einmal (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13013

Michael Glos (A) Ich zitiere weiter Helmut Schmidt: ganz klar: Die Basis für die Verständigung muss die(C) deutsche Sprache sein. Die Menschen werden kommen und bei der deut- schen Sozialfürsorge um eine Wohnung nachsu- Das haben wir im Juli 1998 vor der Bundestagswahl chen, um einen Fernseher und ein Telefon. auf unserer Klausurtagung in Banz gefordert. Damals Er sagt auch, die Vorbereitungen für die Beitrittsver-war es sensationell, so etwas zu äußern. Alle Schmutz- handlungen würden zu eifrig betrieben. Der Hunderte kübel der Linken, von Rot und Grün, sind über uns aus- Jahre alte Obrigkeitsstaat werde nicht in zwei Jahren geschüttet worden, weil wir gesagt haben, wer in eine Demokratie werden. Deutschland lebt, soll Deutsch sprechen. Der Einzige, dessen Einstellung ein bisschen anders war, war Herr (Widerspruch bei der SPD) Schily. Er hat nach der Regierungsübernahme einen an- deren Weg eingeschlagen. Er hat es richtig gemacht. Als Außerdem bringt er zum Ausdruck: ökonomische Unter- es darum ging, ein moderneres Zuwanderungsrecht zu stützung ja, aber Freizügigkeit – das heißt Vollmitglied- schaffen, hat er gesagt: Raus mit den Grünen aus den schaft – nein. Verhandlungen! Dadurch ist der Kompromiss letztend- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brau- lich möglich geworden. chen die Integration der er hi lebenden ausländischen Mitbürger, insbesondere der türkischstämmigen, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Jörg Tauss [SPD]: Heuchler!) Das war der richtige Weg, Herr Bundesminister Schily. die den größten Anteil ausmachen, Herr Tauss. Aber diese Integration wird doch nicht geschehen, wenn im- Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Kraft hätten, zu sa- mer mehr nachwandern, wenn sich immer mehr eine Pa- gen: „Raus mit den Grünen aus dieser Regierung“, dann rallelgesellschaft bildet, wie es jetzt auch von Ihnenwürde möglicherweise wieder eine ökonomische Basis beim Namen genannt wird. Wir sollten hier äußerst vor- für das Vorwärtskommen dieses Landes geschaffen. sichtig sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Herr Bundeskanzler, ich habe heute mit großer Be- der FDP) friedigung registriert, dass Ihr Freund Präsident Chirac Ich komme noch einmal zu dem Zuwanderungskom- dabei ist, einen Meinungswandel zu vollziehen. Er sagt, promiss. Schleuser, Terrorunterstützer und Hassprediger die privilegierte Partnerschaft der Türken müsse ein können jetzt endlich ausgewiesen werden. Sie sollten die Verhandlungsziel sein. Er äußert das natürlich auf Druck Instrumente auch nutzen.Für Ausländer, die nach von Sarkozy, der sich jetzt aufmacht, Vorsitzender der (B) Deutschland kommen, werden Integrationskurse Pflicht, (D) UMP zu werden. Die Franzosen wissen, dass man nichts obwohl die Grünen lange dagegen waren. Ihr Traum von gegen die Mehrheit eines Volkes machen kann. Aber Sie der multikulturellen Gesellschaft ist geplatzt. wollen die Vollmitgliedschaft der Türkei gegen den er- klärten Mehrheitswillen des deutschen Volkes erreichen, (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Bundeskanzler. Das ist abzulehnen. Ich meine, dass Verstöße gegen die Integrationspflicht (Beifall bei der CDU/CSU) Folgen haben müssen. Wie schwer sich die Grünen mit Werben Sie rechtzeitig vor dem 17. Dezember für die unserem Land und seinen Traditionen tun, hat Herr privilegierte Partnerschaft! Schaffen Sie keine Enttäu- Ströbele mit seiner Forderung nach einem islamischen schungen bei unseren türkischen Freunden, Feiertag bewiesen. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen. (Lachen bei der SPD – Krista Sager [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich, Der Prozess gegen den Chef einerukrainischen dass Sie so was jetzt sagen!) Schleuserbande in Köln hat allerdings einen Skandal im Auswärtigen Amt an die Öffentlichkeit gebracht. indem Sie Dinge versprechen, die Sie nicht halten kön- nen, und handeln Sie im deutschen und europäischen In- (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- teresse! NIS 90/DIE GRÜNEN) (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Während verhandelt worden ist, die Einwanderung nach Völlig weltfremd! – Jörg Tauss [SPD]: Ich Deutschland legal zu reduzieren, haben Sie, Herr Bun- glaube, die Redezeit ist um!) desminister Fischer, illegal die Schleusen aufgemacht; unter Ihrer Verantwortung, Herr Fischer, ist das gesche- – Die Redezeit ist zu Ihrer Freude hen. Sie können nur der beliebteste Minister sein, weil (Lachen und Beifall bei Abgeordneten des die Leute das nicht wissen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) leider nicht um, sondern ich darf weiterreden, auch wenn Aber wir werden mit dem Untersuchungsausschuss da- es Ihnen nicht gefällt. für sorgen, Herr Bundesminister Fischer, dass die Leute Wer zu uns ins Land kommt, der soll, wie ich meine, das erfahren. Ich freue mich schon, wenn Sie einmal so mit uns leben und nicht neben uns. Wir brauchen mehr vorgeführt werden, wie Sie immer versuchen, andere Integration, wir brauchen mehr Gemeinsamkeit. Es ist vorzuführen. 13014 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Michael Glos (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich kann nur sagen, meine sehr verehrten Damen und (C) neten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] Herren: Wir haben es mit einer Bundesregierung zu tun, [SPD]: Das scheint der einzige Maßstab bei die nirgends durchgängig glaubhaft ist und die das Ver- Ihnen zu sein!) trauen, das man in schwieriger Zeit in der Bevölkerung braucht, verspielt hat. Deutschland ist besser als diese 2000 wurden die Konsulate angewiesen, Ausländern Bundesregierung. Das gibt mir Hoffnung für die Zu- Einreisevisa zu erteilen, ohne alle gesetzlichen Voraus- kunft. setzungen zu überprüfen. Das Kölner Gericht spricht von einem „Putsch gegen unsere Rechtsordnung“. Rund Danke schön. 5 Millionen Menschen sind mithilfe dieses Rechtsbru- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- ches nach Deutschland und in die europäischen Partner- fall bei Abgeordneten der FDP) staaten eingeschleust worden, halten sich illegal in den europäischen Ländern auf und fördern dort Schwarzar- beit, Prostitution, Menschenhandel und andere krimi- Präsident Wolfgang Thierse: nelle Machenschaften. Sie sind dafür der ZuhälterMeine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine Be- – wenn man so will –, Herr Bundesminister Fischer. merkung. Herr Kollege Poß, Sie haben den Redner der Verlogenheit geziehen. Herr Glos, Sie haben es für rich- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – tig gehalten, einen Minister als Zuhälter zu bezeichnen. Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katrin (Zurufe von der SPD: Pfui! – Michael Glos Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [CDU/CSU]: Ich bitte um das Wortprotokoll, NEN]: Unverschämtheit!) Herr Präsident!) – Ich habe gesagt: wenn man so will. – Der kleine Nachtrag „wenn man so will“ macht es nicht besser. – (Zurufe von der SPD: Unglaublich! – Unver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schämt!) DIE GRÜNEN) – Ich weiß gar nicht, warum es diese große Aufregung Ich erteile Ihnen beiden einen Ordnungsruf und bitte gibt. Dieser Skandal und seine Hintergründe werden von sehr darum, dass wir uns in der weiteren Debatte mäßi- einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt. Wir werden gen. Sie zur Ehrlichkeit zwingen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der (B) SPD: Pfui!) Nun erteile ich das Wort dem Bundeskanzler der Bun- (D) desrepublik Deutschland, Gerhard Schröder. Ein allerletzter Punkt. Herr Bundeskanzler, Sie haben das letzte Mal zu Beginn Ihrer Rede versucht, mich zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ diskriminieren. Die Presse hat darüber geschrieben; DIE GRÜNEN) meine Heimatzeitung hat es nachgedruckt. Deswegen habe ich Sie gestern gefragt: Wie wollen Sie es denn? Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Sie haben mir gesagt: Sie waren sonst immer lustig, nie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und peinlich. Herren! Unser Zwiegespräch war anders. Michael Glos, Sie hatten mir versprochen, heute friedlich und sachlich Da wir gerade bei „lustig“ und „peinlich“ sind, zu sein. (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Michael Glos [CDU/CSU]: War ich doch bis Peinlich ist Ihre Rede!) zuletzt!) will ich ein Bild präsentieren, das der Wirklichkeit ent- – Nach seiner Auffassung war er es. spricht. Ob es lustig oder peinlich ist, das überlasse ich dem Urteil aller geneigten Zuschauer und Zuhörer. Zu (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Beginn Ihrer Amtszeit, Herr Bundeskanzler, haben Sie DIE GRÜNEN) noch persönlich für Armani und Brioni Modell gestan- Aber ich glaube, da wird es unterschiedliche Auffassun- den. gen in Ihrer eigenen Fraktion geben. (Zurufe von der SPD: Oh!) ( [CDU/CSU]: Nein!) – Das ist doch richtig, oder? – Wenn ich die „Bild“-Zei- – Nein? Das ist ja noch bedauerlicher. tung richtig gelesen habe, dann ist es so, dass jetzt Ihr Hund für Rossmann wirbt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Das zeigt, dass das Differenzierungsvermögen in Ihrer Ich weiß nun nicht, ob es lustig oder peinlich ist. Ichgesamten Fraktion außerordentlich unterentwickelt ist. kann es nicht beurteilen. Das wird sich heute noch zeigen. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Ich möchte gerne zwei Punkte vorab richtig stellen, der SPD) Herr Glos. Ich finde es zum einen nicht richtig, wie Sie Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13015

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Herrn Stoiber zitiert haben und dass Sie dann auch noch Herr Bundeskanzler, alte Kamellen herauszu- (C) meinen, er habe nicht gemeint, was er gesagt habe. ziehen!) (Heiterkeit bei der SPD) Ich komme zum zweiten Thema. Dies betrifft den sachlichen Gehalt – sofern einer vorhanden war – des- Es ist ein typischer „Stoiber“ gewesen, nach dem Motto sen, was Herr Glos zur Ökonomie gesagt hat. Wie ur- „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Das teilsfähig er in diesen Fragen ist, will ich gern mit Rück- kennen wir von ihm. griff auf eine andere Begebenheit erläutern. In einer der letzten Debatten über ökonomische Fragen, Herr Glos, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben Sie sich in ganz bestimmter Weise mit dem des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Außenwert des Euro beschäftigt. Sie werden sich erin- Zum 3. Oktober würde ich Ihnen gern ein paar Dinge nern: Er stand damals im Verhältnis zum Dollar bei sagen, die andere betreffen; ich hoffe, ich zerstöre nicht 84 Cent. Da hat Herr Glos gesagt – das beweist seine Ur- deren Karrieren. Ich habe mir das herausgesucht undteilsfähigkeit in ökonomischen Dingen –: will es Ihnen mitteilen. Da gab es einen Sozialexperten, Ich will jetzt gar nicht im Einzelnen darlegen, wie der sich in der „BZ“ vom 10. März 1994 zum 3. Oktober sich der Euro entwickelt hat. Gegenüber dem viet- geäußert hat. , namesischen Dong beträgt die Abwertung (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 21 Prozent, gegenüber dem dominikanischen DIE GRÜNEN: Oh!) Peso – es fliegen ja ungeheuer viele Leute in die Karibik – beträgt die Abwertung 19 Prozent. CSU-Sozialexperte: (Joachim Poß [SPD]: Der Herr Glos ist viel (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die alte Ka- auf Reisen! Der kennt sich da aus!) melle! X-mal dementiert!) Ich könnte Ihnen eine lange Liste nennen. Selbstverständlich müssen wir auch bereit sein, Fei- Weiter sagte er: ertage zu streichen, beispielsweise den 1. Mai. Der 3. Oktober könnte auf einen Sonntag gelegt wer- Ausschlaggebend ist also der Marktwert des Euro. den. Es darf keine Tabus geben. Der Marktwert des Euro könnte besser sein, wenn wir in Deutschland, im wirtschaftlichen Herzland (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Europas, eine bessere Regierung hätten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei der SPD) Übrigens, Herr Singhammer, Sie wollen ja einen Kar- So viel zu Ihrer ökonomischen Urteilsfähigkeit. (B) rieresprung machen. Ich will Ihnen deswegen auf dem (D) Weg dorthin mitgeben, was Sie zu diesem Thema gesagt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben: DIE GRÜNEN – Abg. Michael Glos [CDU/ CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Singhammer würde für e di Mehrarbeit Feiertage opfern, keine kirchlichen zwar, aber weltliche wie – Ich will das jetzt im Zusammenhang vortragen; ich bin den Tag der Arbeit oder den Tag der Deutschengerade so gut dabei. Sie werden das verstehen, Herr Einheit. Über den 1. Mai und den 3. Oktober gibt es Glos. tatsächlich eine Diskussion, sagte der CSU-Abge- Der Euro – das macht mich wegen unseres Exportes ordnete. An die könnte man rangehen. durchaus besorgt – liegt jetzt im Verhältnis zum Dollar bei etwa 1,30. Worauf ist das entlang Ihrer ökonomi- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem schen Einsichten zurückzuführen? BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Meine Damen und Herren, ich erwähne das nicht, um BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diese Debatte weiterzuführen, Offenkundig darauf, dass die Regierung so ungeheuer ( [CDU/CSU]: Haben Sie gut ist, dass der Außenwert des Euro ständig steigt. Ich sonst noch etwas zu sagen?) sage Ihnen aber: Das hat doch mehr mit der Situation auf den internationalen Finanzmärkten – übrigens in der ei- sondern ich erwähne das, damit Sie mit dem Patriotis- nen wie in der anderen Richtung – zu tun als mit dem, musvorwurf etwas vorsichtiger umgehen. was Sie prognostiziert haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich erwähne das hier nur, um das Publikum davon zu un- Diejenigen, die derart im Glashaus sitzen, sollten nun terrichten, wie weit her es mit Ihrer ökonomischen wahrlich nicht mit Steinen werfen. Das geht, wie ge-Urteilsfähigkeit ist. zeigt, immer nach hinten los. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Das ist viel zu billig! So billig sind Sie doch Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Falsch! X- gar nicht! Entlassen Sie den Redenschreiber! mal dementiert! Es ist doch zu billig für Sie, Das alles ist viel zu billig!) 13016 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Ich würde angesichts dessen doch raten, sich damit zu bewerbsfähigkeit und die Ausfuhrerfolge, werden(C) begnügen, was der Sachverständigenrat der Bundesre- unter dem Menetekel vermeintlich drastischer und gierung zu diesen Fragen gesagt hat. Der Sachverständi- negativer Folgen für die heimischen Arbeitsplätze genrat der Bundesregierung – auch das sollte Thema die- in düsteren Farben gemalt. Hierzu besteht alles in ser Debatte sein – hat sein Jahresgutachten unter das allem kein Grund. Wer alles nur noch schwarz Motto „Erfolge im Ausland – Herausforderungen im In- sieht, verliert auch den Blick dafür, welche Wege zu land“ gestellt. Ich finde, dass das – darüber haben wir in beschreiten notwendig und lohnenswert sind. dieser Debatte heute zu diskutieren – eine sehr gute, sehr zutreffende und solide Kennzeichnung der Lage der Na- (Beifall bei der SPD) tion sowohl im Hinblick auf das Ökonomische als auch Natürlich gibt es Licht- und Schattenseiten. Wir soll- das Politische ist. ten aber auch über das reden, was gut gewesen ist und Die Frage, die wir hier zu debattieren haben – wirweiterhin gut ist. Wiederum zitiere ich den Sachverstän- dürfen keinen Klamauk machen, wie Sie ihn eben vorge- digenrat: führt haben –, ist doch wohl: Welche Beiträge können Mit einem Anteil von rund 10 v. H. wurde im die Politik und die Gesellschaft schlechthin – dazu gehö- Jahr 2003 fast wieder das Niveau erreicht, das zu ren sowohl Wirtschaft als auch Gewerkschaften – erbrin- Beginn der neunziger Jahre vorgelegen hatte. gen, um die Herausforderungen zu meistern, um die Chancen zu nutzen, um Erfolge zu haben? Das sollte der Es geht um den Export. Dies zeigt aber auch, was wir Kern der Debatte sein. im Laufe der 90er-Jahre verloren haben. Wir haben das wieder aufgeholt. Das drückt aus, dass wir es in der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Phase der Stagnation geschafft haben, Marktanteile in DIE GRÜNEN) der Welt zu gewinnen und nicht zu verlieren. Dieser Pro- Anstatt diese Diskussion zu führen, haben wir von Ih- zess geht weiter. Die Exporterfolge dieses Jahres und die nen vorhin nur das gehört – von Herrn Merz brillant, von für das nächste Jahr erwarteten Erfolge werden wieder Ihnen, Herr Glos, eher holzschnittartig vorgetragen –, dazu führen, dass wir im Export Rekordernten einfahren was wir von Ihnen schon kennen. können. (Michael Glos [CDU/CSU]: Vielen Dank, ( [CDU/CSU]: Wer hat Herr Oberlehrer!) etwas davon?!) In jedem Fall zeichnen Sie das Bild eines Deutschlands Das erwähne ich nicht, um in Anspruch zu nehmen, im Jammertal. Sie zeichnen ein Zerrbild des Landes. dass das allein auf die Politik der Bundesregierung zu- (B) rückzuführen ist. Niemand wird das sagen können. Es(D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ muss aber erwähnt werden, weil dahinter eine Kraft der DIE GRÜNEN) Volkswirtschaft steht und nicht eine Schwäche, wie Sie Für Sie ist das Teil einer Machtauseinandersetzung in sie an die Wand malen. Was denn anderes als Kraft? unserem Land. Das ist nachvollziehbar, Sie müssen aber (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bedenken, dass Sie mit der Zeichnung von Zerrbildern DIE GRÜNEN) Deutschlands nicht nur erlaubte Machtauseinanderset- zung betreiben, sondern Deutschland diskreditieren. In- Im ersten Halbjahr 2004 ist der Export, bezogen auf das dem Sie Deutschland nach innen diskreditieren, tun Sie Rekordjahr 2003, noch einmal um 10 Prozent gestiegen. es naturgemäß auch nach außen. Das freut niemanden in Deutschland, das freut nur unsere Wettbewerber überall Das zeigt doch, dass wir, jedenfalls was unsere außen- in der Welt. wirtschaftlichen Möglichkeiten angeht, auf dem richti- gen Weg sind. Das muss und soll doch denjenigen Mut (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ machen, die diese Leistungen in Deutschland erbracht DIE GRÜNEN) haben. Für diese Leistungen sind doch nicht wir, sondern die Menschen draußen verantwortlich. Denen kann und Das sage ich vor dem Hintergrund der so genannten muss man auch einmal sagen, dass wir auf diese Leis- Patriotismusdebatte; denn wenn eines unpatriotisch ist, tungskraft stolz sind. dann das eigene Land so schlecht zu reden, wie Sie es gegenwärtig tun, nur um Machtauseinandersetzung zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ betreiben. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Niemand wird angesichts dessen die Tatsache leugnen DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: wollen, dass wir bei der Binnenkonjunktur leider noch Lesen Sie doch die Zahlen!) nicht so weit sind, wie wir sein wollten und sein müss- ten. Das hat aber doch nichts damit zu tun, dass man das Auch insoweit halte ich es mit demSachverständi- andere kleinschreibt. Bei der Binnenkonjunktur können genrat, der zur Situation unter Textziffer 484 gesagt hat Sie das an den steigenden Ausrüstungsinvestitionen se- – ich zitiere –: hen. Darüber hinaus können Sie das an der Tatsache er- Gegenwärtig besteht in Deutschland eine gewisse kennen, dass der private Konsum nicht mehr sinkt. Ich Tendenz zur Schwarzmalerei. Selbst das Positive, weiß zwar, dass er noch stagniert; das reicht mir auch wie beispielsweise die verbesserte preisliche Wett- noch nicht. Aber es ist die Basis für eine Verbesserung. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13017

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Wenn Sie sich die Oktoberzahlen der Automobilin- richtig ist, dann muss man auch darüber reden und darf (C) dustrie anschauen und sich über die Orders, die dort ein- nicht das Gegenteil davon fordern. gehen, informieren, werden Sie feststellen können, dass Wir haben dafür gesorgt, dass dieRentenbeiträge, wir den Trend nach oben stützen sollten, statt ständig das die in Gefahr waren, auf über 21 Prozent zu steigen, bei Gegenteil zu tun. Das geht doch nicht. Ein solches Vor- 19,5 Prozent festgeschrieben werden konnten. Natürlich gehen ist auch nicht patriotisch. hat das schmerzhafte Einschnitte erfordert; das ist doch (Beifall bei der SPD) gar keine Frage. Natürlich hat das auch dazu geführt, dass Belastungen unvermeidlich gewesen sind. Diese Vor diesem Hintergrund müssen und sollen wir auch Belastungen haben es uns im abgelaufenen Jahr politisch über die Schattenseiten reden. Wir müssen uns dabei nicht einfach gemacht. Wir haben das aber durchgesetzt, aber bemühen, sie zu überwinden. Natürlich ist die Ar- weil es für die Zukunft Deutschlands notwendig ist und beitslosigkeit zu hoch und natürlich gibt es noch zu we- weil es patriotisch ist, das Land voranzubringen und es nig Ausbildungsplätze. Natürlich gibt es Strukturpro- auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. bleme in den Unternehmen, die Sie genannt haben. Natürlich beunruhigt uns das, was bei Opel an Arbeits- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ platzsicherung von den Beschäftigten erkämpft werden DIE GRÜNEN) muss, und natürlich beschäftigt uns alle in Deutschland Wir sind es doch gewesen – , mit des- die Karstadt-Frage. Aber natürlich weiß auch jeder sen Namen diese Reform verbunden ist, sitzt ja dort – – niemand wird diskreditiert, wenn man das ausspricht –, dass es hier massives Missmanagement gegeben hat. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Politik kann eben nicht alles richten, sondern kann nur – ja, meine Damen und Herren, auch nach jahrzehntelan- und muss vernünftige Rahmenbedingungen setzen. gem Gezerre war niemand dazu in der Lage –, die neben Wir haben auf die Herausforderungen, die ich ge-der Umlagefinanzierung – die zwar wichtig bleibt, die nannt habe, sehr wohl reagiert. Wir sind doch die Ersten die Finanzierung aber angesichts unterschiedlicher und gewesen, die mit der Agenda 2010 ein umfassendesdifferenzierter Erwerbsbiografien in Schwierigkeiten Strukturprogramm vorgelegt haben, das die notwendigen bringt – das System der Kapitaldeckung aufgebaut ha- Reformen eingeleitet hat, um die Schattenseiten in unse- ben. Mehr als 4 Millionen Privatpersonen haben bisher rem Land, die es natürlich auch gibt – ich sage aber noch davon Gebrauch gemacht. Mehr als 50 Prozent der aktiv einmal: Es gibt sie nicht ausschließlich –, Schritt fürBeschäftigten bekommen Betriebsrenten. Das sind Er- Schritt zu überwinden. folge, die man nicht kleinreden darf; man muss sie deut- lich machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Es war richtig, dass der Finanzminister gestern darauf hingewiesen hat, dass es diese Regierung, diese Koali- Wir sind es doch gewesen, die die beklagenswerte tion gewesen ist, die mit ihrer Steuerpolitik dafür gesorgt Tatsache, dass die Menschen in der Vergangenheit zu hat, dass – jedenfalls potenziell – mehr Konsummöglich- früh in Rente geschickt worden sind – woran wir alle be- keiten vorhanden sind. Es werden 56 Milliarden Euro teiligt waren –, geändert haben. Wir haben deutlich ge- mehr für die Unternehmer und die Konsumenten zurmacht, dass wir das wollen – weil wir die Älteren unter Verfügung stehen, wenn die letzte Stufe derSteuer- uns aus materiellen Gründen, um der Menschen selbst reform zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt. Das willen länger in Beschäftigung halten müssen, als es je- ist doch kein Pappenstiel, meine Damen und Herren, das mals zuvor der Fall gewesen ist. ist eine Chance, die Wirtschaft nach vorn zu bringen. Es macht wenig Sinn, über die Altersgrenze bei der Diese Tatsache muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Rente unter nominalen Gesichtspunkten zu reden. Nomi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nal liegt sie bei 65 Jahren; das wissen wir alle. Real liegt DIE GRÜNEN) diese Grenze aber bei 60 Jahren. Wenn wir es schaffen, die reale der nominalen Grenze um ein paar Jahre anzu- Über die ökonomisch vernünftige, aber auch sozial nähern, dann haben wir, was die Nachhaltigkeit des Ren- gerechte Ausgewogenheit dieses Steuerprogramms muss tensystems angeht, Erhebliches geleistet. Damit sollten sich doch niemand, aber auch wirklich niemand Gedan- wir uns in unseren Debatten beschäftigen. ken machen. Diese Koalition ist es gewesen, die den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent zu Ihrer Zeit auf (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 15 Prozent – ab 1. Januar 2005 – gesenkt hat. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nun zur Gesundheitspolitik. Ich finde, dass die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Maßnahmen, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, wirklich ein Erfolg sind. Wir werden, was die As- Wir sind es gewesen – ich weiß, dass wir dafür von den pekte Transparenz und Markt angeht, zum Beispiel bei Gewerkschaften und gelegentlich auch aus den eigenen den Apotheken aktiv werden. Dazu wird die FDP sicher- Reihen stark kritisiert wurden –, die den Spitzensteuer- lich noch etwas sagen. satz von 53 Prozent auf 42 Prozent – ab 1. Januar 2005 – gesenkt haben. Unsere Steuerquote gehört zu den nied- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir machen rigsten in Europa. Ich halte das für richtig. Aber wenn es das überall auf Gegenseitigkeit!) 13018 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Wir wären gerne etwas weiter gegangen, was die Markt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) orientierung der Leistungserbringer angeht, DIE GRÜNEN) (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Machen Sie und die Arbeit, die zumutbar ist, auch annehmen müs- das auch bei der GKV!) sen. Darum geht es uns. die – das glauben jedenfalls Sie – im Wesentlichen Ihre Eines ist klar: Wir werden noch harte Diskussionen Klientel ist über diese Reform, die Millionen von Menschen betrifft, durchzustehen haben. Das sage ich insbesondere denje- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir machen nigen, die sich nicht in die Büsche schlagen können: das auch auf Ihrer Seite!) meiner eigenen Fraktion und der Koalition. Natürlich wird das nicht einfach werden, es steht noch bevor, aber und die Sie deshalb immer vor dem Markt zu schützen ich bin ziemlich sicher, dass wir das leisten können – bereit sind; das ist ja das Problem, das wir haben. weil wir es leisten müssen. Die Einsicht, dass Reformen (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des notwendig sind, wächst. Die Kluft, die bei Reformmaß- Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE nahmen in doppelter Hinsicht besteht, beginnt sich zu GRÜNEN] – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: schließen: die Kluft zwischen der abstrakten Bereit- Das machen wir auch bei der Bürgerversiche- schaft, Veränderungen mit zu tragen, und der abnehmen- rung!) den Bereitschaft, wenn es konkret wird, wenn man sel- ber betroffen ist; die Kluft auch zwischen den manchmal Dieses Thema haben wir angepackt und unsere Maß- schmerzhaften Entscheidungen, die jetzt sein müssen, nahmen wirken. Im ersten Halbjahr 2003 hatten die Kas- und den Erfolgen, die erst später eintreten werden. Diese sen ein Defizit von 2liarden Mil Euro. Im erstenKluft schließt sich. Das ist der Grund dafür, dass die Halbjahr 2004 war von einem Überschuss in Höhe von Menschen in Deutschland beginnen, den Reformprozess fast 2,5 Milliarden Euro die Rede. Dieser Turnaround auch dort, wo er konkret wird und wo sie selber betrof- hat also eine Größenordnung von 4,5 Milliarden Euro. fen sind, nachhaltig zu unterstützen. Das ist eine Per- Das würde sich manches Unternehmen wünschen. Ich spektive, die Mut macht, auf diesem notwendigen Weg finde, dass die Gesundheitspolitik von Frau Schmidt er- weiter voranzugehen. folgreich ist. Sie ist standhaft geblieben und hat sie ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ genüber den Interessengruppen durchgesetzt. Ich jeden- DIE GRÜNEN) falls bin ihr dafür sehr dankbar. Das will ich Ihnen ganz deutlich sagen. Ich kann mir natürlich nicht verkneifen, insoweit auch (B) einmal darauf einzugehen, was von der anderen Seite(D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des Hauses zu erwarten ist, und zwar in punkto Steuern DIE GRÜNEN) und in punkto Gesundheit. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben den Men- (Jörg Tauss [SPD]: Der Bierdeckel ist tot!) schen sagen müssen, dass wir eine neue Balance zwi- schen der solidarischen Absicherung bei Krankengeld Wir haben ja eine Idee geschildert bekommen, die die und Zahnersatz und der Eigenvorsorge brauchen. Wir Menschen in weiten Bereichen durchaus fasziniert hat, werden auch das durchsetzen. Ich bin mir ziemlich si- eine Idee, die mit dem Namen von HerrnMerz verbun- cher, dass das wieder zu Unmut führen wird – darauf den ist: die Steuererklärung gleichsam auf einem Bier- werde ich auch bei einem anderen Thema noch zu spre- deckel aufschreiben zu können. Ich finde, die Frage der chen kommen –, aber vor diesem Unmut darf man nicht Vereinfachung hat natürlich etwas Faszinierendes in ei- weglaufen. Man muss geduldig erklären, warum diese nem komplexen System, das für viele schwer durch- Maßnahmen im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres schaubar ist und häufig nur noch von Experten wirklich Landes sind und warum wir das, was wir machen, ma- in vollem Umfang durchschaut wird. Diese Idee ist na- chen müssen. Wir müssen das tun, auch wenn es für die- türlich faszinierend. Aber was ist aus der Idee – ich jenigen, die betroffen sind, manchmal bitter ist. unterstelle ihm durchaus, dass er das ernsthaft verfolgt hat – geworden? Auch in der Arbeitsmarktpolitik gab es jahrelang Dis- kussionen. Aber diese Koalition ist es doch gewesen, die (Zuruf von der CDU/CSU: Immer noch! – Ge- mit Hartz IV und den anderen Arbeitsmarktreformen genruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Er hat sich für mehr Flexibilität gesorgt hat, was sie auch weiterhin bemüht!) tun wird. Diese Regierung sagt: Diejenigen, die heute Sozialhilfe bekommen, aber arbeitsfähig sind, erhalten – Ist ja gut, das zu hören. das Arbeitslosengeld II – nicht nur, weil sie dadurch ver- Ich will doch einmal feststellen, dass in dem Gezerre sorgt sind, sondern auch, weil sie nur dann die Leistun- um das andere Thema das, was Sie sich vorgestellt ha- gen der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch nehmen ben, Herr Merz, zerredet und wegverhandelt worden ist. und in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden kön- Anders ausgedrückt: Man hat Ihnen die Bierdeckel, die nen. Das ist der Zusammenhang. Wir wollen niemanden Sie gebraucht hätten, schlicht weggenommen. in ein anderes Versorgungssystem verschieben, sondern wir wollen durch diese Reform dafür sorgen, dass dieje- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nigen, die arbeitsfähig sind, Arbeit bekommen DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13019

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Das ist das Problem, unabhängig von der Frage, ob das Vor diesem Hintergrund noch ein paar Bemerkungen, (C) wirklich geht. An die Stelle des Konzeptes „Bierdeckel“ die das unterstützen, was der Parteivorsitzende der SPD ist der Abgang von Herrn Merz getreten. neulich den Mitgliedern meiner Partei geschrieben hat: Worum geht es dabei? Es geht dabei zunächst einmal da- Es geht bei der Union noch weiter: Da haben Sie eine rum, deutlich zu machen, dass wir, von Ausnahmen ab- gewaltige Gesundheitsreform groß angekündigt. Was gesehen, die wir alle kennen, bei der Integration jener ist daraus geworden? fast 3 Millionen Türken, die bei uns leben, im Grunde (Zuruf von der SPD: Gar nichts!) mehr Glück als Pech gehabt haben. Sie haben wirklich ein bürokratisches Monstrum zu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stande gebracht, wie man es schlechter kaum machen DIE GRÜNEN) kann! Es geht auch darum, einmalfestzustellen, dass sich die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ große Masse unserer ausländischen Mitbürgerinnen und DIE GRÜNEN – Dr. Angela Merkel [CDU/ Mitbürger – welcher Nationalität auch immer – zwar CSU]: Mein Gott! – [Hamm] nicht in jeder Frage so verhält, wie wir uns das vielleicht [CDU/CSU]: Man muss es auch lesen!) im Einzelnen wünschen – das ist aber nicht das Pro- Ich will Ihnen gar keine darüber hinausgehende eigene blem –, dass sie sich aber gesetzestreu verhält und sich Bewertung zumuten, sondern nur sagen, was der Sach- an die Leitlinien unserer Verfassung hält. Das ist das, verständigenrat zu Ihrem Modell gesagt hat; darin sitzt ja was wir verlangen müssen und verlangen sollten, aber einer der Erfinder der von Ihnen vertretenen Grundidee auch nur verlangen dürfen. – die ich im Übrigen für falsch halte –: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Insgesamt werden die Nachteile des gegenwärtigen DIE GRÜNEN) Systems kaum beseitigt und die Vorteile eines Pau- schalbeitragssystems kommen kaum zur Geltung. Jenseits dessen geht es um Respekt davor, wie wir Das System wird äußerst kompliziert und noch un- hier leben – das ist gar keine Frage –, aber auch um Res- durchsichtiger als das gegenwärtige. Kurzum: Die- pekt vor dem, was andere Kulturen zu einem Leben in ses Modell ist ein Kompromiss, von dessen Umset- einer Gesellschaft wie der unseren beizutragen haben. zung abzuraten ist. Ich denke, wir sollten unsere Integrationsbemühungen immer auch mit dem Hinweis darauf verbinden, dass (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir, von ärgerlichen Erscheinungen abgesehen – ich DIE GRÜNEN) sage es noch einmal –, bezogen auf die bisherigen Inte- (B) (D) Dem habe ich nichts hinzuzufügen. grationsleistungen im Großen und Ganzen zwar noch nicht zufrieden, aber doch froh darüber sein können, Wenn man vor diesem Hintergrund die Regierungsfä- dass es in Deutschland nicht zu Eruptionen wie in be- higkeit der Opposition prüft, dann kann man nur sagen: stimmten Vorstädten in manchen anderen großen Gesell- Sie haben in beiden Bereichen bewiesen, dass Sie kon- schaften gekommen ist. Ich bin fest davon überzeugt, zeptionell zu nichts in der Lage sind. Sie haben aberdass wir das beibehalten müssen. nachhaltig bewiesen, dass Sie in der Lage sind, Ihre bes- ten Leute gehen zu lassen. Das ist das eigentliche Pro- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ blem, das die Opposition hat. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Jenseits dessen sollten wir klar machen – das kann DIE GRÜNEN) man durchaus auch einmal selbstkritisch sagen –, dass es Was die Innenpolitik angeht, noch ein paar Bemer- wahrscheinlich ein Fehler gewesen ist, nicht sehr viel kungen zur aktuellen Diskussion um dieIntegration. früher darauf hinzuweisen Ich warne vor einem: davor, die Debatte über die Frage (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ah, ja!) – ich komme darauf noch zurück –, ob man Beitrittsver- handlungen mit der Türkei – denn nur um die geht es– Sie haben das ja auch nicht getan –, ja – aufnehmen soll, (Zurufe von der CDU/CSU: Oh doch!) (Michael Glos [CDU/CSU]: Mit welchem Ziel?) dass die wichtigste Voraussetzung für die Integration in mit der Integrationsdebatte im Inneren unseres Landes eine Gesellschaft, in die man hineingeht, dieSprache zu verquicken. ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Michael Glos [CDU/CSU]: Wir haben das und bei der SPD) immer gesagt! Das ist unglaublich! – Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Das ist ja un- Ich warne davor, weil das in keinem Fall im deutschen glaublich!) Interesse sein kann: nicht was die Friedlichkeit im Inne- ren unserer Gesellschaft angeht und schon gar nicht, was Deswegen ist es unerhört wichtig, einzusehen, dass die die deutschen außerpolitischen Interessen angeht. Also Sprache gelernt werden muss. Das sollten wir als Gesell- lassen Sie uns das trennen. schaft auch abverlangen. 13020 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Interessant ist nun, dass wir das mit dem von der Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur an- (C) Union lange bekämpften Zuwanderungsrecht zum ers- deren Seite dessen machen, was wir als Reformpolitik ten Mal tun. für dieses Land vorschlagen und zu großen Teilen durch- gesetzt haben. Es geht nicht nur darum, diesozialen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sicherungssysteme, die wir Gott sei Dank in Deutsch- DIE GRÜNEN) land und in Europa haben, hier und in Europa zu erhalten Ich glaube, wir müssen dieses modernste aller Zuwande- und zukunftsfest zu machen. Nein, es geht zugleich da- rum, Ressourcen für wichtigste Zukunftsaufgaben frei- rungsrechte, die es in Europa und weit darüber hinaus zusetzen, die wir, so glaube ich, miteinander teilen. Es gibt, jetzt offensiv nutzen. Das gilt für die Regelungen geht um Forschung und Entwicklung. Wir haben die zur Sprache in ganz besonderer Weise. Ausgaben in diesem Bereich seit 1998 um mehr als ein (Michael Glos [CDU/CSU]: Ja, hoffentlich!) Drittel steigern können. Das ist nicht wenig, aber das ist auch nicht genug; das gebe ich zu. Zurzeit liegen die Es geht bei dieser Frage immer um eine vernünftige Ba- Ausgaben bei 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. lance zwischen dem, was wir von anderen Kulturen ler- Das ist mehr, als die anderen großen europäischen Län- nen können, und dem, was wir vor dem Hintergrund der der bereitstellen, aber weniger als in den skandina- Werte unserer Verfassung abverlangen können und müs- vischen Ländern. Wir müssen in dieser Dekade auf sen. Für jede Art innen- oder außenpolitischen Kreuzzug 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes kommen und das eignet sich dieses Thema zuallerletzt. wollen wir auch. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es gibt einen Weg, wie wir das schaffen können. Des- DIE GRÜNEN) wegen mein Appell: Blockieren Sie diesen Weg nicht länger! Wir müssen die rückwärtsgewandte Eigenheim- Sie haben nun angekündigt, Sie wollten eineWerte- zulage abschaffen, damit wir diese Mittel in Forschung, debatte führen. Gerne! Ich habe mir einmal die Erörte- Entwicklung und Bildung investieren können. Bis 2010 rungen auf dem CSU-Parteitag in Bayern angeschaut. sind das 15 Milliarden Euro. Wie denn sonst, wenn nicht Das war wahrlich keine reine Freude. Ich gebe aber zu, auf diese Weise, sollen wir das schaffen? dass das auf allen Parteitagen so ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Franz Müntefering [SPD]: Na! – Heiterkeit DIE GRÜNEN) bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wo er Recht hat, hat er Wir müssen in Betreuung von Kindern investieren, Recht!) und zwar nicht nur um Gerechtigkeit zwischen den Ge- schlechtern zu realisieren, auch wenn das allemal ein (B) Dort ist ein ganz interessanter Versuch gemacht worden, wichtiges Ziel ist. Vielmehr müssen wir auch dafür sor- (D) über den wir, da bin ich mir ziemlich sicher, auch in Be- gen, dass die Kreativität und die Leistungsbereitschaft zug auf die Entscheidungen für 2006 sehr intensiv mit- von Frauen ökonomisch genutzt werden können. Ich einander diskutieren werden. Es wurde versucht, einesage es noch einmal: Wer glaubt, Fehler in diesem Be- neue Dimension in der Wertediskussion zu erreichen.reich allein durch Zuwanderung ausgleichen zu können Wenn man sich die Reden angehört hat, in denen Konse- und so für die in der Wirtschaft fehlenden Arbeitskräfte quenzen formuliert wurden, die angeblich oder tatsäch- zu sorgen, irrt, weil das die Integrationsfähigkeit unserer lich aus bestimmten Menschenbildern folgen, und diese Gesellschaft bei weitem übersteigen würde. Das brau- mit den Beschlüssen des Parteitages, bei denen es um die chen wir auch, aber nicht nur. harte Wirklichkeit ging, vergleicht, dann stellt man fest, Deswegen halte ich es für außerordentlich wichtig, dass – das sage ich Ihnen voraus –, diese Wertedebatte dass das, was wir gegenwärtig vorbereiten, von den sehr interessant wird. Sie reden abstrakt über Solidarität Kommunen umgesetzt wird, und über die Würde des Menschen – damit meinen Sie ja wohl auch die arbeitenden Menschen –, wenn es dann (Beifall bei den Abgeordneten der SPD) aber konkret wird, reden Sie über die Abschaffung des nämlich dass die 1,5 Milliarden Euro von den 2,5 Mil- Kündigungsschutzes und über die Abschaffung der liarden Euro, die wir den Kommunen im Zuge der Hartz- Mitbestimmung. Diese Art einer verqueren und unehr- IV-Reformen zur Verfügung stellen, wirklich für die Be- lichen Wertedebatte werden wir Ihnen nicht durchgehen treuung der unter Dreijährigen eingesetzt werden. Das lassen. ist wichtig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen: Zu dieser Diskussion werden wir die bei Polemik gegen den Bund, der in dieser Legislaturperiode Ihnen auftauchenden Differenzen zwischen den Werten für die Betreuung in den Schulen 4 Milliarden Euro im Himmel einerseits und der brutalen Wirklichkeit auf lockermacht, aber dafür ngeblich a nicht zuständig ist, der Erde andererseits genau abklopfen. Das wird einenutzt doch überhaupt nichts. Stattdessen sollte das Geld sehr interessante Debatte werden, damit wir uns da völ- sinnvoll investiert werden. Darum geht es, und das wäre lig richtig verstehen. besser, als hier Polemik zu betreiben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13021

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Ich finde, die Debatten über die Frage, welchen Wert (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) Ausbildung für die jungen Menschen hat, haben genutzt. DIE GRÜNEN) Der Ausbildungspakt, den wir geschlossen haben, be- ginnt zu greifen, auch wenner noch nicht idealtypisch Ich scheue sie nicht. Ich weiß, warum wir Nein gesagt ist; das ist gar keine Frage. Aber die Zahl der in den Be- haben und warum wir das in aller Fairness und Offenheit trieben angebotenen Ausbildungsplätze steigt. Das ist unseren Partnern vermittelt haben. ein großer Erfolg, den wir miteinander erzielt haben, wo- Ich habe in diesen Fragen immer wieder darauf hinge- mit ich unsere Seite dieses Hauses zusammen mit derwiesen – dabei bleibe ich auch –, dass niemand Wirtschaft meine. Deutschlands Beitrag zur friedlichen Entwicklung in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Welt gering schätzen sollte. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind diejenigen, ohne die die Wahlen in Afgha- Wenn wir klar machen, dass all das, was wir dennistan nicht so hätten ablaufen können, wie sie abgelau- Menschen in Deutschland an schmerzlichen Entschei- fen sind. dungen und Zumutungen auferlegen müssen, damit ver- bunden ist, dass wir Zukunftsfähigkeit durch Investi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tionen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, DIE GRÜNEN) Bildung und Betreuung schaffen müssen und wollen,Ich sage das sehr selbstbewusst, ohne jeden Anflug von dann werden sich – da bin ich sicher – die Bewusstseins- Überheblichkeit. Ohne uns, ohne unsere Bundeswehr lagen für die Notwendigkeit von Reformprozessen in wäre das nicht so gelaufen. Das weiß man in Amerika immer noch reichen Gesellschaften weiter positiv verän- und anderswo. Ohne uns, ohne unsere 4 000 Soldaten dern. Davon bin ich überzeugt. auf dem Balkan, hätten wir dort Konflikte ganz anderer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Art. Deshalb bin ich stolz auf diejenigen, die das dort des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) leisten, auf die Soldaten der Bundeswehr. Zu dieser Generaldebatte möchte ich auch ein paar (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bemerkungen zur internationalen Politik machen. Es DIE GRÜNEN) ist wahrlich kein leichtes internationales Umfeld, in dem wir unsere Position zu finden und zu behaupten haben. Im Übrigen hoffe ich, dass anerkannt wird – von un- Ich stimme all denjenigen zu, die sagen – deswegen hat seren Partnern wird das auch anerkannt –, was wir tun. es von uns darüber kein einziges Wort gegeben –, es sei Wir waren die Ersten, die in den Emiraten angefangen Sache des amerikanischen Volkes, seinen Präsidenten zu haben, und zwar erfolgreich, irakische Polizei und iraki- (B) (D) wählen. Ich habe immer hinzugefügt: Wir werden mit je- sches Militär auszubilden. Wenn Sie nicht nur die Be- dem, der dort gewählt wird, gut zusammenarbeiten. Das richte der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, son- gilt ausdrücklich auch für den wiedergewählten amerika- dern auch die der anderenlesen, werden Sie merken, nischen Präsidenten. Die Diskussionen auf allen Ebenen dass diese Zusammenarbeit mit den Vereinigten Ara- über diese Zusammenarbeit laufen besser, als Sie sich bischen Emiraten für einen friedlichen, einen sicheren das vorstellen können. Das werden Sie auch erleben. Irak von höchster Qualität ist und in der internationalen Staatengemeinschaft in höchstem Maß anerkannt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Darauf können wir mit Fug und Recht stolz sein. Darauf können wir verweisen und wir sollten es tun. Es geht dabei um einige Entwicklungen in der inter- nationalen Politik, die noch in diesem, erst recht aber im Wir sind es doch gewesen, die dem Drängen nachge- kommenden Jahr auf uns zukommen werden. Die wer- geben und gesagt haben: Müssen wir nicht einem poten- den nicht unerheblich sein. Wir sind im Irak noch nicht ziell wohlhabenden Land wie dem Irak, das seinen Öl- so weit, dass man auch nur in Ansätzen von einer friedli- reichtum aber auf absehbare Zeit nur schwer wird nutzen chen Entwicklung reden könnte. Trotzdem hoffen wir können, dadurch helfen, dass wirSchulden stunden auf die Wahlen und wir unterstützen alles – der Außen- bzw. erlassen, schlicht deshalb, damit das Geld, das er- minister hat das gerade auf der Konferenz in Scharm al- lassen ist, nicht für Zahlungen an Gläubiger verbraucht Scheich getan –, damit die Wahlen im Januar des nächs- werden muss, sondern für den Wiederaufbau des Landes ten Jahres stattfinden können. Das wäre doch wichtig. verwendet werden kann? Wir sind daran interessiert – unabhängig von der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frage, wie wir zum Krieg standen, und unabhängig von der Frage, wie wir zum Einsatz deutscher Soldaten ste- Im Grunde gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entwe- hen –, dass es eine vernünftige, friedliche Entwicklung der man macht es auf diese Weise oder die internationale im Irak gibt. Wir tun auch etwas dafür, aber eben nicht Staatengemeinschaft zahlt auf Geberkonferenzen Bei- mit Soldaten. Ich habe festzustellen – ich habe das in der träge, die sie zusagt. Wir haben das zusammen mit unse- letzten außenpolitischen Rede von Herrn Schäuble schon ren Partnern in der Welt, mit den Amerikanern, mit den gemerkt; jetzt ist es auch wieder bei Herrn Glos deutlich Franzosen, mit den Briten,mit den Russen im Pariser geworden –, dass wir uns unterscheiden: Sie wollen,Club getan. Ich glaube, das ist ein Beitrag, den wir deut- dass deutsche Soldaten in den Irak kommen, zwar nur in lich machen sollten, ein Beitrag, der dem Wiederaufbau Stäben, aber in den Irak, und wir wollen das nicht. Da- eines friedlichen Irak dient und der von Deutschland rüber werden wir eine faire Auseinandersetzung führen. im Rahmen seiner Möglichkeiten geleistet worden ist. 13022 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Ich hoffe und erwarte auch, dass wir jetzt in eineEndes des Zweiten Weltkriegs begangen wird, deutlich (C) Phase kommen, in der im Nahen Osten jener Konflikt, gemacht werden, dass es notwendig ist und in unserem der sehr häufig nicht Ursache für internationalen Terro- ureigensten Interesse liegt, eine solche Partnerschaft rismus ist, diesem aber el vi Zulauf ermöglicht, gelöst zwischen der Russischen Föderation und Europa bzw. werden kann. Ich meine denKonflikt zwischen Paläs- zwischen Russland und Deutschland zuwege zu bringen. tina und Israel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich denke, wir alle sind uns darin einig, dass es jetzt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auf der palästinensischen Seite Hoffnung gibt. Ich hoffe, Es ist viel von den tatsächlichen oder vermeintlichen dass dies auch auf der aelischen isr Seite der Fall ist; freundschaftlichen Beziehungen die Rede. Es sind tat- auch dafür gibt es Signale. Vor allen Dingen gibt es sächlich freundschaftliche Beziehungen. Ich bin erstens Signale vom amerikanischen Präsidenten, dass man sich fest davon überzeugt, dass der russische Präsident Russ- dieses Themas intensiv annehmen will. Ohne die Ameri- land zu einer Demokratie entwickeln will und dass er kaner wird es nicht gehen. Das Quartett ist wichtig. Das das aus innerer Überzeugung tut. gilt auch für die anderen in diesem Quartett: die Euro- päer, die Russen und die Vereinten Nationen; aber ohne (Unruhe bei der CDU/CSU) einen entschiedenen Beitrag der Vereinigten Staaten von – Das können Sie zwar anzweifeln, aber es ist meine Amerika wird der israelisch-palästinensische Konflikt Überzeugung. nicht zu lösen sein. ( [CDU/CSU]: Lupenreine De- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mokratie!) Deswegen können wir alle nur hoffen, dass es gelingt, – Mit dem Begriff „lupenrein“ ist das so eine Sache. Wer die neue amerikanische Administration, die die alte ist, ist das schon außer Ihnen? Da wäre ich etwas zurückhal- dazu zu bewegen, diesen Konflikt als ein zentrales Auf- tend. gabenfeld anzunehmen. Denn nur sie kann es leisten; an- dere können es nicht alleine schaffen. In dem Maße, wie (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – dies geschieht, werden wir es nach meiner Überzeugung Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Sie haben es schaffen, den Zulauf verarmter und auch fehlgeleiteter doch gesagt!) Massen zu Terroristen zu unterbinden. Der Konflikt, der bisher nicht gelöst werden konnte, bietet Terroristen im- Er ist nach meiner Auffassung fest davon überzeugt, mer wieder Möglichkeiten, ihn zu nutzen. Deswegen ist dass dies die Perspektive für sein Land ist, für ein gewiss die Lösung dieses Konflikts so außerordentlich wichtig. nicht einfach zu regierendes Land, das im Übrigen – wenn Sie sich die Landkarte vor Augen führen – in den (B) (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ letzten Jahren bzw. im letzten Jahrzehnt nicht unerhebli- DIE GRÜNEN) che Anstrengungen unternommen hat, etwas für die Partnerschaft mit dem Westen zu tun. Ich denke dabei an Ich bin außerordentlich dankbar und halte es für eine die Partnerschaften, die wir in der NATO mit Russland sehr große Leistung nicht zuletzt unseres eigenen Au- eingegangen sind und die auch – weil sie richtig waren – ßenministers, dass es im Verein mit den Franzosen und akzeptiert worden sind. den Briten gelungen ist – jedenfalls sieht es so aus –, den Konflikt über den Iran, der sich abzeichnete, zu deeska- Zweitens bin ich fest davon überzeugt, dass er und ich lieren und dafür zu sorgen, dass die Iraner aus freien Stü- das gemeinsame Ziel haben, das, was im letzten Jahr- cken den Brennstoffkreislauf nicht schließen. Die Euro- hundert geschehen ist, den Blutzoll, der wegen einer ver- päer haben auch mit Angeboten einer entwickeltenkehrten Politik und wegen der Aggression, die von Zusammenarbeit dafür gesorgt, dass in dieser so gebeu- Deutschland ausgegangen ist, von beiden Völkern gefor- telten Region kein neuer Krisenherd entsteht. dert wurde, ein für allemal zu beenden und es zu schaf- fen, durch eine so strategisch gemeinte Beziehung dau- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erhaft den Frieden zwischen Deutschland und Russland DIE GRÜNEN) zu sichern. Das ist meine Vision, von der ich nicht abge- Lassen Sie mich – damit das nicht falsch aufgefasst hen und die ich weiter strikt verfolgen werde. wird – etwas dazu anmerken, was ich an unserem Ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hältnis zu Russland für wichtig halte. Ich habe die Äu- DIE GRÜNEN) ßerungen von Herrn Schäuble in Moskau zu diesem Thema zur Kenntnis genommen. Ich habe auch zur Das heißt doch nicht – das sei nicht nur deshalb ge- Kenntnis genommen, dass in diesem Hause bis auf Ein- sagt, weil Michael Glos es erwartet –, dass man nicht in zelheiten, die Sie kritisiert haben – ich habe das verfol- aller Deutlichkeit kritisieren könnte und müsste, was in gen können –, möglicherweise Übereinstimmung da-der Ukraine passiert ist. Ich habe doch nichts abzustrei- rüber besteht, dass wir gut daran tun, geduldig einechen von dem, was die OSZE-Beobachter mitgeteilt ha- strategische Partnerschaft zwischen der EU – dasben, wonach es zu massiven Wahlfälschungen gekom- bedeutet allemal, wenn nicht sogar zuallererst Deutsch- men ist. Dass die Europäische Union genauso wie der land – und der Russischen Föderation aufzubauen. Ich Bundesaußenminister für die Bundesregierung deswe- glaube, es muss nicht nur aus ökonomischen Gründen gen in aller Deutlichkeit reagiert hat, kann ich gern un- und längst nicht nur aus ergiepolitischen en Gründen terstreichen. Das hat er auch in meinem Namen getan. nicht zuletzt in dem Jahr, in dem der 60. Jahrestag des Damit habe ich nicht das geringste Problem. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13023

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Einfluss dauerhaft sein soll – dass aus realpolitischen(C) DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Glos Gegebenheiten darum gekämpft wird, kann man kaum [CDU/CSU]) vermeiden –, kann er nur gegründet werden auf diejeni- gen, die auf dem richtigen Weg sind, nicht auf diejeni- Lassen Sie uns dabei mithelfen, dass die dort ohne un- gen, die offenkundig auf dem falschen Weg sind. Da bin ser Zutun entstandene Situation – wo die Demokraten ich ganz bei Ihnen. stehen, kann ja nicht zweifelhaft sein – nicht außer Kon- trolle gerät. Ich will im Rahmen meiner Möglichkeiten (Beifall bei der SPD) gern meinen Beitrag dazu leisten, dass die Situation friedlich gelöst wird und dass all diejenigen, die daran Meine Damen und Herren, ich möchte ein paar ab- ein Interesse haben, unterstützt werden. Das ist für mich schließende Bemerkungen zu den europäischen Fragen gar keine Frage. machen. Die zentrale Frage ist: Wie gehen wir mit der EU-Verfassung um? Ich bin froh darüber, dass es im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Gegensatz zu anderen Ländern in diesem Haus, von ge- DIE GRÜNEN) ringen Ausnahmen abgesehen, über die Notwendigkeit, den Verfassungsprozess auch in Deutschland zu einem Aber bei aller Klarheit in der Kritik an Wahltäuschungen guten und schnellen Ende zu bringen, keine unterschied- und Wahlmanipulationen haben wir alle ein Interesse da- lichen Meinungen gibt. Ich kenne die Debatten über ple- ran, dass die Situation nicht gewaltsam eskaliert. biszitäre Instrumente. Wir werden über die europäische (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Verfassung vermutlich im parlamentarischen Verfahren hier wie im Bundesrat beraten und beschließen und soll- Neben der Kritik an den dortigen Vorgängen muss das ten auch so verfahren. Es wäre gut, wenn Deutschland jetzt auch ein Teil unserer Aufgabe sein. schon früh im nächsten Jahr sagen könnte: Wir gehören zu den Ersten, die im Einklang mit unserer Integrations- Präsident Wolfgang Thierse: politik, die von allen getragen wird, die Verfassung ra- Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage tifiziert haben. des Kollegen Schäuble? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Bitte schön, natürlich. Sie haben sich wiederum kritisch zurErweiterung der EU geäußert, Herr Glos. Ich nehme an – das wäre Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): keine Überraschung –, dass Frau Merkel das auch tun wird. Ich will nur noch einmal klar meine Meinung (B) Ich frage Sie, ob, in Bezug auf die Ukraine die von (D) uns gemeinsam für richtig gehaltene Zusammenarbeit sagen. Die Türkei braucht eine Perspektive, nicht nur zwischen der Europäischen Union und der Russischen weil wir 40 Jahre gesagt haben, dass wir ihr eine eröff- Föderation sich jetzt nicht darin bewähren könnte, dass nen werden, wenn die Kopenhagen-Kriterien erfüllt sind man gemeinsam mit der Russischen Föderation für eine – das ist sicherlich wichtig –, sondern auch weil es um Achtung der Prinzipien einer demokratischen Wahl unsere ureigenen Interessen – ökonomische sowie politi- eintritt. Ich glaube, darin besteht eine Chance, sche die – geht. Schauen Sie sich die Lage in der dortigen Ukraine zu stabilisieren nd u es nicht zu einer neuen Region an! Ich habe über den Iran geredet. Ich hätte Konfrontation im Ringen um Einflusssphären zwischen auch über den südlichen Kaukasus reden können. Ich West und Ost kommen zu lassen. Wenn Präsident Putin, musste über den Irak reden. Niemand von uns weiß, wie Sie sagen, ein überzeugter Demokrat ist, sollte er wann der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst ist. von Ihnen gewonnen werden können, für die Einhaltung Es gibt also Schwierigkeiten in dieser Region. Vor die- demokratischer Grundsätze in der Ukraine einzutreten. sem Hintergrund ist es von ungeheuer großer Bedeutung für die nationalen Interessen Deutschlands, dafür zu sor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen, dass die Türkei ein prowestlich ausgerichteter Fak- tor der Stabilität wird und bleibt. Bundeskanzler: Gerhard Schröder, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich finde, dass die Bemerkungen und die Feststellun- DIE GRÜNEN) gen, die in Ihrer Frage liegen, erstens richtig sind Das ist der eigentliche Grund – machen Sie sich keine (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der anderen Hoffnungen –, warum wir im Dezember dieses CDU/CSU) Jahres zusammen mit allen unseren Freunden aus Eu- und zweitens verfolgt werden müssen und auch verfolgt ropa für die Aufnahme von Verhandlungen mit einer werden; dessen können Sie sicher sein. Die Antwort auf zehn- bis fünfzehnjährigen Perspektive streiten und da- die Frage, ob das zu dem Ergebnis führen wird, das Sie rüber entscheiden werden. wie ich gern hätten, bleibt offen. Lieber Herr Glos, machen Sie nicht wieder den glei- Sie haben interessanterweise etwas angesprochen, chen Fehler wie bei der letzten Erweiterungsrunde, als es was vielleicht in der außenpolitischen Debatte noch ein- um die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen mal zum Ausdruck kommen wird: Es geht hier nicht nur Staaten ging. Auch damals haben Sie – längs der bayeri- um die Ukraine, sondern auch um Einflusssphären. Ich schen Grenzen – vor Wanderungsbewegungen gewarnt. gehöre zu denjenigen, die immer sagen würden: Wenn Wir haben dagegen mit vernünftig ausgestalteten 13024 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Übergangsregelungen reagiert. Das war damals so und (Zustimmung bei der SPD und dem BÜND- (C) ist problemlos verlaufen und das wird wieder so sein. NIS 90/DIE GRÜNEN) Machen Sie nicht wieder den gleichen Fehler, die Men- dann möchte ich mich dafür ausdrücklich entschuldigen. schen mit falschen Informationen und Prognosen auf die Bäume zu treiben. Es war sicherlich nicht sehr geschickt von mir, dieses Bild zu wählen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der DIE GRÜNEN) SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ich denke, dass inzwischen jeder weiß, wie wichtig und der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE unser Verhältnis zu Frankreich ist und wie bedeutsam es GRÜNEN: Schäbig war es!) ist, dass wir uns eng abstimmen, was gegen niemanden gerichtet ist. Häufig kommen noch andere Staaten hinzu, Präsident Wolfgang Thierse: zum Beispiel Spanien und Großbritannien. Das wird Danke schön. auch angesichts eines Europas der 25 ein richtiges und vernünftiges Konzept sein. Sie sehen doch, dass die Ich erteile nun dem Kollegen Guido Westerwelle, Bundesregierung, der Außenminister ebenso wie ich,FDP-Fraktion, das Wort. sensibel mit dem Verhältnis Deutschlands zu Polen um- geht und gelegentlich die Sensibilität – ich füge hinzu: Dr. Guido Westerwelle (FDP): gegen Einzelne aus Ihren Reihen – verteidigen muss, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- was wir auch tun. Wir würden uns freuen, wenn Sie, die ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundes- Opposition als Ganzes und insbesondere ihre Führung, kanzler, ich möchte gerne mit einigen Vorbemerkungen gelegentlich mitmacht. beginnen. Ganz am Anfang haben Sie etwas gemacht, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ was aus unserer Sicht, aus Sicht der Opposition, kaum DIE GRÜNEN) akzeptabel ist: Sie fordern die Opposition auf, unser Land nicht schlechtzureden. Niemand in der Opposition Ich hatte meine Rede mit dem Hinweis auf dasJah- redet unser Land schlecht. Wenn jemand die deutsche resgutachten des Sachverständigenrates begonnen. Bundesregierung für ihre schlechte Politik kritisiert, Dort ist die Rede von Erfolgen, die wir nicht nur nach dann wird nicht das Land schlechtgeredet, sondern be- außen haben, und von Herausforderungen, die wir im In- rechtigte Kritik an ihrer Politik geübt. nern haben. Herausforderungen sind sicherlich vorhan- den und werden auch bestehen bleiben. Aber die rot- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (B) grüne Koalition ist die Konstellation – seien Sie sich Sie offenbaren an dieser Stelle ein bemerkenswertes (D) dessen sicher –, die für die Erfolge nach außen, in der in- Selbstverständnis. Es erinnert ein wenig an den Absolu- ternationalen und insbesondere in der europäischen Poli- tismus. Ludwig XIV. hat gerufen: „L’état c’est moi.“ Das tik, verantwortlich ist und die die einzige Kraft ist, die bedeutet: Der Staat bin ich. Ich warte darauf, dass Sie mit den Herausforderungen, die der Sachverständigenrat sich jetzt eine gepudertePerücke aufsetzen. Herr Bun- genannt hat, fertig werden kann. Das ist unsere Gewiss- deskanzler, Sie werden kritisiert. Wir lieben unser Land heit. Das sollte der Kern der Debatte über unseren Haus- – das ist übrigens ein Satz, der keinem Mitglied dieser halt sein. Regierung über die Lippen gehen würde – und wir wol- Vielen Dank. len eine bessere Regierung für Deutschland, gerade weil es eine bessere Regierung verdient hat. (Lang anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben etwas zur Außenpolitik gesagt, was sehr Präsident Wolfgang Thierse: bemerkenswert ist. Auch darauf will ich eingehen. Sie Ich erteile dem Kollegen Michael Glos das Wort zu haben über Russland und die USA gesprochen. Niemand einer Zwischenbemerkung. Bitte sprechen Sie vom Platz aus den Reihen der Opposition kritisiert, dass der deut- aus. sche Bundeskanzler und die Bundesregierung an einer guten Beziehung zu Moskauarbeiten. Wir kritisieren, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jeder dass es aus unserer Sicht Achsenbildung eine blamiert sich so gut er kann!) Paris–Berlin–Moskau gibt, die wir außenpolitisch für falsch halten. Wir sagen: Es kann nicht richtig sein, dass Michael Glos (CDU/CSU): diese Bundesregierung an den Vereinigten Staaten von Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undAmerika alles kritisiert – davon vieles zu Recht –, aber Herren! Ich habe leider noch nicht das amtliche Proto- beim Thema Menschenrechte gegenüber Moskau koll. Nach einer Agenturmeldung habe ich in der De-schweigt. Diese Einseitigkeit halten wir für falsch. batte vorhin harte Vorwürfe gebraucht, als es um die Tat- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sache ging, dass der so genannte Fischer/Volmer-Erlass so viel illegale Zuwanderung in die Europäische Union Auch die Auseinandersetzung in diesem Hause zeigt: nach sich gezogen hat. Dabei ist auch das Wort „Zuhäl- Durch die Entwicklungen in den letzten zwei, drei ter“ gefallen. Es tut mir sehr Leid. Wenn sich dadurch je- Jahren, aber auch durch manches, was Sie früher vertre- mand beleidigt gefühlt hat, ten haben, steht Ihnen in Wahrheit Moskau politisch- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13025

Dr. Guido Westerwelle (A) inhaltlich und auch menschlich mittlerweile näher als Herr Abgeordneter Schröder, jetzt will ich einmal das (C) Washington. Wir sind der Überzeugung: Wer wiedergeben, die was der Sachverständigenrat gesagt hat, europäische Integration befördern will, der darf das trans- weil es mir besonders viel Freude gemacht hat, dass aus- atlantische Band nicht durchschneiden. Wir wollen Euro- gerechnet Sie, Herr Kollege Schröder, den Sachverstän- pa einigen, aber nicht in Gegnerschaft zu, sondern indigenrat als Kronzeugen für Ihre Politik angeführt ha- Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. ben. Ich zitiere einmal etwas vom Sachverständigenrat, Deswegen sind wir gegen Ihre Achsenbildung. wozu Sie nichts gesagt haben; interessanterweise haben Sie das verschwiegen. Der Sachverständigenrat rät uns: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Erstens. Unabhängig davon ist mehr Flexibilität insbe- der CDU/CSU) sondere auf Teilbereichen des Arbeitsmarktes gefordert. Der Bundeskanzler folgt jetzt dort hinten dem ersten Angesprochen werden zweitens die dringliche Rückfüh- Redner der Opposition, der auf ihn antwortet. Vielenrung der Defizite in den öffentlichen Haushalten und Dank, Herr Kollege! Schaffung eines die Wachstums- und Investitionsanreize stärkenden Steuersystems, vor allem drittens eine Re- (Zuruf von der SPD: Der kann das nicht ertra- form der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversi- gen so dicht dabei!) cherung und der Pflegeversicherung, viertens eine Be- Ihr Verhalten ist bemerkenswert. An dieser Stelle kön- seitigung der erkennbaren Mängel auf allen Ebenen des nen wir auch einmal über Stilfragen reden. deutschen Bildungssystems und fünftens eine teilweise Neuausrichtung des Aufbaus Ost. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir hätten vom Bundeskanzler der Bundesrepublik Sie machen hier Mätzchen: Der Bundeskanzler hält in Deutschland erwartet, dass er hier nicht im Wesentlichen einer Generalaussprache eine Rede. Der erste Redner der erklärt: Hartz IV, Agenda 2010 – ich habe meine Arbeit Opposition geht ans Pult. Die Reihe lichtet sich. Dergetan. – Herr Bundeskanzler, Sie wollen sich auf dem, Vizekanzler geht ein bisschen scharwenzeln. Der Bun- was Sie gemacht haben, ausruhen. Wir hätten von Ihnen deskanzler setzt sich erst mal gemütlich hinten ins Ple- erwartet, dass Sie uns sagen, wie Sie die Probleme, die num. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir mer- der Sachverständigenrat zu Recht analysiert hat, lösen ken uns das. Das ist eineStilfrage. Wir sagen Ihnen wollen. Was sind Ihre Vorstellungen zur Liberalisierung schon jetzt zu: Wir werden der scheidenden Regierung des Arbeitsmarktes? diese Stillosigkeiten gleichwohl nicht mit gleicher Münze zurückzahlen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ha- ben nicht zugehört!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (B) Lachen bei der SPD) Können wir weiter zusehen, dass ein Kündigungsschutz- (D) gesetz in Wahrheit Neueinstellungen verhindert? Was ist Weil Sie sich dahinten jetzt so freuen, Herr Abgeord- mit dem komplizierten Steuersystem? Können wir zuse- neter Schröder, wollen wir einmal über die Dinge reden, hen, dass Investitionen deswegen in unsere Nachbarlän- die Sie uns hier vorgeworfen haben. Sie haben das Ver- der abwandern? Was ist mit dem Bildungssystem? Ist es hältnis der Freien Demokraten zu den Apotheken ange- akzeptabel, dass wir bei PISA immer schlechtere Noten sprochen. So ist das, HerrAbgeordneter Schröder: Die bekommen? Was ist mit dem Thema „Aufbau Ost“? einen kümmern sich um die Apotheken und die anderen Nicht ein Satz vom deutschen Bundeskanzler zum um die Drogerien. Thema „Aufbau Ost“! (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist das denn für ein Unsinn?) Schämen Sie sich für eine solche rein westorientierte Sicht der Dinge, meine sehr geehrten Damen und Her- Herr Bundeskanzler, was Sie jetzt hier machen, ist ein ren! bemerkenswerter Vorgang. Es wird eine bleibende Leis- tung von Ihnen sein, dass Sie den First Dog in der deut- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aufge- schen Politik etabliert haben. Was Béla Anda nicht ge- plustert!) schafft hat, schafft jetzt Holly. Sehr stark! Der Abgeordnete Schröder hat hier nichts anderes als (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: eine Stillstandserklärung abgegeben. Herr Schröder, Sie Haben Sie nicht eben was von Mätzchen ge- haben gesagt: Ich habe meine Arbeit getan und jetzt re- sagt?) den wir in Wahrheit nur noch über den Wahlkampf. So war es ja. Sie haben sich mit dem auseinander gesetzt, Wenn ein Bundeskanzler schon sein Haustier einsetzen was die Opposition an Ihnen kritisiert, nicht der Sache, muss, dann ist dessen Regierung wirklich auf den Hund sondern nur der Form nach; manchmal auch zu Recht. gekommen. Aber das ist, wie wir als Opposition finden, zu wenig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La- Ihre Politik wird immer schlechter, aber dieAusga- chen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgit- ben für die Werbung Ihrer Regierung werden immer ter] [SPD]: Sonst haben Sie nichts zu bieten, höher. Herr Westerwelle! – Peter Dreßen [SPD]: Sie sind nicht mal mehr Leichtmatrose, nur noch (Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ Smutje!) CSU]: Das ist logisch!) 13026 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Guido Westerwelle (A) Das ist ein interessantes Phänomen. Mittlerweile hat die Dr. Guido Westerwelle (FDP): (C) Bundesregierung eine halbe Milliarde Euro nur für Wer- Aber selbstverständlich. Ich freue mich, dass der Ab- bung ausgegeben; das war mal 1 Milliarde DM. geordnete Eichel eine Zwischenfrage stellt. Das beweist (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zumindest, dass der Abgeordnete Eichel anders als an- Gerade Sie müssen über Werbung reden!) dere Der Finanzminister, der angeblich ein Sparminister sein (Zuruf von der SPD: Gestatten Sie die Zwi- will, verdoppelt den Etat für Werbung und Öffentlich- schenfrage – ja oder nein?) keitsarbeit seines eigenen Hauses. Das ist die Lage. Wir noch peripher dieser Diskussion folgt. Das ist ja schon halten das für einen völlig falschen Weg. Wir sind der einmal ein Ergebnis. Überzeugung, dass Sie sich, wenn Sie eine bessere Poli- tik machen und damit die entsprechenden Wirkungen er- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zielen würden, diese Hunderte von Millionen Euro spa- der CDU/CSU) ren könnten, die Sie für Werbung zum Fenster Bitte, Herr Abgeordneter Eichel. – Herr Abgeordneter hinauswerfen. In Wahrheit greifen Sie mit Steuergeldern Schröder, der Abgeordnete Eichel spricht. Jetzt können in Wahlkämpfe ein. DieseArt der Auseinandersetzung ist aus unserer Sicht falsch. Wer sparen will, darf nicht Sie wieder zuhören. seinen eigenen Propagandaetat immer weiter aufblähen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Er muss dafür sorgen, dass er gute Ergebnisse erzielt, die CDU/CSU – Widerspruch von der SPD) für seine Politik sprechen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Hans Eichel (SPD): der CDU/CSU) Herr Abgeordneter Westerwelle, Sie haben eben be- hauptet, die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit seien ge- Die Ergebnisse von sechs Jahren und zwei Monaten Rot-Grün sind beträchtlich. Das ist wahr; das müssengenüber denen der CDU/CSU-FDP-Regierung um ein wir feststellen. Sie sagen, Deutschland sei auf einem gu- Vielfaches gestiegen. Der Iststand der Ausgaben der Re- ten Weg. Wir können angesichts der Tatsache, dass die gierung des Jahres 1998 – ich rechne nicht die Ausgaben Bundesagentur für Arbeit für diesen Winter 5 Millionen des Bundespräsidenten, des Bundestages, des Bundesra- Arbeitslose voraussagt, nicht erkennen, dass tes, sich des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundes- Deutschland auf einem guten Weg befindet. rechnungshofes ein – betrug 85,726 Milliarden Euro, das Soll des Jahres 2004 beträgt 86,774 Milliarden Euro. (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Was soll das denn?) (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Mil- (B) lionen!) (D) Im September hatte dieArbeitslosigkeit den höchsten Stand seit der deutschen Einheit erreicht. Wir erleben die – Schön, es sind Millionen. Damit haben Sie Recht. Das größte Pleitewelle seit Gründung der Bundesrepublikändert aber gar nichts. Deutschland. Mit Ihren gestrigen Beschlüssen ist die (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Milliarden, Staatsverschuldung auf den höchsten Stand seit Grün- Millionen – alles ganz durcheinander! – La- dung der Republik gestiegen. Wer in Anbetracht von sol- chen bei der CDU/CSU) chen Zahlen allen Ernstes glaubt, seine Politik sei rich- tig, der leidet unter Realitätsverlust. Auch bei Ihnen hatte ich ja versehentlich Milliarden ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sagt. Am Verhältnis ändert das ja nichts. der CDU/CSU) Im Haushalt 2005 sind 90,194 Millionen Euro vorge- Sie haben abgewirtschaftet. Sie verletzen in Wahrheit sehen. In meinem Haushalt sinkt der Etat dieses Jahr im auch die wirtschaftliche und politische AutoritätVergleich zum vorigen Jahr. Das hat damit zu tun – das Deutschlands in Europa und in der Welt. Die internatio- wird in diesem und im nächsten Jahr noch eine große nale Stärke Deutschlands hängt ganz entscheidend da- Rolle spielen –, von ab, dass wir wirtschaftlich stark sind. Sie haben (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) überall Rekordergebnisse vorzuweisen – bei Arbeitslo- sigkeit, bei Schulden, bei Pleiten; die Stimmung ist auf dass wir unsere Maßnahmen zur Bekämpfung von dem Tiefpunkt. Das ist deswegen so bedenklich, weilSchwarzarbeit verdeutlichen müssen. man sich wirklich Sorgen machen muss, wenn eine Bun- (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) desregierung angesichts dessen meint, es sei schon ge- nug getan, eigentlich könne man jetzt mit Reformieren Ich frage Sie: Werden diese Zahlen von Ihnen bestritten, aufhören. Sie haben hier eine Rede des Stillstandes ge- Herr Abgeordneter Westerwelle? halten. Zweite Frage. Sie haben behauptet, wir seien für die größte Verschuldung verantwortlich. Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Westerwelle, gestatten Sie eine Zwi- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja!) schenfrage des Abgeordneten Eichel? Im Jahre 1996 hat der Bundeshaushalt knapp 40 Milliar- (Lachen des Abg. Dietrich Austermann [CDU/ den Euro neue Schulden gemacht; das waren 2,2 Prozent CSU]) des Bruttoinlandsproduktes. Wenn der Bundeshaushalt, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13027

Hans Eichel (A) wie in diesem Jahr mit dem Nachtragshaushalt vorgese- – Jetzt geht es wieder. (C) hen, 43,5 Milliarden Euro Schulden machen sollte, sind das 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit genü- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist gen wir dem Maastricht-Kriterium, das Sie immer so ein unangemessener Umgang! Das ist nicht in hochhalten, im Übrigen zu Recht. Frage also: Ist es rich- Ordnung!) tig, dass im Jahre 1996 nach volkswirtschaftlicher Be- Herr Kollege Eichel, ich will Ihnen auch auf Ihre erste trachtung die Verschuldung des Bundes höher war als im Frage antworten. Sie haben eine Frage zum Thema Jahre 2004? Öffentlichkeitsarbeit gestellt und die entsprechenden Zahlen vorgetragen. Dr. Guido Westerwelle (FDP): ( [Hildesheim] [SPD]: Er Herr Abgeordneter Eichel, ich danke Ihnen außeror- hat von Verdopplung gesprochen!) dentlich für diese erhellenden Zahlen, die Sie wiederge- geben haben, weil sie all das bestätigen, was ich gesagt Deswegen wollen wir einmal über das reden, was Sie in habe. Wahrheit überhaupt nicht mehr einbeziehen. (Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgit- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ter] [SPD]: Wahrnehmungsprobleme!) doch nicht die Antwort! – Joachim Poß [SPD]: Ich fange einmal mit dem letzten Punkt an, den Sie Dann braucht er doch nicht stehen zu bleiben!) genannt haben, den 43,5 Milliarden Euro Neuverschul- Sie verstecken in Wahrheit wesentliche Ausgaben für dung. Entschuldigen Sie bitte, aber als Finanzminister Öffentlichkeitsarbeit, die Sie in die Zahlen nicht hinein- haben Sie genau diese 43,5 Milliarden Euro erstens nicht rechnen, die wir als Opposition aber selbstverständlich vorhergesehen und zweitens niemals eingeplant. Deswe- hineinrechnen. gen hat dieses Haus gestern mit der Mehrheit von SPD und Grünen jeden Bürger, der uns jetzt zusieht, jedes (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Kind, jeden Greis, jeden, der in Deutschland lebt, um Wo ist die Verdopplung?) 530 Euro mehr verschuldet. Dafür sind Sie persönlich verantwortlich. Diese Zahlen können Sie erstens nicht Wir sehen das am Beispiel unserer Kollegin Künast, der Bundesministerin. Sie gibt 1,5 Millionen Euro für „nach- bestreiten haltiges Waschen“ aus. 20 Millionen Euro werden in an- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Antwor- deren Titeln in diesem Haushalt versteckt. Es hat über- ten Sie doch mal auf die Frage!) haupt nichts mit ökologischem Landbau zu tun, wenn Broschüren gedruckt werden. Das ist Öffentlichkeitsar- (B) und zweitens sprechen sie gegen Ihre Politik. beit und von uns selbstverständlich in diese Position hin- (D) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) eingerechnet worden, meine sehr geehrten Damen und Herren. Was ist denn von Ihrer Nachhaltigkeit beim Thema Staatsfinanzen übrig geblieben? Sie vergewaltigen die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zukunftschancen der jungen Generation. Das ist unan- ständig und wir als Opposition kritisieren das. Vielen Dank, Herr Kollege Eichel, für Ihre Fragen an dieser Stelle. Es ist PR, aber nicht substanzielle Politik, (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Was haben Sie was Sie hier machen. denn im Bundesrat gemacht?) Zu der ersten Frage, die Sie gestellt haben. Das ist Präsident Wolfgang Thierse: eine ganz bemerkenswerteSache. Erstens haben die Herr Kollege Westerwelle, der Kollege Eichel möchte Zahlen, die Sie genannt haben, bestätigt, was ich gesagt noch einmal fragen und Ihnen die Chance geben, noch habe. Zweitens wollen wir einmal über das reden, was einmal zu antworten. Sie in diese Zahlen in Wahrheit gar nicht mehr hinein- rechnen. Das Spannende ist ja – das können unsere Bür- (FDP): gerinnen und Bürger nicht so genau nachvollziehen, weil Dr. Guido Westerwelle das von Ihnen immer sehr schön verschleiert wird – – Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür. Wenn Ihre dritte Frage so ist wie die beiden ersten, herzlich (Abg. Hans Eichel [SPD] nimmt wieder Platz) gerne! – Ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig. Ich darf (Heiterkeit bei der FDP) Sie bitten, stehen zu bleiben.

(Joachim Poß [SPD]: Sie antworten doch gar Hans Eichel (SPD): nicht auf die Frage! – Bernhard Brinkmann Herr Kollege Westerwelle, ich hatte eine ganz einfa- [Hildesheim] [SPD]: Frage beantworten!) che Frage gestellt: Sind 2,2 Prozent Verschuldung, ge- Herr Präsident, es war ne ei lange Frage; es waren messen am Bruttoinlandsprodukt, mehr als 2,0 Prozent? zwei Fragen. Ich möchte darauf anständig antworten. Ich habe auf die Frage keine Antwort bekommen. Viel- leicht bekomme ich jetzt eine. (Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hans Eichel [SPD] erhebt sich wieder) DIE GRÜNEN) 13028 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

(A) Dr. Guido Westerwelle (FDP): (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!) (C) Ich würde darauf philosophisch antworten: Drei ist mehr als zwei. Wir erinnern uns noch sehr genau daran, wie Schröder, Lafontaine und Eichel als Ministerpräsidenten alles ver- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Keine hindert haben, was Deutschland hätte nützen können. Antwort ist auch eine Antwort!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das sind doch, mit Verlaub gesagt, Albernheiten. Es hat der CDU/CSU) niemals einen Finanzminister gegeben, der in einem Jahr so viel neue Schulden machen musste wie Sie. Dass Sie Zweitens. Wir sind der Überzeugung, dass die Lohn- hier vor lauter Verzweiflung auch noch versuchen, Ihre zusatzkosten von über 40 Prozent im internationalen Bilanzen schönzurechnen, ist in meinen Augen und ver- Wettbewerb wie eine gigantische Sondersteuer auf Ar- mutlich auch in den Augen der Öffentlichkeit eine Gro- beitsplätze wirken. Deswegen haben wir nicht unver- teske, eine Peinlichkeit. Sie sind kein Sparminister. Sie bindliche, sondern konkrete Vorschläge gemacht, wie sind der größte Schuldenmacher, den Deutschland je-das Gesundheitssystem reformiert werden kann. Wir mals gesehen hat. Das ist Ihre Rolle in diesem Hause. sind der Überzeugung, dass die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abgekoppelt werden müssen, damit (Anhaltender Beifall bei der FDP und der dieser Wachstumsmarkt nicht Arbeitslosigkeit aufgrund CDU/CSU – Dietrich Austermann [CDU/ höherer Lohnzusatzkosten produziert, sondern neue Ar- CSU]: Setzen! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ beitsplätze schafft. Von uns wurde in diesem Hause ein CSU]: Wie ein begossener Pudel!) präzises Konzept vorgelegt. Ich möchte an dieser Stelle ganz konkret sagen, was Drittens. Die Probleme bei derPflegeversicherung aus unserer Sicht noch zu tun ist sind bekannt, aber sie werden verschwiegen. Wir wissen, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das dass im Jahre 2006, also ungefähr zehn Jahre nach Ein- glaube ich nicht, dass Sie jetzt konkret wer- führung der Pflegeversicherung, die vorgeschriebenen den!) gesetzlichen Reserven unterschritten werden. Deshalb werben wir dafür, dass die Finanzierung der Pflegever- und was vor allen Dingen in den nächsten beiden Jahren sicherung – das geht bei ihr leichter als bei der Renten- getan werden sollte. und Krankenversicherung, weil sie erst zehn Jahre exis- Erstens. Die Bundesregierung sagt, sie habe keinen tiert – auf ein Kapitaldeckungsverfahren umgestellt weiteren Spielraum für eineSteuerreform. Das halten wird. Von uns wurde in diesem Hause ein entsprechen- wir für falsch. Wir sagen: Steuersenkungs- und Steuer- der Vorschlag eingebracht. Wir alle wissen, dass es so (B) vereinfachungspolitik sind das beste Beschäftigungspro- kommen wird. (D) gramm. Es kann nur Steuern zahlen, wer Arbeit hat. (Beifall bei der FDP) Deswegen müssen wir mithilfe eines einfacheren, niedri- geren und gerechteren Steuersystems, das internationa- Viertens. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist not- len Vergleichen standhält, Investitionen nach Deutsch- wendig. Dazu haben wir für diesen Haushalt konkrete land holen und Arbeitsplätze schaffen. Nur so können Änderungsanträge eingebracht. Wir haben darüber hi- die Staatsfinanzen wieder gesunden. naus in diesem Hause Anträge eingebracht, die aufzei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gen, wie man Subventionen abbauen kann. Herr Bundes- der CDU/CSU) kanzler, wenn Sie beispielsweise über die Abschaffung der Eigenheimzulage sprechen, dann wollen Sie in Dazu liegt diesem Hause ein Gesetzentwurf der Fraktion Wahrheit nicht Subventionen kürzen, sondern Steuern der Freien Demokratischen Partei vor. erhöhen. Denn wer steuerliche Vergünstigungen streicht, Wir haben auch ganz konkret gesagt, wo gespart wer- ohne gleichzeitig auf eine Entlastung der Bürgerinnen den sollte. Sie können nicht behaupten, dass die Opposi- und Bürger durch niedrigere Steuersätze hinzuwirken, tion in der Deckung bliebe und keine Vorschläge machen der erhöht die Steuern, senkt sie aber nicht. Aber höhere würde. In dem Buch, das ich mitgebracht habe, sind auf Steuern sind Gift für die Volkswirtschaft. Wir machen über 400 Seiten mehr als 400 Anträge der Fraktion der das nicht mit. Auch wenn Sie das dann als Subventions- Freien Demokratischen Partei in diesem Hause abge- kürzung verkleistern, bleibt es eine Steuererhöhungs- druckt. Sie sind der Beweis, dass wir konkrete Einspar- politik, der wir uns entgegenstellen. vorschläge, die ein Volumen von 12,5 Milliarden Euro (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben, gemacht haben. Wenn Sie von den Regierungs- der CDU/CSU) fraktionen allerdings jeden dieser Anträge, die großen wie die kleinen, aus reiner Parteipolitik ablehnen, dann Fünftens. Reformen auf dem Arbeitsmarkt anzuge- dienen Sie nicht, sondern dann schaden Sie Deutschland. hen ist mehr als notwendig.Dazu zählt auch eine Aus- einandersetzung mit dem Tarifrecht und der betrieb- Wer Sparanträge der Opposition in so großer Anzahl lichen Mitbestimmung. Dazu kam von Ihnen kein Ton, ablehnt, der kann nicht verlangen, dass die Opposition obwohl die Sachverständigen, die Sie selber zitieren, Ih- mit weiteren Sparanträgen in diesem Hause aufwartet. nen ausdrücklich Änderungen in diesem Bereich mit auf Wir haben gesagt, wo gespart werden soll. Wir kommen den Weg geben. aus der Deckung heraus. Das ist übrigens der Unter- schied zu Ihrer Oppositionszeit. (Vorsitz: Vizepräsident Dr. ) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13029

Dr. Guido Westerwelle (A) Wir sind der Überzeugung: Wir brauchen mehr Be- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C) triebsnähe bei den Vereinbarungen und weniger Funktio- Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen erhält närsherrschaft. Auch dazu haben wir Anträge im Deut- nun die Kollegin Krista Sager das Wort. schen Bundestag eingebracht. Wenn sich 75 Prozent einer Belegschaft in geheimer Abstimmung mit der Un- ternehmensführung auf etwas verständigen wollen, dann Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): soll das gelten dürfen, ohne dass ein Gewerkschaftsfunk- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- tionär ein Veto einlegen kann. lege Westerwelle, ich finde es schon merkwürdig, dass Sie nach Ihrem Schuhsohlenwahlkampf und Ihren (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Guidomobilauftritten hier vor allem über Mätzchen re- der CDU/CSU) den müssen. Sechstens, Bildung und Ausbildung. Wir haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht nur vorgemacht, wie man den Bereichen Bildung und Ausbildung mehr Geld zur Verfügung stellen kann. und bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/ Wir haben auch neue Strukturen empfohlen: von der Ab- CSU]: Schlechter Einstieg! – Weitere Zurufe schaffung der Kultusministerkonferenz bis hin zu Ange- von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) legenheiten, welche die Bundesregierung selber etwas Ich glaube, dazu sind Sie hier der falsche Kandidat. angehen. Dass Sie der Überzeugung sind, man müsse al- len Ländern und allen Hochschulen die Einführung von (Joachim Poß [SPD]: Der hat es gerade nötig, Studiengebühren zur Finanzierung besserer Studienbe- der Lackaffe!) dingungen verbieten, zeigt doch, dass Sie sich in Wahr- heit noch nicht einmal ansatzweise den Strukturverände- Warum Sie sich an unsererRegierung stören, ist mir rungen genähert haben. Anfang dieses Jahres haben Sie klar. Im Gegensatz zur CDU/CSU weiß man bei Ihnen gesagt, das Jahr 2004 müsse das Jahr der Eliteuniversitä- wenigstens, was Sie vorhaben: Sie wollen den Kündi- ten werden, gleichzeitig wehren Sie sich aber dagegen, gungsschutz und die Tarifautonomie schleifen. dass Universitäten, die es wollen, Studiengebühren ein- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dafür müssten führen können, um vor Ort für bessere Studienbedingun- eigentlich auch die Grünen sein!) gen zu sorgen. Das ist von gestern; das ist Ihre Politik, Herr Bundeskanzler. Sie wollen die Mitbestimmung abschaffen. Sie wollen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten flächendeckend Subotnik, kostenlose Mehrarbeit der Ar- der CDU/CSU) beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einführen. Dann wollen Sie noch die solidarische Absicherung der (B) Siebtens, Forschung und Wissenschaft. Darüber re- Lebensrisiken abschaffen und stattdessen die Lebensrisi- (D) den Sie gar nicht mehr. Sie reden nicht einmal mehr da- ken privatisieren. Da sage ich Ihnen ganz klar: Das wol- rüber, wo noch Arbeitsplätze entstehen könnten. Wirlen wir nicht. Und weil dasauch nicht im Interesse der halten es für einen großen Fehler, dass die Mehrheit die- Bürgerinnen und Bürger ist, wird Rot-Grün weiter regie- ses Hauses und die Bundesregierung die Bio- und Gen- ren. technologie außer Landes schicken. Wir sind der Über- zeugung: Schlüsseltechnologien mit neuen und guten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutschen Patenten sollten auch bei uns im Inland eine und bei der SPD) Chance haben, und zwar aus ethischen und moralischen Gründen, um Krankheiten zu bekämpfen, aber auch aus Auch das, was Sie über Ihre Steuerpolitik gesagt ha- ökonomischen Gründen, damit hier die Arbeitsplätze der ben, Zukunft entstehen und nicht im Ausland. (Joachim Poß [SPD]: Der weiß nicht, worüber (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten er redet!) der CDU/CSU) liegt letztendlich auf der gleichen Linie. Wir haben in Achtens. Das ThemaBürokratie wird von Ihnen Deutschland mit 20,3 Prozent eine radikal niedrige Steu- nicht einmal mehr angesprochen. Wir haben vorgelegt, erquote; das ist europaweitwirklich am unteren Ende. wie man, gerade damit neue Arbeitsplätze im Mittel-Auch das ist ein Verdienst dieser Regierung, die dafür stand entstehen können, Bürokratie abbaut. Nichts davon gesorgt hat, dass gerade für die Bezieher niedriger Ein- kommt mehr in Ihren Reden vor, weil Sie es aufgegeben kommen die Steuersätze gesenkt worden sind und der haben. Grundfreibetrag erhöht worden ist. Wenn Sie jetzt ver- Das entscheidende Problem ist: Sie verwalten sichlangen: „Noch weiter herunter mit den Steuern“, dann selber. Sie sind der Überzeugung, Sie könnten nur mit lässt sich das nicht damit vereinbaren, hier eine vernünf- ein bisschen PR und Show den Wahlkampf einläuten. tige, seriöse Haushaltspolitik einzufordern. Beides zu- Substanzielle Politik haben Sie heute nicht geboten. Das sammen geht nicht. war eine Rede des Stillstandes und das ist das Letzte, Was ferner nicht zusammen passt, ist, auf der einen was dieses Land in Anbetracht einer Massenarbeitslosig- Seite die Ruinierung der Staatsfinanzen durch eine unse- keit braucht. Wir wollen einen Politikwechsel; der ist für riöse Steuerpolitik immer weiter voranzutreiben und auf Deutschland fällig. Weil er mit Ihnen nicht hinzubekom- der anderen Seite zu fordern, dass in diesem Land mehr men ist, muss Rot-Grün weg. für die Bildung getan werden soll. Auch das geht nicht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zusammen. 13030 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Krista Sager (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entschuldigung, ich habe alle erlebt! Ich habe (C) sowie bei Abgeordneten der SPD) den Herrn Fischer erlebt! Ich habe sie alle er- lebt, als Sie noch gar nicht wussten, was der Was ist denn unser Problem bei der Bildung? Die Ergeb- Deutsche Bundestag ist!) nisse der PISA-Studie haben das bestätigt und die neue PISA-Studie wird das erneut bestätigen: Wir haben ein Aber an der Stelle, wo es eigentlich darum hätte ge- Schulsystem, das Menschen aus sozial schwächeren Fa- hen sollen, eigene Alternativen vorzustellen, haben Sie milien im Vergleich zu anderen Industrienationen diesich ins Wolkige verloren oder geflüchtet. Ich habe er- schlechtesten Bildungschancen gibt. Das ist ein unge- wartet, dass Sie den Versuch machen, uns Ihr Gesund- heurer Skandal und das kann so nicht bleiben. heitsmodell zu erklären. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Die Ursache liegt darin, dass wir an einem Schulsystem Aber das können Sie wahrscheinlich gar nicht erklären. festhalten, mit dem wir inzwischen weltweit isoliertDavon habe ich in Ihrer Rede nichts gehört. sind. Deswegen kann unser Schulsystem auch kaum (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist zu kompliziert noch mit einem anderen Schulsystem auf der Welt ver- für Herrn Glos! – Joachim Poß [SPD]: Das glichen werden. Unser System einer dreigliedrigen Se- macht gleich Frau Merkel!) lektion, bei dem ein Lehrer darüber entscheidet, ob der Daumen für ein zehn Jahre altes Kind gesenkt oder ge- Stattdessen hören wir etwas über die Werte unserer Ge- hoben wird, ist gescheitert. Dieses Schulsystem hat ver- sellschaft. Hoch interessant wurde es allerdings, als Sie, sagt, es taugt nicht für eine Gesellschaft, die vor großen Herr Glos, sich auf Ihrer Kalauerstrecke zu dem Thema Integrationsherausforderungen, aber auch vor einemerneuerbare Energien vorgearbeitet hatten: Da wurde großen demographischen Wandel steht. Ihr Kollege Ramsauer blass und blässer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Da haben Sie sowie bei Abgeordneten der SPD) sich getäuscht! Sie sind doch farbenblind!) Herr Westerwelle, die einzige Antwort, die Sie auf Er hat natürlich Angst gehabt, dass Sie ihm sozusagen diese Frage gegeben haben, bestand in einem Vorschlag die Wassermühle abstellen wollen. zur weiteren Privatisierung der Bildungskosten. Das (Michael Glos [CDU/CSU]: Grüne sind far- kann im Ernst nicht die Antwort auf die Herausforderun- benblind!) gen sein, vor denen wir im Bildungssystem stehen. (B) Herr Glos, ich kann Ihnen eines verraten – das gilt be-(D) (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie wissen sonders für den Fall, dass Sie demnächst einmal wieder doch wie wir, dass das so kommen wird! Sie Wahlkampf in Bayern machen müssen –: Zahlreiche können doch den Universitäten nicht verbie- Bauern, von Schleswig-Holstein bis Bayern, setzen in- ten, Gebühren zu erheben! Das kommt doch zwischen auf erneuerbare Energien, und zwar zu Recht, so!) weil sie Entwicklungschancen für die ländlichen Räume, Herr Glos, jetzt ein Wort zu Ihnen. Ihre Rede war ja gerade auch in Ostdeutschland, bieten. Das haben Sie nun wirklich ein Beispiel dafür, dass der Werte- undverschlafen, das muss man leider sagen. Leistungsverfall inzwischen im konservativen Lager an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gekommen ist. und bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schlafen Sie weiter!) und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Falls Sie ein bisschen Nachhilfeunterricht brauchen: Jawohl, Frau Oberlehrerin!) (Michael Glos [CDU/CSU]: Bitte nicht!) Das war wirklich ein Griff in die Mottenkiste der Res- sentiments, der Zerrbilder, der Peinlichkeiten, der per- Ihr Ministerpräsident, Herr Stoiber, hatte neulich Besuch sönlichen Beleidigungen. von einer chinesischen Delegation. Was hat Herr Stoiber dem chinesischen Ministerpräsidenten mit seiner Dele- (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie bleiben eine gation vorgeführt? Bayerische Biogasanlagen, die von Lehrerin!) der Bundesregierung großzügig gefördert wurden. Herr Ich frage mich manchmal, wenn Sie hier Ihre Kalauer Glos, peinlich für Sie, dass Herr Stoiber diese für Fort- über strickende Grüne und leistungsunwillige 68er brin- schritt hält, während es für Sie offenbar eine Wollso- gen, ckennummer ist! (Michael Glos [CDU/CSU]: Was ist denn da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ran Kalauer?) und bei der SPD) Es wäre interessant, einmal die Alternativen der Op- ob Sie gar nicht mehr hören, wie die Bartwickelma- position zu hören. Davon haben wir nämlich bisher noch schine vor Überforderung schon zu knirschen beginnt. nichts gehört. Es wäre aber gerade deshalb interessant, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weil bei Ihnen in dieser Woche vieles in Bewegung gera- und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: ten ist. Die Lage bei den Fraktionsvorsitzenden ist bei Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13031

Krista Sager (A) Ihnen inzwischen unübersichtlicher als bei uns. SieSuche zwischen Fisch und Fleisch einen Hering mit Ka- (C) zeichnet sich bei uns durch hohe Kontinuität aus, wäh- ninchenohren servieren. rend bei Ihnen ein Stafettenlauf stattfindet. (Zurufe von der CDU/CSU: Ha! Ha! Ha!) Diese Woche ist die Woche der Abschiedsreden in der Das Resultat des Zusammenwirkens von Frau Merkel Union. Ich sehe schon, dass Herr Schäuble und Herrund Herrn Stoiber habe ich in der Tat noch unterschätzt. Merz auf der Dissidentenbank ein bisschen zusammen- Es ist schon ein ausgewachsener bayerischer Wolpertin- rücken müssen, damit auchHerr Seehofer dort noch ger, den Sie uns präsentiert haben, Platz findet. Ich muss leider zugeben, dass ich im letzten Jahr einen Fehler gemacht habe, den ich jetzt korrigieren (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wie heißt muss. Ich hatte Herrn Seehofer ein freundliches Angebot der?) gemacht, weil wir Grüne viele Erfahrungen mit querköp- in dem sich bekanntlich acht verschiedene Tierarten ver- figen Herren haben, und zwar nicht nur mit den älteren, einen. sondern auch mit denen im besten Alter. Mein Angebot war ein echter Fehler, weil Herr Seehofer seinen wirk- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wie heißt lich hohen Unterhaltungswert in der Union im letzten der? Das können Sie nicht aussprechen!) Jahr besser zur Geltung bringen konnte, als das bei uns – Ich sprach von dem berühmten bayerischen Wolpi. möglich gewesen wäre. Ich denke, das wird auch so blei- Den kennen vielleicht auch Sie. In ihm stecken acht ver- ben; denn er hat versprochen, kein Blatt vor den Mund schiedene Tierarten. zu nehmen. Wir sind voller Hoffnung, wir betrachten das nicht als Drohung, sondern als Versprechen. So verhält es sich auch mit Ihrem Gesundheitsmodell. Auf der einen Seite sagen Sie Ja zu Steuererhöhungen, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zur Pauschale und zu prozentualen Arbeitgeberbeiträ- SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. gen. Auf der anderen Seite machen Sie die sozial Schwä- Joachim Poß [SPD]) cheren zu Bittstellern. Dieses Modell ist unterfinanziert Ihrer Fraktionsvorsitzenden möchte ich sagen: Dieund nicht seriös gegengerechnet. Den Solidarausgleich Lebenserfahrung zeigt, dass es nicht immer ein Unglück für Kinder sollen auch diePrivatversicherten bekom- ist, wenn einem ein Mann davonläuft. men. Es ist vollkommen richtig, wenn Herr Seehofer sagt, dass dieses Modell eine Totgeburt ist und dass da- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ raus niemals etwas werden wird. DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Eines ist auch klar: Dass dieBürgerversicherung Austermann [CDU/CSU]: Reichlich Erfah- das Modell von Rot-Grün ist, (B) rung?) (D) (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, ja! Wegen Wenn es allerdings in sehr kurzer Zeit zwei Männer sind, des Wettbewerbs!) sollte einem das vielleicht ein bisschen zu denken geben. Da ich nicht nur eine lebenserfahrene Frau bin, sondern liegt nicht nur daran, dass sie einen besseren Namen hat, auch Mitglied eines berühmten Fußballvereins, kann ich sondern auch daran, dass sie vom Prinzip her einfach noch einen weiteren Rat geben: Wenn die Leistungsträ- und gerecht ist. ger einer Mannschaft anfangen, gegen den Trainer zu (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist einfach spielen, und nur noch Dienst nach Vorschrift machen, ein Monopol! Gerecht ist sie nicht!) dann muss am Ende meist der Trainer gehen, Frau Merkel. Das sollten Sie sich vielleicht merken. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern versichern: Wir werden die sozialen Sicherungssysteme im Bereich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Krankenversicherung, die für 90 Prozent der Bevöl- und bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: kerung Sicherheit gewährleisten, Trainerwechsel!) (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Eine Zwangs- Herr Merz und Herr Seehofer wollten meist in völlig veranstaltung!) unterschiedliche Richtungen, das war erkennbar. Man nicht zerschlagen, sondern sie auf eine breitere und ge- hatte den Eindruck, sie würden sich am liebsten gegen- rechtere Grundlage stellen, seitig ins Steuerrad greifen. Eines konnte man ihnen aber nicht absprechen: Sie wussten jeder für sich wenigstens, (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Eine reine wohin sie wollten. Nachdem sie sich nun zurückgezogen Zwangsveranstaltung!) haben, fragt man sich natürlich, wohin geht es eigentlich mit der Unionsfregatte. Sie dümpelt erkennbar im trüben und zwar dadurch, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger Fahrwasser der Orientierungslosigkeit und des konzepti- einbeziehen. onellen Niemandslandes. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Darauf freuen sich die Menschen schon jetzt!) Ihre Gesundheitsreform steht geradezu für das, was Sie als Union im Moment programmatisch verkörpern. Sie wollen das auf keinen Fall tun, obwohl das sogar Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es auf den Begriff „we- vom Sachverständigenrat empfohlen wurde. Wir werden der Fisch noch Fleisch“ gebracht. Eine Zeit lang hatte allerdings keine Pauschale einführen; denn wir wollen ich die Befürchtung, Sie würden uns am Ende Ihrernicht, dass Millionen Menschen in unserem Land zu 13032 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Krista Sager (A) Bittstellern werden. Wir werden die Einkunftsarten ge- Sicherheit in Höhe von 260 Millionen Euro. Sie trauen (C) rechter einbeziehen sich nicht einmal, öffentlich laut zu sagen, welche Kon- sequenzen die Umsetzung Ihrer Sparvorschläge hätte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jetzt müssen wir unsere restriktive Haushaltspolitik und nicht nur die Arbeitnehmereinkommen belasten.mit der konjunkturellen Entwicklung abstimmen, um zu Dieses System ist einfach, klar und gerecht. einer weiteren Belebung der Wirtschaft beizutragen. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie müssen Ebenso müssen wir beim Subventionsabbau vorankom- nur aufpassen, dass die SPD am Ende bei der men. Hier haben wir durch Ihre Blockade im Bundesrat Stange bleibt! Ich habe nämlich den Eindruck, eine Lücke in der Größenordnung von über 17 Milliar- die SPD will das gar nicht!) den Euro; das wären über 9 Milliarden Euro für die Län- der und über 4 Milliarden Euro für die Kommunen. Dass Das ist das Gegenteil von dem, was Sie auf den Weg ge- Sie hier im Bundesrat überIhre Unionsländer blockie- bracht haben. Aus dem, was Sie wollen, wird nichts. Das ren, ist nicht verantwortlich gegenüber den Bürgerinnen ist ein hoffnungsloses Kuddelmuddel. und Bürgern. Sie fahren in Ihren Bundesländern harte Sparprogramme, gerade auch in der Bildungspolitik und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Hochschulpolitik. Etliche Ihrer Bundesländer sind und bei der SPD) nicht mehr in der Lage, einen verfassungskonformen Meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, die Haushalt aufzustellen – allen voran Hessen, aber auch derzeitige wirtschaftliche Situation schlecht zu reden. das Saarland und Niedersachsen haben ihre Probleme. Im Moment stehen wir allerdings noch am Anfang der konjunkturellen Erholung. Gleichzeitig blockieren Sie, dass wir endlich an die Eigenheimzulage herangehen. Ich weiß, Sie können (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ja ein dieses Wort nicht mehr hören, völliges Durcheinander!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jäger 90!) Der Sachverständigenrat hat gesagt, dass wir mit unse- ren Arbeitsmarkt- und Sozialreformen auf dem richtigen aber wir werden es Ihnen immer wieder vorhalten, und Weg sind. Wir wissen, dass sich die Wirkungen dieser zwar so lange, bis Sie mit un s allein schon deshalb an die Reformen erst mittel- undlangfristig zeigen werden. Eigenheimzulage herangehen, weil Sie das Wort nicht Ebenso wissen wir, dass dieReaktion vieler Menschen mehr hören können. Wir müssen in diesem Land wirk- auf diese Reformen Verunsicherung war. Auch das ist lich Prioritäten setzen: für die Kinderbetreuung, für die ein Grund für die schwache Binnennachfrage. DaherBildung, für die Forschung, für die Entwicklung. Das (B) (D) darf man die Menschen jetzt nicht weiter verunsichern. können wir nicht schaffen, wenn wir uns weiter an Dinge klammern, die einfach nicht mehr in die Zeit pas- Ich fand es schäbig, wie Sie von der Opposition die sen. Diskussion über den 3. Oktober ausgenutzt haben: In dieser Debatte haben Sie so getan, als gehe es mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland so sehr bergab, dass nur noch flächende- und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt ckendes Subotnik helfen könne. Dabei übertreffen Sie [FDP]: Wir reden dann auch über die Stein- sich ununterbrochen selbst: Herr Stoiber will flächende- kohle, Frau Kollegin!) ckend die 40-Stunden-Woche, Herr Merz die 42-Stun- den-Woche einführen. Letztes Jahr ist von Ihrem desi- – Ja, Herr Gerhardt, wir fahren die Steinkohleförderung gnierten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sogar herunter: von einem Fördervolumen von 28 Millionen Ton- die 48-Stunden-Woche ins Gespräch gebracht worden. nen auf 16 Millionen Tonnen; wir Grünen wären da si- Das kann nicht der Weg sein, den wir gehen müssen, da- cher noch ein bisschen ehrgeiziger. Aber eines sollten mit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt bzw. wird. Wir Sie den Leuten ganz offen sagen: Die Vorschläge, die Sie müssen auf Qualität, Produktivität, Innovation und Bil- in den Haushaltsrunden gemacht haben, würden unmit- dung setzen. Für die Bildung müssen wir den Weg frei- telbar, jetzt und heute, zu Massenentlassungen im Ruhr- machen. gebiet führen. Das verschweigen Sie. Nun komme ich zum Haushalt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Endlich!) Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Natürlich ist die Haushaltslage schwierig. Aber derTagen eine aus meiner Sicht von falschen Tönen ge- Sachverständigenrat hat der Bundesregierung bestätigt, prägte Debatte über Fragen der Integration und über Fra- dass wir eine restriktive Haushaltspolitik betreiben. gen der Haltung gegenüber unseren islamischen Mitbür- Gestern ist Ihnen deutlich gemacht worden, dass es sich gern gehabt. Meine Fraktion – ich sage das gerne noch bei Ihren Einsparvorschlägen im Wesentlichen um Luft- einmal ganz deutlich, falls es irgendwelche Zweifel nummern und falsche Veranschlagungen handelt, diegibt – hat ganz klar gemacht, dass wir den Vorschlag, in nicht seriös sind. An den Stellen, an denen Ihre Vor-Deutschland einen muslimischen Feiertag einzufüh- schläge überhaupt belastbar sind, führen sie zu weiteren ren, für falsch halten. Einschränkungen: im Verteidigungsbereich in einer Grö- ßenordnung von 700 Millionen Euro und bei der inneren (Michael Glos [CDU/CSU]: Bravo!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13033

Krista Sager (A) Damit ist der falsche Eindruck erweckt worden, hierben mit Menschen unterschiedlicher Religion, Herkunft (C) solle eine Mehrheit dazu gebracht werden, sich einer und Kultur in unserenpluralistischen Gesellschaften Minderheit anzupassen. Darum kann es nicht gehen. infrage zu stellen oder infrage stellen zu lassen, dann hat der internationale Terrorismus schon seinen ersten Tri- Ich will aber auch etwas anderes ganz deutlich sagen: umph. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Das darf Ich glaube, dass es richtig ist und dem Zusammenleben nicht passieren. in diesem Land dient, wenn sich Kinder in der Schule zum Beispiel damit auseinander setzen, wie in der einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Familie Weihnachten und in der anderen Familie das und bei der SPD) Bairamfest gefeiert wird. Denn die Hintergründe vieler Es gibt niemanden, der behauptet, dass das Zusammen- Traditionen, die wir selber pflegen, sind vielen Kindern leben von Menschen mit verschiedener Religion, Kultur sicher nicht bekannt. Ich bin auch dafür, dass Unterneh- und Herkunft ohne Konflikte und Probleme verläuft. Es mer und Arbeitgeber großzügig sind, wenn es darumist anstrengend, Fremdheit und Anderssein zu ertragen geht, zu solchen Festen Urlaubstage zu genehmigen. und sich damit auseinander zu setzen. Ich will den Blick auf die Art und Weise, wie auf Frau Merkel, ich hätte Verständnis dafür gehabt, diese Debatte und die furchtbaren Ereignisse in den Nie- wenn Sie gesagt hätten: Lassen Sie uns offen über die derlanden reagiert worden ist, lenken: Das waren ent- Probleme reden. schieden zu schrille Töne, das war falsch und teilweise gefährlich. Da müssen wir, verdammt noch mal, aufpas- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie hat doch sen. noch gar nicht geredet!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben aber etwas anderes gesagt. Sie haben gesagt: und bei der SPD) Diese Form des Zusammenlebens, die multikulturelle Gesellschaft, ist gescheitert. In den Niederlanden gab es einen furchtbaren, grau- samen Mord an einem Journalisten. Es gab aber auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Übergriffe auf Moscheen und Gewalttaten an islami-Wer behauptet, dass diese Art des Pluralismus in unserer schen Bürgern. Beide Seiten gehören zum ganzen Bild. Gesellschaft gescheitert ist, der liefert den Gewalttätern Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Wir tragen eine eine Steilvorlage. riesengroße gemeinsame Verantwortung. Wenn ich von „gemeinsamer Verantwortung“ spreche, dann meine ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit die Muslime, dann meine ich die Christen, dann und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Unsinn! Unsägerlich! – Dietrich meine ich die Nichtchristen, dann meine ich die (B) Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!) (D) Deutschstämmigen, dann meine ich die Migranten. Des- halb sollten wir miteinander und übereinander so spre- – Herr Kauder, Sie können hier gerne kauderwelschen, chen, dass nicht die gewaltbereiten Ränder – bei densogar auf Kosten meines Namens, Deutschen: Rassisten und Faschisten; auf der anderen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Seite: religiöse Fundamentalisten – am Ende das Gefühl haben, sie würden von gewichtigen Teilen dieser Gesell- aber auch Sie müssen erkennen: Die Auseinanderset- schaft in irgendeiner Weise mit Sympathie betrachtetzung mit dem internationalen Terrorismus und mit den oder auch nur geduldet. Das heißt nicht, Probleme aus- Gewalttätern erfordert es, dass wir uns gerade machen zugrenzen; das heißt nicht, Auseinandersetzungen nicht und für unsere pluralistische Gesellschaft sowie die da- zu führen. So etwas darf wirklich nicht passieren. In den mit verbundenen Freiheitsrechte – dazu gehört auch die letzten Tagen ist das zum Teil sträflich missachtet wor- Religionsfreiheit – einsetzen. den. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN und der SPD) und bei der SPD) Deshalb kann es nicht sein, dass man einen Generalver- Wir dürfen uns nicht in eine Weltreligionskriegshys- dacht gegen diese Menschen aufkommen lässt, nur weil terie hineintreiben lassen. Seit dem 11. September gibt sie den muslimischen Glauben haben. Das ist in diesen es zweifelsohne eine veränderte Sicherheitslage in der Tagen nicht beachtet worden. Welt. Freie und offene Gesellschaften müssen sich dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen und beweisen, dass sie in der Lage sind, sich die- sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker ser neuen asymmetrischen Gefahren zu erwehren – auch Kauder [CDU/CSU]: Sie sind gescheitert!) mit Mitteln der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Gerichte, der Ermittlungsinstanzen und mit repressiven – Wenn Sie sagen, die multikulturelle Gesellschaft ist Maßnahmen. gescheitert, Die Gefährdung der freien und offenen Gesellschaf- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind geschei- ten hat aber auch eine andere Seite. Der Angriff des in- tert!) ternationalen Terrorismus auf die offenen und freien Ge- dann kapitulieren Sie vor der Gestaltungsaufgabe. sellschaften ist eben auch ein Angriff auf unsere Freiheitsrechte und auf unsere pluralistischen Gesell- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ schaften. Wenn wir damitanfangen, das Zusammenle- DIE GRÜNEN) 13034 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Krista Sager (A) Integration muss gestaltet werden. Sie kapitulieren vor rechte, unsere Verfassung, unsere Rechtsstaatlichkeit(C) dieser Aufgabe und deswegen ist es gut, dass Sie in der und unsere Demokratie. Opposition sitzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lange genug haben Sie vor dieser Gestaltungsauf- und bei der SPD) gabe den Kopf in den Sand gesteckt. Lange genug haben Diese Grundrechte sind nicht banal. Jeder, der be- wir uns in diesem Land von den konservativen Kräften hauptet, dass sie durch etwas anderes ersetzt werden immer wieder die Lebenslüge vorhalten lassen müssen, müssten, der irrt sich ganz gewaltig. Die Würde des dass wir kein Zuwanderungsland sind. An dieser Le- Menschen und der Gleichheitsgrundsatz von Männern benslüge wollen Sie jetzt offensichtlich wieder anknüp- und Frauen sind eine sehr tragfähige Grundlage. Ich ver- fen. Ich sage Ihnen: Das ist hochgefährlich. Sie können traue dieser Grundlage. Viele Muslime in Deutschland, diese Gesellschaft mit den Menschen, die eine unter- die an unserer Zivilgesellschaft in Vereinen, Gewerk- schiedliche Herkunft sowie unterschiedliche Religionen schaften und Schulinitiativen aktiv teilnehmen, ver- und Kulturen haben, nicht ab- und anstellen, wie es Ih- trauen dieser Grundlage viel mehr als irgendeiner Form nen gerade passt. Wir müssen diese Gesellschaft gestal- von christlicher Leitkultur. ten. Sie können hier im Lande die Diskussion nicht so führen, als könnte man von dem Mitbürgerstatus wieder (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ zu einem Gaststatus zurückkehren. Die Stichworte, die DIE GRÜNEN und der SPD) Sie hier gegeben haben, sind wirklich verheerend. Ich will hier niemandem seinen christlichen Glauben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN streitig machen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Vielen Dass viele Probleme gegenwärtig ein solches Ausmaß Dank!) angenommen haben, lag doch nur daran, dass wir den Ich begegne ihm mit großem Respekt. Ich habe vor der Kopf in den Sand gesteckt haben und dass wir die Ge- Religion eines jeden Menschen großen Respekt. Ich bin staltung der Einwanderungsgesellschaft nicht aktiv an- der Ansicht, dass ein überzeugter Glaube einer Gesell- gegangen sind. Eingewandert sind vor allem jene Tür- schaft etwas Wertvolles geben kann, wenn er auf der Ba- ken, die der ländlichen Unterschicht angehörten. Das ist sis unserer Grundrechte gelebt wird. Aber wir sollten keine politische Entscheidung von Rot-Grün gewesen. nicht unkritisch sein. Das ist die Entscheidung von deutschen Unternehmen gewesen, die billige Arbeitskräfte für billige Jobs haben Das fängt schon bei unserer eigenen Geschichte an. wollten und diese Menschen nur als Arbeitskräfte gese- Dafür brauchen wir gar nicht bis ins Mittelalter zurück- (B) hen haben, die dann natürlich in die billigen Stadtteile zugehen. Schauen wir uns doch einmal dieToleranz- (D) gezogen sind, wo die Deutschen zum Teil gar nicht mehr konflikte in unserer deutschen Nachkriegsgeschichte an: leben wollten. Vor diesen Problemen stehen wir jetzt. die Auseinandersetzungen über die Stellung unehelicher Kinder, lediger Mütter, unverheirateter Paare, Homose- Das Problem ist nun, dass diese Jobs, die die erste Ge- xueller und auch Mischehen in dieser Gesellschaft. Da- neration der Einwanderer noch gemacht hat, durch die bei waren Mischehen keineEhen zwischen Schwarzen Produktivitätssteigerung in diesem Land zum großen und Weißen, sondern zwischen Protestanten und Katho- Teil verschwunden sind. Die Menschen der zweiten, liken. dritten und vierten Generation brauchen wir angesichts des demographischen Wandels in unserem Land drin- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ gend. Aber dann müssen wir sie gerade durch Bildung DIE GRÜNEN und der SPD) integrieren. Das ist die Hauptaufgabe. Das muss bei der Die Vergewaltigung in der Ehe wurde doch erst Ende der frühkindlichen Förderung anfangen, sonst wird es nichts 90er-Jahre unter Strafe gestellt. Wer hat denn dagegen so mit dem „Bitte lernen Sie Deutsch“, wie Herr Beckstein lange Widerstand geleistet? zu Recht gefordert hat. Aber dann müssen dafür auch die Chancen gegeben werden. Das fängt eben bei der Kin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN derbetreuung und der frühkindlichen Förderung an. sowie bei Abgeordneten der SPD) Es macht die Sache doch nicht einfacher, FrauEin anderes Stichwort ist das Ansehen geschiedener Merkel, Migrantenkinder in unserem Land zu integrie- Frauen. All das sind Toleranzkonflikte gewesen, die wir ren, wenn es insgesamt zu wenigKinderbetreuungs- hinter uns gelassen haben. möglichkeiten gibt. Es gibt auch deswegen viel zu we- Ich bin froh, dass wir heute sagen können: Nein, un- nig Möglichkeiten der Kinderbetreuung, weil wir zu sere Grundrechte, insbesondere die Würde des Men- lange einer konservativen Familienpolitik angehangen schen, gelten für alle: für ledige Mütter, unverheiratete haben, die diese Kinderbetreuung nicht wollte. Paare, für Homosexuelle, für Christen und Muslime. Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN glaube, dass dies eine gute Grundlage für unsere Gesell- sowie bei Abgeordneten der SPD) schaft ist. Ich will etwas zu dem Thema Leitkultur sagen. Wir, Bei der Diskussion über Beliebigkeitin unserer Ge- Migranten, Deutschstämmige, Christen und Muslime, sellschaft wünsche ich mir mehr Respekt und Anerken- brauchen eine gemeinsame Grundlage in dieser Gesell- nung von denen, die uns diese Diskussion zum Teil auf- schaft. Diese gemeinsame Grundlage sind unsere Grund- drängen. In der „Welt“ hat Herr Döpfner uns diese Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13035

Krista Sager (A) Woche einiges über das Ende der Appeasementpolitik wollen eine Aussage über ihre eigene Lebensperspek-(C) mitgegeben. Herr Döpfner hat uns einiges über Kreuz- tive, über die Zukunft dieses Landes. züge, die angeblich schon im Gange sind, mitgegeben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim In derselben Woche musste eine mutige junge Schau- Poß [SPD]: Die kommt ja jetzt!) spielerin, Sie haben beschwörend über das, was gemacht ( [CDU/CSU]: Kommen wurde, gesprochen. Sie haben plumpe Angriffe auf die Sie doch mal zum Haushalt!) Opposition gemacht. Sie haben den Blick zurückgewor- die in dem Film „Gegen die Wand“ die Hauptrolle ge- fen – aber Zukunft, HerrBundeskanzler, Fehlanzeige. spielt hat, unter Tränen darum bitten und betteln, dass Irgendeine Idee für die nächsten zwei Jahre? Völlige die „Bild“-Zeitung endlich damit aufhört, sie mit einer Fehlanzeige. dreckigen Hetzkampagne zu überziehen. Man kann nicht (Widerspruch bei der SPD) auf der einen Seite Krokodilstränen über die Situation von muslimischen Frauen in traditionellen, rückständi- Deshalb sage ich – ich sage das ganz ruhig, weil dies der gen muslimischen Familien vergießen, auf der anderen Ort ist, an dem wir uns auseinander setzen –: Diese Ihre Seite aber eine Frau mit einer solchen HetzkampagneRede war der eines Bundeskanzlers nicht würdig. überziehen. Das passt nicht zusammen. (Widerspruch bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das Allerschlimmste ist: Sie war unter der Würde unse- res Landes. Ich will Ihnen einmal sagen, was mich als deutsche Frau – zugegeben mit einem sehr gemischten Hinter- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- grund, aber auch als deutsche Frau – wirklich empört neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Was für hat. In derselben Woche, in der wir uns anhören muss- ein Niveau! – Weiterer Zuruf von der SPD: In ten, die multikulturelle Gesellschaft sei am Ende, der welcher Welt leben Sie eigentlich?) Islam sei mit unseren Werten nicht kompatibel und es Das Problem ist nicht, dass dieses Land schlechtgeredet müsse die Auseinandersetzung über die Leitkultur ge- wird. Im Übrigen, Herr Bundeskanzler, passen Sie auf, führt werden, konnte man in der „Bild“-Zeitung ein Foto dass Sie nicht dauernd Menschen, die an Ihnen und Ihrer von einer Frau sehen, die einem Hund die Brust gibt. Ich Regierung Kritik üben, gleich noch mit beleidigen. Das würde mir von den Menschen, die uns hier die Leitkultur Problem dieses Landes ist, dass es unter Wert regiert predigen, wünschen, dass sie deutlich machen, dass auch wird. Das muss man immer und immer wieder deutlich für uns in diesem Lande Würde und Respekt noch etwas sagen. (D) (B) wert sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Joachim Poß [SPD]: Das wird sich ändern bei und bei der SPD) Ihnen als Bundeskanzlerin mit Herrn Westerwelle!) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Ganze beginnt mit einer grandiosen Realitätsver- Das Wort hat nun die Vorsitzende der CDU/CSU-weigerung. Herr Eichel, Sie haben am 18. Juni 2002 in Fraktion, Dr. Angela Merkel. Ihrem Haushaltsaufstellungsschreiben für 2005 eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Verschuldung von 5,5 Milliarden Euro prognostiziert, Hans-Michael Goldmann [FDP]) aber stolz hinzugefügt, dass man in der Summe zu einem ausgeglichenen Haushalt käme, weil gleichzeitig die sozialen Sicherungssysteme Überschüsse aufweisen (CDU/CSU): Dr. Angela Merkel würden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun- deskanzler, die Worte zu Beginn Ihrer Rede mögen amü- Ich bitte Sie, sich vor Augen zu führen, was seitdem sant gemeint und nett gewesen sein, sie waren sicherlich geschehen ist. auch nicht ohne jeden Unterhaltungswert; aber ich frage (Joachim Poß [SPD]: Wir haben drei Jahre lang Sie in diesem Saal: Was glauben Sie eigentlich, was die Stagnation gehabt! Das ist geschehen!) Menschen, die uns draußen zuhören – der Arbeiter bei Opel, die Verkäuferin bei Karstadt, die Rentnerin, dieWas die sozialen Sicherungssysteme angeht, ist die Ren- nächstes Jahr real eine niedrigere Rente haben wird, die- tenversicherung am Anschlag. Sie werden sogar noch jenigen, die in einem mittelständischen Betrieb arbeiten Kredite aufnehmen müssen. Die Pflegeversicherung ist und von Insolvenz bedroht sind –, von uns hören wol- völlig auf den Hund gekommen. Im Gesundheitssystem len? – ich trage das mit, Herr Bundeskanzler; wir haben den Maßnahmen zugestimmt – sind inzwischen in dem Maße (Joachim Poß [SPD]: Hören wollen! – Weitere Überschüsse erwirtschaftet worden, dass wenigstens frü- Zurufe von der SPD) here Schulden zum Teil getilgt werden können. Aber Was glauben Sie, was diese Menschen ganz speziell von insgesamt sind wir von einem ausgeglichenen Haushalt Ihnen, Herr Bundeskanzler, hören wollen? Ich bin mir so weit entfernt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das hat ganz sicher: Sie wollen auf gar keinen Fall amüsante, niemand anders zu verantworten als Sie. Das ist Ihr nette Geschichtchen von vorgestern hören, sondern sie Werk. 13036 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Angela Merkel (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Landes. Das ist das Problem, über das wir sprechen müs- (C) Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Das glaubst du sen. doch selbst nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- In diesem Hause gibt es eine lange gepflegte und auch neten der FDP) zu Recht vereinbarte Aufgabenteilung zwischen der Re- Es ist interessant, neben demWim-Kok-Bericht für gierung, die handeln kann, und den sie tragenden Frak- die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch einen tionen einerseits und der Opposition andererseits, der die Blick in den Bericht der Bundesregierung zur Bewertung Aufgabe eines Wächters über das, was Sie tun, zu-des Lissabon-Prozesses zu werfen. Darin heißt es, die kommt. Strategie von Lissabon, dass Europa der dynamischste (Karsten Schönfeld [SPD]: Nachtwächter!) Kontinent der Welt werden wolle, sei in der Euphorie der New Economy geboren. Dann sei es zu einer speku- Deswegen werden wir – ob es Ihnen passt oder nicht – lativen Blase gekommen. Ihren Nachtragshaushalt für dieses Jahr demBundes- verfassungsgericht vorlegen, weil wir der Meinung (Joachim Poß [SPD]: Es ist nicht zu leugnen, dass sind, dass die jetzt eingetretene Erhöhung der Neuver- die Blase im Frühjahr 2001 geplatzt ist!) schuldung von 29 Milliarden Euro auf über 44 Milliar- Hinzu seien externe Schocks gekommen: der den Euro voraussehbar war, und weil Sie wie schon in 11. September, Bilanzskandale, der Krieg im Irak, der vielen anderen Jahren dieses Parlament und die Men- Anstieg der Ölpreise und eine dreijährige Stagnation. schen in diesem Lande bewusst getäuscht und instru-Damit ist aber immer noch nicht die Frage beantwortet, mentalisiert haben. Dem muss ein Ende gemacht wer- warum wir ganz hinten liegen, Herr Bundeskanzler, und den. zwar hinter anderen, die ebenfalls unter diesen Belastun- gen gelitten haben. Diese Frage müssen wir beantwor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten. Herr Bundeskanzler, Sie können davon ausgehen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass kein vernünftiger Mensch irgendein Interesse daran hat, etwas schlechter zu reden, als es ist. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle wieder auf ein von Ihnen bereits bekanntes Strickmuster stoßen: Schuld (Zuruf von der SPD: Ach! – Joachim Poß sind immer die anderen – die Welt, die Bundesländer, die [SPD]: Das tun Sie doch jeden Tag! Sie tun Kommunen, die Blockade im Bundesrat. Alles kommt doch nichts anderes! Schwarzrednerin des Jah- recht, wenn es erklären kann, dass Ihnen irgendetwas res! – Weitere Zurufe von der SPD) nicht gelingt. (B) (D) Wir kennen doch sicherlich alle die von der Bertels- Schon der frühere amerikanische Präsident Eisenhower mann-Stiftung und vom Weltwirtschaftsforum erstellten hat gesagt: Die Suche nach Sündenböcken ist von allen Rankings der Industrienationen. Sie können zwar Jagdarten die einfachste. Aber, lieber Herr Bundeskanz- feststellen, dass einiges passiert sei, das in die richtige ler, damit können wir uns nicht zufrieden geben. Richtung weise, das Dumme ist aber, dass wir weiterhin ganz hinten liegen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie Jägerin!) Wir wollen danach jagen, beim Wachstum vorne mit da- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!) bei zu sein und uns nicht mit einem Platz ganz hinten ab- Der auch von Ihnen geschätzte Wim Kok, der beauf- speisen zu lassen. Das ist unser Anspruch. tragt ist, den Lissabon-Prozess – also den Wachstums- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – prozess der Europäischen Union – zu bewerten, hat den Dr. Uwe Küster [SPD]: Die Frau guckt doch in Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich ins den Gewehrlauf, um zu sehen, ob der Schuss Stammbuch geschrieben: Vorraussetzung für die Ver- auch losgegangen ist!) wirklichung ist eine starke, entschlossene und überzeu- gende politische Führung. Er hat gleich hinzugefügt: Der Sachverständigenrat hat schon Recht mit seiner Sicherlich waren die Ereignisse außerhalb Europas seit Aussage, die wir alle begrüßen, dass derExport sich dem Jahr 2000 nicht förderlich. Doch es liegt eindeutig prima entwickelt und wir auf dem Gebiet Erfolge haben. an der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten Das sichert Arbeitsplätze. Auch wenn diese nicht alle in selbst, wenn sich Fortschritte nur langsam einstellen.Deutschland liegen, freuen wir uns immerhin darüber. Denn in vielen Bereichen wurde es versäumt, die Refor- Aber für die 80 Millionen Menschen im Lande zählt na- men mit dem erforderlichen Nachdruck voranzutreiben. türlich nicht nur – das werden doch auch Sie wohl nicht bestreiten –, ob sich der Export ordentlich entwickelt, Herr Bundeskanzler, ich frage Sie: Wen mag Wim Kok gemeint haben, wenn wir im Ranking der Industrie- (Joachim Poß [SPD]: Das wissen nationen an hinterer Stelle liegen? wir doch auch!) (Joachim Poß [SPD]: Was sagt denn der Sach- sondern für die Menschen zählt, was zum Schluss bei ih- verständigenrat dazu?) nen in der Tasche ankommt, welche Möglichkeiten und Chancen sie haben, Arbeit zu behalten oder zu bekom- Ich glaube, dass sich Deutschland angesprochen fühlen men. Deshalb hat der Sachverständigenrat das eine ge- muss. Es fehlt an einer entschlossenen Führung dieses lobt – darüber haben Sie ausführlich gesprochen – und Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13037

Dr. Angela Merkel (A) gleichzeitig auf Herausforderungen im Inland hinge- men, die zum Teil auch nur ergriffen wurden, weil sich (C) wiesen. Über diese Herausforderungen haben Sie in Ih- die Haushaltslage immer weiter zugespitzt hat. rer Rede geschwiegen. (Michael Glos [CDU/CSU]: Die haben halt Herr Bundeskanzler, der Sachverständigenrat sieht Sachverstand!) darin sogar noch – diese Meinung teile ich im Übrigen – etwas Positives. Er sagt nämlich, tatsächlich sei die Herr Bundeskanzler, deshalb müssen wir alle uns fra- Wachstumsschwäche auf inländische Bestimmungs-gen: Was muss jetzt geschehen? Beginnen wir doch mit gründe zurückzuführen und wir könnten ganz beruhigt dem Haushalt selbst, der die Zukunftsfähigkeit dieses sein. Sie hängt also nicht von außen, von der Welt oder Landes definiert. Dazu hat sich der Präsident des Bun- von sonstwem ab, desrechnungshofes doch in wirklich atemberaubender Weise – um den Begriff noch einmal aufzunehmen – (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist es! Wir deutlich geäußert: Die Schieflage ist so extrem, dass es könnten es regeln! Wir hätten es in der Hand!) einem den Atem verschlägt. Eine solche Aussage eines Parteifreundes über einen Bundeshaushalt hat es noch sondern es sind inländische Bestimmungsgründe. Und nie gegeben, Herr Bundeskanzler. Damit müssen Sie was außer inländischen Bestimmungsgründen können sich auseinander setzen. wir hier ändern? Das ist doch unsere Aufgabe. Deshalb können wir happy sein mit einer solchen Situation, weil (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir jetzt nur noch die Binnenkonjunktur ankurbeln müs- sen, und zwar mit Maßnahmen, über die wir hier mitei- Der Sachverständigenrat sagt in seinem Bericht wei- nander diskutieren müssen. Das hat der Sachverständi- ter: Die ohnehin bescheidenen Schritte zur Konsolidie- genrat prima gesagt. rung des Staatshaushaltes gehen zulasten der öffentli- chen Investitionen und damit genau jenes Teils der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Staatsausgaben, von dem am ehesten noch positive Wir- Jetzt muss man fragen: Was passiert? kungen für das Wachstum ausgehen könnten. (Joachim Poß [SPD]: Ja, und jetzt?) (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Die reden alle Deutschland schlecht!) Ich habe heute hier nichts gehört. Ich bin aber überzeugt – und das sage ich für unsere Fraktion insgesamt –: Wir Herr Bundeskanzler, der nächste Haushalt enthält haben die Kraft und die Möglichkeiten, aus diesem Land Privatisierungserlöse in einem Umfang von 15 Milliar- wieder das zu machen, was in diesem Land steckt. den Euro. Vor ungefähr einem Jahr hatten wir das Ver- gnügen, miteinander im Vermittlungsausschuss zu dis- (B) (Zuruf von der SPD: Herr Seehofer nicht!) kutieren, und Sie haben aufs Ehrenwort versichert, mehr (D) als 3 Milliarden Euro Privatisierungserlöse würden in Dazu brauchten wir jedoch Ihr Einverständnis und das diesen Haushalt nicht eingestellt. Ich glaube, Sie haben haben wir nicht. damals die Wahrheit gesprochen und Sie lügen sich jetzt Wir sind am Anfang vonReformen und nicht am in die Tasche. Ende. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! – Joachim Poß [SPD]: Welche Reformen denn? Sie verscherbeln nicht nur alles, was heute vorhanden À la Seehofer oder à la Merz? Sie sind wahr- ist, sondern auch alles, was notwendigerweise für die lich schon am Ende!) Zukunft zurückgelegt wurde. Dabei waren die Rückla- gen ohnehin schon knapp. Der Sachverständigenrat Die Umsetzung von beschlossenen Reformen allein ist nennt das Desinvestition. Merken Sie sich dieses Wort! nicht genug, sondern wir müssen darüber sprechen, wie Das ist das Gegenteil von dem, was notwendig ist. Das wir nach den schon umgesetzten Maßnahmen weiterma- tun Sie im festen Wissen darum, dass Sie damit den Kin- chen, damit wir aus dieser Inlandsmisere herauskom- dern und Enkeln dieses Landes eine Bürde aufhalsen, die men, Herr Bundeskanzler. Das ist die Aufgabe. kaum zu schultern ist. Das ist das Gegenteil von Nach- haltigkeit, für die Sie in diesem Lande – Frau Roth, da (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sie gerade so interessiert schauen, sage ich Ihnen, dass Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Sie mit diesem Anspruch einmal angetreten sind – ei- Welche Reformen meinen Sie denn jetzt? – gentlich sorgen wollten. Das muss man den Menschen Joachim Poß [SPD]: In dieser Woche sind Sie sagen. zum Ende gekommen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Herr Poß, hören Sie auf zu schreien. Es ist wirklich lästig. Herr Bundeskanzler, Sie haben Anfang 2004 das Jahr der Innovation ausgerufen. Dass man davon (Joachim Poß [SPD]: Die CDU ist am Ende!) – rückblickend auf die letzten elf Monate – gar nichts Dazu sagt der Sachverständigenrat – nicht wir, nicht die mehr gehört hat, erstaunt und überrascht mich, obwohl FDP und nicht Ihre Gegner – ganz klar: Ein schlüssiges es eigentlich klar ist. Schauen Sie sich nur den Zustand Konzept für eine wachstumsfördernde Politik ist von der des Gentechnikgesetzes an!Das ist ein völlig klares Bundesregierung nicht rgelegt vo worden. Vielmehr Eingeständnis – weil Herr Clement und Frau Künast bleibt der Eindruck, es handele sich um Einzelmaßnah- nicht zueinander kommen –, dass in Deutschland der 13038 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Angela Merkel (A) Wachstumsbereich Grüne Gentechnologie nicht existie- Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz (C) ren wird. Herr Bundeskanzler, Sie haben zusammen mit müsste eigentlich deutlich verlängert werden. Aber zu Tony Blair und dem französischen Präsidenten Chirac welchem Schluss ist die Bundesregierung – Herr eine bemerkenswerte Initiative gestartet. Sie haben ge- Clement, Bürokratieabbau! – gekommen? Sie verlängert sagt: Lasst uns über die Chemiepolitik in Europa, insbe- das Gesetz gerade einmal um ein Jahr. Nächstes Jahr um sondere über die REACH-Richtlinie, reden! Als dann diese Zeit werden wir also wieder darüber entscheiden endlich im Wettbewerbsrat, in den alle anderen EU-Mit- müssen. Man hätte es doch mindestens bis 2019, also bis gliedstaaten ihre Wirtschaftsminister entsandt hatten, zum Ende der Laufzeit des Solidarpaktes II, verlängern über diese Richtlinie beraten wurde, ist zum Erstaunen müssen. Das hätte doch die menschliche Vernunft gebo- des gesamten europäischen Publikums und insbesondere ten. Aber die gibt es in Ihrem Kabinett wohl nicht. zu unserer Überraschung Herr Trittin dort wieder er- schienen und hat die gleichen Anträge wie im Umwelt- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ministerrat gestellt. Herr Bundeskanzler, Sie führen eine Wir brauchen neue Stärken. Ich bin der festen Über- Regierung, in der Sie noch nicht einmal durchsetzenzeugung, dass wir unseren Wohlstand nur mit der Pro- können, dass die vernünftigen Kräfte auf europäischer duktion von Hochleistungsprodukten, die andere auf Ebene das Schlimmste für die chemische Industrie inder Welt nicht herstellen können, halten können. Wir Deutschland verhindern. müssen wettbewerbsfähig sein. Das heißt, wir müssen Dinge können, die andere nicht können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Um das aber zu schaffen, bedarf es bestimmter Bedin- Sie sind vom Europäischen Gerichtshof verklagt wor- gungen. Darüber diskutiere ich mit Ihnen, Herr Bundes- den, weil Sie die Biopatentrichtlinie nicht umgesetzt ha- kanzler, gerne. Sie haben gesagt: Schauen wir doch ein- ben. Außerdem liegen Sie mit der pharmazeutischen In- mal in Ihre Programme, StichwortKündigungsschutz. dustrie – diese hat Recht – im Clinch, weil Sie eine Art Sie selbst haben eingesehen, dass das Kündigungs- der Umsetzung des Gesundheitsmodernisierungsgeset- schutzrecht in Deutschland dafür sorgt, dass Ältere nicht zes bezüglich der Pharmabranche gewählt haben, die mit mehr eingestellt werden. Sie selbst haben es geändert. Sicherheit die forschende Arzneimittelindustrie in Wir haben gemeinsam für die Anhebung des Schwellen- Deutschland schwächt. Sie liefern damit einen kontra- werts für Kündigungsschutz von fünf auf zehn Arbeit- produktiven Beitrag zum Jahr der Innovation. Es nutzt nehmer gesorgt. Falls in Deutschland nun jemand auf die jetzt auch nichts, auf bestimmte Medikamentenhersteller Idee kommt, den Schwellenwert für Kündigungsschutz zu schimpfen, weil diese Anzeigenkampagnen machen. von zehn auf 20 Arbeitnehmer anzuheben: Bitte, erken- Nehmen Sie besser die falsche Eingruppierung zurück nen Sie darin kein Verhetzungspotenzial. So kommt un- und schützen Sie die forschende Arzneimittelindustrie (B) ser Land mit Sicherheit nicht weiter. Das ist Ihrer und Ih- (D) mit ihren lizenzierten Medikamenten! Schon wären alle res Anspruchs einfach nicht würdig. Anzeigenkampagnen beendet. Aber Sie haben dazu nicht die Kraft. Deshalb haben Sie auch an dieser Stelle (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) versagt. Ich habe heute kein Wort zur Fortentwicklung der so- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zialen Sicherungssysteme gehört. Herr Bundeskanzler, ich möchte heute einmal nicht (Karsten Schönfeld [SPD]: Jetzt sind über die Kernenergie, sondern darüber reden, dass die wir gespannt!) Energiepreise in Deutschland bis zu 50 Prozent – bei- Ich kann verstehen, dass Sie zu dem Thema Pflege ge- spielsweise die Gaspreise mit 25 Prozent – über dem schwiegen haben; denn der Malus für diejenigen, die EU-Durchschnitt liegen, wenn auch nicht über den Welt- keine Kinder haben, ist nun wirklich das Ungeschick- marktpreisen. Das ist in einem Binnenmarkt eine ziem- teste gewesen, was Sie bei der Umsetzung des Verfas- lich komplizierte Sache. Die Internationale Energieagen- sungsgerichtsurteils machen konnten. Sie haben darauf tur hat das völlig zu Recht moniert und die deutsche verwiesen, dass sich mittlerweile 4 Millionen Menschen Regierung aufgefordert, ihre Energiepolitik mehr auf für die Riesterrente entschieden haben. Wir freuen uns, Fakten zu gründen. Genau das ist das Thema. Sie sollten dass es so viele Menschen sind. Wir sagen aber: Wenn Ihre Energiepolitik nicht auf Ideologien, sondern auf das Verfahren etwas unbürokratischer wäre, dann könn- Fakten gründen. Dann wären wir in Deutschland schon ten es 12 Millionen Menschen sein. Denken Sie noch ein ganzes Stück weiter. einmal darüber nach! Wir wollen das gemeinsam. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt reden wir einmal über die Gesundheitspolitik. Ich habe schon gesagt, dass das Verbot derStudien- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Uwe gebühren aufgehoben werden muss. Nur noch so viel Küster [SPD]: Jetzt kommen wir zum amüsan- dazu: Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat zum ten Teil! – Weitere Zurufe von der SPD: baden-württembergischen Ministerpräsidenten gesagt: Bravo! – Wo ist Herr Seehofer?) Wäre das Verbot doch schon aufgehoben! Er kann sich aber auf keinem Parteitag durchsetzen. Man wird sich Da beobachte ich Sie mittlerweile seit vielen Wochen vor dem Bundesverfassungsgericht wieder treffen, das und Monaten. Herr Bundeskanzler, die leuchtende gerade Ihre Regelungen betreffend die Juniorprofessur Freude, mit der Ihnen das Wort „Bürgerversicherung“ gekippt hat. über die Lippen kommt, vermisse ich beständig. Ich Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13039

Dr. Angela Merkel (A) verfolge alle Ihre Reden. Herr Müntefering redet gerne Herr Bundeskanzler, wir beide wissen: Sachverstän- (C) über die Bürgerversicherung; Frau Nahles redet noch lie- dige gehen von idealen ordnungspolitischen Vorausset- ber darüber. Wir nennen das Ganze „Bürgerzwangsversi- zungen aus. Ich kann die Kritik eines Sachverständigen, cherung“, weil es uns die Einheitskasse bringen wird. der für das Prämienmodell in Reinkultur kämpft – mög- lichst für genau das, das er sich ausgedacht hat –, gut (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist das!) verstehen. Aber der Unterschied zwischen uns beiden Sie haben sich entschieden, zu diesem Thema garist, dass Sie das Prämienmodell ablehnen, obwohl die nichts zu sagen. Sachverständigen es Ihnen nahe legen, während wir da- für eintreten und damit auf dem richtigen Weg sind. Den (Dr. Uwe Küster [SPD]: Seehofer ist aus dem damit verbundenen Konflikt müssen wir austragen. Telefonbuch von Frau Merkel gestrichen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Mangels eigener Konzepte – Sie können keine Alterna- tive anbieten – haben Sie sich heute dazu entschlossen – und das Steuerkonzept. ich glaube, das ist in Deutschland einmalig –, sich ledig- (Joachim Poß [SPD]: Die Steuererhöhung!) lich mit den Konzepten der Opposition auseinander zu setzen. Da sind Sie ganz unruhig geworden, weil Sie natürlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- wissen, dass das Merz/Faltlhauser-Konzept um Größen- chen bei Abgeordneten der SPD) ordnungen einfacher ist als alles, was Herr Eichel Ihnen jemals als denkbaren Vorschlag auf den Tisch gelegt hat, Herr Bundeskanzler, entschuldigen Sie einmal: Da es Ih- rerseits so viel Kritik an unserem Kompromiss gibt, (Beifall bei der CDU/CSU) wäre heute doch die Gelegenheit gewesen, die Bürger- dass auch das ein Schritt in die richtige Richtung ist, versicherung einmal in ihrer vollen Breite und Blüte dar- nämlich hin zu mehr Transparenz, zu mehr Klarheit im zustellen. Steuersystem. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!) Herr Bundeskanzler, ich freue mich ja für die Men- Das wäre doch eine schöne Sache gewesen. schen im Lande darüber, dass die Steuersätze gesunken sind. Nur, Sie hätten alles das schon 1996 haben können: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben geschwiegen. Petersberger Beschlüsse. Sie ärgern sich – das verstehe ich ja –, dass wir uns (B) geeinigt haben. Das würde ich auch machen. (Joachim Poß [SPD]: Nicht finanziert!) (D) (Lachen bei der SPD – Katrin Göring-Eckardt Ich habe es mir extra noch einmal sagen lassen: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Seehofer 15 Prozent Eingangssteuersatz und 39 Prozent Spitzen- soll zur Bürgerversicherung reden!) steuersatz. Herr Bundeskanzler – das sage ich auch in Richtung der (Joachim Poß [SPD]: Da hätten Sie die Mehr- Arbeitgeber –, wir haben, übrigens schon in Leipzig, wertsteuer erhöhen müssen!) festgelegt, dass Arbeitgeberbeiträge in Deutschland auf Meine Damen und Herren, Sie haben das damals aus 6,5 Prozent eingefroren werden sollen. Weder unter ei- rein parteitaktischen Gründen verhindert, ner unionsgeführten noch unter einer SPD-geführten Re- gierung hat es in den letzten 20, 30 Jahren für die Arbeit- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geber eine derartige Planungssicherheit in Bezug aufSie und der Ministerpräsident Lafontaine und der Minis- ihre Sozialversicherungsbeiträge gegeben. Nach unserer terpräsident Eichel. Wir waren damals auf dem richtigen Vorstellung gehört es zur völligen Autonomie der Tarif- Weg. Gott sei Dank wurde ein Stück dieses richtigen partner – so schreibt es das Grundgesetz vor –, wie die Weges gegangen. Aber Sie haben es damals blockiert; Abschlüsse gestaltet werden. Wir wollen auf der Arbeit- das müssen wir festhalten. geberseite Berechenbarkeit der Gesundheitskosten er- zeugen. Das ist ein richtiger und notwendiger Schritt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weil die Lohnzusatzkosten in Deutschland zu hoch sind. Ein weiterer Punkt – es ist schön, dass wir uns darüber Davon werden wir uns auch durch Ihre komische Kritik, auseinander setzen können, Frau Sager –: PISA-Studien. Herr Bundeskanzler, nicht abbringen lassen. Wie kommt man zu besseren Ergebnissen? Wir sind der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ganz festen Überzeugung: mit der Einheitsschule nicht neten der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ist sie beleidigt!) – diese Überzeugung werden wir auch weiter vor uns Wir plädieren für eine unumkehrbare Weichenstel- hertragen – und – das füge ich noch hinzu – dadurch, lung. Wir müssen heraus aus dem heutigen System. Sie dass der Bund auch dafür noch die Kompetenz be- sollten sich von der Bürgerversicherung abwenden und kommt, was Sie am liebsten hätten, einem Prämienmodell zuwenden. Ich sage Ihnen: Darauf sind wir stolz. Der Weg in ein neues System soll unum- (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kehrbar sein. Das stimmt gar nicht!) 13040 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Angela Merkel (A) mit Sicherheit auch nicht. Deshalb wird in der Föderalis- Die eigentliche Frage ist doch – davon sprechen ja auch (C) muskommission eines nicht gelingen: Sie werden dieSie immer wieder –: In welcher Lage sind wir heute? Kompetenz des Bundes für die Bildung in der SchuleHeute wissen wir, vor welchen Herausforderungen wir nicht bekommen, so sehr Sie das auch wollen. stehen und was wir zu bewältigen haben. Genau in einer solchen Lage – deshalb hat dieser Vorschlag eine solche (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Empörung hervorgerufen – braucht man verbindende ge- Das wollen wir gar nicht!) meinschaftsstiftende Gedenktage, an denen einem be- Wir werden auch den ganzen Mischmasch beenden – das wusst wird: Das Ganze ist mehr als die Summe der Ein- ist die Aufgabe –, bei dem Sie dauernd mit anderer Leute zelnen. Deshalb waren wir so empört, dass Sie den Geld versuchen, sich in achen S einzumischen, die Sie 3. Oktober für ein einmaliges Wachstum in Höhe von nichts angehen. 0,1 Prozentpunkten abschaffen wollten. Das war absurd und verfehlt. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- lassen, Herr Bundeskanzler. derspruch bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Bundeskanzler, bei all den einzelnen Maßnah- men fehlt – das moniert auch der Sachverständigenrat – Wir sind ja für jedes Eingeständnis eines historischen das schlüssige Konzept. Ich glaube, das schlüssige Kon- Irrtums dankbar. Die Sache mit der Rente hatten Sie zu- zept gegeben; heute haben wir uns mit der Sprache befasst. ( [SPD]: Sie glauben, ja?) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kopfpauschale war auch ein his- braucht eine bestimmte innere Haltung. Diese innere torischer Irrtum, Frau Merkel! Werden Sie das Haltung – auch darüber müssen wir sprechen – speist als Irrtum eingestehen?) sich aus der Antwort auf die Frage: Was sind die Einzel- maßnahmen und gibt es etwas, was mehr ist als dieDamit die Geschichte nicht völlig verdreht wird, indem Summe aller Einzelmaßnahmen? behauptet wird, dass bisher keiner von uns der Überzeu- gung war, dass das Erlernen der deutschen Sprache die Wenn wir uns um Generationengerechtigkeit küm- Grundvoraussetzung dafür ist, dass Integration stattfin- mern, dann – ich glaube, damit sind wir alle miteinander det, möchte ich Sie an unseren Integrationsantrag aus einverstanden – geht es um mehr als nur um die Frage: dem Jahr 1999 erinnern: Was kommt beim kleinen Kind an? Was kommt beim äl- teren Menschen an? Wenn wir einen Solidarpakt zwi- Die Beherrschung der deutschen Sprache ist Vo- schen Ost und West haben, dann gibt es doch das ge- raussetzung für Kommunikation und somit wich- (B) meinsame Verantwortungsgefühl, das Gefühl dafür, dass tigstes Mittel zur Integration. Wer dauerhaft (D) in wir zusammengehören. Wenn wir über Nachhaltigkeit Deutschland leben will, muß die Bereitschaft ha- reden, dann reden wir doch eigentlich darüber, dass wir ben, die deutsche Sprache zu erlernen. uns für zukünftige Generationen genauso verantwortlich Dann wurden all die Maßnahmen aufgeführt, die wir fühlen wie für die Bewahrung unserer Traditionen. Ein jetzt im Zuwanderungsgesetz durchgesetzt haben. Be- Bund/Länder-Finanzausgleich, eine Kultusministerkon- dauerlich ist nur, Herr Bundeskanzler, dass Sie, da Sie ferenz, eine Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das alles damals ausschließlich mit der Frage der doppelten gibt es doch nur, weil wir etwas Gemeinsames haben. Staatsbürgerschaft beschäftigt waren, diesen Antrag ab- Ich glaube, dass das durch die deutsche Einheit einegelehnt haben. Das ist die historische Wahrheit. wunderbare Vollendung insofern gefunden hat, als der 3. Oktober ein Tag der Freiheit ist, ein Tag, an dem in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Deutschland die Freiheit gesiegt hat. Peter Dreßen [SPD]: Lesen Sie einmal den Antrag ganz vor! Was noch drinstand!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin deshalb doch zufrieden, dass wir dies jetzt ge- Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass ich hier meinsam erreicht haben. heute stehen kann, dass viele Kollegen aus den neuen Bundesländern hier sitzen, dass Frau Göring-Eckardt aus Frau Sager, ich werde aber nicht davon abgehen, dass den neuen Bundesländern Vorsitzende der Fraktion der die Idee von Multikulti grandios gescheitert ist. Grünen ist, haben wir denen zu verdanken, die den Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- danken an die deutsche Einheit nicht als Lebenslüge der neten der FDP) Nation bezeichnet haben, wie Sie es getan haben, son- dern die durchgehalten haben, die sich zu Einheit in Bezüglich der Idee von Multikulti waren wir unter- Freiheit bekannt haben, obwohl nicht klar war, ob man schiedlicher Meinung, auch wenn Sie sich die Sache im es durchsetzt. Nachhinein noch zurechtbiegen. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der FDP) Ich habe von der multikulturellen Gesellschaft gesprochen, nicht von Multikulti!) Deshalb ist es doch nichts anderes als Erbsenzählerei, Ich kann nur sagen, dass wir alle miteinander, jetzt wie- wenn man mit irgendwelchen alten Zitaten ankommt. der auf die Zukunft bezogen, uns so verhalten sollten, (Lachen bei Abgeordneten der SPD) wie Günther Beckstein esauf der Demonstration der Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13041

Dr. Angela Merkel (A) Muslime, die sich zu Werten wie Freiheit und Toleranz bestimmte Standorte zu schließen. Wir alle machen aber (C) bekannt haben, gemacht hat, indem wir sagen: Bitte,nicht mehr mit, wenn Sieals ausschließliche Aufgabe lernt Deutsch. der Bundeswehr die internationale Handlungsfähigkeit definieren, die Aufgabe des Heimatschutzes aber wegen (Zuruf von der SPD: Was hat finanzieller Schieflagen bis zur Unkenntlichkeit verwi- der Stoiber gesagt?) schen. Damit vernachlässigen Sie die zweite Säule der Natürlich dürfen wir niemals diejenigen, die die Werte Bundeswehr, die wir auch in Zukunft brauchen, nämlich unseres Landes ausdrücklich anerkennen, in irgendeiner den Heimatschutz. Weise mit denen in einen Topf werfen, die dies nicht tun. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Das sage ich ganz klar. Ebenso wie wir in Deutschland nicht Bürgerinnen und Bürger pauschal mit denen, die Darüber müssen wir miteinander streiten. Gesetze unseres Landes übertreten, gleichsetzen, so dür- fen wir so etwas auch nichtmit Personen ausländischer (Beifall bei der CDU/CSU) Herkunft machen. Es führt uns aber auch nicht weiter, Die Lebenslüge Ihres Verteidigungsministers besteht wenn wir die Augen vor bestimmten Tendenzen ver-darin, dass er so tut, als ob er mit den begrenzten Mitteln schließen. und seiner Strukturpolitik, die im internationalen Be- Deshalb ist es gut und richtig, dass unsere Fraktion ei- reich in die richtige Richtung geht, die Wehrpflicht auf- nen Antrag zum Islam und Islamismus eingebracht hat, rechterhalten könnte. Das kann er nicht. Entweder wir um genau über diese Frage eine Diskussion anzustoßen. schaffen es, ein ordentliches Heimatschutzkonzept, wie In dieser müssen wir uns mit sehr konkreten Punktenes von Wolfgang Schäuble und anderen entwickelt auseinander setzen. So geht es zum Beispiel darum, ob wurde, danebenzustellen; dann kann die Wehrpflicht er- wir es gutheißen, wenn für ein Jahr oder für zwei Jahre halten bleiben, was ich und wir durchaus möchten. Wenn Imame aus der Türkei nach Deutschland kommen, oder man das aber nicht schafft, darf man sich nicht in eine ob wir wollen, dass sie hier in Deutschland ausgebildet neue Lebenslüge verstricken, sondern muss den Leuten werden. Da müssen Sie sich ganz klar entscheiden. Die die Wahrheit sagen. Das ist das, was wir anmahnen, Herr in der CDU engagierten Mitglieder türkischer Herkunft Bundeskanzler. Wir haben hier klare Vorstellungen. sagen dies ganz klar. (Beifall bei der CDU/CSU) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Wer würde denn infrage stellen, dass wir eine strate- GRÜNEN]: Das haben wir schon längst ge- gische Partnerschaft mit Russland brauchen? Schauen sagt!) Sie, ohne Michail Gorbatschow wäre die deutsche Ein- (B) – Wenn Sie das auch so sehen, freut mich das. Aber die heit doch gar nicht zustande gekommen. Dass es natür- (D) Menschen draußen haben das noch nicht mitbekommen. lich auch von russischer Seite in Bezug auf die eigene Deshalb müssen wir doch darüber reden. Man darf sich Bevölkerung eine Riesenleistung und Anstrengung war, deshalb nicht dauernd, wie Sie es heute hier wieder ge- dass die baltischen Staaten heute Mitglied der Europäi- tan haben, in Kleinkram verzetteln, schen Union und der NATO sind, stellt doch niemand in- frage. Ebenso stellt niemand infrage, dass es nicht ganz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) einfach ist, ein Land wie Russland zu regieren. Aber es kann wirklich nicht sein, auch nicht mit Blick auf die sondern man muss die Gemeinsamkeiten herausstellen, Geschichte – ich würdige die Situation 60 Jahre nach indem man sagt: Ihr seid willkommen, wenn ihr unsere dem Zweiten Weltkrieg; ich habe mich auch in meiner Gesetze akzeptiert. Wir wollen euch Chancen eröffnen. Jugend hinreichend mit diesen Themen auseinander ge- Das ist aber nur möglich, wenn ihr Deutsch lernt, euch setzt und habe hohen Respekt vor dem russischen integriert und keine Parallelgesellschaften errichtet. Da- Volk –, Herr Bundeskanzler, dass Amerika kritisiert wird für werden wir kämpfen. und Russland nicht. Nichtsweiter mahnen wir an, als (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass wir fair und ehrlich miteinander umgehen. Ich bin sehr dafür, mit alten Lebenslügen aufzuräu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) men, Das Thema Türkei ist ein wichtiges und relevantes (Dr. Uwe Küster [SPD]: Fröhlicher Anfang!) Thema. Da sind viele Versprechungen gemacht und viele Dinge gesagt worden. Der ehemalige Bundeskanzler zugleich sollten wir aber auch dafür Sorge tragen, dass Schmidt zum Beispiel sagt, wir hätten das alles nicht wir uns nicht in neue Lebenslügen verstricken. machen sollen. (Zurufe von der SPD: Wohl wahr! – (Michael Glos [CDU/CSU]: Recht hat er!) Sehr richtig!) Vieles ist in Gang gekommen. Deshalb muss natürlich Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Es stehen alles daran gesetzt werden, dass bei der Türkei nicht der noch eine ganze Reihe von Aufgaben vor uns, auch im Eindruck entsteht, wir wollten ihr die Tür vor der Nase Sicherheitsbereich und im ußenpolitischen a Bereich. Da zumachen und Europa wolle sie verstoßen. steht zum Beispiel die Frage der Zukunft der Bundeswehr im Raum. Ich stimme zu, dass es zugunsten der Erhö- (Zuruf von der SPD: Dann tun Sie hung der internationalen Handlungsfähigkeit nötig ist, das doch nicht!) 13042 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Angela Merkel (A) – Wir sagen nicht einfach Nein. – Aber, Herr Bundes- Bundeskanzler, welchen Schatz wollen Sie mehren,(C) kanzler, es muss doch möglich sein, festzustellen, dass wenn Sie so viel Schulden machen wie noch nie in der es der falsche Weg wäre, jetzt Verhandlungen, angeblich Geschichte der Bundesrepublik Deutschland? ergebnisoffene Verhandlungen, aufzunehmen, die nur Herr Eichel, hören Sie auf zwischen 2,0 und zwei Optionen kennen, nämlich Vollmitgliedschaft und 2,2 Prozent zu unterscheiden. Da lachen doch die Hüh- Scheitern. Die Option Scheitern gibt es realpolitisch gar ner! nicht. Denn Scheitern würde bedeuten, dass der Türkei die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Deshalb sagen (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!) wir: Lasst uns eine – die von uns präferierte – Option mit Damals war es die Zeit kurz nach der deutschen Einheit. aufnehmen, nämlich die privilegierte Partnerschaft!Auf diese Weise können Sie doch nicht in die Geschichte Schritt für Schritt kommen viele in Europa genau zu die- eingehen! Ich sage Ihnen: Der Schatz wird versilbert; er ser Einsicht. Ich verstehe nicht, warum Sie sich dieser wird sozusagen verfressen und verkloppt. Das ist die Einsicht verweigern. Sie hätten die Möglichkeit, mitWahrheit. Herrn Erdogan als Ministerpräsidenten vernünftig da- rüber zu sprechen. Dann hätten wir ein Problem gelöst, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das vielen Menschen Sorgen bereitet, das viele bedrückt Welchen Gemeinsinn wollen Sie fördern, wenn Sie und uns alle noch bedrücken wird. heute den Arbeitslosen in diesem Land kein einziges Sie wissen es doch, Herr Bundeskanzler: Die Euro- neues, konkretes Angebot machen konnten und wenn päische Union der 25, bald 27 oder 28, ist heute in sich viele Menschen, die heute Angst und Sorge haben, weil institutionell noch gar nicht gefestigt und von daher noch sie nicht wissen, wie es weitergeht, nicht mehr das Ge- nicht handlungsfähig. Deshalb ist es wichtig, dass wir fühl haben, dass es jeder in diesem Land schaffen kann? nicht einfach – nach der Humboldt-Rede des Bundesau- Wir wollen, dass sie wieder dieses Gefühl bekommen. Wir wollen keinen beiseite schieben. Wir wollen die Vo- ßenministers, in der er fast noch einen Bundesstaat sui raussetzungen dafür schaffen, dass wir diejenigen, die generis gefordert hat – Europa in dieser Form erweitern, leistungsstark sind, wieder in Freiheit leistungsstark sein ohne uns Gedanken zu machen, ob das Integrationswerk lassen können, wie es der Impetus der sozialen Markt- von 50 Jahren dabei Schaden nehmen könnte. Auch das wirtschaft war, damit wir denen, die schwach sind, eine ist ein Beitrag der Kopenhagener Kriterien. Wir wollen Chance geben und ihnen helfen können. Das ist unser nicht mehr und nicht weniger, als darüber reden. Unsere Ziel. Option an dieser Stelle ist klar. Ich finde, sie ist vernünf- tig und bewahrt uns vor einer neuen Lebenslüge, Herr Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen voraus: Dafür Bundeskanzler. werden wir uns die Mehrheiten erarbeiten. Dafür haben (B) wir die Konzepte vorgelegt. (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Joachim Poß [SPD]: Welche denn? Wie ist Angesichts der gesamten Aufgabenpalette – der He- das mit der Finanzierung der Pauschale?) rausforderungen im Inneren und Deutschlands Rolle, die, wie ich finde, eine Rolle von Maß und Mitte sein Zwei Jahre weiter sitzen Sie da, wo Sie bei der sollte, wie es uns durch unsere kontinentale Lage vorge- Westerwelle-Rede gesessen haben, nämlich hinten im geben ist, wobei wir uns im Übrigen nicht immer nur um Plenum, also genau da, wo diese Bundesregierung hin- Spanien, Großbritannien und Frankreich kümmern soll- gehört. ten, sondern auch einmal um die kleineren Mitgliedslän- Herzlichen Dank. der der Europäischen Union; (Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Anhaltender Beifall bei der FDP – Joachim neten der FDP) Poß [SPD]: Dünne Suppe!) das ist eine ganz wichtige Sache, die von immer beherzigt wurde – könnten wir zu etwas zurück- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: kehren, was Sie im August 2002, zur Zeit der Flut, ge- Nächster Redner ist der Vorsitzende der SPD-Frak- sagt haben: tion, Franz Müntefering. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der Gemeinsinn, der hier deutlich geworden ist, ist DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: ein Schatz, den wir zu hüten und zu mehren haben. Oh! – Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Ab- Dieser Schatz an Gemeinsinn ist unbezahlbar. Denn fall!) er macht das Land gerade in Krisen stark und er macht damit uns und die Menschen im Land fähig, nicht nur Krisen und Katastrophen zu bewältigen, Franz Müntefering (SPD): sondern auch die anderen Probleme zu lösen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was CDU (Michael Glos [CDU/CSU]: Das war vor der und CSU nie gewagt haben, nämlich eine Agenda 2010, Wahl!) hat diese Koalition begonnen. Darauf sind wir stolz. Wir sind damit auf einem guten Weg. Nun, lieber Herr Bundeskanzler, frage ich Sie: Was wollen Sie hüten, wenn Sie sich mit dem Gedanken tra- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen, den Tag der Deutschen Einheit abzuschaffen? Herr DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13043

Franz Müntefering (A) Unser Kurs für Deutschland ist anstrengend; aber er Zu dem richtigen Weg gehören die 34 Prozent, die wir (C) ist richtig. Mehr und mehr wird deutlich, dass die Er-im Haushalt des Ministeriums für Forschung und Ent- folge kommen. Bei der Krankenversicherung ist klar ge- wicklung draufgelegt haben. Auch da gibt es den worden, dass die Einnahmen in diesem Jahr deutlich hö- Wunsch, es möge mehr sein. Aber auch hier sei der Hin- her liegen, als es im vergangenen Jahr der Fall war. Wir weis erwähnt, dass es Bedingungen gibt, die zeigen, dass haben 4 Milliarden Euro für Ganztagsschulen und Ganz- es mehr werden kann. Dass wir dafür das Geld, das heute tagseinrichtungen zur Verfügung stellen können. im Rahmen der Eigenheimzulage für andere Zwecke eingesetzt wird, brauchen, ist gesagt worden. Bei den Ausbildungsplätzen haben wir Ergebnisse, die deutlich besser sind, als sie zu Beginn dieses Jahres Es wird immer deutlicher: Die Anstrengungen lohnen noch schienen. Denn es haben mehr junge Menschen die sich für alle – und dies heute und morgen. Es wächst Schule verlassen. Ich will an Herrn Braun vom DIHK neues Vertrauen. Die Situation, in der wir waren und in und Herrn Philipp vom Zentralverband des Deutschen der wir noch sind, ist zu begreifen: Wenn man einen Handwerks ein ausdrückliches Dankeschön richten. Was Wandel von erheblichem Umfang anstrebt und auslöst, in Teilen der Wirtschaft und auch im Handwerk in den dann verunsichert das die Menschen. Aber die Wahrheit letzten Wochen und Monaten in dieser Hinsicht geleistet ist – das müssen wir in unserem politischen Handeln er- worden ist, ist aller Ehre wert. Das ist ein gutes Ergeb- kennbar machen –: Sicherheit, soweit dies überhaupt nis. möglich ist, wird man nur durch einen deutlichen Wan- del erreichen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aber das haben wir gemacht und nicht Sie. Das haben wir organisiert. Das ist die Aufgabe, in der wir stecken, wobei wir versu- chen, Dinge in Bewegung zu bringen. Wir holen durch die Zusammenlegung von Arbeitslo- senhilfe und Sozialhilfe 1 Million Menschen aus der Frau Merkel hat eben nachgefragt, weshalb auf dem Sackgasse der Sozialhilfe. Ich hätte mir gewünscht, dass Binnenmarkt relativ wenig Entwicklung sei bzw. weni- das auf einigen der Plakate, die es bei den Demonstratio- ger Bewegung, als man sich das wünschen würde, und nen dazu gab, gestanden hätte. Es werden nämlichweshalb die Menschen weiter sparen. Eines kann man 1 Million erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger – mit sagen: Diskussionen über die Sozialsysteme, so wie sie Kindern sind es 1,3 bzw. 1,4 Millionen –, die überwie- im Moment in der Union mit einem Durcheinander, was gend in der Sackgasse der Sozialhilfe stecken, wieder an die Perspektive angeht, und einer Ziellosigkeit, die die (B) Beschäftigung herangeführt. Somit bekommen sie wie- Menschen sich fragen lässt, wohin es in diesem Land ge- (D) der eine Lebensperspektive. Das ist das Ergebnis unserer hen soll, geführt werden und geführt worden sind, sind Politik. Gift für den Binnenmarkt. Denn sie sind Gift für die Selbstgewissheit der Menschen in diesem Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Beschäftigtenzahl steigt. Die Nachfrage nach Ar- beit ist größer geworden. Das heißt, beides ist gestiegen: Das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Landes die Zahl der Arbeitslosen, aber auch die Zahl der Be-wächst wieder, auch das Vertrauen in die politische Linie schäftigten. Auch das müssen wir messen und können der Koalition. wir als Ergebnis unserer Politik zur Kenntnis nehmen. (Lachen des Abg. Dietrich Austermann Die Zahl der Überstundenwird wieder zunehmen. [CDU/CSU]) Am Rande des Arbeitsmarktes ist Bewegung. Das, was Die Zeit, in der sich die CDU/CSU, weil wir mit der Sa- wir jetzt erleben, ist bei solchen Konjunkturentwicklun- che zu tun hatten, sicher fühlen und Pöstchen verteilen gen, wie wir sie jetzt haben, üblich. Das Plus von 1,8konnte, ist vorbei. oder 1,7 Prozent in diesem Jahr wirkt sich noch nicht in diesem Jahr deutlich auf den Arbeitsmarkt und die Steu- Gestern ein Merz ohne Pfiff und ohne Biss, erkassen aus. Aber es hat seine Wirkung und wird im (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordne- nächsten Jahr deutlicher als jetzt erkennbar sein. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese 1,7 oder 1,8 Prozent sind nicht das, was wir uns heute eine Parteivorsitzende ohne Merz und ohne wünschen. Aber sie sind auf der Basis des Wohlstandes, Seehofer. über den dieses Land verfügt, eine gute Sache. Ein Plus von 1,8 Prozent bei uns sind mehr als 5 Prozent in Portu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gal; das bleibt richtig. Deshalb sind wir stolz auf diese DIE GRÜNEN) 1,8 Prozent. Das C in dem Namen Ihrer Partei, Frau Merkel, erinnert (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten immer mehr an Chaos. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zu Herrn Glos, der heute Morgen auch schon gespro- Wir werden im nächsten Jahr vergleichbare Höhen ha- chen hat, doch noch ein Wort. Ich habe mir überlegt, ob ben. man sich damit länger beschäftigen sollte. Ich will mich 13044 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Franz Müntefering (A) darauf beschränken, ihn einmal selbst zu zitieren. Er hat – Bei Ihnen hat sie offensichtlich nicht funktioniert, Herr (C) jetzt einen netten Artikel in der „Zeit“ veröffentlicht und Glos; sonst würden Sienicht immer dazwischen- darin gibt es ein schönes Zitat von ihm, das, glaube ich, schreien. Hören Sie einmal genau zu! alles sagt. Glos in der „Zeit“: (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr primitiv! Ich hoffe, dass es meinem Land nie so dreckig geht, Schämen Sie sich!) dass es auf Leute wie mich zurückgreifen muss. „Frühkindlich“ heißt auch: bei den unter Dreijährigen. Das finde auch ich, und dann stimmen wir wieder über- (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie haben wenig ein. dazugelernt!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Den Begriff „Krippe“ kennen Sie doch in Bayern gar BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dietrich nicht. Sie glauben, das hätte etwas mit Weihnachten zu Austermann [CDU/CSU]: Ist damit Müntefering tun; es hat aber auch noch etwas mit den unter Dreijähri- gemeint?) gen zu tun, Herr Glos. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos Herr Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwi- [CDU/CSU]: Das hat auch was damit zu tun, schenfrage des angesprochenen Kollegen Glos? wo man dransitzt und sich mästet!) Wir wissen alle, wie wichtig die ersten Jahre im Leben Franz Müntefering (SPD): eines Menschen sind. Ja, bitte schön. (Michael Glos [CDU/CSU]: Da ist bei Ihnen etwas versäumt worden!) Michael Glos (CDU/CSU): Herr Müntefering, wären Sie zu so viel Selbstironie in Also fangen wir dort an. Der Bund gibt den Städten und der Lage? Gemeinden freiwillig Geld, damit sie sich in diesem Be- reich besser engagieren können als bisher. Das ist rich- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- tig. wie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ Franz Müntefering (SPD): CSU]: Nein! Das ist falsch! Da bleibt nichts (B) (D) Wenn das Selbstironie ist, dann ist das ja in Ordnung; übrig!) das habe ich ja genau so aufgefasst. Denn Sie haben iro- Das zweite, was ich zum Thema Bildung sagen will, nisch beschrieben, wie es sich tatsächlich verhält. Sie ha- betrifft die Selektion, die Feststellung, für welche wei- ben gesagt, Sie hoffen, dass es dem Land nie so dreckig terführende Schule jemand mit neun oder zehn Jahren geht, dass es auf Leute wie Sie angewiesen ist. Das ist geeignet ist. Wir machen auf der Bundesebene keine eine schöne Ironie; dazu kann ich Sie nur beglückwün- Vorschläge und treffen keine Festlegungen darüber, wel- schen. Das ist wirklich gut. che Strukturen eine Schule haben soll. Ob man das nach (Beifall bei der SPD) acht, zehn oder zwölf Jahren in der Schule entscheiden muss, das weiß ich nicht und will es auch nicht festle- In den vergangenen Monaten ist in der deutschen Po- gen. Das muss in den Ländern entschieden werden. Ei- litik einiges klarer geworden. Wir setzen uns mit unserer nes allerdings ist klar – davor kann niemand mehr weg- Politik durch und das ist gut. Das ist wie im Irakkonflikt, laufen, auch nicht mit waghalsigen Begriffen, die als die CDU/CSU überwiegend meinungslos laviert hat. agitatorisch dagegengesetzt werden –: In einem Alter Heute verhält sie sich in der Innenpolitik genauso wie von neun oder zehn Jahren zu entscheiden, welche wei- damals beim Irakkonflikt. terführende Schule ein Mensch besuchen kann – das ist zu früh, das ist falsch; das muss korrigiert werden. Zu den Fragen der Innenpolitik gehört auch die Bildung. Auch Frau Merkel hat eben wieder betont: Die Bildung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ist sehr wichtig. Darüber können wir uns schnell einigen. DIE GRÜNEN) Wenn wir uns die Meldungen über die neue PISA-Studie anschauen, dann ist eines klar – ohne dass wir die Ergeb- Wir haben in Deutschland festzustellen, dass nisse, die erst Anfang Dezember veröffentlicht werden, 75 Prozent der Kinder ausAkademikerfamilien eine genauer kennen –: Drei Dinge müssen in diesem Land in Universität besuchen, dass es aber bei Arbeiterfamilien Angriff genommen werden. Die frühkindliche Bildung oder solchen mit den untersten Einkommen nur muss ein größeres Gewicht bekommen, als sie es bisher 20 Prozent sind. Das ist nicht in Ordnung. Darauf gibt es hat. Dafür treten wir ein. keine schnelle Antwort. Anfangen müssen wir bei den Kindern selbst. Wir müssen die Eltern ansprechen; wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten müssen die Schulen ansprechen, aber wir müssen auch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – die Kinder ansprechen. Deshalb sage ich im Hinblick auf Michael Glos [CDU/CSU]: Die hat bei Ihnen den von mir angesprochenen Sachverhalt, aber auch im gefehlt, Herr Müntefering!) Hinblick auf den Sachverhalt der Migration: Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13045

Franz Müntefering (A) Wir müssen uns in Deutschland darauf verständigen, ei- Sie sprechen über den Schuldenstand. Herr Merz hat (C) nen Sprachtest für die Vier- bis Fünfjährigen einzufüh- gestern damit begonnen und Frau Merkel hat es heute ren. Kinder, deren Sprachkompetenz deutliche Mängel fortgesetzt. Damit Sie wissen, wie es zu diesem Stand aufweist, müssen einen obligatorischen Sprachkurs be- kam, möchte ich ganz nüchtern die Zahlen nennen: Im suchen, sodass sie die Möglichkeit erhalten, in derJahr 1982 lag die Verschuldung pro Kopf bei Schule zu bestehen. So praktisch und einfach ist das zu 2 750 Euro. In den 16 Jahren Helmut Kohl kamen regeln, aber es kostet auch Geld. 11 220 Euro pro Kopf dazu. Das macht 68 Prozent des heutigen Schuldenstands aus. Bei uns sind noch einmal (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 2 530 Euro hinzugekommen. Während Ihrer Regie- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rungszeit – ich sage es noch einmal – wuchs die Ver- schuldung um 11 220 Euro. Das zu dem Thema, wie viel Dass manches in diesem Bereich in Deutschland im Schulden in jedem Kinderwagen oder jedem Kinderbett- Argen liegt, ist wahr, aber nicht Schuld des Bundes. chen liegen. Sie haben uns weiß Gott nichts vorzurech- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Am ärgsten nen. Erinnern Sie sich einmal daran, was Sie in der Re- ist es dort, wo die SPD am längsten regiert gierungszeit von Helmut Kohl aufgehäuft haben. hat!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ Es ist nicht Ihre und nicht unsere Schuld. Da Frau CSU]: Rot-grüner Schuldenrekord!) Merkel soeben betont hat, in der Föderalismuskommis- sion müsse klar sein, dass sich der Bund nicht in das Bei Hartz IV waren Sie halbherzig dabei: hinter ver- Schulwesen einmischen dürfe, möchte ich noch einmal schlossenen Türen knallhart, beim leichtesten Gegen- klarstellen, dass das niemand von uns gefordert hat. Ich wind aber butterweich. Herr Milbradt hat seine Quittung weiß nicht, wer Sie darüber informiert hat, ich möchte es dafür schon bekommen. Er hat die Mehrheit verloren hier nur noch einmal klarstellen. Wir kennen diese Ein- und im Sächsischen Landtag Schwierigkeiten gehabt, stellung und respektieren sie. Die Verantwortung für die gewählt zu werden. Auch der Generalrevisor Rüttgers in Schulen liegt bei den Ländern. Nordrhein-Westfalen sackt mittlerweile durch. Sein Vor- sprung ist hin. Hochmut ist an dieser Stelle jedoch nicht nötig; denn das, was in den letzten 20 Jahren von der KMK geleistet Dies ist überhaupt ein interessantes Thema. Im Fe- worden ist, ist so gut offensichtlich auch wieder nichtbruar wird in Schleswig-Holstein und im Mai in Nord- gewesen; denn sonst hätte es Weltspitze zutage geför- rhein-Westfalen gewählt. Heide Simonis und Peer dert. Steinbrück haben gut aufgeholt. Sicher geglaubte Wahl- siege der CDU geraten ins Wanken. (B) (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Warten DIE GRÜNEN) Sie ab!) Das muss man unter Freunden aus Bund und Ländern Es stellt sich heraus: Rot-Grün ist eben doch das Beste, auch sagen dürfen. was es zurzeit als Koalition in Deutschland gibt. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Macht er (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ unser Land schlecht?) DIE GRÜNEN) Sie klagen über Löcher im Haushalt und verhindern Die Entscheidungen sind offen. Wir können es schaffen. gleichzeitig den Abbau von Steuervergünstigungen. Es macht wieder Spaß. Für einen Wahlsieg von Heide Das ist eine Geschichte, die Sie offensichtlich völlig ver- Simonis nehme ich sogar in Kauf, dass auch in den kom- drängen. Im März oder April des letzten Jahres gab es menden Jahren hier in der ersten Reihe Herr Austermann die Möglichkeit, im Bundesrat zu stehen. Wenn diejeni- sitzt. gen, die im Bundesrat in der Mehrheit sind – hier sind (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sie in der Opposition –, mitgestimmt hätten, hätten die DIE GRÜNEN) Kommunen 4,4 Milliarden Euro, die Länder 8 bis 9 Mil- liarden Euro mehr gehabt und auch der Bund stünde in Ich möchte zu Hartz IV zurückkommen. Es ist interes- dieser Legislaturperiode besser da. sant zu sehen, wie unterschiedlich die Einführung an- läuft. Wenn man sich beispielsweise in Lübeck in Schles- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Völlig wig-Holstein umsieht und mit den Verantwortlichen der falsch!) Arbeitsgemeinschaft spricht, weiß man, dass sie funktio- nieren wird. Rund 80 Prozent der Anträge sind bereits Die Spitze der Heuchelei ist, wenn CDU-Bürgermeis- eingegangen, die meisten auch schon bearbeitet. Mitte ter oder -Ministerpräsidenten durchs Land marschieren Dezember soll die Vorbereitungsphase abgeschlossen und sich darüber beschweren, dass sie kein Geld haben, sein. Dass es so gut läuft, is t auch darauf zurückzuführen, aber dann, wenn es bei der Abstimmung darauf an-dass sich die Ministerpräsidentin persönlich darum küm- kommt, kneifen. Das geht nicht und das lassen wir Ihnen mert und dafür sorgt, dass es vorangeht. auch nicht durchgehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Um jeden CSU]: Das ist auch nicht gemacht worden!) Antrag?) 13046 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Franz Müntefering (A) Aus anderen Regionen, beispielsweise aus Hessen, CDU/CSU-Fraktion im Jahre 2003 die Mittel für die(C) hört man anderes. Ich kann nur davor warnen, durchProgramme gegen Rechtsextremismus und die damit zu- schleppende Einführung zu versuchen, das ganze Sys- sammenhängenden Probleme um 20 Millionen Euro tem infrage zu stellen. Das geht auf Kosten der Men-kürzen wollte. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie über schen. die Verwerfungen in diesem Lande sprechen und sagen, worum man sich kümmern muss, dann sollten Sie an Wundern würde eine solche Taktik der Hessischen dieser Stelle ganz vorsichtig sein. In diesem Bereich pas- Landesregierung allerdings nicht; denn vergleichbar ver- siert nämlich Folgendes: Hier engagieren sich junge wie hält sie sich auch beim Projekt der Ganztagsschulen. Die ältere Leute in kleinen und größeren Organisationen. Sie Behauptung von Herrn Koch, dass es nichts nütze, für haben nur relativ wenig Geld zur Verfügung. Sie machen die Ganztagsschulen für die Dauer von vier Jahren je- den Menschen Mut, die von Rechten bzw. – um es kon- weils 1 Milliarde Euro pro Jahr zur Verfügung zu stellen, kret zu sagen – von Neonazis verfolgt sind. Das ist eine und dass diese Maßnahme zu nichts außer zu Cafeteria- sehr ehrenwerte Sache, die wir würdigen sollten, statt die programmen führe, steht in erheblichen Widerspruch zu Mittel für diesen Bereich zu kürzen. den Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht wur- den. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einer Ihrer Vorschläge ist, alleSteinkohlezechen in Deutschland sofort stillzulegen. Wenn Ministerpräsidenten von CDU und CSU, die der Koalition bei diesem Themakeinen Erfolg wünschen, (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!) versuchen, dieses Projekt schlechtzureden, dann ist das Hier sollen 1,6 Milliarden Euro gestrichen werden. Wer gegenüber den Menschen in ihrem eigenen Land nicht in sich ein bisschen mit den Zusammenhängen in diesem Ordnung. Bereich auskennt, der weiß: Wenn man die Vereinbarung Diese seltsame Art und Weise, mit der Innenpolitik bricht und kein Geld mehr zahlt, dann ist das zu Ende. umzugehen, hat sich auch bei den Beratungen des Haus- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Kennen Sie haltes, über den wir im Augenblick sprechen, gezeigt. die Liquidität der Unternehmen? – Dietrich Ich will nur ein paar Ihrer unglaublichsten Änderungs- Austermann [CDU/CSU]: Sie pumpen sich vorschläge vortragen: Für die Sozialhilfe wollen Sie im doch zurzeit Geld bei der Steinkohle!) nächsten Jahr 1 Milliarde Euro weniger zur Verfügung stellen. Wenn Sie, Herr Austermann und Herr Westerwelle, an dieser Stelle 1,6 Milliarden Euro streichen, dann bedeu- (B) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch!) (D) tet das, dass alle Steinkohlezechen, die es in unserem – Das ist Quatsch; das ist richtig. Land gibt, im nächsten Jahr stillgelegt werden müssen. Das ist unverantwortlich und widerspricht allen Verein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten barungen, Herr Austermann. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diese Kürzung hätte natürlich Konsequenzen für dieje- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – nigen, für die dieses Geldeingeplant war. Sie wollen, Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist völ- dass die Mittel für dieBundesagentur für Arbeit um liger Quatsch! Sie pumpen sich Geld bei der 1 Milliarde Euro gekürzt werden. Kohle!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Quatsch! – Der interessanteste Kürzungsvorschlag der FDP ist, Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Fra- die Zuschüsse zur gesetzlichenKrankenversicherung gen Sie doch mal den, der das beantragt hat!) um 1 Milliarde Euro zu kürzen. Das passt zu dem, was ich eben angesprochen habe. Sie (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) wollen ihr das Geld wegnehmen, das sie braucht, um die vernünftige Umsetzung von Hartz IV gewährleisten zu Das sagt die Fraktion, die immer so viel über Lohnne- können. An dieser Stelle wollen Sie also 1 Milliardebenkosten redet. 1 Milliarde Euro weniger für die ge- Euro streichen; so ist das. setzliche Krankenversicherung bedeutet, dass die Lohn- nebenkosten steigen bzw. weniger gesenkt werden (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bei den können. Etwas anderes kann das nicht sein. Ich-AGs!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was ist Besonders peinlich ist: Sie wollen die Mittel für die Pro- denn mit der Tabaksteuer? – Bartholomäus gramme gegen Rechtsextremismus um 5 Millionen Kalb [CDU/CSU]: Wer hat das unsinnige Ta- Euro kürzen. baksteuergesetz gemacht?) (Zurufe von der SPD: Ja! – Genau!) Logisch und konsequent finde ich das alles nicht. Sie Sie haben sich geweigert zuzustimmen, diese Mittel bei wollen nur zeigen, dass Sie etwas anders als wir machen ihrer bisherigen Höhe zu belassen. wollen. Vor diesem Hintergrund habe ich mir die Haushalte Weil all das mit der Frage zu tun hat, wer eigentlich der letzten Jahre angesehen und festgestellt, dass diefür dieses Land kämpft und sorgt, sprechen Sie gerne Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13047

Franz Müntefering (A) von Patriotismus. Sie versuchen dabei, das LandDie Mitbestimmung ist ein Teil der Kultur unseres(C) schlechtzureden und klein zu machen. Frau Merkel, Ih- Landes, sie hat uns allen genutzt. Deshalb werden wir sie nen fehlt die Souveränität, auch als Opposition unserem nicht aufgeben. Das gilt für die Betriebsverfassung in Land zu dienen. gleicher Weise und auchfür die Tarifautonomie. Wir wissen, dass Betriebe erfolgreich sein müssen, dass sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schwarze Zahlen schreiben müssen, aber wir wissen DIE GRÜNEN) auch, dass die Menschen in den Betrieben – die Gewerk- Ihnen fehlen Augenmaß und Verantwortung. Deshalbschafter, die Betriebsräte, die Arbeitnehmerinnen und sage ich: Wer Patriot ist, der sorgt dafür, dass Sie dieses Arbeitnehmer – bereit und willens sind und tausendmal Land nicht regieren. bewiesen haben, dass sie nicht die fünfte Kolonne im Betrieb sind, sondern dass sie mithelfen, dass der Betrieb (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einen guten und erfolgreichen Weg einschlagen kann. DIE GRÜNEN) Dass wir Mitbestimmung haben, tut unserer Wirtschaft Die Legende von der Kopfpauschale zeigt Ihre Unfä- gut und nicht umgekehrt. higkeit, ein vernünftiges Ziel zu beschreiben und den Weg dahin zu markieren. Das Problem, das Sie haben, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ist: Sie glauben, je rigoroser eine Reform ist, desto bes- DIE GRÜNEN) ser ist sie. Dem ist aber nicht so. Reformen sind kein Ein paar Worte zu der Diskussion der letzten Tage Selbstzweck. Sie dienen einem Ziel. Dieses Ziel muss über Fragen der Migration in diesem Lande; sie ist in man beschreiben. Wenn man dieses Ziel nicht klar vor erheblichem Maße von Herrn Stoiber und anderen aus- Augen hat, kann man die Reformen, die man durchführt, gelöst worden. Frau Sager hat dazu einiges gesagt. Ich nicht auf dieses Ziel ausrichten. will das ausdrücklich unterstreichen und mich dafür be- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Jetzt kriti- danken; auch für das, was der Bundeskanzler dazu ge- sieren Sie den Bundeskanzler!) sagt hat. Heute lese ich, dass 65 Prozent der Menschen bei uns im Lande sagen, dass Ausländer und Deutsche in Das ist Ihr Problem. ihrer Gegend ein normales, nachbarschaftliches Verhält- An dieser Stelle sind wir entschieden und sagen ganz nis pflegten. 22 Prozent sagen, es gibt ein sehr gutes Ver- klar: Wir werden unser Sozialwesen stärker als bisher hältnis zueinander. Deshalb sage ich: Wir müssen in mit einem vernünftigen Mix von Sozialversicherungs- Deutschland aufpassen, dass wir nicht leichtfertig eine systemen bisheriger Art, Steuern und Zuzahlungen zu Debatte beginnen und sich ausweiten lassen, die so nicht organisieren haben. geführt werden sollte. Alles in allem ist das Zusammen- (B) leben zwischen Deutschen und Nichtdeutschen in Ord- (D) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Jetzt kriti- nung. siert er den Bundeskanzler aber ganz gewal- tig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber der Kern bleibt auf jeden Fall solidarisch finan- ziert. Denn trotz allem, was man sich sonst vorstellen Das hat etwas damit zu tun, dass viele bereit sind, sich kann, ist eines ganz sicher: Die beste Sicherung der exis- einzubringen und sich gemäß unserem Grundgesetz zu tenziellen Risiken des Lebens besteht darin, dass Men- verhalten. Da das Wort so oft auf die Kultur des Landes schen für Menschen, Generationen für Generationen,kommt, soll noch einmal an das Grundgesetz erinnert Gesunde für Kranke und Junge für Alte eintreten. Das ist werden. Darin steht das, was die gemeinsame Basis für der Grundgedanke unserer Sozialsysteme. Das wollen uns alle in diesem Land sein kann: wir auch in Zukunft so halten. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staat- DIE GRÜNEN) lichen Gewalt. Sie reden von Prinzipien, halten sich aber nicht an sie. Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unver- Das gilt auch für den Bereich der Demokratie. Hier wen- letzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten den Sie sich zum Beispiel gegen die Möglichkeiten, die als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, die Einführung von Plebisziten und Referenden bieten des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. würde. CDU und CSU tun dies übrigens unterschiedlich stark. Die FDP sieht das Gott sei Dank anders. Ich hoffe, … dass wir darüber in einem vernünftigen Ton sprechen können. Aber Sie wenden sich auch gegen das, was De- Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner mokratie in unserer Wirtschaft ausmacht: Mitbestim- Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer mung und Betriebsverfassung, Kündigungsschutz. Sie verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige sagen: Kleinigkeit, es macht doch nichts, wenn der Kün- Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. digungsschutz erst für Betriebe ab 20 Mitarbeitern gilt. Das hieße aber, in 90 Prozent aller Betriebe gäbe es … überhaupt keinen Kündigungsschutz mehr. Das wäre das Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Ergebnis dessen, was Sie fordern – mit den Konsequen- zen für den Arbeitsmarkt, die Sie kennen. … 13048 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Franz Müntefering (A) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Glaubens, anderer Religion und anderer Herkunft das(C) Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Wichtigste zu sein. Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner reli- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ giösen oder politischen Anschauungen benachtei- DIE GRÜNEN) ligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Manchmal ist das bei uns nicht so. Wir begegnen ihnen und sagen ihnen etwas mit der Geste eines Besserwis- Wenn wir uns fragen, was die Grundlage dafür ist, sers. Ich weiß, dass dies leicht geschieht. Selbst das, was wie wir gemeinsam in diesem Land leben wollen – die, ich eben gesagt habe, strahlte aus, dass wir Recht haben die einen deutschen Pass haben, und die, die einen ande- und dass sie sich unserem Grundgesetz unterordnen sol- ren Pass haben –, dann ist es dieses. len; das ist so und das meine ich auch so. Deshalb ist es (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wichtig, dass man dies in einer Art und Weise tut, durch DIE GRÜNEN) die die Menschen nicht gedemütigt werden. Das ist mir ganz wichtig. Manchmal klingt das aber durch. Wir leben in diesem Land und auch in diesem Haus mit sehr unterschiedlichen eigenen Erfahrungen, was Wir müssen auch aufpassen, dass sich diese Debatte Religion angeht. Wie in der gesamten Republik gibt es um die Integration nicht auf unselige Weise mit Terro- auch hier Christen, Agnostiker und Atheisten. Viele von rismus und Extremismus vermischt. uns wissen gar nicht, wie der andere an dieser Stelle (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ letztlich denkt. Das ist auch nicht schlimm, DIE GRÜNEN) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Integration und Ist alles egal!) die Entwicklung dieses Landes mit 3,3 Millionen musli- weil die Politik, die Gesellschaft und der Staat nicht die misch geprägten Menschen sind etwas anderes als die Aufgabe haben, die letzten Sinnfragen des Lebens zu lö- Unterstützung des Extremismus und des Terrorismus in sen. Das ist die Sache jedes Einzelnen. Die gemeinsame dieser Welt. Das dürfen wir nicht miteinander vermi- Basis, die durch dieses Grundgesetz gelegt wurde, kann schen. uns alle miteinander tragen. Das muss auch für diejeni- Ich glaube, dass wir die Debatte, die im Augenblick gen gelten, die mit einem anderen Ausweis hier bei uns geführt wird, nutzen können, um daraus etwas Gutes zu im Lande leben. machen. Ich bin mir sicher, dass wir das können, wenn Ich glaube, dass wir hier nicht mutlos sein dürfen. Wir wir uns darüber bewusst sind, dass wir nicht unfehlbar selbst haben in unserem Land über viele Jahre, Jahrzehnte sind – weiß Gott nicht – und dass dieses Land mit die- (B) (D) und Jahrhunderte hinweg eine Erfahrung gemacht, die sem Grundgesetz und aufgrund der Praxis, in der wir wir nicht beiseite schieben dürfen. Leute meiner Alters- miteinander leben, eine Grundlage dafür hat, das zu klasse sind noch in eine katholische oder – zwei Straßen schaffen. Wir werden die, die hinzukommen, davon weiter – evangelische Grundschule gegangen. überzeugen, dass dieses Grundgesetz und die Grund- werte unserer Politik auch für sie den Weg in eine ge- (Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ meinsame gute Zukunft zeigen. CSU]: Sie sind in die Schule gegangen? – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Davon In diesem Sinne vielen Dank für die Aufmerksamkeit. merkt man aber nichts mehr!) (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem In der politischen Landschaft dieses Landes wurde da- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rüber gestritten, ob Katholiken und Evangelen zusam- men in eine Schule gehen können. Danach wurde da- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: rüber gestritten, ob Jungen und Mädchen gemeinsam in Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto eine Schule gehen können. Das alles geschah während Solms für die FDP-Fraktion, dem ich im Namen des meines Lebens und wir feixen jetzt herum, wenn Men- ganzen Hauses zu seinem heutigen Geburtstag herzlich schen, die aus anderen Kulturen kommen, heute noch gratulieren möchte. solche Vorstellungen haben und sich erst an das gewöh- nen müssen, was wir längst gelernt haben. Warum haben (Beifall) wir nicht den Mut, die große Idee der Freiheit und des Leider hat ihm seine Fraktion nur eine so schäbig kurze sozialen Fortschritts, die mit diesem Grundgesetz und Redezeit eingeräumt, dass sie gerade zum Dank für die mit dieser Republik verbunden ist, auch ihnen nahe zu Glückwünsche reicht. bringen? Ich sage euch: Das werden wir miteinander doch schaffen. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich setze Ihr Einverständnis damit voraus, dass der Prä- DIE GRÜNEN) sident die angemeldete Redezeit noch liberaler interpre- tiert als seine eigene Fraktion. Weshalb sind Sie an dieser Stelle so defensiv? Abschließend bitte ich darum, sich gegenseitig ernst Dr. Hermann Otto Solms (FDP): zu nehmen und Menschennicht zu demütigen. Das Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich scheint mir beim Umgang mit den Menschen anderen bedanke mich bei Ihnen für die Glückwünsche. – Die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13049

Dr. Hermann Otto Solms (A) kurze Redezeit zwingt mich dazu, mich auf Wesentliches tischen Vereinfachung des Steuerrechtes führen würde(C) zu konzentrieren. Das will ich auch tun. und in der Lage wäre, das Vertrauen von Sparern und In- vestoren in Deutschland zurückzugewinnen. Darauf Herr Müntefering hat durchaus Recht: Unsere Auf- kommt es an. Das muss angegangen werden; denn wenn gabe als Politiker, aber auch die der Bundesregierung ist wir nicht zu Entlastungen kommen, dann wird es keinen es, alles dafür zu tun, dass die Lebensverhältnisse der Investitionsprozess, keine neuen Arbeitsplätze und auch Menschen in Deutschland verbessert werden und sie nicht mehr Steuer- und Beitragszahler geben. Das heißt, neue Lebenschancen bekommen. Wo drückt sich das dass dann die Haushalte und die sozialen Kassen in noch besser aus als in der Arbeitslosen- und Beschäftigungs- größere Not geraten werden. statistik? Da muss ich Ihnen nun Folgendes vorhalten: Im Oktober 1998 waren es 3,893 Millionen Arbeitslose. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Im Oktober dieses Jahres waren es 4,2 Millionen Ar- der CDU/CSU) beitslose. Eine Verbesserung ist dort beim besten Willen Der zweite richtige Ansatz der Regierung war, der nicht festzustellen. Es ist immer gut, sich an die Fakten Rentenversicherung eine kapitalgedeckte private Alters- zu halten. vorsorge zur Seite zu stellen, Stichwort: Riester-Rente. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir, die FDP, haben damals Walter Riester bei seinem der CDU/CSU) Vorhaben klar unterstützt. Warum ist die Riester-Rente ein Flop geworden? Eine leichte Verbesserung gibt es ausschließlich bei den geringfügig Beschäftigten oder den in Ich-AGs Beschäf- (Joachim Poß [SPD]: 4 Millionen Verträge tigten, sind kein Flop!) (Franz Müntefering [SPD]: Was heißt denn Sie haben überreguliert, bürokratisiert und bestimmte „ausschließlich“?) Kriterien eingezogen – ich nenne hier beispielsweise das Verbot der Vererbbarkeit –, sodass die Bürger die von denen wir wissen, dass sie aus dem Wettbewerb Riester-Rente nicht in der notwendigen Weise angenom- weitgehend wieder ausscheiden werden. Es gibt also men haben. keine nachhaltige Verbesserung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ich habe den Reden des Herrn Bundeskanzler und des der CDU/CSU) Bundesfinanzministers sehr aufmerksam zugehört und habe überhaupt keine neuen strategischen Vorschläge er- Das Schlimme dabei ist, dass Sie ein gutes Vorhaben da- kennen können. durch, dass Sie es schlecht ausgeführt haben, in den Au- gen der Öffentlichkeit diskreditiert haben. Das Ergebnis (B) Die Schlacht um die Agenda 2010 hat die rot-grüne (D) ist, dass ein neuer Anlauf schwerlich auf Akzeptanz sto- Truppe so erschöpft, dass sie jetzt für anderthalb Jahre in ßen wird. die Reha geschickt werden muss. Es soll nichts mehr ge- schehen – das habe ich aus den Reden herausgehört. Der dritte Ansatz ist Hartz IV. Es ist richtig, arbeits- fähige Menschen ohne Beschäftigung wieder in Lohn (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und Brot bringen zu wollen und dabei auch Druck auszu- der CDU/CSU) üben. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Dabei hat Rot-Grün einige vernünftige Ansätze gehabt andere Seite der Medaille ist, dass Sie den Arbeitsmarkt – darauf will ich noch einmal hinweisen –, aber durch zwingend öffnen und liberalisieren müssen, damit die eine schlechte Ausführung den Ansatz von vornherein Menschen überhaupt eine Chance auf Beschäftigung be- zunichte gemacht. kommen. Der erste Ansatz, Herr Bundesfinanzminister, war (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ihre Steuerreform. Sie war halbherzig und ist auf halbem der CDU/CSU) Wege stecken geblieben, von Vereinfachung konnte Genau das haben Sie nicht getan, weil die Gewerk- keine Rede sein. Aber siehatte auch vernünftige An- schaftsmitglieder in Ihren eigenen Reihen das verhindert sätze. Warum hat sie keine ökonomische Wirkung er- haben. Es ist zwingend notwendig, den Arbeitsmarkt zu zielt? Durch Steuererhöhungen an anderer Stelle und öffnen, das Kündigungsschutzrecht zu liberalisieren, die durch Erhöhung der Beiträge für die sozialen Siche- Tarifautonomie durch betriebliche Bündnisse für Arbeit rungssysteme haben Sie den Effekt wieder zunichte ge- zu ergänzen und ähnliche Maßnahmen zu ergreifen, da- macht. mit diejenigen, die jetzt weniger Geld erhalten, die Die Bürger und Unternehmen wurden nicht entlastet. Chance haben, durch eigene Arbeit ihr Einkommen zu Deswegen ist es kein Wunder, dass wir im vierten Jahr in verbessern. All das ist nicht geschehen. Auch dazu hat Folge einen Rückgang der Investitionstätigkeit die in FDP ganz konkrete, vernünftige und sofort umsetz- Deutschland verspüren. Das hat zur Steigerung der Ar- bare Vorschläge gemacht. Das wird alles in das Wahlpro- beitslosigkeit beigetragen. gramm einfließen, wenn Sie nicht bereit sind, freiwillig den Weg der Erkenntnis zu gehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Wir, die FDP, legen einen konkret ausformulierten Schließlich noch ein Wort zur Gesundheitspolitik: Mit Vorschlag für eine Steuerreform vor, der zu einer drama- Ihrer Bürgerversicherung haben Sie sich völlig 13050 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Hermann Otto Solms (A) verrannt. Das einzig Gute daran ist der Name. Sie reden Punkte nennen, die, wie ich denke, erwähnenswert sind. (C) schon gar nicht mehr über die Inhalte, Der eine ist das Gästehaus in Meseberg, das der Bun- desregierung im nächsten Jahr zur Verfügung steht. Ich (Peter Dreßen [SPD]: Die Inhalte sind gut!) möchte an dieser Stelle der Messerschmitt-Stiftung für weil Sie wissen, dass das so nichts wird. Alle Berech- die großzügige Bereitstellung des komplett sanierten Ge- nungen gehen daneben. Das Kanzleramt dämpft die Er- bäudes danken. Ich sage das deshalb, weil ich von der wartungen und sagt, man solle nicht weiter darüber re- Opposition teilweise andere Verlautbarungen gehört den. Deswegen wird vor der Wahl auch nichts passieren. habe. Die CDU hat sich leider Gottes auch verrannt. Wir sind bereit, beiden auf die Sprünge zu helfen, um zu einem Der zweite Punkt ist: Wir haben die Stiftung Wissen- richtigen, wettbewerbsorientierten und bürgerorientier- schaft und Politik wiederum mit demselben Betrag wie ten Gesundheitssystem, selbstverständlich mit sozialer im vorigen Jahr versehen können. Wenn ich die vielen Flankierung, zu kommen. Briefe, die ich bekommen habe, betrachte, dann kann ich feststellen, dass das der Wunsch des gesamten Hauses (Beifall bei der FDP – Peter Dreßen [SPD]: war. Solidarität wird bei Ihnen in der Krankenversi- cherung abgeschafft!) Ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Kolleginnen und Kollegen ganz Das wird uns auch hier aus der Not heraushelfen und ins- herzlich für die faire und sachliche Auseinandersetzung besondere die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten über diesen Haushalt danken. Ich glaube, das ist ein gu- trennen, damit die Arbeit in Deutschland wieder wettbe- ter Brauch. werbsfähig wird. Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle – ich habe die (Beifall bei der FDP) Rede extra noch einmal nachgelesen – zur Agenda 2010 Wenn wir insgesamt im Ergebnis nicht zu mehr Wettbe- einige Bemerkungen gemacht und gesagt: werbsfähigkeit der Arbeit in Deutschland kommen, dann sind alle anderen Versuche vergebens. Meine Damen und Herren, durch die Umsetzung der Agenda 2010 kann das Jahr 2003 in die Ge- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: schichte eingehen, und zwar als das Jahr, in dem es Da sind wir uns einig!) Politik und Gesellschaft gelungen ist, sich ein Stück Deswegen müssen wir uns darauf konzentrieren. Dazu weit vom Besitzstands- und Anspruchsdenken zu machen wir konkrete Vorschläge, die auch angegriffen lösen und sich auf wirklich Wichtiges zu konzen- trieren. (B) werden können; aber das ist wenigstens eine ehrliche Po- (D) litik. Wir sind bereit, von heute ab sofort mit jedem zu- Heute stelle ich fest: Genau das ist geschehen. sammenzuarbeiten, der uns hilft, so schnell wie möglich Verbesserungen zu erzielen. Zwar haben Sie, meine Damen und Herren von der Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Opposition, in den Verhandlungen des Vermittlungsaus- schusses im Dezember 2003 einige Vorhaben, darunter (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten stärkere Steuersenkungen bereits zum 1. Januar 2004, der CDU/CSU) verhindert und sich gegen einen weiter gehenden Sub- ventionsabbau – das ist gestern und heute in den Debat- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ten bereits angesprochen worden – gestemmt. Aber wir Das Wort hat nun der Kollege Gerhard Rübenkönig, haben die Phase der konjunkturellen Stagnation der letz- SPD-Fraktion. ten Jahre überwunden und die Weichen für eine bessere Zukunft des Landes gestellt. Gerhard Rübenkönig (SPD): Aus diesem Grunde können wir heute selbstbewusst Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- feststellen: Wenn das Jahr 2003 das Jahr der Entschei- ren! Wir beraten heute Morgen den Haushalt des Bun- dung und der Einleitung der Erneuerungsbewegung ge- deskanzlers. Seit jeher ist es parlamentarischer Brauch, wesen ist, so ist das Jahr 2004 das erste Reformjahr mit diese Beratung zur Generalaussprache über die Politik konkreten Ergebnissen. Es ist ein Jahr, in dem zum ers- der Bundesregierung zu nutzen. Das ist auch gut so, ten Mal seit vier Jahren das Wirtschaftswachstum die doch leider habe ich heute Morgen von den Rednern der Prognosen vom Jahresbeginn übertroffen hat und durch Opposition keine inhaltliche Auseinandersetzung gehört. die Gesundheitsreform die Krankenkassenbeiträge sin- Das tut mir sehr Leid. ken. Bislang haben in diesem Jahr 28 Millionen Versi- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Er hat es cherte von Beitragssenkungen profitiert. an den Ohren!) (Peter Dreßen [SPD]: Hört! Hört!) Ich hätte Ihnen jetzt in meinem Redebeitrag inhaltlich Es ist ein Jahr, in dem wir die wichtigsten Zukunfts- viel besser antworten können. aufgaben angepackt haben: Familie, Bildung und Inno- Der Haushalt des Bundeskanzlers ist ein reiner Sach- vation. Es ist auch ein Jahr, in dem sich die ersten Anzei- und Personalhaushalt. Die Ausgaben sind chen mit eines mentalen Wandels, eines neuen Optimismus 1,5 Milliarden Euro veranschlagt. Ich möchte zweiandeuten. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13051

Gerhard Rübenkönig (A) Zwar waren einige Reformen teilweise unpopulär; der Die Zuwächse beim Export von über 15 Prozent im Jah- (C) Kanzler hat davon gesprochen. Insbesondere die Ar-resvergleich trotz des starken Euros, höherer Ölpreise beitsmarktreformen haben zunächst Sorge und Verunsi- und harter Konkurrenz auf dem Weltmarkt unterstrei- cherung ausgelöst. Aber die Wahlergebnisse des Som- chen die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. mers – vor allem auch in Ostdeutschland – haben eines Schließlich deutet sich auf dem Arbeitsmarkt eine deutlich gemacht: Wenn Politiker mit klarer Überzeu- Wende für 2005 an. Die Zahl der Erwerbstätigen hat in gung für den Reformprozess einstehen, dann können sie diesem Jahr bereits stetig um insgesamt 110 000 zuge- die Wählerinnen und Wähler überzeugen. Ich denke, dies hat Matthias Platzeck in Brandenburg eindrucksvoll nommen. Insbesondere die Zahl von Minijobs und Ich- AGs ist stark angestiegen. Im Verlauf des nächsten Jah- bewiesen. res ist ein – wenn auch langsamer – Rückgang der Ar- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: 32 Pro- beitslosigkeit möglich. Auch der Sachverständigenrat zent!) hat in seinem Jahresgutachten unsere Arbeitsmarktrefor- men ausdrücklich gewürdigt. Angesichts dieser Lage (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. ) sollten wir mit Stolz auf die Leistungen der Arbeitneh- Das sollte Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der merinnen und Arbeitnehmer und der Unternehmen in Opposition, eigentlich eine Lehre sein. Denn wie esDeutschland schauen. Herrn Milbradt in Sachsen ergangen ist, ist eindrucks- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat – das voll aufgezeigt worden. bestätigt auch das Sachverständigengutachten – die Sta- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie viel gnationsphase überwunden. Dazu haben die Strukturre- Prozent hatte er mehr? – Peter H. Carstensen formen und die Steuersenkungen einen wichtigen Teil [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wie viel Prozent beigetragen. Mit der dritten Stufe der Steuerreform wer- hat Herr Platzeck? Wie viel hat die SPD in den private Haushalte und Unternehmen ab dem Sachsen?) 1. Januar 2005 um weitere rund 7 Milliarden Euro ent- lastet. Dabei kommt ein großer Teil der Entlastung den Deutschland ist auf Erneuerungs- und Wachstums- Beziehern niedriger Einkommen zugute. Der Ein- kurs. Wer allerdings denLeitantrag des CSU-Partei- gangssteuersatz sinkt auf den historisch niedrigsten Wert vorstands für den Parteitag am vergangenen Wochen- von 15 Prozent; bei Ihnen waren es noch 25,9 Prozent. ende liest, gewinnt den Eindruck, Deutschland falle zurück, das Wirtschaftswachstum lasse weiter nach und (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: An den Deutschland verliere im internationalen Wettbewerb. Tankstellen werden die das schnell wieder Diese Schwarzmalerei wird durch die heutigen Beiträge, los! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die (B) aber auch durch öffentlichkeitswirksame Stimmen aus dürfen bloß kein Auto haben!) (D) Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt, die gerne in Ich nenne als Beispiel eine Familie mit zwei Kindern mit sonntäglichen Talkshows Deutschlands Abstieg in teil- einem Bruttoeinkommen von bis zu 37 000 Euro, die in weise düsteren Farben an die Wand malen. Hier sind die Zukunft keine Steuern mehr zu zahlen hat. So viel Ent- Miesmacher vom Dienst am Werk, die unserem Land lastung hat es vorher nie gegeben. und den hier lebenden Menschen nichts mehr zutrauen. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) Durch Ihre unverantwortliche Blockadehaltung im In Wahrheit sieht es aber in Deutschland ganz anders Bundesrat aus. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) konnten wir in der Konsolidierungspolitik noch keine Die letzten internationalen Untersuchungen zeigen uns vergleichbaren Erfolge erzielen. doch deutlich die Stärken des Standorts Deutschland. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie müssen (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Beispiel sehen, wie sich die verfügbaren Einkommen Transrapid mit den Grünen!) entwickelt haben! – Dietrich Austermann Lassen Sie mich einige Faktoren nennen. [CDU/CSU]: Die Einkommen entsprechen de- nen von 1998!) Erstens. Der Wettbewerbsbericht 2004/2005 des World Economic Forum vom Oktober 2004 zeigt, dass Als Beispiel nenne ich die Eigenheimzulage, über die Deutschland unter den größeren europäischen Industrie- wir gestern und heute mehrfach gesprochen haben. nationen mit Abstand den ersten Platz belegt. Der Fi-Diese 15 Milliarden Euro wollen wir für Forschung und nanzminister hat in seiner gestrigen Rede deutlich darauf Bildung und für eine bessere Betreuung von Kindern hingewiesen. Er hat feststellen können, dass demselben einsetzen. Bericht zufolge die deutschen Unternehmen weltweit am (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So wie bei leistungsfähigsten sind. der Maut! Da hat es auch „zusätzlich“ gehei- Deutschland war 2003 Exportweltmeister und hat ßen!) gute Chancen, auch 2004 diesen Titel zu verteidigen. Gerade vor dem Hintergrund der Zahlen aus der neuen (Beifall des Abg. Franz Müntefering [SPD]) PISA-Studie müsste sich auch bei Ihnen, meine 13052 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Gerhard Rübenkönig (A) Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Er- Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): (C) kenntnis durchsetzen, dass wir höhere Bildungsausgaben Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und brauchen und eine zukunftsgerechtere Politik machen Herren! Ich habe nichts anderes erwartet: Die Regierung müssen. ergeht sich in Selbstlobund Allgemeinplätzen. Diese Regierung macht schöne Worte und geht an der Wirk- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der lichkeit im Lande vorbei. Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Peter Dreßen [SPD]: Wo sie Lob verdient hat, muss es auch kommen!) Wir werden unseren Erneuerungskurs für Deutsch- Lieber Herr Müntefering, land fortsetzen. Die Kombination aus langfristig wirken- den Strukturreformen und Wachstumsimpulsen hat sich (Franz Müntefering [SPD]: Sagen Sie nicht bewährt. Wir wollen und werden unser Land durch In- „lieber“!) vestitionen in Bildung, Betreuung und Familienpolitik ich frage mich: Wer von den Menschen draußen – ich sowie in Forschung und Innovation neu aufstellen. denke an die 4,2 Millionen Arbeitslosen, an die Rentner Weil der Kollege Kalb einigeBemerkungen zum und an die mittelständischen Unternehmer, die Angst um Transrapid gemacht hat, gestatten Sie auch mir zumihre Betriebe haben – war bei Ihrer Rede oder bei der Schluss ein paar Ausführungen dazu. Innovation ist ge- Rede des Bundeskanzlers eigentlich angesprochen? nau das richtige Stichwort für dieses Projekt. Wie Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) alle wissen, liegt mir und natürlich auch vielen anderen dieser Transrapid, ein hoch innovatives Verkehrssystem Sie sind an den Wirklichkeiten im Lande vorbeigegan- made in , sehr am Herzen. Deshalb freut esgen. Die Regierung ist nicht in der Lage, das Land zu er- mich, dass die Koalition im Haushalt 75 Millionen Euro neuern. Das haben Sie heute wieder gezeigt. für die Jahre 2005 und 2006 für das Programm zur Wei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) terentwicklung des Transrapid zur Verfügung gestellt hat. Das ist ein Signal dafür, dass diese Bundesregierung Sie ruhen sich aus und machen Pause. Manche sagen, und diese Koalition auch zum Transrapid in Bayern ste- das sei gut so, weil Sie dann keine Fehler mehr machen hen. könnten. Ich bin aber der Meinung, dass eine Regierung keine Pause machen darf,sondern dass sie die Lage (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wollen wir draußen im Land zu analysieren und entsprechend zu es gemeinsam hoffen!) handeln hat. Aber der Bundeskanzler redet stattdessen über die Weltwirtschaft, die Ölpreise und die Euro-Dol- (B) (D) lar-Relation. Der Bundesfinanzminister stellt hier als Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Abgeordneter wirre Zwischenfragen. Sie haben keinen Das war doch ein schöner Schlusssatz, Herr Kollege. Blick mehr für die konkreten Auswirkungen Ihrer Politik Sie sind schon sehr weit über die Zeit. im Lande und insbesondere in den Regionen, in denen die Menschen leben und ganz persönliche Sorgen haben. Gerhard Rübenkönig (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme zum Schluss. – Der Einzelplan 04 ist, wie Ich glaube, die Menschen draußen sind viel klüger, der gesamte Bundeshaushalt 2005, solide und verfas-als Sie denken. sungskonform aufgestellt. Daher bitte ich Sie, Kollegin- nen und Kollegen, um Ihre Zustimmung. (Franz Müntefering [SPD]: Auch hier drin!) Danke schön. – Herr Müntefering, einige, nicht alle. – Wenn dieEnt- wicklung der Weltwirtschaft und insbesondere der Öl- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ preis ständig als Begründung dafür angeführt werden, DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: dass es in unserer Wirtschaft nicht läuft und dass wir Sie werden ja nicht einmal rot, Herr Kolle- Schwierigkeiten mit den Finanzen haben, dann fragen ge! – Gegenruf von der SPD: Rot ist er sich die Menschen draußen doch, warum es in Großbri- schon! – [FDP]: Aber Sie können tannien, in Irland, in Dänemark und Schweden besser sich verabschieden!) läuft als bei uns, obwohl dort die gleichen außenwirt- schaftlichen Bedingungen gelten. Als Antwort bleibt nur übrig, dass Sie schuld sind. Sie vergessen, dass Arbeits- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: plätze noch immer vor Ort geschaffen werden. Die Ich habe aus einem früheren Debattenverlauf noch ei- Standortentscheidungen der Unternehmen sind konkret nen Ordnungsruf für den Kollegen Tauss zu erteilen, der und spezifisch. Angesichts dessen hilft es auch nichts, den Kollegen Glos einen Heuchler genannt hat. Das ist darauf zu verweisen, dass sich bei den makroökonomi- bei uns nicht üblich. schen Wirtschaftsdaten der Durchschnitt an dieser oder jener Kommastelle verbessert hat. Wir brauchen keine Als nächsten Debattenredner rufe ich den Abgeordne- Kommastellenpolitik, sondern eine Politik mit Boden- ten auf. haftung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13053

Peter H. Carstensen (Nordstrand) (A) Es ist eine haushälterische Tugend, sich auch überwerden müssen. Das ist also ein Spitzenland für Sie? Ich (C) Einsparvorschläge Gedanken zu machen. glaube, ich bin im Wald! (Franz Müntefering [SPD]: Aber in Schles- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wig-Holstein läuft es gut!) Die Sparkommissarin, die Sie dorthin gesetzt haben, hat – Tatsächlich? Warum haben Sie dann bei Ihrem Besuch alles andere gemacht, aber nicht gespart. in Lübeck die Genossen gewarnt und ihnen gesagt: „Bleibt ganz ruhig und macht euch keine Sorgen, wenn (Franz Müntefering [SPD]: Wie reden Sie sich die Arbeitslosenzahlen Anfang nächstes Jahres in denn über Ihr Land?) Schleswig-Holstein dramatisch verschlechtern wer-– Ich rede nicht schlecht über mein Land Schleswig-Hol- den!“? Herr Müntefering, ich hätte mir gewünscht, dass stein. Ich liebe mein Land. Jeder weiß, wie sehr ich mich Sie bei Ihrem Besuch in Lübeck mit der Betriebsführung mit diesem Land verbunden fühle. Aber ich rede darü- von Dräger Medical darüber gesprochen hätten, ob es ber, dass die Schleswig-Holsteiner genauso wenig eine nicht möglich ist, Einvernehmen mit den Betriebsräten solche schlechte Politik verdient haben wie alle anderen und der IG Metall zu erzielen, damit dort die Arbeits- Deutschen Ihre Politik, Herr Müntefering. plätze erhalten werden können. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) In Schleswig-Holstein gibt es kaum Globalplayer, bei Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: denen man sagen kann, sie seien von der Weltwirtschaft Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten abhängig und die Entwicklung der Weltkonjunktur be- Müntefering? reite den Unternehmen dort Probleme. (Franz Müntefering [SPD]: Das stimmt doch Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): überhaupt nicht!) Nein. Unternehmen wie Dräger Medical in Lübeck sind ein Herr Müntefering, Sie sollten zur Kenntnis nehmen klassisches Beispiel für Vorgänge, die sich überall in der – das gilt auch für andere Bundesländer –, dass Schles- Republik abspielen. Dieses medizintechnische Unter- wig-Holstein jeden Tag einen Verlust an sozialversiche- nehmen, ein Hightechunternehmen auf dem Wachstums- rungspflichtigen Arbeitsplätzen zu beklagen hat. markt Medizintechnik mit weltweit über 5 000 Mitarbei- (Franz Müntefering [SPD]: Schleswig-Hol- tern und Produktionsstätten auf drei Kontinenten, sieht stein steht an zweiter Stelle in der Positivliste, sich aus Kostengründen und um den Betrieb zu sichern (B) (D) Herr Carstensen!) ganz konkret vor die Frage der Produktionsverlagerung nach Tschechien gestellt; denn dort sind die Lohnkosten Angesichts dessen sollten Sie nicht behaupten, dass es über 17 Prozent niedriger. Obwohl die Firmenleitung die mehr Arbeitsplätze im Land gibt. Tatsächlich verlieren Arbeitsplätze in Lübeck halten möchte, sorgt die IG-Me- wir in der Bundesrepublik Deutschland jede Wochetall-Zentrale bisher dafür, dass kein betriebliches Bünd- 10 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Sie nis für Arbeit zustande kommt. sollten auch erwähnen, dass dadurch aus Beitragszahlern Leistungsempfänger werden. Aber Sie vergessen das (Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!) ständig und gehen an den Problemen der Menschen vor- Allen schönen Sprüchen von den Exporterfolgen der bei. deutschen Wirtschaft zum Trotz sind auf ähnliche Weise (Beifall bei der CDU/CSU – Franz Müntefering viele Arbeitsplätze in Deutschland akut gefährdet. Was [SPD]: In Schleswig-Holstein läuft es besser ist aus der Ankündigung des Kanzlers von März 2003, als anderswo: ja oder nein?) betriebliche Bündnisse durchzusetzen, geworden? – In Schleswig-Holstein soll es besser laufen als an- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: derswo? Ich glaube, ich bin im falschen Film! Fehlanzeige!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angesichts dessen kann ich es nicht akzeptieren, dass Schleswig-Holstein ist das Bundesland mit der höchs- sich die Bundesregierung anhaltend weigert, im Arbeits- ten Verschuldung, das Land, das jedenrecht die Tag notwendigen tarifpolitischen Freiräume für die 60 Arbeitsplätze verliert, das Land, aus dem Betriebe ab- kleinen Einheiten vor Ort zu schaffen. wandern, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Franz Müntefering [SPD]: Das ist doch nicht Sie machen sich zu politischen Mittätern beim Heraus- wahr! Schleswig-Holstein liegt an zweiter drängen von Tausenden von Arbeitsplätzen aus unserem Stelle! Reden Sie doch das Land nichtLand. schlecht! Was soll das denn?) Der Bundeskanzler hat zu Recht angemahnt – Sie ha- das Land, in dessen Landtag darüber debattiert wird, ob ben das eben aufgegriffen –, das Land nicht schlechtzu- man 2 Millionen Euro mehr für Kindergärten ausgeben reden. kann, dabei aber gar nicht mehr darüber geredet wird, dass jedes Jahr 950 Millionen Euro an Zinsen gezahlt (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) 13054 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Peter H. Carstensen (Nordstrand) (A) Aber es gilt auch, sich nicht in Betriebs- und Betriebslei- rung und auf die wirtschaftliche Entwicklung vorberei- (C) terbeschimpfungen zu ergehen, lieber Herr Müntefering. ten. (Franz Müntefering [SPD]: Sagen Sie nicht Die rot-grüne Verschuldungspolitik raubt den Men- immer „lieber“ zu mir!) schen die Freiheit. Sie verkleinert Stück für Stück den Gestaltungsspielraum unserer Generation und zerstört – Warum soll ich nicht „lieber“ zu Ihnen sagen? Sind Sie den Handlungsspielraum der zukünftigen Generation. Es kein „lieber“? Dass das so ist, haben mir auch schon an- ist nicht gerecht und es hat nichts mit einer nachhaltigen dere gesagt. Politik zu tun, dass unsere Nachkommen die Suppe aus- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) löffeln müssen, die Rot-Grün ihnen einbrockt. Ich nehme das „lieber“ mit großem Bedauern zurück. Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Dieter Engels – er ist heute schon ein paar Mal zitiert worden –, Es ist für mich ein unerhörter Vorgang, dass die Mi- bringt es auf den Punkt, wenn er zur Haushaltssituation nisterpräsidentin von Schleswig-Holstein – vielleicht, des Bundes sagt: weil sie falsch informiert war – Die Schieflage ist so extrem, dass es einem den (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie weiß es Atem verschlägt. nicht besser!) (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!) auf dem Parteitag der SPD die Firmenleitung beschimpft Ich glaube nicht, dass Sie Dieter Engels vorwerfen kön- hat – ich zitiere –: nen, dieses Land schlechtreden zu wollen; er redet viel- Das ist nicht mehr die ehrbare Kaufmannsfamilie mehr über die Situation, die Sie hier verschuldet haben. Dräger. Das ist der dahinterstehende Großkonzern (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Siemens, der seine Arme wie eine Krake ausstreckt. Dagegen müssen wir uns wehren. Der Bundeskanzler hat 1998 zu dem damals eintre- tenden Aufschwung gesagt: Mit Blick auf die Forderungen an die Belegschaft hat sie sogar von einer „Schreckensliste aus der kältesten Fol- Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Auf- terkammer des Kapitalismus“ gesprochen. Das ist die schwung. verräterische Sprache der ehemaligen Stamokapvertre- Jetzt haben wir mehr als 4,2 Millionen Arbeitslose. ter. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind auch Herr Müntefering – ich sage nicht „lieber“ –, Sie wä- seine!) (B) (D) ren gut beraten gewesen, sich dort einmal mit dem Be- Wir haben Stagnation in der Wirtschaft. Wir haben eine triebsrat zusammenzusetzen und bei der Familie Dräger Rekordverschuldung. Wenn das damals sein Auf- ein Wort der Entschuldigung für Ihre Ministerpräsiden- schwung gewesen ist, dann ist auch die jetzige Krise auf tin zu finden. dem Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft und im Haushalt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) seine Krise. In Lübeck haben Sie sicherlich gemerkt, dass(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Deutschland ein Transitland im Herzen Europas ist, so neten der FDP) wie Schleswig-Holstein ein echtes Transitland zwischen Dieser Bundeskanzler trägt die Verantwortung. Rot- Skandinavien, dem Ostseeraum und Mitteleuropa ist.Grün kann es nicht, weder in Berlin noch in Kiel. Des- Durch die meisten Bundesländer laufen übrigens mehr wegen gehören sie abgewählt, meine Damen und Her- europäische Verkehrsachsen als durch jeden durch-ren. schnittlichen EU-Mitgliedstaat. Unser Wohlstand und unsere Zukunft hängen im Wesentlichen von Mobilität (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – und wirtschaftlichem Austausch ab. Beifall bei der FDP) (Franz Müntefering [SPD]: Schleswig-Hol- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: stein ist gut!) Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau. – Ich sage Ihnen: Sie sind nicht lange genug da gewesen; (Unruhe) sonst wären Sie noch zwei Stunden in Mecklenburg-Vor- pommern auf der Autobahn gefahren, um anschließend – Meine Damen und Herren, hören Sie bitte der nächsten anderthalb Stunden in Lübeck im Stau zu stehen. Rednerin zu. – Bitte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Petra Pau (fraktionslos): So ist unsere Situation dort. Rot-Grün verwirklicht dort Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht die notwendigen Verkehrsinfrastrukturprojekte. Die PDS wird den Haushaltsplan 2005 ablehnen. Hier in Berlin stellt sich einer der Grünen hin und zeigt (Volker Kauder [CDU/CSU]: Oh!) nicht klammheimlich, sondern unheimlich Freude, dass die A 20 nicht gebaut wird. Gleichzeitig stellen Sie sich Der Grund ist plausibel: Wir halten die hinter diesem hierhin und sagen: Wir wollen uns auf die Osterweite- Haushaltsplan stehende Politik für falsch. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13055

Petra Pau (A) (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch steuersatz nicht zu senken und die Vermögensteuer wie- (C) [fraktionslos]) der zu erheben. Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Agenda 2010 (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch werde der Sozialstaat gestärkt. Das Gegenteil ist aber der [fraktionslos]) Fall. Der Staat und das Soziale werden geschwächt. Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Außenpolitik werde Ein zentraler Punkt Ihrer Agenda 2010 heißt der Friede gesichert. Tatsächlich werden aber Kriege ge- Hartz IV. Sie verkaufen es als Reform gegen die Mas- senarbeitslosigkeit – zu Unrecht. Ich habe Ihnen hier führt und wird aufgerüstet. schon mehrfach vorgerechnet, warum Hartz IV schlecht (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch für den Westen und Gift für den Osten ist. Meine Argu- [fraktionslos]) mente wurden auch in dieser Haushaltsdebatte nicht wi- derlegt. Die Zahlen zeigen: Die Arbeitslosigkeit steigt Die Bundesregierung gibt vor, mit ihrer Innenpolitikund steigt und steigt. Deshalb wiederhole ich hier meine werde Sicherheit geschaffen. Tatsächlich werden aber Generalkritik: Die Agenda 2010 ist ein Gegenentwurf zu Bürgerrechte und Demokratie blockiert. einem modernen demokratischen Sozialstaat. Deshalb lehnen wir als PDS im Bundestag sie auch so grundsätz- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch lich ab. [fraktionslos]) Diese rot-grüne Generallinie haben wir stets kritisiert. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos]) Wir als linke Opposition werden das auch weiterhin tun. (Zuruf von der SPD: Oh!) Die PDS bleibt dabei, Solidarität und Gerechtigkeit sind unverzichtbare und übersichtliche Werte, da ja gilt: Die Opposition zur Rechtenbietet allerdings eben- Die Reichen helfen den Armen, die Gesunden helfen den falls nichts Besseres. Der aktuelle Gesundheitskompro- Kranken, Junge helfen den Alten usw. Genau diese Prin- miss von CDU und CSU belegt es. Er ist ein Bazillus zipien aber werden mit der Agenda 2010 aufgegeben. und kein Heilmittel. Er belastet die Beladenen. Er passt Viele Grünen bejubeln die Abkehr vom solidarischen weder auf den Bierdeckel von Friedrich Merz noch auf Sozialstaat sogar noch als Zukunftsmodell, manche so- den Rezeptblock von . Aber auch das sei gar so laut, dass sie das Grummeln in den Arbeits- und nicht vergessen: Ihre Partei, Frau Merkel, hat die De-Sozialämtern gar nicht mehr hören können. Ich gebe zu, batte über weltweite Präventionskriege in den Bundesrat liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, als ge- getragen. Hätten Sie das Sagen gehabt, wäre Deutsch- lernte DDR-Bürgerin habe ich in den letzten Jahren ver- sucht, von den Grünen zu lernen. Aber es bringt nichts (B) land unmittelbar an dem völkerrechtswidrigen Krieg der (D) USA im Irak beteiligt. mehr. Inzwischen haben sich CDU und CSU auch noch dem (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch Feldzug der FDP gegen die Gewerkschaften angeschlos- [fraktionslos]) sen. Zu viele Grüne haben sich inzwischen von Bürgerrech- (Jörg van Essen [FDP]: Gegen die Funktio- ten, von der Solidarität und übrigens auch von der Frie- näre! – Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Ge- denspflicht verabschiedet. Denn auch das gehört zum gen die Funktionäre!) Thema: Verlierer des Hartz-IV-Gesetzes und der Ar- beitslosengeld-II-Regelungen sind vor allem Frauen. Ihr Angebot für das 21. Jahrhundert heißt: mehr arbeiten Nach über 100 Jahren Frauenbewegung und Emanzipa- für weniger Lohn oder, wie es in einem alten Arbeiter- tionsstreben hat ausgerechnet Rot-Grün ein Stoppzei- lied heißt, „Unmündig nennt man uns und Knechte“. – chen für die Frauen gesetzt. So wird durch Sie Ge- Deshalb wiederhole ich: Die Konzepte von CDU undschichte entsorgt. CSU wären nur der schwarze Punkt auf dem rot- Solidarität als Zukunftsmodell ist auch vor einem an- grünen i. Davor mögen uns das Herz und auch der Ver- deren Hintergrund wichtig. Ich vernehme mit großer stand bewahren. Sorge, wie CDU und CSU die unsägliche Debatte über (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch eine vermeintliche deutsche Leitkultur wieder aufwär- [fraktionslos]) men. Die Diskussion dreht sich um ein gefährliches Phantom: Sie spaltet, sie macht arm – intellektuell und Zurück zum Haushalt der Bundesregierung. Derkulturell – und sie macht blind. Auf der Kölner Kundge- Haushalt basiert auf einer Steuerreform, die den Sozial- bung am Wochenende für ein friedliches Miteinander staat verarmen lässt, die Wohlhabenden belohnt und die meinte Bayerns Innenminister, er wolle nirgendwo in der Armen immer mehr belastet. Sie verkaufen das Ganze Bundesrepublik zweisprachige Ortsschilder sehen; das als sozial gerecht und wundern sich, wenn immer weni- widerspreche seinem deutschen Leitbild. Liebe Bayern ger das glauben – zu Recht; denn die rot-grüne Steuerre- unter unseren Kollegen, es gibt zweisprachige Ortsschil- form ist weder sozial noch gerecht. Sie setzt die Umver- der: in Sachsen und in Brandenburg, überall dort, wo teilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach von alters her Sorbinnen und Sorben mit ihrer slawi- oben fort. schen Sprache und Kultur leben. Wir wollen mit dem Steuerkonzept der PDS das Ge- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch genteil. Auch deshalb haben wir beantragt, den Spitzen- [fraktionslos]) 13056 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Petra Pau (A) Weil das so bleiben soll, appelliere ich an Rot-Grün:Art. 20 b mit dem Satz: Der Staat schützt und fördert die (C) Nehmen Sie die Kürzungen für die Stiftung für das sor- Kultur. So hat es die Enquete-Kommission vorgeschla- bische Volk zurück! Sie gefährden sonst eine Kultur, die gen. genauso zum multikulturellen Deutschland gehört wie das Boßeln in Bremen oder der Kirchgang im Allgäu. (Beifall bei der SPD) (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Was ist das? Eine Kulturnation wie Deutschland kann und darf es sich Waren Sie nicht dabei?) nicht leisten, diesen essenziellen Bereich in ihrer Verfas- sung unerwähnt zu lassen. Vielleicht darf ich Sie daran – Nein, nur wenn Sie unserem Antrag zustimmen, wird erinnern: Sie teilen diese Meinung. das Förderniveau des vergangenen Jahres wieder er- reicht. Ansonsten stimmt meine Aussage, dass es Kür- Kultur ist eine der lebensnotwendigen Grundlagen zungen geben wird, Frau Kollegin Merkel. unseres Zusammenlebens. Wir können nicht einerseits den Werteverlust in unserer Gesellschaft beklagen und (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wir können andererseits die Kultur mit ihrer prägenden Kraft im in München ja niederbayerisch schreiben! Das Grundgesetz unerwähnt lassen. können Sie nicht lesen!) (Beifall bei der SPD) Noch ganz wenige Bemerkungen zum Verteidi- gungshaushalt: Schon der Name ist falsch; denn es geht Natürlich darf man sich von einer Staatszielbestimmung um vieles, aber nicht mehr um Landesverteidigung. Es nicht zu viel versprechen. Niemand könnte daraus ablei- geht um die Fähigkeit zu weltweiten Interventionen, die ten, dass der Gesetzgeber oder die Exekutive ganz be- das Grundgesetz bekanntlich nicht vorsieht. Wir haben stimmte Maßnahmen der Förderung treffen muss. Den- einmal hochgerechnet: Würde die Bundesregierung nur noch würde die Aufnahme in das Grundgesetz das auf die Umrüstung der Bundeswehr zur Interventionsar- Selbstverständnis unseres Landes berühren. Es wäre ein mee verzichten, dann würden allein im nächsten JahrFingerzeig auf das Richtige, ohne das das Notwendige circa 600 Millionen Euro für Besseres frei, zum Beispiel gar nicht bestehen kann. für Entwicklungshilfe. Auch dazu liegt ein Antrag von (Beifall bei der SPD) uns vor. Sie müssen nur noch zustimmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch identitätsstiftende Kraft von der Kultur ausgeht, konnten [fraktionslos]) wir nach dem schrecklichen Brand in der Anna- Abschließend: Die Koalitionsfraktionen und die Re- Amalia-Bibliothek beobachten. Eine gewaltige Welle (B) gierung haben erneut versucht, ihren Haushalt und ihre der Hilfsbereitschaft erreichte Weimar und brachte fast (D) Politik als alternativlos schönzureden. Das ist falsch und 4 Millionen Euro an Spenden zusammen. langweilig. Es gibt immer Alternativen. Die PDS setzt dem Ganzen eine gerechte, eine soziale, eine moderne (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke und vor allen Dingen eine demokratische „Agenda so- Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zial“ entgegen. NEN] und des Abg. [CDU/ CSU]) (Anhaltender Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] – Jörg Tauss [SPD]: Für Hunderte von freiwilligen Helfern haben während und das Protokoll: lang anhaltender Beifall!) nach dem Brand Bücher gerettet, Trümmer beseitigt und mit ihrem Einsatz bewiesen, wie sehr sich die Menschen mit ihrem kulturellen Erbe identifizieren. Das klassische Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Weimar ist das Herz und der schicksalsschwere Knoten- Der Weg ist ja auch lang. punkt unserer Kulturnation, die Anna-Amalia-Biblio- Das Wort hat jetzt die Staatsministerin Christinathek ist ihr Gedächtnis. Mit dem Brand wurde nicht nur Weiss für die Bundesregierung. der Rokokosaal beschädigt, sondern auch ein geistiger Schaden angerichtet. Es gilt, diese Wunden so schnell (Beifall bei der SPD) wie möglich zu heilen und finanzielle Anstrengungen zum Wiederaufbau und zur Wiederbeschaffung der Bü- Dr. Christina Weiss, Staatsministerin beim Bundes- cher zu unternehmen. Ich freue mich, dass auch hierüber kanzler: ein umfassender Konsens besteht – in Thüringen, aber Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und vor allem hier in diesem Hause. Herren! „Das Richtige“, sagt Bert Brecht, „braucht den (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke kleinsten Fingerzeig noch!“ Das ist ein Satz, der den Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kern unserer heutigen Debatte durchaus trifft; denn die NEN]) Frage, ob Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden sollte, hat in den letzten Monaten, Wochen und Ich möchte das zum Anlass nehmen, allen Fraktionen Tagen an Aktualität gewonnen. Die Enquete-Kommis- dieses Parlaments für die konstruktive und kritische Zu- sion „Kultur in Deutschland“ dieses Hauses hat dazu ei- sammenarbeit bei den Haushaltsberatungen zu danken. nen sehr würdigen Vorschlag unterbreitet. Auch ich bin Es ist uns gemeinsam gelungen, wirklich wichtige sehr dafür, dass wir der Kultur in unserem Grundgesetz Akzente zu setzen. Die Anna-Amalia-Bibliothek ist da- den ihr gebührenden Platz einräumen, und zwar in einem für nur das beste Beispiel. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13057

Staatsministerin Dr. Christina Weiss (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist wirklich zu (C) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der loben!) FDP) Am 9. Mai 2005 jährt sich zum 200. Mal der Todestag Der Schutz des Weltkulturerbes in Weimar verlangt Friedrich Schillers. An jenem Tag werden wir auf der jedoch noch mehr. Es muss sichergestellt werden, dass Brücke zwischen Frankfurt/Oder und Slubice das sich ein solcher Verlust von Kulturgütern nicht wieder- deutsch-polnische Kulturjahr eröffnen. Ganz im Geiste holt. Die Schutzmaßnahmen in allen Objekten der Stif- des Dichters wollen wir uns dann – populär und mo- tung können mit den zusätzlichen Bundesmitteln über- dern – an die Ideale erinnern, die jede Kulturnation auf prüft und dort, wo es notwendig ist, verbessert werden. diesem Kontinent auszeichnen: Freiheit, Toleranz und Auch hierfür Dank! Menschlichkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD]) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Schutz herausragender Kulturgüter, allen voran der- Das sind vor allem auch kulturelle Errungenschaften. Es jenigen des Weltkulturerbes, wozu auch die Bibliothek ist Kultur. Das ist die Basis unseres Zusammenlebens gehört, wird in den nächsten Jahren unser vordringlich- und die Grundlage unserer Demokratie. Deshalb gehört stes politisches Ziel bleiben. die Kultur ins Grundgesetz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Berliner Akademie der Künste steht im nächsten DIE GRÜNEN) Jahr vor einem strukturellen Neubeginn. Die Akademie ist eine Institution, die das geistige Leben Deutschlands Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: mitgeprägt hat. Sie blickt auf eine große, eine 300-jäh- Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Kaster. rige Tradition zurück. Als unabhängige Künstlersozietät ist sie nach den vergleichbaren Institutionen in Rom und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Paris die älteste Einrichtung ihrer Art in Europa. Sie Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]) spiegelt in ihrer Geschichte und in ihrer Gegenwart die Entwicklung und den Reichtum von Kunst und Kultur in Bernhard Kaster (CDU/CSU): Deutschland. Sie ist damit nicht nur ein Kernelement der Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Hauptstadtkultur, sondern entfaltet ihren Glanz, ihregen! Unser Bundeshaushalt weist die denkbar simpelste (B) Wirkung weit über die regionalen und nationalen Gren- Form der Buchführung auf, nämlich eine einfache Ge-(D) zen hinaus. genüberstellung von Einnahmen und Ausgaben. Ich möchte an dieser Stelle noch nicht darauf eingehen, ob (Beifall bei der SPD sowie des Abg. dieses Haushaltsrecht noch zeitgemäß ist – das ist es Dr. Hermann Otto Solms [FDP]) nach meiner Auffassung nicht –, aber es ist bemerkens- In der finanziellen und rechtlichen Verantwortung des wert, dass diese Bundesregierung mit dieser simplen Bundes – im völligen Einvernehmen übrigens mit dem Buchführung offensichtlich schon überfordert ist. Senat von Berlin und der Regierung des Landes Bran- (Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/ denburg – wird die Akademie als autonome Kulturein- CSU] – Zurufe von der SPD: Oh!) richtung auch künftig die Sache der Künste fördern und in die Gesellschaft vermitteln. Seit der letzten Wahl hat es Rot-Grün nicht ein einzi- ges Mal geschafft, mit dem Haushalt wenigstens den Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch ein Grundrahmen unserer Verfassung oder unserer gemein- Wort zur Medienpolitik. Deutschlands bester Botschafter samen europäischen Währung einzuhalten. Im Wahljahr im Ausland kann in seiner Arbeit ab 1. Januar 2005 auf 2002 lief der Haushalt mit neuen Schulden in Höhe von ein neues Fundament bauen. Mit dem geänderten Deut- 32 Milliarden Euro aus dem Ruder. Das waren 50 Pro- sche-Welle-Gesetz hat der Auslandssender eines der mo- zent mehr als eingeplant. Prädikat: verfassungswidrig. dernsten Mediengesetze Europas. 2003 machte Finanzminister Hans Eichel fast 39 Milliarden Euro neue Schulden, mehr als doppelt so (Beifall bei der SPD) viel wie ursprünglich geplant, also plus 100 Prozent. Prädikat: verfassungswidrig. Dieses Gesetz gibt Auskunft über das Selbstbewusstsein, mit dem wir in der Bundesrepublik Deutschland Rund- (Beifall bei der CDU/CSU) funk organisieren, und über die Leitideen, die wir damit In diesem Jahr braucht unser Bundesschuldenminister verfolgen. Die Deutsche Welle hat den Auftrag, 43,5 Milliarden Euro neue Schulden. Das sind wieder Deutschland als „europäisch gewachsene Kulturnation 50 Prozent mehr als geplant. Prädikat: verfassungswid- sowie als freiheitlich verfassten demokratischen Rechts- rig. staat“ darzustellen. Auch das ist ein kulturpolitisches Novum von Tragweite: Ein Bundesgesetz, das einstim- (Peter Dreßen [SPD]: Was hat mig verabschiedet wurde, definiert unser Land als Kul- gemacht? – Weiterer Zuruf von der SPD: Die turnation. Zinsen für eure Schulden!) 13058 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bernhard Kaster (A) In gerade einmal drei Jahren ergabenes ist eine sich Frechheit, dass die Weltmeisterschaft schon(C) 114,2 Milliarden Euro neue Schulden, obwohl es einen im Haushalt 2005 als Begründung für überhöhte PR- massiven Verkauf von Tafelsilber gegeben hat. Mittel der Bundesregierung herhalten muss. Für den Haushalt 2005 stellt sich daher die berech- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tigte Frage: Ist eine solche unverantwortliche Schulden- Ich bin daher sehr froh, dass der Bundesrechnungshof politik zulasten künftiger Generationen überhaupt noch in der letzten Woche aus seiner objektiven Sichtweise steigerungsfähig? Ein Blick in den Haushalt offenbart eindeutige Feststellungen getroffen hat: die erschreckende Antwort: Ja. Die Hilflosigkeit dieser Regierung macht sogar vor den Einnahmen der Zukunft, (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Na, na!) dem endgültig letzten Tafelsilber, nicht mehr Halt. zum Beispiel, wie diese Bundesregierung trotz leerer Mit dem Haushalt 2005 hat es diese Bundesregierung Kassen 250 Millionen Euro für Werbung und Öffentlich- geschafft, die Gesamtverschuldung des Bundes über die keitsarbeit verprasst. Eine viertel Milliarde nur für An- Zeitspanne von 50 Jahren in nur vier Jahren zeigen um und Plakate! Das ist nichts anderes als eine steu- 20 Prozent zu erhöhen. Aus der Devise „Ist der Ruf erst erfinanzierte Parteiwerbung und Imagepflege. ruiniert, handle frei und ungeniert“ wird unter dem jetzi- (Beifall bei der CDU/CSU – Monika Griefahn gen Bundeskanzler für 2005 das Motto: „Nach uns die [SPD]: Ihr sagt doch immer, dass wir die Leute Sintflut!“ über Hartz IV aufklären müssen! Also, bitte schön!) (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider wahr!) Wir haben schon vor Monaten darauf aufmerksam ge- macht, dass vor allem die von den Grünen geführten Was hier passiert, wie unser Land in den Ruin gewirt- Ministerien rechtswidrig Millionenbeträge im Haushalt schaftet wird, wie die Zukunft der Kinder leichtfertigfür ihre Imagewerbung geradezu veruntreuen. und egoistisch schon heute verfrühstückt wird, (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Reine Propa- (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Unglaublich!) ganda!) all dies hat eine Dimension erreicht, angesichts derer die Wie stellt jetzt der Bundesrechnungshof unter Punkt 15 Frage gestellt werden muss: Wo bleibt in dieser Situation seiner „Bemerkungen 2004“ fest – ich zitiere –: das Eingreifen, die Richtlinienkompetenz und die Ver- antwortung des Bundeskanzlers? Ein Bundeskanzler, der Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, den Eid geleistet hat, das Grundgesetz zu wahren und Ernährung und Landwirtschaft … hat aus dem Schaden vom deutschen Volke zu wenden, Bundesprogramm Ökologischer Landbau … in (B) weitem Umfang Maßnahmen der Öffentlichkeits- (D) (Peter Dreßen [SPD]: Das macht er!) arbeit finanziert, um die politische Grundausrich- ist zum Handeln verpflichtet, wenn Verfassungsbruch tung der Bundesregierung darzustellen. Damit hat es gegen Haushaltsrecht verstoßen. zur Routine wird – ich erinnere an Art. 115 des Grund- gesetzes – und wenn Art. 110 des Grundgesetzes, also So der Bundesrechnungshof. Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit des Haushalts, (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter mit Tricksen, Tarnen und Täuschen umgangen wird. [CDU/CSU]: Leider wieder wahr!) (Jörg Tauss [SPD]: Der Austermann hat das- Ich darf hinzufügen: bewusst verstoßen. Denn seit selbe Blech geredet! – Widerspruch bei der mehr als einem Jahr kritisieren wir an dieser Stelle im- CDU/CSU) mer wieder die PR-Ausgaben, ohne dass es Ihnen in den Muss der Bundeskanzler nicht auch handeln und Scha- Sinn kommt, hier irgendwelche Veränderungen vorzu- den vom deutschen Volke abwenden, wenn beispiels-nehmen. weise alle Skrupel fallen und den Kindern nicht nur (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schamlos!) gigantische Schuldenberge hinterlassen werden, sondern zwischenzeitlich schon die Perversion um sich greift und Allein bei der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung nun schon heute die Einnahmen der Zukunft, das heißt mit den vielen im Haushalt versteckten Millionenbeträ- die Einnahmen der jungen Generation verhökert wer-gen ließen sich jedes Jahr 200 Millionen Euro einsparen. den? Mit dem unwirtschaftlichen Verkauf der Auslands- Lassen Sie mich das noch sagen: Angesichts des Auf- forderungen gegenüber Russland oder dem unseriösen tritts des Finanzministers eben und seiner Einlassung Postpensionsdeal wird jetzt vor lauter Hilflosigkeit der zum Thema Öffentlichkeitsarbeit muss man die Frage schnelle Euro gemacht. Die Rechnung kommt später. stellen: Kennt sich noch nicht einmal der Finanzminister Beim Postdeal warten ab 2007 Milliarden zusätzlicher mit den Etats der Kollegen von den Grünen aus, in denen Kosten auf uns. Der Bundesrechnungshof hat dies ge- die Millionen für die Öffentlichkeitsarbeit in verschiede- stern in einem Brief sehr deutlich kritisiert. nen Posten versteckt sind? Statt aber im eigenen Etat ein Zeichen des Sparens zu (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist das! – setzen, geschieht beim Bundespresseamt im Kanzleretat Zuruf von der CDU/CSU: Der versteht doch genau das Gegenteil. Beim ThemaÖffentlichkeits- gar nichts! – Jörg Tauss [SPD]: Tibetanische arbeit sind seit langem alle Dämme gebrochen. Wir alle Gebetsmühle! – Petra-Evelyne Merkel [SPD]: freuen uns auf die Fußballweltmeisterschaft 2006. Aber Und jetzt?) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13059

Bernhard Kaster (A) Vor dieser Bundesregierung müssen wir uns und müs- Petra-Evelyne Merkel (SPD): (C) sen sich vor allen Dingen nachfolgende Generationen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr besser schützen. Dafür müssen wir uns ernsthaft Gedan- Kaster, ein Erbe hat so seine Folgen. Denn man erbt ken über engere Grenzen auch in unserer Verfassung ma- nicht nur von seinen Vätern und Müttern, sondern auch chen. Der Investitionsbegriff im Grundgesetz muss als von den Großvätern und Großmüttern. Es ist vorhin ja eingeengter Nettobegriff definiert werden. schon hervorragend ausgeführt worden, welches Erbe (Jörg Tauss [SPD]: Meinen Sie die von den wir in Gestalt von Schulden pro Kopf den Kindern hin- CDU- und CSU-regierten Länder? Mein lieber terlassen. Es sind das pro Kopf 11 200 Euro aus der Mann!) Kohlzeit und die 2 531 Euro aus der rot-grünen Zeit. Der Sinn des Art. 115 Grundgesetz wird doch geradezu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auf den Kopf gestellt, wenn die Regierung die Begren- Beides zusammen macht das Erbe aus. Diese Klarstel- zung der Schuldenaufnahme in Höhe der Investitionen lung trägt sicherlich ein wenig zur Sachlichkeit bei. einfach durch Vermögensverkauf und beispielsweise durch den unseriösen Postpensionsdeal umgehen kann. (Beifall bei der SPD) (Jörg Tauss [SPD]: Baden-Württemberg! Oh, Ich komme jetzt zu einem Bereich, bei dem es erheb- oh!) lich friedlicher wird. Denn ich habe den Eindruck, für Wir brauchen beim Investitionsbegriff zwingend eine Kultur setzen sich erheblich mehr Personen im Parla- Anrechnung von Vermögensveräußerungen – das macht ment ein, als es den Anschein hat. ja auch Sinn –, sprich: von Privatisierungserlösen. Kein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) betriebswirtschaftlich denkender Mensch versteht, dass beispielsweise Abschreibungen vollkommen außen vor Vieles in Deutschland wäre farb- und freudloser, gäbe es bleiben. Wir brauchen betriebswirtschaftliche Elemente nicht die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, im Haushaltsrecht. Viele Kommunen und Bundesländer Frau Dr. Christina Weiss, machen es vor. Ich verweise auf das Bundesland Hessen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!) mit ihrem Etat von 950 Millionen Euro. Übrigens ist die- ser Etat, wie der Bildungsetat, im Rahmen der parlamen- das auf dem Weg ist, die Doppik einzuführen. tarischen Arbeit etwas aufgestockt worden. Theo Waigel und die damalige Koalition haben schon (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: (B) 1997 bzw. 1998 den Startschuss gegeben, die Kosten- Wir haben es ja!) (D) leistungsrechnung und Produkthaushalte einzuführen. Seit dem Regierungswechsel herrscht hier Stillstand.– Richtig, wir haben es an der Stelle, weil Kultur und Über die Experimentierphase ist diese Bundesregierung Bildung zusammengehören, Herr Austermann. bis heute nicht hinausgekommen. Weder Ziele noch Fortschritte sind hier auch nur im Ansatz erkennbar. Das Als Erstes komme ich zu einer wichtigen Grundlage ist aber dringend notwendig. Es wird höchste Zeit, dass für diesen Etat. Über die Austarierung der Zuständigkei- künftige Etats mit erkennbaren Vermögensbilanzen und ten zwischen Bund und Ländern wird ja gerade verhan- sichtbarem Werteverzehr –Stichwort nochmals: Ab- delt und ich hoffe sehr – ich denke, das ist dringend not- schreibungen – sowie transparent dargestellten Zu-wendig –, dass die Föderalismuskommission die kunftsbelastungen, etwa Zinsen oder Versorgungsleis- Kulturtätigkeit des Bundes stärkt. tungen, beraten werden können. Die simple Form der Buchführung im Haushalt mit der einfachen Gegenüber- (Beifall bei der SPD) stellung von Einnahmen und Ausgaben reicht nicht mehr Dieser Haushalt zeigt, dass das weiterhin unabdingbar ist, aus. dass es eine Zuständigkeit des Bundes für die Kultur Lassen Sie mich zum Schluss ein Zitat bringen, das gibt. Wenn wir uns darüber im Grundsatz einig sind, wir sehr gern in der Umweltpolitik verwenden. Es lautet: dann werden wir auch einsehen, dass wir da unbürokrati- „Wir haben die Erde nur von unseren Kindernsche Regelungen brauchen. Ich unterstütze natürlich, geliehen.“ – Im Interesse der jungen Generation muss dass Kultur als Staatszielbestimmung im Grundgesetz der Geist dieses Zitates auch auf unsere Staatsfinanzen verankert wird. Anwendung finden. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Vieles wird mit den 950 Millionen Euro aus dem Kul- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – turetat bewegt: die Bundeskulturstiftung – 35,7 Mil- Gerhard Rübenkönig [SPD]: Ihr habt uns lionen Euro – mit vielen lebendigen und anregenden 1,5 Billionen DM Schulden hinterlassen!) Projekten, der neue Schwerpunkt „Filmförderung“, die großen Investitionen wie zum Beispiel auf der Muse- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: umsinsel, etwa für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel. – auf sie komme ich gleich noch einmal zu sprechen –, für die Deutsche Welle – 280 Millionen Euro – mit dem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) neuen Standort Bonn und dem TV-Standort Berlin. 13060 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Petra-Evelyne Merkel (A) Wichtig sind meiner Fraktion und mir folgende Pro- auch der 60. Jahrestag derBefreiung der Konzentrati- (C) jekte für 2005. Die Anna-Amalia-Bibliothek ist eben onslager mit einer zentralen Veranstaltung in der Ge- schon von Frau Dr. Christina Weiss angesprochen wor- denkstätte Buchenwald begangen werden. Wir haben den. Als Mitglied des Haushaltsausschusses bin ich sehr neben einem Zuschuss zur Veranstaltung die finanziellen froh, dass wir in diesem Jahr die Gelegenheit hatten, uns Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Opfer einge- die Anna-Amalia-Bibliothek anzusehen und die große laden werden können. Das sind wir diesen schuldig und Sammlung und den Rokokosaal auf uns wirken zu las- das ist uns wichtig. sen. Es ist wirklich ein unvergleichbarer Schatz, der dort zu finden ist und der jetzt nach dem Brand saniert wer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ den muss. CSU]: Auch einvernehmlich!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP]) – Sie haben Recht, Herr Kampeter, auch das haben wir einvernehmlich getan. Deswegen bin ich auch sehr dankbar dafür, dass Christina Weiss sehr schnell mit 4 Millionen Euro die Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die als Zeit- erste finanzielle Not gelindert hat. Ebenso haben daszeugen ihre schrecklichen persönlichen Erlebnisse im Land und die vielen Spender, die dazu bereit waren und hohen Alter Kindern und Jugendlichen erzählen, mit ih- weiterhin sind, dabei geholfen, dass die Sammlung wei- nen reden und so zur Aufklärung beitragen. Allen muss ter ergänzt werden kann. Ich bin aber ebenso froh da-klar sein, dass sich so schreckliches Leid nicht wieder- rüber, dass es uns gelungen ist, im Haushalt für dasholen darf. Jahr 2005 die Sanierungsmittel bereitzustellen, sodass (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jutta die Sanierung, die für 2006 geplant war, vorgezogen Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden kann und die Arbeiten zügig weitergehen kön- NEN]) nen. Das ist wichtig. Wenn auch Sie die Wahlergebnisse der rechtsradika- Wir haben sogar noch 1 Million Euro für die Stiftung len Parteien nicht ruhen lassen, wenn Sie Möglichkeiten Weimarer Klassik eingestellt, damit trotz der extremen haben, mit Jugendlichen zu arbeiten, ob in Schulen, Ju- Haushaltsnotlage weiterhin Brandschutzmaßnahmengendeinrichtungen oder Vereinen, bitte ich Sie: Laden vorgenommen werden können. Sie Zeitzeugen ein und eröffnen Sie durch die persönli- (Beifall bei der SPD) che Begegnung, durch authentische Lebensberichte die Chance, dass Jugendliche wachsamer werden. Das ist Denn es kann niemand ein Interesse daran haben, dass ein Beitrag gegen die Rechtsradikalen und Neonazis. (B) uns ein solches Unglück noch einmal passiert. Es han- Zusammen mit den Programmen „CIVITAS“ und „enti- (D) delt sich um Schätze, die die europäische Kultur ausma- mon“, deren Mittel wir Ihren Anträgen entsprechend chen. Sie müssen gehütet und bewahrt werden, egalnicht gesenkt, – das sage ich für mich persönlich – wer dafür zuständig ist, ob Bund oder Land. Wir müssen gemeinsam dafür (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sorgen, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des sondern aufgestockt haben, ist das eine gute Möglich- Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP]) keit, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Unserer Fraktion, aber auch den Grünen ist es wichtig (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gewesen, dass die Volksgruppe der Sorben noch ein- DIE GRÜNEN) mal finanziell Luft bekommt, um Strukturveränderungen Es geht uns um das richtige Ausgeben von Geld, in ihren Organisationen umsetzen zu können. Gemein- wenn wir über den Haushalt reden. Darüber wachen sam mit allen Fraktionen – das zeichnet diesen Etat aus – viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltun- haben wir den ursprünglichen Betrag von 7,225 Millio- gen, meine Kolleginnen und Kollegen Politiker und der nen Euro um 500 000 Euro aufgestockt; teilweise gegen- Rechnungshof. Ich habe in den Berichterstattergesprä- finanziert, teilweise werden die Mittel noch fließen. chen zur Vorbereitung des Haushalts 2005 beantragt, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: dass wir uns künftig stärker mit derMuseumsinsel be- Einvernehmlich!) schäftigen und jährlich ein besonderes Berichterstatter- gespräch vor Ort durchführen, und zwar bevor der Rech- Wir haben die Summe allerdings gesperrt, nungshof Herr seinen Bericht abliefert. Kampeter, weil wir wollen, dass uns darüber Bericht er- stattet wird, wie die Strukturveränderungen angepackt Ich meine allerdings, dass die fiskalische Kontrolle werden. Aufgabe des Rechnungshofs ist. Er sollte jedoch nicht die politischen Zielsetzungen formulieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Im kommenden Jahr wird es historische Gedenktage Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU]) geben; sie sind teilweise bereits angesprochen worden. Das Ende des Zweiten Weltkrieges jährt sich zumDazu ist die Politik da, dazu sind meine Kolleginnen und 60. Mal und wird mit Veranstaltungen nicht nur, aberKollegen und ich da. Wir werden weiterhin über Ent- auch in Deutschland begleitet. Im kommenden Jahr wird scheidungen wie die über eine archäologische Prome- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13061

Petra-Evelyne Merkel (A) nade oder ein Eingangsgebäude auf der Museumsinsel in Deswegen sage ich Ihnen allen: Die namentliche Ab-(C) Berlin-Mitte verantwortlich diskutieren. stimmung findet in zehn Minuten statt. Unser Stand bisher: Die archäologische Promenade Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Krings. wird zurzeit nicht gebaut, aber durch notwendige Vor- (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter sorgemaßnahmen innerhalb der Häuser wollen wir uns [CDU/CSU]: Wir erwarten ein wahres Feuer- die spätere Entscheidung auch nicht verbauen. Ein Ein- werk!) gangsgebäude wird notwendig sein. Wie es gestaltet werden wird, steht noch nicht fest. Dieses gigantische Projekt – das Juwel vor unserer Tür – lebt von den Mu- Dr. Günter Krings (CDU/CSU): seen, die vordringlich saniert werden müssen. Museen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und sind aber auch Lebensraum und dieser muss gestaltetHerren Kollegen! Der Herr Bundesfinanzminister und werden. Ich sage das in vollem Ernst, weil ich die Arbeit der Herr Bundeskanzler, der noch abwesend ist und bis- des Rechnungshofs sehr schätze, auch als Mitglied des her wohl auch noch nicht das Klingelzeichen in Deutsch- Rechnungsprüfungsausschusses. Die politische Zustän- land gehört hat, haben zu Beginn ihrer Amtszeit einen digkeit liegt bei uns. Amtseid abgelegt. In diesem Amtseid heißt es zum Schluss, dass sie sich verpflichten, „Gerechtigkeit gegen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Steffen jedermann“ zu üben. Kampeter [CDU/CSU]) (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Ich möchte jetzt kurz auf einen Punkt eingehen, der mir sehr wichtig ist. Im vergangenen Jahr wurde immer Hier ist nicht die Stunde,auf die vielen großen und wieder der Vorwurf erhoben, das Geld versickere in den kleinen Ungerechtigkeiten Ihrer Politik hinzuweisen, die neuen Ländern. Ich habe angeregt, dass wir vier Be- die Wählerinnen und Wähler von heute aktuell betreffen. richterstatter für den Kulturbereich uns vor Ort ansehen, Ich bin überzeugt, dass nach der Verabschiedung dieses was mit den Steuermitteln passiert. Wir haben im Früh- Bundeshaushalts für jedermann in diesem Lande endgül- jahr eine kurze Fahrt gemacht: nach Halberstadt, Qued- tig klar ist, dass diese Regierung ihren finanzpolitischen linburg, Wittenberg, Halle und zum Abschluss in denOffenbarungseid abgelegt hat. Ich bin mir sicher, dass Wörlitzer Park. die Wählerinnen und Wähler ihre Chance wahrnehmen werden, Ihnen das bei der nächsten Bundestagswahl zu Wir vier Berichterstatterinnen und Berichterstatter zeigen, und dass es Ihnen nicht gelingen wird, noch ein- – Frau Hajduk, Herr Kampeter, an den letzten beiden Ta- mal, wie Sie es im Jahre 2002 getan haben, Sand in die gen war auch Herr Dr. Rexrodt dabei, der leider kurzAugen der Wählerinnen und Wähler zu streuen. (B) darauf unerwartet verstarb, und ich – haben die hervorra- (D) genden Kulturangebote gesehen, die aus Steuermitteln (Beifall bei der CDU/CSU) entstanden und mit der Kraft vieler Menschen aus dem Während sich die heutigen Wählerinnen und Wähler Boden gestampft worden sind. Wir haben gespürt, wie in diesem Lande an der Wahlurne selbst gegen Ihre Poli- wichtig diese Anker sind, um die sich viel Engagement, tik zur Wehr setzen können, können dies die jungen aber auch der Stolz und die Zuversicht der MenschenMenschen in diesem Lande und die nachfolgenden Ge- ranken. Ich bin sicher, wir werden uns auch im kommen- nerationen nicht tun. Sie haben keine Chance, heute da- den Jahr über verschiedene Projekte vor Ort informieren. rauf hinzuweisen, dass ihre Zukunftschancen verfrüh- stückt werden. Sie sind die Opfer Ihrer ungerechten Ich finde, die Bundesregierung hat für den Bereich Politik, können sich dagegen aber nicht wehren. Kultur trotz der Zwänge und extremen Nöte einen ver- antwortungsvollen Haushalt vorgelegt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP] – Steffen Kampeter (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So weit wür- [CDU/CSU]: Leider wahr!) den wir doch nicht gehen!) Was der SPD die Jugend bzw. der Nachwuchs wert Wir haben ihn verantwortungsvoll beraten. Ich danke al- ist, haben wir in dieser Woche gesehen; len, auch der Opposition, dafür, dass wir die Anträge, mit denen wir Mittel erhöht haben, in breiter Überein- (Jörg Tauss [SPD]: Betreuung!) stimmung verabschiedet haben. Ich denke, dass die Kul- denn die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Woche turpolitik immer wieder dazu geeignet ist, Brücken zu die Wahl ihres Fraktionsvorstandes durchgeführt. Das bauen. einzige Mitglied des engeren Fraktionsvorstandes, das Schönen Dank. jünger als 40 Jahre ist, ist aus Ihrem Fraktionsvorstand rausgefallen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von der SPD, Sie haben in Ihrer engeren Fraktionsfüh- DIE GRÜNEN) rung niemanden, der jünger als 40 Jahre ist. Das ist bei Ihren jüngeren Kollegen nicht ohne Kom- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: mentar geblieben. Ich zitiere die Kollegin Kerstin Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gerade darü- Griese, die hierzu wörtlich im „Tagesspiegel“ von heute ber informiert worden, dass die Klingelanlage, auch die meint: „Das war ein Angriff gegen die junge Genera- optische, in einigen Teilen des Hauses nicht funktioniert. tion.“ 13062 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Günter Krings (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Günter Krings (CDU/CSU): (C) Jörg Tauss [SPD]: Oh!) Sehr verehrte Kollegin, es ist schön, dass Sie den Mut haben, auch bei dieser Geräuschkulisse vor der nament- Leider war das nicht der einzige Angriff, der dieselichen Abstimmung noch eine Zwischenfrage zu stellen. Woche von Ihrer Seite des Hauses gegen die junge Ge- Ich beantworte sie Ihnen sehr gerne. neration gefahren wurde. (Ute Kumpf [SPD]: Frauen sind immer mutig, (Volker Kauder [CDU/CSU]: So kann man Herr Krings!) sich selbst täuschen! – Monika Griefahn [SPD]: Und was ist mit der Eigenheimzulage?) Wenn Sie auch nur im Entferntesten mit den Effekten von Zins und Zinseszins vertraut sind, dann wissen Sie, Ein weiterer Angriff erfolgt mit dem Bundeshaushalt 2005. dass der Damm in den 70er-Jahren gebrochen war – un- Daher sage ich insbesondere den jüngeren Kolleginnen ter den Regierungen Brandt und Schmidt. Damals sind und Kollegen in Ihrer Fraktion bzw. in den Regierungs- die Schulden auf das Sechsfache gestiegen. fraktionen, beherzigen Sie das: Lasst euch nicht verar- schen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) (Beifall des Abg. Dietrich Austermann [CDU/ CSU] – , Bundesminister: Das ist – Sie können sich offenbar nur noch mit gezwungenem aber kein parlamentarischer Ausdruck!) Lachen dagegen wehren. Wir haben dann in den 80er-Jahren eineKonsolidie- Demjenigen, der in den letzten Tagen gelegentlich Wer- rungspolitik unter Finanzministern der Union erlebt und bung gehört bzw. gesehen hat, ist dieser Spruch wahr- wir hatten 1990 die deutsche Einheit. Ich vermisse bis scheinlich halbwegs bekannt. Wenn Sie die „Tages-zum heutigen Tag Ihre Vorschläge zur Finanzierung die- schau“ schon abschalten, dann schalten Sie zumindest ser Einheit. Ich frage mich auch, welche deutsche Ein- die Werbung ein; dann kennen Sie das auch. heit Sie zwischen 1998 und 2004 finanzieren mussten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, jungenWomit erklären Sie Ihre Schulden? Ich glaube, dass Ihr Menschen erlegt dieser ungebremsteMarsch in den Vergleich etwas albern ist, wenn man die deutsche Ein- Verschuldungsstaat unzumutbare Lasten auf. Jedesheit bedenkt und sieht, dass die Regierungen Brandt und Kind, das in diesem Lande geboren wird, bekommt so- Schmidt in diesem Lande den Marsch in die Schulden- zusagen als Begrüßung des Staates nicht nur eine Ge- falle begonnen haben, burtsurkunde mit auf den Weg, es bekommt bei der Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) burt gewissermaßen auch ein virtuelles Girokonto (B) angelegt – nur leider mit Schulden von 16 500 Euro. und dieser ist immer schneller fortgesetzt worden. (D) (Jörg Tauss [SPD]: Und Sie wollen noch die Aber es bleibt ja gar nicht bei den Staatsschulden von Studiengebühren dazulegen!) 1,4 Billionen Euro, die wir heute haben. Nehmen wir an, dass wir so weitermachen wie heute, dass wir mit einer Finanzpolitik wie der, die dieser Finanzminister zu ver- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: antworten hat, bis zum Jahre 2025 fortfahren. Dieses Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Jahr werden die meisten von Ihnen noch erleben. Kollegin Hagedorn? (Zustimmung des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): – Nicht in dieser Funktion, aber sie werden es physisch Gerne. erleben. – Dann werden wir Staatsschulden von über 7 Billionen Euro haben. Das Defizit der öffentlichen Haushalte wird bei etwa 480 Milliarden Euro liegen – Bettina Hagedorn (SPD): schier unvorstellbare Zahlen. Herr Kollege, da Sie gerade die Pro-Kopf-Verschul- dung von 16 500 Euro, auch für jedes Baby, das heute in Auch dieser Bundeshaushalt setzt seine Schwerpunkte Deutschland geboren wird, ansprechen, würden Sie be- wieder ausschließlich rückwärts gewandt. Wir geben für stätigen, dass von diesen 16 500 Euro 11 220 Euro in die Alterssicherung in diesem Lande – dabei kommt es der Zeit von 1982 bis 1998 entstanden sind gar nicht darauf an, ob esZuschüsse an die Rentenkasse sind oder Pensionszahlungen – etwa 100 Milliarden Euro (Zuruf von der FDP: Nein!) aus. Wenn wir die Zinsenund Zinseszinsen hinzuneh- und 2 531 Euro seit 1998? men, ist das deutlich über die Hälfte des Bundesetats für Aufgaben zur Bewältigung von vergangenen Ansprü- (Beifall bei der SPD) chen und Lasten. Wir befriedigen Ansprüche von gestern mit Schulden von heute zulasten der Generationen von Wenn Sie das bestätigen – und das können Sie eigentlich morgen. Das ist eine zutiefst unmoralische und unge- nicht abstreiten, denn das ist eine Tatsache –, würden Sie rechte Politik, weil sie generationenungerecht ist. mir dann bitte die Frage beantworten, ob ein Subven- tionsabbau nicht ein geeignetes Mittel wäre, dem entge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) genzuwirken? Aus lauter Scham erlauben wir uns ja gar nicht, das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wahre Ausmaß der Schuldenlast für die nachrückenden des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Generationen offen zu legen. Die 1,4 Billionen Euro Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13063

Dr. Günter Krings (A) sind ja nur der kleinere Teil der Wahrheit. Wenn wir alles (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (C) dazuzählen, was an Ansprüchen an die sozialen Siche- rungssysteme täglich neu entsteht, sind wir nach sehr Das Ganze erinnert etwas an die letzten Jahre der konservativen Berechnungen bei weiteren Staatsschul- DDR. Um sich kurzfristig eben über Wasser zu halten, den von mindestens 3,5 Billionen Euro, Schulden, die hat man dort versucht, alles Mögliche auszunutzen und jeder Einzelne in Deutschland mit abzahlen muss. Das zu verscherbeln. Man hat versucht, die ökonomischen gibt nach zurückhaltenden Berechnungen summa sum- Reserven bis an die Belastungsgrenze auszunutzen – nur marum Staatsschulden von 5 Billionen Euro. Nur zur um über den Winter zu kommen. Man hat nicht darüber Verdeutlichung: Das ist eine Fünf mit zwölf Nullen,nachgedacht, ob in zwei, drei Jahren noch etwas übrig etwa so viele, wie dort gerade auf der Regierungsbank in bleibt. So, wie in den 80er-Jahren in einem Teil Deutsch- den ersten beiden Reihen sitzen. lands Politik betrieben wurde, sieht auch Ihre Politik aus. Es gibt aber einen erheblichen Unterschied zur dama- (Widerspruch des Abg. Jörg Tauss [SPD]) ligen Situation in der DDR: Anders als vor 20 Jahren Umgerechnet auf das einzelne neugeborene Kind wären steht jetzt kein Partner im Westen mehr bereit, der uns das dann mindestens 60 000 Euro. wieder auf die Füße helfen kann. Wir müssen mit eige- ner Wirtschaftskraft aus diesem Sumpf herauskommen. Diese Entwicklung wird noch dadurch dramatischer, Wir müssen uns anstrengen und die Verschuldungsstruk- dass wir ebenfalls seit den 70er-Jahren auch bei derturen dieses Landes aufbrechen, wenn wir wieder in eine Geburtenrate hinterherhinken. Pro Jahr werdenwirtschaftliche Erfolgsspur kommen wollen. Mit diesem 30 Prozent zu wenige Kinder geboren, um unsere Bevöl- Bundeshaushalt erreichen Sie das Gegenteil. kerung demographisch in der Balance halten zu können. Die Zeit drängt. Wir haben jetzt das Glück, dass wir Sie stellen sich also vor, dass die immer weniger Wer- uns in einer Niedrigzinsphase befinden. Wenn die Zinsen denden von morgen die immer größeren Schulden der auf den Weltmärkten um einen einzigen Prozentpunkt vielen von heute abzahlen sollen. Wie das funktionieren steigen, dann haben wir pro Jahr 8 Milliarden Euro mehr kann, ist bis heute schleierhaft. Schulden. Ich glaube, es ist deutlich, dass wir hier immer (Beifall bei der CDU/CSU) tiefer in eine ganz katastrophale Situation hineinschlit- tern. Der Raubbau an den künftigen Generationen geht dabei von Bundeshaushalt zu Bundeshaushalt immer Diese Bundesregierung redet sehr oft und sehr gerne schamloser vonstatten. Es wird von Jahr zu Jahr schlim- von Nachhaltigkeit. „Nachhaltigkeit“ klingt wunderbar. mer. In den vergangenen sechs Jahren haben Es Sie wird von Nachhaltigkeit gesprochen, gehandelt wird 150 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, gleichzei- aber nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Herr Bun- (B) tig haben Sie etwa 100 Milliarden Euro an Bundesver- deskanzler, Herr Finanzminister, hören Sie im Interesse (D) mögen veräußert. Um Ihren Haushalt kurzfristig überder künftigen Generationen endlich damit auf, die Staats- Wasser zu halten, haben Sie keine Hemmungen, die Ver- verschuldung nur in wohlfeilen Reden zu bekämpfen. Be- mögenssubstanz dieses Landes zu zerschlagen. Einekämpfen Sie sie endlich auch in der Wirklichkeit und be- Kuh kann man entweder melken oder schlachten. Sie ha- herzigen Sie einen alten Satz von William Shakespeare: ben sich offenbar für das Schlachten entschieden. Sie„Worte zahlen keine Schulden“! müssen den Steuerzahlern in diesem Land dann aber Danke schön. auch sagen, dass jeder Euro, der nicht mehr herein- kommt – zum Beispiel als Unternehmensgewinn –, in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den nächsten Jahren durch Steuern oder neue Schulden neten der FDP) finanziert werden muss. Ich nenne nur die Postpensionen. Ihnen reicht es Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: nicht mehr, nur die Aktienanteile zu verkaufen – darüber Herr Kollege Krings, ich bitte für einen Moment um könnte man ja reden –, sondern jetzt soll der Bund die Ihre Aufmerksamkeit. Ich rufe Sie wegen eines Aus- Postpensionen indirekt übernehmen. Das bringt einmal drucks, den Sie gebraucht haben, zur Ordnung. Zu den Bares in den Etat und wird die Steuerzahler in diesem minimalen Voraussetzungen, insbesondere für Parlamen- Land jahrzehntelang belasten. Das ist das Gegenteil ei- tarier, aber ebenso für alle Demokraten gehört der Re- ner nachhaltigen Politik. spekt vor Institutionen und ihren Repräsentanten. (Zuruf von der FDP: Was hat er denn gesagt?) Der Finanzminister hatte eine weitere geniale Idee. Er will 2 Milliarden Euro aus demERP-Fonds, den ehe- Deswegen kann ich es nicht hinnehmen, dass Sie ge- maligen Mitteln des Marshallplans, der Kreditanstalt für wählte Vertreter dieses Hauses als „Nullen“ bezeichnen. Wiederaufbau zuschieben. Abgesehen davon, dass Sie damit eine wirkliche Gefährdung der einzigen noch (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des funktionierenden Mittelstandsförderung dieser Bundes- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wider- regierung herbeiführen, missachten Sie zugleich vertrag- spruch bei der CDU/CSU) liche Bindungen mit den USA. Aber auch das hat ja– Ich glaube, dass ich dies im Interesse aller gesagt habe. Konsequenz und Methode: Wem schon die Maastricht- Kriterien egal sind, der schert sich auch nicht um völker- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des rechtliche Verpflichtungen gegenüber den Vereinigten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Unruhe Staaten. bei der CDU/CSU) 13064 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Ich schließe damit die Aussprache. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (C) Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 Fall zu sein. in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsan- trag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau Ich schließe damit die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den lung zu beginnen. Änderungsantrag auf Drucksache 15/4342? – Gegenstim- men? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen undAbstimmung unterbreche ich die Sitzung. FDP bei wesentlicher Enthaltung der CDU/CSU gegen (Unterbrechung von 14.15 bis 14.25 Uhr) die Stimmen der beiden Abgeordneten Lötzsch und Pau abgelehnt worden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 04 in der Aus- Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. schussfassung ab. Die Fraktionen der SPD und des Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- mung über den Einzelplan 04, Bundeskanzler und führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Offen- Bundeskanzleramt, in der Ausschussfassung, Drucksa- sichtlich ist nicht nur die Klingel, sondern auch diechen 15/4304 und 15/4323, bekannt. Abgegebene Stim- Ordnung an den Urnen zusammengebrochen. Es fehlt men 579. Mit Ja haben gestimmt 298, mit Nein haben ein oppositioneller Schriftführer an einer der Urnen. Da- gestimmt 281. Der Einzelplan 04 ist damit angenom- 1) her kann ich leider noch nicht mit der Abstimmung be- men. ginnen. – Wie ich sehe, sind nun alle Plätze besetzt. Dann eröffne ich die Abstimmung. 1) Erklärung zur Abstimmung, Anlage 2

Endgültiges Ergebnis Wolfgang Grotthaus Klaus Kirschner Abgegebene Stimmen: 579; Marco Bülow Karl Hermann Haack Hans-Ulrich Klose davon (Extertal) Astrid Klug Dr. Michael Bürsch Hans-Joachim Hacker Dr. Bärbel Kofler ja: 298 (D) (B) Hans Martin Bury Bettina Hagedorn Dr. Heinz Köhler nein: 281 Marion Caspers-Merk Klaus Hagemann Dr. Alfred Hartenbach Fritz Rudolf Körper Ja Dr. Herta Däubler-Gmelin Michael Hartmann Karin Kortmann Karl Diller (Wackernheim) Rolf Kramer SPD Martin Dörmann Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Lale Akgün Peter Dreßen Ernst Kranz Elvira Drobinski-Weiß Reinhold Hemker Nicolette Kressl Ingrid Arndt-Brauer Detlef Dzembritzki Rolf Hempelmann Volker Kröning Rainer Arnold Dr. Barbara Hendricks Dr. Hans-Ulrich Krüger Hermann Bachmaier Siegmund Ehrmann Angelika Krüger-Leißner (Neuruppin) Hans Eichel Petra Heß Horst Kubatschka Martina Eickhoff Monika Heubaum Helga Kühn-Mengel Dr. Hans-Peter Bartels Gisela Hilbrecht Ute Kumpf Eckhardt Barthel (Berlin) Petra Ernstberger Gabriele Hiller-Ohm Dr. Uwe Küster (Starnberg) Karin Evers-Meyer Stephan Hilsberg Sören Bartol Annette Faße Gerd Höfer Christian Lange (Backnang) Sabine Bätzing Elke Ferner Jelena Hoffmann (Chemnitz) Christine Lehder Walter Hoffmann Waltraud Lehn Klaus Uwe Benneter Rainer Fornahl (Darmstadt) Eckhart Lewering Dr. Gabriele Frechen (Wismar) Götz-Peter Lohmann Frank Hofmann (Volkach) Gabriele Lösekrug-Möller Hans-Werner Bertl Lilo Friedrich (Mettmann) Eike Hovermann Erika Lotz Iris Gleicke Klaas Hübner Dr. Günter Gloser Christel Humme Dirk Manzewski (Heidelberg) Uwe Göllner Lothar Ibrügger Tobias Marhold Kurt Bodewig Renate Gradistanac Renate Jäger Lothar Mark Gerd Friedrich Bollmann Angelika Graf (Rosenheim) Jann-Peter Janssen Klaus Brandner Dieter Grasedieck Johannes Kahrs Monika Griefahn Ulrich Kasparick Bernhard Brinkmann Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrike Mehl (Hildesheim) Gabriele Groneberg Petra-Evelyne Merkel Hans-Günter Bruckmann Achim Großmann Hans-Peter Kemper Ulrike Merten Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13065

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Dr. Margrit Spielmann Anja Hajduk Klaus Brähmig (C) Ursula Mogg Jörg-Otto Spiller Dr. Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Ditmar Staffelt Antje Hermenau Christian Müller (Zittau) Peter Hettlich Monika Brüning Gesine Multhaupt Rolf Stöckel Ulrike Höfken Franz Müntefering Christoph Strässer Thilo Hoppe Verena Butalikakis Dr. Rolf Mützenich Rita Streb-Hesse Michaele Hustedt Hartmut Büttner Volker Neumann (Bramsche) Dr. Peter Struck Jutta Krüger-Jacob (Schönebeck) Joachim Stünker Cajus Julius Caesar Dr. Erika Ober Jörg Tauss Renate Künast (Emstek) Holger Ortel Jella Teuchner Markus Kurth Peter H. Carstensen Heinz Paula Dr. Gerald Thalheim Undine Kurth (Quedlinburg) (Nordstrand) Johannes Pflug Wolfgang Thierse Dr. Reinhard Loske Joachim Poß Franz Thönnes Anna Lührmann Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Kerstin Müller (Köln) Dr. Sascha Raabe Simone Violka Winfried Nachtwei Vera Dominke Karin Rehbock-Zureich Jörg Vogelsänger Christa Nickels Thomas Dörflinger Gerold Reichenbach (Pforzheim) Marie-Luise Dött Dr. Carola Reimann Dr. Marlies Volkmer Simone Probst Maria Eichhorn Christel Riemann- Hans Georg Wagner (Augsburg) Hanewinckel Hedi Wegener Krista Sager (Lübeck) Walter Riester Andreas Weigel Christine Scheel Reinhold Robbe Petra Weis Irmingard Schewe-Gerigk René Röspel Reinhard Weis (Stendal) Rezzo Schlauch Dr. Hans Georg Faust Dr. Gunter Weißgerber Albert Schmidt (Ingolstadt) Albrecht Feibel Karin Roth (Esslingen) Gert Weisskirchen (Berlin) Hartwig Fischer (Göttingen) Michael Roth (Heringen) (Wiesloch) Petra Selg Dirk Fischer (Hamburg) Gerhard Rübenkönig Dr. Ernst Ulrich von Ursula Sowa Axel E. Fischer (Karlsruhe- Weizsäcker Rainder Steenblock Land) Marlene Rupprecht Dr. Silke von Stokar von Dr. (Tuchenbach) Lydia Westrich Neuforn Klaus-Peter Flosbach Thomas Sauer Inge Wettig-Danielmeier Hans-Christian Ströbele Herbert Frankenhauser Jürgen Trittin Anton Schaaf Dr. Dr. Hans-Peter Friedrich Marianne Tritz Axel Schäfer (Bochum) Andrea Wicklein (Hof) (B) Dr. Antje Vogel-Sperl (D) Gudrun Schaich-Walch Jürgen Wieczorek (Böhlen) Jochen-Konrad Fromme Dr. Antje Vollmer Bernd Scheelen Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Michael Fuchs Dr. Ludger Volmer Dr. Dr. Dieter Wiefelspütz Hans-Joachim Fuchtel Josef Philip Winkler Siegfried Scheffler Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Dr. Jürgen Gehb Margareta Wolf (Frankfurt) Horst Schild Engelbert Wistuba Otto Schily Barbara Wittig Horst Schmidbauer Dr. Nein (Nürnberg) Verena Wohlleben Georg Girisch (Aachen) Waltraud Wolff CDU/CSU Michael Glos (Wolmirstedt) Silvia Schmidt (Eisleben) Ralf Göbel (Meschede) Heidi Wright Dr. Reinhard Göhner Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Josef Göppel Heinz Schmitt (Landau) Manfred Helmut Zöllmer Peter Götz Dr. Christoph Zöpel Dietrich Austermann Dr. Wolfgang Götzer Walter Schöler BÜNDNIS 90/DIE Kurt-Dieter Grill GRÜNEN Dr. Karsten Schönfeld Günter Baumann Fritz Schösser Ernst-Reinhard Beck Hermann Gröhe Wilfried Schreck (Bremen) (Reutlingen) Michael Grosse-Brömer (Köln) Markus Grübel Gerhard Schröder Dr. Manfred Grund Brigitte Schulte (Hameln) Karl-Theodor Freiherr von Reinhard Schultz Dr. und zu Guttenberg (Everswinkel) Grietje Bettin Clemens Binninger (Spandau) Alexander Bonde Holger Haibach Dr. Angelica Schwall-Düren Ekin Deligöz Dr. Martin Schwanholz Dr. Thea Dückert Klaus-Jürgen Hedrich Jutta Dümpe-Krüger Dr. Maria Böhmer Erika Simm Franziska Eichstädt-Bohlig Jochen Borchert Ursula Heinen Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Uschi Eid Wolfgang Börnsen Siegfried Helias Dr. Cornelie Sonntag- Hans-Josef Fell (Bönstrup) Uda Carmen Freia Heller Wolgast Joseph Fischer (Frankfurt) Wolfgang Spanier Katrin Göring-Eckardt Dr. Wolfgang Bötsch Jürgen Herrmann 13066 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Dr. Conny Mayer (Freiburg) Anita Schäfer (Saalstadt) FDP (C) Ernst Hinsken Dr. Martin Mayer Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Peter Hintze (Siegertsbrunn) (Münster) Robert Hochbaum Wolfgang Meckelburg Norbert Schindler Klaus Hofbauer Dr. Georg Schirmbeck Joachim Hörster Dr. Angela Merkel Angela Schmid Helga Daub Hubert Hüppe Friedrich Merz Jörg van Essen Susanne Jaffke Laurenz Meyer (Hamm) Christian Schmidt (Fürth) Otto Fricke Dr. Doris Meyer (Tapfheim) Andreas Schmidt (Mülheim) (Bayreuth) Dr. Egon Jüttner Maria Michalk Dr. Bartholomäus Kalb Dr. Ole Schröder Dr. Wolfgang Gerhardt Steffen Kampeter Klaus Minkel Bernhard Schulte-Drüggelte Hans-Michael Goldmann Irmgard Karwatzki Uwe Schummer Joachim Günther (Plauen) Bernhard Kaster Dr. Gerd Müller Wilhelm Josef Sebastian Dr. Siegfried Kauder (Bad Stefan Müller (Erlangen) Horst Seehofer Dr. Christel Happach-Kasan Dürrheim) Bernward Müller (Gera) Kurt Segner Ulrich Heinrich Volker Kauder (Bremen) Matthias Sehling Birgit Homburger Gerlinde Kaupa Henry Nitzsche Marion Seib Dr. Werner Hoyer Eckart von Klaeden Heinz Seiffert Jürgen Klimke Günter Nooke Bernd Siebert Dr. Heinrich L. Kolb Julia Klöckner Dr. Georg Nüßlein Hellmut Königshaus Kristina Köhler (Wiesbaden) Franz Obermeier Gudrun Kopp Manfred Kolbe Melanie Oßwald Jürgen Koppelin Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Rita Pawelski Harald Leibrecht Thomas Kossendey Dr. Peter Paziorek Ina Lenke Rudolf Kraus Ulrich Petzold Andreas Storm Sabine Leutheusser- Dr. Schnarrenberger Günther Krichbaum Sibylle Pfeiffer Matthäus Strebl Markus Löning Günter Krings Dr. Friedbert Pflüger Dr. Martina Krogmann (Heilbronn) Günther Friedrich Nolting Dr. Hermann Kues Lena Strothmann Hans-Joachim Otto (Zingst) Michael Stübgen (Frankfurt) Dr. Karl A. Lamers Eberhard Otto (Godern) (Heidelberg) Hans Raidel Edeltraut Töpfer Detlef Parr (B) Dr. Norbert Lammert Dr. Peter Ramsauer Dr. Hans-Peter Uhl (D) Helmut Rauber Gisela Piltz Barbara Lanzinger Peter Rauen Volkmar Uwe Vogel Dr. Andreas Pinkwart Karl-Josef Laumann Christa Reichard (Dresden) Andrea Astrid Voßhoff Dr. Hermann Otto Solms Gerhard Wächter Dr. Werner Lensing Hans-Peter Repnik Marko Wanderwitz Dr. Rainer Stinner Peter Letzgus Klaus Riegert Peter Weiß (Emmendingen) Carl-Ludwig Thiele Ursula Lietz Dr. Gerald Weiß (Groß-Gerau) Dr. Dieter Thomae Walter Link (Diepholz) Annette Widmann-Mauz Dr. Guido Westerwelle Dr. Klaus W. Lippold Franz Romer Klaus-Peter Willsch Dr. Claudia Winterstein (Offenbach) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Volker Wissing Dr. Klaus Rose Werner Wittlich Dr. Michael Luther Kurt J. Rossmanith Dagmar Wöhrl Fraktionslose Abgeordnete Dorothee Mantel Dr. Norbert Röttgen Elke Wülfing Volker Rühe Wolfgang Zeitlmann (Recklinghausen) (Weiden) Wolfgang Zöller Dr. Gesine Lötzsch (Altötting) Peter Rzepka Willi Zylajew Petra Pau

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ich rufe Tagesordnungspunkt I.14 auf: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einzelplan 05 Interfraktionell ist vereinbart, die heutigeTagesord- nung um die Beratung des interfraktionellen Antrags zu Auswärtiges Amt den ukrainischen Präsidentschaftswahlen auf Druck- – Drucksachen 15/4305, 15/4323 – sache 15/4265 zu erweitern und diesen jetzt als Zusatz- punkt 2 zusammen mit dem Einzelplan 05 aufzurufen. – Berichterstattung: Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so be- Abgeordnete Alexander Bonde schlossen. Lothar Mark Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13067

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Herbert Frankenhauser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (C) Jürgen Koppelin bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Über den Änderungsantrag der Fraktion von CDU/ CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auf den Einzel- Morgen findet derEU-Russland-Gipfel statt. Ich plan 05 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt glaube, es wäre in der Tat sehr klug, dort auch das worden. Thema Ukraine, das bisher nicht auf der Tagesordnung steht, zu behandeln. Es wäre sehr klug, nicht einen kon- Außerdem rufe ich den soeben aufgesetzten Zusatz- frontativen, sondern einen konstruktiven Versuch zu un- punkt 2 auf: ternehmen, Putin und die Russen einzubinden in eine Forderungsallianz gegenüber der Ukraine, um dem Beratung des Antrags der Fraktionen von SPD, Wählerwillen zum Durchbruch zu verhelfen, und Putin CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zu bitten, seine vielleicht etwas vorschnelle Gratulation FDP für den durch Manipulationen ausgerufenen Wahlsieger Fälschungen der ukrainischen Präsident-zurückzunehmen. schaftswahlen (Zustimmung des Abg. Volker Rühe – Drucksache 15/4265 – [CDU/CSU]) Wenn das gelingen würde, wäre das ein gutes, sichtbares Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die und wichtiges Zeichen für die Entwicklung einer ge- Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen meinsamen Politik, so wie es Wolfgang Schäuble heute Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Morgen angesprochen hat. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Abgeordnete Friedbert Pflüger. neten der FDP) Gestern war Richard Lugar, einer der führenden ame- (CDU/CSU): Dr. Friedbert Pflüger rikanischen Senatoren und Vorsitzender des Auswärti- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undgen Ausschusses, bei uns. Er war gerade in der Ukraine. Herren! Hunderttausende, ja 1 Million Menschen de-In den Gesprächen zwischen ihm und mehreren meiner monstrieren derzeit in Kiew bei klirrender Kälte gegen Kollegen haben wir festgestellt, dass wir in den hier zur massiv gefälschte Wahlen. Ich finde es gut, dass wir im Diskussion stehenden Punkten eigentlich sehr ähnlich Deutschen Bundestag unter allen Fraktionen Verständi- denken. Es ist zu überlegen, ob wir jetzt nicht zusammen (B) gung über einen gemeinsamen Antrag erzielt haben, über mit den Amerikanern und den anderen Europäern einen (D) den wir heute abstimmen, in dem wir unsereSolidarität Versuch unternehmen sollten, eine gemeinsame Linie zu mit den Demonstranten bekunden, Respekt vor dem finden, eine gemeinsame Politik zu entwickeln, die deut- Mut und dem Engagement der ukrainischen Zivilgesell- lich macht, wie wir mit den Verwerfungen, die in den schaft klar machen und die Überprüfung der Wählerlis- nächsten Tagen in der Ukraine zu erwarten sind, umge- ten und die Neuauszählung fordern. hen werden. Wir sollten dabei auf unsere polnischen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- Freunde hören – schließlich wissen sie am meisten über NIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) die Ukraine – und mit ihnen sowie den Vereinigten Staa- ten von Amerika versuchen, zusammen mit Putin, also In dieser Resolution fordern wir den Deutschen Bundes- nicht auf die Weise einer Konfrontation zwischen Ost tag und auch die Bundesregierung auf, auf allen Ebenen und West, einen Weg zu finden, der die Ukraine, dieses jede Möglichkeit zu nutzen, dem tatsächlichen Wähler- wichtige Land im Herzen Europas, stabilisiert und ihre willen zum Durchbruch zu verhelfen. Unabhängigkeit garantiert. Darauf kommt es in diesen Stunden an. Für uns ist heute die Kollegin nach Kiew gefahren. Sie ist zwischen in dort angekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie berichtet von einer sich zuspitzenden Lage unter den neten der FDP) Demonstranten. Außerdem berichtet sie, dass ihre bishe- Ich hoffe sehr, dass die Appelle an den Bundeskanz- rigen Gesprächspartner übereinstimmend gesagt haben, ler, die nicht nur aus unserer Fraktion, sondern auch aus man erwarte eine deutliche Präsenz der Europäischen den Reihen der Regierungskoalition ständig zu verneh- Union vor Ort. men waren, endlich Früchte tragen. Er muss generell (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sehr viel klarer Stellung zu dem nehmen, was russische der FDP) Politik heute leider in vielen Fällen ausmacht. Er sollte dabei deutlich machen, dass sich das nicht gegen eine Ich glaube, Frau Nolte hat Recht mit dieser Bemer- von uns allen gewünschte russisch-europäische Part- kung. Die EU muss sich nicht nur klar und deutlich äu- nerschaft – diese ist weiterhin ein zentrales Ziel unserer ßern, sondern dort auch präsent sein. Es muss klar sein: Außenpolitik – richtet. Wir wollen auch mit Putin gut Der tatsächliche Wählerwille muss zum Durchbruchzusammenarbeiten – eine Alternative dazu sieht ja kei- kommen und ohne diesen tatsächlichen Wählerwillen ner von uns – und Russland im Kampf gegen den isla- kann es keine Anerkennung der Regierung in mistischen der Terror in Tschetschenien zur Seite stehen. Ukraine geben. Aber es ist nicht in Putins Interesse, dass wir sozusagen 13068 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Friedbert Pflüger (A) jede Kritik außen vor lassen, wenn wir uns mit ihm tref- litik der Regierungskoalition gegenüber Russland ausse- (C) fen. Er hat schließlich genügend Jasager um sich herum. hen soll. Es ist doch der Bundeskanzler, der ständig sagt, unter (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Freunden müsse ein offenes Wort möglich sein. Dann soll er nun auch in wesentlichen außen- und innenpoliti- Am letzten Wochenende war Herr Kotscharjan, der schen Fragen ein offenes Wort mit Putin sprechen. Das Präsident von Armenien, in Berlin, um an einer Tagung erwarten wir jedenfalls von ihm. der Quandt-Stiftung teilzunehmen. Wir alle wissen, dass Armenien besonders gute Beziehungen zu Moskau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- pflegt. Trotzdem ist Kotscharjan – das wissen wir – über neten der FDP) die russische Politik im Südkaukasus nicht begeistert. Der Bundeskanzler hat aber das Gegenteil gemacht. (Markus Löning [FDP]: Mit Recht!) Das beklagen wir, nicht sein gutes Verhältnis zu Putin. Es ist richtig und wichtig, das anzustreben. Schließlich Er sagt: Russland verhindert eine regionale Zusammen- hatte auch Bundeskanzler Kohl ein gutes Verhältnis zu arbeit. Die georgische Außenministerin Surabischwili Gorbatschow und Jelzin. Aber ich glaube, dass es eben- sagt: Moskau spielt im Südkaukasus mit dem Feuer. Ali- falls wichtig ist, klar Stellung zu beziehen, wenn solche jew, der Präsident von Aserbaidschan, sagt: Russland in- Wahlfarcen wie in Tschetschenien geschehen. Claudia spiriert ethnische Konflikte in der Region, auch in Na- Roth von den Grünen hat zu Recht gesagt: Das wargornij Karabach, und Russland hält diese Konflikte am keine demokratische Wahl. Frau Sager, Fraktionsvorsit- Köcheln. zende der Grünen, hat gesagt: Wir haben eine andere Ich finde, das muss unter Freunden ein Thema sein. Einschätzung als der Kanzler und finden die Wahlen Darüber müssen wir mit n de Russen sprechen. Dazu nicht akzeptabel. Auch dieEuropäische Union hat die kann der Bundeskanzler cht ni einfach schweigen. Er Wahlen in Tschetschenien kritisiert. Aber der Bundes- sollte sich nicht darauf beschränken, zu sagen: Ich kanzler hat öffentlich gesagt: Das sind akzeptable Wah- glaube an Putin. Das reicht uns in diesem Parlament len gewesen. Was soll man glauben? Welches Bild ver- nicht; das reicht nicht nur der Opposition nicht, sondern, mittelt die Regierungskoalition nach außen, zum wie ich weiß, auch großen Teilen der Grünen nicht. Es Beispiel der Zivilgesellschaft in Russland, wenn mit so ist gut, dass der Bundeskanzler diese klare Botschaft er- völlig unterschiedlichen Zungen gesprochen wird? hält. Er soll seine Freundschaft pflegen. Wir wollen ein Das Gleiche gilt, wenn es um dieinneren Probleme gutes Verhältnis zu Russland. Aber wir wollen auch sa- Russlands geht. Putin hat angeordnet, dass die Gouver- gen dürfen, was wir denken. Wenn wir das nicht mehr neure künftig nicht mehr gewählt, sondern von ihm er- tun, dann ist das ein Zeichen von Schwäche. Das wird (B) nannt werden. Man stelle sich einmal vor, dass uns in im deutsch-russischen Dialog nicht helfen. (D) Deutschland die Ministerpräsidenten nicht mehr von den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bürgern gewählt, sondern vom Bundeskanzler ernannt werden sollten. Das wäre ein Verfassungsbruch. Herr Fischer, Sie fänden das sicherlich gut. Aber die Mehrheit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: der Deutschen würde das nicht gut finden; denn sie Herr Kollege Pflüger, ich darf Sie einen Moment un- möchte nicht so regiert werden wie in den rot-grün ge- terbrechen. – Ich sehe, dass vor den Kameras auf der Tri- führten Bundesländern. Sie möchte beispielsweise bes- büne Interviews gegeben werden. Das ist in diesem sere Bildungssysteme haben. Glauben Sie es mir! Raum nicht üblich. Hier wird nur das gefilmt, was an diesem Pult gesagt wird. Ich bitte Sie, das zu lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- (Beifall) NIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Aber unabhängig von diesem Einwurf: Die Absicht, die Von Russland zu China: Bei China ist Bild das ziem- Gouverneure in Zukunft zu ernennen, ist eine Revolu- lich ähnlich. Der Bundeskanzler ist nachChina gefah- tion. Das ist ein Verfassungsbruch, wie unser Kollege ren. Auch dazu muss man sagen: Es ist wichtig, mit Ryschkow in der Duma gesagt hat. China, einer aufstrebenden Weltmacht, ein gutes Ver- Bei „Beckmann“ sagte der Bundeskanzler, Putin sei hältnis zu haben. Natürlich ist das ein großer Markt. ein Musterdemokrat, ein lupenreiner Demokrat. FrauKeine Frage, wir wollen dort Geschäfte machen. An die- Göring-Eckardt von den Grünen sagt, für die strategi- ses Thema kann man nicht mit einem „Westminsterrigo- sche Partnerschaft mit Russland fehle es im Moment am rismus“ herangehen und sagen: In China muss übermor- Wertekonsens, die gelenkte Demokratie erinnere an sow- gen alles so sein, wie wir es uns vorstellen. Aber man jetische Verhältnisse. Was denn nun? Sowjetische Ver- wird doch wohl fragen dürfen, ob es richtig war, in hältnisse oder ein lupenreiner Demokrat? Zwischen die- China einseitig die Aufhebung des Waffenembargos an- sen beiden Einschätzungen klaffen Welten. Wir lassen zukündigen. Ihnen nicht durchgehen, dass Herr Schröder den Staats- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war be- mann gibt und mit Herrn Putin große Politik macht, stimmt nicht richtig!) während Sie zur Befriedigung einer bestimmten, ande- ren Klientel erklären, Sie hätten mit dieser Politik gar Auch dazu kann ich sagen: Das kritisieren nicht nur nichts zu tun. Sie müssen sich schon einigen, wie die Po- die Kollegen aus der CDU/CSU, sondern auch – das Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13069

Dr. Friedbert Pflüger (A) haben wir in den zuständigen Ausschüssen gesehen –ser NATO-Partner, sei nicht reif genug, gebrauchte Pan- (C) Abgeordnete der Regierungskoalition. Eine Abstim-zer zu bekommen. Aber offenbar ist sie reif genug, dass mung im zuständigen Ausschuss hatte zum Ergebnis,Verhandlungen über die Vollmitgliedschaft in der EU dass eine Mehrheit gegen diese Position des Bundes-aufgenommen werden. Das passt doch hinten und vorn kanzlers ist. nicht zusammen. Wie wollen Sie das eigentlich den Menschen draußen erklären? (Jörg van Essen [FDP]: Man sollte einmal nachlesen, was Herr Fischer dazu früher ge- (Beifall bei der CDU/CSU) sagt hat!) Machen Sie es doch so, wie es jetzt Präsident Chirac Anschließend stellte sich der Bundeskanzler mit seinem macht. Wenn man der heutigen Ausgabe des „Handels- Regierungssprecher hin und sagte, er nehme diese Posi- blattes“ glauben darf – ich tue das –, dann bemühen sich tion des Parlamentes zur Kenntnis, aber er bleibe bei sei- die Franzosen darum, das zu tun, was Frau Merkel vor- ner Linie. Gilt denn das Wort des Parlamentes, das wir hin in Ihrer Rede gesagt hat, nämlich einen Weg zwi- auch hier in einer Debatte vor kurzem zum Ausdruck ge- schen Vollmitgliedschaft und Scheitern der Verhandlun- bracht haben, so wenig? Das Waffenembargo hat seinen gen zu finden, eine besondere Form der Anbindung; wir guten Grund, gerade vor dem Hintergrund der Zuspit- nennen das „privilegierte Partnerschaft“. Machen Sie zung an der Straße von Taiwan. Für die Bundesrepublik das doch! Schreiben Sie es doch mit hinein und lassen Deutschland muss doch klar sein, dass sie das tut, was Sie die Ergebnisse offen! Lehnen Sie diese vernünftige auch die übrigen EU-Partner tun und was auch in diesem Politik, die noch einmal eine wichtige Sicherung im Ver- Hause Konsens ist, und dass sie den Chinesen nicht ein- hältnis zur Türkei sein kann, nicht aus dem einzigen fach nach dem Mund redet. Dass der Bundeskanzler das Grund ab, dass der Vorschlag von der CDU/CSU getan hat, ist ein Fehler gewesen. Herr Außenminister, kommt! sagen Sie doch bitte, wie Sie dazu stehen. Meine Damen und Herren, auch auf einem anderen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gebiet sollten Sie noch einmal überprüfen, ob wir nicht der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: doch die richtige Linie vertreten. Das liegt in der Ackerfurche!) (Jörg Tauss [SPD]: Rumgeeier!) Herr Bundesaußenminister, Sie haben 1996, als Sie noch Oppositionspolitiker waren, im Bundestag gesagt, Ich finde es richtig, Herr Bundesminister, dass Sie in und zwar völlig zu Recht: Scharm al-Scheich waren. Ich finde gut, was in Scharm al-Scheich beschlossen worden ist. Das entspricht unse- Wir werden eine friedliche Entwicklung Chinasrer Forderung, die unmittelbaren Nachbarn des Irak in (B) (D) nicht bekommen, wenn wir vor allen Dingen auf den Prozess einzubinden. Ich finde auch völlig richtig, das Geschäft setzen … deswegen müssen wir mit dass wir Polizei- und Soldatenausbildung im Irak betrei- den Chinesen unnachgiebig über Menschenrechte, ben und dass wir jetzt endlich beginnen, deutlich zu ma- über tibetische Kultur und über den Schutz vonchen, auf welcher Seite wirwirklich stehen, nämlich Minderheiten in China sprechen. Wenn das Auf-nicht auf der Seite der feigen Terroristen, die dort mor- träge kostet, dann kostet es eben Aufträge. den, sondern auf der Seite der irakischen Regierung, die von der UNO unterstützt wird, der Regierung, die jetzt Ich will überhaupt nicht, dass das Aufträge kostet. Ich Wahlen vorbereitet. Es ist ganz wichtig, dass wir uns mit glaube auch nicht, dass das im Interesse der Wirtschaft diesem Prozess ganz eindeutig identifizieren. Nur wenn ist, die langfristig und in unser aller Interesse gute Ge- dieses klare Signal des ganzen Westens im Irak an- schäfte in China machen möchte. Nur, wenn man nicht kommt, haben wir eine kleine Chance, den Irak wirklich auch auf Menschenrechte und Demokratie in China ach- zu befrieden. tet – nicht in dem Sinne, dass übermorgen alles erreicht sein muss, aber im Sinne einer kontinuierlichenDass wir jetzt auf diesemWeg Fortschritte machen, Entwicklung –, dann wird man in China keinen langfris- auch in der Entschuldungsfrage – darüber ist heute schon tig stabilen Partner haben. Deswegen schließt es sichgeredet worden –, finden wir gut und richtig, aber ich überhaupt nicht aus, glaube ich, auf der einen Seite für würde Sie bitten, in einem Punkt – da hat der Bundes- Menschenrechte einzutreten und auf der anderen Seite kanzler gleich wieder versucht, hier eine Konfrontation mit diesem aufstrebenden und wichtigen Land Geschäfte aufzubauen, so als wollten die einen Kampftruppen hin- zu machen. schicken und die anderen nicht – noch einmal nachzu- Ein Punkt zum Thema Türkei. Auch dabei sehen wir denken. Die NATO hat beschlossen, eine Ausbildungs- immer wieder Widersprüche. Der Kollege Nachtwei von mission für Offiziere im Irak durchzuführen. Sie den Grünen, verteidigungspolitischer Sprecher, hat in kommt damit dem Wunsch der Iraker nach, die nämlich der „taz“ am 20. November erklärt, er sei gegen die von sagen: Wir wollen keine weiteren ausländischen Solda- Bundesminister Struck gewünschte Lieferung von ge- ten. Wir wollen auch keine deutschen Soldaten. Wir wol- brauchten Leopard-2-Panzern an die Türkei. Die Türkei len unsere eigenen Leute ausbilden. – Dann hat die Bun- sei dafür nicht reif, die Lage der Menschenrechte müsse desregierung in den Verhandlungen bei der NATO sich erst „unumkehrbar stabilisiert“ haben. richtigerweise sehr sorgfältig darauf geachtet, dass man zwischen dieser Ausbildungsmission und den Koali- Herr Kollege Nachtwei, erklären Sie mir doch einmal, tionstruppen klar trennt, dass man nur höhere Offiziere wie das zusammenpassen soll! Sie sagen, die Türkei, un- ausbildet und nicht sozusagen in die Breite geht. Sie hat 13070 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Friedbert Pflüger (A) das Mandat der NATO genau bestimmt. Sie stellt auch sen, was in der Ukraine an Richtigem geschieht, mit par- (C) Geld zur Verfügung. Sie stimmt diesem Einsatz letztlich teipolitischen Zielen vermengt haben. zu, sagt aber dann: Die wenigen deutschen Soldaten, die in dem NATO-Stab, der die Ausbildung durchführen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten soll, sitzen, müssen draußen bleiben. Die Frage ist, ob des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das eine kluge Politik ist, oder ob es angesichts der Tat- sache, dass man multilateral tätig sein und seine Bünd- Ich will Ihnen, lieber Kollege Pflüger, auch sagen, wa- nisverpflichtungen wahrnehmen will und den Amerika- rum das nicht angemessen war. In der Ukraine kämpfen nern immer wieder sagt, dass sie die NATO nicht wiein diesen Stunden Demokraten darum, dass sich die eine Toolbox, also wie einen Werkzeugkasten, benutzen Werte der Demokratie durchsetzen. Sie verbinden damit sollen, indem sie sich nur das herausgreifen, was siedie Hoffnung auf einen tief greifenden Wandel. Das ist wollen – ein historischer Moment, in dem sich die Ukraine gegen- wärtig befindet. Dieser historische Moment wird davon bestimmt, dass es in zwei oder drei Stunden passieren Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: könnte, dass die nationale Zählkommission an die Öf- Herr Kollege Pflüger, achten Sie bitte auf die Zeit. fentlichkeit tritt und das Wahlergebnis, das sie sich wünscht und durch Manipulationen herbeigeführt hat, Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): verkündet. – ich komme zum Schluss –, nicht klüger wäre, Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann von uns NATO-Stäbe nicht auseinander zu reißen. Das ist, wie nicht hingenommen werden, dass jemand aufgrund von ich glaube, dringend erforderlich. Der NATO-Generalse- Wahlfälschung bzw. -manipulationen zum Präsidenten kretär hat ja vor wenigen Tagen klipp und klar gesagt: ausgerufen wird, der nicht vom Volk getragen ist. Das (Jörg Tauss [SPD]: Der Kanzler auch!) können wir nicht akzeptieren. Die Deutschen können nicht ständig fordern, in allen Stä- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ben vertreten zu sein, aber dann, wenn es ernst wird, sa- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gen, sie ließen ihre Soldaten außen vor. Es besteht völliger CDU/CSU) Konsens darüber, dass keine Kampftruppen in den Irak geschickt werden sollen. Aber wenn ein NATO-Stab zu Gerade darum geht es. Es sind Hunderttausende von Ausbildungszwecken dort hingeschickt werden soll – – Menschen, die gegenwärtig in Eiseskälte auf den Stra- ßen Farbe bekennen, übrigens nicht nur in Kiew, sondern (Zurufe von der SPD: Seit wann das denn?) – man höre und staune – auch in Charkiw. Dort gab es (B) (D) – Darüber bestand immer und besteht Konsens. gestern Demonstrationen mit Zehntausenden von Men- schen. Diese gab es in Lwiw, sie gibt es in Sumy und Tscherkassy. Das heißt, die ganze Ukraine ist in Aufruhr Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: und die Bevölkerung will sich die Demokratie friedlich Herr Kollege Pflüger, Sie können darüber nicht weiter auf den Straßen erkämpfen. Das unterstützen wir ganz debattieren. Ihre Redezeit ist überschritten. klar in einer gemeinsamen Erklärung des Deutschen Bundestages. Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Meine Redezeit ist zu Ende. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ich sage abschließend: Wir sollten den Versuch ma- CDU/CSU) chen, einen wirklichen Neuanfang im transatlantischen Verhältnis zu unternehmen, im Iran nicht Fehler der Ver- Vor diesen Hunderttausenden hat Wiktor gangenheit wiederholen und gegenüber dem Irak einen Juschtschenko letzten Montag – Jelena Hoffmann war Kurs fahren, der dem jetzt in Scharm al-Scheich verkün- dabei – Folgendes gesagt: Der Wille des Volkes kann deten Kompromiss entspricht. Dann gäbe es mehr Kon- nicht gebrochen werden und seine Stimmen können sens in der Außenpolitik als in der Vergangenheit. Das nicht gestohlen werden. Das hat der vom Volk gewählte täte unserem Land gut. Präsident gesagt. Wenn ein anderer ausgerufen wird, der zugleich anderswo, nämlich in Moskau, zum Gewinner Vielen Dank. der Wahl erklärt wird – jetzt denken wir eine Sekunde (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- darüber nach, er würde nicht nur ausgerufen, sondern neten der FDP) wirklich die Bürde des Präsidentenamtes übernehmen –, stellt sich die Frage, waser für ein Präsident wäre. Er wäre ein Präsident von Moskaus Gnaden. Er wäre ein Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Präsident, der keine legitime Grundlage für sein Handeln Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Weisskirchen. hat. Er wäre ein Präsident, dessen Autorität auf Wahlfäl- schungen beruhen würde. Er wäre ein Präsident, der in- Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): ternational keinen Kredit für die Ukraine gewinnen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! könnte. Was wäre das für ein Präsident, der dann die Lieber Herr Dr. Pflüger, ich finde, dass es nicht ganz an- Ukraine anführen und repräsentieren würde? Das ist eine gemessen war, wie Sie in Ihrer Rede die Würdigung des- schreckliche Vorstellung. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13071

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) Wir, der Deutsche Bundestag, wollen, dass derpoli- zen hinweg, zwischen der polnischen Ostgrenze und der (C) tische Wille des ukrainischen Volkes, der sich bei den westlichen Grenze der Ukraine. Es erinnert an die Beski- Wahlen am letzten Sonntag so überzeugend und deutlich den, Galizien und die Bukowina des Manès Sperber, des gezeigt hat und der gegenwärtig zum Ausdruck gebracht Paul Celan und der Rose Ausländer, literarische Regio- wird durch Zehntausende, Hunderttausende Menschen, nen. Die Republik macht schon seit Jahrzehnten deut- die friedlich, zurückhaltend und ohne Gewalt anzuwen- lich, dass sie zu Europa gehören will. Diese Tradition den auf den Straßen sind, ungehindert, ungeschmälert lebt noch immer. und unverfälscht anerkannt wird. Das ist unsere Forde- Es ist die Aufgabe des Deutschen Bundestages, die rung an die Behörden. Ängste in dieser Region zu beachten. Was geschieht mit den (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ukrainern – so fragt beispielsweise Andruchowytsch –, DIE GRÜNEN) wenn die Ungarn, Slowaken und Polen im „eigentlichen Europa“ verschwinden? Die Angst in dieser Region ist, Unser Ziel – auch das muss klar sein – muss dabei un- eingegrenzt und verbarrikadiert zu sein, weil es keinen verändert sein: Wir wollen eine freie, unabhängige, sou- neuen Zugang zu Europa gibt. veräne, rechtsstaatliche, demokratische Ukraine. Auch die anderen Ziele, die wir bislang – dankenswerterweise Wir müssen deutlich machen, dass wir auf die oran- durch den Bundeskanzler und den Bundesaußenminister gene Revolution neugierig sind. Wir wollen mit den vertreten – deutlich gemacht haben, bleiben unverändert. Menschen kooperieren. Wir wünschen, dass dieser fried- Deutschland und Europa haben ein ungebrochenes ge- liche und demokratische Prozess dazu führt – dafür hat meinsames Interesse daran, dass die Ukraine und Russ- sich das Volk am letzten Sonntag in freier Selbstbestim- land gute Nachbarn sind. Wir können kein anderes Inte- mung entschieden –, dass die Ukraine einen Platz in der europäischen Familie derDemokratien findet. Darum resse haben. geht es und dafür streiten wir. Wir befinden uns in der Tat in einem historisch ent- Wir hoffen sehr, dass auch in diesen Stunden dieser scheidenden Moment. Weil wir alle gemeinsam dieses Weg ein Weg ohne Gewalt ist, dass er zum Frieden führt Interesse haben und auch Moskau dieses Interesse haben und der Ukraine einen festen Platz innerhalb der Familie muss, darf die Ukraine nicht zum Spielball irgendwel- der europäischen Demokratien sichert. cher Interessengruppen, wo auch immer diese sind, wer- den. Dieses Schicksal hat die Ukraine schon sehr viele (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Jahre erleiden und erdulden müssen. Es ist erst 13 Jahre des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) her, dass die junge, neue Ukraine überhaupt ins politi- sche Leben getreten ist. Das ist eine kurze Phase in der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (B) Geschichte der Ukraine. Sie knüpft an eine frühere Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der Libe- (D) Epoche an. Anfang der 20er-Jahre gab es einmal eineralen, Wolfgang Gerhardt. ganz kurze Phase der Selbstständigkeit in ihrer Ge- schichte. Damals hat sie so etwas wie die erste Vorstufe der Demokratie erfahren können. Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Was gegenwärtig auf den Straßen von Kiew, Sumy, Kollege Weisskirchen, was Sie zu den Wünschen in Be- Tscherkassy und anderen Orten geschieht, stellt einen zug auf die Ukraine vorgetragen haben, ist hier völlig historischen Moment dar. Es hat noch nie ein solch uner- unstreitig. hörtes Ereignis in der Geschichte der Ukraine gegeben, dass die Menschen selbst sagen: Wir wollen unser politi- (Peter Hintze [CDU/CSU]: Ja!) sches Schicksal in die eigene Hand nehmen. Ich führe doch diese Debatte nicht, um Sie zu Ihrem Das strategische Ziel, eine bessere, kooperativere Be- überzeugenden Beitrag über die Demokratie in der ziehung der Ukraine zu Moskau als zu Europa herzustel- Ukraine zu beglückwünschen. Unter uns müssen wir len, weil die Beziehung zu Moskau wichtiger sei, istdarüber nicht reden. Wir müssen aber mit der Bundesre- grundfalsch. Wir müssen überall in Europa dafür sorgen, gierung darüber reden, was sie zu tun gedenkt, um dem dass wir alle miteinander gute Nachbarn sind; denn wir russischen Präsidenten klar zu machen, dass er aufhö- brauchen unser gemeinsames Europa nicht wegen eines ren soll, sich dort einzumischen. Darum geht es. hegemonialen Gefälles, sondern damit alle Menschen in (Beifall bei der FDP und der CDU/ Europa die Chance haben, als gute Nachbarn und in glei- CSU – Peter Hintze [CDU/CSU]: Sehr rich- cher Weise unabhängig, frei und demokratisch leben zu tig!) können. Deswegen unterstützen wir heute den gemeinsa- men Antrag des Deutschen Bundestages. Wir wollen gute Beziehungen zu dem russischen Prä- sidenten unterhalten. Wir müssen ihm aber auch sagen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wie wir die Lage sehen, damit er unsere Einschätzung DIE GRÜNEN) von den Ereignissen um uns herum kennt. Er hat keine Kultur des Rechtsstaates in Russland entwickelt. Er hat Ich möchte gerne jemanden zitieren, der für die junge, vielmehr staatlich interveniert, um einen Mann mithilfe neue Ukraine steht. Es gibt einen Schriftsteller, Juri der Staatsanwaltschaft, der Justiz und der Polizei verhaf- Andruchowytsch, der gemeinsam mit Andrzej Stasiuk ten zu lassen. ein wunderbares Buch mit dem Titel „Mein Europa“ ge- schrieben hat. Damit bahnt sich etwas an, über die Gren- (Peter Hintze [CDU/CSU]: Jawohl!) 13072 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Nun wird gegen diesen Mann ein Prozess geführt, der Courage haben, machen Sie es. Sie haben schon reich-(C) rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn spricht. lich zum Waffenembargo geschwiegen, als es damals ausgesprochen wurde. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der russische Präsident hat Fernsehanstalten aufkau- fen lassen, um die Meinungsvielfalt zu unterdrücken. Er Damit will ich auf Folgendes hinaus: Wir haben in der hat die Opposition im Wahlkampf praktisch beiseite ge- Außenpolitik viele große Linien der Gemeinsamkeiten. drängt. Er hat zwar die Menschenrechtsverletzungen in Aber allmählich ist es für die Bundestagsfraktion der Tschetschenien zur Kenntnis genommen, aber nur zöger- Freien Demokraten nicht mehr hinnehmbar, dass im Ge- lich diejenigen Angehörigen seines Militärs zur Rechen- gensatz zu allen früheren Äußerungen gegenüber der schaft gezogen, die dazu beigetragen haben, dass diese Vorgängerregierung jetzt bei denen, die man sich als nä- Menschenrechte verletzt worden sind. here Partner ausgesucht hat und mit denen man rechnen muss, stillschweigend über die großen Fragen wie die (Zuruf von der FDP: Der Außenminister der Menschenrechte und der Menschenwürde hinwegge- schweigt!) gangen wird und auf die Milde der Opposition gebaut wird, dass wir das nicht zur Aussprache bringen. Die Das alles ergibt kein Bild eines lupenreinen Demokra- Kollegen aus Koalitionskreisen behaupten dazu, wir hät- ten. Das ist vielmehr das Bild eines Mannes, der zwar ten nicht den nötigen internationalen Respekt und das um die Schwierigkeiten weiß, die ihm ein Land mit acht nötige Feingefühl. Zeitzonen bereitet, der aber gegenwärtig einen Weg ein- schlägt, von dem wir gewünscht hätten, dass er ihn nicht Für eine erwachsene Demokratie, für ein Land, das in gehen würde. Wir hatten uns einen anderen, nämlich ei- die EU eingebettet ist und nach dem Willen der Regie- nen offeneren und internationaleren, Weg Russlands vor- rung einen Sicherheitsratssitz in den Vereinten Nationen gestellt. anstrebt, ist eine gepflegte offene Aussprache mit denje- nigen, die wir als Partner betrachten, wichtig. Das muss (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) im deutschen Parlament einmal ausgesprochen werden. Das ist heute notwendiger denn je. Unsere Vorstellungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, müssen ihm mitgeteilt werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Als noch nicht Außenminister war, hat er in einer Debatte einmal zu Helmut Kohl gesagt, Die Ukraine ist unser Nachbar. Mitglieder der EU dass man zu dem Tschetschenienkonflikt und zu der grenzen an dieses riesengroße Land. Der russische Präsi- (B) Lage der Demokratie in Russland keine geduckte Hal- dent kann doch nicht annehmen, dass wir zu all den Ein- (D) tung einnehmen könne. Damals waren Kohl und Jelzin flussnahmeversuchen, die er schon früher unternommen die Akteure. Tauschen Sie Jelzin durch Putin und Kohl hat, schweigen. Die Ukraine ist ein Land, in das wir im durch Schröder aus. Interesse Russlands und der Europäischen Union nach- barschaftlich mit Hilfen an das Land bei seinen Demo- Wer in der Sendung „Beckmann“ für die Weltöffent- kratisierungsanstrengungen hineinblicken sollten. Wenn lichkeit das Testat abgibt, es handele sich bei dem russi- die Europäische Union jetzt ein Treffen mit Russland ab- schen Präsidenten um einen lupenreinen Demokratenhält, sollte Russland klar vermittelt werden, dass die – es handelt sich im Falle des Bundeskanzlers um eine Werte, zu denen sich im Übrigen auch der russische Prä- hochkarätige Meinung –, der verhält sich nicht so, wie sident in internationalen Abkommen verpflichtet hat, das die Stellungnahmen der EU, der OSZE, des amerika- für beide Seiten gelten sollten. Wenn ein Land anders nischen Präsidenten, vieler Wahlbeobachter und Nichtre- wählt, als sich das eines der anderen Länder vorgestellt gierungsorganisationen sowie der oppositionellen Kräfte hat, gilt es, das Ergebnis zu respektieren. Offenheit in in Kiew erforderlich machen. Warum hat der Bundes- der Aussprache sollte doch unter lupenreinen Demokra- kanzler das getan? Das dient doch nicht dazu – auch wir ten üblich sein. Anders kann ich mir das nicht vorstellen. wünschen gute Beziehungen –, die Beziehungen zu Das gilt auch für die Aussprache mit dem chinesi- Russland zu verbessern. Das dient doch eher dazu, je- schen Regierungschef. Es ist immer gut, wenn die ande- manden im Unklaren darüber zu lassen, was unsere Vor- ren wissen, wie wir denken. Sie können ja andere Vor- stellung über seine Herrschaftsausübung ist. stellungen haben; aber sie können nicht verlangen, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wir ruhig sind, wenn es um Demokratie, Menschen- der CDU/CSU) würde, Transparenz, Rechtsstaat und die Kultur des Rechtsstaats geht. Das muss man wissen. Ich finde, wer mit uns umgeht, sollte unsere Vorstellung kennen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Das wollte ich zu diesem Punkt sagen. Kastner) Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt heute: Ich könnte jetzt mühelos ein Zitat zu China von Ih- Die ukrainische Krise ist eine Bewährungsprobe für nen, Herr Außenminister Fischer, aus Ihrer Nichtaußen- das neue Europa und es ist ein Lackmustest für die ministerzeit hinzufügen. Das könnten Sie dem Bundes- viel gepriesenen guten deutsch-russischen Bezie- kanzler auf die Reise nach China mitgeben. Wenn Sie hungen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13073

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Das ist es. Vor dieser Aufgabe steht jetzt die Bundesre- Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) gierung. Die muss sie wahrnehmen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die au- ßenpolitische Diskussion der letzten Wochen wird ge- Wir haben in der Außenpolitik – das will ich im Tele- prägt durch drei personelle Entscheidungen bzw. Bestä- grammstil sagen – immer Problemlagen. Das ist jetzt so tigungen: die in Washington, die in Kiew und die in eine. Wir haben Chancen im Iran, in Israel und in Paläs- Ramallah. tina und Wiederanknüpfungspunkte zu besseren Bezie- hungen zu den Vereinigten Staaten. Diese Chancen kön- Die Entscheidung in Washington ist für uns völlig nen wir jetzt wahrnehmen, wenn auch Skepsis dahineindeutig: Präsident Bush ist mit einer klaren Mehrheit gehend besteht, ob im Iran die Erwartung, die dort schon wieder gewählt worden; daran gibt es nichts zu deuteln. einmal geäußert worden war, eingehalten wird. Es fragt Noch ist offen, was er mit diesem politischen Kapital an- sich, ob wir wirklich dieses Window of Opportunity öff- zufangen gedenkt. Wir sind mehr als bereit, die transat- nen können, das sich zwischen Israel und den Palästi- lantischen Spannungen der letzten Jahre zu überwinden. nensern jetzt auftun könnte. Es muss von unserer Seite Dazu bedarf es aber jetzt in erster Linie klarer Signale aus darauf gedrängt werden. Das tut der Außenminister; aus Washington selbst. ich bestätige das hier gerne. Aber auch die zweite Bush- Administration muss von der Europäischen Union ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN drängt werden. Wenn jetzt nicht mit allem Engagement und bei der SPD) darauf hingearbeitet wird, dass es dort zu einer Lösung Die ersten Entscheidungen sind widersprüchlich. Zu kommt, verlieren wir unendlich viel Zeit. begrüßen ist das Bekenntnis zur Implementierung der Ich komme gleich zum Schluss, möchte aber noch Konfliktregelung für den Nahen Osten auf der Basis der fragen: Hat sich eigentlich inAfghanistan ein neues Roadmap. Skeptisch stimmt uns hingegen eine andere Provincial Reconstruktion Team eingefunden? Entscheidung. Wir hoffen, dass der zum Justizminister berufene ehemalige Rechtsberater des Weißen Hauses, (Dr. Peter Struck, Bundesminister: Ja!) Gonzales, seine in Gutachten für den Präsidenten geäu- ßerte Auffassung, dass die Funktion des Oberbefehlsha- Eines? bers diesen von allen völkerrechtlichen Restriktionen (Dr. Peter Struck, Bundesminister: Ja!) entbinde, nicht zur Maxime seiner Amtsführung machen wird. Ebenso hoffen wir, dass die designierte Außenmi- – Das ist aber viel. nisterin die angekündigte Politik der Entspannung ge- (Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- genüber Europa durchsetzen kann. Die Welt braucht die NEN]: Sie wollten keines! Sie waren immer Vereinigten Staaten, die in kooperativem Geist mit der (B) für null!) internationalen Staatengemeinschaft zusammenarbeiten (D) und nicht unilateralen und isolationistischen Tendenzen Ich frage immer wieder in Abständen nach, weil dasfolgen. In diesem Sinne sind wir bereit für einen „fresh Land groß ist, immer noch vor Problemen steht und es start“. nur millimeterweise vorangeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von NEN]: Sie wollen Afghanistan sich selbst der CDU/CSU: Oh!) überlassen, ganz liberal das Chaos ausbrechen lassen! Liberalität gleich Anarchie! – Kurt – Ich glaube, unter diesem Begriff wird das Programm in Bodewig [SPD]: Was wollten Sie mit Ihrer den USA diskutiert; das war ein Zitat. Frage jetzt bezwecken?) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Weißt du Wie ist die Lage im Kosovo nach den Wahlen? Wie es oder weißt du es nicht? – Dr. Klaus Rose schätzt die Bundesregierung das weitere Vorgehen im [CDU/CSU]: Nehmen Sie dafür auch ein Vi- Rahmen des Balkanstabilitätspaktes ein? Was wird dort sum?) politisch weiterbewegt? Die Beziehungen zu Russland verkomplizieren sich Eine weitere Frage im Telegrammstil: Glaubt diein der Tat. Wir führen die Diskussion über die russische Bundesregierung, dass sie die Haltung, im Irak selbstInnenpolitik und die russische Regionalpolitik seit den keine Ausbildung der Sicherheitskräfte vornehmen zu grauenhaften Terroranschlägen in Beslan wieder in ver- können, durchhalten kann, wenn es dereinst eine legiti- schärfter Form. Wir sind uns hier einig, dass die Terror- mierte, gewählte irakische Regierung geben sollte? anschläge in Beslan durch nichts, aber auch überhaupt nichts zu rechtfertigen sind. Sie sind auch nicht durch Zu diesen Fragen könnte im Rahmen der Debatteeine falsche Politik Moskaus in Tschetschenien zu recht- noch einmal Stellung genommen werden. fertigen. Dennoch hat diese Katastrophe den Blick auf Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. die russische Tschetschenienpolitik gelenkt und auch darauf, welche innenpolitischen Konsequenzen aus dem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) – notwendigen – Programm, sich an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu beteiligen, gezogen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wurden. Wir sehen schon mit einer gewissen Sorge, dass Das Wort hat der Kollege Ludger Volmer, Bünd-zahlreiche Errungenschaften der Ära Gorbatschow, nis 90/Die Grünen. Glasnost und Perestroika, wieder zurückgenommen 13074 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Ludger Volmer (A) werden. Wir hoffen, dass sie nicht gegen null zurückge- mit können doch nur die demokratischen gemeint gewe- (C) führt werden. sen sein. (Markus Löning [FDP]: Sieht das der Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kanzler auch mit Sorge?) und bei der SPD) Ebenfalls mit einigem Stirnrunzeln sehen wir, dass Wenn Sie meinen, Sie müssten den Bundeskanzler zu Präsident Putin im Vorfeld der Wahlen in der Ukraine einer öffentlichen Stellungnahme gegen Putin provozie- nicht nur aufgetreten ist, sondern auch stark Einfluss ge- ren, dann müssen Sie sich auch genau überlegen, ob Sie nommen hat, und zwar zugunsten des Kandidaten, dem die Konsequenz daraus wirklich wollen. Der Bundes- nun massive Wahlfälschungen vorgehalten werden müs- kanzler ist im Moment die Person mit dem besten Zu- sen. Das sehen wir mit Stirnrunzeln und Argwohn. gang zu Putin. Ich weiß aus eigenem Erleben, dass in den Gesprächen, die der Bundeskanzler mit Putin führt, Der Deutsche Bundestag, der Auswärtige Ausschuss alle diese schwierigen Fragen – Tschetschenien, die in seiner gestrigen Sitzung wie auch die Bundesregie- Ukraine und viele andere strittige Dinge – in größter rung haben eindeutige Erklärungen zu denWahlen in Offenheit angesprochen werden. der Ukraine abgegeben. Ich kann mich dem flammen- den Appell zur Durchsetzung der Demokratie und zur (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Solidarisierung mit den Demokraten in der Ukraine, den DIE GRÜNEN und der SPD) Kollege Weisskirchen gerade an uns gerichtet hat, nur anschließen. Wir werden selbstverständlich dem ge- Der offene Dialog, den Sie einfordern, findet längst meinsamen Antrag der vier Fraktionen im Bundestag zu- statt. Der Bundeskanzler würde wahrscheinlich einen stimmen. großen Fehler machen, wenn er auf Ihre Provokation einginge und sich durch eine falsche öffentliche Tonlage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den guten Gesprächsfaden nach Moskau abschneiden und bei der SPD) ließe. Man muss sich aber auch einmal den Standpunkt der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN russischen Politik selber zu Eigen machen. Schauen Sie und bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: Das ist sich die Welt aus Moskauer Sicht an! Sie sehen eine doch deren Absicht!) wachsende, sich erweiternde, sich vertiefende Europäi- sche Union. Als prominenter Politiker in Moskau wissen – Das ist deren Absicht. Sie, dass sowohl Russland wie auch Weißrussland wie Frau Merkel fragte heute Morgen, warum der Bun- auch die Ukraine oder andere GUS-Staaten in absehba- (B) deskanzler, wenn er doch in Moskau so offen redet, nicht (D) rer Zeit nicht einmal in Diskussionen über eine Erweite- genauso offen mit Bush in derIrakfrage geredet habe. rung der Europäischen Union einbezogen werden kön- Damit wären wir bei dem Punkt – Herr Pflüger, auch Sie nen. Keiner kann sich im Moment vorstellen, dass auch haben ihn gerade aufgegriffen –, über den wir im letzten diese Länder dazugehören könnten. Deshalb ist es aus Jahr diskutiert haben. Der Unterschied ist folgender: In deren Perspektive nahe liegend, Anstrengungen zu un- Moskau sind die Dinge im Fluss und eine gute und ge- ternehmen, sich zusammenzuschließen und zu formie- zielte Gesprächsführung kann beeinflussend wirken. In ren. Wir haben ein Interesse daran, dass die Nachbar- Washington war damals nichts im Fluss. Es gab auf der schaft zwischen diesen Ländern gut bleibt. Wir haben einen Seite die gute Kooperation, die keiner weiteren darüber hinaus ein Interesse daran, dass sie dort einen Gespräche bedurfte. Sie lief während des gesamten Irak- starken Bund oder ein Bündnis, wie locker auch immer, konflikts und läuft heute noch weiter. Auf der anderen bilden. Wir haben aber auch ein Interesse daran, dass Seite hatte es bezüglich des Iraks längst den finsteren dies auf der Basis des formulierten Volkswillens in den Entschluss gegeben, den Krieg auf jeden Fall zu führen, beteiligten Ländern geschieht, also auf der Basis von auch wenn es für ihn keine Grundlage gab. Was hätte in Demokratie. dem Moment das Gespräch der Europäer genutzt? (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wann haben loch] [SPD]) es die Europäer geführt?) Deshalb muss auch mit Präsident Putin darüber ge- sprochen werden, welche Kräfte er in den Nachbarstaa- Wären die Amerikaner von ihrem Plan zur Kriegsfüh- ten unterstützt und welchen Einfluss dies auf das imrung abgerückt? Hätten sie nur einen halben Krieg ge- Prinzip von uns gewünschte nachbarschaftliche Verhält- führt? Vielleicht, auf jeden Fall aber hätten sie die Euro- nis hat. päer in den Krieg hineingezogen. Das Ergebnis wäre gewesen – dazu haben Sie sich als CDU/CSU immer be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kannt –, dass nicht nur dieEuropäer, sondern dass auch und bei der SPD) die Bundesrepublik Deutschland, die Bundeswehr an diesem Kampfeinsatz teilgenommen hätte. Dagegen wa- Das hat im Übrigen der Bundeskanzler heute Morgen ren wir und einen solchen Gesprächsinhalt haben wir im- nicht anders gesagt; vielleicht haben Sie nur nicht richtig mer abgelehnt. hingehört. Der Bundeskanzler hat auf die Frage, wie er es sich vorstellt, geantwortet: Selbstverständlich muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich Präsident Putin auf die richtigen Kräfte stützen. Da- und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13075

Dr. Ludger Volmer (A) Um es ganz deutlich zu Ende zu deklinieren: Das Er- die palästinensische Seite selbst, nun aufgefordert, einen (C) gebnis Ihrer Politik wäre, dass heute auch unsere Söhne Neubeginn zu wagen und alles in ihrer Kraft Stehende zu und Töchter im Irak von Granaten in einem Krieg zer- unternehmen, um auf der Basis Roadmap der die fetzt würden, Lösung des Konflikts mit der Perspektive der Zweistaat- lichkeit herbeizuführen. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nein!) Damit bin ich am Beginn meiner Ausführungen zur für den es nicht die geringste Rechtfertigung gibt. Das Kooperation mit den USA. Wir wissen, dass die USA in wäre die Konsequenz Ihrer Politik, wenn die CDU/CSU diesem Kontext die wichtigste Kraft sind. Wir hoffen, damals die Außenpolitik hätte bestimmen können. dass die USA ihre Interessen erkennen und einsehen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und bei der SPD) nur dann erfolgreich geführt werden kann, wenn dieser zentrale Konflikt in der arabisch-islamischen Welt gelöst Zum Glück haben der Bundeskanzler, der Außenminis- wird. Wir hoffen, dass es in Washington zu einer Um- ter und die rot-grüne Koalition eine solch fatale Ent-orientierung kommt. Es gibt Anzeichen dafür, dass dies wicklung verhindert. der Fall sein könnte. Wir sind bereit, zusammen mit den USA an einer neuen Sicherheitsstrategie, an einer Strategie, die insbe- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sondere auf die Einbeziehung der Türkei in die Euro- Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. päische Union setzt, zu beiten. ar Es gibt viele gute Gründe für die Aufnahme der Türkei in die Europäische Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Union, die historisch gewachsen sind, und es gibt das si- Wir Europäer wären auf jeden Fall dabei, und die cherheitspolitische Argument, über das wir schon mehr- Bundesregierung, die viele Initiativen in dieser Richtung fach diskutiert haben. ergriffen hat, sowieso. Die Bundesregierung hat die Wenn ich die Haltung der Union betrachte, habe ich Grundlinien der deutschen Außenpolitik in den letzten den Eindruck: Es ist nicht Europa, welches überdehnt Jahren exzellent umgesetzt. Das wird sie auch weiterhin wird, es ist nicht die Europäische Union, die durch den exzellent tun. Deshalb werden wir diesen Haushalt Beitritt der Türkei überdehnt wird, es ist die Christlich selbstverständlich bewilligen. Demokratische Union Deutschlands, die durch einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beitritt der Türkei überdehnt wird. Während sich auf der und bei der SPD) einen Seite die CSU noch am letzten Wochenende ein- stimmig, wie ich vernommen habe, dafür ausgesprochen (B) (D) hat, dass die Türkei der Europäischen Union nicht bei- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: treten darf – wenn dieses Ergebnis ohnehin feststeht, Das Wort hat der Kollege Peter Hintze, CDU/CSU- frage ich mich allerdings, warum Sie so tun, als würden Fraktion. Sie noch verhandeln –, gibt es auf der anderen Seite (Beifall bei der CDU/CSU) namhafte Außenpolitiker in der CDU/CSU-Fraktion, die durchaus für einen Beitritt der Türkei bzw. zumindest für (CDU/CSU): die Aufnahme von Verhandlungen sind und in diesem Peter Hintze Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Sinne Regierungspositionen vertreten. Herren! Mit dem Beitrag des Kollegen Volmer wurde Diese Überdehnung des christlich-sozialen Spek-das ganze Drama der Grünen trums drückt sich im Moment auch darin aus, dass die (Lachen des Abg. Gernot Erler [SPD]) Flügelkräfte Merz und Seehofer abbröckeln. Diese Überdehnung können Sie nicht auf Dauer durchhalten. im Hinblick auf die deutsche Außenpolitik dokumen- Wenn Sie einen internen Formelkompromiss finden, der tiert. Herr Volmer hat uns, was die Beziehungen zu den nur Ihrem eigenen Kohärenzproblem geschuldet ist,USA betrifft, einen „fresh start“ versprochen. dann sollten Sie Europa damit nicht belästigen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Was er geliefert hat, war eine ziemlich gequälte Reak- und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/ tion. CSU]: Über den Irak kommt er zu Seehofers Gesundheitspolitik! Da ist jemand im Irrflug (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – unterwegs!) Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein politi- scher Squaredance war das!) Meine Damen und Herren, ach n unserer letzten au- ßenpolitischen Diskussion kam es zum Ableben von Ich finde, wir sollten hier vor dem Parlament eines Jassir Arafat. Die Palästinenser empfinden dies als gro- klarstellen: Für Deutschland und Europa ist ein gutes ßen Verlust, sind aber dabei, die entstandene Lücke auf Verhältnis zu Russland wichtig. Aber es wäre in hohem dem Wege demokratischer Wahlen – so hoffe ich doch – Maße geschichtsvergessen, wenn wir nicht sagen zu füllen. Wenn es in der internationalen Gemeinschaft würden, dass das Bündnis zwischen Europa und den Kräfte gab, die Arafat immer als Hindernis angesehen Vereinigten Staaten von Amerika aufgrund unserer haben – mag dies ein tatsächlicher Grund oder nur ein Werte, unserer geschichtlichen Erfahrung, unserer Vorwand gewesen sein –, so sind diese Kräfte, wie auch politischen Verantwortung und der Befreiung von der 13076 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Peter Hintze (A) nationalsozialistischen Diktatur Priorität hat und dass– Jetzt geht auch noch der Außenminister; das zeigt die (C) das transatlantische Band für uns ein wichtiges und fes- ganze Dramatik. Nun kommt er wieder zurück – ich be- tes Band ist, zu dem wir stehen. grüße Sie herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Er ist ein Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP] – Gernot Erler bisschen zappelig!) [SPD]: Was ist denn jetzt das Drama, Herr Hintze?) Ich will ein gemeinsames Projekt ansprechen. Das wichtigste Projekt der Europäischen Union ist die Euro- – Verehrter Herr Kollege Erler, das Drama besteht darin, päische Verfassung. Wir haben ein gemeinsames Inte- (Ute Kumpf [SPD]: Dass Sie sich geirrt resse an ihrem Erfolg. Das setzt allerdings voraus, dass haben!) die Bundesregierung bereit ist, sich mit uns an einen Tisch zu setzen, um über die Mitwirkung des Bundesta- dass Sie sich damit schwer tun, dass sich Herr Volmer ges an der europäischen Gesetzgebung und an zentralen damit sehr schwer tut und dass das immer wieder sehr europäischen Weichenstellungen zu sprechen. stark zum Ausdruck kommt. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Da sagt Herr Es ist auch wirklich ein Drama, dass wir im Moment Fischer Nein!) einen Bundeskanzler haben, der, was Äußerungen zur Frage der Menschenrechte in der Ukraine betrifftDer Bundeskanzler und sein Außenminister verren- – hierzu haben wir einen sehr bewegenden Beitrag des nen sich; sie wollen mit dem Kopf durch die Wand. Wir Kollegen Weisskirchen gehört –, im Fernsehen klägliche schlagen Ihnen vor, wählen Sie die Tür eines vernünfti- Auftritte hatte; Kollege Gerhardt hat das wunderbar do- gen Kompromisses! Wir wollen, dass der Bundestag an kumentiert. Solche Grundwahrheiten müssen hier gesagt zentralen europapolitischen Entscheidungen beteiligt werden. Im Grunde müsste der Antrag zur Ukraine, der wird. Wir wollen, dass der Bundestag vor der Aufnahme hier heute von den Fraktionen vereinbart wurde, demvon Beitrittsverhandlungen darüber entscheidet. Wir Kanzler einmal zur Lektüre empfohlen werden, damit wollen, dass der Bundestag unterrichtet wird, wenn die sich solche Auftritte im Fernsehen, wie er sie uns gelie- Regierung ein europäisches Gesetzgebungsverfahren bei fert hat, nicht wiederholen. der Kommission anregt. Es kann ja nicht angehen, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir innenpolitisch diskutieren und hier Vorlagen ableh- nen, uns dann aber ein Minister oder eine Ministerin der Nun haben wir heute in gewissem Sinne eine Pre-Regierung über Brüssel ein Gesetzgebungsverfahren miere: Der Haushalt ist ausdrücklich überschrieben mit präsentiert und wir darüber noch nicht einmal unterrich- (B) „Auswärtige Angelegenheiten und Europa“. Wenn wir tet sind. (D) über Europa sprechen, dann müssen wir uns auch über das Bild verständigen, das wir von Europa haben. Wol- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) len wir nur eine Freihandelszone oder wollen wir eine Politische Union? Wollen wir nur eine künstlicheWir wollen als Parlament besser in das Gesetzge- Zweckgemeinschaft oder wollen wir eine Wertegemein- bungshandeln der deutschen Regierung in Brüssel einge- schaft? Wollen wir ein Europa gegen die Bürger oderbunden sein. Wenn die Regierung glaubt, sie könne die wollen wir ein Europa, das vom Wir-Gefühl der Bürger berechtigten Wünsche des Parlamentes nach Beteiligung getragen ist? ignorieren, dann wird sie in arge Schwierigkeiten gera- ten. Wir haben ihr das gesagt und ich hoffe, dass die auf Die Bundesregierung und insbesondere der Bundes- der Regierungsbank verbliebenen Staatssekretäre den außenminister überraschen uns ja immer mit sich wider- Herrn Bundesaußenminister davon in Kenntnis setzen. sprechenden Konzeptionen: In der Humboldt-Universi- Denn diese EU-Verfassung ist uns wichtig. Aber uns ist tät zeichnete Herr Fischer mit spitzer Feder Kerneuropa, auch wichtig, dass der Deutsche Bundestag an zentralen um später mit breitem Pinsel das Gemälde eines gren- europäischen Weichenstellungen mitwirken kann. zenlos ausufernden Europas dagegenzusetzen. Die deut- sche Europapolitik leidet unter der Geschichtslosigkeit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und Kulturferne dieser Bundesregierung, die ein völlig Am Freitag entscheidet der Bundestag über die deut- unklares Europabild hat. Daran scheitert vieles: Wassche Beteiligung an der EU-geführten Operation Althea Deutschland früher für Europa leisten konnte, wird heute zur Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und nicht mehr geleistet. Unser Bild von Europa ist das einer Herzegowina. Die CDU/CSU-Fraktion wird dem An- festen Politischen Union, die auf gemeinsamen Werten trag der Bundesregierung zustimmen. aufbaut und auf dem Wir-Gefühl unserer Bürger. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Wir stehen vor schicksalhaften Fragen: Es geht um Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Ratifizierung der Verfassung, es geht um Europasist ein Feld, auf dem die Regierung unsere Unterstützung Rolle bei globalen Konflikten, es geht um den Stabili- hat – und sehr häufig auch dringend braucht, weil sie in tätspakt und es geht um die Türkeifrage. ihren eigenen Reihen Schwierigkeiten hat. (Gernot Erler [SPD]: Der Außenminister (Kurt Bodewig [SPD]: Das sind Mythen, die geht!) Sie wiederbeleben wollen!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13077

Peter Hintze (A) Stellen wir uns bitte einmal vor, eine Bundesregierung (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nicht nur die (C) aus Union und FDP wäre im Amt Bundesbank warnt!) (Kurt Bodewig [SPD]: Nach dem Drama – Ich will den Zwischenruf des Kollegen Gerhardt auf- kommt jetzt die Theatervorstellung!) greifen: Alle Institutionen, die sich für die Stabilität un- seres Geldes noch einen Rest verantwortlich fühlen, – das ist für Sie vielleicht keine so schöne Vorstellung, warnen vor diesem Kurs der Bundesregierung. Ich hoffe aber Sie müssen sich schon einmal langsam daran ge- sehr, dass hier im letzten Moment noch Einsicht ein- wöhnen – und Herr Fischer wäre hier Oppositionsredner. kehrt. Im Notfall muss das Bundesverfassungsgericht Ich könnte mir vorstellen, dass er das Geschrei von einer das herstellen, wozu die parlamentarische Mehrheit in Militarisierung der EU anstimmen würde. Bei all dem diesem Hause offensichtlich nicht in der Lage ist. Kummer, den wir mit dieser Regierung haben, ist es vielleicht ein Gutes, dass wenigstens diese Entscheidung (Kurt Bodewig [SPD]: Herr Hintze, Herr auf diese Weise zustande kommt und wir es schaffen, ei- Hintze! – Gernot Erler [SPD]: Schon wieder nen europäischen Beitrag auf dem Balkan zu leisten. ein Drama!) (Gernot Erler [SPD]: Machen wir!) Nun komme ich zurTürkeifrage , die der Kollege Volmer hier angesprochen hat. Die Operation Althea trägt den Namen der griechischen Göttin der Heilung. Ich hoffe, dass der Einsatz der EU (Gernot Erler [SPD]: Das ist ja das vierte dazu beiträgt, die immer noch offene Wunde Balkan tat- Drama! – Weiterer Zuruf von der SPD: Nur sächlich zu schließen. Dramen!) (Ute Kumpf [SPD]: Die CDU braucht auch ein Ich glaube, dass Sie hier einen verhängnisvollen Fehler bisschen Heilung! Ein wenig Althea wäre für begehen. Sie sollten mehr auf die kritischen Stimmen Sie nicht schlecht!) hören, die sagen, dass das, was im Dezember durchge- peitscht werden soll, verhängnisvoll für Europa und für Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland Deutschland ist. Angela Merkel hat bereits auf ihrer hat in Europa ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Reise in die Türkei sowohl der türkischen Regierung als (Lothar Mark [SPD]: Na!) auch der europäischen Öffentlichkeit den Vorschlag der privilegierten Partnerschaft erläutert. Das Problem heißt Stabilitätspakt. (Gernot Erler [SPD]: Sie weiß aber selbst (Lothar Mark [SPD]: Nein, auch da nicht!) nicht, was das ist! Ich bin von einer Kolleginaufgefordert worden, auch (B) Mehr und mehr Stimmen unterstützen diesen Vorschlag. (D) einmal zum Haushalt zu sprechen, weil die Außen- und Der Kollege Pflüger hat vorhin auf die Diskussion in Europapolitiker das nie tun würden. Ich will das an die- Frankreich hingewiesen. ser Stelle machen. Jedes Jahr aufs Neue gaukelt uns diese Bundesregierung vor, sie werde die Vorschriften (Gernot Erler [SPD]: Keiner weiß, was es des Stabilitätspaktes nicht brechen. Sie nennt uns die ist! – Lothar Mark [SPD]: Nur innerhalb der entsprechenden Zahlen und jedes Jahr stellt sich wieder CDU!) heraus, dass er gebrochen wird. Im Jahre 2005 droht der – Herr Mark, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Bischof vierte Bruch des Stabilitätspaktes in Folge. Das ist nicht Huber – er war früher in der SPD aktiv und ist heute nur unter haushaltspolitischen und unter verfassungs- Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutsch- rechtlichen Gesichtspunkten problematisch, land – auf der Synode zu diesem Thema gesprochen hat. (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das ist ein In seinem Bericht hat er aufgeführt, welche massiven Skandal!) Probleme es gibt: das Frauenbild in der Türkei, die Un- terdrückung der nicht muslimischen Religionen, die Fol- es ist auch unter europapolitischen Gesichtspunkten ein ter usw. Er schließt seinen Bericht auf der EKD-Synode Drama, dass Deutschland, der Hüter und Wahrer des Sta- mit den Worten: bilitätspaktes, diesen in unverschämter Weise bricht. Das muss sich dringend ändern. Die Frage, ob eine privilegierte Beziehung der Tür- kei zur Europäischen Union nicht der bessere Weg (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ist, wird sich auch beim weiteren Umgang mit die- Man sagt jetzt: Wenn wir den Pakt nicht einhalten sem Thema immer wieder stellen. können, dann ändern wir einfach den Pakt, erhöhen die Wenn Sie nicht auf uns hören, wenn Sie nicht auf un- Verschuldung, definieren unsere Schulden um und ver- sere Freunde in Frankreich hören, wenn Sie auch nicht frühstücken das, was zukünftige Generationen brauchen. auf die Wissenschaft hören, dann hören Sie vielleicht auf Ich empfehle der Bundesregierung eindringlich, den eine solche Stimme aus unserer Evangelischen Kirche, Monatsbericht November der Deutschen Bundesbank die sagt: Nehmt die Realitäten zur Kenntnis und legt zur Kenntnis zu nehmen und zu studieren; denn in ihm euch jetzt nicht in einer Frage fest, die sich schicksalhaft heißt es in der nüchternen Sprache der Bundesbank klar: negativ für Deutschland und Europa auswirken kann. Abzulehnen ist eine Aufweichung des Referenz- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. wertes für die Defizitquote durch ausgeweitete Ausnahmeklauseln oder längere Korrekturfristen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 13078 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: CSU]: Herr Glos hat eine sehr schöne Rede (C) Das Wort hat der Kollege Lothar Mark, SPD-Frak- gehalten!) tion. Bundeskanzler Schröder sprach in diesem Zusammen- hang vom „Zerrbild Deutschland“, das von der CDU/ Lothar Mark (SPD): CSU immer wieder in düsteren Farben gemalt wird. Für Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe mich, lieber Kollege Glos, ist nicht nachvollziehbar, wie Kollegen! Wir haben uns nun offiziell seit 59 Minuten Sie sich als Christ so unchristlich äußern können. über den Haushalt des Auswärtigen Amtes unterhalten; (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das ist das Thema dieses Tagesordnungspunktes. den Dreck in Ihr Manuskript geschrieben?) Das Wort Haushalt ist einmal vom Kollegen Dr. Volmer „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen (Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nächsten“ heißt das achte Gebot, Herr Müller. NEN]: Immerhin im Schlusssatz!) Seit der Reforminitiative von Bundesaußenminister und einmal von Herrn Hintze im Zusammenhang mitFischer im Jahr 2002 bemüht sich das Auswärtige Amt, dem Stabilitätspakt erwähnt worden, der aber eher bei alle Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, um mit einem anderen Einzelplan angesiedelt ist. weniger Ressourcen wesentlich mehr Effizienz zu erzie- (Gernot Erler [SPD]: Aber viermal „Drama“!) len. Dabei stößt es an Grenzen. So hatte ich mich bereits in den Haushaltsberatungen 2004 dafür ausgesprochen, – Bei den Begriffen „Drama“ und „Tragödie“ möchte ich den Einzelplan 05 künftig so weit wie möglich von wei- darauf hinweisen, dass die Differenzierung nicht ganz teren Kürzungen auszunehmen. Tatsächlich wird das klar erkannt worden ist. Auswärtige Amt wie auch alle anderen Ressorts im Jahr 2005 mit 22,3 Millionen Euro zur globalen Minder- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Jetzt kommt ausgabe beitragen und hat darüber hinaus wie die ande- noch einmal die Kulturbeauftragte! Dazu ren Ministerien eine Absenkung in der Finanzplanung zu spricht gleich Frau Weiss!) verkraften. Deutschland hat in den letzten Jahren international er- In den Beratungen ist es aber gelungen, wichtige Prio- heblich an Gewicht gewonnen. Vor dem Hintergrund der ritäten deutscher Außenpolitik auch finanziell abzusi- neuen Herausforderungen unserer Zeit durch terroristi- chern. So wird es Erhöhungen der Ansätze im Regie- sche Anschläge, notwendige humanitäre Hilfe an alten rungsentwurf für die Unterstützung von internationalen und neuen Krisenherden sowie die gemeinsame Bewälti- Maßnahmen auf dem Gebiet der Krisenprävention sowie (B) (D) gung der Folgen des Irakkriegs sind die Erwartungen an für humanitäre Demokratisierungs- und Ausstattungs- die Bundesregierung und den auswärtigen Dienst stetig hilfe geben. Vor dem Hintergrund der zugesagten konti- gewachsen. Deutschland bewirbt sich zu Recht um einen nuierlichen Erhöhung der ODA-Quote, der Official Sitz im UN-Sicherheitsrat, was unsere internationale Development Aid, auf 0,33 Prozent des Bruttosozialpro- Verantwortung nicht mindert, sondern erhöht. Gefordert dukts bis 2006 wurden bei den wichtigsten Titeln für die ist eine schnelle Krisenreaktionsfähigkeit durch welt-öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bescheidene weite Präsenz und Entsendung von Personal zu interna- Aufwüchse vorgenommen. tionalen Organisationen fürfriedenserhaltende bzw. Frieden stiftende Missionen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich weise aber auch auf die besondere Bedeutung der Außenrepräsentanz als rentierliche Zukunftsinvestition Die ODA-Quote war in der Zeit der Regierung Kohl von hin. Die Aufgabe, Deutschland für das ausländische Pu- 0,48 Prozent 1982 auf 0,26 Prozent 1998 deutlich zu- blikum verständlich darzustellen und auf Deutschland rückgefahren worden. neugierig zu machen, obliegt den Mitarbeitern der jewei- ligen Auslandsvertretung. Gerade die Kulturarbeit und Der Haushaltsausschuss sah sich auch in einer beson- die Arbeit der Wirtschaftsabteilung prägen das Deutsch- deren Obhutspflicht für die Sicherheit der Bediensteten landbild im Ausland und müssen als kohärente Strategie an den Auslandsvert retungen. Umschichtungen und einer Auslandsvertretung im Rahmen der so genannten eine Verstärkung der Titel zur Erhöhung der materiellen Public Diplomacy vermittelt werden. Diese will langfris- Sicherheit an gefährdeten Dienstorten waren die Folge. tig Sympathie und Verständnis für und Neugier auf Da die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine Deutschland wecken. Die grundsätzlich positive Wahr- weitere wichtige tragende Säule der deutschen Außenpo- nehmung Deutschlands im Ausland als traditionelleslitik darstellt, habe ich mich gemeinsam mit meinem Ko- Kultur- und Exportland soll um die Elemente des moder- alitionskollegen Alexander Bonde dafür eingesetzt, auch nen Deutschlands ergänzt werden. hier bei einigen Titeln Umschichtungen zu ihren Guns- Deswegen sind solche destruktiven Reden wie die des ten vorzunehmen. Im Regierungsentwurf war ein Ansatz CSU-Kollegen Glos am heutigen Vormittag kontrapro- in Höhe von 2,1 Milliarden Euro für den Haushalt des duktiv und für Deutschland schädlich. Auswärtigen Amtes vorgesehen, was ungefähr 0,84 Pro- zent des Gesamthaushaltes entspricht. Als Ergebnis der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schwierigen Beratungen im Haushaltsausschuss wurde DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/ der Ansatz jedoch durch Aufwüchse bei ODA-relevanten Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13079

Lothar Mark (A) Titeln und zur Kompensation der GMA um rund (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was ist (C) 56 Millionen Euro auf 2,2 Milliarden Euro erhöht. damit?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beifall wurde für Soforthilfe, Flüchtlingshilfe und vorbeugen- beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Katastrophenschutz insbesondere in Afrika, Afgha- Gerundet bedeutet dies für die einzelnen Kapitel:nistan, Bangladesch und der Karibik um circa 13 Millio- 10 Prozent für das Auswärtige Amt, 37 Prozent für All- nen Euro erhöht. gemeine Bewilligungen, 28 Prozent für die Vertretungen (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies- des Bundes im Ausland und 25 Prozent für die Pflege loch] [SPD] und des Abg. Thilo Hoppe kultureller Beziehungen mit dem Ausland. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich will hier nur einige wichtige Veränderungen nen- nen. Beim Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungs- hilfe“ – und hier geht es insbesondere um Minenbeseiti- Deutschlands Pflichtbeiträge zum Haushalt der gungsprogramme – sprachen sich die Berichterstatter der Vereinten Nationen, insbesondere für Friedensmissio- Regierungskoalition für eine Erhöhung des Ansatzes im nen in verschiedenen Brennpunkten der Welt, sind in den Regierungsentwurf um 2,5 Millionen Euro aus. Für die letzten Jahren deutlich angestiegen. Sie werden künftig Haushaltsjahre 2007 und 2008 sind zusätzlich zu den be- weiter wachsen. Insbesondere vor dem Hintergrund der reits eingebrachten Verpflichtungsermächtigungen je- Krise im Sudan, die eine kostspielige Mission mit rund weils 3 Millionen Euro hinzugekommen. 200 Soldaten aus Deutschland erforderlich macht, aber auch für friedenserhaltende und Frieden stiftende Maß- Jedes Jahr werden zwischen 15 000 und 20 000 Men- nahmen im Kongo, in Sierra Leone, Haiti, Burundi usw. schen durch Antipersonenminen und Blindgänger ver- wurde der Ansatz „Beitrag an die Vereinten Nationen“ in letzt und getötet, vor allem in Afghanistan, Angola, den Haushaltsberatungen um über 20 Millionen Euro er- Kambodscha und Vietnam, aber auch in anderen Län- höht. Damit kann Deutschland den internationalen Er- dern. Am 28. November beginnt in Nairobi die Überprü- wartungen gerecht werden. Der Anteil für internationale fungskonferenz zur Ottawa-Konvention über die Besei- Beiträge im Haushalt des Auswärtigen Amtes beträgttigung von Antipersonenminen. Die Bundesregierung circa 28 Prozent. wird dort ihre fortbestehende Bereitschaft zur wirksa- men Hilfe bei der Vernichtung dieser heimtückischen Beim Titel „Unterstützung von internationalen Maß- Waffen unterstreichen, was wir sehr begrüßen. Auch nahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenser- deshalb wurde in den Haushaltsberatungen entschieden, haltung und Konfliktbewältigung durch das Auswärtige zusätzliche Mittel für Minenbeseitigungsprogramme be- (B) Amt“ wurde der bisherige Ansatz zur Stärkung des deut- reitzustellen. (D) schen Engagements in der öffentlichen Entwicklungszu- sammenarbeit für Darfur, für die UN-Schutztruppe im Mein Appell, hier aktiv zu werden, richtet sich aber Irak – natürlich nur Beteiligung am Wiederaufbau –, für insbesondere an die Länder, die diese mörderischen den Internationalen Strafgerichtshof sowie für verschie- Waffen herstellen, verkaufen und bis heute das Ottawa- dene Maßnahmen an internationalen Krisenherden um Übereinkommen nicht unterzeichnet haben, so die Verei- 14 Millionen Euro erhöht. nigten Staaten, Russland, Indien, China und viele an- Erlauben Sie mir an dieser Stelle einige kurze Worte dere. Sie sollten meiner Meinung nach die Hauptkosten zum deutschen Beitrag für den Wiederaufbau desIrak. für die Beseitigung dieser Mordinstrumente tragen. Ich richte sie insbesondere an den Kollegen Schäuble Wir unterstützen ohne Vorbehalt die wichtigsten Be- und beziehe mich auf seine am 8. September in der ers- stimmungen des Ottawa-Übereinkommens. Ich denke, ten Lesung des Gesetzentwurfs geäußerte Kritik. Die Po- dass wir gut beraten sind, wenn wir unsere Freunde in sition der Bundesregierung, Truppen zum VN-Schutzden anderen Ländern mit davon überzeugen können, nur zu finanzieren, aber keine eigenen Truppen zu ent- dass wir dieses Abkommen vorbehaltlos unterzeichnen. senden, ist nicht inkonsequent, wie er behauptete. Die USA und die Vereinten Nationen haben für die VN- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Schutztruppe insbesondere muslimische Staaten wegen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der kulturellen und sprachlichen Affinität zum Irak an- gesprochen. Es bleibt dabei: Wir werden keine Soldaten Um den Haushalt des Auswärtigen Amtes nicht zu- in den Irak entsenden. sätzlich zu belasten, haben sich die Haushaltsberichter- statter darauf verständigt, die für die Fortführung des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deutsche-Welle-Programms in Dari und Pashtu und DIE GRÜNEN) damit zum Aufbau der Zivilgesellschaft in Afghanistan Die Bundesregierung unterstützt die VN, soweit per- benötigten 1,2 Millionen Euro nicht mehr aus Förder- sonelle Kapazitäten und finanzielle Möglichkeiten dies mitteln, sondern aus dem Stabilitätspakt Afghanistan zulassen. Im Übrigen ist Deutschland inzwischen einer aufzubringen. Die entsprechenden Gespräche zur Vorbe- der größten Truppensteller weltweit, so zum Beispiel in reitung von Projektanträgen haben bereits stattgefunden, Afghanistan und im Kosovo. sodass sich die Sache auf einem guten Weg befindet. Der Titel „Für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Aus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des land außerhalb der Entwicklungshilfe“ BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 13080 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Lothar Mark (A) Zum Thema Deutsche Welle will ich nur noch hinzu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (C) fügen, dass wir mit der geplanten Einstellung bzw. Re- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) duktion des Spanischprogramms nicht einverstanden Weitere Erhöhungen wurden bei den Auslandsschulen sind. vorgenommen. Dieses Thema muss jedoch einmal sepa- (Beifall bei Abgeordneten der SPD rat behandelt werden; hierbesteht Diskussionsbedarf. und der FDP) Zum anderen haben wir positive Veränderungen bei den Mitteln für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Hier muss sich – das sage ich mit allem Nachdruck – die Politik, bei dem Topf für den deutsch-britischen Jugend- Deutsche Welle konstruktiv bewegen. austausch und bei den Kirchen vorgenommen sowie zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sätzliche Mittel für die Tempelanlage Angkor Wat in BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kambodscha bewilligt. Die Fortführung der bisherigen Streitschlichtungsak- Bei den Berichterstattern der Regierungskoalition be- tivitäten von Bundesminister a. D. Dr. Schwarz-stand Einvernehmen darüber, den Ansatz für dasDeut- Schilling in Bosnien-Herzegowina, für die ich im Na- sche Archäologische Institut um 400 000 Euro zu erhö- men meiner Fraktion hier ausdrücklich meine Anerken- hen. nung aussprechen will, (Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des aber zu wenig!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der FDP) Der Einsatz des DAI für die Rettung und Bewahrung des Weltkulturerbes wird international hoch geschätzt und und ihre Ausweitung auf Mazedonien und den Kosovo trägt deshalb zu Deutschlands Ansehen in der Welt bei. konnte über die Mittel des Stabilitätspakts Südosteuropa ebenfalls gesichert werden, ohne den Ansatz des Regie- (Beifall bei der SPD und der FDP sowie des rungsentwurfs zu erhöhen. Auch hierzu haben bereits Abg. Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]) konstruktive Gespräche zwischen den Beteiligten statt- Die Mittel sind ausschließlich für den Projektmitteletat gefunden. Ein Projektantrag über rund 350 000 Euro für vorgesehen. Aus diesem Titel werden unter anderem das Haushaltsjahr 2005 ist in Arbeit. Seiner Bewilligung Grabungen in Syrien, in Saudi-Arabien, im Sudan, in steht im Grunde genommen nichts mehr im Wege. Jordanien, in Afghanistan und in Marokko finanziert und Vor dem Hintergrund des Terroranschlags vomsie dienen damit auch der Stärkung des Dialogs mit isla- 11. September 2001, der Anschläge in Istanbul undmischen Ländern und sind kulturhistorisch von großer (B) Madrid sowie des Überfalls auf den BGS-Konvoi in Fal- Bedeutung. (D) ludscha, aber auch vordem Hintergrund des nötigen (Markus Löning [FDP]: Und was ist mit dem Schutzes vor Erdbeben in besonders gefährdeten Irak?) Dienstorten wie zum Beispiel Almaty, Izmir, Tiflis, Lima, San Francisco und Teheran waren bereits im Re- Wenn man sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, die gierungsentwurf zusätzliche Mittel für die Verbesserung ernsthaften und erfolgreichen Bemühungen der Koali- der materiellen Sicherheit bei Bau- und sonstigen Maß- tionshaushälter vergegenwärtigt, jeweils zu den best- nahmen in den Auslandsvertretungen vorgesehen. möglichen Lösungen zu kommen, dann ist es umso un- verständlicher, dass die CDU/CSU Personalkürzungen In den Haushaltsberatungen sprachen sich die Be-bei den flexibilisierten Mittelnum 10 Prozent vorge- richterstatter dafür aus, den beim Titel „Kleine Neu-,schlagen hat. Das würde zum Beispiel für den Haushalt Um- und Erweiterungsbauten“ vorgesehenen Ansatz des Auswärtigen Amtes bedeuten, dass 600 bis 650 Stel- nochmals um mehr als 5 Millionen Euro zu erhöhen.len nicht finanziert Beim Titel „Erwerb von Fahrzeugen“ wurde der bishe- rige Ansatz ebenfalls aufgrund der Sicherheitsanforde- (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Hört! rungen um weitere 500 000 Euro erhöht. Hört!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo hast sowie im Sachmittelbereich Kürzungen von fast du denn das alles weggenommen?) 14 Millionen Euro zu verkraften wären. Wie die Bundesregierung sehen auch wir uns in beson- (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Also so derer Weise der Sicherheit des Personals verpflichtet. was! Was macht denn ihr?) Eine weitere wichtige Säule der deutschen Außenpo- Dass dies aus personalrechtlichen und faktischen Grün- litik stellt die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik den nicht möglich ist, dürfte allen bekannt sein. Trotz- dar. Aufwendungen für Bildung und Forschung sinddem wird von der Opposition versucht, in der Öffent- auch und gerade im Bereich des Auswärtigen Amtes loh- lichkeit den Eindruck zu erwecken, man würde sinnvolle nende Investitionen in die Zukunft. Die Haushaltsbe-Sparvorschläge unterbreiten. richterstatter der Regierungskoalition haben sich deshalb (Markus Löning [FDP]: Aber die Neuver- darauf verständigt, im Titel „Stipendien, Austauschmaß- schuldung ist kein Problem, oder was?) nahmen und Beihilfen fürNachwuchswissenschaftler“ den Ansatz für den DAAD und die Alexander-von-Wer so querbeet kürzen will, macht letztlich alles kaputt Humboldt-Stiftung zu erhöhen. und hat jedes Maß an Seriosität verwirkt. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13081

Lothar Mark (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ len Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition (C) DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ im Haushaltsausschuss, aber auch der Opposition, dem CSU]: Ich bin jetzt beleidigt!) Ausschussvorsitzenden der SPD-Arbeitsgruppe „Haus- halt“ mit unserem Obmann Walter Schöler an der Spitze Angesichts der schwierigen Haushaltslage, die alle sowie Gerhard Küntzle, Jürgen Morhard und Ressorts aufgrund der globalen Minderausgabe zu Redu- Dr. Joachim Rücker vom Haushaltsreferat des Auswärti- zierungen und Abstrichen zwingt, haben wir Deckungs- gen Amtes für die ausgezeichnete Zusammenarbeit in vorschläge erarbeitet, die schmerzlich sind, den Koali- den vergangenen Wochen und Monaten danken. tionsberichterstattern für den Einzelplan 05 aber als für das Auswärtige Amt verkraftbar erschienen. Hilfreich (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Den Kollegen war der Nichtabfluss von Mitteln beim Titel „Deutscher Frankenhauser haben sie vergessen!) Beitrag im Rahmen der G-8-Initiative zur Abrüstungs- – Der Herr Kollege Frankenhauser gehört zur Opposi- und Nichtverbreitungszusammenarbeit“ und beim An- tion, die ich in meiner Aufzählung ausdrücklich erwähnt satz „Beitrag an Organisationen und Einrichtungen im habe. Wenn es aber gewünscht ist, hebe ich hervor, dass internationalen Bereich“, Erweiterung des NATO- die Zusammenarbeit mit ihm besonders gut war. Hauptquartiers in Brüssel. Im Sinne der 2002 begonnenen Reforminitiative (Heiterkeit bei der CDU/CSU) konnten auch bei der Budgetierung und gegenseitigen Deckungsfähigkeit einzelner Titel Fortschritte erzielt Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: werden. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das ist gut!) Lothar Mark (SPD): Ich bitte um Zustimmung zum Haushalt des Auswär- Ich begrüße deshalb das seit 2003 in Vorbereitung be- tigen Amtes. findliche und jetzt im Haushaltsentwurf festgeschriebene Pilotprojekt Italien des Goethe-Instituts, der größten Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nicht staatlichen Mittlerorganisation, die im Auftrag der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bundesrepublik Deutschland mit der Wahrnehmung kul- DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang turpolitischer Aufgaben im Ausland betraut ist. Gerhardt [FDP]) Beschränkte Deckungsfähigkeit von einzelnen Titeln – dies sage ich ausdrücklich an die Adresse des Bundes- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (B) finanzministeriums – kann allerdings nur ein erster Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,(D) Schritt zur Aufgabe der althergebrachten Titelstruktur FDP-Fraktion. hin zur Schaffung von Budgetierung sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Werner Hoyer (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deshalb habe ich in den Haushaltsberatungen angeregt, Da ich nicht 20 Minuten, sondern nur knapp vier Minu- nicht erst im Jahr 2006, sondern bereits ab Mitte 2005 ten Zeit habe, kann ich leider nicht alle Haushaltstitel mit der externen Evaluierung des Goethe-Instituts in einzeln kommentieren. Ich möchte aber den Haushältern Italien zu beginnen, damit schnellstmöglich die Budge- ausdrücklich dafür danken, dass es ihnen gelungen ist, tierung weiterer Mittlerorganisationen der auswärtigen den Regierungsentwurf im Bereich der auswärtigen Kul- Kulturpolitik ins Auge gefasst werden kann. turpolitik erheblich zu verbessern. Das betrifft nicht zu- (Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Und der letzt den Bereich Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Botschaften!) den DAAD und die Auslandsschulen. Das ist ganz be- sonders wichtig und dies erkenne ich ausdrücklich an. Ich bin der festen Überzeugung, dass die neuen Steue- Das ist die erste kurze Vorbemerkung. rungsinstrumente Budgetierung und die damit verbun- dene strategische Zielvereinbarung dazu beitragen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten werden, eine effizientere Steuerung der Auslandskultur- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE arbeit durch das Auswärtige Amt zu ermöglichen. GRÜNEN) Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage Zweite Vorbemerkung: Ich finde es wichtig, dass das sollten schon jetzt im Rahmen der Kameralistik alleThema „Sicherheit unserer Auslandsvertretungen“ ins- Möglichkeiten einer betriebswirtschaftlichen Haushalts- besondere in Erdbebengebieten ernsthaft weiterverfolgt führung genutzt werden, sofern dies haushaltsrechtlich wird. Ich mache mir nämlich ausgesprochen große Sor- möglich ist. Die Einrichtung eines ausgelagerten Eigen- gen über die Mitarbeiter in einigen Regionen. betriebs zur Verwaltung derAuslandsliegenschaften Wolfgang Gerhardt hat bereits das Thema Nahost an- des Auswärtigen Amtes als Facility Management ist ein gesprochen. Soeben ist die Meldung über den Ticker ge- Schritt in die richtige Richtung. kommen, dass der UN-Beauftragte für den Nahen Osten, Zum Abschluss der Beratungen möchte ich auch dies- Terje Roed-Larsen, nach seinen Gesprächen in Damas- mal allen Berichterstatterkollegen für den Einzelplan 05, kus ausdrücklich bestätigt, dass Syrien bereit ist, die insbesondere dem Kollegen Alexander Bonde, sowie al- Friedensverhandlungen mit Israel ohne Vorbedingungen 13082 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Werner Hoyer (A) wieder aufzunehmen. Ich denke, das ist eine sehr gute prinzips – Souveränitätsrechte auf den Gebieten abzuge- (C) Nachricht. In der Tat gibt es jetzt ein Fenster der Gele- ben, auf denen die Union nur gemeinschaftlich genheiten. Wir müssen alles tun, um es zu nutzen. erfolgreich sein kann, und muss sich gefallen lassen, dass wir uns von außen einmischen, wenn zum Beispiel (Beifall im ganzen Hause) Menschenrechtsfragen berührt sind. Das gehört zur Lassen Sie mich vier Bemerkungen zurEuropapoli- Logik der Europäischen Union und das muss sich jeder tik machen. Erstens. Wir Liberale gratulieren unseren überlegen, der der Europäischen Union beitreten will. Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament (Beifall bei der FDP) zu ihrem Erfolg bei der Entscheidung über dieZusam- mensetzung der Kommission. Sie sind in den letzten Drittens. Es muss klar sein, dass die Mitgliedschaft in Wochen nicht als Tiger gestartet, um dann als Bettvorle- der Europäischen Union kein Vehikel zur Lösung inter- ger zu landen. Sie haben vielmehr eine hervorragende ner Probleme von Beitrittsaspiranten sein darf. Sowohl Leistung erbracht und damitdas Parlament, aber auch der Beitrittsaspirant als ch au die Europäische Union die Kommission gestärkt. Nur wenn man diese beiden müssen ein Interesse an dieser Mitgliedschaft haben. Organe im Zusammenhang sieht, kann man von einer (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!) Stärkung Europas sprechen. Sonst würden wir uns übernehmen. Das mögen manche (Beifall bei der FDP) – vielleicht jenseits des Atlantiks – bisweilen durchaus Ich finde, dass es völlig verfehlt ist, dieses Thema auf ganz gern sehen; aber dadurch würde die Grundidee der die Frage zu reduzieren, welcher Konfession bzw. reli- europäischen Integration sicherlich ruiniert. An einer giösen Überzeugung ein EU-Kommissar anhängt. Das solchen Überlegung dürfen wir uns nicht beteiligen. muss selbstverständlich jedem Kommissar überlassen Letzte Bemerkung. Vor 15 Jahren ist die Mauer gefal- bleiben. Das müssen wir respektieren. len. Europa ist geeint, frei und trotzdem gespalten. Die (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies- Hauptaufgabe dieser Bundesregierung besteht darin, da- loch] [SPD]) für zu sorgen, dass diese Spaltung Europas überwunden wird und dass wir an die besten Traditionen deutscher Aber muss ausgerechnet jemand, der von bestimmten Europapolitik anknüpfen: Man sollte bei allen, die sich Überzeugungen geprägt ist und sich getrieben fühlt, das an diesem Prozess beteiligen – auch bei den Kleinen –, Initiativmonopol der Kommission in Fragen der Innen- um Vertrauen werben und dabei darauf achten, dass auch und Rechtspolitik bzw. der Gleichberechtigung haben? durch bilaterale Außenpolitik innerhalb der Europäi- Der ursprüngliche Besetzungsvorschlag der Kommis- schen Union die Voraussetzungen dafür geschaffen wer- den, dass Deutschland seine Rolle als Mittler im europäi- (B) sion lässt auf ein schlechtes Urteilsvermögen schließen. (D) Ihre Ablehnung hatte nach meiner Auffassung mit den schen Integrationsprozess erfolgreich spielen kann. religiösen Überzeugungen der einzelnen Kommissare Herzlichen Dank. nichts zu tun. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Zweitens. Der Europäische Rat wird wichtige Wei- Das Wort hat der Bundesaußenminister Joschka chenstellungen bezüglich der Erweiterung der Europäi- Fischer. schen Union, insbesondere in Sachen Türkei, vorneh- men. Ich will die Türkeidebatte nicht fortführen, sondern lediglich darauf hinweisen, dass es zwei Extrempositio- Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: nen gibt. Es gibt Politikerinnen und Politiker, die die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn Türkei niemals, selbst bei Erfüllung aller Voraussetzun- man die internationale Lage betrachtet, dann – ich gen, in die EU aufnehmen würden. Es gibt andere, die glaube, diesen Eindruck haben die meisten Menschen im die Türkei jederzeit ohne alle Vorbehalte und mit gro- In-, aber auch im Ausland – wird man sich des Ein- ßem Rabatt in die EU aufnehmen wollen. drucks schwer erwehren können, dass die Welt nicht nur komplexer geworden ist, sondern dass auch die Anzahl (Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Krisen und der Konflikte zugenommen hat. Insofern NEN]: Wer sagt das denn?) sehen wir hier mit Sorge die Entwicklung in der Ukraine. Alles spricht dafür, dass die Wahlen dort nicht Zwischen diesen Extrempositionen müssen wir unseren den Standards entsprochen haben, die freie und geheime Weg finden. Wir müssen präzise Kriterien aufstellen,Wahlen kennzeichnen, und dass es zu erheblichen Ver- wie wir das in der letzten Debatte über dieses Thema ge- fälschungen gekommen ist. Die Bundesregierung hält es tan haben. Daran sollte man sich orientieren. für unbedingt notwendig, dass sich der Wille der Mehr- Auch wenn heute schon sehr viel Richtiges über die heit der ukrainischen Bevölkerung nach freien und ge- Ukraine gesagt worden ist, ist es wichtig, nicht zu ver- heimen Wahlen im Wahlergebnis ausdrückt. gessen: Die Europäische Union ist kein Endzustand, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ sondern ein Prozess. Jeder, der der EU beitreten will, DIE GRÜNEN und der SPD) muss bereit sein, sich an diesem Prozess nach dem Bei- tritt zu beteiligen und – bei Wahrung des Subsidiaritäts- Das ist das Wesen der Demokratie. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13083

Bundesminister Joseph Fischer (A) Es sollte alles getan werden, um dort zu einer Über- – Weltweit tun wir es? Überall da, wohin wir gehen,(C) prüfung zu kommen. Zugleich sollte alles getan werden, schweigen wir dazu? – Ich will Ihnen dazu Folgendes sa- um zu vermeiden, dass es eine Konfrontation gibt, die zu gen: Ihr Ministerpräsident war damals Kanzlerkandidat. Entgleisungen führen könnte. Das heißt, der friedliche Er ist nach Moskau gefahren und – ich bekomme das Charakter dieses Prozesses ist ebenfalls von entschei- doch mit – hat mit keinem Wort – das wissen Sie auch – dender Bedeutung. die Situation im Kaukasus oder die Situation bei der in- neren demokratischen Entwicklung erwähnt. Ich habe intensiv zugehört, auch heute Morgen. Ich glaube, manche machen es sich zu einfach. In dieser au- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ßenpolitischen Situation gibt es unterschiedliche Interes- und bei der SPD – Dr. Gerd Müller [CDU/ sen: Einerseits gibt es die prinzipien- und grundsatzorien- CSU]: Waren Sie dabei? – Christian Schmidt tierte Haltung – wir teilen sie –, die Menschenrechte, [Fürth] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung, marktwirt- nicht!) schaftliche Reformen, soziale Gerechtigkeit und Armuts- Wir haben das erlebt, als Präsident Putin hier war. Ich bekämpfung im Auge hat; andererseits gibt es Machtver- habe immer zugehört und gewartet, bis es soweit ist. hältnisse, die von uns nur bedingt beeinflussbar sind.Meine Damen und Herren, an diesem Punkt kann ich Ih- Angesichts dessen steht man vor der schwierigen Frage, nen nur sagen: Da verfolgen wir eine Politik, die prinzi- wie weit man an Grundsätzen und Prinzipien festhält und pienorientiert ist, die an den Menschenrechten und der wie man die Chance nicht aus der Hand gibt, am Ende Demokratieentwicklung festhält, die sich an unserer ei- doch noch etwas zu erreichen. genen Verfassung orientiert. (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das sind nur [FDP]) noch Floskeln!) – Das ist der entscheidende Punkt, mit dem es die Bun- Auf der anderen Seite gibt es natürlich Interessen, die desregierung zu tun hat, Herr Gerhardt. wir hier zu vertreten haben. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich habe Sie (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sie haben die nur einmal an Ihre frühere Zeit erinnert!) Seele der grünen Partei verkauft!) – Bitte! Auch ich halte mich daran. Bei meiner letzten – Ich setze mich damit jetzt nicht auseinander. Reise nach China wurde Klartext geredet. Das ist doch (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- überhaupt keine Frage. Dasselbe war beim Gespräch mit NEN]: Das ist Glos für Arme!) (B) Präsident Putin im Kreml der Fall. Ich weiß das vom (D) Bundeskanzler. Er hat am heutigen Tag mit dem russi- Da könnte man sagen: Da war immerhin noch eine schen Präsidenten telefoniert und nochmals über dieSeele. Bei Ihnen – – Na ja. Herr Dr. Müller, voll daneben Lage in der Ukraine gesprochen. gegriffen hat heute schon Ihr Kollege Glos. Er hat sich entschuldigt. Damit haken wir das ab. Der Rest ist besser (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Was hat er ge- Schweigen. sagt?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Er hat das gesagt, was er auch hier im Bundestag ge- und bei der SPD) sagt hat. Für mich ist der entscheidende Punkt, dass wir die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ europäisch-russischen Beziehungen fortentwickeln DIE GRÜNEN und der SPD) müssen. Herr Kollege Gerhardt, das werden ganz schwierige Gespräche werden. Das ist doch überhaupt keine Frage. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, klar!) Dasselbe galt für mein Gespräch mit dem russischen Außenminister am Rande der Scharm-al-Scheich-Konfe- Selbstverständlich ist das auf der Tagesordnung – ein renz. Die russische Seite hatte eine andere Auffassung. Kollege hatte danach gefragt –; Barroso hat es heute ange- Der Deutsche Bundestag wird eine Resolution beschlie- kündigt. Die Präsidentschaft wird das genauso ansprechen ßen, die völlig anders ist als die, die die Duma zu dem- wie Solana auch. Selbstverständlich ist das auf der Tages- selben Thema beschlossen hat. Die Frage, mit der wir ordnung, so wie es am Rande von Scharm el-Scheich uns auseinander setzen müssen, lautet, wie wir hierbei auch schon angesprochen wurde. dann in der Tat auch parallel vorgehen. Da ist keine Die Frage lautet: Ist die strategische Westöffnung Frage, ob wir uns etwa bei den Menschenrechten wegdu- Russlands aufrechtzuerhalten? cken. Nein, das tun wir nicht. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist die (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Natürlich tun Frage!) Sie es!) Wenn dies entgleiten würde, wären wir in einer unter – Bitte wo? vielen Gesichtspunkten sehr veränderten Welt. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Weltweit tun (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen Sie es!) [Wiesloch] [SPD]) 13084 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bundesminister Joseph Fischer (A) Auf der anderen Seite ist aber auch klar anzusprechen, dazu noch die Freilassung einiger Gefangener erreicht(C) wo wir anderer Meinung sind und was nach unserer Mei- hätte? Dann wären wir heute in einer völlig anderen nung geht und nicht geht. Das gehört für die Bundesre- Lage. Aber bitte: Tempi passati. gierung, für den Bundeskanzler, für mich, für die Koali- tion selbstverständlich zusammen. Um zu einem Erfolg zu kommen, müssen jetzt – ich glaube, beide Seiten begreifen das – richtungsweisende In diesem Zusammenhang kommt auch immer derEntscheidungen getroffen werden. Es wird nicht Frieden Hinweis: Und mit Amerika ist Schweigen. – Dazu kann und Land geben. Das wird nicht funktionieren, sage ich ich nur sagen: Offensichtlich sind Sie da im völlig fal- der israelischen Seite. schen Film. Wir haben die Debatte über den Kampf ge- gen den Terrorismus seit dem 11. September 2001 – ich (Dirk Niebel [FDP]: Erst einmal muss der persönlich seit dem 18./19. September 2001 – mit der Terror aufhören!) amerikanischen Seite geführt. Ich war bei Gesprächen Es wird aber auch keinen Staat geben, solange es Terror dabei, die der Bundeskanzler und der Präsident geführt gibt. Das sage ich der palästinensischen Seite. Wenn der haben. Wir haben von Anfang an klar gemacht, dass wir Mut zu entsprechenden Grundsatzentscheidungen auf in der Frage des Irak eher der Analyse des Vaters desbeiden Seite nicht da ist,wird die sich jetzt bietende Präsidenten und dessen Mitarbeitern, von Scowcroft und Chance, die so schnell nicht wiederkommen wird, ver- Powell, zuneigen als dem, was sich in Washington ent- tan. wickelt. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist es!) Wenn es hier eine Tragödie gibt, dann ist es doch die, dass die Union am traditionellen Transatlantismus fest- Deswegen appelliere ich noch einmal dafür, jetzt nicht in gehalten hat, aus guten Gründen – das war nun einmal kleinen Schritten zu denken, sondern den Mut zu großen ein prägendes Element ihrer Parteigeschichte und des- Grundsatzentscheidungen aufzubringen. Damit könnte sen, was sie für unser Land geleistet hat, was ich nicht wieder Vertrauen aufgebaut werden. Die Palästinenser für gering halte –, im Fall des Irak aber völlig unter-müssen eine Entscheidung für Nation Building und ge- schätzt hat, dass hierbei offensichtlich andere Elemente gen den Terror treffen. Israel muss sich im Gegenzug da- eine Rolle gespielt haben, die mittlerweile offen zutage für entscheiden, einen wirklich lebensfähigen palästi- liegen. nensischen Staat zuzulassen. Dabei müssen manche Träume, die man bezüglich der besetzten Territorien (Zuruf des Abg. Dr. Friedbert Pflüger noch hegt, hintangestellt werden. Wenn man sich dessen [CDU/CSU]) bewusst ist, kann es funktionieren. (B) – Das Problem bei Ihnen ist, dass Sie sich immer davon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) machen. Zuerst riskieren Sie aber eine dicke Lippe. Erst sowie bei Abgeordneten der SPD) hätten wir dabei sein sollen, um die VN zu schützen. Dann hätten wir bei der NATO dabei sein sollen. Wir ha- Ich glaube, dass das auch sehr positive Wirkungen auf ben der NATO von Anfang an gesagt: Wir arbeiten an ei- die Gesamtregion hätte. Der wichtigste Ansatzpunkt ist nem Kompromiss, aber ihr wisst genau: Wir werden uns doch, dass wir den Dschihad-Terrorismus, diesen neuen im Irak nicht mit Soldaten beteiligen. – Wir waren die Totalitarismus, isolieren und dass wir ihm – nicht wil- Ersten, die Ausbildung betrieben haben. Zu dem Zeit- lentlich – durch falsche politische Entscheidungen nicht punkt, zu dem die NATO noch gar nicht daran gedacht etwa Unterstützung zukommen lassen. Wir müssen die hat, waren wir bereits an der Polizeiausbildung beteiligt. richtigen politischen Entscheidungen treffen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach Möglich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keiten der Stabilisierung des Iraks. Ich bin der festen sowie bei Abgeordneten der SPD) Überzeugung, dass es sich dabei nicht um eine militäri- Ich habe meinem Freund, dem NATO-Generalsekre- sche, sondern letztendlich um eine politische Frage han- tär, aber auch dem Oberkommandierenden der NATO delt. Die Verbreiterung der politischen Basis jenseits der von Anfang an gesagt: Wir sind nicht bereit, da durch ein Saddamisten und Dschihadisten ist die Aufgabe, damit Türchen zu gehen – sei es auch noch so klein – und uns der Prozess dort von einer breiten Mehrheit getragen damit auf eine abschüssige Strecke zu begeben, undwird. Dazu gehört regionaler und internationaler Kon- zwar deswegen, weil wir es nicht richtig finden; würden sens. wir es richtig finden, würden wir anders entscheiden. Damit der Irak nicht zueinem Ersatzschlachtfeld in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer möglichen iranisch-amerikanischen Konfrontation sowie bei Abgeordneten der SPD) wird, ist der Verständigungsprozess zwischen dem Iran und Europa bei allen Schwierigkeiten fortzusetzen. Bis- Wir haben jetzt die große Chance imNahen Osten, her haben sich nur die Fingerspitzen berührt, aber die wobei klar sein muss, dass schwierige und grundsätzli- Hände hat man gegenseitig noch nicht ergriffen. Doch che Entscheidungen anstehen, wenn sie denn genutztwir sind dabei, das zu erreichen. Wenn Sie bedenken, werden soll. An erster Stelle ist zu sagen: Es geht nicht welche Alternativen es gibt, dann werden Sie verstehen, ohne Amerika – ohne jeden Zweifel. Aqaba hat gezeigt: dass eine auf Realismus gründende Politik, die die Ge- So mutig und so wichtig es damals vom amerikanischen samtlage im Auge hat, alles versuchen muss, um eine Präsidenten war, ist doch die Frage: Was wäre gewesen, solche, an der Nuklearisierung sich festmachende Kon- wenn Abu Masen damals den Rückzug von Gaza und frontation zu verhindern Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13085

Bundesminister Joseph Fischer (A) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ ternationale Institutionen geschaffen werden. Wenn dort (C) DIE GRÜNEN und der SPD) die Entscheidungen getroffen würden, inklusive der Ent- scheidungen in Bezug auf die friedliche Transformation, und eine Tür zu öffnen, durch die man gemeinsam in die Modernisierung des Nahen und Mittleren Ostens so- eine friedlichere Zukunft gehen kann. wie die Lösung der regionalen Konflikte, dann wäre die Vor diesem Hintergrund glaube ich – ich kann das nur Welt eine bessere. im Telegrammstil machen, weil meine Redezeit zu Ende Wenn wir allerdings hauptsächlich auf die militärische ist –, dass Sie im Rahmen der Türkeidebatte einen Feh- Stärke schauen, wenn wir die Softpower vergessen, ler machen. Ich möchte Sienicht überzeugen. Sie kön- wenn wir falsche Entscheidungen treffen, dann, glaube nen in der Türkeifrage eine andere Meinung vertreten; es ich, werden die Krisen und Konflikte eskalieren. Dann gibt ja Gründe dafür. Diese Haltung teile ich nicht, aber werden wir vor Herausforderungen stehen, von denen ich akzeptiere sie. Nach meinem Gefühl wird nicht Eu- sich die meisten Menschen heute noch keine Vorstellung ropa durch einen Beitritt der Türkei überfordert, sondern machen. Wer hätte die Ereignisse am 11. September eher die Köpfe der Menschen. Angesichts der Realitäten 2001 für möglich gehalten? Wer hätte die dann folgen- unterfordern wir uns sogar. Denken wir an die Diskussio- den Entwicklungen für möglich gehalten? Aber es ist so nen um die Ukraine, an unsere Bemühungen im südli- eingetreten. Die Welt verändert sich radikal. Früher fan- chen Kaukasus und auf dem Balkan sowie an die Aufga- den Revolutionen auf den Barrikaden statt, heute finden ben, die wir im Nahen Osten bis hin nach Afghanistan zu sie im konservativen Gewande statt. Wir haben erlebt, bewältigen haben – trotz aller Schwierigkeiten zeichnet welche dramatischen Veränderungen das Ende des Sow- sich hier eine Erfolgsgeschichte ab. Vergleichen Sie das jetblocks und der Fall der Mauer für uns bedeutet haben. Erreichte einmal mit dem, was im Irak abläuft. Betrach- Das gilt für die gesamte Weltordnung. ten Sie auch die Rolle der Europäer in der Iranfrage und nehmen Sie Afrika hinzu. Hier muss sich Deutschland, eingebettet in das sich integrierende Europa, bewähren. Deswegen brauchen Aus zwei Gründen können wir uns nicht unter Beru- wir die Verfassung und deswegen brauchen wir auch fung auf die alte Frage „Was haben wir mitAfrika zu den Mut zu einer gemeinsamen Sicherheits-, Verteidi- tun“? zurückziehen. Der erste ist: Dieser riesige Konti- gungs- und Außenpolitik. Wir müssen alles tun, dass wir nent ist über das Mittelmeer ein direkter Nachbar von – ich sage es noch einmal – die Verfassung bekommen. uns. Der zweite ist: Wir müssen die geschichtliche Lek- tion annehmen, dass eine Europäische Sicherheits- und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verteidigungspolitik nur dann funktionieren wird, wenn und bei der SPD) die Großen mitmachen. Wir sind einer von den drei Gro- Lieber Lothar Mark, ich hätte gerne viel länger das (B) ßen. Insofern geht es hier nicht mehr um traditionelle (D) Weihrauchfass vor den Haushältern geschwungen. Als Fragen deutscher Politik, sondern um die europäische Ministrant habe ich damit einige Erfahrung; was man Einbindung. Auch hier müssen wir neu denken. einmal gelernt hat, vergisst man nie. Die Lagebeschreibung, die ich Ihnen skizziert habe, (Zuruf des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]) stammt nicht von jemandem, der gerne Weltpolitik wider sein eigenes Land machen will. Es handelt sich um reale – Damals ging es mit der Kirche noch nicht bergab. Erst Krisen und Herausforderungen, als solche Helden wie Müller kamen, war es vorbei; das ist klar. Zu unserer Zeit war das noch schwer in Ord- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ nung. DIE GRÜNEN und der SPD) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auf die Europa – nicht Deutschland allein, aber als ein NEN und der SPD) wesentlicher Teil Europas eben auch – Antworten geben muss. Deswegen leiden wir in der Türkeifrage aus mei- Ich meine es ernst. Ich möchte mich in aller Kürze im ner Sicht eher an Unterforderung als Überforderung. Na- Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im In- und türlich sehe auch ich, dass in den Köpfen noch ein ganz Ausland für das bedanken, was die beiden Berichterstat- anderes Denken vorherrscht. ter, Abgeordneter Bonde und Abgeordneter Mark, aber auch die Haushälterinnen und Haushälter der Koalitions- Das also ist ein Teil der Agenda, die von uns zu bewäl- fraktionen und der Opposition, so sie zugestimmt haben, tigen ist. Hinzu kommt die Erneuerung derVereinten geleistet haben, Nationen. Ich könnte mir eine Welt mit erneuerten trans- atlantischen Beziehungen vorstellen, in der die USA viel (Heiterkeit) schneller als die Europäereine europäische Einigung wollen, weil sie nur so einen Partner für die Gestaltung ganz besonders Herr Frankenhauser. Ich verwende mich der Welt hätten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Su- im Ausland von offizieller Seite ja auch für das deutsche permacht sagt: Wir wollen erneuerte, stärkere VN, die Bier. Es ist schließlich nicht so, dass wir nur Kontrover- die Realität des 21. Jahrhunderts repräsentieren; denn sen hätten. diese VN werden uns entlasten, genauso wie ein einiges Nein, ich möchte mich auch bei Ihnen – das ist ernst Europa uns entlasten wird. Wer sonst? Ich könnte mir gemeint; ich war lange genug in der Opposition – trotz vorstellen, dass wir Ernst machen mit einem neuen Kon- aller Kritik recht herzlich bedanken. Wir stehen im Aus- sens in der Welthandelsorganisation, die den Realitäten wärtigen Dienst vor zusätzlichen Herausforderungen. Rechnung trägt. Ich könnte mir vorstellen, dass neue in- Die Last, die uns aufgebürdet wird, sollten wir nicht nur 13086 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bundesminister Joseph Fischer (A) als Last, sondern auch als Verantwortung begreifen. Die Herr Minister, nachdem der Kollege Mark in nicht zu (C) Aufgaben hängen mit der Größe und Leistungsfähigkeit übertreffender Präzision schon über die Details des unseres Landes zusammen, ebenso mit der Fähigkeit,Einzelplans 05 gesprochen hat, erlaube ich mir, Sie in dass wir aus der Geschichte gelernt haben, und mit unse- dem folgenden Punkt um Unterstützung zu bitten. Wenn rer Rolle in Europa und zunehmend in der Welt. Dafür, Sie zuweilen in Deutschland sind, können auch Sie beo- dass wir zwar nicht all das, was wir wollen, aber diesmal bachten, dass die Menschen schon ein gewisses Ver- doch schon viel erreicht haben, möchte ich mich recht ständnis dafür haben, dass aufgrund der bekannten Um- herzlich bedanken. stände Sparen angesagt ist und der Gürtel enger geschnallt werden muss. Gerade in solchen Zeiten legen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Mitbürger aber größten Wert darauf, dass die knapper und bei der SPD) werdenden Mittel ordnungsgemäß eingesetzt werden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die Menschen sehen – so auch der Herr Bundesfi- Das Wort hat der Kollege Herbert Frankenhauser,nanzminister –, dass wir im Zuge der nächstenEU- CDU/CSU-Fraktion. Haushaltsplanung in eine schwierige Lage kommen könnten. Denn: Selbst wenn es gelänge, den Beitrag der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesrepublik Deutschland auf 1 Prozent festzuschrei- ben, würden unsere Nettolasten in den nächsten Jahren Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): von jetzt 7,7 Milliarden Euro auf etwa 15 Milliarden bis Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Für ei- 16 Milliarden Euro mehr als verdoppelt werden. Das nen Haushälter ist es bei so einer Debatte immer schwie- muss erst einmal verkraftet werden. rig, weil man zunächst den Eindruck hat, man hätte sich, (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist es!) was den Sitzungssaal angeht, verlaufen. Es war wie im letzten Jahr: Der Herr Außenminister konnte die letzten Dabei sind die finanziellen Auswirkungen – dass es sie drei Sätze doch noch in Richtung Haushalt verwenden. gibt, ist völlig unbestritten – eines möglichen Beitritts der Türkei völlig unberücksichtigt. (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber was für Blumen haben Sie gekriegt!) (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: 25 Milliarden!) – Das war aber sehr eingeschränkt; das waren vielleicht Außerdem ist noch nicht sicher, ob es gelingt, den Bei- Stängel, aber sonst nichts. trag auf 1 Prozent zu begrenzen. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, durch Vor- NEN]: Hier gilt das Leistungsprinzip! – kommnisse in jüngster Zeit besonders sensibilisiert, (B) Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch nur schwer vermittelbar, dass die Griechen pro Jahr (D) NEN]: Das ist wie im richtigen Leben, Herr 950 Millionen Euro für den Tabakanbau, finanziert aus Frankenhauser!) unseren Steuergeldern, erhalten, aber parallel dazu 29 Millionen Euro für Anti-Rauch-Kampagnen ausgege- Aber das gehört dazu. Möglicherweise sind Sie jetzt so ben werden. zurückhaltend, um den Äußerungen Ihres Finanzminis- ters zu folgen, der einmal gesagt hat, es gebe dauernd (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Missverständnisse, wenn sich ein Außenpolitiker zu Wirtschafts- und Finanzfragen äußere. Damit waren Sie Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass den sich ex- gemeint. Aber ich weiß natürlich Ihre vielfältigen Bemü- plosionsartig vermehrenden Betrugsfällen in der Europäi- hungen zu schätzen, mit dem deutschen Bier und dem schen Union Einhalt geboten wird. Reinheitsgebot im Ausland zu punkten. Deshalb habe (Beifall bei der CDU/CSU) ich es als außerordentlich unangemessen empfunden, dass die „SZ“ geschrieben hat, Sie seien lediglich derDie Schadenssumme im Jahre 2001 in Höhe von 1,2 Mil- amtierende Minister für auswärtige Beileidsbekundun- liarden Euro hat sich bis jetzt fast verdoppelt. gen. Es muss auch einmal nachgefragt werden – dieses ist (Heiterkeit bei der CDU/CSU) ein problematisches Thema –, was aus den mehr als 6,5 Milliarden US-Dollar geworden ist – der größte Teil Das stimmt natürlich nicht. kommt aus der EU –, die seit 2003 an diePalästinensi- Sie werden mir nachsehen, dass ich ein paar Zahlen in sche Autonomiebehörde geflossen sind. Es kann natür- die Debatte einbringe. Sie haben von der notwendigen lich nicht sein, dass der Internationale Währungsfonds Mittelausstattung des Auswärtigen Amtes gesprochen. feststellen muss, dass 898 Millionen US-Dollar aus dem Wenn der Vizekanzler bereit ist, über einen gewissenpalästinensischen Haushalt verschwunden sind und bis Zeitraum 1 100 Millionen Euro für denUmzug des heute nicht wieder aufgefunden werden konnten. Es BND nach Berlin auszugeben, dann muss ich sagen:kann auch nicht angehen, dass das europäische Amt für Dies ist ein Betrag, mit dem Sie fast 20 Jahre lang die Betrugsbekämpfung, OLAF, nach eintägiger Prüfung zu humanitäre Hilfe in der jetzigen Größenordnung oderdem Ergebnis kommt, dass man nicht feststellen könne, über zehn Jahre Auslandsschulen und Stipendien finan- wohin das Geld geflossen sei. Hier bitte ich, einmal zieren könnten. Die Bundesregierung sollte noch einmal nachzuhaken. über diesen Posten nachdenken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU) neten der FDP) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13087

Herbert Frankenhauser (A) Der mit EU-Geldern finanzierte Fernsehsender PA- Wenn das so ist, dann verstehe ich nicht, dass die(C) TV, also der Fernsehsender der Palästinensischen Auto- deutsche Außenpolitik nicht mehr Wirkung entfaltet. nomiebehörde, hat aus einer Predigt in der Sheikh-Ijlin- Der Krieg gegen die irakische Zivilbevölkerung nimmt Moschee unter anderem übertragen – ich darf zitieren, kein Ende. 1 000 Zivilisten wurden und werden immer Frau Präsidentin –: noch im Irak von US-amerikanischen Soldaten getötet. Die viel beschworenen guten Beziehungen des deut- Oh Allah, bring einen rabenschwarzen Tag über die schen Außenministers zu seinem amerikanischen Amts- Juden! Oh Allah, lösche die Juden aus und auchkollegen haben bisher nichts zur Lösung dieses Kon- ihre Förderer! flikts beigetragen. In dieser Frage wünschte ich mir von Ich denke, dass ein Sender, der fast schließlich aus EU- Ihnen, Herr Fischer, mehr Zivilcourage. Geldern finanziert wird, dies nicht tun darf. (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie „Zivil“ ist gleich mein nächstes Stichwort. Zivil ist bei Abgeordneten der SPD – Christiandie Außenpolitik der rot-grünen Bundesregierung wirk- Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr wahr!) lich nicht mehr zu nennen. Noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg war die deutsche Außenpolitik so militärisch Wenn dann auch noch die Sendeanlagen – wenn auch wie unter dem grünen Außenminister Fischer. Abstim- durch Fremdeinwirkung, das heißt durch die Israelis – mungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr sind zerstört werden, die palästinensische Behörde in Brüssel im Bundestag zu einer fast alltäglichen Routine gewor- anruft und quasi wie bei einer Hausratversicherung mel- den. An diesem Freitag werden wir das 41. und 42. Mal det, die Sendeanlagen seien defekt, und zulasten des EU- über Auslandseinsätze der Bundeswehr abstimmen. Haushaltes neue angeliefert werden, dann halte ich das für nicht vertretbar. Nach dem SPD-Prinzip „Kanonen statt Butter“, wie es Herr Dauderstädt von der Friedrich-Ebert-Stiftung (Beifall bei der CDU/CSU) proklamiert hat, macht die Bundesregierung mit der Ein Letztes, das möglicherweise nicht sehr einfach zu Rüstung ein paar gute Geschäfte. Herr Bundesminister bewältigen ist – aber Sie lieben ja schwierige Aufga-Struck will 250 Leopard-Panzer an die Türkei verkau- ben –: fen. Was die Türkei damit machen will, scheint der Bun- desregierung relativ gleichgültig zu sein. Vielleicht er- (Joseph Fischer, Bundesminister: Ja!) fahren wir von Herrn Struck in der anschließenden Debatte Genaueres dazu. Wieso fragen Sie nicht, ob die Der im Hinblick auf das Programm „Öl für Lebensmit- Türkei damit vielleicht einen Blitzvorstoß in die nord- tel“ bestehende Korruptionsausschuss, geleitet von Paul irakische Ölstadt Kirkut unternehmen will? Vor ein paar (B) Volcker, hat im amerikanischen Kongress einen Schluss- Jahren hätten solche schmutzigen Geschäfte die Grünen (D) bericht abgeliefert, der noch immer nicht veröffentlicht noch aus dem Gleichgewicht gebracht. worden ist, offensichtlich aus gutem Grund. Wenn diese Kommission darin ausdrücklich feststellt, dass bei dem (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) Programm „Öl für Lebensmittel“ – wir haben dies zu ei- Sie müssen sich fragen lassen, was diese kostspieli- nem großen Teil mitfinanziert – unter überwiegendergen militärischen Einsätze der Bundeswehr und die Waf- Beteiligung französischer und russischer Firmen und un- fenexporte außenpolitisch bewirkt haben. Ist die Welt ter ausschließlicher Finanzierung durch eine französi- durch die deutsche Außenpolitik sicherer geworden? sche Bank Gewinne gemacht worden, aber auch etwaNehmen wir den Einsatz der Bundeswehr in Afghanis- 12 Milliarden US-Dollar an Saddam Hussein zurückge- tan! Ziel war, mit der Bush-Regierung in uneinge- flossen sind, dann muss das hier im Parlament deutlich schränkter Solidarität einen Schlag gegen den internati- angesprochen und bewertet werden, auch wenn derje- onalen Terrorismus zu führen. Wir wissen: Es gab noch nige, der dieses Hilfsprogramm federführend geleitet nie so viel Terrorismus in dieser Welt wie heute und je- hat, der amtierende Generalsekretär Kofi Annan ist.den Tag kommen neue Opfer hinzu. Die Bush-Regie- Auch hier ist es dringend notwendig, dass die Fakten auf rung ist mit ihrem Krieg gegen den Terrorismus geschei- den Tisch kommen und dieser Bericht dem Deutschen tert. Die deutsche Regierung hat den Krieg gegen den Bundestag zur Kenntnis gebracht wird. Terrorismus glücklicherweise nicht bis zum bitteren Ende begleitet, aber – das darf nicht verschwiegen wer- Vielen Dank. den – immer logistisch unterstützt, auch den Irakkrieg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist eine Propagandarede im Geist Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: der NVA!) Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. Wir müssen uns jetzt gegen eine neue Logik des Wett- rüstens wehren. Es ist aus der Sicht der PDS der falsche Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Weg, die Europäische Union militärisch aufzurüsten, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! wie es auch der Entwurf der europäischen Verfassung Der Außenminister erklärte zum deutsch-amerikani- vorsieht. Wir wollen kein Wettrüsten gegen die USA und schen Verhältnis: wir wollen auch kein Wettrüsten gegen Terroristen. Das ist der falsche Weg! Die Zusammenarbeit ist so eng, dass sich die Frage des Aufeinanderzugehens gar nicht stellt. (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) 13088 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Gesine Lötzsch (A) Wie verhängnisvoll der Krieg gegen den Terrorismus besonders guten Weise auf die derzeitige historische Si- (C) ist, spüren wir auch hier in Europa in unserem persönli- tuation in der Ukraine hingewiesen, eine Situation, die chen Leben. Wenn jetzt überall über die islamistischeklare Signale erfordert. Meine Kollegen von der Opposi- Radikalisierung diskutiert wird, dann müssen wir unstion, ich habe es bedauert, dass es Ihnen nicht gegeben über eines im Klaren sein: Es ist der Krieg gegen denwar, diesen Ausführungen Applaus zu spenden, denn ich Terrorismus mit seinen vielen unschuldigen Opfern, der finde, es wäre notwendig gewesen. Wir müssen ein Si- viele Menschen radikalisiert. Es hat wohl niemand damit gnal setzen. Ich glaube, die gemeinsame Erklärung ist gerechnet, dass der Krieg gegen den Terrorismus – wie dafür der richtige Weg. wir das jetzt in den Niederlanden erleben mussten – so schnell auf das Leben in Europa zurückschlagen würde. Für mich ist Punkt 5 – er betrifft die Anerkennung ei- ner Zivilgesellschaft, die um Demokratie ringt und eine (Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wahlverfälschung nicht zulässt – besonders wichtig. NEN]: Sie haben die Anschläge von Madrid wohl gar nicht wahrgenommen, oder?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Uns von der PDS ist die Außenpolitik der Bundesre- gierung zu militaristisch. Darum haben wir für denWenn die Ukraine ein Grenzland ist – das scheint die Einzelplan 14, der gleich besprochen wird, eine Reihe wörtliche Übersetzung zu sein –, dann geht es dabei von Änderungsvorschlägen eingebracht. Das Geld für wohl um die Grenze zur EU. Die Ukraine darf aber nicht Auslandseinsätze der Bundeswehr und für die Beschaf- an der Grenze zur Demokratie liegen. Ich glaube, des- fung neuer Waffen wäre für humanitäre Arbeit wesent- halb ist dieses Signal, diese Entschließung, zu diesem lich besser angelegt. Vor einigen Jahren haben auch die Zeitpunkt genau das Richtige. Grünen diese Auffassung noch dezidiert vertreten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) Ich will auch auf die Europapolitik eingehen. Ich glaube, wir sollten die Europapolitik vor dem Hinter- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: grund betrachten, dass wir uns in einer Zeit befinden, in Das Wort hat der Kollege Kurt Bodewig, SPD-Frak- der es gelungen ist, eine große Erweiterung zu erreichen, tion. und in der durch die neue Verfassung eine Vertiefung be- vorsteht. Es ist klar: Mit den Regeln von Nizza kann man ein Europa der 25 nicht gestalten. Wir brauchen die- Kurt Bodewig (SPD): sen Verfassungsvertrag. Es ist wichtig, dass wir alle uns (B) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- dafür einsetzen, dass er realisiert wird. (D) legen! Frau Lötzsch, ich würde Ihren Beitrag ernst neh- men, wenn nicht Ihr damaliger Vormann in einer Situa- Ich habe noch die Ausführungen der CSU im Ohr – es tion, die mit dem, was wir zurzeit in der Ukraine erleben, stand Ende Oktober in der „FAZ“ –, denen zufolge es vergleichbar ist, zu Milosevic gepilgert wäre. der CSU wohl nicht möglich war, der Verfassung zuzu- stimmen. Das sollten Sie noch einmal überdenken. Sie (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der sollten das, was Sie proklamieren, Europa ernst zu neh- FDP – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: men, auch praktizieren. Hier haben Sie noch einen Lern- Ja, genau!) prozess vor sich. Aber der ist ja nicht ausgeschlossen. Milosevic sitzt jetzt in Den Haag. Er wird wegen seiner Mir ist noch ein anderes Thema wichtig, nämlich die verbrecherischen Politik angeklagt. Ich glaube, unter der Lissabonstrategie. Der Wim-Kok-Bericht ist ehrlich, verbrecherischen Politik des damaligen Gesprächspart- treffend und zeigt, dass die Vereinbarung der Staatschefs ners leidet die Balkanregion noch heute. – Das war die von vor vier Jahren in der Euphorie der damaligen Situa- erste Vorbemerkung. tion der Entwicklung des Internets und einer Aktienent- Die zweite Vorbemerkung richtet sich an Herrnwicklung, die damals zu großen Hoffnungen führten, Pflüger. Ich finde, Herr Pflüger, Sie haben heute eine rie- aber nicht eingetroffen sind, korrigiert werden muss. Ich sige Chance verpasst. Anstatt Johannes Raus Prinzipglaube, dass das Ziel von Lissabon nach wie vor richtig „Versöhnen statt Spalten“ in solch einer kritischen Situa- ist. Wir müssen uns global als wissensbasierten Wirt- tion zu praktizieren, haben Sie mit Ihren Ausführungen schaftsraum verstehen und diesen fortsetzen. Der Kok- zur Ukraine versucht, eine Spaltung der Politik hier in Bericht schlägt vor: Verbesserung der Wissensgesell- Deutschland zu betreiben, indem Sie dem Bundeskanz- schaft, Vollendung des Binnenmarktes, Schaffung eines ler Dinge unterstellen, die er in seiner Rede heute Mor- besseren Unternehmensklimas, schnellere Unterneh- gen anders formuliert hat. mensgründungen, Anpassungsfähigkeit der Arbeits- märkte und schließlich auch Investitionen und Ökoin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vestitionen. Dies ist ein richtiger und erfolgreicher Weg. DIE GRÜNEN) Ich finde, das ist kein guter Stil, und ich glaube, dass es Thomas Mirow, der deutsche Vertreter in der Kom- falsch ist. mission von Wim Kok, meinte, dass die grundlegende Ratio von Lissabon gültiger ist denn je: Keine europäi- Ich will ausdrücklich auf die Rede von sche Gert Nation kann auf sich allein gestellt im weltweiten Weisskirchen eingehen. Gert Weisskirchen hat in einer Wettbewerb erfolgreich agieren. Jeder Schritt eines EU- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13089

Kurt Bodewig (A) Mitgliedstaates zu mehr Wachstum und Wettbewerbs- In diesem Sinne ist eine solche Debatte unter europäi-(C) stärke gewinnt an Durchschlagskraft, wenn er mit ande- scher Sichtweise eine sinnvolle. ren Mitgliedstaaten abgestimmt ist. – Das ist richtig und gilt nach wie vor. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir müssen auch unsere eigenen Hausaufgaben ma- chen. In diesem Bereich ist fast anderthalb Dekaden des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nichts geschehen. Wir realisieren jetzt die Agenda 2010. Diese Agenda 2010 versteht sich in der Logik des Be- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: richts von Wim Kok. Wir müssen dies den Bürgern ver- Das Wort hat der Kollege Dr. Gerd Müller, CDU/ mitteln. Aber wir sollten den Bürgern auch vermitteln, CSU-Fraktion. dass wir auf europäischer Ebene Probleme überwiegend nicht durch Mehrausgaben lösen können, während wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hier nach den Kriterien des Wachstums- und Stabilitäts- paktes eine klare Sparpolitik betreiben. Ich glaube, das Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): geht nicht überein. Wir sollten sehr deutlich machen, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die dass wir eine Entwicklung brauchen, die Europa in Ge- Sorge um die Entwicklungen in der Ukraine berührt uns samtheit versteht, und dass wir diesenStabilitäts- und alle. Wir haben das Bemühen des Außenministers zur Wachstumspakt in beiden Teilen ernst nehmen. Kenntnis genommen. Aber wir sind der Meinung, dass Nachdem ich gerade die Kritik von Herrn Hintze ge- der Bundeskanzler hier Farbe bekennen muss. hört habe, frage ich mich, warum damals in den Wachs- (Gernot Erler [SPD]: Das hat er heute getan!) tumspakt nicht die große Leistung der deutschen Einheit eingearbeitet worden ist. Wir würden heute anders daste- Morgen ist dazu Gelegenheit. Beim EU-Russland-Gipfel hen, wenn man dies zur Grundlage hätte. Einige Ihrer muss dieses Thema auf die Tagesordnung. Das Ziel Vorwürfe sind mehr als unzutreffend. Deswegen glaube muss eine gemeinsame Erklärung zur Überprüfung der ich, dass wir die Lissabonstrategie als europäisches Mo- Wahl und zum Weg zur Demokratie in der Ukraine sein. dell weiterentwickeln sollten. Es ist notwendig, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in diesem Bereich vorankommen. neten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ich kann mir vorstellen, warum der Bundesaußenmi- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nister so emotional reagiert, wenn ich beim Thema Men- Ich möchte auf einen Punkt der Lissabonstrategie ein- schenrechte von den Seelenverkäufern bei den Grünen (B) gehen: die Herstellung eines einheitlichen Binnenmark- rede. (D) tes. Wir werden uns bei derDienstleistungsrichtlinie (Zuruf von der SPD: Was soll denn entscheiden müssen, ob wir Entbürokratisierung – die ist dieser Ausdruck?) dort auch angelegt – odereinen ausschließlichen Ab- bruch von Regeln und damit Deregulierung wollen. Das Der Punkt ist: Dieser Bundeskanzler fällt Gaddafi im Herkunftslandprinzip und seine Dominanz in dieserWüstenzelt um den Hals. Er fordert die Aufhebung des Richtlinie sagt nichts anderes, als dass wir faktisch eine Waffenembargos gegenüber China. Bei „Beckmann“ Inländerdiskriminierung erhalten werden und dass wir sagte Schröder vor zwei Tagen, Putin sei ein „lupenrei- faktisch einen – unzulässigen – Druck auf soziale, öko- ner Demokrat“ – und das angesichts der Entwicklungen logische und ökonomische Standards erhalten werden. in Russland! Dies ist ein desintegrierender Weg, weg von einer Har- monisierung in Europa, hin zu einem Europa der Her- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das stimmt kunftsländer, auf keinen Fall!) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, hier würde auch ich, wenn ich Ihr grüner Koalitionspartner wäre und an das in Ihrer deren Bedingungen dann in dem jeweils anzuwendenden Partei früher so hoch gehaltene Thema Menschenrechte Land nicht kontrolliert werden können. denke würde, Bauchschmerzen bekommen. Hier sollten wir uns entscheiden. Das ist eine Diskus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – sion, die wir in diesemParlament gemeinsam führen Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen. Aber in einem bin ich mir sicher: Dieses Europa NEN]: Das wird heute noch hoch gehalten!) ist stark, genauso stark wie die Bundesrepublik Deutsch- land. Lassen Sie mich zur Außenpolitik zurückkommen; denn am Ende dieser außenpolitischen Debatte sollte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch Bilanz über Erfolge und Misserfolge gezogen wer- den. Herr Außenminister Fischer, wir sind der Meinung, Ich bitte die Damen und Herren von der Opposition: Ma- dass Ihre Amtszeit in der Vergangenheit von drei ent- chen Sie bei Europa nicht den gleichen Fehler, den Sie scheidenden politischen Fehlern geprägt wurde: Erstens. mit diesem Land machen. Reden Sie Europa nicht ka- putt, sondern lassen Sie uns Europa gemeinsam entwi- Sie tragen die Verantwortung für eine nachhaltige Be- ckeln. schädigung der transatlantischen Beziehungen. Zwei- tens. Sie haben durch Ihre Politik NATO und EU gespal- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten. 13090 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Gerd Müller (A) (Willi Zylajew [CDU/CSU]: Herr Fischer ist ja kommenden Jahres den Prozess der Ratifikation des Ver- (C) gar nicht mehr da!) fassungsvertrages einleiten. Drittens. Herr Bundesverteidigungsminister, Deutsch- (Kurt Bodewig [SPD]: Stimmen Sie zu?) land ist nicht mehr abwehrbereit; darauf werden wir in Diesen Prozess haben wir vor uns. Dieser Verfassungs- der nachfolgenden Debatte noch eingehen. vertrag ist eine große Herausforderung für die Zukunft (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – der Europäischen Union. Gernot Erler [SPD]: Sie sollten auswandern, (Kurt Bodewig [SPD]: Was macht die CSU?) Herr Müller!) Im Zusammenhang mit seiner Ratifizierung stellen sich Nun komme ich zur Störung der transatlantischen neue Fragen, was die Zusammenarbeit von Parlament Partnerschaft. Diese Bundesregierung hat es geschafft, und Regierung betrifft. unsere Freundschaft mit Amerika zu gefährden. Es ge- nügt nicht ein Telefonanruf, um dies wieder in Ordnung (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Die ist nicht zu bringen. Neben der nachhaltigen Störung des transat- anwesend!) lantischen Verhältnisses ist der zweite gravierende Feh- Die Unionsfraktion bringt in den Ratifikationsprozess ler Ihrer politischen Amtszeit die von Ihnen aktiv betrie- die Forderung ein, dem Deutschen Bundestag bei der bene Spaltung der Europäischen Union und dereuropäischen Rechtsetzung in Zukunft ein maßgebliches NATO. Mitwirkungsrecht einzuräumen, wie es die Bundeslän- der bereits heute in ihren eigenen Angelegenheiten ha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ben. Wir wollen in der europäischen Gesetzgebung die Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gleichstellung des Bundestages mit dem Bundesrat. NEN]: Wo lebt der Mann?) Dazu bedarf es einer Grundgesetzänderung, zumindest In der Irakfrage sind Sie einen deutschen Sonderweg einer Änderung einfacher Gesetze. Dies müssen wir im gegangen. Sie haben einen Pralinengipfel einberufen.Zusammenhang mit dem Ratifikationsprozess miteinan- Wenn ich an die Bildung der Achse Paris–Berlin–Mos- der besprechen. Wir wollen mehr Rechte für die Parla- kau denke, dann sage ich Ihnen: Das ist nicht der ge-mente, nicht für die Bürokratie. Wir wollen mehr Rechte meinsame Weg in die Zukunft zur Lösung der großen für das Volk und nicht für die Bürokraten in Europa, Herausforderungen. nicht von oben nach unten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Kurt Bodewig [SPD]: Stimmen Sie denn zu?) Der Bundesaußenminister hat unser Gesprächsangebot Es gibt eine Grundübereinkunft zur Lösung dieser (B) dazu bisher abgelehnt, er hat es nicht angenommen. Das (D) großen Probleme im internationalen Bereich. Die euro- kann nicht der Weg nach vorne sein. päische Einheit und die transatlantische Partnerschaft sind keine sich ausschließenden Alternativen. (Kurt Bodewig [SPD]: Stimmen Sie denn zu?) (Kurt Bodewig [SPD]: Stimmt!) Ich möchte zum Thema Türkei nur ein paar wenige Sätze anfügen; unsere Position ist klar. Aber in wenigen Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe des deutschen Au- Tagen steht der europäische Gipfel an. Dabei steht eine ßenministers und des deutschen Bundeskanzlers, außen- Entscheidung an, die uns über zehn oder 20 Jahre, viel- politisch die Balance zwischen europäischer Einheit, leicht darüber hinaus, binden wird; eine unumkehrbare transatlantischer Partnerschaft und internationaler Zu- Entscheidung. Herr Außenminister Fischer, Sie haben sammenarbeit zu finden. einmal in einer Diskussion gesagt: Das ist eine 51 : 49- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neuen Entscheidung. Sie waren argumentativ einmal auf der und großen sicherheitspolitischen Herausforderungen anderen Seite. Aber eines ist klar: Die Mitgliedschaft der sind ohne die USA nicht zu bewältigen; in der verteidi- Türkei in der Europäischen Union ist der Abschied von gungspolitischen Debatte wird darauf eingegangen wer- der Vision der Politischen Union in Europa. den. Nachdem die Bundeswehrreform durchgeführt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wurde, ist Deutschland, was beispielsweise die Abwehr terroristischer Angriffe im eigenen Land betrifft, nurWir müssen dies wissen. Deshalb sagt die Union Nein noch bedingt abwehrbereit und abwehrfähig. Ich gebe zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Tür- den Stimmen von Rot und Grün Recht, die sagen: Sie kei. Wir sagen Ja zur Freundschaft, zur Partnerschaft, zum Ausbau unserer wirtschaftlichen, kulturellen und haben die Bundeswehr in immer neue Auslandseinsätze Sicherheitspartnerschaft. Die Türkei ist ein Freund und geschickt sowie die Truppenstärke und die zur Verfü- sie wird ein Freund bleiben. Aber wir müssen mit unse- gung stehenden Haushaltsmittel gekürzt. Jetzt machen ren Freunden aufrichtig umgehen: Die Türkei gehört we- Sie sich an die Abschaffung der Wehrpflicht und ver-der geographisch noch kulturell zur Europäischen nachlässigen die Landesverteidigung. Das ist ein unver- Union. Die Türkei ist doppelt so groß wie Deutschland. antwortlicher Weg. Eine Vollmitgliedschaft bedeutet Freizügigkeit. Freizü- (Beifall bei der CDU/CSU) gigkeit heißt nach Aussagen der EU-Kommission: 2 bis 3 Millionen Menschen, die der Armut Anatoliens ent- Lassen Sie mich zum Thema Verfassungsvertrag an fliehen und in die Europäische Union einwandern den Kollegen Hintze anknüpfen. Wir werden Anfangwerden. Migration – Kosten – Integration. Wir leisten Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13091

Dr. Gerd Müller (A) die große Aufgabe der Integration in Deutschland schon Dr. Elke Leonhard (C) heute nicht befriedigend. 80 Prozent der in Berlin einge- Alexander Bonde schulten sechsjährigen türkischen Kinder sprechen kein Jürgen Koppelin Wort Deutsch. Daran wird deutlich, dass wir schon heute bei der Integration der türkischen Mitbürger scheitern. Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der Wir müssen zunächst einmal diese dringenden Probleme CDU/CSU sowie ein Änderungsantrag der Abgeordneten angehen, bevor wir die Türen aufmachen und den EU- Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Über den Ände- Beitritt propagieren. rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf den Einzelplan 14 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abgestimmt wor- Sehr gut und sehr treffend hat Klaus-Dieterden. Frankenberger den Kurs deutscher Außen- und Verteidi- Weiterhin liegt je ein Entschließungsantrag der Frak- gungspolitik in der „FAZ“ umschrieben, Herr Fischertion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor, über – ich möchte ihn hier zitieren; die Überschrift lautet die wir am Freitag im Anschluss an die Schlussabstim- „Hakenschlagen ohne Ziel“ –: mung abstimmen werden. Die Bundesregierung ist dabei, die wichtigste Platt- form, auf der sie steht und auf der sie weltpolitisch Außerdem rufe ich Tagesordnungspunkte I.16 a und b spielen kann, die Europäische Union, zu beschädi- auf: gen. Sie träumt von Multipolarität und gelegentlich a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- von Gegenmachtbildung. Aber das ist ein Albtraum gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes gefährlicher Selbstüberschätzung. Daß auf zur Durchsetzung der Gleichstellung von Sol- Schröders Prioritätenliste China, Indien und Russ- datinnen und Soldaten der Bundeswehr (Sol- land ganz oben stehen, ist ein außenpolitischer datinnen- und Soldatengleichstellungsdurch- Schwenk, ein Traditionsbruch. Der ist riskant, wenn nicht geschichtsblind, weil er die Bedeutung, die setzungsgesetz – SDGleiG) Amerika nach wie vor fürDeutschland hat, unter- – Drucksache 15/3918 – schätzt und die Zentralität einer festgefügten Union (Erste Beratung 132. Sitzung) für die deutschen Interessen ignoriert. Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi- Ich kann Klaus-Dieter Frankenberger hier nur zustim- gungsausschusses (11. Ausschuss) men. Herzlichen Dank. – Drucksache 15/4255 – (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Berichterstattung: Abgeordnete Ursula Mogg Ursula Lietz Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- richts des Verteidigungsausschusses (11. Aus- plan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfassung. schuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, gen? – Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koali- Christian Schmidt (Fürth), Annette Widmann- tion gegen die Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der Mauz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS angenommen. der CDU/CSU Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungs- Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP aufdurchsetzungsgesetz zügig umsetzen Drucksache 15/4265 mit dem Titel „Fälschungen der – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, ukrainischen Präsidentschaftswahlen“. Wer stimmt für Anita Schäfer (Saalstadt), Christa Reichard diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an- Fraktion der CDU/CSU genommen. (Beifall im ganzen Hause) Frauen und Familien in der Bundeswehr stärken und fördern Ich rufe Tagesordnungspunkt I.15 auf: – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Einzelplan 14 Klaus Haupt, Helga Daub, weiterer Abgeord- Bundesministerium der Verteidigung neter und der Fraktion der FDP – Drucksachen 15/4312, 15/4323 – Bundeswehr stärken – Beschäftigungsbedin- gungen für Soldatinnen und Soldaten ver- Berichterstattung: bessern Abgeordnete Dietrich Austermann Bartholomäus Kalb – Drucksachen 15/3717, 15/3049, 15/3960,15/4255 – 13092 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Berichterstattung: derausgabe in allen Einzelplänen hat immer noch ein Vo- (C) Abgeordnete Ursula Mogg lumen von alles in allem 1,5 Milliarden Euro. Das bedeu- Karin Evers-Meyer tet, der Verteidigungsetat wird weiter heruntergefahren. Er Ursula Lietz liegt dann um etwa 1 Milliarde Euro unter dem des Vor- jahres. Das ist die konkrete Situation. Dass diese Mittel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nicht ausreichen, um Verteidigungspolitik in und außer- die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhalb Deutschlands zu betreiben, ist, so glaube ich, jeder- höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. mann klar. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Es ist bedauerlich, dass der Verteidigungsetat, der nur Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion. etwa 9 Prozent des Gesamtetats ausmacht, mit fast (Beifall bei der CDU/CSU) 30 Prozent bei den Kürzungen berücksichtigt wird. Hier hat sich der Verteidigungsminister offensichtlich nicht durchgesetzt. Vielleicht ist das ja auch der Grund, wes- Dietrich Austermann (CDU/CSU): halb er heute wieder einmal nicht selber reden wird. Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Bei Vielleicht ist das aber auch nur der übliche Firlefanz. Haushaltsberatungen geht es in erster Linie um Geld und Einmal darf der eine, dann darf mal der andere reden. bei der Diskussion über die Frage, wer es am besten mit Der eine wird angekündigt und der andere redet schließ- der Bundeswehr meint, muss ganz klar gesagt werden, in lich. Wir werden uns das anschauen. welcher Situation wir uns konkret befinden. Neben dieser maßlosen Zusammenstreichung des Der Haushalt hatte im Juni dieses Jahres auf dem Pa- Verteidigungsetats möchte ich einen zweiten Punkt an- pier ein Volumen von etwas über 24 Milliarden Euro. Er sprechen, nämlich die so genannte Transformation der wurde dann zwischen Staatssekretär Wagner und dem Fi- Bundeswehr. Mit der Transformation bzw. Weiterent- nanzminister noch einmal besprochen und um eine wicklung der Bundeswehr sollte durch die Verkleine- Viertel Milliarde Euro gekürzt. Auf dem Papier hat er jetzt rung, durch das Schließen von Standorten und durch ein Volumen von 23,9 Milliarden Euro. Eine weitere Kür- eine andere Aufgabengestaltung Geld gewonnen wer- zung ist durch die globale Minderausgabe vorgenommen den, um so künftige Aufgaben besser erledigen zu kön- worden. Das bedeutet, dass der Etat jetzt um etwa nen. 750 Millionen Euro unter dem Ansatz des Jahres 2003 liegt. Schauen Sie sich einmal die Zahl der Soldaten an. Sie werden feststellen, dass die Bundeswehr schon heute Es gab dann eine Ressortvereinbarung zwischen dem fast die Zahl erreicht, die sie erst im Jahr 2010 haben Verteidigungsminister und dem Finanzminister, mit der (B) sollte. Der Grund ist, dass in diesem Jahr(D) etwa festgelegt werden sollte, in welchem Volumen dem Ver- 25 000 Wehrpflichtige – imnächsten Jahr werden es teidigungsministerium für die Bundeswehr und all das, noch mehr sein – einfach nicht eingezogen werden. Die was mit der Bundeswehr zusammenhängt, mittelfristig Herabsetzung des Tauglichkeitsgrades T3 auf T2 – das Geld zur Verfügung steht. Von diesem gemeinsam be- heißt, alles, was „schlechter“ als T2 ist, wird nicht mehr schlossenen Plafond ist man dann in einer solchen Grö- eingezogen – bedeutet, dass in Deutschland von Wehrge- ßenordnung abgewichen, dass im Verteidigungsetat rechtigkeit praktisch überhaupt keine Rede mehr sein 2004 und im nächsten Jahr exakt 1,35 Milliarden Euro kann. Die Situation ist eben nicht mehr so, dass für junge weniger zur Verfügung stehen als versprochen. Damen und junge Herren die faire Chance besteht, zum (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Pfui!) Wehrdienst herangezogen zu werden. Die Bundeswehr hat inzwischen die Größenordnung von etwa Ich erwähne den Betrag deshalb, weil hier eine De- 250 000 Soldaten fast erreicht. Das heißt, all das, was batte darüber entstanden ist, was Kürzungsanträge der durch die „Transformation“ erwirtschaftet werden soll, Opposition für den Verteidigungsetat möglicherweiseist schon jetzt verbraucht. bedeuten würden. Um es deutlich zu sagen: Aufgrund der Verantwortung von CDU/CSU für den Gesamtetat Die nächste Sparaktion, e di bevorsteht, wird sich haben wir für alle Etats Kürzungsvorschläge gemacht. zwangsläufig auf die Beschaffung auswirken. Wir wer- Die Kürzungsvorschläge für das Verteidigungsministe- den in diesem Jahr nur einen Teil der ursprünglich ge- rium wurden uns so ausgelegt, als würden wir all das, planten Beschaffung realisieren können. Zu einem Teil was zur Bundeswehr gehört, um 580 Millionen Euro re- der ursprünglichen Beschaffung gehören zu meiner duzieren wollen. Das ist deshalb falsch, weil nur derFreude der Schützenpanzer Puma, die Kampfausstattung nichtmilitärische, flexibilisierte Teil der Verwaltungsaus- für die Infanteristen und ein Heeresinformationssystem. gaben betroffen sein sollte. Dieser Betrag umfasst ein Aber wir werden vieles, was in diesem Jahr geplant ist, Drittel der Kürzungen, die das Finanzministerium und nicht realisieren können, weil einfach das Geld nicht das Verteidigungsministerium für den Verteidigungsetat reicht. jetzt noch gemeinsam vorsehen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass im Verteidi- Was das bedeutet, kann sich jeder ausrechnen. Ein wei- gungsministerium nicht wirklich gespart wird. Der Bun- teres Mal ist der Verteidigungsetat unverhältnismäßigdesrechnungshof hat dies immer wieder dargestellt. stark zur Erwirtschaftung einer globalen Minderausgabe Erst vor kurzem wurde in einem umfangreichen Bericht herangezogen worden. Ich sage es allen Anwesenden, am häufigsten das Verteidigungsministerium in Verbin- weil die nächste Sparaktion bevorsteht: Die globale Min- dung mit Schlamperei verzeichnet. Dazu wurden noch Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13093

Dietrich Austermann (A) nicht einmal die Beraterverträge und andere Ereignisse diese müssen in den Wahlkreis meines Fraktionsvorsit- (C) gezählt. Elf neue Vorfälle werden dem Verteidigungsmi- zenden Struck. Also musste man 180 Millionen DM in- nisterium zugerechnet. Wenn man mit dem Geld anders vestieren, damit im Wahlkreis von Herrn Struck die umgegangen wäre und umgehen würde, stünde mit Si- Hubschrauber konzentriert werden. Dadurch wurde bei cherheit mehr Geld für Ausrüstung, Ausstattung, Übun- mir eine Kaserne frei. Ich habe damals erklärt, in diese gen und unsere Soldaten zur Verfügung. sehr ordentliche Kaserne können die Sanitäter einziehen, die bisher in einer unzureichenden Kaserne unterge- Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, das so ge- bracht sind. Dann aber hat man ausgerechnet, dass auf nannte Stationierungskonzept. Dies ist Ausdruck der einmal die Sanitäter wesentlich teurer wären als vorher Umsteuerung der Bundeswehr – der so genannten Trans- die Heeresflieger, die vorher wesentlich teurer als die formation – von einer Verteidigungsarmee mit Wehr-Sanitäter waren. Man legt sich das zurecht. pflicht, die für Heimatschutz, Katastrophenschutz und Landesverteidigung zuständig ist, wie sie im Grundge- Herr Struck, Sie wischen sich ständig über die Stirn. setz steht, hin zu einer Armee, die sich in erster Linie Ich deute diese Geste als Schwächezustand. Einen ande- darauf konzentriert, internationale Einsätze zu begleiten. ren Grund dafür kann ich mir nicht denken, es sei denn, Diese Aufgabe steht nicht im Grundgesetz. Da stehtSie wollten damit etwas Unparlamentarisches ausdrü- zwar auch etwas von internationalen Verpflichtungen, cken. aber an vielen Stellen istvon Verteidigungsarmee, Ver- (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ teidigungsauftrag und auch der Wehrpflicht die Rede. DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit!) All dies wird durch das ignoriert, was mit den Stand- Bei einzelnen Standortentscheidungen sind sachliche ortentscheidungen gemacht wird. Die Bundeswehr wird Kriterien nicht zu erkennen. Das kann ich für den Wahl- fast ausschließlich auf internationale Einsätze getrimmt. kreis der Kollegin Jaffke an der polnischen Grenze sa- Sie zieht sich zum Teil in unverantwortlicher Weise aus gen, aber auch für viele andere Standorte in Deutsch- der Fläche zurück und wird damit Aufgaben wie bei-land. Die Entscheidungen sind nicht nachzuvollziehen, spielsweise Heimatschutz, Katastrophenschutz und Ter- sie sind nicht logisch und nicht vernünftig. rorismusbekämpfung vor Ort, an der Küste in dem vor- gesehenen Umfang nicht mehr leisten können. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Bundesfinanzminister hat angekündigt, dass er weiter sparen muss. Es gibt in der Tat weitere Anlässe Es muss deutlich gemacht werden, welche Wirkung zum Sparen. Ich gehe davon aus, dass der Bundesrech- dies in Zukunft haben wird, was Sie natürlich bestreiten nungshof in absehbarer Zeit zwei Berichte vorlegen (B) (D) werden. Klar ist aber: Wenn ABC-Abwehr zur Terroris- wird, in denen er sich mit der GEBB auseinander setzt. musbekämpfung nicht mehr vorhanden ist, der Minen- Die GEBB ist eine Einrichtung, die den Verteidigungs- schutz in bestimmten Bereichen nicht mehr möglich ist minister beraten und bei dem, was er zu tun hat, unter- oder an anderer Stelle kein schweres Gerät mehr zur Ver- stützen soll. Die GEBB hat ein Flottenmanagement, ein fügung steht, dann hat das eindeutig Auswirkungen auf Fuhrparkmanagement und ein Bekleidungsmanagement die Situation im Inland. eingerichtet. Das Ganze sollte gemacht werden, um Per- sonal und Geld zu sparen. Inzwischen hat die GEBB Ich darf noch etwas zu der konkreten Ausgestaltung 5 000 Mitarbeiter. Von den 5 000 Mitarbeitern sind ei- bei der Reduzierung der Truppen sagen. Ich habe der nige Tausend vom Verteidigungsministerium ausgelie- Lokalpresse bei mir gesagt, ich habe den Eindruck, das, hen. Sie erscheinen nicht dort als Dienstposten, sondern was der Verteidigungsminister macht, ist ein Rachefeld- sie erscheinen bei der GEBB. Die GEBB sagt: Wir ha- zug gegenüber denjenigen, die sich kritisch zu seiner Ar- ben jetzt einen gewaltigen Apparat aufgebaut. Ist das beit äußern, bei der Kritik durchaus angebracht ist. Ich nicht toll? – Diese vielen Mitarbeiter sollen also jetzt darf einmal auf meinen Wahlkreis bezogen sagen Fahrzeuge, Verpflegung, Liegenschaften und vieles an- (Jürgen Koppelin [FDP]: Auf dere mehr managen. Ich kann Ihnen jetzt schon vorher- unseren Wahlkreis!) sagen, dass der Bundesrechnungshof in den nächsten Ta- gen zwei Berichte vorlegen wird, in denen er deutlich – ich weiß, es ist unser Wahlkreis, Jürgen –: 1998 gab es machen wird, dass die GEBB überhaupt nicht wirt- dort zusammen mit einem Kreiswehrersatzamt und einer schaftlich arbeitet und das, was dort gemacht wird, kei- Standortverwaltung noch sieben Standorte. Von diesen nen einzigen zusätzlichen Cent einspart, sondern es sich sieben Standorten wird in absehbarer Zeit keiner mehr dabei um Geldverschleuderung handelt, insbesondere übrig sein, obwohl einer der Standorte die ABC-Abwehr wenn man sich die Gehälter der führenden Leute in der enthält, die auch noch in Zukunft gebraucht wird. GEBB anschaut, die zum Teil mehr als doppelt so viel wie der Bundeskanzler verdienen. Es gibt also an vielen An einem anderen Standort sind die Sanitäter. An die- Stellen die Möglichkeit, zu sparen und das Geld für die sem Standort waren früher auch einmal Hubschrauber. Einsätze, die Ausstattung und die Ausrüstung der Bun- Aber der frühere Verteidigungsminister Scharping – die deswehr zu verwenden. Darüber sollte einmal informiert Älteren werden sich noch an ihn erinnern – hat gesagt, werden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ und der FDP) CSU]) 13094 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dietrich Austermann (A) Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, den ich in (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: (C) der Tat bemerkenswert finde. Wir haben miteinander im- Guter Mann!) mer die Auffassung vertreten, dass die Bundeswehr eine glaube ich, dass man einen Vergleich wagen kann. Er Armee des ganzen Parlaments ist, die von allen unter- stützt wird, die hier im Hause sitzen. Dazu gehört auch, wirkt ein bisschen so wie die Tante, von der Alexander dass man über das informiert wird, was in der Bundes- Moszkowski vor fast 100 Jahren schrieb: „Die sitzt auf dem Sofa und nimmt übel.“ wehr passiert, und dass das Parlament an Entscheidun- gen beteiligt wird. Bisher hat es das noch nicht gegeben, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem dass ein Minister Entscheidungen wie die jetzigen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Standortentscheidungen ohne eine vorherige Debatte mit Vertretern der Länder oder mit dem Parlament trifft. Wenn man sich die Rede anschaut, wird man dies auch feststellen. Jenseits der Sachebene, mit viel Polemik und (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE ohne Kenntnis im Detail stellt er sich hier hin und be- GRÜNEN]: Wir wissen auch, wie die vorheri- treibt Wahlkampf für Schleswig-Holstein. Das ist gut, gen Standortentscheidungen gelaufen sind!) das hat die CDU dort auch nötig, denn sie wird die Wahl verlieren. Trotzdem ist es nicht sachgerecht. – Bei Stoltenberg, bei Rühe und auch bei Scharping ha- ben wir vorher einen Entwurf gesehen und darüber dis- (Beifall bei der SPD) kutiert. Dann gab es die Entscheidung. Hier ist das genau Führen wir uns kurz vor Augen, was der Kollege von umgekehrt. sich gegeben hat.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Keine persönlichen Angriffe hier!) Herr Kollege, Sie wissen, dass Sie auf Kosten Ihrer Kollegen sprechen. Er hat gesagt, dass der Etat, also das Geld, das verfügbar ist, im kommenden Jahr um 1 Milliarde Euro niedriger Dietrich Austermann (CDU/CSU): als in diesem Jahr sein werde. Wir alle wissen, dass das so nicht richtig ist. Dasssich insbesondere diejenigen Ja, ich bin fertig. Ein letzter Satz. hervortun, die keine Verteidigungspolitiker sind, bedeu- Wir müssen feststellen, dass wir unter diesem Minis- tet, dass bar jeder Kenntnis Stimmung gemacht wird. ter nicht nur an Entscheidungen nicht beteiligt werden, Ihre wissenden Kollegen sitzen dort und schweigen. sondern noch nicht einmal darüber informiert werden. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe sogar manchmal den Eindruck, dass er selber (B) über das, was in der Bundeswehr und außerhalb der Trotz der Einsparungen aufgrund anderer Maßnah-(D) Bundeswehr geschieht, gar nicht Bescheid weiß. Ichmen werden in diesem Jahr 23,8 Milliarden Euro verfüg- brauche bloß das Stichwort Coesfeld zu erwähnen. Wenn bar sein. das stimmt, was ich im „Spiegel“ über das gelesen habe, (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was ist was sich vor drei Monaten zugetragen hat, dann kann ich mit der globalen Minderausgabe?) nur sagen: Es ist einiges in dieser Armee nicht in Ord- nung. Auch deswegen unterstützen wir den Verteidi- Das entspricht nicht 1 Milliarde Euro weniger, sondern gungsetat nicht. 100 Millionen Euro. Dies bedeutet kein maßloses Zu- sammenstreichen bei der Bundeswehr. Sie wissen es (Beifall bei der CDU/CSU) besser, Herr Austermann. Man sollte auf einer sachli- chen Ebene bleiben. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Nächster Redner ist der Kollege Johannes Kahrs, Solms) SPD-Fraktion. Dass die Transformation dazu führt, dass wir nicht (Beifall bei der SPD) mehr in der Lage sind, die Landesverteidigung aufrecht- zuerhalten oder Bundeswehreinsätze durchzuführen, Johannes Kahrs (SPD): wenn es die Not gebietet wie bei der Oderflut oder Ähn- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und lichem, ist schlichtweg falsch. Vielleicht sollte man sich Kollegen! Als erstes wünsche ich von dieser Stelle – ich beispielsweise an Charles de Gaulle orientieren, Herr hoffe, auch im Namen des ganzen Hauses – meiner er- Austermann, der gesagt hat, man dürfe nicht die Armee krankten lieben Kollegin Dr. Elke Leonhard, für die ich erhalten, die man gewohnt sei, sondern man müsse die hier reden soll, gute Besserung und ich hoffe, dass sie Armee aufstellen, die benötigt werde. Das heißt Trans- bald zurückkommt. formation. Es bedeutet, sich nicht nur an Liebgewonne- nes zu klammern, sondern das zu machen, was notwen- (Beifall im ganzen Hause) dig ist. Denn mit dem Geld der Steuerzahler sollte man verantwortungsbewusst umgehen. Normalerweise wäre ich jetzt sachlich eingestiegen, wie Haushälter das so machen, und wäre die Zahlen für Zu der GEBB haben Sie eine Menge Märchen erzählt. diesen Etat durchgegangen. Nachdem ich aber den Kol- Der Bundesrechnungshof hat eine Prüfung der ersten legen Austermann gehört habe, Jahre durchgeführt, als die Lage durch die bestehenden Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13095

Johannes Kahrs (A) Anfangsschwierigkeiten geprägt war. Wir alle wissen Im Etat stehen gesicherte Einnahmemöglichkeiten (C) aber, dass sich in den Jahren 2003 und 2004 die Lage an- aus dem Verkauf von Wehrmaterial in einer Größenord- ders darstellt. Zeigen Sie mir ein Unternehmen, dasnung von 100 Millionen Euro zur Verfügung. Außerdem heute anfängt und gleich auf 100 Prozent hochschnellt! gibt es eine Vorleistung auf die Veräußerung von Bun- Ein solches Unternehmen gibt es nicht. Es handelt sich, deswehrliegenschaften in Höhe von 40 Millionen Euro, wie gesagt, um billige Polemik und Panikmache. die entsprechend eingestellt werden können. Das heißt, dem Verteidigungshaushalt stehen für das Jahr 2005 Die Anmerkung zu dem Rachefeldzug gegen Kritiker Haushaltsmittel in Höhe von 23,8 Milliarden Euro zur ist ärmlich. Als Hanseat bzw. Hamburger könnte ichVerfügung. Das entspricht ungefähr der gleichen Grö- auch davon reden, was alles in den 80er- und 90er-Jah- ßenordnung wie in diesem Jahr. Von der von Ihnen kriti- ren in der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen sierten fehlenden Milliarde kann nicht die Rede sein, ab- wurde. Es gilt der Grundsatz, die Armee aufzustellen, gesehen davon, dass Sie Kürzungen in Höhe von die wir benötigen, und nicht die, die wir gewohnt sind. 1,2 Milliarden Euro gefordert haben. Das heißt auch, dass man sich nicht an jedenStandort klammern kann, sondern sich bemühen muss, das vor- Der Einzelplan 14 ist zwar knapp bemessen, dennoch handene Geld vernünftig und sinnstiftend so auszuge- ermöglicht er der Bundeswehr, die Ausstattung in dem ben, wie es die Soldaten benötigen. Deswegen ist esbenötigten Umfang anzuschaffen. Er bietet eine solide schade, dass Sie Ihre schöne Redezeit so vertan und so Basis, um die Transformation der Bundeswehr wie ge- wenige Inhalte geliefert haben, Herr Austermann. plant fortzusetzen. Dieser Haushalt ist reell und solide und nicht so schwammig wie die Forderungen der Nach Abschluss der Beratungen im Haushaltsaus-Union. schuss liegt jetzt der Haushaltsentwurf des Verteidi- gungsressorts vor. Die konzeptionellen und operativen Im Hinblick auf den reibungslosen Ablauf des Trans- Vorgaben des Transformationsprozesses werden in die- formationsprozesses, den Verteidigungsminister Struck sem Haushalt in aller Klarheit und Deutlichkeit abgebil- eingeleitet hat – dafür ist ihm zu danken; denn er muss det. all das wiedergutmachen, was in den Jahren vorher die Union verbockt hat –, ist dieses Einsparvolumen gerade Der Plafond des Einzelplans 14 beträgt 23,9 Milliar- noch vertretbar. den Euro und entspricht damit dem Regierungsentwurf, (Dirk Niebel [FDP]: Herr Scharping!) wie er vom Kabinett beschlossen wurde. Das Verteidi- gungsressort trägt zurKonsolidierung des Bundes- – Bei Herrn Scharping wissen Sie es doch besser. Er hat haushalts bei, und zwar mit einem Betrag in Höhe von die ersten notwendigen Maßnahmen eingeleitet, das wis- 328 Millionen Euro. Wir haben also unseren Beitrag ge- sen wir doch alle. (B) (D) leistet. Trotz der Einsparungen werden, wie gesagt, in (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Ja, aber diesem Jahr 23,9 Milliarden Euro verfügbar sein. falsch! – Dirk Niebel [FDP]: Tosender Ap- Nach Bekanntgabe der Ergebnisse der letzten Steuer- plaus bei den Regierungsfraktionen!) schätzung ist klar, dass auch der Einzelplan 14 einenDurch restriktive Steuerungsmaßnahmen im Betrieb Beitrag zur weiteren Konsolidierung leisten muss. Des- wird die Erwirtschaftung der zusätzlichen Einsparaufla- halb werden wir in diesem Jahr weitere 248 Millio-gen im Haushalt der Beschaffungsplanung nicht entge- nen Euro einsparen. genstehen. Herr Austermann, Sie haben davon gesprochen, dass Die Betriebsausgaben werden zugunsten der investi- 1 Milliarde Euro fehlt. Ich verweise Sie daher hocher- ven Ausgaben gesenkt. Insbesondere die Reduzierung freut auf Ihre Forderung, die flexibilisierten Ausgaben der militärischen und zivilen Personalumfänge, Maßnah- des Einzelplans 14 um 10 Prozent zu kürzen. Diese For- men zur Optimierung des Betriebes und Betreiberlösun- derung ist von der Union erhoben worden. Für den Ver- gen schlagen hier zu Buche. Die Betriebsausgaben sin- teidigungshaushalt macht das 582 Millionen Euro aus. ken insgesamt von mehr als 18 Milliarden Euro um rund Das ist völlig unrealistisch und unsinnig. 500 Millionen Euro auf 17,5 Milliarden Euro. Die Aus- wirkungen der von Bundesminister Struck kürzlich be- Gleichzeitig hat der Ministerpräsident von Bayern ge- kannt gegebenen Stationierungsentscheidung tragen ih- fordert, dass der Bund die Bundesausgaben in allen Etats ren Teil dazu bei. Herr Austermann, da müssen Sie nicht um 5 Prozent kürzen solle. Das wären für den Verteidi- beleidigt sein, sondern Sie können mir einfach zuhören. gungshaushalt 1,2 Milliarden Euro. Diese Forderung ist Dann lernen Sie dazu und er zählen künftig nicht so einen vonseiten der Union erhoben worden. Unsinn. Jetzt werfen Sie uns vor, dass 1 Milliarde Euro fehlt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des obwohl das gar nicht stimmt. Es geht um 100 Millio- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen Euro. Gleichzeitig fordert Ihre eigene Partei viel weiter gehende Kürzungen. Was ist das für ein finanzpo- Besonders hervorheben möchte ich dabei die Absen- litisches Chaos in der Union? Sie sind dafür verantwort- kung der Personalausgaben. Diese sinken von 12,3 Mil- lich und das ist peinlich. liarden Euro im Jahre 2004 auf rund 12 Milliarden Euro. Wir berücksichtigen in diesem Fall die Absenkung der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Veranschlagungsstärke der Soldaten um 25 000 bis zum BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jahr 2010 und einen um rund 3 700 Mitarbeiter 13096 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Johannes Kahrs (A) verringerten zivilen Personalumfang im nächsten Jahr. vernetzten Operationsführung. Dies gilt für dieeinsatz- (C) Dazu muss allerdings gesagt werden, dass der Perso-wichtigen Heeresneuvorhaben DINGO 2, DURO, nalabbau im zivilen Bereich langsamer verläuft, als wir ESK MUNGO sowie insbesondere den Schützenpanzer uns das gewünscht haben. Hier besteht deutlicher Hand- Puma. lungsbedarf. (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Lesen Sie Der Transformationsprozess hat aber auch Auswir- doch nicht alles ab, was Ihnen das Verteidi- kungen auf die Optimierung im Betrieb. Dadurch kön- gungsministerium aufgeschrieben hat!) nen die Ausgaben für Materialerhaltung und die Ausga- Die Beschaffung des Puma ist nicht nur für die Panzer- ben für den sonstigen Betrieb deutlich reduziert werden. grenadiertruppe von großer Bedeutung. Das sollten Sie, Die Ausgaben für Materialerhaltung konnten gegenüber liebe Kolleginnen und Kollegen, aus eigener Kenntnis dem Vorjahr um rund 140 Millionen Euro im Wesentli- wissen, dann müsste ich als Major der Panzergrenadier- chen aufgrund der Erwartungen weiterer Außerdienst- truppe Ihnen das nicht erzählen. Sie soll zusätzlich die stellung von Material gesenkt werden. Die Bundeswehr Konsolidierung der Landsystemindustrie befördern. Der muss in diesem Bereich jedoch keine unerwünschtenheute bekannt gewordene Verkauf von 42,1 Prozent der operativen Einschnitte hinnehmen. Aktien an der Firma Rheinmetall an institutionelle Anle- Um eine sichere Durchführung und eine gesicherte ger ist aus derzeitiger Sicht von allen Alternativen noch Fortsetzung internationaler Einsätze der Bundeswehr ge- die beste. Ich hoffe, dass dies zu einer Konsolidierung währleisten zu können, haben die zuständigen Berichter- der deutschen Landsystemindustrie beiträgt bzw. diese statter für den Einzelplan 14 im Haushaltsausschuss Vor- zumindest nicht beeinträchtigt. Auf jeden Fall zeigt sich sorge getroffen. Für einsatzbedingten Sofortbedarf sind hier, dass sich das geänderte Außenwirtschaftsgesetz, die Mittel gegenüber dem Regierungsentwurf um rund das der Regierung ein Mitspracherecht bei der Über- 64 Millionen Euro auf nunmehr 700 Millionen Euro an- nahme deutscher Rüstungsunternehmen einräumt, be- gehoben worden. Die anstehenden Ausgaben für einen währt hat. Einsatz im Sudan werden daraus erwirtschaftet. (Unruhe) Die Veranschlagung derBetreiberlösungen – hier – Kollegen, hören Sie doch einfach zu und sabbeln Sie handelt es sich um funktionierende Kooperationen mit nicht laufend dazwischen! Sie können hier ernsthaft et- der Wirtschaft – ist von rund 245 Millionen Euro imwas dazulernen. Vorjahr auf nunmehr rund 300 Millionen Euro gestiegen. Solche Betreiberlösungen, übrigens zu Unionszeiten un- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und denkbar, ermöglichen eine Verbesserung der Ausstattung der FDP) (B) (D) der Bundeswehr ohne eine Bindung von Investitionsmit- Ein Verkauf des Gesamtpaketes an ausländische Kon- teln. So kann das Parlament heute wegen des vorgesehe- kurrenten, wie zum Beispiel General Dynamics, kann nen Betreibermodells für den Simulator beim NH 90 im nun ebenso verhindert werden wie ein Verkauf gestü- Haushalt 2005 eine Erhöhung des Ansatzes für wehr-ckelter Aktienpakete an ausländische Investoren. Dies technische Forschung und Technologie um 30 Millio- gilt für die geplante Beschaffung von vier Fregatten der nen Euro beschließen. 125er-Klasse und zwei U-Booten der 212er-Klasse, die Mit der Bw Fuhrpark Service GmbH wurde durch die der Marine eine langfristige Perspektive gibt und gleich- Bereitstellung von mehr als 14 000 Neufahrzeugen mit zeitig die Konsolidierung des Marineschiffbaus im einem hypothetischen Beschaffungswert von circaWerftenverbund von Blohm + Voss, HDW und Emden 260 Millionen Euro begonnen, den Investitionsstau bei Nordseewerke unterstützt. Dies gilt ebenso für das den Fahrzeugen der Bundeswehr abzubauen. zweite Los Eurofighter, das sowohl für die Luftwaffe als auch für die Unterstützung der erfolgten Konsolidierung Durch die genannten Einsparungen bei den Be-in der Luft- und Raumfahrtindustrie unverzichtbar ist triebsausgaben konnten die verteidigungsintensivenund insbesondere den deutschen Anteil an EADS unter- Ausgaben deutlich erhöht werden. So sparen wirstützt. 580 Millionen Euro ein und können die Investitionen von 5,92 Milliarden Euro auf nunmehr rund 6,15 Mil- Mit dem vorliegenden Haushalt wird also die Trans- liarden Euro anheben. Wir gehen den Weg, die tatsäch- formation der Bundeswehr unterstützt und gleichzeitig lich verfügbaren Haushaltsmittel für die Verteidigung der Einstieg in eine langfristige Politik für die wehrtech- zukunftsorientiert und aufgabenbezogen zu nutzen, und nische Industrie – sowohl für die großen Systemhäuser zwar für unsere Streitkräfte und die davon abhängigeals auch für den wichtigen, besonders zu fördernden in- wehrtechnische Industrie in Deutschland. novativen Mittelstand – mit dem Ziel betrieben, deut- sche Kernkompetenzen zu halten und zu sichern; denn Die jetzt vorgesehene Finanzausstattung erlaubt die zur Bundeswehr gehört auch die wehrtechnische Indus- Realisierung wichtiger Vorhaben für den Transforma- trie. Allerdings dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, tionsprozess der Bundeswehr. Das gilt insbesondere für dass wegen des zu erbringenden Beitrags zur Konsoli- die aus bündnispolitischer Sicht bedeutsamen Projekte dierung nur ein kleiner Teil der bei den Betriebsausga- wie die erste Ausbaustufe des streifkräftegemeinsamen ben eingesparten Mittel tatsächlich zur Aufstockung der Führunginformationssystems, das Satellitenkommunika- Verteidigungsinvestitionen genutzt werden kann. Das tionssystem der Bundeswehr, Stufe 2, und die Kampf- Verhältnis der Betriebsausgaben zu den Investitionsaus- ausstattung „Infanterist der Zukunft“ im Rahmen dergaben liegt in einem gerade noch vertretbaren Rahmen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13097

Johannes Kahrs (A) Das Ende der Belastbarkeit ist aber erreicht. Weiteremacht hat. Ich wünsche Ihnen allen weiterhin eine(C) Einschnitte im kommenden Haushaltsjahr sind nichtschöne Debatte. mehr verkraftbar, ohne in die Investitionen einzugreifen, die für die Schließung der erkannten Fähigkeitslücken Vielen Dank. notwendig sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Eine dauerhaft gesicherte Finanzplanung auf Basis DIE GRÜNEN) des 37. Finanzplans ist unabdingbare Voraussetzung, um die Transformation der Bundeswehr erfolgreich zu been- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den und die Einhaltung der von der Bundesregierung den Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Nolting von Bündnispartnern zugesagten internationalen Verpflich- der FDP-Fraktion. tungen sicherzustellen. Ich glaube, wir Sozialdemokra- ten haben es zusammen mit den Grünen geschafft, einen Haushalt aufzustellen, der in sachlicher und fachlicher Günther Friedrich Nolting (FDP): Hinsicht solide ist, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- lege Kahrs, als Sie gerade dieses Lob ausgesprochen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des auch die Mitglieder des Verteidigungsausschusses er- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wider- wähnt haben, habe ich mich gleich gefragt, was wir ei- spruch des Abg. Günther Friedrich Nolting gentlich falsch gemacht haben. Dazu, dass Sie hier die [FDP]) Opposition angegriffen haben, kann ich nur sagen: Sie der der Bundeswehr sowie insbesondere den Soldaten im haben genau die Probleme, die Sie 16 Jahre lang haben Einsatz eine Zukunft bietet und der die Bundeswehr mit wollten. Also beschweren Sie sich hier nicht! dem notwendigen Material ausstattet. Herr Austermann, Herr Kollege Kahrs, Sie wissen ganz genau, dass die das haben Sie sehr häufig nicht geschafft. Das kann ich, Entscheidungen und die Maßnahmen von Minister der ich jahrelang mit dem Marder gefahren bin, bezeu- Scharping grundlegend falsch waren. Sie haben uns Mil- gen. Während Ihrer Regierungszeit war dieses Fahrzeug liarden gekostet. Deswegen ist der Verteidigungsminis- nie so funktionstüchtig, dass es die Soldaten richtig nut- ter heute in dieser schwierigen Situation und deswegen zen konnten. Ihnen ist doch bekannt, dass alle vorhande- muss jetzt, sechs Jahre nach der Regierungsübernahme nen großen Waffensysteme damals unter Apel, Helmut durch Rot-Grün, umstrukturiert werden. Auch wir stehen Schmidt und Leber angeschafft worden sind. Sie haben zu dieser Umstrukturierung. Aber tun Sie doch nicht es 16 Jahre lang verschlafen, etwas zu tun, und haben so, als wären Sie dafür nicht verantwortlich. Sie sind uns nichts hinterlassen. Wir sind nun dabei, die Bundes- (B) jetzt sechs Jahre an der Regierung. Stehen Sie zu Ihrer (D) wehr wieder so aufzubauen, wie es notwendig ist. Verantwortung! (Zuruf von der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Jawohl, das ist richtig. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU) der Opposition, Sie solltenmeinem Kollegen ruhig er- Sie wissen ganz genau, dass die Finanzmittel für eine gut lauben, dazwischenzurufen. Dann lernen Sie noch mehr ausgestattete Bundeswehr hinten und vorne nicht ausrei- dazu. chen. Wir Sozialdemokraten haben es gemeinsam mit Mi- Herr Minister, Sie müssen die Bundeswehr schlag- nister Struck und seiner fähigen Riege von Staatssekretä- kräftiger und bündnisfähiger machen. Sie müssen die ren geschafft, Attraktivität des Dienstes steigern, um guten Nachwuchs (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rekrutieren zu können. Dies ist mit Ihrem Spagat zwi- schen Beibehaltung der Wehrpflicht auf der einen Seite die Bundeswehr einen großen Schritt voranzubringen. und Unterfinanzierung der gewählten Struktur auf der Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kollegen so- anderen Seite aber nicht möglich. Auch das wissen Sie. wohl von der Regierungskoalition als auch von der Op- Herr Minister, ich frage Sie – vielleicht wird Staatsse- position für das große Engagement und die gute Zusam- kretär Wagner auf diese Fragen gleich eingehen –: Han- menarbeit im Verteidigungsausschuss bedanken. – Der deln Sie, was Ihre Untergebenen angeht, fürsorglich, Kollege Austermann scheint das alles nicht mehr mitzu- wenn Sie den Angehörigen der Bundeswehr immer mehr bekommen. Lasten aufbürden? Handeln Sie fürsorglich, wenn Sie Auch im Haushaltsausschuss haben wir vernünftigder Bundeswehr die zwingend notwendigen Mittel ver- zusammengearbeitet. sagen, weil Sie sich gegenüber Ihren Kollegen in den Haushaltsplanberatungen nicht durchsetzen können? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was sagen Sie zu der anstehenden zusätzlichen globalen Minderausgabe von 250 Millionen Euro? Ich würde Ich bedanke mich insbesondere bei all den Kollegen, die mich freuen, wenn diese Fragen heute hier beantwortet daran mitgewirkt haben. Rainer Arnold mit seinen Ver- werden. teidigungspolitikern ist uns auch im Haushaltsausschuss ständig eine große Stütze. Ich danke insbesondere mei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ner Kollegin Elke Leonhard, die das alles möglich ge- der CDU/CSU) 13098 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Günther Friedrich Nolting (A) Herr Minister Struck, wenn Außenminister Fischer Depots vorgehalten werden. Als Haushälter wissen Sie (C) von der Grünenfraktion immer mehr Einsätze der Bun- ebenso gut wie ich, wie viel Geld das kostet. Wir erwar- deswehr im Ausland fordert, dann müssen Sie ihn, Au- ten hier mehr Flexibilität. Dazu haben wir Vorschläge ßenminister Fischer, und seine Fraktion im Zuge dergemacht. Das wissen Sie zwar; allerdings verschweigen Haushaltsberatungen auch bei der Mittelvergabe beim Sie es heute. Wort nehmen, nach dem Motto: Wer bestellt, muss (Beifall bei der FDP) schließlich auch bezahlen. Sie wissen, was ich zu dieser Rollenteilung schon einmal gesagt habe. Ich komme auf die 24 Milliarden Euro zurück. Sie reichen eben nicht für eine Bundeswehr aus, die in über- (Beifall bei der FDP) holter Wehrstruktur und in von oben verordneter alter Der Haushalt von 24 Milliarden Euro könnte für eine Denkweise verharren muss. gut ausgerüstete und professionelle Bundeswehr viel- (Johannes Kahrs [SPD]: Sie ist nicht überholt! leicht knapp ausreichen, aber eben nur für eine Bundes- Sie ist aktuell!) wehr, in der den Betroffenen, zum Beispiel im Rahmen der flexiblen Budgetierung vor Ort, mehr Eigenverant- Attraktivität, Flexibilität, Einsparungen und weniger Bü- wortlichkeit in Bezug auf Investitionen und Ausgaben rokratie werden abgelehnt. Man bleibt bei der Wahrung gelassen wird. Meiner festen Überzeugung nach sind die vieler überholter Strukturen und Denkweisen und gau- Kommandeure und Dienststellenleiter sehr kreativ und kelt den Steuerzahlern soziale Kompetenz vor. innovativ. Man muss sie nur lassen. Mit anderen Worten: Es muss ihnen auch möglich sein. Herr Minister, noch ein Wort zur Wehrpflicht. Selbst wenn ich Ihnen persönlich, Herr Minister Struck, noch (Beifall bei der FDP) eine gute Absicht bezüglich der Wehrpflicht unterstelle – auch wenn ich mit Ihnen in dieser Frage nicht einer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Meinung bin –, bin ich der festen Überzeugung, dass die Herr Kollege Nolting, erlauben Sie eine Zwischen- Strategien zur Vermarktung des Endes der Wehrpflicht frage des Kollegen Bonde von den Grünen? bereits in den Schreibtischschubladen Ihres Parteivorsit- zenden Müntefering und des Bundeskanzlers liegen. Günther Friedrich Nolting (FDP): Was der SPD und dem Kanzler im Wahljahr 2002 der Ja, selbstverständlich. Irak und das Hochwasser war, wird ihnen im Wahljahr 2006 die Wehrpflicht sein. Skrupellos – davon bin ich felsenfest überzeugt – wird die Bundeswehr von Rot- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (B) Grün im Wahlkampf missbraucht werden. Die Union(D) Bitte schön. wird von ihnen im Wahlkampf in dieser Frage vorge- führt werden. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kollege Nolting, Sie haben auf die dringende Not- (Johannes Kahrs [SPD]: Wir stehen zur Wehr- wendigkeit zusätzlicher Ausgaben hingewiesen. Sie ha- pflicht!) ben betont, der Minister habe sich gegenüber dem Kabi- Warum sollten genau die Personen, die zwecks Machter- nett nicht durchgesetzt. Daher möchte ich Sie gernehalt 2002 nicht davor zurückschreckten, das transatlanti- fragen, wie Ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit in Ihrer sche Verhältnis massiv zu beschädigen, Haushaltsgruppe in den Haushaltsverhandlungen war. Im Haushaltsausschuss sind mir keine besonderen „Auf- (Johannes Kahrs [SPD]: Das war eine gute wuchsanträge“ der FDP-Fraktion aufgefallen. Vielleicht Entscheidung! Wollen Sie, dass die Bundes- können Sie mir da auf die Sprünge helfen. wehr in den Irak geht?) Skrupel haben, jetzt die Wehrpflichtfrage zum Wahl- Günther Friedrich Nolting (FDP): kampfthema zu machen? Hauptsache, die Wahl wird ge- Herr Kollege Bonde, vielleicht schauen Sie einmal in wonnen! unser Programm von vor vier Jahren. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CDU/CSU) DIE GRÜNEN) Ich kann hier heute ankündigen, dass wir erneut einen – Wir waren etwas schneller als Sie. Im Gegensatz zu Ih- Antrag zur Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht ein- nen waren wir unserer Zeit voraus. – In diesem Pro-bringen werden. gramm haben wir aufgezeigt, wie wir uns die Bundes- (Johannes Kahrs [SPD]: Unglaublich!) wehr der Zukunft und die effektive Verwendung von Geldern vorstellen. Heute sage ich Ihnen: Mir – viel-Die Wehrpflicht ist sicherheitspolitisch nicht mehr zu le- leicht auch Ihnen als Haushälter – fallen viele Möglich- gitimieren. Wir wollen die Entscheidung jetzt haben. keiten ein, wie Gelder effektiver eingesetzt werden kön- (Beifall bei der FDP – Bernd Siebert [CDU/ nen. Ich denke allein daran, dass wir heute noch immer CSU]: Das muss nicht unbedingt sein!) eine Aufwuchsfähigkeit von 500 000 Soldaten haben. Für diese Soldaten müssen die entsprechenden Geräte, Rot-Grün, vor allem Grün, wird in dieser Frage Farbe die entsprechende Ausrüstung und die entsprechenden bekennen müssen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13099

Günther Friedrich Nolting (A) (Johannes Kahrs [SPD]: Das heißt aber nichts! Aber den Worten müssen auch Taten folgen. Wir werden (C) Die SPD steht zur Wehrpflicht!) ihn an seinen Taten messen. Ich will den Verteidigungsminister an dieser Stelle lo- (Beifall bei der FDP) ben; ich hoffe, das schadet nicht. In enger Zusammenar- beit zwischen Ihnen, Herr Minister Struck, Ihrem Haus Bei den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland und dem Parlament ist es gelungen, endlich die Beschaf- kann das rot-grüne Verhalten nur auf Unverständnis sto- fung des Schützenpanzers Puma in die Wege zu leiten. ßen. Nicht die Aussetzung der Wehrpflicht und die Ver- kleinerung der Bundeswehr bergen die Gefahr der Ent- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fernung der Bundeswehr von der Gesellschaft in sich; der SPD) Ihre Regierungsarbeit stellt diese Gefahr dar. Wir haben Das ist gut – ich bekräftige dies ausdrücklich –; ich stehe versucht – ich habe schon darauf hingewiesen –, im Rah- auch dazu. Unsere Soldatinnen und Soldaten – ichmen der Haushaltsdebatte die Situation zu verbessern. denke, darin stimmen wir überein – brauchen diesenDie rot-grüne Regierungsmehrheit hat dies abgelehnt. Schutz. Ich hoffe, Herr Kollege Kahrs, dass der Zeitplan Rot-Grün ist beratungsresistent. eingehalten wird und die Beschaffungsvorlage rechtzei- Lassen Sie mich auf die Vorlagen zur Gleichstellung tig zugeleitet wird, sodass wir noch in diesem Jahr da- von Soldatinnen und Soldaten eingehen, die die Frau rüber entscheiden können. Präsidentin – Ihre Vorgängerin bei der Leitung der Sit- Herr Minister Struck, weniger gut ist allerdings, dass zung, Herr Präsident – vorhin aufgerufen hat. Liberale Sie bei den Kasernenschließungen die betroffenen Kom- Linie ist die Ablehnung vonQuotenregelungen. Der munen im Regen stehen lassen. Sie sind nicht der Infra- Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung aber strukturminister der Bundesregierung – das ist richtig –, sieht vor, dass Frauen beim beruflichen Aufstieg bevor- aber es ist falsch, dass die Bundesregierung die Gemein- zugt berücksichtigt werden müssen. den im Stich lässt, (Johannes Kahrs [SPD]: Wer hat denn das ge- (Johannes Kahrs [SPD]: Die Länder haben sagt?) doch Geld bekommen!) Die Soldatinnen selbst wollen aber keine Quotenfrauen weil man sich in der Bundesregierung offensichtlichsein. nicht einig ist und sich andere Ressorts diesen Proble- men verschließen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ursula Die FDP-Bundestagsfraktion hat deshalb einen eige- (B) Lietz [CDU/CSU]) nen Antrag eingebracht, mit dem wir von der FDP die(D) Beschäftigungsbedingungen für Soldatinnen und Solda- Die Entwicklung der Bundeswehr zu einer unterfi- ten deutlich verbessern wollen. Wir wollen unter ande- nanzierten und schlecht ausgestatteten Armee ist besorg- rem erreichen, dass die Anstrengungen im Bereich der niserregend. Falsche Beschlüsse, zum Beispiel – ichPersonalwerbung vergrößert werden und bei Auswahl- habe darauf hingewiesen – die Aufblähung von Stäben entscheidungen und sonstigen personalen Maßnahmen und des Ministeriums, sowie die verfassungswidrigen Frauen im objektiven Qualitätswettbewerb mit den Methoden, zum Beispiel die Einberufung von nur rund männlichen Kameraden angemessen berücksichtigt wer- 10 Prozent aller geeigneten jungen Männer, sorgen da- den. für, dass alle Erfolge, die durch die Soldaten selbst er- zielt wurden, zunichte gemacht werden. Wir sagen nämlich dazu: Eine höhere Anzahl von weiblichem Führungspersonal wäre aufgrund der Vor- (Beifall bei der FDP) bildfunktion ein Vorteil bei der Gewinnung qualifizierter Herr Kollege Austermann, Sie haben hier dieVor- und interessierter Frauen für den Dienst in der Bundes- fälle von Coesfeld angesprochen. Ich will die wahrlich wehr. Die FDP fordert auch, dass Soldatinnen gemäß der nicht verniedlichen. Wir werden im Ausschuss über die Laufbahnverordnung bei entsprechender Leistung, Eig- Vorfälle beraten und sie gemeinsam mit dem Verteidi- nung und Befähigung – das sind die zentralen Entschei- gungsministerium klären. Aber ich bin nicht bereit, die dungskriterien – in gleicher Weise wie Soldaten bis in Bundeswehr in Gänze unter Generalverdacht zu stellen. die Spitzendienstgrade befördert werden. Ich hoffe, dass Es waren Einzelfälle; wir sollten das nicht verallgemei- Sie unserem Antrag zustimmen werden. nern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP, der SPD und der CDU/ CSU sowie des Abg. Winfried Nachtwei (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der CDU/CSU) Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten hervorra- gende Arbeit, teilweise unter schwierigen Bedingungen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir danken ihnen dafür. Der Bundeskanzler hat hier Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei heute Morgen die Bundeswehr gelobt. Da hat er Recht. vom Bündnis 90/Die Grünen. (Gernot Erler [SPD]: Er hat sowieso immer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Recht!) sowie bei Abgeordneten der SPD) 13100 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

(A) Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nach kann und darf die Bundeswehr neben der Landes- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!verteidigung nur im Rahmen eines Systems kollektiver Sehr geehrte Damen und Herren! Heute diskutieren und Sicherheit zur Wahrung des Friedens eingesetzt werden. entscheiden wir über die finanzielle Ausstattung derSo lauten die Formulierungen im Grundgesetz. Negativ Bundeswehr. In den letzten Wochen haben wir über die ausgedrückt: Friedensstörungen, insbesondere Vorberei- Schließung etlicher Standorte diskutiert sowie über die tung von Angriffskriegen, sind verfassungswidrig. Das Wehrform in der Öffentlichkeit gestritten. Heute steht ist unsere Verfassungsrealität. Sie gilt selbstverständlich aufgrund aktueller Ereignisse ein Themenkomplex ganz für die Bundeswehr. oben auf der Tagesordnung, das für die Bundeswehr sehr Für die Teilnahme an multilateraler Krisenbewälti- zentral ist, aber in der Regel nicht im Blickpunkt der Öf- gung sind neue Fähigkeiten unabdingbar, die auch über fentlichkeit steht, nämlich die Fragen nach Ausbildung große Distanzen wirksam sind. Damit entsteht unzwei- und Klima innerhalb der Bundeswehr sowie nach der In- felhaft eine Interventionsfähigkeit. Aber ich sage aus- neren Führung. Sie gestatten, dass ich darauf zuerst ein- drücklich: Damit wollen wir die Bundeswehr keines- gehe. wegs zu einer Interventionsarmee machen. Das ist ein Was aus der Ausbildungskompanie eines Instandset- riesiger Unterschied. zungsbataillons in Coesfeld bekannt wurde, ist in mehr- Für die Bundeswehr gilt kategorisch: Sie wird nur für facher Hinsicht bestürzend: einmal im Hinblick auf die die Ziele der Vereinten Nationen und nach den Regeln Art der Verstöße, bei denen eindeutig die Grenze von rea- des Völkerrechts eingesetzt. Ich konnte bisher immer da- litätsnaher Ausbildung überschritten und Menschen- von ausgehen, dass über diesen Rahmen im Deutschen würde beeinträchtigt und verletzt wurde, dann im Hin- Bundestag eindeutig Konsens besteht. Auch deshalb ha- blick auf die Zahl der aktiv Verwickelten und der passiv ben wir uns nicht am Irakkrieg beteiligt; ein anderer Verwickelten und schließlich – das ist beunruhigend und Grund waren die absehbaren Folgen. Dies war ein deut- auch rätselhaft – im Hinblick auf die Tatsache, dass so licher Beleg für unsere Haltung. viele in der Kompanie und in der Kaserne davon wuss- ten, aber keiner es meldete. Die Vorfälle von Coesfeld sind weder die Spitze ei- nes Eisbergs – hierauf haben ich und auch die anderen Wir wissen noch nicht genau, woran das liegt, aber es Kollegen bisher keinerlei Hinweise – noch die kausale drängen sich bestimmte Erklärungen doch zumindest Konsequenz aus Auslandseinsätzen. Stattdessen gilt: Die auf. Offenkundig fehlte es an einem entsprechenden neuen Aufgaben, die Friedenseinsätze erfordern ein viel Pflicht- bzw. Unrechtsbewusstsein, an Unterscheidungs- breiteres Spektrum an Fähigkeiten und eine besondere vermögen zwischen harter Ausbildung und einer Ausbil- Verhaltenssicherheit der Soldaten sowie militärische, dung, bei der Menschenrechte verletzt werden. Offen- (B) technische und soziale Kompetenz und ein ganz anderes (D) kundig steckte der Wurm in der ganzen Kompanie. Es Rechtsbewusstsein in einer Gesellschaft, in der Wertvor- handelt sich also doch um mehr als um das Fehlverhalten stellungen immer mehr ins Rutschen geraten. einzelner Personen. Die bruchstückhaften Darstellungen haben Assoziationen an Abu Ghureib geweckt. Das Die Notwendigkeit solch umfassender Kompetenzen schlug sich ja auch in manchen Überschriften nieder.zeigen negativ der Irakkrieg und positiv die bisher er- Dazu müssen wir aber eindeutig klarstellen, dass Paral- folgreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Aus die- lelisierungen zu den schlimmen Folterexzessen in Abu sen Gründen, Herr Minister, sind Ihre Bewertungen und Ghureib völlig unangebracht und falsch sind. Schlussfolgerungen bezüglich der Vorfälle in Coesfeld voll zu unterstützen. Sie haben den Kommandeur des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zentrums Innere Führung beauftragt, diese Dinge ge- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der nauer zu untersuchen. Damit werden die Vorfälle in den CDU/CSU) Kontext bisheriger Ausbildung und Innerer Führung ge- In diesen Tagen sind aber auch Stimmen zu hören, die stellt. Dadurch wird ermöglicht, dass über die Kompanie behaupten, diese Misshandlungen in der Ausbildungs- hinaus schnell angemessene Konsequenzen gezogen kompanie seien die Spitze eines Eisbergs in der Bundes- werden können. wehr und ergäben sich konsequent aus dem Wandel der Bundeswehr von einer Abschreckungsarmee hin zu ei- Nun aber endlich doch noch zum Verteidigungshaus- ner Einsatzarmee. In einer Berliner Tageszeitung wurde halt. Durch die allgemeine Haushaltslage ist der Rahmen sogar die Behauptung aufgestellt, die Bundeswehr sei in- eng, aber noch ausreichend. Hervorzuheben sind einige zwischen für Rambos attraktiver, weil „unter Landesver- Eckwerte, die für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr teidigung auch Angriffskriege verstanden werden“.von entscheidender Bedeutung sind: Die Investitions- Auch wenn diese Behauptungen für alle hier anwesen- quote kann zumindest wiederum 1 Prozent angehoben den Außen- und Sicherheitspolitiker abwegig sind, werden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass ver- schiedene vorrangig wichtige Anschaffungen möglich (Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) sind und dass im Bereich Entwicklung und Erprobung eine vorgesehene erhebliche Reduzierung weitgehend möchte ich hier dieses doch noch einmal klarstellen, wieder rückgängig gemacht werden konnte. Außerdem denn draußen finden solche Positionen manchmal etwas können die Betriebsausgaben weiter gesenkt werden, vor mehr Echo. allem die Personalausgaben. Eine besondere Ironie da- Der Auftrag der Bundeswehr ist ganz eindeutig durch bei ist allerdings, dass die Senkung der Personalausga- das Grundgesetz und das Völkerrecht eingegrenzt. Dem- ben vor allem darüber erfolgt, dass die Veranschlagungs- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13101

Winfried Nachtwei (A) stärke für Grundwehrdienstleistende enorm gesenkt (Johannes Kahrs [SPD]: 23,8 Milliarden sind (C) wird, nämlich von 62 000 in diesem Jahr auf 38 000 im es!) kommenden Jahr. Negative Schlagzeilen machen auch die stockenden Eine Grunderfahrung aus vielen Jahren internationa- Rüstungsprojekte und nicht zuletzt die von der Staatsan- len Engagements der Bundesrepublik und Friedensein- waltschaft aufgegriffenen Vorwürfe hinsichtlich der sätzen der Bundeswehr ist: Sie sind nur mit ausgewoge- Ereignisse in Coesfeld, über die bereits gesprochen nen Fähigkeiten erfolgversprechend. Deshalb, war es im worden ist. Die einhelligen Reaktionen zeigen, dass es ureigenen Interesse der Bundeswehr und ihrer Soldaten, für uns nicht vorstellbar ist, dass diese Misshandlungen ursprünglich beabsichtigte UN-einsatzrelevante Ein- in der Bundeswehr keine schlimmen Einzelfälle sind. schnitte in Nachbarressorts, also beim Auswärtigen Amt Diese Einzelfälle gehören in die Hände der Staatsanwalt- und bei der Entwicklungszusammenarbeit, nicht nurschaft. Aber man muss sagen, dass die Bundeswehr ins- rückgängig zu machen, ondern s auch gewisse, wenn gesamt nicht betroffen ist. auch begrenzte Aufstockungen zu ermöglichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Insgesamt bleibt aber die Einsicht, dass in einer Bun- des Abg. Günther Friedrich Nolting [FDP] – desrepublik, die vermehrt internationale Verantwortung Johannes Kahrs [SPD]: Müder Beifall!) trägt, gegenüber der die Erwartungen der Staatenge- Anders als Sie sich im Untersuchungsausschuss der meinschaft deutlich zunehmen und die insgesamt vorsich mit Rechtsradikalismus in der Bundeswehr befasst größeren Anforderungen an internationaler Krisenbe-hat, verhalten haben, konstruieren wir aus einem Einzel- wältigung steht, verbesserte Fähigkeiten unabdingbarfall nicht einen flächendeckenden Missstand, sind. Deshalb muss ich am de En deutlich feststellen: Dieses Mehr an verbesserten Fähigkeiten wird mittelfris- (Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ist es!) tig nicht ohne ein Mehr an entsprechenden Ressourcen für die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitikum daraus politisches Kapital zum Schaden der Bundes- insgesamt erreicht. Daran arbeiten wir. wehr zu schlagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Danke schön. Dass die Vorfälle so schnell wie möglich aufgeklärt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden müssen – auch um weiteren Schaden in der Öf- und bei der SPD) fentlichkeit von der Bundeswehr abzuwenden – versteht sich von selbst. Insofern unterstützen wir ausdrücklich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: das Vorgehen, die Vorkommnisse vollständig aufzuklä- (B) Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von ren und politische Konsequenzen zu ziehen, die unab-(D) der CDU/CSU-Fraktion. hängig von den Ergebnissen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Verteidigungsminister hat sich heute ins Wort be- geben. Ich bin sehr interessiert daran, zu erfahren, wie in (Fürth) (CDU/CSU): Christian Schmidt den nächsten Wochen die notwendigen Änderungen bei- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenspielsweise in der Kette der Dienstaufsicht aussehen und Kollegen! Die Bundeswehr hat in den letzten Tagen werden. Auf jeden Fall sollten wir dieses Thema intensiv für keine guten Schlagzeilen gesorgt: Proteste gegendiskutieren und die notwendigen Schlüsse ziehen, damit Standortschließungen, Kritik vom Bundesrechnungshof, die Bundeswehr als eine Armee im Einsatz auch mental Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Kosovo- gut gerüstet ist. einsatz – genauer: die ungeklärte Rolle des BND – sowie die nicht enden wollende und jetzt wieder in der SPD Auch mit Blick auf andere Bereiche kann ich mir hochkochende Wehrpflichtdebatte. nicht so recht vorstellen, dass der Job des Ministers – ich nenne ihn immer noch Minister, obwohl ich heute ge- Außerdem gibt es überproportionale Haushalts-lernt habe, dass er nach den Vorstellungen des Bundes- kürzungen, die weit weg von dem veranschlagten Pla- ministeriums der Justiz eigentlich Ministerium heißen fond führen. Wir waren von einem Plafond in Höhe von müsste; ich halte aber trotzdem an der Anrede Minister 24,4 Milliarden Euro im Jahre 2003 ausgegangen. Wenn fest – im Moment vergnügungssteuerpflichtig ist. Vor man richtig rechnet, dann stellt man fest, dass jetzt die lauter Krisenmanagement dürfte er kaum noch Zeit ha- Grenze bei 23,6 Milliarden Euro liegt. Außerdem besteht ben, die konzeptionelle Transformation der Bundeswehr die Gefahr, dass es aufgrund einer globalen Minderaus- voranzutreiben. gabe noch eine weitere Absenkung gibt. Generalinspek- teur Schneiderhan hat in diesem Zusammenhang von ei- (Johannes Kahrs [SPD]: Trotzdem geht es ner Makulaturmasse gesprochen. Denn sein Projekt voran!) „Bundeswehrreform“ würde zur Makulatur werden, Überhaupt wäre es interessant, zu erfahren, wie es an- wenn der Etat noch weiter heruntergefahren werdengesichts der Haushaltslage mit der Transformation wei- würde. Wenn man doppelt kürzt, dann kommt sehrtergehen soll. schnell ein Betrag in Höhe von 1 Milliarde Euro zu- stande, von dem der Kollege Austermann gesprochen Man kann in der nächsten Zeit nicht einfach sagen, hat. dass man aufgrund der schlechten Haushaltssituation 13102 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Christian Schmidt (Fürth) (A) nichts machen könne. Wenn einer zum Insolvenzrichter eigentlich logisch sein. EineBerufsarmee im Umfang (C) gehen und den Zylinder aufsetzen muss, dann wird nach- der jetzigen Bundeswehr wird mindestens 3 Milliarden gefragt, wer dafür verantwortlich ist, dass der Betrieb in Euro mehr kosten. die roten Zahlen kommen konnte. In einem solchen Fall (Johannes Kahrs [SPD]: Deswegen will sie ja muss zunächst der Geschäftsführer ausgewechselt wer- keiner!) den; hier ist es der Bundeskanzler. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch absurd!) Wo, bitte schön, jonglieren Sie solche Beträge her? Es ist doch klüger, einen Transformationsschritt erst dann zu Danach muss man sanieren und die Ziele festlegen, machen, wenn ich weiß, mit welcher Bundeswehr ich ei- die man erreichen will. nen solchen Schritt tun kann. Ich vermisse hier Logik in (Johannes Kahrs [SPD]: Das machen wir! Seit der Abfolge der Schritte. 1998 wird saniert!) (Johannes Kahrs [SPD]: Wir bleiben halt bei Deswegen wird man in der nächsten Zeit nicht darum der Wehrpflicht!) herumkommen, bei den Aufgaben des Staates über Prio- – Wenn Sie das durchsetzen können. Die Zweifel, die im ritäten zu diskutieren. Eine der Kernaufgaben des Staa- Hinblick auf eine Berufsarmee geäußert worden sind, tes ist, Sicherheit für seine Bürger im Sozialen, aber teile ich. auch unmittelbare Unversehrtheit unseres Landes und des Einzelnen im Hinblick auf die innere und äußere Si- (Johannes Kahrs [SPD]: Teilen Sie nicht nur cherheit zu gewähren. Das ist die Priorität Nummer eins, Zweifel! Fröhlich kämpfen für die Wehr- die sich auch im Haushalt widerspiegeln muss. pflicht!) (Beifall bei der CDU/CSU) Da sind wir einer Meinung. Das Kunststück möchte ich sehen. Deswegen vermisse ich, dass sich die in diesem Zu- sammenhang gemachten zaghaften Ansätze, die sich Der Bundesverteidigungsminister hat sich bereits ver- nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien in derbal von dem Ziel einer alleinigen Berufsarmee distan- Konzeption der Bundeswehr hätten wiederfinden müs- ziert. Er hat zwar sinngemäß gesagt, dass er auch eine sen, dort nicht wiederfinden. Es fehlen ein nationalesBerufsarmee steuern könne. Sicherheitskonzept und eine Verschränkung der Aufga- (Johannes Kahrs [SPD]: Er will sie aber ben mit einer entsprechenden rechtlichen Absicherung nicht!) dort, wo es sinnvoll ist, was ja bereits angekündigt bzw. angedacht war. Das war ein Thema, das wir bereits ges- Aber dazu braucht er das nötige Geld. Das hat er doch (B) (D) tern beim Haushalt des Bundesinnenministers angespro- schon jetzt nicht für die Wehrpflichtarmee. chen haben. Hier ist wenig zu sehen. Was das Thema, wohin ch si die Bundeswehr im Wir hatten vor kurzem die Ehre, im Verteidigungs- Äußeren entwickelt und welche Aufgaben sie wahrneh- ministerium von Feuerwehrleuten informiert zu werden. men soll, betrifft, müssen wir feststellen – wir haben ei- Ihnen wurde auf die Frage,mit was sie im Zusammen- nen Antrag dazu entsprechend korrigiert –, dass das Pa- hang mit dem, was man zivil-militärische Zusammenar- pier für das Weißbuch – so habe ich mich belehren beit nennt, rechnen können, geantwortet: Das wird wohl lassen –, das seit Jahren gedruckt werden soll, bereits an- weniger werden. Gerade das müsste mehr werden! Das geschafft ist. Papier ist bekanntermaßen geduldig. Inso- ist ein konzeptioneller Punkt, den wir nicht ruhen lassen fern wird die Geduld dieser Papierstapel im Verteidi- und an dem wir weiterarbeiten werden. gungsministerium wohl noch einige Zeit anhalten müssen. (Johannes Kahrs [SPD]: Dann dürfen Sie nicht solche Streichungen bei der Bundeswehr Man ist nicht in der Lage, dem deutschen Volk zu fordern! Stoiber hat bei der Bundeswehr Strei- sagen, wie die sicherheitspolitische Konzeption chungen von 1,2 Milliarden gefordert! Sie aussieht. Gehört der Sudan dazu? Wird nach dem Zu- kommen doch aus Bayern!) fallsgenerator entschieden oder danach, dass es dem Herrn Außenminister gerade passt, weil er noch jeman- Zur Wehrpflichtdebatte. Es gibt hier Pro und Kontra. den gefunden hat, der eine Stimme für einen Sitz Mit dem Kollegen Nolting bin ich vom Ergebnis her im Deutschlands im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Widerspruch, aber nur in diesem Punkt. Über die Frage, abgibt? Das ist Sprunghaftigkeit, aber keine Politik. dass wir eine anständige Bundeswehr brauchen, sind wir uns eigentlich einig. In diesem Zusammenhang ein Wort zur NATO. Heute hat der Bundeskanzler beredt den Unterschied zwischen (Johannes Kahrs [SPD]: Dann dürfen Sie aber Wolfgang Schäubles Position und seiner klaren und nicht streichen!) deutlichen dargestellt, nämlich dass niemals jemand in Dass man sich darüber im Klaren sein muss, dass erst den Irak geschickt werde. Hat der Herr Bundeskanzler entschieden werden muss, wie die Bundeswehr aussieht, denn jemals darüber nachgedacht, was die NATO be- ob sie also eine Wehrpflicht- oder Mischarmee oder ob deutet, dass die NATO ein Bündnis ist und dass dies sie eine Berufsarmee sein soll, und man dann den Haus- heißt, dass gemeinsame Entscheidungen gemeinsam um- halt in den Griff bekommen und die Umsetzung dergesetzt werden? Niemand in der NATO will sich militä- Standortschließungen durchsetzen sollte, müsste doch risch im Irak – auch der Herr Bundeskanzler wird nicht Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13103

Christian Schmidt (Fürth) (A) so vermessen sein, etwas anderes sagen zu wollen – im ist aber bereit, wieder Helfer dorthin zu schicken. Man (C) Sinne von irgendwelchen Kampfeinsätzen engagieren. wird die politische Frage beantworten müssen: Ist die Es geht dort um Ausbildung und um einen Ausbildungs- NATO als Bündnis aktiv, engagiert, bereit, etwas zu tun, stab. Es geht um die Frage, ob man bereit ist, zu einem oder ist sie das nicht? Bündnis Ja zu sagen. Das würde dann allerdings auch heißen, dass man Politik mitgestalten muss und dass Der Bundeskanzler tut so – ich halte das für absolut man nicht einmal hü und einmal hott sagen kann. daneben –, als ob die Deutschen die Wahren, die Schö- nen, die Guten sind, die nicht mal in den Stäben – es geht (Johannes Kahrs [SPD]: Sie wären auch in den nicht um größere Zahlen von Soldaten, sondern um zehn Irak gegangen, oder was?) bis 15 Soldaten – Soldaten einsetzen wollen. Er tut so, als ob diejenigen, die dort Soldaten einsetzen wollen, ei- Man kann allerdings sehen, wie die Bedeutung der gentlich schief gewickelt sind. Bundeswehr im Hinblick auf die Posten bei der NATO zurückgeht: Wir haben mit Herrn Kujat bisher den Vor- (Gernot Erler [SPD]: Das hat er doch gar nicht sitzenden des Militärausschusses gestellt. Den werden gesagt!) wir bald nicht mehr stellen. Wir haben mit Admiral Feist den stellvertretenden Oberbefehlshaber der NATO-So kann man im Bündnis nicht miteinander agieren. Die Streitkräfte in Europa gestellt. Den werden wir nichtFrage des Einsatzes in den Stäben muss – wie auch im- mehr stellen. Die Frage ist: Was ist dieser Regierung die mer es sich im Einzelfall darstellt – beantwortet werden. Bundeswehr in der NATO wert? Diese Frage wird die Der Bundeskanzler ist dabei auf dem Wege, dafür zu sor- Debatten in den nächsten Monaten ganz entscheidend gen, dass sich Deutschland aus der Solidarität der NATO bestimmen. verabschiedet. (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: [SPD]: Das ist doch billiges Nachkarten! Sie Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie noch eine Zwi- wollten doch damals am Irakkrieg teilneh- schenfrage – sozusagen eine Abschlussfrage – des Kol- men!) legen Arnold? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe- Ja, gerne. Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen. (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Er darf (BÜNDNIS 90/DIE heute nicht reden, deswegen muss er eine Irmingard Schewe-Gerigk (B) GRÜNEN): (D) Frage stellen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute nicht nur den Verteidigungshaus- Rainer Arnold (SPD): halt, sondern auch – ein wunderbarer Titel – das Herr Kollege Schmidt, Sie haben wiederholt über die Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungs- Option gesprochen, deutsche Soldaten in den Stäben im gesetz. Die Bundeswehr stellt sich damit den Herausfor- Irak arbeiten zu lassen. Ich frage Sie: Sind Sie wirklich derungen der Integration von Frauen in den noch beste- der Meinung, dass es im Irak ein sicheres Umfeld gibt, henden Männerbund. Die Soldatinnen bekommen jetzt in dem Soldaten ausbilden können, ohne von der drama- durch das Gesetz die volle Unterstützung. Aber auch die tischen Entwicklung im Irak betroffen zu sein? Ergän- Soldaten profitieren, nicht zuletzt von der Verbesserung zend dazu frage ich Sie: Haben auch Sie festgestellt,der Vereinbarkeit von Familie und Dienst und der Ein- dass bei dieser Mission für den Schutzführung von von Teilzeitarbeit. Das wir die Regelungen für 100 Ausbildern 1 600 Soldaten notwendig sind? die Bundeswehr nicht schon 2001 in das Gleichstel- (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Den Bundes- lungsgesetz für den öffentlichen Dienst aufgenommen grenzschutz konnten Sie dahin schicken! Das haben, war der Tatsache geschuldet, dass es bei den war doch kein Problem! – Bartholomäus Kalb Streitkräften besondere Bedingungen gibt. [CDU/CSU]: Beim BGS ging das!) Dieser Gesetzentwurf sieht nun eine Verpflichtung zur Förderung von Frauen mit einer Quote von 15 Pro- Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): zent bei der Truppe und einer Quote von 50 Prozent Herr Kollege Arnold, es stellt sich in der Tat die Frage beim Sanitätsdienst mithilfe von Gleichstellungsplänen der Sicherheit. Wir haben bereits die sehr tragische Er- und Gleichstellungsbeauftragten vor. mordung von zwei BGS-Beamten erlebt, die auf dem (Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ein Weg zum Schutze der Deutschen Botschaft nach Bagdad Quatsch!) unterwegs waren. Sie kennen den Fall. Es geht um die Frage, ob die NATO nach langer Diskussion eine Aus- – Herr Nolting, zu Ihnen komme ich gleich. – Meine Da- bildungsfazilität schaffen will, wie das übrigens auchmen und Herren von der Opposition, wir haben schon im viele Zivilorganisationen in ihren Bereichen gemacht ha- Oktober über die Quote debattiert. Aufgrund meiner Er- ben. Der Kollege Bindig und ich gehören dem Vorstand fahrung ist sie leider oft das einzige Mittel, um fähige einer Organisation an, die mit einer Reihe von Helfern in Frauen nach vorn zu bringen, aber eben nur – das haben Bagdad vertreten war. Sie hat die Helfer jetzt abgezogen, Sie falsch verstanden – bei gleicher Eignung, Leistung 13104 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Irmingard Schewe-Gerigk (A) und Befähigung. Wer glaubt, dass nun gar keine Männer wenn man dem Bundespräsidenten keine Vorschriften(C) mehr befördert werden, muss eigentlich davon ausgehen, machen sollte, bin ich ziemlich sicher, dass Bundespräsi- dass es keine qualifizierteren Männer als Frauen gibt.dent Köhler hierfür ein offenes Ohr hat. Ich kann diese negative Sichtweise über Männer über- haupt nicht teilen. Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir mit diesem Gesetz dem Gebot des Art. 3 des Grundge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) setzes und seiner Ergänzung nachkommen, die gerade letzte Woche ihren zehnten Jahrestag hatte. Wir haben Herr Kollege Nolting, Ihre Kollegin Lenke muss of- umgesetzt, dass der Staat auf die Gleichberechtigung fensichtlich in Ihrer Fraktion noch viel Überzeugungsar- von Männern und Frauen hinwirkt und Nachteile besei- beit leisten. Während die Bundesvereinigung der Libera- tigt. Der Umsetzung des hier formulierten Staatsziels len Frauen einstimmig gefordert hat, dass jetzt auch die sind wir mit diesem Gleichstellungsgesetz für die Bun- FDP der Quote zustimmen soll, weil sich ohne Quote deswehr ein Stück näher gekommen. nichts bewegt, lehnt die FDP den Gesetzentwurf aus die- sem Grunde ab. Ich finde, da machen Sie etwas falsch, Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Wenn Sie das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen, dann machen wir es schon richtig!) und bei der SPD) – Das glaube ich nicht. Warten Sie auf die Abstimmung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Aus meiner Sicht sind die 15 Prozent zu niedrig, aber ich bin gern bereit, der besonderen Situation in den Das Wort hat die Kollegin Ursula Lietz von der CDU/ Streitkräften Rechnung zu tragen. Die von der CDU/CSU-Fraktion, CSU vorgeschlagene Jahrgangsquote ist nicht nur ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) fassungsrechtlich problematisch, da sie von den Zufäl- ligkeiten des Frauenanteils an den Geburtsjahrgängen abhängig wäre, sondern so würde man auch gerade bei Ursula Lietz (CDU/CSU): den älteren Jahrgängen nur den Status quo festschreiben. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das kann nicht gewollt sein. Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Der Gesetzent- wurf zur Gleichstellung von Soldaten und Soldatinnen Trotzdem freue ich mich, Frau Kollegin Lietz, dass ist zwar nicht von besonders hoher Relevanz für den Sie diesem Gesetzentwurf, wie wir ihn vorschlagen, Haushalt, aber für die Praxis der Bundeswehr durchaus gleich zustimmen werden. von Bedeutung. Deswegen behandeln wir ihn heute mit. (B) (D) Bei zwei anderen Punkten, die ich in der ersten Le- Wir waren am 21. Oktoberdieses Jahres zur ersten sung kritisiert habe, hat es Änderungen gegeben. Lesung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungs- Zum einen handelt es sich um die Geltung des Geset- durchsetzungsgesetzes – das ist ein echter Zungenbre- zes bei Auslandseinsätzen. Der Gesetzentwurf sah eine cher – noch alle der Meinung, dass dieses Gesetz mit ei- generelle Nichtgeltung vor. Es mag sicherlich Situatio- ner möglichst breiten Mehrheit in diesem Hause nen geben, in denen das Gleichstellungsgesetz zurück- verabschiedet werden sollte, um den mittlerweile fast stehen muss. Aber eine Generalklausel ist meiner Mei- 10 000 Soldatinnen in der Bundeswehr gleiche Chancen nung nach hier nicht angebracht. Nach den Änderungen wie ihren männlichen Kollegen zu geben. Das sind vier wird das Gesetz nun auch bei Auslandsverwendungen Jahre, nachdem Frauen generell in die Bundeswehr auf- Gültigkeit haben, es sei denn, der Verteidigungsminister genommen wurden, und 30 Jahre, nachdem sie bereits erklärt es im Einzelfall für nicht anwendbar. Das ist eine im Sanitätswesen tätig sind. gute Lösung. Die Grünen und gerade Frau Schewe-Gerigk haben (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Haben Sie sich besonders dafür ausgesprochen, dass wir das ge- schon einmal mit Soldatinnen gesprochen?) meinsam machen sollten. Sie haben sogar bei einigen Passagen meiner Rede damals geklatscht. Da hatte ich – Ja natürlich, ich kann Ihnen einige Namen nennen. das Gefühl, ich hätte etwas falsch gemacht. Aber wie Zum anderen haben wir die im Gesetzentwurf vorge- dem auch sei: Vor den Beratungen und der Beschlussfas- sehenen Berichtszeiträume verkürzt. Über die Überprü- sung im Verteidigungsausschuss sah die Sache etwas an- fung der Quotenregelung, aber auch die Umsetzung des ders aus. Gesetzes überhaupt muss nicht erst nach fünf, sondern Interfraktionelle Vorberatungen sollten lediglich auf schon nach zwei Jahren berichtet werden. Ich finde, auch der Basis des Gesetzentwurfs der Bundesregierung statt- das ist richtig. Denn die Bundeswehr ist nun einmal auf- finden. Die Anträge der CDU/CSU und der FDP wurden grund ihrer Geschichte und Struktur ein anderer Arbeit- gar nicht erst zu den Beratungen zugelassen. Das ist ein geber als der öffentliche Dienst. Wir im Parlament haben etwas fragwürdiges Demokratieverständnis, das ich die Pflicht, die Entwicklung genau zu prüfen. nicht zum ersten Mal bei Ihnen feststelle. Mein Vorschlag, dass auch die Dienstgradbezeich- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nungen die Gleichstellung zum Ausdruck bringen müs- sen, wurde leider nicht umgesetzt, da diese Bezeichnun- Geblieben ist zum einen eine ziemlich starre Quoten- gen vom Bundespräsidenten festgelegt werden. Auchregelung, die weder von den Soldatinnen noch vom Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13105

Ursula Lietz (A) Bundeswehrverband gewünscht ist. Auch die Opposi- Drittens. Da wir wollen, dass dieses Gesetz auch bei (C) tionsfraktionen wünschen diese Regelung nicht. Einsätzen im Ausland Anwendung findet, müssen ein- satzbedingte Gründe für seine Aussetzung, wenn sie not- Frau Schewe-Gerigk, die Änderung der Bezeichnung wendig ist, sehr viel präziser formuliert sein. Der Herr der Dienstgrade wird von den Soldatinnen ausdrücklich Wehrbeauftragte hat dankenswerterweise darauf hinge- nicht gewünscht. Unterhalten Sie sich einmal mit ihnen! wiesen, dass über die Aussetzung eines Gesetzes nicht Dann werden Sie feststellen, dass dem so ist. Ich habe von irgendjemandem im Verteidigungsministerium ent- das getan. schieden werden kann, sondern dass darüber vom Vertei- In diesem Gesetzentwurf fehlen sinnvolle Ergänzun- digungsminister persönlich oder aber – hören Sie jetzt gen und Beurteilungen zur besseren und klareren Diffe- gut zu – von seinem Stellvertreter im Kabinett – also renzierung nach Eignung, Leistung und Befähigung. Wir nicht von seinem Stellvertreter im Verteidigungsministe- könnten angesichts der zurzeit großen Anzahl anstehen- rium; denn dort sitzt nur sein administrativer Vertreter – der Stellenbesetzungen und Beförderungen bei den Un- entschieden werden muss. Dass Verteidigungsministerium teroffiziersdienstposten Probleme bekommen, nämlich und Verteidigungsminister nicht immer dasselbe sind, das dann, wenn – wovon ich ausgehe – eine Vielzahl vonwissen wir spätestens seit den Vorfällen im Kosovo. Bewerberinnen und Bewerbern mit vergleichbarer Qua- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr lifikation und Beurteilung zur Auswahl steht. gut!) Ich kann nur hoffen, dass es bei Beförderungen in Zu- Dieser Gesetzentwurf ist nicht der ganz große Wurf. kunft nicht zu zahlreichen Konflikten und zu Missgunst Er ist Neuland für die Bundeswehr. Ich betone noch ein- zwischen Männern und Frauen in der Bundeswehr kom- mal: Der Beruf des Soldaten bzw. der Soldatin ist kein men wird. Denn das wäre in Anbetracht der Belastungen Beruf wie jeder andere. Beidenjenigen, die ihr Leben durch Auslandseinsätze und durch die jetzt einsetzende riskieren, um unser Lebenzu schützen, müssen andere Reform der Bundeswehr in einer Zeit von ohnehin ziem- Maßstäbe angelegt werden. Daher sind Regelungen des lich angespannter Stimmung ein sehr kritischer Faktor. öffentlichen Dienstes nicht eins zu eins übertragbar. Wir Zur Inneren Führung und zu den heutigen Ausschussdis- werden im Laufe der Zeit feststellen, dass das so ist und kussionen ist schon einiges gesagt worden. dass dieser Gesetzentwurf Geburtsfehler hat, die wir Erstens. Durch diese Quotenregelung wird die Akzep- hoffentlich alle gemeinsam und aufgrund neuer Einsich- tanz dieses Gesetzes in der Bundeswehr nicht erhöht.ten aller hier vertretenen Fraktionen ausmerzen werden. Davor habe ich gewarnt. Ich habe gesagt, dass eine starre Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu – das habe ich Quotierung dort zähneknirschend zur Kenntnis genom- schon einmal gesagt – allerdings mit Bauchschmerzen. (B) men werden wird; denn die Bundeswehr ist ganz einfach Vielen Dank. (D) kein kommunales Rathaus. Es gibt Unterschiede, die in einem solchen Gesetzentwurf berücksichtigt werden (Beifall bei der CDU/CSU) müssen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Berichtszeit- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: räume für eine eventuelle Änderung der Quotenrege- Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär lung von vier auf zwei hre Ja bzw. von zehn auf fünf Hans Georg Wagner. Jahre reduziert wurden. Das war in der Tat unser Vor- schlag. Sie haben ihn übernommen; aber sonst hätten wir Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim diesem Gesetzentwurf auch nicht zustimmen können. Bundesminister der Verteidigung: Denn wir sind sicher, dass eine Überprüfung der Wirk- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und samkeit dieses Gesetzes in kürzeren Abständen dringend Herren! Da ich schon über ein Jahrzehnt die Haushalts- nötig ist. beratungen sehr intensiv verfolge, wäre ich heute über- rascht gewesen, wenn Herr Austermann einen Beitrag Zweitens. Ich finde es besonders bedauerlich, dass die geleistet hätte, der sachlich gewesen wäre und von Vereinbarkeit von Familie und Beruf in diesem Ge- Kenntnis des Haushalts gezeugt hätte. setzentwurf so gut wie keine Rolle spielt. Wie sieht es denn mit der Fürsorgepflicht aus, wenn Soldaten als El- (Günther Friedrich Nolting [FDP]: tern kleiner Kinder gemeinsam in den Einsatz geschickt Zur Sache!) werden? Zu diesem Thema ndet fi sich kein einziger – Jetzt zur Sache, Herr Kollege Nolting, natürlich. Satz, obwohl dieses Thema die Familien bewegt. Wir alle müssen ein Interesse daran haben, dass die Bundes- Da wird beklagt – Frau Merkel hat das heute Morgen wehr auch für Männer und Frauen mit Familien ein at- getan –, der Heimatschutz und der Katastrophenschutz traktiver Arbeitgeber wird. seien aufgrund der Transformation der Bundeswehr nicht gewährleistet. (Beifall bei der CDU/CSU) (Hans Raidel [CDU/CSU]: Stimmt doch!) Bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland wäre der Grundsatz der Freiwilligkeit eines der beiden Familien- Wenn man sich alles und auch die Broschüre, die wir partner möglich. Wenn Sie der Meinung sind, dass das Ihnen allen ins Fach gelegt haben, anschaut, dann wird nicht Thema dieses Gesetzes sein kann, werden wir dazu man unschwer feststellen, dass gerade diese Dinge in be- einen gesonderten Antrag einbringen. sonderer Weise beachtet worden sind. Schweres Gerät 13106 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Parl. Staatssekretär Hans Georg Wagner (A) wird in Lagern vorgehalten und wenn es eine Katastro- Der Kollege Raidel erinnert mich permanent, man(C) phe gibt, kann durch Reservisten oder Soldaten sofort sollte für neue Hubschrauberentwicklungen For- eingegriffen werden. Das ist ein Festhalten an dem, was schungsgelder einstellen. Wenn Sie sich den Haushalts- gewesen ist. Deshalb bin ich der Meinung, man sollte plan ansehen, wie er heute vorliegt, werden Sie feststel- das nicht immer wieder erwähnen. len, dass das enthalten ist: 32 Millionen allein zugunsten der Entwicklung neuer Hubschrauber! Da heißt es – auch von Herrn Austermann wieder –, die Bekämpfung des Terrorismus findet nicht mehr statt. (Beifall bei der SPD) Ja glauben Sie denn, wenn irgendein Terrorist oder eine Terroristengruppe etwa die EZB in Frankfurt angreifen Nur, Herr Kollege Raidel, was ich nicht begreife, ist, würde, dass die Bundeswehr dann erst fragen würde, ob dass Sie einem Antrag der CDU/CSU-Arbeitsgruppe sie eingreifen dürfte? Nein, die Bundeswehr wird han- „Haushalt“ zustimmen können, der vorzieht, die Mittel deln! Die Bundeswehr würde Katastrophenschutz leis- für den neuen Hubschrauber NH 90 um 50 Millionen ten, wie wir das gewohnt sind. Euro zu senken. Übrigens, Herr Kollege Schmidt: Natürlich sind wie- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Der wird der gemeinsame Übungen mit dem THW und der Feuer- doch nicht fertig!) wehr geplant, damit eine gute Zusammenarbeit im Kata- strophenfall gewährleistet werden kann. Das ist ja die Das heißt, Sie greifen direkt in die Produktion dieses Lehre aus dem Oderbruch, wo wirklich Defizite vorhan- neuen Hubschraubers ein. Noch schlimmer ist es beim den waren. Gott sei Dank war die Bundeswehr vor Ort Eurofighter. und konnte mit dem THW, dem Roten Kreuz und der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Auch Feuerwehr zusammenarbeiten. nicht fertig!) Eines begreife ich allerdings nicht in der ganzen Dis- Die Kollegin Aigner ist nicht da. Auch sie belagert mich kussion: Die Opposition weint darüber, dass die Bundes- permanent, wir sollten beim Eurofighter voranmachen. wehr wegen der globalen Minderausgabe 248,2 Millio- Jetzt schlägt sie vor, 250 Millionen Euro beim Euro- nen Euro weniger bekommen soll. Natürlich ist derfighter zu kürzen. Da frage ich mich: Welche Auswir- Minister mit dem Kabinett und der Koalition solidarisch kungen hat das? Und was steckt eigentlich dahinter? Die und leistet seinen Beitrag. Wir tun das auch. 248,2 Mil- Auswirkungen, Herr Kollege Austermann, will ich Ihnen lionen Euro sind sehr viel Geld, das schmerzt sehr. Aber nennen; denn Sie sind ja derjenige, der permanent he- wenn ich mir Ihre Anträge anschaue, die heute zur Ab- rumerzählt, dass der Eurofighter nicht fliegt, am Boden stimmung stehen, Herr Kollege Austermann, dann bin (B) steht, nicht funktioniert. (D) ich völlig überrascht, und das aus mehreren Gründen. Der erste Grund ist, dass Sie etwa beim neuen Hub- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie viele sind schrauber NH 90 50 Millionen Euro sparen wollen. denn da? Wie viele sind denn jetzt fertig?) (Dr. Peter Struck [SPD]: Hört! Hört!) – Das sagen Sie immer, Herr Kollege Austermann. Das Ergebnis ist: Ihr konservativer Kollege, der griechische Beim Eurofighter wollen Sie 250 Millionen Euro sparen. Verteidigungsminister, hat gestern entschieden, die Wenn ich das zusammenrechne, komme ich auf eine Ab- 60 Eurofighter, die Griechenland bestellt hat, abzube- senkung des Einzelplanes 14 um 300 Millionen Euro; stellen. auch die FDP ist dieser Meinung. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Weil die Din- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das Gerät ger nicht fertig sind und nicht fliegen!) wird nicht fertig! Da kommt doch nichts voran!) Was Sie sagen, hat also Auswirkungen beispielsweise Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, Herr Kollege auf die Produktionsstätten des Eurofighters. Das nehmen Sie billigend in Kauf. Es wundert mich vor allem, dass Austermann. Ich glaube, der Kollege Raidel hat gewusst, warum er jetzt nicht mehr da ist; denn er belagert mich die CSU-Leute, dass Sie, Herr Kollege Kalb, dabei über- permanent wegen des Hubschraubers. haupt mitmachen: bei einem solchen Antrag, der Ar- beitsplätze in Bayern gefährdet. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Da ist er doch!) (Dr. Peter Struck [SPD]: Was sagt denn die CSU dazu? – Johannes Kahrs [SPD]: – Er ist doch da. Dass er schon auf der Regierungsbank Austermann kommt aus Schleswig-Holstein! Platz nimmt, Das merkt man doch!) (Zuruf von der CDU/CSU: Er flüstert der Re- Ich weiß nicht, was der Herr Ministerpräsident über Ihre gierung gerade etwas ins Ohr! – Günther Tätigkeit hier in Berlin denkt, wenn Sie solche Dinge Friedrich Nolting [FDP]: Er übt schon ein- vernachlässigen. mal!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – konnte ich nicht ahnen – ich habe doch hinten keine Au- Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er denkt das gen, Hans, entschuldige bitte. Gleiche, was wir denken!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13107

Parl. Staatssekretär Hans Georg Wagner (A) Kollege Austermann hat noch ein Thema für sich ent- und bei Angestellten im öffentlichen Dienst, die nach(C) deckt, das er immer wieder variiert: Er kommt mit einem 15 Jahren unkündbar sind, zu Entlassungen kommen uralten Rechnungshofbericht bezüglich der GEBB. wollen! Auch hier wollenSie uns also einen verfas- sungswidrigen Auftrag geben. Damit das vollkommen (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: klar ist: Den lehnen wir ab. Es gibt einen neuen!) (Beifall bei der SPD) Gerade in seinem Heimatland – das hat er nicht gemerkt, weil er permanent über dieGEBB in Berlin schimpfen muss – haben die GEBB, die Stadt Schleswig und das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Land Schleswig-Holstein einen Vertrag zur Finanzierung Herr Kollege Wagner, ich entnehme Ihren Worten, einer Entwicklungsmaßnahme aus den vorhandenendass Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin zu- Mitteln abgeschlossen. lassen wollen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Absichts- Parl. Staatssekretär beim erklärungen! – Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist Hans Georg Wagner, Bundesminister der Verteidigung: ein Vertrag! Herr Austermann hat keine Ah- nung!) Ja, natürlich.

Die Länder müssen dabei mitmachen. Es wird eine wun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: derbare Sache, die mustergültig für ganz Deutschland Bitte schön, Herr Koppelin. ist. Seien Sie doch froh, dass das in Ihrem Heimatland geschieht! Sie sehen, dass wir keinen Rachefeldzug ge- gen Schleswig-Holstein oder gar gegen Sie führen. Es Jürgen Koppelin (FDP): tut mir Leid: Sie sind leider Gottes zu unwichtig, als dass Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich höre ihrer man einen Rachefeldzug nur gegen Sie als Person führen Rede gerne zu. würde. Parl. Staatssekretär beim (Beifall bei der SPD) Hans Georg Wagner, Bundesminister der Verteidigung: Sofern die Länder und Gemeinden das wollen, arbeiten Das habe ich gewusst. wir konstruktiv und kreativ mit ihnen zusammen. Dabei wird es auch bleiben. Daran wird sich in Zukunft nichts (Heiterkeit bei der SPD) ändern. (B) Jürgen Koppelin (FDP): (D) Sie haben freundlicherweise die Flexibilisierung an- Ja, natürlich, in alter Freundschaft zwischen uns bei- gesprochen. den. (Abg. Jürgen Koppelin [FDP] meldet sich zu Ich möchte aber einen anderen Punkt ansprechen, der einer Zwischenfrage) mich ebenfalls erfreut und zu dem ich Ihre Meinung hö- – Einen Satz noch, Herr Kollege Koppelin. – Das hätte ren möchte. Können Sie verstehen, dass meine Freude uns im Einzelplan 14 die Kleinigkeit von 528 Millionen sehr groß ist, dass sich der Verteidigungsminister auf sei- Euro gekostet. nen alten Platz als SPD-Fraktionsvorsitzender gesetzt hat, und dass er mir dort lieber ist als der jetzige Frak- (Johannes Kahrs [SPD]: Unglaublich!) tionsvorsitzende der SPD? Das heißt, Sie fordern unswie beim Eurofighter dazu (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf, Vertragsbruch zu begehen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wenn Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim nicht geliefert wird, brauche ich auch nicht zu Bundesminister der Verteidigung: bezahlen!) Das mag Ihre Ansicht sein. Ich bin froh, dass sich der Minister auf diesen Platz gesetzt hat, weil er mir von Wenn man die Dinge nicht abnimmt, die man vertraglich dort aus Beifall klatschen kann. Von der Regierungsbank mit den Partnerländern vereinbart hat, dann gibt es Scha- aus könnte er das nicht; das ist der Unterschied. Dies densersatzklagen; das haben wir alles diskutiert. Siefreut mich daran. wollen wohl eine Schadensersatzklage provozieren, in- dem Sie solche Forderungen wie beim Eurofighter auf- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stellen. DIE GRÜNEN) (Dr. Peter Struck [SPD]: Genau! Unerhört! – Es gab natürlich auch noch die Empfehlung Ihres ver- Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nur wer hinderten Kanzlerkandidaten. liefert, bekommt Geld!) (Johannes Kahrs [SPD]: Der aus Bayern!) Die von Ihnen vorgeschlagene Absenkung könnten – Ja, der aus Bayern. Sie nur erreichen, wenn Sie Personal entlassen, und nicht dadurch, dass Sie es über einen längeren Zeitraum ab- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hat Herr bauen. Erklären Sie mir nmal, ei wie Sie bei Beamten Struck die Blätter vertauscht?) 13108 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Parl. Staatssekretär Hans Georg Wagner (A) Andere Verhinderte gibt es ja erst in der Zukunft. Er hat (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Im Saar- (C) gefordert, man müsse eine weitere Kürzung von pau- land sind es 600 mehr! Der Gewinner ist das schal 5 Prozent vornehmen. Er will also um weitere Saarland!) 1,2 Milliarden Euro kürzen. Jetzt frage ich Sie: Weshalb jammern Sie eigentlich über die Absenkung im Rahmen Darüber jetzt eine Standortschließungsdiskussion zu der Plafondierung? Da Herr Stoiber noch viel mehr will, führen, halte ich wirklich für abenteuerlich. Das muss als diese Regierung tut, müssten Sie eigentlich zuerst mit man nicht tun. In der Klausurtagung des Kollegiums ihm darüber reden. Sie haben den Antrag nicht wieder- sind wir jeden einzelnen Standort durchgegangen. Ich holt, weil Sie ihn wahrscheinlich nicht für wichtig genug kann Ihnen sagen, dass das eine mühselige Arbeit war, angesehen haben. Das hat aber mit Ihrer Einschätzung zumal wir alle regionalen Besonderheiten vorher von Ih- des Herrn Stoiber und nichts mit dem Haushalt zu tun. nen freundlicherweise schriftlich erhalten hatten. Das mussten wir durch unsere Argumentation ja abwehren (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Im können. Wir sind in der Lage, zu jedem Standort eine Gegensatz zu Herrn Eichel legt die Mann- ausreichende Begründung dafür zu liefern, warum wir schaft jedenfalls einen verfassungsmäßigen die Schließung dieses Standortes vorgeschlagen haben. Haushalt vor! – Gegenruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]: Sie wollen die Bundeswehr also (Jürgen Koppelin [FDP]: Das stimmt nicht!) zusammenstreichen, Herr Schmidt! Das ist Der letzte Punkt betrifft die Sicherheit der Gemein- schlecht!) den. Der Minister wird im März eine Konferenz der be- – Einen solchen haben wir vorgelegt und ich bin auch troffenen Bürgermeister einberufen, um mit ihnen über froh darüber, dass dies geschehen ist. diese Dinge zu reden. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er liegt (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Im März?) zwar beim Bundesverfassungsgericht, aber er – Im März wird die Feinausplanung der Schließungsab- tritt vorher in Kraft!) schnitte vermutlich vorliegen. Die Konferenz wird daher Ein weiterer Punkt, den man ansprechen muss, ist das im Frühjahr stattfinden. Bei dieser Konferenz geht es da- Anheben des Anteils derInvestitionen. Meine Herren rum, wie wir die Konversion bezahlen. Wir werden das auf der rechten Seite des Hauses, wir haben von Ihnen Argument anführen, das vorhin schon genannt worden eine katastrophale Investitionsrate im Einzelplan 14ist: 1993 haben die Länder zu Zwecken der Konversion übernommen. 2 Prozent Umsatzsteuerpunkte mehr bekommen. Zwei der wenigen Länder, die sich an die Absprache gehalten (Johannes Kahrs [SPD]: So ist es!) haben, waren Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. (B) (D) Im Jahre 2005 werden wir wieder bei 25,4 Prozent lie- Das waren aber auch schon alle. Man hat in den anderen gen. Im Jahre 2008, in der 38. Finanzplanung, werden Ländern munter und fidel versucht, mit den Einnahmen wir bei 29 Prozent liegen. Ich bin mir sicher, dass wir im die Landeshaushalte zu konsolidieren. Das ist die Wahr- Jahre 2010, wenn Peter Struck diese Reform abgeschlos- heit. sen haben wird, bei einem Anteil der Investitionskosten in Höhe von 30 Prozent liegen werden. Das ist unser er- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: klärtes Ziel und das werden wir auch gegen den von Ih- Herr Kollege Wagner, bevor Ihre Redezeit völlig ab- nen eben erklärten Widerstand erreichen. gelaufen ist – eigentlich ist sie schon zu Ende –: Erlau- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ben Sie dem Herrn Kollegen Schirmbeck eine Frage? DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Dann seid ihr doch gar nicht mehr im Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim Amt! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wo- Bundesminister der Verteidigung: von träumen Sie nachts? – Johannes Kahrs Herr Präsident, ich will Sie nicht kritisieren, aber ich [SPD], zu Abg. Georg Schirmbeck [CDU/ habe noch 20 Sekunden Redezeit. CSU] gewandt: Vom nächsten Wahlsieg, Herr Kollege!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir haben diese Steigerung gegen Ihren Widerstand vor- Nein, Sie sind 20 Sekunden über Ihrer Redezeit. genommen; denn schließlich haben Sie den Verteidi- gungshaushalt in jedem Jahr abgelehnt. Sie musste also (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Es wird ja gegen Ihren Widerstand durchgesetzt werden. Ich bin zurückgerechnet!) froh, dass das endlich gelungen ist. Aber ich lasse die Frage noch zu. Ein abschließendes Wort noch zur Stationierung, da mir die Zeit wegläuft. Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie sieht Bundesminister der Verteidigung: es im Saarland mit der Stationierung aus?) Ich auch. Herr Kollege Austermann, das Merkwürdige ist, dass bei der Bundeswehr auch eine ganze Menge Ein-Mann- bis Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Drei-Mann-Stützpunkte als Standorte vorgesehen ist. Bitte schön, Herr Schirmbeck. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13109

(A) Georg Schirmbeck (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) Herr Staatssekretär, es ist Aufgabe der Bundesregie- DIE GRÜNEN) rung, mit den Mitteln des Staates sparsam umzugehen. Herr Präsident das war es. Vielen Dank fürs Zuhören. Jetzt haben Sie ein Standortkonzept vorgelegt, das uns nicht überzeugt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei (Johannes Kahrs [SPD]: Aber uns!) Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Einer der betroffenen Standorte istFürstenau. Der Standort soll stillgelegt werden; einige Einheiten werden Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: verlegt und andere ersatzlos aufgelöst. Auf demAls nächster Redner hat das Wort der Kollege Bernd 300 Hektar großen Bundeswehrgelände gibt es diverse Siebert von der CDU/CSU-Fraktion. Gebäude in hervorragendem Zustand, Stichwort: Ka- serne 2000. Dort können zum Beispiel Panzer mit Re- (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist genwasser gewaschen werden. Außerdem wurden noch der Beste der Union!) andere ökologische Konzepte umgesetzt. (Zurufe von der SPD: Frage!) Bernd Siebert (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung erklärte vor drei Wochen, dass Herr Minister Wagner, rr He Fraktionsvorsitzender der Standort geschlossen werden soll. Dienstag vor einer Struck, Woche kamen Dachdecker, um auf dem Fahrschulge- bäude einer Einheit, die ebenfalls aufgelöst werden soll, (Heiterkeit) ein neues Aluminiumdach anzubringen. Sie waren bei der Einbringung des Haushaltes 2005 noch stolz, darauf hinweisen zu können, dass sich der Vertei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: digungshaushalt auf 24,04 Milliarden Euro beläuft. Un- Herr Kollege Schirmbeck, bitte kommen Sie zu Ihrer ser Kollege Arnold sprach sogar davon, dass in diesem Frage. Jahr im Verteidigungshaushalt 200 Millionen Euro mehr eingestellt worden seien. Noch viele solcher oder ähn- licher Äußerungen aus den Koalitionsfraktionen könnte (CDU/CSU): Georg Schirmbeck ich zitieren; die politische Halbwertszeit all Ihrer Aussa- Weiß die eine Hand nicht, was die andere tut? Ist das gen wird dabei leider immer kürzer. Zwischen dem, was ein sparsamer Umgang mit Steuermitteln? Wie läuft das (B) der Verteidigungsminister zunächst vom Bundesfinanz- (D) in Ihrem Haus? minister an Mitteln für seinen Haushalt haben wollte und er eigentlich auch dringend braucht, und dem, was er Hans Georg Wagner,Parl. Staatssekretär beim letztendlich erhalten hat, liegen 328 Millionen Euro. Bundesminister der Verteidigung: Beim Finanzplan des Bundes wird bis zum Jahr 2008 Die Frage, ob die rechte Hand weiß, was die linke tut, etwa 1 Milliarde Euro gekürzt werden. Wir wissen alle, kann ich mit Ja beantworten. Zudem muss ich sagen,dass eigentlich das genaue Gegenteil notwendig wäre. dass Aufträge, die vergeben worden sind, ausgeführt Diese Form der Finanzpolitik hat für die Bundeswehr werden müssen. Wir können es ja nicht durch das Dach schwere Folgen. hineinregnen lassen, weil wir den Standort irgendwann (Beifall bei der CDU/CSU) schließen. Dadurch würde das Gebäude an Wert verlie- ren; das kann keiner wollen. Wir wollen versuchen, ei- Neuvorhaben im Bereich der militärischen Beschaf- nen möglichst hohen Preis zu erzielen. Sie dagegen ha- fungen können nur noch durch haushaltspolitische ben einen Entschließungsantrag gestellt, dass Tricks wir begonnen werden. Dies beklagen Sie sogar selbst möglichst alles kostenlos abgeben sollen. Wir aber wol- in Ihren eigenen Unterlagen, die Sie den Koalitionsfrak- len auch über die Konditionen reden können. Das ist un- tionen zur Beratung des Einzelplans 14 zur Verfügung sere Überlegung. gestellt haben. Leider müssen wir wieder feststellen, dass nicht fachliche und sachliche Notwendigkeiten für Natürlich sind in den letzten Jahren auch für die Un- die Finanzausstattung des Bundesministers der Verteidi- terbringung unserer Soldatinnen und Soldaten Investitio- gung maßgeblich sind, dass vielmehr der Etat nur die nen notwendig gewesen. Wenn man eine Fürsorgepflicht Handschrift des Bundesfinanzministers trägt, der eine hat, dann macht man das eben so. Deshalb bitte ich um reine buchhalterische Sparnotwendigkeit sieht. Verständnis dafür, dass auch Standorte geschlossen wer- den, an denen vor kurzem noch Investitionen getätigt Herr Staatssekretär Wagner, Sie haben eben die fal- worden sind. sche Gruppe angegriffen. Sie müssten wegen der Spar- maßnahmen, die ich hier vorgetragen habe und die der Wir haben auf der Grundlage von Vorschlägen unter Finanzminister verordnet hat, den Finanzminister kriti- militär-funktionalen Gesichtspunkten zu entscheiden.sieren und nicht uns. Diese Kritik war vollkommen un- Zudem haben wir betriebswirtschaftliche Überlegungen korrekt. angestellt. Dadurch kamen die vorliegenden Standortent- scheidungen zustande. Das ist auch in jedem Einzelfall (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. zu begründen. Günther Friedrich Nolting [FDP]) 13110 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bernd Siebert (A) Die Kollegin Leonhard – wir haben vorhin gehört, dass deutlich gemacht. So schnell wie möglich, wie Sie for- (C) sie heute krank ist – hat am 8. September darauf hinge- mulieren, sollen 105 Standorte der Bundeswehr ge- wiesen, dass der Verteidigungsetat auch in diesem Jahr schlossen werden. Betriebsausgaben sollen gesenkt wer- einen substanziellen Beitrag zur Konsolidierung desden. Aber ohne Rücksicht auf die strukturschwachen Bundeshaushalts leistet. Allerdings, so Leonhard, ist der Regionen zu nehmen, ist ein außerordentlich großer Einsparungsbeitrag an der Grenze des Tolerierbaren. Das volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet worden. war eigentlich schon am 8. September der Offenba- Nun wird das Ziel angestrebt, durch die Senkung der rungseid. Aber dann kam die globale Minderausgabe Betriebsausgaben nach der Schließung der 105 Standorte für das Jahr 2005. Wir wurden mit weiteren 250 Millio- Finanzmittel freizubekommen. Diese stehen aber durch nen Euro belastet und unterschreiten damit deutlich die die globale Minderausgabe schon längst nicht mehr zur 24-Milliarden-Euro-Grenze. Das ist eine Entwicklung, Verfügung. die Sie vor einem Jahr noch intensiv bestritten hätten. Herr Minister, Sie haben mehrfach darauf hingewie- Aber es kommt noch dicker: Eine weitere globale sen, dass die Standortschließungen ohne Rücksicht auf Minderausgabe von zusätzlichen 250 Millionen Euro die regionalen Gegebenheiten umgesetzt werden sollen. schwebt als Damoklesschwert über dem Verteidigungs- Mag sein, dass Sie sich nicht als Infrastrukturminister haushalt 2005. verstehen. Aber heißt das auch, dass sich die gesamte (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist schon abge- Bundesregierung nicht um diese Fragen zu kümmern wehrt! Das gibt es nicht! Das ist geregelt!) braucht? – Warten wir es ab. (Beifall bei der CDU/CSU) Die finanzielle Basis, auf der Ihre Reformen zur Wei- Wenn Sie nicht dafür zuständig sind, Herr Minister terentwicklung der Bundeswehr erstellt wurden, war der Struck, dann muss es der Bundeskanzler sein. Deshalb vorgelegte Haushaltsentwurf. Wie Sie, Herr Ministerhabe ich ihm einen entsprechenden Brief geschrieben Struck, diese Etatkürzung verkraften und gleichzeitigund ihn an seine Zuständigkeit und seine Pflicht, zu hel- den laufenden und neuen Verpflichtungen nachkommen fen, erinnert. wollen, wissen nur die Götter. Von Ihnen habe ich hierzu Herr Minister, die globale Minderausgabe bringt Ih- bislang noch nichts Konkretes gehört. Die bisher vor- ren Haushalt ins Wanken. Das Reduzieren des Personals handenen Mittel reichen gerade einmal für das Allernö- wird nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen. Die von tigste. Wir waren uns immer einig – das glaubten wir je- Ihnen geplanten Privatisierungserlöse werden sich wie in denfalls –, dass es das Zielist, eine Investitionsquote den vergangenen Jahren als Luftnummern erweisen. Das (B) von 30 Prozent zu erreichen heißt, Sie müssen sich sicherlich schon jetzt Gedanken(D) (Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie nie ge- über die nächste Reform der Reform der Reform ma- schafft!) chen. In diesem Zustand befinden wir uns schon seit ei- nigen Jahren. und so die auftrags- und bedarfsgerechte Ausstattung un- serer Soldaten zu gewährleisten. Dieses Ziel wird sicher- Ein großer Teil Ihrer Parteifreunde arbeitet bereits lich nicht erreicht werden. Sie werden im Investitionsbe- heute innerparteilich daran, eine Mehrheit für die Ab- reich wieder mit Kürzungen arbeiten müssen, schaffung Sie der Wehrpflicht zu organisieren, lieber werden wieder strecken und zeitlich verschieben müs- Johannes Kahrs. sen. (Johannes Kahrs [SPD]: Wer sagt das?) Da hilft das Wehklagen der Kollegin Leonhard in der Diese Entwicklung werden wir – vielleicht mit deiner „Welt“ vom 10. November gar nichts mehr. Ich zitiere, Hilfe – nicht zulassen. was dort über die Kollegin Leonhard gesagt wird: (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs Die Einsparungen dürften auch nicht zu Lasten der [SPD]: Wir auch nicht!) Investitionen und des Personals gehen. „Sonst ist das Ende der Fahnenstange erreicht“, sagte FrauWir halten die Wehrpflicht aus sicherheits- und gesell- Leonhard der WELT. schaftspolitischen Gründen für notwendig, wie wir es kürzlich in der Debatte zu diesem Thema vorgetragen Herr Minister, Sie haben das Ende der Fahnenstangehaben. schon längst verlassen. Sie sind schon längst im Schwe- bezustand. Angesichts all dieser Entwicklungen in den vergange- nen sechs Jahren muss ich den Eindruck gewinnen, dass Nun haben Sie als eine Maßnahme gegen die Finanz- Sie dabei sind, Ihre und die ideologische Zielsetzung der not zumindest für die nächsten Jahre der Bundeswehr Grünen durch das Kaputtsparen der Bundeswehr umzu- eine neue Reform verordnet. Standorte werden geschlos- setzen. Diese Entwicklung erfolgt parallel zu einer Ent- sen, es werden neue, deutlich verringerte Personalziel- wicklung in umgekehrter Richtung bei den Einsätzen der vorgaben gemacht. Nur noch 75 000 Zivilbeschäftigte Bundeswehr im Ausland, die deutlich zunehmen. Wir und nur noch 252 500 Soldaten sollen als deutscher Bei- werden in dieser Woche noch über einen weiteren Ein- trag für die Sicherheit Deutschlands und Europas ausrei- satz der Bundeswehr im Ausland zu entscheiden haben. chen. Das, was in diesem Zusammenhang zum Heimat- Immer mehr Einsätze deutscher Soldaten weltweit und schutz zu sagen ist, haben meine Vorredner schonimmer mehr sicherheitspolitische Zusagen an die Euro- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13111

Bernd Siebert (A) päische Union, die NATO und die Vereinten Nationen – nicht die Bundeswehr generell unter einen Verdacht stel- (C) das steht im krassen Widerspruch zu den von Ihnen zur len. Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das tut nie- (Beifall bei der CDU/CSU) mand!) Herr Minister, uns allen ist klar, dass in den letzten Ich glaube, wir Verteidigungspolitiker tun gut daran, sol- Jahren eine schwierige, eher krisenhafte Finanzlage ent- che Vorwürfe zurückzuweisen. standen ist. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Uns ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch klar, dass der Verteidigungsetat seinen Beitrag zur DIE GRÜNEN) Konsolidierung der Staatsfinanzen beisteuern muss. Aber die Kürzungen müssen verantwortbar sein und es muss wieder eine Perspektive für den Verteidigungsetat Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gefunden werden, die unsere Sicherheitsinteressen wi- Frau Kollegin Merten, erlauben Sie eine Zwischen- derspiegelt. Ich fürchte, dass die Bundeswehr mit Ihrem frage? Zahlenwerk nicht zukunftsfähig ist, Herr Minister. Herzlichen Dank. Ulrike Merten (SPD): Nein. Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen, (Beifall bei der CDU/CSU) sondern meine Ausführungen fortsetzen. (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat die Kol- Johannes Kahrs [SPD]: Bravo!) legin Ulrike Merten von der SPD das Wort. Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen, der hier (Beifall bei der SPD) immer wieder eine Rolle gespielt hat: dieWehrpflicht. Ich kann gut verstehen, dass man, wenn man die derzei- Ulrike Merten (SPD): tige Diskussion in meiner Partei verfolgt – auf die wir im Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na- Übrigen zu Recht stolz sein können, weil wir diese Frage turgemäß sind Haushaltsdebatten, wenn sie gut laufen, nämlich wirklich offensiv aufnehmen und diskutieren –, die Stunde der Opposition. Das ist keine Frage. Wenn den Versuch unternehmen könnte, der SPD respektive man aber aufmerksam zugehört und die Themen verfolgt den Verteidigungspolitikern zu unterstellen, sie seien da- hat, die von Herrn Austermann bis zu Herrn Siebert an- bei, die Wehrpflicht infrage zu stellen. Das ist nicht so. (B) gesprochen worden sind, dann muss man sich wundern. (D) Die Beiträge erinnern weniger an eine realistische Haus- (Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Bravo!) haltsdiskussion als an eine Märchenstunde und den Ver- such, das, was im Transformationsprozess durch die Wir halten die Wehrpflicht nach wie vor für die bessere Bundeswehr erfolgreich fortgesetzt werden soll, kleinzu- und die modernere Wehrform, auch unter Berücksichti- reden und in Misskredit zu bringen. gung all der Fragen, die in dem Zusammenhang beant- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wortet werden müssen. Natürlich stellt sich die Frage DIE GRÜNEN) nach der Wehrgerechtigkeit und nach der Ausbildung. Natürlich gehört die Frage, welchen Stellenwert Wehr- Ich bin dem Kollegen Nolting außerordentlich dank- pflichtige bei Auslandseinsätzen haben, ebenso dazu wie bar dafür, dass er in seinen Ausführungen den Kollegen die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Einsatzes nach Austermann darauf hingewiesen hat, dass sich das, was ihrer Ausbildung. Diese Fragen werden wir in aller Ruhe wir heute Morgen im Verteidigungsausschuss nach einer in den nächsten Monaten miteinander diskutieren und ausführlichen Information durch den Minister sehr ernst- beantworten. haft diskutiert haben, in keiner Weise dazu eignet, in die- ser Debatte instrumentalisiert zu werden. Ich will aber an dieser Stelle all jenen, die hier jetzt immer beklagen, das Konzept der so genanntenTrans- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hat formation – davon spricht Herr Austermann immer –, doch keiner gemacht! Das ist doch völliger lasse die Erfordernisse der Verteidigung unseres eigenen Quatsch! Es ging lediglich um die Frage der Landes völlig außer Acht, sagen: Wahr ist doch, dass die Information!) Einsätze heute und in der Zukunft sehr wahrscheinlich Einsätze zur Krisenbewältigung und zum Konfliktma- Ich glaube, ich muss an dieser Stelle nicht noch ein- nagement sind und sein werden. Sich daran vorbei zu mal darauf hinweisen – das haben meine Vorredner be- mogeln hieße, den Realitäten nicht ins Auge zu sehen. reits getan –, dass wir selbstverständlich mit großer Be- Auch Beiträge der Bundeswehr zum Kampf gegen den sorgnis auf das schauen, was vorgefallen ist. Wir haben internationalen Terrorismus gehören dazu. Auf diese allen Anlass, genau auf die Motive zu schauen, die jene Anforderungen richten wir Struktur, Organisation und bewogen haben könnten, so zu handeln. Wir müssenAusrüstung der Bundeswehr aus. aber auch die Motive derer genau untersuchen, die ganz offensichtlich kein Gefühl dafür hatten, dass ihnen gro- Im Haushaltsentwurf 2005 werden die konzeptionel- bes Unrecht angetan worden ist. Das sind die Fragen, die len und operativen Vorgaben im Transformationsprozess uns bewegen. Eines sollten wir nicht tun: Wir solltender Bundeswehr klar und deutlich abgebildet. Die Zeit, 13112 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Ulrike Merten (A) in der der Einzelplan 14 ein Brückenhaushalt war, istAustermann, der glaubt, dass eine Kürzung sämtlicher (C) endgültig vorbei und das ist gut so. Bundesausgaben um 3 stattum 5 Prozent ausreichend ist, als Beispiele bemühen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege Austermann, da Sie in Ihrer Rede unser Stationierungskonzept infrage gestellt haben, frage ich Wir setzen Prioritäten auf der Basis des finanziell Mach- Sie, wie das alles, was Sie fordern, zusammenpassen baren. Natürlich könnten wir auch ähnliche Luftnum- soll. Auf der einen Seite wollen Sie, dass die Bundes- mern machen, wie wir sie noch aus Ihrer Regierungszeit wehr den Weg zu mehr Wirtschaftlichkeit einschlägt, um kennen, größere Spielräume für Investitionen zu bekommen, und (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Die Sie als dass sie als Arbeitgeber ihren Beschäftigten eine attrak- Opposition selbst bestellt haben! Das ist wohl tive Besoldungsstruktur bietet. Auf der anderen Seite wahr!) fordern Sie, an allen Standorten festzuhalten, und tun so, als ob die Entscheidungen im Zusammenhang mit unse- aber damit würden wir weder der Verteidigungs- und Si- rem Stationierungskonzept nach dem Gusto von Duo- cherheitspolitik unseres Landes noch den Soldatinnen dezfürsten und nicht nachsachlichen Erwägungen ge- und Soldaten dienen. troffen worden wären. Dies ist einfach unseriös. Zu den aktuellen Schwerpunkten gehören eine solide (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausbildung und Einsatzbefähigung unserer Streitkräfte des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auf hohem Niveau sowie eine gute allgemeine Ausrüs- tung. Wer in diesem Zusammenhang immer darauf hin- Bei aller Ernsthaftigkeit, die die Kolleginnen und weist, das Material, das wir zur Verfügung stellen, sei alt Kollegen der Opposition durchaus an der einen oder an- und verbraucht, der muss sich wirklich noch einmal ein deren Stelle gezeigt haben, ist wieder deutlich geworden, paar Jahre zurückerinnern und an das Geraffel denken, dass Sie die Sicherheit unseres Landes allein über die mit dem die Bundeswehr ausgerüstet war, als Sie dieVerteidigungsausgaben definieren. Angesichts unserer Verantwortung für diese Streitkräfte hatten. heutigen gesellschaftlichen Probleme – das zeigt doch (Beifall bei der SPD) die Diskussion über Hartz IV in den letzten Monaten – ist Ihr Ansatz aus meiner Sicht völlig unrealistisch. Un- Zu den Schwerpunkten gehören weiter zivilberuflichser Verständnis von Sicherheit bindet auch dieAspekte nutzbare Qualifikationen für unsere Frauen und Männer von sozialer Zufriedenheit und Wirtschaftskraft ein. in den Streitkräften und eine einsatzfähige Technik. Das Gesamtwohl unseres Landes ist ein tragender Pfeiler (B) unserer Interessen und somit der Sicherheit unseres Lan- (D) Alle im Gesamtspektrum denkbaren Waffen und Ge- des. Deshalb ist es unrealistisch, mehr Geld für die Ver- räte zu beschaffen, ermöglicht dieser Haushalt nicht. Das wissen wir und das will auch ich überhaupt nicht leugnen; teidigung zu fordern, wenn man weiß, dass dies zu gra- das hat im Übrigen niemand getan. Der vorliegendevierenden Einschnitten in anderen gesellschafts- und Haushalt schließt auch nicht alle Lücken zu den Fähigkei- sozialpolitischen Bereichen führen wird. ten, zu denen wir uns in der NATO und in der EU ver- Wir gehen einen anderen Weg. Wir nutzen die tat- pflichtet haben. Aber er markiert einen wichtigen Meilen- sächlich verfügbaren Haushaltsmittel für die Verteidi- stein zur notwendigen Modernisierung der Streitkräfte. gung zukunftsorientiert und aufgabenbezogen, und zwar Wir haben heute Morgen im Verteidigungsausschuss da- für unsere Streitkräfte und die davon abhängige wehr- rüber gesprochen und werden in dieser Woche auch hier technische Industrie. Es wird nur noch das beschafft, im Bundestag noch darüber sprechen. was die Bundeswehr tatsächlich braucht. In der Ausrüs- Der Haushalt ist ein wichtiger Meilenstein auf dem tungsplanung sind nur noch die Beschaffungsvorhaben, Weg zur Modernisierung der Streitkräfte. Mit ihm kön- die auch realisiert werden. Dadurch bekommen wir mit- nen wir außerdem unsere laufenden multinationalen Ein- telfristig Gestaltungsspielraum für neue Rüstungsvorha- sätze finanzieren. Wir werden in Zukunft noch genauer ben und Waffensysteme, die im Streitkräfteverbund not- darauf achten, ob das, was wir beschließen, verantwort- wendig sind. bar ist. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hin- weisen, dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Mit dem Haushaltsentwurf 2005 für den Einzelplan 14 Opposition, heute Morgen im Verteidigungsausschuss werden die konzeptionellen und operativen Vorgaben im die Finanzierbarkeit eines denkbaren Einsatzes im Su- Transformationsprozess klar und deutlich abgebildet. dan nicht infrage gestellt haben. Der Einzelplan 14 ist zwar knapp bemessen, keine Frage. Er ermöglicht aber, die Bundeswehr mit dem aus- Ich möchte noch einen anderen Punkt aufgreifen. An- zustatten, was sie tatsächlich benötigt. Er bietet eine so- gesichts der Tatsache, dass Sie zwar bei jeder Gelegen- lide Basis, um die Transformation fortzusetzen, und heit über den – angeblich – drastisch unterfinanzierten Deutschland die Möglichkeit, weiterhin als verlässlicher Verteidigungshaushalt lamentieren, dass Sie sich aber Partner in der internationalen Gemeinschaft anerkannt nicht scheuen, an der einen oder anderen Stelle Kürzun- zu werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gen zu fordern, frage ich mich, was Sie eigentlich wol- len. Ich möchte nicht nocheinmal die Vorschläge des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bayerischen Ministerpräsidenten oder von Herrn DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13113

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Euro vor. Die jetzt vorliegende Finanzplanung unter-(C) Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem scheidet sich von den Versprechungen des bisherigen, Kollegen Dietrich Austermann. also des 37. Finanzplans um 1 Milliarde Euro jährlich. Das heißt, Sie nehmen der Bundeswehr jährlich 1 Milli- arde Euro weg. Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ver- (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!) stehe, dass man angesichts der Verteidigungspolitik, die Rot-Grün macht, einen Baum sucht, an dem man sich Dennoch zeigen Sie mit dem Finger auf andere und wer- reiben kann, und immer wieder deutlich machen will, fen ihnen vor, dass sie es mit der Bundeswehr nicht gut dass Positionen vertreten werden – der Verteidigungsmi- meinen. Dieser Versuch ist völlig in die Hose gegangen. nister läuft schon wieder in der Gegend herum –, die mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – der Realität angeblich nichts zu tun haben. Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Heuchle- Erstens. Ich habe den Vorgang in Coesfeld nicht als rei! Das ist doch falsch! Das wissen Sie doch!) symptomatisch für die Situation in der Bundeswehr dar- gestellt. Ich habe mich zu diesem Thema inhaltlich über- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: haupt nicht geäußert. Ich habe beklagt, dass der Verteidi- Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich das gungsminister hier – wie bei vielen anderen Punkten – Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin. Frau Merten kann nicht bereit und in der Lage ist, das Parlament an Ent- im Anschluss im Zusammenhang antworten. scheidungen zu beteiligen und es zu informieren. Dieser Herr Koppelin, bitte schön. Vorfall hat sich im Sommerzugetragen und wurde vor wenigen Tagen über die Illustrierten bekannt. Diese Me- thode ist nicht geeignet, um das Parlament zu informie- Jürgen Koppelin (FDP): ren. So geht man mit dem Parlament nicht um. Das war Herr Präsident! Die Darstellung der Kollegin Merten der einzige Vorwurf, den ich gemacht habe. über den Verteidigungsetat in der Zeit der CDU/CSU- FDP-Koalition muss ich zurückweisen. Frau Kollegin, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ich habe den Eindruck, Ihnen fehlen die Kenntnisse. Was Zweitens. Es ist über die Frage gesprochen worden, Sie gesagt haben, kann ich so nicht stehen lassen. wer es mit der Bundeswehr mehr und wer es mit ihr we- niger gut meint. UnsereKürzungsvorschläge haben Ich darf Sie daran erinnern – das können Sie in den sich zum Teil auf einen Bereich bezogen, in dem dieProtokollen nachlesen –, dass Ihre Fraktion, als sie in der Opposition war, bei den Haushaltsberatungen so viele (B) Leistung von der Industrie einfach nicht erbracht wird. (D) Es macht keinen Sinn, Geld für den Eurofighter bereit- Anträge auf Kürzung des Verteidigungsetats gestellt zustellen, wenn die Flugzeuge nicht rechtzeitig geliefert hat, dass sich die Verteidigungspolitiker der SPD gewei- werden. Das gilt für den NH 90 und für vieles andere. gert haben, an der Abstimmung über den Verteidi- gungsetat teilzunehmen. (Johannes Kahrs [SPD]: 1,2 Milliarden wollte Stoiber sparen!) (Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ist es!) – Man kann an dieser Stelle die Ausgaben kürzen. Wir Das ist die Wahrheit. Schauen Sie sich die Anträge an, haben vorgeschlagen, dafür an anderer Stelle, bei For- die Sie damals gestellt haben! Von den Grünen will ich schung und Entwicklung, mehr Geld bereitzustellen. überhaupt nicht reden. Sie wollten die ganze Bundes- wehr abschaffen. Drittens. Frau Kollegin Merten, Sie haben das Statio- nierungskonzept angesprochen. Wenn das von Herrn (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Struck vorgestellte Konzept Günther Friedrich Nolting [FDP]: Ich sage nur Frau Matthäus-Maier! Das kann man in den (Johannes Kahrs [SPD]: Es ist richtig und Protokollen nachlesen!) gut!) umgesetzt wird, müssen 30 000 Soldaten umziehen. Das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ist ohne Geld nicht zu machen. Das bedeutet, dass an Zur Erwiderung hat Frau Merten das Wort. vielen Standorten zusätzlich Geld investiert werden muss, um sie erst einmalherzurichten, damit die künf- tige Aufgabe wahrgenommen werden kann. Den Ein- Ulrike Merten (SPD): druck zu vermitteln, das Ganze trage sich von selbst und Ich will dem Kollegen Koppelin zuerst antworten. stehe mit der Finanzplanung im Einklang, ist völligerHerr Kollege Koppelin, ich kann gut verstehen, dass Sie Unfug. nicht an eine Situation erinnert werden möchten, die Sie gerne vergessen machen wollen. Ich habe mich im Zu- Mein letzter Punkt. Wer meint es denn nun wirklich sammenhang mit Ihrer ständigen Anklage, wir seien gut? nicht in der Lage, die Bundeswehr angemessen und mit (Johannes Kahrs [SPD]: Die Regierung!) dem notwendigen Gerät auszustatten, geäußert. Ich habe Sie in diesem Kontext an das erinnert, was wir in diesem Unsere Vorschläge sehen Kürzungen in einer Größen- Zeitraum angeschafft haben, wie wir die Bundeswehr ordnung von netto weniger als einer viertel Milliardeausgestattet haben und wie es zu Ihrer Zeit gewesen ist. 13114 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Ulrike Merten (A) Herr Kollege Austermann, ich wiederhole, was ich Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- (C) gesagt habe: Sie versuchen jetzt, es so darzustellen, als plan 14 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – habe uns der Minister im Zusammenhang mit Coesfeld Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel- nicht zeitnah und hinreichend informiert. plan 14 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- gen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP sowie der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Genau das beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen. war der Fall!) Tagesordnungspunkt I.16 a: Wir kommen zur Abstim- Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn das so war, mung über den von der Bundesregierung eingebrachten dann muss ich heute Morgen in einer ganz falschen Vor- Gesetzentwurf zur Durchsetzung der Gleichstellung von stellung gewesen sein. Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf Drucksa- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das soll che 15/3918. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt un- wohl so sein!) ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4255, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung Ich hatte heute Morgen den Eindruck, dass die Kollegen anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- und Kolleginnen des Verteidigungsausschusses daswurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Gefühl hatten, vom Verteidigungsminister angemessen das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält und rechtzeitig – so gehört es sich und so können wir es sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit erwarten – informiert worden zu sein. den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU- Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion ange- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Jetzt hat nommen. er informiert!) Was den letzten Punkt, den sie angesprochen haben, Dritte Beratung angeht: Der Kollege Kahrs hat mit der ihm eigenen Aus- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem führlichkeit und Sachlichkeit die Zahlen genannt, um die Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – es hier de facto geht. Er hat genau dieses Gespinst von Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Fantasie und Wunschdenken, was es letztlich ist, ausein- ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der ander genommen. Da gibt es nichts hinzuzufügen. Inso- CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Frak- fern handelt es sich jetzt eher um eine Verlängerung der tion angenommen. Debatte. Wir tun vielleicht gut daran, sie an dieser Stelle zu beenden. Dann machen wir uns auch bei den Kolle- Tagesordnungspunkt I.16 b: Beschlussempfehlung (B) gen und Kolleginnen beliebt, die noch nach uns reden. des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 15/4255. (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3717 mit dem Titel „Sol- datinnen- und Soldatengleichstellungsdurchsetzungsge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: setz zügig umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschluss- Ich schließe die Aussprache. empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko- Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 alitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU- – Bundesministerium der Verteidigung – in der Aus-und FDP-Fraktion angenommen. schussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der der CDU/CSU auf Drucksache 15/3049 mit dem Titel CDU/CSU auf Drucksache 15/4344? – Gegenstimmen? – „Frauen und Familien in der Bundeswehr stärken und Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim- fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- CDU/CSU und FDP abgelehnt. schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der fraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU- und CDU/CSU auf Drucksache 15/4345? – Wer stimmt da- FDP-Fraktion angenommen. gegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei- mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion sowie ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der beiden fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt. der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3960 mit dem Titel „Bundeswehr stärken – Beschäftigungsbedingun- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeord- gen für Soldatinnen und Soldaten verbessern“. Wer neten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Druck-stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt sache l5/4346? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältdagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und Fraktionen gegen die Stimmen der Antragstellerinnen der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der FDP- abgelehnt. Fraktion angenommen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13115

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf: für Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen, ist nicht nur (C) in Bezug auf Entwicklungsländer richtig, sondern gilt Einzelplan 23 auch für entwickelte Industrieländer. Unter der rot-grü- Bundesministerium für wirtschaftliche nen Bundesregierung explodieren die Schulden in Zusammenarbeit und Entwicklung Deutschland jedoch weiter. – Drucksachen 15/4318, 15/4323 – (Lothar Mark [SPD]: Aber nicht in der Dimen- sion wie vorher!) Berichterstattung: Abgeordnete Brigitte Schulte (Hameln) Es ist einfach unverantwortlich, wie hier mit der Zukunft Jochen Borchert nachfolgender Generationen umgegangen wird. Alexander Bonde Jürgen Koppelin Ich will hier nicht alle Versäumnisse und Missstände des Gesamthaushaltes aufzeigen, aber sie haben einen Über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/erheblichen Einfluss auf den Einzelplan des Bundesmi- CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf dennisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Einzelplan 23 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abge- wicklung, den wir jetzt beraten. Auf den ersten Blick stimmt worden. könnte man den Eindruck gewinnen, dass beim Einzel- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die plan 23 eine Verbesserung gegenüber dem letzten Jahr Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen eingetreten ist. Bei genauerem Hinsehen werden aber die Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Mängel offensichtlich: Sowohl die globale Minderaus- gabe als auch die Mittelverwendung durch das Aus- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- wärtige Amt verringern das verfügbare Mittelvolumen ner das Wort dem Kollegen Jochen Borchert von derfür das BMZ. CDU/CSU-Fraktion. (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das stimmt (Beifall bei der CDU/CSU) diesmal nun wirklich nicht! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da Jochen Borchert (CDU/CSU): hätten Sie besser eine neue Rede schreiben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollen!) beraten in dieser Woche in zweiter und dritter Lesung Dabei handelt es sich möglicherweise, Frau Kollegin, einen Haushalt, von dem jeder weiß, dass er unsolide ist, um immerhin knapp 160 Millionen Euro; diese Tatsache wird auch durch Zwischenrufe nicht besser. (B) (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Nicht so grob!) (D) auf der Einnahmen- wie aufder Ausgabenseite auf un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – realistischen Annahmen aufbaut und Risiken in Höhe Lothar Mark [SPD]: Doch!) von mehreren Milliarden Euro enthält. Meine Damen Dies ist ja nicht gerade wenig Geld für einen so kleinen und Herren, so habe ich vor einem Jahr meine Haus- Etat. Wenn man diese Abzüge berücksichtigt, erscheint haltsrede zum Einzelplan 23 begonnen. Ich muss heute die Erhöhung des Etats für das Jahr 2005 um 76 Millio- leider feststellen, dass sich an der katastrophalen Haus- nen Euro in einem anderen Licht. Ich gebe gerne zu: haltspolitik der Bundesregierung nichts, aber auch gar Ohne den engagierten Einsatz der Frau Kollegin Schulte nichts geändert hat. bei den Beratungen der Koalition wäre die Situation im (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Koppelin Einzelplan 23 noch dramatischer. [FDP]: Es ist noch schlimmer geworden!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- – Dies kann ich nur unterstützen. – Die Aufnahme weite- wie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP] – Karin rer Schulden und der Verkauf des letzten Tafelsilbers Kortmann [SPD]: Wir wissen, was wir an ihr stellen keine strukturellen Änderungen in der Haushalts- haben!) politik dar, sondern sind ein Armutszeugnis und ein Be- Frau Ministerin, Sie haben sich bei den Haushaltsbe- leg für die Einfallslosigkeit dieser Bundesregierung. ratungen im Kabinett nicht durchsetzen können und in (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Strukturverän- der ersten Lesung einen Haushaltsentwurf eingebracht, derungen haben Sie auch nicht gemacht!) der exakt dem Haushalt von 2004 entsprach. Das heißt, Sie haben für 2005 keinerlei Verbesserungen erreicht. Es kann und darf nicht sein, dass auf dem Rücken der Ohne den Einsatz der Haushälter läge der Etat 2005 un- nächsten Generationen leichtfertig Politik gemacht wird, ter Berücksichtigung der globalen Minderausgaben um so nach dem Motto: Heute wird die Bilanz schöngeredet rund 50 Millionen Euro unter dem Soll von 2004. und morgen müssen die Nächsten sehen, wie sie damit zurechtkommen. (Lothar Mark [SPD]: Da können Sie einmal sehen, was Parlamentarier bewirken können!) Meine Damen und Herren, ein entwicklungspoliti- sches Mittel ist der Erlass von Schulden, weil wir wis- – Das war aber auch die einzige Tat, die die Koalition im sen, dass diese eine der größten Bremsen für die wirt- Haushaltsausschuss vollbracht hat. – Bei den Beratun- schaftliche Entwicklung von Ländern darstellen. Diegen im Haushaltsausschuss hat die Koalition dann aber Überlegung, Schulden abzubauen, um wieder Freiräume leider nicht die Kraft gehabt, die globale Minderausgabe 13116 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Jochen Borchert (A) auf einzelne Titel aufzuteilen. Dies soll nun durch das zu geringen Ansätzen im Haushalt geübt, aber jetzt gibt (C) Ministerium erfolgen. es einen tatsächlichen Aufwuchs um 38 Millionen Euro. Es stünde der Opposition gut an, dies anzuerkennen. Durch die Umsetzung dieser globalen Minderausgabe gerät das Verhältnis von bilateraler und multilateraler Entwicklungszusammenarbeit immer mehr in eineJochen Borchert (CDU/CSU): Schieflage zugunsten der multilateralen EZ. Daran wer- Herr Kollege, ich würde das gern anerkennen, wenn den auch die punktuellen Erhöhungen dieses Haushalts es zuträfe. Die globale Minderausgabe von 1,1 Milliar- nichts ändern. Die rein optische Erhöhung des Etats ist den Euro im Gesamthaushalt ist noch nicht auf die ein- keine strukturelle Verbesserung, geschweige denn ein zelnen Etats verteilt. Wenn diese 1,1 Milliarden Euro Hoffnungsschimmer für die entwicklungspolitische Zu- globale Minderausgabe nach dem gleichen Schlüssel sammenarbeit. Strukturell werden in diesem Etat keine verteilt werden, nach dem die 900 Millionen Euro auf Verbesserungen vorgenommen. Erst eine Erhöhung der die Einzeletats verteilt worden sind Verpflichtungsermächtigungen würde eine strukturelle (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Veränderung bedeuten und in der Entwicklungspolitik, NEN]: Das ist doch Quatsch!) vor allem im bilateralen Bereich, zusätzliche Gestal- tungsmöglichkeiten eröffnen. – natürlich! –, dann ist am Ende das verfügbare Soll des Einzelplans niedriger als im Jahre 2004. Ich weiß, dass Sehr geehrte Frau Ministerin, in der Öffentlichkeit die Koalition die Hoffnung hat, dass der Einzelplan 23 lassen Sie sich dafür loben, dass das Volumen des ent- von der Verteilung der 1,1 Milliarden Euro ausmachen- wicklungspolitischen Haushalts um 2 Prozent gestiegen den globalen Minderausgabe nicht betroffen wird. Ob ist. In Wahrheit aber lassen Sie sich diese Steigerung diese Hoffnung zutrifft, steht in den Sternen. Es muss über die Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe zumindest kritisiert werden, dass hier ein Etat vorgelegt ganz oder teilweise wieder abnehmen. wird, bei dessen Verabschiedung wir nicht wissen, wie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und hoch die Mittel sein werden, die dem Ministerium am der FDP) Ende wirklich zur Verfügung stehen. Da lösen sich Ihre 38 Millionen Euro wahrscheinlich in Luft auf. Mit der Verabschiedung des Haushalts bleibt ungewiss, über wie viel Mittel Sie tatsächlich verfügen können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Diese Politik der ungeklärten Haushaltsansätze – nie- Herr Kollege Borchert, erlauben Sie eine weitere mand weiß, in welcher Größe hier noch globale Minder- Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Koppelin? ausgaben umgesetzt werden müssen – ist eine Zumutung für die Öffentlichkeit, das Parlament, die Durchführungs- (B) (D) organisationen und vor allem die Entwicklungsländer. Jochen Borchert (CDU/CSU): Aber gern. Nicht nur, dass der Etat den gestiegenen Anforderun- gen nicht angepasst wird, nein, wir verlagern unsere Mit- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: tel auch immer mehr in den multilateralen Bereich. Sie Es droht noch eine dritteZwischenfrage. Ich mache kürzen in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit nur darauf aufmerksam. mit dem Hinweis, dass in der multilateralen EZ die Zah- lungsverpflichtungen vertraglich festgelegt seien. Aber Sie wollen dies auch gar nicht ändern; denn gleichzeitig Jürgen Koppelin (FDP): beschließen Sie mit dem Haushalt 2005 neue Zahlungs- Herr Kollege Borchert, Sie sind, da wir hier über eine verpflichtungen für die multilaterale EZ und schaffen so Erhöhung von 38 Millionen Euro gesprochen haben, si- die Begründung für erneute Kürzungen bei der bilatera- cher in der Lage, das Haus darüber zu informieren, wie len Zusammenarbeit in den nächsten Jahren. das mit diesem Etat war. Können Sie berichten, vor al- lem in Richtung der Grünen, wie dasAuswärtige Amt beim Einzelplan 23 abkassiert hat, ohne dass die für Ent- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wicklungshilfe zuständige Ministerin darauf Einfluss Herr Kollege Borchert, erlauben Sie eine Zwischen- nehmen konnte, sodass am Ende weniger herauskam, als frage des Kollegen Hoppe? wir vorgesehen hatten?

Jochen Borchert (CDU/CSU): Jochen Borchert (CDU/CSU): Aber gern. Nach der Verabschiedung des Haushaltes für das Jahr 2004 ist auf den Einzelplan 23 noch die globale Minder- Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ausgabe umgelegt worden. Diese Kürzung betrug 38 Mil- Herr Kollege Borchert, ich frage Sie, warum Sie nicht lionen Euro. Außerdem flossen aus diesem Einzelplan anerkennen können, dass es einen tatsächlichen Auf-noch 80 Millionen Euro für das Auswärtige Amt ab. wuchs der Mittel für den Einzelplan 23 gibt. Natürlich (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! schlägt die globale Minderausgabe zu Buche; aber selbst Hört!) wenn man sie abzieht, bleibt unter dem Strich ein Saldo von 38 Millionen Euro, die zusätzlich in die Entwick- In diesem Jahr droht eine weitere Kürzung aufgrund lungszusammenarbeit fließen. Auch ich habe von derder noch offenen globalen Minderausgabe in Höhe von Koalitionsseite aus in der letzten Debatte Kritik an den 1,1 Milliarden Euro. Außerdem fließen 70 Millionen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13117

Jochen Borchert (A) Euro an das Auswärtige Amt ab. Am Ende fällt also die Sie ist aber nach der Verabschiedung des Haushalts auf (C) Bilanz, was die verfügbaren Mittel anbelangt, für dasdie Einzelpläne umgelegt worden und hat, wie schon ge- Ministerium insgesamt sehr negativ aus. sagt, den Einzelplan 23 in einer Größenordnung von 38 Millionen getroffen. (Jürgen Koppelin [FDP]: So ist es!) (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: An Ihre Aussage, dass der Betrag von 1,1 Milliarden Herr Borchert, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage Euro im Einzelplan 60 erwirtschaftet wird, ohne dass die des Kollegen Diller? Einzelpläne betroffen sind, werde ich Sie im Laufe des Vollzugs dieses Haushaltes erinnern. Ich glaube nicht Jochen Borchert (CDU/CSU): daran, dass es so sein wird, wie Sie gesagt haben. Aber gern. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Diller, wenn Sie dieglobale Minderausgabe im Karl Diller (SPD): Einzelplan 60 so locker erwirtschaften, dann wundere Herr Kollege Borchert, als altgedienter Haushälterich mich, warum Sie nicht von vornherein die einzelnen müssten Sie eigentlich wissen, wie eine unspezifizierte Titel um diesen Betrag gekürzt und auf die globale Min- globale Minderausgabe im Einzelplan 60 erwirtschaftet derausgabe verzichtet haben. wird, nämlich in ganz wesentlichen Bereichen durch eine vorsichtige Veranschlagung von Mitteln, die dann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nicht in Anspruch genommen werden müssen, durch Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war Einsparungen bei Zinsen und Gewährleistungen etc. pp. ein Blattschuss!) Sie wird also nicht auf die Häuser umgelegt. Wer in der Politik gestalten will, der muss dies zu- Wären wir Ihren Anträgen gefolgt, in den einzelnen kunftsgerichtet tun. Im Haushalt ermöglichen dieVer- Titeln Kürzungen bei Zinsen und Gewährleistungen in pflichtungsermächtigungen einen Blick auf die zu- Höhe von Hunderten von Millionen Euro durchzufüh- künftige Gestaltung des Haushaltes. Es ist festzustellen, ren, hätten wir diese Reserve überhaupt nicht mehr ge- dass es hier keine strukturellen Veränderungen gibt: we- habt. Dann wäre der Fall eingetreten, den Sie jetzt be- der richtungweisende Erhöhungen noch richtungwei- fürchten, nämlich dass die Ressorts die globalesende Kürzungen. Minderausgabe allein hätten erwirtschaften müssen. (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) Es zeigt sich also: Ihr Vorschlag wäre der falsche ge- Ich denke, dieser Haushalt ist ein Haushalt der Ein- (B) (D) wesen. Unser Vorschlag ist der richtige. fallslosigkeit. Hier gibt es weder Visionen noch den Mut, die bewährte deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was will stärken. Diese Einfallslosigkeit spiegelt sich in allen der Dichter damit sagen?) Positionen dieses Haushalts wider. Vorausschauend, effi- zient, nachhaltig – so sollte die entwicklungspolitische Jochen Borchert (CDU/CSU): Zusammenarbeit aussehen. Die deutsche entwicklungs- Herr Kollege Diller, ich freue mich, dass Sie zur glo- politische Zusammenarbeit wird aber immer mehr zu ei- balen Minderausgabe fragen. Ich kann mich noch an den nem unbeweglichen Konstrukt ohne Visionen. damaligen haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Frak- Ein erschreckendes Beispiel für die mangelnde Flexi- tion erinnern, bilität und Koordination ist das Reagieren auf dieHeu- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wie hieß schreckenplage in Afrika. Fachleute haben frühzeitig der Kollege?) vor der Gefahr großer Heuschreckenschwärme gewarnt und ein sofortiges Eingreifen gefordert. Mit nur einem der im Parlament immer davon gesprochen hat, es sei Bruchteil der jetzt notwendigen Mittel hätte durch früh- eine unglaubliche Schwäche der Regierung und Koali- zeitige Schädlingsbekämpfung das Desaster verhindert tionsfraktionen, dass sie nicht in der Lage seien, die glo- werden können. Die Folgen dieser Naturkatastrophe sind bale Minderausgabe auf Einzeltitel umzulegen. Wenn schon jetzt schlimmer als alle Kriege in Afrika zusam- wir damals mit einer globalen Minderausgabe in Höhe men. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. von 1,1 Milliarden Euro – das entspricht 2,2 Milliar- den DM – im Einzelplan 60 im Parlament angetreten Was noch im Herbst letzten Jahres mit wenigen wären, hätten Sie aufgeschrien, Herr Diller. Millionen hätte verhindert werden können, wird jetzt zu einer Katastrophe. Die Bekämpfung der Schädlinge zum (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) jetzigen Zeitpunkt ist schwierig und kostenintensiv. Die Daran möchte ich Sie heute gerne messen. Folgen der Ernteausfälle nd si noch nicht abschätzbar. Auf den Hilferuf der Welternährungsorganisation haben Zu einer weiteren Aussage von Ihnen: Wenn ich mich die Geberländer viel zu spät reagiert. recht erinnere, haben Sie auch im Vorjahr gesagt, dass die globale Minderausgabe im Einzelplan 60 erwirt- Die Notwendigkeit, sich an internationalen Geberge- schaftet wird. meinschaften zu beteiligen, will ich hier nicht in Zweifel ziehen. Allerdings müssen die wenigen Mittel, die uns (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Genau!) zur Verfügung stehen, sinnvoll eingesetzt werden – mit 13118 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Jochen Borchert (A) dem Ziel einer nachhaltigen Hilfe für die Entwicklungs- können Sie die globale Minderausgabe und die 70 Millio- (C) länder. Hier hätte man sehr viel früher in Afrika helfen nen Euro abziehen, die an das Auswärtige Amt gehen. können, als es jetzt mit vielen Mitteln erforderlich ist. Sie liegen dann voraussichtlich nur noch bei knapp Entscheidend sind beim Einsatz die Wirksamkeit und die 3,7 Milliarden Euro und werden somit 350 Millionen Effizienz des Mitteleinsatzes. Dies muss bedeuten: keine Euro weniger zur Verfügung haben als 1998. weitere Kürzung der bilateralen Hilfe – weder verdeckt (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: noch offen. Hört! Hört!) Ich will noch auf die Entwicklung der ODA-Quote Dies ist die Trendwende. Auch für Sie, Frau Ministe- eingehen. Für das Jahr 2003 liegen wir bei geschätzt rin, gilt: Nicht an Ihren Reden, sondern an Ihren Taten, 0,28 Prozent. Das ist nun wahrlich kein großer Sprung an der Entwicklung des Haushalts werden Sie gemessen. nach vorn. Auch die Zahlen für 2000 und 2001 waren Das Ergebnis ist für Sie niederschmetternd. auf 0,28 Prozent geschätzt worden. Die offizielle OECD-Statistik weist jetzt nur noch 0,27 Prozent aus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Ihr Ziel, Frau Ministerin, bis zum Jahr 2006 eine ODA-Quote von 0,33 Prozent zu erreichen, ist ange- Aber nicht nur in absoluten Zahlen schrumpft der sichts der Haushaltssituation nur noch ein Wunschtraum. Haushalt seit sieben Jahren; auch Anteil der am Die für dieses Ziel notwendige Mittelerhöhung im Ein- Gesamthaushalt ist weiter rückläufig. Diese rot-grüne zelplan 23 werden Sie im Haushalt 2006 nicht erreichen. Koalition stellt Jahr für Jahr einen immer geringeren An- Die dafür erforderliche Aufstockung im Haushalt 2006 teil am Bundeshaushalt für die Entwicklungsländer be- ist nur dann möglich, wenn noch mehr Einmaleinnah- reit. Die Entwicklungspolitiker, die Durchführungsorga- men als 2005 eingeplant werden. Aber so viel Tafelsilber nisationen und die Entwicklungsländer träumen doch steht der Bundesregierung für 2006 nicht mehr zur Ver- heute von der Bedeutung und der Mittelausstattung, die fügung. Der Verkauf von weiteren Forderungen zulasten der Einzelplan 23 noch 1998 hatte. der nächsten Generation wäre in der dafür erforderlichen (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Na, na!) Größenordnung nicht zu realisieren. – Aber natürlich, Brigitte! Damals betrug der Anteil am Natürlich werden Sie versuchen, die ODA-Quote Gesamthaushalt 1,7 Prozent; heute sind es noch 1,46 Pro- durch einen steigenden Schuldenerlass auf dem derzeit zent. Bei einem Anteil von 1,7 Prozent des Einzelplans 23 immer noch viel zu niedrigen Niveau zu stabilisieren. am Gesamthaushalt stünden heute 623 Millionen Euro Mehr als eine Stabilisierung der ODA-Quote werden Sie mehr zur Verfügung, als heute tatsächlich in den Haus- auch über einen steigenden Schuldenerlass nicht errei- halt eingestellt sind. (B) chen. (D) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wir unterstützen die Politik des Schuldenerlasses auf Hört! Hört!) der Grundlage verbindlicher Verpflichtungen der Ent- wicklungsländer, die damit gewonnenen Finanzierungs- Trotz schöner Reden, vor allem auf internationalen spielräume für eine aktive Armutsbekämpfung zu nut- Konferenzen: Die Entwicklungshilfe verliert in dieser zen. Dies ersetzt aber nicht die derzeit rückläufigen Koalition, in dieser Bundesregierung immer mehr an Be- Barmittel in der Entwicklungshilfe. So richtig und sodeutung. Die Entwicklungshilfe wird zur Manövrier- notwendig der jetzt vereinbarte Schuldenerlass für den masse einer gescheiterten Haushaltspolitik. Dieser Haus- Irak auch ist, Sie helfen damit nicht den Entwicklungs- halt ist ein Dokument der gescheiterten rot-grünen ländern, da Sie die für deren Unterstützung vorgesehe- Finanzpolitik und Entwicklungspolitik. Deshalb lehnen nen Mittelansätze im Haushalt kürzen oder ganz strei- wir diesen Haushalt ab. chen müssen. Der Schuldenerlass kann die finanzielle Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Förderung der Entwicklungsländer sinnvoll unterstüt- zen. Er darf aber nicht an die Stelle einer dringend not- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wendigen Finanzierung von gemeinsamen Projekten tre- ten. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Frau Ministerin, 1999 haben Sie vollmundig erklärt Das Wort hat nun die Kollegin Brigitte Schulte, SPD- – ich zitiere –: Fraktion. Mit dem jetzt vorgelegten Bundeshaushalt haben (Hameln) (SPD): wir den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes Brigitte Schulte Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- gestoppt und die Grundlage für eine Aufwärtsent- gen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege wicklung geschaffen. Borchert, ich bezweifle nicht, dass wir uns in einer Zeit Was ist aus der angekündigten Trendwende in dermit schwierigen Haushaltsfragen befinden. Ich stelle mir Entwicklungspolitik geworden? Bis heute ist keinemanchmal vor, Sie wären an unserer Stelle. Trendwende erkennbar. Das machen die folgenden Zah- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len deutlich: 1998, im letzten Jahr der Bundesregierung NEN]: Das wollen wir uns nicht vorstellen!) unter Helmut Kohl, wurden für die Entwicklungspolitik noch 4,05 Milliarden Euro ausgegeben. Im Jahr 2005Ich bin ziemlich überzeugt, dass die Bilanz kaum besser sollen es nur noch 3,86 Milliarden Euro sein. Davonausfallen würde als die, die wir nun mit einer großen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13119

Brigitte Schulte (Hameln) (A) Kraftanstrengung erreicht haben. Eines können Sie lei- ob Sie ohne uns oder wir jetzt mit den Grünen –, einen(C) der nicht leugnen: Der Entwicklungsetat stellt trotzguten Stil der wirtschaftlichen Entwicklung entwickelt schwieriger Haushaltslage einen Lichtblick dar. haben, und zwar auch dank der Haushälter; das muss ich hier ausdrücklich sagen. Dies ist möglich, weil wir Mar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kenzeichen haben, die andere nicht besitzen: Das ist die DIE GRÜNEN) vom Haushaltsausschuss initiierte und durchgesetzte Ge- Darauf sind wir stolz. sellschaft für Technische Zusammenarbeit. Die haben nicht viele. Es ist den Koalitionspartnern gelungen – das haben Sie freundlicherweise gesagt –, die personellen und fi- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) nanziellen Ressourcen für 2005 zu verbessern. Ich freue mich sehr, dass ich mit dem Kollegen Bonde und mit den Das ist die Arbeit, auch darauf sollten wir gemeinsam Kollegen im Fachausschuss – ich schaue dabei Fraustolz sein, der politischen Stiftungen – auch diese haben Kortmann und Herrn Hoppe an – ganz leidenschaftliche nicht viele –, die helfen, Pluralität in den Entwicklungs- Mitkämpfer hatte. ländern zu schaffen. Und das ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die man hierbei nicht vergessen darf. Das (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sind Markenzeichen deutscher Entwicklungspolitik. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zur Bewältigung internationaler Krisen und bei der Ich gebe zu, dass wir für die Erreichung dieses Ziels Bekämpfung globaler Seuchen – Sie haben völlig zu gebissen und gekratzt haben. Denn, Herr Borchert, ich Recht auf die katastrophaleSituation in Afrika hinge- stimme Ihnen zu: Wir sind verpflichtet, die wachsenden wiesen; die Heuschreckenplage ist ja inzwischen in internationalen Aufgaben zu bewältigen. Sie waren es Ägypten angekommen – müssen die Länder besser mul- – es ist interessant, dass Sie das heute vergessen haben –, tilateral zusammenarbeiten. Deswegen, Frau Ministerin, die am 29. Januar 2003 im Haushaltsausschuss den Vor- sind wir als Haushälter so skeptisch, was die globale und schlag gemacht haben, den Bundesrechnungshof zu be- multilaterale Arbeit betrifft. auftragen, zu prüfen, wie die Ressortabstimmung in den Arbeitsbereichen mit entwicklungspolitischen Bezügen Ich habe das Gefühl – das hatte ich auch schon früher erfolgt. Wir haben ihn dann zweimal mahnen müssen; in meiner anderen Funktion –, dass alle im Grunde alles aber am 28. August 2004 – man höre und staune –, nach machen wollen. Die Gefahr besteht, dass es nicht genü- anderthalb Jahren, bestätigte er tatsächlich in einem um- gend koordiniert wird. Sie haben sich auf unseren fangreichen Gutachten, dass die Abstimmung unter die- Wunsch hin intensiv dafür eingesetzt. Dennoch bleibe ser Regierung weitgehend reibungslos verläuft. Nachich dabei: Wenn man auf den Balkan, Afghanistan oder (B) seinen Recherchen – die Untersuchung bezog sich auf Palästina blickt, dann sieht man, dass zu viele internatio- (D) das Jahr 2002 – entfielen von den im Bundeshaushaltnale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen veranschlagten 4,7 Milliarden Euro, die auf die ODA- dort arbeiten. Es kommt zu einem Nebeneinander und Quote angerechnet werden – Sie wissen genau, dass sie Gegeneinander mit unterschiedlichen Kompetenzen. Da- nicht nur den jeweiligen Etatansatz umfasst –, 78 Pro- her möchte ich, dass wir unsere sehr guten Instrumente zent auf das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- stärker und engagierter einbringen: GTZ, KfW, politi- sammenarbeit und Entwicklung, 18 Prozent auf das Aus- sche Stiftungen, unsere Kirchen und all die anderen wärtige Amt und 3 Prozent auf Beitragsleistungendeutschen Entwicklungsorganisationen, die ein großes anderer Ressorts, unter anderem des Finanzministe-Expertenwissen haben, engagiert sind und die wir kurz- riums. Lediglich 1 Prozent betraf Vorhaben anderer Res- und längerfristig einsetzen können. sorts für die bilaterale Zusammenarbeit. Das ist ein gutes Ergebnis. Herr Borchert, Sie hätten ruhig auch das sagen können: Bei der internationalen Evaluierung durch die Weltbank in Wir unterstützen deshalb die Empfehlung des Bun- diesem Jahr haben die GTZ und die KfW bewiesen, dass desrechnungshofes, die Länderprogrammplanungen der sie in den Bereichen strategische Ausrichtungen, Mitar- verschiedenen Ressorts unter der Federführung desbeiterqualifikation, Ergebnisverantwortung, Wissensma- BMZ zu bündeln, ohne – das sage ich ausdrücklich – die nagement und Einsatz angemessener Instrumente an der Kompetenzen des Auswärtigen Amtes zu missachten. Spitze liegen. Herzlichen Glückwunsch. Auch das ist ein Wir waren mit dem Rechnungshof der Meinung, dass Erfolg von uns und der Regierung. das BMZ – übrigens auch der Fachausschuss – in allen für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit bedeut- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ samen Bereichen Zugang zur Berichterstattung der Aus- DIE GRÜNEN) landsvertretungen erhalten soll. Um dies zu fördern, ha- Ich finde, Frau Ministerin, auch das sollte man sagen. ben wir – auch das haben Sie freundschaftlich Organisationen von dieser Qualität haben nicht viele. verschwiegen – dem BMZ mit diesem Haushalt Mittel Die beiden Koalitionsparteien haben – das haben Sie für zusätzliches Personal beschafft, damit mehr Mitar- auch verschwiegen, weil es Ihnen nicht passt – die An- beiter des BMZ in den Auslandsvertretungen eingesetzt sätze für die technische und die finanzielle Zusammenar- werden können. beit ganz erheblich angehoben. Wir werden kratzen, bei- Ich bezweifle überhaupt nicht, dass wir im Parlament ßen und alles tun, was wir können, wenn es um die über Jahrzehnte hinweg und egal, wer gerade regiert hat Auflösung der globalen Minderausgabe geht, damit – ob nun die SPD mit der FDP, ob die SPD mit der CDU, dieses Ressort zum Schluss angegangen wird. Dabei 13120 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Brigitte Schulte (Hameln) (A) rechne ich mit Ihrer tatkräftigen und kompetenten Hilfe, Wir kämpfen mit Ihnen und danken Ihren Mitarbeiterin- (C) auch beim Kratzen und Beißen. nen und Mitarbeitern; denn Ihr Haus ist kompetent. Ich bitte auch die Opposition um Zustimmung zu diesem Wir erwarten natürlich als Gegenleistung, Frau Mi- Haushalt. nisterin, dass Ihre Mitarbeiter, die ich sehr schätze, sich in den internationalen Institutionen, wie der Weltbank, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der UNO und dem Europäischen Entwicklungsfonds, DIE GRÜNEN) dafür einsetzen, dass diese Organisationen, die ich ge- rade gelobt habe, stärker zum Einsatz kommen. Wo un- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ser Geld drin ist, Herr Koppelin, wollen wir es auch Das Wort hat der Kollege Markus Löning, FDP-Frak- durch deutsche Experten ganz wesentlich verwendet se- tion. hen. Wir als Haushaltsausschuss werden keine Aufsto- Markus Löning (FDP): ckung internationaler Finanzraten mehr mitmachen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die wenn wir nicht stärker an der Umsetzung beteiligt sind ODA-Quote vom Kollegen Bordiert angesprochen und wir nicht früher gefragt werden. Herr Diller – Sie wurde, bitte ich die Ministerin, die ja nachher redet, uns sitzen jetzt in einer anderen Funktion hier –, wir schät- einmal kurz darzustellen, wie sie ihre internationalen zen es nicht, dass wir erstin der Beratung feststellen, Zusagen im nächsten Jahreinhalten will. Wir müssten dass wieder etwas erhöht wird. Wir möchten früher in- den Etat in einer Größenordnung von mehreren Hundert formiert werden. Das ist Ihre Aufgabe als Bundesfinanz- Millionen Euro aufstocken, ministerium. (Ulrich Heinrich [FDP]: Um 1 Milliarde (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Euro!) der FDP) um das einzuhalten, was Sie international zugesagt ha- ben. Ich könnte Ihnen noch viel erzählen, aber das tue ich nicht. Ich will nur noch auf ein Land hinweisen, in dem Ich hätte von Ihnen gerne Antworten auf zwei Fragen: die Hilfe ganz besonders erfolgreich war, dem wir aber Wie wollen Sie das im nächsten Jahr schaffen? Und dennoch weiter helfen sollten. China ist das Land, wel- wenn Sie es schaffen, wie lässt sich die Tatsache, dass in ches in den letzten zwei Jahrzehnten die Armutsbekämp- diesem Bereich Geld ausgegeben wird, das letztendlich fung erfolgreicher als alle anderen Staaten betrieben hat, unsere Kinder zurückzahlen müssen – schließlich hat und zwar aus eigener Kraft und mit unserer Hilfe. diese Bundesregierung bereits jetzt eine Rekordver- schuldung zu vertreten –, mit Ihren Zielen von Nachhal- (B) (D) Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Dieses Land tigkeit und Generationengerechtigkeit vereinbaren? Mei- hat 1 292 Millionen Einwohner. Davon sind 1 000 Mil- nes Erachtens sollten Sie versuchen, einen neuen Weg zu lionen Einwohner älter als 16 Jahre. Man geht davongehen: Wir müssen bei der Entwicklungshilfe stärker auf aus, dass die arbeitsfähige Bevölkerung 700 Millionen Effizienz achten und uns von dem fixen Ziel einer be- Menschen umfasst. Zum Vergleich: Europa hat insge- stimmten Ausgabenhöhe lösen. Wir brauchen Effizienz samt nur 772 Millionen Einwohner. Der starke Struktur- und den gezielten Einsatz der Mittel. wandel wird bewirken, dass noch mehr Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Wenn also jemand sagt, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten China unsere Hilfe nicht braucht, dann möge er im Hin- der CDU/CSU) terkopf haben, was amerikanische Experten errechnet Das ist das Wesentliche; Sie hängen Schimären an. haben: Schon heute sind dort 175 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter von verdeckter Arbeitslosigkeit (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Aber das betroffen. machen wir doch!) (Markus Löning [FDP]: Diese Bundesregie- – Das sehe ich nicht. Auch Sie, Frau Schulte, haben rung weiß ja sicher sehr gut, wie man das mit diese Position gerade wieder vertreten. den Arbeitslosen macht!) Es ist – das ist nicht polemisch gemeint –, wirklich wichtig, dass wir uns ernsthaft mit dieser Frage ausei- Das ist plump! nander setzen; denn die Finanzsituation des Bundes – (Markus Löning [FDP]: Nein!) das betrifft die Länder genauso – ist mehr als ernst. Ich finde, die Ernsthaftigkeit der Situation spiegelt sich in Wir ergreifen also jede Chance – auch deswegen haben den Debatten, die ich heute und gestern hier verfolgt wir diese Mittel aufgestockt –, um junge chinesischehabe, nicht wider. Wissenschaftler auszubilden. (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) (Markus Löning [FDP]: Aber doch nicht aus Arbeitslosigkeitsgründen! Das ist doch lächer- Ich würde mir das allerdings wünschen, auch in dieser lich!) Debatte, einer Fachdebatte, in der wir als Entwicklungs- politiker natürlich immer dafür eintreten, dass für unser Liebe Frau Ministerin, abschließend sage ich Ihnen: Ressort Geld bereitgestellt wird. Dennoch müssen wir Wir sind mit Ihrer Arbeit einverstanden. die Gesamtsituation im Auge behalten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13121

Markus Löning (A) Lassen Sie mich noch auf ein paar andere Punkte zu Humboldt-Stiftung erhöht. Darin können Sie uns doch(C) sprechen kommen. Frau Ministerin, ich habe Ihnen von sicherlich folgen, oder? dieser Stelle aus schon oft vorgeworfen, Ihre PR sei bes- ser als Ihre Politik. Im Moment zweifle ich daran jedoch Markus Löning (FDP): ein bisschen. Im Rahmen der Diskussion über Anker- Frau Kollegin, ich unterstütze ausdrücklich die beiden und Schwellenländer, die Sie in den letzten Wochen los- Institutionen, die Sie genannt haben. Auch wir halten sie getreten haben, haben Sie vieles gesagt, was richtig ist, für außerordentlich wertvolle Institutionen und sind der und mir aus dem Herzen gesprochen. Sie haben manche Meinung, dass sie mit mehr Geld ausgestattet werden Ziele, die Sie früher vertreten haben – zum Beispiel die sollten; das ist gar keine Frage. Aber ich sage Ihnen auch Armutsbekämpfung in bestimmten Schwellenländern –, ganz klar: Ein Land wie China – mit dieser Wachstums- zu Recht infrage gestellt. rate und dem vorhandenen Know-how – braucht von uns Sie, Frau Schulte, haben gerade wieder die Situation keinen Rat, wie es seine Arbeitslosigkeit und seine Ar- in China angesprochen. Ich glaube allerdings, dass ich mut bekämpfen soll. Sie falsch verstanden habe. Denn ich habe Sie so ver- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) standen, dass chinesische Wissenschaftler wegen der Problematik der Arbeitslosigkeit in China nach Deutsch- Ich hielte uns für überheblich, wenn wir einem Land, land kommen sollten. das erfolgreich einen extrem schwierigen Strukturwan- del durchgeführt hat, sagten: Wir können euch lehren, (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein! Da- wie es richtig geht. Da müssen wir uns an unsere eigene mit wir sie ausbilden!) Nase fassen und sagen: Wir müssen die Zusammenarbeit Ich bin sehr dafür, die Mittel, die wir in China für Pro- mit China, mit Indien und auch mit anderen Ländern auf gramme zur Armutsbekämpfung zur Verfügung stellen andere Füße stellen: wir müssen mit diesen Ländern auf – was aus meiner Sicht falsch ist –, in Programme zum gleiche Augenhöhe kommen. Wir brauchen Zusammen- Wissenschaftsaustausch umzuwidmen. arbeit in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Kul- tur, an vielen Stellen. Aber sich hinzustellen und zu sa- (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Diese Mit- gen: „Wir erklären euch, wie die Welt funktioniert und tel haben wir auch erhöht!) wie ihr die Arbeitslosigkeit bekämpfen könnt!“, das steht uns bei diesen Ländern einfach nicht zu. Das ist ein richtiger und unterstützenswerter Weg, den wir gehen sollten. Aber wir müssen uns auch darüber (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten klar sein, dass die Chinesen, Inder und viele andere in- der CDU/CSU) (B) zwischen in der Lage sind, diese Leistungen aus eigener (D) Kraft zu erbringen. Wir müssen an ihre Verantwortung Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu dem von der appellieren und ihnen sagen: Das ist eure Verantwor-Frau Ministerin angesprochenen Konzept von Anker- tung. Denn es kann nicht in unserer Verantwortung lie- und Schwellenländern sagen. gen, in Ländern, die Wachstumsraten von 7, 8 oder (Abg. Dr. Sascha Rabe [SPD] meldet sich zu 10 Prozent aufweisen und die Armut durch Wirtschafts- einer Zwischenfrage) wachstum erfolgreich bekämpft haben, Sozialpro- gramme zur Armutsbekämpfung aufzulegen. – Gleich lasse ich Ihre Frage gerne zu. Zuvor möchte ich aber noch ein Beispiel bringen, welches vielleicht meine (Abg. Brigitte Schulte [Hameln] [SPD] meldet Position erläutert, Frau Schulte: Unsere Entwicklungs- sich zu einer Zwischenfrage) zusammenarbeit erstreckt sich nach wie vor auch auf – Bitte. Mexiko. Es geht dabei im Wesentlichen um regenerative Energie und Ähnliches. Mexiko bekommt von uns Mit- tel in der Größenordnung von 2 Millionen Euro pro Jahr Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: – das ist nicht viel –, hat durch den gestiegenen Ölpreis Eine Zwischenfrage wird offensichtlich zugestanden. in diesem Jahr aber Mehreinnahmen in der Höhe von Bitte. 1 Milliarde Euro zu verzeichnen. Ich frage mich, ob es richtig ist, einen solchen Know-how-Transfer zu finan- Brigitte Schulte (Hameln) (SPD): zieren. Ich bin nicht dagegen, diesen Bereich zu unter- stützen, aber ich frage mich, ob wir das in einem solchen Sie haben mich wahrscheinlich missverstanden. Sie Fall finanzieren müssen. Ist das richtig und können wir werden doch sicherlich nicht dafür sein, unsere Entwick- das wirklich vertreten? Ich bin sehr dafür, Know-how lungszusammenarbeit in einem Land einzustellen, wel- weiterzugeben, aber ich bin auch dafür, gegebenenfalls ches jetzt Gott sei Dank unsere technische und finanzi- eine Rechnung mitzuschicken. Im Übrigen zeigen alle elle Hilfe erhalten hat, das aber mehr als 700 Millionen Evaluierungen, dass die Programme umso besser funk- Arbeitskräfte hat, von denen durch den Strukturwandel tionieren, je mehr sich die Länder an der Finanzierung möglicherweise – nach Berechnungen amerikanischer beteiligen. Wir sollten deshalb vor dieser Diskussion Experten – 175 Millionen verdeckt arbeitslos sind. Ich nicht zurückscheuen. bin der Meinung, dass wir es weiter unterstützen und für die Ausbildung der jungen Akademiker mehr tun müs- sen. Deswegen haben wir die Mittel für den Deutschen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Akademischen Austauschdienst und die Alexänder-von- Herr Kollege, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage? 13122 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

(A) Markus Löning (FDP): Frau Ministerin, in den verbleibenden 15 Sekunden(C) Bitte. möchte ich noch einen Punkt ansprechen, zu dem ich gerne etwas von Ihnen hören würde, zumal Frau Schulte unsere Entwicklungshilfeorganisationen – im Wesent- Dr. Sascha Raabe (SPD): lichen waren die staatlichen gemeint – Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass in Indien, das Sie gerne als ein starkes Land anführen, mehr Kinder (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein, auch hungern und in Armut leben als in ganz Afrika? Und ist die nicht staatlichen!) Ihnen – vielleicht aus dem Mathematikunterricht, wenn über die Maßen gelobt hat. Ich schließe mich ihrem Lob ich das so sagen darf – bekannt, dass Wachstumsraten, an. All diese Organisationen machen eine sehr gute Ar- kein geeigneter Indikator für Wohlstand sind? Dennbeit. wenn man von einem ganz niedrigen Niveau ausgeht, bedeuten selbst Wachstumsraten von mehr als 10 Pro- Ich habe in diesem Zusammenhang zwei Fragen. zent nicht, dass alle in Reichtum und Jubel ergehen. Bei Wenn ich im Ausland bin, höre ich erstens immer die der Armut, die in Indien herrscht, kann man nun wirklich Frage: Wer spricht hier für die Deutschen? Es gibt keine nicht davon reden, die EntwicklungszusammenarbeitBMZ-Außenvertretung, weil man mit dem AA nicht einzustellen. richtig klarkommt. Verschiedene Organisationen ver- sprechen etwas und tun so, als seien sie die Deutschen. (Ulrich Heinrich [FDP]: Die Programme zur Ist es nicht an der Zeit, eine richtige Reform der staatli- Armutsbekämpfung greifen doch nicht! Das chen Durchführungsorganisationen anzupacken und ist doch das Problem! Unser Geld wirkt nicht!) deutlich zu machen, dass sie alle zusammengehören, so- dass sie auch alle zusammengefasst werden? Was kön- Markus Löning (FDP): nen wir hier reformieren? Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass sowohl die Kre- Die zweite Frage lautet: Was ist eigentlich mit der ditanstalt für Wiederaufbau als auch das BMZ-eigeneGTZ? Deutsche Institut für Entwicklungsforschung sagen, dass die Armutsbekämpfungsprogramme, die dort in den letz- ten Jahren durchgeführt worden sind, mitnichten zur Ar- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: mutsminderung beigetragen haben, dass unser Geld dort Beide Fragen müssen nun aber von den folgenden verschwendet worden ist und dass einzig und allein das Rednern beantwortet werden. Wirtschaftswachstum, das der jetzige Premierminister, (Heiterkeit) 1991 als Finanzminister, durch seine Wirtschaftsrefor- (D) (B) men angestoßen hatte, zu einer wirklichen Armutsmin- derung, und zwar in erheblichem Umfang, geführt hat? Markus Löning (FDP): Natürlich ist Indien ein riesiges Land mit einer großen Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. – Die Bevölkerung. Die Inder haben es geschafft, die Zahl der GTZ agiert als Vertreterin der Bundesregierung, als pri- absolut Armen innerhalb von 25 Jahren von über 60 Pro- vate Auftragnehmerin und als staatliche Durchführungs- zent auf jetzt 25 Prozent r de Bevölkerung zu senken. organisation. Das ist ein Mischmasch, der aus meiner Das ist eine riesige Leistung. Wenn unsere Forschungs- Sicht nicht länger hingenommen werden kann. Mich institute sagen, dass unsere Armutsbekämpfungspro-würde interessieren, wie Sie diesen Mischmasch auflö- gramme nichts dazu beigetragen haben, dann müssensen wollen. Vielen Dank. wir diese Armutsbekämpfungsprogramme aus meiner (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sicht infrage stellen. Darum geht es, der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das eine schließt das Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: andere nicht aus!) Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Alexander Bonde, – Doch, aus meiner Sicht schließt das eine das andere aus, weil es darum geht, ob wir es der indischen Elite zu- trauen, dass sie das selber kann. Aus meiner Sicht kann Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sie das; die Erfahrung hat es gezeigt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Beitrag des Kollegen Löning verstehe ich (Dr. Sascha Rabe [SPD]: Ja, die Elite!) jetzt zumindest, aus welcher Geisteshaltung heraus Ihre Fraktion im Haushaltsausschuss eine Absenkung von Sie verfügt über das nötige Know-how, über die nötigen 129,8 Millionen Euro in diesem Einzelplan beantragt Ressourcen und auch über die nötigen Instrumente. Es hat. Insofern hatte diese Debatte zumindest einen erhel- gibt viele indische NGOs, die in diesem Bereich sehr er- lenden Punkt. folgreich tätig sind. Ich bin dafür, dass wir bei den Schwellenländern die klassische Entwicklungshilfe aus- Insgesamt will ich sagen, dass ich den Einzelplan 23 laufen lassen. Wir sollten uns nicht so schwer damit tun in diesem Jahr für außerordentlich gut gelungen halte. und wir sollten das auf neue Füße stellen, nämlich auf Ich glaube, den roten und den grünen Haushälterinnen eine vernünftige Zusammenarbeit im Bereich Wirt-und Haushältern ist es hier gemeinsam gelungen, einen schaft, im Bereich Wissenschaft und in der Kultur. wichtigen Schwerpunkt zu setzen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13123

Alexander Bonde (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dazu verlieren. Es ist richtig: Im Gesamthaushalt muss(C) und bei der SPD) eine globale Minderausgabe von 2 Milliarden Euro er- wirtschaftet werden. Auf die Ressorts entfallen, anteilig In einer Zeit, in der es schwierig ist, den Haushalt an verteilt, l Milliarde Euro. Das entspricht bei dem gängi- bestimmten Stellen mit zusätzlichen Mitteln auszustatten gen Schlüssel des BMZ einer GMA von 38,897 Millio- – das wissen Sie alle –, erhöhen wir die Mittel in diesem nen Euro. So weit ist das richtig. Einzelplan um die genannten 2 Prozent. Das ist ein Auf- wuchs von 75,66 Millionen Euro. Insofern finde ich es Nun haben der eine oder andere Kollege der CDU/ schade, dass Sie in der Opposition es nicht einmal anCSU in dieser Debatte wieauch in Pressemitteilungen dieser Stelle schaffen, diese Leistung anzuerkennen, und bezüglich der GMA bewusst Ängste geschürt und im Gegenteil sogar versuchen, diesen Erfolg Falschmeldungen mit in die Welt gesetzt. Staatssekretär Taschenspielertricks wieder wegzurechnen. Diller hat es dankenswerterweise noch einmal klarge- stellt: Die zweite Milliarde wird nicht auf die Einzel- Wir haben im Haushaltsverfahren eine deutliche Auf- pläne verteilt, sondern anderweitig erwirtschaftet, Stich- stockung der Mittel für die Hilfe für dieärmsten Län- wort Bodensatz, Herr Borchert, Sie grinsen. Sie wissen der der Welt erreicht, und zwar nicht nur beim Ministe- natürlich, dass Sie mit Ihren Anträgen versucht haben, rium, über das wir jetzt diskutieren, sondern auch beim genau diesen Bodensatz für Ihre Einsparliste vorwegzu- Auswärtigen Amt und beim Ministerium für Verbrau- nehmen. Insofern ist das ein Taschenspielertrick. Aber cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, wo ebenfalls beunruhigen Sie an dieser Stelle nicht die Verwendungs- Mittel angesiedelt wurden, die ODA-relevant sind. Inso- empfänger. Wer behauptet, die rot-grünen Aufstockun- fern verstehe ich diese schräge Diskussion hier nicht, die gen seien ein Nullsummenspiel, täuscht über das Haus- nach dem Motto geführt wird: Mittel beim Auswärtigen haltsverfahren oder streut bewusst Falschinformationen. Amt tragen nichts zu dem bei, über das wir hier diskutie- ren. Ich finde es richtig, dass sowohl das Auswärtige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Amt als auch das Ministerium für wirtschaftliche Zu- sowie bei Abgeordneten der SPD) sammenarbeit und Entwicklung hier in unterschiedli- chen Feldern gemeinsam tätig sind. Jeder Euro, der in Rot-Grün hat gemeinsam die Ansätze des BMZ so an- diesem gesamten Bereich investiert wird, ist ein gut in- gehoben, dass es die globale Minderausgabe erwirt- vestierter Euro. schaften kann und zusätzlich Mittel zur Erhöhung der ODA-Quote zur Verfügung stehen, somit die Zuwen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dungsempfänger keine Angst vor der globalen Minder- und bei der SPD) ausgabe haben müssen. Um es Ihnen in Zahlen vorzu- rechnen: Rot-Grün hat den Ansatz um 76 Millionen Euro (B) Wir Haushaltspolitiker haben diese Schwerpunktset- (D) zung bewusst getroffen, weil wir gerade in Zeiten der erhöht. Davon sind für die GMA 38 Millionen Euro ab- Globalisierung immer weniger in nationalen Kategorien zuziehen. Es bleibt ein Plus von 38 Millionen Euro. Sie denken dürfen und uns gerade auch um die Problemekönnen noch so viel rechnen: Wenn Sie bei Adam Riese kümmern müssen, die es in anderen Gegenden dieser bleiben, verbleibt für den Einzelplan mindestens ein Plus Welt gibt. Wenn wir uns nämlich nicht darum kümmern, von 38 Millionen Euro. dann kommen diese Probleme zu uns. Ich bedauere sehr, dass der Kollege Weiß von der Mit unserer Schwerpunktsetzung senden wir zwei CDU in dieser Debatte nicht reden darf. Er hat im Sep- deutliche Signale: Erstens. Wir haben in diesem Haus- tember sehr wortreich große Anforderungen an den Ein- halt die ODA-Quote erhöht Damit machen wir klar, dass zelplan gestellt. Es hätte mich schon interessiert, wie er wir es mit den Zielen, die wir uns gesetzt haben, ernst erklärt hätte, dass seine Fraktion in den Haushaltsbera- meinen. Ich gestehe Ihnen zu, dass das noch nicht die tungen beantragt hat, im Einzelplan 188 Millionen Euro Summen sind, die wir in diesem Bereich gerne sehenzu streichen, und wie die großen Ankündigungen, was wollen. Aber es sind entscheidende erste Schritte. Ich alles geschehen müsse, zu diesen Kürzungen passen. Die finde, auch das muss man an dieser Stelle deutlich fest- CDU/CSU ist hier in der angenehmen Situation, dass sie halten, als Opposition nicht in der Verantwortung steht, in der wir stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Wir senden auch ein sicherheitspolitisches Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Signal, weil wir wissen, dass jeder Cent, den wir in Ent- Der Kollege Weiß will Ihnen offenkundig das erklä- wicklungspolitik investieren, zur Bekämpfung von Ar- ren, was Sie gerade nachgefragt haben. mut verwendet wird und terroristische Bedrohungen mi- nimiert. Auch hier stelltsich wieder die Frage der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Der Ansatz Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dieser Regierung, dass Auswärtiges Amt, Verteidigungs- Solange er das mit einer Frage tut, bin ich damit ein- ministerium und BMZ Hand in Hand arbeiten, ist genau verstanden. richtig. Weil der Kollege Borchert viel zur globalen Minder- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ausgabe gesagt hat, möchte auch ich noch einige Worte Bitte schön. 13124 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

(A) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): nig waren und auch die Reden nicht voneinander abwei- (C) Herr Kollege Bonde, nachdem Sie als neuer Bericht- chen. Ich bin mit der Kollegin Schulte insbesondere da- erstatter der Grünen-Fraktion für den Einzelplan 23 ei- rüber einig, was sie zurglobalen Minderausgabe ge- nige Ausführungen über die Beratungen im Haushalts- sagt hat; denn sie hat ausdrücklich von dem Anteil der ausschuss gemacht haben, möchte ich Sie fragen, wie globalen Minderausgabe gesprochen, der auf den Einzel- Sie die offenkundigen Dissense zu Ihrer ebenfalls be-plan 23 entfällt. Ich bin ebenso wie die Kollegin Schulte richterstattenden Kollegin, Frau Brigitte Schulte von der der Meinung, dass wir dann, wenn es die Möglichkeit SPD-Fraktion, aufklären können. gibt, den Einzelplan 23 vor dieser Einbuße in Höhe von 38 Millionen Euro zu schützen, alles tun müssen, um das Erstens, Frau Kollegin Schulte hat in ihrer Rede be- zu erreichen. Wir reden also nur über die globale Min- redt dargestellt, wie kritisch sie es sieht, dass immerderausgabe von 38 Millionen Euro, über die auch ich ge- mehr Mittel für die multilateralen Organisationen zur sprochen habe. Verfügung gestellt werden. Das hat sie kritisch hinter- fragt. Deswegen ist es auch offensichtlich aus der Sicht Sie haben offenbar dem Kollegen Diller vorhin nicht der Berichterstatterin der SPD-Fraktion, Frau Schulte, zugehört, nur konsequent, dass die CDU/CSU zur Veränderung dieses Ungleichgewichtes Kürzungen nur bei den Mit- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: teln für die multilateralen Institutionen der Entwick- Doch, habe ich!) lungszusammenarbeit beantragt hat. als er davon sprach, was mit dem Rest der GMA passiert. Zweitens. Frau Kollegin Schulte hat sich zum Schluss Ich hätte zumindest erwartet, dass Sie verfolgt haben, wel- ihrer Rede äußerst vorsichtig zum Thema derglobalen che Anträge Ihre Haushaltsgruppe zum Einzelplan 60 ins- Minderausgabe geäußert. gesamt gestellt hat. Dort hat sie Einsparsummen in Milli- ardenhöhe gesehen. Wenn nur ein Bruchteil der (Jürgen Koppelin [FDP]: Kürzungsvorschläge, die Ihr Obmann im Haushaltsaus- Weil sie Ahnung hat!) schuss, Herr Austermann, vorgelegt hat, realisiert würde Denn es bleibt doch trotz der Tatsache, dass Sie jetztund wenn sich die Zinsen tatsächlich so entwickeln wür- eine kleine Erhöhung des Mittelansatzes gegenüber dem den, wie es der Kollege Austermann prognostiziert hat, Entwurf durchgesetzt haben – das erkennen wir an und dann – das kann ich Ihnen mit Gewissheit sagen; das das ist von Herrn Borchert als Sprecher der CDU/CSU kann jeder, der rechnen kann – besteht keinerlei Gefahr, nicht infrage gestellt worden –, das Damoklesschwert dass eine zusätzliche globale Minderausgabe von Einzel- über uns schweben: Was geschieht mit der globalenplan 60 auf den Einzelplan 23 umgelegt werden muss. (B) Minderausgabe von 1,136 Milliarden Euro im Haushalt, Die 188 Millionen Euro waren nicht die einzige Be- (D) die nicht spezifiziert worden sind? Frau Kollegin Schulte lastung, die die CDU/CSU-Fraktion für den Einzelplan hat ganz vorsichtig gesagt, dass sie hofft, dass das BMZ, 23 parat hatte. Sie wollten den Einzelplan 23 durch eine wenn diese Mittel aufgeteilt werden, als allerletztes10-prozentige Kürzung bei allen flexiblen Titeln belas- drankommt. Jetzt habe ich an Sie die Frage: ten. Ruckzuck wären wieder 4,4 Millionen Euro weg ge- wesen. Sie haben uns aufgefordert, die zweite Milliarde Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: der GMA, über die wir gerade gesprochen haben, auf die Das, Herr Kollege, ist die dritte, wenn ich richtig mit- Einzelpläne umzulegen. Nach der Logik Ihrer Anträge in gezählt habe. den Haushaltsberatungen mussten Sie das auch tun, weil Sie das, was es an Bodensatz gibt, bereits vervespert hat- ten. Das heißt, dass bei Verwirklichung der Anträge der (Emmendingen) (CDU/CSU): Peter Weiß CDU/CSU eine weitere Belastung von 38 Millionen Woher nehmen Sie als grüner Berichterstatter die ab- Euro erfolgen würde. Alles in allem hätte die CDU/CSU, solute Gewissheit, dass diese globale Minderausgabe ir- wenn ihre Anträge eine Mehrheit im Haushaltsausschuss gendwie erwirtschaftet und auf gar keinen Fall im Laufe gefunden hätten, den Etat des Einzelplans 23 um des Haushaltsjahres auf den Einzelplan 23 umgelegt230 Millionen Euro abgesenkt. wird? Wenn wir jetzt den Vergleich ziehen, dann, können Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: wir feststellen: Wir haben bei Rot-Grün ein Plus von Herr Kollege Bonde, nun haben Sie die Rede des Kol- mindestens 38 Millionen Euro, während nach den Vor- legen Weiß bekommen, die Sie so dringlich eingefordert schlägen der CDU/CSU ein Minus von 230 Millionen haben. Euro vorhanden wäre. Ich frage mich schon, woher Sie den Mut nehmen, sich hier hinzustellen und mit solchem (Heiterkeit) Herzblut versuchen, uns entwicklungspolitisch anzugrei- fen. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zuruf von der FDP: Die Opposition Ich kenne den Kollegen Weiß. Wenn man ihn zu einer ist mutig!) Rede auffordert, dann bekommt man sie auch immer. In- sofern beantworte ich die Fragen gerne. Das ist schon mehr als Opposition, was Sie hier machen. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Kollegin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schulte und ich in den Verhandlungen ausgesprochen ei- und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13125

Alexander Bonde (A) Ich weiß auch nicht, wie Sie behaupten können, mit als Entwicklungspolitiker sind um genau 300 Millionen (C) dieser Reduzierung der Mittel könne man zu einer Ver- Euro ärmer als 1998, Darum geht es uns. ringerung der Armut beitragen. Rot-Grün hat einen (Beifall bei der CDU/CSU) deutlichen Schwerpunkt gesetzt. Sie können aus Ihrer Oppositionshaut nicht heraus. Akzeptieren Sie, dass wir Jeder von Ihnen hat sichbei den rot-grünen Haus- etwas durchgesetzt haben, wozu Sie in der Opposition haltspolitikern bedankt. Ich möchte mich bei unseren gegenüber Ihren eigenen Haushältern nicht in der Lage Haushaltspolitikern und vor allem bei Jochen Borchert waren. Das muss man an dieser Stelle deutlich sagen. bedanken, der genauso gekämpft hat, wie wir alle – das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben Sie mir auch zugestanden, Frau Kortmann – im und bei der SPD) AwZ auch bei den Einzelerhöhungen gekämpft und, wie ich glaube, auch ein gutes Ergebnis erzielt haben. Auch Da die Kollegin Schulte auf viele Ansatzerhöhungen das muss einmal gesagt werden. Vielen Dank, Herr in den Einzeltiteln eingegangen ist, möchte ich nur zwei Borchert! Titel zum Schluss erwähnen. Uns Grünen war es beson- ders wichtig, die Förderung afrikanischer Staaten nicht aus (Beifall bei der CDU/CSU) dem Auge zu verlieren. Insofern freuen wir uns besonders Ich will nicht spekulieren, ob wir um die zweite glo- darüber, dass es gelungen ist, dieAidsbekämpfung so- bale Minderausgabe herumkommen. Ich wünsche mir wohl bilateral als auch multilateral finanziell zu stärken. und uns allen, dass Ihr Kratzen und Beißen – das würde Es freut uns, dass es uns gelungen ist, Mittel für den ich übrigens gerne einmal hautnah miterleben, Frau Weltwirtschaftsgipfel 2005 in Großbritannien zu bin- Schulte – den, der sich mit dem Thema Afrika befassen wird. Wir (Heiterkeit bei der CDU/CSU) unterstützen in diesem Rahmen die New Partnership for Development und den G-8-Afrika-Aktionsplan. Der Ein- – natürlich nicht bei mir – satz dieser Mittel dient dazu, die Reformkräfte in Afrika (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das über- in ihrem Bemühen zu unterstützen, Afrikas Probleme steigt unsere Vorstellungskraft!) durch eigene afrikanische Anstrengungen zu lösen. einen Sinn hat, Ich hoffe es. Aber ehrlich gesagt: Bei Gemeinsam mit unserer Staatssekretärin Uschi Eid ha- dem Resultat, das wir für 2005 nach sechs Jahren Rot- ben wir dafür gesorgt, dass der Bundeskanzler beim G-8- Grün bestenfalls erzielen, bleibt es dabei, dass wir auf Gipfel in London nicht mit leeren Händen erscheint und die Handlungsunfähigkeit der deutschen Entwicklungs- dass unsere herausragende Position in diesem Prozess politik zusteuern, erhalten bleibt. Auch damit hat Rot-Grün ein wichtiges (D) (B) Signal gesetzt. (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Aber nein!) Ich glaube, wenn Sie nicht in der Opposition wären, Reden Sie auch einmal mit denen, die in unseren sondern regieren würden, dann wären Sie – zumindest Durchführungsorganisationen die Projekte verwalten all diejenigen, denen die Entwicklungspolitik am Herzen und umsetzen! Sie würden Ihnen berichten, dass inzwi- liegt – sehr froh über den Einzelplan 23. Ich glaube, für schen alle unsere Projekte wie Kaugummi ad infinitum die Koalition können wir feststellen, dass wir in schwie- gestreckt werden, dass der relative Anteil der Verwal- rigen Zeiten ein gutes Ergebnis erzielt haben. Das hätten tungskosten immer größer wird, dass für neue Projektak- Sie uns erst einmal vormachen müssen. tivitäten kaum noch Spielraum vorhanden ist und dass wir uns selbst ad absurdum führen. Vielen Dank. Ich erinnere daran, was bei unserem neuerlichen Ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ satz in Faizabad passiert ist. Wir schicken Soldaten in DIE GRÜNEN) eine gefährliche Gegend, um Wiederaufbauteams zu schützen, während die Ministerin feststellt, dass die not- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: wendigen Mittel für den Wiederaufbau nicht vorhanden Nächster Redner ist der Kollege Christian Ruck,sind. Das ist keine Kohärenz und auch keine vernünftige CDU/CSU-Fraktion. Art der Zusammenarbeit. (Beifall bei der CDU/CSU) (Abg. Brigitte Schulte [Hameln] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ichVizepräsident Dr. Norbert Lammert: möchte auf die einzelnen Miilionenrechnereien meines Herr Kollege Ruck. Vorredners Folgendes erwidern: Kernpunkt unserer Kri- tik ist nach sechs Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik, dass die Ministerin und ihre parlamentarische Basis mit Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): großartigen Versprechungen als Tiger gestartet und als Bitte, Frau Schulte. Papiertiger gelandet sind. Inzwischen ist jeder – die Öf- fentlichkeit, die Wissenschaft, die Kirchen und dieBrigitte Schulte (Hameln) (SPD): NGOs – zu der traurigen Erkenntnis gekommen, dass Herr Kollege Ruck, gerade das ist ein Musterbeispiel, von den Versprechungen nichts übrig geblieben ist. Wir das deutlich macht wovor wir uns in Zukunft in Acht 13126 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Brigitte Schulte (Hameln) (A) nehmen müssen. In Faizabad waren bereits 20 internatio- wicklungspolitik gegenüber anderen Ressorts gekom-(C) nale Nichtregierungsorganisationen vertreten. Das habe men ist. ich vorhin gemeint, als ich die Ministerin freundschaft- lich darauf hingewiesen habe, dass es nicht angeht, dass (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein, im alle alles machen. Die deutsche Entwicklungspolitik war Gegenteil!) nicht in einem besonderen Maße gefordert, solange– Doch, Ich beweise es Ihnen. Während der Anteil des keine bessere Koordinierung der UN-Programme und BMZ-Haushalts am Gesamthaushalt abgenommen hat, der Nichtregierungsorganisationen stattfindet. Ich bin sind die Anteile des Haushalts für das Auswärtige Amt fest überzeugt und darf Sie darauf hinweisen, dass esund der Verteidigungshaushalt etwa gleich geblieben. hier nicht um Geldfragen geht, sondern dass wir uns Ge- Genau damit sind Sie nicht angetreten. Sie haben gesagt, danken darüber machen müssen, ob die Projekte richtig auch die relative Bedeutung der Entwicklungspolitik abgestimmt sind. Haben Sie da eine bessere Idee? müsse gesteigert werden. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da stimmt Vor diesem Hintergrund gebe ich Ihnen Recht, Frau der Kollege Dr. Ruck mit der Kollegin Schulte Schulte, dass wir alle den Rechnungsprüfungsbericht überein!) ernst nehmen sollten. Das BMZ soll, auch mit unserer Unterstützung, Aufgaben und Kompetenzen wieder zu- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): rückholen, wie es der Rechnungsprüfungsbericht vorge- Zur Projektabstimmung komme ich noch. Wir ha- schlagen hat. Es ist doch ein Unding, dass zum Beispiel ben auf jeden Fall auch dazu Ideen. Ich gebe Ihnen auch das Bundesforschungsministerium mit den Ländern des völlig Recht, dass wir gerade in Afghanistan ein un-Mercosur mehr bilaterale Projekte unterhält als das glaubliches Durcheinander von internationalen Hilfsor- BMZ, und zwar ohne Abstimmung mit dem Entwick- ganisationen haben. Das gilt aber auch anderswo, wolungshilfeministerium. deutsche Soldaten involviert und deswegen gefährdet Voraussetzung für eine solche Rückholung von Kom- sind, wenn die entwicklungspolitische Aufbauarbeit da- petenzen sind natürlich Kollegialität und Überzeugungs- neben geht. kraft im Kabinett. Die Wahrheit sieht aber laut „Spiegel“- Bericht und laut Aussage des Bundesverteidigungsmi- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Richtig!) nisters im Ausschuss anders aus. Danach wird gestritten Trotzdem kann es nicht sein, dass ein Ressortkollege wie Hund und Katz, und zwar sowohl oben als auch un- Soldaten in eine gefährliche Mission schickt, um den ten. Genau diese Animositäten zwischen dem Verteidi- Wiederaufbau in Afghanistan vorzubereiten – natürlich gungsministerium, dem Außenministerium und dem (B) geht er dann davon aus, dass auch die deutsche Entwick- Entwicklungshilfeministerium nehmen uns und dem(D) lungshilfe den entsprechenden Beitrag leistet –, undganzen Politikfeld das politische Potenzial und das Ge- dann die deutsche Entwicklungsministerin sagt: Ich habe wicht, das notwendig ist, um politische Veränderungen für diesen Einsatz der deutschen Soldaten kein Geld. Sie sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den In- kann dieses Zitat hernach bestätigen oder auch nicht. dustrieländern vornehmen zu können. Ohne diese Verän- Das ist jedenfalls keine kohärente Politik. derungen wird die Entwicklungshilfe verpuffen. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Markus Löning [FDP]: Wie wäre es denn mit NEN]: 4 Millionen Euro drauflegen!) einer Zusammenlegung mit dem Auswärtigen Amt?) Es geht aber nicht nur in Afghanistan, sondern auch anderswo um eine Verknüpfung von Sicherheits-, Au- – Ihr mit eurer Zusammenlegung. Unsere Meinung ist ßen- und Entwicklungspolitik. Wenn es darum geht, ein- bekannt. Wir wollen, anders als die FDP, das BMZ nicht mal ganz schnell zu reagieren und auch einmal die Prüf- auflösen. Wir wollen das BMZ stärken. szenarien von GTZ und KfW, die sich immer über zwei (Markus Löning [FDP]: Wir auch!) bis drei Jahre erstrecken, beiseite zu lassen, haben wir keinen Topf mehr. Wir haben kein Geld mehr, Wir um wollen das Politikfeld stärken und modern aufstel- schnell auf Krisen reagieren zu können. Das genau ist len und sind anderer Meinung als die FDP und auch als der strukturelle Fehler, den ich dieser Regierung an-Rot-Grün. kreide. Natürlich ist das nicht nur eine Quantitätsfrage, son- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da stimmt dern auch eine Qualitätsfrage. Die Qualität hat durch di- die Kollegin Schulte mit dem Kollegen verse Missgriffe und Fehlgriffe gelitten. Ich nenne als Dr. Ruck überein!) Beispiel das Aktionsprogramm 2015, mit dem große Erwartungen geweckt, aber auch enttäuscht wurden und – Da stimmen wir doch überein. das auch von der Gemeinsamen Konferenz Kirche und (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein!) Entwicklung zu Recht als Etikettenschwindel bezeichnet wird. – Schade. Ein weiteres Beispiel ist dieEntschuldungsinitia- Ich finde es übrigens auch schade – ich glaube, da sind tive, die auf der einen Seite zu bürokratisch ist und auf wir uns einig, wenn ich Sie richtig verstanden habe –,der anderen Seite zu wenig politisch kontrolliert wird. Es dass es zu einem Bedeutungsverlust der deutschen Ent- stellt sich beispielsweise die Frage, was geschehen soll, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13127

Dr. Christian Ruck (A) wenn die Regierung des Sudans im Rahmen der HIPC- Markus Löning (FDP): (C) lnitiative entschuldet werden will. Wir müssen doch Herr Kollege Ruck, Sie haben von Hunderten von rechtzeitig signalisieren: Liebe Freunde in Khartum, Millionen Armen in Indien geredet. Das ist ohne Zweifel ohne ein anderes Verhalten in Darfur und in anderenrichtig. Erkennen Sie aber auch die Tatsache an, dass es Landesteilen kommt ihr niemals für eine HIPC-Ent-in Indien Hunderte von Millionen reiche und sehr reiche schuldung infrage! Menschen sowie Hunderte von Millionen Menschen gibt, die in den letzten Jahrzehnten aus eigener Kraft aus Ausgeblieben ist ebenfalls eine grundlegende Reform der absoluten Armut in dieuntere Mittelschicht aufge- des unüberschaubaren Fleckerlteppichs aus unterschied- stiegen sind, was durch die richtige Aufstellung des Lan- lichen Vorfeld- und Entwicklungsorganisationen. Frau des in der Wirtschaftspolitik und durch Investitionen aus Ministerin, die Umorganisation Ihres Hauses ist miss- dem Ausland, insbesondere von Auslandsindern, ermög- glückt. licht wurde? Sind Sie mit mir der Meinung, dass der (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Was?) Elite eines Landes wie Indien, das in der Biotechnologie weltweit führend ist, in unser Land investiert und Firmen Es ist nicht gelungen, die internationale und nationale aufkauft, durchaus die Verantwortung zugemutet werden Führungskompetenz des BMZ zu stärken. kann, sich selbst um die Bekämpfung der Armut im ei- genen Land zu kümmern? (Karin Kortmann [SPD]: Wonanch bemessen Sie das denn?) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): – Ich bitte, auch das im Bericht des Bundesrechnungsho- Herr Löning, wie Sie wissen – wir haben uns darüber fes genau nachzulesen. Das steht dort drin. schon ausgetauscht –, ist meine Position in sehr vielen Punkten von Ihrer nicht weit entfernt. Auch ich bin der (Brigitte Schulte [Hameln]: Nein!) Meinung, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe mit den Schwellenländern erfolgen – Doch, das steht dort drin. Ich bin der Meinung, dass sollte, vor allem wenn es um gemeinsame Interessen in der Bundesrechnungshof in seinem Bericht auch hier der Energie- oder der Raumfahrtpolitik geht. Es gibt Recht hat viele Bereiche, in denen man beispielsweise mit Indien, Die Schwerpunktsetzung ist ebenfalls misslungen.China oder Brasilien zusammenarbeiten kann. Aber Ihre Damit komme ich auf die Schwellenländer zu sprechen. Forderung an Indien, selber soziale Verantwortung Hier ist man nach dem Motto verfahren: Raus aus den wahrzunehmen, gilt für jedes Land. Die Armutsbekämp- Kartoffeln, rein in die Kartoffeln! Zuerst gab es den er- fung kann beispielsweise in Guatemala von der dortigen (B) klärten Willen, aus der Zusammenarbeit mit den Schwel- Oberschicht alleine geleistet werden. Die Frage ist nur, (D) lenländern auszusteigen, wie unter anderem die Bei-was man machen soll, wenn das nicht geschieht. spiele Argentinien, Chile und Uruguay zeigen. Nun heißt (Ulrich Heinrich [FDP]: Wer Indien mit Guatemala es aber plötzlich, Schwellen- und Ankerländer seien vergleicht, hat keine Ahnung!) wichtig für die Entwicklungszusammenarbeit. – Wir müssen die Frage der sozialen Verantwortung der Wir haben auf unserer gemeinsamen Reise durch In- Eliten natürlich auch bezogen auf Guatemala diskutie- dien aber auch Erhellendes gesehen. Es ist durchausren. strittig – Herr Löning, hier bin ich nicht Ihrer Meinung –, In einem gebe ich Ihnen Recht: Die Art und Weise, ob es in unserem Interesse liegt, aus der Armutsbekämp- wie wir Armut in den Schwellenländern, auch in Indien, fung in Ländern mit Hunderten von Millionen Armen bekämpfen, hat überhaupt keine Signifikanz. einfach auszusteigen. Nach meiner Meinung muss es in unserem Interesse liegen, in Ländern wieIndien eine (Markus Löning [FDP]: Richtig!) nachhaltige und einigermaßen gleitende Entwicklung in Gang zu setzen. Ein Beispiel dafür ist das Umweltpro- Auch ich bin der Meinung, dass Armutsbekämpfung gramm, das wir in Brasilien mit Entwicklungsgeldern gegen den Willen der herrschenden Eliten sinnlos ist. aufgelegt haben. Alles andere würde auf uns zurückfal- Deswegen müssen einige Punkte viel schärfer als bisher len. ins Blickfeld gerückt werden: die Entschlossenheit der Gegenseite und die Frage, wo wir wirklich etwas signifi- kant bewegen können. An diesen Kriterien müssen wir Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: uns in Bezug auf Brasilien, China und anderswo entlang- Herr Kollege Dr, Ruck, nun möchte der Kollegehangeln. Bisher geschieht das eben nicht. Trotz allen Be- Löning eine Zwischenfrage stellen und Ihre Redezeitmühens um eine Schwerpunktsetzung wird in Indien verlängern. nach wie vor alles, was man sich vorstellen kann, geför- dert, auch wenn die Mittel noch so gering sind. So etwas ist keine Schwerpunktsetzung, sondern ein Gemischtwa- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): renladen. Dafür bin ich ihm bei diesem Thema sehr dankbar. Die heutige Konstellation sieht so aus, dass Sie, Frau Ministerin, und Frau Kortmann mit unserem ausdrückli- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: chen Einverständnis nach uns sprechen. Genauso wie Bitte, Herr Löning. Herr Löning möchte ich Sie – ganz naiv – darum bitten, 13128 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Dr. Christian Ruck (A) uns einige Fragen zu beantworten. In den bisherigen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) Haushaltsdebatten haben Sie die entscheidenden Fragen DIE GRÜNEN) oft gar nicht angesprochen oder nur nebulös beantwortet. Meine erste Frage lautet – ich halte sie für entschei- Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für dend –: Sind Sie bereit, dafür einzutreten, dem Chaos bei wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: der Arbeitsteilung zwischen UN-Organisationen und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! EU entgegenzuwirken? Wenn ja, mit welchen Instru- Was mich in dieser Debatte bedrückt – das muss ich ehr- menten wollen Sie für etwas mehr Konsistenz sorgen? lich sagen –, ist, dass bei dem vielen Hin und Her eigent- Deutschland bewirbt sich jetzt um einen Sitz im UN-Si- lich nicht mehr deutlich wird, worum es in der Entwick- cherheitsrat. Für mich ist viel entscheidender, wie wir lungszusammenarbeit geht. Es geht darum, dass wir dazu beitragen können, dass es in der Entwicklungspoli- Menschenleben retten, dass wir dafür sorgen, dass in tik wirklich mehr internationale Arbeitsteilung gibt. Sie dieser Welt weniger Kinder sterben müssen und dass we- haben zu einem solchen Beitrag sechs Jahre Zeit gehabt niger Menschen von Aids dahingerafft werden. und bisher ist nichts geschehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Wir haben BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Zeit auch genutzt!) Diesen Menschen gilt unsere Arbeit. Man kann darum Etwas anderes ist – es wurde schon angesprochen – ringen, ob das genug Geld ist, ja oder nein; aber ich bitte die Organisationsform der nationalen entwicklungs- Sie: Lassen Sie doch dieses Klein-Klein und – das ist für politischen Systeme. Welches Organigramm haben Sie mich der allerwichtigste Punkt – konzentrieren wir uns im Kopf? Auch ich bin der Meinung, dass wir im Inland wirklich auf die zentralenFragen der Entwicklungszu- noch viel zu umständlich agieren. sammenarbeit! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall der Abg. Karin Kortmann [SPD]) der FDP) Jeder muss doch zugeben: Wir haben jetzt mehr Spiel- raum in diesem Haushalt – das ist gut so – und den nut- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: zen wir zugunsten der Menschen. Herr Kollege, bedenken Sie bitte, dass alle von Ihnen Ich will auf die gestellten Fragen zurückkommen, angekündigten Fragen außerhalb Ihrer Redezeit gestellt weil darin falsche Behauptungen waren. Wir haben im werden. Jahr 1982 – so weit muss man zurückgehen; denn Ent- (B) wicklungszusammenarbeit ist langfristig; bei der Kredit- (D) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): vergabe gibt es langfristige Festlegungen, teilweise über Es ist gut, dass Sie mich daran erinnern. Jahrzehnte –, also am Ende der Regierung Schmidt und zu Beginn der Regierung Kohl, 0,48 Prozent des Brutto- Wir alle haben gesagt, dass wir den Einsatz in Darfur sozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit gehabt. wollen. Aber ein solcher Einsatz allein ist nur der Bruch- Wenn Sie das auf dem Niveau fortgesetzt hätten, hätten teil eines Konzepts, dessen außen-, sicherheits- und ent- wir den Anteil von 0,7 Prozent längst erreicht. wicklungspolitische Bestandteile verzahnt werden müs- sen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Stattdessen betrug der Anteil im Jahr 1998, als ich an- Bei einer Leistungsbilanz zählt nicht die Zahl der In- gefangen habe, 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts; terviews, sondern die Zahl der bestandenen Herausfor- Sie haben die Entwicklungszusammenarbeit – das muss derungen. Für uns sind das folgende: Erstens. Wie wur- hier einfach noch einmal gesagt werden, damit nicht fal- den wir den ethischen Ansprüchen in der deutschen sche Positionen aufgebaut werden – nämlich als Stein- Entwicklungspolitik gerecht? Zweitens. Welche Erfolge bruch benutzt. hatten wir bei der Eindämmung von Gefahren, also bei der Gefahrenabwehr? Drittens. Wie konnten wir die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutsche Position in der Welt auch mit Entwicklungspo- DIE GRÜNEN) litik stärken? Ich habe in mühsamer Arbeit, unterstützt durch die Rot-Grün ist im Hinblick auf alle drei Ziele unserer Haushälter – ich will mich bei all den Kolleginnen und modernen Entwicklungspolitik weit davon entfernt,Kollegen auch sehr herzlich dafür bedanken –, erreicht, seine Versprechungen einzuhalten. Ich würde michdass der Anteil im Jahr 2003 – das ist ja immer im Rück- freuen, wenn Sie diese Behauptung in den verbleibenden blick – 0,28 Prozent des Bruttosozialprodukts beträgt. zwei Reden entkräfteten. Ich glaube aber nicht, dass Ih- Ich schwöre Ihnen, dass wir bezogen auf das Jahr 2006 nen das gelingen wird. das 0,33-Prozent-Ziel erreichen werden, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wie denn?) und zwar in einer Mischung aus Haushaltsmitteln, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Schuldenerlassen im Rahmen der HIPC und der EU-Ent- Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministe- wicklungszusammenarbeit. Dazu verpflichten wir uns rin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort. allgemein. Wer Mitglied des UN-Sicherheitsrats werden Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13129

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) will, muss auch seine internationalen Verpflichtungen Erster Punkt: Von Ihnen haben wir Projekte(C) in einhalten. Dafür stehen wir alle gemeinsam. 119 Entwicklungsländern übernommen. Ihr Prinzip war das der Gießkanne. Wir haben die Zahl der Länder, mit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ denen wir kooperien, reduziert und damit dazu beigetra- DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [FDP]: gen, dass unsere Finanzmittel sinnvoller eingesetzt wer- 1 Milliarde plus!) den können. Was mich bedrückt, sind die neuen Zahlen zur Aids- (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Eine pandemie, die wir seit gestern haben; ich habe gedacht, Lebenslüge!) das würde heute angesprochen. Wir stellen fest: Obwohl die internationale Gemeinschaft die Mittel von 2001 bis Zweiter Punkt: Die Projekte in Indien, über die sich jetzt verdreifacht hat, ist die Zahl der Infektionen gestie- Herr Löning beklagt hat, sind Projekte der Entwick- gen. Heute, im Jahr 2004, gibt es 39,4 Millionen Men- lungszusammenarbeit aus den Jahren Ihrer Regierungs- schen, die HIV-infiziert sind. zeit. Diese war von der Projektitis geprägt: viele kleine Projekte, sodass man viele Fähnchen auf die Weltkarte Die internationale Gemeinschaft hat, wie gesagt,setzen konnte. Wir haben die Ausrichtung geändert und mehr Finanzmittel mobilisiert. Woran liegt es also, dass wollen durch strukturelles Denken dazu beitragen, dass sich trotzdem so viele Menschen infizieren, dass so viele ganze Bereiche in verschiedenen Ländern gestärkt wer- Menschen sterben und so viele Aidswaisen allein ihrer den, also nicht mehr ein einzelnes Projekt im Vorder- Zukunft entgegensehen? Das liegt an Unkenntnis, das grund steht, sondern zum Beispiel ein Land wie Indien liegt an der Unterdrückung von Frauen und das liegt an dabei beraten wird, wie soziale und ökologische Normen der Armut. Ich werde noch engagierter, als das bisher erreicht werden können. Dass wir so etwas unterstützen, der Fall war, ist doch sinnvoll und liegt in unserem eigenen Interesse. Wir denken also strukturell und global. Sie dagegen (Ulrich Heinrich [FDP]: Sehr gut!) haben ein Klein-Klein beklagt, das von Ihrer eigenen gemeinsam mit Ihnen dafür sorgen, dass gegen die Un- Partei, als sie Regierungsverantwortung trug, angerichtet terdrückung von Frauen gearbeitet wird wurde. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. DIE GRÜNEN) Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war keine Antwort!) und dass die Position der Frauen gestärkt wird. Es ist doch schrecklich, dass sich Frauen infizieren, weil ihre Dritter Punkt: Wir haben die Entwicklungszusam- menarbeit reformiert, ohne dass es irgendwo geknirscht (B) Partner – das sagt der Bericht der UNAiDS – einen nicht (D) verantwortlichen Geschlechtsverkehr praktizieren. Des- hätte. Wir haben zum Beispiel die DEG in die KfW ein- halb müssen wir die Frauen stärken. Wir müssen die Ar- gegliedert. Das hat hervorragende Auswirkungen gezei- mut bekämpfen. Das sind die Aufgaben, die vor uns lie- tigt. Die DEG hat heute ein weit höheres Portfolio, das gen. sie zugunsten der Entwicklungsländer einsetzen kann. Etwas lastet mir besonders auf der Seele; dazu hätte Vierter Punkt: Zu Ihrer Zeit sind aus dem Europäi- ich gern auch von anderen etwas gehört. Am 1. Januar schen Entwicklungsfonds kaum Mittel abgeflossen. Wir 2005 wird eine Übergangsregelung zum Produktpatent- haben dafür gesorgt, dass er reformiert wurde. Heute schutz auslaufen und das bedeutet, dass dann zum Bei- fließen die Mittel so schnell ab, dass manche Haushälter spiel Indien Generika nicht mehr kostengünstig verkau- besorgt sind, weil es ihnen zu schnell geht. Auch das sei fen kann. Wir müssen alleMöglichkeiten mobilisieren, zum Stichwort „Effizienz“ gesagt. um in den ärmsten Entwicklungsländern, für die der Pro- (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Schwach- duktpatentschutz noch nicht gilt – bis zum Jahr 2016 – sinn!) die Produktion von Generika zu unterstützen. Nun zum letzten Punkt: Ich habe mir die Haare ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rauft, als ich gehört habe, was Sie zu den Ankerländern gesagt haben. Das ist wichtig. Es geht darum – das sage ich ganz offen; das ist meine feste Überzeugung –, Patienten und Men- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Davon ha- schen und weniger Patente zu schützen. ben wir nichts gesehen!) (Beifall bei der SPD) – Ich mache es anschließend. – Nach dem Konzept, das wir entwickelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen Jetzt zu den Fragen. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, – Sie haben das ja eben am Beispiel Indien gesehen –, Herr Präsident, wenn das etwas länger dauert; es waren sind Ankerländer solche Länder, die in ihrem regionalen so viele Fragen. Herr Löning hat mehrEffizienz gefor- Umfeld ökonomisch und/oder politisch dazu beitragen dert. Mein Gott! Ich nenne Ihnen nur vier Punkte, in de- können, dass auch andere Länder aus der Armut mit he- nen wir in dem Gestrüpp dessen, was Sie uns in der Ent- rausgezogen werden. Natürlich sind die Länder für die wicklungszusammenarbeit hinterlassen haben, Bekämpfung der Armut in ihrem Land selber verant- (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Na, na, na!) wortlich. Niemand wird ihnen dabei etwas abnehmen. Außerdem sind diese Länder dadurch gekennzeichnet wirklich Effizienz erreicht haben. – das hat Herr Ruck ja dankenswerterweise dargestellt –, 13130 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) dass sie durch ihr globales Wirken positiv oder negativ diesen Perspektiven über die Inhalte und auch über die (C) Einfluss nehmen. Zusammenarbeit mit den eben genannten Ankerländern sprechen, die unser Engagement für Afrika in keiner Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Weise einschränkt, weder finanziell noch politisch, und Frau Ministerin, der Kollege Löning würde Ihnengemeinsam Positionen entwickeln, statt uns über Klein- gerne eine Zwischenfrage stellen. Klein zu zerstreiten. Ich bedanke mich sehr herzlich. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: DIE GRÜNEN) Wenn ich darf, würde ich gerne erst den Gedanken zu Ende führen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich denke, dass der generöse Vorschlag, möglicher- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: weise offen gebliebene Fragen im Ausschuss zu vertie- Und ob Sie dürfen. fen, ein zielführender Beitrag ist, die Debatte nicht gänz- lich über die vereinbarten Zeitlimits hinaus ausufern zu Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für lassen. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Nun hat der Kollege Hedrich um eine Kurzinterven- Wenn Sie dann noch das Gefühl haben, einige Punkte tion gebeten. wären unbeantwortet geblieben, beantworte ich Ihnen gerne noch eine Frage. (Widerspruch bei der SPD) Ankerländer wie zum Beispiel China und Brasilien, Indien und Südafrika tragenalso selbst die Verantwor- Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): tung. Deshalb geht es nicht um Einzelprojekte. Lassen Ich hatte an ungefähr eine halbe Stunde gedacht. – Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: China ist Herr Präsident! Man könntenatürlich zu einer ganzen Reihe von Punkten etwas sagen. nach den USA der zweitgrößte Emittent von CO2. Indien ist weltweit der fünftgrößte CO2-Emittent. Dazu beizu- tragen, dass diese Länderauf Energieeffizienz setzen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: und erneuerbare Energien einsetzen, liegt erstens im In- Dem wollte ich aber ausdrücklich keinen Vorschub teresse des globalen Klimas und zweitens auch im Inte- leisten. resse der deutschen Industrie. Deshalb bin ich so frap- (Heiterkeit) (B) piert, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass hier darüber (D) von dem einen oder anderen so borniert diskutiert wor- den ist. Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Aber Herr Präsident, Sie sind doch sonst so großzü- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gig! Deutsche Unternehmen sind ja in diesen Bereichen der Marktführer. Auch das sollten Sie einmal berücksichti- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: gen. Eben drum! (Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: So etwas (Heiterkeit) haben Sie doch immer bekämpft!) – Nein, wir orientieren die Mittel anders: weg vom Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Klein-Klein der Einzelprojekte. Ich wollte nur auf einen Punkt verweisen, weil Sie, Frau Ministerin, einfachnicht aufhören, bestimmte Indien zum Beispiel beraten wir bei der Privatisierung Dinge immer zu wiederholen. Das will ich an einem Fall von Staatsfirmen und bei derFrage, wie soziale Siche- deutlich machen. rungssysteme entwickelt werden können. Ein solches Vorgehen charakterisiert das neue moderne Denken in Sie verweisen immer wieder auf die großeZahl der der Entwicklungszusammenarbeit: Statt eines Klein-Länder, mit denen zusammengearbeitet wird. Darf ich Kleins von vielen Einzelprojekten wollen wir Strukturen Sie daran erinnern, dass sich in den Zeiten unserer Re- verändern. Ich fordere Sie auf, dieses Konzept der An- gierung über 80 Prozent der Mittel auf 40 Länder kon- kerländer mit uns zu vertreten. Ich komme auch gerne zu zentriert haben? Daran hat sich übrigens im Grundsatz Ihnen in den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammen- bis heute nicht viel geändert. Mir geht es nur darum, arbeit, um das im Einzelnen noch einmal darzustellen. dass Sie nicht den Eindruck erwecken, das hätte sich ge- ändert . Das heißt übrigens nicht, dass es mehr Finanzmittel Ich möchte Sie mit einem netten Beispiel auch daran für diese Länder gibt. Das bedeutet vielmehr, dass die erinnern, welche Möglichkeit Sie genutzt haben, die Mittel gleich bleiben, aber strukturell sinnvoll und rich- Zahl der Länder, mit denen Sie zusammenarbeiten, zu tig eingesetzt werden. reduzieren: Sie haben, um dieses Ziel zu erreichen, auf Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Mei-der Liste der Länder, mit denen wir zusammenarbeiten nung, wir sollten in Bezug auf diesen Haushalt und bei und deren Zahl auf keinen Fall 70 überschreiten darf, ein Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13131

Klaus-Jürgen Hedrich (A) Land ausgewiesen, das mit dem Namen „Zentralasien“ Herr Löning, wenn Sie über diese Fragen mit den(C) umschrieben war. Schwellen- und Ankerländern reden, dann ist es in der Tat richtig, dass an diese andere Anforderungen als an (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) die ärmsten Länder unter den Entwicklungsländern ge- Jeder weiß, dass es dieses Land nicht gibt. Die Be- stellt werden. Wir müssen ihnen dabei behilflich sein, zeichnung umfasste insgesamt fünf Länder. wirtschaftlich gut Fuß zu fassen, damit sie die Probleme alleine bewältigen können. Eines muss man Ihnen bescheinigen, Frau Ministerin: Der Erfindungsreichtum Ihres Ministeriums ist unter Ih- Ihren Hinweis auf die beiden Länder China und In- rer Führung beachtlich, dien verstehe ich allerdings nicht. Wir haben uns im Ausschuss auf eine gemeinsame Beschlussempfehlung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bezüglich des Themas „Weltbevölkerung: zehn Jahre nach den Kairoer Beschlüssen“ verständigt. Die einzige Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Fraktion, die dabei nicht mitgemacht hat, war die FDP. Als letzter Rednerin erteile ich der KolleginDenn sie war der Meinung, dass Bevölkerungsfragen Kortmann für die SPD-Fraktion das Wort. nicht oben auf der Liste stehen. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Hört! Hört! – Karin Kortmann (SPD): Markus Löning [FDP]: Das haben wir nicht Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich gesagt!) möchte auf einige Dinge eingehen, soweit die Zeit das zulässt. Aber das ist eine der entscheidenden Fragen, gerade was Herr Ruck, ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft China und auch Indien angeht. Sie in Ihren Reden schon von einer modernen Entwick- Wir müssen in der Haushaltsdebatte Acht geben, dass lungspolitik gesprochen haben. Bis heute weiß ich nicht, wir nicht das Gefühl vermitteln, wir würden auf der Insel was die Union mit dem Wort „modern“ verbindet; denn der Glückseligen leben. Wir haben in zwei Richtungen außer einem kleinen, immer wieder vorgebrachten „Man Verantwortung zu tragen. Angesichts der Gesamthaus- sollte“, „Man müsste“, „Man könnte“ habe ich bis heute haltslage des Bundes haben wir auch im Einzelplan 23 keinen großen Wurf von Ihnen wahrgenommen, durch zu einer Haushaltskonsolidierung beizutragen, ohne uns den man diese „moderne“ Entwicklungspolitik tatsäch- von der Zielsetzung zu verabschieden, durch bi- und lich mit dem Prädikat „zukunftsfähig“ verbinden könnte. multilaterale Hilfen weiterhin sehr vehement und sehr (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Dann haben erfolgreich an der Erreichung der Millennium Develop- (B) Sie unseren Antrag nicht gelesen! Sie sollten ment Goals mitzuwirken. Daher bin ich mit den Haus-(D) einmal unsere Anträge lesen, das wäre ganz haltsberatungen, die wir im Ausschuss geführt haben, nett von Ihnen!) sehr zufrieden. Ich glaube, dass wir eine gute Basis für Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Frage „Wohin wol- Herr Borchert, zur Frage der Mittelverwendung. Wir len wir eigentlich?“ erreicht haben. reden so viel über Kohärenz, über das Zusammenspiel von Ministerien, über die Notwendigkeit von Verzah- Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir starke ent- nungen. Ich empfinde es daher eher als kleinkrämerisch, wicklungspolitische Organisationen haben. In der Tat ist wenn über 70 Millionen Euro in der Mittelverwendung das so. Deswegen war es notwendig, die beiden großen des Auswärtigen Amtes gesprochen wird, obwohl man Bereiche zu stärken. Das sind zum einen der Bereich der davon überzeugt ist, dass diese für das richtige Anliegen finanziellen Zusammenarbeit, für den dieKfW verant- verwendet werden. Ich bin wirklich mit Herz und Ver- wortlich ist, und zum anderen der Bereich der techni- stand Entwicklungspolitikerin; aber mir ist, ehrlich ge- schen Zusammenarbeit, für den die GTZ die Verantwor- sagt, das engstirnige Ressortdenken an dieser Stelle doch tung trägt. Das ist uns mit einem Plus von 33 Millionen ein bisschen fremd. Mir ist es wichtiger, dass wir gute bzw. mit 32 Millionen Euro gelungen. Programme auflegen, die wirklich effektiv und nachhal- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: tig sind. Davon geht die Hälfte wieder weg!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir dürfen uns aber vor der Erkenntnis nicht drücken, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass zu einer effektiven Mittelverwendung und zu einem Zu der Reduzierung der Zahl der Länder; der Kol- erfolgreichen Einsatz von Personal auch gehört, dass wir lege Hedrich ist jetzt leider weg. Es ist wunderbar, wenn weiterhin an einer Harmonisierung von finanzieller und man an diesem Projekt festhält, weil wir in der Tat nicht technischer Zusammenarbeit arbeiten. Die ursprünglich Lösungen für alle Probleme der Welt bieten können. Es bei der Gründung der Institutionen festgelegte saubere ist sinnvoller, die Aufgabe auf Schwerpunkte zu be-Trennung von FZ und TZ ist längst überholt und ent- grenzen. spricht nicht mehr den Erfordernissen, die wir heute ha- ben. Deswegen muss die engere Verzahnung weiter vo- Wenn ich in fast jedem Antrag der Union eine neue rangetrieben werden. Länderschwerpunktsetzung erkenne, dann muss ich mich natürlich fragen, wie ernst Sie es mit der Reduzie- Unter dieser Prämisse sage ich: Wenn unsere staatli- rung der Anzahl der Länder meinen. Außerdem stellen chen Organisationen – da schließe ich neben der GTZ Sie immer wieder neue Anforderungen. und der KfW auch den Deutschen Entwicklungsdienst 13132 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004

Karin Kortmann (A) mit ein – im multilateral ausgerichteten EZ-Spektrum die ODA-Quote erreichen. Ich wünsche mir von der Op- (C) wettbewerbsfähig bleiben wollen, sind eine Überprüfung position, dass sie die Schranken öffnet und mit uns da- ihrer originären Tätigkeiten und eine abgestimmte Pro- rüber spricht, welche anderen kreativen Ideen es gibt. grammplanung mit den privaten Trägern, mit den Kir- Ich erinnere an die Devisenumsatzbesteuerung, an Nut- chen, aber vor allen Dingen auch mit den Stiftungen not- zungsentgelte und an Beiträge durch die Privatwirt- wendiger denn je. schaft. Dem haben Sie sich bisher verschlossen, Die Ministerin hat auf e di gestern veröffentlichten (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wir können Zahlen von UNAIDS hingewiesen. Sie sind in der Tat nicht jeden Schmarren mitmachen!) erschreckend. Allein in diesem Jahr starben bereits mehr Allein über Haushaltsansätze die Probleme zu regeln Menschen am Aidsvirus als je zuvor. Außerdem hat sich reicht nicht aus. der Virus trotz des großen öffentlichen Engagements und der Akquirierung von Mitteln schneller verbreitet. Am Wir als SPD haben deshalb Vorschläge für die weitere Ende dieses Jahres wird die Zahl der Toten auf 1,3 Mil- Beratung im Ausschuss gemacht. Es ist dringend not- lionen gestiegen sein. Fast 40 Millionen Menschen sind wendig, dass wir im Ausschuss über alternative Finan- infiziert. Das entspricht jedem Zweiten, der in Deutsch- zierungselemente reden und uns auf ein neues Maß ver- land lebt. Das sind ganz Besorgnis erregende Zahlen. Sie ständigen. Denn ansonsten bleibt es bei dem derzeit sollten eine Aufforderung an uns sein, mehr zu helfen. gestückelten Verfahren. Ich glaube, dass unsere Haus- haltsanträge auch dadurch, dass wir gesagt haben, es Kofi Annan hat im letzten Jahr davon gesprochen,müsse neue verbilligte FZ-Kredite geben, um neue dass Aids die größte Massenvernichtungswaffe sei und Haushaltsmittel zu akquirieren, die ODA-anrechnungs- dass im Kampf dagegen die meisten Regierungen nicht fähig sind, in die richtige Richtung gehen. so engagiert seien wie etwa bei der Verfolgung von Ter- roristen. Diese Zustandsbeschreibung trifft aber auf die Ich bin sehr zuversichtlich, dass unsere Haushälterin Bundesregierung nicht zu. Wir haben uns im AWZ auf und unser Haushälter von Rot-Grün das aufgreifen und der Grundlage von gemeinsamen Beschlusslagen auf ein wir im nächsten Jahr eine noch positivere Bilanz ziehen verstärktes HIV-/Aidsengagement verständigt. Das halte können. ich für einen richtigen Weg. Ich glaube, wir müssen den Kreislauf „je höher die wirtschaftliche Abhängigkeit, je (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ niedriger der soziale Status und je geringer das Bil- DIE GRÜNEN) dungsniveau, desto ungehinderter erfolgt die Verbrei- tung der Krankheit“ wirkungsvoll durchbrechen. Ich bin Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: deswegen sehr froh, dass wir neben den Mitteln für die Ich schließe die Aussprache, für die eine Stunde vor- (B) bilaterale HIV-und Aidsbekämpfung weitere Mittel zur gesehen und vereinbart war und die nun tatsächlich deut- (D) Verfügung stellen konnten, um dieses wichtige Sektor- lich mehr als anderthalb Stunden gedauert hat, was die vorhaben im BMZ zu stärken, und dass wir mit weiteren Vermutung der Großzügigkeit des amtierenden Präsiden- 10 Millionen Euro für den globalen Fonds gegen HIV ten eindrucksvoll bestätigt, und Aids, Tuberkulose und Malaria wirkungsvolle Hilfe (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der geben können. SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ Nichtsdestotrotz sagen viele Hilfeorganisationen, die DIE GRÜNEN und der FDP) in diesem Bereich tätig sind: Man kann die Qualität der auch wenn der entsprechende Kollege mit dem Hinweis Hilfe nicht allein an der Höhe der bereitgestellten Mittel auf die Großzügigkeit des Präsidenten seine Anwesen- messen. Nehmen wir das Beispiel Mosambik. Dort sagt heit danach für entbehrlich gehalten hat. man: Bringt uns nicht mehr Geld, sondern helft uns, Leute auszubilden. Mosambik, ein Land, das doppelt so (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, verfügt CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- über 450 Ärztinnen und Ärzte. Da weiß man, wo der NEN und der FDP) Notstand ist. Hier können Sie eine wirkungsvolle HIV- Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel- und Aidsbekämpfung betreiben. Wir müssen mehr in die plan 23 – Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- Ausbildung von Fachpersonal investieren. Dann können menarbeit und Entwicklung – in der Ausschussfassung. sich diese Länder selber helfen. Wer für den Einzelplan in dieser Fassung stimmt, den (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – DIE GRÜNEN) Wer enthält sich der Stimme? – Der Einzelplan 23 ist da- mit angenommen. Zur Stärkung der ODA-Quote der Bundesrepublik Deutschland von zurzeit 0,28 Prozent. Es liegt mir auf Damit sind wir zugleich am Schluss der heutigen Ta- der Zunge, noch einmal zu sagen, zu welcher Absenkung gesordnung. der ODA-Quote es in den 16 Jahren Ihrer Regierung Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- kam. Sie haben es von einem Haushaltsjahr zum ande- destages für morgen, Donnerstag, den 25. November ren, von 1996 auf 1997, geschafft, die ODA-Quote um 2004, 9 Uhr, ein. 0,04 Prozentpunkte zu senken. Das war ein rasantes Tempo. Ich wünsche allen noch einen schönen, angenehmen Abend und schließe damit die Sitzung. Ich glaube, dass wir nicht nur im Rahmen der Erhö- hung von Haushaltsmitteln darüber reden dürfen, ob wir (Schluss: 20.23 Uhr) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. November 2004 13133

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten wurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2005 (Haushaltsgesetz 2005), hier: Einzel- entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich plan 04 (Tagesordnungspunkt I.13) Die Stiftung für das sorbische Volk, die mit Zuwen- Ferlemann, Enak CDU/CSU 24.11.2004 dungen durch den Bund, den Freistaat Sachsen und das Fischbach, Ingrid CDU/CSU 24.11.2004 Land Brandenburg die materiellen Grundlagen für den Erhalt, die Bewahrung und Fortentwicklung der sorbi- Fritz, Erich G. CDU/CSU 24.11.2004 schen Sprache und Kultur pflegt, organisiert und in enger Haupt, Klaus FDP 24.11.2004 Abstimmung mit dem Bund Lausitzer Sorben und der Sprache, dem Brauchtum und der Kultur verpflichteten Irber, Brunhilde SPD 24.11.2004 Vereine durchführt, hat in den zurückliegenden Jahren ei- Jonas, Klaus Werner SPD 24.11.2004 nen permanenten Umstrukturierungsprozess gestaltet. Die Einsparmöglichkeiten sind so voll ausgeschöpft wor- Dr. Leonhard, Elke SPD 24.11.2004 den. Auch für die Zukunft arbeiten die Gremien an Effi- Lintner, Eduard CDU/CSU 24.11.2004* zienzsteigerungen. Nolte, Claudia CDU/CSU 24.11.2004 Die von der Bundesregierung im Bundeshaushalts- planentwurf für 2005 vorgesehene Kürzung des Bundes- Raab, Daniela CDU/CSU 24.11.2004 zuschusses an die Stiftung für das sorbische Volk in Höhe Scharping, Rudolf SPD 24.11.2004 von 775 000 Euro stellt das sorbische Volk jedoch vor die Situation, dass nur durch Reduzierung von Angeboten Schauerte, Hartmut CDU/CSU 24.11.2004 bzw. Schließung von Kultureinrichtungen die geforderte Dr. Stinner, Rainer FDP 24.11.2004 Einsparsumme erbracht werden kann. Diese Situation haben die Berichterstatter des Haushaltsausschusses aller Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 24.11.2004 Fraktionen durch intensiven Kontakt mit den Vertretern Wester, Hildegard SPD 24.11.2004 in der Lausitz erkannt und sie haben die Aufstockung bei (B) Effizienzsteigerung in Höhe von 500 000 Euro empfoh- (D) * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- len, was der Haushaltsausschuss beschlossen hat. Dafür sammlung des Europarates möchte ich mich als Sorbin ausdrücklich bedanken. Der Antrag der PDS greift noch einmal die bereits ge- Anlage 2 führte Diskussion auf. Die intensive Beratung hat deut- lich gemacht, dass die Aufstockung auf 8 Millionen Euro Erklärung nach § 31 GO Gesamtzuschuss des Bundes keine Mehrheit im Deut- der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) schen Bundestag findet. Deshalb ist der Antrag populis- zur namentlichen Abstimmung über den Ent- tisch. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980