Hugo Weczerka: Herkunf t und Volkszugehörigkei t der Lemberge r Neubürge r im 15. Jahrhundert" ' 1. Lember g als Fernhandelsstad t Handel , Gewerb e und Bergbau waren die Grundlage n von Größ e und Stärke der mittelalterliche n Stadt . Sie waren selten an einem Platze vereinigt und gleichmäßi g ausgebildet; vielmehr war eine von ihnen jeweils ausschlaggebend . So verdankt e eine große Anzahl von Städte n ihre Bedeutun g vornehmlic h dem Handel . Günstig e wirtschafts- und ver- kehrsgeographisch e Lage, weitgehend e Privilegierun g durch den Landes - herrn und das Vorhandensei n einer handelstüchtige n Bevölkerun g waren Voraussetzun g und Mitte l des Aufstiegs zur Handelsstadt . All diese Vorzüge besaß das spätmittelalterlich e Lemberg. An der Straße vom Schwarzen Meer nach Schlesien , der wichtigen Landver - bindun g zwischen dem Orien t und , gelegen, war es in den vielleicht größten Durchgangshande l des mittelalterliche n Polen einge- schaltet. 1 Seine Lage am Rand e des polnische n Reiche s und damit des Abendlande s bürdet e Lember g wohl die Lasten der Verteidigungsbereit - schaft gegen den Osten auf — Wùadisùaw III . nannt e es 1444 clipeus et murus a paganismo 2 —, aber gerade dies bracht e ihm königliche Privi- legien ein, die es ihm ermögliche n sollten, der großen Aufgabe für die Reichsverteidigun g gerecht zu werden 3; sie verhalfen ihm aber auch zu seiner Größe . Es gelang Lember g mit Hilfe seines Stapelrechtes , den Orienthande l fast vollständig in seine Han d zu bekommen ; seine Kauf- leute zogen bis nach Kaffa auf der Krim, nach Konstantinope l und noch weiter und verhandelte n die dort erworbene n kostbaren Orientware n nach dem Westen und Norden . Die Voraussetzunge n für die glänzend e Entwicklun g Lembergs wurden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert s geschaffen, in der Zeit, als Lember g begründe t wurde. 4 * Für die Anregung der Arbeit und Beratun g bei ihrer Durchführun g bin ich Herr n Prof. W. Kuhn , Hamburg , zu aufrichtige m Dan k verpflichtet . 1) vgl. J. Rutkowski, Histoir e economiqu e de la Pologn e avant les partages. Paris 1927. S. 58. 2) Akta grodzkie i ziemskie z czasów Rzeczypospolite j Polskiej z Archiwum tak zwanego Bernardyńskieg o we Lwowie [Burg- und Landakte n aus der Zeit der polnische n Republi k aus dem sogenannte n Bernhardiner-Archi v zu Lemberg] (von nun an zitiert AGZ) . Lember g 1870 ff., Bd 5, S. 134. 3) K. L ü c k, Deutsch e Aufbaukräfte in der Entwicklun g Polens . Plaue n i.V. 1934. S. 165; R. Bächtold , Südwestrußlan d im Spätmittelalter . Basel 1951. S. 54. 4) Lember g ist in der Mitt e des 13. Jhs. vom Halicze r Fürste n Danie l (1235— 1264) gegründet worden, vor allem zur Sicherun g der Grenz e gegen die Ta- taren , die Lember g im 13. und 14. Jh. heimsuchte n und zerstörten . Seinen Name n hat es von Daniel s Sohn , Lev Danilovi ö — R. Bächtold , S. 54. Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 507 Mit dem Vordringen des deutschen Städtewesens nach dem Osten fanden hier neue Rechts-, Wirtschafts- und Sozialformen Eingang. In Polen hatte es vorher noch keine Städte im westlichen Sinne gegeben; das reußische Städtewesen — vom deutschen verschieden — war im Verfall. So brachte die Einführung der deutschen Formen einen außer- ordentlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Sein Träger waren Deutsche aus den westlich anschließenden Gebieten. Für Lemberg wurde der deutsche Wanderzug aus Schlesien entlang dem Karpatenvorland entscheidend. 1257 war Krakau, die später mit Lemberg stark wetteifernde Stadt am Oberlauf der Weichsel, zu Magde- burg-Breslauer Recht ausgesetzt worden, und höchstwahrscheinlich noch im 13. Jahrhundert entstand auch in Lemberg eine deutsche Gemeinde mit deutschrechtlichen Formen. In einer Urkunde aus dem Jahre 1352 für die Brüder Georg und Ruppert Stecher aus Lemberg wird nämlich gesagt, daß ihr Großvater Bertholdus unter Fürst Leo (Fürst Leo I. starb 1301, Leo II. etwa 1320) advocatus Lemburgensis gewesen sei5; demnach gab es bereits um das Jahr 1300 einen deutschen Vogt in Lemberg.6 Damit ist Lemberg die bei weitem früheste deutsche Stadt- gründung in Rotreußen. Es bildete eine Wachstumsspitze und gleichzeitig einen Endpunkt der schlesisch-deutschen Ostwanderung; denn weiter östlich entstanden keine größeren deutschen Siedlungen mehr. Hier in Lemberg staute sich der Siedlerstrom noch einmal auf und versickerte dann im südöstlichen Rotreußen und im Fürstentum Moldau. Lembergs große Zeit brach an, als das Fürstentum Halicz 1349/52 dem polnischen Reich einverleibt wurde.7 König Kasimir von Polen (1333— 1370) förderte die Deutschen im neuerworbenen Gebiet; waren sie doch das einzige Glied, das durch Handelsbeziehungen und verwandtschaft- liche Bande das polnische Altreich mit „Rotreußen" — wie das einstige Fürstentum Halicz bald genannt wurde — verband. Am 17. Juni 1356 verlieh Kasimir den Deutschen der Stadt Lemberg das ius Theutunicum, quod vulgariter Madeburgense appellatur, removentes ibidem omnia iura ruthenicalia et consuetudines ruthenicales universas.6 Praktisch handelte es sich offenbar um die Bestätigung bereits bestehender Rechts- verhältnisse. — In derselben Urkunde sicherte Kasimir den übrigen Volksgruppen in der Stadt, so den Armeniern, Ukrainern und Juden, die Beibehaltung ihrer alten Rechtsgewohnheiten zu, nur sollte der

5) AGZ II, Nr. 1. 6) vgl. hierzu R. F. Kaindl, Beiträge zur Geschichte des deutschen Rechtes in Galizien, Abhandl. 9—12. Archiv für österreichische Geschichte, Bd 100 (1910), S. 432; K. Lück, S. 151 und 467, Anm. 38; R. B ä c ht ol d , S. 54. 7) vgl. G. Rhode, Die Ostgrenze Polens im Mittelalter. In: ZfO 2, 1953, S. 15—65, insbesondere S. 32 ff. 8) AGZ III, Nr. 5, S. 13 ff. 508 Hugo Weczerka

(deutsche ) Stadtvogt ihren Gerichte n vorstehen . Schon hierau s ersehen wir das Übergewich t der Deutsche n im damaligen Lemberg. Auch im übrigen Rotreuße n westlich Lember g wirkte sich die An- gliederun g an Polen für die Entstehun g eines geordnete n Städtewesens , das zur Quelle wirtschaftliche n und kulturelle n Auftriebs werden sollte, sehr günstig aus. Noch im Verlaufe des 14. Jahrhundert s wurden einige bedeutend e Plätze zu Städte n mit deutsche m Rech t erhobe n und z. T. deutsch besiedelt, ander e entstande n aus wilder Wurzel: vor 1351 Jaroslau , vor 1353 Przemyśl, Rzeszów, 1366 Sanok (nachde m eine erste Stadt - rechtsverleihun g schon 1339 vorausgegangen war), 1367 Krosno , vor 1368 Sądowa Wisznia, 1368 , vor 1381 Landshut , 1389 Gróde k Jagielloń- ski und Trembowla , 1390 Neu-Sambor , 1393 Żydaczów, 1393 Gliniany , noch vor 1400 Halic z und Kolome a usw. In der ersten Hälfte t 2s 15. Jahr- hundert s vermehrt e sich die Zah l der deutschrechtliche n Städt e noch be- trächtlich. 9 Besonder s wichtig war die dicht e Stadtreih e an der Handels - straße Breslau-Krakau-Lemberg . Etwa gleichzeitig mit der Entstehun g einer deutsche n Gemeind e in Lember g bahnte n sich im Orienthande l neue Wege an, die für den Auf- stieg Lembergs von großer Wichtigkeit wurden . Bis zum End e des 12. Jahrhundert s hatt e sich der mitteleuropäisch e Hande l zu Land e nach dem Orien t über Kiew abgewickelt, wo er auf die bekannt e Straße „von den Warägern zu den Griechen " von Skandinavie n über Nowgorod - Smolensk-Kie w nach Konstantinope l stieß10; die Auseinandersetzunge n unte r den russischen Fürstentümer n und schließlich im 13. Jahrhunder t der Einfall der Mongole n brachte n diese alte Handelsverbindun g zum Erliegen. " An ihrer Stelle gewannen unmittelbar e Wege zum Schwarzen Meer Bedeutung , entwede r durch Südrußlan d entlan g dem Ostran d der Karpaten . Die Genuesen , als Gegne r des von Venedig aus begrün- deten Lateinische n Kaisertums , sicherte n sich nach dessen Fall die Handelsherrschaf t im Schwarzen Meer und leiteten damit eine neue Epoch e des levantinische n Handel s in den Schwarzmeerländer n ein (1261). 12 Kaffa (Feodosia ) auf der Krim, Moncastr o (Cetate a Alba, Weißenburg , Akkerman ) im Dniestr-Lima n und Kilia in der Donau - mündun g — das waren die Stützpunkte , von denen aus sie das Hinterlan d des Schwarzen Meere s erschließe n und die Verbindun g vom Orien t zu den mitteleuropäische n Handelsstraße n herstellen wollten.

9) R. F. Kain dl, Abhandl. 9—12; R. Bächtold , S. 48 f f. 10) Bereits in der ersten Hälfte des 12. Jhs. sind Regensburge r Kaufleut e in Kiew belegt. Vgl. W. G. Wasiliewski, Kiews Hande l mit Regensbur g in alter Zeit. Verhandlunge n des historische n Vereins von Oberpfalz und , Bd 57 (1905). 11) E, Z e c h 1 i n , Maritim e Weltgeschichte . Bd 1. Hambur g 1947. S. 275. 12) I. N i s t o r , Die auswärtigen Handelsbeziehunge n der Molda u im 14., 15. und 16. Jh. Goth a 1911. S. 2 ff. Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 509

Lember g lag zwischen den beiden Wirtschaftsgebieten , die den Aus- tausch ihrer Waren anstrebten : zwischen dem deutsche n und dem genuesisch-levantinische n Handelsbereich . Die Guns t der Lage aus- nützend , übernah m Lember g die Vermittlun g dieses Transithandels . Bereits im Jahre 1380 gestand ein königliche s Privileg den Lemberger n einen vierzehntägige n Stapelzwan g zu, d. h. alle aus dem Orien t kom- mende n oder dorthi n fahrende n Kaufleut e mußte n vierzehn Tage lang ihre Waren in Lember g feilbieten, ehe sie mit dem Rest weiterziehe n durften . Währen d Krakau gegen dieses Stapelrech t protestiert e und öfter deswegen vor dem königliche n Gerich t klagte13, fordert e Lember g für sich sogar das absolute Stapelrecht , das ihm 1444 von Köni g Wùadisùaw III . tatsächlic h zugesproche n wurde. Die Kaufleut e des Westens durften nun ebensoweni g über Lember g hinau s zum Schwarzen Meer ziehen wie die Kaufleut e aus dem Orien t nach den westlich Lember g gelegenen Ge - bieten ; sie mußte n alle ihre Waren in Lember g verkaufen und dort von den Lemberge r Kaufleute n neue Waren für die Rückreis e erwerben. 14 Es ist selbstverständlich , daß solche harte n Bestimmunge n nich t streng eingehalte n wurden . Einma l gab es Mitte l und Wege, sie zu umgehen , zum andere n mußt e Lember g z. T. auch nachgeben , wollte es vermeiden , daß seine eigenen Kaufleut e ebenso behandel t wurden , wenn sie in die Städt e der über Lember g ziehende n Kaufleut e kamen . Außerdem konn - ten die Städt e vom Landesherr n die Befreiung vom Stapelzwan g einer andere n Stadt erwirken. 15 Dennoc h behielt Lember g im Hande l mit dem Orien t die Oberhand . Wie Breslau sich die Vermittlun g des Handel s vom und zum Westen vorbehielt und wie Krakau die Handelsverbindun g Oberungar n - Ostsee, aber auch Lember g - Breslau unte r seine Kontroll e zwang, so betrachtet e Lember g den Südoste n als seinen Einflußbereich . Dies drückt sich am deutlichste n in den Privilegien der moldauische n Fürste n für die Lemberge r Kaufleut e aus. Das rumänisch e Fürstentu m Moldau , um die Mitt e des 14. Jahrhundert s entstanden , war für den Hande l Lembergs von nich t zu unterschätzende r Bedeutung ; denn benutzte n die Handelskarawane n zum Schwarzen Meer nach überlieferte n Quellen noch bis gegen End e des 14. Jahrhundert s die

13) I. N i s t o r, S. 18 ff. 14) Den Kaufleute n aus dem Orien t wurde sogar geboten , die in Lember g eingekaufte n Waren nich t bereits in der Moldau , sonder n übers Meer zu ver- kaufen, „ne incolis, mercatoribus et deposito Leopoliensis civitatis praeiudi- cium causarent vel quovismodo inferrent" (AGZ V S. 134). Eine Ausnahm e machte n in diesen Bestimmunge n die Kaffenser Kaufleute , die seit 1466 für kurze Zeit in ganz Polen Hande l treiben durften (Lucja Charewiczowa , Hande l średniowieczneg o Lwowa) [De r Hande l des mittelalterliche n Lemberg] . Lember g 1925. S. 57. 15) H. Wendt, Schlesien und der Orient . Darstellunge n und Quellen zur schlesischen Geschichte , Bd 21. Breslau 1916. S. 24. 510 Hugo Weczerka „tatarische Straße" nördlich des Dniestr16, so bevorzugten sie fortan die sichereren Straßen durch die Moldau. Der Weg führte über Halicz- Kolomea-Sniatyn-Czernowitz oder über Trembowla-Kamieniec-Podolsk- Hotin nach Suczawa, dem Hauptstapelplatz in der Moldau. Von dort aus ging eine Straße über Jassy-Lapusna nach Moncastro (Akkerman), wo sich die Kaufleute mit ihren Waren einschifften und nach Kaffa, Konstantinopel und anderen Häfen fuhren. In Jassy zweigte eine andere Straße über Bärlad zum zweiten moldauischen Schwarzmeerhafen, Kilia in der Donaumündung, ab. Die Serethstraße und ihre Abzweigungen stellten von Suczawa aus die Verbindungen mit den siebenbürgischen und walachischen Städten her.17 Dieser Strang der moldauischen Straßen war für Lemberg bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts eine „goldene Ader".18 Bereits im Jahre 1408 erhielten die Lemberger Kaufleute vom moldauischen Fürsten Alexander dem Guten ein Handelsprivileg, das als „großes Privileg" von dessen Nachfolgern immer wieder erneuert wurde.19 Die Lemberger waren die einzigen Kaufleute aus Polen, denen die moldauischen Fürsten Handelsprivilegien ausgestellt haben. In Suczawa durften sie sogar ein Haus als Handelsniederlage errichten — der einzige Fall, wo in der Moldau ein Handelskontor fremder Kaufleute erwähnt wird. Wie die genuesischen und armenischen Kaufleute mit Orientwaren bis nach Lemberg kamen, so beschränkten sich die Lemberger umgekehrt nicht darauf, nur bis in die moldauischen Schwarzmeerhäfen zu ziehen. Zum Jahre 1462 erfahren wir von einem Lemberger Kaufmann, der auf der Seereise von Akkerman nach Kaffa an die Küste von Sudak ver- schlagen wurde.20 Im Jahre 1452 wurden Lemberger Kaufleute, die im venezianischen Brussa südlich Konstantinopel Pfeffer gekauft hatten, in der genuesischen Kolonie Pera bei Konstantinopel festgehalten.21 Anderen Lembergern wurden 1472 kostbare Waren in Galata bei Kon- stantinopel beschlagnahmt.22

16) Der genaue Verlauf der „tatarischen Straße" ist unbekannt. — L. Charewiczowa, S. 37. 17) I. Nistor, S. 18 ff.; H. Wendt, S. 21 f. 18) L. Charewiczowa, S. 36. 19) AGZ VII, S. 205—213; M. Costachescu, Documentele moldovenesti Inainte de Stefan cel Mare [Die moldauischen Urkunden vor Stephan dem Großen]. Jassy 1931. Bd 2, 176, S. 630—637. 20) I. N i s t o r , S. 34. 21) N. Iorga, Acte si fragmente cu privire la istoria Romänilor [Akten und Fragmente zur Geschichte der Rumänen]. Bd 3. Bukarest 1897. S. 27 ff. 22) AGZ IX, 78, S. 108. — K. Lück, S. 169, spricht von Galatz und meint offenbar den Hafen an der Unterdonau; dieses Galatz hatte aber damals noch gar keine Bedeutung als Handelsplatz. Außerdem wird im angegebenen Schrei- ben des Lemberger Erzbischofs vom 29. April 1472 gesagt, daß außer den in Galata geschädigten Kaufleuten Czornberk und Zindrich weitere Kaufleute Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 511

Die Lemberge r Kaufleut e brachte n vor allem Tuche , Metallware n und allerlei Fertigerzeugniss e nach dem Orient . Auf dem Rückweg nahme n sie Seidenstoffe , Gewürz e und Südfrücht e nach Lemberg. Hier verkauften sie diese Waren an die Kaufleut e aus dem Westen und Norde n oder zogen selbst in jene Gebiete . Die wichtigste Handelsverbindun g Lembergs mit Mitteleurop a war die über Krakau und Breslau, von der schon die Rede gewesen ist. Danebe n bestand , wenn auch nich t ganz so bedeutend 23, bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhundert s ein reger Verkehr mit Thorn ; damit war Lember g auch der Hauptumschlagplat z zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer . Seit dem Beginn des 15. Jahrhundert s büßte Thor n imme r mehr seine Bedeutun g ein; wohl trate n danac h noch Lem- berger in Thor n auf, jedoch kaum Thorne r in Lemberg. 24 Der Niedergan g des Lemberge r Handel s setzte mit dem Vordringen der Türken auf dem europäische n Festlan d ein. Der Fall Konstantinopel s (1453), Kaffas (1475) und schließlich der moldauische n Schwarzmeerhäfe n Cetate a Alba und Kilia (1484) kennzeichne t die allmählich e Abschnürun g der „goldene n Ader" Lembergs. Die Orientware n gelangten nun vor allem auf dem Wasserwege über den Westen, im steigenden Maß e über den neuentdeckte n Seeweg nach Ostindien , nach Mitteleuropa . Mit seinem Hande l verlor Lember g auch als Stadt an Bedeutung . 2. Quellen der Arbeit Wer waren nun die Bürger nach Volkstum und Herkunft , die Lember g in seiner Blütezeit beherbergt e und die zur Größ e der Stadt beitrugen ? Es ist bekannt , daß an der Gründun g und Entwicklun g Lembergs Deutsch e stark beteiligt waren und daß im 14. Jahrhunder t Armenie r dort eine eigene Gemeind e gebildet hatten . Weiter ist — mindesten s in späterer Zeit — mit Ukrainer n und Polen in der Stadt zu rechnen . Wie groß war jedoch der Anteil der einzelne n Gruppe n und woher kamen die Lem- berger Neubürge r im 15. Jahrhundert ? Dies festzustellen, ist das Ziel folgender Untersuchung . Die Quellen dazu sind die Bürgerlisten der Stadt Lember g für die Jahre 1405—1426 und 1461—151425; das Rechnungsbuc h der Stadt , das in „Valachia " Schade n erlitten hätten ; demnac h lag Galat a nich t in der Walachei bzw. in der Moldau . 23) K. L ü c k, S. 139. 24) L. Char ę wieżowa, S. 102; K. Lück, S. 130. 25) A. Czolowski, Pomnik i dziejowe Lwowa z archiwum miasta [Ge - schichtsdenkmäle r von Lember g aus dem Stadtarchiv] . Bd 2: Księga przycho - dów i rozchodó w miasta 1404—1414 [Buch der Einnahme n und Ausgaben der Stadt] . Lember g 1896 (für das Jahr 1404 sind die Bürgerlisten nich t mitent - halten!); Bd 3: dass. 1414—1426. Lember g 1905. — M. Walter, Suscipiente s ius civile Leopoliens e 1405—1514, ex libris archivi civitatis Leopoliensis , Leopol i 1942/4 3 (Maschinenschrift) . Dem J. G. Herder-Institu t schulde ich Dan k dafür, daß es mir die Möglichkei t gab, die von Walter zusammengestellte n Bürgerlisten zu bearbeiten . 512 Hugo Weczerka die Neuaufnahme n für die Jahre 1427—1460 enthielt , ist im vorigen Jahr- hunder t verlorengegangen. 26 Nu r sieben vereinzelte Eintragunge n sind für die Jahre 1427—1460 überliefert . In diesen Bürgerlisten sind alle Persone n verzeichnet , die in den be- treffende n Jahre n das Lemberge r Bürgerrech t erworben haben . Wir er- fahren vom Neubürge r den Name n — sehr oft nur den Vornamen , da der Familiennam e noch nich t fest ausgebildet war —, oftmals den Beruf, den Heimator t und manchma l auch die Nationalität , besonder s bei Ukrainer n und Armeniern . Bei der Herkunf t sind dreierlei Arten von Angaben zu unterscheiden : 1. solche, nach denen der Neubürge r aus einem genannte n Ort Empfeh - lungsschreibe n mitgebrach t hat 27; 2. Angaben, die ohn e weitere Erläute - rungen den Herkunftsor t mit „de" an den Name n anschließen , und 3. solche, bei denen nur der Familiennam e auf die Herkunf t schließen läßt. Bringt ein Bürger aus einer Stadt oder aus einem Dor f ein Empfehlungs - schreiben mit, so kann vermute t werden, daß er dort seinen letzten festen Wohnsit z gehabt hat. Steht jedoch in der Quelle, es habe beispiels- weise ein gewisser Petrus de Cracovia Lemberge r Bürgerrech t erworben , ohn e daß vermerkt wird, er habe Empfehlungsschreibe n aus dieser Stadt beigebracht , so ist es möglich, daß er wohl aus Krakau gebürtig war, aber in der Zwischenzei t sich anderswo niedergelassen hatte ; dessen- ungeachte t wird er sich als Krakaue r bezeichne t haben . In ein bis zwei Generatione n konnt e die Herkunftsbezeichnun g zum Familienname n werden. Interessan t sind die Fälle, wo zwei dieser drei Arten von Herkunfts - angaben vereinigt sind; es komm t auch vor, daß ein Bürger Empfeh - lungsschreibe n aus zwei oder drei Städte n vorlegte. Aus solchen An- gaben könne n die Wanderwege der betreffende n Persone n oder Familie n genau abgelesen werden. So legte 1409 Nikolau s Troppe r Empfehlungs - schreiben aus Troppau , Zaudit z und Kranowitz , zwei kleinen Städte n in nächste r Umgebun g von Troppau , vor.28 Der Familiennam e des Nikolau s läßt darau f schließen , daß er aus Troppa u stammte , woher er das erste Empfehlungsschreibe n brachte ; da er aber auch solche aus Zaudit z und Kranowit z besaß, muß er auch dort eine Zeitlan g wohnhaf t gewesen sein. Ein Schuste r aus Stephansdor f bei Neisse wies ein Empfehlungsschreibe n der Stadt Neisse vor29, Johanne s Werbener aus dem Dorfe Fröbe l bei Ober-Gloga u hatt e sich eines in (Ober- ) Glogau 30, ein Russe aus Wilna

26) K. L ü c k, S. 75. 27) In den Listen steht dann meistens : „NN de . . . cum recommandatoriis de ibidem". 28) A. Czóù o ws ki, Bd 2, S. 78. 29) A. Czoùowski, Bd 2, S. 41 (1407). 30) A. Czoùowski, Bd 2, S. 89t (1410). J. G. Herd er-Institut, Marburg/L, Hugo Weczerka Druck: Willy GröSchen KG., Dortmund J. G. Herder-InsłHuł , Marburg/L . Hugo Weczerka Druck. : Willy Größchen KG., Dorfmun d Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 513 in Brest-Litowsk 31 ausstellen lassen. Bei den hier angeführte n Dörfern , die so weit von Lember g entfern t waren, mögen die Empfehlungs - schreiben auch nur deshalb von der nächste n größeren Stadt ausgestellt worden sein, weil die Dörfe r in Lember g unbekann t waren. Häufiger stehen eine normal e Herkunftsangab e und ein nach einem Ortsname n gebildeter Familiennam e beieinander : ein Nikolau s Frede - lant (Friedlan d i. Schl.) und ein Mathia s Kantne r (Kant h b. Breslau) wanderte n aus Breslau ein, ein Nikolau s Elczne r (Alzen bei Bielitz) aus Bielitz, ein Niclo s Gleybic z (Gleiwitz ) aus Landshu t in Rotreuße n und ein Petru s Lunebur g (Lüneburg ) aus Frankfur t (an der Oder?). 32 Schwierigkeiten bei der Feststellun g des Herkunftsorte s bereitet die Gleichnamigkei t vieler Städt e und Dörfer . Es gibt ein Landshu t in Schlesien und eines in Rotreuße n (Ùańcut), ein Freistad t in Oberschlesie n und in Kleinpole n (Frystak) , ein Görlit z in der Lausitz und in Kleinpole n (Gorlice) ; manch e Ortsnamen , so Neustad t (Nova Civitas, Nowemiasto ) und Wola, komme n so häufig vor, daß die Frage, welcher Ort gemeint ist, oft nich t zu beantworte n ist. Nu r in Sonderfälle n ist die Entscheidun g für den einen oder den andere n der gleichnamige n Orte leicht: einen Franciscu s Reichena u (Reichena u südl. Görlitz ) aus Görlit z wird man in Görlit z und nich t in Gorlic e suchen 33, einen Mathia s Kantne r (Kant h bei Breslau) aus „Braczlaw " in Breslau und nich t in der podolische n Klein- stadt Bracùaw.34 Sonst kann bei gleichnamige n Ortschafte n die größere und bekannter e oder die Lember g nähergelegen e Stadt vorgezogen wer- den; denn die fernere, dem Lemberge r weniger geläufige Stadt wird der Stadtschreibe r eher durch einen Zusat z gekennzeichne t haben . So wird 1417 „Camenc z circa Mysnen", Kamen z bei Meißen , erwähnt , währen d sonst Kamen z ohn e jede weitere Bestimmun g vorkomm t — hier ist gewiß Kamieniec-Podols k gemeint . Wo näher e Angaben fehlen, wird man sich eher für Landshu t in Rotreuße n statt in Schlesien und für Pilzno in Kleinpole n statt für Pilsen in Böhme n entscheiden . Nu r selten wird in den Bürgerlisten die Volkszugehörigkeit der Neu - bürger mit angegeben, am ehesten bei schwach vertretene n Volksgruppen wie Ukrainer n und Armeniern ; dreima l werden auch getaufte Juden er- wähnt . Die Ukraine r sind auch am Zusat z neofitus, d. h. (zum katholische n Glauben ) Neubekehrter , zu erkennen , baptisatus oder Christianus. Ver- einzelt komm t die Benennun g Lithwin vor; da sonst die Zuwandere r aus Litaue n als Rutheni bezeichne t werden, wird man die Lithwini als wirk- liche Litaue r ansehe n können . 31) M. Walter, Nr . 750. 32) A. Czolowski, Bd 2, S. 101 f., 1131, 122f.; Bd 3, S. 1 f.; M. Walter, Nr . 943. 33) A. Czolowski, Bd 2, S. 122 f. 34) A. Czolowski, Bd 2, S. 113 f. — K. Lück, S. 569, identifizier t aller- dings den Ort mit Bracùaw. 33 514 Hugo Weczerka

Lück ist der Meinung , daß die Bezeichnun g Ruthenus, Polonus, Ungarns u. ä. in den mittelalterliche n Urkunde n vielfach „Deutsche r aus Reußen , Polen , Ungarn " usw. bedeutet. 35 In gewissen Fällen mag dies richti g sein; so darf beispielsweise in Stepha n Oswald Valachus, der 1487 Lemberge r Bürger wurde 36, kein Rumän e gesehen werden, sonder n ein Deutsche r aus der Walachei bzw. vielmehr aus der nähere n Moldau , die auch als Valachia (minor) bezeichne t wurde. Aber die Bezeichnun g Ruthenus für einen Deutsche n aus Reuße n hat doch nur einen Sinn, wenn er sich außerhal b dieses Lande s befindet , also auch außerhal b Rot- reußens ; Lück möcht e dagegen diese Deutun g auch auf die Bürger Lem- bergs, Przemyśls, Krosno s und andere r rotreußische r Städt e angewand t wissen37, worin ihm nich t gefolgt werden kann . Kein Bürger Lembergs mit dem Attribut Ruthenus weist einen ausgesproche n deutsche n Name n auf. Ebenso heißen die beiden einzigen Lemberge r Neubürge r mit der Bezeichnun g Polonus Jan 38, waren also vielleicht wirklich Polen . Es ist also einleuchtend , daß das Attribut Ruthenus, Polonus usw. nur neben einem rein deutsche n Name n zur Deutun g berechtigt , daß es sich um einen Deutsche n aus Reußen , Polen usw. handelt . Es bleibt demnac h als einzige Möglichkeit , die Volkszugehörigkeit der Lemberge r Bürger zu ermitteln , die Untersuchun g der Namen . Hier - bei ist folgendes zu beachten : 1. Nebe n ausgesproche n deutsche n oder polnische n Vorname n gibt es neutrale , vor allem christliche r Herkunft , die von Deutsche n und Nicht - deutsche n gleichermaße n benutz t wurden , wie Petrus , Nikolaus , Mathias . Wenn diese Vorname n allein angegeben sind — was nich t selten vor- komm t —, dann sind die Namensträge r in die Grupp e der nationa l Un - bestimmbare n einzureihen . 2. Ist der Text der Eintragun g deutsch — was 1405—1426 vereinzelt, 1461—1514 häufiger vorkomm t —, dann ist es sehr gut möglich, daß eine deutsch e Berufsbezeichnun g vom Stadtschreibe r stammt , so daß man hierau s nicht s über die Volkszugehörigkeit des betreffende n Bürgers aus- sagen kann . Im lateinische n Text dagegen zeigt eine deutsch e Berufs- bezeichnun g oder ein nach einer solchen gebildeter Familiennam e mit ziemliche r Sicherheit , daß es um einen Deutsche n geht. Berufsbezeichnun g und Familiennam e nach dem Beruf sind wohl nich t streng voneinande r zu unterscheiden , wenn nich t beide nebeneinande r stehen ; jedoch werden in den Quellen die Berufe im allgemeine n klein, die Name n dagegen groß geschrieben . 3. Manch e heut e nur noch bei Polen üblichen Vorname n wurden im

35) K. L ü c k, S. 467, Anm. 42. 36) M. Walter, Nr . 1184. 37) K. Lück, S. 119 f. 38) A. Czoùowski, Bd 3, S. 90 f. und 128. Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 515

Mittelalte r auch von Deutsche n benutzt , besonder s Stanislau s (Stenzel) . Dasselbe gilt auch für die Namensendunge n -usch und -ko, wie etwa bei den Name n Jakusch Sommerstei n und Franzk o Schultis. 39

3. Die Herkunftsgebiet e der Lemberge r Neubürge r Von den 161740 überlieferte n Neubürger n der Jahre 1405—1426 und 1461—1514 waren 679 Deutsche , 394 Polen , 139 Ostslawen, 35 Armenier , 3 Litauer , 3 Juden , 2 Tschechen , 1 Italiener , 1 Rumäne , 1 Griech e und 359 Unbestimmbare. 41 Das sind von den Bestimmbaren 42: 54 v. H. Deutsche , 31 v. H. Polen , 11 v. H. Ostslawen, 3 v. H. Armenie r und 1 v. H. andere . 854 von den Zuwanderer n mit verwertbarer Herkunftsangab e stamm - ten aus dem damaligen Polen (ohn e Litauen) , das sind etwa 74 v. H. Von diesen kamen wieder 510 oder 60 v. H. aus Rotreußen , 276 oder 32 v. H. aus Kleinpole n und nur 68 oder 8 v. H. aus Großpolen , Kujawien, Masowien und dem bis 1466 zum Ordensstaa t gehörende n Westpreußen. 13 Das Großfürstentu m Litaue n mit dem eigentliche n Litauen , Wolhynien , Podolie n und dem Fürstentu m Smoleńs k schickte insgesamt 49, das Fürstentu m Molda u 28 und Ungar n 14 (davon 10 aus Oberungarn ) Per- sonen nach Lemberg. Das bedeutet , daß drei Viertel aller aus den Nachbarländer n Rotreußen s eingewanderte n Neubürge r aus Kleinpole n stammte n und das Schwer- gewicht der Einwanderun g eindeuti g im Westen lag. Dahe r soll der Blick zuerst dem weiteren Westen zugewandt werden. Aus dem deutsche n Reichsgebie t kamen 191 Personen , knapp 17 v. H.

39) A. Czoùowski, Bd 2, S. 41 f. und 122f. 40) M. Walter komm t in seiner Zählun g bis Nr . 1638. Jedoc h sind manch e Bürger doppel t aufgeführt, z.B. bei Nachlieferun g des Empfehlungsschreibens , oder es handel t sich um Verzichterklärunge n und nich t Erwerbun g des Bürger- rechts; auch sind in der fortlaufende n Zählun g zwei Nummer n überschlage n worden. Andererseit s sind in wenigen Eintragunge n zwei oder drei Persone n aufgeführt. 41) K. Lück hat für die Zeit von 1405—1426 (De r Umfan g des mittelalter - lichen deutsche n Volksbodens im polnisch-ukrainische n Osten. In: Deutsch e Hefte für Volks- und Kulturbodenforschun g Nr . 5/ 6 (1931), S. 368) und 1462—1513 (Deutsch e Aufbaukräfte, S. 77) die Volkszugehörigkeit der Lem- berger Neubürge r ermittelt . Die hier angegebene n Zahle n stützen sich jedoch auf eine eigene Bestimmung . 42) Die völkisch Unbestimmbare n sind aus dieser Berechnun g ausgeschlossen worden, weil wir theoretisc h annehme n müssen, daß sie sich in gleichen An- teilen auf die einzelne n Gruppe n verteilten . — Ebenso werden bei jeder wei- teren Berechnun g des Anteils alle völkisch Unbestimmbare n unberücksichtig t bleiben, wenn es um die Feststellun g der Anteile der Volksgruppen geht, und alle herkunftsmäßi g Unbestimmbaren , wenn der Anteil der einzelne n Gebiet e bestimm t werden soll. 43) Die vor dem Zeitpunk t der Abtretun g des Gebiete s an Polen einge- wanderte n Neubürge r sind hierin nich t enthalten . 33* 516 Hugo Weczerka der Gesamteinwanderung. Davon stellte Schlesien 142 (Oberschlesien 75, Niederschlesien 67), das Ordensland Preußen 8, das übrige nordostdeutsche Kolonialland 7, Böhmen-Mähren (einschließlich der Grafschaft Glatz) 20, Österreich 1 und Westdeutschland 13. Die meisten Einwanderer aus dem Deutschen Reich, rund 74 v. H., waren also Schlesien Schlesien steht mit einem Anteil von 12,4 v. H. an der Gesamteinwanderung an dritter Stelle neben Rotreußen (44,6 v. H.) und Kleinpolen (24,1 v. H.), die zusammen mit Schlesien über acht Zehntel aller Lemberger Neubürger stellten. Nun war der Anteil des Deutschtums in Rotreußen und Kleinpolen sehr erheblich; von den Neubürgern aus Rotreußen waren 57 v. H., von jenen aus Kleinpolen über 56 v. H. Deutsche. Diese Deutschen waren fast ausschließlich aus Schlesien zugewandert, vor allem aus Oberschlesien; nachdem das Kolonisationswerk im schlesischen Raum am Ende des 13. Jahrhunderts im wesentlichen beendet war, zog im 14. Jahrhundert die überschüssige Bevölkerung nach dem Osten, nach Kleinpolen und nach Rotreußen, ja bis in die Moldau, und nach Süden, nach Oberungarn.44 Der schlesische Wanderzug tritt gerade auf den Lemberger Einwande- rungskarten sehr plastisch in Erscheinung. Innerhalb eines scharfbe- grenzten west-östlichen Streifens zwischen der Linie Tarnów-Rzeszów- Jaroslau-Lemberg im Norden und dem Karpatenrand im Süden häufen sich die Herkunftsorte, Städte wie Dörfer, und die Zahlen der aus den einzelnen Orten Zugezogenen in ganz auffallender Weise. Die Erklärung dafür liegt zunächst in der Fruchtbarkeit und guten Siedlungseignung dieses Landstriches, der einen Teil der pontischen Lößzone bildet, wäh- rend nördlich davon die armen Sandböden der Weichsel-San-Niederung und im Süden das Innere der Karpaten im Mittelalter menschenleer blie- ben. Vor allem aber war die Vorgebirgszone, die regio pedemontana, am stärksten von allen Landschaften Innerpolens durch die schlesisch- deutsche Kolonisation des 14. Jahrhunderts geformt. Das Städtenetz war hier so dicht und gleichmäßig wie in Schlesien. Als ländlicher Siedlungs- typ herrschte das Waldhufendorf in meist sehr großen und regelmäßigen Formen vor; seine Grenzen im Norden und Süden deckten sich um 1400 ge- nau mit jenen der stärksten Auswanderung nach Lemberg.45 Wenn auch nicht alle diese Waldhufendörfer von deutschen Siedlern herrührten, so überwog doch in sehr vielen das deutsche Volkstum; seine letzten Reste

44) vgl. W. Kuhn, Siedlungsgeschichte Oberschlesiens. Würzburg 1954. S. 124—130. 45) Die Verbreitung der Waldhufendörfer — in etwas abgewandelten For- men — im Karpateninneren und in der Weichsel-San-Niederung geht auf überwiegend nichtdeutsche Siedlungsbewegungen des 15. bis 17. Jhs. zurück, vgl. W. Kuhn, Geschichte der deutschen Ostsiedlung in der Neuzeit. Bd 1, Köln-Graz 1955. S. 124, 138, 140, und auch die Karte der Waldhufendörfer bei K. L ü c k, Deutsche Aufbaukräfte. Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 517 gingen erst am Beginn des 19. Jahrhundert s im Polentu m auf und der Stammesnam e „Gùuchoniemcy" (Walddeutsche ) für die Vorgebirgsbe- völkerung blieb bis zur Gegenwar t volkstümlich . Durc h den deutsche n Einfluß hatt e der ganze Raum die wirtschaftliche n und kulturelle n Im- pulse erhalten , die ihn zum wichtigsten Nährbode n für den Lemberge r Bevölkerungsnachschu b machten . Dahe r ist es gerechtfertigt , in der folgenden Untersuchun g den Raum der Waldhufendörfe r gesondert zu betrachten . An 75 v. H. aller Neubürge r aus Rotreuße n und 52 v. H. aus Klein- polen sind aus dem Waldhufengebie t eingewandert . Wird auch noch Krakau , das nach Lück noch zu Anfang des 15. Jahrhundert s zu 66 v. H. deutsch e Neubürge r aufnahm , von denen beinah e die Hälfte unmittelba r aus Schlesien einwanderte 48, zum Kerngebie t deutsche r Siedlun g in Klein- polen gerechnet , dann ergibt sich, daß sogar 70 v. H. der kleinpolnische n Zuwandere r aus dem Räum e mit entschiede n schlesisch-deutsche m Ein- fluß stammten . Inwieweit waren nun unmittelba r schlesische Deutsch e unte r den Lem- berger Neubürgern ? Das schlesische Stammesgebie t umfaßt e außer dem eigentliche n Schlesien das gesamte Deutschtu m Kleinpolen s und Rot- reußens , ferner fast ganz Großpolens , ebenso Nordböhmen , Nordmähre n und Oberungarn , da diese Gebiet e fast ausschließlic h von Schlesiern der deutsche n Kolonisatio n erschlossen worden sind. 47 Dami t ergeben sich folgende Zahle n für die Lemberge r Neubürger : Oberschlesie n 42 Deutsch e Niederschlesie n 57 Nordböhme n und -mähre n 11 ,, Oberungar n 8 „ Großpole n 10 „ Kleinpole n 117 „ Rotreuße n 216 461 Deutsch e Das bedeutet , daß von den 520 deutsche n Einwanderern , von denen uns der Herkunftsor t bekann t ist, über 88 v. H. letzten Ende s Schlesier waren. Unte r der Gesamthei t der Lemberge r Neubürge r (mit identi - fizierter Herkunftsangab e und Nationalität ) ergibt sich ein Anteil des jungen schlesischen Kolonistenstamme s von rund 53 v. H. Diese Zah l erhöh t sich noch , wenn berücksichtig t wird, daß der größte Teil der 139 46) K. Lück, Deutsch e Aufbaukräfte, S. 721; H. Franze , Herkunf t und Volkszugehörigkeit der Krakaue r Bürger des 15. Jhs. In: Deutsch e Monatsheft e in Polen , Jg. 2 (1935/36) , S. 446. 47) Auch in der Molda u haben Deutsch e aus Kleinpole n und Rotreußen , also meist Schlesier, neben Siebenbürge r Deutsche n gesiedelt; das zahlen - mäßige Verhältni s der beiden deutsche n Gruppe n läßt sich jedoch nich t fest- stellen. 518 Hugo Weczerka deutschen Neubürger, deren Herkunftsort nicht zu erfahren ist, wohl aus Lemberg gebürtig war — in vielen Fällen wird dies ausdrücklich er- wähnt —, also hauptsächlich auch aus Schlesien stammte. So kann das mittelalterliche Lemberg als eine schlesisch-deutsche Stadt bezeichnet werden, die letzte große im Osten.

4. Zeitliche Gliederung der Zuwanderung nach Lemberg Wurde bisher die Verteilung aller Lemberger Neubürger aus den Jahren 1405—1426 und 1461—1514 auf die verschiedenen politischen, historischen, siedlungs- und kulturgeographischen Räume betrachtet, so soll nun zum räumlichen der zeitliche Gesichtspunkt hinzugefügt werden, indem der ganze behandelte Zeitraum in kleinere Zeitabschnitte auf- geteilt und der Anteil der verschiedenen Gebiete und Volksgruppen an der Einwanderung innerhalb dieser Perioden miteinander verglichen wird; damit wird die bisher angewandte statische eine dynamische Be- trachtungsweise, die Aufschluß über die Entwicklung der Lemberger Bürgerschaft im 15. Jahrhundert geben wird. Die Lücke in den Bürgerlisten nach dem Jahre 1426 bietet sich als erste Periodenscheide an; der übrige Zeitraum wird in drei, der ersten Periode in der Länge etwa entsprechende Abschnitte eingeteilt, so daß folgende vier Perioden unterschieden werden können: 1. 1405—1426, 2. 1461—1480 (einschl. der 7 Eintragungen aus den Jahren 1427—1459), 3. 1481—1500 und 4. 1501—1514. Erwarben in den Jahren 1405—1426 durchschnittlich jährlich 24 Per- sonen Lemberger Bürgerrecht, so waren es 1461—1480 nur noch 22, 1481—1500 19 und 1501—1514 sogar nur 12. Diese Abnahme der Zu- wanderung war im 15. Jahrhundert in den deutschen und mitteleuropäi- schen Städten allgemein, wie ein Vergleich mit Krakau und Hamburg zeigt48: Lemberg 1405—1426 24 (100 v. H.) 1461—1480 22 (91 v. H.) 1501—1514 12 (50 v. H.) Krakau vor 1419 117 (100 v.H.) 1455—1490 63,5 (54 v. H.) 1491—1506 60 (51 v.H.) Hamburg vor 1419 106 (100 v. H.) 1455—1490 76 (71 v. H.) 1491—1526 60 (56 v. H.) Dieser Vergleich zeigt, daß die Abnahme der Zuwanderung in Lemberg später einsetzte, der Höhepunkt der Stadtentwicklung bei Lemberg später lag als in Krakau und Hamburg. Im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts häufen sich die Herkunftsorte der Lemberger Neubürger in ziemlich gleichmäßiger, dichter Streuung auf dem Streifen zwischen der „Hohen Straße", der Leitlinie für die 48) Nach H. F r a n z e , S. 439. Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 519

mitteldeutsch e Ostwanderung , der auch Lember g letzten Ende s seinen Aufschwung verdankte , und dem Gebirge , also auf dem Hauptgebie t der deutsche n Kolonisation . Im Westen markiere n Kamen z (Sachsen ) und Görlit z die von Leipzig kommend e Handelsstraße . Hinte r Lember g ver- weisen einige Punkt e auf den weiteren Verlauf der Handelsstraße n zum Schwarzen Meer : über Trembowl a und Kamieniec-Podols k nach Kaffa auf der Krim oder über Halicz-Sniaty n in die Moldau . Eine Zusammenstellun g der aus dem Einzugsbereic h dieser wichtigen Handelsstraß e stammende n Neubürge r Lembergs 1405—1426 ergibt folgende Zahlen : Gebie t Zah l darunte r v. H. Deutsch e

Oberlausit z 3 100 Niederschlesie n 42 92 Oberschlesie n 51 80 Waldhufengebie t Kleinpolen s 54 81 Krakau 31 86 Waldhufengebie t Rotreußen s 123 90 Trembowla , Śniatyn , Halicz , Kamieniec-Podols k 11 73 Molda u und Kaffa 7 83 322 86 Bei einer Gesamteinwanderun g von 411 Personen 49 sind damit über 78 v. H. der Neubürge r in den Jahre n 1405—1426 sozusagen über die Hoh e Straße nach Lember g gezogen, darunte r wiederum 86 v. H. Deutsche . Die Deutsche n aus Schlesien und den schlesischen Kolonisationsgebieten , die in allen Periode n zusamme n 53 v. H. der Gesamteinwanderun g be- stritten , machte n im ersten Viertel des 15. Jahrhundert s 77 v. H. aus. Im einzelne n ergeben sich folgende Vergleichszahlen : Oberschlesie n 29 Deutsch e Niederschlesie n 36 „ Nordböhme n und -mähre n 5 „ Oberungar n 4 „ Großpole n 4 „ Kleinpole n 66 „ Rotreuße n 95 „ 239 Deutsch e Die Gesamtzah l der herkunftsmäßi g und völkisch Bestimmbare n be- trug 310. Das Geschic k Lembergs wurde also gerade in seiner bedeutsamste n Zeit — den Jahre n der Auseinandersetzun g mit Krakau und der ver- 49) In dieser Zah l sind nur die herkunftsmäßi g Bestimmbare n enthalten ; das gilt für alle Berechnunge n nach Herkunftsgebieten . 520 Hugo Weczerka tragliche n Regelun g des Orienthandel s durch die Molda u — in erster Linie von Schlesiern bestimmt . Die übrigen Gebiet e sind in dieser Period e sehr schwach vertreten ; meist ist aus voneinande r weit entfernte n Städte n je ein Zuwandere r nach Lember g gekommen , so aus Paderborn , Aachen , Fürstenwalde , Königsberg, Brunn und Wilna. Keine s der Territorie n außerhal b des oben bezeichnete n Gebiete s stellte mehr als 7 Einwanderer : das Ordenslan d Preuße n 7, das übrige nordostdeutsch e Koloniallan d 6, Westdeutschlan d 5, Masowien 1, das eigentlich e Litaue n 1, Wolhynien 6, Podolie n 5, die Molda u 6 und Kaffa 1. Verhältnismäßi g stark vertreten war Thor n mit 5 Personen , werden doch in den späteren drei Periode n insgesamt nur noch zwei Thorne r Bürger von Lemberg. Dies paßt zur Auffassung der Forschung , wonach der Hande l zwischen Lember g und Thor n in der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert s fast gänzlich erlosche n ist. An der Straße von Lember g nach Thor n weisen Beùz und Lublin noch beträchtlich e Zahle n auf (9 bzw. 6). Wird nun die Karte über die Einwanderun g nach Lember g in den Jahre n 1461—1514 betrachtet , so ist zu bedenken , daß mehr als ein Dritte l Jahrhunder t übersprunge n worden ist. weil für die Zwischenzei t keine Quellen zur Verfügung stehen . Die Änderunge n werden daher viel allmähliche r vor sich gegangen sein, als es das Kartenbil d zeigt. Trat in der ersten Karte deutlic h das breite Band der Einzugszon e der Hohe n Straße hervor, so ist auf der zweiten Karte ein dichtbesetzte s Kerngebie t in Rotreuße n und in Kleinpole n zu erkennen , um das sich weitere Herkunftsort e in imme r dünne r werdende r Streuun g gruppieren . Das Kerngebie t ist das Waldhufengebie t Rotreußen s und Kleinpolens , erweitert um einen schmale n Streifen im Osten Lembergs. Un d doch zeigt ein Zahlenvergleich , daß das Waldhufengebie t ebenso wie auch die Stadt Krakau im Verhältni s zur ersten Period e imme r weniger Aus- wandere r für Lember g stellten. Es kamen in Period e I II III IV aus Kleinpole n Waldhufengebie t 49 v.H. 62 v.H. 50 v. H. 33 v.H. Krakau 28 v .H. 12 v. H. 12 v. H. 4 v.H. übriges Kleinpole n 23 v.H. 26 v. H. 38 v.H. 63 v.H. Rotreuße n Waldhufengebie t 84 v. H. 75 v. H. 63 v.H. 71 v. H. übriges Rotreuße n 16 v. H. 25 v.H. 37 v. H. 29 v.H. Gleichzeiti g mit der Einwanderun g aus Rotreuße n und Kleinpole n außerhal b des Waldhufengebiete s wuchs jene aus den östliche n und nörd - lichen Nachbarländer n Rotreußens , währen d der Zuzu g aus dem Westen, aus Schlesien , stark nachließ . Von allen Lemberge r Neubürger n mit fest- gelegter Herkunftsangab e wanderte n ein: Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 521

in Periode I II III IV aus Großpolen, Masowien, Großfürstent. Litauen, russ. Fürstentümer 6 v. H. 15,0 v. H. 9,0 v.H. 13,0 v. H. Schlesien 22 v. H. 5,5 v. H. 8,4 v. H. 6,6 v. H. Der Anteil der übrigen Länder blieb ziemlich unverändert; es waren wie vorher nur einzelne Personen, die den Weg nach Lemberg fanden. Unter den deutschen Städten waren Regensburg, Nürnberg, Ansbach und Landau in der Pfalz vertreten. Im Jahre 1491 erwarb ein Pankratius Hamburger Bürgerrecht in Lemberg50, ein Petrus Lüneburg kam aus Frankfurt, vermutlich an der Oder." Auffällig ist die verhältnismäßig starke Einwanderung aus Suczawa in der Moldau und aus Kamieniec-Podolsk innerhalb eines kurzen Zeit- raumes. Während in der ersten Periode nur ein Suczawaer Bürger von Lemberg wurde, kamen in den nächsten Perioden 14 Personen aus der moldauischen Hauptstadt, hiervon 12 allein in den Jahren 1476—1482. 1476 wanderten sieben Armenier und ein Ukrainer, 1478 ein Grieche, ein Rumäne und ein Unbestimmbarer und 1482 ein Deutscher aus Suczawa ein. In derselben Zeit erwarben auch zwei Personen aus der „Walachei", wahrscheinlich aus der Moldau, Lemberger Bürgerrecht. Wie ist dieser plötzliche Auswanderungsdrang aus der Moldau zu erklären? Im Januar 1475 hatte der moldauische Fürst Stephan der Große ein großes türkisches Heer in der südlichen Moldau geschlagen. Im darauf- folgenden Jahr zogen die Türken zum Gegenschlag in die Moldau, unter- stützt von Tataren und Walachen. Sie drangen bis in den Norden der Moldau vor und verwüsteten das Land. Nach verzweifelter Gegenwehr zog sich Stephan nach Rotreußen auf polnisches Gebiet zurück, um neue Kräfte zu sammeln.52 In diesem Zusammenhang werden wohl die ge- nannten Suczawaer nach Lemberg geflüchtet sein, zu dem sie gute Handelsbeziehungen besaßen.53 Ebenso werden die Türken wahrscheinlich den verstärkten Zuzug einiger Jahre aus Kamieniec-Podolsk nach Lemberg verursacht haben. Von den elf Zuwanderern aus Kamieniec in den Jahren 1461—1514 sind 6 in den Jahren 1480—1484, der Rest zuvor eingewandert. Kamieniec war an der „tatarischen Straße" gelegen, die nach dem genuesischen Handelsplatz Kaff a auf der Krim führte; in Kamieniec zweigte auch

50) M. Walter, Nr. 1241. 51) M. W a 11 e r, Nr. 943. 52) A. D. X e n o p o 1, Istoria Romänilor din Dacia Traiana [Geschichte der Rumänen aus der Dacia Traiana]. Bd 2. Madrid 1953. S. 32 f. 53) Die Armenier besaßen in Suczawa ebenso wie in Lemberg eine eigene Gemeinde, die teilweise nach altem armenischem Recht organisiert war. Die Suczawaer Armenier wurden in Lemberg „suscepti in ius nostrum armenicum", wie es in den Bürgerlisten heißt. 522 Hugo Weczerka eine Straße in die Molda u ab. Im Jahre 1475 fiel nun Kaffa in die Händ e der Türken ; der Hande l von dort nach Lember g erlahmt e allmählich . Dies wird für eine Anzahl von Fernhändler n der Anlaß gewesen sein, ihren festen Sitz von Kamienie c nach Lember g zurückzuverlegen . Die zunehmend e Streuun g der Lemberge r Zuwanderun g zeigt sich auch in der Zah l der durchschnittlic h aus einem Orte einwandernde n Neubürger . In der folgenden Tabelle sind für die beiden wichtigsten Herkunftsgebiet e die durchschnittlich e Personenzahl , die in den einzelne n Periode n aus einem Orte einwanderte , und — in der Klamme r — die Zah l der beteiligten Orte angegeben. Period e I II III IV Rotreuße n 4,0 (37) 2,6 (65) 2,3 (55) 1,6 (40) Kleinpole n 2,9 (38) 1,8 (47) 1,5 (40) 1,1 (21) Es ist zu sehen, daß im Laufe der Zeit imme r weniger Einwandere r auf eine Ortschaf t entfielen . In der ersten Period e kam etwa die Hälfte der aus Rotreuße n und Kleinpole n stammende n Lemberge r Neubürge r aus wenigen Städte n an den Handelsstraßen : aus Krakau (31), Przemyśl (23), Przeworsk (20), Landshu t i. Rotreuße n (14), Krosn o (13) und Pilzno (10). In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert s erweitert e sich der Kreis der Auswanderungsortschafte n auf viele kleine, unbedeutend e Städt e und Dörfer , besonder s aus der Umgebun g Lembergs. Das hat seinen Grun d einma l in der fortschreitende n Entwicklun g des Städtewesen s in Polen . Zu Beginn des 15. Jahrhundert s war die Zah l der Städt e im östliche n Kleinpole n und in Rotreuße n noch verhältnis - mäßig gering. Im 15. Jahrhunder t wuchsen, währen d im Westen bereits ein Stillstand eingetrete n war, im Osten noch Dutzend e von neuen Städte n zu, und damit erweitert e sich der Kreis der Orte, die nach ihrer wirtschaftliche n Struktu r für die Bereitstellun g eines Neubürgernach - schubs nach Lember g in erster Linie in Frage kamen. 54 Andererseit s deute t sich in der Einwanderun g nach Lember g schon ein für den Hande l Polen s in der frühen Neuzei t kennzeichnende r Vor- gang an: der Transithande l zwischen dem Orien t und Mitteleurop a durch Polen wird abgelöst durch eine eigene polnisch e Ein- und Ausfuhr. 55 Gleichzeiti g steigt der Warenaustausc h innerhal b Polens . Die Eigen- erzeugun g gewinnt dadurc h an Bedeutung ; so komm t es, daß neben den Orten an den Fernhandelsstraße n nunmeh r die verschiedenste n städti- schen und ländliche n Erzeugungsstätte n mit dem Stapelplat z Lember g in Verbindun g treten . Wie hat sich der Anteil der einzelne n Volksgruppen an der Einwanderun g nach Lember g im Laufe der vier betrachtete n Zeitabschnitt e gewandelt?

54) W. Kuhn , Geschicht e der deutsche n Ostsiedlun g in der Neuzeit . Bd I. S. 52. 55) J. Rutkowski, S. 192 ff.

(Namentlic h aufgeführt werden nur Orte mit mehr als 5 Einwanderern . Die kursiven Zahle n geben die Anteile der Volkstümei in Prozente n an; die völkisch Unbestimmbare n wurden nich t mitgerechnet )

Polen 166 25 4 1 72 268 110 92 12 — 66 280 55 85 18 — 44 202 17 34 9 — 44 104 348 236 43 1 226 854 85 12,5 2 0,5 51 43 6 35 54 11 28 57 15 55 37,5 7 0,5 Rotreuße n 95 9 4 1 37 146 75 42 12 - 39 168 35 46 18 — 30 129 11 22 8 — 26 67 216 119 42 1 132 510 87 8 4 1 57 33 10 35 47 18 27 53 20 57 32 11 Waldhuf engebiet 85 7 3 — 28 123 64 27 8 — 28 127 30 32 5 — 15 82 10 15 4 — 19 48 189 81 20 — 90 380 90 7 3 65 27 8 45 48 7 34 51 15 65 28 7 Gróde k Jag. 2—1—1 4 3 11—3 8 2 5 1—1 9 1 7 6 4—5 22 Jaroslau 1 -2 3 — 1 1 2 14 1 6 2 2 4 4 5 6 15 Krosn o 8 5 13 6 1 3 10 4 3 . _ i 4 21 1 9 31 Kulików 1 2 2 12 3 6 1 3 5 S Landshu t 11 2 1 14 11 1 12 3 2 5 11 1 3 26 5 1 — 2 34 Mościska 3 4 7 2 2 1 5 2 1 — — 2 5 2 7 5 1—6 19 Pruchni k 3 1 4 5 2 7 1 1 8 1 4 13 l 5 2 2 6 1 3 4 2 — 1 3 18 3 6 — 8 3E Przemyś 16 — 1 — 2 1—3— r Przeworsk 17 • 4 21 11 4 2 17 3 2 1—1 7 __ 1 i 2 31 7 1 — 8 4 Sądowa Wisznia 1 — 3 2 5 — 3 3 e Sambo r 10 10 8 1 1 10 6 1 7 12 2 5 25 4 3 32 Szczerzec 1 — 2 2 4 1 . 3 3 e 63 übrige Orte 14 3 5 22 17 12 3 — 9 41 8 13 3 — 7 31 2 7 1—7 17 41 35 7 — 28 111 Übriges Kotreuße n 10 2 1 1 9 23 11 15 4 — 11 41 5 14 13 — 15 47 17 4—7 19 27 38 22 1 42 13C 72 14 7 7 37 50 13 16 44 40 9 58 33 31 43 25 1 Beùz 4 5 9 1 117—3 12 — 1 1 2 5 3 7—9 2« Busk 1 3 3 6 2 1 1 4 1 5 i 6 15 Drohobyc z 1 2 — 1 3 4 1—1 2 3 11—4 i Halic z 1 1 1 3 1 — 1 1 — 1 3 1 2 1—3 r Kolome a — 1 1 — 2 4 12 2 5 1 3 3—2 ( Żydaczó w 2 2 2 4 — 1 1 2 4 3 1 61 38 übrige Orte 2 1112 7 4 11 3 — 6 24 18 4—6 19 15 2—3 11 8 25 10 1 17 i

Ùuck 2 — 1 — 1 4 . _ l 1 1 . _ 1 1 1 1 — 2 2 12 2 1 8 5 übrige Orte .—. — 2 2 3—1 4 — 1 1 2 1 1 — 1 5— 3 9 Podolien 3 — 2 5 2 2 1—1 6 4 i 5 — 8 2 1—5 16 100 40 40 20 100 73 18 9 Kamienie c 3 — — — 1 4 2 2 1—1 6 4 1 5 . — — 8 2 1—4 15 1 übriger Ort •—• — 1 1 _ — — —. — — — — 1 1 Ftm. Smoleńsk _ 2 — 1' 3 — __—. — , — 2— l' 3 2 Orte 67 67 Russ. Fürstentmr. — 4 — —• — _ — 4 100 100 Moskau , 1 Ort _ _ 1 1 1. 1 t 3 3 — — 3_ _ 3 Kiev, 1 Or .—. — — __ — — 4 Kaffa/Krim _ 14 1 : 2 2 — — : __ 2 l 3 (genues.) 100 67 Neubürger mit unb estimmbarer Herkunftsangabe * 11 3 3 17 73 9 19 2 8 1—5 16 „_ 5 7 12 20 19 1— 24 64 ) 9 (51 Orte 78 22 70 30 5 18 73 9 100 50 48 2 Neubürger ohne 64 12 12 4 26' 118 37 31 12 5 16 101 30 50 35 815 138 8 23 10 5 7 53 139116 69 22 64« 410 Herkunftsangab e 69 13 13 4 42 35 13 6 24 40 28 6 17 50 22 11 40 33 19 6 7 2 Gesamtzahlen 343 50 17 5 131« 546 181 133 44 16 105 479 118148 57 8 721 403 37 63 21 6 62 189 679 394 139 35 370 " 1617 82 12 4 1,5 48 35 12 4 36 4417 2 29 50 16 5 54 31 U 3

1) darunte r 1 Jude 8) darunte r 1 Rumän e 2) darunte r 1 Griech e 9) darunte r 1 Griech e u. 1 Rumän e 3) darunte r 1 Litaue r 10) darunte r 1 Tchsech e u. 1 Jude 4) darunte r 1 Italiene r 11) darunte r 2 Litauer , 2 Tscheche n und 2 Juden 5) darunte r 1 Litauer , 1 Tschech e u. 1 Jude 12) darunte r 1 Rumäne , 1 Jude, 1 Tschech e 6) darunte r 1 Italiene r u. 1 Litaue r 13) darunte r 3 Juden , 3 Litauer , 2 Tschechen , 1 Italiener , 1 Ru- 7) darunte r 2 Juden , 2 Litauer , 1 Griech e u. 1 Tschech e mäne , 1 Grieche . *) Folgend e Orte konnte n nich t sicher identifizier t werden: Al- finiis Saxonie", Martinów , Newdadowa , Nova Grutka , Neudorf , den Laden , Balszky, Brzeszczyc, Buchczicz , Czacha , Czhemcz , Gey- Neustadt , Oszyel, Owen, Pithno , Relszicze, Ritwyani, Schczwecz , selfeldt, Goliczow , Freistadt , Górnik , Grabuschow , Grzebencza , Schlotowa , Scolender , Slankow, Slecz, Solda, Stakoschoczicze , Coptry , Kopyenyecz , Koszwicz, Kraszyna, Krzymylow, Labar, La- Sziramcze , Szlobycz, Szwiernik, Tesboyg (Zesboyg), Tropna , Tur- szyecz, Lińsko, Lisszonicze, Madrusch , „Margovi a oppidu m in con- gow, Wiszemerzicz, "Wola, Zolben , Zamborzycze , Zyelathow .

Herkunft u. Volkszugehörigkeit d. Lemberger Neubürger im 15. Jh. 529 die Jugend auch in deutsche r Sprach e zu unterrichten , und 1623 be- stätigte Köni g Siegmun d III . den Lemberger n ihr Patrona t über den deutsche n Prediger in der Domkirche . Zwischen 1650 und 1670 besaßen die Deutsche n an der Heilig-Geist-Kirch e zu Lember g noch ihre eigene Brüderschaft . Diese Reste des Deutschtum s werden jedoch nur noch von Neuein - wanderer n erhalte n worden sein; die alteingesessene n Deutsche n waren um 1600 gewiß alle polonisiert . Wie schnell auch die deutsche n Zuwan - derer dem Polentu m verfielen, zeigt der um 1610 eingewandert e Tuch - händle r Mathia s Hayder ; obwohl er des Polnische n nich t ganz mächti g war, führte er sein Schuldbuc h in polnische r Sprach e und setzte nur einen deutsche n Titel — „Schuldbuch " — voran.

Wanderwege von Lemberge r Neubürger n Festgestellt an Han d von doppelte n Herkunftsangabe n in den Bürgerlisten der Stadt Lemberg. Auf den vorletzten Wohnor t könne n verweisen: Empfeh - lungsschreibe n (E), Geburtsor t (G ) oder Familiennam e (N) .

1) 1405—1426. Alzen (nö. Bielitz) (N ) — Bielitz. „ (N ) —• Przeworsk. Beuthe n (N ) — Żarnó w (nw. Kielce) . Böhme n (N ) — Breslau. Breslau (G ) — Krakau . Bretmannsdor f (Osiek) (so. Auschwitz) (N ) — Mościska (w. Lemberg) . Friedlan d (nw. Glatz ) (N ) — Breslau. Fröbe l (so. Ober-Glogau ) (G ) — Ober-Glogau . Glat z (N ) — Ober-Glogau . „ (N ) —Tyczyn (nö. Krosno) . Gleiwitz (N ) — Landshu t in Rotreuße n (zweimal) . „ (N ) — Sambor . Görlit z (G ) — Przeworsk. Guttenta g i. OS. (G ) — Oppeln . Jägerndor f i. östl. Sudetengebie t (N ) — Kazimier z bei Krakau . Kaade n (Böhmen ) (N ) — Breslau. Kant h (sw. Breslau) (N ) — Breslau. Krakau (N ) — Breslau. Müglina u (n. Mähr.-Ostrau ) (G ) — Teschen . Münsterber g (E) — Krakau . Nimptsc h (Schi. ) (N ) — Żydaczó w (s. Lemberg) . Nowa Wieś (ma. Foytisdorff , n. Kęty) (G ) — Auschwitz. Ober-Gloga u (N ) — Lelów (n. Olkusz). Pleß (N ) — Halicz . Przemyśl (E) — Glinian y (ö. Lemberg) . Reichena u (s. Görlitz ) (N ) — Görlitz . Sichów (s. Lemberg) (N ) — Halicz . Staud e (so. Sohra u i. OS.) (G ) — Sohra u i. OS. Stephansdor f (nw. Neisse) (G ) — Neisse. 34 530 Hugo Weczerka

Thor n (N ) — Krakau . Troppa u (E) — Zaudit z (nö. Troppau ) — Kranowit z (nö. Troppau) . Wrock (nö. Thorn ) (G ) — Thorn .

2) 1461—1480. Alzen (N ) — Przeworsk. Drohobyc z (E) — Szczerzec (sw. Lemberg) . Grottka u (N ) — Turobin . Halic z (E) — Żydaczó w (s. Lemberg) . Jaktoró w (so. Lemberg) (G ) — Bobrka (so. Lemberg) . Janowic e (b. Wieliczka) (G ) — Wieliczka (so. Krakau) . Kulików (n. Lemberg) (N ) — Gróde k (w. Lemberg) . Lauban (N ) — Sagan. Lünebur g (N ) — Frankfur t (Oder?) . Münsterber g (N ) — Landshu t in Rotreußen . Nowosiedlc e (w. Przeworsk) (G ) — Przeworsk. Przemyśl (E) — Jaroslau . Saybusch (N ) — Trzciann a (w. Rzeszów). Szynwaùd (bei Pilzno i. Kl. Polen ) (G ) — Tarnów . „ (N ) — Żydaczów. Steyr (Österreich ) (N ) — Biecz (Kl. Polen) . Teschen (N ) — Pruchni k in Rotreußen . Uherc e Zapùat, (s. Sambor ) (G ) — Sambor . Wilna (G ) — Brest-Litowsk . Kriewald (s. Gleiwitz , ma. Grünwald ) (N ) — Krotoszyn (s. Lemberg) .

3) 1481—1500. Böhme n (N ) — Grottka u i. OS. Klimontó w (n. Tarnów ) (N ) — Przemyśl. Kosel (N ) — Auschwitz. Meiße n (N ) — Rymanó w (s. Krosno) . Münsterber g (N ) — Troppau . „ (N ) — Przeworsk.

4) 1501—1514. Blonje (s. Warschau ) (G ) — Grodzis k (s. Warschau) . Goldenstei n (N ) — Freiber g (Mähren) . Königsdor f (n. Leobschütz ) (G ) — Leobschütz . Namsla u (N ) — Lublinitz .