Plenarprotokoll 19/84

Deutscher

Stenografischer Bericht

84. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 25: Dr. (FDP) . 9928 B Unterrichtung durch die Bundesregierung: Thomas Bareiß, Parl. Staatssekretär Rahmenprogramm Gesundheitsforschung BMWi. 9929 A der Bundesregierung Sebastian Münzenmaier (AfD). 9930 B Drucksache 19/6221. 9919 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . 9931 C , Bundesministerin BMBF. 9919 B (DIE LINKE). 9933 B Dr. Götz Frömming (AfD) . 9920 C (BÜNDNIS 90/ René Röspel (SPD). 9922 B DIE GRÜNEN). 9934 A (Südpfalz) (FDP) . 9923 D (CDU/CSU). 9935 B Dr. (DIE LINKE). 9924 B Dr. Marcel Klinge (FDP) . 9936 A (BÜNDNIS 90/ Sebastian Münzenmaier (AfD). 9937 A DIE GRÜNEN). 9925 B Gülistan Yüksel (SPD). 9937 D (CDU/CSU). 9926 B (FDP). 9938 C Dr. (SPD) . 9927 B Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU). 9939 B

Tagesordnungspunkt 26: Tagesordnungspunkt 24: Antrag (Augsburg), Agnieszka a) Antrag der Abgeordneten Dr. Marcel Brugger, Dr. , weiterer Ab- ­Klinge, Michael Theurer, Roman Mül- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ ler-Böhm, weiterer Abgeordneter und DIE GRÜNEN: Feministische Außenpolitik der Fraktion der FDP: Nationale Touris- konsequent umsetzen – Gewalt und Diskri- musstrategie mittelstandsfreundlich ge- minierung überwinden, Geschlechterge- stalten – Bürokratie abbauen rechtigkeit und Menschenrechte weltweit Drucksache 19/7899. 9928 A verwirklichen b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 19/7920. 9940 C Ausschusses für Tourismus zu dem An- (BÜNDNIS 90/ trag der Abgeordneten Kerstin Kassner, DIE GRÜNEN). 9940 C Dr . Gesine Lötzsch, Dr. Petra Sitte, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE (CDU/CSU). 9941 D LINKE: Nationale Tourismusstrategie (AfD). 9943 B sozial-ökologisch gestalten Drucksachen 19/7120, 19/7956. 9928 A Michelle Müntefering, Staatsministerin AA. 9945 A II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Renata Alt (FDP). 9945 D Dr. (FDP) . 9958 A (DIE LINKE). 9946 D Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 9958 B (CDU/CSU). 9947 D Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU). 9958 C Dr. (SPD). 9948 D (SPD). 9959 C Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 9949 D (CDU/CSU) . 9950 C Tagesordnungspunkt 28: (SPD) . 9951 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Petr Bystron (AfD). 9951 D schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten , Sabine Zimmermann (Zwickau), , weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tagesordnungspunkt 27: Armut in Deutschland den Kampf ansagen a) Antrag der Abgeordneten Dr. , Drucksachen 19/1687, 19/7131 . 9960 C Leif-Erik Holm, , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der Angelika Glöckner (SPD). 9960 C AfD: Gleichstellung von Fahrzeugen, (AfD). 9961 B die mit synthetischen Kraftstoffen oder Biokraftstoffen angetrieben werden, mit Dr. (CDU/CSU). 9962 B Elektrofahrzeugen (FDP) . 9963 B Drucksache 19/6007. 9952 B (DIE LINKE). 9964 A b) Antrag der Abgeordneten , , , weiterer Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 9965 A Technologieoffene Förderung alternati- Dr. (SPD). 9965 D ver Antriebe Drucksache 19/7902. 9952 B (Chemnitz) (CDU/CSU). 9966 D Dr. Dirk Spaniel (AfD). 9952 C Nächste Sitzung . 9968 C Dr. Hermann-Josef Tebroke (CDU/CSU). 9953 C Daniela Kluckert (FDP) . 9954 C Anlage 1 (SPD). 9955 B Entschuldigte Abgeordnete. 9969 A Dr. Dirk Spaniel (AfD). 9956 B Jörg Cezanne (DIE LINKE). 9956 C Anlage 2 Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 9957 A Amtliche Mitteilungen. 9970 B Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019 9919

(A) (C)

84. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Claudia Roth: gerade auch in die Gesundheitsforschung weiter inves- Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kolle- tieren und sie noch weiter vorantreiben will. Denn Ge- gen! Die Sitzung ist eröffnet. sundheit ist das Wichtigste, was wir in unserem Leben haben. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf haben wir Ich möchte Sie darüber informieren, dass der Ältes- unser neues Rahmenprogramm Gesundheitsforschung tenrat sich in seiner gestrigen Sitzung darauf verständigt aufgelegt. Deutschland muss in der Gesundheitsfor- hat, wegen des gesetzlichen Feiertags am Freitag, dem schung international spitze sein. Das sind wir den Men- 8. März, die Frist für die Einreichung der Fragen zur schen in unserem Land schuldig. Dabei ist eine exzellen- mündlichen Beantwortung in der Sitzungswoche vom te Behandlung das eine. Im besten Fall können wir sogar 11. März auf Donnerstag, den 7. März 2019, 10 Uhr, zu Krankheiten verhindern. verlegen. Sie sind damit sicher einverstanden. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Beispiel Krebs: Wir haben gerade die Nationale Deka- de gegen Krebs gestartet. Zehn Jahre lang mobilisieren (B) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: wir alle Kräfte, um Krebs besser zu verstehen, um Krebs (D) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- zu verhindern und um Krebs zu heilen. Ich bin sicher: gierung Wir werden in den nächsten zehn Jahren große Schritte nach vorne machen. Aber nicht nur im Kampf gegen den Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Krebs, auch wenn das in Deutschland die gefürchtetste Bundesregierung Krankheit ist. Die häufigsten Todesfälle verursachen in Drucksache 19/6221 Deutschland Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber auch an Stoffwechsel-, Lungen- und Infektionskrankheiten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- leiden Millionen Patienten. Gleichzeitig breiten sich schätzung (f) Antibiotikaresistenzen aus. All dies haben wir im Blick, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wenn wir die Anstrengungen in der Gesundheitsfor- Ausschuss für Gesundheit schung weiter verstärken wollen. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss Digitale Agenda (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus- ordneten der SPD) sprache 38 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich Unser Grundprinzip: Wir nutzen alle Ressourcen, auch keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. und gerade die neuen technischen Möglichkeiten. Wie? Das Wort hat die Bundesministerin Anja Karliczek. – Erstens. Wir binden die Patienten in die Forschung Frau Karliczek, Sie haben das Wort. ein. Das ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht über Patientinnen und Patienten zu forschen, son- ordneten der SPD) dern mit ihnen. Auch die Angehörigen, die Hausärzte und die Pflegekräfte werden von Anfang an in die Forschung eingebunden. Denn wie ein Mensch seine Krankheit er- Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und lebt, wie er Therapien verträgt, das ist nicht nur für den Forschung: Einzelnen wichtig. Diese Erfahrungen können auch die Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolle- Forschung voranbringen. ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland hat einen guten Ruf. Hier gibt es Damit das gelingt, bringen wir zweitens Forschende, exzellente Ärzte und Pflegekräfte. Hier gibt es wirksame Ärzte und Patienten zusammen. Dafür haben wir in un- Therapien und Medikamente. Hier gibt es herausragende serem Land die Deutschen Zentren der Gesundheitsfor- Forschende. Und hier gibt es eine Bundesregierung, die schung gegründet. Die bestehenden Zentren werden wir 9920 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Bundesministerin Anja Karliczek (A) in den kommenden Jahren weiter ausbauen. In Zukunft stellen den Menschen in den Mittelpunkt und treiben per- (C) werden wir aber noch weitere Schwerpunkte setzen: sonalisierte und digitalisierte Forschung voran. 2,5 Milli- arden Euro stecken wir als Bund pro Jahr in die Gesund- Der erste ist Kinder- und Jugendmedizin. Kinder und heitsforschung. Allein aus meinem Haus kommen davon Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen, die man mehr als 2 Milliarden Euro. einfach mit einer geringeren Medikamentendosis behan- deln kann. Deswegen brauchen wir hier gezielte For- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schung und damit ein neues deutsches Forschungszen­ ordneten der SPD) trum für Kinder- und Jugendgesundheit. 2 Milliarden Euro, die wir institutionell oder durch För- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) derprogramme in die Gesundheitsforschung stecken. Wir machen in meinem Haus nicht viele Gesetze, dafür aber Zweitens nehmen leider auch die psychischen Krank- umso mehr segensreiche Förderprogramme, damit wir heiten zu. Auch hier gilt es, die Ursachen besser zu erfor- auch in der Gesundheitsforschung international weiter schen. Nur wenn wir die Ursachen kennen, können wir mit an der Spitze stehen. auch mehr dagegen tun. Deshalb errichten wir auch ein Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit. Denn Fortschritt für die Gesundheit der Menschen in Deutschland, das ist unser gemeinsames Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Gesundheitszentren sind auch für den dritten Punkt entscheidend: neue Therapien schneller raus aus Vizepräsidentin Claudia Roth: dem Labor, ran an das Krankenbett zu bringen. Denn Vielen Dank, Anja Karliczek. – Nächster Redner: Gesundheitsforschung nutzt den Menschen nur dann, Dr. Götz Frömming für die AfD-Fraktion. wenn sie bei ihnen ankommt. Deswegen wollen wir in (Beifall bei der AfD – Stefan Müller [Erlan- der Nationalen Dekade gegen Krebs beispielsweise min- gen] [CDU/CSU]: Innovativ wäre es, wenn destens vier weitere Standorte des Nationalen Centrums wir heute einmal Vorschläge hören würden für Tumorerkrankungen errichten. Hier setze ich auf Ihre von der AfD!) Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Viertens. Wir nutzen neue Technologien: neue mo- Dr. Götz Frömming (AfD): lekularbiologische Methoden, die Digitalisierung, die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen künstliche Intelligenz. Technologien, die ganz neue Be- und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Vielen Dank (B) handlungsmethoden ermöglichen, individuell, für jeden für diesen Bericht. Er wurde uns schon im Novem- (D) Einzelnen. Das ist eine Riesenchance, und wir werden ber 2018 zugeleitet. Es war also ausreichend Zeit, sich sie nutzen. damit zu beschäftigen. Heute debattieren wir darüber. So (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ist das gut. ordneten der SPD) Gestern allerdings hat der Bundestag im Eilverfahren Fünftens. Wir schauen über den Tellerrand hinaus. über mehrere Grundgesetzänderungen abgestimmt, Unsere Forschung leistet auch einen gewichtigen Bei- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im trag für Menschen in Entwicklungsländern. Ebola ist verfassungsrechtlichen Verfahren!) uns allen noch ein warnendes Beispiel. Wir dürfen nicht einfach zusehen, wie Menschen an Infektionskrankhei- die er so in dieser Form noch nie gesehen hat und die erst ten wie Ebola sterben, wenn wir das verhindern können. am Abend zuvor zugeleitet worden sind. Wir brauchen dringend neue Medikamente, Impfstoffe und Diagnoseverfahren. Und diese müssen auch unter (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer den besonderen Bedingungen in Entwicklungsländern [CDU/CSU]: Können Sie das nicht verstehen, einsetzbar sein. Wir forschen gemeinsam mit den betrof- oder wollen Sie das nicht verstehen? – Abg. fenen Ländern und verbessern die medizinische Versor- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU] meldet gung vor Ort. Auch das gehört zu unserer Verantwortung. sich zu einer Zwischenfrage)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsidentin Claudia Roth: der SPD) Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Liebe Kolleginnen und Kollegen, fast täglich lesen wir in der Zeitung über neue Ansätze für Therapien Dr. Götz Frömming (AfD): gegen Krebs, gegen Alzheimer, auch gegen seltenere Nein, ich möchte geschlossen zu Ende führen. Erkrankungen wie zum Beispiel Mukoviszidose. Je- der Fortschritt im Kampf gegen diese heimtückischen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weil Krankheiten ist ein Schritt zu einem besseren Leben. Das Sie wissen, dass Sie Unsinn erzählen, lassen zeigt, wie wichtig es ist, dass wir auch zukünftig weiter Sie keine Zwischenfrage zu! Unfassbar, was intensiv in die Gesundheitsforschung investieren. Sie hier erzählen! Hören Sie auf, zu lügen!) Unser neues Rahmenprogramm nimmt die neuen Meine Damen und Herren, wundern Sie sich bitte Möglichkeiten des technologischen Fortschritts auf. Wir nicht, lieber Herr Kollege, dass die Bürger da draußen – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9921

Dr. Götz Frömming (A) und ich mache mir die Formulierung nicht zu eigen – in- Dr. Götz Frömming (AfD): (C) zwischen das Wort „Demokratieinszenierung“ verwen- Richtig. Ich komme jetzt gerne dazu, wenn ich darf. den. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So, es (Widerspruch bei der CDU/CSU sowie bei geht weiter mit den Lügen! – Zuruf des Abg. Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) SES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-­ Brömer [CDU/CSU]: Das hätten Sie gern!) Einleitend heißt es im Bericht der Bundesregierung zur Gesundheitsforschung – ich zitiere –: Und genau das ist es, was Sie gestern getan haben. Wir werden … den Standort Deutschland in der (Beifall bei der AfD) Gesundheitsforschung an die internationale Spitze führen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das klingt ja erst einmal gut, meine Damen und Herren, Würden Sie bitte zum Thema der Debatte kommen? es bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass Deutsch- land derzeit nicht zur internationalen Spitze gehört. Wenn Dr. Götz Frömming (AfD): man sich die internationalen Rankings zu den weltweit In der Einleitung des Berichts der Bundesregierung besten Universitäten im Bereich der medizinischen For- heißt es schung anschaut, dann stellt man fest, dass die ersten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie er- deutschen Universitäten – je nach den gewählten Indi- zählen hier groben Unfug! – Zurufe von der katoren – erst ab Platz 40 oder noch später auftauchen. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, das war einmal anders, und – beruhigen Sie sich, Sie müssen sich das anhören – es muss auch wieder anders werden. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD) NEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der Hinweis, der an dieser Stelle dann oft kommt: „Wir Eigentlich nicht! Unglaublich!) haben doch unsere Forschungszentren wie Max-Planck unter der vielversprechenden Überschrift „Unsere Missi- und andere“, ist hier ein oft bemühter, aber eben auch nur on“ – ich zitiere – – schwacher Trost. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz von einer Dele- Sie lassen keine Zwischenfrage zu! Lassen gationsreise berichten, die wir mit dem Ausschuss an das (B) Sie eine Zwischenfrage zu! – Gegenruf von NIH gemacht haben; das ist das größte amerikanische (D) der AfD: Nun regen Sie sich ab da drüben! – Zentrum für Gesundheitsforschung. Dort hatten wir ein [AfD]: Unglaublich!) Gespräch mit dessen Vizepräsidenten, der sich bei uns dafür bedankte, dass wir ihm so viele gute Doktoranden – Ich zitiere aus dem Bericht zu diesem Thema. Schein- schicken, die dort arbeiten und bestens ausgebildet und bar habe ich einen wunden Punkt getroffen, sonst würden hoch professionell sind. Aber sie bleiben in der Regel Sie sich hier nicht so aufregen. dort. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Angst (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Stimmt doch vor der Auseinandersetzung! Unglaublich! – gar nicht! – Stephan Albani [CDU/CSU]: Zuruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) Das stimmt doch überhaupt nicht! – Michael ­Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt Vizepräsidentin Claudia Roth: schon wieder nicht!) Jetzt hat Dr. Frömming das Wort. Ich bitte Sie, zum Thema der Debatte zu reden. Die jungen Leute haben uns gefragt: Was tut ihr denn, dass wir wieder zurückkommen können? – Wir konnten ihnen leider nicht viel sagen, da wir hier derzeit haupt- Dr. Götz Frömming (AfD): sächlich eine Einbahnstraße haben. Vielen Dank. Ich hoffe, das kommt zu meiner Zeit dazu. (Stephan Albani [CDU/CSU]: Quatsch! Das war mal so!) Zum Thema. Wir müssen dafür sorgen, dass aus dieser Einbahnstra- (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Ja, genau! Zum ße, dem vielgerühmten Braindrain, eine Straße wird, die Thema! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE wieder in beide Richtungen befahrbar ist, dass also gute GRÜNEN]: Mal sehen, was zu dem Thema Leute zu uns zurückkommen. noch kommt!) (Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Stichworte hierzu sind im Programm genannt: So, noch einmal: Bitte, liebe Kolleginnen und Kolle- Forschungsförderung, Innovationsförderung und Struk- gen, Herr Dr. Frömming hat jetzt das Wort. Es geht um turförderung, dazu die Förderung des wissenschaftlichen ein bestimmtes Thema. Ich bitte Sie, Herr Dr. Frömming, Nachwuchses und die Etablierung attraktiver Karrie- dazu zu reden. rewege. Insofern richtet sich das Gesundheitsforschungs- 9922 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Dr. Götz Frömming (A) programm auch an die Länder; denn sein Erfolg hängt lassen. Wir haben seit Monaten darüber diskutiert, ob es (C) in nicht geringem Maße davon ab, wie die Länder ihre in Deutschland möglich ist, dass der Bund Schulen finan- Hochschulen in Position bringen. Ein Hochschulpakt für ziell unterstützt. die Jahre nach 2020 ist ja in Aussicht gestellt, aber über (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist seine Zielrichtung und Finanzierung wird noch gestrit- das!) ten. Da ist eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit gewe- Sowohl an den Universitäten als auch an den außer- sen, im Bundestag, im Bundesrat. Das Verfassungsorgan universitären Forschungseinrichtungen gibt es für Nach- Vermittlungsausschuss hat vorgestern die Entscheidung wuchsforscher eine hohe Zahl an befristeten Stellen mit getroffen, sodass hier darüber abgestimmt werden konn- oftmals sehr kurzen Befristungszeiten. Das ist ein grund- te. Sie haben diese Entscheidung übrigens mitgetragen, sätzliches Problem, meine Damen und Herren, das auch stellen sich aber jetzt hier hin und kritisieren das als un- damit zu tun hat, dass diese Einrichtungen oftmals nicht demokratisch. wissen, ob die ihnen von uns befristet gewährten Projekt- mittel auch noch ein zweites oder drittes Mal bewilligt (Dr. [AfD]: Das wurde ab- werden. gelehnt!) Sie werden in Kürze feststellen: Durch die gestrigen Alle Bürgerinnen, alle Bürger sind aufgerufen, sich in Beschlüsse wird sich dieses Phänomen jetzt auch noch der Mediathek des Bundestages die gestrige Diskussion auf die Schulen ausweiten. Wir werden sehen, dass auch anzuschauen – dort nur befristete Verträge für Systemadministratoren usw . vergeben werden können. Die Menschen wissen Vizepräsidentin Claudia Roth: dann aber nicht, ob sie diesen Arbeitsplatz behalten kön- Darf ich Sie trotzdem bitten, zum Thema Gesund- nen, weil die Länder hier selbstverständlich keine dauer- heitsforschung zu kommen. haften Zusagen machen können.

( [CDU/CSU]: Fake René Röspel (SPD): News, Herr Kollege!) – ich reagiere nur – und das wirklich als Propaganda Die Bundesregierung muss sich insgesamt fragen las- zu entlarven. sen, wie glaubwürdig ihr Programm ist. Haben die Ko- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der alitionsparteien und auch die FDP in den vielen Jahren CDU/CSU) ihrer jeweiligen Regierungsbeteiligung nicht genau das Gegenteil von dem getan, was sie hier versprechen, etwa Sie haben somit als einzige Fraktion dagegengestimmt, (B) (D) bei den Karrierewegen? Ich höre die Botschaft ja sehr dass Schulen besser ausgestattet werden. gerne, aber man fragt sich schon, warum all die vielen (Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD]) guten Absichtserklärungen, die sich in diesem Papier fin- den, nicht schon viel früher angegangen worden sind. Zur Gesundheitsforschung. Viele Menschen stellen sich unter Gesundheitsforschung vor, dass jemand im La- (Beifall bei der AfD) bor sitzt und an einer Pille gegen eine Krankheit arbeitet. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die guten Tatsächlich ist diese biomedizinische Forschung noch Ansätze dieses Programms stellen eine echte Herausfor- immer der zentrale Teil unseres Fortschritts. Das macht, derung für alle Mitspieler dar: Universitäten und For- wenn man Erfolg hat, meistens Spaß, häufig bedeutet es schungseinrichtungen, Bund und Länder. Wenn jeder der aber lange Jahre Mühe, um weiterzukommen. Da ist es Mitspieler sich auf seine Stärken und Aufgaben besinnt, gut, dass wir als Bundesrepublik Deutschland mit allen meine Damen und Herren, dann kann das gelingen. unseren Forschungsgeldern Grundlagenforschung und biomedizinische Forschung weiterhin finanzieren und Ich schließe mit einem schönen arabischen Sprich- unterstützen, auch über dieses Rahmenprogramm. wort: Wer gesund ist, hat Hoffnung, und wer die hat, hat alles. Wir sind aber sehr froh, dass sich dieses Rahmenpro- gramm Gesundheitsforschung auch weiterentwickelt hat. Vielen Dank. Es geht nicht mehr nur darum, Therapien und Diagno- (Beifall bei der AfD) sen biomedizinisch zu entwickeln, vielmehr nimmt einen großen Teil des Programms mittlerweile die Prävention ein, nämlich: Wie lassen sich Krankheiten von vornhe- Vizepräsidentin Claudia Roth: rein verhindern? Das ist einer der wichtigsten Punkte, Vielen Dank, Dr. Frömming. – Nächster Redner: René tatsächlich erst einmal zu erforschen, wie sich Krankhei- Röspel für die SPD-Fraktion. ten verhindern lassen, statt nur, wie man sie bekämpfen (Beifall bei der SPD) kann. Ich bin sehr froh, im Programm auch zu finden, dass René Röspel (SPD): ausdrücklich einbezogen ist, die Ursachen und die Bedin- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und gungen – die Umweltbedingungen, aber auch die sozia- Herren! Eigentlich ist unser Thema jetzt ja Gesundheits- len Bedingungen – zu erforschen, unter denen Krankheit forschung. Trotzdem: Ich kann diese Propaganda der entsteht. Der Kollege hat lange Jahre AfD, diese Lüge hier nicht einfach so im Raum stehen immer wieder auf den noch immer existierenden Zusam- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9923

René Röspel (A) menhang zwischen Armut und Krankheit hingewiesen. gen –, obwohl sie eigentlich gar nicht sterben müssten. (C) Wir sehen eben, dass unter armen Menschen, dass in so- Da haben wir als großer und guter Forschungsstandort zial schwachen Stadtteilen Krankheit viel verbreiteter ist Deutschland eben auch eine internationale Verantwor- als in wohlhabenden. Das ist ein Problem, dessen wir uns tung, in diesem Bereich weiter Entwicklung zu betreiben. annehmen müssen und auf das wir als Gesellschaft Ant- Deswegen gibt es ausdrücklich Unterstützung dafür, dass worten geben müssen – wir als Sozialdemokraten müs- auch das im Rahmenprogramm steht. sen und wollen das sowieso –, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) damit diejenigen, die arm sind, nicht auch noch häufiger Mein abschließendes Wort zur Nationalen Dekade ge- krank werden. gen Krebs. Ja, dort ist viel an Erfolgen zu verzeichnen. Dann findet man, wenn man in die Tiefe geht, Projekte, Es gibt wahnsinnig spannende neue Therapien und wis- die sich mit der körperlichen und psychischen Situation senschaftliche Methoden. Aber ich will auch ausdrück- von Kindern befassen. Es ist genau richtig, zu betrachten, lich sagen: Wir als Politik haben auch die Verantwortung, wie die Umgebung aussieht und was wir tatsächlich tun bei betroffenen Menschen keine Hoffnungen zu wecken, müssen, anstatt nur Pillen zu geben. Da geht es weiter die wir nicht erfüllen können. Deswegen rate ich eher zur mit Projekten, in denen es darum geht, Alleinerziehende Zurückhaltung mit Äußerungen in der Art, dass wir in zu unterstützen und ihnen gesunderhaltende Maßnah- zehn Jahren den Krebs besiegt haben könnten. Das ist der men angedeihen zu lassen. Das ist eine große Aufgabe, Sache nicht angemessen. weil wir sehen, dass viele Alleinerziehende in Armut und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Krankheit rutschen. Deswegen ist Gesundheitsforschung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der eben auch das: nicht nur Pillen zu entwickeln, sondern Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU] sich auch um die Ursachen von Krankheit zu kümmern. und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zum Schluss. Das beste Programm gegen Krebs, das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, Wir haben über das Rahmenprogramm in den letzten war das Nichtraucherschutzgesetz. Auch da gilt wieder: Jahren auch Strukturen verändert. Es sind Deutsche Zen- Prävention ist manchmal wichtiger als jede medizinische tren der Gesundheitsforschung auf den Weg gebracht Forschung. worden, die sich vernetzt mit Diabetes, Lungenerkran- Vielen Dank. kungen, neurodegenerativen Erkrankungen, aber auch (B) mit Krebs befassen. Das ist gut so. Wir werden hinschau- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) en müssen, inwieweit die Organisationsstrukturen richtig der CDU/CSU) sind oder ob sie verändert werden müssen. Ich finde, dass man auch prüfen muss, inwieweit es eine verlässliche Fi- Vizepräsidentin Claudia Roth: nanzierung dieser Gesundheitszentren gibt. Auch da wer- Vielen Dank, Kollege Röspel. – Nächster Redner: den an uns Wünsche herangetragen, die wir im weiteren Mario Brandenburg für die FDP-Fraktion. Verfahren betrachten werden. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD)

Wir haben hier vor einer Woche über künstliche Intel- Mario Brandenburg (Südpfalz) (FDP): ligenz gesprochen. Wenn man jetzt vor dem Hintergrund Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! der künstlichen Intelligenz den medizinischen Blick Wir sprechen heute über die Neuauflage des Rahmenpro- einnimmt, wird man sehen, dass künstliche Intelligenz gramms Gesundheitsforschung, das es natürlich grund- in Kombination mit Medizin große Fortschritte bringen sätzlich erst mal zu begrüßen gilt. Wir als Opposition hät- wird. Maschinelles Lernen nämlich heißt, dass Maschi- ten uns an der einen oder anderen Stelle etwas mehr Kraft nen ganz viele Röntgenbilder, MRT-Bilder bekommen, zu Visionen und weniger das Beschreiten ausgetretener dazu Informationen über einen Krankheitsbefund, das Pfade gewünscht – aber dazu später mehr. maschinell aufarbeiten und einem Arzt oder einer Ärztin eine Empfehlung geben können und am Ende ein Arzt, Einmal ist festzuhalten, dass individualisierte Medizin eine Ärztin entscheidet. Das wird ein großer medizini- ein Schlagwort ist, das im Moment in aller Munde ist. scher Fortschritt sein. Da wird künstliche Intelligenz eine Wir müssen uns ehrlich machen und sagen, dass indivi- gute Rolle spielen können. dualisierte Medizin nun einfach auch bedeutet: mehr in- dividualisierte Daten, sehr wertvolle, sehr private Daten. Wir sind sehr froh, dass wir im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung ein sehr ausführliches Kapitel Wenn wir uns überlegen, dass beispielsweise eine haben, das sich mit armutsassoziierten vernachlässigten Amazon Alexa allein aufgrund der Veränderung der Erkrankungen beschäftigt. Das ist etwas, das uns hier Stimmfarbe ihres Besitzers auf Herz-Kreislauf-Erkran- in Deutschland kaum betrifft; wir sehen aber – Kollege kungen schließen kann, dass beispielsweise eine Mi- Albani ist da seit langem unterwegs, auch der Kollege schung aus Fitness-Tracker und Bewegungssensoren Karamba Diaby –, dass in anderen Ländern der Erde feststellen kann, dass wir, wenn wir beim heimischen Menschen an Krankheiten sterben, weil es keine Me- Treppengang anstatt der gewohnten 10 Sekunden auf dikamente gibt – zum Beispiel gegen Wurmerkrankun- einmal 15 Sekunden brauchen, wahrscheinlich Kniepro- 9924 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Mario Brandenburg (Südpfalz) (A) bleme haben, oder dass wir mit Scanner-Apps unsere Am Beispiel einer großen Volkskrankheit, nämlich (C) Arme nach potenziellen Melanomen untersuchen kön- Demenz bzw. Alzheimer, will ich zeigen, warum Sie nen, dann müssen wir uns schon fragen, ob wir als Po- selbst Ihr Ziel gefährden. Sie schreiben in der Unter- litik in Deutschland im Moment schon bereit sind, diese richtung ganz gelassen, dass akademische Einrichtun- Daten preiszugeben. Aber es wird sehr erheblich sein, ob gen Erkenntnisse generieren. Idealerweise würden diese wir das als Land hinbekommen; denn das wird für den dann von der Gesundheitswirtschaft aufgegriffen. Aber: Forschungsstandort Deutschland und für den Erfolg des Erstens greifen die Pharmariesen die Erkenntnisse nur Medizinstandortes Deutschland entscheidend sein. bei hohen Renditeerwartungen auf. Zweitens haben sich viele Pharmakonzerne längst dem Forschungsrisiko ent- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zogen. der CDU/CSU und der SPD) Bei Alzheimer ist es ganz besonders dramatisch. Zu- Es bleibt natürlich weiterhin richtig und wichtig, letzt hat sich im vergangenen Jahr Pfizer aus der For- die gängigen Volkskrankheiten zu erforschen: Diabetes schung zurückgezogen. Aktuell gibt es kein Medikament Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das ist und gegen das Fortschreiten bzw. für die Heilung dieser bleibt an dieser Stelle richtig, aber eben mit Verweis auf Krankheit. die hochinnovativen Medizinfelder, wie beispielsweise die individualisierte Medizin. Wir als Opposition wer- (René Röspel [SPD]: Weil man nicht weiß, den bei der Ausgestaltung des Programms darauf achten, was es ist!) wie die Mittel abfließen und dass wir eben nicht nur die Derzeit wird im Wesentlichen an Alzheimer nur noch an ausgetretenen Pfade gehen, sondern an dieser Stelle auch öffentlichen Einrichtungen oder in kleinen und mittel- zu den modernen Pfaden kommen, die für uns als Freie ständischen Unternehmen geforscht. In meinem Wahl- Demokraten sehr wichtig sind. kreis beispielsweise auch: Dort engagiert sich eine kleine (Beifall bei der FDP) Firma in diesem Bereich. Man kann sich gut vorstellen, was es für eine solche Firma bedeutet, wenn erstens der Ein letzter Gedanke noch zu den Daten. Ich glaube, Ansatz nicht trägt oder zweitens kein Kauf erfolgt. Denn wir werden da nur etwas erreichen, wenn wir den Bür- es ist klar: Erst wenn der Wirkstoff Erfolg und Rendi- gerinnen und Bürgern volle Transparenz bei der Nutzung te verspricht, werden die Pharmariesen auf der Matte ihrer Daten zusichern können. Wir brauchen die Mög- stehen. Natürlich ist ein Blockbuster-Medikament eine lichkeit, dass sich Bürger in einem Portal einloggen und Gelddruckmaschine. Aber die öffentliche Hand und klei- sehen können, wer wann aus was für einem Grund auf ne und mittelständische Unternehmen gehen nicht nur in ihre Daten zugegriffen hat und warum beispielsweise das erste Risiko. Später zahlen wir oder Erkrankte und (B) eine Krankenkasse was berechnet hat. Ich stehe hier als Kassen noch einmal für die Medikamente. Und die Preise (D) einer von uns Parlamentariern: Lassen Sie uns das bit- dieser Medikamente werden von den Pharmaunterneh- te gemeinsam angehen; denn ich glaube wirklich, dass men bestimmt. Grund genug, dass die Bundesregierung Heilung für viele möglich ist. Wir sollten uns an dieser aus dieser Logik ausbricht. Stelle nicht im Klein-Klein zerlegen. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern schuldig. Das sind wir der Ge- (Beifall bei der LINKEN) sundheit schuldig. Ein weiteres Defizit dieses Programms zeigt sich bei Uniklinika und klinischer Forschung. Uniklinika unter- Vielen Dank. liegen wie jedes Krankenhaus auch der ökonomischen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Logik des Fallpauschalensystems. Diese Behandlungs- der SPD) vergütung bildet aber völlig unzureichend ab, worum sich die Uniklinika kümmern, nämlich um Maximalver- sorgung und eben auch um Forschung und Lehre. Die Vizepräsidentin Claudia Roth: Finanzierung für Forschung und Lehre kommt wiederum Vielen Dank, Mario Brandenburg. – Nächste Redne- auch von der öffentlichen Hand, kommt aus den medizini- rin: Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. schen Fakultäten. Trotzdem sind diese Einrichtungen un- terfinanziert, wie wir es seit Jahren erleben. Das bedeutet (Beifall bei der LINKEN) bei den Uniklinika, dass es schwerer wird, unabhängige klinische Forschung durchzuführen, und natürlich auch, Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): das am Ende in die Behandlung zu integrieren. Auch hier erwarte ich deutlich mehr von der Bundesregierung, ins- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, das besondere einen Schritt dahin, das Fallpauschalensystem war eine spannende Lektüre, dieses Rahmenprogramm unter diesem Blickwinkel zumindest zu ändern. Gesundheitsforschung. Noch spannender finde ich aber, wo die Bundesregierung Rahmenbedingungen, insbeson- (Beifall bei der LINKEN) dere die ökonomischen Rahmenbedingungen, eher als gegeben hinnimmt, statt sie zu verändern. Warum sage Meine Damen und Herren, auch Forscherinnen und ich das? Weil Sie es als Ihre Mission bezeichnen – ich Forscher wollen nicht nur gut vergütet werden, sie wol- zitiere –: len auch attraktive Bedingungen für ihre Arbeit. So sto- ßen Ärzte, die klinisch-wissenschaftlich arbeiten, bei Gesundheitsforschung ist dann erfolgreich, wenn ihrer Qualifizierung auf starre Anerkennungssysteme, sie die Menschen erreicht. insbesondere die der Landesärztekammern. Das bedeutet Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9925

Dr. Petra Sitte (A) am Ende natürlich, dass sie in ihrer Forschung gehemmt vorgesehen; denn – Zitat – „eine offene und informier- (C) werden. Auch dazu gehören Lösungsansätze in ebenjenes te Auseinandersetzung“ stärkt „das Vertrauen der Men- Rahmenprogramm. schen in die Wissenschaft“ und erhöht „die Gesundheits- kompetenz der Menschen“. (Beifall bei der LINKEN) Beim Start der Nationalen Dekade gegen Krebs hat Letztendlich verzögern diese Defizite auch schnellere Minister Spahn das Ganze aber gleich ordentlich ver- Fortschritte, wie schon angedeutet, bei armutsbedingten geigt. Aus dem Bauch heraus anzukündigen, in 10 bis und vernachlässigten Krankheiten, insbesondere in ein- 20 Jahren sei der Krebs besiegt, ist für einen Gesund- kommensschwachen Ländern. Fast verständnisvoll ver- heitsminister unverantwortlich. merken Sie an dieser Stelle das Fehlen wirtschaftlicher Anreize für Pharmakonzerne. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (René Röspel [SPD]: Ja, aber das ist doch so!) Wer solche Schlagzeilen produziert, verspielt das Ver- trauen der Patienten und leistet der Forschung einen Bä- Aber, meine Damen und Herren, profitgetriebenes, un- rendienst. moralisches Verhalten müssen wir nicht dulden. Das müssen wir bekämpfen und beenden. Aber auch im Rahmenprogramm Gesundheitsfor- schung selbst hapert es. Der Wissenschaftsrat hat der Re- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gierung eine ganze Reihe von Hausaufgaben aufgegeben. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gerade bei der Finanzierung klinischer Studien, ohne die Schließlich eine Gratisempfehlung. Bekanntermaßen keine wissenschaftliche Entdeckung bei den Menschen hat diese Bundesregierung ja ein etwas unglückliches ankommt, sehen die Expertinnen und Experten drin- Händchen, wenn es um Studien und Beratung geht. genden Nachholbedarf. Andere Länder haben das längst erkannt und befördern gezielt soziale und medizinische (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Innovationen, von denen Patienten profitieren und die im Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesundheitssystem Geld sparen. Hier würde jeder Euro Oh ja!) mehr gleich mehrfach nutzen. Da sieht Frau Karliczek für das Aufwachsen von Kindern (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Studienbedarf. SES 90/DIE GRÜNEN) Und Herrn Spahn fehlen Informationen zu seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen. Ich meine: Schauen wir auf das neue nationale Forschungszen­ Diese Studien gibt es längst. Wie heißt es so schön? Wer trum für psychische Gesundheit, das die Bundesregie- (B) (D) liest, ist klar im Vorteil. Dieses Geld können Sie gerne in rung plant. Psychische Erkrankungen wie Depression das Rahmenprogramm stecken. oder Angststörung sind längst Volkskrankheiten gewor- den; mehr als jeder Dritte ist im Laufe des Lebens be- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- troffen. In diesem Bereich mehr zu forschen, ist dringend NIS 90/DIE GRÜNEN) notwendig. Das unterstützen wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Claudia Roth: sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) Vielen Dank, Petra Sitte. – Nächster Redner: Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Doch auch in Bezug auf die nationalen Forschungszen- tren sagt der Wissenschaftsrat: Erst einmal klug nach- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bessern, bevor man auf die Schnelle neue Zentren schafft. – Die sind nur erfolgreich, wenn sie sich in die Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Forschungslandschaft einfügen und bestehende Struktu- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ren stärken. Gerade die Erforschung psychischer Erkran- Eine einzige Diagnose kann das Leben auf den Kopf kungen muss die gesamte Lebensrealität der Menschen stellen. Denken Sie nur an den langen, beschwerlichen abbilden. Das gelingt am besten, wenn Hochschulen und Weg, der mit einer Krebstherapie verbunden ist, oder da- außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Netzwer- ran, wie es ist, miterleben zu müssen, wie sich ein lieber ken mit Praktikern zusammenarbeiten. Frau Karliczek, Mensch aufgrund von Demenz schrittweise zu einem bauen Sie keine neuen Parallelstrukturen auf, sondern Fremden entwickelt. Darum haben gerade Fortschritte in stärken Sie die herausragende Forschung im Gesund- der Gesundheitsforschung eine so große Bedeutung für heits- und Sozialbereich, die es landauf, landab längst das Leben der Menschen. Wir als Politik müssen maß- gibt! geblich dafür sorgen, dass die Erkenntnisse aus dem La- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bor zügig in Arztpraxen, Krankenhäusern und bei den sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Menschen zu Hause ankommen. Der Einfluss der sozialen Lagen und Armutsrisiken (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf die Gesundheit wurde schon angesprochen. Dies ist Zumindest rhetorisch stellt die Bundesregierung mit auch im Hinblick auf eine gute Forschung sehr wichtig. ihrem Rahmenprogramm Gesundheitsforschung den Eine bessere Vernetzung braucht es zudem bei der Ge- Menschen in den Mittelpunkt – immerhin. Dafür ist auch schlechterforschung; denn der Faktor Geschlecht spielt eine Verbesserung der Wissenschaftskommunikation im Rahmenprogramm kaum eine Rolle. Das ist proble- 9926 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Kai Gehring (A) matisch; denn solange der biologisch männliche Körper Personalisierung und Digitalisierung werden wir in der (C) als Nonplusultra und Norm gilt, wird vor allem dieser er- Medizin deutliche Fortschritte machen können. Das an forscht. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass Herzinfark- dieser Stelle als Leitlinie zu sehen, ist sehr richtig. te bei Frauen seltener erkannt werden, weil die Sympto- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. me anders ausfallen. Hier ist das Rahmenprogramm nicht René Röspel [SPD]) auf Höhe der heutigen Wissenschaft. Letzten Endes geht es nicht um eine Revolution; denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Bereich geht es – das ist ganz wichtig – da- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) rum, der Branche Orientierung, Kontinuität und Verläss- Gut ist, dass das Rahmenprogramm auch internationa- lichkeit in den Strukturen zu geben. Anfang der Woche le Gesundheitsrisiken in den Blick nimmt. Weltweit ster- wurde auf einer Tagung der Hochschulmedizin unisono ben Menschen an Krankheiten wie Malaria, HIV, Tuber- bestätigt, dass die Forschungslandschaft in Deutschland kulose und Schlafkrankheit, weil Wirtschaft und Politik einzigartig und gut ist. Es gibt die DZGs, es gibt die sie zu lange vernachlässigt haben. Leider ist Deutschland Hochschulmedizin, es gibt die vier großen außeruniver- in diesem Bereich auch selber kein Vorbild und weit da- sitären Forschungseinrichtungen. Bitte, Herr Frömming, von entfernt, die von der WHO empfohlenen 0,01 Pro- Max-Planck-Forschungseinrichtungen sind kein „schwa- zent des Bruttoinlandsprodukts für die Erforschung die- cher Trost“, sondern inhärentes Element genau dieser ser vernachlässigten Krankheiten auszugeben. Das ist differenzierten Forschungslandschaft. Dass die Rankings nicht solidarisch; das ist armselig. außerhalb von Deutschland dies nicht berücksichtigen, ist weniger ein Problem von Deutschland als ein Problem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Rankings. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Frau Karliczek, Sie bezeichnen Ihr Programm für die der SPD und des Abg. Dr. Gesundheitsforschung am Schluss des Dokuments selbst [FDP]) als ein „lernendes Programm“. Da kann man nur sagen: Zum Glück; denn es gibt noch viel zu tun, damit die Medizintechnik in Deutschland ist führend, „made Forschungsförderung nicht als Mitnahmebonus bei den in Germany“ liegt vorne. Schauen wir uns das mal an: Pharmakonzernen landet, sondern die Patientinnen und 9,8 Milliarden Euro Umsatz im Inland, 18,2 Milliarden Patienten schnell von neuen Entwicklungen profitieren Euro Umsatz im Ausland, 1 200 KMUs, viele Hidden können. Champions, deren Anteil daran bei 93 Prozent liegt. Hier müssen – das ist entscheidend – öffentlich geförderte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Forschung und Industrie, liebe Linke, zusammenarbei- (B) ten. Die KMUs investieren 9 Prozent ihres gesamten (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: Umsatzes in die Forschung; das ist wichtig. Vielen Dank, Kollege Kai Gehring. – Nächster Red- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ner: Stephan Albani für die CDU/CSU-Fraktion. des Abg. René Röspel [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ein anderer Punkt, der sehr wichtig ist, ist Interdis- ordneten der SPD) ziplinarität. Es geht nicht, wie der Kollege René Röspel sehr richtig sagte, um den einzelnen Forscher, der in sei- Stephan Albani (CDU/CSU): nem Zimmerchen sitzt, sondern mittlerweile geht es um Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine lieben Netzwerke mit Forschern aus allen Einrichtungen, aus Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den allen Bereichen. Bei mir im Wahlkreis gibt es eine Indus- Tribünen und zu Hause an den Fernsehern! Forschung trie-in-Klinik-Plattform, die das alles bündelt: ­KIZMO – ist spannend, Forschung ist relevant, Forschung gestaltet Klinisches Innovationszentrum für Medizintechnik Zukunft, und medizinische Forschung ist mit Sicherheit . Dort arbeiten Mediziner, Pfleger, Ärzte, Phy- der Teil der Forschung, bei dem man den Menschen am siker, Psychologen, Soziologen wenigsten erklären muss, wozu Forschung wichtig ist (René Röspel [SPD]: Chemiker!) und wofür sie da ist. zusammen an den Projekten und stellen auf diese Art und Deswegen ist auch das Rahmenprogramm Gesund- Weise die Interdisziplinarität in der Sache und in der Ar- heitsforschung, das wir heute hier diskutieren, von beit her. höchster Relevanz und setzt um, was im Koalitionsver- trag mit dem relativ schmucklosen Satz „Gesundheitsfor- Ärzte, Pfleger und Praxen werden schon während der schung ausbauen und die Patientinnen und Patienten in Ideenfindung im Rahmen der Projekte mit eingebunden, den Mittelpunkt stellen“ schon beschrieben ist. sodass auf diese Art und Weise sichergestellt ist, was man unter User Centered Design – der erweiterten Form des Zwei Leitlinien – den Menschen in den Mittelpunkt Mensch-in-den-Mittelpunkt-Stellens; nicht nur der Pa- stellen sowie Personalisierung und Digitalisierung als tient, sondern auch der Anwender und die Anwenderin Schlüssel – machen dieses Rahmenprogramm aus. Ge- stehen im Mittelpunkt – versteht. Das ist ein wesentlicher rade der zweite Teil gefällt mir sehr gut; denn ich lese Punkt, um in der Medizin angemessen voranzukommen. häufig, dass Personalisierung und Digitalisierung He- rausforderungen sind, die wir bewältigen müssen. Nein, Ein weiterer zentraler Gedanke wird durch solche In- sie sind im Bereich der Medizin ein Schlüssel: Durch stitutionen aufgebrochen: Es geht nicht um Versäulen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9927

Stephan Albani (A) um Silodenken, sondern um Vernetzung und Translation Natürlich gibt es viele ähnliche Fälle – zu viele, mei- (C) in dieser Vernetzung; denn entscheidend ist nachher, was ne ich. Der Fall „Astrid“ ist jedoch schwierig. Sie ist beim Patienten ankommt. deutsch-nigerianischer Herkunft. Sie braucht deshalb einen westafrikanisch-europäischen Spender. Leider sind Wenn man weiß, dass es heute durchschnittlich nur 3 Prozent der registrierten Spender multiethnisch. 14,2 Jahre dauert, bis etwas, das vom Wissenschaftler fertiggestellt wurde, letzten Endes beim Patienten an- Das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung sieht kommt, dann kann man nur sagen: Das ist zu lange. Hier vor, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Ich zitiere: müssen wir noch besser werden. Das wird durch diese „Alle Menschen nehmen am medizinischen Fortschritt Zusammenarbeit schlussendlich ermöglicht werden. teil ...“ Und doch sehen wir an diesem Fall, dass es Men- schen gibt, denen viel seltener geholfen werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Umso wichtiger ist es, Behandlungsmethoden und Tech- ordneten der SPD) nologien zu fördern sowie die Rahmenbedingungen für Aus meiner Sicht zusammenfassend: Uns liegt ein gu- Forschung zu verbessern. tes Rahmenprogramm vor, mit dem quasi wie mit einem (Beifall bei der SPD) Fernrohr in die Zukunft geschaut werden kann und an dem sich die Branche orientieren kann. Es wurden die Die schnelle Überführung von Forschungsergebnissen Evaluationsergebnisse des jetzt zu Ende laufenden For- in die medizinische Versorgung steht dabei im Fokus. schungsrahmenprogrammes aufgenommen. Es bietet Denn je schneller diese Forschung angewendet werden eine Perspektive für die forschenden Einrichtungen und kann, desto früher können Patienten behandelt werden. die Industrie, die ihrerseits – sowohl die forschenden Un- Deshalb sagen wir als Sozialdemokratinnen und Sozi- ternehmen als auch der Medizinische Fakultätentag glei- aldemokraten: Die Situation der forschenden Ärztinnen chermaßen – nach der Veröffentlichung bereits gesagt und Ärzte muss verbessert werden. haben: Hierbei handelt es sich um ein gutes Rahmenpro- (Beifall bei der SPD) gramm, das eine gute Basis für die nächsten Jahre legt. Als SPD-Bundestagsfraktion setzen wir uns dafür ein, Insofern ist der Rahmen an dieser Stelle gesetzt. Jetzt dass eine Forderung des Koalitionsvertrages umgesetzt beginnen wir – in Anführungsstrichen – mit dem Ausma- wird. Das heißt: Erstens. Wir wollen mehr Stellen für len des Bildes, das durch den Rahmen vorgegeben wur- klinisch forschende Ärztinnen und Ärzte schaffen. Zwei- de. Das wird uns in den nächsten Jahren beschäftigen. tens. Für sie muss die Vereinbarkeit zwischen der Arbeit Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem Kolle- im Krankenhaus, Forschung und Familie verbessert wer- gen René Röspel – wir waren schon eingebunden –, um den. Drittens. Deutschland muss ein Spitzenstandort der (B) dieses Rahmenprogramm zusammen mit dem BMBF medizinischen Forschung sein. (D) im Sinne der Patienten – Stichwort: Mensch im Mittel- punkt – weiter zu entwickeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Als Abschluss sei mir noch erlaubt, zu sagen: Meine Rede wurde in diesem Umfang durch eine Zeitspende der Medizinische Forschung ist eine globale Aufgabe. Da- CSU ermöglicht. her müssen wir auch die internationale Kooperation in der Forschung stärken. Denn Krankheiten kennen keine Herzlichen Dank. Grenze. Deswegen sollten wir auch keine kennen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sowie bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU) Wir wollen ein gesundes Leben für alle Menschen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Dafür kann das Rahmenprogramm Gesundheitsfor- Deswegen ist der Applaus wahrscheinlich noch herz- schung einen maßgeblichen Beitrag leisten. licher . Vielen herzlichen Dank, Stephan Albani. – Letz- ter Redner in der Debatte zur Gesundheitsforschung: Meine Damen und Herren, selten geht es wirklich um Dr. Karamba Diaby für die SPD-Fraktion. Leben oder Tod. Doch internationale Zusammenarbeit in der Medizin kann den Unterschied machen. (Beifall bei der SPD) Liebe Astrid, an dich: Von ganzem Herzen wünsche ich dir, dass du so schnell wie möglich einen Spender Dr. Karamba Diaby (SPD): findest, damit du dein Leben weiterführen kannst. Alles Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Gute. Damen und Herren! Als letzter Redner in dieser Debatte über das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Danke schön. Bundesregierung möchte ich am Anfang meiner Rede (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, auf einen ganz konkreten Fall eingehen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Bei einer jungen Mutter von zwei Söhnen wurde im GRÜNEN) vergangenen Jahr Blutkrebs festgestellt. Astrid ist 41 Jah- re alt und hat mittlerweile einige Chemotherapien hinter Vizepräsidentin Claudia Roth: sich. Doch der Behandlungserfolg blieb bisher leider aus. Vielen Dank, Dr. Karamba Diaby. – Damit schließe Sie braucht jetzt dringend einen Stammzellenspender. ich die Aussprache. 9928 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf schätzung hat diese Politik schon lange nichts mehr zu (C) Drucksache 19/6221 an die in der Tagesordnung aufge- tun. führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind einverstan- (Beifall bei der FDP) den. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Was ist bisher passiert? 4,5 Seiten Non-Paper mit Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: Non-Inhalt. Das ist das magere Ergebnis von knapp ei- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. ­Marcel nem Jahr Ihrer Arbeit. Klinge, Michael Theurer, Roman Müller-Böhm,­ (Beifall bei der FDP) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die nationale Tourismusstrategie ist bisher eine Black- Nationale Tourismusstrategie mittelstands- box, von der keiner so recht weiß, wo die Reise am Ende freundlich gestalten – Bürokratie abbauen hingeht. Drucksache 19/7899 Die FDP-Fraktion will mit ihrem heutigen Antrag der Debatte den notwendigen Schwung und die inhaltliche Überweisungsvorschlag: Richtung geben. Wir wollen, dass bereits Ende des Jahres Ausschuss für Tourismus (f) 2019 erste Maßnahmen umgesetzt werden, Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales (Beifall bei der FDP) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und das gelingt nur, meine sehr verehrten Damen und richts des Ausschusses für Tourismus (20. Aus- Herren, wenn wir uns die nächsten Monate nicht in schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Detailfragen verlieren, sondern wenn wir uns auf die Kassner, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Petra Sitte, wei- wesentlichen Kernherausforderungen der Branche kon- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zentrieren und dabei – und das ist uns besonders wich- tig – den Mittelstand in den Fokus unserer Bemühungen Nationale Tourismusstrategie sozial-ökolo- stellen. gisch gestalten Eine nationale Strategie muss erstens smarte Ant- Drucksachen 19/7120, 19/7956 worten darauf finden, wie wir den existenzbedrohenden Fachkräftemangel bekämpfen. Sie muss zweitens Ant- Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus- worten darauf liefern, wie wir die Digitalisierung für alle sprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wi- Akteure im Tourismus positiv gestalten und in die Flä- derspruch. Dann ist das so beschlossen. che tragen. Sie muss drittens Antworten darauf liefern, (B) (D) Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat wie wir die immer schneller drehende Bürokratiespirale Dr. ­Marcel Klinge für die FDP-Fraktion. durchbrechen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir finden, es ist besser, vier Seiten konkrete Lösungen umzusetzen, Dr. Marcel Klinge (FDP): als 40 Seiten für die Schublade zu produzieren. Legen Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen wir endlich mit der Arbeit los! und Kollegen! Würde die Große Koalition bei der Na- tionalen Tourismusstrategie ähnlich fleißig sein wie die (Beifall bei der FDP) 3 Millionen Beschäftigten in der Tourismusbranche, Liebe Kolleginnen und Kollegen, kurz vor der größten wäre sie schon heute eine Erfolgsgeschichte. Tourismusmesse der Welt, der ITB, ist es ein guter An- lass, auch mal Zwischenbilanz der Wirtschafts- und Tou- (Beifall bei der FDP) rismuspolitik zu ziehen, und diese fällt – wie sage ich es Leider ist das Gegenteil der Fall. Nichtstun ist Hand- möglichst diplomatisch? – verheerend aus. Die Großen lungsmaxime von Schwarz-Rot. Wir Freie Demokraten gehen im Wirtschaftsministerium ein und aus, die Klei- wollen dagegen mehr Tempo, mehr Einsatz und mehr nen und Mittleren werden links liegen gelassen. Wir sind Herzblut für eine der wichtigsten Wirtschaftsbranchen in mit einer solchen Politik nicht einverstanden. Deutschland. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ich will Ihnen das an drei Beispielen illustrieren: Was hat der Bundeswirtschaftsminister gemacht, um die drin- Was mich am meisten ärgert, liebe Kolleginnen und gend notwendige Flexibilisierung von Arbeitszeiten vo- Kollegen von der Koalition, ist Ihre notorische Ambiti- ranzutreiben? onslosigkeit. (Dr . [FDP]: Nichts!) (Zuruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Nichts. Was hat der Bundeswirtschaftsminister gemacht, Denn diese Haltung haben unsere Mittelständler, unsere um das seit Jahren schwelende Problem der gewerbe- Familienbetriebe im Tourismus, die über 300 Milliarden steuerlichen Hinzurechnung für kleine und mittlere Rei- Euro im Jahr erwirtschaften und über 50 000 Ausbil- seanbieter zu lösen? Nichts. Was hat der Bundeswirt- dungsplätze schaffen, wahrlich nicht verdient. Mit Wert- schaftsminister getan, um die Bürokratielawine bei der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9929

Dr. Marcel Klinge (A) Pauschalreiserichtlinie zu stoppen? Nichts. Deswegen, unseres Landes. Das strahlt auch in viele andere Bereiche (C) sehr geehrter Herr Altmaier, sind Sie für die Tourismus- hinein. Der Tourismus ist somit zu einer Querschnittsauf- branche die große Enttäuschung des ersten Regierungs- gabe für uns in der Bundesregierung geworden. Auch das jahres, und das war gar nicht so einfach bei der Konkur- soll noch einmal zeigen, wie wichtig die Tourismusland- renz im Kabinett. schaft für die Bundesregierung ist. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Die Tourismusbranche ist derzeit sehr regional, sehr Meine Damen und Herren, es wird also höchste Zeit, länderspezifisch organisiert und hat auch hier ihre Kom- dass die GroKo ihre Bewegungsstarre überwindet und petenzen. Deshalb ist die große Frage, welche Aufgabe die nationale Tourismusstrategie – immerhin ihr einziges der Bund hinsichtlich der Tourismusstrategie jetzt ver- Projekt im Koalitionsvertrag – zu einer Erfolgsgeschich- stärkt übernehmen kann. Ich glaube, dass der Bund tou- te macht. Wir Freie Demokraten liefern dazu gerne Ide- rismusstrategisch viel stärker tätig werden muss; denn en. Denn unsere großartigen Betriebe haben jede Unter- die Herausforderungen der nächsten Jahre werden enorm stützung verdient. sein. Ich nenne das Stichwort „Digitalisierung“; das ist eine große Herausforderung. 86 Prozent der Übernach- (Beifall bei der FDP) tungen werden derzeit über das Internet gebucht, das heißt, auch hier wird eine enorme Verschiebung der Vizepräsidentin Claudia Roth: Machtverhältnisse erfolgen: Sharing Economy, Anbieter Vielen Dank, Marcel Klinge. – Für die Bundesregie- wie Airbnb werden eine größere Rolle spielen. rung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Immerhin 150 Millionen Menschen in ganz Europa Thomas Bareiß. sind heutzutage gehandicapt und haben ganz besondere (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ansprüche an unsere Tourismuseinrichtungen. All das zeigt, dass wir hier stärker vorangehen und uns an den Bedürfnissen der nächsten Jahre orientieren müssen. Das Thomas Bareiß, Parl. Staatssekretär beim Bundes- sind Herausforderungen, denen wir auf nationaler Ebene minister für Wirtschaft und Energie: begegnen müssen. Deshalb brauchen wir auch eine nati- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und onale Tourismusstrategie, die wir jetzt gemeinsam erar- Herren! Liebe Kollegen! In der Tat, mit den heute vor- beiten wollen. liegenden Anträgen der FDP und der Linken haben wir die Gelegenheit, über eine der wichtigsten Branchen in (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland zu reden, der leider viel zu wenig Anerken- Lieber Kollege von der FDP, in der Tat haben Sie nung und Wertschätzung zuteilwird, deren Bedeutung (B) wichtige Punkte in Ihren Antrag geschrieben. Sie haben (D) aber, auch was die Zahlen betrifft, enorm ist. Ich will es geschrieben, dass wir die gewerbesteuerliche Hinzurech- an wenigen Zahlen deutlich machen. nung anpacken müssen. Wir haben 105 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das sagen Sie aus dem Tourismus, das sind 4 Prozent unserer Gesamt- schon seit Monaten! Wann passiert mal et- wertschöpfung. Daraus resultieren Konsumausgaben in was?) Höhe von 290 Milliarden Euro, die in viele, viele andere Branchen hinein eine enorme Tragweite haben. Es gibt Dieser Punkt liegt mir sehr am Herzen, und ich forde- 3 Millionen Beschäftigte in diesem Bereich, das sind re alle auf, mitzumachen und tätig zu werden. Auch das 7 Prozent der Gesamtbeschäftigten. Die Zahlen zeigen, Thema Arbeitszeitregelung spielt eine ganz besondere dass wir hier auf Augenhöhe sind mit der Automobil- Rolle, zum Beispiel für die kleinen Gaststätten, für die branche, dem Maschinen- und Anlagenbau und dass die Hoteliers. Auch hier sind wir dabei, die besten Lösungen Tourismusbranche eine ganz, ganz große Bedeutung für zu finden. Wir brauchen hier Flexibilität am Markt. Hier unsere Wirtschaft hat. müssen Veränderungen noch in dieser Legislaturperiode Das allein sind nur Zahlen. Wichtig ist für mich, dass erfolgen. Daran arbeiten wir mit Nachdruck. diese Branche aufgrund ihrer Struktur etwas ganz Beson- Es gibt noch weitere Themen, die wir anpacken müs- deres ist, nämlich kleinteilig und mittelständisch geprägt. sen. Deshalb, glaube ich, müssen wir jetzt schnell kon- Es gibt viele Familienunternehmen, die sich vor Ort krete Maßnahmen ergreifen. Ich sage Ihnen ganz of- mit einer hohen Leistungsbereitschaft und Flexibilität fen – ich habe Ihren Antrag sehr genau gelesen –: Die und einer großen Leidenschaft um die Kunden und de- 17 Punkte, die Sie von der FDP aufgeschrieben haben, ren Anliegen kümmern. Dafür will ich einmal all jenen, betreffen viele Allgemeinplätze. Ich rate jedem in der die in dieser Branche arbeiten und die vieles für unser Tourismusbranche, diesen Antrag zu lesen. Es steht nicht Land und die Wirtschaft tun, Danke sagen. Ein herzli- viel drin außer heiße Luft. ches Dankschön für das, was in der Tourismusbranche geleistet wird. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das ist ein interes- santer Vorwurf, Herr Bareiß! Haben Sie schon (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einmal Ihr Papier gelesen?) Ich nenne eine weitere Zahl: 84 Millionen Übernach- Wir brauchen aber konkrete Maßnahmen, um der Touris- tungen aus dem Ausland zeigen auch, dass die Tourismus- musbranche wirklich zu helfen. branche eine Visitenkarte für unser Land ist. Menschen, die gerne hierherkommen, werden auch zu Botschaftern (Beifall bei der CDU/CSU) 9930 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Thomas Bareiß (A) Diese Maßnahmen wollen wir jetzt erarbeiten. oder eine flächendeckende 5G-Netzabdeckung wage ich (C) überhaupt nicht zu sprechen. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal sagen, wie wichtig es mir als Tourismusbeauftragtem war, auch Sie sehen, meine Damen und Herren: Zu tun gäbe es das Parlament einzubinden. Deshalb bin ich recht früh genug. Wir als AfD-Fraktion fordern deshalb eine natio- auf den Tourismusausschuss zugegangen. nale Tourismusstrategie, die diesen Namen auch verdient (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das war im De- hat. zember, Herr Bareiß!) (Beifall bei der AfD) Wir haben gemeinsam überlegt, welche Punkte wich- tig sind, welche wir aufnehmen sollen. Wir haben jetzt Hierzu gehört erstens eine klare Schwerpunktsetzung gemeinsam ein Papier erarbeitet. Wir wollen im ersten und zweitens eine realistische Lageeinschätzung, was Schritt ein Eckpunktepapier in das Kabinett einbrin- wir auf Bundesebene überhaupt regeln können. Apro- gen, in dem wir die Herausforderungen beschreiben, die pos Schwerpunktsetzung: Meine Freunde auf der linken Handlungsfelder definieren. Wir werden sicherlich noch Bank haben in ihrem Antrag zur Tourismusstrategie den im März die Vorlage im Kabinett haben. Darauf aufbau- Schwerpunkt beispielsweise auf Kindergartenabschluss- end, werden wir dann mit den Ländern, den Regionen, fahrten gelegt. den Akteuren vor Ort die Handlungspunkte definieren, (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihr habt keine die wir dann in die Tourismusstrategie einbauen. Freunde!) (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Wann wollen Sie fertig werden, Herr Bareiß? Sagen Sie einmal, Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich sind wann Sie fertig werden wollen!) Kinder- und Jugendreisen wichtig; aber wenn Sie den Schwerpunkt einer bundesweiten Strategie für eine Bran- Für mich ist das eine Strategie, die in sich stimmig che, die für eine Bruttowertschöpfung von 105 Milliar- und sinnig ist und auch die Chance bietet, konkret etwas den Euro verantwortlich ist und in der knapp 3 Millionen umzusetzen und nicht nur heiße Luft zu produzieren, wie Menschen arbeiten, auf Kindergartenabschlussfahrten Sie das gerade in Ihrer Rede gemacht haben. Das hilft der legen, dann muss ich sagen: Sie haben die Bedeutung Branche wirklich und bringt sie voran. dieser Aufgabe nicht erkannt. Ihren Antrag lehnen wir ab. In diesem Sinne freue ich mich auf die nächsten Mo- (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LIN- nate, auf die Umsetzung der Strategie und auf eine dann KEN: Sie haben es nicht verstanden!) auch hoffentlich sinnvolle, der Branche helfende Strate- gie, die wirkliche Verbesserung und Flexibilität bietet. Kommen wir zur realistischen Lageeinschätzung zu- (B) (D) rück. Da der Tourismus, gemäß Kompetenzverteilung Herzlichen Dank. des Grundgesetzes, Ländersache ist, kann eine nationa- (Beifall bei der CDU/CSU) le Tourismusstrategie auf Bundesebene letztendlich nur die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen Vizepräsidentin Claudia Roth: im Land prägen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Statt das offen zu sagen, wird die Tourismusbranche von Vielen Dank, Herr Kollege Bareiß. – Nächster Red- SPD und CDU/CSU regelmäßig enttäuscht. Die Koaliti- ner: Sebastian Münzenmaier für die AfD-Fraktion. on hat mit der Strategie unglaublich hohe Erwartungen (Beifall bei der AfD) geweckt, und alle warten jetzt gespannt auf die kommen- de Arbeitserleichterung. Aber genau Ihre Koalition kann Sebastian Münzenmaier (AfD): sich doch schon über einfachste Sachverhalte in diesem Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Bereich überhaupt nicht einigen; Herr Bareiß hat es eben Herren! Die nationale Tourismusstrategie der Bundes- angesprochen. regierung – das unbekannte Wesen. Bereits seit Kon- Wir müssen die gewerbesteuerliche Hinzurechnung stituierung dieser nicht mehr ganz so großen Koalition angreifen. Am Mittwoch haben Sie, meine Damen und wabert der Begriff durch die Tourismusbranche und über Herren von der SPD, Ihrem eigenen Koalitionspartner die Flure des Deutschen Bundestags. Bisheriger Inhalt? öffentlich widersprochen und haben gesagt: Nein, wir Vollkommene Fehlanzeige! Dabei wäre eine Strategie, werden das Thema gewerbesteuerliche Hinzurechnung die auf Bundesebene die Rahmenbedingungen für die politisch nicht mehr angreifen und warten stattdessen auf Branche verbessert, definitiv zu begrüßen. Es gibt unzäh- ein Gerichtsurteil. lige Probleme, die diese Strategie aufgreifen oder – noch besser – lösen sollte. ( [Erfurt] [SPD]: Blöd- sinn!) Die gewerbesteuerliche Hinzurechnung bedroht Exis- tenzen. Viele Betriebsübergaben oder Neugründungen Das ist ein Armutszeugnis für diese Regierung. Und es im gastronomischen Bereich scheitern an bürokratischen ist vor allem ein Armutszeugnis für das Selbstverständnis Hürden. Unser Arbeitszeitgesetz verhindert Freiräume eines jeden roten Abgeordneten hier im Hohen Haus. für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die komplizierte Fördermittelstruktur wird wohl von kaum einem Mittel- (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Er- ständler durchschaut, und über noch größere Projekte wie furt] [SPD]: Du kannst dich wieder setzen! Du beispielsweise eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur hast keine Ahnung!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9931

Sebastian Münzenmaier (A) – Wissen Sie, was? Ich weiß ja, dass Ihr Selbstbewusst- Und sorgen wir im Sinne der Verbraucher und Anbieter (C) sein äußerst angeknackst ist. Und wenn ich mir Sie und für mehr Transparenz auf Hotelbuchungsplattformen! Ihr Führungspersonal anschaue, dann verstehe ich auch, Erleichtern wir die Nutzung von betriebsnahen Unter- warum. kunftsmöglichkeiten, und sorgen wir dafür, dass Azubis in Bezug auf den geldwerten Vorteil entlastet werden, (Beifall bei der AfD – [SPD]: wenn sie im Ausbildungsbetrieb essen oder übernachten Was ist mit den Spenden?) dürfen! Dass es schon so weit ist, dass Sie sich politische Lö- sungen überhaupt nicht mehr zutrauen und sich hinter Schreiben Sie sich diese Ideen hinter Ihre Ohren, Herr Gerichtsurteilen verstecken, ist starker Tobak. Kleiner Bareiß! Verbessern Sie bitte die Rahmenbedingungen, Tipp: Vielleicht sollten Sie, statt hier rumzusitzen und wo Sie es können! Und geben Sie auch ehrlich zu, was zu pöbeln, Gerichtsprozessbeobachter für eine Ihrer vom auf Bundesebene nicht machbar ist; denn nur so funkti- Aussterben bedrohten SPD-Zeitungen werden oniert glaubwürdige Politik, und nur so können Sie auch die vielen Menschen mitnehmen, die mit großer Erwar- (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Er- tung auf die nationale Tourismusstrategie schauen. furt] [SPD]: Beim Pöbeln sind Sie der Exper- te!) Vielen herzlichen Dank. und in Zukunft das Bundestagsmandat denjenigen über- (Beifall bei der AfD) lassen, die politisch etwas ändern wollen. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wo sind denn die Spenden, Herr Vizepräsidentin Claudia Roth: Münzenmaier?) Vielen Dank. – Nächste Rednerin: Gabriele Hiller-­ Im Gegensatz zu Ihrer Trümmertruppe versucht die Ohm für die SPD-Fraktion. FDP-Fraktion wenigstens noch, politisch zu wirken, und (Beifall bei der SPD) will der nationalen Tourismusstrategie mit immerhin 17 Punkten Kontur verleihen. Schade ist ehrlich gesagt nur, dass diese Themenliste zum größten Teil aus All- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): gemeinplätzen besteht. Sie wollen zum Beispiel prüfen, ob einfachere Förderinstrumente für mehr Investitionen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie- sorgen. be Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass wir heute im Vorfeld der weltgrößten Touristikmesse, der ITB in (B) (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Ja, ein ganz wich- Berlin, Gelegenheit zur Debatte über die künftige Touris- (D) tiger Punkt!) muspolitik in unserem Land haben. Liebe Liberale, das ist eine Binsenweisheit. Das muss (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Hätten Sie auch nicht geprüft, sondern umgesetzt werden. beantragen können, Frau Kollegin! Von der (Beifall bei der AfD – Dr. Marcel Klinge GroKo kommt da relativ wenig in Sachen [FDP]: Dann legen Sie mal Ihre Vorschläge Tourismus! Mussten wir wieder machen! – vor! Da war immer noch nichts zu lesen von Dr. Florian Toncar [FDP]: Der einzige Beitrag Ihnen!) der Regierung war der „Asyltourismus“! Das war alles, was ich zum Thema „Tourismus“ Herr Klinge, Ihren Antrag werden wir im Ausschuss gehört habe! – Gegenruf der Abg. Gülistan trotzdem gerne beraten. Yüksel [SPD]: Damit ihr was zu tun habt!) (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das ist großzügig von Ihnen!) Ich freue mich, dass es gelungen ist, im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU das Ziel einer nationalen Tou- Wir freuen uns auf die Debatte. rismusstrategie zu verankern. Sie, lieber Herr Kollege Und wie Sie sehen, werden wir als AfD-Fraktion uns Klinge, haben ja bemängelt, dass es so spät kommt. in Zukunft kritisch, aber auch konstruktiv mit der Idee (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Zu Recht!) der nationalen Tourismusstrategie auseinandersetzen. Wir hätten gerne einige realistische Lösungsvorschläge. Ich will Sie nur daran erinnern, dass Ihre FDP auch schon Zum Beispiel unterstützen wir die vielen mittelständi- in Regierungsverantwortung war. Sie haben es überhaupt schen Betriebe, indem Fördermaßnahmen aus den ver- nicht geschafft, eine Tourismusstrategie auf den Weg zu schiedensten Töpfen gebündelt und mit einem einheitli- bringen. chen Ansprechpartner versehen werden, beispielsweise beim Kompetenzzentrum Tourismus. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sie sind in Dau- Entlasten wir die Menschen, die ihre Zeit lieber den erregierungsverantwortung, und in unserem eigenen Gästen, anstatt der überbordenden Bürokratie Land bewegt sich nichts, Frau Kollegin!) widmen wollen! Führen wir den digitalen Meldeschein endlich ein! Wir schaffen das. Und das ist gut so. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 9932 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Gabriele Hiller-Ohm (A) Zur AfD: Lieber Herr Münzenmaier, Sie haben bisher sektor? Das sind doch vor allem die Beschäftigten; auf (C) überhaupt gar nichts geliefert – außer Reden, die Sie hier sie kommt es an. Deshalb müssen wir mit unserer Politik gehalten haben. genau diesen Menschen unter die Arme greifen. Diese Menschen müssen wir in den Fokus nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Sebastian Münzenmaier [AfD]: (Beifall bei der SPD) Aber ich bin nicht Regierung!) Und was will die FDP? Die FDP will, dass Beschäftigte Es gibt keinen Antrag von Ihnen. Das war Ihnen wahr- künftig noch länger als bisher am Stück arbeiten sollen. scheinlich zu anstrengend, sich hier mit einem Antrag in Ja, Sie wollen an das Arbeitszeitgesetz ran. die Debatte einzubringen. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Ja, weil das drin- (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Aber Sie sind gend notwendig ist! 101 Jahre ist der Acht- doch in der Regierung! Sie müssen liefern!) stundentag alt! Die Erkenntnis muss sich doch Also seien Sie lieber still, und hören Sie, was wir zu sa- bei Ihnen auch mal durchgesetzt haben!) gen haben! Acht oder sogar zehn Stunden am Tag kellnern oder an (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – der Rezeption stehen – das ist Ihnen nicht genug. Dabei Sebastian Münzenmaier [AfD]: Es kommt ist erwiesen, dass Arbeitszeiten ab der neunten Stunde doch nichts!) schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen haben können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl der Touris- mus in fast allen Regionen in unserem Land eine ganz (Beifall bei der SPD) große Rolle spielt und 3 Millionen Beschäftigte in Hun- Deshalb machen wir bei diesen Plänen nicht mit, meine derttausenden Betrieben arbeiten, fehlt uns bisher eine Damen und Herren von der FDP. übergreifende Tourismusstrategie. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Wer ist dafür Sie fordern zudem, dass es mehr Geringverdiener ge- verantwortlich?) ben soll. Vor allen Dingen fehlt die Koordinierung der Tourismus- (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das steht da nicht politik von Bund, Ländern und Kommunen. Das, liebe drin!) Kolleginnen und Kollegen, wollen wir jetzt ändern; das Nichts anderes wäre eine Anhebung der 450-Euro-Gren- bringen wir auf den Weg. ze für Minijobs. (B) Deshalb war ich auch schon sehr gespannt auf die An- (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Haben Sie Mini- (D) träge zur Tourismusstrategie, liebe Kolleginnen und Kol- jobber mal gefragt?) legen der Linken und der FDP, und darauf, was Sie dazu zu sagen haben. Die AfD hat keinen Antrag eingebracht, Dabei wissen wir: Minijobs führen in die Sackgasse. Mit die Grünen leider auch nicht. jahrelangen Niedriglöhnen und ohne soziale Absicherun- gen führen sie in die Sackgasse. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Sie sind Regierung! Sie müssen liefern!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Schauen wir uns den Antrag der FDP an: Sie sprechen DIE GRÜNEN – Dr. Marcel Klinge [FDP]: einige Punkte an, für die wir uns als SPD auch starkma- Das geht an der Realität vorbei, was Sie hier chen. Ja, wir brauchen eine effizientere Tourismusförde- erzählen, Frau Kollegin!) rung und fairen Wettbewerb zwischen den klassischen Ich sage nur, Herr Klinge: Nicht mit uns! Gastbetrieben und der Sharing Economy wie Airbnb. Na- türlich brauchen wir auch Glasfasernetze für ein schnel- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten les Internet. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Und 5G, Frau Ich komme zum Antrag der Linken. Mit seinen vier Kollegin!) Forderungen ist er allenfalls ein Fliegengewicht, aber leider kein ausreichender Beitrag für eine Tourismusstra- Sie fordern ein Einwanderungsgesetz und Investitio- tegie. Aber keine Sorge, die SPD denkt für Sie mit, liebe nen in die Berufsschulen, lieber Herr Klinge. Wir setzen Linke. uns dafür bereits ein und setzen das in der Großen Koa- lition um. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Dan- (Beifall der Abg. [Wetzlar] ke!) [SPD] – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Aber wieso passiert denn dann nichts, wenn Sie sich Wir haben in den vergangenen Monaten im intensiven immer einsetzen?) Dialog mit den Tourismusverbänden, Vereinen und Ge- werkschaften zentrale Themenfelder und Forderungen Sie wollen alles mittelstandsfreundlich ausgestalten. ausgearbeitet. Gerade in dieser Woche haben wir ein um- Dazu kann ich nur sagen: Ja, bitte, das machen wir. fassendes Positionspapier mit konkreten Maßnahmen in Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, unserer Fraktion beschlossen. Schauen Sie doch alle mal wer trägt denn den deutschen Mittelstand im Tourismus- rein! Es lohnt sich auf jeden Fall. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9933

Gabriele Hiller-Ohm (A) Ich greife einige zentrale Punkte heraus: Erstens. klasse? Ich erinnere mich an eine wunderschöne Reise (C) Wir wollen gute Arbeit und Ausbildung gerade im Gast- auf die Insel Rügen. Als Sächsin habe ich mich dort in gewerbe. Hier setzen wir darauf, die Tarifbindung zu Wasser, Sand und Meer verliebt und freute mich riesig, stärken, gute Arbeitgeber und gute Ausbildungsbetriebe als meine Eltern später einmal entschieden: Wir ziehen besser anzuerkennen, gravierende Ausbildungsverstöße jetzt auf die Insel Rügen. – Dort lebe ich seit vielen Jah- konsequenter zu ahnden sowie überbetriebliche Ausbil- ren sehr gern und wünsche mir, dass viele Gäste diese dung und Weiterbildung zu stärken. Schönheit auch erleben. Zweitens. Wir wollen eine leistungsfähige Infrastruk- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tur . Wir setzen auf Erreichbarkeit der touristischen Ziele neten der AfD) per Schiene, Straße, Luft und Wasser. Das wollen wir ausbauen. Ich komme zu unserem Anliegen, den Kinder- und Jugendreisen zurück: Wir haben im Ausschuss bereits Drittens. Wir setzen auf mehr Nachhaltigkeit und Ver- darüber debattiert. Der Beauftragte der Bundesregierung braucherschutz beim Reisen. Natürlich haben wir auch für Tourismus, Herr Bareiß, sah kein Defizit beim Thema die Veränderungen durch die Digitalisierung im Blick. „Kinder- und Jugendreisen“. Dem muss ich leider ganz vehement widersprechen, und das taten im Übrigen auch Vizepräsidentin Claudia Roth: sieben Experten in der Anhörung, die wir in dieser Wo- Denken Sie an Ihre Redezeit! che im Tourismusausschuss durchgeführt haben. Es gibt sehr wohl Differenzen auf sozialer Ebene, die ausgegli- chen werden müssen; Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ich komme zum Schluss: (Beifall bei der LINKEN) denn es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass je- Vizepräsidentin Claudia Roth: des Kind mit den Eltern, ins Ferienlager oder auf ande- Ja, bitte. re Art und Weise reisen kann. Auch Klassenfahrten sind keine Selbstverständlichkeit mehr; denn sie sind in aller Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Regel nur möglich, wenn das Geld für eine Reise für alle Kinder bzw. Schüler aufgebracht werden kann. Ganz wichtig ist es auch, die Tourismuspolitik zwi- schen Bund, Ländern und Kommunen sowie ressortüber- Wir denken, mit Kinder- und Jugendreisen wird ein greifend besser zu koordinieren. Nur so kann eine natio- sehr breites Fundament für die Liebe zum Reisen gelegt. nale Tourismusstrategie Erfolg haben, meine Damen und Das sollten wir für den Tourismus nutzen. Auch zu Bil- (B) Herren. dungszwecken sind Kinder- und Jugendreisen wichtig. (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie ein: Ar- Deshalb wünscht sich Die Linke, dass sie zum Bildungs- beiten Sie an der Tourismusstrategie mit. Das ist gut für programm – das beginnt nun mal im Kindergarten, Herr den Tourismus; das ist gut für unser Land. Kollege Münzenmaier – dazugehören. Danke schön. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Dazugehö- ren! Aber doch nicht als Schwerpunkt!) (Beifall bei der SPD) Wir brauchen Standards für alle Altersgruppen von der Grundschule bis zum Abitur, damit die Schüler reisen Vizepräsidentin Claudia Roth: können. Auf Reisen bieten sich wunderbare Möglichkei- Vielen Dank, Gabriele Hiller-Ohm. – Nächste Redne- ten, Bildung zu vermitteln. Wo sollte man sich Möglich- rin: Kerstin Kassner für die Fraktion Die Linke. keiten erschließen, um sich zum Beispiel mit Ökologie, (Beifall bei der LINKEN) mit Umweltfragen vertraut zu machen? Das gelingt vor Ort, im Wald oder im Park, am besten. Das gilt für Um- weltfragen auf jeden Fall. Kerstin Kassner (DIE LINKE): Guten Morgen, liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolle- Aber es gibt noch viel mehr. Es gibt Erinnerungsorte, ginnen und Kollegen! Meine Fraktion möchte mit die- mit denen sich unsere jungen Schülerinnen und Schüler sem Antrag eine Ergänzung zu den sich bereits in Arbeit beschäftigen sollten. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, befindenden Teilen der Tourismusstrategie liefern. Wir wie man Bildung und Reisen verbinden kann. möchten, dass ein besonderer Schwerpunkt auf Kinder- (Beifall bei der LINKEN) und Jugendreisen gelegt wird. Das ist bis jetzt mit kei- nem Wort angesprochen worden. Das muss aber unbe- Deshalb möchten wir, dass es Standards für alle Schü- dingt dazukommen. lerinnen und Schüler gibt. Ich werde auf der ITB die Gelegenheit nutzen, auf einer Podiumsdiskussion mit (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- erfahrenen Organisatoren für solche Reisen zu sprechen, neten der SPD) um daran weiterzuarbeiten, dass es zukünftig diese Stan- Erinnern Sie sich doch mal an Ihre Kinder- und Ju- dards geben wird. Denn, wie gesagt: Reisen bildet. Aber gendzeit! Haben Sie nicht alle besondere Erfahrungen es bildet eben auch Menschen für das Reisen. Deshalb mit und Erinnerungen an schöne Reisen, vielleicht mit dürfen wir auf diese Möglichkeit auf keinen Fall verzich- den Eltern, mit den Großeltern oder eben mit der Schul- ten. 9934 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Kerstin Kassner (A) Ich denke auch, dass es wichtig ist, dass wir bei macht irgendwie Tourismuspolitik in diesem Land. Dazu (C) Sprachreisen unterstützen. Das sind Menschen, die nach kommen die Länder und Destinationen. Da spielen viele Deutschland fahren, um Deutsch zu lernen. Das sollte Akteure nebeneinanderher, und das kann so nicht funk- eine Aufgabe der DZT werden. Auch dafür werde ich tionieren. zukünftig streiten. Deutschland ist ein schönes Land. Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lohnt sich, Gäste ins Land zu holen. Aber ich denke, wir sollten auch unseren Kindern und Jugendlichen diese Er- Deshalb ist das ein zentrales Handlungsfeld, wenn wir da fahrungen ermöglichen – so wie ich damals auf Rügen. etwas nach vorne entwickeln wollen. Wir müssen Kräfte bündeln, konzeptionelle und auch finanzielle. Das bringt Vielen Dank. am Ende nicht nur mehr Output für den Tourismusstand- (Beifall bei der LINKEN) ort, sondern auch ein größeres politisches Gewicht für die Branche, das die Branche auch dringend braucht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Der zweite Punkt ist das Thema Nachhaltigkeit. Nach- Vielen Dank, Kerstin Kassner. – Nächster Redner: haltigkeit ist angesichts des Klimawandels ein zentrales Markus Tressel für Bündnis 90/Die Grünen. Element der Tourismuspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier müssen wir besonders über Mobilität sprechen, die Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): quasi die Grundlage für Tourismus ist: Wie kommen Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- die Leute in die Destinationen? Wie gewinnen wir mehr legen! Es ist ein echter Fortschritt, dass wir überhaupt Passagiere für die Bahn? Wie gewährleisten wir ein be- intensiv über eine nationale Tourismusstrategie diskutie- quemes und vor allem verlässliches Bahnangebot? Da ren. kann der Bund als Eigentümer der Bahn einen intensiven Beitrag leisten. Das muss zwingender Bestandteil einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tourismusstrategie sein. sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das hätten wir uns vonseiten der Bundesregierung schon Drittens müssen wir mit Nachdruck über das Thema viel früher gewünscht, weil der Tourismus nicht erst seit Fachkräfte sprechen. Prosperierender, hochwertiger Tou- dieser Wahlperiode vor zahlreichen großen Herausforde- rismus ist auf gut ausgebildetes Fachpersonal angewie- rungen steht. sen. Da sind wir heute schon am Limit. Wir sprechen von (B) Abbrecherquoten von fast 50 Prozent beim Ausbildungs- (D) (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Mit fremden beruf Restaurantfachmann/Restaurantfachfrau. Ähnliche Federn schmücken!) Zahlen gibt es bei den Köchen. Die meist genannten Ich glaube, selten zuvor sind so große Veränderungen auf Gründe: zu lange Arbeitszeiten, auch an Wochenenden, einmal über diese Branche gekommen: Digitalisierung, und geringer Lohn. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Klimakrise, Mobilitätswandel und Fachkräftemangel – der FDP, das heißt, da ist es nicht gerade förderlich, die das sind die Themen, die wir auch in der Tourismuspoli- sogenannte Flexibilisierung von Arbeitszeit in den Mit- tik auf Bundesebene diskutieren müssen, weil man die- telpunkt zu stellen. Das klingt für viele Jugendliche zu sen Herausforderungen nicht allein auf Länder- oder gar Recht nicht gerade nach Traumberuf. auf Destinationsebene begegnen kann, selbst wenn man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – das wollte. Dr . Marcel Klinge [FDP]: In jedem Gespräch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommt das Thema als Erstes, Markus! Das weißt du auch!) Hinzu kommt die wichtige Frage, wie wir Innovati- onen und Weiterentwicklungen unserer Destinationen – Wir können uns ja über andere Themen in dem Bereich finanzieren. Die Wettbewerber um uns herum schlafen ja unterhalten. Eine Antwort auf den Fachkräftemangel nicht. Wenn wir zum Beispiel nach Österreich schauen, müssen aus unserer Sicht gute und faire Ausbildungs- sehen wir, dass dort sehr aktiv und vor allem koordiniert und später Arbeitsbedingungen sein, die die Fachkräfte die Weiterentwicklung des Tourismusstandortes vorange- auch in der Branche halten. trieben wird. Für andere Länder gilt das gleichermaßen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Deshalb möchte ich für uns vier Punkte hervorheben, die neben einigen anderen Aspekten zentral für eine Wei- Da kann eine nationale Tourismusstrategie einen Beitrag terentwicklung des Tourismusstandortes Deutschland leisten. Wir müssen da auch über Forschung und Lehre sind. diskutieren, und wir müssen an der Stelle auch über die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen disku- Ganz wichtig – das ist der erste Punkt –: Wir brauchen tieren. eine deutlich bessere Koordinierung dieses wichtigen Politikfelds. Ohne eine grundlegende Veränderung bei Ein wichtiger vierter Punkt ist die Förderpolitik. Die der Koordinierung auf Bundesebene, aber auch mit den Unternehmen, die uns als Reisestandort attraktiv ma- Ebenen darunter, brauchen wir die inhaltlichen Themen chen, brauchen Mittel, um in das Produkt zu investieren. gar nicht zu diskutieren. Fast jedes Bundesministerium Da fehlt es bei vielen Banken heute an Expertise. Die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9935

Markus Tressel (A) Förderlandschaft ist zersplittert. Deswegen brauchen wir wusstsein für die große Bedeutung der Tourismuswirt- (C) eine zentrale Anlaufstelle mit Förderung aus einer Hand, schaft schaffen. bei der man auch Fragen des Bürokratieabbaus bündeln kann; Stichwort: Tourismusbank. Da haben wir großen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nachholbedarf. Das muss im Rahmen einer nationalen Tourismusstrategie auf die Agenda. Ja, Herr Kollege Dr. Klinge, lieber Marcel, Sie schrei- ben in Ihrem Antrag einiges, was tatsächlich erwägens- Was wir für die nationale Tourismusstrategie brau- wert ist; das gilt im Übrigen auch für den Antrag der Lin- chen, ist politischer Nachdruck. Wir brauchen keine wei- ken – mit Ausnahme des komplett kostenfreien ÖPNV. tere Zustandsbeschreibung, sondern wir brauchen einen Das werden wir nicht hinbekommen, Frau Kassner. konkreten Handlungsrahmen, Herr Staatssekretär. Das eine oder andere in dieser Frage kann man übrigens auch (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Schade!) schon ohne nationale Tourismusstrategie zeitnah ange- Sie haben auf jeden Fall hier ausgeführt, was tatsächlich hen. noch einbezogen werden kann. Ich gestehe Ihnen zu, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass wir lieber einige Big Points in die Tourismusstra- tegie aufnehmen, die wir dann realistisch in den nächs- Deswegen: Schieben wir das nicht mehr länger auf die ten Jahren berücksichtigen und umsetzen können, als lange Bank! Die nächste Wahl kommt spätestens 2021. 132 Unterpunkte in dem Positionspapier unseres Koali- Wenn wir die Strategie dann nicht nur auf dem Papier ha- tionspartners eben geschwind abzuarbeiten. Das werden ben, sondern auch in der Umsetzung haben wollen, dann wir in den nächsten Jahren sicher nicht alles umsetzen muss das jetzt zeitnah passieren. können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Da haben Sie recht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden auch noch mehr tun, als in der Tourismusstra- Vizepräsidentin Claudia Roth: tegie steht. Vielen Dank, Markus Tressel. – Nächster Redner: Ich darf Ihnen versichern: Wir hatten diese Woche in Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. unserer AG ein Gespräch zum Wassertourismus. Wir hat- ten vorgestern die Anhörung zum Kinder- und Jugend- (Beifall bei der CDU/CSU) tourismus im Ausschuss, Frau Kollegin Kassner. Stich- (B) wort: Bürokratieabbau, den Sie in Ihrem Antrag erwähnt (D) Paul Lehrieder (CDU/CSU): haben: Wir hatten letzte Woche mit der ehemaligen Kol- Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen legin Mayer-Bonde, jetzt beim Normenkontrollrat, ein und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Seit meh- Gespräch über Bürokratieabbau und bürokratische Be- reren Jahren boomt der Tourismus in Deutschland. Wir lastungen. haben beständig Zuwächse – der Herr Staatssekretär hat (Dr . Marcel Klinge [FDP]: Aber nicht nur ein darauf hingewiesen – bei Gästeübernachtungen, die im Gespräch! Es muss ja auch mal was vor Ort letzten Jahr erneut um 4 Prozent auf immerhin nunmehr ankommen, Herr Kollege!) aktuell 477 Millionen gestiegen sind. ( [AfD]: Da ist die AfD be- Wir diskutieren auch über Sachen, die jetzt noch nicht stimmt schuld!) unbedingt fixiert sind. Deutschland ist nicht nur bei Auslandsreisen weltweit (Unruhe) mit an der Spitze, sondern wird auch als Reiseziel im- – Herr Kollege Klinge, hey, nicht schwätzen, wenn ich mer attraktiver. Deshalb ist es gar nicht verkehrt, jetzt im mit Ihnen spreche. unmittelbaren Vorfeld der ITB über die Themen „Tou- rismus“ und „Tourismusstrategie“ hier im Bundestag zu (Heiterkeit – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Net debattieren. schwätze, mache!) Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass wir die Chan- Sie dürfen versichert sein, dass wir auch neben der Touris- cen der Branche für die wirtschaftliche Entwicklung und musstrategie die Belange der im Tourismus Tätigen hier ihr Potenzial in vielen Bereichen noch nicht ausgeschöpft berücksichtigen. Wir diskutieren leidenschaftlich und in haben und vor einer Reihe von Herausforderungen ste- großer Sachlichkeit darüber. Wir haben letzte Woche mit hen, auch durch die zunehmende internationale Konkur- dem Staatssekretär im Heimatminis- renz. Deshalb haben wir in der Großen Koalition eine terium über den digitalen Meldeschein gesprochen, nationale Tourismusstrategie des Bundes vereinbart, um die Rahmenbedingungen für die mittelständisch geprägte (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Nachdem wir eine Tourismuswirtschaft in Deutschland weiter zu verbes- Kleine Anfrage dazu gemacht haben!) sern. Wir wollen die Bundesförderung noch effizienter gestalten, die Belange der Branche in allen Politikberei- über die Möglichkeiten, hier Hürden abzubauen und das chen noch besser berücksichtigen und noch mehr Be- zu erleichtern. Wir sind da auf einem guten Weg. 9936 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Paul Lehrieder (A) Wissen Sie, ich habe aus einigen Ihrer Ausführungen und alle 246 Mitglieder der Unionsfraktion nicht für die (C) gehört: Sie haben schon noch Phantomschmerzen von ersatzlose Streichung des Solidaritätszuschlags gestimmt der Nacht vom 19. auf den 20. November 2017 – lieber haben. nicht regieren als falsch regieren. (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-­ (Abg. Dr. Marcel Klinge [FDP] meldet sich Brömer [CDU/CSU]: Spannend ist, ob die das zu einer Zwischenfrage) in Rheinland-Pfalz machen!) – Er hat eine Frage, Frau Präsidentin. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Lieber Kollege Dr. Klinge, ich war nicht in der Ver- Vizepräsidentin Claudia Roth: handlungsgruppe zum Solidaritätszuschlag dabei. Aber Wollen Sie die zulassen? wenn wir 90 Prozent abbauen und dies schon fixiert ha- ben, dann ist es eine Legendenbildung, zu sagen, wir hät- ten uns verweigert, einem Komplettabbau zuzustimmen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Aber Sie wissen selbst – Sie sind neu im Bundestag; al- Ja, natürlich. les kann man noch nicht voraussetzen –: Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität. Wenn aus Kostengrün- den, aus fiskalischen Gründen noch keine 100 Prozent Vizepräsidentin Claudia Roth: möglich sind, dann fängt man mit 90 Prozent an. Wenn Ich frage Herrn Lehrieder, ob er zulässt. – Er lässt zu. sich dann Spielräume ergeben, weiter abzubauen, dann Herr Dr. Klinge. streben wir das an. Das ist in der Großen Koalition, wie schon gesagt, in guten Händen.

Dr. Marcel Klinge (FDP): (Lachen bei der FDP) Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischen- Das hätte man möglicherweise in einer Jamaika-Koaliti- frage zulassen. – Ich will Ihnen zunächst in einem ganz on auch hinbekommen. zentralen Punkt zustimmen: Selbstverständlich hätte der Tourismus in einer Jamaika-Koalition einen völlig ande- Frau Kollegin Suding, wir haben den Bereich Fami- ren Stellenwert gehabt als in der aktuellen Großen Koa- lie mitverhandeln dürfen. Da war auch nicht immer alles lition. vergnügungssteuerpflichtig; aber wir hätten uns schon zusammengerauft. (B) (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: Das stimmt!) ( [FDP]: Die CSU wohl weni- ger!)

Paul Lehrieder (CDU/CSU): Das wäre letztendlich eine Zweckpartnerschaft gewesen, mit der wir für ein paar Jahre gut hätten leben können. Ach, hör mir auf! Da hätten wir noch Spaß gehabt. Wir arbeiten daran, den Solidaritätszuschlag komplett abzubauen. Aber die Machbarkeit ist eben immer auch Dr. Marcel Klinge (FDP): von entsprechenden fiskalischen Aspekten abhängig; das Denn in diesem Fall würde die FDP den Wirtschafts- sollten Sie wissen, Herr Kollege Dr. Klinge. minister oder die Wirtschaftsministerin stellen. Das ver- steht sich von selbst. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Sebastian Münzenmaier [AfD] meldet (Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD) sich zu einer Zwischenfrage) Sie haben vielleicht noch gut in Erinnerung, dass Vizepräsidentin Claudia Roth: der zentrale Knackpunkt für das Scheitern eines Jamai- ka-Bündnisses Ihre notorische Ablehnung eines konse- Herr Kollege Lehrieder, würden Sie noch eine Frage quenten Auslaufens des Solidaritätszuschlags war. So- zulassen? wohl die Grünen als auch die Union sind uns in diesem (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! zentralen Punkt nicht entgegengekommen. Deswegen Nein!) möchte ich Sie fragen: Hat sich die Haltung der Unions- fraktion zum Thema „ersatzloses Auslaufen des Solidari- tätszuschlages“ in den letzten 16 Monaten geändert? Paul Lehrieder (CDU/CSU): Selbstverständlich. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich frage dies auch vor dem Hintergrund, dass die Vizepräsidentin Claudia Roth: FDP-Fraktion erst vor wenigen Wochen eine namentli- Das ist aber dann die letzte. che Abstimmung zu diesem Thema beantragt hat (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die SPD Paul Lehrieder (CDU/CSU): ist doch dagegen!) Wir können ja abstimmen lassen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9937

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Meine Damen und Herren, zu den Schwerpunkten. (C) Nein, wir stimmen hier nicht ab. Sie sagen Ja oder Wir wollen mit der Tourismusstrategie die ländlichen Nein. Also? Räume stärken. Die weitere Erschließung von auslän- dischen Quellmärkten – Stichwort „Incoming-Touris- mus“ – ist, glaube ich, auch ein ganz wichtiges Thema. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Wir haben die Mittel der Deutschen Zentrale für Touris- Ja, ich lasse zu. Natürlich, Herr Münzenmaier. mus in Frankfurt erhöht, um mehr Gäste für Deutschland zu begeistern. Was die Unterstützung der Branche bei der Vizepräsidentin Claudia Roth: Digitalisierung angeht, haben Sie in Ihrem Antrag natür- lich ein Stück weit recht, wenn Sie fragen: Wie können Das ist aber dann die letzte Zwischenfrage bei Ihrer wir erreichen, dass auch kleine Anbieter im ländlichen Rede. Raum die Möglichkeit haben, online ihre Produkte an den Mann zu bringen? Sebastian Münzenmaier (AfD): (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Besonders wich- Herr Lehrieder, vielen herzlichen Dank, dass Sie die tig! Ja!) Zwischenfrage zulassen. Ich halte die Zwischenfrage auch ganz kurz. – Teilen Sie die Auffassung Ihres Koali- Bei der Förderung umweltfreundlicher Angebote sowie tionspartners, der SPD, dem Ausbau der Barrierefreiheit – Stichworte „Touris- mus für alle“ und „inklusiver Tourismus“ – gibt es genug (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja! – zu tun. Wo die Schwerpunkte in der Tourismusstrategie Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja!) liegen werden, werden wir in den nächsten Wochen leb- dass wir das Problem der gewerbesteuerrechtlichen Hin- haft mit unserem Koalitionspartner und mit der Bun- zurechnung nicht mehr politisch lösen, sondern uns auf desregierung diskutieren. Lieber Thomas Bareiß – jetzt die Gerichtsurteile verlassen sollten? Ein kurzes Ja oder schwätzt der auch schon wieder –, ich freue mich auf Nein als Antwort würde mir reichen. die konstruktive Debatte in den nächsten Wochen. – Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja! Das haben wir vereinbart!) Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Paul Lehrieder (CDU/CSU): ordneten der SPD) Herr Kollege Münzenmaier, Sie können mir die Ant- (B) wort nicht vorschreiben. Ob ich Ja oder Nein sage und Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) wie ich die Frage beantworte, ist immer noch meine Sa- Vielen Dank, Kollege Lehrieder. Jetzt hören Sie aber che – Punkt eins. auch auf zu schwätzen; denn jetzt kommt die nächste (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Rednerin. der SPD) (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ich habe mich Punkt zwei. Wir haben hier bereits vor ein paar Mo- nur für die Zwischenfrage bedankt, Frau Prä- naten auf Ihren Antrag hin über die gewerbesteuerrecht- sidentin!) liche Hinzurechnung debattiert und uns dazu Gedanken – Jetzt hinsetzen. gemacht. Das Ganze ist aus meiner Sicht Sache des Ge- setzgebers. Wenn ein Gesetz aus unserer Sicht falsch ist, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der dann sollten wir uns nicht hinter dem Bundesfinanzhof CDU/CSU und der FDP) verstecken. Aber es ist wie in jeder Partnerschaft: Wir Nächste Rednerin: Gülistan Yüksel für die SPD-Frak- brauchen, wie schon gesagt, einen Konsens, und wir dis- tion. kutieren lebhaft mit unserem Koalitionspartner. Ob wir da irgendwas auf die Reihe bekommen oder ob wir die (Beifall bei der SPD) Entscheidung des BFH abwarten müssen, kann ich Ihnen aber nicht sagen. Mir tut es ein Stück weit um die Reise- Gülistan Yüksel (SPD): büros leid, die mit den erforderlichen Rückstellungen na- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten türlich ein gewisses Damoklesschwert über sich haben. Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen Wir sollten uns überlegen, ob wir kleinen und mittleren und Kollegen! Der Tourismus ist wie keine andere Bran- Gewerbebetrieben, kleinen Reisebüros, Busunternehmen che von Weltoffenheit und Gastfreundschaft geprägt. Das gerecht werden, wenn wir das Problem nicht lösen. Wir wurde in einigen Beiträgen eben auch deutlich. werden daran arbeiten. Aber Sie dürfen versichert sein: Dieses Problem ist bei der Großen Koalition in guten (Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: In allen Händen. eben nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Es muss deswegen in unser aller Interesse sein, diese zu der Abg. Gülistan Yüksel [SPD] – Stephan fördern. Brandner [AfD]: Das glaube ich nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des – Dass die AfD nicht viel glaubt, ist mir schon klar. Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) 9938 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Gülistan Yüksel (A) Kinder- und Jugendreisen sind hierfür eine gute Mög- freundliche Transportmittel zum zentralen Auswahlkrite- (C) lichkeit; denn in ihnen liegt ein besonderes Bildungspo- rium ihrer Reiserichtlinien machen. tenzial. Sie fördern die Persönlichkeitsentwicklung, Herr Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine drei Minuten Lehrieder, und sie vermitteln wichtige Werte wie Tole- Redezeit sind schon um. Mit diesen und vielen weiteren ranz, Neugier und Weltoffenheit. Das wollen wir allen Vorschlägen stellen wir die Weichen für einen nachhalti- ermöglichen. gen Tourismus. Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums aus (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 2014 hat gezeigt, dass drei von vier Kindern und jungen Menschen in Deutschland mindestens einmal im Jahr Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen in den verreisen. Das ist gut. Wir dürfen aber jene jungen Men- kommenden Monaten. In diesem Sinne wünsche ich Ih- schen nicht vergessen, die aus verschiedenen Gründen nen allen später eine gute Fahrt in Ihre Wahlkreise, am keine Möglichkeit dazu haben. besten mit der Bahn. (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank. Wir wollen, dass auch sie Reiseerfahrung sammeln kön- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. nen. Zur Überwindung finanzieller Hürden bietet der Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]) Bund mit dem Bildungs- und Teilhabepaket bereits ein gutes Instrument. Dies bestätigten auch die Experten in Vizepräsidentin Claudia Roth: der Anhörung im Tourismusausschuss am Mittwoch; wir Vielen Dank, Gülistan Yüksel. – Nächster Redner: waren ja alle anwesend. Demnach bestehen eher prak- Michael Theurer für die FDP-Fraktion. tische Hürden bei der Durchführung von Klassenreisen. Hier stehen aber vor allem die Länder in der Pflicht, liebe (Beifall bei der FDP) Frau Kollegin Kassner. (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Das ist rich- Michael Theurer (FDP): tig!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast alle Redner haben die Bedeutung der nationalen Das haben die Sachverständigen uns auch mitgeteilt. Wir Tourismusstrategie betont und unterstrichen. Aber ich fordern daher in unserem Positionspapier zur nationalen halte an der Stelle noch mal fest: Hätte die FDP-Fraktion Tourismusstrategie auch eine stärkere Wertschätzung durch unseren Kollegen Dr. Marcel Klinge nicht einen von Kinder- und Jugendtourismus. Antrag vorgelegt und hätten wir das nicht zum Topthema dieser Woche gemacht, dann würde dieses Parlament gar (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) der CDU/CSU – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Ist nicht über diese nationale Tourismusstrategie sprechen. das schon öffentlich, das Papier?) (Beifall bei der FDP – Heiterkeit der Abg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so erfreulich der [SPD]) wachsende nationale Tourismussektor auch ist: Wirklich Es war gut, dass wir Freien Demokraten das beantragt erstrebenswert ist ein nachhaltiger Tourismus. haben. (Beifall bei der SPD) Nun zu Ihnen, sehr geehrter Herr Staatssekretär Bareiß. Ihre Bemühungen, Ihre Anstrengungen sind ja Dieser muss im Sinne der Agenda 2030 ökologisch, so- aller Ehren wert. Aber im Grunde genommen ist es doch zial und wirtschaftlich nachhaltig sein. Entsprechend erforderlich, dass der Bundeswirtschaftsminister dieses eindeutig – und ausführlicher als im vorliegenden An- Thema zur Chefsache macht. trag der Linken – sind auch hier unsere Erwartungen an die nationale Tourismusstrategie. Gemeinsam mit allen (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Richtig!) Akteuren im Tourismus wollen wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette den schädlichen Auswirkungen des Er hat angekündigt, dass sein Ministerium ein Mittel- Tourismus entgegenwirken. Gleichzeitig gilt es, die Po- standsministerium sein soll, ein Serviceministerium für tenziale des Tourismus für nachhaltige Entwicklung zu den Mittelstand. Aber wenn man sich anschaut, was Mi- nutzen, und das sowohl im nationalen Kontext als auch nister Altmaier tut, dann muss man sagen: Er legt eine in der Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb halten wir nationale Industriestrategie vor. Wenn er etwas nicht ist, zahlreiche Maßnahmen auf den unterschiedlichen Zu- dann ein Mittelstandsminister. Wenn er etwas ist, dann ist ständigkeitsebenen für erforderlich, liebe Kolleginnen er ein Monopolminister. und Kollegen, (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Denn er philosophiert öffentlich darüber, wie Industrie- konzerne fusionieren können, anstatt die Rahmenbedin- so etwa die Einführung einer staatlich getragenen Zer- gungen für kleine und mittlere Betriebe zu verbessern. tifizierung für Mindestanforderungen an nachhalti- Genau das ist notwendig. ges Reisen. Diese würde beispielsweise Angaben zu CO2-Emissionen einschließen. So schaffen wir die nöti- Wir Freie Demokraten reden nicht nur darüber, son- ge Transparenz, durch die Reisende Nachhaltigkeit zum dern wir haben konkrete Initiativen und Gesetzentwür- Buchungskriterium machen können. Staatliche Behörden fe in den Deutschen Bundestag eingebracht, etwa zum sollten dabei Vorbildcharakter haben, indem sie klima- Thema „Flexibilisierung der Arbeitszeit“, um den neuen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9939

Michael Theurer (A) Anforderungen durch die Digitalisierung und Globali- vorangegangenen Legislaturperioden einen deutlichen (C) sierung besser Rechnung zu tragen und Bürokratie im Schritt vorangekommen. Mittelstand abzubauen. Eingebracht wurde eine Vorlage im März 2018 – abgelehnt von den Fraktionen, die die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Große Koalition tragen. der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Mit gutem Der zweite Punkt – das muss ich Ihnen zugestehen, lie- Grund!) be Kollegen von der FDP bzw. von den Linken –: Durch Ihren Antrag haben wir die Möglichkeit, dieses Thema Oder das Bürokratieentlastungsgesetz III. Wann in der Kernzeit zu diskutieren. Dafür herzlichen Dank! kommt es denn? Im Koalitionsvertrag wird es behandelt. Wir glauben nicht, dass Sie es zeitnah vorlegen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch die Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist be- reits angesprochen worden. Ein weiteres Thema ist die Aber, Kollege Theurer, wenn Sie sagen, in den Hotels Verdienstgrenze bei den Minijobs: Anpassung an den herrsche Zettelwirtschaft, zeigt sich, wie ich glaube, dass Mindestlohn oder Dynamisierung? Davon sind Millio- Sie lange nicht mehr im Hotel übernachtet haben. Da nen Menschen in der Gastronomie, in der Hotellerie be- geht mittlerweile alles elektronisch und digital; troffen. Wir haben dort einen akuten Fachkräftemangel. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Es geht um das Gerade im Bereich der Teilzeit und der Minijobs muss es Büro, Klaus-Peter! Backoffice!) eine Verbesserung geben. denn dort ist die Digitalisierung schon angekommen. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das wollen wir nicht! Dann hätten wir immer mehr Niedrig- Zu dem Bashing, das der Staatssekretär hier erfahren löhner! Auf gar keinen Fall!) musste, weil in Sachen Tourismusstrategie angeblich nichts passiert, frage ich Sie, Herr Münzenmaier: Wo Wir sind der festen Überzeugung: Wenn Mittelstand- waren Sie am 3. Dezember 2018, als der Tourismusbeirat politik nicht nur in Sonntagsreden erwähnt, sondern auch des Wirtschaftsministeriums getagt hat und der Staatsse- auf die Tagesordnung des Parlaments kommen würde, kretär sechs Stunden mit den Fachleuten aus Deutschland dann könnte man den Menschen in der Gastronomie, in diskutiert hat, wie wir die Tourismusstrategie gestalten? der Hotellerie, in der Tourismusbranche das Leben we- sentlich erleichtern. Anstatt für Kunden, für den Gast zu (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- arbeiten, anstatt zu kochen und die Menschen zu verwöh- NEN]: Nicht eingeladen! – Zuruf von der nen, verschwenden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter AfD: Dann müssen Sie uns rechtzeitig einla- (B) in den Tourismus- und Hotelbetrieben ihre Zeit mit Zet- den!) (D) telwirtschaft und Dokumentationspflichten. Es muss al- les dokumentiert werden: über die Brotschneidemaschi- – Die Einladung habe ich auch rechtzeitig bekommen. ne bis hin zum Fettabscheider. Das ist Bürokratie pur, meine Damen und Herren. An der Stelle sollte Minister (Zuruf von der AfD: Ich nicht!) Altmaier seinen Ankündigungen, Entlastungen für den Übrigens war ich der einzige Abgeordnete, der dort an- Mittelstand in den Mittelpunkt zu rücken, endlich Taten wesend war. Aber wichtige Dinge kann man dann auch folgen lassen. einmal verlagern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen der AfD) wir zu zwei Punkten, die für mich von großer Bedeutung Wir werden die Regierung an der Stelle treiben. sind, damit sie Bestandteil der Tourismusstrategie wer- den. Vielen Dank. Erstens. Wir haben eine sehr gute Entwicklung des (Beifall bei der FDP) Tourismus in den großen Städten. Wenn ich mir die Zah- len von 2017 ansehe, dann stelle ich fest, dass München Vizepräsidentin Claudia Roth: und Leipzig ein Plus von 14 Prozent, Köln immerhin von Vielen Dank, Michael Theurer. – Der letzte Redner 9 Prozent und Hamburg von 5 Prozent hatten. Im länd- in der Debatte zur nationalen Tourismusstrategie ist lichen Raum sieht es nicht so aus. Dort ist es deutlich Dr. Klaus-Peter Schulze für die CDU/CSU-Fraktion. schwieriger. Die DZT, die wir in diesem Jahr erstmals mit mehr als 30 Millionen Euro unterstützen, hat im (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder Jahr 2016 damit begonnen, den ländlichen Raum stärker [CDU/CSU]: Guter Mann!) zu bewerben. Ein guter Erfolg – das muss man sagen – war das Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Lutherjahr. Dort hat die DZT international Werbung für Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Deutschland gemacht, insbesondere für die Lutherstadt Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Wittenberg. Es war so, dass die Übernachtungszahlen haben im Koalitionsvertrag mit der SPD das erste Mal in Sachsen-Anhalt um 14 Prozent angestiegen sind. Ich verankert, dass eine Tourismusstrategie auf den Weg ge- denke, das ist ein gutes Ergebnis und wir können zu- bracht werden soll. Damit sind wir im Vergleich zu den frieden sein, dass wir die DZT haben, die international 9940 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Dr. Klaus-Peter Schulze (A) unterwegs ist. Ich glaube, die Kollegen, die in Peking, Feministische Außenpolitik konsequent um- (C) Nordamerika und Österreich unterwegs sind und für uns setzen – Gewalt und Diskriminierung über- arbeiten, haben Beifall verdient. winden, Geschlechtergerechtigkeit und Men- schenrechte weltweit verwirklichen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Drucksache 19/7920 NISSES 90/DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) In dem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf Verteidigungsausschuss das Thema „ländlicher Raum“ zurückkommen. Hier sind Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe aus meiner Sicht große Potenziale zu heben, die sich teil- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- weise sehr gut entwickelt haben. Ich erinnere an unsere wicklung 16 Nationalparks. Ich erinnere an die 16 Biosphären- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union reservate. Hier gelingt es zunehmend besser, regionale (Stephan Brandner [AfD]: Super Thema!) Produkte, die von kleinen und mittelständischen Unter- nehmen erbracht werden, an den Touristen zu bringen. – Ja, Herr Brandner, es ist ein super Thema. Ich hoffe, Sie Sie haben damit eine gute Umsatzentwicklung. Auf dem schenken ihm Ihre Aufmerksamkeit. Weg sollten wir zukünftig, unter anderem auch durch den (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Abbau von Bürokratie, die entsprechende Unterstützung NIS 90/DIE GRÜNEN) geben. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte und den die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- wir unbedingt berücksichtigen müssen, ist das Thema nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Kreuzfahrten. Bei den Kreuzfahrtschiffen, die mit ihren noch selbstlaufenden Kraftwerken in den Häfen liegen – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Agnieszka zum Beispiel in Hamburg – und deren Emissionen an Brugger für Bündnis 90/Die Grünen. Feinstaub und NOx deutlich höher sind als bei allen Die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) selfahrzeugen, müssen wir etwas tun. Der erste Schritt muss Landstromversorgung sein. Der zweite Schritt muss katalytische Nachverbrennung in den Abgasanlagen sein. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der dritte Schritt – das ist dann der entscheidende –: Die NEN): Kreuzfahrtschiffe müssen auf LNG umgestellt werden. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer sich über das Thema „feministische Außenpolitik“ lustig (B) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. macht wie die AfD, der macht sich heutzutage einfach (D) (Beifall bei der CDU/CSU) nur noch selber lächerlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Vizepräsidentin Claudia Roth: bei der SPD und der LINKEN – Stephan Vielen Dank, lieber Kollege Schulze. – Damit schlie- Brandner [AfD]: Das ist ein ernstes Thema, ße ich die Aussprache. wirklich!) Dass Sie ein Problem mit Frauen haben, sieht man auch, Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf wenn man in Ihre Reihen schaut. Drucksache 19/7899 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind einverstan- Eine feministische Außenpolitik heißt, die Rechte, die den? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Repräsentation und die Ressourcen von Frauen sicher- zustellen und zu stärken. Es geht um Geld, aber es geht Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- auch um Perspektiven, und es geht um Potenziale. empfehlung des Ausschusses für Tourismus zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Nationale Tou- (Stephan Brandner [AfD]: Theresa May zum rismusstrategie sozial-ökologisch gestalten“. Der Aus- Beispiel, Margaret Thatcher! Das sind doch schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Lichtgestalten!) Drucksache 19/7956, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/7120 abzulehnen. Wer stimmt für die- Außenminister Maas hat sich sehr wolkig zu dieser se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Idee bekannt. Wir legen in unserem Antrag sehr viele enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- sehr pragmatische Vorschläge vor, wie Deutschland dem men. Zugestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, in diesem Jahr im VN-Sicherheitsrat und im nächsten SPD, FDP und AfD. Gegenstimmen kommen von der Jahr im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft ganz kon- Fraktion Die Linke, und enthalten hat sich die Fraktion kret pragmatische Taten folgen lassen kann. Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Schweden und Kanada haben auf der internationalen Bühne schon vorgemacht, wie es geht und dass es, ehr- Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia lich gesagt, ziemlich cool ist. Roth (Augsburg), Agnieszka Brugger, Dr. Frithjof Schmidt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion ( [AfD]: Hauptsache, es ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cool!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9941

Agnieszka Brugger (A) Es geht überhaupt nicht darum, dass Frauen die besse- Frau wahr – Sachen zu hören wie: „Das Mädchen ist ja (C) ren Menschen sind. Worum es geht, wird im Handbuch gut vorbereitet“, „Ja, Frau Brugger, wenn Sie dann mal der schwedischen Regierung sehr klar und bestechend alt werden ... “, „Das ist alles ein bisschen idealistisch und erklärt – Zitat –: naiv“. Dazu möchte ich zwei Sachen sagen:

Die feministische Außenpolitik beginnt und endet Erstens. Wenn ich mir die düstere Weltlage anschaue mit der Realität. Sie basiert auf Fakten und Statisti- und auch die manchmal festzustellende Verschlafenheit ken zum Alltag von Mädchen und Frauen und Steifheit der deutschen Außenpolitik, dann muss ich (Stephan Brandner [AfD]: Fragen Sie doch sagen: Eine Prise Idealismus kann dem Ganzen nicht nur Frau Merkel, ob sie es genauso macht!) schaden; vielmehr kann die Weltpolitik sie auch gut ge- brauchen. und möchte konkrete Ergebnisse im Leben von Menschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– übrigens nicht nur Frauen – Meine zweite Botschaft geht an alle Frauen und vor erzielen. Andernfalls verliert sie ihre Relevanz. allem Mädchen dort draußen: Lasst euch nicht entmu- tigen! Glaubt an euch selbst! Macht euer eigenes Ding, Meine Damen und Herren, noch immer sind die Rech- und geht euren eigenen Weg! te von Frauen weltweit unter Beschuss, derzeit wieder mehr . Wenn Frauen nicht selbst entscheiden können, wo, Vielen Dank. wie und mit wem sie leben, wenn Populisten wie die Präsidenten Trump und Bolsonaro mit frauenfeindlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Parolen Hass säen, wenn Frauen und Mädchen bei der und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Verteilung von Hilfsgütern leer ausgehen, wenn Verge- LINKEN) waltigungen und abscheuliche sexualisierte Gewalt in Kriegen systematisch als Waffe eingesetzt werden, dann braucht es eine klare und laute Stimme für diese Frauen, Vizepräsidentin Claudia Roth: und es braucht jemanden, der für ihre Rechte kämpft. Vielen Dank, Agnieszka Brugger. – Nächste Rednerin: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der CDU/CSU) LINKEN) Das International Peace Institute hat Friedensprozes- (CDU/CSU): (B) se weltweit untersucht und festgestellt, dass ein stabiler Elisabeth Motschmann (D) Frieden um mehr als ein Drittel wahrscheinlicher wird, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wenn Frauen am Prozess beteiligt werden. Als genau vor 100 Jahren Marie Juchacz, eine tapfere Sozialdemokratin, als erste Frau eine Rede in der Wei- (Stephan Brandner [AfD]: Tolle Studie!) marer Nationalversammlung hielt, löste das laut Proto- Allerdings sind nur 8 von 100 Stühlen an den Tischen koll Heiterkeit aus. Heute, 100 Jahre später, reden wir von Friedensverhandlungen von Frauen besetzt, und das über feministische Außenpolitik, und wieder gibt es diese muss sich endlich ändern. Heiterkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Corinna und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Miazga [AfD]: Ich lache doch auch! – Stephan LINKEN und der Abg. Elisabeth Motschmann Brandner [AfD]: Wir freuen uns! Wichtiges [CDU/CSU]) Thema! – Weiterer Zuruf von der AfD: Das Übrigens sollte man nicht immer nur mit dem Finger löst immer noch Heiterkeit aus!) in die Ferne zeigen. Wenn wir glaubwürdig für die Rech- te von Frauen eintreten wollen, müssen wir auch auf dem – Ihr Männer dort drüben seid wirklich sehr, sehr bere- internationalen Parkett gleichberechtigt Frauen in der chenbar; aber es ist nicht klug. ersten Reihe haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Stephan Brandner [AfD]: Frauenrechte oder der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE rechte Frauen? Was meinen Sie denn jetzt?) GRÜNEN) Und wie sieht es in den deutschen Botschaften aus? Der- Heiterkeit kann etwas Schönes sein – ich bin gerne zeit gibt es 20 Botschafterinnen und 132 Botschafter. Das dabei –; aber es gibt auch eine abschätzige Heiterkeit. sind keine Zahlen, auf die stolz sein kann. Wir Frauen kennen das. Hinter dieser Heiterkeit verbirgt Da erwarten wir eine schnelle Veränderung. sich die Frage vieler – nicht aller – Männer, die ich in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den letzten Tagen häufig gehört habe: „Was soll das denn sowie bei Abgeordneten der LINKEN) jetzt?“ oder: „Habt ihr keine anderen Probleme?“ oder: „Wie albern ist das denn?“. Meine Damen und Herren, ich sitze jetzt seit ungefähr zehn Jahren im Verteidigungsausschuss. Da kriegt man (Stephan Brandner [AfD]: Was haben Sie als junge Frau – die nehmen mich da immer als junge denn geantwortet?) 9942 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Elisabeth Motschmann (A) Übrigens ist diese Heiterkeit nicht selten der Humus für An dieser Stelle höre ich dann oft: Was wollt ihr denn? (C) Chauvi-Witze, und davon haben wir Frauen genug! Ihr habt doch eine Bundeskanzlerin. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- (Stephan Brandner [AfD]: Haben Frauen KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schon mal Frieden geschlossen?) sowie bei Abgeordneten der FDP) – Wunderbar. Ihr seid so berechenbar und so – Entschul- Was bedeutet nun „feministische Außenpolitik“? digung – blöd. – Sie bedeutet erstens die aktive Teilhabe von Frauen an (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Außen- und Sicherheitspolitik. der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Stephan Brandner [AfD]: Ja, erzählen Sie es! Merkel!) Ja, die haben wir, und sie ist außenpolitisch gut unter- wegs und auch sehr erfolgreich. Aber Die Außenpolitik muss weiblicher werden. warnt selber – Zitat –: „Aus der Tatsache, dass es mich gibt, darf kein Alibi werden.“ (Corinna Miazga [AfD]: Das macht sie aber nicht besser!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu den Grünen, die den Antrag gestellt haben: Ihr habt leider keine einzige Frau als ordentliches Mitglied im Immer noch dominieren dunkle Herrenanzüge die Auswärtigen Ausschuss. Parlamente. (Zurufe von Abgeordneten der AfD: Pfui! – (Stephan Brandner [AfD]: Wir brauchen helle Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herrenanzüge!) NEN]: Das ist nicht wahr: Kollegin Roth! – Es ginge auch anders. Stephan Brandner [AfD]: Sitzt der Hofreiter nicht im Ausschuss?) (Stephan Brandner [AfD]: Aber nichts ganz Dunkles!) Das kann auch noch besser werden. So viel zur feminis- tischen Außenpolitik. Übrigens, auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz dominieren die dunklen Herrenanzüge, obwohl es in die- Zweitens. Inhaltlich geht es – das wurde eben schon sem Jahr einige wenige Frauen mehr gab. Auch das ginge (B) gesagt – um die Interessen, die Rechte und den Schutz anders. (D) von Frauen vor Gewalt und Unterdrückung. Wir müs- sen als Frauen in der Außenpolitik Anwältinnen der Frauen wollen und können außenpolitisch tätig sein. Schwächsten sein, die sich nicht selbst verteidigen kön- Frauen sind dafür auch besonders geeignet. Wir sind gute nen. Diplomatinnen, gute Brückenbauerinnen. Nicht Kon- frontation, sondern Ausgleich der verschiedenen Interes- (Stephan Brandner [AfD]: Frau Thatcher hat sen ist unser Grundprinzip, und dies alles im Interesse das vorgemacht!) der Schwächsten, der Frauen und im Interesse des Frie- dens in der Welt. Wenn mehr Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik agieren, ändert sich der Blickwinkel auf diese. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Stephan Brandner [AfD]: Frau Thatcher hat NEN – Stephan Brandner [AfD]: Wollen Sie es vorgemacht, oder?) damit sagen, Maas muss weg?) Forscher aus Berlin, Genf und Amsterdam haben Frie- Es gibt gute Ansätze. Vieles von dem, was im vorlie- densverträge ausgewertet und festgestellt: Frieden ist genden Antrag steht, wird schon umgesetzt. Ich nenne nachhaltiger, wenn Frauen mit am Verhandlungstisch drei Punkte: erstens den nationalen Aktionsplan der Bun- gesessen haben. desregierung zur Umsetzung der Resolution 1325, zwei- tens die EU-Taskforce zu Frauen, Frieden und Sicherheit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und drittens die Unterstützung des African Women Lea- der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Er- ders Network durch die Bundesregierung. innern Sie sich noch an die Falklandinseln?) Der vorliegende Antrag ist ein Weckruf. Das finde ich Leider ist Außenpolitik in unserem Land und weltweit durchaus gut. Allerdings – ich komme zum Ende, Frau nach wie vor eine Männerdomäne. Wenn es um Krieg Präsidentin – überfrachten Sie mit 33 Forderungen an die und Frieden geht, sitzen keine bzw. nur sehr, sehr wenige Bundesregierung auf neun Seiten das Thema und verzet- Frauen an den Verhandlungstischen, und das genau muss teln sich. Weniger wäre mehr. Deshalb lehnen wir den sich ändern. Antrag ab. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE Stephan Brandner [AfD]: Aber sehr viele GRÜNEN]: Weil so viele gute Ideen drin Männer schließen Frieden, oder?) sind?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9943

Elisabeth Motschmann (A) Ich will am Ende sagen: Am Beginn meiner politi- der Erde … diskriminiert; ihnen werden gleiche (C) schen Arbeit vor 40 Jahren hätte ich allergrößte Probleme Rechte verwehrt und es wird … verhindert, dass sie mit dem Begriff „Feminismus“ gehabt. politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich gleich- berechtigt teilhaben können. (Corinna Miazga [AfD]: Ja, aber jetzt nicht mehr? – Stephan Brandner [AfD]: Sie haben (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was ist daran sich daran gewöhnt, oder?) falsch? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn es aber um die Rechte und um die Teilhabe von Frauen in allen Bereichen unserer Gesellschaft und welt- Das schreibt eine Frau, Vizepräsidentin eines Parlaments, weit geht, dann habe ich heute kein Problem mehr mit in einem Land, in dem seit 13 Jahren eine Frau regiert. dem Feminismus. (Beifall bei der AfD – Katharina Dröge (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der nichts verstanden!) SPD und der LINKEN) Frau Roth, schlagen Sie im Grundgesetz nach: „Män- ner und Frauen sind gleichberechtigt.“ Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Ja, eben! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Augenblick! – Letzter Satz – der ist jetzt noch wich- Frauen werden nicht in allen Ländern der Welt diskri- tig –: Männer sind uns wichtig, lieb und teuer. Aber wir miniert. Sie und Frau Merkel sind die besten Beispiele Frauen wollen mitmachen; wir wollen dabei sein. dafür . Oder wird etwa Angela Merkel, zum achten Mal nacheinander zur mächtigsten Frau der Welt gekürt, auch (Stephan Brandner [AfD]: Sehr schön!) strukturell diskriminiert Das steckt hinter der feministischen Außenpolitik. (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Nichts Vielen Dank. verstanden! – Agnieszka Brugger [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der standen, was „strukturell diskriminiert“ be- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- deutet!) NEN – Stephan Brandner [AfD]: Jetzt kommt (B) unser Quotenmann!) und an der gleichberechtigten politischen Teilhabe ge- (D) hindert? Von wem denn? Von Helmut Kohl, Roland Koch, Friedrich Merz, Christian Wulff oder Wolfgang Vizepräsidentin Claudia Roth: Schäuble? Vielen Dank, Elisabeth Motschmann. – Nächster Red- ner in der Debatte: Petr Bystron für die AfD-Fraktion. (Heiterkeit und Beifall bei der AfD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das (Beifall bei der AfD – Stephan Brandner war ja ein super Witz! – Zuruf von der SPD: [AfD]: Der Quotenmann im dunklen Anzug! Das ist billig!) Fühlst du dich als Frau heute, Petr? Petra Bystron!) Ja, es gibt Länder, in denen Frauen durch mittelalterli- che, patriarchalische Strukturen unterdrückt und benach- – So, jetzt kommt Herr Bystron dran. teiligt werden. (Weiterer Zuruf von der AfD) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da – Meine Güte! muss man nur in die Reihen der AfD gucken!) Es sind allesamt islamische Länder, und das verschwei- Petr Bystron (AfD): gen Sie in Ihrem Antrag. Sehr geehrte Damen und Herren! Wir müssen uns heu- (Beifall bei der AfD – Corinna Miazga te mit einem sexistischen Antrag von Claudia Roth und [AfD]: So ist es!) ihrem Künstlerkollektiv beschäftigen. Das passt nicht zu Ihrer Ideologie. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD Sie selbst, Frau Roth, haben Ihren Antrag völlig wert- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) los gemacht, indem Sie sich im Iran diesen Strukturen unterworfen haben. Ich trenne bewusst zwischen den Autorinnen und dem Rest der Fraktion; denn einigen Grünen ist dieses Ela- (Lachen der Vizepräsidentin Claudia Roth) borat peinlich. Wir werden gleich sehen, warum. Eine Kostprobe aus dem Papier: – Da lachen Sie?

Frauen und Mädchen … werden in allen Regionen Vizepräsidentin Claudia Roth: – in allen Regionen! – Entschuldigung! Ich werde nachher darauf eingehen. 9944 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

(A) Petr Bystron (AfD): international isoliert. Meine Damen und Herren, Sie sehen (C) Na, dann stoppen Sie jetzt die Zeit, wenn Sie mich selbst: Dieser Antrag ist ein Missbrauch des Parlaments unterbrechen. Stoppen Sie die Zeit! für kulturmarxistische Propaganda. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was für eine chauvinistische Rede! – Jetzt werde ich als Mann durch Ihren Einwurf strukturell Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie benachteiligt. Also bitte! sind eine Schande für das Parlament!) (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- Die Autorinnen wollen sich lediglich mehr Geld und NIS 90/DIE GRÜNEN) Macht sichern mit Quoten für Jobs, für die ihnen die Qualifikation fehlt. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Ja, weil Geld Herr Bystron, ich versuche hier, die Sitzung zu leiten. auch nur Männern zusteht! Genau! – Elisabeth (Stephan Brandner [AfD]: Frau Vizepräsiden- Motschmann [CDU/CSU]: Sie sind echt pein- tin, Sie benehmen sich daneben! Sie können lich! – Dr. [BÜNDNIS 90/ doch nicht Reden von dort oben kommentie- DIE GRÜNEN]: Sie gehören aus der Sitzung ren! Was ist denn das für ein Benehmen? Ver- ausgeschlossen!) halten Sie sich neutral, oder kommen Sie von Und, Frau Roth, Sie wollen einen Paradigmenwech- dort runter!) sel? Ja, den sollen Sie haben. Wir brauchen einen Para- Ich bitte: Wenden Sie sich an die Kolleginnen und Kol- digmenwechsel; denn die Alt-68er haben in den letzten legen, und ich werde dann gegebenenfalls auf Ihre Ge- 50 Jahren genug Schaden angerichtet! schichten antworten. (Beifall bei der AfD – Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Ja, nämlich bei Ihnen zum Petr Bystron (AfD): Beispiel!) Frau Roth, es gibt hier schon Diskussionen im Hause, dass Sie der Rolle als Vizepräsidentin nicht gewachsen So wie Frau Merkel Europa spaltet, spalten Sie unsere sind. Gesellschaft. Sie hetzen Frauen gegen Männer auf, (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜND- ten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und NISSES 90/DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) Sie bestätigen das nur. Homosexuelle gegen Heteros, Weiße gegen Schwarze, Behinderte gegen Nichtbehinderte.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Zuruf von der SPD: So ein Schwachsinn!) Wir werden uns mit dieser Äußerung von Herrn Das lassen wir uns von Ihnen nicht mehr gefallen! Bystron, wer hier würdig ist und wer hier nicht würdig ist, selbstverständlich im nächsten Ältestenrat befassen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir brauchen keine Spaltung. Wir brauchen keine Quoten. DIE GRÜNEN) Ein Staat betreibt Außenpolitik, um seine Interessen zu vertreten – nicht die Interessen seiner Frauen, sondern Petr Bystron (AfD): die Interessen aller seiner Bürger. Auf unseren Antrag, hoffe ich doch. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie vertreten nicht einmal die In- Vizepräsidentin Claudia Roth: teressen der Frauen in Ihren Reihen!) Ich bitte Sie jetzt, in Ihrer Rede fortzufahren. Wir brauchen daher eine verantwortungsvolle Außenpo- litik für alle Bürger dieses Landes, und im Moment am Petr Bystron (AfD): meisten für einen Mann – Billy Six –, den Sie im Gefäng- Sie selbst, Frau Roth, haben Ihren Antrag wertlos ge- nis verrotten lassen. macht, indem Sie im Iran den Frauen in den Rücken ge- (Beifall bei der AfD) fallen sind, die ins Gefängnis gesteckt werden, wenn sie ohne Kopftuch auf die Straße gehen. Sie haben mit den Frau Roth, ich spreche daher für jeden einzelnen un- Mullahs paktiert und dabei auch noch das Symbol der serer Wähler: Über 8 Millionen Menschen lehnen Ihren Unterwerfung, das Kopftuch, aufgesetzt. Antrag geschlossen ab. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Das ist feministische Politik à la Claudia Roth! Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Was feministische Politik aber für Angela Merkel be- NEN]: Schämen Sie sich! – Weiterer Zuruf deutet, sehen wir in den letzten vier Jahren: Brexit, zerstör- vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was für te EU, das gemeinsame Europa gespalten und Deutschland ein Schwachsinn!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9945

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen heute – (C) Nächste Rednerin in dieser Debatte: Michelle wir haben es gerade schon von Frau Motschmann ge- Müntefering für die Bundesregierung. Frau Müntefering, hört –: Friedensverträge sind stabiler und halten länger, bitte. wenn auch Frauen beteiligt sind. Frauen sind besonders betroffen, wo Krieg herrscht. Vergewaltigung, Ausbeu- (Beifall bei der SPD) tung, sexuelle Gewalt, das wird ganz gezielt als Demüti- gung von Völkern, als Kriegswaffe eingesetzt. Staatsministerin im Auswär- Michelle Müntefering, Deswegen arbeiten wir mit den lokalen Bevölkerungen tigen Amt: zusammen. Ein Beispiel: Die Abrüstungskampagnen,­ die Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen wir im ländlichen Nigeria unterstützt haben, hätten ohne und Herren! Herr Bystron, ich gehe nicht weiter auf Sie die Einbeziehung und die Überzeugungskraft weiblicher ein. Sie haben Ihr Verständnis von Gleichstellung und Führungskräfte gar nicht funktioniert. Ohne die Bedürf- Gleichberechtigung von Frauen hier gestern schon deut- nisse der Hälfte der Weltbevölkerung zu berücksichtigen, lich gemacht. Oder soll ich besser „Ihr Unverständnis“ können wir keine gute Politik machen, sagen? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- ohne sie einzubeziehen, können wir keine Demokratie NISSES 90/DIE GRÜNEN) fördern, und ohne den Frauen Sicherheit zu geben, kön- nen wir keinen Frieden in der Welt herstellen. Das ist Dieser Antrag hat seine Berechtigung; diese Debatte kein Selbstläufer. Die VN-Charta der Menschenrechte, lohnt sich. die globalen Ziele, die SDGs, das sind die großen inter- Ellinor von Puttkamer war die erste Botschafterin der nationalen Verabredungen, um deren Durchsetzung wir Bundesrepublik Deutschland, 1969 vom damaligen Au- immer und überall ringen müssen. ßenminister Willy Brandt ernannt. Zuvor hatte ihr das (Beifall bei der SPD) Auswärtige Amt ganz offiziell bescheinigt: Sie hat einen durchaus männlichen Verstand. – Das sollte wohl ein Lob Deswegen setzen wir einen Schwerpunkt bei unserer sein. Arbeit im Sicherheitsrat. Wir übernehmen den Co-Chair bei der Umsetzung der Resolution 1325, „Frauen, Frie- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ den und Sicherheit“. Das ist ein starkes Signal Deutsch- CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ja!) lands auf diesem Feld. Ich habe mich selber mit Margot Mit Verlaub, an so einem grundsätzlich männlichen Ver- Wallström getroffen, habe den Mitgliedern des Sicher- (B) stand habe ich nicht nur mit Blick auf so manche Staaten- heitsrates unsere Unterstützung – auch konkrete, auch (D) lenker dieser Welt meine Zweifel. finanzielle – zugesagt. Die Netzwerkbildung von Frauen ist wichtig, und deswegen helfen wir dem African Wo- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men Leaders Network und gründen gerade ein zweites DIE GRÜNEN) Netzwerk mit Lateinamerika und in der Karibik. Wir Aber es tut sich etwas – auch im Auswärtigen Amt – werden die Zivilgesellschaft nach New York einladen. bei der Besetzung von Spitzenämtern mit Frauen, wenn- Wir wollen ihr eine Stimme geben, ihr Gehör verschaf- gleich gilt – Sie wissen es –: 33 Prozent Frauen in Füh- fen. rungspositionen in der Berliner Zentrale und 15 Prozent (Beifall bei der SPD) Leiterinnen im Ausland, das ist nicht genug. Es gibt noch viel zu tun. Es ist noch Luft nach oben, Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, dass sich diese Debatte lohnt, weil wir Frauen für einen (Stephan Brandner [AfD]: Ein einflussreicher Unterschied dabei sorgen können, wohin sich diese Welt Ehemann hilft auch weiter! – Gegenruf der entwickelt. Liebe Männer, helfen Sie uns dabei! Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist so unter der Gürtellinie! Das ist peinlich und be- Herzlichen Dank. schämend!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten etwa beim Berichtswesen unserer Botschaften. Mit des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Heiko Maas, Kolleginnen und Kollegen, haben wir einen Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]) Außenminister, der das Thema verstanden hat und für den Gleichberechtigung kein Fremdwort ist. Vizepräsident : (Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Vielen Dank, Frau Kollegin Müntefering. – Als Nächs- Auch keine Frau!) te hat die Kollegin , FDP-Fraktion, das Wort. Wir sind uns bewusst, dass wir noch besser werden (Beifall bei der FDP) können. Die Teilhabe von Frauen an politischen Pro- zessen ist eben noch lange keine Selbstverständlichkeit. Renata Alt (FDP): Deswegen finde ich es gut, dass die Opposition von den Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Grünen heute einen Impuls einbringt – auch mit konkre- Kollegen! Meine Damen und Herren! Letzte Woche wur- ten Vorschlägen –, von denen wir einige bereits umsetzen de meine Büroleiterin bei einer Veranstaltung zur euro- und andere schon angepackt haben. päischen Verteidigungspolitik von einem älteren Herren 9946 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Renata Alt (A) angesprochen. Völlig überraschend fragte er sie: Na, was Liebe Frau Brugger, vielem von dem, was Sie gesagt (C) machen Sie denn hier bei einer außenpolitischen Veran- haben, kann ich zustimmen. Uns eint die Überzeugung, staltung? Wessen Praktikantin sind Sie? – Meine Damen dass wir eine bessere Außenpolitik brauchen. Aber brau- und Herren, dass im Jahr 2019 Frauen eine außenpoliti- chen wir unbedingt das Adjektiv „feministisch“ für die sche Qualifikation derart plump abgesprochen wird, ist Außenpolitik? beschämend. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, GRÜNEN]: Ja! – Corinna Miazga [AfD]: Das der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ist die Frage! Wir brauchen das nicht!) GRÜNEN) Nein. Das Label „feministisch“ ist für unser Anliegen Deutsche Außenpolitik muss weiblicher werden. An- überflüssig. Ich bin der Meinung, dass das sogar kontra- dere Länder sind uns da längst weit voraus. Ich nenne nur produktiv ist; einige bekannte Außenpolitikerinnen: Condoleezza Rice, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Hillary Clinton, der CDU/CSU und der AfD – Katharina Dröge (Corinna Miazga [AfD]: Ja, wunderbar! Was [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?) ist das für ein Vorbild?) denn wir werden nur sehr schwer eine gemeinsame De- Chrystia Freeland, Federica Mogherini. Madeleine finition von „Feminismus“ finden, und das haben die ­Albright war gerade eine sehr gefragte Gesprächspart- schwedischen Politiker mittlerweile auch erkannt. nerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein mo- Lassen Sie uns für eine Außenpolitik eintreten, in der dernes Land. Wir brauchen eine moderne und verant- Frauen selbstverständlich ihren Platz haben, vor allem wortungsvolle Außenpolitik, die Schwache schützt, eine als Gestalterinnen. Außenpolitik, die allen Chancen bietet und Teilhabe er- möglicht. Wir brauchen eine Außenpolitik, deren Umset- (Beifall bei der FDP, der SPD und dem zung und Repräsentation von Männern und Frauen glei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- chermaßen vorangetrieben wird. geordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dazu bekennt sich die Bundesregierung in den Leitlini- der AfD) en zur Krisenprävention und in der UN-Resolution 1325. Diese Resolution macht deutlich, dass Frauen nachhaltig Denken Sie auch an die Zukunft Ihrer eigenen Töchter. Frieden sichern. Durch Vorbildfunktion in Führungspositionen können (B) wir die junge Generation von Frauen ermutigen, Verant- (D) Setzen Sie in Ihren Projekten endlich auf die aktive wortung zu übernehmen. Dieses Bild eines modernen Beteiligung und Einbindung von Frauen, in UN-Missi- Deutschlands möchten wir Freie Demokraten in die Welt onen, bei der Gesetzgebung oder auch bei der Trauma- transportieren. bewältigung! Der Überweisung Ihres Antrags in den Ausschuss (Corinna Miazga [AfD]: Ich habe auch gleich werden wir zustimmen. ein Trauma!) Vielen Dank. Frau Müntefering, nutzen Sie den UN-Sicherheitsrat! Le- gen Sie einen Schwerpunkt auf die Rechte der Frauen! Es (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten darf nicht sein, dass in Afrika sexualisierte Gewalt immer der CDU/CSU und der SPD) noch als Kriegswaffe eingesetzt wird.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem Vizepräsident Wolfgang Kubicki: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Vielen Dank, Frau Kollegin Alt. – Als Nächstes spricht geordneten der CDU/CSU – Corinna Miazga zu uns die Kollegin Kathrin Vogler, Die Linke. [AfD]: Was hat das damit zu tun? Gar nichts!) (Beifall bei der LINKEN) Es darf nicht sein, dass in Indien weit über 100 Frauen täglich vergewaltigt, unterdrückt oder sogar ermordet Kathrin Vogler (DIE LINKE): werden, nur weil sie Frauen sind. Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Herren und Da- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD men im Saal und auf den Tribünen! Wir reden hier über und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – einen Antrag der Grünen zu feministischer Außenpoli- Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tik, und dabei hört man gleich das große Murren aus der NEN]: Das ist der AfD egal!) rechten Mitte des Hauses: Was soll denn das sein? – Von ganz rechts kommt das übliche Geplärre von der angebli- Unterstützen Sie Frauenbewegungen weltweit, wie zum chen Genderideologie, wobei ich zugeben muss, dass der Beispiel die iranische White-Wednesday-Bewegung! Beitrag von Herrn Bystron heute schon außergewöhnlich flegelhaft war. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9947

Kathrin Vogler (A) Auf der anderen Seite des Saales hört man den einen men-Krieg beteiligt sind; denn da leiden die Frauen ganz (C) oder anderen ganz leise Joschka Fischer zitieren, der sag- besonders. te, dass es nur „eine gute oder schlechte Außenpolitik“ gebe. Das stimmt übrigens; denn eine Politik, die die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bedürfnisse und die Fähigkeiten der Mehrheit der Men- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE schen vernachlässigt und nicht einbezieht, ist einfach GRÜNEN) eine schlechte Politik. Zweitens. Opfer von Vergewaltigungen und Zwangs­ ehen, etwa die Jesidinnen im Nordirak, müssen nicht nur (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- rechtlichen Schutz in Deutschland bekommen. Vielmehr neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ muss es vor Ort Hilfsmaßnahmen geben, zum Beispiel DIE GRÜNEN – Corinna Miazga [AfD]: Die Psychotherapien und soziale Unterstützung. Da unter- Mehrheit der Menschen sind Frauen, nicht?) nimmt die Bundesregierung leider viel zu wenig. Wenn Wenn Friedensverträge länger halten, weil Frauen da- diese Frauen in Deutschland Asyl erhalten, müssen sie ran beteiligt waren, dann ist das gut für alle. Ich freue selbstverständlich auch das Recht bekommen, ihre Fa- mich übrigens, dass Sie der Gedanke so provoziert. Das milien zu sich in die Sicherheit zu holen. Alles andere ist zeigt doch, dass hier offenbar ein wunder Punkt getroffen doch unmenschlich und unerträglich. wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Außenpolitik halten viele hier im Saal quasi naturgemäß Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des für eine Männersache, die in Silberrückenrunden stattzu- Kollegen Bystron aus der AfD-Fraktion? finden hat. Schauen wir uns nur mal unseren Auswärtigen Ausschuss an: Lediglich 12 Frauen sitzen dort 33 Män- nern gegenüber. Bei der AfD – das ist klar –, aber auch Kathrin Vogler (DIE LINKE): bei den Grünen sitzt dort keine einzige Frau, bei der FDP Nein, ich möchte gerne weitermachen. immerhin eine, und bei der Union sind von 16 Vollmit- Drittens. Frauen, vor allem Arbeiterinnen und arme gliedern 3 Frauen. Das können auch die SPD mit einem Frauen, sind in vielen Ländern der Welt besonderer Un- Frauenanteil von 50 Prozent und Die Linke mit einem terdrückung und Ausbeutung ausgesetzt. Ich erwarte von Frauenanteil von 75 Prozent nicht ganz rausreißen. – Ich der Bundesregierung, dass sie diese besonderen Unter- kann Sie aber beruhigen: Mit feministischer Außenpoli- drückungs- und Ausbeutungsverhältnisse im Rahmen (B) tik können sich auch Männer beschäftigen; das können (D) ihrer internationalen Beziehungen anspricht und auf Ver- auch Männer mit voranbringen. Sie werden sehen: Das änderungen drängt. ist eine Politik, die ganz nebenbei auch für die männliche Minderheit auf diesem Planeten gut ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Das muss auch Konsequenzen für die Praxis deutscher Konzerne im Ausland haben. Wenn die Politik die Bedürfnisse von Frauen ganz besonders berücksichtigen will, dann berührt das einige (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) grundsätzliche Fragen. Mir reicht es nicht, die UN-Re- Es gibt kein Recht auf Profitmaximierung durch Sweat­ solution 1325 in Sonntagsreden zu feiern und verbale shops, in denen schlecht bezahlte Frauen und Kinder Bekenntnisse zum Schutz von Frauen und Kindern in unter krankmachenden Arbeitsbedingungen Markenkla- UN-Militärmandate zu schreiben oder in NATO-Stäben motten für die reiche Welt zusammennähen. Das muss in einfach etwas mehr weibliches Personal unterzubringen, den Mittelpunkt! sondern wir müssen knallhart über Interessen reden. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Erstens: Rüstungsexporte. Das Kinderhilfswerk der AfD: Sie haben eine schicke Jacke an!) Vereinten Nationen, UNICEF, geht davon aus, dass 80 Prozent aller durch Kleinwaffen getöteten Personen Frauen und Kinder sind. Und was tut die Bundesregie- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: rung? Im Koalitionsvertrag haben Sie sich ja noch dazu Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin verpflichtet, Kleinwaffen nicht mehr in Länder außerhalb hat die Kollegin Gisela Manderla, CDU/CSU-Fraktion, von EU und NATO zu exportieren. Diese Regelung ha- das Wort. ben Sie aber noch nicht umgesetzt, weil jetzt erst mal da- (Beifall bei der CDU/CSU) rum geschachert wird, welche Ausnahmen erlaubt sein sollen. So geht das nicht. Da müssen Sie endlich voran- kommen. Gisela Manderla (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! (Beifall bei der LINKEN) Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte nicht auf die menschenverachtenden Bemerkungen der AfD-Kol- In diesem Zusammenhang will ich auch noch einmal legen eingehen, die peinlich waren, daran erinnern, dass die Bundesregierung endlich auf- hören muss, Waffen an die Länder zu liefern, die am Je- (Corinna Miazga [AfD]: Was war das denn?) 9948 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Gisela Manderla (A) aber vorab eine Bemerkung zur Kandidatur von Kanz- So wurde zunächst ein erster Aktionsplan der Regie- (C) lerin Merkel machen: Als sie zum ersten Mal kandidiert rung für den Zeitraum von 2013 bis 2016 auf den Weg hat, gebracht. Es ging um die Förderung der Rechte von Frau- en und um einen außenpolitischen und innenpolitischen (Stephan Brandner [AfD]: Das war men- Aspekt. Es ging zuerst einmal um die Maghreb-Staaten schenverachtend!) und den OSZE-Raum. Es ging – dafür bin ich der Regie- waren es die Frauen der CDU/CSU und die Frauen aus rung sehr dankbar – vor allen Dingen auch darum, dass der Gesellschaft und anderen politischen Gremien, die geflüchteten Frauen und Mädchen hier in Deutschland Frau Merkel in dieses Amt getragen haben, und darauf eine besondere Fürsorge zuteilwird. Es ging zum Beispiel sind wir heute immer noch sehr stolz. darum, dass Frauen und Mädchen in Flüchtlingsunter- künften getrennt unterkommen und besonders gefördert (Beifall bei der CDU/CSU) werden. Wenn Sie sehen wollen, wie flüchtende Frauen „Wer Frauen stärkt, stärkt die Welt“ ist der Leitspruch in der Welt gepiesackt werden, dann müssen Sie sich den des UN Women Nationales Komitee Deutschland. Und Film von Lukas Roegler ansehen, der das eindeutig be- die Tatsache, wie emotional heute über Ihren Antrag dis- weist. – Der zweite Aktionsplan für die Jahre von 2017 kutiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen von den bis 2020 konnte ebenfalls große Erfolge erzielen. Grünen, zeigt, dass dieses Thema im Fokus bleiben muss. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es drin- Ich bin Ihnen deshalb dankbar, dass Sie dieses Thema gend notwendig ist, dass wir auf unserem Weg für den heute noch einmal auf die Tagesordnung gebracht haben. Frieden, die Freiheit und die Sicherheit von Frauen und Mädchen weitergehen. Deshalb noch einmal vielen Dank (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Ihre Aktion! sowie bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass ich den Ansatz Vizepräsident Wolfgang Kubicki: „feministische Außenpolitik“ nicht unterstütze. Sie wis- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. sen ja auch, dass wir Ihren Antrag heute ablehnen wer- den. Gisela Manderla (CDU/CSU): (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich wünsche mir, dass wir diesen Weg miteinander NEN]: Nein, wir überweisen ihn!) konstruktiv weitergehen. – Wir werden ihn überweisen, danke schön. Vielen Dank. (B) Bereits im Jahr 2000 hat der Sicherheitsrat der Ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) einten Nationen die Resolution 1325 verabschiedet, und neten der SPD und der Abg. Dr. Marie-­Agnes zwar unter dem Leitsatz „Frauen, Frieden und Sicher- Strack-Zimmermann [FDP]) heit“. Seitdem wurde diese Resolution um sieben weitere ergänzt. Kern ist, dass Frauen einen hohen Stellenwert Vizepräsident Wolfgang Kubicki: in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Entwick- Vielen Dank, Frau Kollegin Manderla. – Als nächs- lungspolitik haben. Auf der einen Seite sind Frauen ein te Rednerin erhält das Wort die Kollegin Dr. Daniela De maßgeblicher Faktor bei der Etablierung von Frieden Ridder, SPD-Fraktion. und Sicherheit. Aber auf der anderen Seite sind es gerade Frauen und Mädchen, die am stärksten unter den Folgen (Beifall bei der SPD) kriegerischer Auseinandersetzungen und gewaltsamer Konflikte leiden müssen. Die Bundesregierung hat des- Dr. Daniela De Ridder (SPD): halb den Stellenwert der Resolution 1325 erkannt und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden und Sicher- Kollegen! Liebe Gäste! In zahlreichen Ländern dieser heit“ als immens wichtiges Thema identifiziert. So soll Erde wächst die Tendenz zu einem besorgniserregenden die Geschlechterperspektive als Querschnittsthema sys- Nationalchauvinismus. Damit einher geht eine antieman- tematisch in allen relevanten Politikfeldern mitbetrachtet zipatorische und frauenverachtende Entwicklung. Wo werden. Dies gilt umso mehr – das wurde schon gesagt –, Menschenrechte missachtet werden, sind es vor allem als die Zahl der Krisen- und Konfliktherde in der Welt immer die Rechte von Frauen und Mädchen, die mit Fü- nicht abnimmt, sondern leider zunimmt. ßen getreten werden. Die Befriedung dieser vielschichtigen Krisen und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gewaltsamen Auseinandersetzungen ist eine der drän- DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: gendsten Herausforderungen der gesamten Weltgemein- Was ist denn mit den Chauvinistinnen?) schaft. Hierfür ist ein mehrstufiger Ansatz erforderlich. Ich will die Punkte gern stichpunktartig nennen: Es geht Mit Blick auf die UN-Konvention für Menschen- um Prävention. Es geht um Konfliktbeilegung. Es geht rechte und die Resolution 1325 muss sich die deutsche um Stabilisierung. Es geht um Friedensbildung und Wie- Außenpolitik daher immer als Gegenpol zu diesen Ent- deraufbau. Und vor allem geht es um Nachsorge und wicklungen begreifen. Unser Sitz im UN-Sicherheitsrat Friedenssicherung. Diesem Ansatz, meine Damen und bietet also eine hervorragende Gelegenheit, das Thema Herren, wird die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik „Frauen, Frieden und Sicherheit“ mit hoher Priorität auf gerecht. die weltpolitische Agenda zu setzen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9949

Dr. Daniela De Ridder (A) Wir wollen noch einen Schritt weiter gehen und deut- Last, but not least: Wir brauchen ein Gender-Monitoring, (C) lich machen, dass, ja, auch Jungen und Männer in pa- ein gendersensibles Frühwarnsystem und eine genderori- triarchalen Strukturen leiden. Wir setzen deshalb auf entierte Forschung zur Außenpolitik. eine geschlechterorientierte Außenpolitik. Dazu haben wir bereits einige Handlungsfelder definiert. Auch im Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich, mit Auswärtigen Amt – ohne Frage – sowie bei Mandaten Verlaub, Herr Präsident, zum Schluss kommen. Das The- und Missionen, bei Auslandseinsätzen von Polizei- und ma der gleichstellungsorientierten Außenpolitik ist zu Sicherheitskräften setzen wir auf Gender-Mainstreaming wichtig und zu groß, um im Klein-Klein der Fraktions- und arbeiten mit Akribie an einem Gender-Aktionsplan. differenzen zerrieben zu werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall der Abg. Gisela Manderla [CDU/ CSU]) Ja, wir brauchen mehr Diplomatinnen in unseren deut- schen Botschaften und Konsulaten, liebe Kolleginnen Daher lade ich Sie alle ein, meine Damen, überfraktionell und Kollegen. im Rahmen eines Parlamentskreises „Frauen in der Au- ßenpolitik“ enger zusammenzuarbeiten. Dazu eingeladen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sind selbstverständlich auch alle Feministen, die uns da- SES 90/DIE GRÜNEN) bei gerne unterstützen möchten. Gott sei Dank ist dann Der Kampf gegen Hunger und Armut kann nicht los- die AfD nicht mit von der Partie. gelöst werden von den geschlechtsspezifischen Lebensla- Vielen Dank. gen der Menschen. Gleiches gilt für sexualisierte Gewalt. Denken wir an Genitalbeschneidungen, Zwangsverheira- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tungen oder Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Dies gilt im Übrigen ebenso für eine bessere medizini- Abg. Gisela Manderla [CDU/CSU]) sche Versorgung, etwa bei armuts- oder hungerinduzier- ten Krankheiten, bei der Bekämpfung von Mütter- und Säuglingssterblichkeit oder auch bei der HIV-Prävention. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin De Ridder. – Als nächs- Weltweit brauchen Frauen und Mädchen gleiche te Rednerin erhält das Wort die Kollegin Claudia Roth, Rechte und einen gleichberechtigten Zugang zu Ressour- Bündnis 90/Die Grünen. cen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (B) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wirtschaftliche Ungleichheit und geringe Teilhabe von NEN): Frauen an politischen Entscheidungsstrukturen kritisie- ren wir scharf, und seien Sie sicher: Das tun wir kei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, neswegs nur hier im Plenum, liebe Kolleginnen und es ist so: Frauen und Mädchen werden in allen Regionen Kollegen. Wir setzen auf faire Vertriebsstrukturen und der Welt strukturell diskriminiert. Handelsabkommen, und wir machen uns stark für inter- (Corinna Miazga [AfD]: Aber nicht in national anerkannte Umwelt- und Sozialstandards, die Deutschland!) immer auch Frauen mitbetreffen. Frauen sind jedoch keineswegs nur Opfer in Konflik- Sie sind in besonderem Maße von Krieg, von Gewalt, ten. Die verstärkte Beteiligung von Frauen bei Friedens- von Armut und übrigens auch von der Klimakrise betrof- diensten und Versöhnungsinitiativen, an Friedens- und fen. Abrüstungsverhandlungen stellt nicht nur eines unserer (Zuruf von der AfD: „Klimakrise“, ja!) Nachhaltigkeitsziele bei der Politik der Agenda 2030 dar. Die Erfahrung lehrt uns doch auch, dass der Einfluss von Zugleich wird ihre Perspektive aber in der internationa- Frauen zu einem besseren und schnelleren Abschluss der len Politik weiter sträflich vernachlässigt, und das erfor- Verfahren führt und dass diese sogar nachhaltiger wir- dert einen grundlegenden Paradigmenwechsel. ken, meine Damen und Herren. Ja, Herr Bystron, Frauen können mehr, als nur an der Stange zu tanzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Heiterkeit bei der SPD) der SPD) Wir setzen national auf eine enge ressortübergreifende Wir müssen die Bedürfnisse von Menschen, nicht von Zusammenarbeit und international auf unsere multilate- Staaten in den Mittelpunkt rücken. Wir müssen also den ralen Kooperationen, insbesondere mit jenen Ländern, traditionellen Sicherheitsbegriff ergänzen, von der staat- die ihrerseits bereits Konzepte zu einer gleichstellungs­ lichen hin zur menschlichen Sicherheit. orientierten Außenpolitik oder einer Politik der Parité entwickelt haben wie etwa Schweden, Kanada und (Hansjörg Müller [AfD]: Und was ist mit den Frankreich. Tieren?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Und wir müssen anfangen, Außen- und Sicherheitspoli- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tik systematisch aus der Perspektive derer zu betrachten, 9950 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Claudia Roth (A) die seit Jahrhunderten besonders unter ihren negativen Klassische Außenpolitik ist an dieser Aufgabe leider bis- (C) Folgen zu leiden hatten. lang gescheitert. Also: Zeit für eine feministische Außen- politik, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Stephan Brandner [AfD]: Zeit für das Ende LINKEN) Ihrer Rede, Frau Roth!) wie sie übrigens auch von Margot Wallström oder Justin Gewalt, Leid und Not gehen längst nicht mehr nur Trudeau vertreten wird! von zwischenstaatlichen Konflikten aus. Sie sind Kon- sequenz tief verwurzelter, auch patriarchaler Machtver- Vielen Dank, liebe Kolleginnen in diesem Teil des hältnisse. Diese Verhältnisse zu ändern, auch das ist Ziel Hauses. einer feministischen Außenpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei der SPD und der LINKEN)

Deshalb wollen wir die klassischen Strukturen aufbre- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: chen. Wir wollen die Gelder neu ausrichten und neue Vielen Dank, Frau Kollegin Roth. – Als letzte Redne- Analysemechanismen anwenden. Wir wollen, dass rin zu diesem Tagesordnungspunkt erhält das Wort die Deutschland vorangeht und Druck macht, nicht zuletzt Kollegin Katrin Staffler, CDU/CSU-Fraktion. im UNO-Sicherheitsrat bei der vollständigen Umsetzung der Resolution 1325, bei der Förderung von Frauen und (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder marginalisierten Gruppen weltweit, beim Schutz und bei [CDU/CSU]: Gute Frau!) der Durchsetzung ihrer sozialen, ökonomischen, politi- schen, Katrin Staffler (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! (Stephan Brandner [AfD]: Ist das peinlich, Frauen, Frieden, Sicherheit – diesen Dreiklang haben wir Frau Roth! – Gegenruf der Abg. Katharina heute in der Diskussion schon ein paarmal gehört. Das ist Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das der Dreiklang, der uns in der Diskussion umtreibt. ist einfach nur richtig, was sie sagt!) Fakt ist: Wir brauchen mehr Frieden. Ja, wir brau- reproduktiven und sexuellen Rechte. Das wäre eine gute chen auch mehr Sicherheit, und – ganz definitiv, in der deutsche Außenpolitik. Tat – wir brauchen mehr Frauen. Frauen sind in fast allen (B) Bereichen der Außenpolitik nicht in dem Maße vertre- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ten, wie es Männer sind. Dabei sind Frauen – in meinen bei der SPD und der LINKEN) Augen zumindest – sehr gute Außenpolitiker. Zumindest aber sind sie definitiv keine schlechteren als Männer, Aber es geht eben auch um gleichberechtigte Beteili- Herr Bystron. Im Umkehrschluss heißt das aber auch gung. Frauen sind entscheidende Akteurinnen, die einge- nicht, dass Männer die schlechteren Außenpolitiker sind, bunden gehören, weil sie Teil dieser Gesellschaft sind, nur weil sie Männer sind. wie Elisabeth Motschmann gesagt hat, weil sie Friedens- prozesse nachhaltiger, weil sie gesellschaftliche Umbrü- (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten che inklusiver zu gestalten helfen. Es geht also nicht da- der FDP) rum, Frauen zu zählen, sondern darum, sicherzustellen, dass Frauen zählen. Das ist es, was wir mit „Paradigmen- Das zu behaupten, wäre diskriminierend, und diskrimi- wechsel“ meinen. nieren wollen wir in dieser Diskussion sicher nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Stephan Brandner [AfD]: Da hat sie recht!) bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) Ihr Antrag in allen Ehren, liebe Kolleginnen und Kol- legen, aber ich frage mich ganz ehrlich: Sind Sie damit Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts all dieser nicht ein bisschen spät dran? Ich habe in Ihrem Antrag Maskulinisten und Machomachtpolitiker weltweit nichts, aber auch gar nichts gelesen, was mir neu gewe- sen wäre. Auch wir sind uns der schwierigen Lage, in der (Stephan Brandner [AfD]: Was ist denn mit sich viele Frauen und viele Mädchen weltweit befinden, den Maskulinistinnen?) durchaus sehr bewusst. Und ja, es wurden auch schon un- terschiedlichste Maßnahmen auf den Weg gebracht, um braucht es die kraftvolle Vision einer gerechteren, einer die Situation dieser Frauen und Mädchen zu verbessern. diversen Welt mehr denn je. Mehr denn je braucht es Ich möchte – und das ist nur ein kleiner Auszug – einfach selbstbewusste und mutige Stimmen, gerade auch weib- einmal aufzählen, was schon alles getan wird, damit Sie liche Stimmen, die eintreten für eine Gesellschaft, in der sehen, dass Ihr Antrag eigentlich ad acta gelegt werden alle Menschen ohne Gewalt und Unterdrückung leben könnte. können. Beginnen wir doch einmal mit den Zielen, die das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auswärtige Amt – im Übrigen nicht erst seit gestern – sowie bei Abgeordneten der SPD) für sich festgelegt hat. Das Ziel ist ein Frauenanteil von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9951

Katrin Staffler (A) 50 Prozent in allen Bereichen. Um das Ziel zu erreichen, ben das Gleiche gedacht, als Sie mich und meine Kol- (C) gibt es einen Gleichstellungsplan und eine Gleichstel- legin getroffen haben: von der CDU/ lungsbeauftragte, die unter anderem darüber wacht, dass CSU-Fraktion als Frauen beim Thema Außenpolitik. Frauen in ihrer Karriereentwicklung im Auswärtigen Man höre und staune! Amt nicht benachteiligt werden. Das ist im Übrigen eine Danke schön. Forderung, die in Ihrem Antrag steht. (Beifall bei der CDU/CSU) Auf europäischer Ebene ist Deutschland regelmäßiger Teilnehmer der „EU Task Force zu Frauen, Frieden und Sicherheit“; da ist er wieder, der Dreiklang. Dabei wirkt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Deutschland an Entscheidungen und Aktivitäten der EU Vielen Dank, Frau Kollegin. zur Umsetzung der Resolution 1325 mit – auch davon Die SPD-Fraktion hat für die Kollegin Saskia Esken haben wir heute schon ein paarmal gehört – und zählt auf eine Kurzintervention beantragt, die ich jetzt zulasse. – Ebene der Vereinten Nationen zur Freundesgruppe dieser Frau Kollegin Esken, bitte. Resolution.

(Beifall bei der CDU/CSU) Saskia Esken (SPD): Und der wichtigste Fakt oder – lassen Sie es mich an- Herr Präsident, vielen Dank. – Ich möchte eine An- ders formulieren – der entscheidende Hinweis, dass das merkung meiner Kollegin Daniela De Ridder erläutern, Thema schon lange an höchster Stelle angekommen ist, da einige Unruhe durch die Reihen der Kollegen von der ist die Tatsache, dass „Frauen, Frieden und Sicherheit“ AfD ging. Die Anmerkung an Herrn Bystron, Frauen ein thematischer Schwerpunkt der deutschen Mitglied- könnten mehr, als an der Stange zu tanzen, bezog sich auf schaft im Sicherheitsrat 2019 und 2020 ist. seine innerparteiliche Mitbewerberin, der er beschieden hat, Frauen wie sie sollten lieber an der Stange tanzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD – Corinna Miazga [AfD]: In internationalen Organisationen wie den Vereinten Ich brauche Ihre Hilfe nicht dafür! Das kann Nationen und der Europäischen Union setzt sich die Bun- ich selber regeln! Danke schön!) desregierung schon seit langem dafür ein, dass die Rolle von Frauen in Konfliktbewältigung und Krisenpräventi- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: on gestärkt wird, sei es bei der Ausbildung von Polizis- tinnen in Afghanistan, bei der Förderung von irakischen Darauf können Sie nicht antworten, Frau Kollegin; Frauen in Existenzgründerinnenseminaren oder bei ver- denn das war eine schlichte Feststellung. (B) schiedenen anderen Projekten zum Schutz von Frauen (Corinna Miazga [AfD]: Ja, das weiß ich! Ich (D) vor sexueller Gewalt und zur Gewaltprävention. schreie trotzdem!) Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir for- Aber wie nicht anders zu erwarten, meldet die dern die Gleichstellung von Mann und Frau nicht nur, AfD-Fraktion jetzt eine Kurzintervention des Kollegen sondern wir fördern sie auch, weil die Gleichstellung der Bystron an, die ich zulasse. – Herr Kollege Bystron, Sie Geschlechter eine Frage der Gerechtigkeit ist. haben das Wort. Die Frage der Gerechtigkeit und der Gleichstellung (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bringt mich wieder zu Ihrem Antrag zurück. Es tut mir NEN]: Erklären Sie das mal! – Agnieszka leid, aber den folgenden Kommentar kann ich mir an Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, der Stelle nicht verkneifen: Ich habe schon ein bisschen genau! Erklären Sie uns das doch mal!) schmunzeln müssen, als ich auf Seite 7 Ihres Antrags das Wort „Frauen“ versehen mit einem Gendersternchen ge- Petr Bystron (AfD): sehen habe, und zwar gar nicht einmal so sehr wegen des Erstens. Sie zitieren falsch. Sie haben mir unterstellt, Sternchens an sich. Aber wenn Sie schon so korrekt sein dass ich das gesagt habe. Richtig ist, dass das meine Kol- wollen und an der Stelle von der Gleichstellung der Ge- legin bei einem innerparteilichen Wahlkampf gesagt hat. schlechter sprechen, dann hätte ich, ehrlich gesagt, schon erwartet, dass Sie einen Absatz später bei der Aufzählung (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ „Frauen und Männer“ das dritte Geschlecht nicht verges- CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/ sen. DIE GRÜNEN – Agnieszka Brugger [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht (Beifall bei der CDU/CSU – besser!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie das mit dem dritten Geschlecht schon auf So viel zum Umgang zwischen Frauen und Männern. der Pfanne haben! Das ist doch mal ein Fort- Zweitens. Sie wurde nicht gewählt, und ich wurde schritt!) auch nicht gewählt in diesem Wahlgang. Abschließend möchte ich noch die Kolleginnen und (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Da hat Ihnen Kollegen der Grünen, aber auch die Kolleginnen aller der Chauvinismus ja nichts gebracht!) anderen Parteien grüßen, die ich auf der Münchner Si- cherheitskonferenz getroffen habe. Es war schön, dass Gewählt wurde unser Kollege , weil er Sie so zahlreich vertreten waren, und ich hoffe, Sie ha- der Beste war. So ist das bei uns in der Partei. 9952 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Petr Bystron (A) Drittens. Es war wirklich durchsichtig, dass das jetzt – Die FDP habe ich schon ermahnt. Da bin ich aber nicht (C) kommt. Sie sehen: Wir haben uns längst vertragen. Wir so durchsetzungsstark wie bei Ihnen; glauben Sie mir kommen sehr gut miteinander aus. Wir brauchen so et- das. was nicht. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeordne- NEN sowie bei Abgeordneten der FDP) ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aus- DIE GRÜNEN]: Was war das denn für ein sprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kol- schwacher Auftritt hier?) legen Dr. Dirk Spaniel, AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich Dr. Dirk Spaniel (AfD): die Debatte. Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf und Herren! Heute geht es um nichts weniger als um die Drucksache 19/7920 an die in der Tagesordnung aufge- Zukunft des Automobilstandortes Deutschland. Das liegt führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- an der europäischen Gesetzgebung, durch die ab An- verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die fang 2021 die CO2-Emissionsgrenzwerte bei Neufahr- Überweisung so beschlossen. zeugen massiv verschärft werden. Wenn alles so kommt, wie aktuell beschlossen, werden in Europa in wenigen Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in Jahren im Wesentlichen nur noch Kleinwagen produziert den Saal kommen oder den Saal verlassen, das möglichst werden. Das sage nicht ich, das haben uns Experten in zügig zu machen, damit wir ohne Verzögerung fortfahren Anhörungen hier im Bundestag erklärt. können. (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: DIE GRÜNEN]: Ihre eigenen Experten!) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dirk – Es waren nicht einmal unsere Experten. Spaniel, Leif-Erik Holm, Wolfgang Wiehle, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Kurz die Sachlage. Die Fahrzeugflotten der Pkw-Her- steller dürfen bis 2030 einen Durchschnittsverbrauch Gleichstellung von Fahrzeugen, die mit syn- von circa 2,5 Litern auf 100 Kilometern nicht mehr thetischen Kraftstoffen oder Biokraftstoffen überschreiten, sonst drohen diesen Herstellern drastische (B) angetrieben werden, mit Elektrofahrzeugen Strafzahlungen an die Europäische Union. (D) Drucksache 19/6007 (Beifall des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE Überweisungsvorschlag: LINKE]) Finanzausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) – Da können Sie ruhig klatschen. Da sehen Sie die Arro- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ganz, genau. – Fahrzeuge oberhalb der Kompaktklasse Federführung strittig werden das ohne Elektrifizierung nicht erreichen. Die b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Elektrifizierung dieser Fahrzeuge, ob nun als Plug-in-Hy- Kluckert, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, wei- brid oder als Vollelektrofahrzeug, macht sie aber auf- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP grund der hohen Herstellkosten für weite Teile unserer Bevölkerung unerschwinglich und unpraktikabel. Technologieoffene Förderung alternativer An- triebe (Beifall bei der AfD) Drucksache 19/7902 Mit dem Willen der angeblich bürgerlichen CDU/ CSU wird hier mal so eben der Verbrennungsmotor aus Überweisungsvorschlag: politischen Gründen so verteuert, dass er nicht mehr Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Finanzausschuss marktfähig ist. Die SPD-Umweltministerin schießt dann Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit noch den Vogel ab, indem sie die Strafzahlungen noch Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- weiter erhöhen wollte, höher als von der EU gefordert. schätzung Sie nehmen den Bürgern in diesem Land ihr bezahlbares Haushaltsausschuss Auto und dazu die Arbeitsplätze weg! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der AfD) die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die EU-Papiere zu der Verordnung sprechen von ei- nem zu erwartenden Wegfall von Arbeitsplätzen, der Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich Sie, die durch Sozialpartner aufgefangen werden soll. Dann wird Unterhaltungen einzustellen und möglichst schnell die mir auch klar, warum Sie von der SPD das Sozialsystem Plätze zu tauschen, damit wir in der Sache fortfahren ausbauen wollen. Die geplante Massenarbeitslosigkeit ist können. Das gilt auch für Frau Alt, ebenso für die Mit- für CDU/CSU und SPD mindestens ein Kollateralscha- glieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. den, wenn nicht sogar ein politisches Ziel auf dem Weg (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu einer vermeintlich besseren Welt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9953

Dr. Dirk Spaniel (A) Die AfD geht hier einen völlig anderen Weg. Wir ha- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) ben den Menschen vor der Bundestagswahl 2017 ver- Vielen Dank, Kollege Dr. Spaniel. – Als Nächstes sprochen, dass wir eine Alternative anbieten wollen, eine spricht zu uns der Kollege Dr. Hermann-Josef Tebroke, Alternative zu ideologischer, wirtschaftsfeindlicher und CDU/CSU-Fraktion. undurchdachter Politik. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Genau aus diesem Grund wollen wir die finanzielle Dr. Hermann-Josef Tebroke (CDU/CSU): Gleichbehandlung von Fahrzeugen mit synthetischen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kraftstoffen mit Elektrofahrzeugen. Wir nehmen es nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Koalitions- hin, dass die Bundesregierung durch staatliche Subventi- vertrag ist festgeschrieben – ich zitiere –: onierung den Verbrennungsmotor aus dem Markt drängt. Wir wollen die Klimaziele von Paris erreichen und Dadurch, dass wir die Bundesregierung dazu brin- dabei soziale Belange berücksichtigen, die Wett- gen, sich auf europäischer Ebene für die Anerkennung bewerbsfähigkeit der Industrie gewährleisten und von Fahrzeugen mit synthetischen Kraftstoffen als Null- bezahlbare Mobilität sicherstellen. Dafür bedarf es Gramm-CO2-Fahrzeuge einzusetzen, tun wir übrigens eines ganzen Bündels von Maßnahmen, wie z. B. auch etwas für die tatsächliche Reduktion der CO2-Emis- der Förderung von Elektromobilität ... sionen, liebe Kollegen von den Grünen. Das zeigt: Die Union sagt – erstens – Ja zur Sicherung (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Mobilität und Ja zum Klimaschutz. Auch in der Mo- Oh!) bilitäts- und Kraftstoffstrategie des Verkehrsministers werden diese Grundsätze aufgegriffen und konkretisiert. Ihre Geschichte vom sauberen Ökostrom, der Elektro- fahrzeuge antreibt, ist doch ein Hirngespinst. Ein Elek- Sie erkennen, meine Damen und Herren, dass es nicht gegen die Verbrennungsmotoren geht, dass auch nicht trofahrzeug erzeugt genauso viel CO2 wie ein Dieselfahr- zeug. einseitig interessengetrieben entschieden wird, auch nicht ideologisch verblendet, sondern pragmatisch, tech- (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE nologieoffen und offen für neue Erkenntnisse, und es GRÜNEN]: Denken Sie an Ihren Blutdruck!) wird nachvollziehbar entschieden. Um das zu ändern, müsste man den Strom in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) land erst einmal komplett CO2-frei erzeugen, und das ist Auch aus der Abwägung, ob Elektromotoren oder andere (D) in den nächsten 15 Jahren überhaupt gar nicht möglich. alternative Antriebe vorzuziehen sind, wird genau dies Sie wissen das, Sie erzählen aber trotzdem Ihr Märchen. deutlich. Aber das Ziel, möglichst schnell und möglichst ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- deutlich CO2 zu reduzieren, führt dazu, dass gegenwärtig NEN]: Nein! Quatsch!) der Einführung der Elektromobilität ein Vorzug zu geben ist, und zwar dann, wenn regenerativer Strom eingesetzt Sie vernichten hier einen Industriezweig, ohne dass wir wird. Deswegen erfolgt eine besondere Förderung der CO2-Emissionen damit reduzieren. Das finde ich total Forschung und Produktion, aber auch des Absatzes von verachtenswürdig. Elektroantrieben durch steuerliche Anreize und vielleicht auch Vorzüge bei der Maut. Natürlich, meine Damen und (Beifall bei der AfD) Herren, werden auch weitere Kriterien in die Betrachtun- gen mit einbezogen, natürlich die Kompatibilität mit dem Jeder, der zukünftig CO -frei mit seinem Auto fahren 2 Vorgehen in Nachbarstaaten, natürlich auch die Auswir- will, kann das tun. Wir bieten hier ein praktikables Kon- kungen auf die Automobil- und die Energiewirtschaft, zept an. Durch Umsetzung unseres Antrages kann jeder natürlich wird auch die Verfügbarkeit der notwendigen an die Tankstelle fahren und mit sauberem Gewissen Infrastruktur getestet – und, und, und. CO2-neutralen Sprit tanken, übrigens auch mit älteren Fahrzeugen. Mit diesem Antrag erhalten wir das Auto für Wenn aber – die Elektromobilität ist keineswegs ab- alle Teile der Bevölkerung. Das ist echte Sozialpolitik. schließend überzeugend – die CO2-Ziele nicht alleine durch die Elektrofahrzeuge erreicht werden, werden wir (Beifall bei der AfD) weitersuchen, werden wir weiterforschen und auch neue Denn nur günstige Verbrennungsmotoren geben auch der Antriebskonzepte untersuchen, und zwar technologieof- alleinerziehenden Mutter die Möglichkeit, kostengünstig fen. und schnell von A nach B zu kommen, ein Elektrofahr- (Beifall bei der CDU/CSU) zeug ermöglicht das eben nicht. Wir brauchen einen fai- ren Wettbewerb, und es muss endlich Schluss sein mit Auch das ist im Koalitionsvertrag sehr deutlich so formu- der planwirtschaftlichen Privilegierung von Elektrofahr- liert worden, und auch jüngst im CSU-Papier von Seeon zeugen. Unser Antrag leistet dazu einen Beitrag. wird das sehr deutlich – ich darf wieder zitieren –: Vielen Dank. Wir wollen die Wissenschaft beim Heben von Kli- mainnovationen unterstützen. Durch neue Techno- (Beifall bei der AfD) logien und Methoden zur Emissionsreduktion kön- 9954 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Dr. Hermann-Josef Tebroke (A) nen die Potenziale in allen Sektoren ausgeschöpft Dr. Hermann-Josef Tebroke (CDU/CSU): (C) werden, wie z. B. synthetische Kraftstoffe … Die Anträge sind so, insbesondere der der AfD, nicht zu akzeptieren. Ausdruck dieser Technologieoffenheit ist unser – zweitens – klares Ja zur Förderung innovativer Antriebs- Ich danke Ihnen. systeme, insbesondere auch synthetischer Kraftstoffe, und zwar in der Hoffnung und der Erwartung, dass der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- entscheidende Nachteil dieser Technologie, nämlich die ordneten der SPD) Ineffizienz bei der Produktion, ausgeglichen und auf- gehoben werden kann, wenn hinreichend regenerative Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Energien für die Erzeugung dieser Kraftstoffe zur Ver- Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin er- fügung stehen. Das ist im Moment noch nicht der Fall. hält das Wort die Kollegin Daniela Kluckert, FDP-Frak- tion. Vorteile sehen wir natürlich dann, wenn wir daraus eine führende Position der Branchen in der Welt erreichen (Beifall bei der FDP) können, wenn die Technologie der Verbrennungsmotoren hier bei uns weiterentwickelt und genutzt werden kann, Daniela Kluckert (FDP): wenn wir vorhandene Infrastruktur nutzen können. Des- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und wegen gibt es die ausgeprägte Forschungsförderung auf Herren! Veränderungen brauchen kluge Ideen. Vor al- der Anbieter- und Herstellerseite. Der Bundestag ist da lem brauchen wir kluge Ideen, die dann auch von den schon lange unterwegs. Dazu gibt es viele Belege, und Menschen angenommen werden. Das gilt insbesondere nicht zuletzt – die Anfrage der FDP hat das deutlich ge- für Themen, die so ernst sind wie der Klimawandel. Die macht – Förderprojekte des Bundesministeriums für Bil- Bundesregierung versucht derzeit auf der einen Seite mit dung und Forschung, des Bundesministeriums für Wirt- sehr viel Geld und Subventionen und auf der anderen schaft und Energie, aber auch des Bundesministeriums Seite mit Verboten, des CO2-Ausstoßes auf unseren Stra- für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Immer ßen Herr zu werden. Das Problem daran ist aber, dass wieder und überall geht es darum, diese Technologie erstens das Geld niemand will und zweitens die Verbote weiterzuentwickeln, um sie für die Zukunft nutzbar zu nicht wirken. machen. Das ist gut so. Das ist auch strategisch konsis- tent. Weiter so! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Zumindest wirken sie nicht so, wie Sie sich das von der Bundesregierung gewünscht haben; denn wirksam wird (B) Aber, meine Damen und Herren, solange ein Ange- damit nur unsere Wirtschaft geschädigt, und wirksam (D) bot nicht in ausreichender Menge verfügbar ist, macht werden mit dieser Politik die Arbeitsplätze gefährdet. es auch keinen Sinn, auf der Nachfrageseite Anreize zu setzen. Deswegen sagen wir – drittens – heute Nein zur Warum die Bundesregierung so agiert, das kann ich steuerlichen Gleichstellung des Verbrenners mit synthe- nur erahnen. Meiner Vermutung nach geht es eben vielen tischen Kraftstoffen mit Elektrofahrzeugen. Es ist frus- gar nicht um den Umweltschutz, sondern es geht darum, trierend, es ist kontraproduktiv, wenn eine Nachfrage den Kampf gegen den Verbrennungsmotor zu führen angetriggert wird, die gar nicht befriedigt werden kann. oder am Ende den Kampf gegen das Auto im Ganzen. Deswegen sagen wir auch Nein zu dem Antrag der AfD, Klar ist jedenfalls, dass sich das Verkehrsministerium die dieses viel zu früh fordert oder aber mit ihrem Antrag und das Umweltministerium heillos uneins sind. Auch zu spät ist, weil die Debatte über die synthetischen Kraft- das ist eine Form des schlechten Regierens. stoffe längst läuft und auch die Forschung längst voran- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten getrieben wird. der AfD) Deswegen von uns die Forderung: Lösen Sie diesen Kno- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ten endlich auf! Werden Sie sich einig, wie Sie da voran- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. gehen. (Beifall der Abg. Katja Suding [FDP]) Dr. Hermann-Josef Tebroke (CDU/CSU): Als Freie Demokraten setzen wir bei der Bekämpfung Attraktiver ist der Antrag der FDP. Er fordert, nicht des Klimawandels auf unsere klügsten Köpfe und dann nur herkömmliche, sondern auch neuartige Antriebsfor- auch auf Wettbewerb. Anders wird es nicht gehen. men breitgefächert zu erforschen und zu fördern. Da sind wir schon längst unterwegs. Erster Punkt. Mit unseren klügsten Köpfen wollen wir Innovationen vorantreiben. Deswegen brauchen wir end- (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Wo denn?) lich eine technologieneutrale Forschungsförderung, die Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, es so jetzt nicht gibt. freue ich mich auf die Debatte im Ausschuss. (Beifall bei der FDP) Ohne politische Vorgaben sollen unsere Wissenschaftler Vizepräsident Wolfgang Kubicki: an den besten Wegen forschen, die dann zu CO2-Einspa- Herr Kollege, bitte. rungen führen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9955

Daniela Kluckert (A) Der zweite Punkt ist der Wettbewerb. Der Wettbewerb seriösen Gesprächspartner. Das ist die AfD bei diesem (C) und damit die Menschen müssen am Ende entscheiden, Thema nicht; was sich durchsetzt, und sich dafür einsetzen, wie Mobi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lität CO2-neutral funktioniert. (Beifall bei der FDP) denn jedes Mal, wenn wir über Steuerpolitik reden, ist es so, dass nach Ihrer Meinung eine Steuer abgeschafft oder Die Bundesregierung setzt allein auf Elektromobi- ausgehöhlt werden soll. lität. Wir als Freie Demokraten sagen: Um die Eispole Ein paar Beispiele. Erstens. Grundsteuer: 14 Milliar- vor dem Schmelzen zu bewahren, brauchen wir auch den Euro. Die AfD sagt: vollständige Streichung. Wer die Gasantriebe. Dafür brauchen wir eben auch E-Fuels, trägt die Folgen? Die Menschen in den Städten und Ge- meine Damen und Herren. meinden. Zweitens. Gewerbesteuer – das Thema haben (Beifall des Abg. Dr. Christian Jung [FDP] – wir gestern diskutiert –: Da haben wir von : [CDU/CSU]: Stimmt!) gehört, man solle sie abschaffen und Zuschläge auf die Einkommensteuer einführen. Die Folge: Spaltung in die- Studien zeigen, dass E-Fuels einen Beitrag von 40 Pro- ser Gesellschaft, was die Städte angeht. Dritter Punkt. zent zur Minderung des CO2-Ausstoßes leisten können. Grunderwerbsteuer: Steuersenkungen fordern, ohne den Warum in aller Welt nehmen wir sie nicht mit in die För- Ländern an irgendeiner Stelle zu sagen – sie bekommen derung auf? die Einnahmen aus dieser Steuer –, wie dieser Verlust (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE ausgeglichen werden soll. GRÜNEN]: Ab wann und zu welchem Preis?) Oder Solidaritätszuschlag: Wir werden den Soli für Deswegen muss sich die Bundesregierung endlich da- 90 Prozent der Steuerzahler 2020/21 abschaffen. Das für einsetzen, dass diese E-Fuels in die Flottenziele der macht rund 10 Milliarden Euro. Das sind ganz kon- Automobilhersteller aufgenommen und auf die Ziele an- krete Steuerentlastungen. Alleinstehende beispielswei- gerechnet werden können. Die letzte Chance dafür wurde se mit einem zu versteuernden Einkommen von unter 2018 bei den Pkws vertan. Hier wurde nichts gemacht, 61 000 Euro oder bei Ehepaaren 122 000 Euro und in der auch wegen der Uneinigkeit der Ministerien. Gerade Gleitzone 152 000 Euro zu versteuerndem Einkommen jetzt haben Sie die Möglichkeit, das bei den Lkws nach- werden vom Soli befreit – komplett. zuholen. Vertun Sie die Chance diesmal nicht! Nur mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Anrechenbarkeit der CO2-neutralen Kraftstoffe kann eben auch in solche Kraftstoffe investiert werden. Dann Aber wir sind der Auffassung: Wer mehr verdient, sollte (B) ist diese Technik auch bezahlbar. durchaus auch mehr bezahlen. Ein Minister mit einem (D) Einkommen von 180 000 Euro sollte seine 3 600 Euro an (Beifall bei der FDP) Soli bezahlen. Auch der Chef eines DAX-Unternehmens, Bezahlbare individuelle Mobilität muss eine Kernfor- der 5,8 Millionen Euro verdient, sollte 142 000 Euro an derung von uns sein, das muss sie bleiben. Meine Damen Soli bezahlen. All dies will die AfD natürlich auch ab- schaffen. Sie will sozusagen Bezieher hoher und höchs- und Herren, den Eispolen ist es egal, wie wir CO2 ein- sparen. Behandeln Sie deswegen Gasantrieb und Elek- ter Einkommen entlasten. tromobilität gleich! Nutzen Sie die Chancen der neuen Fazit der ganzen Geschichte: Wenn Sie die Steuer- Kraftstoffe! politik zu verantworten hätten, dann wäre Deutschland (Beifall bei der FDP) morgen pleite. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das ist ökonomisch falsch. Vielen Dank, Frau Kollegin Kluckert. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Bernhard Daldrup, Mal am Rande: Patriotisch ist das übrigens auch nicht. SPD-Fraktion. Der Staat hätte nämlich gar keinen Spielraum, um sol- che erwünschten Entwicklungen, wie Sie sie jetzt vor- (Beifall bei der SPD) geschlagen haben, steuerlich fördern zu können, wenn man auf die Steuereinnahmen sozusagen zulasten der Bernhard Daldrup (SPD): Menschen in den Städten und Gemeinden und zuguns- ten von Höchstverdienern verzichten wollte. Das machen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wir nicht. haben es heute mit einem gleichstellungspolitischen An- trag der AfD zu tun. Das kommt auch nicht alle Tage vor. Es geht darum, dass eine technische Entwicklung durch Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Steuererleichterungen, also durch die Steuerpolitik, un- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des terstützt werden soll. Das ist auch der Punkt, weshalb ich Kollegen Dr. Spaniel? hier rede. Man kann zweifellos über so ein Thema reden. Dann Bernhard Daldrup (SPD): braucht man aber auch in der Steuerpolitik nicht jeman- Nein, Herr Präsident. Ich biete hier kein zusätzliches den, der nur Rosinenpickerei betreibt, sondern einen Forum. 9956 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Bernhard Daldrup (A) Es bleibt die Frage, ob Ihr Antrag technisch gerecht- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) fertigt ist. Dazu hat Herr Tebroke eben schon etwas ge- Herr Kollege Daldrup, wollen Sie antworten? – Sie sagt. Aus klimapolitischer Sicht sind die E-Fuels und Po- möchten nicht antworten. Dann ist die Kurzintervention wer-to-X-Technologien durchaus eine Option. Ich muss beendet. mich da mehr auf das Urteil von Fachleuten stützen, die sagen, dass die steuerrechtliche Gleichstellung der Elek- Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Jörg tromobilität mit Fahrzeugen, die nur mit synthetischen Cezanne, Die Linke. Kraftstoffen betrieben werden – das steht nämlich in Ih- (Beifall bei der LINKEN) rem Antrag –, an der Wirklichkeit vorbeigeht. Aber dazu wird gleich mein Kollege Mathias Stein ein paar Bemer- (DIE LINKE): kungen machen. Jörg Cezanne Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Ver- Jetzt muss ich mich bei der FDP entschuldigen. Ich brennungsmotor ist tot; lang lebe der Verbrennungsmo- habe aus zeitlichen Gründen noch nichts zu Ihrem Antrag tor!“ So lautet die grundlegende Botschaft, die sich leider sagen können. hinter beiden Anträgen mehr oder weniger verbirgt. Wir (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Ist schon gut!) können über Einzelfragen im Ausschuss gerne reden. Zur Frage der Technologieoffenheit bei Antriebstechno- Ich will zu zwei grundlegenden Einwänden etwas sa- logien will ich sagen: Es ist nicht falsch, was Sie schrei- gen. Erstens. Die Fixierung auf technische Lösungen bei ben. Aber neu ist es auch nicht. der Bewältigung der Verkehrswende reicht nicht aus. (Zurufe von der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Das, was beim Thema „Änderung der Dienstwagenbe- Die Innenstädte und die Ballungsräume werden von steuerung“ auf den Weg gebracht werden soll, ist es ge- Blechlawinen lahmgelegt. Dieses Problem lösen wir nauso wenig. Also, fragen wir mit Blick auf den Antrag nicht dadurch, dass wir Mineralöl durch strombasierte einmal ganz freundlich mit Gerhard Polt: Braucht’s des Kraftstoffe ersetzen. Die besten E-Mobile sind Straßen- eigentlich? Die Antwort ist: Ja, des braucht’s offensicht- bahnen, U-Bahnen und S-Bahnen. lich für das Selbstbewusstsein der FDP. Der Rest geht in (Beifall bei der LINKEN) die Ausschüsse. Ohne einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr Herzlichen Dank. werden wir die Verkehrsprobleme in unseren Städten und (Beifall bei der FDP) die Zukunft der Mobilität nicht in den Griff bekommen. (B) Das gilt auch für den Güterverkehr. (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. – Die AfD-Fraktion hat eine Kurz- Zweiter Punkt. Offenheit für neue Technologien ist intervention beantragt, die ich zulasse. Der Kollege gut, man muss sich aber auch nicht dümmer stellen, als Dr. Spaniel hat das Wort. man ist. Wenn Sie nur einmal im Kopf überschlagen hätten, welche Strommengen notwendig wären, um den Dr. Dirk Spaniel (AfD): Pkw-Verkehr in Deutschland auf sogenannte E-Fuels um- Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Kollege, zustellen – Herr Dr. Spaniel, das müssten Sie eigentlich Sie haben eben ausgeführt, dass wir selektiv Steuern he- hinbekommen –, dann wüssten Sie, dass das überhaupt rauspicken und streichen wollen. Nein, die korrekte For- keine Option ist, über die sich ernsthaft nachzudenken mulierung in diesem Antrag ist doch völlig klar. Deshalb lohnt. wundere ich mich, dass Sie das hier nicht so darstellen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wir wollen Steuern nicht für etwas erheben, was es Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE im Moment noch gar nicht gibt, weil diese Steuern bei GRÜNEN]) einem Konkurrenzprodukt eben auch nicht erhoben Wir werden E-Fuels brauchen; das stimmt. Für den werden. Wir wollen hier einen fairen Wettbewerb bei Luftverkehr wird es wahrscheinlich keine anderen Alter- Fahrzeugen erreichen: Den einen werden Steuervergüns- nativen geben. Aber für den Straßenverkehr sind batte- tigungen und sonstige Vergünstigungen zugestanden – rieelektrische Antriebe – für den Pkw-Verkehr in jedem das sind die Elektrofahrzeuge –, und den anderen Fahr- Fall – das Gebot der Stunde. zeugen, die den gleichen Effekt auf die Umwelt haben, werden sie verweigert. Dies ist kein Wettbewerb. Das hat Die Entscheidung ist längst gefallen: Tesla ist voran- überhaupt nichts damit zu tun, dass wir Steuerpicking be- gegangen, VW zieht nach, die deutsche Automobilindus- treiben wollen. trie ebenfalls. Wir sind gut beraten, wenn wir den deut- schen Automobilkonzernen und ihren Beschäftigten den Ich finde das sehr bedauerlich. Sie hätten den Antrag Übergang in diesen Strukturwandel ebnen. Das geht mit vielleicht mal lesen sollen. Er war in diese Richtung ge- dem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, nicht. meint. Wir wollen einen Wettbewerb erzeugen. – Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Um es auf den Punkt zu bringen: Die Probleme des GRÜNEN]: Rechnen lernen!) Verkehrssektors und der Automobilindustrie werden wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9957

Jörg Cezanne (A) nicht dadurch lösen, dass wir den Verbrennungsmotor Auch der zusätzliche Strombedarf wäre immens. Für (C) mit E-Fuels künstlich beatmen. Wir brauchen eine ech- das Fahren mit E-Fuels müsste fünfmal so viel Strom te Verkehrswende, die den öffentlichen Verkehr in den eingesetzt werden, wie wenn der Strom direkt in rein Mittelpunkt stellt. Dafür wird es auch in Zukunft Autos batterieelektrischen Fahrzeugen eingesetzt und damit die geben. Die werden in nächster Zukunft batterieelektrisch Infrastruktur effizient genutzt wird. verkehren, die werden geteilt werden und möglicherwei- se auch autonom fahren. Dafür sollten wir unsere staatli- ( [CDU/CSU]: Die Grünen chen Mittel aufwenden. wollen gar nichts verbieten!) Ich danke Ihnen. Eine Studie der Agora Verkehrswende zeigt: Würde der Verkehrssektor vor allem mit synthetischen Kraftstof- (Beifall bei der LINKEN) fen klimaneutral umgebaut, könnte allein der Strombe- darf des Verkehrs in Deutschland im Jahr 2050 bei etwa Vizepräsident Wolfgang Kubicki: 900 Terawattstunden liegen. Dieser Bedarf übersteigt die Vielen Dank, Herr Kollege Cezanne. – Als nächster gesamte derzeitige Bruttostromerzeugung in Deutsch- Redner hat der Kollege Stephan Kühn, Bündnis 90/Die land. Grünen, das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das muss auch nicht in Deutschland hergestellt werden!) Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wo soll der Strom herkommen? Diese Frage können Sie Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht beantworten. Sie schaffen nur neue Importabhän- Kollegen! Ausgerechnet die beiden Parteien, die AfD gigkeiten. und die FDP, die sich gegen den Ausstiegskompromiss der Kohlekommission stellen, die vor Ort den Ausbau Vizepräsident Wolfgang Kubicki: erneuerbarer Energien blockieren, wollen klimafreund- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des liche Mobilität mit Kraftstoffen sichern, die auf Basis Kollegen Dr. Jung aus der FDP-Fraktion? erneuerbarer Energien hergestellt werden. Das ist schon erstaunlich. (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stephan Kühn NEN): sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (B) Nein. (D) Wegen der enormen Energieverluste bei der Umwand- lung von Strom in synthetische Kraftstoffe und der hohen (Zuruf von der FDP: Er will nur ablesen!) Kosten, die dabei entstehen, wäre das die mit Abstand teuerste Variante klimafreundlicher Mobilität. In der Debatte ist mehr Augenmaß notwendig. Wir werden flüssige synthetische Brennstoffe aus Ökostrom (Widerspruch bei der FDP) brauchen. Aber wegen der beschriebenen Nachteile soll- Die Kosten für E-Fuels liegen laut einer Studie im Auf- ten sie nur dort zum Einsatz kommen, wo wir mit der trag des VDA derzeit bei 4,50 Euro pro Liter Dieseläqui- Elektromobilität an Grenzen stoßen, also insbesondere valent. Derzeit gibt es nur einige Demonstrationsanla- im Flug- und Seeverkehr. gen, aber keine industrielle Förderung. Die FDP, zu der ich jetzt kommen möchte, ist ebenso (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Mein Gott! Keine schräg unterwegs wie die AfD. Sie wollen fossile Kraft- Ahnung!) stoffe durch einen anderen, nämlich Erdgas, ersetzen, während alle namhaften deutschen Automobilhersteller Aber die AfD suggeriert: Wenn eine Steuerbefreiung längst innovative elektrische Antriebe im Angebot ha- für E-Fuels käme, könnten morgen Autos mit Verbren- ben. Mit so einer Strategie würden wir weder die Klima- nungsmotor – Zitat – „problemlos auch mit synthetischen schutzziele erreichen noch könnten unsere deutschen Au- Kraftstoffen betrieben werden“. Meine Damen und Her- tomobilfirmen im internationalen Wettbewerb bestehen. ren, Sie wollen die Bürger hinters Licht führen. Zum Glück sind unsere Hersteller deutlich klüger und in- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – vestieren mit ehrgeizigen Zielen in die Elektromobilität. [FDP]: Dummes Zeug!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Selbst die Prognosen in den Auftragsstudien der Mi- neralölwirtschaft zeigen: Die Erzeugungskosten für Nach dem Lesen des Antragstextes kann ich Ihnen E-Fuels werden auch 2030 noch deutlich höher sein als empfehlen: Informieren first, Antrag schreiben second. die Kosten für Benzin und Diesel. Die AfD will also die Mobilität für die Menschen richtig teuer machen. Wir (Heiterkeit der Abg. [BÜND- Grüne wollen das nicht. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich verteidige ungern die Regierung, aber in diesem Fall sowie bei Abgeordneten der LINKEN – La- muss ich es mal tun: Es stimmt einfach nicht, dass die chen bei der AfD) staatliche Förderung sich nur auf Elektromobilität kon- 9958 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Stephan Kühn (Dresden) (A) zentriert. Die staatliche Förderung sieht auch den Aufbau unterschiedliche Antworten braucht – übrigens weltweit (C) von Wasserstofftankstellen vor, ist also technologieoffen. regional unterschiedlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Aber wir müssen die Themen „Kosten“ und „Effi- Dr. Lukas Köhler [FDP]: 20 sind gebaut wor- zienz“ sowie die Frage, wann bestimmte Technologien den im letzten Jahr! 20!) verfügbar sind, im Blick behalten. Man muss sagen, dass die E-Fuels zur Erreichung der Ziele, die wir bis 2030 im Verkehrsbereich erreichen wollen, keinen Beitrag leisten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: werden; das ist Fakt. Schauen Sie in die Studien, schauen Herr Kollege, achten Sie auf Ihre Redezeit. Sie sich die Kostenstrukturen an. Wenn Sie die Mobilität nicht teuer machen wollen, dann sind E-Fuels nicht die Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erste Wahl. Für bestimmte Bereiche haben sie eine Be- NEN): deutung, aber erst nach 2030. Das sagen übrigens auch Ich komme zum Schluss. – Anders als es in Ihrem die Studien, die das Thema E-Fuels puschen wollen. Antrag steht, sind die Gespräche des Trilog-Verfahrens (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zu den CO2-Grenzwerten für Pkw und Lkw in Brüs- Widerspruch bei der FDP) sel längst abgeschlossen. Sie sind einfach zu spät dran. Wenn Sie uns verkehrspolitisch herausfordern wollen,

dann müssen Sie etwas früher aufstehen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Damit erhält als nächster Redner das Wort der Kollege (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Christoph Ploß, CDU/CSU-Fraktion. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Felix Schreiner [CDU/CSU]: Jetzt kommt Licht ins Dunkel!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank. – Die FDP-Fraktion hat für den Kolle- Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU): gen Dr. Jung eine Kurzintervention beantragt, die ich zu- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! lasse. Herr Dr. Jung, Sie haben das Wort. Die Mobilität der Zukunft ist derzeit eines der Mega- themen in Deutschland; und das vollkommen zu Recht. Dr. Christian Jung (FDP): Denn auf der einen Seite geht es hier im Deutschen Bun- Lieber Herr Kollege Kühn, Sie haben meine Zwi- destag um die Frage, welche politischen Initiativen wir schenfrage leider nicht zugelassen. – Ich will Ihnen nur ergreifen müssen, um die steigenden Erwartungen an die (B) ganz offen sagen: Es spricht überhaupt nichts gegen die Mobilitätsstrukturen in Deutschland zu erfüllen – immer (D) flüssige Elektromobilität, also die synthetischen Kraft- mehr Güter werden transportiert, die individuellen Mobi- stoffe. Es gibt viele Gründe, so etwas zu fördern. Wir litätsansprüche steigen –, und auf der anderen Seite müs- werden da in den nächsten Jahren einen gesunden neuen sen wir die Frage beantworten, wie wir die Luftqualität Mix bekommen. und Lärmsituation in den deutschen Großstädten weiter verbessern und den CO2-Ausstoß im Verkehrsbereich re- Natürlich werden diese Kraftstoffe in der Regel – duzieren können. schaut man sich die neuen Anlagen an – in dieser Weise nicht alle in Deutschland hergestellt werden. Aber es ist Für uns, die CDU/CSU-Fraktion, ist dabei völlig klar: trotzdem ein guter Beitrag, um einen Ausgleich zwischen Die Antworten auf diese Herausforderungen sind nicht Ökonomie und Ökologie zu finden. Deswegen frage ich Fahrverbote, ist nicht Gängelung, und das sollten auch Sie: Warum haben Sie als verkehrspolitischer Sprecher möglichst nicht politische Vorschriften sein, wie sich der Grünen das Thema E-Fuels noch nicht in irgendeiner die Bürger fortzubewegen oder wie sie zu leben haben. Weise intellektuell durchdrungen? Vielmehr wollen wir es über Investitionen in die Wis- senschaft, technologische Investitionen und Unterneh- (Heiterkeit und Beifall bei der FDD – Steffi mertum erreichen und damit die Mobilität der Menschen Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiter verbessern und auch unseren Beitrag zum Klima- ist ja eine intellektuelle Frage!) schutz leisten. Das heißt Investitionen in den Schienenverkehr, in den Vizepräsident Wolfgang Kubicki: öffentlichen Nahverkehr, Investitionen natürlich auch in Herr Kollege Kühn, möchten Sie antworten? die Digitalisierung des Verkehrs, um den Verkehrsfluss zu verbessern und Staus zu reduzieren. Aber es bedeutet Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- natürlich auch, dass wir in neue Antriebstechnologien in- NEN): vestieren müssen, und es bedeutet auch, dass wir in syn- thetische Kraftstoffe investieren müssen, möglichst aus Herr Vorsitzender, ich möchte eigentlich nicht, aber erneuerbaren Energien. tue es trotzdem. – Lieber Kollege Jung, wenn Sie mei- ner Rede aufmerksam zugehört hätten, dann hätten Sie Mein Kollege Dr. Tebroke hat es eben in seiner Rede sich an die Einsatzfelder für das Thema E-Fuels, die ich völlig zu Recht dargestellt: Dafür brauchen wir vor al- benannt habe, erinnern können. Dann hätten Sie auch ge- lem den Ausbau der Elektromobilität, vor allem – das ist merkt, dass es um eine differenzierte Betrachtung geht. das große Ziel in dieser Legislaturperiode – den weiteren Wir haben unterschiedliche Verkehrsträger, für die es Ausbau der Infrastruktur für Elektromobile. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9959

Dr. Christoph Ploß (A) Aber wir dürfen unsere verkehrspolitischen Initiati- sche Kraftstoffe. Das gilt es in dieser Legislaturperiode (C) ven hier im Deutschen Bundestag nicht auf Elektromo- weiter voranzutreiben. bilität reduzieren – ein solches Denken würde auch zu kurz greifen –, sondern wir brauchen technologieoffene Herzlichen Dank. Lösungen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ploß. – Als letztem Dafür müssen wir mehrere Pfade beschreiten. Das ist Redner zu diesem Tagesordnungspunkt lauschen wir nun für uns gar keine Frage eines Entweder-oder, sondern den Worten des Kollegen Mathias Stein, SPD-Fraktion. eher eines Sowohl-als-auch. Denn mit mehreren Pfaden werden wir am Ende ans Ziel kommen. Das bedeutet na- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) türlich auch CO2-neutrale Kraftstoffe. Denn die Vorteile von synthetischen Kraftstoffen, möglichst aus erneuerba- ren Energien, wie Electrofuels oder E-Fuels liegen auf Mathias Stein (SPD): der Hand: Sie sind nutzbar in Verbrennungsmotoren, glo- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bal transportierbar, gut lagerbar. Vor allem aber kann die Kollegen! Wir stehen in der Verkehrspolitik vor einer bestehende Infrastruktur genutzt werden, und deswegen epochalen Herausforderung: Der Verkehr wird weiter müssen synthetische Kraftstoffe und vor allem E-Fuels zunehmen, und gleichzeitig müssen wir es schaffen, die ein wichtiger Baustein sein, wenn wir über eine künftige Klimaziele von Paris einzuhalten. Dabei verursacht der Mobilitätsstrategie hier reden. Verkehr mehr als 20 Prozent der CO2-Emissionen. Groß- artig ist allerdings, dass wir bereits heute Technologien (Beifall bei der CDU/CSU – Daniela Kluckert greifbar haben, die es uns ermöglichen, eine Vision von [FDP]: Na ja, dann auch umsetzen! Das sind einer klimaneutralen Mobilität zu realisieren, ohne dass ja hehre Worte!) es sozial einschränkt oder wirtschaftlich ausgrenzt. Aber, liebe Kollegen der FDP und auch der AfD, viel Wenn ich mir aber die Anträge der rechten Seite der wichtiger als steuerliche Diskussionen wäre es, das Po- Opposition ansehe, dann stelle ich mir die Frage, ob man tenzial synthetischer Kraftstoffe zu heben und die syn- da in Zukunft tatsächlich gut aufgestellt ist. thetischen Kraftstoffe weiter in die Förder- und For- schungsprogramme Deutschland einzubauen. Das Rezept der AfD lautet: Erst einmal retten wir den (B) Verbrennungsmotor. (D) (Zuruf von der FDP: Ja, machen Sie das (Dr. [AfD]: Genau!) doch!) Natürlich werden wir den Verbrennungsmotor noch eine Da wurde eben freundlicherweise von dem Kollegen der ganze Weile brauchen, aber wenn man sich genau an- Grünen gesagt, da passiere im Moment schon eine ganze schaut, was in dem Antrag steht, dann stellt man fest: Da Menge. Das wollen wir weiter vorantreiben. ist sehr viel heiße Luft. Außerdem – das ist ein richtiger Punkt; da stimme (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ ich Ihnen zu, liebe Kollegen der FDP – müssen wir auf DIE GRÜNEN]: So ist das!) europäischer Ebene dafür werben, dass synthetische Kraftstoffe aus erneuerbarer Energie angerechnet wer- Sie gehen davon aus, dass es Autos geben wird, die den. Denn nur dann werden sich Investitionen in E-Fuels nur mit E-Fuels funktionieren. Wie wollen Sie das denn rentieren und E-Fuels eine Chance auf dem Markt haben. machen? Eben haben Sie gesagt: Na ja, da kann man dann alles reinschmeißen. Das ist eine zusätzliche steuerliche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Subvention, die wir an dieser Stelle nicht haben wollen. ordneten der FDP) Wir haben einen nicht konkurrenzfähigen Preis von 4,50 Euro pro Liter Dieseläquivalent. Umgekehrt würde das natürlich auch die deutsche Au- tomobilindustrie stärken. Wir deutsche Politiker sollten (Zuruf von der AfD: Das stimmt nicht!) daran ein Interesse haben. So könnten wir kluge Wirt- schafts- und Umweltpolitik kombinieren und einen Bei- Sie haben neulich von 2,50 Euro gesprochen. Aber das trag zum Umweltschutz und zur Stärkung unserer Indus- ist immer noch eine Erhöhung. Wie wollen Sie das denn trie leisten. Mit synthetischen Kraftstoffen oder E-Fuels sozial subventionieren? Also, mehr als heiße Luft ist da ist das möglich, neben, wie eben gesagt, der Elektromo- nicht. bilität. (Beifall bei der SPD) Deswegen – lassen Sie mich das zum Abschluss sa- Nun komme ich zur FDP und zum Gasantrieb. Gas ist gen, Herr Präsident – müssen wir für die Mobilität der günstig, Gas ist verfügbar, Gas ist super. Deshalb haben Zukunft verschiedene Maßnahmen in die Wege leiten. wir in der letzten Wahlperiode auch durchgesetzt, dass Dazu zählen Investitionen in alternative Antriebe, aber die CNG-Kraftstoffförderung verlängert wird. Das heißt, dazu zählen auch Investitionen in E-Fuels und syntheti- wir tun da etwas. 9960 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Mathias Stein (A) Aber wir müssen doch unsere Priorität darauf richten, der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- (C) dass wir rechtzeitig die nicht endlichen Energieträger gen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Ver- fördern. Insofern müssen wir auch andere Schwerpunkte kehr und digitale Infrastruktur liegen soll. Sind Sie damit setzen. einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Zur Frage der Forschungsförderung ist hier schon viel gesagt worden. Sie wollen wieder Eulen nach Athen tra- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- gen. Ich empfehle Ihnen die Kleine Anfrage der Kolle- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales gen von den Grünen von Anfang Februar 2019 – das ist (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- die Drucksache 19/7521, das können Sie sich aufschrei- neten Susanne Ferschl, Sabine Zimmermann ben –, dort ist detailliert hinterlegt – es werden sogar die (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordne- einzelnen Firmen genannt –, was gefördert wird. Insofern ter und der Fraktion DIE LINKE tun wir das. Armut in Deutschland den Kampf ansagen Also, mehr als Stückwerk ist bei FDP und AfD nicht zu entdecken. Wir als Große Koalition haben aber die Drucksachen 19/1687, 19/7131 Grundlagen, damit wir diese Klimaschutzziele tatsäch- Ich bitte, den Platzwechsel zügig vorzunehmen, damit lich erreichen. Wir haben die Nationale Plattform „Zu- wir rechtzeitig ins Wochenende kommen. kunft der Mobilität“ eingerichtet. Wir haben beschlossen, dass der Vorsitzende des Verkehrsausschusses und die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Stellvertreterin dort vertreten sein dürfen. Ich denke, da die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- werden wir einiges erreichen. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Außerdem haben wir einen guten Koalitionsvertrag. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Da würde es im Übrigen auch helfen, wenn der Verkehrs- Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin minister ab und zu mal dort reinguckt. Denn wir wollen Angelika Glöckner, SPD-Fraktion, das Wort. die Mobilitätswende ohne Scheuklappen und ohne Denk- (Beifall bei der SPD) verbote sozialverträglich umsetzen.

Herzlichen Dank. Angelika Glöckner (SPD): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (B) Kollegen! Vorweg sage ich den Kollegen der Fraktion (D) Die Linke Danke für diesen Antrag. Denn Sie geben uns

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hier einmal mehr Gelegenheit, über ein wichtiges Thema Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Damit schließe ich zu sprechen, nämlich über Armut. Überall da, wo Armut die Aussprache. herrscht, muss Politik handeln. Tagesordnungspunkt 27 a. Interfraktionell wird Über- Gleichwohl – das sage ich auch – enthält Ihr Antrag weisung der Vorlage auf Drucksache 19/6007 an die in einige Klischees. Wenn man Ihren Antrag liest, gewinnt der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- man den Eindruck, als würde bei uns in Deutschland die gen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen Massenverelendung anwachsen, als würden überdurch- von CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim schnittlich viele Menschen ausgebeutet oder unter ganz Finanzausschuss. Die Fraktion der AfD wünscht Feder- schlechten Bedingungen arbeiten. führung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infra- struktur. Ich finde, dieses Bild ist zu drastisch. Denn wenn man Deutschland mit den übrigen EU-Mitgliedsstaaten ver- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- gleicht, zeichnet sich ein anderes Bild ab. Wir haben eine vorschlag der Fraktion der AfD, Federführung beim Aus- sehr gute Beschäftigungsquote, die höchste seit der Wie- schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Wer stimmt dervereinigung. Wir haben positive Entwicklungen bei diesem Überweisungsvorschlag zu? – Wer stimmt dage- Nettolöhnen von Vollzeitbeschäftigten, gen? – Wer enthält sich? – Keiner. Dann ist dieser Über- weisungsvorschlag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses ab- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden über Ar- gelehnt. mut!) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungs- und der Politik wird bescheinigt, dass wir viel gegen Ar- vorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, Fe- mut und Arbeitslosigkeit unternommen haben. Sie sehen: derführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt diesem Deutschland ist besser, als Sie es zeichnen. Überweisungsvorschlag zu? – Gegenprobe! – Enthaltun- gen? – Keine. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag Ich will aber auch sagen: Nicht alle Menschen in gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen diesem Land partizipieren an dieser positiven Entwick- der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. lung. Ich nenne beispielhaft Rentnerinnen und Rentner mit niedrigen Lebenserwerbseinkommen, Menschen mit Tagesordnungspunkt 27 b. Interfraktionell wird Über- Behinderung, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose und weisung der Vorlage auf Drucksache 19/7902 an die in natürlich auch deren Kinder. Ja, wir müssen einiges tun. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9961

Angelika Glöckner (A) Machen wir uns ehrlich, Kollegen von der Linken: Es dass die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme massen- (C) wird und es wurde auch vieles getan. haft zunehmen wird. Ich will auf einige Beispiele eingehen. Ich nenne die (Widerspruch bei der LINKEN – Dr. Matthias Brückenteilzeit, die ermöglicht, dass Beschäftigte nach Bartke [SPD]: Das hat aber lange gedauert, bis einer Teilzeitphase wieder auf Vollzeit umswitchen kön- wir bei der Zuwanderung sind!) nen. Das verändert natürlich das Einkommen zum Positi- Sie wollen das Kindergeld auf 328 Euro pro Kind erhö- ven und hilft auch, Altersarmut entgegenzuwirken. hen. Wir zahlen jetzt schon Hunderte Millionen Euro an Kindergeld in andere Länder. Das wird sich vervielfa- (Beifall bei der SPD) chen, wenn wir das Kindergeld so deutlich erhöhen. In Ich nenne den sozialen Arbeitsmarkt: Wir ermöglichen Ihrem Antrag haben Sie gar nicht mehr versucht, darzu- vielen Menschen, die lange in Arbeitslosigkeit verharren, stellen, wie das alles finanziert werden soll. wieder in Arbeit zu kommen. Wir wollen die Menschen (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE nicht in Arbeitslosigkeit verwalten; wir wollen, dass sie GRÜNEN]: Was will denn die AfD?) in Arbeit kommen. Ich nenne das Starke-Familien-Ge- setz, das wir auf den Weg gebracht haben. Es stärkt die Das Einzige, das Sie noch hineingeschrieben haben – Familien und wirkt der Kinderarmut entgegen. das ist der nächste sozialpolitische oder arbeitsrechtliche Schwachsinn –, ist die Forderung: Wir wollen Minijobs (Beifall bei der SPD) sozialversicherungspflichtig machen. Ja, die SPD-Fraktion will auch das Bürgergeld und Das heißt, Sie versuchen in allen möglichen Berei- die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Das sind für chen, den Menschen die Anreize zu nehmen, zu arbeiten. uns wichtige Schritte. Wir wollen einen modernen Sozi- Dass sich Arbeit auch wirklich lohnt, auch wenn man ge- alstaat, der für die Menschen da ist, wenn sie ihn brau- ring qualifiziert ist, fällt bei Ihnen weg. Sie fördern, dass chen. Wir wollen nicht, dass Menschen zwischen Ämtern immer mehr Menschen vom Sozialstaat leben müssen und Behörden hin und her laufen müssen, und wir wollen und dass diejenigen, die unser Land inzwischen massen- Mitarbeiter in den Behörden, die genügend Zeit haben, haft verlassen, nämlich die hochqualifizierten Menschen, sich um die Menschen zu kümmern. die Leistungsträger in unserem Land, immer stärker be- lastet werden, indem Sie einfach nur an den Symptomen (Beifall bei der SPD) herumdoktern. Das ist grundfalsch. Ihr Antrag enthält einige Vorschläge. Wir haben ein (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Eine Kranken- (B) umfassendes Konzept, um den Sozialstaat zu moderni- schwester ist kein Leistungsträger! Aha!) (D) sieren. Ich denke, Kolleginnen und Kollegen der Linken, Wir müssen eine echte, vernünftige Armutsbekämp- es liegt auf der Hand: Wir haben das bessere Konzept. fung betreiben. Das heißt, dass wir den Menschen in dem Ihren Antrag müssen wir leider ablehnen. Zeitraum ihres Erwerbslebens mehr von ihrem Geld las- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen müssen. der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Vor 30, 40 Jahren konnte ein einfacher Arbeiter, ein Vizepräsident Wolfgang Kubicki: einfacher Angestellter mit seinem Gehalt seine Familie Vielen Dank, Frau Kollegin Glöckner. – Als nächster versorgen und hatte darüber hinaus auch noch die Mög- Redner erhält der Kollege Martin Sichert, AfD-Fraktion, lichkeit, eine Immobilie zu erwerben, sich ein Haus zu das Wort. bauen. (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD) NEN]: Sagen Sie mal etwas zum Mindest- lohn!) Martin Sichert (AfD): Davon sind wir heutzutage meilenweit entfernt. Wertes Präsidium! Meine Damen und Herren! „Armut in Deutschland den Kampf ansagen“ ist ein schöner Ti- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE tel. Leider bewirkt Ihr Antrag genau das Gegenteil: Sie GRÜNEN]: Was will die AfD?) schaffen damit systematisch Armut. Warum sind wir davon meilenweit entfernt? Weil die Staatsquote immer mehr erhöht wird, weil den Menschen (Pascal Meiser [DIE LINKE]: So ein Hum- immer mehr Geld aus der Tasche gezogen wird und weil bug!) man dieses Geld dann nimmt, um es als staatliche Wohl- – Nein, das ist kein Humbug; das ist Tatsache. taten zu verteilen. Diesen Sozialismus lehnen wir ab. (Dr. Matthias Bartke [SPD]: In welchem In Ihrem Antrag steht, dass Sie eine Mindestsicherung Land leben Sie?) von 1 050 Euro netto für jeden Erwachsenen in Deutsch- land einführen wollen. Damit schaffen Sie das Problem, Wir sehen, dass der Sozialismus in Deutschland im- dass das Sozialsystem in Deutschland für arme Men- mer in den Ruin geführt hat. Sozialismus ist eine Ideo- schen aus anderen Ländern noch viel attraktiver wird, logie, die versucht, zu versprechen: Wohlstand für alle! 9962 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Martin Sichert (A) Wir schaffen die Armut ab! Wir lösen eure Probleme! In Die Forderung nach einer sanktionsfreien Mindestsi- (C) Wahrheit aber schaffen Sie letztlich Armut für alle. cherung ist falsch. Sie wäre nichts anderes als ein bedin- gungsloses Grundeinkommen, ( [Heidelberg] [SPD]: Ist Ihnen das nicht zu primitiv, so zu argumentieren?) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Wir haben in Deutschland schon zweimal erlebt, dass der ein staatliches Gehalt ohne Gegenleistung. Das entwertet Sozialismus dieses Land ruiniert hat. Wir werden es ein die Arbeit als Quelle der Entwicklung der Persönlichkeit. drittes Mal nicht zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der AfD) ordneten der FDP) Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. Es entwertet den Menschen und macht ihn zum bloßen Empfänger staatlicher Transferleistungen. Und bitte tun Sie uns einen Gefallen: Hören Sie auf, Wir wollen, dass der Mensch selbstständig ist. Er soll solche Potpourri-Anträge zu stellen. Wahrscheinlich seinen Stolz darin finden, sein Leben selbstverantwort- haben Sie irgendeinen Mitarbeiter, der würfelt, welche lich zu gestalten und dem Staat zu sagen: Ich brauche sozialpolitischen Forderungen Sie jetzt wieder in einem dich nicht. – Das ist ein wesentliches Element von Frei- Paket zusammenschnüren. heit, die wir schätzen und verteidigen. (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU – Corinna Rüffer NEN]: Haben Sie Ihre eigenen Anträge schon [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn er einmal gelesen?) ihn braucht, hat er keinen Wert, oder was?) Machen Sie einmal etwas Vernünftiges, Durchgerech- Die Forderung nach der Abschaffung sachgrundloser netes, Durchkalkuliertes, dann können wir uns hier auch Befristungen und der weitgehenden Einschränkung der intensiv mit einzelnen sinnvollen Forderungen beschäf- Leiharbeit ist falsch. Wir wollen Missbräuche unterbin- tigen. Aber diesen sozialistischen Schwachsinn braucht den, aber Flexibilisierungsmöglichkeiten erhalten. Am unser Land nicht. Ende ist es doch die Leistungskraft der Wirtschaft, die den Sozialstaat finanziert. (Beifall bei der AfD – [DIE LINKE]: Kein Vorschlag! Kein Vorschlag!) (Beifall bei der CDU/CSU) Aber richtig ist auch: Ohne einen funktionierenden So- (B) zialstaat wäre die Wirtschaft weniger leistungsfähig. (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Deswegen ist die soziale Marktwirtschaft auch immer als Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege „irenische Formel“ bezeichnet worden, als Friedensord- Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion. nung. Fehlt dieser Frieden, fehlen auch alle Möglichkei- ten des Wachstums und des Wohlstands. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine Bemerkung zum Begriff der Armut. Armut wird definiert als eine Situation der Ungleichheit. Wer weni- Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): ger als 40 Prozent des Medianeinkommens zur Verfü- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der An- gung hat, gilt als arm. Folglich kann man die Armut nur trag, den wir heute debattieren, ist fast ein Jahr alt. Mitt- beseitigen, wenn man die ökonomischen Formen der Un- lerweile hat die SPD einige dieser Forderungen über- gleichheit beseitigt. Und spätestens hier wird klar: Ne- nommen. Das sei nur festgestellt. Manchmal adelt die ben der statistischen Dimension hat der Begriff „Armut“ Zustimmung der SPD eine Sache, hier nicht. auch die Dimension eines Kampfbegriffs. Er richtet sich im Namen der Gleichheit gegen alle Ungleichheit. Aller- Deswegen will ich für die Union festhalten: Die dings: Nur in einer vollständig egalitären Gesellschaft Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns auf gäbe es dann keine Armut mehr – aber eben auch keine 12 Euro ist falsch. Sie ist deshalb falsch, weil wir die Freiheit. Festsetzung der Höhe des Mindestlohns einer Kommissi- Wir haben alle unterschiedliche Anlagen und Talente, on überlassen haben – aus gutem Grund. Gott sei Dank. Wie dunkel wäre diese Welt, wenn die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Entfaltung dieser Anlagen und Talente im Namen der ordneten der FDP) Gleichheit unterdrückt würde? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir wollten verhindern, dass der Mindestlohn zum Spiel- ordneten der FDP) ball politischer Interessen wird. Das ist nach wie vor richtig. Und ich kann nicht verstehen, warum ihr Kol- Wie arm wäre unsere Welt, wenn sich Leistung nicht legen von den Sozialdemokraten von diesem richtigen lohnte, Anstrengung ins Leere liefe? Ja, Ungleichheit Schritt wieder Abstand nehmen wollt. motiviert, sie inspiriert, sie ist eine treibende Kraft tech- nologischer und wirtschaftlicher Entwicklung. Deswe- (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Kollektive Am- gen wollen wir die Ungleichheit nicht beseitigen, wohl nesie!) aber im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialordnung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9963

Dr. Matthias Zimmer (A) einhegen und nutzbar machen. Und wir wollen dafür sor- die Sie hier immer wieder in den Deutschen Bundestag (C) gen, dass die Ungleichheit immer auf die Gerechtigkeit bringen. bezogen wird. So garantieren wir, dass die Ordnung der Wirtschaft auch als legitim angesehen wird. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Ein letzter Punkt. Der Antrag fordert eine sanktions- freie Mindestsicherung von 1 050 Euro. Es ist unverantwortlich, die Sorgen und Ängste der Men- schen zu instrumentalisieren. Das muss ich Ihnen leider (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sehr gute vorhalten. Forderung!) Wenn man sich Ihre Forderungen anschaut, stellt man Dazu wird man die Bedarfssätze erhöhen müssen. Wer- fest: Es sind die üblichen, beispielsweise die Manipula- den diese erhöht, haben auch die Menschen Anspruch tion der Mindestlohnkommission. Sie wollen einen poli- darauf, die bisher über der Grenze lagen und nun darun- tisch festgesetzten Mindestlohn. Dass Sie das fordern, ist terliegen. Die Folge ist: Wir haben mehr Menschen mit das eine. Aber dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen einem Anspruch auf staatliche Leistungen. Und, meine der SPD, dieser Politik jetzt hinterherlaufen, kann ich Ih- Damen und Herren, wenn ich die Dynamik populisti- nen nun wirklich nicht empfehlen. Sie wissen doch sel- scher Umverteilungsdiskurse richtig einschätze, ber: Wenn Sie 12 Euro fordern, werden die Kollegen der Linken rasch 13 Euro fordern. Diesen Wettlauf werden (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Sie verteilen Sie nicht gewinnen; Sie werden ihn verlieren. seit 20 Jahren um!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wird genau dies dann zum Argument gewendet. Es heißt der CDU/CSU) dann: In Deutschland steigt die Armut, weil die Anzahl der Leistungsbezieher steigt. – Dann werden wir wieder Was Sie als sanktionsfreie Mindestsicherung fordern, eine Debatte führen – vielleicht aber auch nicht, wenn liebe Kollegen der Linksfraktion, ist letztlich nichts an- wir heute den Antrag der Linken ablehnen, was zumin- deres als das Abschreiben der Menschen. Wenn Sie den dest meine Fraktion tun wird. Menschen nicht einmal mehr zutrauen, dass sie sich auch selber durch Mitwirkung um Arbeit bemühen können Herzlichen Dank. und sollen, dann bedeutet das, dass Sie sie letztlich auf (Beifall bei der CDU/CSU) das Abstellgleis schieben. Das zeigt, wie klein Sie von diesen Menschen denken, und das ist nicht in Ordnung.

(B) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (D) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmer. – Als nächs- CDU/CSU) ter Redner erhält das Wort der Kollege Pascal Kober, Viel wichtiger wäre es, dass wir, statt immer neue For- FDP-Fraktion. derungen nach höheren Transferleistungen aufzustellen, (Beifall bei der FDP) beispielsweise endlich einmal die Zuverdienstgrenzen im Hartz-IV-System so ausgestalten würden, dass sich für die Menschen Arbeit auch wirklich lohnt. Wenn wir das Pascal Kober (FDP): täten – das hat gerade eine seriöse Studie vorgerechnet –, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dann könnten wir 300 000 Menschen sofort, geradezu Es ist ja nicht so, dass es keine sozialen Probleme in mit einem Schlag, neu in Arbeit bringen. Deutschland gäbe und wir als Politik diese Herausforde- rungen nicht besser lösen könnten als bisher. Aber Ihre (Beifall bei der FDP) Schwarzmalerei, liebe Kolleginnen und Kollegen der Das ist die richtige Politik, die Politik des liberalen Bür- Linksfraktion, hilft keinem und ist letztlich selbst ein gergeldes, wie wir, die FDP, es fordern. Skandal. Eine alleinerziehende Frau mit drei Kindern hätte Wir haben in dieser Woche die neueste Studie der nach unserem Modell des liberalen Bürgergeldes, das wir ­Bertelsmann-Stiftung zur Kenntnis genommen. Sie zeigt, gestern vorgestellt haben, im Monat 370 Euro mehr zur dass es den Kindern in Deutschland gut geht: Acht von Verfügung. Das ist wirkliche Hilfe. Wenn wir den Men- zehn Kindern haben ein eigenes Zimmer. Neun von zehn schen mehr Netto vom Brutto lassen, wenn Anstrengung Kindern haben einen eigenen ruhigen Platz für sich. Und sich lohnt, dann arbeiten sich die Menschen aus ihrer Si- die meisten Kinder sagen auch, dass es ihnen materiell tuation heraus. Das wäre auch ein wirklicher Jobmotor. gut geht. Aber jedes zweite Kind sagt, dass es Angst vor Armut hat. Das muss ja irgendwo herkommen. Es kommt (Beifall des Abg. Michael Theurer [FDP]) genau von dieser Skandalisierung, Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf: Handeln (Niema Movassat [DIE LINKE]: Unglaub- Sie jetzt! Nehmen Sie die Zuverdienstgrenzen in Angriff! lich! – Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! – Weitere Zurufe (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE eine Lohnsubventionierung der Unterneh- GRÜNEN) men!) 9964 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Pascal Kober (A) So ist es leicht möglich, vielen Menschen mehr Geld im So vielfältig wie die Gesichter, so unterschiedlich (C) Portemonnaie zu lassen und mehr Gerechtigkeit in die- sind auch die Gründe für die wachsende Armut. Des- sem Land herzustellen. halb genügt es auch nicht, an einzelnen Symptomen he- rumzudoktern, wie es diese Bundesregierung beständig Vielen Dank. tut, liebe Kollegin Glöckner. Wir brauchen endlich ein (Beifall bei der FDP) umfassendes Programm zur Bekämpfung der Armut in Deutschland, wie wir es mit unserem Antrag vorgelegt haben. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Als nächster Red- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein! ner erhält das Wort der Kollege Pascal Meiser, Fraktion Das steigert die Armut!) Die Linke. Dazu gehört, zuallererst dafür zu sorgen, dass die- jenigen, die hart arbeiten, davon auch anständig leben (Beifall bei der LINKEN) können. Deshalb lassen Sie uns endlich für einen armuts- festen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro sorgen und Pascal Meiser (DIE LINKE): für konsequente Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbin- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dung. frage mich schon: Was läuft eigentlich verkehrt, wenn in (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias einem reichen Land wie Deutschland fast 14 Millionen Zimmer [CDU/CSU]: Wollen Sie die Tarifau- Menschen von Armut betroffen sind, während die Zahl tonomie jetzt auch noch aushebeln?) der Millionäre und Milliardäre von Jahr zu Jahr immer weiter steigt? Was läuft eigentlich verkehrt in Deutsch- Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die gesetzliche Ren- land, dass es inzwischen mehr als 5 Millionen Menschen te wieder vor Armut im Alter schützt, und zwar mit ei- gibt, die sich nicht jeden Tag eine vollwertige Mahlzeit nem Rentenniveau von 53 Prozent, wie wir es vor der leisten können? Ich finde, mit sozialer Gerechtigkeit hat unsäglichen Riester-Reform hatten. das alles doch nichts, aber wirklich gar nichts mehr zu (Beifall bei der LINKEN) tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber auch bei einem Ausgleich für Niedriglöhne bei der (Beifall bei der LINKEN) Berechnung der Rente, der auch Geringverdienern ein Fakt ist: Die Armut in diesem Land nimmt zu – und Alter in Würde erlaubt, haben Sie, liebe SPD, wenn Sie das, obwohl die Wirtschaft brummt und die Zahl der Ar- es ernst meinen, unsere Unterstützung – auch in der Aus- (B) beitslosen sinkt. Millionen Menschen werden gnadenlos einandersetzung mit der Union. (D) vom Wohlstand in unserem Land abgehängt. Das ist und (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias bleibt für uns Linke inakzeptabel. Zimmer [CDU/CSU]: Das können die gerade (Beifall bei der LINKEN) gebrauchen!) Schließlich: Hören Sie damit auf, die Hartz-IV-Sätze Fakt ist auch: Der größte Teil der von Armut betroffe- künstlich kleinzurechnen und den Menschen noch das nen Menschen ist erwerbstätig. Sie sind arm trotz Arbeit. Notwendigste zum Leben durch Sanktionen zu streichen! Zu diesem erschreckenden Ergebnis kommt zum Bei- Lassen Sie uns stattdessen endlich eine armutsfeste Min- spiel der letzte Armutsbericht des Paritätischen Gesamt- destsicherung schaffen – verbandes: Das betrifft die Verkäuferin aus der Bäckerei um die Ecke, das betrifft die Lkw-Fahrer und die Rei- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und wer nigungskräfte – im Übrigen zur großen Schande dieses finanziert das?) Hauses leider auch die, die tagtäglich so zuverlässig un- sere Bundestagsbüros putzen –, und es betrifft noch viele für all diejenigen, die erwerbslos sind und die genauso mehr. Es betrifft auch die Rentnerinnen und Rentner, die wie alle anderen ein Recht auf ein Leben in Würde haben. im Alter in Armut leben und Flaschen sammeln müssen, Wenn auch Sie das Vertrauen in die Politik wiederher- und natürlich die Erwerbslosen, die Hartz IV beziehen. stellen wollen, dann gibt es nur eines: Lassen Sie uns den Sozialstaat in diesem Land endlich wieder stärken, und Diese Menschen hören oder lesen dann, wie die Kanz- zwar so, dass er tatsächlich und umfassend vor Armut lerin verkündet: „Deutschland geht es gut“ – oder ähn- schützt. liche Sätze von bleibender Schönheit. Oder sie müssen sich diese Debatte anhören, insbesondere das, was aus Vielen Dank. der rechten Ecke hier über Armut gesagt wird. Haben Sie eigentlich nur die geringste Vorstellung davon, was (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- das bei denjenigen auslöst, die selbst in Armut leben neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) müssen? So verlieren viele das Vertrauen in die Politik, manche sogar das Vertrauen in die Demokratie. Das ist Vizepräsident Wolfgang Kubicki: doch etwas, was uns alle hier – alle! – mit großer Sorge Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält erfüllen sollte. das Wort der Kollege Dr. Wolfgang ­Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9965

(A) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ derarmut tun. Es ist ein Skandal, dass in Deutschland je- (C) DIE GRÜNEN): des fünfte Kind in Armut aufwachsen muss. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sollten mehr über die Zukunft, über die Agenda 2030 und und bei der LINKEN) die Nachhaltigkeitsziele reden. Wir müssen dafür sorgen, dass jemand, der arbeitet, (Beifall bei Abgeordneten des BÜND- mehr als das Grundsicherungsniveau hat – und zwar alle, NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. die arbeiten: Auch die Teilzeiterwerbstätigen, die Allein- Dr. [SPD]) erziehenden und die Selbstständigen müssen mehr haben Da gibt es das schöne Nachhaltigkeitsziel 1, bei dem es als das Grundsicherungsniveau. Wir brauchen eine Kin- um die Beseitigung von extremer Armut weltweit geht. dergrundsicherung, um Familienarmut endlich zielgenau Ziel 1.2 will die Halbierung der Armut – nach der nati- zu bekämpfen. onalen Definition – in allen Staaten – also auch bei uns. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Man muss feststellen: Diese Bundesregierung hat für NEN und bei der LINKEN sowie des Abg. die Erreichung dieses Ziels überhaupt keinen Plan und Dr. Matthias Bartke [SPD]) keine Strategie. Schließlich muss die Rente armutsfest werden. Nun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist die Grundrente durchaus ein richtiger Schritt. Das ist auch kein Wunder, weil viel von unserer grünen Garan- Beides muss man aber haben, um das Ziel zu erreichen. tierente abgeschrieben worden ist. Aber das ist nur was Uns Grünen ist das enorm wichtig; denn wir Grüne strei- für die Spitze des Eisbergs. Wenn man den gesamten Eis- ten für eine inklusive Gesellschaft, in der alle Menschen berg schmelzen will, muss man das mit einer Bürgerver- selbstbestimmt sozial teilhaben können. sicherung kombinieren. Dann wird ein Schuh draus. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zusammen wäre ein wirklich signifikantes Mittel gegen Altersarmut. Armutsbekämpfung ist für uns ein zentrales Ziel. Ich nenne in der Kürze der Zeit vier Punkte, an denen Das heißt also, es gäbe die Möglichkeit, Armut in man ansetzen könnte: Erstens: Obdachlosigkeit. Gehen Deutschland tatsächlich energisch anzugehen, die Armut Sie mal zu den Menschen in der Friedrichstraße! Nach zu halbieren oder letztlich sogar ganz zu beseitigen. Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe gibt es in Deutschland 50 000 Menschen, die auf der Straße leben. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das ist eine Schande für dieses reiche Land. (B) Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung muss endlich Verantwortung über- nehmen, damit Obdachlosigkeit beseitigt wird. Der politische Wille dafür muss nur da sein. Wir müs- sen handeln. Zweitens. Wir brauchen eine ordentliche Grundsiche- rung. Der Regelsatz muss endlich angehoben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und dann gibt es wieder mehr Armut!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Es geht nicht an, dass sie immer wieder kleingerechnet Vielen Dank. – Als nächster Redner in dieser Debatte wird und der Regelsatz für soziale und kulturelle Teilha- hat der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion, das be nicht reicht. Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) und bei der LINKEN) Wir müssen bei der Grundsicherung dafür sorgen, dass Dr. Matthias Bartke (SPD): alle, die ein Anrecht darauf haben, diese Grundsicherung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD auch bekommen. Es kann doch nicht sein, dass die Hälfte sagt der Armut in Deutschland den Kampf an – in der bzw . ein Drittel der Menschen, die einen Anspruch ha- Großen Koalition und darüber hinaus. ben, die Grundsicherung nicht bekommen. Wir müssen (Beifall bei der SPD) dafür sorgen, dass jeder, der das Anrecht darauf hat, die Grundsicherung auch erhält. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, des- halb stimmt es einfach nicht, wenn Sie in Ihrem Antrag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schreiben: und bei der LINKEN) Es fehlt nicht an Erkenntnissen über Armut, sondern Drittens. Wir müssen mehr gegen Armut trotz Er- an gesetzlichem Handeln. werbstätigkeit tun. Das ist eben schon gesagt worden. Die meisten Armen in Deutschland, die größte Gruppe, Woran arbeiten wir denn im Sozialausschuss? An sind erwerbstätige Arme. Wir müssen mehr gegen Kin- Gesetzen, die das Leben der Menschen in Deutschland 9966 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

Dr. Matthias Bartke (A) besser machen! An allererster Stelle muss man hier die Dr. Matthias Bartke (SPD): (C) Einführung des sozialen Arbeitsmarktes nennen; Frau Nein, die Zwischenfragen kenne ich; das sind immer Glöckner hat es bereits gesagt. Korreferate. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Arbeit zu einem vernünftigen Lohn ist das beste Mittel Der soziale Arbeitsmarkt ist der erste Vorbote dieses gegen Armut. Rechtes auf Arbeit. (Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann Wir wollen, dass Arbeit sich auch im Alter bezahlt [SPD]) macht. Deshalb wollen wir eine Grundrente, die den Na- Mit dem sozialen Arbeitsmarkt finanziert der Staat end- men auch verdient. Jemand, der 35 Jahre lang gearbeitet lich richtige Jobs für Langzeitarbeitslose, für Menschen, hat, muss im Alter eine Rente ohne aufstockende Grund- die sonst überhaupt keine Chance am Arbeitsmarkt mehr sicherung bekommen. Punkt! hätten, die abgehängt wären. Ein Staat, der Arbeit statt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Arbeitslosigkeit finanziert, hat etwas Wesentliches er- kannt: Arbeit gibt dem Alltag eine Struktur, Arbeit stärkt Es geht um Menschen, die über Jahrzehnte durch ihre das Selbstbewusstsein. Arbeit, Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen die Gesellschaft zusammengehalten haben. Es ist nicht (Beifall der Abg. Angelika Glöckner [SPD]) richtig, dass diese Menschen zum Amt gehen müssen, Deswegen hat die SPD in ihrem jüngst vorgestellten So- um staatliche Hilfen zu beantragen. Und es ist schon gar zialstaatskonzept eines in den Vordergrund gestellt: ein nicht richtig, dass sie sich dann dort nackt machen müs- Recht auf Arbeit. sen, um ihre gesamten Einkommensverhältnisse offenzu- legen – und die ihres Lebenspartners gleich noch dazu. (Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und die Verlängerung des Ar- (Beifall bei der SPD) beitslosengeldes!) Daher sage ich Ihnen: Wir wollen eine würdevolle Wir wollen, dass auch Menschen, die schon lange Grundrente ohne bürokratische Bedürftigkeitsprüfung nicht mehr gearbeitet haben, wieder in Arbeit kommen. schaffen. Wenn sie das nicht schaffen, dann wollen wir sie an die Hand nehmen und Hilfestellungen geben. Ein Recht auf (Beifall bei der SPD) Arbeit ist die Antwort auf die falschen Konzepte eines Am Ende noch ein Satz zu Matthias Zimmer und den sanktionsfreien, eines bedingungslosen oder eines garan- (B) 12 Euro Mindestlohn: Nein, wir wollen die Mindestlohn- (D) tierten Grundeinkommens. kommission nicht abschaffen, (Beifall bei der SPD) ( [SPD]: Genau!) Denn all diesen Konzepten ist eines gemeinsam: Sie ori- aber damals ist der Mindestlohn von 8,50 Euro politisch entieren nicht auf Arbeit. festgelegt worden. Wir haben heute festgestellt: Es war (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- eine zu niedrige Festlegung; NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Sie sagen den Menschen, die schon lange arbeitslos neten der SPD) sind: Bemüh dich gar nicht weiter um Arbeit. Nimm das denn wenn man sein Leben lang gearbeitet hat, bekommt Grundeinkommen und bleib zu Hause. man bei dem derzeitigen Mindestlohn immer noch auf- (Zurufe von der LINKEN) stockende Grundsicherung. Das wollen wir nicht. Wir wollen einen Mindestlohn von 12 Euro. Indirekt sagen sie: Ihr kommt nicht mehr in Arbeit; wir haben euch aufgegeben. Ich danke Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Steffi (Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie [CDU/CSU]: Und wie oft wiederholt ihr das wollen es nicht verstehen! – Abg. Dr. Wolfgang dann?) Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie gibt Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartke. – Als letz- niemanden auf. Wir wollen, dass alle Menschen in Arbeit ter Redner unserer Tagung erhält der Kollege Frank kommen. Heinrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Pascal (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder Kober [FDP]) [CDU/CSU]: Guter Mann!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus Sehr geehrter Herr Präsident! Ich bin mir des kurz be- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? vorstehenden Wochenendes bewusst. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 84. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2019 9967

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen worden ist. Ich leide auch darunter, dass so viele da hin- (C) und Kollegen! Der Antrag ist überschrieben mit „Armut müssen. in Deutschland den Kampf ansagen“. So wie es die Kol- legin Glöckner gesagt hat, sage ich es auch: Natürlich (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- stellen wir uns dem. Aber auf die Überspitzung, auf die NIS 90/DIE GRÜNEN]: 1,5 Millionen Men- Politik hin und wieder angewiesen ist, würden wir gern schen! 1,5 Millionen Menschen!) verzichten, um dem Thema wirklich gerecht werden zu können. Denn mit den Klischees lässt sich letztlich Aber das ist mir zu dünn. Im Übrigen wurden die Tafeln schlecht arbeiten. Ja, Armut in Deutschland gibt es. Das wegen des Überflusses gegründet, aus dem ökonomi- werden wir nicht verleugnen. Das ist an vielen Stellen schen, aber auch aus dem ökologischen Gedanken he- peinlich. Daraus leiten wir einen Auftrag ab. raus. Zuvor drei Grundgedanken: Da, wo sozialversiche- Natürlich – deshalb habe ich es nicht verschwiegen – rungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ist in seltensten gibt es Menschengruppen mit einem erhöhten Risiko, in Fällen Bedürftigkeit vorhanden. Und wenn sich da die soziale Not zu geraten, besonders drei Gruppen: Lang- Zahlen ändern, wie Sie in Ihrem Antrag feststellen, dann zeitarbeitslose bzw. Geringqualifizierte, lang Alleiner- müssen wir genauer hinschauen. Die Antworten sind ziehende und ihre Kinder sowie Menschen mit Migra- aber nicht so einfach, wie Sie es im Antrag schreiben. tionshintergrund. Ich habe gelernt, dass man Lösungen Der zweite Gedanke: Wer Arbeitslosigkeit bekämpft – nur findet, wenn man das Problem genau und klar be- so wie Sie, Herr Kollege Bartke, das eben gesagt haben –, nennt. Ganz ehrlich: Da kommen wir zu einer anderen der bekämpft Armut. Da müssen wir anpacken. Problembeschreibung als Sie und wahrscheinlich dann auch – logischerweise – zu anderen Problemlösungen, Der dritte: Gut ausgebildete Personen sind in der Re- wie öfter in der Politik. Die Problembeschreibung ist un- gel dauerhaft vor sozialem Abstieg geschützt. ter anderem, dass in Deutschland die Unterschicht kaum größer wird, aber der Wechsel zwischen den Schichten, Kurz zu den Zahlen, die jetzt schon einige Male ge- der Aufstieg tatsächlich schwieriger geworden ist. Wer nannt wurden: Seit 2005 ist die Zahl an Hartz-IV-Emp- von unten kommt und unten ist, bleibt meist unten. Das fängern deutlich gesunken – von 5 auf 2,3 Millionen –, braucht unsere besondere Aufmerksamkeit. Da denken bei 5 Millionen mehr Beschäftigten im Jahr 2018 im Ver- wir: Nur Bildung wird an der Stelle helfen, gesellschaft- hältnis zu 2005. Die Langzeitarbeitslosenzahl hat sich liche Aufstiegschancen zu erhöhen. halbiert; Deutschland hat die niedrigste Jugendarbeitslo- sigkeit. Ich will nichts schönreden; ich möchte nur bitte (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (B) nebeneinanderstellen. Pascal Kober [FDP]) (D) (Pascal Meiser [DIE LINKE]: Trotzdem wer- den die Leute immer ärmer!) Was tun? Ihre Forderungen umsetzen? Das würde aus unserer Sicht den Anreiz senken, dem sozialstaatlichen 80 Prozent der 50- bis 59-Jährigen arbeiten, Reallöhne Prinzip des Förderns und Forderns widersprechen und sind gestiegen. Es sind eindeutige und objektive Indizien nicht zuletzt Milliarden kosten, die wir a) nicht haben dafür, dass die Gesellschaft als solches auf einem guten und was b) auch nicht – das haben wir vorhin gehört – Weg ist und keinesfalls einfach nur unter den Bedin- auf das Wohlwollen der treuen Steuerzahler trifft. gungen, wie Sie sie beschreiben, leiden muss. Die Ar- beitsmarktreformen der letzten Jahre sind nach unserer Meinung und aus der Sicht Europas und der Welt geach- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: tet – und ich finde: zu Recht. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Beim Thema Armut geht es nicht nur ums Geld. Wir Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): werden die Armut auch nicht nur über Geld bekämp- Ich komme zum Ende. fen oder abschaffen können. In der letzten Debatte vor 309 Tagen hier habe ich meinen Bezug dazu erzählt. In Der Schlüssel im Kampf gegen Armut ist mehr Bil- Kurzform: Ich habe selbst teilweise Sozialhilfe bezo- dung. Die zentrale Botschaft des Armuts- und Reich- gen. Wenn ich nach der Regel mit den Prozenten gehen tumsberichts ist: Wir müssen den Einfluss der Bildungs- würde, die vorhin genannt wurde, habe ich 50 Prozent herkunft neutralisieren. Dieser Herausforderung stellen meines Lebens unterhalb dieser Schwelle gelebt. Aber wir uns. Ich erinnere nur an das Qualifizierungschan- mir war das als Kind in der Zeit zu keinem Zeitpunkt cengesetz, an die demnächst anstehende Bearbeitung bewusst. Das war kein Leiden unter der Situation. Des- von § 16 SGB II. Genau das ist uns wichtig: Wir wollen halb war es trotzdem nicht einfach – und für die Eltern das Geld nicht pauschal ausgeben und dann nichts übrig wahrscheinlich noch weniger. Es geht nicht nur um die haben, – Elemente finanzieller Ausstattung. Sie nennen im Antrag auch die Tafeln. Ich bin da zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Hause: Als ehemaliger Heilsarmee-Offizier habe ich selbst zwei gegründet und eine dritte dann begleitet. Sie Herr Kollege, oben bittet unten, jetzt zum Schluss zu führen das als Beispiel dafür an, dass es schlimmer ge- kommen. 9968 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

(A) Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): sache 19/7131, den Antrag der Fraktion Die Linke auf (C) – sondern differenziert und zielgenau. – Zielgenau Drucksache 19/1687 abzulehnen. Wer stimmt für diese war ich nicht, was die Redezeit angeht. Ich danke für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Nachsicht. enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung ge- gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung Ein schönes Wochenende! der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- aller anderen Mitglieder des Hauses angenommen. ordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Die Sitzungs- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: woche war sehr anstrengend, aber überwiegend auch in- Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die spirierend. Ich wünsche Ihnen allen ein erholsames und Aussprache. entspanntes Wochenende. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu tages auf Mittwoch, den 13. März 2019, 13 Uhr, ein. dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Ar- Die Sitzung ist geschlossen. mut in Deutschland den Kampf ansagen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- (Schluss: 12.41 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019 9969

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altmaier, Peter CDU/CSU Kolbe, Daniela* SPD

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ Landgraf, Katharina CDU/CSU DIE GRÜNEN Launert, Dr. Silke CDU/CSU Bas, Bärbel SPD Lay, Caren DIE LINKE Bayram, Canan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU

Beer, Nicola FDP Link, Michael Georg FDP

Buchholz, Christine DIE LINKE Magnitz, Frank AfD

Bülow, Marco fraktionslos Magwas, Yvonne* CDU/CSU

Büttner, Matthias AfD Maier, Dr. Lothar AfD

Fahimi, Yasmin SPD Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU

Friedrich (Hof), Dr. Hans-Peter CDU/CSU Mieruch, Mario fraktionslos

(B) Friesen, Dr. Anton AfD Möring, Karsten CDU/CSU (D)

Frohnmaier, Markus AfD Nahles, Andrea SPD

Grötsch, Uli SPD Neumann, Christoph AfD

Grundmann, Oliver CDU/CSU Nietan, Dietmar SPD

Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/ Oehme, Ulrich AfD DIE GRÜNEN Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ Held, Marcus SPD DIE GRÜNEN

Hendricks, Dr. Barbara SPD Otten, Gerold AfD

Herdt, Waldemar AfD Özoğuz, Aydan SPD

Herrmann, Lars AfD Petry, Dr. Frauke fraktionslos

Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Pflüger, Tobias DIE LINKE

Höchst, Nicole AfD Post (Minden), Achim SPD

Höhn, Matthias DIE LINKE Protschka, Stephan AfD

Jung, Andreas CDU/CSU Remmers, Ingrid DIE LINKE

Kemmerich, Thomas L. FDP Riexinger, Bernd DIE LINKE

Kessler, Dr. Achim DIE LINKE Rüthrich, Susann SPD

Kipping, Katja DIE LINKE Schmidt (Aachen), Ulla SPD 9970 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019

(A) – Gesetz zu dem Abkommen vom 14. August 2017 (C) Abgeordnete(r) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Mauritius über den Luftverkehr Schmidt, Uwe SPD Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung (18. Ausschuss) hat mitgeteilt, gemäß Schmidtke, Dr. Claudia CDU/CSU § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen abzu- Schrodi, Michael SPD sehen: Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Schulz, Jimmy FDP Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Seestern-Pauly, Matthias FDP Technikfolgenabschätzung (TA) Steinke, Kersten DIE LINKE Neue Arzneimittel gegen vernachlässigte Krank- Strenz, Karin CDU/CSU heiten Endbericht zum TA-Projekt „Medikamente für Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ Afrika“ DIE GRÜNEN Drucksache 18/12306 Ulrich, Alexander DIE LINKE – Unterrichtung durch die Bundesregierung Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE Gutachten zu Forschung, Innovation und technolo- gischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2018 Weber, Gabi SPD Drucksache 19/1140 Weiler, Albert H. CDU/CSU – Unterrichtung durch die Bundesregierung Weiß (Emmendingen), Peter CDU/CSU Bundesbericht Forschung und Innovation 2018 Werner, Katrin DIE LINKE Drucksache 19/2600 (B) (D) Witt, Uwe AfD – Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Hightech-Strategie 2025 – Forschung und In- Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE novation für die Menschen Zimmermann, Pia DIE LINKE Drucksache 19/4100 – Unterrichtung durch die Bundesregierung *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Rahmenprogramm Quantentechnologien – von den Grundlagen zum Markt Anlage 2 Drucksache 19/4645 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Bundesrat hat in seiner 974. Sitzung am 15. Fe- Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregie- bruar 2018 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zu- rung zustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Drucksache 19/5880 des Grundgesetzes nicht zu stellen: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregie- – Gesetz zur Durchführung von Verordnungen der rung Europäischen Union zur Bereitstellung von Pro- dukten auf dem Markt und zur Änderung des Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutsch- Neunten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch land 2018

– Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Aus- und Stellungnahme der Bundesregierung tritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien Drucksache 19/6930 und Nordirland aus der Europäischen Union (Bre- xit-Übergangsgesetz – BrexitÜG) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- – Fünftes Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Ei- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer senbahngesetzes Beratung abgesehen hat. Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 84 Sitzung Berlin, Freitag, den 22 Februar 2019 9971

(A) Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Wirtschaft und Energie (C) Drucksache 19/3318 Nr. A.1 Drucksache 19/2233 Nr. A.20 Ratsdokument 8853/18 Ratsdokument 8141/18 Drucksache 19/4344 Nr. A.10 Drucksache 19/4344 Nr. A.33 EP P8_TA-PROV(2018)0314 Ratsdokument 10554/18 Drucksache 19/4344 Nr. A.15 Drucksache 19/4344 Nr. A.34 Ratsdokument 10268/18 Ratsdokument 11509/18 Drucksache 19/4978 Nr. A.3 Drucksache 19/4344 Nr. A.35 Ratsdokument 12099/18 Ratsdokument 11537/18 Drucksache 19/4978 Nr. A.9 Drucksache 19/7158 Nr. A.28 Ratsdokument 12193/18 Ratsdokument 14633/18 Drucksache 19/5999 Nr. A.2 Ratsdokument 13356/18 Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Drucksache 19/7158 Nr. A.32 Ratsdokument 14442/18 Drucksache 19/5999 Nr. A.4 Ratsdokument 13199/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.17 KOM(2018)807 endg. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Drucksache 19/7158 Nr. A.18 KOM(2018)808 endg. Drucksache 19/2773 Nr. A.19 Drucksache 19/7158 Nr. A.19 Ratsdokument 8921/18 Ratsdokument 14589/18 Drucksache 19/3112 Nr. A.59 Drucksache 19/7158 Nr. A.20 Ratsdokument 9865/18 Ratsdokument 14594/18 Drucksache 19/3112 Nr. A.60 Drucksache 19/7158 Nr. A.21 Ratsdokument 9870/18 Ratsdokument 14595/18 Drucksache 19/3318 Nr. A.15 Drucksache 19/7158 Nr. A.22 Ratsdokument 9871/18 Ratsdokument 14627/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.38 Drucksache 19/7158 Nr. A.23 Ratsdokument 15641/18 Ratsdokument 14628/18 Drucksache 19/7158 Nr. A.24 Ratsdokument 14629/18 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Drucksache 19/7158 Nr. A.25 wicklung (B) Ratsdokument 14689/18 (D) Drucksache 19/7158 Nr. A.26 Drucksache 19/4978 Nr. A.19 Ratsdokument 15021/18 Ratsdokument 12167/18 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333