Das Wissenschaftsmagazin Forschung

■ Erwerbstätige Mütter – Die Managerinnen von morgen?

] ■ Pflegeversicherung – Noch ist häusliche Pflege Familiensache

■ Zentralafrika – ISSN 0175-0992 Wie alt ist der Regenwald? ][ ■ Kontinentalverschiebung –

3,50 Euro Die vereinigten Platten von Europa ] [ ■ Universitätsgeschichte: Warum 2002 Einstein doch nicht nach Frankfurt kam ][ Geowissenschaften 20. Jahrgang [ 2002 –2. 1

Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

mit Reformwillen in die Zu- in den Namenszug der Uni- In enger Kooperation mit kunft – die Johann Wolfgang versität; der Verzicht auf den den Autorinnen und Autoren Goethe-Universität ist im Rahmen um den Goethe-Kopf bemüht sich die Redaktion, Aufbruch, die Indizien dafür macht den weltoffenen Geist komplexe Forschungsthemen sind vielfältig: Die erste der Universität augenfällig. anschaulich und verständ- Stufe des Hochschulentwick- Dieses neue Logo soll in Zu- lich darzustellen. Dazu trägt lungsplans wurde im Herbst kunft unsere gemeinsame die neue, optisch klare Ge- mit breiter Mehrheit des Se- Visitenkarte darstellen. staltung des Magazins und nats verabschiedet. Schwer- Ebenso präsentiert sich das die grafische Aufbereitung Prof Dr. Rudolf punktbildung auf der Basis Wissenschaftsmagazin For- wissenschaftlicher Zusam- Steinberg eines umfassenden Fächer- schung Frankfurt grafisch menhänge bei. Forschung spektrums ist ein wichtiger wie inhaltlich mit einem Frankfurt hebt sich bewusst Eckpfeiler des umfangrei- neuen Konzept. Neben den von Fachzeitschriften ab. chen Reformwerkes. Unser bewährten umfassenden Bei- Den Fachjargon – im Ge- erklärtes Ziel ist es, die in- trägen, in denen Frankfurter spräch der Fachwissen- ternationale Wettbewerbs- Wissenschaftlerinnen und schaftler unverzichtbares fähigkeit unserer Universität Wissenschaftler über die Er- Instrument – wollen wir auf in Forschung und Lehre gebnisse ihrer Forschung ein notwendiges Minimum nachhaltig zu steigern. berichten (»Forschung in- beschränken. Das gelingt tensiv«), möchten wir Sie, auch den meisten Wissen- Gleichzeitig sind in den ver- liebe Leserinnen und Leser, schaftlerinnen und Wissen- gangenen Wochen die Wei- im Nachrichtenteil knapp schaftlern, und viele ma- chen für die Universität an über wichtige Entwicklungen chen dabei eine verblüffen- drei Standorten gestellt wor- an unserer Universität infor- de Erfahrung: Eine allge- den. Der Aufbruch zu neuen mieren. »Forschung aktuell« mein verständliche Sprache Ufern hat auf dem Campus nennen wir die kürzeren Bei- ist mehr als bloße Über- Westend bereits begonnen: träge, die Ihnen einen setzung, sie deckt auch Mit dem Kauf weiterer zehn schnellen Überblick über Lücken und übergreifende Hektar des ehemaligen IG einzelne Forschungsprojekte Zusammenhänge auf, die in Farben-Geländes durch das ermöglichen. So zeigen bei- der definierten Enge der Land Hessen sind die Vor- spielsweise drei Kurzberich- Fachsprache nur zu leicht aussetzungen für den Umzug te, welche konkreten Ant- übersehen werden. Damit von Bockenheim auf den worten unsere Wissenschaft- leistet das Wissenschafts- Campus Westend für die lerinnen und Wissenschaft- magazin seinen Beitrag, den Geistes- und Sozialwissen- ler aus ihren aktuellen Pro- Dialog über die Disziplinen schaften sowie die Rechts- jekten zu »PISA und den hinaus und zwischen Univer- wissenschaft und die Wirt- Folgen« geben können. sität und Gesellschaft anzu- schaftswissenschaften ge- stoßen. schaffen. Der Neubau der In welche Richtung werden Physik auf dem naturwissen- sich einzelne Fächer, For- Lassen Sie sich von der schaftlichen Campus Ried- schungsschwerpunkte, aber Lektüre der unterschiedli- berg kann nach Abschluss auch das Zusammenspiel der chen Beiträge dazu anregen, des Architekturwettbewerbs Disziplinen und die Koope- sich auch weiter über das nun zügig beginnen. Auf ration mit der Industrie ent- Innovationspotenzial unser dem Campus Niederrad, dem wickeln? Unter »Perspekti- Universität zu informieren – Universitätsklinikum, sind ven« werden wir darüber be- und informiert zu werden. die Umbau- und Erweite- richten. Pro Jahr veröffentli- rungsmaßnahmen bereits in chen unsere Forscherinnen Ihr vollem Gange. und Forscher fast 300 neue Bücher; einige davon, die Unser Reformwille dokumen- auch für ein breites Publi- tiert sich auch im äußeren kum von Interesse sind, wer- Erscheinungsbild der Johann den wir unter »Gute Bücher« Wolfgang Goethe-Universität: kurz vorstellen; darüber hin- Der in den siebziger Jahren aus wählen wir populär- von dem bekannten Schwei- wissenschaftliche Bücher zer Grafiker Adrian Frutiger von Fremdautoren für Sie Prof. Dr. Rudolf Steinberg entworfene Kopf des jungen aus, die von unseren Wissen- Präsident der Goethe integriert sich jetzt schaftlern rezensiert werden. Johann Wolfgang Goethe-Universität

Forschung Frankfurt 1–2/2002 1 Inhalt 8 Nachrichten Erwerbstätige Mütter – die

4 Auf dem Weg zur Managerinnen von morgen? »Drei-Campus-Universität« Viele hochqualifizierte Frauen ent- 5 Erste M-Commerce-Professur scheiden sich heute gegen eigene in Deutschland Kinder oder verschieben ihren Kin- derwunsch zeitlich nach hinten. Sie 6 Enzym aus Tintenfisch reagieren mit ihrem Verhalten auf entgiftet Kampfstoffe gesellschaftliche Bedingungen, die die Vereinbarkeit von beruflichem Erfolg und Mutterschaft nahezu Forschung intensiv ausschließen. Dr. Isolde Ludwig und Vanessa Schlevogt berichten von Mütter 8Erwerbstätige Mütter – Frauen im Spannungsfeld zwischen im Beruf die Managerinnen von morgen? Beruf und Familie.

Pflege- 14 Noch ist häusliche Pflege versicherung Familiensache

Zentralafrika 22 Wie alt ist der Regenwald?

Kontinental- 30 Die vereinigten Platten von verschiebung Europa: Das Puzzlespiel der kontinentalen Erdkruste 14 Universitäts- 38 Warum Einstein doch nicht Pflegeversicherung: Noch ist geschichte nach Frankfurt kam häusliche Pflege Familiensache

Forschung aktuell Wer pflegt Angehörige zu Hause? Wie wer- den diese Personen entlohnt? Das For- 48 »Man liest und liest, schungsprojekt, betreut von Prof. Dr. Roland man kapiert nix...« – Eisen und Hans-Christian Mager, liefert Studie zum Leseverhalten Daten, die Aufschluss darüber geben, wie sich die Pflegeversicherung auf die häusliche 50 Lust auf Lektüre – Pflege auswirkt. Über 90 Prozent der Haupt- Ein didaktischer Service für pflegepersonen sind mit dem oder der Hilfs- den Literaturunterricht bedürftigen verwandt.

51 »Textdetektive« lösen ihre Fälle: Mit Strategie und Spaß

53 Gibt es das eigentlich »typisch männlich«? – 22 Rollenorientierung und Wie alt ist der männliche Hormone Regenwald? 55 Es ist nicht alles Gold, was glänzt – Neue Herausforderungen für Umwelt- die Verkaufsförderung geschichtliche 57 Informationssucher schlafen schlechter als Ablenker Forschungen im

59 Für den Ernstfall gerüstet – Kongobecken Tropenmedizinische Isoliereinheit fertig gestellt Welche Rolle spielt der Regenwald für das globale Klima und die Artenvielfalt der Erde 61 »Virtueller« Kampf gegen eine in Zukunft? Im Kongobecken Zentralafrikas verbreitete Frauenkrankheit ist der Geologe Prof. Dr. Jürgen Runge den Umweltverhältnissen während der letzten 62 Cholesterin: Schlecht für das Herz, 40 000 Jahre auf der Spur. Soviel vorweg: auch schlecht für den Geist? Den »ewigen« Regenwald gibt es nicht.

2 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Inhalt 48 »... man liest und liest, Perspektiven

man kapiert nix...« – Geist und Gesellschaft 66 PISA und die Folgen als Phänomene der Natur? Wie der Nobelpreisträger Stiglitz 70 die Frankfurter Betriebs- wirtschaftslehre beeinflusst hat

Neuorientierung der Chemie – 73 Mode oder mehr?

Innovectis – oder wie aus 76 In drei kürzeren Beiträgen geht es um PISA und die Folgen. Dr. Irene Pieper Inventionen Innovationen werden stellt eine Studie zum Leseverhalten von Hauptschulabsolventen vor. Lust auf Lektüre soll Schülern der Sekundarstufen im Deutschunterricht vermit- »cebis« – Know-how und 80 telt werden; Prof. Dr. Jakob Ossner liefert einen didaktischen Service für Wissenstransfer für die den Literaturunterricht, der frisch auf CD-Rom gepresst ist. Wie lassen sich Proteinforschung Texte leichter und besser verstehen? Ein Förderkonzept mit Lesestrategien beschreiben Judith Küppers und Dr. Elmar Souvignier. Phenion: Ein Biotechnologie- 81 Unternehmen von Henkel und der Universität 66 Geist und Mekka der Geowissenschaften: 82 Hessisches Geozentrum Gesellschaft an der Universität Frankfurt

als Phänomene Comeback von Arabidopsis: 83 der Natur? Internationales Forschungsnetzwerk Die modernen Naturwissenschaften, wie die Gute Bücher Kognitionswissenschaft, sind in den vergan- genen dreißig Jahren angetreten, um die in Pionier der Quantenphysik: 85 ihren Disziplinen etablierten Erklärungen Werner Heisenberg auf Geist und Gesellschaft anzuwenden. Wie gehen die Geistes- und Sozialwissenschaften Der Mönch im Garten: 86 mit diesem Trend zum Biologismus um? Gregor Mendel Alexander Becker und Thomas Kailer be- richten. Auf der Spur der 87 »Spanischen Grippe«

76 Von Cicero bis Windscheid – 88 Innovectis – 600 berühmte Juristen im Profil

oder wie aus Inventionen Auf Umwegen zu Förderern 89 Innovationen werden der Universität »Wer den Tätern nach dem 91 Es ist ein langer Weg, bis aus Ergebnissen der Munde redet...« – Deutsche Grundlagenforschung marktfähige Innovatio- Medizin im Dritten Reich nen werden. Die Firma Innovectis, das Toch- terunternehmen der Universität für Technolo- Der Duft der Verführung 92 giedienstleistungen, will Wissenschaftler auf diesem Weg unterstützen. Dazu ein Gespräch Vom Mann als Jäger und 93 mit dem Innovectis-Geschäftsführer, Dr. Otmar einsamen Genie – und Barbies, Schöller, und dem Aufsichtsratvorsitzenden die nicht rechnen des jungen Unternehmens, Prof. Dr. Heribert Offermanns. Vorschau

Vorschau 96

Impressum/Bildnachweis 96

Forschung Frankfurt 1–2/2002 3 Nachrichten Auf dem Weg zur »Drei-Campus-Universität«: 10 Hektar für Bauten im Westend

Die Zeichen für den Umzug der Goethe-Universität von Bocken- heim zum Campus Westend stehen gut: Der Bund hat bereits im De- zember 2001 weitere zehn Hektar des bis Mitte der neunziger Jahre von den Amerikanern genutzten IG Farben-Geländes an das Land Hes- sen verkauft. Damit ist die Entwick- lung zur »Drei-Campus-Universi- tät« (Westend, Riedberg, Niederrad) unumkehrbar und der Weg für die Planung neuer Gebäude hinter dem IG Hochhaus und dem Casino frei. schaften als auch für die Sozial- und umziehen, die im heutigen AfE- Campus Westend: Der Kaufpreis, der je zur Hälfte von Kulturwissenschaften neue, moder- Turm an der Senckenberganlage Ein Campus im Bund und Land aufgebracht wird, ne Gebäude errichtet werden sollen. untergebracht sind. Wenn alles nach Grünen beträgt 31 Millionen Euro. Etwa 28 000 Studierende werden Plan läuft, kann mit den Neubauten Noch in der ersten Hälfte dieses nach Abschluss der Verlagerung auf im Westend bereits 2004/ 2005 be- Jahres soll der städtebauliche Wett- dem neuen Campus Westend aus- gonnen werden. Dafür werden die bewerb für das Gesamtareal vom IG gebildet, gegenwärtig sind es bereits vorhandenen Gebäude wie Kino, Hochhaus bis zur Miquelallee begin- 8000. Rechenzentrum und Schule, die die nen, auf dem sowohl für die Rechts- Zunächst werden die Erziehungs- Amerikaner in den fünfziger Jahren wissenschaft und Wirtschaftswissen- und Gesellschaftswissenschaftler dort errichtet haben, abgerissen. ◆

Neubau der Physik auf Campus Riedberg

chen fünf Physik-Institute soll bis Mitte März 2005 abgewickelt sein: Das Institut für Kernphysik wird be- reits in der zweiten Jahreshälfte 2004 verlagert werden, da bis zum Jahreswechsel 2004/5 der Standort am Rebstockbad gemäß Kulturver- trag geräumt sein muss. Der dreigeschossige, teilweise im Hang liegende Neubau verfügt über 13 700 Quadratmeter Hauptnutz- fläche, zu der auch ein großer Hör- saal und die multifunktional zu nut- zende Experimentierhalle für die Großgeräte gehören. Die funktiona- le Verknüpfung zwischen Experi- mentierhalle und Hauptgebäude, die über zwei Ebenen verläuft, schien der Jury vom Büro »Broghammer Jana Wolleben« besonders vorteil- haft gelöst. Diese Bauweise soll Kommunikation und Synergieeffek- Modell für den »Das Hauptgebäude ist einfach und ben«. Das Architekturbüro aus Zim- te in der Forschung fördern und zu dreigeschossigen klar gegliedert und ermöglicht eine mern machte das Rennen im Wettstreit einer wirtschaftlichen Nutzung bei- Neubau der gute Orientierbarkeit. Kurze Wege- mit 44 anderen Bewerbern, inzwischen tragen. 60 Millionen Euro betragen Physik vom Büro längen und häufige Kreuzungs- wurde ihnen der Auftrag für den Neu- die Baukosten, 10 Millionen Euro »Broghammer punkte ermöglichen gute Kommu- bau der Physik erteilt. Ende dieses sind für Ausstattung vorgesehen. Jana Wolleben«, Zimmern. nikation«, so das einhellig positive Jahres soll der erste Spatenstich erfol- Die Kosten werden von Bund und Votum der Jury für den Entwurf des gen. Der Gesamtumzug der noch an Land zu gleichen Teilen getragen. ◆ Büros »Broghammer Jana Wolle- verschiedenen Standorten befindli-

4 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Nachrichten Erste M-Commerce-Professur in Deutschland

Als erste und bislang einzige Hoch- Forschungsschwerpunkte sind: Mo- würdigte Prof. Rudolf Steinberg, schule in Deutschland bietet die bile Anwendungen und mehrseitige Präsident der Universität Frankfurt, Johann Wolfgang Goethe-Univer- Sicherheit, etwa bei M-Business und die Einrichtung der Stiftungsprofes- sität zu Beginn des Sommersemes- M-Payment, Kommunikationsinfra- sur Ende Januar. Ziel der Partner- ters eine Spezialisierung im Fachge- strukturen und -geräte, etwa Perso- schaft zwischen Hochschule und biet Mobile Commerce an. T-Mobile nal Security Assistants and Services, Unternehmen sei es, gemeinsam Deutschland unterstützt die neue sowie anwendungsorientierte IT-Si- die Trends im Mobilfunk frühzeitig Professur finanziell und mit fachli- cherheitsevaluation und -zertifizie- auszuloten und Möglichkeiten auf- chem Knowhow: Im Rahmen der rung. zuzeigen, diese Trends in Wachs- Stiftungsprofessur werden die tech- Die Kooperation schaffe die Basis tumsstrategien zu verwandeln, so nische Grundausstattung sowie über für die wissenschaftliche Erprobung Steffen Roehn, Geschäftsführer einen Zeitraum von fünf Jahren die wirtschaftlicher Elemente zukunfts- Entwicklung bei T-Mobile Deutsch- Stellen für drei wissenschaftliche weisender Mobilfunktechnologien, land. ◆ Mitarbeiter der neuen Professur und zugehörige Sachmittel geför- dert. Außerdem wird T-Mobile Dok- toranden- und Diplomandenplätze Kovalevskaja-Preisträgerin 2002 für Studierende des Fachgebietes zur Verfügung stellen. Dr. Kai Rannenberg hat den Ruf forscht an der Universität Frankfurt auf die T-Mobile-Stiftungsprofessur für M-Commerce erhalten und be- Die 33-jährige Biologin Dr. Anne Bouloumié ist das Institut für Kar- ginnt im Sommersemester. Zuvor Bouloumié wurde mit dem dies- diovaskuläre Physiologie am Uni- war er bei Microsoft Research in jährigen Sofja Kovalevskaja-Preis versitätsklinikum, das von Prof. Dr. Cambridge (Großbritannien) als Re- der Alexander von Humboldt-Stif- Rudi Busse geleitet wird. searcher verantwortlich für den Be- tung ausgezeichnet. Die Preisträge- Die Französin beschäftigt sich mit reich »Personal Security Devices rin erhält von 2002 bis 2004 insge- Wachstumsprozessen des menschli- and Privacy Technologies« und in samt 750 000 Euro, um eine eigene chen Fettgewebes, das einen wichti- dieser Zeit von einer Hochschulassi- Nachwuchsgruppe an einer deut- gen Energiespeicher des Körpers stentenstelle an der Universität Frei- schen Forschungseinrichtung auf- darstellt. Zu viel Fettmasse, wie sie burg beurlaubt. Seine aktuellen zubauen. Gastinstitution für Anne zum Beispiel bei extrem überge- wichtigen Menschen (Adipositas) angetroffen wird, kann zur Ausbil- Frankfurter Hochschullehrer schlagen Alarm: dung von Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Europäisches Strafrecht wird ohne Beteiligung Krebs und zu Störungen der Repro- der Bürger entwickelt duktionsfähigkeit führen. Adipositas wurde von der Weltgesundheitsor- Rechtswissenschaftler der Univer- Nach Ansicht der im »Forum zur ganisation WHO als weltweite Epi- sität Frankfurt haben in der jüng- Entwicklung rechtsstaatlicher demie eingestuft. Bouloumié unter- sten Ausgabe der Kritischen Viertel- Grundlagen europäischen Straf- sucht, wie die Zellen, aus denen das jahresschrift für Gesetzgebung und rechts« zusammengeschlossenen Gefäßsystem der menschlichen Fett- Rechtswissenschaft (KritV, 84. Jahr- Frankfurter Hochschullehrer Prof. masse gebildet wird, zum Wachstum gang, Heft 3, 2001, S. 265 – 348) Dr. Peter-Alexis Albrecht, Dr. Stefan angeregt werden. Ziel des Projektes den Gesetzgebungsprozess in der Braum, Prof. Dr. Günter Franken- ist es herauszufinden, ob eine Re- Europäischen Union scharf kriti- berg, Prof. Dr. Klaus Günther, Prof. duktion der Blutgefäßbildung einen siert. Diese in juristischen Kreisen Dr. Wolfgang Naucke und Prof. Dr. neuen Therapieansatz zur Behand- anerkannte kritische Fachzeitschrift Spiros Simitis schützt die Europäi- lung von Adipositas darstellen wird von Frankfurter Rechtslehrern sche Union derzeit ausschließlich könnte. Die Pharmakologin ist eine und Richtern des Bundesverfas- ihre finanziellen Interessen, ihre von 29 ausländischen Nachwuchs- sungsgerichtes herausgegeben. In Subventionen, ihr Geld mit Hilfe wissenschaftlern und -wissenschaft- elf Thesen fordern die Professoren fraglicher Rechtsnormen, denen das lerinnen, die mit dem vom Bundes- die Beachtung demokratisch-rechts- demokratische Fundament fehlt. ministerium für Bildung und For- staatlicher Prinzipien und Men- »Es mangelt auch an wirksamem schung im Rahmen des Zukunftsin- schenrechte bei der Entwicklung ei- Rechtsschutz des Bürgers, weil eine vestitionsprogrammes der Bundes- nes europäischen Strafrechts. Damit Gerichtsbarkeit fehlt, die die Straf- regierung gestifteten Preis gewür- wollen sie eine europaweite Debatte verfolgung zügelt und kontrolliert«, digt wurden. Die Wissenschaftlerin über die Grundlagen eines europäi- sagt Prof. Dr. Peter-Alexis Albrecht und ihre Kollegen teilen sich insge- schen Strafrechts anregen. stellvertretend für das Forum. ◆ samt 21,5 Millionen Euro. ◆

Forschung Frankfurt 1–2/2002 5 Nachrichten Enzym aus Tintenfisch entgiftet chemische Kampfstoffe

Die toxische Wirkung von organi- möglichen. Als Prototyp der Orga- schen Phosphorverbindungen ist nophosphate gilt Diisopropylfluoro- groß. Zu dieser Verbindungsklasse phosphat (DFP). gehören viele Pflanzenschutzmittel, Doch die Natur hat für wirksa- Insektizide und chemische Kampf- men Schutz gesorgt: Bereits in den stoffe, darunter das am 20.3.1995 vierziger Jahren entdeckten Wissen- bei dem Giftgasanschlag in der schaftler im Blutplasma und Gewe- U-Bahn von Tokio verwendete Ner- be von Kaninchen ein Enzym, das vengas Sarin. Organophosphate DFP entgiften kann, die so genannte wirken, indem sie bestimmte Ami- DFPase (Diisopropylfluorophospha- nosäuren (Serinreste) im aktiven tase). Inzwischen ist dieses Enzym Zentrum von katalytisch aktiven auch im Gewebe und im Serum des Proteinen hemmen. Dies hat zu- Menschen und zahlreicher Säuge- meist verheerende Folgen für den tiere wie Maus, Ratte und Schwein, Organismus, da Enzyme häufig es- aber auch bei Mollusken, Vögeln sentielle chemische Reaktionen im und sogar in einigen Pflanzenarten Organismus unterstützen bzw. er- nachgewiesen. Es kommt allerdings nur in winzigen Mengen vor. Mit Hartnäckigkeit, Akribie und einer gehörigen Portion Leidens- fähigkeit gelang es Prof. Dr. Heinz Craig Venter erhält Rüterjans und seinen Mitarbeitern vom Institut für Biophysikalische den Paul Ehrlich und Chemie und Biochemie, die DFPase aus bestimmten Nervenzellen, den Ludwig Darmstaedter-Preis 2002 Kopfganglien, des Tintenfisches Lo- ligo vulgaris zu isolieren. Denn um Der Biochemiker Dr. veröffentlichten 1995 – als weltweit die für Proteinchemiker immense J. Craig Venter aus Rock- erste – die Genomsequenz eines »Menge« von wenigen Mikro- ville in Maryland, USA, kompletten Organismus, des Bakte- gramm des Enzyms reinigen zu wurde mit dem Paul Ehr- riums Haemophilus influenzae. Da- können, verarbeiteten Heinz Rüter- lich und Ludwig Darmsta- nach sequenzierten sie die Genome jans und seine Mitarbeiter zentner- edter-Preis 2002 ausge- einiger der wichtigsten Pathogene weise Tintenfischköpfe. Das Enzym zeichnet. Die Preisverlei- des Menschen und im März 2000, ist in der Lage, chemische Kampf- hung fand wie jedes Jahr in Zusammenarbeit mit den Wissen- stoffe vom Typ der Organofluor- an Paul Ehrlichs Geburts- schaftlern des Berkeley Drosophila phosphate und Organophosphonate tag, dem 14. März, in der Genomprojekts, das komplette zu entgiften. Frankfurter Paulskirche Genom der Fruchtfliege Drosophila Weshalb der Tintenfisch Loligo statt. Venter erhielt den melanogaster; es enthält fast 14 000 vulgaris im Laufe der Evolution ein mit 120 000 Mark dotier- Gene. dermaßen aktives Enzym gegen Or- ten Preis für »die Ent- Kurz danach gelang es Venter ganophosphate entwickelte und deckung und die Etablie- und seinen Mitarbeitern, die Se- welche natürliche Funktion das En- rung der automatisierten quenzierung des menschlichen Ge- zym beim Tintenfisch erfüllt, ist zur- Sequenzierung von cDNA-Biblio- noms zu vervollständigen. Die Ent- zeit allerdings noch völlig unklar. theken und für die Sequenzierung schlüsselung des menschlichen Ge- Inzwischen ist die DFPase patentiert von verschiedenen Organismen – noms – es umfasst rund drei Milliar- und auch kommerziell zum Selbst- von kleinsten Mikroben bis zum den Bausteine – war parallel von läufer geworden. Sie soll zum Menschen«, begründete der wissen- der »Human Genome Organizati- Schutz vor terroristischen Anschlä- schaftliche Stiftungsrat der Paul on« (HUGO) vorangetrieben wor- gen Bestandteil von Dekontamina- Ehrlich-Stiftung. den, einem internationalen Wissen- tionslösungen und dem Feuerlösch- Craig Venter und seine Kollegen schaftlerkonsortium, das im Gegen- schaum werden. ◆ nutzten die Methode der automati- satz zu Venters Forschungsaktivitä- sierten randomisierten cDNA-Se- ten mit öffentlichen Geldern geför- quenzierung für die schnelle Genom- dert wird und seine Datenbank öf- analyse. Darüber hinaus entwickel- fentlich zugänglich macht; auch ten die Wissenschaftler Verfahren Craig Venter hat sie genutzt. Beide und Programme zur Verarbeitung Gruppen publizierten ihre Ergebnis- der dabei anfallenden riesigen Da- se zeitgleich in verschiedenen Fach- tenmengen. Venter und sein Team zeitschriften im Februar 2001. ◆

6 Forschung Frankfurt 1–2/2002 WERBUNG

Forschung Frankfurt 1–2/2002 7 Forschung intensiv Erwerbstätige Mütter – die Managerinnen von morgen? Stressresistenz ist ein Muss

von Isolde Ludwig und Vanessa Schlevogt

Viele hochqualifizierte Frauen entscheiden sich heute gegen eigene Kinder oder ver- schieben ihren Kinderwunsch zeitlich nach hinten. Sie reagieren mit ihrem Verhalten auf gesellschaftliche Bedingungen, die die Vereinbarkeit von beruflichem Erfolg und Mutterschaft nahezu ausschließen. Die Ursache dafür liegt vor allem darin, dass Mütter nach wie vor den größten Teil der unbezahlten Arbeit in Haushalt und Familie erledigen. Die Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern erfordert ein hohes Maß an Managementfähig- keiten. Diese Lebensform ist gleichzeitig für die Frauen mit vielen Nachteilen verbunden.

ie Diskussion um die Gegenwart und Zukunft kunftsbranchen. Die Frage der Rollenverteilung zwi- der Familie steht auf der politischen Agenda schen Frauen und Männern wird in diesem Zusammen- Dweit oben. So werden derzeit zahlreiche Schritte hang neu gestellt. Männer sollen ermutigt werden, Fa- unternommen, um Familien finanziell und ideell zu un- milienaufgaben zu übernehmen. Das Bundesministeri- terstützen: durch höheres Kindergeld, steuerliche Entla- um für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat aus stungen, die Neuregelung der Teilzeitarbeit oder die diesem Grund eine bundesweit angelegte Kampagne Neuordnung von Elternzeit und Erziehungsgeld. Auslö- »Mehr Spielraum für Väter« gestartet, um Männer an- ser für diese Maßnahmen sind zwei gesellschaftliche zuregen, Familienarbeiten zu übernehmen. In der Rea- Entwicklungen: der Geburtenrückgang und der Mangel lität ist der »neue Vater« jedoch noch eine Rarität, dies an qualifizierten Arbeitskräften in bestimmten Zu- belegen unsere empirischen Untersuchungen in West-

8 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Mütter im Beruf und Ostdeutschland (»Erwerbstätige Mütter im Span- Frankfurt gab es 1998 (neben einer Ganztags-Grund- nungsfeld zwischen Sozialpolitik und sozialer Praxis«, schule) an einigen staatlichen Grundschulen feste Öff- Seite 11). nungszeiten, an anderen Grundschulen unterschiedli- Erwerbstätige Mütter sind in der bundesdeutschen che Betreuungsangebote (7.30 bis 13.30 beziehungswei- Gesellschaft bei weitem keine Ausnahme mehr. Die se 15 Uhr). Teilweise wird in den Einrichtungen eine Frauenerwerbstätigkeit ist in den zurückliegenden Jahr- Mittagsmahlzeit angeboten. Die Umsetzung von neuen zehnten kontinuierlich angestiegen. Jedoch sind Frauen Schulmodellen hängt jedoch häufig sehr stark vom En- mit Kindern unter 16 Jahren in der Mehrzahl als Teil- gagement der Eltern ab und wird auf Grund mangeln- zeitbeschäftigte tätig. Familien, bei denen beide Eltern- der finanzieller, räumlicher und personeller Ausstattung teile vollerwerbstätig sind, betragen 1997 in West- oft als »Provisorium« kritisiert. Seit dem hessischen Re- deutschland lediglich 15 Prozent aller Haushalte. In Ost- gierungswechsel 1999 wird von der »Halbtagsschule mit deutschland ist der Anteil mit 45 Prozent um einiges verlässlichen Öffnungszeiten« gesprochen (8 bis 12 höher, allerdings sind die Zahlen tendenziell sinkend /1/. Uhr). Fast 70,4 Prozent aller westdeutschen und 76,3 Warum das so ist und wie es die Gruppe von vollzeiter- Prozent aller ostdeutschen Mütter halten die Betreuung werbstätigen Mütter überhaupt schafft, Familie und durch die Schule bei Unterrichtsausfall für einen zentra- Beruf zu vereinbaren, soll durch die Ergebnisse der Stu- len Punkt zur besseren Vereinbarkeit von Familie und die verdeutlicht werden. Beruf /2/. Bei der Bewältigung ihres Alltages nutzen die er- In den neuen Bundesländern ist die außerfamiliäre werbstätigen Mütter unterschiedliche Strategien, um Kinderbetreuung insgesamt homogener organisiert. Zu- die anfallenden Arbeiten zu bewältigen: Sie nehmen so- mindest bei berufstätigen Paaren besuchen Kinder bis zialstaatliche Leistungen in Anspruch (schwerpunkt- zum 10. Lebensjahr in der Regel eine Krippe, einen Kin- mäßig Kinderbetreuung), bilden soziale Netze, binden dergarten und anschließend einen Schulhort. Häufig den Partner bei der Haus- und Familienarbeit stark ein, sind alle drei Einrichtungen in einer Kindertagesstätte gestalten ihre Arbeitszeit flexibel und/oder nutzen pri- zusammengefasst, die in Leipzig zum Beispiel in der vate Dienstleistungen. Regel von 6 bis 17 Uhr geöffnet hat. In Frankfurt gibt es ein breites Spektrum an Betreuungsmodellen und Not- Ganztägige Kinderbetreuung lösungen, wobei familiäre Netzwerke und private ist Mangelware in Westdeutschland Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielen.

Gerade bei Familien, in denen beide Elternteile ganztä- Soziale Netze im Alltag gig berufstätig sind, spielt die Nutzung institutioneller erwerbstätiger Mütter Kinderbetreuung eine wichtige Rolle. Hier lassen sich große Unterschiede zwischen den neuen und alten In unserer Studie wurde deutlich, dass im Alltag er- Bundesländern feststellen. Seit Januar 1996 hat jedes werbstätiger Mütter die vielfältigen unbezahlten Unter- Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr an einen stützungsleistungen durch Verwandte, Freundinnen, Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Den Kom- Nachbarinnen und Kolleginnen einen wichtigen Platz munen obliegt dabei die Gesamtverantwortung für Pla- einnehmen. Hilfe wird sowohl bei der Kinderbetreuung nung, Bau und Betrieb der Einrichtungen. Während in als auch bei der täglichen Hausarbeit geleistet. In der Frankfurt am Main die Suche nach Ganztagsplätzen Regel sind es Frauen, die sich gegenseitig unterstützen. sehr beschwerlich ist, betrug die Kapazitätsauslastung Bei der Mehrzahl der befragten Frauen beschränken der Leipziger Kindertagesstätten in kommunaler und sich die Helfenden auf wenige Personen, dazu zählt freier Trägerschaft 1998 weniger als 79 Prozent. Von den meistens die eigene Mutter oder Schwiegermutter. Auf- Interviewpartnerinnen in Leipzig ließ jede der befragten fällig ist, dass nach wie vor die Familie die wichtigste Mütter ihre Kinder in einer Einrichtung betreuen: Zwei Quelle unbezahlter Unterstützung bildet. Insbesondere Drittel der Kinder besuchten in den drei ersten Lebens- Frauen mit geringem Einkommen sind besonders stark jahren eine Krippe, alle Kinder im Kindergartenalter auf familiäre Bindungen angewiesen. Nachbarschaft und im Grundschulalter wurden institutionell betreut. und Freundschaften spielen eher eine untergeordnete Im Gegensatz dazu steht die Situation in Frankfurt Rolle im Alltag der meisten Mütter: Selten werden sie am Main 1998/1999: Nur die Hälfte der befragten Frau- systematisch genutzt, eher vereinzelt oder in Notfällen. en ließ ihre Kinder im Alter bis drei Jahren in der Erst im Zusammenspiel der einzelnen Beziehungen und Obhut von anderen Personen: zwei Drittel dieser Kin- kleinen Hilfestellungen, die oft kaum erwähnenswert der wurden von Tagesmüttern, Aupairs und Großmüt- erscheinen, entsteht ein breites Unterstützungssystem. tern betreut, ein Drittel war in einer institutionellen Allerdings verfügen wenige der von uns befragten Einrichtung untergebracht. Insgesamt besuchte nur ein Frauen über ein dichtes Netz von unterschiedlich star- Viertel aller Kinder der Befragten in Frankfurt eine ken Beziehungen: Da gibt es die Nachbarin, die den ganztägige Krippe. Im Kindergartenalter gibt es die ge- Sohn zum Sportunterricht bringt, die Schwägerin, die ringsten Unterschiede in Ost- und Westdeutschland. am Wochenende einen Ausflug mit der Tochter macht und die Großeltern, die die Kinder in den Schulferien »Bei der Schule fangen zu sich nehmen. Frauen, die sich so breit vernetzen, ver- die Probleme an« fügen meist über ein hohes Maß an »sozialem Kapital«, das heißt, sie sind in der Regel gut gebildet und selbst In Deutschland existieren, im Unterschied zu anderen sozial engagiert. Überdurchschnittlich häufig sind sie in europäischen Ländern, kaum staatliche Ganztagsschu- sozialen Berufen tätig. Die soziale Vernetzung erwies len. Der morgendliche Unterricht findet, insbesondere sich zudem als eher westdeutsches Phänomen. Frauen in den ersten Schuljahren, nur unregelmäßig statt. In aus Ostdeutschland sind auf Grund der sozialstaatlichen

Forschung Frankfurt 1–2/2002 9 Forschung intensiv

und kulturellen Tradition, durch die die Vereinbarkeit oder niedrigen Bildungsgrad haben, ob sie in Frankfurt von Vollerwerbstätigkeit und Familie massiv gefördert oder Leipzig leben, die Hauptlast der Familien- und wurde, weniger auf die Unterstützung durch Eltern und Hausarbeit liegt auf den Schultern der Mütter, selbst Freunde angewiesen. wenn diese 40 Stunden und mehr erwerbstätig sind. Auch an der Form der Arbeitsteilung zeichnet sich kein Die Rolle des Partners bei Wandel ab, die Frauen wirken mehr im Innenbereich, der Haus- und Fürsorgearbeit das heißt, sie halten die Wohnung sauber und waschen die Wäsche, während ihre Partner die Tätigkeiten außer- An der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Haus- halb des Hauses wie Garten- und Autopflege oder den halt und Familie hat sich trotz steigender Erwerbsbetei- Großeinkauf übernehmen. Dennoch ließen sich auch ligung der Frauen nur graduell etwas geändert. Ob Abweichungen von der allgemeinen Tendenz feststel- Frauen wenig oder viel verdienen, ob sie einen hohen len. Sowohl in Frankfurt als auch in Leipzig gibt es ein- zelne Paare, die eine annähernd egalitäre Arbeitsteilung verwirklicht haben. In diesen Fällen haben die Frauen einen höheren Verdienst, einen höheren Bildungsstand und eine längere Arbeitszeit als ihre Partner. Außerdem Die Autoren ist für sie eine partnerschaftliche Arbeitsteilung bei der Haus- und Erziehungsarbeit ein wichtiges Ideal im schung. Nebenberuflich ist sie als Re- Leben. ferentin für Erwachsenenbildung, unter anderem beim DGB-Bildungswerk Hes- sen, tätig. Pendeln zwischen Familie und Beruf

Vanessa Schlevogt, 33, studierte von Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Gruppe 1988 bis 1997 Politische Wissenschaf- von Frauen, die einer vollzeitnahen Beschäftigung ten, Soziologie und Anglistik an der nachgeht. Viele arbeiten zwischen 30 und 35 Stunden, Goethe-Universität. Nach Abschluss haben Gleitzeit, erledigen einen Teil ihrer Arbeit zu ihres Studiums arbeitete sie bis 1998 Hause oder gehen einer Schicht- oder Wochenendarbeit Dr. Isolde Ludwig, 45, (rechts) hat zu- als Wissenschaftliche Hilfskraft am nach. Ihre gleichzeitige Orientierung auf Familie und nächst eine Berufsausbildung als Buch- Cornelia Goethe Centrum für Frauen- binderin absolviert. Von 1987 bis 1997 studien und der Erforschung der Ge- Beruf macht die Frauen zu »Grenzgängerinnen zwi- /3/ studierte sie Politikwissenschaft, Soziolo- schlechterverhältnisse, danach als schen Produktions- und Reproduktionsbereich« . Sie gie und Erwachsenenbildung an der Wissenschaftliche Mitarbeiterin im stehen unter starkem zeitlichen Druck und müssen ein Goethe-Universität. Ihr Studium beendete Rahmen eines sozialpolitischen For- individuelles Arrangement finden, um die vielfältigen sie mit einer Dissertation über gewerk- schungsprojekts am Institut für Erwartungen an sie und ihre persönlichen Interessen in schaftliche und feministische Bildungs- Sozialforschung. Seit 2001 ist sie beiden Sphären in ein erträgliches Gleichgewicht zu konzepte, die von der Hans-Böckler-Stif- als wissenschaftliche Mitarbeiterin bringen. Oftmals sind diese Arrangements hart er- tung gefördert wurde. Isolde Ludwig ar- am Institut für Sozialarbeit und beitet seit 1997 als Wissenschaftliche Sozialpädagogik Frankfurt am Main kämpft. In vielen Fällen wird die Erwerbsarbeit unter- Mitarbeiterin am Institut für Sozialfor- beschäftigt. brochen durch Phasen, in denen die Frauen Familien- oder Hausarbeiten erledigen. An den Arbeitszeitwün-

10 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Mütter im Beruf schen und Arbeitszeitrealitäten von Frauen wird aber auch die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung inner- Erwerbstätige Mütter im Spannungsfeld halb der Gesellschaft deutlich. So berichteten die Frauen zwischen Sozialpolitik und sozialer Praxis über die Nachteile, die sich für sie im Hinblick auf ihre Der Beitrag stützt sich auf Ergeb- und Vanessa Schlevogt sowie als berufliche Laufbahn ergeben, etwa die Schwierigkeit, in nisse aus der Studie »Erwerbstäti- Kooperationspartnerin Dr. Ute eine Führungsposition zu gelangen. ge Mütter im Spannungsfeld zwi- Klammer (Wirtschafts- und So- Für Frauen in Westdeutschland sind Teilzeitarbeit schen Sozialpolitik und sozialer zialwissenschaftliches Institut in sowie flexible und selbstständige Arbeitsformen bereits Praxis«. Die Daten wurden in der Hans-Böckler-Stiftung). Geför- seit Jahren erprobte Strategien. Bei den vollerwerbstäti- Form von Interviews mit zirka 60 dert wurde die Untersuchung gen Müttern in Leipzig zeigt sich ebenfalls ein starker erwerbstätigen Müttern in Frank- durch die Hans-Böckler-Stiftung. Wunsch nach verkürzten und variablen Arbeitszeiten. furt am Main und Leipzig in den Darüber hinaus war die Studie Für ostdeutsche Frauen wird die frühere Normalität, als Jahren 1999 und 2000 erhoben. eingebettet in das europäische Frau Kinder und gleichzeitig einen Vollzeitarbeitsplatz Befragt wurden Frauen mit Kin- Netzwerk (TSER) »Working and zu haben, zunehmend prekär /4/. Die Bedingungen für dern im Alter zwischen drei und Mothering: Social Practices and eine realisierbare Kombination von beiden Lebens- zehn Jahren, die einer vollzeitna- Social Policies«, an dem sich elf sphären haben sich geändert: dabei sind steigender Ar- hen Erwerbsarbeit nachgehen und Wissenschaftlerinnen aus neun beitsdruck, flexible Arbeitszeitregelungen und Mobi- in einer Partnerschaft leben. An europäischen Ländern beteiligten. litätsanforderungen sowie abweichende Arbeits- und der Studie waren beteiligt: als Pro- Diese Forscherinnengruppe unter- Familienmodelle in Westdeutschland (z.B. Ernährer- jektleiterin Prof. Dr. Ute Gerhard, suchte das Thema Vereinbarkeit ehemann/teilzeitbeschäftigte Frau) wichtige Einfluss- Cornelia Goethe Centrum in der von Beruf und Erziehungsarbeit größen. Es kann in Ostdeutschland zur Zeit keineswegs Goethe-Universität, als Projektbe- aus europäischer Perspektive. von einer Wiederbelebung des klassischen Familienmo- arbeiterinnen Dr. Isolde Ludwig dells (Ernährerehemann, Hausfrau) oder seiner moder- nisierten Variante (Ernährerehemann, halbtagsbeschäf- tigte Frau) gesprochen werden. Allerdings weisen die Arbeitszeitvorstellungen ostdeutscher Mütter, die einer Erwerbstätige Mütter – vollzeitnahen Beschäftigung nachgehen, in Richtung die Managerinnen von morgen? Arbeitszeitreduzierung. Bisher haben sich die ostdeut- schen Frauen den massiven Kräften widersetzt, die sie Die Ergebnisse zeigen, dass erwerbstätige Mütter eine vom Arbeitsmarkt verdrängen oder ihnen die Rolle als Vielzahl von Lösungsmustern verfolgen, um ihren All- Zuverdienerin zuweisen wollen. Inwieweit es den Frau- tag zu organisieren. Dabei erweisen sich Faktoren wie en jedoch gelingen wird, zufriedenstellende Lösungen Bildung, Einkommen oder die politische Kultur als für ihre familiären und beruflichen Interessen zu fin- wichtige Einflussgrößen für verschiedene Strategien den, ist noch ungewiss. und damit auch für den Erfolg des Arrangements von Familie und Beruf. Frauen behaupten sich im Alltag als Haushaltshilfen im Spezialistinnen für die Vereinbarkeitsarbeit. Männer westdeutschen Modell übernehmen Verantwortung für einzelne Aufgaben im häuslichen bzw. familiären Bereich, wie die Erledigung Haushaltsbezogene Dienstleistungen werden größten- von Großeinkäufen oder die Kinderbetreuung am Wo- teils privat und im eigenen Haushalt geleistet, oft von chenende, aber sie haben oftmals keinen Blick für die anderen Familienmitgliedern, Bekannten oder Nach- Gesamtheit aller anstehenden Arbeiten. Sie überlassen barn. Darüber hinaus delegieren einige Frauen aus der es in der Regel ihren Partnerinnen, ihnen bestimmte Untersuchungsgruppe einen Teil der Familienarbeiten Aufgaben zuzuteilen. Der Alltag der Väter ist stärker an bezahlte Arbeitskräfte wie Babysitter, Putzkräfte oder segmentiert und durch bestimmte Termine strukturiert, Hausangestellte. Diese Frauen waren meist überdurch- schnittlich gebildet und hatten ein höheres Einkom- men. Eine Frau hatte eine ganztägig angestellte Kraft, ungefähr zehn Prozent der Untersuchungsgruppe be- schäftigten stundenweise eine bezahlte Kraft – ganz we- nige als sozial abgesicherte Arbeitskräfte, mehr als ge- ringfügig Beschäftigte und der überwiegende Teil als »Schwarzarbeiterinnen« /5/. Bei den Arbeitskräften han- delt es sich häufig um Migrantinnen, die nicht selten selbst über eine qualifizierte Ausbildung verfügen. Al- lerdings wird nicht die Hauptverantwortung für den Haushalt auf die bezahlten Kräfte übertragen. Bei den befragten Frauen verbleibt in allen Fällen das Manage- ment und in der Regel auch der Hauptteil der Haus- und Fürsorgearbeiten. Selbst Frauen mit überdurch- schnittlichem Einkommen scheuen davor zurück, frem- de Personen für den »privaten« Bereich anzustellen. Den Haushalt betrachten alle Frauen als ihren Zustän- digkeitsbereich. Ihre Haltung wird beeinflusst durch Denkmuster, die die Delegation von Hausarbeit an drit- te Personen als unmoralisch oder ungerecht bewerten.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 11 Forschung intensiv

während von den Müttern häufig Tätigkeiten gleichzei- cher beruflicher Stellung 80 Prozent Väter sind /8/. Da tig oder spontan organisiert werden. das Leben erwerbstätiger Mütter aus ständigen Kom- Birger P. Priddat, Professor für Volkswirtschaft an der promissen zwischen ganz unterschiedlichen Tätigkeits- Universität Witten/Herdecke, bezeichnet erwerbstätige feldern besteht, taugt es wenig als kulturelles Leitbild in Mütter auf Grund der Vielzahl von Fähigkeiten, über Wirtschaft und Politik. Es scheint noch ein weiter Weg die sie verfügen, als Unternehmerinnen. Für ihn sind zu sein, bis Männer zu der Erkenntnis gelangen, dass sie die effektiven »new workers«, die heimlichen Kom- ein ausgefülltes Leben aus mehr besteht als aus bezahl- petenzgewinner der modernen Wirtschaft. Sie verfügen ter Erwerbsarbeit. über Sozialkompetenzen, Führungsqualitäten, hohe Eine Idealisierung des weiblichen Organisationsver- Kommunikations- und Durchsetzungsfähigkeiten so- mögens kann daher nicht im Interesse erwerbstätiger wohl den Kindern, Behörden, Schulen als auch Dienst- Mütter liegen. So wichtig es ist, sich der eigenen Fähig- leistern gegenüber, die sie einbinden und lenken müs- keiten und Stärken bewusst zu sein, muss auch auf den sen. Priddat prognostiziert den erwerbstätigen Müttern damit verbundenen Preis hingewiesen werden. Manche eine Zukunft als Nachwuchsmanagerinnen, wenn ihre berufstätige Mutter bewegt sich in ihrem Alltag an der Fähigkeiten erst einmal von den Unternehmen entdeckt Grenze ihrer Belastbarkeit, Folgen davon sind in vielen werden /6/. Fällen körperlicher Raubbau, der sich in Krankheiten oder Nervosität äußert. Für viele Frauen kann es also Ernüchternde Wirklichkeit auch wichtig sein zu lernen, Verantwortung an ihren Partner abzugeben und Unterstützung einzufordern. So Die von uns untersuchte Praxis weist jedoch eher in verführerisch es ist, sich als Frau in der stärkeren Positi- eine andere Richtung. Zwar verfügen die Frauen in den on als Managerin des Familienalltags zu wähnen, erst meisten Fällen über die angepriesenen Fähigkeiten. die gleichmäßigere Verteilung von Zuständigkeiten und Karriere machen lässt sich damit kaum. Bei Frauen, die Tätigkeiten kann zum Abbau geschlechtsspezifischer nicht auf eine qualifizierte Berufsposition verzichten Hierarchien in Familie und Beruf führen. Erst wenn wollen, wird das Kinderkriegen in vielen Fällen ganz Männer nicht mehr zwölf Stunden täglich ihrem Unter- aus dem Lebenskonzept gestrichen /7/. Die Zahlen spre- nehmen zur Verfügung stehen und Frauen nach sechs chen eine eindeutige Sprache: Es gibt nur 3,5 Prozent Stunden zur Hausarbeit eilen, zeichnet sich der Weg Frauen im Topmanagement, von diesen Frauen ist die zu einer Gleichberechtigung zwischen den Geschlech- Hälfte kinderlos, während unter den Männern in glei- tern ab. ◆

Literatur

/1/ Schulze Bu- /3/ Eckart, Christel differenz(en) in der /5/ Kettschau, Irm- /6/ Priddat, Birger /7/ Klammer, Ute /8/ Beyer, Susanne; schoff, Karin (1989): Die Interes- Transformation hild; Methfessel, (2001): Mütter an (2001): Managerin Wellershoff, Mari- (2000): Über den sen von Frauen an und der ge- Barbara (Hg.) die Macht. Frauen gesucht. Erwerb- anne (2001): Co- Wandel der Nor- Teilzeitarbeit, schlechtsblinde Dis- (1991): Hausarbeit haben alles, was stätige Mütter in meback der Mutter, malität im Er- Frankfurt am Main, kurs um Arbeit, in: gesellschaftlich moderne Firmen Europa zwischen in: Der Spiegel, werbs- und Fami- Institut für Sozial- Lenz, Ilse; Nickel, oder privat? Ent- suchen, in: Die Sozialpolitik und Heft 29, S. 66 – 76, lienleben, WZB forschung. Hildegard Maria; grenzungen – Wand Zeit, vom sozialer Praxis, in: hier S. 69. (P00-511), Berlin. Riegraf, Birgit lungen – Alte Ver- 30.8.2001. WSI-Mitteilungen, /4/ Nickel, Hilde- (Hg.): Geschlecht – hältnisse, Balt- Heft 5, S. 329 – 336, /2/ Eigene Berech- gard Maria (2000): Arbeit – Zukunft, mannsweiler, S. hier S. 331. nungen mit SOEP- Ist die Zukunft fe- Münster, S. 243 – 151-169. Daten. ministisch gestalt- 268, hier S. 250. bar? Geschlechter-

12 Forschung Frankfurt 1–2/2002 WERBUNG

Forschung Frankfurt 1–2/2002 13 Forschung intensiv Noch ist häusliche Pflege Familiensache

Die Pflegeversicherung und ihre Folgen

von Hans-Christian Mager und Roland Eisen

Es ist unbestritten, dass die meisten Pflegebedürftigen inzwischen dank der 1995 einge- führten Gesetzlichen Pflegeversicherung deutlich besser versorgt werden; ob aber ange- sichts sozio-demographischer Trends dieser Versorgungsstand auch in Zukunft finanziert werden kann, ist recht ungewiss. Viele Sachverständige befürchten, dass zukünftig die so genannte informelle, d.h. nicht erwerbsmäßige, Pflege, die meist von Familienangehöri- gen und Freunden übernommen wird, durch professionelle Pflege von ambulanten privaten Pflegediensten sowie durch stationäre Pflege ersetzt werden muss. Damit würden die Aus- gaben der Pflegeversicherung mittel- und langfristig steigen.

Dieser Ausgabenanstieg ist insbesondere auf drei Fakto- der pflegebedürftigen Personen absolut und relativ ren zurückzuführen: (gemessen an der Gesamtbevölkerung) stark steigt. –– Demographische Alterung der Bevölkerung: Voraus- Während es im Jahr 2000 in Deutschland rund 1,86 berechnungen zur Bevölkerungsentwicklung zeigen, Millionen Pflegebedürftige gab, die Leistungen der dass in den nächsten vier Jahrzehnten bei unverän- Gesetzlichen Pflegeversicherung bezogen, rechnet derten Morbiditäts- und Mortalitätsziffern die Zahl man bis zum Jahr 2040 mit einem Anstieg von über

14 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Pflegeversicherung

55 Prozent. Im Jahr 2040 erhalten demnach rund Identität häuslicher Hauptpflegepersonen ■1 Als Hauptpfle- 2,9 Millionen Pflegebedürftige Leistungen der Ge- gepersonen werden jene Pflegeperso- setzlichen Pflegeversicherung. (Ehe-)Partner(in) 32,4 –– Sozio-demographisch bedingte Reduktion des »fami- nen bezeichnet, Tochter 32,1 die – gemessen in lialen Pflegepotenzials«: Aufgrund der demographi- Stunden – den schen Alterung stehen schon rechnerisch immer we- Schwiegertochter 13,3 Großteil der Pfle- niger jüngere Familienangehörige zur Verfügung, die geleistungen über- die informelle Pflege von Pflegebedürftigen in der ge- Sohn 7,2 nehmen. Rund wohnten häuslichen Umgebung übernehmen könn- 93,2 Prozent der ten. Zudem führt die stärkere Erwerbsbeteiligung der Sonstige Verwandte 8,2 befragten Haupt- Frauen dazu, dass sie immer mehr auf das eigene Er- pflegepersonen Bekannte/Freunde/ 3,6 Nachbarn stehen in einem werbseinkommen angewiesen und zunehmend we- verwandtschaftli- Privater Pflegedienst/ 3,1 niger bereit sind, ihre Angehörigen zu pflegen. Gemeindehelfer chen Verhältnis –– Zunehmender Trend zu Single-Haushalten und da- zur pflegebedürfti- 0 5101520253035% mit sinkende Haushaltsgrößen: Dies ist eine Folge gen Person. In Ab- steigender Trennungs- und Scheidungshäufigkeiten hängigkeit davon, sowie rückläufiger Heiratshäufigkeiten und Gebur- Männer also in verstärktem Maße Hilfe- und Pflegelei- wer in der Familie tenraten. stungen. Der Anteil der weiblichen Hauptpflegeperso- pflegebedürftig ist, fungiert zu Wenn Pflegebedürftige verstärkt professionelle Pflegelei- nen nimmt mit zunehmendem Lebensalter dagegen ab. 32,4 Prozent der/ stungen anstelle der informellen Pflege in Anspruch Männer sind umso weniger bereit, als Hauptpflege- die (Ehe-) Part- nehmen, wird dies höhere Ausgaben der Pflegeversi- person zu fungieren, je höher die Pflegestufe der pflege- ner(in), zu 32,1 cherung zur Folge haben, da für Sachleistungen, zu bedürftigen Person bzw. je höher der Umfang der zu er- Prozent die Toch- denen auch die Leistungen ambulanter Pflegedienste bringenden Pflegeleistungen ist ■3 : Während in Pflege- ter, zu 13,3 Pro- zählen, in jeder Pflegestufe doppelt so viel ausgegeben stufe 1 Männer noch zu fast 21Prozent die Hauptpflege zent die Schwie- wird als für Geldleistung bei informeller Pflege (siehe übernehmen, sind es in Pflegestufe 2 noch knapp 20 gertochter als Hauptpflegeper- »Leistungsprogramm der Gesetzlichen Pflegeversiche- Prozent und in Pflegestufe 3 nur noch knapp 17 Pro- son. Söhne sind rung«, S. 16). Um das Versorgungsniveau aufrechterhal- zent. Korrespondierend dazu übernehmen Frauen mit nur in 7,2 Prozent ten zu können, müssten die höheren Ausgaben dann steigender Pflegestufe des Pflegebedürftigen und damit aller Fälle als von den beitragspflichtigen Pflegeversicherten durch zunehmender Pflegebelastung verstärkt die intrafamiliä- Hauptpflegeperso- höhere Monatsbeiträge finanziert werden. re Pflege. Dies liegt aber nicht unbedingt an der geringe- nen tätig. Mit 3,1 Um die Folgen besser beurteilen zu können, benötigt ren Pflegebereitschaft der Männer, sondern an ihrer um Prozent ist der An- man hinreichende Informationen über die gegenwärti- durchschnittlich acht Jahre geringeren Lebenserwar- teil privater Pflege- dienste gering. ge Situation der Pflegebedürftigen, die zu Hause ge- tung. Da Männer in der Regel früher sterben als ihre pflegt werden. Doch daran mangelt es, die amtliche Sta- Ehefrauen, können die Frauen im höheren Lebensalter, tistik stellt ausschließlich Daten über das Finanzergebnis der Pflegeversicherung und über die Struktur der Lei- Altersverteilung von Hauptpflegepersonen nach Geschlecht stungsempfänger nach Altersgruppen und Geschlecht, % 100,0 nach Leistungsarten und Pflegestufen zur Verfügung. männliche Aussagefähige Daten über die Pflegesituation der ambu- 90,0 Hauptpflegepersonen 80,0 weibliche lant versorgten Pflegebedürftigen werden jedoch eben- Hauptpflegepersonen 70,0 sowenig erhoben, wie differenzierte sozio-demographi- ■2 60,4 Während der sche Merkmale sowohl der informellen als auch der 60,0 Altersgipfel weibli- professionellen Pflegepersonen im ambulanten Bereich. 50,0 cher Hauptpflege- 38,8 Mit unserem Forschungsprojekt (siehe »Evaluation der 40,0 35,7 personen in der 30,0 Altersklasse der Auswirkungen der Pflegeversicherung auf die häusliche 23,7 40- bis 64-Jähri- Pflege«, S. 18) liefern wir Daten, die Aufschluss darüber 20,0 17,3 10,9 gen liegt, sind die 10,0 7,5 geben, wie sich die Pflegeversicherung auf die häusliche 5,0 pflegenden Män- 0 Pflege auswirkt – im Folgenden eine Auswahl der ersten bis 39 Jahre 40 bis 65 bis 80 Jahre ner meist zwischen Ergebnisse aus einer schriftlichen Befragung von 1079 64 Jahre 79 Jahre und älter 65 und 79 Jahre. Pflegehaushalten in Bayern. Je höher die Pflegestufe, um so Anteil männlicher und weiblicher Hauptpflegepersonen

seltener übernehmen Männer 78,3 Alle Pflegestufen die Betreuung 21,7 83,1 Unsere Befragung bestätigt die Ergebnisse früherer Stu- Pflegestufe 3 dien zum Thema: In erster Linie, zu 93,2 Prozent, über- 16,9 80,1 nehmen Familienangehörige, insbesondere Ehepartne- Pflegestufe 2 rinnen, Ehepartner oder Töchter, die ambulante Versor- 19,9 ■3 Der Anteil der gung Pflegebedürftiger ■1 . Als Hauptpflegeperson fun- 79,2 männlichen Haupt- Pflegestufe 1 pflegepersonen gieren mehrheitlich, d.h. zu über 78,3 Prozent, Frauen. 20,8 nimmt mit stei- Der geringe Anteil pflegender Männer erhöht sich mit 74,3 Pflegstufe 0/ gender Pflegestufe ■ steigendem Lebensalter2 . Immerhin 17,3 Prozent aller Antrag abgelehnt 25,7 ab, der Anteil befragten männlichen Hauptpflegepersonen sind 80 der weiblichen 0 20 40 60 80% 100 Jahre oder älter. Erst mit der Verrentung übernehmen hingegen zu.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 15 Forschung intensiv

wenn der Schweregrad der Pflegebedürftigkeit altersbe- nicht zuletzt auch ökonomische Faktoren, wie z.B. Ein- dingt zunimmt, nicht mehr von ihrem Lebenspartner kommen und Vermögen des Pflegebedürftigen oder der versorgt werden. Hauptpflegeperson, für die Pflegemotivation eine Rolle. Von der Pflegeversicherung werden je nach Pflegestufe Materielle Anreize: zwar maximal zwischen 2000 und 2800 DM, in Härte- Pflege in der Familie wird »entlohnt« fällen bis zu maximal 3300 DM pro Monat für die voll- stationäre Heimpflege übernommen, diese Beträge rei- Die Entscheidung eines Familienangehörigen für chen aber nicht aus, um die Kosten für einen sta- oder gegen informelle Pflege ist ohne Zweifel vielschich- tionären Heimpflegeplatz in Höhe von durchschnittlich tig. Knapp 70 Prozent der Hauptpflegepersonen halten 6000 bis 7000 DM pro Monat ohne private Zuzahlung die von ihnen geleistete informelle Pflege für eine zu finanzieren. Dies dürften nur wenige Pflegebedürfti- Selbstverständlichkeit, zirka 53 Prozent haben sich ge und/oder die zum Unterhalt verpflichteten Familien- dafür jedoch nicht freiwillig entschieden, sie fühlen sich angehörigen ersten Grades mühelos können. persönlich verpflichtet. Rund 20 Prozent empfinden die Die hohen Kosten einer stationären Versorgung be- Pflege nach eigenen Angaben sogar als Zwang. Demge- einflussen dabei natürlich die Pflegemotivation der genüber gaben rund 14 Prozent der befragten Haupt- Hauptpflegepersonen. Rund 21 Prozent der Pflegebe- pflegepersonen an, sie freue es zu pflegen. dürftigen können nach Angaben ihrer Hauptpflegeper- Neben der verfügbaren Pflegeinfrastruktur, Traditio- sonen die Kosten der stationären Pflege selbst nicht tra- nen und normativen Verhaltensmustern spielen aber gen. Die Bedeutung ökonomischer Faktoren hinsicht-

Leistungsprogramm der Gesetzlichen Pflegeversicherung

Stand Dezember 2001 Leistungen in den Pflegestufen (pro Monat) Pflegearrangement Leistungsart 1 2 3 Erheblich Schwer- Schwerst- pflegebedürftig pflegebedürftig pflegebedürftig häusliche Pflege Pflegegeld 400 DM 800 DM 1300 DM Sachleistung max. 750 DM max. 1800 DM max. 2800 DM (max. 3750 DM) Pflegehilfsmittel/ je nach Maßnahme technische Hilfen unterschiedliche Maximalbeträge bei Verhinderung einer informellen 400 DM 800 DM 1300 DM Pflegeperson bei Verhinderung einer professionellen Kostenerstattung bis max 2800 DM (pro Jahr) Pflegeperson teilstationäre Pflege Sachleistung max. 750 DM max. 1800 DM max. 2800 DM vollstationäre Sachleistung 2000 DM 2500 DM 2800 DM Pflege (pauschal) (max. 3300 DM)

Die Gesetzliche Pflegeversiche- darüber hinaus zusätzliche Pflege- Die Gesetzliche Pflegeversiche- rung (GPV) wurde nicht als Voll- leistungen, müssen sie von den rung (GPV) sieht darüber hinaus versicherung konzipiert, wie z.B. Pflegebedürftigen selbst bezahlt auch Leistungen für informelle die Gesetzliche Krankenversiche- werden. Pflegepersonen vor, wenn sie ei- rung (GKV). Es handelt sich viel- Pflegebedürftige können an Stel- nen Pflegebedürftigen nicht er- mehr um eine Grundsicherung, le der Pflegesachleistung bei häusli- werbsmäßig und für wenigstens bei der drei verschiedene Leis- cher Pflege ein Pflegegeld für selbst- 14 Stunden wöchentlich in seiner tungsniveaus nach dem Schwere- beschaffte Pflegehilfen beantragen häuslichen Umgebung pflegen grad der Pflegebedürftigkeit be- und damit z.B. selbst einen Pflege- und höchstens 30 Stunden stimmt werden. Für die Leistun- dienst bezahlen. Man kann auch die wöchentlich erwerbstätig sind so- gen in den einzelnen Pflegestufen so genannte Kombinationsleistung wie keine Altersvollrente bezie- besteht eine Summenbegrenzung wählen. Dies ist ein anteiliges Pfle- hen. Darüber hinaus übernimmt (Deckelung), d.h. Aufwendungen, gegeld, das dann zusätzlich in An- die Pflegeversicherung die Kosten die durch die Pflegebedürftigkeit spruch genommen werden kann, für die Teilnahme an speziellen bedingt sind, werden nur bis zu ei- wenn die Pflegesachleistung bei Pflegekursen, um die Pflegelei- nem im voraus fixierten Maximal- häuslicher Pflege nur teilweise ge- stungsfähigkeit informeller Pflege- betrag übernommen. Bestehen nutzt wird. personen zu verbessern.

16 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Pflegeversicherung

Selbstbeteiligung in der Gesetzlichen Pflegeversicherung

Dass die Leistungshöhen ver- ge der Sachleistung in Pflegestufe 1 Umfang von mindestens 1,5 Stun- gleichsweise gering bemessen sind gerade 18 3/4 Stunden pro Monat, den im Tagesdurchschnitt). und im Einzelfall zu hohen Selbst- 45 Stunden/Monat in Stufe 2 und Insgesamt ergibt dies einen beteiligungen führen können, 70 Stunden/Monat in Pflegestufe 3. Umfang an Pflegedienstleistungen macht folgende Bespielrechnung Voraussetzung für eine Einstufung gemessen in Stunden in Höhe deutlich: Setzt man einen Stun- in Pflegestufe 1 ist, dass man minde- von 45 Stunden pro Monat. Folg- denlohn für eine professionelle stens einmal täglich Hilfe und zu- lich beträgt die Selbstbeteiligung Pflegefachkraft in Höhe von sätzlich mehrmals in der Woche in Pflegestufe 1 pro Monat 26 1/4 40 DM (einschließlich Anreisezeit) Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Stunden beziehungsweise 60 an, dann decken die Höchstbeträ- Versorgung benötigt (insgesamt im Prozent. lich der Pflegemotivation wird auch dadurch belegt, dass für fast 7 Prozent der Hauptpflegepersonen die Chance auf ein Zusatzeinkommen ein Hauptmotiv für die Pflegetätigkeit darstellt. Rund 6 Prozent reflektieren, dass durch die Übernahme informeller Pflege und damit durch den Verzicht auf die teurere stationäre Versor- gung das Familienvermögen erhalten werden kann. Die Würdigung ökonomischer Faktoren hinsichtlich der Pflegemotivation legt die Vermutung nahe, dass die Angehörigen umso eher bereit sind, die Pflege zu über- nehmen, je geringer Einkommen und Vermögen des Pflegehaushalts sind. Mit Hilfe formaler ökonomischer Modelle (vgl. z.B. Eisen/Mager 1996) lässt sich zudem zeigen, dass die individuelle Pflegebereitschaft innerhalb der Familie mit der Höhe der materiellen Kompensation für die Übernahme der Pflegebelastungen steigt. Umge- kehrt formuliert nimmt die Pflegebereitschaft dann ab, wenn die Pflegemühen nicht mehr adäquat »entlohnt« werden. Wie sieht es jedoch tatsächlich im Pflegealltag mit dem finanziellen Transfer zwischen Pflegebedürftigen und Hauptpflegepersonen aus? Dass materielle Anreize zumindest keine vernachlässigbare Größe sind, zeigen die Ergebnisse der schriftlichen Befragung von Pflege- haushalten in Bayern. Das Pflegegeld ist die vorherr-

Eigener Beruf und Daten und Fakten zur sozialen Sicherung von Pflegebedürftigen Pflege einer An- gehörigen – das Mit der Einführung der Gesetzli- Pflegebedürftigkeit beträchtliche zierungslast der Steuerzahler re- lässt sich, wie chen Pflegeversicherung (GPV) Ressourcen eingesetzt werden. duziert wurde. auch in der Kinder- zum 1. Januar 1995 wurde die Zum Vergleich: Im Jahr 1991, drei Als pflegebedürftig gelten in ziehung, nur mit- einander vereinba- Pflegesicherung in Deutschland Jahre vor der Einführung der Ge- der Pflegeversicherung Personen, ren, wenn es ge- auf eine neue legislative Grundla- setzlichen Pflegeversicherung, wur- die wegen einer körperlichen, gei- nügend Möglich- ge gestellt und die Sozialhilfe als den für die Sicherung Pflegebedürf- stigen oder seelischen Krankheit keiten zur Teilzeit- bis dahin grundlegendes Regelsi- tiger im Rahmen der Hilfe zur Pfle- oder Behinderung für die gewöhn- arbeit gibt. cherungssystem bei Pflegebedürf- ge insgesamt 12,6 Milliarden DM lichen und regelmäßig wiederkeh- tigkeit erheblich entlastet. Zum ausgegeben. Drei Jahre später, 1994 renden Verrichtungen im Ablauf Jahresende 2000 erhielten rund und damit noch vor Einführung der des täglichen Lebens auf Dauer, 1,82 Millionen Pflegebedürftige neuen Versicherung, waren es be- voraussichtlich für mindestens monetäre oder reale Pflegeleistun- reits 17,7 Milliarden DM, gegenüber sechs Monate, in erheblichem gen aus der Pflegeversicherung in 1991 eine Steigerung von über 40 oder höherem Maße der Hilfe be- Höhe von rund 31,02 Milliarden Prozent. dürfen. DM – wahrlich kein geringer Be- Ab Januar 1995 tragen nun die Je nach Art und Umfang der trag. Werden hierzu noch die Lei- Beitragszahler der Gesetzlichen benötigen Hilfen und der täglichen stungen der Sozialhilfe gezählt, im Pflegeversicherung, dazu gehören Dauer des Hilfebedarfs, gemessen Jahr 2000 waren es rund 5,6 Milli- krankenversicherungspflichtige Er- in Stunden, werden drei Grade arden DM im Rahmen der Hilfe werbstätige und Rentner, die Haupt- von Pflegebedürftigkeit (Pflege- zur Pflege, zeigt sich, dass für die last, während gleichzeitig die Finan- stufen 1 bis 3) unterschieden.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 17 Forschung intensiv

ten Pflegebedürftigen in Bayern an, dass sie ihre Haupt- pflegepersonen als Erben ihres Vermögen eingesetzt haben. Von den als zukünftige Erben vorgesehenen Hauptpflegepersonen erhalten zur Zeit bereits 48 Pro- zent eine finanzielle Anerkennung. Ambulante Profi-Pflege besser bezahlt als Einsatz von Angehörigen

Die Geldleistungen für die Arbeit pflegender An- gehöriger betragen in Abhängigkeit von der jeweiligen Pflegestufe nur zwischen 44,5 und 53,3 Prozent des Geldwertes der Sachleistungen, mit denen Leistungen ambulanter Pflegedienste abgegolten werden (siehe »Leistungsprogramm der Gesetzlichen Pflegeversiche- rung, S.16). Entscheiden sich Pflegebedürftige für die Sachleistungen, ist das – entsprechend den Vorgaben und Intentionen des Gesetzes – im Schnitt mehr als doppelt so teuer, als wenn dieselbe Person für die Geld- Warum überneh- schende Leistungsform: 71,3 Prozent aller anerkannten leistung (und damit die familiäre Pflege) votiert hätte. men Angehörige und ambulant versorgten Pflegebedürftigen in Bayern Offensichtlich hat der Gesetzgeber bei der Bemessung die Pflege ihrer nehmen das Pflegegeld in Anspruch und verzichten des zweckgebundenen Pflegegeldes in erster Linie an gebrechlichen Ver- damit gleichzeitig auf Sachleistungen zur Bezahlung die Gratifikation pflegender Familienangehöriger ge- wandten? Fast 70 professioneller Pflege. Dies unterstreicht einerseits die dacht, nicht aber beabsichtigt, »Produzenten-Konsu- Prozent der Haupt- pflegepersonen wichtige Stellung, die Familienangehörigen bei der Pfle- menten-Beziehungen« im ambulanten Pflegebereich halten dies für ei- ge zukommt; es ist andererseits aber auch Indiz für die einzurichten, die sich an marktüblichen Preisen orien- ne Selbstverständ- nicht zu unterschätzende Bedeutung des Pflegegelds als tieren. Die unterschiedliche Bemessung von Geld- und lichkeit. Über 50 primäre Quelle finanzieller Entlohnung der Pflege. Im- Sachleistungen wirkt wie eine offene Subventionierung Prozent gaben al- merhin 46,7 Prozent der befragten Hauptpflegeperso- professioneller Pflegedienste und steht im Widerspruch lerdings an, sich nen in Bayern gaben an, dass sie von der pflegebedürfti- zur impliziten Zielsetzung der Pflegeversicherung, pri- dafür nicht freiwil- gen Person eine finanzielle Anerkennung für ihre Pfle- mär informelle Pflege in der Familie zu fördern. lig entschieden zu haben; sie fühlten geleistungen erhalten. 54,4 Prozent dieses Personen- In diesem Zusammenhang wird oft übersehen, dass sich persönlich kreises sagen, dass die pflegebedürftige Person das Pfle- die Pflegeversicherung, anders als zur Zeit noch (!) die verpflichtet. Rund gegeld ausschließlich an sie weiter gibt. Dies mag auf Krankenversicherung, nach dem Budgetprinzip organi- 20 Prozent emp- den ersten Blick überraschen, denn mit rund 54 Prozent siert ist und lediglich eine Grundversorgung bereitstellt. finden die Pflege pflegt die Mehrheit der Hauptpflegepersonen quasi für Dies kann in Abhängigkeit vom individuellen Pflegebe- sogar als Zwang. »Gotteslohn«; die formelle Entlohnung der Pflege ist of- darf dazu führen, dass erhebliche Kosten selbst über- 14 Prozent mein- fensichtlich nicht die Regel. Jedoch ist hier zu berück- nommen werden müssen (siehe »Selbstbeteiligung in ten, sie täten die- sen Dienst mit sichtigen, dass in jenen Fällen, in denen das Pflegegeld der Gesetzlichen Pflegeversicherung«, S. 17). Denn sind Freude. der Pflegeversicherung das Haushaltseinkommen der weitergehende Pflegedienstleistungen notwendig, müs- Hauptpflegeperson und des Pflegebedürftigen »erhöht«, sen diese privat hinzugekauft werden. Fast 15 Prozent indirekte Transfers stattfinden, die von den Betroffenen der befragten Pflegebedürftigen nehmen einen privaten oft nicht als »Entlohnung« im engeren Wortsinne inter- Pflegedienst in Anspruch und müssen dafür monatlich pretiert werden. eine private Zuzahlung leisten, da die Leistungen der Neben der unmittelbaren finanziellen Anerkennung Pflegeversicherung offensichtlich zumindest in diesen sind jedoch auch andere Entlohnungsformen, z.B. Erb- Fällen nicht ausreichend sind. Unter den Pflegebedürfti- schaften relevant. So geben rund 37 Prozent der befrag- gen, die privat für professionelle Pflegedienste zuzahlen,

Zum Forschungsprojekt: Evaluation der Auswirkungen der Pflegeversicherung auf die häusliche Pflege

Mit unserem von der Deutschen wurden 1420 Pflegehaushalte (1079 Pflege, Verfügbarkeit familiärer Forschungsgemeinschaft finan- in Bayern und 341 in Hessen) be- Hilfe, Einstellungen zu verschiede- zierten Forschungsvorhaben ana- fragt. Pro Pflegehaushalt erhielt so- nen Pflegeformen). lysieren wir empirisch, wie sich wohl die pflegebedürftige Person als Die erhobenen Mikrodatensets die Pflegeversicherung auf die be- auch deren Hauptpflegeperson je ei- liefern bislang noch nicht verfüg- troffenen Familienangehörigen in nen Fragebogen mit jeweils rund 40 bare Informationen u.a. über die den Bundesländern Bayern und Fragen. Erhoben wurde neben so- häusliche Pflegesituation, die sub- Hessen auswirkt. Projektleiter ist zio-demographischen Merkmalen jektiven Einstellungen der Pflege- Prof. Dr. Dr. h.c. Roland Eisen vom der Befragten eine große Zahl „pfle- bedürftigen, die Auswirkungen Institut für Volkswirtschaftslehre gerelevanter“ Merkmale (wie z.B. der Pflegeversicherung und die der Goethe-Universität, Projektbe- Wohnsituation, körperliche Beein- Beziehungen zwischen den Pflege- arbeiter ist Diplom-Volkswirt trächtigungen, Dauer und Ausmaß bedürftigen und ihren Pflegeper- Hans-Christian Mager. Insgesamt der Pflegebedürftigkeit, Form der sonen.

18 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Pflegeversicherung

bilden diejenigen, die Pflegegeld beziehen, mit rund 37 Aktueller Erwerbsstatus Solange sie noch zu Hause leben kön- Prozent die größte Gruppe. erwerbstätiger Hauptpflegepersonen nen, werden Pflegebedürftige zu über 90 % Prozent von Familienangehörigen ver- 100,0 sorgt. Vereinbarkeit 90,0 von Erwerbstätigkeit und Pflege 80,0 70,0 Für über 65 Prozent aller in Bayern befragten Haupt- 60,0 pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter zwischen 16 50,0 und 64 Jahren ist die Frage nach der Vereinbarkeit von 43,4 40,0 39,9 Erwerbstätigkeit und informeller Pflegetätigkeit von Be- ■4 Von den 30,4 Prozent aller Haupt- 30,0 deutung. Die übrigen sind bereits 65 Jahre oder älter. pflegepersonen, die angegeben haben 20,0 16,7 erwerbstätig zu sein, sind 43,4 Prozent Trotz des hohen Anteils von pflegenden Familienmit- 10,0 vollzeiterwerbstätig, 39,9 Prozent gehen gliedern im erwerbsfähigen Alter sind nahezu zwei von 0 einer Teilzeitbeschäftigung nach und drei (62,4 Prozent) aller befragten Hauptpflegepersonen Vollzeit Teilzeit Geringfügig 16,7 Prozent sind lediglich geringfügig beschäftigt nicht erwerbstätig. Von den erwerbstätigen Hauptpfle- beschäftigt. gepersonen ist die Mehrzahl vollzeiterwerbstätig ■4 . Änderung der Berufstätigkeit der Hauptpflegepersonen Auf die Frage, ob sie die Berufstätigkeit wegen der nach Pflegestufen der Pflegebedürftigen Übernahme informeller Pflege eingeschränkt haben, Pflegestufe 1 Pflegestufe 2 Pflegestufe 3 Pflegestufe 1–3 antworteten über 11 Prozent der Pflegenden mit Ja. Berufstätigkeit eingeschränkt 10,3% 11,5% 15,7% 12,5% Ihre Berufstätigkeit aufgegeben haben bereits immerhin fast 11 Prozent. Im gleichen Umfang berufstätig wie vor Berufstätigkeit aufgegeben 10,3% 12,3% 9,6% 10,7% der Übernahme der informellen Pflege waren fast 20 Berufstätigkeit eingeschränkt 20,6% 23,8% 25,3% 23,3% Prozent. Nur 0,7 Prozent der Befragten bemerkten, sie oder aufgegeben hätten die Berufstätigkeit sogar ausgeweitet. In gleichem Umfang berufstätig 21,8% 16,9% 16,9% 18,5% Dass die Pflegebelastung sich auf die Einstellung zur Berufstätigkeit und den Umfang der Berufstätigkeit aus- Berufstätigkeit ausgeweitet 1,4% 0,0% 0,0% 0,5% wirkt, zeigt Abbildung ■5 . Dabei gilt die Pflegestufe des Niemals berufstätig 17,8% 20,7% 22,9% 20,5%

Pflegebedürftigen als Indikator für die Pflegebelastung Trifft nicht zu/keine Angaben 38,4% 38,7% 34,9% 37,3% der Hauptpflegeperson. Frauen tragen – wie bereits er- wähnt – die Hauptlast der häuslichen Pflege. Im Kon- ■5 Die Prozentanteile legen den Schluss nahe, dass die Belastung der Hauptpflege- text der Erwerbstätigkeit wundert es daher auch nicht, person, ausgedrückt durch die Pflegestufe des Pflegebedürftigen, Auswirkungen auf dass mit lediglich 13,8 Prozent der Anteil an allen be- ihre Entscheidung hat, ihre Berufstätigkeit einzuschränken. Je höher die Pflegestufe, fragten männlichen Hauptpflegepersonen, die bereit desto größer ist der Anteil der Personen, die sich dafür entschieden haben, ihre Be- rufstätigkeit einzuschränken oder aufzugeben. Sind es in Pflegestufe 1 nur 20,6 Pro- sind, ihre Erwerbstätigkeit einzuschränken oder aufzu- zent aller Hauptpflegepersonen, die ihre Berufstätigkeit wegen der Übernahme einer geben, deutlich geringer ist als der Anteil der betroffe- informellen Pflegetätigkeit aufgegeben haben, sind es in Pflegestufe 2 bereits 23,8 nen Frauen (24,3 Prozent). Dokumentiert wird erneut Prozent und in Pflegestufe 3 schon 25,3 Prozent.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 19 Forschung intensiv

Pflegeversicherung in Europa

Ein von Roland Eisen und Hans-Christian Mager her- ausgegebener Band enthält die wichtigsten Ergebnisse eines früheren Forschungs- projekts zum Thema »Pfle- gesicherung in der Eu- ropäischen Gemein- schaft«. Den Hauptteil des Bandes bilden Län- derstudien, in denen die Pflegesicherungssyste- me von zwölf europä- ischen Ländern detailliert beschrieben werden. Die charakteristischen Merkmale der Pflegesicherungssysteme werden zu- Die hohen Kosten die geschlechtsspezifische Rollenverteilung, wie sie be- dem in einer Synopse vergleichend dargestellt. Dar- einer stationären reits bei der Kindererziehung die Norm ist. über hinaus enthält der Band Beiträge zu den Aus- Versorgung, durch- wirkungen der Europäischen Integration auf die so- schnittlich zwi- Die Versorgungssituation der Pflegebedürftigen zialen Sicherungssysteme. schen 6000 und hängt von der Pflegebereitschaft ab 7000 DM, können Roland Eisen und Hans-Christian Mager (Hrsg.): Pflegebe- sich rund 21 Pro- Die Ergebnisse unserer schriftlichen Befragung belegen, dürftigkeit und Pflegesicherung in ausgewählten Ländern, zent der Pflegebe- dass die Mehrheit der Pflegebedürftigen zuhause ver- Verlag Leske + Budrich, Opladen 1999, ISBN 3-8100- dürftigen auch sorgt und diese Pflege überwiegend von Familienange- 2511-9, 440 S., 45 Euro dann nicht leisten, hörigen, insbesondere Frauen, geleistet wird. Der wenn je nach Pfle- Schluss, dass aufgrund der aufgezeigten sozio-demogra- gestufe etwa die Hälfte von der phischen Trends zukünftig der Anteil informeller Pflege der Pflegebedürftigen zur Zahl der Familienangehörigen Pflegeversiche- abnimmt und professionelle Pflegearrangements (etwa entscheidend, sondern die Entwicklung der individuel- rung getragen wird durch private Pflegedienste) ein sehr viel stärkeres Ge- len Pflegebereitschaft von Frauen und Männern. Dabei – auch dies ein wicht erhalten, ist aber vor diesem Hintergrund ledig- sollte davon ausgegangen werden, dass die Pflegebereit- entscheidender lich eine Vermutung auf der Basis derzeitiger Verhal- schaft durch geeignete monetäre und reale Anreize, Grund, weshalb so tensmuster. nicht zuletzt im Rahmen eines auf die Förderung infor- viele alte und Für die Versorgung der Pflegebedürftigen in ihrer ge- meller Pflege abgestimmten Leistungsprogramms der kranke Menschen von ihren Ange- wohnten Umgebung durch Familienangehörige und Pflegeversicherung, beeinflusst werden kann. Dazu ge- hörigen zu Hause Freunde ist zukünftig weniger das aufgrund sozio-de- hört vor allem, und das nicht nur aus ökonomischer versorgt werden. mographischer Faktoren steigende Verhältnis der Zahl Sicht, die Festsetzung identischer Leistungshöhen für die Entlohnung informeller, d.h. familiärer Pflegelei- stungen, und professioneller Pflege. Diesem wichtigen Schritt sollte die Erkenntnis fol- Die Autoren gen, dass die geschlechtsspezifisch ausgeprägte Pflegebe- reitschaft keinesfalls eine Naturkonstante darstellt und sität Frankfurt berufen. Seit 1996 ist damit unveränderlich ist. Zudem muss eine höhere Er- Eisen Ehrendoktor der Ternopiler Aka- werbstätigkeit von Frauen in Zukunft nicht zwingend demie für Nationalökonomie in Terno- pil (Ukraine). Seine Forschungsgebiete bedeuten, dass gleichzeitig die Zahl und der Anteil pfle- sind Versicherungsökonomik, Arbeitsö- gender Frauen sinkt, zumal mehr als ein Drittel aller konomik, Ökonomik der Sozialen Hauptpflegepersonen bereits im Rentenalter ist. Für die Sicherung und Gesundheitsökonomik Pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter viel wichtiger (speziell auch Pflegesicherung). ist, wie auch bei der Kindererziehung, ob es genügend Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung gibt, die beides Hans-Christian Mager, 37, studierte ermöglichen: Erwerbstätigkeit und Pflege. ◆ Soziologie sowie Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Marburg und Prof. Dr. Dr. h.c. Roland Eisen, 60, stu- Frankfurt. Seit 1992 ist er Diplom- dierte in München Wirtschaftswissen- Volkswirt. Neben seiner Forschungs- schaften. Nach dem Examen als Diplom- tätigkeit an der Goethe-Universität Literatur Volkswirt (1965) folgte 1971 die Promo- Frankfurt und der Technischen Univer- tion über technischen Fortschritt und sität Darmstadt ist er als Lehrbeauf- Eisen, R. (2001): 5 Jahre Gesetzliche Pflegeversicherung: Eine Wirtschaftswachstum. Seine Habilitation tragter für Volkswirtschaftslehre an der Zwischenbilanz, in: Winfried Schmähl (Hrsg.), Soziale Sicherungs- 1977 beschäftigte sich mit dem Thema Fachhochschule Frankfurt am Main systeme und demographische Herausforderungen, Duncker & »Theorie des Versicherungsgleichge- tätig. Er befaßt sich seit mehreren Jah- Humblot. wichts«. Nach Stationen in Bamberg und ren mit der Ökonomik der Sozialen Si- Eisen, R.; Mager, H.-C. (1996): Long-Term Care – An Inter- and Freising-Weihenstephan wurde er 1983 cherung, insbesondere jedoch mit der Intragenerational Decision Model, in: R. Eisen and F.A. Sloan an die Johann Wolfgang Goethe-Univer- Gesetzlichen Pflegeversicherung. (eds.), Long-Term Care: Economic Issues and Policy Solutions, Bo- ston/Dordrecht/London: Kluver Academic Publishers, S.251–284.

20 Forschung Frankfurt 1–2/2002 WERBUNG

Forschung Frankfurt 1–2/2002 21 Forschung intensiv Wie alt ist der Regenwald? Umweltgeschichtliche Forschungen im Kongobecken Zentralafrikas

von Jürgen Runge

Welche Rolle spielt der Regenwald für das globale Klima und die Arten- vielfalt der Erde in Zukunft? Um eine derart vielschichtige Frage zu beant- worten, ist es erforderlich, zuerst die Vergangenheit dieser komplexen Ökosysteme zu erforschen. Im Kongobecken Zentralafrikas rekonstruierten Frankfurter Geowissenschaftler die Umweltverhältnisse während der letz- ten 40 000 Jahre. Das überraschende Ergebnis: Den »ewigen« Regenwald gab es auch damals schon nicht.

Luftaufnahme des immergrünen Regenwaldes im östlichen Teil der Demokratischen Republik Kongo (Kivu). Der jährli- che Niederschlag liegt bei 2000 bis 2500 Millimeter.

22 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Zentralafrika

Den Fluss hinaufzufahren war wie eine Reise zurück zu den frühesten Anfängen der Welt, als noch die Pflanzen zü- ■1 Der tropische Regenwald aus der gellos die Erde überwucherten und die großen Bäume Könige waren. Ein leerer Strom, ein großes Schweigen, ein Sicht früher For- undurchdringlicher Wald. Die Luft war warm, schwer, drückend, träge. Im Glanz des Sonnenscheins war keine Freu- schungsreisender. de. Die langen Abschnitte des öden Flusslaufs führten tiefer und tiefer in die Düsternis der beschatteten Ferne hinein. Stich aus der Flora Brasiliensis Joseph Conrad (1911), aus »Herz der Finsternis« des Botanikers Martius von 1840.

it den Forschungsreisenden des 16. und 17. gensatz zu den durch Buschfeuer, Rodung und Holzein- Jahrhunderts und der Errichtung von Über- schlag stark dezimierten Regenwäldern Südamerikas Mseekolonien gelangten erste, oftmals sehr fan- und Südostasiens ist die Mehrzahl der zentralafrikani- tasievolle Berichte über die tropischen Regenwälder schen Wälder durch ihre Unzugänglichkeit und konti- nach Europa /1/. Realistischer und abgründiger be- nentale Binnenlage – mit Ausnahme von Gabun und schreibt der Brite Joseph Conrad 1911 seine Eindrücke Kamerun – relativ intakt. Allerdings nimmt der Druck von einer Flussfahrt auf dem Kongo in der Erzählung auf die Ressource »Regenwald« an der Peripherie des »Herz der Finsternis«. Undurchdringlich und menschen- Kongobeckens durch unkontrollierten Holzeinschlag feindlich erlebt er den tropischen Regenwald Zentral- auf Grund von Bergbau, kriegerischen Konflikten und afrikas ■1 . Noch heute sind fast 50 Prozent der Fläche Flüchtlingsströmen weiter zu, zum Beispiel in Ostkon- Zentralafrikas mit dichten, tropischen Naturwäldern be- go, Ruanda und Burundi. deckt. Davon entfallen allein mehr als 109 Millionen Tropische Regenwälder der Tiefländer entwickeln Hektar Waldfläche auf die Demokratische Republik sich überall dort, wo jährlich gleichbleibend hohe Nie- Kongo, die nach Brasilien und Indonesien das drittgröß- derschläge fallen (1600 Millimeter und mehr) und die te Regenwaldvorkommen der Erde besitzt /2/. Im Ge- Durchschnittstemperatur des »kältesten« Monats bei

Forschung Frankfurt 1–2/2002 23 Forschung intensiv

Monrovia (15m ü.M.) 27° 3874mm 0° Bangui (381m ü.M.) 26,1° 1595mm 500 500 mm mm 300 300 °C °C 50 100 50 100

40 Regenzeit 80 40 80 nördlicher 30 60 30 60 Wendekreis 20 40 20 40 Trockenzeit 10 20 10 20

0 0 JFMAMJ J ASOND JFMAMJ J ASOND

Lagos (40m ü.M.) 26,3° 1830mm Boende (370m ü.M.) 25,4° 2440mm 500 500 mm mm 300 300 °C °C 50 100 Lagos 50 100 Monrovia Douala 40 80 Bangui 40 80

30 60 30 60 Äquator 20 40 Boende 20 40 ■3 10 20 Kabinda 10 20 Verbreitung des tropischen Regen- 0 0 JFMAMJ J ASOND JFMAMJ J ASOND waldes. Die Ver-

Douala (13m ü.M.) 24,4° 3948mm Kabinda (885m ü.M.) 24,4° 2128mm breitung des tropi- 500 500 mm mm schen Regenwal- 300 300 des mit ausge- °C °C 50 100 50 100 wählten Klimasta- tionen in Zentral- 40 40 80 80 afrika mit Angabe 30 60 30 60 südlicher von mittlerem 20 40 Wendekreis 20 40 jährlichen Nieder- 0° 10 20 10 20 schlag und mittle- 0 500 1000 1500 2000 km Regenwald- rer Jahrestempera- 0 gebiete 0 JFMAMJ J ASOND JFMAMJ J ASOND tur.

mindestens 18 Grad Celsius liegt ■2 . Derartige klimati- lenanalytischen Untersuchungen aus den feuchten Tro- sche Voraussetzungen sind in einem erdumspannenden pen zeigten, dass offensichtlich auch der tropische Re- feuchttropischen Landschaftsgürtel nördlich und südlich genwald vorzeitlich von ausgeprägten Klimazäsuren des Äquators in Südamerika, Afrika und Südostasien und somit von Vegetationsveränderungen betroffen gegeben /1/. war /3, 5/. Klassische Konzepte Geologisch-evolutions-geschichtliche und neue Erkenntnisse Perspektive

Bis in die 1960er Jahre herrschte die Auffassung vor, Zum Verständnis der Geschichte des zentralafrikani- der äquatoriale Regenwald Afrikas sei eines der stabil- schen Regenwaldes müssen Vorgänge der Plattentekto- sten Ökosysteme der Erde. Die Artenvielfalt (Biodiver- nik und die paläogeographischen Verhältnisse berück- sität) bei Pflanzen und Tieren und die hohe Produktion sichtigt werden. Die Frage nach dem maximalen »Alter« an Biomasse legten den Schluss nahe, dass sich diese des Regenwaldes steht darüber hinaus in engem Zu- Lebensformen über Jahrmillionen hinweg unter gleich- sammenhang mit dem ersten Auftreten der Angiosper- bleibenden Umweltbedingungen bis in die Gegenwart men (Bedecktsamer), die die Artenzusammensetzung in entwickelt hätten. Drastische Klimaeinschnitte wie die den Regenwäldern bis heute prägen. Das Erscheinen Eiszeiten galten als ein Phänomen der Außertropen mit der Angiospermen im Cenoman (Oberkreide) vor 96 bis nur mäßigem Einfluss auf die Klimaverhältnisse in den 92 Millionen Jahren stellt – nach der Besiedlung des immerfeuchten Äquatorialgebieten /3/. Festlandes im Devon – die wichtigste Entwicklung in Auch spielte die europäisch-abendländische Sicht der Pflanzenwelt dar. Durch sie wurden die Vorausset- über den »Regenwald« als eine stets »dunkle, geheim- zungen für die Entfaltung der Säugetiere und Vögel auf nisvolle, undurchdringliche und bedrohliche Wildnis« /4/ der Erde geschaffen. Nach den erdgeschichtlichen Er- für die wissenschaftliche Wahrnehmung eine nicht kenntnissen herrschte vom Cenoman (92 Millionen unerhebliche Rolle. Erst in jüngster Vergangenheit, so Jahre) bis ins Eozän (36 Millionen Jahre) in den äqua- die verbreitete Annahme, begann der Mensch nach tornahen und in den mittleren Breiten – also auch in einer Jahrmillionen währenden Kontinuität des Waldes Europa – ein feucht-warmes, frostfreies Klima, das die mit der Erschließung und Besiedlung dieser letzten Ur- Entwicklung »megathermaler Wälder« zuließ. Diese gebiete der Erde. frühen »Regenwälder« unterschieden sich durch ihren Dieses Konzept ist inzwischen hinfällig: Die in den wenig komplexen Aufbau noch deutlich von den heuti- vergangenen 30 Jahren durchgeführten Altersdatierun- gen, mehrschichtigen und biomassereichen Waldbe- gen mit der Radiokarbonmethode (Altersangaben je- ständen /6/. Durch den klimatisch mehr oder weniger weils in 14C-Jahren bezogen auf das Jahr 1950 als »yrs. gleichförmigen Zeitraum von über 60 Millionen Jahren B.P.« = »years before present«, Jahre vor heute) an pol- konnten die Angiospermen zahlreiche Familien, Gat-

24 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Zentralafrika

50

nördlicher Wendekreis 50 100 50 50 100 100 100 100 200 2 200 00 Äquator

200 100 0 50 200 0 2

100 100 100 südlicher 100 50 50

Wendekreis 5 0 0 0 1 50

50 230 Mio. Jahre 140 Mio. Jahre 70 Mio. Jahre 50 Mio. Jahre 2 Mio. Jahre

Gondwana Gondwana Südatlantik Eiszeiten – Holozän „Superkontinent“ zerfällt geöffnet „Waldregression“ Trias Ende Jura Ende Kreide Eozän Heute tungen und Arten hervorbringen, die für die heutige ■3 Plattentektonische und paläogeographische Situation der afrikanischen Landmasse Biodiversität der tropischen Wälder kennzeichnend zwischen Trias und Gegenwart. Als zentraler Teil von Gondwana war Afrika ursprüng- sind. lich großräumig von einem Trockenklima geprägt. Das änderte sich mit der platten- Das zweite, für die afrikanische Regenwaldentwick- tektonischen Zerteilung an der Wende Jura/Kreide. Mit Öffnung des Südatlantiks vor 95 Millionen Jahren und der fortschreitenden Plattenbewegung zum Äquator hin lung entscheidende Ereignis war die plattentektonische wurde das Klima wärmer und feuchter. Die Zahlen entlang der Isolinien geben den Zerlegung Gondwanas vor 130 Millionen Jahren am angenommenen, relativen Niederschlag (NS) wieder: kleiner als 50 = sehr wenig NS, Übergang vom Jura zur Kreidezeit ins heutige Afrika, 50 bis 100 = geringer NS, 100 bis 200 = gemäßigter bis hoher NS, größer als 200 = Indien, Südamerika und die Antarktis. Die Öffnung des hoher NS /6/. Südatlantiks und die geographische Trennung von Südamerika und Afrika war vor etwa 95 Millionen Jah- wechselfeuchten Klimas nicht mehr im Kongobecken ren abgeschlossen ■3 . Für die vorher im Zentrum des existieren konnte. Die heutige Verbreitung der Pflan- Superkontinents gelegene, küstenferne afrikanische zenarten lässt Botaniker vermuten, dass der Regenwald Landmasse hatte die plattentektonische Aufteilung auch die Klimaverschlechterungen während der letzten Eis- eine Veränderung des Klimas zur Konsequenz. Die jetzt zeit (LGM-zeitlich) in zwei Rückzugsgebieten (»Refugi- größere Nähe zum Atlantischen und Indischen Ozean en«) überdauerte und sich von dort aus in der Nacheis- ließ das Klima Afrikas deutlich feuchter werden als in zeit erneut im Kongobecken ausbreitete■4 . Die Refugi- der vorangegangenen Zeit. Durch die Ausdehnung der en wiesen während des LGM offensichtlich noch hinrei- Ozeanböden (sea-floor spreading) bewegte sich die afri- chend feucht-warme Klimabedingungen auf. Das eine kanische Platte in den folgenden 50 Millionen Jahren Refugialgebiet im östlichen Kongobecken wurde zwi- kontinuierlich in Richtung Äquator, was dauerhaft schen 1992 und 1996 in einem von der Deutschen For- feucht-tropische und warme Klimabedingungen und schungsgemeinschaft finanzierten Projekt untersucht. den Fortbestand bereits früher existierender Wälder in An zahlreichen Erdaufschlüssen entlang eines sich Zentralafrika garantierte. über 200 Kilometer durch das postulierte Refugialgebiet erstreckenden Straßenprojektes konnten mit geomor- »Überleben« in Refugien: phologischen und stratigraphischen Aufnahmen an Der Regenwald im Pleistozän Böden und Sedimenten klimagesteuerte, morphodyna-

Der bedeutendste Einschnitt in der Geschichte des tropi- ■4 Lage der Untersuchungsgebiete und Regenwaldverbreitung. Die Karte zeigt die Un- schen Regenwaldes wurde durch die Eiszeiten im Quar- tersuchungsgebiete in Mbomou und im Kivu sowie die vermutete Ausdehnung des tär vor ungefähr zwei Millionen Jahren ausgelöst. Ozea- Regenwaldes in Refugien im LGM (Hochwürm) und das heutige Verbreitungsgebiet nische und terrestrische Bohrkerne aus den antarkti- (schematisch). schen und grönländischen Eisschil- den zeigen über das Sauerstoff-Iso- topen-Verhältnis (δ18O) die frühe- Afrika ren Temperaturbedingungen und Liberia/Oberguinea Mbomou-Plateau indirekt auch die globalen Eismen- Zentralafrikanische Republik gen dieser Zeit an. Demnach hatten die Kaltzeiten weltweite Auswir- kungen auf alle Ökosysteme. In Kivu, D.R. Kongo Zentralafrika erfolgte insbesondere Kamerun/Gabun während der letzten Eiszeit (Letztes Atlantischer Ozean Ostkongo Glaziales Maximum, LGM) vor 14 Indischer 25 000 bis 18 000 C-Jahren eine Ozean starke Aridisierung des Klimas. Of- Refugien (LGM) fene Baum- und Grassavannen ver- Regenwald (heute) drängten von Norden und Süden 0 500 1000km großflächig den Regenwald, der wegen des jetzt zu trockenen und

Forschung Frankfurt 1–2/2002 25 Forschung intensiv

Baumstämme entdeckt werden ■5 . Das 14C-Alter der Hölzer liegt zwischen 12 960 ± 330, 18 310 ± 860 und 36 680 ± 440 Jahre vor heute (yrs. B.P.); fällt also in die /7/ Decksediment Zeit vor, während und nach dem LGM . (hillwash) Die Stratigraphie des Osokari-Alluvialaufschluss ist stone-line komplex und umfasst offenbar gleich mehrere Phasen fossile verstärkter morphodynamischer Aktivität. Zeiten mit Baumstämme flussgesteuerter Akkumulation (Alluviation) und latera- Flecken- und Bleichzone ler fluvialer Erosion (Sedimentabtrag) haben demnach in den letzten 36 000 Jahren mehrfach gewechselt /8,5/. Die heterogene Zusammensetzung (Allochthonie) und genetische Mehrphasigkeit der Decksedimente spricht für eine ausgeprägte, geomorphologische Insta- bilität im Bereich der bislang als Refugialraum angese- henen Zone. Das artenreiche Refugialgebiet im östli- ■5 Straßenbauaufschluss bei Osokari, Demokratische Republik Kongo. Der komplexe chen Kongobecken hat folglich während des LGM nicht stratigraphische Aufbau des Bodenmaterials (hillwash, stone-lines) mit einsedimen- als geschlossenes Waldgebiet, sondern als aufgelöstes tierten, fossilen Baumstämmen (Alter von 36 000 bis 13 000 Jahren) unterstreicht Vegetationsmosaik von Waldinseln, Galeriewaldsyste- den allochthonen Charakter der Pedisedimente. Dies lässt auf hochglazialzeitlich men und Savannenflecken existiert■6 . Somit überdau- aktive morphodynamische Oberflächenprozesse schließen, die durch eine savannen- erte die Regenwaldflora die aride Glazialzeit auch in we- artige Vegetationsbedeckung wirksam werden konnten. sentlich kleineren Refugien, wie lokalen Waldinseln und Galeriewäldern, als bisher angenommen. Im an- mische Aktivitäts- und Stabilitätszeiten dokumentiert schließenden Holozän breitete sich der Regenwald des werden. Das Vorkommen mehrschichtiger, allochthoner östlichen Kongobeckens unter feuchteren und wärme- Bodenbildungen (Pedisedimente) zeigt, dass der Regen- ren Klimabedingungen in nur wenigen Jahrtausenden wald innerhalb des Refugialgebietes zeitweise stark erneut aus /7/. zurückgedrängt gewesen sein muss, da bei dauerhafter ■6 Die LANDSAT- Existenz einer geschlossenen Pflanzendecke keine ober- Grenzbereiche im Holozän: Wo der Thematic Mapper flächliche Sedimentverlagerung und Alluviation durch Regenwald an die Savanne stößt Satellitenaufnah- Flüsse möglich gewesen sein kann. me aus dem nörd- Mit Hilfe von 14C(AMS)-Datierungen konnte eine bis An der nördlichsten Verbreitungsgrenze des Regenwal- lichen Kongo zeigt zu acht Meter mächtige Sedimentfolge beim Dorf Oso- des in Zentralafrika – auf dem Mbomou-Plateau in der den Übergangsbe- kari im Osten der Demokratischen Republik Kongo Zentralafrikanischen Republik – fanden Studien zur reich von geschlos- landschaftsgeschichtlich eingeordnet werden. Neben erdgeschichtlich jüngsten, holozänen Regenwalddyna- senem Regenwald (rot) zu offenen Sa- Grobmaterialbändern (stone-lines) und holzkohlefüh- mik statt. Im Untersuchungsgebiet treffen geschlossene vannen-Ökosyste- renden Decksedimenten (hillwash) im oberen Teil der Wald- und offene Savannen-Ökosysteme direkt aufein- men (blau). Aufschlüsse, konnten im Liegenden mehrere fossile ander. Die landschaftsökologische Sensitivität ist groß; das heißt ein feuchteres Klima wird mit der Zeit zur Ausdehnung des Waldes, ein trockeneres dagegen zur

5° N Ausdehnung der Savannen führen. Informationen zur Verschiebung der Wald-Savannen-Grenze können mit isotopenchemischen Analysen an stabilen Kohlenstof- fen aus mehreren Metern mächtigen Flussablagerungen gewonnen werden■7 . Da das Mbomou-Plateau seit dem Paläozoikum terrestrisches Abtragungsgelände ist und im Zuge der Rumpfflächenbildungen mächtige Tiefer- schaltungen des Reliefs abgelaufen sind, kommen als Archive für die holozäne Landschaftsgeschichte aus- schließlich Flusstäler (Mbari-Tal) mit den dort enthalte- nen Sedimenten in Frage /8/.

Schwere Gräser – leichte Bäume

4° 30’ N Für die Rekonstruktion der Regenwald-Savannen-Ge- schichte werden fossile Humusschichten und Kohlen- stoffspuren im Sediment benötigt. Mit massenspektro- metrischen Methoden lässt sich nachweisen, ob der ur- sprünglich durch Photosynthese gebildete Kohlenstoff in der organischen Bodensubstanz von C3- oder C4- Pflanzen gebildet wurde: Bei der Photosynthese auto- tropher grüner Pflanzen existieren verschiedene bio- chemische Wege der CO2-Fixierung: So genannte C3- Pflanzen, hierzu gehören viele der tropischen Waldbäu-

24° E 24° 30’ E 0 10 20 km me, bauen CO2 über den »Calvin-Benson-Zyklus« in die Zelle ein. C4-Pflanzen, hierzu zählen sehr viele Grä-

26 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Zentralafrika ser der tropischen Savannen, un- terscheiden sich von den C3-Pflan- zen insofern, dass als erstes Fixie- rungsprodukt aus der Kohlendi- Waldregression Waldregression oxidaufnahme ein Körper mit vier saisonale Galerie- Galerie- saisonale und nicht mit drei Kohlenstoffato- Überflutungszone wald wald Überflutungszone men gebildet wird (»Hatch-Slack- Grasland Grasland Kortschak-Weg«). Für die Vegetati- C4-„Humus“ C4-„Humus“ onsrekonstruktion hat die Unter- Hochwasser scheidung in C3- und C4-Pflanzen δ13C = –10‰ bis –17‰ eine große Bedeutung, da diese Alluvialsedimente Fluss Alluvialsedimente Pflanzengruppen die natürlich in Rotlehm Rotlehm der Atmosphäre vorkommenden Kohlenstoffisotope 12C und 13C bei Basement (Mbomou-Gneis) der Aufnahme von CO2 »ungleich« A behandeln. Das in geringerer 13 Menge vorhandene CO2 wird bei der Aufnahme zur Photosynthese 12 gegenüber CO2 von C3-Pflanzen Vorrücken des Waldes Vorrücken des Waldes diskriminiert. Deshalb besitzen C4- Pflanzen einen vergleichsweise keine saisonale höheren Anteil von 13C. Gräser und Überflutung der durch Gräser gebildete rezente wie auch der fossile organische C3-„Humus“ C3-„Humus“ Kohlenstoff im Humus des Bodens ist der Masse nach also geringfügig δ13C = –20‰ bis –35‰ »schwerer«, als der Kohlenstoff, Fluss Bohrung Rotlehm Rotlehm der durch C3-Pflanzen fixiert wurde /10/. Die Bestimmung des 13C/12C-Verhältnisses wird als δ13C- Basement (Mbomou-Gneis) B Wert (negativer Wert in Promille) angegeben /10,11/. ■7 Landschaftskundliches Modell eines zentralafrikanischen Flusses unter verschiedenen Abflussbedingungen. Aus der organischen Substanz A) Unter wechselfeuchtem, semi-humidem Klima findet regelmäßig eine Überflutung der Uferzonen durch eines rezenten oder fossilen Bodens Hochwasser statt, was zur Entwicklung flussbegleitender Grasländer führt. Im Boden wird ein »C4-Hu- lässt sich über den δ13C-Wert nach- mus« akkumuliert. vollziehen, aus welcher primären B) Bei immerfeuchten Klimabedingungen mit gleichbleibendem Abfluss fehlt dagegen das regelhafte Hoch- wasser. Waldbäume können bis an den Fluss »heranrücken« und verdrängen das Grasland. Durch Laub- Vegetation (»Savanne«: überwie- fall und Humifizierung entwickelt sich mit der Zeit ein »C3-Humus« im Oberboden. gend C4; »Wald«: mehrheitlich C3) das organische Material durch Pho- tosynthese gebildet wurde. Wird zusätzlich zum δ13C-Wert über das radioaktive Kohlen- 13C (‰) stoffisotop 14C das absolute Alter der organischen Sub- PDB stanz ermittelt, so lässt sich eine Chronologie des Wech- –29,2 –28,0 sels von Wald und Savanne ableiten■7 . Die polynomi- –27,5 –27,6 sche Verteilungskurve ■8 belegt einen klimagesteuerten –26,5 Wandel von Wald zu Savanne und umgekehrt. Im er- Regenwald –25,5 C3 sten Kurvenabschnitt wird von der Gegenwart bis etwa –24,0 –23,1 2500 bis 3000 Jahren (yrs. B.P.) eine Verschiebung von den heute vorherrschenden grasbestandenen Savan- –21,8 –20,6 –20,0 –20,2 –20,0 Übergang nenzonen (Überflutungsgebiete entlang der Flüsse) hin –19,6 δ13 –18,9 zu mehr Wald deutlich. Ein Ansteigen der C-Werte –18,4 –17,7 bis auf –17,7 Promille und –17,5 Promille deutet um –17,5 5000 bis 6000 Jahren vor heute (yrs. B.P.) erneut auf –16,0 –15,7 Savanne –15,6 eine leichte Waldregression unter wechselfeuchtem C4 –14,6 Klima hin. –14,1 Offensichtlich ist die Lage der Regenwald-Savannen- –12,0 Grenze am Nordrand des Kongobeckens in der zweiten Hälfte des Holozäns durch einen klimatisch induzierten, semi-humiden bis leicht semi-ariden hygrischen Wan- 10000 8000 6000 4000 2000 0 del von maximal 2000 bis 3000 Jahren Dauer gesteuert Holozän/Jahre heute worden. Der menschliche Einfluss auf die Regenwälder ■8 Rekonstruktion vorzeitlichen Klima- und Vegetationswandels. und Savannen durch Buschfeuer, Viehzucht und Land- Stabile Kohlenstoffisotope (δ13C) aus Alluvialablagerungen wirtschaft wird in der Jungsteinzeit deutlicher. Dieser und 14C-Altersdatierungen helfen beim Nachweis vorzeitlicher Einfluss zeigt sich im letzten Drittel der Kohlenstoffiso- Klima- und Vegetationswandel entlang des Regenwald-Savan- topenkurve, der den heutigen klimatischen Verhältnis- nenkontaktes (vergleiche ■7 ).

Forschung Frankfurt 1–2/2002 27 Forschung intensiv

sen entsprechend Ausdruck einer relativ offenen, stark durch Feuer beeinflussten Savannenlandschaft mit Waldinseln ist. Zukunft des Regenwaldes in Afrika – ppmv CO2 1958 –1993 »Düngung« durch CO2? 380 Mauna Loa, Hawaii Hinsichtlich der biologischen Evolution hat der »Regen- 360 Zunahme der Netto-Photo- wald« eine Millionen Jahre alte Kontinuität. Land- synthese bei C3-Pflanzen, schafts- und klimageschichtlich zeigt sich dagegen, dass 340 Stagnation bei C4-Pflanzen das »Ökosystem Regenwald« mehrfach durch natürli- physiologischer 320 1970 che Klimaverschlechterungen fast vollständig in Afrika Grenzbereich verdrängt wurde. Durch Regeneration und erneute ppmv CO2 300 300 Ausdehnung des Waldes hat sich dieses tropische Öko- Vostock, Antarktis system allerdings innerhalb kurzer Zeit bisher mehrmals 280 »erholt«. Für das Vegetationsverhältnis Wald/Savanne in Afri- 260 ka ist vermutlich unter anderem auch die Kohlendio- xidkonzentration in der Atmosphäre entscheidend: 240 Rück- kehr des Diese hat sich seit der letzten Eiszeit grundlegend verän- Regen- physio- dert■9 . Bei einer CO2-Konzentration von weniger als 220 waldes C3 logischer Grenz- 200 ppmv (parts per million volumina), wie sie zur letz- LGM 200 bereich ten Eiszeit vorlag, zeigten die verbliebenen Regen- waldbäume (C3) eine photosynthetische Stressreaktion Physiologische Stress-Reaktion bei C3- 180 Savanne C Pflanzen (geringe Netto-Photosynthese); und drosselten ihren Stoffwechsel zugunsten der vitale- 4 andauernde Photosynthese bei C -Pflanzen 4 ren Gräser, die als C4-Pflanzen auch unterhalb von 160 200 ppmv noch gute Wachstumsbedingungen fanden. Jahre 40000 30000 20000 10000 0 heute Seit etwa 1970 übersteigt die CO2-Konzentration den Tiefe des Vostock Eiskerns (m) Wert von 330 ppmv; dies begünstigt die C3-Bäume hin- 600 400 200 0 sichtlich der Produktivität ihrer Assimilate gegenüber den C4-Pflanzen, deren Photosyntheseleistung »gesät- tigt« ist. Als Hypothese könnte man dem anthropoge- nen Treibhauseffekt der jüngeren Vergangenheit einen ■9 Kohlendioxidkonzentration in der Erdatmosphäre während »CO2-Düngeeffekt« zuschreiben, der die natürliche der vergangenen 40 000 Jahre. Im antarktischen Eis einge- Wiederausbreitung der Regenwälder im Übergangsbe- schlossene Luftbläschen und neuere Aufzeichnungen auf Ha- reich zu den Savannen möglicherweise fördert. Luft- waii seit 1958 dokumentieren Schwankungen in der Kohlendi- oxidkonzentration in der Erdatmosphäre seit dem LGM. Die und Satellitenbildvergleiche während der letzten 35 Nettophotosyntheseleistung und damit die Biomasseprodukti- Jahre haben einen solchen Trend in nicht besiedelten on schwankt bei C4- und C3-Pflanzen in Abhängigkeit vom CO2- Regionen Nordkongos als »quasi-natürliche« Waldsuk- Gehalt in der Atmosphäre (»Physiologisches Grenzbereich«). zession belegen können /9/. ◆

Der Autor

Prof. Dr. Jürgen sich vorrangig mit innovativen Metho- men in den afrikanischen Tropen in Ver- Runge, 39, wurde den des Remote Sensing (Satelliten- gangenheit und Gegenwart (Paläo- 1962 in Bamberg bildauswertung), thematischer, compu- umweltforschung, klimatische Sensiti- geboren. Er stu- tergestützter Kartographie sowie mit vität der Savannen und Regenwälder) dierte Geographie, tropischer Geomorphologie, Bodenkun- zählen zu seinen thematischen Schwer- Geologie, Boden- de und Landnutzung befasste. Seine punkten. Angewandte Fragestellungen kunde und Bota- 1999 abgeschlossene Habilitations- sind neben der Regionalplanung und nik in Gießen und schrift entstand im Rahmen des von Landnutzung in Afrika Probleme beim Göttingen, wo er ihm geleiteten DFG-Forschungsprojek- Ausbau und der Unterhaltung von Infra- sich früh mit geo- tes »Paläoklima Afrika« (1994–1999). struktur. Mit Hilfe seiner methodischen wissenschaftlichen und raumplaneri- Das Material hierfür sammelte er wäh- Kenntnisse und langjährigen Erfahrun- schen Fragen in Afrika südlich der Sa- rend zahlreicher Geländekampagnen in gen berät Jürgen Runge Ingenieurfir- hara auseinander setzte. Nach einer der Demokratischen Republik Kongo men bei ihren Vorhaben in Afrika. Er ist zweijährigen Tätigkeit im westafrikani- (Zaire), Ruanda, Burundi und der Zen- unter anderem Mitglied der South Afri- schen Togo im Rahmen der Techni- tralafrikanischen Republik. Die Bayeri- can Association of Geomorphologists schen Zusammenarbeit (UN-Projekt sche Akademie der Wissenschaften, (SAAG) und der South African Society »Integrierte Ländliche Regionalent- Kommission für Geomorphologie, hat for Quaternary Research (SASQUA), Mit- wicklung«) promovierte er 1989 in diese Monographie in ihre Schriftenrei- herausgeber der Fachzeitschriften »Pala- Göttingen. 1990 wechselte Jürgen he »Relief-Boden-Paläoklima« aufge- eoecology of Africa«, »Geoökodynamik« Runge als Wissenschaftlicher Assistent nommen. Die Entwicklung und Dyna- und Vorstandsmitglied der Frankfurter an die Universität Paderborn, wo er mik von Landschaften und Ökosyste- Geographischen Gesellschaft.

28 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Zentralafrika

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Forschung Frankfurt 1–2/2002 29 Forschung intensiv Die vereinigten Platten von Europa – Das Puzzlespiel der kontinentalen Erdkruste

Alfred Wegener (1880 –1930), der Vater der modernen Geowissenschaften.

von Wolfgang Franke

Wegeners Hypothese von der Wanderung der Kontinente bildet die Grundlage für das moderne Ideengebäude der Geowissenschaften. Auf dieser Basis lassen sich Aufbau und Zerfall großer Kontinentalschollen auch für immer weiter zurückliegende Abschnitte der Erdgeschichte re- konstruieren. Der vorliegende Artikel gibt einen Über- blick über das Wachstum der Erdkruste von Mitteleuropa.

m 6. Januar 1912 stellte Alfred Wegener (siehe der Ozeane glänzend bestätigt. Heute bildet sie das Fun- »Alfred Wegener – Vater der modernen Geowis- dament der modernen Geowissenschaften. Asenschaften«, S. 33) im Frankfurter Sencken- Zur starren Kruste der Erde gehören nicht nur die berg-Museum seine Theorie der Kontinentalverschie- dicken, spezifisch leichten Kontinentalschollen, sondern bung erstmals der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vor. auch die schwerere Kruste der Ozeanböden, die Wege- Sie wurde zunächst sehr skeptisch aufgenommen, nach ner noch nicht erkannt hatte. Diese entsteht entlang der dem Krieg jedoch vor allem durch die Untersuchung Mittellinien der Ozeane (mittelozeanische Rücken), wo

30 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Kontinentalverschiebung

°E heiße (und deshalb leichtere) Partien des Erdmantels 13 N aufsteigen. Hier bilden sich Gesteinsschmelzen 52° basaltischer Zusammensetzung, die entlang der Zentralspalte auf dem

Meeresboden austreten und er- Harz starren. Nachdrängende Schmelze verteilt sich auf die ältere Kruste links und Fichtelgeb. rechts der Förderspalte. M Dieser Prozess läuft mehr BöhmischeMasse oder weniger kontinuier- RHENO – lich ab, so dass die geb. HERCYN. – ZONE Schiefer- Ozeanböden eine sehr Kristallin - Schwelle einfache Alterszonie- Sp rung zeigen: Die Ozean- SCHE Z. kruste wird nach beiden nkfurt Seiten mit zunehmender Bonn Fra Entfernung vom Rücken Rhein. SCHE ZONE Odw immer älter.

Dagegen ist die Zusammen- SAXO – THURINGI setzung der dickeren, kontinen- MOLDANUBI Phyllit – Zone talen Kruste chaotisch. Kontinen- tale Krustenblöcke driften auf dem Mitteldeutsche Schwarz- zähflüssigen Erdmantel wie Eis- wald schollen auf einem Fluss. Zuweilen schließen sich diese Schollen zu größe- ren Einheiten zusammen, brechen aus- Vogesen einander, um sich anschließend wieder in ■1 Plattengrenzen einer anderen Konfiguration zusammenzu- und Gebirgszonen finden. Dieses Spiel wiederholt sich in immer Gesteinsschmelzen in Europa. Verein- neuer Form seit der Entstehung der ersten (Magmen), die teils in der fachtes Blockbild kontinentalen Krustenblöcke vor mehr als drei Erdkruste stecken bleiben, oft aber der Krustenstruk- tur in Mitteleuro- Milliarden Jahren. Auf diese Weise sind ältere – wie zum Beispiel in den Anden – an der pa, mit Farbkodie- und jüngere Schollen vermischt worden wie die Erdoberfläche Vulkane aufbauen. rung der ursprüng- Dominosteine auf der Tischplatte. Späne von Mantelmaterial und hochmetamorphen lichen Platten und Die heute ablaufenden Plattenbewegungen sind rela- Gesteinen finden sich zum Beispiel in einer Südwest/ den bei der Kolli- tiv einfach nachzuvollziehen: Aktive Erdbebenzonen, Nordost-verlaufenden Zone im nördlichen Böhmen, die sion entstandenen Vulkangürtel und aufsteigende Gebirge zeigen den Zu- das Fichtelgebirge und das Erzgebirge begleitet. Nach Zonen des »varis- sammenstoß von Krustenplatten an. Satellitenbeobach- Nordwesten überschobene Ausläufer sind auch in den cischen« Gebirges. tungen ermöglichen sogar eine exakte Messung der metamorphen Deckenresten bei Münchberg in Nordost- Plattendrift. Innerhalb der heutigen Kontinente sind die Bayern sowie Wildenfels und Frankenberg in Sachsen Plattenbewegungen meist vollständig erloschen. Die Re- erhalten ■1 . Hier im nördlichen Böhmen hat sich ein konstruktion früherer Bewegungen, die zu den heuti- saxo-thuringischer (sächsisch-thüringischer) Ozean ge- gen Kontinenten geführt haben, gehört zu den aufre- schlossen, der vor etwa 500 bis 400 Millionen Jahren gendsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der Geo- die Kontinentalplatten Bohemia (Umgebung von Pilsen wissenschaften. Welche Instrumente helfen bei der Re- und Prag) und Saxo- (Frankenwald, Fichtel- konstruktion dieses Puzzles? Aus welchen Bausteinen gebirge, Thüringer Wald, Vogtland) voneinander ge- besteht die Erdkruste von Europa? Welche Prozesse trennt hat. Im Süden war Bohemia durch eine weitere haben die Plattenbewegungen angetrieben? Meeresstraße von Moldanubia getrennt (vermutlich ein Teil der Großplatte Gondwana: Afrika, Südamerika, Das geologische Europa ist Australien, Indien, Antarktis). Metamorphe Reste des genauso komplex wie das politische moldanubischen Ozeanes sind bis in das österreichische Waldviertel überschoben worden. Bei der Kollision von Zum Ausgleich für das Wachstum der Kruste an den Bohemia mit Saxo-Thuringia im Norden und Moldanu- ozeanischen Rücken müssen andere Bereiche wieder in bia im Süden sind zwei selbstständige Gebirgszüge ent- den Erdmantel abtauchen: Sie werden subduziert. In standen, die Saxo-Thuringische und die Moldanubische der Tiefe wandelt sich Ozeankruste in das Gestein Eklo- Zone. git um. Wenn nach dem Verschwinden des trennenden Saxo-Thuringia und Bohemia haben zusammen mit Ozeans Kontinentalplatten zusammenstoßen, können Armorica (Bretagne) eine Inselgruppe gebildet, die man Späne von Eklogiten und von Erdmantelmaterial wie- zusammenfassend als Armorica bezeichnet. Nördlich der an die Oberfläche gelangen. Sie markieren dann die von Armorica lag eine weitere kleine Kontinentalplatte, Plattengrenze (Sutur), werden allerdings oft noch über zu der auch östliche Teile des heutigen Nordamerika Entfernungen bis zu 300 Kilometer als tektonische gehörten (Avalonia, benannt nach der Avalon-Halbinsel Decken auf das Vorland überschoben. Ein weiteres Indiz im östlichen Neufundland). Diese Vielfalt von Namen ist für eine fossile Subduktions-Zone sind charakteristische erforderlich, weil man zwischen den ursprünglichen

Forschung Frankfurt 1–2/2002 31 Forschung intensiv

■2 Große und kleine Kontinentalplatten in Europa und Nord-Amerika. Die Platten waren Bestandteil der Großplatte Pangaea, wie sie nach der variscischen LAURENTIA 8 Gebirgsbildung und vor der Öffnung des ° heutigen Atlantik bestand. Zahlen: paläo- E magnetische Inklination aus Gesteinen 19° 34° R T U 32° 22° I S U des Ordoviziums. Sterne: Fundpunkte A P E 35° 23° T U S von gekritzten Geschieben der Sahara- 28° 32° BALTICA 33° 65° Avalonia ? Vereisung im spätesten Ordovizium (etwa 75 ° T 31 53° 55° RA ° 440 Millionen Jahre). Gepunktet: Auf- Armorica NS –E U schlüsse einer älteren (»cadomischen«) R 82° O 69° * P Gebirgsbildung, die typisch für den * E * * 58° A 78° 67*° N Nordrand von Gondwana und davon ab- 85** 73°* ° F A stammende Mikroplatten ist. * ** U ? ? L 80° T GONDWANA 68° Saxo- Südpol Thuringia Bohemia

magnetischen Feldlinien fossil überliefert. Aus der so genannten Paläo-Inklination, d.h. der Neigung der mag- netischen Feldlinien gegen die Schichtung des Gesteins, lässt sich die Paläo-Breite ableiten: An den Polen ist die Inklination steil, am Äquator horizontal. Gesteine des Ordoviziums (500 bis 440 Millionen Jahre) aus Gondwana und der armorikanischen Insel- gruppe zeigen steile Inklinationen von etwa 65 bis 82 Grad, also Pol-Nähe, während Avalonia und die im Nor- den angrenzenden Großplatten Laurentia (Nordameri- ka-Grönland) und Baltica (Skandinavien und Russland bis zum Ural) niedrige Inklinationen (Äquator-Nähe) aufweisen ■2 . Die paläomagnetischen Befunde werden durch fossi- le Klimazeugen bestätigt. Eine Vereisungsperiode vor etwa 440 Millionen Jahren, die nach der Lage des da- maligen Südpols als Sahara-Vereisung bezeichnet wird, hat auf dem alten Felsgrund von Westafrika Gletscher- schrammen hinterlassen. Eisberge haben Gerölle (ge- kritzte Geschiebe) bis ins heutige Thüringen verfrachtet, also in den nördlichen Teil der armorikanischen Insel- gruppe ■3 . Das passt gut zu den steilen Paläo-Inklinatio- nen in Gondwana und Armorika, die ebenfalls auf eine Lage dieser Gebiete nahe dem Südpol deuten. Avalonia, Laurentia und Baltica zeigen demgegenüber flachere In- klinationen (also größere Nähe zum Äquator), und wenig später auch tropische Korallenriffe. Im Unterdevon, 40 bis 50 Millionen Jahre nach der Sahara-Eiszeit, sind Teile der armorikanischen Inseln von Korallenriffen umsäumt gewesen. Die »schwim- menden Inseln« müssen also aus Südpol-nahen in äquatoriale Breiten und von dort nach Norden gedriftet sein. Ob die Plattendrift genau nach Norden gerichtet war, wissen wir nicht: Leider gibt es keine Möglichkeit, die Längenposition eines Kontinentes zu einem gegebe- ■3 Gekritztes paläo-geographischen Einheiten (Kontinente, Inseln, nen Zeitpunkt festzustellen. Hier hilft in vielen Fällen Quarzit-Geschiebe. Ozeane) sowohl von den durch Kollision entstanden die Bio-Geographie: Von weiten Ozeanen umgebene In- Das gekritzte Ge- Gebirgszonen als auch von den heutigen geographi- seln entwickeln eine eigene Tier- und Pflanzenwelt, wie schiebe zeugt von schen Begriffen unterscheiden muss. zum Beispiel die Beuteltiere in Australien. Erst wenn der »Sahara-Ver- gletscherung« vor sich Kontinente einander annähern, gleichen sich 440 Millionen Weite Wanderwege schrittweise auch die Faunen an (am Boden festge- Jahren. Fundort: wachsene Meeresbewohner und Landwirbeltiere natur- Gebersdorf Herkunft und Wanderwege der heute vereinten Kru- gemäß zuletzt). Die Abbildung ■4 zeigt die Wanderbewe- (Thüringen). Größ- stenplatten lässt sich in groben Zügen rekonstruieren. gung der kleinen und großen Kontinentalplatten, die ter Durchmesser: Eine der wichtigsten Methoden ist die Paläo-Magnetik. heute in der europäischen Kruste miteinander ver- 5,5 Zentimeter. Unter günstigen Umständen wird die Orientierung der schweißt sind.

32 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Kontinentalverschiebung

Kontinente im Crash-Test: Avalonia war erster

Avalonia und die armorikanischen Inseln haben ur- 490 Ma 440 Ma sprünglich am Nordrand von Gondwana gelegen. Dann Laurentia haben sich zunächst Avalonia, später auch die armori- lapetus kanischen Inseln vom Mutterland gelöst und sind nach- einander nach Norden gedriftet. Avalonia ist als erstes S ° im Norden angekommen und hat an Baltica »ange- 30 Baltica dockt«. Kurze Zeit später hat sich von Nordwesten her S Armorica ° MCM Ocean Laurentia genähert, wobei der Iapetus-Ozean geschlos- 30 S S ° sen wurde. Bei der Kollision mit Avalonia/Baltica ist das ° 60 kaledonische Gebirge des schottischen Hochlandes und 60 Avalonia Norwegens entstanden. Schließlich sind Armorica und Gondwana Gondwana nachgerückt und haben sich mit den nördli- chen Partnern zum Super-Kontinent Pangaea vereinigt. Diese Phase der Subduktion/Kollision vor etwa 400 bis 300 Millionen Jahren, die das Fundament der europäi- 410 Ma 380 Ma schen Kruste entscheidend geprägt hat, wird als »varis- equator cische« Gebirgsbildung bezeichnet (nach dem legen- equa dären germanischen Volksstamm der Varisker). tor Eine ähnliche Situation existiert heute im Indischen Ozean: Dort hat sich eine Reihe von Mikroplatten vom 30 30 afrikanischen Mutterland abgespalten, wie vor 500 Mil- °S °S lionen Jahren Avalonia und die armorikanischen Inseln. Die modernen Äquivalente sind Indien, das Seychellen- MCM Ocean Plateau und Madagaskar. Indien ist (wie damals Avalo- nia) vorausgeeilt, und bereits mit Asien kollidiert. Wenn die anderen Mikroplatten und das afrikanische Mutter- land eines fernen Tages nachkommen, wird es eine ■ »äthiopische Orogenese« geben. 4 »Plattenkino«. Die Wanderungs- geschichte der kleinen und großen Die Rekonstruktion früherer Krustenschollen ist des- Platten auf beiden Seiten des heuti- halb so schwierig, weil sie bei der abschließenden Kolli- gen Nordatlantik in einer vereinfach- sion stark verändert worden sind. Die genaue Analyse ten Darstellung. der Krustenstruktur hat ergeben, dass die europäischen Kontinentalschollen – wie Autos bei einer Massenka- rambolage – durch die Kollision zusammengestaucht und am Rand übereinander geschoben wurden, und

Alfred Wegener – Vater der modernen Geowissenschaften

Alfred Wegener (1880 –1930) war schen Höhe zeigt ein Maximum kriegs-Jahrzehnten verhalf Wege- ein äußerst vielseitiger Naturwis- dicht über dem Meeresspiegel, ein ners These zum Durchbruch. Sie senschaftler. Er entwickelte die weiteres 5000 Meter unter dem bildet das Fundament für das Theorie der Kontinentalverschie- Meeresspiegel. Wegener schloss dar- Ideengebäude der modernen bung, eine der wichtigsten Theori- aus, dass die höherliegenden Gebie- »Plattentektonik«, die eine en des 20. Jahrhunderts. Er inter- te (Kontinente) aus leichtem Mate- zusammenhängende, schlüssige pretierte die heutigen Kontinente rial bestehen, das auf einer schwe- Theorie für die allermeisten geolo- als auseinandergedriftete Bruch- reren Schicht schwimmt, so wie ein gischen Prozesse liefert. stücke eines Urkontinentes Pangäa Floh auf dem Wasser. Die Fließ- Neben der »Grand Unification« auf Grund der übereinstimmen- fähigkeit der tieferen Schicht (die der Geowissenschaften verdanken den atlantischen Küstenlinien von Asthenosphäre des modernen Erd- wir Alfred Wegener aber auch Südamerika und Afrika. Darüber bildes) ergab sich zwingend aus Ver- bahnbrechende Thesen zur zeitli- hinaus hatte Wegener fossile Reste tikalbewegungen der Erdkruste: Die chen Gliederung der Eiszeiten, ei- identischer Arten von Land-Lebe- Hebung von Skandinavien nach ne Fülle meteorologischer Beob- wesen in heute auseinanderliegen- dem Abtauen der eiszeitlichen Glet- achtungen und eine geophysikali- den Kontinenten gefunden, die scherlast erfordert einen Massen- sche Bestimmung der Dicke des seine Theorie bestätigten. ausgleich im Untergrund durch grönländischen Inlandeises. Wegener untermauerte seine langsames Nachfließen von Mate- Wegener starb 1930 auf dem kühne, heftig umstrittene These rial über Zeiträume von mehr als Marsch von der Station Eismitte auch geophysikalisch. Die Häufig- 10 000 Jahren. Erst die Erforschung zur Grönländischen Westküste. keitsverteilung der topographi- des Meeresbodens in den Nach- Sein Grab liegt im ewigen Eis.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 33 Forschung intensiv

zwar um einen Betrag von mindestens 700 Kilometer tamorphose-Ereignisse oder vulkanische Förderphasen (in Nordsüd-Richtung). Die subduzierten Ozeane sind erlauben es, bestimmte Krustenschollen zu charakteri- hier nicht eingerechnet. Außerdem sind geologische sieren: Am roten Sand unter der Profilsohle erkennt der Kollisionen nur selten frontal: Es haben an den Kolli- Detektiv, dass der Täter auf dem Sportplatz war. sionsrändern (Suturen) auch bedeutende Seitenver- Während Sie dies lesen, schreitet die geologische schiebungen (»entlang der Leitplanke«) stattgefunden. Entwicklung von Europa weiter fort. In geologisch kur- Diese sind aber nur schwer rekonstruierbar. Es fehlt an zer Zeit wird die Subduktion des Atlantischen Ozeanbo- geeigneten Markierungen beiderseits der Suturen, an dens unter Westafrika, Iberien und die Britischen Inseln denen sich der Versatz ablesen ließe. Schließlich sind die beginnen. Entlang einer Zone ausgedünnter Kruste, die Kollisionsstrukturen auch noch bogenförmig einge- von der Nordsee über Rhein und Rhône bis zum Mittel- krümmt worden. Die rhenohercynische Zone in Süd- meer reicht, wird sich wahrscheinlich ein Meeresarm west-England und Portugal definiert einen großen öffnen. Dann driftet Westeuropa nach Westen, und Bogen, und eine ähnliche Bogenstruktur verbindet das Avalonia kehrt heim. Die Drift der Kontinente ist eine Steinkohlebecken des Ruhrgebietes mit dem von Ober- (fast) unendliche Geschichte. schlesien. Die Westalpen und die Karpathen zeigen ganz ähnliche Bögen. Schließlich sind diejenigen Gesteine, die von ande- ren »überfahren« worden sind, in der Tiefe metamorph Literatur verändert worden: Aus Tonschiefern, Sandsteinen und Grauwacken wurden Glimmerschiefer und Gneise. Ab- Franke, W. (1998): Franke, W., Haak, Katzung, G. (1999): lagerungsbedingungen und Alter der früheren Sedimen- Geotektonischer V., Oncken, O. & Records of the Late te sind dann nur noch in Ausnahmefällen rekonstruier- Überblick. In: Kirn- Tanner, D. (Hrsg.) Ordovician glaciati- bauer, Th. & (2000): Orogenic on from Thuringia, bar. Wo die Markierung durch Eklogite und Mantelge- Schneider, J., Hrsg.: Processes: Quantifi- Germany. Zeit- steine fehlt, lässt sich oft nicht mehr feststellen, zu wel- Geologie und hyd- cation and Mode- schrift der deut- cher Kontinentalplatte das Gestein einmal gehört hat. rothermale Mine- ling in the Variscan schen geologischen ralisationen im Belt. Geological Gesellschaft, 150/3, Wie geht es weiter? rechtsrheinischen Society Special S. 595–617. Schiefergebirge. Publication Tait, J.A., Bachtad- Tagungsband zur No. 179, Geological Die Erforschungsgeschichte der Vereinigten Platten von se, V., Franke, W., VFMG-Sommerta- Society Publishing Europa ist noch keineswegs abgeschlossen. Alter und & Soffel, H.C. gung 1998 in Her- House, Bath, 456 S. Herkunft vieler metamorpher Gesteinskomplexe sind born. Jahrbuch des (1997): Geodyna- noch unbekannt. Dabei hoffen wir vor allem auf die Nassauischen Ver- mic evolution of Aussagen neuer isotopischer Altersbestimmungen. So eins für Naturkun- the European Vari- hat man zum Beispiel auch die Datierung von einzelnen de, Sonderband 1, scan fold belt: pala- S. 15–28. eomagnetic and ge- Zirkon-Körnchen und Glimmer-Plättchen aus Sandstei- ological constraints. nen in Angriff genommen: Ihr Alter dokumentiert geo- Geologische Rund- logische Prozesse in ihrem Herkunftsgebiet. Solche Me- schau, 86, S. 585–598. Der Autor

Prof. Dr. Wolfgang dende Prozesse mit Fallstudien im Franke, 54, studierte Grundgebirge von Europa. Im Zuge der von 1966 bis 1970 Reorganisation der Geowissenschaften Geologie und Paläon- in Hessen (siehe »Mekka der Geowis- tologie an den Univer- senschaften«, S. 82) wird Wolfgang sitäten Bonn und Göt- Franke in den nächsten Jahren seine tingen. Nach seiner Arbeitsgruppe nach Frankfurt verlagern Promotion 1972 war und ist bereits seit dem Sommerseme- er zunächst als wissen- ster 2000 in Frankfurt kooptiert. Wolf- schaftlicher Angestellter und Teilprojekt- gang Franke war Fachgutachter der leiter im Sonderforschungsbereich »Ent- Deutschen Forschungsgemeinschaft wicklung, Bestand und Eigenschaften der und Vorsitzender des Fachausschusses Erdkruste…« an der Universität Göttingen für die Wissenschaften der Festen Erde tätig, den er später für die Bereiche der sowie Vorsitzender der Geologischen Paläogeographie und Tektonik im Varisci- Vereinigung. Derzeit ist er Sprecher der kum koordinierte. Zwischen 1982 und Konferenz der Vorsitzenden der Wis- 1984 war er an der Vorbereitung des senschaftlichen Gesellschaften der Deutschen Kontinentalen Tiefbohrpro- Festen Erde und Vizepräsident der Al- grammes (KTB) in der Oberpfalz beteiligt. fred-Wegener-Stiftung. Er ist unter an- Nach seiner Habilitation 1984 – finanziert derem Mitglied der American Geophy- mit einem Stipendium der Deutschen sical Union (AGU), der Geological So- Forschungsgemeinschaft – wurde er 1985 ciety of London, der Europäischen Aka- als Professor für Geologie an die Univer- demie der Wissenschaften (Academia sität Gießen berufen. Schwerpunkt seiner Europaea) und der Deutschen Akade- wissenschaftlichen Arbeit sind gebirgsbil- mie der Naturforscher Leopoldina.

34 Forschung Frankfurt 1–2/2002 WERBUNG

Forschung Frankfurt 1–2/2002 35 Forschung intensiv Das »System Erde« im Jahr

»Feuer, Wasser, Erde, Luft« – diese vier Begriffe stehen symbolisch für das Arbeitsgebiet der Geowissenschaften, dem im »Jahr der Geowissenschaften« 2002 besondere Auf- merksamkeit gewidmet werden wird.

n einer Initiative des Bundesministeriums für Bil- dung und Forschung sowie des Stifterverbandes für Idie deutsche Wissenschaft und einigen anderen For- schungsorganisationen werden in jährlich wechselnder Abfolge Wissenschaftsgebiete hervorgehoben und der Öffentlichkeit in verständlicher Form vorgestellt. Nach dem Jahr der Lebenswissenschaften ist mit dem »Sy- stem Erde« jetzt ein ebenso spannendes und faszinie- rendes Forschungsobjekt an der Reihe: Von kleinsten zeitlichen und räumlichen Einheiten – etwa atmos- phärischen Entladungen oder Kristallstrukturen – bis zum Alter der Erde und der globalen Plattentektonik werden vielseitige Untersuchungen, meist in internatio- naler Zusammenarbeit, unternommen. Die Wechselwir- kungen von Geosphäre, Hydro- und Kryosphäre, At- mosphäre und Biosphäre stehen im Jahr der Geowis- senschaften inhaltlich im Vordergrund, wobei das The- menspektrum von der Struktur und stofflichen Zusam- mensetzung der Erde über Stoffkreisläufe, Naturgefah- ren und Rohstoffsicherung bis zur Debatte um klimati- sche Veränderungen reicht. Die Eröffnungsveranstal- tung »System Erde« fand vom 16. bis 20. Januar 2002 in Berlin statt. Darüber hinaus sind Großveranstaltungen zu einzelnen Themenschwerpunkten geplant, die in ganz Deutschland Resonanz finden sollen, darunter in Leipzig (Luft, Umwelt), Köln (Feuer) und Bremen (Wasser); näheres unter www.planeterde.de.Am 22.April 2002, dem »Tag der Erde«, werden bundesweit Schüler-

36 Forschung Frankfurt 1–2/2002 »System Erde« der Geowissenschaften 2002

vorträge von Wissenschaftlern und Frankfurt anbieten. Von Laborbesu- Wissenschaftlerinnen in den Schulen chen bis »Mach-mit«-Geländemes- gehalten werden. Im Raum Frank- sungen erwartet Schüler und Lehrer furt eröffnete die Senckenbergische ein attraktives Angebot aus den Naturforschende Gesellschaft zu- Frankfurter »Forschungsküchen«. sammen mit den geowissenschaft- Im Frühjahr wird außerdem inner- lichen Instituten der Universität halb der Kleinen Senckenberg- Frankfurt das Jahr der Geowissen- Reihe ein Sonderheft mit Beiträgen schaften mit dem Vortragszyklus Frankfurter Wissenschaftler zum »Alfred Wegeners Hypothese und Jahr der Geowissenschaften erschei- ihre heutige Bedeutung für die Erd- nen. Auf weitere Veranstaltungen und Lebensgeschichte«. Darüber hi- wird in den laufenden Ausgaben naus ist für Oktober eine Ausstel- von UniReport und Forschung lung am Frankfurter Flughafen ge- Frankfurt hingewiesen werden. plant, auf der Exponate zu ausge- wählten Forschungsthemen der Ge- owissenschaften in Frankfurt und Mainz ausgestellt werden sollen. Im Oktober 2002 werden in einer Prof. Dr. Andreas Junge ist Geophysiker »Woche der Geowissenschaften« In- im Fachbereich Geowissenschaften/ stitute des Fachbereichs Geowissen- Geographie und beschäftigt sich mit der schaften praxisorientierte Angebote elektrischen Leitfähigkeitsstruktur von für Oberstufenklassen im Raum Erdkruste und Erdmantel.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 37 Forschung intensiv Warum Einstein doch nicht nach Frankfurt kam

Ein Brieffund im Universitätsarchiv und die Geschichte der Relativitätstheorie an der Frankfurter Universität

■1 Albert Einstein (1879–1955) 1922 in Berlin auf der Höhe seines Ruhmes. Er leistete bedeutende Bei- träge zur Quanten- von Wolfgang Trageser theorie, schuf 1905 die Spezielle Relativitätstheorie, die die klassische Das liberale Programm der Frankfurter Stif- Mechanik Newtons ablöste und das tungsuniversität und der Wille der Sponso- neue Fundament ren, auch ungewöhnliche Berufungen, Expe- der Physik bildete, rimente und Projekte zu fördern, zog ab 1915/16 veröffent- 1914 innovative Gelehrte aller Disziplinen lichte er die Allge- meine Relativitäts- in die Main-Metropole. Pioniere ihres Fachs theorie, die die nutzten die Gunst der Stunde – so auch in Feldgleichungen der Physik, wo neben Friedrich Dessauer, der Gravitation ent- hält. Auf dieser dem Wegbreiter der Strahlenbiophysik, be- Grundlage ent- deutende Naturwissenschaftler die junge wickelte Einstein und in der wissenschaftlichen Welt noch 1917 einen neuen Zugang zur Kosmo- hoch umstrittene Relativitätstheorie offen- logie. Bis zu sei- siv lehrten und in Experimenten fortführ- nem Tode 1955 ar- ten. Erster Lehrstuhlinhaber für Theoreti- beitete er an seiner einheitlichen geo- sche Physik war der spätere Nobelpreisträ- metrischen Feld- ger Max von Laue, ihm folgte mit Max Born theorie, die das ein weiterer Relativitätstheoretiker der er- elektrische und das gravitative Feld sten Stunde – und immerhin scheint auch durch ein einheitli- Albert Einstein einen Wechsel von der ches geometri- Spree an den Main erwogen zu haben, wie sches Gesamtfeld ein erst kürzlich gefundenes Schreiben aus erfassen sollte (Einstein-Pro- dem Jahr 1920 bestätigt. gramm).

ls »frühe Komplementarität« der modernen Jahre später, am 30. Juni 1905, dem Geburtstag der Re- Physik könnte man bezeichnen, dass die lativitätstheorie, veröffentlichte Albert Einstein ■1 seine Aneue Physik zwei Geburtstage und somit Arbeit »Zur Elektrodynamik bewegter Körper« im auch zwei Geburtsurkunden hat: Am 14. Dezember 17. Band der Annalen der Physik, die zweite Geburtsur- 1900 wurde die erste Geburtsurkunde für die Quan- kunde. Die moderne Physik war geboren worden, und tentheorie ausgestellt. Max Planck hielt vor der es begann eine Entwicklung, die das 20. Jahrhundert in Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin sei- seinen Bann ziehen sollte. nen berühmten Vortrag: »Zur Theorie des Gesetzes Einen Hauch dieser großartigen Entwicklung erlebte der Energieverteilung im Normalspectrum«. Fünf auch die junge Frankfurter Universität mit. Die Univer-

38 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Universitätsgeschichte sität verdankt ihre Entstehung als erste Stiftungsuniver- Der Nobelpreis förderte das Interesse anderer Univer- sität zu Beginn des Jahrhunderts im wesentlichen zwei sitäten an von Laue: Am 24.Juli 1916 unterrichtete er Männern, dem Frankfurter Oberbürgermeister Franz das Universitätskuratorium, dass das Österreichische Adickes und dem Gründer der Metallgesellschaft Wil- Kultusministerium ihm einen helm Merton, die mit Gleichgesinnten und großzügigen Lehrstuhl an der Universität Wien Stiftern ihre Gründung zielstrebig vorantrieben./1/ Frei- angeboten habe. Von Laue wollte lich ist die Universitätsgründung auch ein Kind der Wis- in Frankfurt bleiben, allerdings senschaftseuphorie des Deutschen Kaiserreiches. Mit nur, wenn ihm ein Extraordinarius dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 geriet der zur Seite gestellt werde, der ihn Aufbau der Frankfurter Universität in einer schwere von Lehrverpflichtungen entlaste. wirtschaftliche Zeit, aber auch in eine Phase bedeuten- Dieser Wunsch von Laues konnte der physikalischer Entwicklungen. bereits am 1.Oktober 1916 erfüllt werden: Dr. Richard Fleischer, ein Max von Laue: Nobelpreisträger reicher Wiesbadener Kaufmann auf dem ersten Lehrstuhl und Gönner der Universität, gab für theoretische Physik die Zusage, das Gehalt eines Mit ihrem ersten Lehrstuhlinhaber für Theoretische Physik, Max von Laue ■2 , hat- ten die Frankfurter einen Wissenschaftler gewonnen, der zu den wichtigsten Relati- ■ vitätstheoretikern gehörte und der enge 2 Max von Laue (1879 –1960) menschliche und wissenschaftliche Verbin- forschte und lehrte dungen zu den führenden Physikern, ab Winterhalbjahr Planck und Einstein, pflegte. Max von Laue, 1914/15 an der zunächst außerordentlicher Professor an der Universität Frank- Universität Zürich, erhielt einen Brief des furt. Er hielt die Preußischen Kultusministeriums, der ihm erste Vorlesung die Übernahme einer ordentlichen Professur über Relativitäts- theorie an der für Theoretische Physik im Wintersemester Universität und 1914/1915 an der neugegründeten König- verfasste das erste lich Preußischen Universität zu Frankfurt Lehrbuch über am Main zusagte. In dem Brief von Minister Relativitätstheorie Adam von Trott zu Solz wurde von Laue ein 1911. 1914 erhielt Jahreseinkommen von 14 000 Mark, zusätz- er den Nobelpreis lich einmaliger Umzugskosten, zugesichert. für Physik für Da dieses Diensteinkommen den Normale- seine Entdeckung der Röntgenstrahl- tat überschritt, wandte sich der Minister an interferenzen an den Vorsitzenden des Verwaltungsausschus- Kristallen. ses der Akademie für Sozial- und Handels- wissenschaften, Franz Adickes, der ihm im Brief vom 14. August 1914 zusicherte, dass »die über die Normalsätze hinausgehenden Bewilligungen der erforderlichen Summen vom Verwaltungsausschusse bereitgestellt« würden. Damit war der Weg geebnet. Am ■3 Aus Anlass der 17. September 1914 erhielt Max von Laue Verleihung des Phy- sik-Nobelpreises die Nachricht, dass Kaiser Wilhelm II. ihn 1914 schrieb von zum ordentlichen Professor in der Naturwis- Laue an das Kura- senschaftlichen Fakultät ernannt habe. Das torium der Univer- Frankfurter Kuratorium hatte eine gute sität. Wahl getroffen: So teilte von Laue dem Vor- sitzenden des Gremiums am 11. November 1915 außerordentlichen Professors in Höhe von 5000 Mark preußisch knapp mit: pro Jahr aufzubringen. Der Ruf nach Wien wurde ausgeschlagen, doch von »Ich gestatte mir die Mitteilung, daß die schwedische Laue machte im Brief an den Frankfurter Oberbürger- Akademie der Wissenschaften mir heute den Nobel- meister Adickes keinen Hehl daraus, dass er seinen preis für Physik für 1914 verliehen hat. Blick immer noch nach Berlin richte. Hier hatte er 1903 Dr. Max von Laue.« ■3 /2/ bei Max Planck über das Thema: »Untersuchung über Schon zwei Tage später erschien in der Frankfurter Zei- die Theorie der Interferenzerscheinungen an planparal- tung ein großer Artikel mit der Überschrift: »Der Frank- lelen Platten« promoviert. Ab 1905 war er Assistent bei furter Nobelpreisträger«■4 . Darin wurde die Entdeck- Planck in Berlin. In diese Zeit fällt auch seine Bekannt- ung der Röntgenstrahlinterferenz als Leistung von schaft mit Albert Einstein. Er hatte ihn unmittelbar Laues und seiner Mitarbeiter Walther Friedrich und Ru- nach der Veröffentlichung seiner berühmten Arbeit dolf Knipping einem größeren Publikum vorgestellt. »Zur Elektrodynamik bewegter Körper« in der Schweiz

Forschung Frankfurt 1–2/2002 39 Forschung intensiv

■4 »Wiederum ist den deutschen Natur- wissenschaften von einem wissenschaftli- chen Forum des Auslands eine unter den gegenwärtigen Verhältnissen besonders hoch einzuschätzende Anerkennung zuteil geworden…« begann Prof. Dr. Carl De- guisne (1870 – 1946) seinen Artikel über den Frankfurter Physik- Nobel- preisträger von Laue in der Frankfurter Zeitung vom 13. November 1915. Profes- sor Deguisne war ordentlicher Professor für Angewandte Physik an der Frankfur- ter Universität.

■5 »Das Relativi- besucht und mit ihm einige Fragen der neuen Relati- »Um meinen alten und sehnlichen Wunsch, nach tätsprinzip«, aus vitätstheorie erörtert. 1909 schrieb von Laue als Privat- Berlin zu kommen, der Erfüllung näher zu bringen, dem Jahre 1911 dozent an der Münchner Universität das erste Lehrbuch habe ich heute an Excellenz Naumann im Kultusmi- war das erste Lehr- der Relativitätstheorie »Das Relativitätsprinzip«■5 . Von nisterium die Bitte geschrieben, mit Prof. Dr. M. buch über Rela- Born in Berlin die Stellung tauschen zu dürfen. Ich tivitätstheorie – Laue wollte an den aktuellen Entwicklungen der Physik verfasst von Max teilhaben – und das war damals in Berlin am besten würde damit persönlicher Ordinarius an der Univer- von Laue. möglich. Hier entwickelte sich die neue Quantentheo- sität Berlin. Die Zustimmung von Professor Born und rie, und Einstein hatte gerade seine Allgemeine Relati- der an der Besetzung der theoretischen Physik fach- vitätstheorie der Preußischen Akademie der Wissen- lich interessierten Mitglieder der Frankfurter natur- schaften vorgelegt. Verständlich, dass von Laue dem wissenschaftlichen Fakultät habe ich zuvor eingeholt. Oberbürgermeister schreibt: Dr. M. v. Laue.« /2/ »Würzburg, 14.11.16 Hochgeehrter Herr Oberbürgermeister! Am 9. Juli 1918 stimmte das Preußische Kultusministe- Ich habe heute die Berufung nach Wien abgelehnt. rium diesen Plänen zu. Das Kuratorium der Frankfurter Ich bitte Sie aber trotzdem, die Verhandlungen über Universität billigte am 16.Dezember 1918, von Laue ■6 die Errichtung eines Extraordinariats nicht fortzuset- nach Berlin zu versetzen und Max Born auf seinen zen, wenigstens nicht meinetwegen. Denn sobald der Frankfurter Lehrstuhl nachrücken zu lassen. An dieser Friede wieder da ist, führe ich meinen alten Plan aus Entwicklung war Einstein nicht ganz unbeteiligt. Be- und gehe zu meinem verehrten Lehrer Planck nach reits am 8. Februar 1918 hatte er an Frau Born geschrie- Berlin. In welcher Stellung, ist mir gleichgültig; hof- ben: fentlich kommt bis dahin eine Berufung nach Berlin. Mit vorzüglichster Hochachtung verbleibe ich »Liebe Frau Born! Euer Hochwohlgebohren ganz ergeben [ ... ] Dr. M.v.Laue.« /2/ Laue will hierher [nach Berlin, Anm. der Redaktion]. Als er vor einiger Zeit Aussicht hatte, durch private Ringtausch: Max von Laue nach Berlin Stiftung so eine Art Forscherstellung ohne Lehrver- anstaltung hier zu erhalten, begründete er sein Stre- – Max Born nach Frankfurt ben nach Berlin mit seiner Abneigung gegen Unter- Sein Wunsch, nach Berlin zu gehen, nahm 1918 kon- richtstätigkeit. Nun, da dieser Plan, wie es scheint, krete Formen an. Am 20. Mai 1918 teilte er dem Kura- nicht realisiert wird, denkt er an einen Stellentausch torium der Universität mit: mit Ihrem Mann. Primärer Wunsch also: ›Nach Ber-

40 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Universitätsgeschichte

lin‹. Motiv: Ehrgeiz (der Frau). Planck weiß davon, ■6 Max Born das Ministerium wohl kaum. Mit Planck habe ich (1882 –1970) war noch nicht darüber gesprochen. Ich denke mir, daß von 1919 bis 1921 sein Streben darnach geht, Plancks Nachfolger zu Professor für Theoretische werden. Der Arme! Nervöse Subtilität. Streben nach Physik in Frank- einem Ziel, das seinem natürlichen Bedürfnis nach furt am Main. ruhigem Leben ohne komplizierte menschliche Be- 1954 erhielt auch ziehungen feindlich entgegensteht. er den Nobelpreis Lesen Sie bitte hierzu Andersens hübsches kleines für Physik, damit Märchen über die Schnecken. Die objektive Möglich- wurde seine keit für das Zustandekommen von Laues Plan hängt 1926 gegebene statistische Deu- an zwei Bedingungen tung der quanten- 1. Hinreichende Dotierung Ihrer Stelle für Laue. mechanischen 2. Geneigtheit Ihres Mannes, die Stelle zu tauschen. Wellenfunktion Nehmen wir einmal an, 1. sei erfüllt, dann erhebt ausgezeichnet. sich die Frage, ob Ihr einwilligen sollt; das ist natür- lich die Frage, die Sie heute schon quält. Meine Mei- nung ist: Unbedingt annehmen. Ich brauche Euch wohl nicht zu versichern, wie lieb ich Euch habe und wie froh ich bin, Euch als Freun- de und Gesinnungsgenossen in dieser – Wüste zu haben. Aber so eine ideale Stelle, in der man ganz selbständig ist, soll man nicht ausschlagen. Es ist ein größerer und freierer Wirkungskreis als hier, eine bessere Gelegenheit für die Entfaltung der Kräfte Ihres Mannes. Hauptsächlich aber: Neben Planck leben ist eine Freude. Aber wenn Planck einmal ab- geht, dann seid Ihr, auch wenn Ihr da bleibt, nicht si- cher, ob Ihr Mann an seine Stelle kommt … Seien Sie mit den Kindern und dem hoffentlich bald zurück- kehrenden Gebieter herzlich gegrüßt von Ihrem Einstein.«/3/

Die Familien Born und Einstein verband eine intensive ■7 Walther Gerlach Freundschaft, wie diese Zeilen deutlich machen. Noch (1889 –1979) war schien Einstein allerdings von Laue nicht so verbunden von 1921 bis 1924 Professor für zu sein (»Ehrgeiz«), in späteren Jahren schätzte er ihn Experimentalphy- nicht nur als Physiker, sondern auch als gerechten und sik in Frankfurt vornehmen Menschen. Die sich dann in den Berliner am Main. Mit Otto Jahren entwickelnde Freundschaft war sehr tief; sie Stern gelang ihm überstand auch das Jahr 1933. im Februar 1922 der Nachweis der Eintrittsgelder für Vorlesung: Richtungsquante- lung von Silber- Born nutzt öffentliches Interesse Atomen im inho- an der Relativitätstheorie mogenen Magnet- feld, der so ge- Der Tausch der Lehrstühle kam, nach »einigem Hin und nannte Stern-Ger- Her«(Born) zustande, sodass Max Born ab Sommerse- lach-Versuch. mester 1919 als ordentlicher Professor für Theoretische Physik in Frankfurt am Main wirken konnte. Born ist heute hauptsächlich durch seine wegweisenden Arbei- ten zur Quantenmechanik bekannt. Er war aber auch ein begeisterter Anhänger der Relativitätstheorie und ihres Schöpfers Einstein. In der Einleitung zu seinem Briefwechsel mit Einstein hat er über seine geistige Ent- wicklung und die Bedeutung der Relativitätstheorie für seine Hinwendung zur Theoretischen Physik gespro- chen. »Einsteins berühmte Abhandlung, die seine Be- gründung der Relativitätstheorie enthält, erschien 1905 im selben Jahrgang der Annalen der Physik, der zwei andere epochemachende Arbeiten von ihm enthält, die Hypothese der Lichtquanten und die statistische Theorie der Brownschen Bewegung. Ich war damals Student in Göttingen und nahm an einem Seminar teil, das von

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■8 Albert Einstein (1879–1955) und Otto Stern (1888 –1969) verband eine lebenslange Freundschaft, hier ein Foto aus dem Jahr 1925. Sofort nach seiner Promotion Ostern 1912 ging Stern zu Einstein nach Prag. 1913 folgte er ihm nach Zürich zur Eidgenössischen Technischen Hochschule, wo er sich bei ihm über das Thema »Zur kinetischen Theorie des Dampfdrucks einatomiger fester Stoffe und über die Entropiekonstante ein- atomiger Gase« habilitierte. Unter Einsteins Anleitung arbeitete Stern auf dem Gebiet der Theoretischen Physik. Stern war aber immer mehr an Einsteins Arbeiten zur Molekulartheorie inter- essiert als an der Relativitätstheorie. Von Zürich kam er 1915 nach Frankfurt am Main.

den Mathematikern David Hilbert und Hermann Min- kowski geleitet wurde. Dort wurde die Elektrodynamik und Optik bewegter Körper behandelt, dasselbe Thema, das Einsteins Ausgangspunkt für die Relativitätstheorie war...«/3/ Mit Max Born hatte die Frankfurter Universität einen weiteren Relativitätstheoretiker der ersten Stunde gewonnen. Borns Wirken in Frankfurt am Main fällt mit der Notzeit nach dem Ersten Weltkrieg zusammen; den wissenschaftlichen Einrichtungen fehlte es an den nötigen Finanzen, was insbesondere darauf zurückzu- führen war, dass das Stiftungsvermögen durch die Infla- tion erheblich an Wert verloren hatte. Auch in Borns Institut, in dem Otto Stern und Walther Gerlach ■7 ■8 ihren Versuch über die Richtungsquantelung unternah- men, machte sich die schwierige wirtschaftliche Lage bemerkbar, doch Born sorgte für dringend benötigte Zu- satzeinnahmen: Das Interesse der Öffentlichkeit an der Relativitätstheorie war enorm, und so hielt Born im Sommerhalbjahr 1920 jeweils dienstags von 17 bis 18 Uhr gegen Eintrittsgeld eine Vorlesung zum Thema: »Relativitätstheorie in elementarer Darstellung«. Born schreibt über diese Vorlesung: »Unser Etat aber reichte wegen der Geldentwertung in keiner Weise aus. Nun lief damals eine Welle der Begeisterung über Einsteins Theorie um die Welt, nachdem der Astronom Sir Arthur Eddington in der Royal Society in London verkündet hatte, daß die von Einstein vorhergesagte Ablenkung der Lichtstrahlen von Sternen durch die Sonne von einer unter Eddingtons Leitung stehenden britischen Expedition bestätigt worden sei. Ich nutzte dieses allge- meine Interesse für Einstein aus, indem ich Vorträge mit Eintrittsgeld zugunsten meines Institutes veranstaltete. Diese waren gut besucht und ermöglichten die Fortset- zung unserer Versuche.« /3/ Auf die Kreativität schien die schlechte Finanzlage indes nur wenig Einfluss zu haben: Born verfügte in seinem Institut über eine Werkstatt und den tüchtigen Mechanikermeister Adolf Schmidt, was Stern für seine Experimente auszunützen verstand. Angeregt von Stern begann auch Max Born, unter- stützt von seiner Assistentin Dr. Elisabeth Bormann, zu ■9 Max Borns experimentieren. Es ist erstaunlich, dass in der kurzen berühmte Frank- Zeit von 1919 bis 1921, die Born in Frankfurt als Theo- furter Vorlesungen retiker wirkte, drei bedeutende Experimente aus seinem über Relativitäts- Institut hervorgegangen sind: theorie erschienen 1920 in erster Auflage als Buch. – Otto Stern: Eine direkte Messung der thermischen Einstein selbst Molekulargeschwindigkeit, Zeitschrift für Physik 2, hatte das Buch 49–56 (1920) Korrektur gelesen. – Max Born und Elisabeth Bormann: Eine direkte Mes-

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Zum 80. Geburtstag des Stern-Gerlach-Versuches: Jahrhundertexperiment mit weitreichenden Folgen für zahlreiche Technologien

In den Jahren 1921 und 1922 ha- rimentellen Prüfung der Richtungs- denn heute werden jährlich und ben die Physik-Professoren Otto quantelung im Magnetfeld eröffne- weltweit Produkte im Wert von Stern (1888 –1969) und Walther te. Im November 1921 gelang Stern mehr als 100 Milliarden US-Dollar Gerlach (1889 –1979) in Frankfurt und Gerlach der Nachweis des ma- verkauft, die durch diese Ent- die Raumquantelung der atoma- gnetischen Moments des Silbera- deckung entwickelt werden konn- ren magnetischen Momente expe- toms und im Februar 1922 der ex- ten«, so Professor Horst Schmidt- rimentell nachgewiesen. Aus die- perimentelle Nachweis der Rich- Böcking, Institut für Kernphysik sem Versuch entwickelte sich in tungsquantelung. und Organisator der »Geburtstags- späteren Jahren die Molekular- In altbewährter Frankfurter Stif- feier«. strahlmethode. Otto Stern erhielt tertradition brachten 1922 fast aus- Festredner der Veranstaltung 1943 für die Entwicklung der Mo- schließlich private Stifter die für das waren der Nobelpreisträger für lekularstrahlmethode und die Ent- kostenintensive Experiment not- Chemie des Jahres 1986 Professor deckung des magnetischen Mo- wendigen Finanzmittel inklusive Dudley Herschbach von der Har- mentes des Protons den Nobel- Apparaturen auf: Albert Einstein vard-Universität in Boston, USA, preis für Physik. Das Experiment half, Geld vom Fonds des Kaiser- (Thema: Space Quantization: Otto hatte nach Ansicht vieler Physiker Wilhelm-Instituts für Physik und Stern’s Lucky Star) – Herschbach fundamentale Bedeutung für die der Notgemeinschaft der Deutschen kannte Otto Stern persönlich – so- Entwicklung der modernen Quan- Wissenschaft zu besorgen. Darüber wie Professor Richard Ernst von tenphysik. Zahlreiche Technologi- hinaus halfen die Vereinigung von der Eidgenössischen Technischen en des 20. und 21. Jahrhunderts Freunden und Förderern der Frank- Hochschule in Zürich, Nobel- wären ohne die daraus gewonne- furter Universität sowie Privatperso- preisträger für Chemie des Jahres nen Erkenntnisse nicht möglich nen, darunter Henry Goldman, Mit- 1991 (Thema: Kernspin-Gymna- gewesen, zum Beispiel die Ent- gründer des Bankhauses Goldman stik. Von Stern-Gerlach zur Ma- wicklung der Kernspinresonanz- & Sachs, der das Experiment mit ei- gnetfeldresonanz-Tomographie). spektroskopie (NMR), Atomuhr ner größeren Spende unterstützte. Darüber hinaus wurde eine Ge- (Zeitmessung), Radartechnik (Sa- »Dies war vielleicht die fruchtbarste denktafel zu Ehren Sterns und telliten-Radar, GPS, mobiles Tele- Investition, die er je gemacht hatte, Gerlachs enthüllt. fon) sowie der Lasertechnik. Die entscheidende Publikation von Walther Gerlach und Otto Stern (Der experimentelle Nachweis der Richtungsquantelung im Magnet- feld) erschien 1922 in der Zeit- schrift für Physik 9, 349. Aus Anlass des »80. Geburts- tages« des Stern-Gerlach-Versuches veranstalteten die Fachbereiche Physik und Chemie sowie die Ver- einigung von Freunden und För- derern der Goethe-Universität zu- sammen mit dem Physikalischen Verein Frankfurt und dem Frank- furter Förderverein für Physikali- sche Grundlagenforschung am 6. Februar eine Gedenkfeier. Die Fei- Eine Gedenktafel mit Porträts der beiden Physiker und ihrer Skizze des Experiments, er trug dazu bei, diese wichtige erinnert an den berühmten Stern-Gerlach-Versuch. Folgender Text ist auf der Tafel Forschungsleistung ins Bewusst- zu lesen: »Im Februar 1922 wurde in diesem Gebäude des Physikalischen Vereins, sein einer breiten Öffentlichkeit zu Frankfurt am Main, von Otto Stern und Walter Gerlach die fundamentale Ent- rücken: Der Stern-Gerlach-Ver- deckung der Raumquantisierung der magnetischen Momente in Atomen gemacht. such ist ein Grundexperiment der Auf dem Stern-Gerlach-Experiment beruhen wichtige physikalisch-technische Ent- Quantentheorie. Er bestätigte, wicklungen des 20.Jahrhunderts, wie Kernspin-Resonanzmethode, Atomuhr oder Laser. Otto Stern wurde 1943 für diese Entdeckung der Nobelpreis verliehen.« Aus dass die magnetischen Momente Anlass des »80.Geburtstages« dieses bahnbrechenden Experiments stiftete der von Atomen in einem Magnetfeld Physikalische Verein mit Unterstützung der Siemens AG, des Kulturdezernats der diskrete Raumorientierungen und Stadt Frankfurt und des Vereins Arbor Scientiarium diese Tafel, die während des nicht wie in der klassischen Physik Festkolloquiums im Februar enthüllt wurde und später am Gebäude des Physikali- alle Richtungen einnehmen. An- schen Vereins in der Robert-Mayer-Straße angebracht wird. Festredner der Veran- geregt durch Arbeiten von Peter staltung waren zwei Chemie-Nobelpreisträger: Prof. Dudley Herschbach von der Harvard-Universität Boston und Prof. Richard Ernst von der Eidgenössischen Tech- Debye und Arnold Sommerfeld nischen Hochschule in Zürich. (Im Bild von links nach rechts: Prof. Horst Stöcker, zur Quantentheorie aus dem Jah- Physiker und Vizepräsident der Universität, Prof. Dudley Herschbach, Prof. Richard re 1916 veröffentlichte Otto Stern Ernst, Prof. Walter Greiner, Dekan des Fachbereichs Physik, Universitätspräsident eine Arbeit, die den Weg zur expe- Prof. Dr. Rudolf Steinberg)

Forschung Frankfurt 1–2/2002 43 Forschung intensiv

sung der freien Weglänge neutraler Atome, Physikali- von ihm nur als Antirelativitätstheoretische GmbH be- sche Zeitschrift 2, 578 –582 (1920) zeichnet wurde. – Otto Stern und Walther Gerlach: Experimente zur rä- umlichen Quantelung (Richtungsquantelung), so ge- Gerüchteküche und ihre Auswirkungen: nannter Stern-Gerlach-Versuch (1921/1922), (siehe Will Einstein Berlin verlassen? »Zum 80. Geburtstag des Stern-Gerlach-Versuches«, Seite 43) Die Fachkollegen Einsteins, Max von Laue, Walter Nernst, Max Planck, Arnold Sommerfeld u.a., stellten Borns berühmtes Buch, seine Frankfurter Vorlesungen sich in ihrer Mehrheit schützend vor Einstein und zeig- über Relativitätstheorie, das den Titel trägt: »Die Relati- ten sich über das Vorgehen der Einstein-Gegner empört. vitätstheorie Einsteins und ihre physikalischen Grundla- Obwohl Einstein die unqualifizierten Angriffe mit gen« ■9 , erschien in erster Auflage 1920 bei Springer in Humor zu meistern versuchte, blieb er doch von diesen Berlin und löste sofort einen Skandal aus. Einstein Vorkommnissen nicht unberührt und überlegte, ob für selbst hatte das Buch autorisiert und sogar Korrektur ihn ein Verbleiben in Berlin noch sinnvoll sei. Die Pres- gelesen. se machte aus diesen Gerüchten bereits vollendete Tat- Einsteins Relativitätstheorie war bis Ende 1919 ledig- sachen und schlagzeilte: »Albert Einstein will Berlin lich in einem kleinen Kreis von Experten diskutiert verlassen !!!« worden. Das änderte sich erst – wie Born erwähnte – als auf Betreiben von Sir Arthur Eddington in England Das ließ auch den Kultusminister Konrad Haenisch zwei Expeditionen zur Beobachtung der am 29. Mai nicht unberührt, der am 6. September 1920 an Ein- 1919 in den Tropen stattfindenden totalen Sonnenfin- stein schrieb: sternis nach Nordbrasilien und auf die portugiesische »Hochgeehrter Herr Professor! Mit Empfindungen Insel Principe an der afrikanischen Küste ausgesandt des Schmerzes und der Beschämung habe ich aus der wurden und damit eine wesentliche Voraussage der All- Presse Ersehen, daß die von Ihnen vertretene Lehre gemeinen Relativitätstheorie, die Ablenkung des Lichtes in der Öffentlichkeit Gegenstand Gehässiger, über am Sonnenrand, erfolgreich überprüft werden konnte. den Rahmen sachlicher Beurteilung hinausgehender Die Physik hatte eine neue Gravitationstheorie und die Angriffe Gewesen und daß selbst Ihre wissenschaftli- Welt einen neuen Newton. Seit dieser Zeit war Einstein che Persönlichkeit von Verunglimpfungen und Ver- in aller Munde und überall in den Medien präsent. leumdungen nicht verschont geblieben ist. Eine be- sondere Genugtuung ist es mir, daß diesem Vorgehen Geschmäht und gelobt: gegenüber Gelehrte von anerkannten Rufe, u.a. auch hervorragende Vertreter der Berliner Univer- Einstein im Kreuzfeuer der Kritik sität, sich zu Ihnen bekennen, die nichtswürdigen Mit dem »Relativitätsrummel« begannen aber auch Angriffe gegen Ihre Person zurückweisen und daran Feindschaft und Missgunst: Nationale Kreise warfen Ein- erinnern, wie Ihre wissenschaftliche Arbeit Ihnen stein Reklame für seine Theorie vor. Das bekam auch einen unvergänglichen Platz in der Geschichte unse- Max Born zu spüren. Er hatte in der ersten Auflage sei- rer Wissenschaft sichert. Wo sich die Besten für Sie nes Buches über die Relativitätstheorie ein Bild und eine einsetzen, wird es Ihnen um so leichter fallen, solch kurze Biographie Einsteins beigefügt, was von einigen häßlichem Treiben keine weitere Beachtung zu Gelehrten beanstandet und von antisemitischer Seite als schenken. Der Minister pp. typisches Beispiel jüdischer Reklame für die eigene Haenisch.«/6/ Sache angeprangert wurde. Auch wohlmeinende Freun- de wie Max von Laue rieten Born davon ab, das Buch in Einstein machte den Pressemeldungen um seinen Fort- dieser Form zu veröffentlichen, um den Vorwürfen der gang aus Berlin mit einem Brief vom 8.September 1920 Einstein-Gegner keine neuen Argumente zu liefern. Ab ein Ende, indem er dem Minister schrieb: der zweiten Auflage hat Born dann sein Buch ohne Kurzbiographie und Einstein-Bild erscheinen lassen. »Euer Exzellenz Schreiben vom 6. dieses Monats er- In Berlin bildete sich unter der Führung von Paul füllt mich mit dem Gefühl aufrichtiger Dankbarkeit. Weyland /4/, der in Kreisen der Wissenschaft nicht her- Ganz unabhängig von der Frage, ob ich soviel Wohl- vorgetreten war, eine »Arbeitsgemeinschaft deutscher wollen und Hochschätzung verdiene, habe ich in die- Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft e.V«/5/, sen Tagen erlebt, daß Berlin die Stätte ist, mit der ich die als Sammelbecken der Gegner der Relativitätstheo- durch menschliche und wissenschaftliche Beziehun- rie fungierte. Mit dieser »Arbeitsgemeinschaft« sympa- gen am meisten verwachsen bin. Einen Ruf ins Aus- thisierten auch namhafte Physiker, wie die Physik-No- land würde ich nur in dem Falle Folge leisten, daß belpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark. Den äußere Verhältnisse mich dazu zwingen. ersten Höhepunkt dieser Kampagne gegen Einstein und die Relativitätstheorie bildete eine öffentliche Veranstal- Mit ausgezeichneter Hochachtung tung am 20.August 1920 in der Berliner Philharmonie. Euer Exzellenz ganz ergebener Diese Veranstaltung hinterließ beim gebildeten Publi- A. Einstein.«/6/ kum und den Fachkollegen Einsteins einen katastro- phalen Eindruck. Auch die Universität Frankfurt Das Berliner Tageblatt und andere Zeitungen berich- bemühte sich um Einstein teten in mehreren Ausgaben über die Offensive gegen Albert Einstein. Einstein antwortete am 27.August 1920 Doch die Nachricht, dass Einstein Berlin verlassen im Berliner Tageblatt der »Arbeitsgemeinschaft«, die wolle, sprach sich schnell herum und Universitäten im

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In- und Ausland bemühten sich, ihn zu gewinnen. Zum Kreis dieser Bewerber gehörte auch die Universität Frankfurt am Main. Zum Hintergrund: Born hatte einen Ruf der Univer- sität Göttingen als Nachfolger von Peter Debye erhalten, was er dem Kuratorium der Universität Frankfurt am 18. Mai 1920 mitteilte. Die Frankfurter versuchten, Born zu halten, doch finanzielle Mittel für ein Extraordinari- at für Otto Stern seien nicht vorhanden, schrieb der Frankfurter Oberbürgermeister Georg Vogt an Born. In einem Schreiben vom 10. Juli 1920 antwortete Born, dass er nur bleiben wolle, wenn sein Mitarbeiter Stern ein Extraordinat bekäme. Offensichtlich spielten nicht nur Finanzen eine Rolle, wie aus folgendem Brief Borns an Einstein vom 16. Juli 1920 hervorgeht: »... Nun wird die Frage meines Nachfolgers akut. Schönflies wollte an Dich schreiben und um Dein Gutachten bitten. Ich möchte natürlich Stern haben. Aber Wachsmuth will nicht; er sagte mir: »Ich schätze Stern sehr, aber er hat solch zersetzenden, jüdischen Intellekt!« Es ist wenig- stens offener Antisemitismus. Aber Schoenflies und Lo- renz wollen mir helfen.«/3/ Zwei Wochen später schrieb Born an Einstein, er habe sich für Göttingen entschieden. Und Wachsmuth teilte dies auch am 6. August 1920 dem Kuratorium mit. Der Mathematiker Artur Schoenflies folgte Wachsmuth als Rektor, er hatte ab Wintersemester 1920/21 das Amt inne. In dieser Funktion wandte er sich an Einstein, um von ihm Hinweise für einen geeigneten Nachfolger Borns zu erhalten. Gleichzeitig bat er ihn darum, auf der bevorstehenden 86.Versammlung Deutscher Natur- forscher und Ärzte, die vom 19. bis 25.September 1920 in Bad Nauheim stattfinden sollte, einen Vortrag über Relativitätstheorie zu halten. Schoenflies nannte Otto Stern, Walther Kossel und Wilhelm Lenz als Kandida- ten. Einstein empfahl Schoenflies am 29. Juli 1920 Paul Epstein als verdientesten theoretischen Physiker, er wirkte zu dieser Zeit als Privatdozent in Zürich. Als ge- eignetsten Kandidaten nannte Einstein ausdrücklich Stern, während Kossel und Lenz eher abschlägig beur- teilt wurden. Einen Vortrag über die Relativitätstheorie wollte Einstein in Bad Nauheim nicht halten, sprach sich aber für eine öffentliche Diskussion über seine Theorie aus, an der er auch teilnehmen wolle. Einstein kündigte Max und Hedi Born sein Kommen für den 18.September 1920 an. Für die Zeit der Tagung wohnte er bei Born in der Cronstettenstraße 9. Beide fuhren von dort mit der Bahn täglich nach Bad Nau- heim. Bei der Versammlung kam es zum heftigen Dis- put zwischen Einstein und Lenard. Aus dieser Zeit ist im Universitätsarchiv ein Brief erhalten geblieben, der bis- her nicht bekannt war, den Oberbürgermeister Voigt an Dr. Löwenthal, den Syndikus von Dr. Richard Fleischer, gerichtet hat. Der Brief trägt das Datum vom 18.Sep- tember 1920 ■10 . Er bekundet das Interesse der Frank- furter an Einstein:

■10 Beim Aktenstudium im Archiv der Goethe-Universität stieß Wolfgang Trageser auf diesen spannenden Brief des Oberbür- germeisters Voigt an den Justizrat Löwenthal vom 18.Septem- ber 1920; dabei ging es um die Berufung Albert Einsteins an die Frankfurter Universität.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 45 Forschung intensiv

»18. Sept. 1920 Sehr geehrter Herr Justizrat! Auf Ihre Anregung hin habe ich mich mit Herrn Ge- heimrat Dr. Wachsmuth wegen der Berufung von Prof. Einstein nach Frankfurt in Verbindung gesetzt. Herr Wachsmuth hatte schon vorher Verhandlungen angeknüpft und hat in der letzten Zeit mit Herrn Ein- stein einen sehr eingehenden Briefwechsel gepflo- gen, der zunächst Erfolg versprach. Nachdem ihm aber seitens des Kultusministeriums sowohl wie der ersten Männer der Wissenschaft in Berlin die Voraussetzungen für ein weiteres Wirken in Berlin gewährleistet worden sind, hat Herr Ein- stein bestimmt erklärt, daß er endgültig von der Be- rufung an eine Stelle außerhalb Berlins Abstand nähme. Damit werden wohl leider die Verhandlun- gen in dieser Angelegenheit beendet sein. Mit verbindlichstem Gruß Ihr Hochachtungsvoll ergebener Voigt./2/« Vermutlich setzten Verhandlungen Wachsmuths mit Einstein im August 1920 nach der Kundgebung der Ar- beitsgemeinschaft und den entsprechenden Pressemel- dungen über den möglichen Fortgang Einsteins aus Berlin ein. Mit dem Schreiben Einsteins an den Minister Haenisch vom 8. September 1920 war die Möglichkeit einer Berufung an eine Universität außerhalb Berlins unrealistisch geworden. Erst nach der Ermordung von ■11 Cornel Lanczos (1893 –1974) war wissenschaftlicher Assis- Reichsaußenminister Walter Rathenau 1922 und wie- tent Albert Einsteins in Berlin 1928/29, wo er mit Einstein der aufkeimendem Antisemitismus stellte sich diese über Probleme einer einheitlichen geometrischen Feldtheorie Frage neu. von Gravitation und Elektrizität arbeitete. Lanzcos arbeitete Die Datierung des Briefwechsels Einstein/Wachs- hauptsächlich über Relativitätstheorie. In Frankfurt war er Mit- arbeiter von im Institut für Theoretische muth kann aus den bereits genannten Gründen auf den Physik. Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 musste Zeitraum vom 27.August bis 8.September 1920 erfol- Lanczos Frankfurt am Main verlassen und ging nach Lafayette, gen. Es ist erstaunlich, dass der Briefwechsel Einstein/ Seattle, Los Angeles und Dublin. Er starb 1974 in seiner Hei- Born, der auf einer sehr freundschaftlichen und ver- matstadt Budapest.

trauensvollen Ebene stattfand, weder Hinweise auf diese Briefe zwischen Berlin und Frankfurt, noch auf Der Autor die Möglichkeit einer Berufung Einsteins nach Frank- furt am Main gibt. Wolfgang Trageser, der Johann Wolfgang Goethe-Universität. 46, studierte Phy- Zu seinen Arbeitsgebieten gehört die Max Born ging 1921 nach Göttingen. Sein Nachfol- sik, Mathematik Wissenschaftsgeschichte mit Schwer- ger auf dem Lehrstuhl für Theoretische Physik wurde und Philosophie in punkt Physik-Geschichte. Zur Zeit arbei- Erwin Madelung (1881–1972), der das Frankfurter In- Frankfurt am Main. tet Trageser an einem Projekt über den stitut für Theoretische Physik bis zu seiner Emeritierung Der Diplom-Physi- Stern-Gerlach-Versuch, sowie an einer 1949 leitete. Mit Cornel Lanczos (1893–1974)■11 , der ker ist wissen- größeren Arbeit über Einsteins Pro- Assistent bei Madelung war und der die Zeit 1928/29 als schaftlicher Ange- gramm, einer einheitlichen geometri- Assistent Einsteins in Berlin verbrachte, kam von 1924 stellter am Institut schen Feldtheorie im Rahmen der Ent- für Geschichte der Naturwissenschaften wicklung des klassischen Feldbegriffs. bis 1933 noch einmal ein Relativitätstheoretiker von Geltung nach Frankfurt am Main.

Anmerkungen

/1/ Notker Ham- /2/ Universitätsar- /3/ Albert Einstein / /4/ Andreas Klei- /5/ Schriftenreihe /6/ Christa Kirsten/ merstein: Die chiv Abt.14, Nr.140 Hedwig und Max nert: Paul Weyland, der »Arbeitsge- Hans-Jürgen Treder Johann Wolfgang (Blatt 7, Blatt 29, Born: Briefwechsel der Berliner Ein- meinschaft zur (Hrsg.): Albert Goethe-Universität Blatt 31, Nr. 139) 1916 –1955 stein-Töter, in: Hel- Erhaltung reiner Einstein in Berlin Frankfurt am München 1969 muth Albrecht Wissenschaft e.V.« 1913–1933, Teil 1, Main, Band 1 (S.52, S.17, S.52, (Hrsg.): Naturwis- Berlin 1979 (1914 – 1950), S.55) senschaft und (S. 203f, S. 204) Frankfurt am Technik in der Ge- Main/Neuwied schichte, Stuttgart 1989 1993 (S. 198 –232)

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Forschung Frankfurt 1–2/2002 47 Forschung aktuell »...man liest und liest, man kapiert nix – deswegen, wozu soll ich lesen...« Studie zum Leseverhalten: Was bleibt nach Abschluss der Hauptschule?

u den besonders ernüchternden Die PISA-Studie erhärtet bereits besonders »straff« – so heißt es in ZErgebnissen der PISA-Studie ge- bekannte Ergebnisse und verbreite- der Studie. hört der extrem hohe Anteil 15-jäh- te Verdachtsmomente: Zwei Drittel Die PISA-Studie selbst enthält riger Schüler und Schülerinnen in derjenigen, die unterhalb des Min- sich voreiliger Schlüsse im Hinblick Deutschland, die als schwache oder destniveaus bleiben, sind Jungen. auf Ursachen und Wirkungen der sehr schwache Leser gelten müssen. 50 Prozent der Gruppe besuchen die Misere. Vor allem qualitative For- schungen, die differenziertere Ein- blicke in Bildungsgeschichten außerhalb des Gymnasiums ermög- lichen, tun hier Not. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt »Was bleibt?«, das gegenwärtig unter der Leitung von Prof. Dr. Cornelia Rosebrock am Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Goethe-Univer- sität durchgeführt wird, liefert hier mittlerweile erhellende Ergebnisse. Erhoben werden »Spuren des schu- lischen Literaturunterrichts in der Medienpraxis und Lesegeschichte 17- bis 18-jähriger Hauptschulabsol- ventInnen«. Die annähernd 30 Leitfaden gestützten narrativen In- terviews mit Absolventinnen und Absolventen Frankfurter Haupt- schulen, die bisher durchgeführt wurden, liefern ein facettenreiches Bild der jeweiligen Mediennutzung im lebensgeschichtlichen Kontext. Typisch für die großstädtischen Verhältnisse ist dabei der hohe An- Schülerinnen und Fast 10 Prozent der Jugendlichen er- Hauptschule, 34 Prozent die Sonder- teil von Schülern und Schülerinnen Schüler aus Mi- reichen nicht einmal die erste von schule. Eine besondere Gruppe stel- aus Migrantenfamilien. In vielen grantenfamilien fünf definierten Kompetenzstufen. len diejenigen Schülerinnen und Abgangsklassen finden sich höch- sind auf intensive PISA betrachtet diese Gruppe als Ri- Schüler dar, die nichtdeutscher stens zwei bis drei mit deutscher Förderung im Umgang mit der sikogruppe: Eine befriedigende Teil- Herkunft sind: Sie bilden zwar nicht Herkunft. Diese Situation wird Schrift angewie- nahme am gesellschaftlichen, priva- die Mehrheit unter den extrem durch die Statistik, die von Staats- sen. Dazu gehör- ten und vor allem beruflichen Leben schwachen Lesern. Doch lässt sich bürgerschaften und nicht von ten beispielsweise in einem modernen Industriestaat feststellen, dass Migrantenkinder sprachlich-kulturellen Hintergrün- Hilfe bei Prüfungs- wie der Bundesrepublik sei nicht wesentlich häufiger der Risikogrup- den ausgeht, nicht annähernd er- vorbereitungen gewährleistet. Auch wer die Kom- pe angehören als Kinder aus deut- fasst. Sie hat allerdings erhebliche oder beim Schrei- petenzstufe 1 erreicht – weitere 13 schen Familien. Die Schülerschaft, Auswirkungen auf den Unterricht- ben von Lebens- läufen und Bewer- Prozent – hat eher schlechte Zu- die die Kompetenzstufe 1 erreicht, salltag und den Bildungserfolg der bungen. kunftsaussichten. besucht zum großen Teil ebenfalls Schülerinnen und Schüler. Insbe- Ein knappes Viertel der Gesamt- die Hauptschule. Soziologisch be- sondere diese Problematik themati- gruppe liegt also weit unterm Strich. trachtet gehören die Jugendlichen sieren daher die Lehrerinnen und Unerlässlich scheint es daher, sich beider Gruppen überwiegend sozial Lehrer, die im Rahmen einer Vor- im offensichtlich großflächigen Bil- schwächeren Milieus an. Auch dies untersuchung befragt wurden. dungskeller genauer umzuschauen, ein bedenkliches Ergebnis der PISA- In den meisten Familien der in- nicht zuletzt auf der Suche nach Studie: Der Zusammenhang zwi- terviewten Jugendlichen wird zu Hinweisen, wo und wie Bildungsin- schen sozialem Milieu und Bil- Hause Türkisch, Arabisch oder Italie- stitutionen intervenieren können. dungsbeteiligung ist in Deutschland nisch gesprochen, einige der Ju-

48 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Forschung aktuell gendlichen sind auch zweisprachig anforderungen in aufgewachsen, nur wenige aber al- Schule und Beruf in lein mit der deutschen Sprache. Der Verbindung ge- bei weitem überwiegende Anteil bracht: Alis prägende der Befragten kommt aus bildungs- Erfahrung ist eine fernen Elternhäusern. Die Eltern Abschlussprüfung in haben keinen oder einen niedrigen Deutsch zu Plenz- Schulabschluss und arbeiten in ein- dorfs Die neuen Lei- fachen beziehungsweise angelern- den des jungen W., ten Berufen. Deutsch ist für sie eine mühsame Lek- meist eine fremde Sprache geblie- türe, die er vor allem ben. Das Satellitenfernsehen er- Dank eines engagier- möglicht die Partizipation an den ten Sozialpädagogen muttersprachlichen Medienwelten. bewältigt hat. Maria, Schriftmedien spielen in diesen die ihre gesamte Familien häufig keine oder eine Schulzeit in Deutsch- sehr geringe Rolle. Die Interviewten land durchlaufen hat, erfahren ihre Elternhäuser nicht als versucht ihren anregendes Umfeld in Hinblick auf Sprachproblemen eine eigene Lesepraxis: Bücher gibt und ihren fehlenden es kaum. Selten berichtet eine In- beruflichen Perspek- terviewpartnerin von Vorleseerfah- tiven dadurch zu be- rungen in der Kindheit. Ebenso sel- gegnen, dass sie be- ten werden offensichtlich zu Hause wusst täglich eine halbe Stunde zeigt, wie wichtig solche institutio- Im Internet-Café: Geschichten erzählt. liest. Angeregt wurde sie dazu in ei- nellen Förderungen sind. Die erste Chatten gehört ner Fördermaßnahme von ihrer Auswertung unserer Studie illu- zum Alltag vieler Ein Drittel der Interviewten Deutschlehrerin. Maria betont die striert, dass der Deutschunterricht – Jugendlicher – häufig auch aller antwortet: »Ich bin kein Typ, Genauigkeit, mit der sie sich nun wenn entsprechende Anregungen der gern liest« Sprachschwierig- selbständig Texte erschließt, auch nicht im Elternhaus gegeben wer- keiten zum Trotz. Einen ähnlich schwach ausgepräg- wenn dabei noch wenig von Ver- den können – eine entscheidend ten Umgang mit Schrift haben die gnügen zu spüren ist: »Muss ich prägende Funktion hat, damit sich meisten Interviewten: »Ich bin kein auch wegen mein Deutsch.« Lust am Lesen überhaupt ent- Typ, der gern liest«, lautet eine wickeln kann. Zugleich wird deut- Der kleine Erfolg zählt: Standardformel, die so oder ähnlich lich, dass hier noch viel Arbeit zu in etwa einem Drittel der Interviews Motivation durch Lehrer leisten ist: Zwei der drei interview- auftaucht. Die fehlende Motivation und Sozialpädagogen ten Deutschlehrerinnen geben an, dieser bekennenden Nichtleser weist Ein weiteres erfreuliches Beispiel mit ihrem Interesse an Leseförde- darauf hin, dass Lesen schlicht nicht dafür, dass regelmäßige Lektürepra- rung und Literaturunterricht nicht als unterhaltsam erfahren wird: Ge- xis durch Impulse von außen ge- repräsentativ für ihre Schulform zu nuss, Entspannung, aber auch In- weckt wird: Halima, die einzige ge- sein! Viele Lehrkräfte halten es formation suchen und finden diese radezu süchtige Genussleserin in schlicht für unmöglich, neben der Jugendlichen in den meisten Fällen unserem Sample, bekam den An- Bearbeitung von Sprachproblemen beim Fernsehen. Lesen hat beson- stoß von ihrer Deutschlehrerin. Sie mit den Jugendlichen auch noch zu ders bei denjenigen, die in der deut- gab ihr ein Buch in die Hand, das di- lesen, und dann gar literarisch. schen Sprache nicht recht zu Hause rekt in die Lebenssituation des mus- Auch hier setzt die PISA-Studie ein sind, keinen Unterhaltungswert, limischen Mädchens in Deutschland Notstandssignal: Die Anzahl mutter- weil es mit erheblichen Schwierig- hineinsprach. Tuba, die gerade den sprachlichen Unterrichts, also des keiten verbunden ist. Der Marokka- Herrn der Ringe beackert, erfuhr Deutschunterrichts, gemessen an ner Ali etwa, der hin und wieder ebenfalls einen motivierenden der Gesamtstundenzahl, ist in Zeitung liest, betont: »Bildzeitung Deutschunterricht. Laura, die im- Deutschland erschreckend niedrig. les ich, aber halt zu Hause Bücher merhin regelmäßig zu Zeitschriften Auf neun bis zehn Schuljahre hoch- Literatur ..., so halt Liebesdramen, das les ich greift und der kleinen Schwester gerechnet, fehlt im Verhältnis zum PISA 2000. Basis- nicht so. Weil, man liest und liest, vorliest, hat sehr positive Erinne- internationalen Durchschnitt ein kompetenzen von man kapiert nix. Deswegen, wozu rungen an ihren Deutsch- und Eng- ganzes Jahr. Möglicherweise das Schülerinnen und soll ich lesen.« lischunterricht. Die Person der Leh- entscheidende. ◆ Schülern im inter- Unterhaltend wird allerdings das rerin spielt in allen drei Fällen eine nationalen Chatten im Internet-Café empfun- bedeutende Rolle und bedingt eine Vergleich/J. Bau- den, es gehört zum Alltag der Ju- insgesamt positive Einstellung zur Die Autorin mert, E. Klieme, M. Neubrand et al. Die promovierte Literaturwissenschaft- gendlichen. Offenbar entspricht das Schule. (Hg.). Deutsches lerin und -didaktikerin Irene Pieper er- Chatten eher dem mündlichens Ohne die Motivation durch Leh- PISA-Konsortium. forscht Aspekte der Lesesozialisation Kommunizieren mit Gleichaltrigen; rer in der Schule sowie Sozialpäda- Opladen: Leske und des literarischen Verstehens. Sie und Budrich, 2001 dabei werden die Sprachschwierig- gogen in Jugendzentren oder ande- gehört zum Team von Prof. Dr. Cornelia keiten nicht als Problem wahrge- re Angebote bekämen diese Jugend- Rosebrock am Institut für Deutsche PISA im Internet: nommen. Dagegen wird das Lesen lichen offensichtlich nicht den nöti- Sprache und Literatur I, Fachbereich http://www.mpib- von Texten vor allem mit Leistungs- gen Schub, selbst zu lesen – was Neuere Philologien. berlin.mpg.de/pisa/

Forschung Frankfurt 1–2/2002 49 Forschung aktuell Lust auf Lektüre »Interpretationen und Modelle« – ein didaktischer Service für den Literaturunterricht der Sekundarstufe I und II

ISA – und zuvor schon TIMSS – Möglichkeit, sich ausreichend Mate- Lesestoffe, zu denen Interpretatio- Pverweisen nachdrücklich darauf, rialien für interessante Interpretati- nen und didaktische Modelle häufig dass erhebliche Anstrengungen im onsaspekte zu besorgen. In der Fol- erst geschrieben werden mussten. deutschen Schulwesen erforderlich ge entsteht ein eintöniger Literatur- So findet sich von Zoë Jenny »Das sind. Einer der besonders nachdenk- unterricht, der die so genannten Blütenstaubzimmer« ebenso wie lich stimmenden Aspekte ist, dass Schulklassiker auf mehr oder weni- von Imre Kertesz »Roman eines offensichtlich in den deutschen ger dieselbe Art und Weise inter- Schicksallosen«. Bei der Auswahl Schulen eine zu geringe Förderung pretiert. konnte auf die Ergebnisse eines Ar- stattfindet. Dazu aber brauchen Die CD »Interpretationen und beitskreises zurückgegriffen werden, Lehrerinnen und Lehrer, denen nur Modelle«, die von Jakob Ossner, der sich am Institut für Deutsche allzu schnell die Schuld für das Cornelia Rosebrock und Irene Pieper Sprache und Literatur I seit langem schlechte Abschneiden der Schüler vom Institut für Deutsche Sprache mit der Frage beschäftigt, was aus zugeschoben wird, Zeit, die sie an und Literatur I des Fachbereichs für dem gegenwärtigen Literaturmarkt Neuere Philologien herausgegeben von schulischem Interesse sein und bei Cornelsen in Berlin verlegt könnte. wird, bietet Lehrerinnen und Leh- Durch das vielfältige Angebot zu rern einen neuartigen Service, der den klassischen Werken, die weni- den genannten Bedingungen ent- ger wegen ihrer Inhalte als wegen spricht und dabei die neuen Tech- ihrer trögen und einförmigen Be- nologien nutzt. Nach achtjähriger handlung in die Kritik geraten sind, Entwicklungsarbeit wurde die CD haben Lehrerinnen und Lehrer nun im Februar auf der Bildungsmesse die Möglichkeit, Alternativen zum in Köln erstmals vorgestellt. »Inter- gängigen Literaturunterricht, aber pretationen und Modelle« vereinigt auch gänzlich neue Literatur für die für 110 klassische Werke vom Ba- Schule zu entdecken. rock bis in die literarische Moderne Für das Ganze haben zirka 60 und für 20 neueste Werke, die noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in keinem Lektürekanon erschei- ungezählte Seiten verstreuter Lite- nen, ratur zusammengetragen und aus- gewertet. Über 15 000 Seiten ein- — Kurzbiographien zu den Autoren schlägiger Literatur sind auf der CD — Poetologische Stichwörter versammelt und so aufbereitet, dass —Werkteil mit den folgenden Ab- sich Lehrkräfte unter sehr unter- teilungen zu jedem der 130 lite- schiedlichen Fragestellungen Zu- rarischen Werke gänge verschaffen können. Das – Bibliographische Erfassung der reicht von der Recherche zu einem Erstauflage einzelnen Werk bis dahin, dass neue – Inhaltsangabe Lektüreeinheiten zusammengestellt –Verschiedene Interpretationen werden können. Da jedes Werk mit –Verschiedene didaktische Mo- einem bis fünf Schlagwörtern aus delle einer Liste von 48 Begriffen verse- – Didaktisch-methodischer hen und zudem epochal und nach Service Textsorten eingeordnet ist, gibt es – Kontextmaterialien Die CD anderer Stelle einsparen müssen. beispielsweise die Möglichkeit, sich »Interpretationen Gesucht ist also ein entlastender Maßgeblich für die Erstellung des lyrische Texte und/oder Erzählun- und Modelle für Service für die Unterrichtsinhalte, Lektürekorpus war die Erhebung gen zum Thema Freundschaft in der den Deutschunter- der zwei Bedingungen erfüllen soll- von Daten, was in den verschiede- Literatur nach 1945 zusammenzu- richt. Zu 130 Klassikern und te: Er muss einen gehörigen Über- nen Bundesländern überhaupt als suchen und dann die gesammelte Jugendbüchern«, schuss bieten, so dass es für die je- Schullektüre vorgeschrieben bzw. Literatur zu jedem genannten Werk herausgegeben von weiligen Bedürfnisse eine angemes- vorgeschlagen wird, ergänzt durch einzusehen. Jakob Ossner, sene Auswahl gibt, und es sollten eine Auswertung schulischer Lehr- Auf der Grundlage einer Hyper- Cornelia Rosebrock, Alternativen als Entscheidungshil- werke sowie Verkaufsdaten von Ver- textstruktur sind die einzelnen Teile Irene Pieper. fen angeboten werden. lagen zu größeren Schulbestellun- miteinander verbunden. Auf diese Berlin: Cornelsen Lehrerinnen und Lehrer haben gen. In einem weiteren Schritt wur- Weise werden ein Werk mit seinem Verlag, 2002, Home-Einzel- an der Universität gelernt, Literatur de das, was traditionell gelesen wird, Autor und seiner Biographie ver- Lizenz 49,95 Euro mit Hilfe von Sekundärliteratur zu innovativ ergänzt durch das, was knüpft, können Begriffe der Poetik (Bestellnummer: interpretieren. Im Beruf fehlt aber gelesen werden könnte. Die CD ver- innerhalb der Interpretationen im 608433) häufig die Zeit und oft auch die sammelt daher auch neue mögliche poetologischen Lexikon eingesehen

50 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Forschung aktuell werden, erläutert und illustriert das aufgenommen und neue Texte hin- Modelle« präsentiert sie sich als ein Kontextmaterial die Interpretatio- zukommen, sodass die Datenbank Fach, das Lehrerinnen und Lehrer nen und didaktischen Modelle, kontinuierlich wächst. unterstützt, damit diese rationale konkretisiert der didaktische Service Als Service für Lehrerinnen und Entscheidungen vor Ort treffen Vorschläge der didaktischen Model- Lehrer entwirft die CD auch für die können und Zeit haben für die ih- le und vieles andere mehr. Was für Fachdidaktik ein Bild, das sie als ei- nen anvertrauten Schülerinnen eine konkrete Unterrichtseinheit in- ne praktische Wissenschaft ausweist, und Schüler. ◆ teressant erscheint, kann die Nutze- die auch praktisch wirken will. Bis rin oder der Nutzer in einer virtuel- heute hat die Fachdidaktik – als uni- Der Autor len Arbeitsmappe zusammenstellen versitäre Disziplin ein Kind der Bil- Prof. Dr. Jakob Ossner forscht als Sprachdidaktiker am Institut für deut- und diese auch mit eigenen Mate- dungsdebatte der siebziger Jahren, sche Sprache und Literatur I, Fachbe- rialien erweitern. In einer Online- also eine relativ junge Disziplin – reich Neuere Philologien. Er gibt ge- Version, die vom Cornelsen Verlag sich schwer getan, ein Profil zu ent- schäftsführend die Zeitschrift »Didaktik betreut wird, werden Ergänzungen wickeln. Mit »Interpretationen und Deutsch« heraus.

»Textdetektive« lösen ihre Fälle: Mit Strategie und Spaß Wie lassen sich Texte leichter lesen und besser verstehen – Förderkonzept für Fünftklässler in Erprobung

eutsche Schüler schneiden im Dinternationalen Vergleich schlecht ab, wenn es um die Lese- kompetenz geht, die als fächerüber- greifende Schlüsselqualifikation und damit als wesentliche Voraus- setzung für die Teilnahme am ge- sellschaftlichen Leben gilt. Das ha- ben die Ergebnisse der PISA-Studie eindrucksvoll dokumentiert, bei der Leistungen von 15-jährigen Schüle- rinnen und Schülern in insgesamt 32 Staaten miteinander verglichen wurden. Die durchschnittliche Lese- leistung liegt in Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt: Etwa ein Viertel der Schüler ist nicht in der Lage, einzelne, aus einem Text ent- nommene Informationen zueinan- der oder zu ihrem Alltagswissen in Beziehung zu setzen. Als besonders kritisches Ergebnis gilt die extrem Detektive auf der Spurensuche: Die Fünftklässler des Offenbacher Leibniz-Gymnasiums suchen nach den große Leistungsstreuung. In keinem passenden Lesestrategien, um die wichtigen Informationen aus einem Text zu filtern. Sie nahmen an der anderen Land ist der Abstand zwi- Pilotstudie des Instituts für Pädagogische Psychologie teil. Die ersten Ergebnisse dieser Studie zeigen, schen den leistungsstarken und den dass mit dem Förderkonzept der richtige Weg eingeschlagen wird: Schüler können planvolles Lesen erler- nen und haben dann auch deutlich mehr Spaß, sich mit Gedrucktem zu beschäftigen. leistungsschwachen Lesern so groß wie in Deutschland. Die PISA-Studie liefert verglei- Kennzeichen lesestarker Schüler programm für das Fach Deutsch chende Daten über die Leistungs- war ihr hohes Interesse am Lesen entwickelt, das verschiedene Lese- fähigkeit der jeweiligen nationalen auch im privaten Bereich. Gezielte strategien und einen bewussten und Bildungssysteme. Auf die Frage, wie Leseförderung sollte also an diesen planenden Umgang mit Texten ver- diese verbessert werden können, Punkten ansetzen. mitteln soll. Das Projekt trägt den kann sie keine Antworten geben. Titel »Förderung der Regulation Die Idee: Die an PISA beteiligten Bildungsfor- von Lesestrategien bei Schülerinnen scher konnten allerdings feststellen, Lesestrategien fördern und Schülern der Sekundarstufe I« dass Schüler mit besseren Leselei- In der Arbeitsgruppe von Prof. And- und wird von der Deutschen For- stungen ein höheres Wissen über reas Gold wurde am Institut für Pä- schungsgemeinschaft (DFG) geför- Lernstrategien hatten. Ein anderes dagogische Psychologie ein Förder- dert. Das theoretische Rahmenmo-

Forschung Frankfurt 1–2/2002 51 Forschung aktuell

den« vor und üben sie an Hand un- terschiedlicher Texte ein. Die ersten beiden Detektivmetho- den sollen den Schülern beim Ver- stehen helfen. Durch das »Beachten der Überschrift«wirdVorwissen zum Inhalt des Texts aktiviert und das »bildliche Vorstellen« dient dazu, Textstellen zu veranschaulichen. Zwei weitere Detektivmethoden sollen die Schüler dabei unterstüt- zen, den Text auf seine wichtigsten Aussagen zu reduzieren: »Wichtiges unterstreichen« und »Wichtiges zu- sammenfassen«. Zu jeder der Lese- strategien wird mit den Schülern genau besprochen, wie man sie an- wendet sowie wann und warum man sie einsetzen sollte. Die Detek- tivmethode »Wichtiges unterstrei- Nach ihrer Einführung werden die einzelnen Detektivmethoden an Hand von kurzen Texten geübt. Das Bei- chen« wird beispielsweise als »Be- spiel zeigt einen Text, der von einem Schüler der fünften Klasse bearbeitet wurde. Trainiert wurden die De- haltensmethode« eingeführt: Dabei tektivmethoden »Wichtiges unterstreichen« und »Wichtiges zusammenfassen«. Die Anwendung der Lese- geht es erst einmal darum heraus- strategien ermöglicht es auch leistungsschwächeren Schülern, treffende Zusammenfassungen in eigenen zufinden, welche Informationen Worten zu schreiben. wirklich wichtig sind, weil man sich dell für den Förderansatz lässt sich der Förderung ist also, die Schüler nicht den ganzen Text merken kann. auf folgenden einfachen Nenner zu befähigen, »untergeordnete« Le- Da es vielen Schülern schwer fällt, bringen: Um Texte besser verstehen sestrategien und »übergeordnete« zwischen wichtigen und unwichti- zu können, ist es hilfreich, Lesestra- Strategien der Steuerung und Über- gen Informationen zu unterschei- tegien einzusetzen. Eine sinnvolle wachung flexibel und aufeinander den – noch in der Oberstufe werden Nutzung von Lesestrategien ist dann abgestimmt einzusetzen. Ein solches häufig viel zu viele Textstellen mar- gegeben, wenn die Schüler sie pas- methodisches Herangehen an Texte kiert – diskutieren die Lehrer mit send zur jeweiligen Situation aus- führt zu erkennbaren Erfolgen: die den Kindern zunächst, woran man wählen. Das bedeutet, die Kinder Kinder verstehen das Gelesene bes- erkennt, was in einem Text relevant müssen den Leseprozess ständig im ser und dies fördert auch ihre Lese- ist. Allgemein gültige Regeln lassen Auge behalten und die Strategien motivation und ihr Interesse an Ge- sich dafür nur schwerlich aufstellen, den Erfordernissen anpassen; drucktem. umso wichtiger ist es, sich bewusst schwierige Textstellen machen z.B. Die Zielgruppe des Projekts sind zu machen, dass nicht immer alles einen Strategiewechsel nötig. Ziel Schülerinnen und Schüler der gleich wichtig ist. Deshalb lesen die 5. Jahrgangsstufen aller Schulfor- Schüler gemeinsam Satz für Satz men, denen so früh wie möglich ein den Text und begründen dabei, Methodenrepertoire zur Verfügung warum sie bestimmte Stellen her- gestellt werden soll, auf das sie im vorheben wollen und andere nicht. Verlauf ihrer weiteren Schullauf- Zusätzlich werden drei »übergeord- bahn zurückgreifen können. Zum nete« Strategien vermittelt, die den Förderkonzept gehört es, dass ge- Schülern dabei helfen sollen, ihren schulte Lehrer die Inhalte unmittel- Leseprozess fortlaufend zu überwa- bar in ihren Unterricht integrieren. chen: »Verstehen überprüfen«, »Be- halten überprüfen« und der (eigen- Die Umsetzung ständige) »Umgang mit Textschwie- des Förderkonzepts rigkeiten«. Die Lesestrategien werden in eine Die insgesamt sieben Detektiv- »kriminalistische« Rahmenhand- methoden werden in den letzten lung im Deutschunterricht einge- Stunden der Förderung zu einem bettet und so vermittelt: Die Kinder »Leseplan« verbunden, der die entwickeln sich im Laufe der Förde- Schüler an Hand von Leitfragen rung zu »Textdetektiven«, die »Fäl- zum bewussten Planen, Überwa- le« lösen, also aus Texten relevante chen und eventuell auch zum Mo- Informationen entnehmen. Dabei difizieren des Leseprozesses anleiten stellen die Lehrer verschiedene Le- soll: Mit welchem Ziel lese ich die- sestrategien als »Detektivmetho- sen Text? Welche Detektivmetho- den brauche ich? Habe ich mein Ziel In diesem Leseplan werden die wichtig- erreicht? Was kann ich beim näch- sten Arbeitsschritte noch einmal zusam- sten Mal anders machen? Unsere mengefasst. Arbeitsgruppe hat zu diesem För-

52 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Forschung aktuell derkonzept ein Lehrermanual ent- Eine im Schuljahr 2000/01 abge- Ansatzpunkte für eine Förderung wickelt, das 17 auf einander aufbau- schlossenen Vorstudie, an der insge- der Lesekompetenz benannt wur- ende Unterrichtsstunden umfasst. samt 14 Klassen teilnahmen, er- den. Es scheint also möglich, bei Daneben werden Unterrichtsmate- brachte ermutigende Ergebnisse: Schülerinnen und Schülern der rialien für die Schüler wie Texte und Die geförderten Schüler produzier- 5. Klasse planvolles Leseverhalten Arbeitsblätter zur Verfügung gestellt. ten mehr und qualitativ bessere zu unterstützen, indem man ihnen Strategievorschläge als die Schüler Lesestrategien und Kompetenzen Untersuchung und der Kontrollklassen, die »norma- zur Selbststeuerung vermittelt. Da- erste Ergebnisse len« Deutschunterricht erhielten. mit einher gehen dann zum Lesen 39 Schulklassen der Sekundarstufe I Doch nicht nur in ihrem strategi- motivierende Erfolgserlebnisse. an sechs Gymnasien, vier Haupt- schen Wissen waren die geförderten Natürlich stellt eine solche »diszipli- und Realschulen und einer Gesamt- Klassen im Vorteil: Auch das inhalt- nierte« Form des Lesens nicht die schule im Rhein-Main-Gebiet ha- liche Interesse am Fach Deutsch Herangehensweise an Texte dar, die ben dieses Förderkonzept im ersten stieg in diesen Klassen an, während bei geübten Lesern mit »Freude am Halbjahr des laufenden Schuljahres in den Kontrollklassen im selben Lesen« assoziiert wird. Sie kann während des regulären Deutschun- Zeitraum sogar ein leichtes Absin- aber zu einem frühen Zeitpunkt das terrichts getestet. Um Informationen ken zu beobachten war. Handwerkszeug schaffen, das – über die Effektivität der Förderung automatisiert eingesetzt – eine Vor- zu erhalten, werden wiederholt Fazit aussetzung dafür darstellt, mit Spaß (vor Beginn und nach Abschluss Eine erste Bilanz zur Förderung des auch schwierige Texte zu lesen. ◆ der Förderung und am Ende des Leseverstehens zeigt: Mit Verbesse- Schuljahres) mit den Schülern Tests rungen in den Bereichen »Strate- Die Autoren durchgeführt. Damit soll erfasst giewissen« und »Interesse für den Diplom-Psychologin Judith Küppers und Dr. Elmar Souvignier aus der Arbeitsgrup- werden, wie sich das Wissen über Deutschunterricht« konnten tat- pe von Prof. Andreas Gold, Institut für Lesestrategien, die Lernmotivation sächlich die beiden Merkmale be- Pädagogische Psychologie, haben das und das Leseverstehen verändert einflusst werden, die in der PISA- Förderprogramm mit verschiedenen Le- haben. Studie als besonders aussichtsreiche sestrategien mit entwickelt.

änner und Männergesund- Mheit sind in aller Munde. Best- Gibt es das eigentlich – sellerbücher über den Mann, stei- gende Auflagen von Männer»ge- sundheits«magazinen (z.B. Men’s »typisch männlich«? Health) sowie eine Flut von Ratge- Rollenorientierung und männliche Hormone – berbüchern über männliches Altern, männliche Gesundheit oder den Ergebnisse aus der psychologischen Männergesundheitsforschung männlichen Körper zeigen ein wachsendes öffentliches Interesse an der »forty nine percent majori- ty« unserer Gesellschaft, aber auch ein wachsendes Interesse der Män- ner an sich selbst. Dagegen ist aus wissenschaftlicher Perspektive fest- zustellen, dass das Wissen über die psychische und körperliche Ge- sundheit der Männer im Vergleich zu dem Wissen über Frauen defizitär ist. Vergleichbare Erfahrungen, wie die der langjährigen medizinisch- gynäkologischen Forschung und Praxis oder der seit Jahren etablier- ten sozialwissenschaftlich orientier- ten Frauen(gesundheits)-forschung fehlen für den Mann weitgehend. Während Frauengesundheits- zentren und erst recht der Frauen- arzt zum festen Bestandteil der Ge- sundheitsversorgung gehören, fin- Männerarztes zu übernehmen. Um Industrienationen im Vergleich zu det erst jetzt innerhalb der Medizin die Notwendigkeit dieser medizini- Frauen im Durchschnitt sieben Jah- die Diskussion darüber statt, welche schen Spezialisierung zu begründen, re früher sterben. Teildisziplin am besten geeignet und wird insbesondere die Tatsache an- Ein Blick auf die Statistiken von vorbereitet ist, die Aufgaben eines geführt, dass Männer der westlichen Todesursachen zeigt jedoch, dass zur

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genhardt, Andreas Thiele und Bär- monelle Aspekte mit maskulinen bel Krusch-Mielke am Institut für Rollenorientierungen zusammen- Psychologie der Goethe-Universität hängen. Dem Projekt liegt ein bio- durchgeführt wird, ist es daher, dass psychosoziales Modell zum Erwerb neben dem biologischen Geschlecht maskuliner Rollenorientierungen wesentlich auch maskuline Rollen- zugrunde, in dem entwicklungsbio- muster und männliche Verhalten- logische und sozialpsychologische weisen Einfluss auf die körperliche Annahmen integriert werden. Erste und psychische Gesundheit des Ergebnisse des Projektes zeigen, dass Mannes nehmen können. Wesentli- in der Tat bei Männern im Alter von che Züge der traditionellen Masku- 18 bis 24 Jahren hormonelle und linität als eine in unserer Gesell- körperliche Merkmale (insbesonde- schaft vorherrschende soziale Norm re Testosteron und maskuliner Kör- über angemessene oder akzeptierte perbau) mit Teilbereichen männli- männliche Verhaltens-, Erlebens- cher Rollenorientierung in Zusam- und Ausdrucksweisen sind vermut- menhang stehen. Diese Zusammen- lich jedem bekannt: Männer sollten hänge sind jedoch eher indirekt und beruflich erfolgreich und durchset- durch soziale Prozesse vermittelt. zungsfähig sein; bei Konkurrenz Auch ist nicht jeder Mann und jeder und Wettkampf sollten sie die Ober- Teilaspekt der männlichen Rollen- hand behalten; sie sollten kein Ver- orientierung in gleichem Maße da- halten zeigen, das sie als weiblich von betroffen. oder gar als homosexuell erschei- Obwohl aufgrund des Studiende- nen lässt, bezogen auf ihren Körper signs keine Ursache-Wirkungs-Zu- sollten sie stark und ausdauernd, so- sammenhänge behauptet werden wie muskulös gebaut sein. Aggressi- können, liegt folgende Interpretati- vität, Risikolust und Trinkfestigkeit on nahe: Individuell unterschiedli- gehören, obwohl sozial uner- che endokrine Entwicklungsverläu- wünscht, genauso zu Männlichkeits- fe können bei einzelnen Männern, idealen wie die Fähigkeit, Schmer- besonders während der Pubertät, zen und emotionale Verunsicherung aber auch im Erwachsenenalter, Ver- zu verbergen. Warum orientieren haltensweisen, z.B. allgemeine oder sich aber einzelne Männer in einem sexuelle Aktiviertheit oder aggressi- unterschiedlichen Ausmaß an die- ves Dominanzverhalten, und eben- sen sozialen Vorgaben und Nor- falls die Ausprägung von Körper- men? Welche Aspekte von Maskuli- baumerkmalen beeinflussen. Män- nität sind bei unterschiedlichen Le- ner, deren zum Teil biologisch be- benssituationen für die körperliche dingte Verhaltensweisen dann dem und psychische Gesundheit förder- männlichen Stereotyp entsprechen, Erklärung dieses »Gender Gaps« lich oder abträglich? Welche Konse- werden innerhalb sozialer Gruppen, medizinisch-biologische Gründe al- quenzen haben diese maskulinen in denen dieses Stereotyp positiv lein nicht ausreichen. So führen Rollenorientierungen für die Män- bewertet wird, eher als männlich Männer insbesondere in den Berei- ner selbst oder für ihr unmittelbares kategorisiert. Erst das Zusammen- chen die Statistiken an, die stark Lebensumfeld? Erst seit wenigen wirken dieser entwicklungsbiologi- von Verhalten und männlichen Rol- Jahren sind diese Fragen Gegen- schen und sozialpsychologischen lenbildern geprägt sind. Männer sind stand systematischer psychologi- Prozesse kann dann zu einer lang- sehr viel häufiger Opfer von Ver- scher Forschung vor allem im anglo- fristigen Orientierung an maskuli- kehrsunfällen, sind öfter Opfer einer amerikanischen Raum. nen Rollenerwartungen einzelner vorsätzlichen Tötung durch andere In diesem Jahr arbeitet das Team Männer führen – mit allen mögli- (die anderen sind dabei ebenfalls am Institut für Psychologie der chen positiven Konsequenzen für häufiger Männer), sie begehen häu- Goethe-Universität noch an dem beruflichen Erfolg und Karriere, figer erfolgreich Selbstmord, oder von der Deutschen Forschungsge- aber auch mit allen möglichen ne- sie leiden mehr als Frauen an Er- meinschaft (DFG) geförderte Projekt gativen Konsequenzen für die kör- krankungen, die auf Risikoverhal- SEGAM zur Erforschung der Bedin- perliche und psychische Gesund- ten, wie Rauchen, Alkoholkonsum gungen und Konsequenzen von heit. ◆ oder fettreiche Ernährung, zurück- maskulinen Rollenorientierungen geführt werden können. Dagegen bei jungen Männern. In dem Projekt führen Frauen die Statistik bei le- werden die in diesem Forschungs- bensverlängernden Maßnamen an: bereich vorherrschenden sozialwis- So nehmen z.B. mehr als doppelt so senschaftlichen Annahmen, dass viele Frauen Gesundheitsvorsorge- Maskulinität in unserer Gesellschaft Der Autor Untersuchungen in Anspruch. sozial konstruiert ist und durch So- Dr. Andreas Thiele, Institut für Psycholo- Eine Grundannahme der psy- zialisationsprozesse weitergegeben gie, beschäftigt sich seit Jahren mit chologischen Männergesundheits- wird, durch die Frage ergänzt, in- psychologischer Männergesundheits- forschung, wie sie von Annette De- wieweit auch körperliche und hor- forschung.

54 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Forschung aktuell Es ist nicht alles Gold, was glänzt Neue Herausforderungen für die Verkaufsförderung

ls Konsumenten begegnen wir Abeim Einkaufen ständig Ver- kaufsförderungsmaßnahmen: Pro- dukte sind im Sonderangebot, sie werden in Zweitplatzierungen be- sonders auffällig präsentiert und in Zeitungsbeilagen beworben, Unter- nehmen verteilen Warenproben und veranstalten Gewinnspiele. Seit dem Sommer sind die Möglichkei- ten für solche zeitlich befristeten Aktionen in Deutschland noch um- fangreicher geworden, denn das Ra- battgesetz und die Zugabeverord- nung sind zum 25.Juli 2001 abge- schafft worden. Beide Gesetze ha- ben seit den 1930er-Jahren den Ein- satz von Preisnachlässen und Pro- duktzugaben bei Konsumenten we- sentlich stärker als in anderen Län- dern eingeschränkt. Wie sollen Konsumgüterunter- nehmen mit dieser neuen Freiheit nach der Gesetzesänderung umge- hen? Projektteams beraten ver- schiedene Maßnahmen, und einige Unternehmen testen bereits neue Verkaufsförderungsformate. Die Eu- phorie ist zumeist groß. Zwei War- nungen sind jedoch angebracht. Zum einen entstand in den Medien in den letzten Monaten der Ein- druck, als seien der Phantasie von Unternehmen nun keine Grenzen mehr gesetzt, Kaufanreize zu erfin- den. Tatsächlich be- wegt sich die Ver- kaufsförderung auch nach dem Fall von Rabattgesetz und Zugabeverordnung nicht im gesetzes- freien Raum. Rahmenbedin- gen werden vor allem durch das Gesetz gegen den unlaute- ren Wettbe- werb (UWG) definiert, das auch als »Grundgesetz des Wettbewerbs« gilt. Sein § 1 (große Generalklausel) untersagt sittenwidriges Verhalten, und § 3 verbietet Irreführung. Noch ist unklar, wie die Gerichte das UWG in Zukunft auslegen und auf

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Verkaufsförderungsmaßnahmen sätzlicher Käufe unter den Einlösun- sumententypen: 37 Prozent der anwenden werden, so dass die gen. Die Tabelle zeigt, dass der Wert Probanden befürworten Zugaben, Grenzen des Gesetzes in den näch- von Coupons seit 1988 kontinuier- 48 Prozent sind ihnen gegenüber sten Jahren juristisch vermutlich lich gestiegen, gleichzeitig aber die neutral eingestellt, und 15 Prozent Einlöserate kontinuierlich gesunken lehnen Zugaben ab. Bei der letztge- Coupons in den USA ist. Empirische Studien haben zu- nannten Gruppe würde etwa das 1988 1992 1995 2000 dem gezeigt, dass Coupons vielfach Hinzufügen eines Bilderrahmens zu Anzahl verteilter Coupons von Konsumenten eingelöst wer- zwei Filmen den Marktanteil der (Milliarden Stück pro Jahr) 247 310 291 248 den, die das Produkt ohnehin ge- betreffenden Marke von 33 auf 27 Durchschnittlicher kauft hätten. Beispielsweise findet Prozent senken. Diese Konsumen- Preisnachlass (US-Dollar) 0,44 0,58 0,68 0,79 Scott Neslin in einer Untersuchung ten bleiben also nicht einfach nur Anteil eingelöster an den 2,9 2,5 2,0 1,8 verteilten Coupons (Prozent) bei Kaffee, dass nur 44 Prozent der unbeeinflusst, sondern werden Couponeinlösungen zusätzliche durch die Verkaufsförderung vom Käufe darstellen, die durch den Kauf des Aktionsproduktes abge- ■1 Coupons in den ausgelotet werden. Sicher ist, dass Coupon veranlasst wurden /1/. Etli- halten! USA. (Quelle: NCH Konsumenten auch in Zukunft vor che Coupon-Aktionen erwiesen Die geschilderten Beispiele sollen Promotional Übervorteilung durch Unterneh- sich somit als unprofitabel. Dies nicht dazu dienen, die neuen Mög- Services) men geschützt sind, und nicht jede führte dazu, dass die Zahl der ver- lichkeiten für die Verkaufsförderung Marketingmaßnahme zulässig sein teilten Coupons in den USA seit grundsätzlich in schlechtem Licht wird. Zum anderen ist nicht jede ihrem Höhepunkt 1992 bis 2000 darzustellen. Im Gegenteil: Das Möglichkeit, die sich bietet, für ein um 20 Prozent zurückgegangen ist. Kind sollte nicht mit dem Bade aus- Unternehmen auch vorteilhaft. Unternehmen in Deutschland soll- geschüttet werden. Sowohl Cou- Deutsche Unternehmen können ten also gründlich überlegen, was pons als auch Produktzugaben kön- hier von den Erfahrungen anderer sie aus den Fehlern ihrer Kollegen nen ein profitables Verkaufsförde- Länder sowie aus der umfangrei- in den USA lernen können. rungsinstrument sein, wenn sie nur chen Forschung zur Wirkung von Eine weitere, möglicherweise ge- richtig eingesetzt werden. Beispiels- Verkaufsförderungsmaßnahmen fährliche Verkaufsförderungsmaß- weise versuchen Unternehmen in lernen. Dies sei an zwei Beispielen nahme sind Produktzugaben. Bei- den USA zunehmend, Coupons illustriert: Coupons und Produktzu- spielsweise fügen Unternehmen zielgerichtet zu verteilen. Dazu wer- gaben. Müslipackungen ein Spielzeug bei den Coupons nicht mehr weit ge- Coupons sind unter anderem in oder Getränkekisten ein Glas. Bis- streut, sondern nur an solche Perso- den USA ein weit verbreitetes Ver- lang waren solche Zugaben in nen gesandt, bei denen die Generie- kaufsförderungsinstrument ■1 . Da- Deutschland auf geringwertige Arti- rung zusätzlicher Käufe zu erwarten bei handelt es sich um Gutscheine, kel beschränkt. Zugaben sollen den ist. Daten für eine gezielte Kunden- die einen Preisnachlass auf bestimm- Absatz des Aktionsproduktes er- ansprache liefern beispielsweise te Produkte versprechen. Coupons höhen, und vieles spricht dafür, dass Kundenbindungsprogramme, wie werden meist von Konsumgüter- dies gelingt. So können Zugaben sie in den letzten Jahren auch in herstellern über Tageszeitungen nicht nur vom Konsumenten selbst Deutschland vielfach eingeführt verteilt; Konsumenten können sie verwendet, sondern auch weiter worden sind. Zugaben gilt es zudem ausschneiden und im Handel einlö- verschenkt werden, und geben dem so zu gestalten, dass sie viele Kun- sen. Das Ziel der Hersteller ist es, zu- Konsumenten zudem das Gefühl, den ansprechen. Vielen Unterneh- sätzliche Käufe(r) für das eigene ein Schnäppchen gemacht zu ha- men gelingt dies meisterhaft. Bei- Produkt zu generieren. Coupons ben. Allerdings kann es passieren, spielsweise »erntet« McDonalds mit dienen dabei als Instrument der dass Konsumenten Zugaben als Ver- der Zugabe von Kinderspielzeug zu Preisdifferenzierung: Einige Konsu- such der Manipulation empfinden seinen Menüs teilweise wahre An- menten sind bereit, den Aufwand oder sie als Zeichen für eine man- stürme von Kunden. Im Zweifel des Couponsammelns auf sich zu gelhafte Produktqualität oder für sollten Zugaben vor ihrem Einsatz Literatur nehmen und werden dafür mit ei- überhöhte Preise interpretieren. im Markt mit geeigneten Marktfor- nem Preisnachlass belohnt, wäh- Dies führt dazu, dass manche Kon- schungsinstrumenten getestet wer- /1/ Neslin, Scott A.: rend andere Konsumenten ohne sumenten Zugaben ablehnen. den. Dies ist im übrigen eine gene- A Market Response Coupons den vollen Preis für das In einer empirischen Studie wur- relle Empfehlung für Konsumgüter- Model for Coupons Aktionsprodukt zahlen. Insgesamt de gezeigt, dass vier untersuchte unternehmen: Die Wirkung von Promotions, Mar- keting Science, kann sich so unter bestimmten Be- Produktzugaben den Absatz von Fil- Verkaufsförderungsaktionen sollte Vol. 9 (1990), dingungen der Gewinn des Unter- men und Bier nur geringfügig er- ständig gemessen werden. Daten S. 125 – 145. nehmens im Vergleich zu einem höhen /2/. Die gleiche Absatzsteige- und Modelle hierfür stehen zuneh- /2/ Gedenk, Karen/ Einheitspreis erhöhen. In Deutsch- rung könnte durchschnittlich mit mend zur Verfügung und erlauben Hartmann, Sönke/ land waren Coupons vor Juli 2001 einer Preissenkung um 53 Pfennig eine kontinuierliche Verbesserung Schulze, Timo: Die auf einen maximalen Preisnachlass beziehungsweise 3,4 Prozent er- des Verkaufsförderungsmixes. ◆ Wirkung von Pro- von drei Prozent beschränkt und reicht werden. Da der Einkauf und duktzugaben – damit wenig attraktiv. die Verteilung der Zugaben aber we- Die Autorin Ein Conjoint- Entscheidend für den Erfolg von sentlich mehr kosten dürften, han- Experiment, Prof. Dr. Karen Gedenk, Institut für Be- Coupons sind folgende Größen: Die delt es sich hier keineswegs um pro- Zeitschrift für triebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaft, Kosten für die Verteilung, die Erlös- fitable Verkaufsförderungsmaßnah- Marketing II, beschäftigt sich mit Kon- 70. Jg. (2000), einbußen durch den Preisnachlass, men. Die Studie identifiziert darü- sumgütermarketing und Untersuchun- S. 1311 – 1330. die Einlöserate und der Anteil zu- ber hinaus drei verschiedene Kon- gen zur Markentreue.

56 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Forschung aktuell Warum wir in Zyklen schlafen und warum mehr Frauen als Männer unter Schlafstörungen leiden Erste Ergebnisse einer Studie: Informationssucher schlafen schlechter als Ablenker

in Delphin schläft nur mit hal- Unsere Arbeitsgruppe konnte auf- Ebem Körper und halber Seele. zeigen, dass sowohl Tief- als auch Immer bleibt eine Hälfte seines Ge- REM-Schlaf reduziert oder sogar hirns wach, ein Auge bleibt offen. verhindert werden, wenn dieSchlaf- Alle zehn Minuten wechselt er die umgebung als bedrohlich angesehen schlafende Seite. So kann er auch wird. Dies beweist, dass der Phasen- im Schlaf Gefahren in seiner Umge- wechsel eine Schutzfunktion ausübt. bung bewusst wahrnehmen, und Wir haben außerdem nachgewiesen, er ist stets reaktionsbereit. Auch dass bestimmte Personen nachts Katzen, Hunde und selbst Menschen stärker ihre Umgebung überwachen (meist Säuglinge) halten häufig beim als andere: Sie werden auch im Einschlafen ein Auge leicht geöffnet. Schlaf von ihrer Monitornatur (von Aber mit zunehmender Schlaftiefe monitoring = überwachen) be- machen sie beide Augen fest zu. Erst herrscht. Was als Schutz gedacht im REM-Schlaf (»rapid eye move- war, wird für diese Menschen oft ment«) kann es passieren, dass beide zum Leid. Sie sind prädestiniert für Lider wieder leicht geöffnet werden. Ein- und Durchschlafstörungen. Bedeutet das, dass wir im Gegensatz Grundsätzlich haben Menschen zum Delphin Gefahren im Schlaf – im wachen wie im schlafenden Zu- hilflos ausgeliefert sind? Zum Glück nicht. Unser Forscherteam fand Welche gemeinsa- heraus, wie wir uns im Schlaf vor men Schlafge- Gefahr schützen: Menschen schaf- wohnheiten haben Katzen und Säug- fen es, ihre Umgebung zu überwa- linge? – Sie halten chen, indem sie permanent zwi- beim Einschlafen schen den Schlafphasen wechseln. ein Auge leicht Es ist seit langem bekannt, dass geöffnet. In der sich leichter Schlaf, tiefer Schlaf und Tierwelt findet REM-Schlaf (erkennbar an schnel- man dieses Phä- len Augenbewegungen und assozi- nomen häufiger, so können die Tie- iert mit visuellen Träumen) in einem re auch im Schlaf bestimmten Rhythmus im Verlauf Gefahren in der einer Nacht abwechseln. Aus dem Umgebung wahr- leichten Schlaf sind wir leicht weck- nehmen und bar, aus dem Tiefschlaf schon weni- schnell reagieren. ger, und im REM-Schlaf werden Geräusche in den Traum integriert stand – zwei Grundmuster im Um- Ablenkung wäre angemessen. Infor- und wecken uns nicht auf. Im REM- gang mit Bedrohung zur Verfügung: mationssucher (»Monitors«) nerven Schlaf sind wir am verwundbarsten Ablenkung oder Informationssuche. den Arzt mit endlosen Fragesequen- und unserer Umgebung am stärk- Dies ist das kognitive Analogon zu zen. Und sie selbst antworten auf die sten ausgeliefert. Was aber ist der den bekannten biologisch veranker- Frage »Wenn Sie an einer tödlichen Sinn dieses permanenten Wechsels? ten Verhaltensreaktionen Flucht Krankheit leiden würden, möchten Dieses rätselhafte Hin und Her oder Angriff. Ablenkung entspricht Sie das gerne wissen wollen?« auf Für weitere zwischen den Schlafzuständen ist Flucht, Informationssuche ist eine jeden Fall mit »ja«. Ablenker dage- Schlafstudien nichts anderes als ein komplexer Form des Angriffs. 40 Prozent aller gen (»Blunter« – to blunt = Gefühle werden noch Schutzalgorithmus. Wir kehren oft Menschen beherrschen nur eins mildern) bleiben über die Diagnose interessierte Teil- in den Leichtschlaf zurück, um zu dieser beiden Muster. Sie setzen es lieber im Ungewissen. nehmerinnen registrieren, was um uns vorgeht. In auch ein, wenn es unangemessen ist. Laut einer Befragung von 300 und Teilnehmer den REM-Schlaf treten wir nur zö- Das kann durchaus gravierende ne- Personen in Deutschland und 150 gesucht: Telefon gernd ein, und wir leisten uns da- gative Folgen haben, wirkt aber oft Personen in den USA leiden Infor- 069-798 23952; von zu Beginn der Nacht nur weni- einfach nur kurios: Welchen Sinn mationssucher (Monitors) insbe- E-mail: ge Minuten, am Ende dagegen bis macht Informationssuche vor einem sondere in Stressphasen und in un- [email protected] zu einer halben Stunde. schweren medizinischen Eingriff? gewohnter oder lauter Schlafumge- frankfurt.de

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bung unter extrem schlechtem In einer neuen Studie suchen wir beginnen. Die Therapie soll direkt Schlaf. In einer sehr umfangreichen bei einer speziellen Gruppe von auf den Umgang mit der Disposition experimentellen Schlafstudie wur- schlafgestörten Patienten nach Un- Monitoring gerichtet sein. den die Teilnehmer unterschiedli- terschieden im Monitoring- und Eine zweite spannende Erkennt- chen Stressarten ausgesetzt: Neue Blunting-Verhalten. Untersucht nis erbrachte die erste Auswertung Schlafumgebung, Ungewissheit, pe- werden Patienten, die an einer unser Daten: Offensichtlich müssen riodisches Wecken, Erwartung eines Schlafstörung erkrankt sind, die we- die endokrinologischen Aspekte in bedrohlichen Ereignisses am Mor- der psychisch noch organisch be- der Schlafforschung stärker berück- gen. Die Monitors schliefen so dingt ist. Die Auswertungen der sichtigt werden: So zeigte sich, dass schlecht, dass sie die Kriterien für Antworten von bisher 108 befrag- Menschen, die unter einer Störung eine klinisch manifeste schwere In- ten Personen belegen, dass schlafge- der Schilddrüsenfunktion leiden, somnie-Erkrankung erfüllten. Men- störte Menschen signifikant höhere häufig schlecht schlafen. Um dieses schen, die sich bevorzugt ablenken, Monitoring-Werte aufweisen – und Thema weiter zu verfolgen, planen schliefen dagegen ungestört. zwar sowohl in kontrollierbaren, als wir eine endokrinologisch ausge- Auch einen geschlechtsabhängi- auch in unkontrollierbaren Situa- richtete Studie gemeinsam mit Prof. gen Effekt konnten wir nachweisen: tionen. Diese subjektiven Daten Harald Förster vom Zentrum der Weil Frauen häufiger zu den Moni- werden demnächst in einer Labor- Anaesthesiologie und Wiederbele- tors gehören, schlafen sie statistisch studie an Schlafgestörten und Ge- bung des Uniklinikums und dem wesentlich schlechter als Männer. sunden überprüft. Für den Fall, dass Schlaflabor des Uniklinikums. ◆ Den Grund für dieses stärkere Über- sich im Labor eine deutliche Korre- wachungsverhalten sehen wir in ei- lation zwischen Monitoring und ner einfachen biologischen Not- Schlafstörung bestätigt, werden wir wendigkeit: Evolutionsgeschichtlich in Zusammenarbeit mit dem Team Die Autorin gehört zur Verantwortung der Frau- von Prof. Burkhard Pflug, Zentrum Privatdozentin Ursula Voss, Ph.D., en für Gesundheit und Sicherheit der Psychiatrie, im Schlaflabor des untersucht am Institut für Pschologie, des Nachwuchses natürlich auch die Frankfurter Universitätsklinikums Abteilung für Allgemeine und Biopsy- Überwachung der Schlafumgebung. mit therapeutischen Interventionen chologie, das Schlafverhalten.

Eine halbe Minute Tiefschlaf. Die oberen beiden Kurvenverläufe zeigen langsame

EEG-C3 Wellen mit hohen Amplituden. Die At- mung (3. Kurvenverlauf) ist flach, die Au- gen bewegen sich so gut wie nicht (EOG EEG-01 ist von den hochamplitudigen Wellen des EEG überlagert) und die Muskelspan-

Atmung nung (gemessen unter dem Kinn) ist niedrig, aber deutlich stärker als im REM-Schlaf. [Erläuterung der Abkürzun- EOG oben gen: EEG-C3 und EEG-O1: Ableitorte an der Schädeloberfläche für ElektroEnze- EOG Seite phaloGraphische Messungen (Hirnströ- me); EOG oben und EOG Seite: Elektro-

EMG okulogramm (Augenbewegungen); EMG: Elektromyogramm (Muskelanspannung, in Schlafstudien meist unterhalb des HR Kinns gemessen); HR: Herzrate]

Eine halbe Minute REM-Schlaf. REM- Schlaf steht für Rapid Eye Movement

Sleep und wird assoziiert mit visuellen EEG-C3 Träumen. Das EEG zeigt sowohl langsa- me als auch schnelle Wellen mit niedri- gen Amplituden und ähnelt dem EEG im EEG-01 entspannten Wachzustand. Typisch für den REM-Schlaf sind die ausgeprägten Atmung Augenbewegungen und die starke Ab-

nahme der Muskelspannung. Im REM- EOG oben Schlaf ist fast die gesamte quergestreif- te Muskulatur tonisch gelähmt. Diese Lähmung schützt uns vor dem Ausagie- EOG Seite ren unserer Träume. Nicht gelähmt sind

die Augen- und Mittelohrmuskeln und EMG die für die Atmung notwendigen Skelett- muskeln. HR

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Kiel Rostock Für den Ernstfall gerüstet Lübeck Bremerhaven Hamburg Tropenmedizinische Isoliereinheit des Emden Bremen Universitätsklinikums fertig gestellt Berlin Hannover m Februar 2002 hat die neue Iso- sätzlich gab es im Jahr 2000 vier Magdeburg Iliereinheit zur Behandlung von Fälle von importiertem Lassa-Fieber Duisburg Essen Leipzig hochansteckenden, lebensbedrohli- nach Nordeuropa: Eine Patientin, Düsseldorf Kassel chen Infektionserkrankungen am die als Touristin an die Elfenbeinkü- Köln Dresden Universitätsklinikum Frankfurt ste gereist war, musste nach ihrer Bonn nach nur sechsmonatiger Bauzeit Rückkehr im Missionsärztlichen ihren Betrieb aufgenommen. Mit Krankenhaus in Würzburg behan- Wiesbaden Frankfurt am Main ihrer Hilfe können Patienten, die an delt werden. Ein Patient erkrankte hochinfektiösem Viralem hämor- nach einem Aufenthalt in Nigeria Mannheim rhagischem Fieber (VHF), wie zum und wurde in ein Wiesbadener Beispiel Lassa- oder Ebolavirus-In- Stuttgart fektionen, erkrankt sind, in Frank- furt optimal – auch intensivmedizi- München nisch – versorgt werden. Die Isolier- einheit gehört zur Medizinischen Klinik III, Schwerpunkt Infektiolo- gie, und ist mit sechs Betten in der Infektionsstation im Haus 68 ange- siedelt. Das Investitionsvolumen von über 1,5 Millionen Euro wurde vom hessischen Sozialministerium aufgebracht. Deutschlandweit gibt es neben der Frankfurter Isoliersta- ■1 Versorgungs- tion vier weitere Einheiten in Ber- struktur und Iso- lin, Hamburg, Leipzig und Mün- liereinheiten in chen ■1 . der Bundesrepu- Das Haus 68 wurde bereits in den blik Deutschland sechziger Jahren als Isolierstation zur Behandlung von hochan- für Pockenpatienten konzipiert und steckenden, gebaut. Doch die – vorläufige – Aus- lebensbedroh- rottung der Pocken machte den lichen Infektions- Dauerbetrieb der heute veralterten krankheiten. Isolier- und Dekontaminationsanla- gen unrentabel und überflüssig. Zu- Krankenhaus eingeliefert. Zwei wei- rismus auch in Europa vermehrt ■2 Die neue Iso- letzt wurde dieses Haus 1967 als tere Patienten kehrten krank aus Tropenrückkehrer mit Verdacht auf lierstation wurde Quarantänestation genutzt, um Sierra Leone zurück und wurden VHF oder bereits nachgewiesener am 21. Januar sechs Patienten zu behandeln, die im niederländischen Leiden bezie- Infektion behandelt werden müs- 2002 in Anwesen- heit der hessi- sich über Labortiere mit dem ge- hungsweise in London behandelt. sen. Neben dem Viralen hämorrha- schen Sozialmini- fährlichen Marburg-Virus infiziert In allen Fällen wurde die Diagnose gischen Fieber kommen allerdings sterin Silke Lau- hatten. Seit den achtziger Jahren erst nach dem zehnten Krankheits- auch andere Erkrankungen in Be- tenschläger in Be- wird das Haus vorwiegend zur Be- tag gestellt. Leider zu spät: das Leben tracht, die durch ihre hohe An- trieb genommen. handlung von HIV- und AIDS-Pati- der Patienten konnte nicht gerettet steckungsgefahr und ihren oft le- Sie ist räumlich so enten genutzt und bedarf nun nach werden. bensbedrohlichen Verlauf in einer konzipiert, dass 40 Jahren einer grundlegenden Er- Neben diesen Importinfektionen Isoliereinheit behandelt werden das Personal die Patienten in neuerung. gab es auch in den Endemiegebie- müssen. Hierzu zählen die Affen- Schutzanzügen ten Ausbrüche von VHF in erhebli- pocken, die Lungenpest sowie die Lebensbedrohliche mit eigener Atem- chem Umfang. Über hundert Tote Pocken. Letztere sind als biologische Infektionskrankheiten luftversorgung be- forderte das Rift-Valley-Fieber in Kampfstoffe durch die Milzbrand- treuen kann. Von auf dem Vormarsch Saudi-Arabien und das Ebola-Fieber Anschläge in den USA in das öffent- links nach rechts: Lebensbedrohliche Importinfektio- in Uganda. Hinzu kommen fast liche Interesse gerückt. Privatdozent Dr. nen wie die Viralen hämorrhagi- jährlich auftretende Epidemien von Um solche Patienten in Hessen Hans-Reinhard Brodt, Silke Lau- schen Fieber (VHF) haben in den Lassa-Fieber und Gelbfieber in Sier- und damit in der Nähe des interna- tenschläger und letzten Jahren in Europa große öf- ra Leone oder Guinea. Auch das tionalen Großflughafens Rhein/ zwei Ärzte der Sta- fentliche Aufmerksamkeit erregt: Marburg-Virus hat im Kongo im- Main zukünftig optimal und schnell tion in Schutzbe- Nach einem Todesfall wegen Gelb- mer wieder zu Infektionen und To- versorgen zu können und gleichzei- kleidung. fieber im Jahr 1999 in Berlin wurde desfällen geführt. So ist es nicht ver- tig das pflegende und ärztliche Per- 2001 eine weitere Patientin mit wunderlich, dass mit dem zuneh- sonal vor Übertragungen schützen Gelbfieber in Belgien behandelt. Zu- menden Fern- und Abenteuertou- zu können, wurde in Zusammenar-

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beit mit dem Hessischen rensituationen regelmäßig trainie- Sozialministerium, dem ren müssen. Trotz des erhöhten Ge- Stadtgesundheitsamt fahrenpotenzials haben sich bisher Frankfurt, der Feuerwehr mehr als 20 Kollegen aus dem ärzt- Frankfurt und der Uni- lichen und Pflegedienst der Infek- versitätsklinik Frankfurt tions- und Intensivstation B3 und ein Kompetenzzentrum der medizinischen Notaufnahme be- VHF geschaffen. Dieses reit erklärt, in einem solchen Team dient dazu, Patienten mit mitzuarbeiten. Um die immensen VHF oder vergleichbaren Vorhaltekosten für die Isolierein- Anzeige Erkrankungen auch aus- heit, die voraussichtlich nur ein- bis wärts frühzeitig zu dia- zweimal pro Jahr genutzt werden gnostizieren, den Patien- wird, möglichst gering zu halten, tentransport und eine wurde die Station so konzipiert, adäquate Behandlung dass dort regelmäßig auch nicht in- sicherzustellen, Umge- tensiv- und isolierpflichtige Patien- bungsuntersuchungen ten behandelt werden können, die durchzuführen und ge- im Bedarfsfall schnell verlegt wer- gebenenfalls Kontaktper- den können. sonen in Quarantäne zu Das Management von Patienten nehmen. Innerhalb des mit VHF in einer Isoliereinheit setzt Kompetenzzentrums ist das reibungslose Zusammenspiel es die Aufgabe der Isolier- vieler unterschiedlicher Berufsgrup- station, die Behandlung pen im Klinikum voraus. So sind erkrankter Patienten oder zum Beispiel Telefonverbindungen Kontaktpersonen zu ge- freizuschalten, der Transport von währleisten. Hierzu wird infektiösem Material sicherzustel- ein 24-stündiger Bereit- len, der Autoklav – ein Gerät zur schaftsdienst von Ärzten Dekontamination aller Materialien, und Pflegedienst geschaf- die die Isoliereinheit verlassen – re- fen, die jederzeit in der gelmäßig zu bedienen, die ständige Lage sind, innerhalb von An- und Ablieferung sowie Be- etwa zwei Stunden hoch- triebsbereitschaft der Unterdruck- infektiöse Patienten so- und der Dekontaminationsanlage wohl aus infektiologischer sicherzustellen. Seit Februar 2002 als auch intensivmedizini- proben deshalb alle beteiligten Stel- scher Sicht kompetent len den Ernstfall, um im Fall des unter den Bedingungen Falles gut gerüstet und ausgebildet einer strengen Isolation zu sein ■2 . Denn auch wenn die zu versorgen. Zahl der zu erwartenden Fälle ver- Die Isoliereinheit ver- mutlich sehr gering sein wird, muss fügt über zwei voll aus- die Universitätsklinik mit ihrem rüstbare Intensivbetten Schwerpunkt Infektiologie und der sowie vier weitere Isolier- Isoliereinheit in Zukunft jederzeit betten, die in Räumen mit darauf vorbereitet sein, Patienten einer Unterdruckanlage mit zunächst unklaren und eventu- stehen und im Bedarfsfall ell sogar neuen Infektionserkran- aneinander geschlossen kungen kompetent und mit maxi- werden können. Die Pa- malem Schutz für das Personal zu tienten werden in abge- versorgen. ◆ schlossenen Schutzanzü- gen mit Haube und Respi- ratoren zum Schutz des Personals – auch vor Die Autoren Aerosolen – versorgt. Dies Privatdozentin Dr. Gudrun Just-Nübling erschwert die Arbeitsbe- ist Tropenärztin und Fachärztin für Inne- dingungen erheblich; re Medizin. Sie arbeitet als Oberärztin in auch sind die notwendi- der Medizinischen Klinik III, Schwer- gen Dekontaminations- punkt Infektiologie und der Medizini- maßnahmen sehr zeitauf- schen Poliklinik. wändig. Deshalb ist ein Der Internist und Intensivmediziner Pri- vatdozent Dr. Hans-Reinhard Brodt ist als großes Team gut ausgebil- Oberarzt in der Medizinischen Klinik III, deter Ärzte und Pflege- Schwerpunkt Infektiologie, auf der kräfte erforderlich, die in Infektionsstation 68-2 und der Medizi- der Isoliereinheit Gefah- nischen Intensivstation B3 tätig.

60 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Forschung aktuell »Virtueller« Kampf gegen eine verbreitete Frauenkrankheit Deutsches Endometriose Kompetenz- und Experten-Netzwerk gegründet

ie Endometriose ist eine der derung in der Erbsubstanz auf, die Dhäufigsten Frauenkrankheiten; Krebswachstum bewirkt. Im Gegen- 15 bis 20 Prozent aller Frauen im satz zu normalen Gebärmutter- gebärfähigen Alter sind davon be- schleimhautzellen fehlt manchen troffen. Dabei treten Wucherungen Endometriosezellen jedoch ein be- außerhalb der Gebärmutter auf, die stimmtes Protein in der Zellmem- histologisch der Gebärmutter- bran, das E-Cadherin. Dieses Pro- schleimhaut ähneln. Diese verursa- tein ist für den Zusammenhalt der chen zum Beispiel Verwachsungen Zellen im Gewebeverband verant- sowie endokrinologische und zel- wortlich, eine Eigenschaften, die ei- luläre Veränderungen an und in nige Endometriosezellen verloren den Organen des kleinen Beckens, haben ■1 . im Bauchfell, der Lunge oder der Die Endometriose trägt in erheb- Bauchspeicheldrüse. Unter norma- lichem Maße zu Sterilitätsproble- len Umständen findet sich Gebär- men bei. Schätzungen gehen davon mutterschleimhaut ausschließlich aus, dass etwa 30 Prozent aller Fälle in der Gebärmutter; sie wird einmal von weiblicher Unfruchtbarkeit auf im Monat abgestoßen. Endometrio- die Endometriose zurückzuführen se-Wucherungen außerhalb der Ge- sind. Ursache hierfür sind zum ei- bärmutter bluten ebenfalls während nen Verwachsungen im Bereich der der Menstruation. Sie werden dem- Eierstöcke und Eileiter ■2 , zum an- nach durch die Hormone des weib- deren werden bei der Endometriose lichen Zyklus beeinflusst. So bluten auch Botenstoffe freigesetzt, die die Patientinnen mit einer Lungen-En- Fruchtbarkeit betroffener Frauen dometriose nicht nur aus der Gebär- mindern können. Für die Betroffe- mutter, sondern auch aus der Lun- nen ist die Erkrankung mit massi- ■1 In Endometriose-Wucherungen finden sich epithelartige, ge. Da die Endometriose-Wuche- ven physischen Schmerzen und N-Cadherin exprimierende Zellen:. Einzelne Zellen und kleine rungen parallel zur Gebärmutter- psychischen Belastungen, nicht nur Zellverbände wurden aus einer Biopsie präpariert und in Zell- schleimhaut während des Zyklus an als Folge der Unfruchtbarkeit, ver- kultur gebracht. Nach 18 Stunden konnten die Antigene N-Cadherin und Cytokeratin durch eine Doppel-Immunfluores- Volumen zunehmen, können sie je bunden. Trotz ihrer weiten Verbrei- zenz-Markierung nachgewiesen werden: N-Cadherin-spezifi- nach Lokalisation mitunter große tung und der volkswirtschaftlichen sche Antikörper waren mit grüner Fluoreszenz gekoppelt, Cyto- Schmerzen verursachen. Darüber Folgekosten – Betroffene müssen keratin-spezifische Antikörper mit roter Fluoreszenz. Das Bild hinaus reagiert der Körper auf die sich in der Regel mehreren Opera- zeigt eine Überlagerung beider Fluoreszenzen; die Expression Endometriosezellen mit einer eben- tionen unterziehen und Kranken- von N-Cadherin ist grün, die von Cytokeratin rot dargestellt. falls schmerzhaften Entzündungs- reaktion. Wie gelangen die Zellen in die Bauchhöhle und von dort aus in die anderen Gewebe und Organe? Bei ■2 Blick auf die fast jeder Frau gelangen über die Ei- inneren Genital- Endometriose Endometriose leiter Gebärmutterschleimhautzel- organe: Kleine len während der Menstruation auch Endometriose- Läsionen sind auf linker in die Bauchhöhle (retrograde Men- der Oberfläche Eierstock Gebärmutter struation). Doch normalerweise der Gebärmutter, sterben die Zellen ab und werden großflächige linker von den Fresszellen des Immunsys- Läsionen auf der Eileiter tems eliminiert. Die Erkrankung ist Oberfläche der durch invasive und metastasierende Eierstöcke sicht- Eigenschaften gekennzeichnet, die bar. Der linke Eier- stock ist durch normalerweise nur bösartige Tumo- eine Endome- ren zeigen. Tatsächlich haben Endo- triose-Zyste in metriose- und Krebszellen manches seinem Inneren gemeinsam: Sie können im Orga- stark vergrößert. nismus »wandern« und sich an rechter Eierstock fremden Orten ansiedeln. Allerdings weisen Endometriosezellen im Ge- gensatz zu Krebszellen keine Verän-

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hausaufenthalte, lange medikamen- der Biotech-Industrie andererseits, tenzielle Ziele für die Entwicklung töse Therapien oder Arbeitsausfälle die bereits mit der AREVIA GmbH, neuer, nicht-operativer Methoden in Kauf nehmen – wird derzeit in Berlin, betrieben wird. Ziel ist die für Diagnose und Therapie dar. Deutschland keine fokussierte kli- beschleunigte Umsetzung von Er- Auch ist die Zusammenführung nisch-experimentelle Endometrio- kenntnissen aus der Grundlagenfor- klinischer und molekularbiologi- seforschung durchgeführt. schung in die klinische Forschung. scher Daten und deren Auswertung Die Endometrioseforschung Umgekehrt sollen die Ergebnisse sowie die Gewinnung, Archivierung steckt in der Bundesrepublik noch der klinischen Forschung Eingang und Bearbeitung von biologischem in den Kinderschuhen. Mit der finden in die Grundlagenforschung, Material wie Gewebeproben und Gründung von DEKEN, dem Deut- aber auch in der biotechnologischen Zellkulturmodellen für alle Beteilig- schen Endometriose Kompetenz- Anwendung verwertet werden. ten von Interesse. Schließlich profi- und Experten-Netzwerk, soll dieser Diese konzertierten Aktivitäten sol- tieren beide Seiten von der Erpro- unbefriedigenden Situation nach- len zur beschleunigten Entwicklung bung und Etablierung diagnostischer haltig abgeholfen werden. Die Initi- und klinischen Einführung neuer Testsysteme im Routinelabor und atoren, Prof. Dr. Anna Starzinski- Diagnose- und Therapiekonzepte der Planung und Durchführung vor- Powitz, Institut für Humangenetik für die Behandlung der Endome- klinischer und klinischer Studien. ◆ der Goethe-Universität, und Privat- triose beitragen. Auf dieser Basis er- Die Autoin dozent Dr. Andreas Ebert, Endome- geben sich vielfältige Kooperations- Prof. Dr. Anna Starzinski-Powitz leitet die triose-Abteilung an der Frauen- aktivitäten und Schnittmengen ge- Abteilung Humangenetik im Fachbe- klinik des Universitätsklinikums meinsamer Interessen: Zum Beispiel reich Biologie und ist Mitinitiatorin des Benjamin Franklin der Freien Uni- stellen Zellen und Proteine aus den Deutschen Endometriose-Kompetenz- versität Berlin, haben DEKEN als Endometriose-Wucherungen po- und Experten-Netzwerkes. virtuelles Institut konzipiert. Die Grundlagenforschung (Etablierung von Zellkulturmodellen; Charakte- risierung invasiver Eigenschaften von Endometriosezellen und Ge- Cholesterin: Schlecht nen, die in diesen Zellen dereguliert sind) wird unter der Leitung von Anna Starzinski-Powitz in Frankfurt für das Herz, auch in Kooperation mit Dr. Rolf Bau- mann vom Bürgerhospital Frank- schlecht für den Geist? furt betrieben; an der Freien Uni- versität Berlin betreibt Andreas Neues von einem altbekannten Molekül Ebert die klinisch orientierte For- schung. eueste Forschungsergebnisse des 65. Lebensjahres auf. Die Symp- DEKEN – so das Ziel der Initia- Naus klinischen Studien und aus tome werden durch eine fortschrei- toren – soll sich mittelfristig als den Laboren der Hirnforscher lassen tende Degeneration der Hirnrinde »Kristallisationszentrum« für Akti- die Wissenschaftler aufhorchen: Ein hervorgerufen, die das Gewicht des vitäten aller an der Erforschung altbekanntes Molekül, das Choleste- Gehirns um rund 20 Prozent seines und Behandlung der Endometriose rin, scheint an der Entstehung der normalen Gewichts schrumpfen interessierten und beteiligten Klini- Alzheimer’schen Krankheit beteiligt lässt und bei der bis zu einem Drittel ken und wissenschaftlichen Insti- zu sein. Schon lange ist bekannt, der normalen Neuronenpopulation tute in Deutschland und im eu- dass zuviel Cholesterin im Blut die verloren gehen kann. Die Alzhei- ropäischen Rahmen etablieren. Ein Entstehung von Herz-Kreislauf-Er- mer’sche Krankheit beginnt schlei- weiteres wichtiges Ziel ist die Ver- krankungen fördert. Eine Senkung chend. Nach dem Auftreten unspe- besserung der Grundlagen und Vor- der Cholesterinwerte durch Diät zifischer Frühsymptome wie Kon- arbeiten zur erfolgreichen Einwer- oder Medikamente ist daher bei vie- zentrationsschwäche und abneh- bung von Drittmitteln für die Endo- len Patienten ein wichtiges thera- mende Belastbarkeit stellen sich im- metrioseforschung. Einen ersten Er- peutisches Ziel. Darüber hinaus ha- mer ausgeprägtere Gedächtnis- und folg kann DEKEN bereits verbu- ben Menschen, deren Körper eine Orientierungsstörungen ein. Im chen: Der Stifterverband der Deut- bestimmte Variante des Cholesterin- letzten Stadium der Krankheit wer- schen Wissenschaft stellt DEKEN im Transportmoleküls Apolipoprotein den die Patienten völlig hilflos und Rahmen seines Programms »Neue E produziert, ein erhöhtes Risiko, körperlich pflegebedürftig. Die Universitätsinitiativen« über einen an der Alzheimer’schen Krankheit durchschnittliche Krankheitsdauer Zeitraum von zwei Jahren eine zu erkranken. Die Befunde über beträgt vom Beginn der Symptome halbe Million Euro zur Verfügung. Cholesterin als möglichen Mitverur- an durchschnittlich vier bis acht Sollten die definierten Ziele und sacher dieser Krankheit eröffnen Jahre. Verantwortlich für den der »Meilensteine« der ersten beiden möglicherweise neue Perspektiven Erkrankung zugrunde liegenden Jahre erfüllt werden, sind weitere für die Therapie der bisher unheil- Zelluntergang ist wahrscheinlich ein 250 000 Euro in Aussicht gestellt. baren Erkrankung. kleines Eiweißmolekül, das sich im Eine der wichtigsten Innovatio- Gehirn von Alzheimer-Patienten Die verlorene Erinnerung nen des virtuellen Instituts ist die ablagert und die Nervenzellen Vernetzung von klinischer und Die Alzheimer’sche Krankheit tritt durch unterschiedliche Mechanis- Grundlagenforschung einerseits mit meist bei älteren Menschen jenseits men in den Tod treibt.

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Ein kleines Peptid Die Statine hemmen ein im Or- attackiert die Nervenzellen ganismus an der Synthese des Cho- lesterins beteiligtes Schlüsselenzym, Nervenzelle Dieses Eiweißmolekül, das Beta- das vor allem in der Leber vor- Amyloid, wird aus einem größeren kommt. Dadurch sinkt im Blutkreis- Amyloid-Vorläuferprotein gebildet, lauf die Konzentration des Chole- das in Zellmembranen vieler Zellen sterins. Das Cholesterin im Gehirn Cholesterin im menschlichen Körper vorkommt. ist aber von dem im Blut unabhän- Über die Aufgaben des Proteins ist gig, da es an Ort und Stelle syntheti- bisher nur wenig bekannt, genauso siert wird. Dies belegen unter ande- unklar sind die Mechanismen, die rem Untersuchungen aus unserem zur Ablagerung des toxischen Amy- Labor: Mäuse, die auf Grund eines Synapse loids im Gehirn von Alzheimer-Pati- genetischen Eingriffs ein bestimm- enten führen. Das Amyloid-Vorläu- tes Cholesterin-Transportmolekül, Phospholipid-Struktur ferprotein wird durch biologische das Apolipoprotein E, nicht herstel- der Zellmembran Scheren, so genannte Sekretasen, len können, haben gegenüber den auf zwei verschiedene Arten gespal- normalen Tieren fünfmal mehr ■1 Cholesterin ist Bestandteil der Zellmembranen von Mensch ten. Normalerweise zerschneidet die Cholesterin im Blut, während die und Tier. Alle Zellen, auch die Nervenzellen im Gehirn sind von Zelle das Molekül zu unschädlichen Cholesterinwerte im Gehirn der Tie- einer schützenden Zellmembran umgeben. Die Membranen sind Bruchstücken. Ein kleiner Teil des re unverändert sind /3/. Ob die Stati- aus Phospholipiden aufgebaut. Cholesterin ist ein wichtiger Baustein für die Struktur und ein wichtiger Modulator für die Proteins wird aber so geschnitten, ne die Blut-Hirn-Schranke über- Funktion von Zellmembranen: Mit Hilfe des Cholesterins regu- dass das toxische Beta-Amyloid ent- winden und die Cholesterinsynthe- liert die Zelle die Festigkeit der Membran, die u.a. für die Über- steht. se im Gehirn beeinflussen können, mittlung von Signalen von einer Zelle zur anderen wichtig ist. Cholesterin ist wesentlich an der war lange nicht bekannt. Aktuelle Stabilität von Zellmembranen betei- Untersuchungen ■2 belegen, dass ligt ■1 . Veränderungen derChole- das wasserlösliche, nur wenig ge- erhöhte Cholesterinwerte abzuwä- sterinmenge in der Membran ver- hirngängige Pravastatin im Gegen- gen, schließlich liegt die Lipobay®- ändern deren Eigenschaften, zum satz zu den fettlöslichen Statinen Affäre noch nicht lange zurück. Beispiel die Fähigkeit zur Übermitt- Lovastatin und Simvastatin die Kann eine cholesterinarme lung von Zell-Zell-Signalen /1/. Es er- Cholesterinkonzentration im Ge- Ernährung vor Alzheimer schüt- scheint plausibel, dass Cholesterin hirn von behandelten Mäusen nicht zen? Dies ist eher unwahrschein- auch den Stoffwechsel des memb- senken kann. Trotzdem verringert lich, da das Cholesterin im Gehirn ranständigen Amyloid-Vorläufer- das Medikament die Häufigkeit der nicht mit dem Cholesterin im Blut proteins beeinflussen kann. Kürz- Alzheimer’schen Krankheit genauso und damit auch nicht mit dem Cho- lich wurde sowohl an Zellen in Kul- effektiv wie die Therapie mit Stati- lesterin in der Nahrung in Verbin- tur als auch am Tier gezeigt, dass ei- nen, die nachweislich das Gehirn dung steht. Cholesterin nimmt im ne Verminderung von zellulärem erreichen. Dies ergab die Auswer- Gehirn zahlreiche wichtige Funktio- Cholesterin zu einer verringerten tung der amerikanischen Patienten- nen wahr. Deshalb könnte der Ein- Bildung von Beta-Amyloid führen daten. Vieles spricht dafür, dass ihre satz eines hirngängigen Statines, das kann/2/. Wirkung auf den Verlauf der Alz- dort die Cholesterinkonzentration heimer’schen Krankheit auf positi- senkt, auch negative Folgen haben. Cholesterinsenker ven Effekten beruhen, die die Stati- Das janusköpfige zur Therapie der ne unabhängig vom Einfluss auf Alzheimer’schen Krankheit ? die Cholesterinproduktion zeigen. Cholesterin: Gut und böse Möglicherweise kann als logische Doch alle Arzneimittel haben Ne- Cholesterin erweist sich für den Konsequenz aus diesen präklini- benwirkungen. Dies ist beim Ein- menschlichen Körper als janusköp- schen Versuchsergebnissen die Alz- satz von Statinen bei Patienten mit figes Molekül: Auf der einen Seite heimer’sche Krankheit mit Hilfe Alzheimer’scher Krankheit ohne ist es bei der Entstehung von Krank- von Arzneistoffen, die den Chole- sterinspiegel senken, therapiert werden. Retrospektive, an über ■2 Nicht alle Statine senken den Chole- 30 000 amerikanischen Patienten Lovastatin Ja steringehalt im Gehirn. Die Statine ge- durchgeführte Untersuchungen hören zu einer Klasse von Medikamen- Simvastatin ten, die den Gehalt von Cholesterin im stützen diese Annahme: Patienten, Ja Blut senken. Über die Wirkung der Stati- die wegen hoher Cholesterinwerte ne auf den Cholesterinstoffwechsel im Pravastatin Nein mit einer bestimmten Klasse an Gehirn war bislang wenig bekannt. Neue cholesterinsenkenden Medikamen- Untersuchungen zeigen, dass das was- ten, den Statinen, behandelt wur- Blut-Hirnschranke serlösliche Pravastatin im Gegensatz zu den, entwickelten deutlich seltener den fettlöslichen Stoffen Lovastatin und eine Alzheimer’sche Erkrankung. Simvastatin nicht oder nur in geringfügi- Eine direkte Übertragung dieser gem Ausmaß in das Gehirn gelangt und somit auch den Cholesterin-Spiegel im Forschungsergebnisse in ein allge- Gehirn nicht beeinflusst. meines Therapiekonzept erweist sich allerdings bei genauerer Be- Gehirn trachtung als schwierig.

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■3 Cholesterin för- dass weniger Beta-Amyloid gebildet Normal dert das Wachstum wird und/oder die Zellmembranen von Nervenzellen. vor den toxischen Effekten des Pep- Die Nervenzellen tides geschützt werden. Chancen im Gehirn brau- chen Cholesterin, für eine Therapie der bisher unheil- um wachsen und baren Gehirnerkrankung bestehen kein Cholesterin Cholesterin Kontaktstellen, so nach unserer Einschätzung in Stra- genannte Synap- tegien, die spezifisch die einzelnen sen, ausbilden zu Cholesterinpools im Gehirn beein- können. Fehlt den flussen. Wie diese gezielt verändert Nervenzellen Cho- werden können, ist derzeit Gegen- lesterin, gehen diese zugrunde. stand der Forschung. Neben der Aufklärung der zugrunde liegenden pathologischen Mechanismen steht Atrophie oder Tod Steigende Überlebensrate die Suche nach entsprechenden Wachstum Wirkstoffen im Vordergrund, die Synapsensprossung weniger Nebenwirkungen als die Statine haben. Die Forschung unserer Arbeitsgruppe auf dem Ge- heiten beteiligt, auf der anderen Cholesteringehalt Zellen und Zell- biet der zentralen Lipidhomöostase Seite für die Funktion des Organis- membranen vor den toxischen Ef- wird seit 1999 von der Hanna-Bra- mus unbedingt notwendig. So fekten des im Gehirn von Alzhei- gard-Stiftung unterstützt. ◆ braucht das Gehirn Cholesterin vor mer-Patienten gebildeten Beta- allem dazu, um die Kontaktstellen Amyloids schützen. (Synapsen) ausbilden zu können■3 , mit deren Hilfe die Nervenzellen In- Ausblick formationen austauschen /4/. Diese Cholesterin ist an der Entstehung werden im Verlauf der Alzheimer’- der Alzheimer’schen Krankheit be- schen Krankheit zerstört; unter die- teiligt. Allerdings ist der Mechanis- sem Gesichtspunkt schadet eine mus wesentlich komplexer als Verminderung des Cholesteringe- zunächst angenommen. Zwar haltes im Gehirn also eher. Weiter- scheint die Therapie von Patienten hin zeigen Untersuchungen an kul- mit Hypercholesterinämie mit eini- tivierten Hirnzellen, dass eine redu- gen cholesterinsenkenden Medika- zierte Cholesterinsynthese zu einer menten die Neuerkrankungsrate für erhöhten Ablagerung von so ge- die Alzheimer’sche Krankheit zu Die Autoren nannten hyperphosphorylierten senken. Andererseits schützt Chole- Prof. Dr. Walter E. Müller ist Direktor des Tau-Proteinen in den Nervenzellen sterin die Nervenzellen und ist für Pharmakologischen Instituts für Natur- führt. Diese Tau-Proteine werden den Informationsaustausch im Ge- wissenschaftler am Biozentrum der Uni- auch im Gehirn von Alzheimer-Pa- hirn wichtig. Was ist der Ausweg versität Frankfurt. Seine wissenschaft- tienten gebildet und mit dem Unter- aus diesem Dilemma? Cholesterin lichen Arbeitsgebiete sind die Neuro- chemie der Hirnalterung sowie die gang von Hirnzellen im Verlauf der kommt im Gehirn in verschiedenen Neurobiologie von ß-Amyloid und der Krankheit in Zusammenhang ge- Kompartimenten oder Pools vor Depression. Darüber hinaus beschäftigt bracht. (innere und äußere Lipidschicht der er sich mit den Wirkungsmechanismen Eine essentielle Aufgabe erfüllt Plasmamembran, intrazelluläre von Antidementiva und Antidepressiva. Cholesterin darüber hinaus bei der Membranen, spezifische choleste- Dr. Gunter P. Eckert ist Lebensmittelche- Aufrechterhaltung, Funktion und rinreiche Membranstrukturen, so miker und arbeitet als wissenschaftli- Integrität von Zellmembranen. Die- genannte Rafts, etc.)/5/. Aktuelle cher Mitarbeiter am Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler der se Strukturen schützen die Zellen Untersuchungen deuten darauf hin, Universität Frankfurt. und spielen eine wichtige Rolle bei dass Statine möglicherweise die Ver- Christopher Kirsch (27) ist Apotheker der Kommunikation von Zellen un- teilung von Cholesterin in den Ner- und promoviert am Pharmakologischen tereinander. So kann ein hoher venzellmembranen so verändern, Institut.

Literatur

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Forschung Frankfurt 1–2/2002 65 Perspektiven Geist und Gesellschaft als Phänomene der Natur? Anmerkungen zum Verhältnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaften

Darüber, was die Natur ist, geben turwissenschaftlicher Disziplinen, uns die Naturwissenschaften immer die in den vergangenen 30 Jahren besser und vollständiger Auskunft. angetreten sind, um die in den Na- Was wir sind, wie wir uns beschrei- turwissenschaften etablierten Er- ben, ist von dieser Entwicklung je- klärungen und Beschreibungen auf doch unbeeinflusst geblieben. Wir Geist und Gesellschaft anzuwenden. sprechen von unseren Gefühlen und Die früheste unter ihnen ist die Ko- Gedanken, wir erklären unser Han- gnitionswissenschaft. Sie geht davon deln und unser Zusammenleben, aus, dass Kognition nichts anderes ohne uns darum zu kümmern, wie als Berechnung ist. Unser gesamtes Gedanken, Gefühle, Emotionen oder Denken läßt sich zurückführen auf Gründe in die Natur passen. Dies ist jene elementaren Vorgänge, die sich der Punkt, an dem die so harmlos auch in einem Computer abspielen. klingende Aussage »Wir Menschen Wir können nämlich – so jedenfalls sind Teil der Natur« aufhört, eine die Hoffnung der Kognitionswissen- Trivialität zu sein: Zwingt diese Aus- schaftler – unser Denken auf Com- sage uns nicht, unser Selbstbild und putern modellieren, indem wir unser Bild der Natur zusammenzu- Computer dazu bringen, unsere bringen? Genauer: Zwingt sie uns kognitiven Leistungen vom Erken- nicht, unser Selbstbild unserem Bild nen dreidimensionaler Objekte bis der Natur anzupassen? hin zum Schachspielen nachzu- Wenn unser Verhalten Produkt ahmen. Nun spielen sich in einem der Evolution ist, wenn unsere Ge- Computer nur Vorgänge ab, die wir danken Erregungen der Nervenzel- mit den Mitteln der Physik be- len in unserem Gehirn sind, sollten schreiben können; kombinieren wir uns dann nicht Biologie und Hirn- nur genügend dieser Vorgänge in forschung sagen, was unser Verhal- der richtigen Weise, entsteht ten und was unsere Gedanken menschliches Denken. Gelingt diese eigentlich sind? Sollten wir nicht, Modellierung, wo sollte dann das kurz gesagt, endlich damit anfan- Denken noch geheimnisvoll sein? gen, Geist und Gesellschaft als Phä- Einen anderen Weg hat die Sozio- nomene der Natur zu betrachten biologie eingeschlagen. Hier ist der Materialität des ir Menschen sind Teil der und mit den Methoden der Natur- Ausgangspunkt die Evolutionstheo- Geistes: »Kann WNatur. Diese Behauptung ist wissenschaften zu erforschen? rie, die mit den Prinzipien der Ver- man Denken heute fast schon eine Trivialität. Die Perspektive, die sich auftut, er- erbung, der Variation und der Se- fühlen?« Der Arzt Kaum jemand bestreitet noch, dass scheint faszinierend: Die Wissen- lektion die Entstehung der gesam- Franz Josef Gall (1758 –1828) ver- ein langer Prozess der Evolution uns schaft sieht sich vor einer neuen ten Vielfalt des Lebens zu erklären suchte mit seiner zu dem gemacht hat, was wir sind, »terra incognita«; die simple Tatsa- vermag. Der Mensch ist ein Glied Schädellehre, der oder dass unser Gehirn Sitz des che, dass wir Teil der Natur sind, dieses Prozesses; folglich gibt es Phrenologie, von Denkens ist. Was heißt es aber, dass genügt ihr für eine optimistische nichts an ihm – auch nicht seine der äußeren Struk- wir Teil der Natur sind? Hier endet Prognose: In Aussicht gestellt wird Kultur –, das nicht ebenso Produkt tur des Schädels der Bereich der Trivialitäten, denn eine Theorie, mit der wir unser der Evolution und durch die Evolu- auf Fähigkeiten folgt man manchen Wissenschaft- Denken, unser Handeln und unser tionstheorie erklärbar wäre. Letzt- und Qualitäten des Menschen lern und Feuilletonredakteuren, Zusammenleben ähnlich umfassend lich habe sich die Kultur nur des- zu schließen. dann ergeben sich daraus umstür- und ähnlich sicher erklären kön- halb entwickelt, weil sie für Überle- zende Veränderungen unseres nen, wie wir heute die Natur von ben und Reproduktion von Vorteil Selbstbildes. den Elementarteilchen über bioche- war. Hier sei daher die eigentliche In der Tat erleben wir zur Zeit mische Prozesse bis zum Universum Erklärung für unser Verhalten zu vielfältige und intensive Bemühun- mit einer physikalischen Theorie er- suchen, nicht in den Rechtfertigun- gen, Geist und Gesellschaft zu natu- klären können. gen, die wir im alltäglichen Mitein- ralisieren. Seit sich die Naturwissen- ander, etwa für die Partnerwahl, ge- Die neuen Naturwissenschaf- schaften aus dem dualistischen Wis- ben mögen. senschaftssystem herausgelöst und ten und ihre Naturalisierungs- Die Hirnforschung und die »con- begonnen haben, ein eigenes Bild ansprüche sciousness studies« schließlich sind die der Natur zu entwickeln, droht un- Derartige Überlegungen standen Pa- jüngsten der gegenwärtigen Natura- ser Weltbild auseinanderzuklaffen. te bei der Geburt einiger neuer na- lisierungsunternehmungen. Die

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»bildgebenden Verfahren« in der Hirnforschung haben die Möglich- keit eröffnet, das Gehirn »in Akti- on« zu beobachten; Experimente mit Mikroelektroden erlauben es, immer feinere Strukturen des Ge- hirns zu erfassen. Da sich Denken und Empfinden im Gehirn abspie- len, sollten wir nicht mit Hilfe dieser Techniken eines Tages in der Lage sein, einzelne Gedanken oder Ge- fühle im Gehirn zu sehen? Eine ra- dikale Demystifizierung unseres Selbstbildes versprechen die Prota- gonisten dieser Suche nach »neuro- nalen Korrelaten des Bewußtseins«: Wenn wir weder ein »ich« noch ei- Materialität des Geistes: »Kann man Denken sehen?« Die moderne Hirnforschung nen freien Willen sehen können, stellt mit computergestützten bildgebenden Verfahren die Hirntätigkeit dar: Bei der müssen wir beides nicht als Illusion Wahrnehmung realer Objekte und der bloßen Vorstellung derselben werden nahezu aufgeben? die gleichen Hirnareale aktiviert. Die Naturwissenschaften – Begriff »Naturalismus« steht. Eines Muster »Anlage oder Umwelt«, »the only avenue to truth«? ihrer markantesten Merkmale ist »Leib oder Seele« haben ausgedient; Über diese neuen Disziplinen wölbt ihr Universalitätsanspruch /1/. Die Fragen dieser Art stellen sich in der sich eine Strömung, die unter dem gewohnten Oppositionen nach dem Debatte überhaupt nicht mehr. Der

Wandel durch Wissen: Ein Forschungskolleg und seine Aktivitäten

Das 1999 von der Deutschen For- den wissenschaftlichen Nachwuchs, mit dem Titel »Geist und Gesell- schungsgemeinschaft (DFG) in an neuen Fragestellungen – nicht schaft als Phänomene der Natur« Frankfurt eingerichtete kultur- zuletzt haben sich aus der struktu- veranstaltet, bei der folgende historische Forschungskolleg rellen und inhaltlichen Konzeption Beiträge zu hören waren: Susan »Wissenskultur und gesellschaftli- des Forschungskollegs neue Impul- Blackmore (Psychologie; Bristol): cher Wandel« untersucht das se auch für die Lehre ergeben. Das »The meme machine and the illu- menschliche Wissen in seinen For- Kolleg ist kürzlich erst von der DFG sion of self«; Ruth G. Millikan men und seiner medialen Vermitt- für eine weitere dreijährige Förder- (Philosophie; Storrs): »On the ru- lung, seine gesellschaftlichen Trä- periode verlängert worden. mored takeover by the genes and ger und Institutionen sowie die Das Forschungsinteresse im Kol- memes«; Dietrich Dörner (Psycho- Wechselbeziehung von Wissens- leg schließt auch den Versuch ein, logie; Bamberg): »Künstliche See- wandel und gesellschaftlichem als kulturwissenschaftliches Kolleg len und das abendländische Men- Wandel – und das von der Stein- einen Brückschlag zu sich neu eta- schenbild«; Gerhard Strube (Ko- zeit bis zur Gegenwart. blierenden Wissenbeständen zu lei- gnitionswissenschaft; Freiburg): »Wissenskultur« zielt also auf sten, wie etwa zu den so genannten »Mentale Modelle beim räumli- die gesellschaftliche Verfasstheit »life sciences«. Wissenschaftler des chen Schließen«; Daniel C. Den- von Wissen ab; das Konzept um- Kollegs schlossen sich deshalb zur nett (Philosophie; Tufts): »How to fasst die Gesamtheit der Regeln Arbeitsgemeinschaft »Kognitions- protect the scientific investigation über den Erwerb und Gebrauch, wissenschaften, Soziobiologie und of consciousness from ideological die Aufbewahrung, Weitergabe ihre Vorläufer« zusammen, die eini- debate«; Volker Sommer (Prima- und den Status gesellschaftlicher gen wichtigen Neuerungen in der tologie; London): »Sind Affen Wissensbestände. Der transdiszi- Debatte um die Naturalisierung von denn auch Leute? Unser Prima- plinäre Ansatz des Forschungskol- Geist und Gesellschaft gewidmet ist. tenerbe in Natur und Kultur«; legs hat sich nicht nur bei solchen Die Mitglieder der Arbeitsgemein- Wolf Singer (Hirnforschung; Fragen als überaus fruchtbar er- schaft, die auch an dem hier veröf- Frankfurt): »Vom Gehirn zur Psy- wiesen: 13 Teilprojektleiterinnen fentlichten Beitrag mitgewirkt ha- che«. Die Beiträge der Vortragsrei- und Teilprojektleiter mit 40 Mitar- ben: Alexander Becker und Gerson he werden im Laufe des Jahres in beiterinnen und Mitarbeitern aus Reuter (Philosophie), Heino Hein- Buchform veröffentlicht. Philosophie und Geschichtswis- rich Nau (Ökonomie), Dagmar senschaften, Archäologie, Ethno- Stegmüller, Barbara Wolbring, Tho- logie und Soziologie, Ökonomie mas Kailer, Christian Mehr (Ge- Weitere Informationen über das und Rechtswissenschaft arbeiten schichtswissenschaft). Forschungskolleg: im Frankfurter Kolleg gemeinsam Die Arbeitsgemeinschaft hat im www.uni-frankfurt.de/SFB435/ an neuen Modelle der Zusammen- Wintersemester 2001/2002 eine in- und in arbeit, neuen Förderformen für ternational besetzte Vortragsreihe Forschung Frankfurt 1/2001.

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Paradigmenwechsel zu vollziehen, »Zwei Kulturen« Natur- und Gei- dann muss damit gerechnet wer- steswissenschaften zu einer neuarti- den, dass dieses attraktive For- gen Synthese gelangen? Ist es die schungsfeld ‘von unten herauf’ be- Fortsetzung der traditionellen Wis- setzt wird.« /2/ Sind die Geisteswis- senschafts-Kultur, die unter dem senschaften dazu tatsächlich nicht Motto »Wherever science will lead, in der Lage, ist ein solcher Paradig- I will follow« steht? Erleben wir un- menwechsel unsinnig oder bewe- ter dem neuerlichen Eindruck (na- gen wir uns gar auf eine neue Syn- tur)-wissenschaftlicher Erfolgsmel- these von Geistes- und Naturwis- dungen die Transformation alter senschaften zu? Wissensbestände, die Generierung neuer Wissensfelder? Findet eine Naturalismusdebatte Neuverteilung wissenschaftlicher und Wissenskultur Kompetenz und Autorität in der Das kulturwissenschaftliche For- Gesellschaft statt? In diesen Fragen schungskolleg »Wissenskultur und treffen sich beide Interessen des gesellschaftlicher Wandel«, das seit Forschungskollegs an der Naturali- 1999 an der Goethe-Universität den sierungsdebatte: es beobachtet sie Architektur der Naturalismus will vielmehr in seiner Erwerb und den Gebrauch, die Auf- aus der Position des Historikers, und Vernetzung von Theoriebildung die alten Lager inte- bewahrung, Weitergabe und den es bezieht sie unmittelbar auf seine Arealen der Groß- grieren. Dazu postuliert er eine Ein- Status gesellschaftlicher Wissensbe- eigene Arbeit. hirnrinde von Rhe- heit der Natur (uns Menschen ein- stände von der Steinzeit bis ins susaffen. Die Zah- Konsequenzen für die len und Buchsta- geschlossen – wir sind eben Teil der 20. Jahrhundert untersucht (siehe Natur) und folgert, dass diese Ein- »Wandel durch Wissen: Ein For- Wissenschaftsdebatte benfolgen be- über die »Zwei Kulturen« zeichnen Hirnrin- heit nur mit den Methoden der Na- schungskolleg und seine Aktivitä- denareale, die far- turwissenschaften zu erforschen ten«, S. 67), hat diese Herausforde- Wohin kann eine solche neuartige bigen Striche ste- und zu erklären sei. Sie sind »the rung zum Dialog aufgenommen: Im Zusammenarbeit jenseits historisch hen für massive only avenue to truth« (Thompson Rahmen der international besetzten etablierter Disziplinen- und Metho- meist reziproke 1964). In diesem Sinne erweist sich Vortragsreihe »Geist und Gesell- dengrenzen, aber auch jenseits Verbindungen. der Naturalismus tatsächlich als ein schaft als Phänomene der Natur?« simpler und floskelhafter Analogi- Ismus der Naturwissenschaften, stellten im vergangenen Winterse- sierungs- und Identifikationsbestre- und nicht als ein solcher der Natur. mester renommierte Vertreterinnen bungen führen? Der Frankfurter Der auf diese Weise privilegierte und Vertreter der Entwicklungspsy- Mediävist und Sprecher des For- Status der naturwissenschaftlichen chologie, der Kognitionswissen- schungskollegs »Wissenskultur«, Methoden überträgt sich auf die mit schaften, des philosophischen Natu- Prof. Dr. Johannes Fried, hat bei- ihrer Hilfe gewonnenen Erkennt- ralismus und der Neurowissen- spielsweise die Erkenntnisse der nisse, Erklärungen und schließlich schaften ihre Positionen vor. Neurophysiologie über Wahrneh- auf das formulierte naturwissen- Das Forschungskolleg hat ein men und Erinnern herangezogen, schaftliche Wissen. Und qua postu- zweifaches Interesse an der Debatte. um den Gehalt mittelalterlicher lierter Einheit der Natur reicht der Erstens ist es seiner traditionellen Quellen neu zu bestimmen /3/. Erklärungsanspruch, den der Natu- disziplinären Verankerung nach ein Wenn – wie sich in den neurophy- ralismus stellvertretend für das na- kulturalistischer »Counterpart« in siologischen Forschungen zeigt – turwissenschaftliche Wissen vor- der Naturalisierungsdebatte. Zwei- das »Wie« des Erinnerns bestimmt, bringt, plötzlich herüber auf ein Ge- tens berührt die Debatte zwei ge- »was« erinnert wird, so müsse der biet, das traditionellerweise von den nuine Forschungsmerkmale des Historiker verstehen, wie Erinne- Geistes- und Kulturwissenschaften Kollegs, nämlich seinen Gegenstand rung und Gedächtnis funktionieren, besetzt gehalten wurde. Damit stellt (»Wissen«) und seine Forschungs- um einen möglichen Einfluss dieser sich, wie der Direktor am Frankfur- organisation (»Transdisziplinärität«). mentalen Vorgänge auf die Gestalt ter Max-Planck-Institut für Hirnfor- Wissen – ganz gleich, in welchen seiner Quellen herausarbeiten zu schung, Prof. Dr. Wolf Singer, her- Beschreibungssystemen oder »Wis- können. Diese Bestimmung reicht vorhebt, das Problem diskrepanter senskulturen« es zustande gekom- weiter als nur zur heuristischen Beschreibungssysteme und schein- men sein mag – ist das zentrale The- Vorsicht. Die Formel von den »na- bar unüberwindlicher Kategorien- ma des Forschungskollegs, und der türlichen Beschränkungen« des grenzen im Wissenschaftsbetrieb gesellschaftlich privilegierte Status Menschen wird zur Quelle tieferer selbst. Singer prognostiziert »neue naturwissenschaftlichen Wissens, Einsichten in das Funktionieren des kulturwissenschaftliche Diszipli- der zudem allem Anschein nach menschlichen Geistes. Wir lernen, nen«, die »sich bei der Erforschung ständig steigt, macht dieses Wissen uns besser zu verstehen, wenn wir kultureller Aktivitäten und ihrer Er- für das Forschungskolleg zu einem uns als Teil der Natur betrachten. zeugnisse auf das Wissen stützen, höchst interessanten Gegenstand; es Resultate und Kritik das inzwischen über die biologi- ist dies ein Bereich gesellschaftlicher schen und kulturellen Bedingthei- Wissensbestände, dessen Bedeutung Ein ausdrückliches Ziel der Vortrags- ten mentaler Prozesse erarbeitet sich offensichtlich ändert. Ist der reihe war es, Konsequenzen und wurde. Sollten sich die traditionel- von Singer prognostizierte Paradig- Reichweite dieser Naturalisierungs- len geisteswissenschaftlichen Diszi- menwechsel die Etablierung einer ansprüche zu überprüfen. Gezeigt plinen als unfähig erweisen, diesen neuen Wissens-Kultur, in der die hat sich – um nur drei Aspekte von

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Bedeutung für die ganze Debatte men«) besteht, die sich in Selek- Diese Beobachtungen geben Anlass, kurz anzureißen – z.B. Folgendes: tionsprozessen gegen ihre Kon- dem Naturalismus ein wenig von kurrenten durchgesetzt haben. seinem revolutionären Pathos zu — Je mehr sich naturalistische Er- Warum haben sie sich aber durch- nehmen. Radikale Ansprüche eines klärungen an dem orientieren, gesetzt? In den Antworten, die Umsturzes unseres Selbstbildes oder wie unser Denken tatsächlich ab- Dr. Susan Blackmore (Depart- einer kompletten Revision unserer läuft, je ernster sie seine Komple- ment of Psychology der Universi- »Alltagspsychologie« sind nicht xität nehmen, desto differenzier- ty of the West of England, Bri- plausibel, und ihre Einlösung ist ter und vielschichtiger werden stol) auf diese Frage gegeben hat, nicht abzusehen, weil die naturali- die Erklärungen. Ruth Millikan, finden sich – vielleicht weil das stischen Erklärungen sich durchaus Professorin für Philosophie an allein plausibel ist – die vertrau- an unserem »traditionellen« Selbst- der University of Connecticut, ten alltäglichen, auch die geistes- bild orientieren. Andererseits ist un- hat z.B. gezeigt, dass man nicht wissenschaftlichen Erklärungs- ser Selbstbild nicht unveränderlich mit einem einzigen meta-evolu- muster wieder. und gegen naturwissenschaftliche tionären Erklärungsansatz für — Bei der Erforschung des Bewusst- Erkenntnisse nicht abgeschottet. geistige Phänomene, wie etwa die seins kommt es nicht nur auf die Schließlich sprechen die Kogniti- Sprache, auskommt. Man muss neuronalen Korrelate des Be- onspsychologen, Soziobiologen und Die Autoren verschiedene Beobachtungsebe- wusstseins an, sondern auch auf Hirnforscher über uns, und wir Alexander Becker nen unterscheiden, auf denen je- die »Phänomenologie« unseres müssen ihre Erkenntnisse, ob wir und Thomas Kailer, sind wissenschaft- weils evolutionäre Erklärungen Bewusstseins. Es ist beispielswei- wollen oder nicht, in unser Selbst- liche Mitarbeiter angewendet werden können, de- se eine Tatsache, dass wir unsere bild integrieren. Und das ist nicht am Forschungs- ren gegenseitige Beziehungen es Gedanken und Gefühle als unse- nur ein unvermeidliches Übel: Viel- kolleg »Wissens- letztlich zu untersuchen gilt. re eigenen Gedanken und Ge- mehr haben wir allen Grund zu kultur und gesell- — Die naturwissenschaftlichen Er- fühle erfahren, als die Gedanken hoffen, dass wir uns mit ihrer Hilfe schaftlicher Wan- klärungen von Geist und Gesell- und Gefühle eines Ichs. Also besser verstehen können. Deshalb del« und gehören schaft greifen auf alltägliche Er- kann die Suche nach neuronalen gibt es eigentlich keinen Grund, von der Arbeitsgemein- schaft »Kogniti- klärungsmuster zurück. So be- Korrelaten nicht die Erfahrung einer Kluft zwischen Natur– und onswissenschaf- hauptet die Mem-Theorie, dass eines »Ichs« abschaffen, viel- Geisteswissenschaften zu sprechen; ten, Soziobiologie die gesamte Kultur aus reprodu- mehr muss sie nach dem Korre- eher ist eine fruchtbare Kooperation und ihre Vorläu- zierbaren Einheiten (den »Me- lat solcher Erfahrungen suchen. zu erwarten. ◆ fer« an.

Das Naturalismus-Problem aus philoso- phischer Sicht

In den Feuilletons hat sich der Geert Keil/Herbert Und so verhehlen auch die Streit um den Naturalismus merk- Schnädelbach (Hrsg.): Herausgeber Geert Keil und lich abgekühlt: Genomentschlüs- Naturalismus. Herbert Schnädelbach in ih- selung, Stammzellenimport, gene- Philosophische rer Einleitung nicht, dass der Beiträge. Verlag tischer Fingerabdruck – sie bleiben Suhrkamp, Frank- hier vorgestellte Sammelband zwar Thema, doch die ehemals furt 2000, ISBN »Naturalismus« sein Entste- heiße Konjunktur naturwissen- 3-518-29050-9, hen keiner übergroßen Sym- schaftlicher Erfolgsmeldungen 316 S., pathie gegenüber seinem Ge- Literatur und der entsprechenden Medien- 12,50 Euro. genstand verdanke. Umso er- aufgeregtheit nimmt zur Zeit im staunlicher ist der differenzierte /1/ vgl. hierzu: Geert journalistischen Tagesgeschäft ei- Ton, der den 14 Beiträgen eigen Keil/Herbert Schnä- nen flacheren Verlauf. Von einer delns und kultureller Artefakte, ist, und die philosophische Sorg- delbach: Einleitung. Renaissance des Biologismus zu- auch der sprachlichen – mit den falt, mit der sich die Autoren dem In: diess. (Hg.): Na- turalismus. Philoso- nächst also keine Spur. Der Feuil- Mitteln der Naturwissenschaft be- Naturalismus nähern. Gerade die- phische Beiträge. leton-Naturalismus, nicht zuletzt schrieben und erklärt werden kön- se Differenziertheit macht den Frankfurt 2000, von »Naturalisten« aktiv gestaltet, ne, ist die Kernthese einer »Natura- Band lesenswert; nicht nur über S. 7–45 erscheint jedoch nur als die Spring- lisierten Erkenntnistheorie«, wie sie das Wesen naturalistischer Positio- /2/ z.B. Wolf Singer: flut jener Gezeiten, die schon seit seit den 1960er Jahren etwa von nen oder das Für und Wider erhält Hirnforschung an der Antike eine philosophische W. V. O. Quine vertreten wird. Alles, der Leser breite Aufklärung, son- der Schwelle zum Naturalismus-Diskussion bewe- was über die Welt gewusst werden dern auch über deren (philoso- nächsten Jahrtau- gen: verschlagwortet etwa mit kann, falle unter das Kausalprinzip phie-)historische und wissen- send. Rechtshistori- »Leib-Seele-Problem«, »Doppel- und damit in den Zuständigkeitsbe- schaftstheoretische Verortung. sches Journal 10 natur des Menschen« oder mit reich der Naturwissenschaften, de- Gleichwohl gehen die Beiträge (2000), S. 41–51 »Materialität mentaler Zustände«, ren Erklärungsanspruch exklusiv, kritisch bis zur Ablehnung mit /3/ Johannes Fried: methodologisch auch gerne mit der also universal, sei. dem Naturalismus ins Gericht, The Veil of Memory. Rede von den »Zwei Kulturen«. Eine provokante These für die ohne jedoch – und das ist zu be- Anthropological Aktuell scheint ein neuer Geisteswissenschaften, vor allem für grüßen – die Rückzugsgefechte Problems when con- sidering the Past. Scheitelpunkt auf: Die Behaup- die Philosophie, aus deren Reihen einer sich selbst dispensierenden German Historical tung, dass alles Geschehen – ein- vielerorts das Scheitern naturalisti- »Mutter aller Wissenschaften« zu Institute: The 1997 schließlich des menschlichen Han- scher Versuche verkündet wird. führen. Annual Lecture. London 1998

Forschung Frankfurt 1–2/2002 69 Perspektiven Wie der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz die Frankfurter Betriebswirtschaftslehre beeinflusst hat Von den Anfängen der Informationsökonomie und ihrer Ausbreitung

Der Automarkt für Gebrauchtwagen: Was verheimlicht der Verkäufer dem Kaufinteressenten? Kauft er am Ende ein reparaturanfälliges Gefährt (eine be- rühmt-berüchtigte „Lemon“), dessen Macken nicht auf Anhieb zu erkennen sind? Wie entwickelt sich der Markt un- ter den Bedingungen der ungleich ver- teilten Information? An diesem Beispiel verdeutlichte der amerikanische Nobel- preisträger Akerlof das Modell der asym- metrischen Informationsverteilung, die zum Zusammenbruch des Marktes führen kann.

en drei Begründern der Infor- worden waren. Eva Terberger ent- tionsverteilung auf die Funktions- Dmationsökonomie George wickelte in ihrem Vortrag die The- weise und Funktionsfähigkeit von Akerlof, Michael Spence und Jo- se, dass die frühe und konsequente Märkten. Um die Bedeutung ihrer seph Stiglitz wurde am 10. Oktober Übernahme der Ideen der drei No- Arbeit zu verstehen, muss man sich der Nobelpreis für Wirtschaftswis- belpreisträger geradezu zum Mar- die Position vor Augen führen, ge- senschaften des Jahres 2001 zuer- kenzeichen der Frankfurter Be- gen die sie sich wandten. Es ist die kannt. Die Frankfurter Betriebswir- triebswirtschaftslehre geworden sei. der so genannten neoliberalen oder te hatten einen besonderen Grund, neoklassischen Theorie, die bis da- Eine Revolution in den sich über diese schon lange erwarte- hin unter Wirtschaftstheoretikern te Entscheidung zu freuen. Wirtschaftswissenschaften fast völlig unangefochten war und Eine Woche später feierte der Mit ihren Arbeiten aus den 1970er auch seit Jahren weltweit die Wirt- Fachbereich Wirtschaftswissen- Jahren haben Akerlof, Spence und schaftspolitik bestimmt. Sie besagt, schaften die hundertste Wiederkehr Stiglitz gemeinsam vor etwa 30 dass freie Märkte zu den besten der Gründung der Akademie für Jahren in ihrem Fach eine wissen- denkbaren wirtschaftlichen Ergeb- Sozial- und Handelswissenschaften, schaftliche Revolution ausgelöst. nissen führen; selbst ein allwis- der Vorläuferin des Fachbereichs Unter den dreien ist Stiglitz der be- sender Planer könnte nicht mehr und der gesamten Frankfurter Uni- deutendste, kreativste und einflus- erreichen als das »freie Spiel der versität. Im Rahmen des Jubiläums sreichste Wissenschaftler. Er war Märkte«. Deshalb sind, so die gängi- fand ein Workshop über die Ge- Professor an zahlreichen Spitzenu- ge These, Eingriffe in Märkte allen- schichte des Fachbereichs seit dem niversitäten, darunter lange in St- falls dann sinnvoll, wenn sie Wett- Zweiten Weltkrieg statt. Eva Terber- anford. In den frühen 1990er bewerb herstellen und sichern. ger, Professorin für Betriebswirt- Jahren fungierte er als ökonomi- Die Nobelpreisträger haben gezeigt, schaftslehre in Heidelberg, sprach scher Chefberater von Präsident dass diese Position nicht haltbar ist: dabei über die Betriebswirtschafts- Clinton und bis 1999 als Cheföko- Auch bei freiem Wettbewerb führt lehre in Frankfurt seit 1980. Sie er- nom der Weltbank. Seit kurzem eine asymmetrische Informations- innerte zu Beginn ihres Vortrags an lehrt er an der Columbia University verteilung zu grundlegend anderen ein Kolloquium aus dem Sommer in New York. – einfach gesagt: schlechteren – 1980: Gegenstand dieser Veranstal- Das gemeinsame und für die Marktergebnissen, als sie die neoli- tung bildeten die frühen Arbeiten Wirtschaftstheorie revolutionäre berale Theorie erwarten lässt. Dies von Akerlof, Spence und Stiglitz, für Thema von Akerlof, Spence und hat weitreichende Konsequenzen: die die drei Forscher gerade geehrt Stiglitz ist der Einfluss der Informa- Erstens wurde – nicht von außer-

70 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Perspektiven halb, sondern innerhalb der Theorie Wirtschaftstheorie gezeigt, dass allein zu ergänzen, sondern sie ist grund- und nach deren strengen Maßstä- die Asymmetrie der Informations- legend revisionsbedürftig. Damit hat ben – das herrschende Weltbild der verteilung dazu führt, dass Märkte er mehr als jeder andere Wirt- volkswirtschaftlichen Theorie in zusammenbrechen können. Das schaftstheoretiker im letzten Drittel Frage gestellt. Zweitens wurde er- kann bedeuten, dass kein Tausch des 20. Jahrhunderts die Grundla- kennbar, dass es einen Spielraum stattfindet, obwohl er für alle Betei- gen der ökonomischen Theorie ver- gibt, den die Wirtschaftspolitik nut- ligten vorteilhaft wäre. Michael ändert. zen kann und sollte. Drittens ergab Spence hat die Anschlussfrage ge- Stiglitz als Grenzgänger sich damit ein Weg zur Erklärung stellt: Gibt es keine Anreize und und Bewertung wirtschaftlicher In- Möglichkeiten, dieses Problem zu in der Politik stitutionen. Für sie hatten die Öko- überwinden? In seiner bahnbre- In den neunziger Jahren hat Joseph nomen bis dahin kaum mehr als ei- chenden Arbeit von 1974 über »Sig- Stiglitz versucht, seine Ideen in die ne Erklärungsidee. Aus den Arbei- nale am Arbeitsmarkt« findet sich wirtschaftspolitische Praxis zu über- ten von Stiglitz und seinen Kollegen die Antwort: Ja, es gibt Möglichkei- tragen. Sein Erfolg in der Sache ergibt sich, dass komplexe Institu- ten, auf Märkten Informationen so- scheint allerdings beschränkt geblie- tionen genau deshalb existieren, gar kostenlos zu übertragen, und ben zu sein. Schuld daran könnte weil sie die negativen Folgen der In- die Marktteilnehmer haben ein sein, dass seine Zweifel an der posi- formationsasymmetrie mildern ökonomisches Interesse, diese Mög- tiven Wirkung freier Märkte nicht können. Die ersten beiden Einsich- lichkeiten zu nutzen. Aber wenn sie auf politischen Vorurteilen, sondern ten richten sich vor allem an die dies tun, ergibt sich ein Markt- auf subtilen theoretischen Überle- Vertreter der Volkswirtschaftslehre. gleichgewicht, das, gemessen an gungen aufbauen. Sie lassen sich Die dritte ist hingegen gerade für den Kriterien der herkömmlichen nicht in die platte Faustregel über- Betriebswirte interessant, die sich Theorie, noch »schlechter« ist als setzen »Märkte versagen, und des- um eine Fundierung ihres Faches in der von Akerlof behandelte Fall des halb muss der Staat oder die Politik der allgemeinen Wirtschaftstheorie Marktversagens. eingreifen«. Auch der Staat ist eine bemühen. Joseph Stiglitz ist in den folgen- Institution, und auch Institutionen den Jahren weit über diese Ergeb- sind – ebenso wie Märkte – unvoll- Die ungleiche Informations- nisse hinausgegangen. In einer kommen. Es kommt deshalb auf verteilung und ihre Folgen wahren Flut von unglaublich krea- den Einzelfall an, ob Markt oder Was verbirgt sich hinter dem tiven Publikationen, die nahezu je- Staat die bessere Lösung bieten kön- Schlüsselwort der »asymmetrischen des Teilgebiet der Wirtschaftswis- nen. Hinzu kommt, dass Stiglitz Informationsverteilung«? Wieder senschaften berührt und in seinen primär Wissenschaftler und nicht könnte der Vergleich mit der her- Grundlagen umgestürzt haben, hat Politiker ist. Es gibt Grenzen dessen, kömmlichen Theorie der Markt- er gezeigt, dass Informationsasym- was er an falscher Politik mittragen wirtschaft helfen. Sie unterstellt, metrie nicht die Ausnahme ist, son- kann. Der »breaking point« dürfte Internetlink: Nobel lecture dass die Marktteilnehmer, beispiels- dern eher die Regel. Deshalb ist die das Verhalten der Weltbank und vor (Stiglitz) unter weise Käufer und Verkäufer oder herkömmliche Vorstellung über die allem des Internationalen www.newsdirec- Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Funktionsfähigkeit von Märkten Währungsfonds in der Asienkrise tions.com/r/0203 trotz Unsicherheit und unterschied- nicht etwa nur um einen Sonderfall gewesen sein. Seine Theorie der stiglitz.html licher Erwartungen im Prinzipgleich gut informiert sind. Asymmetrisch nennt man die Informationsvertei- lung dann, wenn es Marktteilneh- mer gibt, die systematisch besser in- formiert sind als andere, und wenn die schlechter Informierten dies wissen oder zumindest wissen kön- nen. Der Laie würde – mit Recht – vermuten, dass dies der Normalfall ist. Für die meisten Theoretiker galt es hingegen lange als Ketzerei, die scheinbar harmlose Annahme der gleichverteilten Information aufzu- heben, denn dadurch, das hatte man schon lange geahnt, würde die Grundlage der Theorie in Frage ge- stellt. In seinem weltberühmten Auf- Die Wirtschafts-Nobelpreisträger 2001: Vor der Preisverleihung am 7.Dezember 2001 stellten sich die drei satz aus dem Jahr 1971 über den Preisträger in der Schwedischen Königlichen Akademie der Wissenschaften in Stockholm den Journalisten. Markt für gebrauchte Autos (auf Die US-Ökonomen Joseph Stiglitz (links), A. Michel Spence und George A. Akerlof (rechts) sind für ihre Pio- Amerikanisch »lemons«) mit unter- nierleistungen bei Marktanalysen mit »asymmetrischen« (ungleich verteilten) Informationen ausgezeichnet worden. Ihre anwendungsorientierten Arbeiten haben vor etwa 30 Jahren in den Wirtschaftswissenschaften schiedlicher, nur den Anbietern, eine wissenschaftliche Revolution ausgelöst; die frühe und konsequente Übernahme ihrer Ideen wurde in aber nicht den Nachfragern bekann- den folgenden Jahren zu einem Markenzeichen der Frankfurter Betriebswirtschaftslehre. Mit der Vergabe ter Qualität hat Georg Akerlof als des renommierten Preises an die drei Forscher hat die ohnehin starke US-Dominanz beim Nobelpreis für Erster in der Modellsprache der Wirtschaftswissenschaften noch einmal deutlich zugenommen.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 71 Perspektiven

Märkte mit asymmetrischer Infor- stand der Betriebswirtschaftslehre: mationsökonomische Denken in mationsverteilung zeigt, warum die Unternehmung. Erst in einer Frankfurt gleichermaßen alle Teil- diese Politik schon vom Ansatz her Welt, wie sie von Stiglitz theoretisch gebiete der Betriebswirtschaftslehre falsch war. An Stelle der – bei den beschrieben wird, gibt es Gründe geprägt hat, während sich dieses diversen lateinamerikanischen Kri- dafür, warum »reale« große Unter- Fach an anderen Universitäten in- sen entwickelten – pauschalen Poli- nehmen, wie wir sie kennen, über- haltlich und methodisch immer haupt existieren und warum es Fi- mehr in unzusammenhängende nanzierungs-, Marketing- und Or- Teile auflöst. George A. Akerlof von der Berkeley-Uni- ganisationsprobleme gibt, wie sie im Stiglitz‘ Vorlesung wie die versität in Kalifornien veröffentlichte Mittelpunkt der Lehre und der For- 1971 den entscheidenden Aufsatz, in schung in der Betriebswirtschafts- Jam-Session eines guten dem er als Erster zeigte, dass Märkte zu- lehre stehen. Wie Unternehmen Jazzmusikers sammenbrechen, wenn die Parteien un- terschiedliche Information über das sind Banken, Bilanzen und Bank- Nach dem Abschluss meiner Disser- Handelsgut haben. Er beschrieb dies am rotte in der herkömmlichen neo- tation in Deutschland war ich im Beispiel des Gebrauchtwagenmarkts und klassischen Ökonomie nicht erklär- akademischen Jahr 1975/76 Gast- bezeichnete Autos, die einen hohen Re- te Gegebenheiten. Man weiß natür- wissenschaftler in Stanford. Dort paraturbedarf haben, über den der Käu- lich, dass es sie gibt, denn dies ist habe ich Stiglitz’ Vorlesungen über fer nicht informiert wird, als »Lemons« unübersehbar, aber die Theorie Informationsökonomik besucht. Er (»Zitronen«). kann nicht erklären, warum sie exi- sprach über Akerlof und die »le- A. Michael Spence, von 1990 bis 1999 stieren. Sie erscheinen wie Fremd- mons« und über Spence und die Professor in Stanford/Kalifornien, führte körper im strengen ökonomischen »signals«. Vor allem sprach er aber Akerlofs Theorie weiter und beschäftigte Theoriegefüge. über seine eigenen Arbeiten – und sich besonders mit der Frage: Gibt es Für die Betriebswirtschaftslehre, zwar nicht über bereits erschienene Anreize für die Marktteilnehmer, die Pro- die sich aus ökonomischer Sicht mit oder zumindest schon geschriebene, bleme der ungleichen Informationsver- teilung zu überwinden? Bezogen auf den Unternehmen, Banken und Bilan- sondern über neue. Eine Vorlesung Kauf eines gebrauchten Autos könnten zen befasst, stellt dies keinen befrie- war für ihn wie eine Jam-Session solche Anreize beispielsweise Gewährlei- digenden Ausgangspunkt dar. Die für einen guten Jazzmusiker: Vor stungs- und Rücknahmegarantien sein. Informationsökonomik weist einen den Augen und Ohren seiner faszi- Ausweg aus diesem Problem. Wirt- nierten Hörer »komponierte« er Joseph Stiglitz von der Columbia-Univer- schaftliche Institutionen wie die ge- den nächsten theoretischen Aufsatz sität in New York hat in seinen zahlrei- nannten, aber auch Finanzierungs-, über die Formen, Ursachen und chen kreativen Publikationen gezeigt, Marketing- und Organisationsstruk- Folgen asymmetrisch verteilter In- dass die Informationsasymmetrie im turen existieren genau für den formationen. Ein paar Tage später Marktgeschehen nicht die Ausnahme, Zweck, die negativen Folgen der In- fanden die Kursteilnehmer in ihrem sondern die Regel ist. Er hat die Grund- lagen der ökonomischen Theorie im letz- formationsasymmetrie abzumil- Postfach den überarbeiteten Vorle- ten Drittel des 20. Jahrhunderts ent- dern. Seit den frühen achtziger Jah- sungstext als das nächste »Stiglitz scheidend geprägt. ren lernen Frankfurter Studenten working paper«. Viele dieser Arbei- schon in ihren betriebswirtschaftli- ten gehören heute zur ökonomi- chen Grundvorlesungen, die Asym- schen Standardliteratur. tik von außenwirtschaftlicher Libe- metrie der Informationsverteilung Mich hat der Grundansatz seines ralisierung und Haushaltskonsoli- als den gedanklichen Ausgangs- Denkens und seiner Arbeit über- dierung wäre in Südostasien eine punkt betriebswirtschaftlicher Fra- zeugt und stark beeinflusst. Von ei- Politik sinnvoll und nötig gewesen, gestellungen zu erkennen. Eine lan- nem Verfechter der streng neoklas- die die Ertragslage der Banken ge Liste von Dissertationen und sischen These von der Effizienz der selbst sowie die ihrer Schuldner sta- zahlreiche Habilitationsschriften – Kapitalmärkte, dem Thema meiner bilisiert hätte. Dies hätte eine tem- darunter auch die von Eva Terber- Dissertation, wurde ich in wenigen poräre außenwirtschaftliche Ab- ger – sind seit 1980 in Frankfurt auf Wochen in Stanford zum Anhänger schottung und Zinsrestriktionen na- der im wesentlichen von Stiglitz ge- der Theorie der asymmetrischen In- he gelegt – genau das Gegenteil des- schaffenen Basis aufgebaut worden. formationsverteilung. Dies hat sich sen, was dann praktisch vom IWF Diese konzeptionelle Gemein- in meiner Habilitation – wieder in durchgesetzt worden ist und zur samkeit ist seither zum Kennzei- Deutschland – niedergeschlagen Krisenverschärfung beigetragen hat. chen der Frankfurter Betriebswirt- und meine nachfolgende Arbeit Der Autor schaftslehre geworden. Helmut dauerhaft beeinflusst. Seit meiner Warum Unternehmungen Reinhard H. Laux entwickelt diese Ideen seit Zeit in Stanford kann ich die Welt Schmidt forscht existieren und lehrt als Pro- Jahren für den Bereich der Organi- und insbesondere die Banken und fessor für Inter- Für eine ökonomisch-theoretisch sation weiter, Ralf Ewert für das die Finanzmärkte in Industrie- und nationales Bank- ausgerichtete Betriebswirtschafts- Fach Controlling und Klaus-Peter Entwicklungsländern nicht anders und Finanzwesen lehre, wie sie in Frankfurt eine lan- Kaas für das Fach Marketing. Dieter sehen als geprägt durch ungleich am Fachbereich ge Tradition hat, ist die Informati- Ordelheide hat Bilanzfragen im verteilte Informationen und durch Wirtschaftswissen- onsökonomie von grundlegender Lichte der Informationsökonomie das Bemühen von Menschen, durch schaften; er be- Bedeutung, denn zu den Institutio- bearbeitet und umgedeutet, und aus die Schaffung und Gestaltung von suchte 1975/76 als Gastwissen- nen, für die erst die Asymmetrie der dem Fach Finanzierung ist der Ein- Institutionen zu verhindern, dass schaftler in Stan- Informationsverteilung eine wirk- fluss von Stiglitz überhaupt nicht Informationsprobleme ökonomisch ford Stiglitz’ Vor- lich tragfähige Erklärung bietet, wegzudenken. Bemerkenswert ist allzu negative Auswirkungen lesungen. gehört auch der zentrale Gegen- dabei insbesondere, dass das infor- haben. ◆

72 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Perspektiven Neuorientierung der Chemie – Mode oder mehr? Plädoyer für eine stärkere Kooperation mit der Biologie

n den 1950er Jahren definierte Iein Verfassungsrichter der Verei- nigten Staaten, was akademische Freiheit sei. Felix Frankfurter, so sein Name, verstand unter akade- mischer Freiheit die Freiheit der Hochschule zu entscheiden, wer lehrt, was gelehrt wird, wie es ge- lehrt wird und wem es gelehrt wird. Die ersten drei Forderungen dieser auch heute noch gültigen Definition werden sicherlich auch von deut- schen Hochschulen erfüllt. Was gelehrt wird, entscheiden deutsche Hochschulen selbst – und gehen dabei oft unkonventionelle Wege. Ein Beispiel ist das Institut für Organische Chemie der Univer- sität Frankfurt. Hier wurde vor etwa 17 Jahren das »Frankfurter Modell« ins Leben gerufen. Der wesentliche Initiator dieser interdisziplinären USA, überzeugt, organisiert sich Öffnung der Chemie zu ihrer Nach- letztlich selbst. Nicht der Wissen- bardisziplin Biologie war der dama- schaftler wählt seine Probleme, son- lige Direktor des Instituts, Prof. Ger- dern die Probleme suchen ihn, hard Quinkert. Dank gezielter Beru- schrieb schon Robert Musil im Ro- fungspolitik hielten dort molekular- man »Der Mann ohne Eigenschaf- biologische und gentechnologische ten«. Dieser Selbstorganisationspro- Methoden in der Chemie Einzug, so zess hängt davon ab, ob Problemlö- dass eine Öffnung für biologische ser – gleichgültig, ob sie ursprünglich Probleme möglich war. Was bedeu- den Führerschein für Biologie, Che- tet dieser damals unzeitgemäße Ge- mie oder Physik erworben hatten – danke heute für die Hochschule? Ist zur Verfügung stehen, die fähig eine Neuorientierung der Chemie sind, eine unzugängliche Problema- zu ihren Nachbardisziplinen von es- tik in beantwortbare Einzelfragen der Grundlagenforschung eine völ- sentieller Bedeutung für die Wis- aufzulösen. Natürlich müssen die lig andere Zeitskala zugrunde als der senschaft oder doch eher ein not- erforderlichen Methoden vorhan- technologischen Entwicklung, be- wendiges Übel, wenn nicht gar eine den sein oder entwickelt werden. tont Helmut Schwarz, Professor für Modeerscheinung? Diese Fragen Organische Chemie an der TU Ber- Grundlagenforschung und diskutierten Anfang Februar nam- lin und Vizepräsident der Deutschen hafte Persönlichkeiten aus Wissen- technologische Entwicklung Forschungsgemeinschaft. Wissen- schaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit Die an den Hochschulen vor allem schaftliche Grundlagenforschung bei einer Podiumsdiskussion, die auf Erkenntnisgewinn ausgerichtete hat einen Zeithorizont von zehn den 75. Geburtstag von Quinkert Grundlagenforschung hat heutzuta- Jahren und mehr. Technologische zum Anlass nahm. ge in der Chemie Probleme, meint Entwicklung ist in der Industrie auf Zunächst muss die Frage erlaubt Dr. Rainer Flöhl, Chemiker und bei drei bis fünf Jahre angelegt. Lang- sein, wer die Richtung der Wissen- der Frankfurter Allgemeinen Zei- zeitangelegte Grundlagenforschung schaft bestimmt. Die Wissenschaft- tung verantwortlich für Natur und kann niemand den Hochschulen ler, der öffentliche Diskurs oder Wissenschaft. Der Anteil der Grund- abnehmen. Und sie gedeiht am be- vielleicht die Wirtschaft? Die Wis- lagenforschung gehe zugunsten der sten, wenn sie von unten nach oben senschaft, und das gilt auch für den technologischen Entwicklung im- wächst. Teilbereich Chemie, davon ist Albert mer mehr zurück, nicht zuletzt des- Die Bedeutung von Methoden Eschenmoser, emeritierter Professor halb, weil für Forschung, die auf in- für Organische Chemie der ETH dustrielle Anwendung ausgerichtet für Naturwissenschaften Zürich und aktiver Forscher am ist, leichter finanzielle Mittel zu be- Das, was die Wissenschaft heute tut Scripps Research Institute, La Jolla, schaffen seien. Darüber hinaus liegt und morgen tun kann, ist abhängig

Forschung Frankfurt 1–2/2002 73 Perspektiven

Prof. Dr. Gerhard Quinkert (75) war von Zeit, dass die chemische Synthese 1970 bis 1995 Direktor des Instituts für an der Universität ein eigenes Fach Organische Chemie der Johann Wolfgang wird, wie Eschenmoser fordert, sich Goethe-Universität Frankfurt. Gastpro- also ebenso abspaltet, wie es bei- fessuren führten ihn in den vergangenen spielsweise die Ingenieurwissen- Jahrzehnten in die USA, nach Kanada schaften von der Physik getan ha- und Israel. Quinkert ist u.a. Mitglied der ben. Deutschen Akademie für Naturforscher »Leopoldina« und der Academia Euro- Interdisziplinarität paea. Der Chemiker konnte zahlreiche und Ausbildung Auszeichnungen entgegennehmen: Dazu gehörten u.a. die Emil Fischer Medaille Wenn Interdisziplinarität das Er- der Gesellschaft Deutscher Chemiker, folgsrezept für die Forschung ist, in- die Adolf Windaus-Medaille der Univer- wieweit ist die Hochschule in der sität Göttingen, die H.-H. Inhoffen- Lage, dem Rechnung zu tragen oh- Medaille der TU Braunschweig, der Lite- ne Substanzverlust in den Kern- raturpreis des Fonds der Chemischen kompetenzen und in einem ver- Industrie für das Buch »Aspekte der organischen Chemie«. Bevor Quinkert nünftigen Zeitrahmen? Wie kann nach Frankfurt kam, hatte er von 1963 eine Verbreiterung der Ausbildung bis 1970 den Lehrstuhl für Organische erreicht werden ohne Nachlassen Chemie an der TU Braunschweig inne. des intellektuellen Anspruchs? Hier eine Lösung zu finden, ginge, so Schwarz, weit über das Modische von den zur Verfügung stehenden mer differenzierter wird und damit hinaus. Methoden. Da die von Naturwis- immer spezifischere Medikamente Eine Möglichkeit bietet das so ge- senschaftlern angewandten Metho- ermöglicht, wie Prof. Dieter Hölzer nannte Würzburger Modell, meint den nicht selten hohe Investitions- vom Zentrum der Inneren Medizin Felcht, mit seinem modularen Stu- mittel erfordern, werden die Orien- der Universitätsklinik Frankfurt er- dienaufbau – Grundkompetenz in tierung einer Disziplin, ihre Gren- läutert. Auch bei aktuellen For- Chemie und Zusatzkompetenz etwa zen oder ihre Öffnung zu anderen schungsgebieten wie der Stamm- in Patentrecht oder Betriebswirt- Disziplinen auch von finanziellen zellforschung sollten Chemiker mit- schaft. Es ist ursprünglich aus der Mitteln und der Art der Forschungs- arbeiten. Erkenntnis entstanden, dass Nach- förderung bestimmt. So verständ- Sich als Chemiker für Biologie zu wuchschemiker mehr als nur Che- lich das Bemühen um projektorien- interessieren, ist vor allem eine Fra- mie können sollten, um alle berufli- tierte Finanzmittel auch ist, die ei- ge des intellektuellen Abenteuers, chen Chancen zu haben. Auch gentliche Aufgabe der Hochschul- meint Schwarz. Die Biologie wird wenn es zur Zeit zu wenig Chemie- forschung liegt in der Entwicklung auf Jahre hinaus nicht saturiert absolventen gibt, sollte dieses Mo- grundsätzlich neuer Methoden, die sein. Dagegen glaubt man in der dell weiter verfolgt werden, da wir dann von der Industrie für die prak- Chemie schon alles zu können. Die es uns nicht leisten können, dass al- tische Lösung von Problemen ge- Chemie sollte die Herausforderun- le Universitäten alles anbieten. nutzt werden können. Quinkert gen aus anderen Gebieten anneh- Hochschulen sollten sich mehr von- plädiert dafür, diese Arbeitsteilung men und die komplexen, auch einander unterscheiden, indem sie konsequent einzuhalten. Leider ist praktisch bedeutsamen Aufgaben Akzente setzen, darüber sind alle die Bereitschaft hierzu in der Che- angehen. Diskussionsteilnehmer einig. Die mie weniger vorhanden als etwa in entscheidende Maßnahme ist eine Bedeutung der der Medizin, so Prof. Günther Wess, gezielte Berufungspolitik. Schließ- bei Aventis Pharma zuständig für chemischen Synthese lich entsteht Konkurrenz dann, Forschung am Standort Frankfurt. Die Chemie hat sich viel zu lange wenn man den Mut hat, etwas an- von anderen Disziplinen in eine be- ders zu machen als andere. Chemie versus Biologie? stimmte Ecke drängen lassen, meint Die Chemie in Frankfurt jeden- Die Chemie wäre gut beraten, Fra- Prof. Utz-Hellmuth Felcht, Vor- falls setzt ihren »biologischen« Weg gen aus dem Problemvorrat der Bio- standsvorsitzender der Degussa AG. konsequent fort. So hat der Fachbe- logie zu beantworten. Sie kann dies Neue Erkenntnisse auf dem Grenz- reich Chemie vor etwa einem Jahr in einzigartiger Weise mit Hilfe der gebiet Biologie/Chemie können nur mit dem Fachbereich Biochemie, Synthese. Nachdem das Genom des gewonnen werden, wenn Chemiker Lebensmittelchemie, Pharmazeuti- Menschen und zahlreicher Modell- und Biologen zusammenarbeiten. sche Chemie fusioniert. Und – das spezies entschlüsselt werden konn- Schließlich ist Biologie eigentlich Institut für Organische Chemie wird te, geht es jetzt darum, experimen- angewandte Chemie »at its best«. in naher Zukunft seinen Namen än- tell zu untersuchen, durch welche Leider gibt es heutzutage in dern in: »Institut für Organische Moleküle bestimmte Gene zu be- Deutschland viel zu wenige, die Chemie und Chemische Biologie«.◆ stimmten Zeiten in bestimmten Zel- neue Syntheserouten und -metho- len ein- oder ausgeschaltet werden. den entwickeln. Dabei ist die che- Biologisches Verständnis ist laut mische Industrie auf kreative Syn- Wess für Chemiker in der Pharma- thesechemiker angewiesen. Ge- Die Autorin industrie unabdingbar – ebenso wie braucht würden regelrechte »Mo- Dr. Beate Meichsner ist Diplom-Chemike- in der klinischen Forschung, die im- lekülschlosser«. Deshalb wird es rin und freie Wissenschaftsjournalistin.

74 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Werbung

Forschung Frankfurt 1–2/2002 75 Forschung aktuell Innovectis – oder wie aus Inventionen Innovationen werden Prof. Heribert Offermanns und Dr. Otmar Schöller im Gespräch mit Ulrike Jaspers

Neue Formen des Technologietransfers und der Beratung werden an der Johann Wolfgang Goethe-Univer- sität realisiert, um das Wissen der Forscher in Patente oder Industriekooperationen umzusetzen. Unauf- hörlich schlägt die Grundlagenforschung Schneisen in den Wald des Unbekannten; doch es ist ein langer Weg, bis aus Forschungsergebnissen, den Inventionen, marktfähige Innovationen werden. Innovectis, das Tochterunternehmen der Universität für Technologiedienstleistungen, will Wissenschaftler auf diesem Weg unterstützen.

? Wissens- und Technologietrans- Moment zweiten Ranges sehen. Es sondern auch die Vielzahl von fer – so das Etikett, mit dem bun- ist sicher nicht der richtige Weg, Professoren, die sowohl Indu- desdeutsche Hochschulen Mitte Grundlagenforschung an der An- strie-, als auch Hochschulerfah- der achtziger Jahre erste Versuche wendung zu orientieren, aber rung haben. Warum tun sich starteten, Wissen aus der Univer- Grundlagenforscher sollten offen Universitäten wie die Goethe- sität an die Industrie weiterzuge- sein für Anwendungen. Diese An- Universität mit ihren großen na- ben: Inzwischen sind fast zwan- wendungsoffenheit sollte nicht als turwissenschaftlichen Fachberei- zig Jahre vergangen – ist der Bringschuld der Wissenschaft ver- chen da schwerer? Transfer wirklich in Gang ge- standen werden, sondern eher eine kommen? Bringfreude sein. Für mich als Indu- Schoeller: Ich bin nicht der Auffas- strievertreter sind die »Köpfe« die sung, dass sich die Universitäten Offermanns: An der Johann Wolf- erste und wichtigste Form des Know- schwer tun. Nur die finanziellen Vo- gang Goethe-Universität möchte ich how-Transfers: Junge Leute, die gut lumina der Projekte sind bei den gern Goethe zitieren, der einmal ausgebildet von der Universität in Technischen Universitäten größer. sehr präzise gesagt hat: »Es ist nicht die Industrie gehen, sind die Jung- Das liegt daran, dass die Ingenieur- genug zu wissen, man muss auch brunnen auch für die Innovation in wissenschaften viel produktnäher anwenden. Es ist nicht genug zu der Industrie. Noch ein konkretes arbeiten, und je näher Forschung wollen, man muss auch tun.« Die Beispiel, wie der Technologietrans- und Entwicklung am Produkt statt- Zeiten, da Universität und Industrie fer in Gang gekommen ist: Die Bio- finden, um so kostenintensiver sind sich eher skeptisch gegenüberstan- regio-Wettbewerbe – damit gab der sie. Ein Großteil der Naturwissen- den, sind vorbei. Es gibt praktisch damalige Forschungsminister schaftler unter den Frankfurter keine Berührungsängste zwischen Rüttgers wichtige Anstöße für die Hochschullehrern hat im Bereich Akademikern und Wirtschaft mehr. Vernetzung der Kooperation zwi- von strategischen Forschungspro- Der Wissenstransfer funktioniert, schen Universität und Wirtschaft in jekten der Industrie durchaus Kon- kann natürlich aber weiter verbes- Bereich dieser Zukunftstechnologie. takte. Diese Kooperationen müssen sert werden. Auf der anderen Seite nicht immer mit Projekten aus dem sollte man aber auch ganz klar die ? Technische Universitäten haben klassischen Forschungs- und Ent- Freiheit der Forschung als oberstes es sicher leichter, ihren Wissens- wicklungsbereich verbunden sein, Prinzip der Wissenschaft herausstel- vorsprung an Unternehmen wei- es gibt auch eine Vielzahl von Kon- len und eben – wie Immanuel Kant terzugeben; dazu tragen nicht takten im Sinne eines intellektuel- gesagt hat – die Nützlichkeit nur als nur die Forschungsthemen bei, len Austauschs.

76 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Forschung aktuell

? Herr Professor Offermanns, Sie al der Universität Frankfurt durch- Innovectis ist in dem Zusammen- haben lange Jahre die For- aus konkurrieren kann. hang ein gutes Werkzeug für die schungsgeschicke des großen Universität, weil dieses Unterneh- Frankfurter Chemiekonzerns ? Können Sie, Herr Dr. Schöller, men leichter Unternehmensbeteili- Degussa gelenkt und sich gleich- konkretisieren, was sich hinter gungen eingehen kann als die zeitig immer für den Dialog zwi- »Technologiedienstleistung« ver- Universität. schen der Goethe-Universität birgt, und ein Beispiel nennen? Ein mittelfristiges strategisches und den Unternehmen im Ziel der Innovectis ist es, im Bereich Rhein-Main-Gebiet engagiert. Schöller: Es geht zum einen um tra- Bioanalytik und Materialforschung Welche Motive stehen für Sie im ditionelle Aktivitäten im Bereich ge- zertifizierte Labore zu betreiben, die Vordergrund, wenn Sie sich für meinsame Forschungs- und Ent- auf einem anspruchsvollen Niveau den Technologietransfer aus der wicklungsprojekte. Dabei sollen In- der Industrie Analysedienstleistun- Hochschule so stark einsetzen? frastruktur-Ressourcen der Univer- gen anbieten. Durch das Angebot sität wie Geräte, Großgeräte und an hochqualifizierten jungen Absol- Offermanns: Forschung ist die Um- andere Hightech-Ausstattung ge- venten der Universität, die in diesen wandlung von Geld in Wissen und nutzt werden, um Innovationen in Labors – zumindest zeitweilig – ar- Innovation ist die Umwandlung von der Industrie voranzutreiben. Der beiten können, werden Analyse- Wissen in Geld. Was eine Invention, zweite Aspekt ist der Know-how- dienstleistungen auf einem Niveau also ein Forschungsergebnis ist, ent- Transfer: Bereits in der Universität angeboten, das der traditionelle scheidet die Scientific Community erarbeitetes Wissen soll dem indu- Dienstleister in der Industrie bislang oder das Patentamt, was eine Inno- striellen Verwertungsprozess über nicht realisiert. vation ist, entscheidet der Markt. In Patent- oder Lizenzpolitik oder ei- der Grundlagenforschung wird nem direkten Know-how-Verkauf ? Als Aufsichtratsvorsitzender von ständig Neuland betreten, werden zugeführt werden. Innovectis werden Sie sich ver- so viele neue Schneisen geschlagen mutlich nicht ins Alltagsgeschäft in den Wald des Unbekannten, dass ? Wie soll dieser Dienstleistungs- einmischen, Herr Prof. Offer- hier der Humusboden ist, auf dem sektor auf hohem Qualitätsni- manns; doch wenn es um die Innovationen erarbeitet werden veau in den nächsten Jahren können. Ich sehe eine reizvolle Auf- auf- und ausgebaut werden? gabe darin, auf der einen Seite Fährten zu suchen, wo in der Uni- Schöller: Es gibt seit kurzem ein Ge- versität erarbeitetes Wissen und meinschaftsunternehmen der Uni- vorhandenes Können industriell ge- versität Frankfurt mit der Firma nutzt werden können, und anderer- Henkel namens Phenion. Bei die- seits, wo die Industrie spezifische sem Modell einer zukunftsweisen- Kenntnisse der Universität verwer- den Zusammenarbeit zwischen In- ten kann. Hier möchte ich mit mei- dustrie und einer Hochschule wird nen Kenntnissen und Kontakten das moderne Know-how der Uni- katalytisch wirken. versität genutzt, um langfristig oder mittelfristig neue Produkte für das Prof. Dr. Heribert Offermanns (64) enga- giert sich für die Johann Wolfgang Ohne innovative Ideen und In- Unternehmen zu generieren. Die ? Goethe-Universität mit seinem umfas- ventionen kommt der Austausch senden Wissen aus Industrie und Mana- zwischen Universität und Indu- gement, Forschung und Entwicklung in strie nicht so recht in Schwung: verschiedenen Gremien und Funktionen: Im März 2001 wurde die Firma als Mitglied des Hochschulrats, in der Innovectis, eine hundertprozen- Lehre als Honorarprofessor im Fachbe- tige Tochter der Goethe-Univer- reich Chemische und Pharmazeutische Wissenschaften und als Aufsichtsrats- sität, gegründet. Wie unterschei- vorsitzender der Firma Innovectis, einer det sich dieses Konzept von dem hundertprozentigen Tochter der Univer- Wissenstransfer, wie er bisher be- sität. Der gebürtige Rheinländer studier- trieben wurde? te in Aachen Physik und Chemie; nach seiner Promotion (1966) ging er bereits Schöller: Die Innovectis ist gegrün- 1968 zu Degussa, zunächst in das For- det worden, um das Transferspek- Dr. Otmar Schöller (50) ist seit 1986 Re- schungszentrum von Degussa nach Han- ferent für Wissenstransfer an der au-Wolfgang. Es schlossen sich verschie- trum der Universität auszudehnen. Goethe-Universität. Im Juni 2000 über- dene Stationen im Bereich Forschung, Die Innovectis ist ein Dienstlei- nahm er zudem die Geschäftsführung Produktion und Technologie-Manage- stungsunternehmen der Universität der Innovectis GmbH, einer hundertpro- ment in Frankfurt, Antwerpen und New Frankfurt, wie auch schon dem zentigen Tochter der Frankfurter Univer- York an. Von 1976 bis 1.Januar 2000 vollen Namen dieser Firma – Gesell- sität zur Erbringung von Technologie- war Offermanns Vorstandsmitglied der schaft für innovative Technologien dienstleistungen. Schöller studierte an Degussa AG und im Vorstand Sprecher und F+E- Dienstleistungen – zu ent- der Technischen Hochschule in Aachen für Forschung und Entwicklung. Sechs und der Goethe-Universität Chemie und Jahre war Offermanns als Industriever- nehmen ist. Die Idee ist einfach: Wir Physik, hier promovierte er 1982. Er treter im Senat der Deutschen For- wollen am Markt und im Wettbe- übernahm 1978 –1981 und 1985 Lehr- schungsgemeinschaft (DFG); er ist Vor- werb mit anderen Dienstleistern be- aufträge im Fachbereich Medizin und ab sitzender des Bundesfachausschusses weisen, dass das innovative Potenzi- 1987 im Fachbereich Physik. Forschung und Innovation der CDU.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 77 Forschung aktuell

Festsetzung der Leitlinien geht, hindern, sondern additiv auch Patenten: Was bringt es für einen wird das junge Unternehmen si- durch eine eigenständige Finanzie- Wissenschaftler, das von ihm cher von Ihren Erfahrungen pro- rung von Personen und Geräten entwickelte Verfahren als Patent fitieren können. Wo sehen Sie umgesetzt werden können. anzumelden? die Vorteile eines mit der Univer- Dritter Punkt: Innovectis soll sität eng verbundenen, aber un- auch den Wissenschaftlern der Uni- Schöller: Es gibt einzelne Hoch- abhängigen Unternehmens? versität helfen, dass ihr geistiges Ei- schullehrer, die wissen, wie sie ihr gentum angemessen geschützt wird, erzeugtes Wissen schützen lassen, Offermanns: Die Innovectis ist in z.B. durch Patente; damit der Nut- und melden auf eigene Rechnung meinen Augen eine sehr vernünfti- zen über die Verwertung der Erfin- Patente an. Das ist legitim, da Pro- ge und zukunftsorientierte Grün- dung hinaus auch dem Erfinder fessoren freie Erfinder sind. In der dung der Frankfurter Universität in und der Universität zugute kommt. Universität Frankfurt stelle ich fest, der Rechtsform einer GmbH. Die In- Die GmbH-Form sagt natürlich, die dass ein Großteil der Erfindungen novectis sollte offensive und auch Gesellschaft soll Gewinne abwerfen. einfach in der Schublade liegen defensive Aufgaben übernehmen. Innovectis –Geschäftsführer, Auf- bleibt, weil es weder Geld noch ein Bei den offensiven Aufgaben denke sichtsrat und auch der Projektbeirat, ausgeprägtes Bewusstsein für ge- in dem erfahrene Industrievertreter werbliche Schutzrechte gibt. Wenn sitzen – kann dabei katalytisch wir- Professoren ihr Patent über die In- ken, Kontakte knüpfen und verstär- novectis abwickeln, bringt ihnen ken, sowie Vertrauen zwischen das erhebliche Vorteile: Viele büro- Hochschullehrern und Industrie kratische Arbeiten werden ihnen mehren. abgenommen. Sie haben auch die Möglichkeit, in anderen Kanälen als ? Wir reden ausschließlich über die den ihnen bekannten Verwertungs- Naturwissenschaften, doch wel- offensiven zu starten. Meine Fest- che Rolle können die Geistes- stellung ist: Hochschullehrer neh- und Sozialwissenschaften im men diesen Service gerne an. Wissenstransfer spielen? Die Universität führte mit Erfolg, Offermanns: Die Innovectis will auch zumindest bewusstseinsbildendem innerhalb der Universität dafür sor- Erfolg in den Naturwissenschaften, gen, dass Institute kooperieren, die einen Modellversuch zur Patentver- bisher eigentlich wenig Kontakte wertung über zwei Jahre durch. Die ich primär daran, Wissen und Kön- hatten – das sollte ausdrücklich Innovectis führt das Patentgeschäft nen der Universitäten volkswirt- nicht auf die Naturwissenschaften weiter und wird sich als Verwer- schaftlich zu nutzen – durch Ko- beschränkt sein. Die Geistes- und tungsagentur der südhessischen operation mit etablierten Firmen, Sozialwissenschaften haben in die- Hochschulen an der Patentoffensive aber auch durch die Kooperation sem Innovationsgeschehen eine des Bundesforschungsministeriums mit jungen Firmen oder durch Im- wichtige Rolle. Denn in dem Dialog beteiligen, nach der im Laufe von pulse zu Firmenneugründungen um Fortschritt, auch um die Janus- zwei Jahren Erfindungen aus den aus der Universität heraus. köpfigkeit von neuen Techniken, Universitäten verstärkt verwertet Als defensive Aufgabe, die ich für kommt auch diesen Fachbereichen werden sollen. ähnlich wichtig halte, sehe ich, die eine ganz konkrete Aufgabe zu: die Universität – die ja nun ganz klar Meinungsbildung über Notwendig- ? Was hat die Goethe-Universität die Aufgaben Forschung und Lehre keit, Vorteile, Verantwortbarkeit davon, wenn ihre Professoren und nicht Anwendung in ihren und auch Akzeptanz neuerer Tech- mehr Patente anmelden? Prinzipien verankert hat – davor zu nologien voranzutreiben. schützen, dass Centers of Excellen- Ein Beispiel aus der konkreten Schöller: Zum einen stärkt sie ihr ce, die über hochleistungsfähige Arbeit der Innovectis: bei Aufsichts- Renommee: Denn es ist unbestrit- Ausstattung verfügen, zu verlänger- ratssitzungen laden wir jedes Mal ten, dass der Besitz von Schutzrech- ten Werkbänken der Industrie wer- einen Wissenschaftler der Univer- ten einen Wert darstellt. Aber es ist den und dass Universitätsin- sität ein, der über sein Spezialgebiet auch ein finanzieller Vorteil: Wenn stitute zu Routinearbei- vorträgt, darunter sind häufig Juri- ich Schutzrechte besitze, kann ich ten für die Industrie – sten und Wirtschaftswissenschaftler. damit handeln, ich kann sie verkau- Kontakte und vielleicht noch So berichtete beispielsweise Herr fen, ich kann sie lizenzieren, und Scout-Funktion knüpfen zu zu günstigen Tari- Skiera über E-Commerce und Tech- das bringt Geld in die Universität. Know-how- Wirtschaft Schutz Wissenschaft fen – vereinnahmt nologietransfer. werden. Innovec- ? Haben Sie eine Vorstellung, wie- tis soll hier Mög- ? Zwei weitere zentrale Aufgaben viele Patente in den vergangenen lichkeiten schaf- von Innovectis sind bereits ange- fünf Jahren von Professoren der fen, dass diese klungen: die Vermarktung von Universität beim Deutschen oder Spin-Off-Förderung durchaus ge- Patenten und Hilfe bei der Grün- Europäischen Patentamt in wünschten Dienstlei- dung kleiner, hochspezialisierter München angemeldet und stungen Grundlagenfor- Hightech-Firmen durch junge schließlich anerkannt worden schung und Lehre nicht be- Wissenschaftler. Zunächst zu den sind?

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Schöller: Dazu kann ich nichts sagen; bessern soll. Vermutlich ist auch der ? Woran liegt es, dass Frankfurt mir ist nur bekannt, dass die Uni- Arbeitsmarkt hier mit dafür verant- bisher weniger erfolgreich ist als versität zur Zeit fünf Patente ange- wortlich, dass Absolventen der Hightech-Regionen in Bayern meldet hat, plus zwei internationale. Goethe-Universität eher einen An- und Nordrhein-Westfalen? Ist stellungsvertrag unterschreiben, als der Leidensdruck, der zu wirt- Offermanns: Das Anmelden und an eine Unternehmensgründung zu schaftlichen Umdenkens- und Halten von Patenten kann eine denken. Umstrukturierungsprozessen enorm teure Angelegenheit sein. Innovectis will Absolventen der führt, in der Rhein-Main-Region Es ist leicht möglich, dass ein Unter- Frankfurter Universität den Markt- noch nicht groß genug? nehmen zum Schutze des Know- zugang erleichtern: Gründer im hows auf einem speziellen Arbeits- Hightech-Bereich können über ei- Offermanns: DieRhein-Main-Region gebiet für Millionen-Beträge Paten- nen Anstellungsvertrag in der Inno- war und ist ein Zentrum der Ban- te anmeldet. Das kann die Univer- vectis für eine Übergangsphase bis ken, Unternehmensberatungen, sität nicht, auch nicht, wenn die In- zu typischerweise zwei Jahren La- Kommunikationsunternehmen und novectis mal ein Unternehmen ist, borressourcen der Universität nut- Dienstleistungen im weitesten Sin- das hoffentlich sehr profitabel ist. zen. So können die jungen Wissen- ne. So haben weder die Stadt Frank- Innovectis hilft insbesondere in den schaftler noch in der Universität ih- furt noch das Land Hessen die Not- Fällen, in denen sich Unternehmen re Produkte weiterentwickeln und wendigkeit gesehen, etwas zu tun, nicht oder noch nicht für das For- Marktpotenzial in einem gewissen um zusätzliche Arbeitsplätze in der schungsergebnis interessieren, diese Schutzraum testen, ohne eine eige- Industrie zu schaffen. Der Leidens- Patente im Alleingang anzumelden. ne Firma zu gründen. Die Randbe- druck war nicht stark genug – da dingung ist allerdings, dass sie ihre haben Sie schon Recht – wie etwa ? Die Förderung des wissenschaft- eigene Finanzierung mitbringen, al- in meiner Heimatregion Aachen, lichen Nachwuchses beim Ab- so Kosten, die sie verursachen, aus wo im Steinkohlebergbau mehrere sprung in die freie Wirtschaft liegt eigenen Quellen selber bezahlen. Es 10 000 Arbeitsplätze verloren gin- Ihnen, Herr Prof. Offermanns, hat den großen Vorteil, dass sie die gen. Auch die wenig technologie- auch als Mitglied des Hochschul- hohen Kosten einer Firmengrün- freundliche Haltung früherer hessi- rats der Goethe-Universität be- dung erst dann auf sich nehmen scher Landesregierungen war für sonders am Herzen, darauf ha- müssen, wenn sie zuversichtlich die Stärkung von Forschung und ben Sie mehrfach hingewiesen. sind, dass das junge Unternehmen Technologie, etwa die Errichtung Wie kann Innovectis jungen auch am Markt bestehen kann. Ich von Technologie-Zentren, nicht för- Existenzgründern helfen? kann mir durchaus vorstellen, dass derlich. Man kann den Eindruck ge- Stiftungen bereit sind, diese Über- winnen, dass die Notwendigkeit, Offermanns: Innovectis kann zu- gangsphase zwischen Universität neue Arbeitsplätze in Industrie und nächst mal helfen, indem sie dem und eigener Firmengründung mit- Wissenschaft zu fördern, nicht sehr potenziellen Firmengründer zeigt, zufinanzieren. Und langfristig ausgeprägt war. Gott sei dank hat wie er sein Know-how schützen könnte auch Innovectis in Vorlei- sich das grundlegende geändert, kann. Innovectis kann Kontakte zu stung treten und sich dann an den Frankfurt versteht sich zunehmend Partnern knüpfen, die die Invention gegründeten Firmen beteiligen. auch als Wissenschaftsstadt und – umsetzen wollen. Letztendlich muss man könnte vielleicht sogar den Innovectis auch über eine Palette ? Am Niederurseler Hang, in un- Slogan verwenden: Frankfurt – möglicher Geldquellen beraten – mittelbarer Nähe des naturwis- Herz der Technologie-Region Rhein- von Forschungsförderung der EU, senschaftlichen Campus Ried- Main. ◆ des Bundes und der Länder bis hin berg, soll in den kommenden zu Venture-Capital-Fonds. Jahren das FIZ – Frankfurter In- novationszentrum – entstehen. ? Im Umkreis der Darmstädter Wie lässt sich die Arbeit dieses Technischen Universität sind in Zentrums mit den Unterneh- den vergangenen Jahren einige menszielen von Innovectis ver- Spin-offs gelungen – besonders binden? im Umfeld Biotechnologie und graphische Datenverarbeitung. Schöller: Ich bin überzeugt, dass das Wie sieht es in Frankfurt aus? FIZ eine gute Gelegenheit für zwei Aktivitäten der Innovectis darstellt: Schöller: In Frankfurt hört man zu- Zum einen im Bereich Unterneh- mindest nicht von so vielen Grün- mensgründungen. Das FIZ stellt dungen. Ich schließe nicht aus, dass Flächen zu Sonderkonditionen für es aus der Universität heraus eine Gründungen im Bereich Bioche- ganze Anzahl von Gründungen im mie/Biotechnologie bereit – und das Hochtechnologie-Bereich gibt, die in unmittelbarer Nähe des natur- aber nicht in Frankfurt bleiben. Und wissenschaftlichen Campus. Zum das hat mit dem Umfeld in Frank- anderen bietet es auch Laborkapa- furt zu tun, das sich allerdings durch zitäten für Technologiekooperatio- das geplante Innovationszentrum nen zwischen der Universität und am Niederurseler Hang deutlich ver- der Wirtschaft an.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 79 Perspektiven »cebis« – Knowhow und Wissenstransfer für die Proteinforschung Infrarotspektroskopie zur Proteinuntersuchung als Dienstleistung für Industrie und Forschung

Proteine hat sich jedoch mit der Überdies kann die Bindung kleiner Kenntnis des menschlichen Ge- Moleküle, etwa potentieller Wirk- noms drastisch erhöht. Allein einige stoffe, an Proteine mit infrarotspek- 10 000 Proteine auf 60 000 und troskopischen Methoden ermittelt mehr belaufen sich die aktuellen und der Mechanismus dieser Bin- Schätzungen sind im menschlichen dung genau charakterisiert werden. Genom kartiert. Klassische struktur- Die Suche nach neuen, maßge- gebende Techniken wie die Kristal- schneiderten Medikamenten wird lographie oder die aufwändige dadurch erleichtert. Schließlich er- Kernresonanzspektroskopie liefern möglicht die Infrarotspektroskopie, hochaufgelöste Strukturdaten. Doch Strukturinformationen auch mit zunehmend sind Methoden gefragt, hoher Zeitauflösung zu gewinnen, die eine schnelle und detaillierte weil Reaktionen in »Echtzeit« ver- Infrarot-Halbleiter im Größenvergleich: Mit diesen Lasern, die Charakterisierung der Proteinstruk- folgt werden können. Bleiverbindungen als aktives Medium nutzen, kann Infrarot- tur ermöglichen wie etwa die Infra- »cebis« ist ein Geschäftsfeld von strahlung bei verschiedenen Wellenlängen erzeugt werden. rotspektroskopie. Innovectis. Das Team um Prof. Dr.

as Centrum für Bioanalytische DInfrarotspektroskopie »cebis« unter der wissenschaftlichen Lei- tung von Prof. Werner Mäntele bie- 0,3 0,3 tet unter dem Dach der Innovectis, dem Tochterunternehmen der Uni- 0,2 0,2 versität Frankfurt für Technologie- Absorption Absorption dienstleistungen, Knowhow aus 0,1 0,1 dem Bereich der Infrarotspektro- skopie zur Proteinuntersuchung für 0 0 Anwender aus Industrie und For- 30 30 schung. Das Leistungsspektrum von 40 40 »cebis« umfasst Auftragsanalytik 50 50 und Auftragsforschung sowie die 60 60 Erstellung von Machbarkeitsstudi- 70 70 en. Darüber hinaus werden Schu- 80 80 T/°C 90 1600 T/°C 90 1600 lungen, Fortbildungen und Bera- 1650 1650 tungen für Anwender in der Indu- 1700 Wellenzahl/cm–1 1700 Wellenzahl/cm–1 strie durchgeführt. »cebis« liefert auch spezielle, für innovative infra- rotspektroskopische Meßmethoden Intaktes Protein und ein Protein mit gezielten Mutationen im Vergleich: Die Infrarot- entwickelte Produkte an Nutzer aus spektroskopie offenbart ein völlig unterschiedliches Faltungsverhalten. Industrie und Forschungsinstituten. Kontakte zu regionalen Firmen, u.a. Sie ist aus mehreren Gründen Werner Mäntele nimmt eine lang- auf dem Gebiet der Sensorik, beste- besonders gut geeignet. Der Infor- jährige internationale Spitzenstel- hen bereits. mationsgehalt des Infrarotspek- lung auf dem Gebiet der Infrarot- Proteine, ihre Strukturen und ih- trums eines Proteins ist sehr hoch. bioanalytik ein und ist durch zahl- re funktionellen Eigenschaften ste- So lassen sich Angaben über die Se- reiche innovative Entwicklungen hen im Mittelpunkt zahlreicher ak- kundärstruktur einfach und schnell ausgewiesen. ◆ tueller biologischer und biochemi- ermitteln. Diese wiederum ermög- scher Studien, etwa zur Entwick- licht die Untersuchung von Faltung, lung neuer, wirksamerer Arzneimit- Strukturveränderungen und Stabi- tel. Bislang spielt jedoch nur ein ver- lität von Proteinen. Die Frage, war- schwindender Bruchteil davon in um Proteine manchmal nicht in ih- der (pharmazeutischen) Indus-trie re korrekte dreidimensionale Struk- eine Rolle, beispielsweise als Ziel tur gefaltet sind wie im Fall von oder »Wirkort« für Medikamente. Alzheimer oder BSE, kann ebenfalls Die Zahl der »interessanten« auf diese Weise untersucht werden.

80 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Perspektiven Henkel und die Universität Frankfurt eröffnen gemeinsames Biotechnologie-Unternehmen Phenion GmbH & Co. KG hat ihren Sitz auf dem Campus Riedberg

uf dem Campus Riedberg der fügte hinzu: »Wir profitieren in AUniversität Frankfurt hat die dieser Kooperation von der Ma- Phenion GmbH & Co. KG zu Beginn nagement- und Marketingkom- des Jahres ihre Geschäftstätigkeit petenz eines internationalen Un- aufgenommen. Das neu gegründete ternehmens. Mit Henkel wird es Unternehmen, an dem Henkel mit uns gelingen, unsere For- 70 Prozent, die beteiligten Professo- schungsergebnisse noch schnel- ren mit 20 Prozent und die Univer- ler und effizienter in die Praxis sität über Innovectis mit 10 Prozent umzusetzen«, stellt Prof. Rudolf beteiligt sind, beschäftigt sich mit Steinberg, Präsident der Univer- Molekularer Zellphysiologie. Ge- sität Frankfurt, fest. schäftsführer ist der bisherige Leiter Phenion hat seinen Sitz auf des Bereichs »Biochemie Haut« der dem Campus Riedberg, auf dem Henkel-Forschung, Dr. Thomas die Naturwissenschaften ange- Gassenmeier. Ziel ist es, Phenion in siedelt sind. Hier entsteht derzeit einem der modernste Biozentren einer der modernsten Univer- Deutschlands als Kompetenzzen- sitätsgelände Europas. Dem- trum für Biologische Forschung am nächst wird ein Neubau für die Markt zu etablieren. Physik errichtet; bereits im Bau Die Forschungsschwerpunkte befindet sich das Max Planck-In- liegen im Bereich der Zellbiologie stitut für Biophysik. Im fortge- der Haut und deren Beeinflussung schrittenen Planungsstadium durch Wirkstoffe. Die beteiligten sind ein Gründerzentrum, das Professoren der Fachbereiche Che- Forschungs- und Innovations- mie, Biochemie, Biologie, Medizin zentrum (FIZ) sowie ein Neubau und Pharmazie bringen ihre fachli- für das Geozentrum Hessen, in che Expertise in interdisziplinäre dem die Geowissenschaften Forschungsprojekte ein. Die Hen- ihren Platz finden werden. ◆ kel-Gruppe stellt Managementkom- petenz, Projektmanagement und si- chert die Finanzierung der geplan- ten Forschungsprojekte. Henkel ist ein weltweit tätiger Spezialist für Markenartikel und Technologien mit Tochterunternehmen in mehr als 75 Ländern. Das Unternehmen Blick in das neue Phenion-Labor auf dem Campus Riedberg. ist weltweit Marktführer bei Kleb- stoffen und Oberflächentechnik. Bei Wasch-/Reinigungsmitteln und Kosmetik/Körperpflege hält Henkel eine führende Position in Europa. »Die gezielte Interaktion zwi- schen Eigenforschung und For- schungskooperationen ermöglicht Henkel eine optimale Nutzung wis- senschaftlicher Erkenntnisse zur Entwicklung neuer innovativer Pro- dukte«, erläutert Dr. Ulrich Lehner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Henkel-Gruppe, zum Start von Phenion. »Für uns ist die Gründung von Phenion eine strategische Ent- scheidung für Innovation und Wachstum.« Prof. Rudolf Steinberg, Präsident der Goethe-Universität

Forschung Frankfurt 1–2/2002 81 Perspektiven Mekka der Geowissenschaften Hessisches Geozentrum an der Universität Frankfurt

n der Frankfurter Universität den. So wird der zur Zeit veraltete atmosphärischer Kenngrößen sind Awerden die Geowissenschaften Gerätepool des Fachbereichs durch wichtig in der Klimaforschung und in nächster Zukunft verstärkt in al- moderne Instrumente verstärkt. Da- bei der Beurteilung umweltrelevan- len geowissenschaftlichen Diszipli- rüber hinaus soll in einem neuen ter Stoffkreisläufe. Deren »Finger- nen vertreten sein: Die Fächer Me- Labor modernste Technik zur Er- print« im oberen Bereich der Erd- teorologie, physische Geographie, mittlung radiometrischer Fingerab- kruste wird wiederum in der physi- Geologie, Paläontologie, Mineralo- drücke und isotopischer Altersdatie- schen Geographie, der Mineralogie, gie/Kristallographie und Geophysik rung eingesetzt und mit der Beteili- der Geologie und der Paläontologie beschäftigen sich mit Forschungen gung an dem von der Universität erforscht. Zusammen mit der Geo- von der Stratosphäre bis zum Erd- geplanten Center for Scientific physik und Mineralogie werden kern. Die Forschungsaktivitäten Computing die Rechner-Infrastruk- Aufbau und Dynamik der Erdkruste werden in einem Geozentrum ge- tur des Fachbereichs auf den neue- erkundet, wobei der Erdmantel als bündelt, das laut Wissenschaftsmi- sten Stand gebracht werden. Wei- Ausgangsort und Motor von Vulka- nisterin Ruth Wagener bis spätestens terhin wird die Frankfurter atmos- nismus, Erdbeben und plattentekto- 2006 auf dem naturwissenschaftli- phärische Umweltforschung in das nischen Prozessen eine besondere chen Campus am Riedberg den zur Zentrum integriert. Rolle spielt – aus der Interpretation Zeit auf 18 Standorte verteilten geo- Im Gegensatz zu anderen Natur- seismischer Wellen können zum wissenschaftlichen Instituten eine wissenschaften untersuchen die Beispiel Aussagen über tiefe Struk- neue Heimstätte bieten soll. Geowissenschaften zeitliche Verän- turen bis hin zum Erdkern getroffen Geowissenschaftliche Forschun- derungen im System Erde, die über werden. Das geplante Forschungs- gen umfassen Beobachtungen im Beobachtung, Messung und Model- zentrum wird für Studenten der Gelände, Laboruntersuchungen lierung mit den Eigenschaften und Geowissenschaften sehr attraktiv und die numerische Simulation von der stofflichen Zusammensetzung sein, da sie entsprechend ihren Nei- Prozessen und Kreisläufen im Sys- der Geomaterie verknüpft werden. gungen eine »maßgeschneiderte« tem Erde. Unter dem Rahmenthe- Die vielfältigen Wechselwirkungen Ausbildung erhalten können. Die ma »Struktur und Dynamik der Er- erfordern dabei die intensive Zu- genannten Profilierungsrichtungen de« soll eine Profilierung in allen sammenarbeit der verschiedenen sind berufsrelevant, weil dabei ne- drei Bereichen vorangetrieben wer- Fächer: Messung und Modellierung ben der theoretischen Ausbildung praktische Erfahrungen im Umgang mit komplizierten Instrumenten, Computer- und Analysetechniken erworben werden, die in vielen Be- rufsfeldern gefragt sind. Die Konzentration in einem Zen- trum wird in den nächsten Jahren vom Land Hessen finanziell und von der Frankfurter Universität per- sonell unterstützt. Darüber hinaus soll die enge Zusammenarbeit zwi- schen dem Forschungsinstitut Senckenberg, den Geowissenschaf- ten und dem Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz ausgebaut werden. Im Verbund mit den ange- wandten Geowissenschaften in Darmstadt streben die mehr an der Grundlagenforschung orientierten Frankfurter Geowissenschaften in Südhessen ein »Mekka« der Geo- Die geowissenschaftliche Ausbildung in Hessen wird künftig in Frankfurt ihren zentralen Standort haben. ◆ Dort entsteht im Einvernehmen mit dem Land und den beteiligten Universitäten Frankfurt, Marbug und wissenschaften an. Gießen das Hessische Geozentrum. Dies gab Wissenschaftsministerin Ruth Wagner gemeinsam mit Vize- präsident Prof. Dr. Wolfgang Voit (Marburg), Präsident Prof. Dr. Stefan Hormuth (Gießen), Präsident Prof. Dr. Rudolf Steinberg (Frankfurt), und dem Direktor des Forschungsinstituts Senckenberg, Prof. Dr. Fritz Steininger, Anfang des Jahres bekannt (von links). Die traditionsreichen Standorte in Marburg und Gießen werden aufgelöst oder in andere universitäre Einheiten überführt. Mit der Ansiedlung des Geozentrums in Frankfurt eröffnen sich wissenschaftlich und räumlich – auf dem naturwissenschaftlichen Campus Ried- berg entsteht ein Neubau, der spätestens 2006 bezogen werden soll – vielversprechende Zukunftsperspek- tiven für die Geowissenschaften. Künftig werden nur noch die Universitäten Frankfurt und Darmstadt eine Der Autor geowissenschaftliche Ausbildung anbieten. Dabei arbeiten diese beiden Universität eng zusammen. Prof. Dr. Andreas Junge ist Geophysiker Ebenfalls intensive Beziehungen bestehen zum renommierten Forschungsinstitut Senckenberg in direkter im Fachbereich Geowissenschaften/Geo- Nachbarschaft. graphie.

82 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Perspektiven Comeback von Arabidopsis Internationales Forschungsnetzwerk wird in Frankfurt koordiniert

um Glück war Friedrich Laibach ten Formen bestimmter Protein- Z(1885–1967) neugierig.Vor rund familien aufweist. Die Bäckerhefe, 100 Jahren untersuchte der junge die Fruchtfliege Drosophila melanoga- Biologe am Botanischen Institut in ster und der Mensch sind in dieser Bonn im Rahmen seiner Promoti- Hinsicht weniger reichhaltig ausge- onsarbeit die Chromosomensätze stattet. von Pflanzen auf der Suche nach ei- Warum sind Pflanzen in man- nem besonders geeigneten experi- chen Aspekten so komplex? Die mentellen Objekt für die genetische vergleichenden Untersuchungen Zytologie. Sein Doktorvater war der des Proteoms der verschiedenen Or- als Begründer und Autor des gleich- ganismen wird in den kommenden namigen Lehrbuchs für Botanik Jahren zu starken Synergieeffekten (»Der Strasburger«) noch heute je- und damit zu einer bisher nie vor- dem Biologiestudenten gut bekann- stellbaren Dichte und Qualität von te Eduard Strasburger (1844 –1912). Erkenntnissen führen. In der Publikation, die der 22-jähri- Das neue Arabidopsis-Projekt ge Friedrich Laibach als alleiniger Autor 1907 veröffentlichte, identifi- als Anstrengung weltweiter zierte er das Ackerunkraut Arabi- Kooperation dopsis thaliana mit seinen fünf Wie bei anderen Organismen stellt Chromosomen als geeignete Pflanze die erste Phase der Genomsequen- für seine weiteren Untersuchungen. zierung und damit der Verfügbar- Wir wissen heute, dass er die Blü- keit der gesamten genetischen In- tenpflanze mit dem kleinsten Ge- formation einer höheren Pflanze nom ausgewählt hatte. Das Acker- nur die notwendige Basis für ein unkraut ließ Laibach fortan nicht ungleich komplexeres Folgepro- mehr los: Als Direktor des Botani- gramm dar. Dieses beinhaltet den schen Instituts an der Goethe-Uni- Schritt von einem theoretischen zu versität (1933 –1945) wurde er zum einem funktionellen Proteom, das Begründer der experimentellen heißt die Charakterisierung jedes Planck-Gesellschaft ist in Vorberei- Arabidopsis-Forschung, die seit ei- einzelnen der etwa 25 000 Proteine, tung. Die Koordinierung des deut- nigen Jahren ein furioses Comeback ihrer Eigenschaften und Rolle in der schen Netzwerkes und die enge Ab- feiert. Sie steht heute im Zentrum Pflanze sowie ihrer Wechselwirkun- stimmung mit den Aktivitäten in großer internationaler Forschungs- gen mit anderen Proteinen, Nukle- den USA und in anderen europäi- verbunde. insäuren, Liganden etc. Ein solches schen Ländern liegen bei Prof. Dr. umfassendes Programm ist deshalb Lutz Nover, Botanisches Institut der Das Arabidopsis-Genom als so vielversprechend, weil es mit Hil- Goethe-Universität, der mit seiner Beginn einer neuen Ära der fe der Bioinformatik zum ersten Mal Gruppe auch einen wesentlichen Pflanzenforschung möglich sein wird, eine virtuelle experimentellen Beitrag im AFGN Die Veröffentlichung der vollständi- Pflanze in ihrer Gesamtheit zu mo- leisten wird (http://www.bio.uni- gen Sequenz des Genoms von Ara- dellieren und – im besten Fall – Ver- frankfurt.de/botanik/mcb/AFGN/ bidopsis thaliana im Dezember 2000 änderungen, zum Beispiel als Reak- AFGNHome.html). Arabidopsis ist in der Zeitschrift »Nature« war das tion auf Umweltfaktoren, am Com- also nach vielen Jahren wieder in Ergebnis einer bisher beispiellosen puter vorherzusagen. Alle Experten das Zentrum von Forschung und internationalen Kooperation von sind sich einig, dass die Auswirkun- Lehre der Goethe-Universität Pflanzenforschern. Sie lieferte den gen der Erkenntnisse auf die Pflan- zurückgekehrt. ◆ Startschuss für die Analyse der zenforschung insgesamt, vor allem komplexen Proteinnetzwerke, die aber auf die Kulturpflanzenfor- dem Leben zugrunde liegen: der Or- schung, dramatisch sein werden. ganisation von Stoffwechsel, Signal- Diese notwendige Fortentwick- wandlung, Stressantwort, Wachs- lung ist in einem ehrgeizigen Zehn- tum und Entwicklung sowie Pro- Jahres-Programm von der National duktivität von Pflanzen. Aus der Science Foundation der USA (Plant bisherigen computergestützten 2010 Project) und von der Deut- Analyse der mehr als 25 000 Pro- schen Forschungsgemeinschaft tein-kodierenden Gene ergibt sich (Arabidopsis Functional Genomics Der Autor ein theoretisches Proteom von Ara- Network, AFGN) im Herbst 2001 Prof. Dr. Lutz Nover ist molekularer Zell- bidopsis, das in einzelnen Bereichen auf den Weg gebracht worden. Eine biologe am Botanischen Institut und Ko- eine erstaunliche und bisher un- umfassende Beteiligung von ver- ordinator des deutschen Arabidopsis- übertroffene Vielfalt von verwand- schiedenen Gruppen der Max- Netzwerkes.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 83 Werbung

84 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Gute Bücher Pionier der Quantenphysik Leben und Werk Werner Heisenbergs

um hundertsten Geburtstag von gelassener zu betrachten. ratorium in der Entwicklung der ZWerner Heisenberg (1901–1976) Besonders beeindruckt hat mich Atombombe erreichen. Dies ist be- legt der Spektrum-Verlag eine Jubi- Cassidys Auseinandersetzung mit kanntlich total misslungen. Auch läumsausgabe der 2001 erschiene- dem schwierigsten Teil einer jeden wird die Absicht von vielen Autoren nen Biographie des amerikanischen Heisenberg-Biographie, der Zeit des unter Berufung auf Bohr bestritten. Wissenschaftshistorikers David C. Nationalsozialismus. Ihm gelingt ei- Es gelingt Cassidy, die Wahrneh- Cassidy vor. Das umfangreiche Werk ne sehr differenzierte und einfühl- mungen und Erinnerungen der bei- greift auf eine sorgfältig zusammen- same Schilderung von Heisenbergs den Beteiligten so darzustellen, dass getragene und ausgewertete Quel- Leben in einem totalitären Regime, die Differenzen in der Sicht der bei- lensammlung zurück, ist aber trotz vielleicht auch deshalb, weil er auf den Physiker deutlich werden. der Materialfülle durchgehend gut eigene Erfahrungen in der McCar- Auch die weiteren Passagen über und meist spannend zu lesen. Dem thy-Ära zurückgreifen kann. Er die Zeit der Internierung in Farm Autor gelingt eine einfühlsame In- terpretation der Lebensdaten dieses großen Forschers. Mit großer physi- kalischer Sachkenntnis versteht es Cassidy, selbst Heisenberg-Schüler, auch schwierige Probleme anschau- lich zu machen. Heisenberg, der für seine Beiträge zur Quantenmecha- David C. Cassidy nik 1933 mit dem Nobelpreis für Werner Heisenberg. Physik ausgezeichnet wurde, wäre Leben und Werk, am 4. Dezember 2001 hundert Jah- Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2001, re alt geworden. ISBN: 3-8274-1116-5, In vier großen Abschnitten 786 Seiten, 25,51 Euro. zeichnet der Historiker Heisenbergs Leben nach. Daraus ergibt sich ein facettenreiches Bild der Pionierjahre der Quantenphysik. Gemeinsam mit anderen Forscherpersönlichkei- ten wie Niels Bohr und Wolfgang Pauli arbeitete er die Grundzüge der Quantentheorie aus, die das Natur- verständnis auf eine völlig neue Grundlage stellte. So illustriert die nach ihm benannte Unbestimmt- heitsrelation das fundamentale Prinzip des Zufalls in der Physik. Seine Kindheit und Jugend – ge- zeigt sehr überzeugend, dass Kom- Hall, die von der deutschen Kapitu- prägt durch den Ersten Weltkrieg promisse nötig waren, bei denen es lation über den Atombombenab- und die Revolutionswirren – ver- nicht einfach um Gut oder Böse, wurf auf Hiroshima bis Anfang 1946 brachte Heisenberg in München. sondern um ein Abwenden eines dauerte, und über den Wiederauf- Ausführlich schildert Cassidy die größeren Übels geht. Wie weit ein bau sind lesenswert. Pfadfinderaktivitäten; in dieser Zeit verbrecherisches Regime seine Un- In der Schilderung von Heisen- wurden viele Grundlagen für das tertanen unter Druck setzen kann, bergs physikalischen Arbeiten nach Denken und Fühlen des erwachse- wird an vielen Stellen deutlich. Für dem Krieg wird wiederum deutlich, nen Physikers gelegt. 1920 begann uns Nachgeborene ist es oft schwie- wie gut Cassidy es versteht, schwie- Heisenberg das Studium der Physik rig zu verstehen, wieso manche rige physikalische Probleme darzu- bei Arnold Sommerfeld. Dort lernte Einsichten, die für uns – nach der stellen. Mein zusammenfassendes er Wolfgang Pauli kennen, mit dem Katastrophe – nicht mehr anders Urteil: ein höchst lesenswertes Buch er ein Leben lang verbunden blieb. denkbar sind, nicht schon früher über einen wichtigen Abschnitt der Die Schilderung von Heisenbergs klar waren. Geschichte Deutschlands, der Ge- akademischer Ausbildung endet mit Cassidy schildert ein Gespräch schichte der Physik und über einen einer überraschenden Anekdote: von Werner Heisenberg mit Niels bedeutenden Forscher. ◆ Zwei Jahre vor seinem Durchbruch Bohr während des Krieges. Ich ken- zur Quantentheorie wäre der künf- ne die Schilderung aus der Sicht tige Nobelpreisträger um ein Haar von Carl Friedrich von Weizsäcker, Prof. Dr. Thomas Görnitz ist Professor für durch seine Doktorprüfung gefal- der damals auf Heisenberg gewartet Didaktik der Physik an der Goethe-Uni- len! Ein guter Grund für Studenten hatte. Er und Heisenberg wollten versität und war lange Jahre Mitarbeiter und Professoren, Prüfungen etwas mit Hilfe Bohrs ein weltweites Mo- von Carl Friedrich von Weizsäcker.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 85 Forschung aktuell Der Mönch im Garten Die Geschichte des Gregor Mendel und die Entdeckung der Genetik

n dem Buch beschreibt die Wis- mit seinen weltberühmten Züch- die Ergebnisse quantitativ aus. Er Isenschaftsjournalistin Robin Ma- tungsversuchen mit Pisum sativum, versicherte sich, dass die von ihm rantz Henig in einer romanartigen der Erbse. Im Februar und März verwendeten Pflanzen in Bezug auf Erzählung die Geschichte eines 1865 trug er seine Ergebnisse dem das zu untersuchende Merkmal Mannes, der zum leidenschaftlichen Naturforschenden Verein zu Brünn reinerbig waren; außerdem führte Erbsenzüchter und -zähler wurde: vor; eine schriftliche Publikation er umfangreiche Kontrollexperi- der Augustinermönch Gregor Jo- folgte. Mendel zeigte, dass die erste mente wie zum Beispiel Rückkreu- hann Mendel. Generation von Nachkommen stets zungen durch. Um zur damaligen Zeit zu höhe- gleichförmig erscheint (später als Mendel führte kein Tagebuch – rer Bildung zu gelangen, gab es für Uniformitätsregel bekannt gewor- zumindest ist keines überliefert – einen jungen, wissbegierigen Mann den), während sich bestimmte und auch die Korrespondenz mit mit beschränkten finanziellen Mit- Merkmale in der nachfolgenden anderen damaligen Wissenschaft- lern war bescheiden. Diese »Black Box« nutzt Henig zu einigen Speku- lationen, allerdings immer mit Wis- sen des Lesers. Die Autorin be- schreibt neben Mendels Lebensweg ausführlich die wissenschaftlichen Robin Marantz Henig Denkweisen der damaligen Zeit. Be- Der Mönch im Garten sonderes Augenmerk liegt dabei auf Die Geschichte des Gregor Mendel der Evolutionstheorie von Charles und die Entdeckung der Genetik Darwin. Spannend erzählt ist die Titel der amerikanische Originalausgabe »A monk in the garden. The lost and Geschichte der Wiederentdeckung found genius of Gregor Mendel, the der Mendel’schen Arbeit durch die father of genetics«, rivalisierenden Wissenschaftler Carl aus dem Amerikanischen von Erich Correns, Hugo de Vries sowie Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck, des jungen Erich von Tschermak. Argon Verlag, Berlin 2001, Der Mensch Gregor Mendel steht 374 Seiten, 20,41 Euro. jedoch im Vordergrund des Buches: Es fällt leicht, sich den dicklichen, freundlichen, bescheidenen, immer zu einem Scherz aufgelegten Men- del bei der Gartenarbeit oder in der teln nur einen Weg – den Gang ins Generation in gesetzmäßigen Ver- Bibliothek vorzustellen. Kloster. 1843 trat der in Heinzendorf hältnissen auf die Nachkommen Insgesamt ist das Buch gut re- (Mähren) als einziger Sohn von drei verteilen, und zwar im Verhältnis cherchiert. Einige wichtige Details Kindern eines Bauern geborene 3:1 bei einem dominant vererbten fehlen allerdings; so bleibt der Bie- Johann Mendel 21-jährig in das Merkmal und im Verhältnis 1:2:1 nenzüchter Johannes Dzierson un- Augustiner-Kloster St. Thomas in bei einem rezessiven Merkmal erwähnt, der die gesetzmäßige Auf- Brünn ein. Den Namen Gregor er- (Spaltungsregel). Dies setzt aller- spaltung von Merkmalen bereits vor hielt er erst bei seinem Eintritt in das dings voraus, dass die Merkmale Mendel bei Bienen beobachtete. Die Kloster. In der gut ausgestatteten unabhängig voneinander vererbt Autorin verzichtet weitgehend auf klostereigenen Bibliothek konnte werden. Mit der Wahl von Pisum Fachbegriffe – leider auch auf Abbil- Mendel nach Herzenslust das Wissen für seine Kreuzungsexperimente dungen und ein Personen- bzw. seiner Zeit studieren. Der damalige hatte Mendel Glück, denn die von Sachregister. Ein Trost: Auf einer Abt, Cyrill Napp, unterstützte ihn ihm eingehend untersuchten sieben eigenen Internet-Adresse dabei in jeder nur denkbaren Weise. Merkmale liegen, wie wir heute www.monkinthegarden.com können Im August 1850 fuhr Mendel nach wissen, fast alle auf verschiedenen einige Volltexte aus der Bibliogra- Wien, um sich an der Universität ei- Chromosomen. Damit untersuchte phie eingesehen werden. Dieses ner Zulassungsprüfung als Lehrer er voneinander unabhängig vererb- Buch ist weit mehr als nur die Bio- am Gymnasium zu unterziehen – te Merkmale. Die Züchtungsexperi- graphie eines »harmlosen Tüftlers«, und fiel durch. Dank Napps immer- mente machten Mendel welt- es beschreibt die Entstehungsge- währender Unterstützung konnte berühmt – allerdings erst nach sei- schichte eines Teilgebietes der mo- Mendel an der Universität in Wien nem Ableben; denn eine entspre- dernen Biologie: der Genetik. ◆ Naturwissenschaften, insbesondere chende Würdigung seiner Arbeiten Physik und Botanik, studieren. zu Lebzeiten blieb ihm versagt. Auch ein zweiter Anlauf im Jahre Wodurch hob sich Mendel von 1856, die Lehrerprüfung doch noch seinen Zeitgenossen ab? Mendel Dr. Thomas Langer ist wissenschaftlicher zu bestehen, misslang. 1854 kehrte führte erstmals systematische Un- Mitarbeiter am Institut für Biophysikali- er in das Kloster zurück und begann tersuchungen durch und wertete sche Chemie.

86 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Forschung aktuell Auf der Spur der »Spanischen Grippe« Gina Kolata über Killer-Viren, Pandemien und furchtlose Forscher

Im Jahr 1918 wütete nicht nur der außergewöhnlich hohen Anteil an gengewebe kann er nun zur Analy- Erste Weltkrieg, sondern zugleich zuvor kerngesunden Erwachsenen se und Rekonstruktion einem ande- eine mörderische Virusgrippe, die im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. ren Virusjäger übergeben, dem Mo- den ganzen Globus erfasste und sich Trotz oder wegen ihrer katastro- lekularbiologen Jefferey Taubenber- als eine der größten medizinischen phalen Folgen wurde die 1918er ger vom Washingtoner »Armed Katastrophen der Menschheitsge- Pandemie lange aus dem kollekti- Forces Institute of Pathology«. Die schichte herausstellen sollte. »Die ven und medialen Gedächtnis ver- effiziente Ein-Mann-Low-Budget- Seuche kam, als die Welt des Krieg- drängt, Identität und Herkunft des Expedition Hultins kontrastiert Ko- führens müde war, fegte in wenigen »Killer-Virus« blieben rätselhaft. Gi- lata mit einem aufwändigen und Monaten über den Erdball, ver- na Kolata arbeitet in ihrem Buch die Millionen teuren Konkurrenzunter- schwand, als der Krieg aufhörte. Sie Geschichte der Infektionen auf, er- nehmen, das ein interdisziplinäres ging auf ebenso mysteriöse Weise, zählt vom uralten Kampf gegen die Wissenschaftlerteam etwa zeitgleich wie sie gekommen war. In wenigen Seuchen und von den hart er- nach Spitzbergen führt, letztlich er- Monaten hatte sie mehr Menschen kämpften Erfolgen im 20. Jahrhun- folglos. Auch sonst stellt Kolata die dahingerafft als jede andere Krank- dert. Dabei macht sie den Leser ver- vielen Irrwege und Fehlschläge der heit in der Weltgeschichte«, schreibt traut mit dem Aufkommen von Hy- Wissenschaft in ihrem Streben nach die amerikanische Wissenschafts- gienestandards, dem medizinischen Aufklärung der Influenza anschau- journalistin Gina Kolata. In ihrem Fortschritt und der Entstehung der lich dar und lässt dabei die Forscher Buch »Influenza. Die Jagd nach Virologie, bis hin zur Entwicklung mit ihren Hoffnungen und Enttäu- dem Virus« erzählt sie die Geschich- moderner molekularbiologischer schungen zu Wort kommen. Trotz te dieser mörderischen Pandemie Methoden. Zahlreiche Wissen- der erfolgreichen Arbeiten am vira- und verfolgt die jahrzehntelangen schaftler werden als »Jäger des Kil- len Genom stehen am Ende des Bemühungen der Wissenschaftler, ihren Verlauf zu verstehen und den Verursacher zu finden. Der Autorin, die zuvor Mikrobiologie studierte und Beiträge zu medizinischen The- men für das Science-Magazine und die New York Times schrieb, ist da- mit – trotz einiger Längen und über- mäßiger Spannungsbögen – ein gut lesbarer Beitrag zu einem bisher vernachlässigten Thema gelungen. »Influenza di freddo«, Kälteein- Gina Kolata fluss, so wurde Mitte des 18. Jahr- Influenza, hunderts in Italien die allwinterli- Die Jagd nach dem Virus che Grippe genannt. Jeder kennt die S. Fischer Verlag, Ansteckung durch Tröpfcheninfek- Frankfurt a.M., 2001; ISBN 3-10-038320-6; tion und die folgende, meist harm- 352 Seiten; lose Atemwegserkrankung. Betrof- 20,40 Euro. fene können wenig mehr tun, als Schüttelfrost, Fieber, Husten und Niesen ermattet zu ertragen, wäh- rend die körpereigene Armee ihren gewöhnlich erfolgreichen Kampf gegen die viralen Eindringlinge aus- trägt. Doch manchmal entstehen durch genetische Änderungen üble Mutanten, die tödliche Epidemien oder gar Pandemien auslösen. Und die schlimmste von allen war jene lervirus« mit ihrem Werdegang und spannenden Buchs – wie in der ech- »spanische Grippe« 1918, die mit ei- Charakter vorgestellt: So der ten Wissenschaft – fast mehr Fragen ner gefährlichen Lungenentzün- »schwedische Abenteurer« Johan als Antworten. ◆ dung einherging: ein Fünftel der da- Hultin, ein Mediziner, der 1951 als maligen Weltbevölkerung war er- junger Mann und fast ein halbes krankt, und mindestens 20 Millio- Jahrhundert später als Pensionär nen Menschen auf der ganzen Welt den Erreger in Inuit-Leichen sucht, Stefan Kieß, Diplom-Biologe, ist redak- starben daran; andere Schätzungen konserviert im Permafrostboden tioneller Mitarbeiter am Institut für Bio- kommen auf 40 oder sogar 100 Mil- Alaskas. Erst die zweite Reise 1997 chemie II des Frankfurter Universitäts- lionen Todesopfer, mit einem ist erfolgreich: Das gefrorene Lun- klinikums.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 87 Gute Bücher Von Cicero bis Windscheid 600 berühmte Juristen im Profil

Was ist ein Jurist? Laut Duden: je- einen zahlreiche Universitätsprofes- en oder interpretierten es und sind mand, der Jura studiert, beziehungs- soren, darüber hinaus Staatsmän- deshalb eben Juristen. Von den weise das Jurastudium mit dem ner, Rechtsanwälte und Vertreter zahlreichen großen Vertretern der Staatsexamen abgeschlossen hat. anderer geisteswissenschaftlicher Jurisprudenz seien an dieser Stelle Doch diese Definition ist etwas kurz Disziplinen. Die Namen klingen Cicero, Friedrich Carl von Savigny, gegriffen, sie liefert recht wenig Er- dem rechtswissenschaftlich geschul- Franz von Liszt, Gerhard Anschütz kenntnisgewinn. Weiter führt dage- ten Ohr teils vertraut, teils exotisch. und Rudolph von Jhering exempla- gen ein Blick in das Werk »Juristen So wird der fachkundige Leser beim risch genannt. Ihren Lebensweg – Ein biographisches Lexikon – Von Durchblättern des Buchs sicher und den vieler anderer Rechtskun- der Antike bis zum 20. Jahrhun- zahlreiche »alte Bekannte« treffen. diger beschreibt das Lexikon. dert«, herausgegeben von Michael Der 1993 verstorbene Karl Larenz Die Beiträge sind historisch auf- Stolleis, das bei C.H. Beck nunmehr wäre hier ebenso zu nennen wie gebaut und vermitteln so einen gut- in zweiter Auflage erschienen ist. Gustav Radbruch, der Anfang der en Eindruck von der persönlichen Danach war der englische Staats- zwanziger Jahre Reichsjustizmini- Entwicklung des Beschriebenen. In theoretiker John Locke, der allge- ster unter Wirth und Stresemann den einzelnen Texten finden sich mein eher für philosophische Theo- war und nach 1945 die alte Heidel- zahlreiche Querverweise auf andere rien zur Gewaltenteilung als für Ju- berger Juristenfakultät wieder auf- Juristen, wodurch sich dem Leser risterei im heute gebräuchlichen baute. Dagegen werden Namen wie interessante Zusammenhänge eröff- Sinne steht, ebenso Jurist wie Inno- der des Franzosen Jean Bodin eher nen. Am Ende einer jeden Perso- nenbeschreibung sind weiterfüh- rende Literaturhinweise sowie eine Auswahl an Schriften des jeweiligen Juristen genannt. Insgesamt überzeugt das von Stolleis herausgegebene Werk durch Umfang, Prägnanz und Gründlich- keit der Recherche. Einziges Man- ko: Während sich die meisten Bio- Michael Stolleis (Hrsg.) graphien leicht und flüssig lesen, Juristen – sind einige stilistisch nicht so ausge- Ein biographisches Lexikon – feilt; holprige Formulierungen und Von der Antike verschachtelte Sätze hemmen den bis zum 20. Jahrhundert Lesefluss. Doch bei einem Werk die- 2. Auflage, ser Dimension muss der Herausge- Verlag C.H. Beck, München 2001, ber mit einer so großen Anzahl ISBN 3-406-45957-9, von fachkundigen, stilistisch unter- 719 Seiten, schiedlich versierten Autoren zu- 17,90 Euro. sammenarbeiten. Über 100 Verfas- ser haben hier nahezu 700 Seiten biographischen Text zusammenge- tragen. Unter ihnen finden sich namhafte Juristen unserer Zeit, wie beispielsweise Berthold Kupisch (Münster), Erik Jayme aus Heidel- berg und der Münchner Hans-Ge- org von Mutius. Sie haben mit ihrem Wissen unter der Leitung zenz IV., der den meisten zwar als nur Rechtshistoriker aufhorchen von Michael Stolleis als Herausge- strenger Papst, nicht jedoch als lassen. Michael Stolleis hat aber ber ein handliches Werk hervorge- hochbegabter Rechtsgelehrter be- nicht nur die juristischen Größen bracht, das in keiner juristischen kannt sein dürfte. unseres Kontinents in sein Lexikon Handbibliothek fehlen sollte und in Michael Stolleis, Professor für öf- aufgenommen, sondern den Blick dem es sich – entgegen dem übli- fentliches Recht und Neuere Rechts- auch intensiv auf fremde (Rechts-) chen Gebrauch eines Lexikons – geschichte an der Johann Wolfgang Kulturen, insbesondere die arabi- durchaus auch zum Zeitvertreib zu Goethe-Universität und auch Di- sche und asiatische, gerichtet. Die blättern lohnt. ◆ rektor des Frankfurter Max-Planck- erfasste Zeitspanne reicht von der Instituts für europäische Rechtsge- Antike bis zum 20. Jahrhundert. Im schichte, stellt in alphabetischer Ergebnis ist allen Genannten aber Holger Habich ist Jurist und befasste sich Ordnung mehr als 600 Juristen vor. eines gemein: Sie verstanden sich während seines Studiums in Heidelberg In diesem Lexikon finden sich zum im Umgang mit dem Recht, schuf- schwerpunktmäßig mit Rechtsgeschichte.

88 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Gute Bücher Auf Umwegen zu Förderern der Universität Über die Mäzene Georg und Franziska Speyer und die Geschichte der Speyer’schen Hochschulstiftung

Frankfurt war eine Stadt der Mäze- künstlerische und wissenschaftliche sität in Frankfurt gemacht war. Sie ne. Der Bankier Johann Friedrich Projekte in seiner Vaterstadt. Noch erkannten in der Akademie den Städel stiftete eine Gemäldegalerie vor der Inauguration der Akademie fruchtbaren Kern einer späteren und Kunstakademie, Frankfurter für Sozial- und Handelswissenschaf- größeren Entwicklung, wie es in ei- Bürger riefen die Senckenbergische ten, einer Vorgängerin der Univer- nem Pressebericht hieß. Naturforschende Gesellschaft ins sität, gab das Ehepaar eine Million Nach dem Tod ihres Mannes för- Leben, Mitte des 19. Jahrhunderts Mark in eine Studienstiftung. Der derte Franziska Speyer auch den entstanden dank des Engagements Ertrag der Stiftung sollte einer zu medizinischen Unterricht in der einzelner Privatpersonen die Zoolo- errichtenden Universität zugute Stadt. Sie stiftete das medizinische gische Gesellschaft, das Freie Deut- kommen. Dagegen erhob allerdings sche Hochstift und der Palmengar- das preußische Innenministerium ten. Alle diese Einrichtungen und Einspruch. Es verweigerte die Ge- Stiftungen werben bis heute welt- nehmigung der Stiftungssatzung weit für die Stadt am Main. mit dem Hinweis, dass eine Univer- Auch die Gründung der Frank- sitätsgründung seitens des Staates furter Universität wäre ohne den weder zu erwarten sei, noch einer Willen und vor allem ohne das Geld städtischen Gründung die Privile- privater Förderer nicht erfolgt. Da- für liefert der durch zahlreiche Ver- öffentlichungen zur Frankfurter Ge- schichte bekannte Autor Hans-Otto Hans-Otto Schembs Schembs in seinem Buch »Georg Georg und Franziska Speyer – und Franziska Speyer – Stifter und Stifter und Mäzene für Frankfurt am Main Mäzene für Frankfurt« einen Beleg. Herausgegeben von der Georg Schembs bietet in erster Linie eine und Franziska Speyer‘schen Geschichte der Speyer‘schen Hoch- Hochschulstiftung aus Anlaß schulstiftung. Das Buch sei denen ihres hundertjährigen Bestehens, Verlag Waldemar Kramer, zur Lektüre empfohlen, die Infor- Frankfurt am Main 2001, mationen über die Entstehung der ISBN 3-7829-0526-1, Hochschulstiftung suchen und we- 128 Seiten, 32 Abb., niger denen, die – verleitet vom 14,40 Euro. Buchtitel – lebendige Porträts von Franziska und Georg Speyer erwar- gierung gewährt würde. Georg Institut »Georg-Speyer-Haus« und ten. Speyer änderte daraufhin die Sat- protegierte Paul Ehrlich. Franziska Schembs legt seinem Text neben zung und formulierte: Die Stiftung Speyer hinterließ der Stadt ein Mil- den Akten der Hochschulstiftung wolle bestehende wissenschaftliche lionenvermögen. Mit dessen Hilfe Material aus dem Institut für Stadt- Institute und sonstige Einrichtun- konnte Oberbürgermeister Franz geschichte zugrunde. Seine Darstel- gen fördern, »welche auf den Uni- Adickes den Plan einer Universität lung wirkt reich an Details, ist aber versitäten dem Gebiete der philoso- realisieren. Fünf Jahre nach dem über lange Strecken beschwerlich phischen Fakultät angehören wür- Tod der Gönnerin nahm die Frank- zu lesen. Die Protagonisten bleiben den« (Brief vom 25. Juni 1901). Der furter Universität den Lehrbetrieb blass. Ihr Leben wird auf äußere Da- Regierungspräsident stimmte Ende auf. Neben der Franziska Speyer’- ten beschränkt, ihre Motivationen August 1901 der geänderten Sat- schen Studienstiftung waren neun kann der Leser nur erahnen. Der zung zu, und die Stiftung konnte ih- weitere Stiftungen an der Lehran- Band selbst ist hübsch gemacht, der re Wohltaten beginnen. stalt beteiligt. Die Stadt erhielt somit Text großzügig präsentiert und mit Aus Stiftungsmitteln finanzierte endlich eine richtige Hochschule Abbildungen illustriert. Das Buch das Ehepaar Speyer den Lehrstuhl mit fünf Fakultäten und Promoti- dient, wie der Untertitel verrät, als für Handelsgeographie und die Pro- onsrecht. Die Finanzierung der An- Festschrift aus Anlass des hundert- fessur für neuere Sprachen an der stalt erfolgte ohne Unterstützung jährigen Bestehens der Georg und Akademie für Sozial- und Handels- seitens des Staates. Die Stadt der Franziska Speyer’schen Hochschul- wissenschaften. Beobachtern der Mäzene bekam also die Universität, stiftung im Jahre 2001. feierlichen Eröffnung der Akademie die sie verdiente: eine Stiftungsuni- Georg Speyer (1835 –1902) war am 21. Oktober 1901 war klar, dass versität. ◆ Kaufmann und Bankier. Gemein- mit der Aufnahme des Lehrbetriebs sam mit seiner Frau Franziska in der Börsenstraße ein wichtiger Michael Maaser arbeitet als Historiker im (1844 –1909) förderte er soziale, Schritt zur Gründung einer Univer- Universitätsarchiv.

Forschung Frankfurt 1–2/2002 89 Werbung

90 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Gute Bücher »Wer den Tätern nach dem Munde redet, hat kein Ohr für die Opfer« Deutsche Medizin im Dritten Reich

»Wer den Tätern nach dem Munde er für seine Fernsehberichte mehr- sozialistischer Medizinverbrechen. redet, hat kein Ohr für die Opfer« – fach ausgezeichnet worden, darun- Verwundert reibt sich der aufmerk- Wie ein roter Faden zieht sich dieses ter mit dem Adolf-Grimme-Preis, same Beobachter der jüngeren For- selbstgewählte Motto durch das dem Fernsehpreis der Deutschen schungsliteratur zur NS-Medizin die neue Buch von Ernst Klee über die Akademie der Darstellenden Künste Augen, wenn er unter den Vertu- »Deutsche Medizin im Dritten in Frankfurt und dem Kurt-Ma- schern der NS-Medizinverbrechen Reich – Karrieren vor und nach gnus-Preis der ARD. in der Nachkriegszeit bei Klee über 1945«. Nach seinen weit über Der medizinhistorische For- den Namen des Historikers Michael Deutschland hinaus bekannt ge- schungsstand zur NS-Medizin ist Kater stolpert. Kein geringerer als wordenen Veröffentlichungen über national und international aner- dieser Autor, der durch seine kriti- »‚Euthanasie‘ im NS-Staat«, »Was kannt hoch und in den richtungs- schen und verdienstvollen Arbeiten sie taten, was sie wurden« und weisenden Arbeiten von Paul zum »Ahnenerbe der SS« und zu »Auschwitz, die NS-Medizin und Weindling, Michael Burleigh, Gotz anderen Themenbereichen der NS- ihre Opfer« legt der 1942 geborene Aly, Franz-Werner Kersting, Angeli- Medizin hohen Bekanntheitsgrad Klee nun eine weitere umfangrei- ka Ebbinghaus, Sabine Schleierma- erreicht hat, entwickelt 1968 im en- che und an ein breiteres Publikum cher, Peter Kröner und vielen ande- gen persönlichen Kontakt mit Wolf- gerichtete Publikation zur NS-Medi- ren sowie in zahlreichen Detailstu- Dietrich Wolff, dem persönlichen zin vor. Wer die bisherigen Werke dien dokumentiert. Klee nutzt die- Referenten von Wolfram Sievers, des Autors kennt, stößt auf bekann- sen Faktenreichtum für seine Dar- Geschäftsführer des SS-Ahnen- te, aber auch in der Öffentlichkeit stellung und ergänzt oder präzisiert erbes, juristische Entlastungsstrate- noch wenig bekannte Medizin-Ver- den Forschungsstand zu einem be- gien für eine anstehende Gerichts- brechen in der NS-Zeit. Er zeigt auf, merkenswerten Teil durch eigene verhandlung. Dies belegt Klee nun wie sie zustande kamen und nach Archivrecherchen. Dies gilt sowohl durch Quellenfunde. Wolff war wie 1945 vertuscht wurden. Im Zen- für die NS-Medizin bis 1945 als Sievers tief verstrickt in die Organi- trum der Darstellung stehen aber auch für die Karrieren ihrer Voll- sation der perfiden Holocaust-Ma- nicht nur skrupellose Mediziner, strecker und die kleinen wie großen schinerie in Auschwitz. Zusammen von denen viel zu viele 1945 ihre Karrieren nahezu bruchlos hatten fortsetzen können; auch die ver- hängnisvolle Rolle zentraler For- schungsinstitutionen, wie der Kai- ser-Wilhelm-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemein- schaft, bei Klee als »Deutsche Ver- tuschungsgemeinschaft« bezeich- net, wird nun erstmals offensiv thematisiert. Klees Buch wird im Klappentext vom Verlag als »Enthüllungsbuch« Ernst Klee charakterisiert und sicher dürften Deutsche Medizin seine neuen Quellenfunde viele im Dritten Reich, Diskussionen auslösen. Wie bei den Karrieren vor früheren Arbeiten fehlen allerdings und nach 1945 hinausweisende erkenntnisleitende S. Fischer Verlag, Fragestellungen oder wissenschafts- Frankfurt, 2001, ISBN 3-10-039310-4, historische Perspektiven. Diesem 416 Seiten, Anspruch will der Autor vielleicht 29 Euro. aber auch gar nicht gerecht werden. Ernst Klee, gelernter Heizungstech- niker und studierter Theologe und Vertuschungsversuche nach 1945. mit dem Verteidiger Wolffs, der über Sozialpädagoge, recherchiert und Zwar sind auch manche dieser Um- das Institut für Zeitgeschichte ein publiziert seit Jahren zur Geschichte stände bekannt und in der For- Gerichtsgutachten Katers anfordert, der NS-Medizin im Dritten Reich. schungsliteratur berücksichtigt, ge- wird der Plan entwickelt, Wolff le- 1997 wurde ihm für sein Buch legentlich stößt man dann aller- diglich zum Befehlsempfänger von »Auschwitz, die NS-Medizin und dings doch auf erstaunliche und bis- Sievers herabzustufen. Das Gutach- ihre Opfer« der Geschwister-Scholl- lang unbekannte Koalitionen beim ten wird schließlich auf dem Brief- Preis verliehen. Bereits früher war Versuch der Vertuschung national- papier des »Joseph E. Atkinson Col-

Forschung Frankfurt 1–2/2002 91 Gute Bücher

lege« verfasst, an dem Kater noch ren eine hervorragende Präsidial- schafft werden. Und genau diesem heute unterrichtet. Der Historiker kommission zur Erforschung ihrer Auftrag wird Klee gerecht, wenn er des Nazionalsozialismus als Berater NS-Vergangenheit ein. Auch die sich weniger als medizinhistorischer des Nazitäters? Dies lässt dem Leser Deutsche Forschungsgemeinschaft Schreibtischwissenschaftler sondern das Blut in den Adern erstarren. Das hat in einem großen Forschungs- als publizistischer Anwalt der Opfer Gericht hat sich in seinem Urteil projekt endlich eine rücksichtslose versteht. Es geht in seinem »Lehr- 1971 übrigens nicht durch das Ent- Aufarbeitung ihrer tiefen Verstri- buch« der NS-Vernichtungsmedizin lastungsgutachten beeinflussen las- ckung in die NS-Verbrechen in An- aber nicht nur um eine Geschichte sen, und sprach Wolff in 86 Fällen griff genommen. Dies findet bei Klee der medizinischen Verbrechen, son- der Beihilfe zum Mord schuldig. jedoch keine oder nur versteckt Er- dern auch um eine Nachgeschichte Kein Schelm, wer Böses dabei wähnung. Stattdessen gewinnt der des kollektiven Verdrängens und denkt, dass Kater in seiner Rezen- unbefangene Leser fälschlicherweise aktiven Vertuschens nach Ausch- sion des jüngsten Klee-Buches in den Eindruck, die medizinhistorische witz, nach Nürnberg. Klee zeigt auf der Frankfurter Rundschau hierzu Aufarbeitung der NS-Zeit stecke eindrucksvolle, bedrückende Weise, nichts verlauten lässt. noch ganz in den Kinderschuhen. dass die Täter von gestern nach Klee schreibe »gegen ein Netz Klees Bücher, das jüngste wie 1945 vielfach wieder hofiert und die von Vertuschungen« an, heißt es im auch die älteren Veröffentlichun- Opfer so noch einmal verhöhnt Klappentext des Buches; dies ist, wie gen, sind deshalb so wichtig, weil sie wurden. ◆ gezeigt werden konnte, einerseits Fakten öffentlich machen, die nach richtig, andererseits aber auch nur wie vor nicht hinreichend wahrge- Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart ist Direktor die halbe Wahrheit. Die Max-Planck- nommen werden. Denn wie anders des Instituts für Geschichte der Medizin Gesellschaft setzte bereits vor Jah- sonst kann den Opfern Gehör ver- an der Universität Heidelberg.

Der Duft der Verführung Vom ursprünglichsten Sinn des Menschen

nter den (angeblich nur) fünf nur, aber auch für Biologen – und die landlebenden Säuger die Super- USinnen, über die der Mensch natürlich für alle, die etwas mehr nasen unter den Tieren. Sie können verfügt, ist der flüchtige Geruchs- über die vielfältigen, geheimisvoll- nicht nur viele Düfte empfangen sinn sicher derjenige, der am wenig- sten und allermenschlichsten Eigen- und unterscheiden, sondern ebenso sten auffällt. Spätestens aber seit Pa- heiten (Coco Chanel) des Riechens viele – bestärkt durch ihr warmes trick Süsskinds »Das Parfum« sind und des Geruchs »erlesen« wollen. Blut – aussenden. Ihr Urin stellt da- wir gewarnt: Die Macht des Ge- Gleich vorne weg: Das Buch hat bei eine wahre Geruchsgoldgrube ruchs kann Urgewalt über einen keine einzige Abbildung – ein Man- dar. Viele Bestandteile sind sogar Menschen erlangen. Riechen ist gel, der an manchen Stellen detail- beliebte Geschmacksstoffe von evolutiv gesehen der älteste und lierter Beschreibung, zum Beispiel Fleisch und Gewürzen; zum Bei- wichtigste Sinneseindruck, mit dem von zellulären Strukturen, schmerz- spiel in Maggi, Salami, Fisch etc. Der Wirbeltiere ausgestattet wurden. lich bewusst wird, sich aber durch Urin männlicher Tiger stinkt er- Das ursprüngliche Riechhirn (in- Watsons spannende und informati- bärmlich – natürlich nur für unser zwischen zum limbischen System ve Art der Darstellung (wenn auch Geruchsempfinden, weshalb diese »ausgebaut«), das die koordinative mit kleineren Fehlern bei Zahlenan- Großkatzen im Sanskrit Viagra Verarbeitung dieser Umweltinfor- gaben) wieder verflüchtigt. Auch (übersetzt »Stinker«) heißen, was mation leisten musste, entwickelte gibt es keine Geruchs-»Bilder«. So interessante semantische Bezüge sich anfangs zu einer (Vorderhirn-) bleibt es unserer individuellen Fan- zur Behandlung von Impotenz auf- Größe, die angesichts unseres in- tasie überlassen, Carl von Linnés zeigt. zwischen unterentwickelten Riech- Systematik der Düfte (auch das hat Wir sind aber auch sonst nicht vermögens kaum mehr vorstellbar er peinlich geordnet!), die Watson besser als die Tiere: Die nackten ist. Offensichtlich war es damals als grobe Kapiteleinteilung dient, Hautpartien des Menschen, insbe- noch möglich, sich großhirnlos geruchlich zu einem Bild zu formie- sondere die Faltenregionen der durchs Leben zu riechen. ren: Fragrantes, Hircinos, Ambrosia- Achsel und der Schamregion, sind Gibt es Spannenderes, als etwas cos, Nauseosos, Aromaticos, Tetros mit ihren Schweiß-, Talg- und apo- Alltägliches zu entdecken, das wir und Alliaceos. Im Gegensatz zu den krinen Drüsen geradezu fantasti- zwar im wahrsten Sinne des Wortes Farben sind eindeutige Geruchsdefi- sche Produzenten von Gerüchen, in der Nase haben und dennoch nitionen nicht möglich. Gerüche die Europäer und Afrikaner entwe- nicht kennen? Am besten geht dies, bleiben vage, schwammig, individu- der nicht (mehr) riechen oder mit wenn wir mit der Nase in das The- ell und meist auch mit Wertungen Duftwässerchen aller Art zu über- ma getunkt werden: Auch Riechen belastet. Denn oft genug stinkt dem decken suchen. Der Asiat, zu 90 kann man mit den Augen, wie uns einem, was dem anderen ein Wohl- Prozent ohne solche Achseldrüsen Lyall Watson in seinem biologischen geruch ist. (die zehn Prozent, die Achseldrüsen Lesebuch erfahren lässt. »Der Duft Weil Luft sehr viel mehr Geruchs- haben, können sogar vom Wehr- der Verführung« ist ein Buch nicht stoffe zu bieten hat als Wasser, sind dienst befreit werden – igitt!?), fin-

92 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Gute Bücher det uns Europäer geruchlich auch reitschaft und Dominanzstatus etc. Noch mehr über den Inhalt des dementsprechend unattraktiv. Der aufzunehmen, die körpertypische Buches zu verraten, hieße, das Japaner bezeichnet uns als bata-ku- Reaktionen auslösen (können). Bei selbstständige Lesen überflüssig zu sai, was unschmeichelhaft, aber uns liegt es sehr versteckt in der Na- machen. Das war und ist nicht das ehrlich »Butterstinker« heißt und senschleimhaut, knapp zwei Zenti- Ziel dieser Rezension. Im Gegenteil: von Linné geruchlich als tetrosisch meter hinter der Nasenöffnung und Sie sollen auf den Geschmack – par- bezeichnet wurde. Andererseits ent- öffnet sich mit zwei feinen Löchern don, auf den Geruch – kommen. hält der Achselschweiß ganz offen- sichtlich sexuell Stimulierendes – wer kennt nicht die Bedeutung von achselschweißgetränkten Taschen- tüchlein in der »menschlichen Balz«? Watson gibt dazu herrliche Beispiele! Der Mundgeruch des Männchens – bei uns wohl kaum ein sexuell sti- mulierendes Agens – bringt beim Lyall Watson Schwein als intersexuell wirkendes Der Duft der Verführung, Das unbewusste Riechen Duft(Phero)hormon die Weibchen und die Macht der Lockstoffe, so außer Kontrolle, dass sie in Se- aus dem Englischen von Yvonne Badal, kundenschnelle in Paarungsbereit- S. Fischer, Frankfurt am Main, 2001, schaft erstarren, was der Biologe ISBN 3-10-089406-5, Lordose nennt. Wen wundert’s, dass 288 Seiten, 19 Euro. Schweinezüchter dieses Parfüm stets in handlichen Spraydosen zur Verfügung haben. Wie gerne hätten es wohl auch die Anwender von Viagra! Undenkbar? Nein, entspre- chende Angebote gibt’s natürlich. Das bisher nur selektiv und bei- spielhaft Beschriebene wird natür- lich nicht allein von der Nase gelei- stet, die vor allem auf die Analyse in die Nasenöffnung. Bis in die neu- Diese Lektüre werden Sie nicht be- von leichten und – zumindest beim este Zeit blieb das Organ – insbeson- reuen und Ihre Nase (inklusive das Menschen – bewussten Gerüchen dere beim Menschen – unentdeckt hoch interessante Jacobson-Organ) ohne festgelegte intrinsische Bedeu- oder unbeachtet. Nicht nur die Lage und deren Funktion ganz neu be- tung ausgerichtet ist. Ein weiteres, ist kryptisch, auch seine Funktion. trachten! Also: Augen auf! ◆ nicht nur für Säugetiere typisches Sie bleibt der bewussten Wahrneh- Sinnesorgan, das Jacobson-Organ mung verborgen, zeitigt aber gleich- (inzwischen auch für Homo sapiens zeitig doch sehr gravierende und unstrittig), ist hingegen darauf spe- hoch interessante Wirkungen. Auch Prof. Dr. Roland Prinzinger arbeitet als zialisiert, spezifische Informationen darüber informiert Watson ausführ- Stoffwechselphysiologe am Zoologi- über Geschlecht, Fortpflanzungsbe- lich und fachkompetent. schen Institut.

Vom Mann als Jäger und einsamen Genie – und Barbies, die nicht rechnen können Hat der Feminismus die Naturwissenschaften verändert?

onda Schiebingers viel beachte- lautet. Tatsächlich haben feministi- sionalisierung der wissenschaftli- Ltes Buch schildert die Situation sche – also politische – und nicht chen Disziplinen und der Trennung von Frauen in den Naturwissen- weibliche Forderungen die Natur- von Erwerbs- und Hausarbeit im schaften. Dabei geht es ihr nicht wissenschaften beeinflusst. Schie- 18. Jahrhundert wurde die Beteili- darum nachzuweisen, wie es der Ti- binger beginnt mit einem kurzen gung der Frauen an den Naturwis- tel des Buches suggeriert, dass Frau- historischen Überblick über die Rol- senschaften extrem eingeschränkt. en anders forschen, vielmehr geht le und die Bedeutung von Frauen in Schiebingers Anliegen ist es, nicht sie der Frage nach: »Hat der Femi- den Naturwissenschaften, bei dem nur die Diskriminierung der Frauen nismus die Naturwissenschaften deutlich wird, dass der Ausschluss in den Naturwissenschaften aufzu- verändert?«, wie auch der Original- der Frauen nicht von Beginn an zeigen, sondern auch zu untersu- titel der amerikanischen Ausgabe feststand. Erst im Zuge der Profes- chen, welche Bedeutung der Aus-

Forschung Frankfurt 1–2/2002 93 Forschung aktuell

schluss der Frauen für die Naturwis- nen der Naturwissenschaften selbst Die größten Veränderungen in den senschaften und das menschliche dar, in der es Frauen schwer haben, Naturwissenschaften konnten von Wissen im Allgemeinen hatte. für sich einen Platz zu finden. Alle den Primaten-Forscherinnen er- Die viel beklagte Diskriminierung Ebenen der Ausbildung und des Be- reicht werden. Sie veränderten z. B. der Frau, die sich in der geringen rufes sind ausgesprochen an Männ- den Blick auf das Verhalten von Pa- Anzahl der Wissenschaftlerinnen, lichkeitsentwürfen orientiert. Schie- vianen und stellten fest, dass das ihrem Gehalt, ihrer wissenschaftli- binger spricht von einer starken Bild von den fürsorglichen Weib- chen Reputation usw. niederschlägt, Dichotomie der »Kultur der Natur- chen und den dominanten Männ- belegt Schiebinger mit zahlreichen wissenschaften« und der »Kultur chen schlicht falsch war. Sie sahen Studien, die sich vor allem auf die der Frau«, wobei sie deutlich auf die plötzlich auch dominante, aggressi- Verhältnisse an amerikanischen soziale und kulturelle Hervorbrin- ve Weibchen, die die männlichen Universitäten beziehen, aber im gung von Weiblichkeit verweist und Forscher nicht wahrgenommen Prinzip auch für den deutschen Wis- biologistische Deutungen zurück- hatten. Die Schiebinger-Rezensentin senschaftsbetrieb gelten. Die femini- weist. Ulrike Winkelmann weist jedoch stischen Forderungen, die Diskrimi- Dennoch hat der Feminismus die kritisch darauf hin, dass der femini- nierungen durch Förderprogram- Naturwissenschaften beeinflusst, stische Einfluss der Frauen tragi- scherweise ausschließlich in den so- zialen und kulturellen Bereichen der Naturwissenschaften funktio- niert, und kommt zu der pointierten Aussage: »Je weicher, desto Frau«. Das Buch gibt einen guten Über- blick über die Studien der Frauen- forschung der vergangenen 20 Jah- re, erscheint aber streckenweise oberflächlich und ein wenig gestrig. Zu sehr wird die Gegenüberstellung Londa Schiebinger der Kulturen beschworen und zu Frauen forschen anders. wenig das mögliche kritische femi- Wie weiblich ist die Wissenschaft? nistische Potenzial gegenüber den C. H. Beck Verlag, Inhalten und der Verantwortung München 2000, ISBN 3-406-46699-0, der Naturwissenschaften themati- 324 Seiten, siert. Dazu trägt auch die schlechte 19,90 Euro. Übersetzung bei, die das Vokabular der deutschen Geschlechterfor- schung konsequent ignoriert, die sogar die männliche Mehrzahl dann wählt, wie z. B. Soziologen, Ärzte, Studenten, wenn nur feministische Wissenschaftlerinnen oder Studen- tinnen gemeint sind. Dennoch sind Bücher, wie dieses von Londa Schiebinger, von großer me, durch Qualifizierungs- und insbesondere durch neue Fragestel- Wichtigkeit, nicht nur, um die Be- Quotierungsversuche zu beseitigen, lungen. In der Medizin stellten Wis- nachteiligung von Frauen in den blieben letztendlich ebenso erfolglos senschaftlerinnen fest, dass die me- Naturwissenschaften aufzuzeigen. wie die Pipeline-Modelle der Nach- dizinischen Studien zu Herzkrank- Es ist von größter Bedeutung, die wuchsförderung für Frauen, die be- heiten ausschließlich an männlichen Wissenschaftskritik weiter zu pfle- reits in der Schule das Interesse der Probanden durchgeführt worden gen; das gilt besonders für das The- Mädchen für die Naturwissenschaft waren, die Ergebnisse aber gleicher- ma Gentechnik, wo es für den Laien und Mathematik stärken sollten. maßen für Frauen gelten sollten. In schwer erkennbar ist wo wissen- Den Grund für das Scheitern der der naturwissenschaftlich-orientier- schaftliche Profilierungssucht be- Frauenfördermodelle sieht Schie- ten Archäologie konnten geschlech- ginnt und gesellschaftliches Verant- binger in den tiefsitzenden struktu- terstereotype Deutungen der For- wortungsbewusstsein endet. Hier rellen Mustern der Diskriminierung, schungsergebnisse von feministi- haben sich feministische Wissen- die bei der geschlechtsspezifischen schen Wissenschaftlerinnen dekon- schaftlerinnen profiliert, indem sie Kindererziehung und Schulbildung struiert werden. So wurden Grab- einen kritischen Blick auf die Er- beginnen. Barbie, Amerikas Sinn- beilagen in Gräbern von Männern kenntnisse der Naturwissenschaften bild für Hyperweiblichkeit, so Schie- und Frauen zuvor unterschiedlich für alle öffnen konnten. ◆ binger, sprach 1992 ein Repertoire gedeutet. Ein Stößel im Grab eines fertiger Sätze. »Mathe ist schwer« Mannes galt als ein Beweis dafür, war ihr erster Satz, den 800 Millio- dass er die Werkzeuge hergestellt Elisabeth von Stechow ist Sonderpädago- nen kleine Mädchen hörten. Das hatte, während die gleiche Grabbei- gin. Sie arbeitet im Bereich Pädagogische größte Problem jedoch stellt die lage bei der Frau mit ihrer hausfrau- Frauenforschung am Institut für Allge- männliche Kultur in den Institutio- lichen Tätigkeit begründet wurde. meine Erziehungswissenschaften.

94 Forschung Frankfurt 1–2/2002 Werbung

Forschung Frankfurt 1–2/2002 95 Vorschau/Impressum/Bildnachweis

Die nächste Ausgabe von »Forschung Frankfurt« erscheint Mitte Juli 2002 Stammzellen – faszinierende Multitalente

Stammzellen sind Mutter- oder Funktion zusammenschließen, gibt Meisterzellen, aus denen sich alle es viele Entwicklungsstadien. Zellen eines Organismus ableiten. Stammzellen sind das Schwer- Sie zeichnen sich durch zwei Fähig- punktthema der nächsten Ausgabe keiten aus: Sie können sich unbe- von Forschung Frankfurt. Wissen- grenzt vermehren und hoch diffe- schaftler und Wissenschaftlerinnen renzierte Nachkommenzellen pro- der Goethe-Universität erklären, was duzieren. Am Anfang der Entwick- Stammzellen sind, wie sie gewon- lung eines Säugerorganismus steht nen und für welche Zwecke sie ein- eine einzige Stammzelle, die be- gesetzt werden können. Darüber fruchtete »totipotente« Eizelle. Aus hinaus werden ethische und gesell- dieser Mutter aller Stammzellen schaftliche Probleme thematisiert. Embryonale Säugerstammzellen: Unter entwickeln sich mehr als 200 unter- Neben diesem spannenden Schwer- geeigneten Kulturbedingungen differen- schiedliche Zelltypen des menschli- punktthema warten weitere interes- zieren sich die Stammzellen in die drei chen Organismus. Zwischen der to- sante Themen auf Sie. Lassen Sie Embryonalgewebe Endoderm, Ektoderm und Mesoderm. Diese entwickeln sich tipotenten Stammzelle und den aus- sich überraschen. dann weiter zu spezialisierten Körper- differenzierten Zellen, die sich zu zellen. einem Organ mit einer bestimmten Ihre Redaktion

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Impressum Titelbild: Fotokomposition aus Fotos Seite 36, 37 von iserundschmidt, Kreativagen- tur für PublicRelations GmbH, Bad Honnef. Herausgeber Editorial: Foto von Uwe Dettmar, Frankfurt. Der Präsident der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Inhalt: Hinweise bei den jeweiligen Beiträgen. Nachrichten: Fotos Seite 4 von Dettmar; Foto Seite 5 von Bouloumié; Foto Seite 6 Redaktion oben von Rüterjans, Foto Seite 6 unten, von Venter. Ulrike Jaspers und Monika Mölders, Forschung intensiv – Erwerbstätige Mütter: Alle Illustrationen Elmar Lixenfeld, Referentinnen für Wissenschaftsberichterstattung, Frankfurt; Autorenfoto Seite 10 von Christian Büchi, Frankfurt. Senckenberganlage 31, Raum 1053, 60054 Frankfurt am Main Forschung intensiv – Pflegeversicherung: Alle Fotos: epd-Bildarchiv, Evangelischer Telefon (069)798-23266, Telefax (069) 798-28530 Pressedienst, Frankfurt; Autorenfoto Seite 20 von Büchi; alle Grafiken von E-Mail: [email protected] und [email protected] Eisen/Mager. Forschung intensiv – Zentralafrika: Fotos Seite 22 von Runge; Bild Seite 23 aus: Vertrieb Whitmore 1983, Der Tropische Regenwald, Seite 12, reproduziert mit freundlicher Ingrid Steier, Senckenberganlage 31, Genehmigung von Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg; Grafik Seite 25 oben 60054 Frankfurt am Main, Raum 1052, Telefon (069)798-22472 verändert nach Parrish et. al. (1982): Rainfall patterns and the distribution of coals E-Mail: [email protected] and evaporites in the Mesozoic and Cenozoic. – Palaeoegeography, Palaeoclimatolo- gy, Palaeoecology, 40: 67–101; Foto Seite 26 oben von Runge, Foto Seite 26 un- Anzeigenverwaltung und Druck ten von EOSAT; Grafiken Seite 24, 25 unten, 27, 28 von Runge; Autorenfoto Seite Anzeigenagentur Alpha, Informationsgesellschaft mbH, 28 von Büchi. Finkenstraße 10, Postfach 14 80, 68623 Lampertheim, Forschung intensiv – System Erde: Fotos Seite 36, 37 von iserundschmidt, Kreativ- Telefon (06206)939-0, Telefax (06206) 939-232 agentur für PublicRelations GmbH, Bad Honnef. Forschung intensiv – Die vereinigten Platten von Europa Illustrationen, Layout und Herstellung Foto Seite 30 aus Schwarzbach 1986, The father of continental drift, S.56; schreiberVIS, Visuelle Gestaltung, Joachim Schreiber, Grafik Seite 31 von Franke; Seite 32 oben von Franke; Foto Seite 32 von Prof. G. Villastraße 9A, 64342 Seeheim, Katzung, Greifswald; Grafik Seite 33 aus: Tait et al. 1996; Autorenfoto Seite 34 Telefon (06257) 962131, Telefax (06257) 962132, ISDN-Leo (06257) 962133, von K. Frese. E-Mail: [email protected], Internet: www.schreibervis.de Forschung intensiv – Universitätsgeschichte Abb. 1 aus: Denis Brian, Einstein. A Life, New York u.a.O. 1996; Abb. 2 vom Insti- Graphisches Konzept tut für Geschichte der Naturwissenschaften der Goethe-Universität, Sammlung Elmar Lixenfeld, Büro für Redaktion und Gestaltung Wolfgang Trageser; Abb. 3 aus dem Universitätsarchiv der Goethe-Universität; Werrastraße 2, 60486 Frankfurt am Main Abb. 4 aus dem Universitätsarchiv der Goethe-Universität; Abb. 5 Privatbesitz Telefon (069) 7075828, Telefax (069) 7075829, E-Mail: [email protected] Wolfgang Trageser, Frankfurt; Abb. 6: aus: Max Born, Die Relativitätstheorie Ein- steins, Springer-Verlag, Berlin 2001; Abb. 7 Physikalische Blätter 25 (1969), Bezugsbedingungen S. 344; Abb. 8 vom Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Goethe-Uni- »Forschung Frankfurt« kann gegen eine jährliche Gebühr von 14 Euro abonniert versität, Sammlung Wolfgang Trageser; Abb. 9 aus der Max-Born-Bibliothek, Fach- werden. Das Einzelheft kostet 3,50 Euro. Einzelverkauf u.a. im Buch- und Zeit- bereich Physik, Goethe-Universität; Abb. 10 aus dem Universitätsarchiv der Goethe- schriftenhandel in Uni-Nähe und beim Vertrieb. Universität; Abb. 11 aus dem Besitz von Prof. Hartner (Wolfgang Trageser dankt ihm für den Hinweis auf dieses Bild); Foto Seite 43 von Jan Jacob Hofmann, Die Beilage »Forschung Frankfurt extra« erscheint zur Buchmesse im Oktober und Frankfurt, Autorenfoto Seite 46 von Büchi. wird kostenlos mit der vierten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins geliefert. Forschung aktuell: Fotos Seite 48 und 49 von Dettmar; Foto Seite 51 von Oliver Weiner, Offenbach; Fotos Seite 53 u. 54: epd-Bildarchiv, Evangelischer Presse- Für Mitglieder der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolfgang dienst, Frankfurt; Foto Seite 55 von Gedenk; Grafik Seite 56 von Gedenk; Fotos und Goethe-Universität Frankfurt am Main e.V. sind die Abonnementgebühren für Grafiken Seite 57 u. 58 von Ursula Voss; Grafik Seite 59 von Brodt; Foto Seite 59 »Forschung Frankfurt« im Mitgliedsbeitrag enthalten. von Pressestelle des Universitätsklinikums Frankfurt; Fotos Seite 61 von Starzinski- Powitz; Grafiken Seite 63 und 64 von Eckert. Hinweis für Bezieher von »Forschung Frankfurt« Perspektiven: Grafik Seite 66 vom Archiv Gerstenberg, Historische Bilder und (gem. Hess. Datenschutzgesetz): Für Vertrieb und Abonnementverwaltung von »For- Dokumente, Wietze; Bilder Seite 67 u. 68 vom Max-Planck-Institut für Hirnfor- schung Frankfurt« werden die erforderlichen Daten der Bezieher in einer automati- schung, Frankfurt; Foto Seite 70 vom DIZ Dokumentations- und Informationszen- sierten Datei gespeichert, die folgende Angaben enthält: Name, Vorname, Anschrift, trum München, SV-Bilderdienst; Fotos Seite 71 u. 72 dpa-Bildarchiv, Frankfurt; Bezugszeitraum und – bei Teilnahme am Abbuchungsverfahren – die Bankverbin- Zeichnung Seite 73 von Lixenfeld; Foto Seite 74 von Büchi; Fotos Seite 76 bis 79 dung. Die Daten werden nach Beendigung des Bezugs gelöscht. von Dettmar; Grafiken Seite 80 von Mäntele, Frankfurt; Fotos Seite 81 von Hof- mann; Foto Seite 82 von Hofmann; Bild Seite 83 von D. Weigel, San Diego, P. Die Beiträge geben die Meinung der Autoren wieder. Der Nachdruck von Beiträgen Döring, Frankfurt ist nach Absprache möglich. Vorschau: Foto Seite 96 von Dr. Yorgos Nikas, Agentur Focus.

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