Plenarprotokoll 17/30

Deutscher

Stenografischer Bericht

30. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

I n h a l t :

Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): Renate Künast (BÜNDNIS 90/ a) Zweite Beratung des von der Bundesre- DIE GRÜNEN) ...... gierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- 2730 B setzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushalts- (Köln) (BÜNDNIS 90/ jahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) DIE GRÜNEN) ...... (Drucksachen 17/200, 17/201) ...... 2734 C 2705 A Birgit Homburger (FDP) ...... b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus- 2734 D schusses zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Finanzplan des Bundes 2009 (CDU/CSU) ...... bis 2013 2735 B (Drucksachen 16/13601, 17/626) ...... Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... 2705 B 2736 B Bernd Scheelen (SPD) ...... 9 Einzelplan 04 2739 A ...... Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . amt 2740 D (Drucksachen 17/604, 17/623) ...... 2705 B Petra Merkel (Berlin) (SPD) ...... 2743 B Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ...... 2705 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) .. 2744 C Dr. , Bundeskanzlerin ...... 2711 A Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) ...... 2745 C Dr. (DIE LINKE) ...... 2720 A Reiner Deutschmann (FDP) ...... 2746 B Birgit Homburger (FDP) ...... 2725 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 2747 C II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 2765 C 2748 C Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) ...... 2767 A Namentliche Abstimmung ...... Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ 2749 B DIE GRÜNEN) ...... 2767 C Ergebnis ...... Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 2752 C 2768 A Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 10 Einzelplan 05 2769 C Auswärtiges Amt (Drucksachen 17/605, 17/623) ...... Andrej Konstantin Hunko (DIE LINKE) ...... 2749 C 2771 B Klaus Brandner (SPD) ...... Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ 2749 C DIE GRÜNEN) ...... 2772 D Dr. , Bundesminister AA ...... (CDU/CSU) ...... 2754 B 2773 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... (FDP) ...... 2756 C 2774 C Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) ...... Michael Roth (Heringen) (SPD) ...... 2758 B 2775 C Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ Michael Stübgen (CDU/CSU) ...... DIE GRÜNEN) ...... 2777 A 2759 A (CDU/CSU) ...... Klaus Brandner (SPD) ...... 2778 D 2759 B Rüdiger Kruse (CDU/CSU) ...... Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ 2780 B DIE GRÜNEN) ...... 2761 A 11 Einzelplan 14 Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) ...... Bundesministerium der Verteidigung 2761 C (Drucksachen 17/613, 17/623) ...... Dr. Rainer Stinner (FDP) ...... 2781 A 2763 D (Hildesheim) (SPD) ..... (BÜNDNIS 90/ 2781 B DIE GRÜNEN) ...... Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 2764 B 2783 A Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) ...... Johannes Kahrs (SPD) ...... 2764 C 2784 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Johannes Kahrs (SPD) ...... DIE GRÜNEN) ...... 2785 D 2764 D Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 2786 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 III

Inge Höger (DIE LINKE) ...... erhalten und stärken 2786 C (Drucksache 17/1016) ...... Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) ...... 2804 A 2788 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... Tagesordnungspunkt IV: 2789 B a) Erste Beschlussempfehlung des Wahlprü- fungsausschusses: zu Einsprüchen gegen (BÜNDNIS 90/ die Gültigkeit der Wahl der Abgeord- DIE GRÜNEN) ...... neten des Europäischen Parlaments aus 2791 D der Bundesrepublik Deutschland am 7. Juni 2009 (CDU/CSU) ...... (Drucksache 17/1000) ...... 2793 A 2804 A Johannes Kahrs (SPD) ...... b) – l) 2794 D Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- Henning Otte (CDU/CSU) ...... schusses: Sammelübersichten 50, 51, 52, 2795 B 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59 und 60 zu Peti- tionen (SPD) ...... (Drucksachen 17/909, 17/910, 17/911, 17/912, 17/913, 17/914, 17/915, 17/916, 2795 B 17/917, 17/918, 17/919) ...... Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) ...... 2804 B 2796 A Henning Otte (CDU/CSU) ...... 12 Einzelplan 23 2796 D Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Michael Brand (CDU/CSU) ...... (Drucksachen 17/619, 17/623) ...... 2798 C 2805 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Dr. Bärbel Kofler (SPD) ...... DIE GRÜNEN) ...... 2805 C 2800 C Harald Leibrecht (FDP) ...... (CDU/CSU) ...... 2807 B 2801 D Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 2808 B Tagesordnungspunkt III: (CDU/CSU) ...... a) Erste Beratung des von der Bundesregie- 2809 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Abschaffung des Finanzpla- (DIE LINKE) ...... nungsrates 2810 D (Drucksache 17/983) ...... 2803 D (Heidelberg) (SPD) ...... 2811 B b) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Men- schenrechte in Kolumbien auf die Agenda Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ setzen – Freihandelsabkommen EU- DIE GRÜNEN) ...... Kolumbien stoppen 2812 B (Drucksache 17/1015) ...... 2803 D Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 2814 B c) Antrag der Fraktion DIE LINKE: Den Schienenverkehr als sichere Verkehrsform Dr. (SPD) ...... IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

2816 A 2826 A Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... Jürgen Klimke (CDU/CSU) ...... 2818 A 2826 C Dr. Sascha Raabe (SPD)...... Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 2818 A 2827 C , Bundesminister Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... BMZ ...... 2828 B 2818 B Volkmar Klein (CDU/CSU) ...... Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 2828 D 2819 B Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) ...... DIE GRÜNEN) ...... 2820 A 2829 B Niema Movassat (DIE LINKE) ...... Michael Link (Heilbronn) (FDP) ...... 2820 C 2829 D Holger Haibach (CDU/CSU) ...... 2821 D Nächste Sitzung ...... 2830 d Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 2823 B Anlage Holger Haibach (CDU/CSU) ...... 2823 C Liste der entschuldigten Abgeordneten ...... 2831 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) ...... 2823 D Dirk Niebel (FDP) ...... 2825 A Dirk Niebel, Bundesminister BMZ ...... Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2705

30. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Beginn: 9.00 Uhr

Dazu liegen Ihnen die Beschlussempfehlungen Präsident Dr. : des Haushaltsausschusses auf den Drucksa- Die Sitzung ist eröffnet. chen 17/604 und 17/623 vor. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Änderungsantrag der Fraktion Die Nehmen Sie bitte Platz. Linke zu diesem Einzelplan, über den wir später Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tages- namentlich abstimmen. ordnungspunkt I – fort: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- für die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgese- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- hen. Gibt es dazu Einwände? – Das ist offenkun- zes über die Feststellung des Bundes- dig nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. haushaltsplans für das Haushaltsjahr Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort 2010 (Haushaltsgesetz 2010) zunächst dem Kollegen Dr. Frank-Walter Stein- – Drucksachen 17/200, 17/201 – meier für die SPD-Fraktion. b) Beratung der Beschlussempfehlung des (Beifall bei der SPD) Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): rung Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, wir haben nicht Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013 nur Verständnis für die Abwesenheit des Bundes- – Drucksachen 16/13601, 17/626 – finanzministers, sondern wir wünschen ihm auch Berichterstattung: raschen Fortschritt beim Heilungsprozess. Gute Abgeordnete Besserung, Herr Schäuble, wünscht Ihnen die ge- (Erfurt) samte SPD-Fraktion! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Alexander Bonde NEN sowie bei Abgeordneten der LIN- Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.9 KEN) auf: Haushaltsdebatten sind besondere Debatten, Einzelplan 04 selten in Moll geführt und nie nur Debatten über Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Zahlenkolonnen. Da steht die Regierung auf dem Prüfstand, und das tut not, weil – mit Blick auf das, – Drucksachen 17/604, 17/623 – was wir in den nächsten Jahren zu bestehen ha- Berichterstattung: ben – die Herausforderungen in der Tat gewaltig Abgeordnete Norbert Barthle sind. Die Zweifel der Menschen in Deutschland, Rüdiger Kruse dass wir das schaffen, wachsen doch täglich; das Petra Merkel (Berlin) ist doch zu spüren. Wir stecken in der tiefsten Dr. h. c. Jürgen Koppelin Wirtschaftskrise seit 1949. Das Wirtschaftswachs- Dr. Gesine Lötzsch tum verlagert sich in andere Teile der Welt, nach Priska Hinz (Herborn) Asien etwa, weit weg von Europa und von Deutschland. Das Gewicht Europas in der Welt 2706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 wird kleiner, und hier wachsen sogar die Gegen- Sie doch nicht kaltlassen. Darüber kann man doch sätze zwischen den Eurostaaten. Viele Menschen nicht mit Schulterzucken hinweggehen. Das geht in Deutschland fragen sich mittlerweile, ob der einfach nicht. So kann das nicht weitergehen! Wohlstand hier wohl erhalten bleibt. Das alles ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS schlimm genug. Aber noch schlimmer ist: Ausge- 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeord- rechnet jetzt, wo Politik vorangehen müsste, wo neten der CDU/CSU und der FDP – Vol- Politik Vertrauen schaffen müsste, da hat Deutsch- ker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind hier land eine Regierung, die nicht regiert, die keine doch nicht im Boxklub!) gemeinsame Idee und keinen gemeinsamen Willen hat. Jeder kämpft gegen jeden in dieser Regie- – Seien Sie vorsichtig, es geht hier nicht nur um rung. Sie streiten sich wie die Kesselflicker. Es gibt Regierung, sondern es ist ein bisschen mehr, was keinen, der Ordnung schafft. So schlecht wurde da bedroht ist. Da kommt ein bisschen mehr als Deutschland seit Jahrzehnten nicht regiert. Wir nur Vertrauen in die Regierung ins Rutschen. verlieren Tag für Tag an Boden. Viele sagen doch: Die Orientierung fehlt, Werte (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sind verloren gegangen. Wenn da etwas dran ist, DIE GRÜNEN) meine Damen und Herren, dann sind diese Werte vermutlich nicht in der Wohnküche von Arbeitslo- Viele, die Sie gewählt haben, sind nicht nur ent- sen verloren gegangen. Werte erodieren nicht von täuscht – diese Briefe bekommen nicht nur wir von unten, sondern sie erodieren meistens von oben. der SPD-Fraktion –, sondern auch entsetzt. Nach Das war schon im späten Rom so, Herr Wester- 140 Tagen Regierung haben Sie doch im Grunde welle. Dekadenz war leistungsloser Wohlstand sa- genommen Ihren Vertrauensvorschuss schon ver- turierter Oberschichten. So war das. spielt. Das kleinkarierte Gezänk, das wir jeden Tag hören, geht den Menschen doch auf die Nerven. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Menschen in Deutschland wissen schon jetzt, DIE GRÜNEN) nach 140 Tagen, nicht, wovor sie eigentlich Angst Nun weiß auch ich, nicht alles, was hinkt, ist ein haben sollen: dass diese Regierung sich auflöst Vergleich, Herr Westerwelle. Aber wenn ich schon oder dass sie im Amt bleibt. Das Schlimmste ist: Vergleiche anstelle, dann hätte ich an Ihrer Stelle Selbst das ist den Menschen schon egal. in den Vergleich Gier, Unvernunft, Verantwortungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten losigkeit und Leichtfertigkeit einiger internationaler des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Finanzmanager in den Topetagen einbezogen. Je skrupelloser, je erfolgreicher – das war doch die Jetzt sehr ernsthaft: Glauben Sie nicht, dass Sie Maxime, die einige vorgelebt haben. Das zerstört mit der SPD eine Oppositionsfraktion haben, die Werte. Das zerstört Vertrauen. Wenn das Vertrau- da schadenfroh in der Ecke steht – nicht, wenn es en in die Gültigkeit von Regeln, wenn das Vertrau- um die Zukunft des größten Landes in Europa en in die Gültigkeit von Standards verloren geht, geht. Wir wissen, Deutschland regieren, das ist wenn da einige glauben, sich über andere stellen kein Spiel, der Kabinettssaal ist kein Abenteuer- zu können, dann sinkt eben auch das Vertrauen in spielplatz, eine Regierung ist keine Selbsterfah- Politik. Dann sinkt das Vertrauen in Demokratie. rungsgruppe. Spielen Sie nicht mit der Verantwor- Das geht nicht nur die Regierung an. Darum küm- tung, die Sie für dieses Land übernommen haben! mern auch wir uns, meine Damen und Herren. Nehmen Sie diese Verantwortung endlich an! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben jeden- So wie bisher, Frau Merkel, schafft diese Regie- falls unsere Verantwortung angenommen mit einer rung kein Vertrauen, sie zerstört Vertrauen. So kritischen und – das gebe ich zu –, wo nötig, auch kann das nicht weitergehen. Wer soll denn in scharfen Oppositionsarbeit. Wir haben die Verant- Deutschland an die Regierung glauben, wenn sie wortung aus den elf Jahren, an denen wir an der nach 140 Tagen ein so schwaches Bild abgibt? Regierung in diesem Land beteiligt waren, nicht Wer soll denn glauben, dass diese Regierung in vergessen. Wir haben das gezeigt, etwa bei der der Lage ist, die Macht von Banken und Börsen Debatte und bei der Abstimmung über den Afgha- tatsächlich einzuschränken? Wer soll denn glau- nistaneinsatz. Wir zeigen das bei den Gesprächen, ben, dass diese Regierung Wege aus der Krise be- die wir zurzeit über die Zukunft der Jobcenter füh- schreibt? Wer soll denn glauben, dass diese Re- ren. Wir haben Verantwortung gezeigt. Aber, Frau gierung Zukunft gestaltet angesichts des schwieri- Merkel, ich frage Sie nach Ihrer Verantwortung. Sie gen Jahrzehnts, das auf uns zukommt? sind verantwortlich dafür, dass die Regierung ihre (Beifall bei der SPD) Aufgaben zum überwiegenden Teil nicht erfüllt. Es ist kaum zu ertragen, dass Sie den Eindruck erwe- Meine Damen und Herren, Sie regieren noch cken, als hätten Sie damit nichts zu tun, als wäre kein halbes Jahr, und niemand glaubt Ihnen das, Ihnen auch manches peinlich, was der eine oder nicht einmal die eigene Wählerschaft. Das kann andere Minister da öffentlich äußert. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2707

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS GRÜNEN]: Dafür muss man Verständnis 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder haben!) [CDU/CSU]: Das für einen Irrtum zu hal- ten, ist ein Irrtum, genau!) Diese schwarz-gelbe Koalition, Frau Merkel, ist Ih- re Koalition. Sie haben diese Koalition gewollt. Das Jetzt diskutieren wir einen Haushalt mit über war vor sechs Monaten Ihre Liebesheirat. Wir sa- 80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Jeder dritte gen Ihnen heute: Sie stehen vor den Trümmern ei- Euro dieses Haushaltes ist schuldenfinanziert. Das ner zerrütteten Ehe. Das ist die ganze Wahrheit. ist einsamer Rekord. Das ist natürlich auch eine Jeder sieht das. Folge der Finanzkrise. Das – jetzt hören Sie zu – legen wir nicht vordergründig Ihnen oder dem Fi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- nanzminister Herrn Schäuble zur Last. Aber die ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ganze Wahrheit ist doch: Die Steuerzahler werden – Lachen bei der FDP sowie bei Abge- jetzt für die Gier von Banken und Hedgefonds zur ordneten der CDU/CSU) Kasse gebeten, jeder in Deutschland mit mindes- Wenn ich mit dem einen oder anderen von Ih- tens 2 500 Euro. nen über die Flure gehe, dann sagt mir mancher: (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben es Herr Steinmeier, Sie hatten doch damals bei Rot- doch eingeführt!) Grün 1998 auch schlechte Presse. – Ich erinnere mich sehr gut: Ja, auch wir hatten schlechte Pres- Das ist das himmelschreiend Ungerechte. Wenn se. Aber ich würde nie sagen, dass schlechte oder Politik verlorenes Vertrauen wirklich wieder zu- gute Presse der Maßstab von Politik sein darf. rückholen will – das ist auch Ihre Aufgabe, meine Rot-Grün wurde 1998 kritisiert, weil sie sich zu viel Damen und Herren –, dann müssen Sie eben jetzt vorgenommen haben, zu schnell vorgenommen als Regierung handeln. Stoppen Sie das Tun der haben, gleichzeitig gehandelt haben. Finanzjongleure, die sich ein ums andere Mal auf Kosten des Gemeinwohls bereichern! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein Sorgen Sie dafür, dass das internationale Börsen- Traumtänzer!) kasino nicht weitermacht wie bisher! Sorgen Sie – Passen Sie auf! – Vieles haben Sie jetzt über- dafür, dass die Banken das billige Geld aus den nommen. Rettungspaketen an unsere Mittelständler geben und nicht schon wieder für Zockereien missbrau- Ich erinnere an den Streit um die Energiewen- chen! de. Wo standen Sie bei der Einführung der Öko- steuer? Wo standen Sie beim Erneuerbare- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Energien-Gesetz? Wo standen Sie beim Ausstieg des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) aus der Atomenergie? Frau Merkel, Sie haben viel geredet, aber geän- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dert hat sich nichts. Das ist das, was zu beklagen DIE GRÜNEN) ist. In der Großen Koalition haben wir, haben Sozi- aldemokraten Sie bei der Regulierung der Fi- Das alles fand im ersten Jahr statt, begleitet durch nanzmärkte gedrängt. Die Union hat damals auf die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes der Bremse gestanden, und mit der FDP steht jetzt und durch Initiativen zur Veränderung im Verhält- die gesamte Regierungsbank auf der Bremse. Die nis der Geschlechter. Banken und die Finanzmarktlobby – wir hören das Dieses Problem haben Sie nicht: zu viel, zu bis nach Berlin – atmen erleichtert auf in diesen schnell und gleichzeitig. Sie haben ein anderes Tagen. Warum das so ist, haben wir in den letzten Problem: Monaten oft genug gesehen: Da entwirft Gordon Brown in Großbritannien den Vorschlag, die Hälfte ( [SPD]: Ja!) der Bankerboni als Steuern abzukassieren, was Diese schwarz-gelbe Regierung hat kein einziges Frau Merkel für eine „charmante Idee“ hält. Aber gemeinsames Projekt, das überzeugt. was passiert dann? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ( [SPD]: Nichts! Wie immer!) DIE GRÜNEN) Nichts. Dann haben wir über die Börsen- und Fi- Die Union beschimpft die Liberalen als Traumtän- nanzmarktabgabe diskutiert. Was passierte? Weit zer. Die FDP erwidert der Union: Wenn ihr heimlich weggeschoben in die Prüfungsschleifen der G-20- weiter Große Koalition macht, was wollt ihr dann Welt, vertagt – so würde man sagen – ad calendas mit uns? – Frau Merkel, was soll denn daraus wer- graecas. Aber ich gebe zu: Das geht in diesen Ta- den? Wenn sogar die Beteiligten dieser Koalition gen schwer über die Lippen. die Koalition für einen Irrtum halten, dann ist das eben ein schrecklicher Irrtum für Deutschland. 2708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Banken und Hedgefonds haben den griechi- die sich aufdrängt. Sie lautet „Mehr Bürokratie wa- schen Staat mit spekulativen Kreditausfallversiche- gen“. Das ist Ihre Parole. rungen fast in den Ruin getrieben. Das hat Grie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ chenland und – wer weiß – am Ende vielleicht DIE GRÜNEN) auch den Steuerzahler in Europa Hunderte von Millionen Euro gekostet. Was sagt diese Regie- Der Finanzminister hat 417 neue Stellen. Herr rung? Was sagt die Bundeskanzlerin? Das muss Röttgen lässt für 2 Millionen Euro seine neue man untersuchen. – Nein, Frau Merkel, Taten sind Chefetage planen, so habe ich gelesen. Gleichzei- jetzt gefragt. Die Krise geht weiter, solange es kei- tig sperrt diese Regierung 900 Millionen Euro für ne Ordnung auf den internationalen Finanzmärkten die Qualifizierung von Arbeitslosen. Sie predigen gibt. Legen Sie deshalb die Hedgefonds an die öffentlich Wasser und trinken heimlich Wein. Sie Kette! Bringen Sie Ratingagenturen unter Aufsicht! aasen und denen, die Arbeit suchen, nehmen Sie Verbieten Sie Leerverkäufe und den spekulativen das Geld weg. Das sind die Prioritäten dieser Re- Handel mit Kreditausfallversicherungen! Das muss gierung. mindestens sein in dieser Situation. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Westerwelle, ich habe Sie auf dem Partei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tag der FDP in Siegen beobachtet. Ich habe auf der großen Leinwand im Hintergrund den Slogan Der Steuerzahler jedenfalls – darüber müssen gesehen „Aufstieg durch Leistung“. Aufstieg wir uns in diesem Haus einig sein – darf nicht wei- durch Arbeit, Aufstieg durch Bildung und Aufstieg ter die Zeche für Zocker und Spekulanten zahlen. durch Leistung: Das sagen wir Sozialdemokraten Dafür zu sorgen, ist jetzt Aufgabe dieser Regie- nicht nur, dafür machen wir seit 150 Jahren Politik. rung. Wenn Sie dafür keine Mehrheit in der Koaliti- on haben: Ich bin mir sicher, in diesem Hause ha- (Beifall bei der SPD) ben Sie sie, Frau Merkel. Wir ziehen daraus möglicherweise sehr unter- (Beifall bei der SPD) schiedliche Schlussfolgerungen. Wir sagen näm- lich zusätzlich: Jeder, der jeden Tag zur Arbeit Ich spreche über Vertrauen. Wer Vertrauen zu- geht, muss von seinem Lohn verdammt noch mal rückholen will, der muss mit Blick auf diesen auch leben und seine Familie ernähren können. Er Haushalt und mit Blick auf eine Rekordverschul- muss herauskommen aus Armut und aus der Ab- dung von 80 Milliarden Euro beim Sparen bei sich hängigkeit vom Staat. Sie von der FDP und auch selbst anfangen. Diese Regierung macht das Ge- Teile der Union finden sich eben mit Billiglöhnen genteil. Herr Fricke, Sie haben gestern hier ge- ab. Der eine oder andere hält sie sogar für notwen- sprochen. Ich habe in früheren Jahren viele Ge- dig. Ich habe es im Koalitionsvertrag gelesen. Da spräche mit Herrn Koppelin, dem für mich damals sagen Sie: Sittenwidrige Löhne sind die Unter- zuständigen Haushälter, und mit Herrn Westerwel- grenze. Sie wissen, was das im Klartext nach der le geführt. Wie haben Sie sich über jede neue Stel- geltenden Rechtsprechung bedeutet. Das bedeutet le aufgeregt, als Sie noch in der Opposition waren. 4 Euro die Stunde, und das bedeutet weiterhin, Wie oft haben Sie von diesem Pult aus mit Ihrem dass der Rest bis zur Grundsicherung vom Steuer- dickleibigen liberalen Sparbuch gewedelt. 400 zahler draufgelegt werden muss. Das ist Ihre Poli- Sparvorschläge haben Sie uns von diesem Red- tik. Das bedeutet für die Menschen: den ganzen nerpult aus angekündigt. Das war Ihr gutes Recht. Tag arbeiten und am Ende doch keine Chance ha- Womit Sie nicht gerechnet haben: Das weckt Er- ben, aus der Abhängigkeit herauszukommen, also wartungen. Jetzt sind Sie an der Regierung und keine Unabhängigkeit vom staatlichen Tropf. Sie nichts davon ist verwirklicht. reden über den Preis der Arbeit, und wir reden (Widerspruch bei der FDP – Jörg van Es- über den Wert von Arbeit. sen [FDP]: Stimmt gar nicht! Das ist doch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unsinn!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen 985 neue Beamtenstellen. Wer den Wert von Arbeit nicht respektiert, wer ihn (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS missachtet, der greift das Wertegerüst einer auf 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Barthle Arbeit gegründeten Gesellschaft an. Deshalb war [CDU/ CSU]: Das ist falsch! Das stimmt das Wort von der römischen Dekadenz, das Sie, nicht! Wir bauen Stellen ab! Sie sollten in Herr Westerwelle, den Arbeitslosen hinterhergeru- den Haushalt hineinschauen! Lesen fen haben, nicht nur zynisch, sondern auch leicht- macht schlauer!) fertig und gefährlich. Und ich behaupte, Sie wissen das. Sie suchen offenbar noch nach einer Überschrift für das schwarz-gelbe Projekt. Mir fällt nur eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Überschrift für dieses Projekt ein, eine Überschrift, 90/ DIE GRÜNEN – Burkhardt Müller- Sönksen [FDP]: Ach! – Renate Künast Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2709

[BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb neuen Ideen ausprobieren, als hätten wir gerade in macht er es ja!) diesem Bereich nichts zu verlieren. Ich jedenfalls bin der Meinung, dass wir im europäischen Ver- Wenn Ihnen an Aufstieg durch Arbeit oder Auf- gleich immer noch die beste medizinische Versor- stieg durch Leistung wirklich etwas liegt, dann gung in diesem Land haben. Wir haben das Ver- schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, dass in trauen der Menschen darauf, dass jeder Zugang diesem Lande endlich Mindestlöhne eingeführt zu dieser medizinischen Versorgung hat. Wir ha- werden und dass wir mehr Arbeitsvermittler bei ben Vertrauen darauf, dass in Deutschland die den Arbeitsagenturen bekommen. Schaffen Sie Kosten für eine hochklassige medizinische Versor- Perspektiven und Beschäftigungsmöglichkeiten für gung fair verteilt werden. Das ist nicht wenig. Aber Langzeitarbeitslose, statt sie zu beschimpfen. als wäre das nichts, darf jeder in der Regierung in Deutschland muss kein Land der Billiglöhne blei- diesem Bereich herumdilettieren. Mit solch einer ben und werden. Dafür werden wir kämpfen, und Politik untergraben Sie das Vertrauen der deut- zwar auch in der Kommission für Mindestlöhne. schen Bevölkerung. (Beifall bei der SPD – Dr. Dagmar Enkel- Wer in einer solchen Situation auf nichts ande- mann [DIE LINKE]: Das hätten Sie ma- res kommt, als vorzuschlagen, die Beiträge der Ar- chen sollen, als Sie an der Regierung wa- beitgeber einzufrieren, der weiß ganz genau, was ren!) er tut. Das heißt nämlich, dass alle Kostensteige- Wir alle wollen, dass Arbeit sich lohnt, dass rungen infolge des medizinischen Fortschritts, Leistung sich lohnt, aber eben nicht nur für Hotel- neuer Behandlungsmethoden und steigender Me- besitzer und andere, sondern auch für diejenigen, dikamentenpreise in Zukunft einseitig auf den die wirklich zu den Leistungsträgern in diesem Schultern der Versicherten ruhen. Das bricht mit Lande gehören, zum Beispiel für die Pflegekräfte, dem Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen. die schwer arbeiten müssen und oft sittenwidrig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- schlecht bezahlt werden. Sie haben mindestens ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN den Mindestlohn verdient, diesen aber ganz be- – Jörg van Essen [FDP]: Nichts verstan- stimmt. Da sind Union und FDP merkwürdig zu- den! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: rückhaltend, da eiern sie herum. Sie haben diese Quatsch!) Aufgabe an eine Kommission weitergegeben und schauen mit verschränkten Armen zu, wie die Sa- – Sie wissen das. – Das bricht mit dem guten Prin- che zurzeit nicht vorankommt. zip „Menschen für Menschen“, das uns in 60 Jahren Nachkriegszeit in der Gesundheitspolitik Frau Merkel, Frau von der Leyen, Frau Schrö- stark gemacht hat. Sie opfern das einem Wahlver- der, tun Sie das Nötige, damit sich Leistung für die- sprechen. So darf man in Deutschland nicht Politik jenigen wieder lohnt, die die wirklichen Leistungs- machen, vor allem nicht in diesem sensibelsten träger unseres Landes sind, die jeden Tag Alte Bereich der Gesellschaft. und Kranke füttern, waschen und ihnen Zuwen- dung geben. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich bin nicht an der Regierung, ich darf appellie- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren, und ich appelliere an Sie: Behalten Sie ers- tens die Arbeitgeber in der Verantwortung Sie sollten den Mut haben, zu sagen: Es geht nicht, diese Menschen mit einem Stundenlohn von (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 4 Euro abzuspeisen, und wenn die Kommission und fahren Sie zweitens das Gesundheitssystem anders entscheiden wird, dann nehmen wir das durch die Einführung der Kopfpauschale nicht ge- nicht hin. gen die Wand. Dieses System ist ungerecht, das Sie appellieren alle an das Gute im Menschen, wissen Sie, und der Sozialausgleich ist unfinan- an die menschliche Gesellschaft. zierbar. Aber was noch viel schlimmer ist: Sie wol- len bis zu 30 Millionen Menschen in den Sozial- ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE ausgleich schicken, 30 Millionen Krankenversicher- GRÜNEN]: Das tut die FDP wirklich nicht!) te zu Bittstellern machen, mit umfangreichen Fra- Dagegen habe ich wirklich nichts; viele tun das zu genkatalogen, Formularen und – wer hätte es ge- Recht. Aber das Missverständnis in dieser Regie- dacht – mit noch mehr Bürokratie. rung ist: Sie haben nicht zu appellieren, Sie haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu entscheiden. Das tun Sie seit Wochen nicht, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch hier nicht, und deshalb sind Sie die größte Nichtregierungsorganisation dieses Landes! Ich verspreche Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelin- gen. Der Protest ist gewaltig, und wir haben die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bürger auf unserer Seite. Wir werden das verhin- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dern. Genauso halten Sie es in der Gesundheitspoli- tik. Jeder darf sich da im Augenblick einmal mit 2710 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine fal- ger ist als die Haushaltskrise und die Schwäche sche Behauptung!) Griechenlands. Die Regierung hat nicht nur keine Antworten. Wenn wir über unseren Tellerrand blicken, dann Da, wo sie Antworten gibt, hat sie falsche Antwor- sehen wir, dass sich Nordamerika erholt und Asien ten. Sie verweigert sich den wirklich wichtigen Fra- wächst. China ist Exportweltmeister. Deutschland gen. Die Menschen stellen sich nicht die Frage: und Europa fallen zurück. Wenn wir nicht aufpas- Kommen die miteinander klar? Das interessiert die sen, wird uns der Boden unter den Füßen wegge- Menschen nicht. Die Menschen interessiert die zogen, und dann haben unsere Kinder nicht die- Frage: Woher kommt in Deutschland der Wohl- selben Chancen wie wir. Das, meine Damen und stand von morgen? Dazu habe ich von dieser Re- Herren, Frau Merkel, ist das zentrale Problem. gierung noch kein vernünftiges Wort gehört, ge- Kümmern Sie sich in dieser Regierung endlich da- schweige denn ein durchdachtes Konzept gese- rum! Legen Sie eine Innovationsstrategie vor, ei- hen. Das, was ich gesehen habe, ist ein Gesetz, ne Strategie für die Leit- und Zukunftsbranchen das einen falschen Namen trägt. Mit dem Wachs- dieses Landes, eine Strategie, wie Arbeit von mor- tumsbeschleunigungsgesetz wächst nichts, au- gen entsteht, eine Energiestrategie, mit der Sie ßer den Schulden. Sie hören doch die Hilferufe der sich nicht zum Handlanger der Atomwirtschaft in Bürgermeister und Oberbürgermeister. Sie haben diesem Land machen, das zur Kenntnis genommen und – wie ich den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zeitungen entnommen habe – mit Betroffenheit des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) quittiert, mehr aber auch nicht. Zu den Einnah- meverlusten, die die Städte und Gemeinden haben eine Strategie, die den Ausbau der erneuerbaren – in diesem Jahr sind es bereits mehr als Energien beschleunigt statt zu gefährden. Das 10 Milliarden Euro –, legen Sie noch eins oben- müssen die Prioritäten dieser Regierung sein. drauf. Sie helfen ihnen nicht. Im Gegenteil: Sie Ich füge hinzu: Rufen Sie bitte auch Ihren Wirt- nehmen ihnen noch einmal etwas weg: schaftsminister Herrn Brüderle zur Ordnung, der in 1,6 Milliarden Euro allein durch das Wachstumsbe- Zeiten höchster Not – ich habe eben die Gründe schleunigungsgesetz und zusätzlich durch die ver- beschrieben – mit einem Entflechtungsgesetz änderte steuerliche Berechnung bei Leasing und durchs Land zieht. Das ist gut und schön, aber was Funktionsverlagerung ins Ausland. Bei zukünftigen das Gesetz angeht, so verrät er keinem, auch nicht Einkommensteuersenkungen können noch weitere auf Nachfrage, was und vor allem wer gemeint ist. Einnahmeverluste in Milliardenhöhe hinzukommen. Herr Brüderle, wenn Sie die Post meinen, dann Das geht so nicht! So können wir die Kommunen in lassen Sie uns in diesem Haus doch über die Zu- Deutschland nicht alleine lassen. Mit uns geht das kunft der Post streiten, aber laufen Sie nicht mit nicht. Überschriften von Gesetzgebungsvorhaben durch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- die Gegend; denn keiner weiß, was die Anstren- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gung in diesem Bereich im Augenblick soll. – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was ist mit dem Bürgerentlastungsgesetz?) (Beifall bei der SPD – Volker Kauder Was ich nun sage, Frau Merkel, meine ich in der [CDU/ CSU]: Wir wollen die Sozis und die Tat sehr ernst: Linken entflechten!) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt wird es – Herr Kauder, wissen Sie, wenn Sie das karikie- endlich spannend! – Hermann Gröhe ren, dann frage ich mich: Warum treibt es Sie ei- [CDU/ CSU]: Sie meinen mal etwas gentlich nicht um – das werden Sie wie ich am ernst?!) Wochenende in den Zeitungen gelesen haben –, Hören Sie genau zu. Wenn das so weitergeht – dass Vattenfall sein Energienetz, sein Leitungs- Sie ahnen das doch selbst auf der Seite der Oppo- netz verkaufen will? Warum treibt Sie das nicht sition –, um? Ich sage es Ihnen: Weil Sie nicht sehen, dass wir mit solchen Entscheidungen einzelner Unter- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – nehmen ein gutes Stück Zukunft in diesem Lande Zuruf: Opposition?) verlieren. dann sind wir dabei, unsere Zukunft zu verlieren. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Die Investitionen rutschen ab und der private Kon- CSU]: Weil die EU es verlangt hat!) sum stagniert. Im letzten Aufschwung waren wir in Deutschland die Lokomotive in Europa. Wir ha- Ich habe mir in der Großen Koalition manchmal ben den Zug in Europa gezogen, andere folgten den Mund fusselig geredet – Sie wissen das, Sie dem. Jetzt fallen wir aus. So sehr berechtigt es ist, können sich erinnern –, dass wir den Verkauf der dass wir sorgenvoll nach Griechenland blicken, so Energienetze nicht einfach tatenlos hinnehmen wissen wir auch, dass das, was sich in diesem dürfen, Lande tut, für das Wachstum in Europa viel wichti- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2711

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ doch zugestimmt in Europa als Außenmi- DIE GRÜNEN) nister! Also, so ein Unsinn!) Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich Ihre Pflicht! dass wir sie in einer deutschen Netzgesellschaft Bringen Sie Ordnung in den Laden! Nehmen Sie unter Beteiligung des Bundes bündeln müssen. endlich Ihre Verantwortung wahr! Es ist jetzt wirk- lich Ihre Verantwortung, Frau Merkel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. Ich schaue auf Peer Steinbrück: Auch der Fi- (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall nanzminister – das ist ja keine Selbstverständlich- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES keit – war damals dieser Meinung. Wir haben bei- 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder de gesehen: Das ist nicht irgendetwas. Das sind [CDU/CSU]: Seit fünf Jahren schon!) die Lebensadern einer industriell geprägten Volkswirtschaft, über die wir da reden, und die dür- Präsident Dr. Norbert Lammert: fen wir nicht einfach irgendwelchen internationalen Das Wort hat die Frau Bundeskanzlerin. Finanzmarktinvestoren überlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Die Energiepolitiker unter Ihnen wissen das Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr doch: Wenn die Integration der erneuerbaren Steinmeier, vorweg eine Bemerkung: Die Oppositi- Energien in das Leitungsnetz wirklich gelingen soll, on und speziell die SPD könnte dem gesellschaftli- dann brauchen wir dort Investitionen, und wir brau- chen Klima im Lande einen guten Dienst erweisen chen den Antrieb von Ingenieuren, um den Über- – vielleicht könnten Sie ganz persönlich dafür sor- gang von den bestehenden Netzen zu intelligenten gen –, wenn unserem Staatsoberhaupt, dem Netzen, zu Smart Grids der nächsten Generation, Bundespräsidenten, der notwendige Respekt ent- wirklich zu schaffen. In der Großen Koalition war gegengebracht wird. Das fordern wir. die Union dagegen. In dieser Koalition herrscht bei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dem Thema „deutsche Netzgesellschaft“ gemein- schaftliches Desinteresse. Ich sage Ihnen: Auch Wir beraten heute den Haushalt, der die größte Unterlassen gestaltet Wirklichkeit neu. Sie werden Neuverschuldung des Bundes in der 60-jährigen das am Ende bitter bereuen. Eines wissen Sie Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf- doch ganz genau: Irgendwelche Finanzinvestoren weist. 80,2 Milliarden Euro Schulden bei einem aus dem Vereinigten Königreich, aus den USA Gesamtumfang des Bundeshaushaltes von knapp oder aus Singapur werden sich nicht um die Zu- 320 Milliarden Euro, kunftsfähigkeit des deutschen Energienetzes (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE kümmern. Das glauben Sie doch selbst nicht. Sie GRÜNEN]: Plus Ihre Schattenhaushalte! tun nichts. Vom Schulterzucken müssten Sie in- 130 Milliarden!) zwischen Muskelkater haben, Herr Brüderle. das bedeutet 25 Prozent Schulden, das bedeutet, (Beifall bei der SPD) jeder vierte Euro, den wir in diesem Jahr ausge- Das, was Deutschland jetzt braucht, ist eine ben, ist nicht durch die Einnahmen gedeckt. kraftvolle Regierung, die dieses Land erneuert, de- (Zuruf von der SPD: Ihr macht noch mehr ren wirtschaftspolitische Fantasie zu mehr reicht Schulden!) als nur dazu, zu sagen: Steuersenkungen, Steuer- senkungen, Steuersenkungen. Deutschland Diese 80 Milliarden Euro Schulden sind genau das braucht eine Regierung, die Investitionen organi- Doppelte der bisher höchsten Neuverschuldung siert, die Zukunft baut, eine Regierung, die die des Bundes aus dem Jahre 1996 infolge der deut- ganze Gesellschaft im Blick hat und nicht nur die schen Einheit. Damals waren es 40 Milliarden Eu- eigene Klientel. Davon ist diese schwarz-gelbe ro. 80 Milliarden Euro Schulden, das bedeutet Regierung meilenweit entfernt. Das ist das Ver- 1 000 Euro pro Einwohner der Bundesrepublik hängnis dieser Zeit. Deutschland; hinzu kommen 460 Euro Zinsen. Das heißt, 11,5 Prozent des Bundeshaushaltes, unge- (Beifall bei der SPD) fähr jeder zehnte Euro, muss bereits für Zinszah- Ich komme zum Schluss und sage: Frau Merkel, lungen aufgebracht werden. Herr Westerwelle, ich bin mir inzwischen ganz si- Ich sage ganz deutlich – genauso wie der Fi- cher, dass die Mehrheit der Menschen in Deutsch- nanzminister gestern –: Mit Recht machen sich die land sagt: Diese Regierung hat Deutschland nicht Menschen Gedanken über die Verschuldung. Mit gewollt. Und ich sage: Eine solche Regierung hat Recht fragen sie uns alle, wenn wir in unseren Deutschland auch nicht verdient. Wahlkreisen sind: Was wird daraus? Wie werdet ihr das lösen? 2712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Christoph Strässer [SPD]: Ja, wie? – voller Überzeugung, weil es für die Menschen in Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE diesem Lande richtig ist. GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ich glaube, das eint uns in diesem Hause. Was Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE uns nicht eint und worüber wir ja heute sprechen GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht!) (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Keiner von uns hat Erfahrungen mit einem solch dramatischen Wirtschaftseinbruch. Die Krise hat – bleiben Sie doch ganz ruhig und gelassen –, sind vor 18 Monaten mit dem Zusammenbruch von die Fragen: Was tun wir, und wie tun wir es? Lehman Brothers begonnen. Wir können heute (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Genau! Erklä- sagen, dass wir in diesen 18 Monaten Wichtiges ren Sie das mal!) geschafft haben. Wir haben die Banken und den Finanzsektor stabilisieren können. Mit den 400 Die Bundesregierung hat sich dennoch dazu ent- Milliarden Euro Garantien und den 80 Milliarden schlossen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten Euro Rekapitalisierung ist das gelungen. Heute der Koalitionsfraktionen ganz besonders bedan- haben wir noch etwa 145 Milliarden Euro Liquidi- ken, dass sie das mitgetragen haben, sodass wir tätsgarantien – bei den Garantien gab es übrigens heute in den Grundzügen den Haushalt so verab- keine Ausfälle –, und wir haben 28 Milliarden Euro schieden, wie ihn die Regierung vorgelegt hat. Eigenkapitalhilfen. Ich sage im Übrigen an die SPD: Dieser Haus- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE halt wird gegenüber dem Haushalt, den wir damals GRÜNEN]: Und 32 Milliarden Euro Schul- in der Großen Koalition beraten haben, drei Mona- den aus der Rettung, die Sie nicht erwäh- te früher beraten. Das zeigt, wie handlungsfähig nen!) diese Regierung und diese christlich-liberale Koali- tion in einer schwierigen Situation sind. Das wird sich noch lange in die Zukunft ziehen, so lange, bis wir absehen können, was für einen Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – lust das für den Steuerzahler bedeutet. Die Hilfen Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE sind gut angenommen worden, und sie sind welt- GRÜNEN]: Rekordverschuldung Hand- weit koordiniert gegeben worden. Das hat zu einer lungsfähigkeit zu nennen, ist schon frech!) Stabilisierung geführt. Wenn wir uns die Struktur dieses Haushaltes Mindestens genauso wichtig: Der Einbruch der anschauen – auch da will ich gar nicht drum her- Realwirtschaft ist durch das, was wir machen, in umreden –, dann sehen wir, dass dieser Haushalt seinen Auswirkungen gedämpft worden, nämlich über 9 Prozent größer ist, als es in normalen Zei- durch das 100-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket ten der Fall wäre. Etwa 54 Prozent dieses Haus- für 2009 und 2010 und ein Wachstumsbeschleu- haltes sind Sozialausgaben. Erinnern wir uns: nigungsgesetz, das seinen Namen zu Recht hat, 1980 wurden 16 Prozent des Bundeshaushaltes für Soziales ausgegeben, 1991 20 Prozent, im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jahre 2000 33 Prozent. In diesem Jahr sind es 54 Lachen bei Abgeordneten der SPD, der Prozent. Das beinhaltet etwa 80 Milliarden Euro für LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Rente, 40 Milliarden Euro für das Arbeitslosen- GRÜNEN – Alexander Bonde [BÜNDNIS geld II und – wir haben etwas ganz Besonderes 90/DIE GRÜNEN]: Schuldenbeschleuni- gemacht; das weist schon darauf hin, warum wir gungsgesetz!) einen solchen Haushalt verabschieden – auch im- mit 8,5 Milliarden Euro Entlastung für Familien und mense Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit vieles andere. und an den Gesundheitsfonds; diese führen uns genau dazu, warum wir einen solchen Haushalt (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: verabschieden. Außer Schulden nichts verschuldet!) Wir verabschieden einen solchen Haushalt nur Die Steuersenkungen haben wir zum Teil ge- aus einer einzigen Tatsache heraus: In diesem meinsam und zum Teil nach kontroversen Diskus- Jahr müssen wir weiter eine Krise bekämpfen, die sionen beschlossen. Wir haben für eine Entlastung uns im vergangenen Jahr einen Wirtschaftsein- von über 20 Milliarden Euro gesorgt. Wir wissen bruch von 5 Prozent gebracht hat. Das sind aus den Erfahrungen: 90 Prozent davon gehen in 88 Milliarden Euro weniger Produktion in Deutsch- den Konsum der Menschen, und das ist genau der land, weniger Bruttoinlandsprodukt. Einen solchen Beitrag, den wir leisten, um die Binnenwirtschaft Einbruch haben wir noch nie gesehen. Wir wollen nicht einbrechen zu lassen. Fehler aus der Geschichte nicht wiederholen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vernünftig darauf antworten, sodass Wachstum wieder in Gang kommen kann. Das ist die tiefere Wir machen das, was uns die Ökonomen sagen: Ursache dieses Haushaltes. Dazu stehen wir aus Wir lassen die automatischen Stabilisatoren wirken – das heißt auf gut Deutsch, die Lohnzusatzkosten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2713 steigen nicht an –, und wir haben die Darlehen einfach; aber es ist richtig, diesen Kurs weiter zu sowohl für das Gesundheitssystem als auch für die verfolgen. Bundesagentur in Zuschüsse umgewandelt, was uns ein besseres Fundament im Hinblick auf die weitere Beitragsentwicklung gibt. Wir haben, da- In den nächsten Jahren kommt eine riesige Auf- mals noch gemeinsam, auch die Rentengarantie gabe auf uns zu, eine Herkulesaufgabe. Wir müs- beschlossen, eine wichtige Maßnahme, wie sich sen eigentlich Unvereinbares zusammenbringen: jetzt herausstellt. Denn zum ersten Mal in der Ge- den Haushalt konsolidieren, aber zugleich Wachs- schichte der Bundesrepublik Deutschland sind die tum schaffen, und das Ganze in dem Umfeld einer Bruttolöhne im letzten Jahr gesunken. Gesellschaft, deren Altersaufbau sich dramatisch verändert. (Dr. [DIE LINKE]: Woran das wohl liegt?) Wir brauchen neues Denken, um diese großen Herausforderungen bewältigen zu können. Hier möchte ich an das anknüpfen, was neben all den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, in den (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- letzten 18 Monaten vielleicht das Allerwichtigste SES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth war: dass die Menschen gezeigt haben, was in [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: diesem Lande steckt, dass Unternehmer genauso Eine geistig-moralische Wende, neues wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Verant- Denken, ja!) wortung gezeigt, die Maßnahmen der Regierung Dazu ist die christlich-liberale Koalition bereit. angenommen und selbst Lohnzurückhaltung geübt haben. Es war gut, dass wir für eine Flexibili- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sierung des Arbeitsmarktes mit Arbeitszeitkonten Als Erstes brauchen wir eine kluge Exitstrategie und vielem anderen gesorgt haben; von all diesen aus den Konjunkturprogrammen, die wir aufgelegt Instrumenten wurde Gebrauch gemacht. Wir ha- haben. Wir müssen in den nächsten Jahren – auch ben deshalb die Kurzarbeit aus voller Überzeu- wegen der Schuldenbremse, die Deutschland als gung bis 2011 verlängert. Wir sagen: Wir müssen weltweit einziges Land eingeführt hat, mitten in der in dieser Situation zusammenstehen. Das zeigen Krise – auf Konsolidierungskurs gehen. die moderaten Tarifabschlüsse, das zeigen unsere Maßnahmen, und so werden wir auch weiter durch (Bettina Hagedorn [SPD]: Davon merken diese Krise gehen. wir nichts! – [SPD]: Mit dem Liberalen Sparbuch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben schwierige Sparmaßnahmen vor Das hat Wirkung gezeigt. Wenn wir uns einmal uns. Ein strukturelles Defizit von etwa 67 Milliarden anschauen, wie sich die Arbeitslosigkeit im euro- Euro wird in den Jahren 2011 bis 2015 abzubauen päischen Vergleich entwickelt hat, so sehen wir, sein, damit die Neuverschuldung im Bundeshaus- dass die Arbeitslosigkeit bei uns im Jahre 2009 halt ab 2016 bei höchstens 10 Milliarden Euro gegenüber 2008 um 4,4 Prozent gestiegen ist, im liegt. Das heißt, wir müssen pro Jahr ein Defizit EU-Durchschnitt allerdings um 36 Prozent. In von 10 Milliarden Euro abbauen. Frankreich zum Beispiel ist sie um 30 Prozent ge- stiegen, in den Vereinigten Staaten von Amerika (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Erläutern um 70 Prozent. Sie einmal in Ihrem Wahlkreis, wie Sie das machen wollen!) Das vielleicht Schönste ist, dass die Jugendar- beitslosigkeit bei uns um 11 Prozent gesunken ist, Das Kabinett wird sich dieser Aufgabe stellen, und während sie im Mittel der Europäischen Union um ich sage dem Bundesfinanzminister Unterstützung 28 Prozent gestiegen ist, in Spanien zum Beispiel zu. Wir wissen, was das bedeutet. Die Erstanmel- um 86 Prozent. Das ist nichts, worauf man sich dungen für den Haushalt 2011 sind noch nicht so, ausruhen kann. Aber das ist schon etwas, worauf dass wir sagen könnten: Wir haben es schon ge- man auch ein Stück stolz sein kann, und zwar wir schafft, die 10 Milliarden Euro einzusparen. Die alle gemeinsam. Bundesregierung verpflichtet sich hier aber gegen- über dem Parlament, ihren Beitrag zu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben wieder leichte Wachstumsraten. Der Binnenkonsum ist im letzten Jahr nicht eingebro- Bei der Analyse dürften wir uns einig sein, darü- chen: plus 0,2 Prozent. ber brauchen wir nicht mehr zu streiten. Jetzt kommen wir zu der Frage: Wie schaffen wir das? (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Auf das ver- Neben einer klugen Exitstrategie brauchen wir eine gangene Jahr sind wir auch stolz!) kluge Wachstumsstrategie. Die Erfahrungen der In diesem Jahr sehen wir einen leichten Einbruch. Jahre 2005 bis 2009 zeigen doch: Die beste Warten wir aber erst einmal ab. Den Prognosen Wachstumsstrategie ist, möglichst viele Arbeits- kann man ja auch nicht so richtig trauen. Wir konn- plätze zu schaffen. Wann immer wir mehr Arbeit ten bislang Insolvenzen vermeiden. Es wird nicht haben, wann immer die Zahl der Arbeitslosen um 2714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

100 000 sinkt, werden die Sozialsysteme und der fen, dass viele Menschen wieder eine Arbeit auf- Bundeshaushalt um 2 Milliarden Euro entlastet. genommen haben. Deshalb gilt es, Arbeit zu schaffen und möglichst (Zuruf von der SPD: Das war doch unsere viel Beschäftigung hinzubekommen. Nicht nur ent- Idee!) lastet das den Bundeshaushalt, sondern Arbeit ermöglicht den Menschen auch Teilhabe und ge- Weil Sie das alles niemals Ihren eigenen Leuten sellschaftliches Mitbestimmen und ist le- erklärt haben, müssen Sie jetzt die Rolle rückwärts benserfüllend. machen und wollen allen Ernstes behaupten: Wer Arbeitslosengeld II bekommen will, braucht keine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vermögensprüfung mehr zu durchlaufen. Ich der FDP) glaube, da sind Sie auf einem falschen Trip. Ich Das bedeutet, in Deutschland möglichst viel quali- zumindest bin davon überzeugt, dass das falsch fizierte Arbeit bereitzustellen, um aus der Arbeits- ist. losigkeit herauszukommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Schauen wir uns die heutige Situation einmal Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie an: 5 Millionen Menschen beziehen Arbeitslosen- haben es doch durchlöchert!) geld II. Das kostet den Bundeshaushalt, wie ge- – Da nützt auch das Schreien nichts. sagt, 40 Milliarden Euro. Durch die Kosten für die Unterkunft entsteht den Kommunen eine Belas- Der nächste Punkt wird sein, dass Sie die Rente tung von 11 Milliarden Euro. Wenn wir es schaffen, mit 67 rückgängig machen müssen, weil aufgrund dass mehr und mehr Menschen aus dieser Situati- Ihrer falschen Konzepte die Möglichkeiten zur on herauskommen, dann haben wir etwas erreicht. Vermittlung von älteren Arbeitnehmern schlechter werden. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das schaffen Sie nicht mit Ihrer Politik! – Roland Claus (Thomas Oppermann [SPD]: Wir regieren [DIE LINKE]: Warum tun Sie dann schon?) nichts?) – Ich habe Sie nicht gebeten, ein Konzept vorzule- – Schauen wir uns einmal an, was Sie vorschla- gen. Sie hätten ja bei dem bleiben können, was gen: Die sozialdemokratische Fraktion und der Sie immer gesagt haben. ehemalige Kanzleramtsminister Steinmeier sind, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und muss man sagen, in einem wundersamen Wandel der FDP) begriffen. Jetzt sage ich Ihnen, was wir wollen. Von den (Dr. [DIE LINKE]: Das heute 5 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfängern stimmt!) sind ungefähr 1,4 Millionen zusätzlich zu den Leis- Es waren einmal 5 Millionen Arbeitslose. Sie ha- tungen aus Hartz IV erwerbstätig. Von diesen ben Reformen durchgeführt; wir haben diese Re- 1,4 Millionen Menschen befindet sich die übergro- formen im Bundesrat unterstützt. Diese Reformen ße Mehrzahl in Beschäftigungsverhältnissen unter haben, zusammen mit anderen Reformen, dazu oder bis 200 Euro. Die Zahl derer, die darüber hin- geführt, dass die Zahl der Arbeitslosen in den aus dazuverdienen, wird immer geringer. Das heißt Jahren darauf unter 3 Millionen gefallen ist. doch nichts anderes, als dass es eine Barriere beim Hinzuverdienst gibt. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mehr Armut! Mehr befristete Beschäfti- (Zuruf von der SPD: Wir sind doch nicht in der gung! Mehr Leiharbeit!) Schule!) Sie haben sich nie überlegt, warum das so ge- Am Anfang ist die Abzugsrate gleich null; man kommen ist. Ihre Wahrnehmung war immer geteilt: kann hinzuverdienen. Über diesen Betrag von 200 Euro hinaus ist die Abzugsrate so hoch, dass (Zuruf von der SPD: Was?) es bei Verdiensten über 150 Euro praktisch über- Sie waren zwar froh, dass die Zahl der Arbeitslo- haupt keinen Unterschied mehr macht, sen sank; aber Sie haben Ihren Leuten nie erklärt, (Thomas Oppermann [SPD]: Sind Sie sicher, wie das kommen konnte. dass Ihnen Ihre Leute folgen können?) (Thomas Oppermann [SPD]: Durch Ihren insbesondere bei Familien mit mehreren Kindern, Beitrag ganz bestimmt nicht! – Dr. Frank- ob sie etwas verdienen oder ob sie nichts verdie- Walter Steinmeier [SPD]: Wenn wir lange nen und Hartz IV bekommen. überlegt hätten, wäre das nicht zustande gekommen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben Ih- Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeits- re Leute nicht überzeugt!) losenhilfe ist eine Härte, ja. Aber gleichzeitig hat diese Maßnahme natürlich Möglichkeiten geschaf- Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen die Hinzuverdienstgrenzen verändern, und zwar so, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2715 dass sie einen Anreiz bieten, in Arbeit zu kommen. Auf diesem Feld können wir etwas tun. Im Übrigen Wir sind der Meinung: Diejenigen, die sowohl Ar- freuen sich darüber auch die Kommunen; denn beitslosengeld II beziehen als auch etwas hinzu- sie geben 11 Milliarden Euro für die Kosten der verdienen, sind auf einem besseren Weg, eine Ar- Unterkunft aus. Jeder Euro, den sie nicht ausge- beit zu finden, als die, die gar nichts hinzuverdie- ben, ist für sie eine massive Entlastung. nen. Das ist unser Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das war die Erklä- Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie rung von Miss Dumpinglohn!) verstehen es nicht!) Wenn Menschen arbeiten, dann geht es darum, Man kann den Unterschied ganz klar benennen. dass sich Leistung lohnt. Wir wollen den Menschen helfen. Dafür sind die Deshalb ist unser Ansatz, bei dem sogenannten Eingliederungstitel und viele andere Instrumente Mittelstandsbauch, also bei der stärksten Steige- in der Bundesagentur geschaffen worden. rung der Progression, und bei der kalten Progres- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sion im steuerlichen Bereich für eine Entlastung zu NEN]: Die Sie sperren!) sorgen. Es wird einfacher, niedriger und vor allen Dingen gerechter, damit sich Leistung in diesem – Sie sagen wenigstens „sperren“. Lande lohnt. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – NEN]: 900 Millionen!) Joachim Poß [SPD]: Sie haben noch gar Manch einer sagt einfach nur „kürzen“. nicht gesagt, was Sie wollen! Wann kommt denn da was?) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sperre plus Zeit ist Kürzung!) Es geht natürlich um qualifizierte Arbeitsplätze. Deshalb haben wir in der Koalition – das spiegelt Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales wird sich ja im Haushalt wider – einen Schwerpunkt bei ein Programm vorlegen. Dann werden die Mittel Forschung und Bildung gesetzt, weil das die Zu- entsperrt und stehen zur Verfügung. Das ist über- kunft ist. Deshalb sagen wir: Wir werden die Elekt- haupt kein Problem. Wir müssen dafür sorgen, romobilität fördern. Am 3. Mai 2010 wird der Kon- dass mit dem Geld, das wir für die ausgeben, die gress mit allen Akteuren stattfinden, damit wir eine Arbeitslosengeld II beziehen, und sie in Beschäfti- Chance für den Technologiestandort Deutschland gung bringen soll, wirkliche Folgebeschäftigung entwickeln. entsteht, anstatt einen öffentlichen Arbeitsmarkt zu manifestieren und zu zementieren, der uns am (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Ein Kon- Schluss nur etwas kostet und nichts bringt. Es ist gress! – Thomas Oppermann [SPD]: Ein der Mühe wert, dass man das versucht. Kongress! Ein Zwischengipfel! Ein Ar- beitskreis! – Joachim Poß [SPD]: Nur (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der Kommissionen, kein Regieren!) FDP) Deshalb werden wir auch ein neues Energie- Ich spreche darüber so ausführlich, weil sich konzept entwickeln. genau hier unterschiedliches Denken im Hause manifestiert. (Joachim Poß [SPD]: „Wir kündigen an“!) (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das Wir sind in dieser Frage einer Meinung darin, dass stimmt! – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: es darum geht, ein Zeitalter der regenerativen Dumpinglohn! – Joachim Poß [SPD]: Miss Energien zu erreichen. Eigentlich müssten wir aber Dumpinglohn!) auch einer Meinung darüber sein, dass wir den In- dustriestandort Deutschland erhalten wollen, und Wenn wir die Struktur dieses Bundeshaushaltes das heißt immer Dreier-lei: Energie muss bezahl- mittelfristig ändern, wird das dazu führen, dass wir bar sein, Energie muss sicher sein, und Energie die Rentenzuschüsse und die Gesundheitskosten, muss umweltverträglich sein. Das werden wir zu- die wir als Steuermittel im Wesentlichen für die sammenbringen. Kinder in das Gesundheitssystem gegeben haben, nicht kürzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Thomas Oppermann [SPD]: In die Kopf- Deshalb sagen wir: Die Kernenergie ist eine Brü- pauschale! Nicht für die Kinder!) ckentechnologie, aber die Länge der Brücke richtet sich danach, dass wir diese drei Dinge miteinander Dann werden wir sehen, dass mehr Menschen in verbinden können. Arbeit kommen und von diesem Block der 40 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und muss, weil diese Menschen wieder Arbeit haben. der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Herr Steinmeier, ich bin schon ein bisschen er- staunt. Die deutschen Stromversorgungsnetze 2716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 haben sich nun 60 Jahre lang in privater Hand be- haben auch das Zeug dazu, und die Bundesregie- funden. Jetzt ist es so, dass das Eigentum auch rung fördert das. aufgrund von Anordnungen der Europäischen Uni- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) on von Vattenfall, einem Unternehmen, das schwedischer Natur ist, hin zu einem belgischen Natürlich ist es wichtig, dass unsere Unterneh- Unternehmen wandert, das schon eine Vielzahl men mit Krediten versorgt werden – insbesondere von Stromnetzen betreibt und von dem nichts Eh- der Mittelstand. Deshalb gibt es die Kreditversor- renrühriges bekannt ist. Das ist genauso wie bei gung über den Wirtschaftsfonds, und deshalb ha- anderen, die ihr Elektronetz an ein niederländi- ben wir auch – der Bundeswirtschaftsminister hat sches Staatsunternehmen verkauft haben. Sind wir das getan – einen Kreditmediator eingesetzt, der nun in einem europäischen Binnenmarkt, oder sind seine Arbeit aufgenommen hat. wir es nicht? Polemisieren wir gegen belgische (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Firmen, nur weil sie keine deutschen sind, oder NEN]: Ein schönes Pöstchen!) machen wir das nicht? – Sie wissen, dass bei solchen Dingen gilt: Wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sie sie gemacht hätten, dann fänden Sie es ganz Thomas Oppermann [SPD]: Darum geht toll, weil wir sie machen, finden Sie es einfach es doch nicht!) nicht toll. Der Kreditmediator wird seine Arbeit ma- Von der Idee einer Reverstaatlichung des deut- chen, der Mittelstand wird es ihm danken. schen Stromnetzes halte ich ehrlich gesagt gar (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE nichts. Wir müssen natürlich vernünftige Ausbau- GRÜNEN]: Der Steuerzahler auch, der es bedingungen erreichen. finanzieren soll!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir sprechen wieder darüber, wenn sich die Sa- Dafür müssen wir vernünftige Investitionsbedin- che gut entwickelt hat. gungen schaffen und dafür sorgen, dass man eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hochspannungsleitung bauen kann, ohne dass Thomas Oppermann [SPD]: Klingt nicht das Genehmigen zehn Jahre dauert und ohne sehr überzeugend!) dass die Erdkabel so viel Geld verschlingen, dass man überhaupt nicht mehr zu Potte kommt. Ich sage Ihnen auch: Wir werden eine Politik fördern, mit der die Wettbewerbsfähigkeit Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lands gestärkt wird. Ich glaube nicht, dass wir in Das sind die wichtigen Aufgaben, aber das hängt der Europäischen Union, wenn wir über eine Wirt- nun wirklich nicht davon ab, ob das Unternehmen schaftsregierung reden, was ich für richtig halte, schwedisch oder belgisch ist, sondern das hängt die Diskussion so führen sollten, dass man sich von ganz anderen Dingen ab. danach richtet, wer am langsamsten ist, sondern beim Benchmarking muss geschaut werden, wer Wir werden die Gesundheitsforschung weiter am schnellsten und am besten ist. nach vorne bringen. Wir haben bereits ein Zentrum für Demenzkranke in Bonn gegründet. Eine wis- Ich sage auch ganz deutlich, wo Deutschland senschaftliche Bündelung aller – – Schwächen hat. Wir haben von der OECD eine hohe Abgabenlast im Niedriglohnbereich attestiert (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der bekommen. Da haben wir Schwächen. Darüber LINKEN) müssen wir nachdenken. Aber wir werden unsere – Ich weiß nicht, ob Herr Müntefering da ist. Er hat- Stärken nicht aufgeben, weil von unseren Export- te wenigstens, als wir noch gemeinsam regiert ha- gütern mehr gekauft wird als von denen anderer ben, so viel Vernunft, zu sagen, dass wir Leucht- Länder. Das wäre die falsche europäische Antwort türme brauchen. auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents. (Joachim Poß [SPD]: Wir haben doch gar nichts gesagt jetzt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – – Nein, nein, Sie müssen einfach einmal in die Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Reihe hinter sich schauen. Es sind nicht alle so GRÜNEN]: Lieber handeln statt diskutie- vernünftig wie Sie, Herr Poß. ren!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Sicherlich ist die schwierigste Herausforderung, vor der wir stehen, die Veränderung des Alters- Ich verstehe Sie ja. Das ist ein Zentrum in Bonn aufbaus. Am Ende des Jahrzehnts, das jetzt be- und deshalb in Nordrhein-Westfalen. – Wir brau- gonnen hat, wird es 3 Millionen mehr ältere Be- chen also Leuchttürme, mit denen den Menschen schäftigte geben. Die Zahl der Beschäftigten im gezeigt wird, wofür Forschung und Entwicklung gut Verhältnis zu Rentnern und Kindern wird sich dra- sind, und bei einer alternden Gesellschaft ist es al- matisch verändern, und zwar von heute lemal gut, wenn Deutschland im Gesundheitsbe- 65 Rentnern und Kindern im Verhältnis zu 100 Be- reich eine Spitzenposition auf der Welt hat. Wir Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2717 schäftigten auf 84 Rentner und Kinder im Verhält- lich-liberale Koalition also ganz gezielt auf die nis zu 100 Beschäftigten. Das alles muss erarbei- Wünsche der Menschen. Daran werden wir weiter tet werden. Außerdem wird die Zahl der Schulab- arbeiten. Das ist es, was uns interessiert. gänger sinken. Deshalb ist es so wichtig, dass das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joa- Thema des Zusammenhalts unserer Gesellschaft chim Poß [SPD]: Lohndumper!) ganz oben auf der Tagesordnung steht. Wir werden natürlich auch das Bundesverfas- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – sungsgerichtsurteil zu den Hartz-IV-Sätzen um- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE setzen. Darüber möchte ich heute aber nicht weiter GRÜNEN]: Das macht ja den Schulden- sprechen. berg so gefährlich!) (Widerspruch bei der LINKEN) Ich habe mir im Allensbacher Jahrbuch angese- hen, was die Menschen auf die Frage, was sie un- Das ist einfach nicht möglich, weil die Statistiken ter einer gerechten Gesellschaft verstehen – wir noch nicht ausgewertet sind. Ich möchte wiederho- sind uns, glaube ich, einig, dass Gerechtigkeit die len, was die Bundesministerin gesagt hat: Klar ist Voraussetzung für den Zusammenhalt ist – und ob schon heute, dass wir für die Bildung der Kinder es ihrer Meinung nach in der Wirtschaft gerecht mehr Geld ausgeben werden. Wir werden es aber zugeht, antworten. In den letzten Jahren ist eine so tun, dass es bei den Kindern ankommt. Sach- erschütternde Entwicklung zu erkennen. In den leistungen sind also nicht ausgeschlossen. Denn neuen Bundesländern war es leider immer so, wir wollen, dass das Geld den Kindern zugu- dass eine übergroße Mehrheit gesagt hat: In der tekommt. Genau darauf werden wir hinarbeiten. Wirtschaft geht es nicht gerecht zu. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist Um das 7-Prozent-Ziel für die Bildung zu errei- Erfahrung!) chen, haben wir den Ländern bereits in Aussicht Das hat sich in 20 Jahren eigentlich nicht geän- gestellt, dass wir seitens des Bundes bis 2015 die dert. In den alten Bundesländern gab es über viele Lücke von mindestens 13 Milliarden Euro mit einer Jahrzehnte ein Auf und Ab. Es herrschte aber im- Quote von 40 Prozent füllen werden; normalerwei- mer ein ungefährer Gleichstand zwischen „gerecht“ se geben wir 10 Prozent dafür aus. Wir sagen und „nicht gerecht“. aber: Es ist ein so wichtiges gesamt- gesellschaftliches Anliegen, dass der Bund bereit Seit den Jahren 2004 bzw. 2005 und ganz be- ist, sich an dieser Stelle mehr zu engagieren und sonders seit der Finanzkrise hat sich der Abstand die Bildungspolitik im ganzen Land dadurch zu zwischen denjenigen, die sagen, dass es in der verbessern. Wirtschaft gerecht zugeht, und denjenigen, die sa- gen, es gehe ungerecht zu, auf 58 Prozent vergrö- (Zuruf von der SPD: Wie denn konkret?) ßert. Wenn die Akzeptanz der sozialen Marktwirt- Wir werden den Nationalen Integrationsplan schaft erhalten werden soll, dann muss diese Lü- weiterentwickeln. Wir haben bereits gezeigt, dass cke wieder geschlossen werden, sowohl in Ost- wir für die Familien etwas tun. Der Ausbau der deutschland als auch in Westdeutschland. Das ist Kleinkinderbetreuung wird weitergehen. Das Kin- meine feste Überzeugung. dergeld und die Kinderfreibeträge sind erhöht wor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den. Deshalb ist das eine vernünftige Sache. Wenn man die Menschen fragt, was sie für gerecht Außerdem werden wir auch über die Vorschläge der halten, dann sagen sie als Erstes – und zwar mit weitem Bundesfamilienministerin zu reden haben, was Pflege- Abstand; es sind insgesamt 83 Prozent –: gleiche Chan- zeit anbelangt. Denn das Thema Pflege wird uns in der cen für gute Schulbildung. Die Bildung ist das Thema, nächsten Zeit in besonderer Weise beschäftigen. Es ist das die Menschen am meisten berührt. Als Zweites, etwas, was die Menschen zutiefst bewegt. Ich sage Ih- auch das ist interessant, sagen sie – zu etwas über nen – ich habe darüber auch mit den Arbeitgebern ge- 60 Prozent –: sprochen –: Wir sollten hier wirklich neues Denken an- wenden. Es wird in Zukunft schwierig sein, qualifizierte (Joachim Poß [SPD]: Da ist Lohndumping die Arbeitskräfte zu bekommen. Das wird sich über die richtige Frage!) nächsten Jahre in ganz anderer Weise entwickeln. Die dass der Staat für ein Existenzminimum sorgt und Bereitschaft der Unternehmen, freiwillig etwas zu tun, niemand in Not gerät. Ungefähr genauso viele wird an vielen Stellen wachsen, weil man Beruf und Menschen sind der Meinung, dass Leistung sich Familien viel besser verbinden muss. lohnen muss. Das heißt: Wer mehr leistet, muss (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und auch mehr davon haben. Das sind die zwei Seiten der FDP) der Medaille. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den schrecklichen Fällen von sexuellem Miss- Mit diesen drei Prioritäten – Arbeitsmarkt, brauch sagen, von denen wir jeden Tag hören und Grundsicherung und Bildung – reagiert die christ- von denen wir erfahren. Ich glaube, wir sind uns al- 2718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 le einig: Sexueller Missbrauch an Kindern und an nicht einfach, wenn die Rentnerinnen und Rentner Schutzbefohlenen ist ein verabscheuungswürdiges in diesem Jahr eine Nullrunde haben. Verbrechen. Es gibt nur eine Möglichkeit, dass un- (Zuruf von der LINKEN: Wohl wahr!) sere Gesellschaft mit diesen Fällen klarkommt: Das ist Wahrheit und Klarheit über alles, was pas- Das trifft die Menschen zwar nicht einfach so – ei- siert ist. gentlich wäre es weniger gewesen –, aber trotz- dem ist auch eine Nullrunde nicht einfach. Umso (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und zufriedener bin ich, dass auch die Tarifabschlüsse der SPD sowie bei Abgeordneten der moderat waren, weil wir daran sehen, dass es ins- LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE gesamt eine schwierige Zeit ist. GRÜNEN) (Joachim Poß [SPD]: Das ist aber eine krause Ich glaube, jedem ist bewusst, dass das Leben Logik!) der Menschen, die so etwas erlebt haben, anders verläuft, als wenn sie das in jungen Jahren nicht Ich sage Ihnen auch ganz klar: Wir werden uns erlebt hätten. Das begleitet sie ein ganzes Leben. auch melden, wenn Unternehmensführer sich in Völlige Wiedergutmachung wird und kann es nicht einer solchen Zeit zum Teil in absurder Art Ge- geben. Es hat keinen Sinn, es auf eine Gruppe zu haltssteigerungen gönnen, die von keinem ande- beschränken, auch wenn uns die ersten Fälle so- ren in dieser Gesellschaft nachvollzogen werden zusagen aus dem katholischen Bereich zu Ohren können. gekommen sind. Es ist etwas, das sich in vielen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bereichen der Gesellschaft ereignet hat, und es ist neten der FDP) vor allen Dingen auch etwas, das sich heute teil- weise in anderer Form, aber mit gleichen Folgen Deshalb ist vielleicht der Gesundheitsbereich weiter ereignet. derjenige, in dem die meiste Arbeit zu leisten ist. Ich habe eigentlich nur eine Bitte, nämlich dass Sie Deshalb bin ich froh, dass die drei Ministerinnen von der Opposition wenigstens nicht dauernd Din- Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Kristina ge behaupten, die einfach nicht stimmen. Schröder und gemeinsam ein Gesprächsforum mit den Betroffenen bilden, mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und denjenigen, von denen diese Fälle bekannt wer- der FDP) den, und dass man sowohl in die Vergangenheit Es ist nicht fair, einfach irgendetwas zu behaupten. als auch in die Zukunft blickt. (Bettina Hagedorn [SPD]: Was denn?) Aber lassen Sie uns die Sache nicht zu einfach machen. Man muss über Verjährung sprechen. Die kostenlose Mitversicherung der Ehepartner Man kann über Entschädigung sprechen. wird weiter gewährleistet sein. Die Versicherung der Kinder wird, wenn Sie es so rechnen, inzwi- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE schen im Wesentlichen aus dem Steuertopf be- GRÜNEN]: Man kann über Entschuldi- zahlt. Wir waren uns doch einig, dass der steuerli- gung sprechen! Mit dem Papst zum Bei- che Ausgleich gerechter ist als der soziale Aus- spiel!) gleich über Beiträge. Das wissen Sie doch alles. Aber insgesamt kommt es darauf an – das ist eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bewährungsprobe für unsere ganze Gesellschaft – , dass Menschen, die so etwas erfahren haben, Warum soll für einen Erwachsenen falsch sein, sich in dieser Gesellschaft wieder anerkannt und was für ein Kind richtig ist? aufgehoben fühlen und wenigstens das Stück Gerade die SPD müsste doch sagen: Diejeni- Wiedergutmachung bekommen, was man im gen, die viel verdienen, müssen das meiste zum Nachhinein noch schaffen kann. Sozialausgleich in einem so sensiblen Bereich wie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP dem Gesundheitswesen beitragen. Das tun Sie sowie bei Abgeordneten der SPD, der aber nicht. LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Widerspruch bei der SPD) GRÜNEN) Sie fangen an, auf eine ganz unverantwortliche Meine Damen und Herren, wenn wir über die Weise irgendetwas zu behaupten, was überhaupt Veränderung des Altersaufbaus unserer Gesell- nicht stimmt. Es gibt heute einen Sozialausgleich schaft sprechen, dann sind die sozialen Siche- im Gesundheitssystem, und der erfolgt automa- rungssysteme sicherlich der Punkt, an dem die tisch. Es wird auch später einen Sozialausgleich im größte politische Arbeit zu leisten ist. Mit der Rente Gesundheitssystem geben. Es geht im Augenblick haben wir Zukunftsvorsorge getroffen. Da wird die nur um die Aufwüchse. politische Kraft darin bestehen, alle Faktoren, die die demografische Veränderung widerspiegeln, (Zurufe von der SPD) auch in den nächsten Jahren umzusetzen. Es ist – Hören Sie zu! – In jeder Legislaturperiode – das war bei Ihnen so, das war bei uns so, und das wird Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2719 auch weiter so sein – steigen die Beiträge, wenn Natürlich dürfen wir uns nicht nur um den Zu- wir es geschickt machen, um ungefähr sammenhalt kümmern, sondern müssen auch zur 1 Prozentpunkt und sonst um 1,5 Prozentpunkte. Kenntnis nehmen, dass die Globalisierung fort- Sie haben keine Antwort auf die Frage, was man schreitet und dass wir unsere Art, zu leben, die so- tun kann, um fortwährend steigende Lohnzusatz- ziale Marktwirtschaft und ihre Prinzipien, nur kosten zu vermeiden. durchsetzen können, wenn es uns gelingt, die Globalisierung menschlich zu gestalten. Da sind al- (Thomas Oppermann [SPD]: Bürgerversiche- len voran die Finanzmarktregeln nach den Exzes- rung! Ist doch klar!) sen auf den Finanzmärkten zu nennen. Ich will hier – Herr Oppermann, Sie sind viel zu intelligent, um in Erinnerung rufen: Einiges ist geschehen. Es hat nicht zu wissen, dass auch eine Bürgerversiche- keinen Sinn, dauernd so zu tun, als ob gar nichts rung einen Arbeitgeberanteil benötigt, der dann geschehen wäre. Wir haben verbesserte Vorschrif- dauernd steigt und die Lohnzusatzkosten erhöht. ten über die Eigenkapitalbasis der Banken. Wir haben einen Kabinettsbeschluss zu den Rating- Wenn Sie nicht wollen, dass über den Druck der agenturen, der jetzt beraten wird und mit dem eine Wirtschaftlichkeit – weil die Gesundheitskosten an europäische Richtlinie umgesetzt wird. Es wird die Arbeitskosten gekoppelt sind – nicht mehr jeder klargestellt, dass Unternehmen nicht mehr gleich- Mensch die Gesundheitsversorgung bekommt, die zeitig beraten und Produkte bewerten dürfen; das er eigentlich bekommen müsste, dann müssen Sie ist dringend notwendig. eine Entkopplung von den Lohnkosten für die Auf- wüchse, die sich im Gesundheitswesen ergeben, Wir haben eine neue Bankenaufsicht – die Ver- hinbekommen. Ich sage: für die Aufwüchse! handlungen darüber sind in Europa weit fortge- schritten –, mit der systemische Risiken europa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weit besser überwacht werden können. Wir werden Es ist immer schade, wenn sich Illusionen zer- im Sommer einen Vorschlag vorlegen, aus dem streuen. Auf jeden Fall wird es dann genauso ei- hervorgeht, wie die Aufsichtsfunktionen in nen sozialen Ausgleich geben. Die Aufwüchse Deutschland gebündelt werden können. Wir wis- werden von den Arbeitskosten entkoppelt. Das ist sen heute, dass es wichtig ist, dass Emittenten bei ein richtiger Schritt dieser Koalition. Dabei werden besonders riskanten Produkten, zum Beispiel bei wir den Gesundheitsminister unterstützen, sofern Verbriefungen, einen Teil des Risikos in der eige- er überhaupt Unterstützung braucht. Er ist ja in nen Bilanz behalten müssen. Wir haben auch für seinen eigenen Aussagen ganz selbstständig. die Entlohnung von Bankern neue Regeln aufge- stellt, die demnächst im Kabinett beraten werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir werden in baldiger Zukunft einen Kabinettsbe- der FDP) schluss fassen, aus dem hervorgeht, wie wir es Es ist richtig, dass die Gesundheitskommission schaffen, die Abwicklung und Restrukturierung von heute ihre Arbeit aufnimmt. Banken sicherzustellen, damit nicht wieder der Ef- fekt eintritt, dass der Staat die Banken retten muss, Genauso ist es richtig, dass der Bundesfinanz- minister eine Gruppe zur Zukunft der Kommunal- wenn sie in eine Krise geraten. Die Banken sollen finanzen, an der Sie über Ihre Länder Gott sei das selbst tun. BMJ und BMF arbeiten daran. Wir werden – das wurde in der G-20-Gruppe verabre- Dank mitarbeiten, eingerichtet hat. Es reicht doch det – im Juni Vorschläge vom IWF zur Beantwor- nicht, einen Schutzschirm für die Kommunen auf- tung der Frage bekommen, wie man die Banken zubauen, wie Sie es fordern. Das ist vielleicht et- besser an den Kosten, die sie verursacht haben, was, das den Kommunen in einer Krise hilft. Aber langfristig sind die Kommunen in einem Zustand, beteiligen kann. wo die Finanzierung nicht auf Nachhaltigkeit be- ruht. Zwischen 2000 und 2008 sind in den Kom- munen die Sozialausgaben um 50 Prozent gestie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen und die Baukosten um 20 Prozent eingebro- Auf diese Vorschläge warten wir, weil wir das in- chen. Dieser Weg muss umgekehrt werden. Da ternational so verabredet haben. Es ergibt nämlich brauchen wir eine Trendwende. Ansonsten wird es keinen Sinn, wenn wir in Deutschland so tun, als keine kommunale Politik mehr geben, die selbsttä- könnten wir das irgendwie erreichen. Sie haben tig arbeiten kann und an der sich die Menschen heute Herrn Brown zitiert. Ich arbeite gut mit Gor- aus Lust ehrenamtlich beteiligen. Wir wollen das. don Brown zusammen, aber seine einmalige Be- Deshalb stellen wir uns dieser Aufgabe. Man kann steuerung von Boni war nur halb so sinnvoll wie nicht vom ersten Tag an sagen, was alles nicht die Hedgefondsregulierungen, die wir gerade bera- geht, sondern man muss überlegen, was geht; ten und denen Großbritannien jetzt zustimmen soll- denn die Kommunen sind die Grundlage des Le- te. Darum müssen wir kämpfen, und dafür erwarte bens der Menschen in diesem Land. ich Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 2720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise meinschaft. Deshalb kann es nicht sein, dass wir nicht nur Banken retten müssen, sondern dass einfach mit freundschaftlichen Bekundungen darü- jetzt auch im EuroRaum eine schwierige Situation ber hinweggehen, sondern die Erholung muss, wie eingetreten ist, was Griechenland anbelangt. Es ich es schon gesagt habe, von Griechenland aus- war richtig, dass sowohl Nicolas Sarkozy als auch gehen. Alles, was überhaupt gedacht wird, muss der Ministerpräsident Papandreou, Jean-Claude darauf ausgerichtet sein, dass wir nicht vorschnelle Juncker und ich die Kommission aufgefordert ha- Hilfen leisten, sondern dass wir dafür Sorge tra- ben – das geht nur europaweit –, die Finanzrichtli- gen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt. nie so zu ändern, dass die sogenannten nackten Alles andere wäre fatal. Credit Default Swaps, bei denen man Wetten auf Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft. In etwas abschließen kann, das man nicht besitzt, dieser Rechtsgemeinschaft gibt es einen Vertrag. verboten werden. Wolfgang Schäuble hat gestern Deshalb haben die Finanzminister richtigerweise zu den Leerverkäufen gesprochen. Das können wir gesagt, dass alles, was wir tun, dem europäischen aber nicht alleine machen. Wir sind in der Europäi- Recht und – das haben sie mit Bedacht hinzuge- schen Union, und das fällt in deren Kompetenz. Ich fügt – dem nationalen Recht entsprechen muss; denke, die Signale aus der Kommission, dass dort denn wir haben ganz klare Gegebenheiten, die etwas gemacht wird, sind richtig. festlegen, was man überhaupt in einer Notsituation Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass tun kann und was nicht. Deshalb sage ich ganz die griechische Lage nicht durch die Spekulanten klar, dass nichts gemacht werden kann, was gegen hervorgerufen wurde – sie wird durch die Speku- nationales Recht verstößt. Da sind uns Grenzen lanten verstärkt –, sondern dass sie durch die lang- auferlegt. jährige Verletzung des Stabilitäts- und Wachs- Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa tumspakts hervorgerufen wurde. ist unsere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schäuble nicht für Griechenland Vorschläge ge- macht, aber Wolfgang Schäuble hat Vorschläge Deshalb steht der Euro vor seiner stärksten Her- gemacht, damit man eventuell den IWF nicht in al- ausforderung, die er je zu bewältigen hatte. len Situationen rufen muss – was jetzt vielleicht der (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Karamanlis!) Ausweg sein müsste, wenn man etwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus. Er hat Vor- – Ich kann auch sagen, dass die Regierung Kara- schläge gemacht, dass wir für die Zukunft ein Ver- manlis daran beteiligt war. Auch deren Vorgänger- tragswerk bekommen, aufgrund dessen es als Ul- regierung war schon daran beteiligt. Das hilft uns tima Ratio sogar möglich ist, ein Land aus dem Eu- doch jetzt nicht. Wir müssen mit der Sache fertig ro-Raum auszuschließen, wenn es die Bedingun- werden. – gen langfristig immer wieder nicht erfüllt. Sonst (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kann man nicht zusammenarbeiten. Die Antwort können wir nur mit Blick auf die lang- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fristige Stabilität des Euro finden. Da ist die Heute haben wir eben nicht das richtige Instru- schnelle Solidaritätsleistung mit Sicherheit nicht die mentarium. Wir haben nicht gedacht, dass wir im richtige Antwort, sondern die richtige Antwort heißt, Euro-Raum in eine Situation kommen, in der ein die Sache bei der Wurzel anzupacken und die Land vielleicht vor der Zahlungsunfähigkeit steht. Probleme vernünftig zu lösen. Deshalb gibt es kei- Die Antwort hieß damals: Die schärfste Sanktion ne Alternative zu dem griechischen Sparprogramm ist, dass das Land Geld an die Kommission zahlen und weiteren Anstrengungen in den nächsten Jah- muss. Ein Land, das kein Geld hat, kann auch kein ren. Ich finde es gut und richtig, und die griechi- Geld an die Kommission zahlen, oder wir führen sche Regierung hat großen Mut bewiesen, jetzt die Zahlungsunfähigkeit noch besonders be- 4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt einzusparen, schleunigt herbei; das wäre ja schwachsinnig. Es um das Defizit in einem ersten Schritt zu senken. ist richtig, dass wir darüber hinausdenken und fra- Die Märkte haben das durchaus goutiert. gen: Wie müssten wir die Verträge entwickeln, Wir müssen immer im Auge haben, dass Europa damit man mit einer solchen Situation umgehen auf der einen Seite eine Friedensgemeinschaft ist. kann? Auch bei Griechenland muss jetzt gelten, Deshalb kann in einem gemeinsamen Währungs- dass die Stabilitätsgemeinschaft im Vordergrund raum – das gilt für alle Mitgliedstaaten, aber für die steht und dass wir nicht eine vorschnelle Hilfe leis- im Euro-Raum versammelten besonders – kein ten, die uns langfristig überhaupt nicht weiterbringt, Land völlig alleine gelassen werden. Deshalb ha- sondern den Euro immer weiter schwächt. ben wir auf dem Rat gesagt: Wir stehen natürlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) insgesamt für die Stabilität des Euro ein. Wir kön- nen doch nicht zusehen, wie der Euro-Raum und Meine Damen und Herren, Europa gestalten damit auch unsere Grundlagen insgesamt instabil heißt eben auch: Wirtschaftsregierung – ja, und werden. Europa ist aber nicht nur eine Friedens- zwar mit anspruchsvollen Zielen und nicht mit der gemeinschaft, sondern auch eine Stabilitätsge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2721

Frage „Wie können wir alle gemeinsam diese an- (Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU spruchsvollen Ziele vielleicht nicht durchsetzen?“. und der FDP) Außerdem heißt es: Protektionismus vermeiden. Ich könnte hier viel dazu sagen. In den letzten Mo- Präsident Dr. Norbert Lammert: naten hat der Protektionismus weltweit zugenom- Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für men. Wir sind mit der Doha-Runde nicht weiterge- die Fraktion Die Linke. kommen. Für eine Exportnation wie Deutschland (Beifall bei der LINKEN) ist das jedoch zwingend notwendig. Wir brauchen Datenschutz. Globale Digitalisie- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): rung ist gut. Wir brauchen aber auch den Schutz Herr Bundestagspräsident! Meine sehr verehr- und müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen, ten Damen und Herren! Ich habe bei Ihrer Rede dass die Dinge nicht so sind, dass Menschen auf sehr genau zugehört, Frau Bundeskanzlerin Mer- ihre eigenen Daten gar keinen Zugriff haben. kel, aber alles, was Sie gesagt haben, ändert nichts daran, dass sich Ihre Bundesregierung doch Wir müssen natürlich auch viele außenpolitische in einem ziemlich erbärmlichen Zustand befindet, Probleme, über die ich heute aus Zeitgründen wie ich versuchen werde, Ihnen zu zeigen. nicht reden kann, in den Griff bekommen. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der Meine Damen und Herren, Deutschland ist eine CDU/CSU) tolerante, eine offene Gesellschaft. Der Economist – nicht gerade eine Zeitung, die Deutschland im- Ich räume ja ein, auch Teile der Opposition be- mer nur in den höchsten Tönen lobt – hat über finden sich in keinem guten Zustand. Aber damit Deutschland in der vergangenen Woche geschrie- meine ich keinesfalls die Linke. Wir haben zwar ben, dass es ein nicht nur lebenswertes, sondern auch einige Probleme, aber im Vergleich zu den auch ein liebenswertes und durchaus auch reform- anderen sind wir doch topfit. Es ist alles relativ, wie freudiges Land ist. Sie wissen. (Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der [FDP]) SPD) Ich glaube, dass wir auf dieses Land stolz sein Die Grünen wechseln gerade in das sogenann- können, und das ganz besonders mit Blick auf das, te bürgerliche Lager. Wir haben das in Hamburg was morgen hier in diesem Hohen Hause stattfin- erlebt. Wir haben das im Saarland erlebt. Sie kün- det, nämlich die Erinnerung an den 20. Jahrestag digen das schon für NRW an. Für die Bundesebe- der ersten freien Wahl zur Volkskammer. Mit ne kann man auch damit rechnen. diesem Tag, dem 18. März 1990, ist der Eini- (Widerspruch des Abg. Alexander Bonde gungsprozess sozusagen unumkehrbar geworden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das war ein tolles Gefühl, nach Jahrzehnten zum ersten Mal frei wählen zu können. Davon haben – Hören Sie einmal zu! – Beim Saarland kommt damals auch 93 Prozent der Menschen in der DDR noch eine sehr unappetitliche Käuflichkeit durch Gebrauch gemacht. Auch das zeigt, wie sehr man die FDP dazu. Das sollten Sie einmal aufarbeiten, sich darauf gefreut hat. finde ich. Meine Damen und Herren, aufgrund dieser Er- (Beifall bei der LINKEN – Alexander fahrung der letzten 20 Jahre bin ich optimistisch, Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dass wir es schaffen können, die Etappe, die jetzt Räumen Sie erst einmal mit Ihren Ost und West, das ganze Deutschland, gemein- schwarzen Kassen auf!) sam in einem vereinten Europa zu gehen haben, Die SPD ist dabei, ihren Standort zu suchen. Sie zu einem Erfolg zu machen, über den unsere En- hat ihn noch nicht gefunden. Immerhin beginnen kel eines Tages einmal sagen: Mensch, das haben Sie von der SPD jetzt damit, Hartz IV zu überwin- die in schwieriger Zeit gut gemacht. Aber wenn wir den. Sie kritisieren jetzt prekäre Beschäftigungs- nicht zu einem Punkt kommen, an dem es uns ge- verhältnisse. Nur muss man hinzufügen: Hartz IV lingt, über notwendige Veränderungen und Weiter- ist vollständig und die prekäre Beschäftigung in entwicklungen in diesem Land so zu sprechen, wie diesem Umfang durch eine Bundesregierung von es die Verantwortung gebietet, dann werden wir SPD und Grünen eingeführt worden, also zu Ihrer das nicht schaffen. Ich sage Ihnen: Die christlich- Regierungszeit. Das heißt, bei SPD und Grünen liberale Koalition ist zu dieser verantwortlichen erleben wir Folgendes: Sie leiten unsoziale Pro- Diskussion bereit. zesse als Regierung ein, um danach zu sich selbst (Thomas Oppermann [SPD]: Seit wann?) in Opposition zu treten. Das ist gar kein so seltener Vorgang. Trotzdem muss die SPD – das will ich Wir gehen mit Mut an die Arbeit. gerne animierend sagen – diesen Weg weiter ge- Herzlichen Dank. hen. (Beifall bei der LINKEN) 2722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Sozialdemokratische Politik bedeutet meines (Beifall bei der LINKEN) Erachtens, dass Hartz IV überwunden wird, dass Nun haben wir einen Bundesaußenminister, der prekäre Beschäftigung überwunden wird, dass auch FDP-Vorsitzender ist und nie genau weiß, man dagegen ist, Rente erst ab 67 Jahren zu zah- wie er mit den Rollen umgehen soll. Ich lasse jetzt len, dass man endlich dafür eintritt, die Bundes- einmal Ihre Beschimpfung der Arbeitslosen weg, wehr unverzüglich aus Afghanistan abzuziehen. Herr Westerwelle, zumal ich sowieso meine, es Sozialdemokratische Politiker müssten für Steuer- gibt keine Arbeitslose und keinen Arbeitslosen, die gerechtigkeit streiten, das heißt auch für eine Milli- bzw. der je auf die Idee käme, FDP zu wählen. onärssteuer, für eine Börsenumsatzsteuer, für ei- Aber damit rechnen Sie ja auch nicht. nen höheren Spitzensteuersatz. Aber von alledem ist die SPD doch noch meilenweit entfernt. Ich (Zuruf von der FDP: Das ist ein Unsinn!) wünsche Ihnen jedoch Erfolg auf diesem Weg, – Nein, nein, hören Sie zu! – Aber ich sage Ihnen wenn Sie ihn denn gehen wollen. auch: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, (Beifall bei der LINKEN) die FDP wählen, passen in eine Telefonzelle. Frau Kraft in NRW scheint allerdings einen an- deren Weg zu gehen. Sie hat ja nun den Vorschlag Aber davon einmal ganz abgesehen: Die FDP erfunden, dass Langzeitarbeitslose ehrenamtlich versucht etwas Neues, nämlich eine tätig sein sollen. Ich frage mich: Warum immer die- Lobbyistenpartei hoffähig zu machen. Was Sie mit se Hartz-IV-Logik? Warum kann man Arbeit nicht den Hoteliers und der Dankesspende von Möven- einfach bezahlen? Warum muss man die Leute so pick gemacht haben, was Sie mit den Geschenken demütigen? Ich kann das überhaupt nicht nach- an die Pharmaindustrie vorhaben und wie die Gäs- vollziehen, was dort passiert. teliste von Bundesaußenminister Westerwelle bei (Beifall bei der LINKEN) seinen Reisen aussieht, das alles spricht dafür, dass man versucht, eine Lobbyistenpartei salonfä- Aber zu Hartz IV äußere ich mich noch später. hig zu machen. Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie sagen dazu in genau zugehört. Ich muss zugeben, das hat mir der Regel nichts. Sie halten sich zurück, vergessen auch Spaß gemacht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. aber, dass Sie dafür mithaften. Nur eines muss ich Ihnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerne einmal von Ihnen als (Beifall bei der LINKEN) Kanzleramtschef unter Kanzler Schröder hier im Zum Beispiel in Bezug auf die Gästeliste könnten Bundestag gehört, nicht erst heute. Das hätte die Sie Ihrem Bundesaußenminister die Sache erleich- Regierungspolitik sicherlich wesentlich verändert. tern, indem Sie eine kleine Dienstanweisung erlas- (Beifall bei der LINKEN) sen, in der steht, wen man mitnehmen darf und wen nicht. Wenn Sie es nicht schaffen, helfe ich Es geht ja eigentlich um die Bundesregierung. Ihnen gerne. Ich will nur sagen: Das ist zu leisten. (Zuruf von der SPD: Ja, wollte ich gerade sa- Im Kern geht es um eine ganz andere Frage: gen!) Wollen wir eine „Berlusconisierung“ der Politik in Da ist alles noch viel schlimmer. Lassen Sie mich Deutschland oder wollen wir die nicht? Wir sind zunächst einmal etwas zu den Rüstungsexporten strikt dagegen. Also tun Sie etwas dagegen! sagen. Frau Bundeskanzlerin Merkel, seit 2005 hat (Beifall bei der LINKEN) Deutschland seine Rüstungsexporte verdoppelt. Wir stehen jetzt an dritter Stelle weltweit. Mehr Bundesminister zu Guttenberg hat zunächst er- Rüstungsgüter verkaufen nur die USA und Russ- klärt, dass der entsetzliche Luftangriff auf Kunduz land. Dann folgt Deutschland. Darf ich daran erin- mit vielen toten Zivilisten, darunter auch vielen nern, dass der schlimmste Krieg des letzten Jahr- Kindern, angemessen gewesen sei. Dann hat er hunderts von Deutschland ausging? Was ist denn seinen Generalinspekteur und den Staatssekretär eigentlich so schlimm daran, wenn wir einmal als entlassen, weil sie ihn falsch informiert hätten. Erster die Schlussfolgerung ziehen, zu sagen: „Wir Dann hat er gesagt, der Angriff sei doch nicht an- wollen an Krieg nicht mehr verdienen, wir verbieten gemessen gewesen, sondern unangemessen. Rüstungsexporte“? Was wäre daran so schlimm? Jetzt nimmt er die beiden Entlassenen wieder in Schutz. Ich verstehe überhaupt nicht, was in Ihnen (Beifall bei der LINKEN) vorgeht, Herr zu Guttenberg. Ihnen fehlt eine not- Wenn wir so viele Waffen verkaufen, Frau Bun- wendige Erkenntnis: dass es von Anfang an falsch deskanzlerin, können Sie überhaupt nicht ein- war, die Bundeswehr in Afghanistan einzusetzen. schätzen, wann und wo und wie sie eingesetzt Das sollten Sie endlich einmal zugeben, und das werden. Ich sage Ihnen: Ich bin der festen Über- muss korrigiert werden. zeugung, Kriege hören nicht auf, solange so viel (Beifall bei der LINKEN) an Kriegen verdient wird. Das muss unterbunden werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2723

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechen- verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; land gesprochen. Da wundert mich eines: Wir ver- das heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler langen von Griechenland einen knallharten Spar- haben die Forderung übernommen und an die kurs, den wir für Deutschland ablehnen. Denn das Deutsche Bank gezahlt. Davon bekommt Acker- ist Brüning’sche Politik, und Sie wissen, dass mann jetzt 10 Millionen Euro, die Steuerzahlerin- Reichskanzler Brüning Deutschland in die größte nen und Steuerzahler aber nichts. Das ist die Un- Katastrophe geführt hat. Warum verlangen wir eine gerechtigkeit, die wir kritisieren und gegen die Sie solche Politik von Griechenland? Jetzt gehen die nichts machen. Menschen dort auf die Straße, und zwar, wie ich (Beifall bei der LINKEN) finde, völlig zu Recht. Es ist doch nicht hin- nehmbar, dass Sozialleistungen, Renten, Löhne Deutschland ist inzwischen der größte Niedrig- usw. gekürzt werden, und Dumpinglohnsektor aller Industriestaaten. Ein Viertel der Beschäftigten, sagt das Statistische (Beifall bei der LINKEN) Bundesamt, arbeitet in Deutschland zu Niedrig- aber die Banker, die die ganze Krise verursacht lohn. Damit hängt zusammen, dass unsere Expor- haben, überhaupt nicht zur Verantwortung gezo- te billiger sind und die griechischen teurer. Jetzt gen werden. Da stehen wir an der Seite der Bevöl- gibt es zwei Wege: Der eine Weg ist, dass die kerung Griechenlands. Griechen ihre Löhne noch weiter senken, und der andere Weg ist, dass wir unsere Löhne erhöhen. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Sehen Sie sich das einmal an: Die Großbanken zocken jetzt schon wieder mit Wetten auf die Genau dagegen wehren Sie sich. Sie tun ja so, als Schulden Griechenlands. Sie machen schon wie- ob die Gesellschaft unterginge, wenn wir das der Leerverkäufe. Nachdem die Leerverkäufe in machten, was schon 20 Mitgliedsländer der Euro- Deutschland zwischenzeitlich verboten waren, sind päischen Union getan haben, nämlich einen flä- sie nun wieder erlaubt. Jetzt hat Bundesminister chendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzu- Schäuble gesagt, er will sie vielleicht doch wieder führen. Genau den brauchen wir aber. verbieten. Machen Sie es doch endlich! Wir brau- (Beifall bei der LINKEN) chen keine Leerverkäufe; das ist nichts anderes als Spekulation. Davon hätten nicht nur die Griechinnen und Griechen, sondern auch unsere Beschäftigten et- (Beifall bei der LINKEN) was. Davon hätten auch – deshalb verstehe ich die Dann geht es um eine Abgabe der Banken, weil FDP nicht – das Handwerk und die kleinen und diese direkt und indirekt eine Menge davon hatten, mittleren Unternehmen etwas, die von der Binnen- dass der Staat Rettungsaktionen gestartet hat. wirtschaft leben. Sie brauchen eine erhöhte Kauf- Warum führen Sie die Abgabe nicht ein? Sie sa- kraft. Aber Sie verhindern dies. Eigentlich sind wir gen heute, Frau Bundeskanzlerin Merkel, das kön- die Partei der kleinen und mittleren Unternehmen ne Deutschland nicht allein machen, sondern nur und nicht Sie. Sie tun bloß so als ob. die EU als Ganzes. Wirklich? Warum hat Schwe- (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des den das dann allein gekonnt? Denn Schweden, Abg. Jörg van Essen [FDP]) ebenfalls Mitglied der EU, hat eine solche Abgabe schon eingeführt. Warum kann in diesem Fall nicht – Herr van Essen, wenn Sie mir das nicht glauben, Deutschland einmal als Vorbild vorangehen? Im dann glauben Sie es doch wenigstens dem Direk- Übrigen plant auch der Präsident der Vereinigten tor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Staaten von Amerika, Obama, eine solche Abgabe Wirtschaft, Michael Hüther. Auch er schlägt jetzt in den USA. einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn vor. Er ist noch nicht bei der Höhe von 10 Euro, die (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Plant!) wir vorschlagen, angekommen. Aber abgesehen Nun folgen Sie doch wenigstens Obama in dieser davon kann man sagen, dass er immerhin diesen Frage, wenn Sie uns schon nicht folgen; das ist Weg vorschlägt. doch nicht zu viel verlangt. Frau Bundeskanzlerin, ich habe mich gewun- (Beifall bei der LINKEN) dert, dass Sie von Chancengleichheit geredet ha- ben. – Wo ist sie eigentlich? Ich sehe, dass sie im Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von Moment ihre Staatssekretäre betreut. Auch das ist 10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das nötig. ja; aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzah- (Heiterkeit bei der LINKEN) ler gezahlt. Wissen Sie auch, warum? Die Deut- Ich habe mich, wie gesagt, gewundert, dass Sie, sche Bank hatte eine Milliardenforderung gegen- Frau Bundeskanzlerin, von Chancengleichheit in über HRE. Wäre HRE in die Insolvenz gegangen, der Bildung gesprochen haben. Überall dort, wo hätte die Deutsche Bank keinen Gewinn gemacht; die Union regiert, werden die Kinder in der Grund- ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verluste zu schule nach der vierten Klasse getrennt. Wer Kin- 2724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 der nach der vierten Klasse trennt, der macht sabon gemacht. Wir haben Ihnen gesagt, sie sind nichts anderes als soziale Ausgrenzung. grundgesetzwidrig. Sie haben uns das selbstver- ständlich nicht geglaubt. Aber das Bundes- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- verfassungsgericht hat uns recht gegeben. Dann ordneten der SPD und des BÜNDNISSES haben Sie ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der gemacht. Wir haben Ihnen gesagt, es ist grundge- FDP) setzwidrig. Sie haben uns das selbstverständlich – Einen Moment, Herr Lindner. Hören Sie zu! Frau nicht geglaubt. Aber das Bun- Merkel und ich sind auf eine Gemeinschaftsschule desverfassungsgericht hat uns recht gegeben. Das gegangen. Ganz so blöde sind wir beide doch Gleiche wird übrigens mit dem Internetzensurge- nicht geworden. Oder wollen Sie das Gegenteil setz passieren. behaupten? Dann haben Sie – Sie von der Union waren nur (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN indirekt beteiligt – ein Hartz-IV-Gesetz beschlos- sowie bei Abgeordneten der SPD – sen. Wir haben Ihnen gleich gesagt, das ist grund- Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] gesetzwidrig. Sie haben es uns nicht geglaubt. [CDU/CSU]: Man kann nur sehen, wie Das Bundesverfassungsgericht hat es bestätigt. sich das unterschiedlich auswirkt!) Glauben Sie mir: Von den Linken können Sie in Bezug auf das Grundgesetz eine Menge lernen. Ihre Position kann ich überhaupt nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der Ich komme jetzt zu einem anderen Thema. Ob CDU/CSU) nun SPD oder die Union regiert, es ist immer das- selbe: Meine Partei wird vom Bundesamt für Ver- Passen Sie auf, jetzt kommt der Höhepunkt. fassungsschutz beobachtet. Obwohl das Bundesverfassungsgericht so ent- schieden hat, tönt die FDP, dass sie die Aufhe- (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist bei Ih- bung des Gesetzes nutzen will, um die Leistungen nen auch nötig!) für Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV- Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Das liegt Empfänger zu kürzen. daran, dass die Mitarbeiter dieses Amtes vom (Zuruf von der FDP: Lüge!) Grundgesetz keine Ahnung haben. Zum Teil tönen da noch andere mit. Ich sage Ih- (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder nen: Das ist ein Skandal. Es dauert leider lange, [CDU/CSU]: Das ist ja vergleichsweise bis das Bundesverfassungsgericht das aufheben harmlos zu dem, was die Bunte macht!) würde. Verabschieden Sie kein neues verfas- Aber wenn Sie das wollen, Herr Kauder, dann ver- sungswidriges Gesetz! Fragen Sie uns! Wir sagen suche ich, denen das Grundgesetz beizubringen. Ihnen, was im Grundgesetz steht. Wenn diese das Grundgesetz endlich verstehen (Beifall bei der LINKEN) würden, dann müssten sie sich eher um Sie und auch um die SPD kümmern. Wenn wir schon bei Hartz IV sind: Sie, Frau Merkel, sagen, Sie wollen den Zuverdienst erhö- (Beifall bei der LINKEN) hen. Wissen Sie, was Sie da anrichten? Sie sagen Denn eines muss ich Ihnen sagen: Während der damit doch permanent, die Leute sollen faktisch Großen Koalition sind so viele verfassungswidri- unentlohnt für einen kleinen Zuschuss arbeiten. ge Gesetze verabschiedet worden wie noch nie Davon haben nur die Unternehmen etwas. Ich ha- zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik be Ihnen schon von dem Mann erzählt, der fünf Deutschland. Dazu haben Sie einen Hang. Monate unentgeltlich ein Praktikum gemacht hat. Das nutzt natürlich diesem Unternehmen. Wollen (Beifall bei der LINKEN) Sie denn das Lohndumping immer weiter voran- Jetzt nenne ich Ihnen die Beispiele. Der Bun- treiben? Warum können wir nicht einmal einen an- despräsident hat zwei Gesetze, nämlich das Ge- deren Weg gehen: den Hartz-IV-Regelsatz wenigs- setz zur Privatisierung der Flugsicherung und das tens auf 500 Euro erhöhen, eine Kindergrundsi- Gesetz zur Reduzierung des Verbraucherschutzes, cherung machen und die demütigenden Sanktio- nicht unterzeichnet, weil sie offensichtlich – nicht nen streichen? nur verdeckt – grundgesetzwidrig waren. Dann sollten wir neu nachdenken und Arbeit (Dr. [CDU/CSU]: Was hat statt Arbeitslosigkeit bezahlen. das mit dem Verfassungsschutz zu tun?) Im Vergleich mit Frankreich, Großbritannien und Dann haben Sie eine Neuregelung zur Kilometer- Skandinavien haben wir den kleinsten öffentli- pauschale verabschiedet. Wir haben Ihnen gesagt, chen Dienst. Das spüren übrigens auch die Kom- das ist grundgesetzwidrig. Sie beide haben uns munen; da geht es um Lehrerinnen und Lehrer, um das selbstverständlich nicht geglaubt. Aber das Kindergärtnerinnen und Kindergärtner und ganz Bundesverfassungsgericht hat uns recht gegeben. viel sonstiges Personal. Es geht auch um die Jus- Dann haben Sie die Gesetze zum Vertrag von Lis- tiz und um die Polizei. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2725

(Widerspruch des Abg. Volker Kauder [CDU/ Jetzt haben Sie von der SPD einen entspre- CSU]) chenden Antrag eingebracht. Ich sage Ihnen heute schon, was passieren wird: Wir werden zustim- – Herr Kauder, wenn ich heute beim Verwaltungs- men, die Grünen werden zustimmen, die Union gericht Berlin-Brandenburg eine Klage einreiche, wird dagegenstimmen, und auch die FDP wird dann bekomme ich den ersten Termin in zwei Jah- dagegenstimmen. Damit machen Sie Politik un- ren. Das finden Sie normal? möglich. Was sagen Sie denn den Leuten? Als Sie (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer regiert in der Regierungsmehrheit waren, haben Sie denn da?) dagegengestimmt. Wenn Sie aber in der Oppositi- on, in der Minderheit, sind, stimmen Sie dafür. Die Wir brauchen in diesem Bereich mehr Beschäftig- FDP hat sich in der Opposition der Stimme enthal- te; denn die Qualität der Rechtsprechung hängt ten und stimmt in der Regierung dagegen. Was auch davon ab, dass sie zügig erfolgt und die Leu- sollen die Leute damit anfangen? te relativ schnell wissen, ob sie recht oder unrecht hatten. Herr Lindner hat nun in einer neuen Sendung gesagt, das werde bis Ende des Jahres geregelt (Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: werden. Herr Lindner, warum bis Ende des Jah- Nur, dass das Ländersache ist!) res? Die nächsten Sommerferien kommen im Juli. Da müssen wir neu nachdenken. Wir müssen Lassen Sie uns das doch vorher regeln, damit die den öffentlichen Dienst erweitern, und wir brau- Kinder diesbezüglich vor den Sommerferien Be- chen einen öffentlich geförderten Beschäftigungs- scheid wissen. sektor, wie es ihn in Berlin gibt und wie er in Bran- (Beifall bei der LINKEN) denburg geplant ist. In Berlin gibt es schon 7 600 entsprechende Stellen. Diese Leute verdienen Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, es sei wieder Geld, sie zahlen wieder Lohnsteuer und Ihnen gelungen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Beiträge in die Sozialkassen ein. Außerdem spa- Sie hätten aber auch sagen müssen, wodurch. Es ren wir auf der anderen Seite die Auszahlung von ist geschehen, indem die prekäre Beschäftigung Hartz IV. Was ist denn daran so schlimm? Sie ma- in einem Maße ausgebaut worden ist, das für diese chen etwas Vernünftiges und werden dafür be- Gesellschaft von größtem Nachteil ist. Bei der zahlt. Das ist der richtige Weg und nicht die Bezah- Vollzeitbeschäftigung gibt es 1,4 Millionen Stellen lung von Arbeitslosigkeit. Es gibt doch andere weniger. Bei der Teilzeitbeschäftigung gibt es in- Möglichkeiten. zwischen 5 Millionen Stellen, bei Minijobs 7,1 Millionen. Die Mehrfachbeschäftigung hat sich (Beifall bei der LINKEN) verdoppelt, und die Zahl befristeter Beschäfti- Jetzt lassen Sie mich noch auf einen speziellen gungsverhältnisse ist – das wurde gestern in der Fall eingehen, der mich – und eigentlich auch Sie, Tagesschau gemeldet – auf 2,7 Millionen gestie- Herr Kauder – seit August 2009 beschäftigt und gen. uns alle demnächst beschäftigen wird. Herr Kauder Dann gibt es noch die Aufstockerinnen und und ich waren zusammen mit Herrn Wowereit von Aufstocker, die Sie alle loben. Aufstockung ist doch der SPD, mit Herrn Brüderle von der FDP und mit aber eine Zumutung. Da arbeitet jemand Vollzeit, Herrn Kuhn von den Grünen bei Hart aber fair. Da verdient aber so wenig, dass er nicht davon leben trat eine Mutter auf, die sagte, dass sie nur teilzeit- kann, und dann kommt der Staat und übernimmt beschäftigt ist und zusätzlich Hartz IV bezieht. Ihre den Rest. Das ist ein Skandal. Wenn der Staat den Tochter hatte in den Ferien gearbeitet und sich mit Rest übernimmt, verführt das die Unternehmen dem verdienten Geld einen Traum erfüllt und eine doch dazu, ganz niedrige Löhne zu zahlen. Gitarre gekauft. Der Mutter wurde das Geld dann wieder abgezogen. (Beifall bei der LINKEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Wenn jemand vollzeitbeschäftigt ist, dann hat er haben Sie schon dreimal erzählt!) Anspruch auf einen Lohn, von dem er in Würde le- ben kann. Das ist unser Standpunkt. Alle, die in der Sendung anwesend waren, haben gesagt – auch Sie, Herr Kauder –, dass das korri- Wir haben, wie Sie gesagt haben, mit über 80 giert werden muss. Wir haben dann im September, Milliarden Euro die höchste Neuverschuldung, die noch in der vorigen Legislaturperiode, die Korrek- es je gab. Sie haben 900 Millionen Euro für die tur beantragt. Sie, meine Damen und Herren von Bundesagentur für Arbeit erst einmal gesperrt. der SPD, haben diesen Antrag zusammen mit der Jetzt sagen Sie, diese Mittel würden wieder zur CDU/CSU abgelehnt. Verfügung gestellt. Aber erst einmal sind sie ge- sperrt. Wenn sie gesperrt blieben, hieße das, dass (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist die ein Drittel der Jobcenter handlungsunfähig wäre Wahrheit!) und 10 000 Leute entlassen werden müssten. Was Die Grünen haben zugestimmt, wir haben zuge- sind da Ihre Pläne? stimmt, und die FDP hat sich der Stimme enthal- ten. 2726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Herr Bundesminister Rösler will jetzt zusätzlich Frau Bundeskanzlerin, Sie haben darauf hinge- eine Kopfpauschale von 29 Euro einführen. wiesen, dass sich morgen der 18. März 1990 zum 20. Mal jährt. Das stimmt. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!) (Heiterkeit bei der LINKEN) Sie behaupten im Ernst, das Ganze sei aufgrund Ich habe ein paar Fragen an Sie: Frau Bundes- eines Steuerzuschusses sozial gerecht, wobei ich kanzlerin, wann bekommen die Rentnerinnen und jetzt gar nichts dazu sagen möchte, dass Sie den Rentner im Osten endlich für die gleiche Lebens- Spitzensteuersatz ständig senken. Aber ernsthaft leistung die gleiche Rente wie die Rentnerinnen zu glauben, dass eine Friseuse und Herr Acker- und Rentner im Westen? Wann beantworten Sie mann das Gleiche für die Gesundheit bezahlen uns diese Frage? sollten, ist völlig absurd. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]) Wann, Frau Bundeskanzlerin, bekommt man im – Ja, das ist Ihre Idee. Für mich ist es aber ein völ- Osten den gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die lig absurder Gedanke. gleiche Arbeitszeit? Wann beantworten Sie uns diese Frage? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wann, Frau Bundeskanzlerin, ist die Arbeitslosig- Nun machen Sie mit der geplanten Einführung keit im Osten nicht mehr doppelt so hoch wie im einer Pauschale von monatlich 29 Euro einen ers- Westen? Wann, Frau Bundeskanzlerin, verhindern ten Schritt. Aber bitte fügen Sie hinzu, dass Sie wir, dass der Osten den Westen nach unten zieht, den Arbeitnehmerbeitrag für Zahnersatz und Kran- wie das heute der Fall sein soll? Wann hört es auf, kenhauskosten in Höhe von 0,9 Prozent des Ein- dass der Osten die Begründung – dies ist eine fal- kommens streichen wollen. Stattdessen wollen Sie sche Begründung – für den Sozialabbau im Wes- die 29 Euro kassieren. Das bedeutet für jemanden, ten ist? Wer ein vereintes Deutschland will, muss der 1 500 Euro im Monat verdient, dass er rund gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West her- 10 Euro mehr zahlen muss. Jemand, der stellen und aufhören, Ost und West gegeneinander 3 700 Euro im Monat verdient, muss 5 Euro weni- auszuspielen. ger zahlen. Es ist die alte Leier: Immer wieder wird eine Umverteilung von unten nach oben organi- (Beifall bei der LINKEN) siert. Etwas anderes kennen Sie nicht. Zum Schluss sage ich Ihnen: Wenn wir in dieser (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- Gesellschaft soziale Gerechtigkeit wollen, kommen ordneten der SPD und des BÜNDNISSES wir um Steuergerechtigkeit nicht umhin. Wer nicht 90/DIE GRÜNEN) den Mut hat, Steuergerechtigkeit herzustellen, der wird niemals in der Lage sein, soziale Gerechtig- Das ist ein Zeichen der Entsolidarisierung. Mir ist keit herzustellen, sondern er wird immer nur be- es wichtig, hinzuzufügen: Natürlich brauchen wir gründen, weshalb dies nicht gehe und was alles eine Bürgerversicherung, weil dann jede und jeder dagegenspreche, und das zerstört diese Gesell- seinem Einkommen entsprechend herangezogen schaft. Es gab noch nie so viele Außenstehende wird. Nur das ist gerecht und nichts anderes. wie jetzt. Es gab noch nie so viel Armut in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Deutschland wie jetzt. Wenn Sie daran weiter ar- neten der SPD) beiten, dann zerstören Sie die eigenen Grundla- gen, auf die Sie bauen. Herr Bundesminister Rösler, zu Ihrem Vorha- ben, die Arzneimittelpreise zu senken: Sie wis- Frau Bundeskanzlerin, Sie werden verstehen: sen doch selbst, dass das ein Schuss nach hinten Wir können dem Etat Ihres Bundeskanzleramts ist; das kann nicht funktionieren. Warum organisie- beim besten Willen nicht zustimmen. Ich kann es ren Sie nicht einfach eine Preiskontrolle und eine nicht ändern. Festlegung der Preise durch den Staat, damit die (Anhaltender Beifall bei der LINKEN) Konzerne zwar einen angemessenen Gewinn er- zielen, aber keine riesigen Profite machen kön- nen? Was wäre daran so schlimm? Jetzt sagen Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie, die gesetzlichen Krankenkassen sollen im Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Nachhinein mit der Pharmaindustrie verhandeln. Birgit Homburger. Dabei sind die Krankenkassen in einer viel schwä- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) cheren Position als die Pharmaindustrie, sodass nichts dabei herauskommt, außer dass die Phar- Birgit Homburger (FDP): maindustrie nach wie vor die vollständige Preis- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dominanz hat. Wir beraten in dieser Woche den Bundeshaushalt (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) 2010. Dieser Bundeshaushalt ist ein Dokument der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2727

Handlungsfähigkeit und auch der Entschlossenheit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dieser Koalition. Wir haben einen neuen Schwerpunkt bei Bil- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La- dung und Forschung gesetzt. Das wird schon im chen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Haushalt 2010 sichtbar: 750 Millionen Euro zusätz- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich für Bildung und Forschung. In Summe haben NEN]: Unentschlossenheit! – Thomas Op- wir uns vorgenommen, 12 Milliarden Euro mehr in permann [SPD]: 80 Milliarden Schulden!) diesen Bereich zu investieren. Wir wollen in die Wir haben eben von Herrn Steinmeier und Herrn Köpfe, in die Chancen der jungen Generation in- Gysi gehört, was wir alles falsch machen. Ich vestieren. Wir werden noch in diesem Jahr den möchte Ihnen von der SPD deutlich machen, was Start des Stipendienprogramms haben. Ich sage Ihre Politik von unserer Politik unterscheidet. auch ganz deutlich: Wir werden mehr tun im Be- reich Forschung. Das ist dringend notwendig, auch (Joachim Poß [SPD]: Ach! Das ist jetzt span- im Hinblick auf die Energiepolitik. Hier ist heute zu nend!) Recht gesagt worden, dass wir das Zeitalter der Sie haben einen Rettungsschirm für Banken auf regenerativen Energien erreichen wollen. Wir wer- den Weg gebracht. Sie haben Steuergelder für den alles tun, damit die notwendige Forschung, General Motors ausgegeben, und Sie haben eine beispielsweise im Bereich Speichertechnologien, Abwrackprämie für alte Autos eingeführt. Wir durchgeführt wird, damit wir dieses Ziel erreichen. spannen jetzt einen Arbeitnehmerschutzschirm, wir (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) entlasten die Bürgerinnen und Bürger, und wir täti- gen mehr Investitionen im Bereich Bildung und Herr Steinmeier, Sie haben uns vorhin vorge- Forschung. Das ist der Unterschied, der diese worfen, wir hätten in diesem Haushalt nicht genü- Koalition ausmacht. gend gekürzt. Unsere Haushaltspolitiker haben in diesem Parlament 310 Kürzungsvorschläge vorge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) legt. Wir haben 500 Mil-lionen Euro zusätzlich bei Auch wenn dieser Haushalt noch ein Stück weit der Verwaltung eingespart. Ich möchte Sie an die- geprägt ist von einer Übergangsstruktur, ist es ser Stelle einfach nur bitten, sich diesen Haushalt doch so, dass man ihm im Kern schon ansieht, noch einmal genau anzuschauen. Ich kann mir dass er eine andere Schwerpunktsetzung hat, überhaupt nicht vorstellen, dass Sie hier einen fal- schen Vorwurf in den Raum stellen wollten, was (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie vorhin aber getan haben, als Sie behaupteten, Mehr Schulden ist euer Schwerpunkt!) wir würden über 900 zusätzliche Stellen schaffen. dass für uns die Menschen im Mittelpunkt stehen, In Summe werden wir am Ende des Jahres 2010 – Herr Bonde. Das zeigt sich zunächst an dem, was auch das muss die Öffentlichkeit erfahren –, weil wir im Januar auf den Weg gebracht haben, am wir in anderen Bereichen Stellen streichen, Familienförderungsgesetz, an der Entlastung der 581 Stellen weniger haben. Das heißt, wir sparen. Bürgerinnen und Bürger, vor allem der Familien in Zusätzlich haben wir eine 1-prozentige Kürzung in diesem Land. Endlich haben die Familien wieder diesem Haushalt für die Zukunft beschlossen. Das mehr Geld in der Tasche. ist die Wahrheit und nicht das, was von Ihnen, Herr Steinmeier, erzählt worden ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Herr Bonde, wir haben Impulse für mehr Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Wachstum und Beschäftigung gegeben, indem GRÜNEN]: Den Struck’schen Bundes- wir Fehler bei der Gewerbesteuer und der Erb- wehrabbau rechnet ihr euch schön!) schaftsteuer korrigiert haben. Ich sage Ihnen ei- nes: Das Sozialste, was man überhaupt tun kann, Die Nettokreditaufnahme wurde angespro- ist, dafür zu sorgen, dass Menschen eine Chance chen. Ja, die ist verdammt hoch. Auch wir würden auf Arbeit haben. Wenn wir das wollen, dann müs- uns wünschen, das wäre anders. Die Bundeskanz- sen wir auch dafür sorgen, dass die Entlastungen, lerin hat das Nötige dazu schon gesagt. Ich möch- die wir im steuerlichen Bereich vorgenommen ha- te aber trotzdem deutlich machen, dass wir im ben, nicht durch höhere Beiträge zu den Sozial- Rahmen der Haushaltsberatungen im Vergleich versicherungen wieder aufgefressen werden. Des- zum ersten Entwurf noch einmal 6 Mil-liarden Euro halb haben wir den Zuschuss zur Krankenversi- zusätzlich eingespart haben. cherung erhöht und einen Zuschuss zur Arbeitslo- Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die FDP senversicherung vorgesehen. Das alles bedeutet hat in ihrer Zeit in der Opposition hier im Deut- nichts anderes, als dass wir die Lohnzusatzkosten schen Bundestag regelmäßig ein Sparbuch vorge- stabil halten. Das ist ein Schutzschirm für die Ar- legt. Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und beitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bedeutet Kollegen von der Opposition, haben hier nur ein Mehr an Chancen auf Arbeitsplätze in diesem Wunschlisten vorgelegt. In Summe haben Sie Land. Das haben wir hier im Deutschen Bundestag 56 Milliarden Euro Mehrausgaben beantragt. Das, verabschiedet. 2728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 was Sie hier vorschlagen, ist keine verantwortliche Wir haben jetzt eine Regierungskommission ein- Politik. gesetzt und werden uns dieser Aufgabe stellen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Zuruf des Abg. Alexander Bonde [BÜND- ten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: NIS 90/ DIE GRÜNEN]) Unglaublich!) – Lieber Herr Bonde, Sie fordern die Wahrheit ein. Die Sozialstaatsdebatte, die wir auch in diesem Hause führen, geht von einem Urteil des Bundes- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verfassungsgerichts aus. NEN]: Ja!) Die Wahrheit ist, dass die Grünen zusätzliche Präsident Dr. Norbert Lammert: Ausgaben in Höhe von 14 Milliarden Euro bean- Frau Kollegin Homburger, lassen Sie eine Zwi- tragt haben. Würden wir Ihren Vorschlägen folgen, schenfrage der Kollegin Hagedorn zu? dann hätten wir am Ende eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro; das schlagen Sie vor. Birgit Homburger (FDP): (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Ich bin mit meiner Rede schon ein Stück weiter. GRÜNEN]: Unfug! 7,5 Milliarden Euro Ich möchte an dieser Stelle meinen Gedanken fort- weniger Neuverschuldung haben wir euch führen. vorgeschlagen!) Wie gesagt, wir haben, ausgehend von einem Die Linken haben zusätzliche Ausgaben in Höhe Bundesverfassungsgerichtsurteil, eine Sozial- von 41 Milliarden Euro beantragt. Ich wiederhole staatsdebatte angestoßen. Jetzt möchte ich Herrn es: 41 Mil-liarden Euro. Daneben sehen die zu- Gysi direkt ansprechen, weil er hier Unwahrheiten sätzlichen Ausgaben in Höhe von 840 Millionen verbreitet: Euro, die die SPD beantragt hat, bescheiden aus. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Joachim Aber das war natürlich vor den Hartz-IV- Poß [SPD]: Das machen Sie!) Beschlüssen. Verantwortliche Haushaltspolitik ma- chen in diesem Hause genau zwei Fraktionen: die Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil ge- FDP und die CDU/CSU-Fraktion. sprochen, und es hat mitnichten die Erhöhung der Regelsätze bei Hartz IV gefordert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist ja unglaublich!) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hat er nicht behauptet!) Herr Steinmeier, Sie haben hier Krokodilstränen über den Zustand der Finanzen der Kommunen Im Gegenteil: Es hat deutlich gesagt, dass das, geweint. was dort von der Gemeinschaft geleistet wird, nicht evident unzureichend sei. Allerdings haben die (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE SPD, Sie und auch die Grünen sofort – die Be- GRÜNEN]: Krokodilstränen?) gründung in Karlsruhe war noch nicht abgeschlos- An dieser Stelle möchte ich Ihnen sagen: Das be- sen – höhere Regelsätze bei Hartz IV gefordert. schäftigt uns alle. Ich unterstelle das jedem in die- (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das haben sem Haus. Allerdings wissen wir alle, dass das wir schon vorher gefordert!) Problem der kommunalen Finanzen vor allen Din- gen darin liegt, dass sie extrem konjunkturabhän- Im Gegenzug wird uns vorgeworfen – gerade gig sind. eben wieder von Herrn Gysi von diesem Pult aus – , wir wollten eine Senkung der Regelsätze. Ich hal- (Joachim Poß [SPD]: Das ist Quatsch! Wir ha- te in diesem Hohen Hause auch für die Öffentlich- ben sie stabiler gemacht!) keit fest: Keiner aus der FDP-Bundestagsfraktion Wir haben seit Jahren immer wieder deutlich ge- will eine Absenkung der Regelsätze von Hartz IV. macht, dass wir hier eine Veränderung, eine Stabi- Wir wollen eine neue Balance des Sozialstaats. lisierung der Finanzierung der Kommunen brau- Dafür werden wir uns einsetzen. chen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- (Joachim Poß [SPD]: Sie machen genau das ten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkel- Gegenteil!) mann [DIE LINKE]: Herr Lindner hat in meinem Beisein etwas anderes gesagt!) Sie haben elf Jahre lang regiert, Herr Poß – schreien Sie hier nicht einfach nur dazwischen –, Wenn die Aussage: „Wer arbeitet, muss mehr und Sie haben sich überhaupt nicht um die Kom- haben als der, der nicht arbeitet“, eine solche munen gekümmert. Selbstverständlichkeit ist – so wird es hier immer wieder vorgetragen –, dann frage ich mich, warum (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das ist unglaub- so viele Menschen in diesem Land denken, dass lich! Sie müssen sich der Aufgabe stel- es richtig ist, dass wir über genau diese Frage dis- len!) kutieren und Veränderungen herbeiführen wollen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2729

Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, dass (Jörg van Essen [FDP]: Pfui! – Weitere Zurufe an dieser Stelle etwas nicht stimmt. von der FDP: Unglaublich! – Unerhört!) (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Richtig! Die Sehr geehrter Herr Steinmeier, Sie haben vorhin Löhne sind zu niedrig!) gesagt, wir sollten aufpassen, dass nicht Werte verloren gehen. Ich glaube, Sie haben allen Grund, Ich frage Sie: Wenn es eine solche Selbstverständ- in Ihrer Partei aufzupassen, dass Sie sich nicht da- lichkeit ist, warum gibt es dann diese massiven ran beteiligen, dass Werte in diesem Land verloren Angriffe? Herr Steinmeier, Sie sind beispielsweise gehen. in einer Meldung der dpa zitiert worden, laut der Sie gesagt haben: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Westerwelle verfalle immer stärker in einen Wer mit einer Partei koaliert, die in einigen Län- „aggressiven Rechtspopulismus“, … dern und auch im Bund vom Verfassungsschutz überwacht wird, Ich kann Ihnen, lieber Herr Steinmeier, nur sa- gen: Wenn Sie da richtig zitiert worden sind – das (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Was ist ein Zitat vom 23. Februar dieses Jahres aus ei- ein großer Skandal ist! – Jörg van Essen ner Meldung der dpa –, wenn die SPD Leistungs- [FDP]: Aus gutem Grunde! – Joachim gerechtigkeit inzwischen als Rechtspopulismus be- Poß [SPD]: Wovon reden Sie denn da?) trachtet, dann sind Sie verdammt weit von den und wer zukünftig offensichtlich auch in Nordrhein- Menschen entfernt und vor allen Dingen auf dem Westfalen eine solche Koalition anbahnen will – Weg weit nach links. das ist ja im Augenblick zu beobachten –, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Stuss!) der CDU/CSU) der sollte einer Partei, die unzweifelhaft auf dem Boden des Grundgesetzes steht, Ich will eine Bemerkung zu dem Vorwurf der (Joachim Poß [SPD]: Das gilt aber nicht für je- Verfassungsfeindlichkeit machen, der von meh- de Äußerung!) reren gegenüber der FDP erhoben worden ist. einer Partei, die die Bundesjustizministerin stellt, (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: In wel- einer Partei, die beim Bundesverfassungsgericht chem Zusammenhang?) gerade mehrere Klagen gewonnen und recht be- – Vor allen Dingen im Zusammenhang mit Hartz IV kommen hat, nicht unterstellen, sie sei verfas- und mit den Aussagen von Herrn Westerwelle. – sungsfeindlich. Ich fordere Sie auf, zur sachlichen Dazu hat sich auch Herr Gabriel geäußert. Auseinandersetzung zurückzukehren. (Jörg van Essen [FDP]: Wo ist er eigentlich?) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Sie haben ein ge- Herr Steinmeier, vielleicht können Sie einmal erklä- störtes Verhältnis zum Sozialstaat!) ren, wo Herr Gabriel ist. Auf allen Kanälen pöbelt er durch die Gegend, seine Präsenz hier im Par- Eine letzte Bemerkung in diesem Zusammen- lament: Fehlanzeige. Ich frage mich: Hängt das mit hang. Ich war entsetzt, als ich feststellen musste, dem Verhältnis zwischen Ihnen beiden zusammen, was alles in diesem Land inzwischen ohne öffentli- oder ist das schlicht Missachtung des Parlaments, chen Aufschrei hingenommen wird. was Herr Gabriel da betreibt? (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – GRÜNEN]: Das sehen wir bei der Neu- Zuruf von der LINKEN: Gabriel ist wenigs- verschuldung auch so!) tens nicht verfassungsfeindlich!) Auf einer Veranstaltung ist eine Laudatio auf eine Herr Gabriel hat am 9. März im WDR, damit Sie Journalistin gehalten worden. In dieser Laudatio gleich nicht nachfragen müssen, Herr Steinmeier, wurde der Satz gesagt – ich zitiere –: erklärt – ich zitiere –: Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Na- Herr Westerwelle handelt verfassungswidrig, zis im Nadelstreifen, die Sarrazins, die Wes- ja verfassungsfeindlich. terwelles … Zitat Ende. Weiterhin hat er über die FDP gesagt – (Jörg van Essen [FDP]: Unglaublich! – in einem Wortlautinterview in der Leipziger Volks- Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS zeitung nachzulesen –: 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das ge- sagt?) … die sind jung, … gnadenlos, … und sie sind verfassungsfeindlich … Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Dass ein solches Zitat Ende. Zitat in einer öffentlichen Veranstaltung ungerügt bleibt, dass es auch noch in einer Zeitung abge- 2730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 druckt wird, das geht gegen jegliches Gefühl der ben: Wir haben dafür gesorgt, dass derjenige, der Demokratie. Hartz IV bezieht und mehr tut, auch mehr Geld be- halten darf. Wir haben das Schonvermögen von (Joachim Poß [SPD]: Worüber reden Sie 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr verdrei- denn jetzt? – Claudia Roth [Augsburg] facht. Wir wollen die Hinzuverdienstmöglichkeiten [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat verbessern. Wir wollen, dass die Sozialversiche- denn das gesagt?) rungsbeiträge im unteren Einkommensbereich nur Ich erwarte, dass wir von der persönlichen Diffa- langsam ansteigen. Damit tun wir etwas für diese mierung wegkommen, dass wir die politische Kul- Menschen. tur in diesem Lande gemeinsam bewahren, Herr Scholz hat am Montag dieser Woche das (Bettina Hagedorn [SPD]: Wer hat das gesagt, Konzept der SPD vorgestellt. Herr Scholz, warum Frau Homburger?) sind Sie mit diesen Ideen nicht im letzten Jahr ge- kommen, als Sie als Bundesarbeitsminister Ver- dass es in einem solchen Fall einen Aufschrei der antwortung für diesen Bereich getragen haben? Demokraten gibt und wir gemeinsam die Verfas- Wenn man erkannt hat, dass man etwas ändern sung verteidigen. muss, muss man die Änderungen auf den Weg (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bringen, wenn man Verantwortung hat. Das haben NEN]: Wer hat das denn gesagt?) Sie nicht getan. Was Sie jetzt vorschlagen, ist eine Generalrevision der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik. Das erwarte ich von allen Mitgliedern dieses Hau- ses. Ich erwarte, dass auch Sie dagegen aufste- (Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt ja gar nicht! hen. Das ist absurd, was Sie da erzählen!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sie wollen rückwärts in die Zukunft gehen. Sie Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS schlagen unter anderem vor, staatlich finanziert ei- 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer nen zweiten Arbeitsmarkt von Zwischenfrage) 200 000 Arbeitsplätzen aufzubauen. Das würde nichts anderes bedeuten, als dass Sie zusätzliche Ich mache noch einige wenige Bemerkungen Kosten von über 3 Milliarden Euro irgendwo im zum Thema Hartz IV; dieses Thema wurde schon Haushalt unterbringen müssten. angesprochen. (Bettina Hagedorn [SPD]: In einem zwei- Vizepräsident Dr. h. c. : ten Arbeitsmarkt ist das Geld besser an- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage gelegt als bei den Hoteliers!) des Kollegen Beck? Damit verbunden ist ein Zweites: Sie haben die Menschen offensichtlich aufgegeben. Eine solche Birgit Homburger (FDP): Politik machen wir nicht mit. Wir wollen eine Politik, Nein, Herr Kollege. Ich würde gerne weiterma- die den Menschen Chancen auf dem ersten Ar- chen. beitsmarkt, auf sozialversicherungspflichtige Be- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE schäftigung eröffnet. GRÜNEN]: Wir wollen wissen, von wem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten das Zitat ist! – Claudia Roth [Augsburg] der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie wollen, dass nicht für 12, sondern für 24 Sie doch endlich mal, wer das gesagt hat! – Joachim Poß [SPD]: Sie müssen Ross Monate Arbeitslosengeld I gezahlt wird. Sie lassen unbeantwortet, wie Sie die damit einhergehende und Reiter nennen! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie Erhöhung der Zusatzkosten in der Arbeitslosen- versicherung finanzieren wollen. Ihr Vorschlag hät- uns doch, von wem das Zitat ist!) te nichts anderes zur Folge, als dass Arbeit wieder – Ja, das werde ich gerne tun. teurer würde. Eine Politik für Arbeitnehmerinnen (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS und Arbeitnehmer sieht anders aus als das, was 90/DIE GRÜNEN]: Na los! Das ist ja wohl Sie vorschlagen, meine sehr verehrten Damen und ein Hammer! – Joachim Poß [SPD]: Ross Herren. Was Sie zu Hartz IV vorschlagen, das ist und Reiter nennen! – Dr. Barbara Hend- kein sozialpolitisches Konzept, das ist eine koaliti- ricks [SPD]: Sie kaufen uns den Schneid onspolitische Offenbarung. nicht ab! – Beifall bei Abgeordneten der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten SPD) der CDU/CSU) Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der Für uns stehen bei der Neuregelung von Hartz-IV-Debatte machen, die wir in diesem Hau- Hartz IV die Kinder im Mittelpunkt. se geführt haben und die wir weiterhin führen müs- sen. Ich sage zunächst einmal: Wir haben zwi- (Bettina Hagedorn [SPD]: Ach!) schenzeitlich umgesetzt, was wir angekündigt ha- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2731

– Frau Kollegin, die FDP hat schon in den letzten Wir wollen Politik für die Arbeitnehmerinnen und Jahren gesagt, dass der Satz für Kinder nicht vom Arbeitnehmer machen. Deswegen haben wir vor- Regelsatz für Erwachsene abgeleitet werden kann. geschlagen, dass ein einkommensunabhängiger Kinder sind eigene Persönlichkeiten mit eigenen Arbeitnehmerbeitrag erhoben wird – mit einem so- Bedürfnissen. Das Bundesverfassungsgericht hat zialen Ausgleich. das noch einmal deutlich gemacht. Es hat uns den Wir wollen, dass die Lohnzusatzkosten nicht weiter Auftrag gegeben, das neu zu regeln. Diese Neure- steigen. Das, was Sie in der Vergangenheit vorge- gelung ist notwendig, weil Ihr Gesetz nicht beste- schlagen haben, hat zu mehr Bürokratie geführt. hen konnte. Wir werden diese Neuregelung vor- Es hat zu Einschränkungen der Wahlfreiheit ge- nehmen. Es geht uns darum, mehr Chancenge- führt. Es hat das Arzt-Patienten-Verhältnis belas- rechtigkeit am Start zu erreichen. Bildung ist nun tet. Das, was diese Koalition jetzt macht, sehr ver- einmal der Schlüssel zu sozialem Aufstieg. Wir ehrter Herr Steinmeier, bedeutet mehr Solidarität wollen Hartz-IV-Karrieren vermeiden. und auch mehr Gerechtigkeit, (Bettina Hagedorn [SPD]: Und das wollen (Widerspruch bei der SPD) Sie machen, indem Sie 900 Millionen Eu- ro für Eingliederungsmaßnahmen sper- weil nach unserer Auffassung Gerechtigkeit nicht ren?) an der Beitragsbemessungsgrenze aufhört, son- dern alle umfassen muss. Deshalb wollen wir den Wir wollen alles dafür tun, dass die Hilfe für Kinder Sozialausgleich über das Steuersystem. auch bei den Kindern ankommt. Deshalb wollen wir nicht nur Geld, sondern auch Sachleistungen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wie Bildungsgutscheine geben. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Natürlich beschäftigt sich diese Koalition in er- der CDU/CSU) heblicher Art und Weise auch mit der Finanz- marktkrise. Wir versuchen, einerseits die Folgen Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: der Finanzmarktkrise abzumildern, andererseits Natürlich bleibt die Entlastung der Mittelschicht aber auch dazu beizutragen, dass so etwas nicht auf der Agenda. Das ist eine Selbstverständlich- wieder passieren kann. Jetzt ist die Frage: Wie keit. Das eine gehört zum anderen: Denen zu hel- kann man das aufarbeiten? In Düsseldorf beginnt fen, die Hilfe benötigen, gehört genauso auf die – das ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbe- Agenda, wie denen zu helfen, die das erwirtschaf- achtet geblieben – der erste Prozess gegen den ten, was dann verteilt wird. Deswegen wollen wir Manager einer Bank. Wenn jemand schuldhaft ge- gerade für die Mittelschicht Entlastungen auf den handelt hat, dann soll Schadensersatz geltend Weg bringen. gemacht werden können. (Joachim Poß [SPD]: Genau genommen für (Joachim Poß [SPD]: Das gibt das gel- den Schweizer Mittelstand!) tende Recht her! Das geht schon nach Wir haben uns vorgenommen, das Steuerrecht geltendem Recht!) zu vereinfachen. Das ist ein zentrales Anliegen vie- Deswegen überlegen wir, beispielsweise die zivil- ler Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen, dass die rechtliche Verjährungsfrist zu verlängern, weil wir Steuern bei unteren und mittleren Einkommen wei- mehr Zeit brauchen, um eine entsprechende Prü- ter gesenkt werden. Wir werden uns die Spielräu- fung vornehmen zu können. me dafür im nächsten Haushalt hart erarbeiten müssen. Aber wir wollen Impulse geben gegen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Schwarzarbeit, Impulse für mehr Leistungs- der CDU/CSU) gerechtigkeit und nicht zuletzt für mehr Fairness Wir wollen diejenigen zur Verantwortung ziehen, des Staates im Umgang mit seinen Bürgerinnen die tatsächlich Verantwortung getragen haben. und Bürgern. Das ist der Kern der Sache. Herr Steinmeier, wenn (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Sie sich hier hinstellen und sagen, wir sollen CDU/CSU) Hedgefonds verbieten und Ratingagenturen an die Kette legen, dann nehmen wir das zur Kenntnis. Herr Steinmeier, wenn Sie die Gesundheitsre- Aber wer hat denn elf Jahre lang den Bundesfi- form kritisieren, dann will ich Ihnen deutlich sagen: nanzminister gestellt? Wer hat denn die Hedge- Sie haben unser Modell in keiner Weise verstan- fonds eingeführt? Sie waren das; Ihre Regierung den. war das, Herr Steinmeier. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- haben doch noch gar nichts vorgelegt! – ten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Steinmeier [SPD]: Wir sollen die Rating- NEN]: Ich denke, Sie machen eine Kom- agenturen eingeführt haben? Das ist doch mission!) gaga! – Joachim Poß [SPD]: Sie waren doch mehr dafür als wir!) 2732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Sie haben das zugelassen. Sie hätten das, was wältigen. Deshalb werden wir gemeinsam in dieser Sie jetzt aus der Opposition heraus fordern, in den Koalition für Deutschland eine neue Balance zwi- letzten Jahren korrigieren können, wenn Sie es schen Freiheit und Sicherheit finden. denn angegangen wären. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Der Kern des Problems ist, dass wir Verantwor- der CDU/CSU) tung und Haftung zusammenbringen müssen. Das Wir wollen eine Politik für die Bürger machen. bedeutet, dass wir dem Prinzip des ehrbaren Wir wollen einen fairen Umgang des Staates mit Kaufmanns wieder Geltung verschaffen müssen. den Bürgern. Wir setzen dabei auf den mündigen Wir als FDP und ebenso die CDU/CSU haben uns Bürger und wollen eben keinen Vormundschafts- über viele Jahre immer wieder für die Familienun- staat mit Rundumbetreuung. Wir wollen mehr ternehmen in diesem Land eingesetzt, weil wir Chancen auf Bildung und Aufstieg, und wir wollen wissen, dass dort Haftung und Verantwortung, das die Kraft der Freiheit zum Wohle dieses Landes Tragen des Risikos in einer Hand liegen und dass nutzen. man hier mit Risiken anders umgeht als in anderen Bereichen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Wir arbeiten an einem neuen Aufbruch für CDU/CSU) Deutschland, und egal, ob Sie mitmachen oder sich dagegenstellen: Wir werden es für unser Land Wir wollen hier Änderungen. Managerboni müs- schaffen. sen sich stärker an der langfristigen Entwicklung orientieren. Die Vergütung muss vor allen Dingen (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei so gestaltet sein, dass es im Verlustfall auch Ab- der CDU/CSU) züge gibt, nicht nur Boni. Wir wollen mehr Trans- parenz und Verständlichkeit der Finanzprodukte. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir wollen, dass Regeln endlich eingehalten wer- Das Wort hat nun Renate Künast für die Frakti- den. Es ist nicht so, dass es für den Finanzmarkt on Bündnis 90/Die Grünen. keine Regeln gibt. Es ist jedoch so, dass Sie die Aufsicht zersplittert haben. Wir haben jetzt ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meinsam beschlossen, dass die Bankenaufsicht in einer Hand zusammengeführt wird: bei der un- Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): abhängigen Bundesbank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt, hier und heute sollte es eigentlich um die Zukunft (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE der Menschen in diesem Land und um die Zukunft GRÜNEN]: Die Banker können es ja nicht Deutschlands gehen. Das ist Ihr erster Haushalt in gewesen sein, oder?) einer schwarz-gelben Regierung, Frau Bundes- Damit garantieren wir, dass Regeln zukünftig ein- kanzlerin. – Wahrscheinlich hat sie schon das Wei- gehalten werden und dass jemand darüber wacht, te gesucht. der davon Ahnung hat. Das ist das Ziel dieser Koa- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lition. Nein, sie redet da hinten mit Ramsauer!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Es wäre ja auch nicht schlecht, wenn sie auf der der CDU/CSU) Regierungsbank sitzen würde. Wir werden in diesem Hause weiter über das (Joachim Poß [SPD]: Ramsauer ist in Sonder- Thema Bürgerrechte zu sprechen haben. Das behandlung!) Bundesverfassungsgericht hat uns gerade einen weiteren Auftrag zum Thema Vorratsdatenspeiche- Das ist der erste Haushalt einer neuen Bundesre- rung erteilt. Es hat nämlich festgestellt, dass die gierung, und an dieser Stelle schauen wir einmal Vorratsdatenspeicherung in der Art und Weise, wie ganz genau, was dieser Haushalt bringt und ob Sie sie vorgenommen wurde, verfassungswidrig und den Mut und die Kraft haben, die Ziele zu zeigen, nichtig ist, dass die Datensammelwut unver- also zu zeigen, wo der Weg in Deutschland hinfüh- hältnismäßig ist. Es waren erneut Liberale, die den ren soll. Das wäre ja eigentlich Ihre Aufgabe, Frau Schutz der Freiheit und der Bürgerrechte beim Merkel. Bundesverfassungsgericht erstritten haben. Nachdem ich hineingeschaut und Ihre Rede (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: heute gehört habe, sage ich Ihnen ganz klar: Sie Steuer-CD!) haben in Ihrer Erklärung vorhin erneut nicht be- gründet, was den Sinn Ihrer Kanzlerschaft ausma- Es ist festzuhalten, dass es keinen Sicherheits- chen soll. gewinn geben wird, wenn man die Daten von 80 Millionen Deutschen systematisch zu erfassen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gedenkt, allerdings dabei den Blick für konkrete bei der SPD) Gefahren verliert. Die Bedrohung der Freiheit ist durch die Einschränkung der Freiheit nicht zu be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2733

Sie reden über neues Denken, aber welches neue die Interessen Deutschlands? Stattdessen hat ges- Denken soll das denn eigentlich sein? Welches tern Herr Brüderle angekündigt – für die, die es Ziel und welche Leitbilder haben Sie? nicht wissen: Er ist Bundeswirtschaftsminister –, eine Außenwirtschaftsoffensive zu starten. Dies Sie wollten hier zum Sozialen reden. Das haben wolle er vornehmlich mit Delegationsreisen tun. Ich wir nicht vergessen, Frau Merkel, weil wir ja nicht sehe nicht ein, warum wir das Gleiche zweimal be- an retrograder Amnesie leiden. Sie haben vor Wo- zahlen sollen. chen, als Ihr Vizekanzler mit der Sozialhetzedebatte begonnen hat, gesagt, diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Debatte werde hier im März bei der Haus- bei der SPD) haltsberatung geführt. Sie haben an dieser Stelle Wie wäre es denn gewesen, wenn an der Stelle aber faktisch kein einziges Wort der Klarheit und der Bundesaußenminister etwas gegen die Zu- der Stellungnahme dazu gesagt. nahme von Rüstungsexporten und gegen die Kon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zentration auf das Wirtschaftliche statt auf das bei der SPD) Ethische bei den Rüstungsexporten gesagt und getan hätte? Da hat einer suggeriert, er habe Tabus brechen wollen, obwohl man wirklich sagen muss: Seit Jah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ren diskutiert fast das ganze Land über die Frage, Wie wäre es denn gewesen, Herr Westerwelle, wie der Sozialstaat am besten organisiert werden statt Zusagen nicht einzuhalten – ich will nur die soll – nur eben noch nicht auf dem Niveau von 420 Millionen Euro, die in Kopenhagen zusätzlich Guido Westerwelle. versprochen wurden, erwähnen –, wenn Sie dafür (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gekämpft hätten, dass das in diesem Haushalt bei der SPD) umgesetzt wird? Dann hätte man klar sagen kön- nen: Jetzt geht es los. Auf diese Weise wären Sie Wo waren Ihre Aussagen dazu, wie es denn nun vielleicht Ihrem Ziel und unser aller Ziel näher ge- gehen soll? Sie schweigen weiter. kommen, einen Sitz für Deutschland im UN- Wo waren Ihre Klarheit hinsichtlich der Reisetä- Sicherheitsrat zu erhalten. Sie bekommen dafür tigkeit des Bundesaußenministers und Ihre Aussa- doch keine Unterstützung, wenn Sie Zusagen nicht ge dazu? Es hat mich schon verwundert, dass Sie einhalten. an dieser Stelle, da Sie doch über neues Denken (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- reden, nichts dazu sagen, was eigentlich die kultu- wie bei Abgeordneten der SPD) relle Anmutung einer Regierungstätigkeit sein soll. Ist es okay, dass jemand wie Herr Lindner sagt, Wie wäre es mit weiteren Aktivitäten in Bezug Spitzenpolitiker hätten halt Netzwerke, die sie pfle- auf die UN und Afghanistan? Wie wäre es mit ein gen? Warum haben Sie an der Stelle nicht klar ge- bisschen Europapolitik? Wie wäre es mit Aussagen sagt: Das können Sie gerne tun, aber nicht als Mit- dazu, wie wir mit einem EU-Währungsfonds um- glied dieser Bundesregierung, und hier haben Sie gehen? Was sagen wir zu Griechenland? Frau sich aus den Netzwerken Ihrer Finanzbeschaf- Merkel, ich habe mich wirklich gefragt: Ist es schon fungspartei herauszuhalten? so weit gekommen, dass Sie sich nicht einmal mehr trauen, ein klares Wort zu Ihrem Vizekanzler (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und und seiner Politik zu sprechen? bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Es ist atemberaubend, wie er sein Parteibüro wie bei Abgeordneten der SPD) leergefegt, Staatsposten besetzt und vermehrt und Reisegruppen zusammengestellt hat. Am Ende Sie haben auch nicht gesagt, wie es mit dem war ich einen Augenblick lang gewillt, zu glauben, Thema Steuersenkungen weitergehen soll. Sie er habe Brasilien entdeckt. reden hier über kommunale Finanzen. Klar ist aber: Beides geht nicht. Man kann nicht die Steu- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE ern senken und gleichzeitig behaupten, die Kom- GRÜNEN und bei der SPD) munen hätten genug Geld, um ihren Aufgaben in Das hat er aber nicht. Man hätte jedoch den Ein- der Daseinsvorsorge nachzukommen. Das passt druck haben können, als habe es die WTO- nicht zusammen. Wo war hier das klare Wort der Gespräche usw. gar nicht gegeben. Ich kann Ihnen Bundeskanzlerin? aber versichern – ich habe es nachgesehen –: Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- war ein Portugiese, der 1500 südlich von Salvador wie bei Abgeordneten der SPD) da Bahia als erster Ausländer brasilianischen Bo- den betrat. Es kam gar nichts, und ich weiß auch, warum. Sie haben mal wieder einen Arbeitskreis gegründet, in Da wir schon bei dieser Geschichte sind: Sie dem es – mal wieder – um die FDP geht, die die haben kein Wort dazu gesagt, was eine ordentli- Gewerbesteuer und damit die Finanzgrundlagen che rechtliche Kultur ist, Frau Merkel. Wie stellt für die Kommunen eigentlich abschaffen will. man Delegationen zusammen? Wie vertritt man 2734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Zu den Konsequenzen aus Kopenhagen haben wie bei Abgeordneten der SPD) Sie – so mein Eindruck – ebenfalls kein Wort ge- sagt. Zum Thema Gesundheit. Frau Merkel, Sie ha- ben uns ein paar Anpassungsprobleme erklärt. Sprechen wir doch einmal über das Problem, Das Anpassungsproblem ist heute aber schon so das uns derzeit beschäftigt: Herrn Minister Gut- groß – so hat es die AOK gestern mitgeteilt –, dass tenberg und Afghanistan. Auch dazu haben Sie wir im nächsten Jahr zusätzliche Probleme im Um- kein Wort gesagt. Wir haben einen Verteidigungs- fang von 11,6 Milliarden Euro bekommen werden. minister. Das ist ein nicht unwichtiges Ressort; Sie haben über Anpassung geredet, aber nicht man denkt zwar immer, man könne es an die Seite über die Grundstruktur. Die Zukunft dieses Landes schieben, es gibt aber schon Gründe dafür, ein wird jetzt organisiert, Frau Merkel. Man muss jetzt Verteidigungsministerium zu haben. Dieser Minis- sagen, wo es langgehen soll und wie die Leitbilder ter schritt richtig schneidig ins Ministerium hinein. aussehen sollen. Jetzt aber sehen wir einen Hochdekorierten nach dem anderen wieder herausschreiten. Ich formulie- Sie haben ebenfalls nicht gesagt, ob es die Bür- re das auf nette Weise und erwähne den neuesten gerversicherung, die solidarische Versicherung Vorfall gar nicht erst. Ich frage aber: Ist das moti- oder wirklich eine Kopfpauschale geben wird. An vierende Politik? Selbst wenn sich der Brigadege- dieser Stelle haben Sie keine Klarheit geschaffen. neral im Ton vergriffen hat, fragt man sich trotzdem Frau Homburger, das glaubt kein Mensch: Ange- langsam: Hält Herr Guttenberg die Truppe im sichts eines so verschuldeten Haushalts wollen Sie Ernstfall eigentlich noch zusammen? Sie wundern mit einer Kopfpauschale – ob sie klein ist oder spä- sich vielleicht, warum jemand von den Grünen die- ter immer größer wird – alle Probleme aus dem se Frage stellt. An Ihrem Schweigen merke ich Bundeshaushalt heraus lösen. Mit einem so ver- aber, dass Sie es sich auch fragen. schuldeten Haushalt geht das aber nicht. Sie müs- sen ran an Ihre Klientel und Ihre Lobbyisten. Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN müssen Menschen haben, die sich für andere sowie bei Abgeordneten der SPD – Vol- Menschen einsetzen. Das Problem ist doch: Wer ker Kauder [CDU/CSU]: Bei manchen soll das bezahlen? Aussagen ist man einfach sprachlos!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Ein anderes sehr ernstes Thema – Sie haben es wie bei Abgeordneten der SPD) angesprochen, Frau Merkel – ist der Missbrauch von Kindern in katholischen Einrichtungen, in ei- Sie reden über Schulden im Haushalt, und zwar nem Chor, in staatlichen Schulen und in privaten nach dem Motto: Wenn es wieder zu mehr Wachs- Schulen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich entgeis- tum kommt, dann wird es schon gehen. So viel tert war, wie spät diese Regierung reagiert hat, und können wir aber nicht wachsen, wie es nötig wäre, ich war und bin entgeistert darüber, dass sich unter damit sich wieder etwas tut. Wir haben einen Ihrer Ägide, Frau Merkel, drei Ministerinnen über Haushalt mit einer Neuverschuldung von runde Tische gestritten haben. Das ist der 130 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen? Sie Verletztheit der betroffenen Menschen nicht ange- haben mit diesem Haushalt eine Neuverschuldung messen. ohne jegliche Rendite für die Zukunft organisiert. Wer soll das bezahlen, Frau Merkel? Darüber ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- ben Sie kein Wort verloren. wie bei Abgeordneten der SPD) Sie sagen, dass wir mehr Wachstum und mehr Ich glaube, dass der CDU das C im Wege steht, qualifizierte Leute brauchen. In diesem Land ha- vielleicht auch manche Auseinandersetzung, die ben wir aber einen Mangel an Fachkräften. Dies ist Sie in der Vergangenheit mit der katholischen Kir- nicht nur auf fehlende Qualifizierung, sondern auch che hatten, zum Beispiel über die Stammzellenfor- darauf zurückzuführen, dass durch den Geburten- schung, oder die öffentlich geäußerte Kritik auf ei- rückgang immer weniger Jugendliche einen Schul- ner Pressekonferenz von Frau Merkel. abschluss machen. Diese wenigen Schulabgänger Wir wollen wissen, wer in dieser Regierung die bekommen dann aber nur Prekariatsjobs. Das soll Aufgabe übernimmt, sich rückhaltlos für die Ihre Neuverschuldung bezahlen? Das funktioniert Schutzbefohlenen, für die Kinder in diesem Lande, doch nicht, schon gar nicht mit Ihrer beabsichtigten einzusetzen. Wer sorgt dafür, dass es eine unab- Steuersenkung. hängige Aufklärung durch Dritte gibt? Man darf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- sich nicht auf den Föderalismus beziehen und auf wie bei Abgeordneten der SPD) die Länder verweisen, die für die Schulen zustän- dig sind. Ich will nicht hören, dass das Staats- Sie sprachen über Wissen und Bildung. Wie kirchenrecht uns irgendwelche Probleme bereitet. wollen Sie das aber finanzieren, Frau Merkel? Das Ein Kind muss ohne Wenn und Aber den Schutz sind ein paar Brosamen in diesem Haushalt, mehr der gesamten Gesellschaft erfahren. aber auch nicht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2735

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kämpfen, statt für Mövenpick den Haushalt auszu- sowie bei Abgeordneten der SPD und der wringen und Steuersenkungen für Reiche durchzu- LINKEN) führen. Weil Frau Merkel gestern den Papst gelobt hat, Jetzt ginge es darum, eine vernünftige Energie- will ich auch sagen: Es sind die Kinder, die den politik zu machen und einen richtigen Innovati- besonderen Schutz der Gesellschaft brauchen, onsschub auszulösen, statt Investoren, Industrie und nicht der Papst. und Mittelstand erst einmal wieder monatelang hängen zu lassen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es DIE GRÜNEN und der SPD) wird ja immer dümmer!) Jetzt ginge es darum, die Endlagerfrage, die – Ich weiß, was Ihnen unter den Stühlen brennt. sich nun einmal stellt, offen, transparent und ver- Ich kann es gerne wiederholen: Es sind die Kinder gleichend zu lösen, statt sie, wie es Herr Röttgen und nicht der Papst. Denn es kommt jetzt nicht da- macht, nach altem Recht zu regeln. Sie kommen rauf an, ihn zu loben, dass er etwas richtig ge- mit dem Bergrecht von 1983. Wenn ich in der Uni- macht habe. Selbst der Bund der Deutschen Ka- versität fragen würde, ob die Studenten noch nach tholischen Jugend spricht von der schwersten Kri- diesem Recht studieren, dann würden sie mich se der katholischen Kirche. Wieso loben wir jetzt entgeistert angucken und mir erklären: Es gibt eine den Papst? Regelung von 1990. Wir studieren das neue Recht, nicht das alte. – Aber der Bundesumwelt- Fangen wir besser an, das zu machen, was minister verwendet das alte Recht, weil es die ge- Aufgabe einer Bundesregierung ist, nämlich dafür ringste Bürgerbeteiligung vorsieht. Das ist im Jahr Sorge zu tragen, dass es Entschuldigungen gibt, 2010 nicht würdig. dass eine unabhängige Untersuchung durchge- führt wird und dass auch bei verjährten Fällen öf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- fentlich wird, was war. Das sind wir den Opfern, die wie bei Abgeordneten der SPD) heute noch leiden, schuldig. Gorleben war ein Ort schwarz-gelber Willkür un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- ter der Regierung Kohl in der Frage, wie entschie- wie bei Abgeordneten der SPD) den und was umgesetzt wurde. Gorleben ist poli- tisch für ein Endlager verbrannt. Wir brauchen end- Sorgen wir dafür, dass es einen Fonds gibt, aus lich eine offene und vergleichende Suche mit einer dem man eine Entschädigung für die Vorfälle in ordentlichen Bürgerbeteiligung. der Vergangenheit oder eine finanzielle Unterstüt- zung erhalten kann. Das sind einige Punkte, die Sie heute nicht an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- gesprochen haben, Frau Merkel, oder die Sie aus wie bei Abgeordneten der SPD) meiner Sicht zumindest unbefriedigend oder ein Jetzt ginge es um Dinge, die Kosten und bisschen halbgar angegangen sind. Das ganze Gesundheitsschäden auslösen. Ein Beispiel sind Durcheinander in dieser Bundesregierung haben die Laufzeiten der AKWs. Man sollte nicht über Sie, Frau Merkel, zu verantworten. Man kann in Laufzeitverlängerung reden. Herr Röttgen, Sie ha- diesem Lande kaum erklären, wofür diese Regie- ben hier schon schöne, grüne Reden gehalten. Sie rung eigentlich steht. Ich weiß aber eines: Sie ma- wurden immer wohlklingender. Bei Ihnen fällt mir chen Ihre Hausaufgaben nicht, was die zentralen der Satz mit dem Bettvorleger ein, Herr Röttgen: Aufgaben angeht. Auf dieser Regierung liegt ein Als grüner Tiger gestartet, als schwarzer Bett- dunkler Schatten von Ideenlosigkeit und vorleger gelandet. – Das ist die Wahrheit Ihrer Klientelpolitik. Energie- und Klimapolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD) wie bei Abgeordneten der SPD) Hier und heute müsste dieser Haushalt zeigen, Jetzt müsste es darum gehen, eine gute Ver- wohin die Reise in Zukunft gehen sollte. Er müsste kehrspolitik für Stadt und Land zu machen. Das zeigen, dass wir uns anstrengen, jetzt wirklich et- Wettrennen um die Neuerfindung des Autos ist er- was anders zu machen. Aber Sie können und wol- öffnet. Frau Merkel macht sicherlich irgendwann len das nicht. wieder einmal einen runden Tisch oder führt ein Jetzt wären die richtigen ökologischen Wei- Gespräch. Aber wo ist das Konzept, das einen chenstellungen notwendig, statt die Kosten den Stundentakt für den öffentlichen Verkehr vorsieht nachfolgenden Generationen oder anderen Men- und ihm Vorrang einräumt, und zwar hier in schen auf diesem Globus zuzuschieben. Jetzt geht Deutschland und nicht irgendwo anders? Wo ist es darum, die blockierte Gesellschaft aufzulösen das Konzept, das das Auto in modernster Form und die soziale Spaltung unseres Landes zu be- durch Anreizprogramme im Haushalt oder eine an- 2736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 dere Kfz-Steuer fördert? Sie organisieren in die- eigentlich auf dem Mond? Ich sage Ihnen ganz sem Haushalt keine Zukunft. Sie führen nur hin klar: Auch dieses Programm können Sie streichen. und wieder Gespräche, damit Sie schöne Zei- Wir Deutsche wollen nicht die Letzten auf dem tungsfotos bekommen. Das ist aber für die Zukunft Mond, sondern die Ersten sein, die mit einem dieses Landes nicht genug. Elektroauto von Berlin nach München fahren, ohne zwischendurch Strom zu tanken. Das wäre die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) technologische Entwicklung. Sie machen 130 Milliarden Euro neue Schulden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ohne irgendeine Rendite auf die Zukunft. Schauen wir uns das Thema Einnahmen genau Ich will Ihnen sagen, was man eigentlich ma- an. Sie sind für eine Rekordverschuldung verant- chen müsste. Man müsste mit Mut und Visionen wortlich und machen sich nicht die Mühe, die Stär- losgehen, Entscheidungen gegen alte Lobbys tref- keren mehr Lasten tragen zu lassen und diejeni- fen und sozusagen durch Mauern laufen. Man wird gen, die an den Finanzmärkten profitiert haben, ein das sicherlich nicht mit ein, zwei Maßnahmen er- Stück weit zahlen zu lassen; denn Sie haben kein reichen. Aber man müsste gezielt vorgehen und Leitbild und wissen nicht, wie Sie sich die Zukunft Einsparungen im Haushalt vornehmen und gleich- dieses Landes vorzustellen haben. Dazu haben zeitig sozial und ökologisch intelligente Investitio- Sie keinen Mut. Sie müssen den Spitzensteuersatz nen tätigen. Das tun Sie nicht. Sie haben mit dem auf 45 Prozent anheben. Sie brauchen eine Ver- vorliegenden Haushalt vielmehr einen Verschiebe- mögensabgabe zur Deckung der Schulden aus der bahnhof für alte Lobby- und Klientelinteressen ge- Finanzkrise. Es muss Schluss mit dem Gehälter- schaffen. wahnsinn sein. Man muss den Unternehmen sa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- gen: Nur bis 500 000 Euro darfst du das Gehalt wie bei Abgeordneten der SPD) von deinen Betriebskosten abziehen. Ansonsten musst du dich vor deinen Aktionären rechtfertigen, Frau Homburger, wir haben uns der Mühe un- dass die Ausschüttungen geringer sind. Du kannst terzogen, alles durchzurechnen. Diejenigen, die nicht auf Kosten des Steuerzahlers leben. rechnen können, kommen zu dem Ergebnis, dass unser Vorschlag im Vergleich zu Ihrem Haushalts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- entwurf zu einer um 7,5 Milliarden Euro geringeren wie bei Abgeordneten der SPD) Verschuldung führte. So viel Zeit muss sein. Ich Wie wäre es zum Beispiel mit einer Finanzum- weiß nicht, ob Herr Koppelin Sie immer falsch in- satzsteuer? formiert. Das mag sein. Eines muss ich Ihnen, Frau Merkel, wirklich an- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- kreiden. Sie enttäuschen mich, weil Sie in der letz- SES 90/DIE GRÜNEN) ten Legislaturperiode mit einem roten Anorak vor Schauen wir uns die drei Bereiche Einsparen, einem Gletscher gestanden und gesagt haben, Einnahmen und Ausgaben an. Was hieße es, jetzt gehe es um das Klima. Wo sind eigentlich die wenn wir eine Regierung hätten, die wirklich Mut Investitionen in das Ökologische? Wo zeigt sich an hätte und sich nicht untereinander kloppte und diesem Haushalt Jahre nach Ihren Aussagen ei- nicht das Theaterstück „Kasper und das Krokodil“ gentlich, wie man in Zukunft wirklich gute Klima- aufführte? Ich weiß nicht, wer wer ist. Aber diese schutzpolitik macht und ökologische Investitionen ewige Klopperei hinter dem Vorhang sieht man tätigt? Wir schlagen einen Klimaschutzfinanzplan schon. vor; das heißt neue Jobs durch Investitionen in Höhe von zusätzlich 4 Milliarden Euro, einen Ener- Schauen wir uns an, wie Einsparungen vorge- giesparfonds und ein Anreizprogramm für Elektro- nommen werden könnten. Denken Sie an Genera- autos. Wir schlagen enorme Investitionen in mo- tionengerechtigkeit! Denken Sie an das Klima, derne Energienetze vor. Es reicht doch nicht, hier über das Sie so oft reden! Warum, bitte schön, darüber zu schwadronieren, dass man irgendwann fangen wir nicht mit dem Umbau hin zu einer öko- im Zeitalter der erneuerbaren Energien ankommen logischen Dienstwagensteuer an, die dazu führt, sollte, sondern man muss in diesem Haushalt die dass nicht jedes Auto steuerlich voll abgesetzt Weichen dafür stellen, und die Weichen stellt man werden kann, statt tonnenschwere Dienstwagen zu mit Geld für das Neue und nicht für alte Privilegien. subventionieren? Oder die Ökosteuer. Warum gibt es Ausnahmen für die Zementindustrie? Zement ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- kein global gehandeltes Produkt. Solche unsinni- wie bei Abgeordneten der SPD) gen Ausnahmen wollen wir streichen. Sie haben keinerlei gezielte Investitionen für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neue Jobs und Maßnahmen zur Schaffung von sozialer Gerechtigkeit vorgeschlagen. Dabei sa- Oder die Kohlesubventionen. Wir dürfen nicht län- gen Sie selber: Bildung ist der Rohstoff der Zu- ger klimaschädliche Technologien mit Milliarden kunft. – Wir wollen mehr Betreuungsplätze. Wir fördern. Oder die in die Milliarden gehenden For- müssen die Kommunen finanziell entlasten, damit schungsgelder für die Raumfahrt. Was wollen wir sie ihren Aufgaben im sozialen Bereich nachkom- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2737 men können. Deshalb fordern wir, einen höheren des Bundesaußenministers und anderer Kabi- Anteil an den Kosten für die Unterkunft zu über- nettsmitglieder hat. Das reiht sich in die Aussage nehmen und die Kommunen dadurch zu entlasten. des Kollegen Altmaier von heute Morgen in Phoe- Zum Sozialen gehört auch Würde, und das heißt, nix ein, der Minister sei nicht kriminell. Auch das die Hartz-IV-Sätze auf 420 Euro anzuheben, damit hat niemand behauptet. Herr Westerwelle vertei- man davon leben kann. Einer der Kerngedanken, digt sich selber mit dem Hinweis, er werde auch in neben der Bildung und dem sozialen Bereich, ist: Zukunft Wirtschaftsvertreter auf seine Auslandsrei- gute Löhne, damit sich Arbeit wieder lohnt, nicht sen mitnehmen. Niemand hat bestritten, dass das Zuverdienst, damit man in den Grauzonen bleiben jeder Außenminister der Bundesrepublik Deutsch- kann. – Wir brauchen gute Mindestlöhne, wir brau- land tun kann. chen Zuschüsse für die Lohnnebenkosten der Ge- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ringverdiener, und wir brauchen Qualifizierung, SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) aber keinen Zuverdienst. Nennen Sie hier bitte Ross und Reiter! Sagen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sie, woher Sie dieses Zitat haben, oder korrigieren bei der SPD) Sie den Eindruck, vonseiten der Opposition sei je- Schon gar nicht brauchen wir Ihre Sperre an dieser mals eine solche Äußerung über den Bundesau- Stelle, die dazu führt, dass viele Langzeitarbeitslo- ßenminister gefallen. se mit multiplen Problemen auf der Straße bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Elf Jahre haben Sie sich auf diese Regierung wie bei Abgeordneten der SPD) vorbereitet. Das Fazit ist: Schwarz-Gelb ist nicht die Zukunft dieses Landes. Schwarz-Gelb ist im- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: mer nur für einige Auserwählte; aber für die Mehr- Kollegin Homburger, bitte. heit der Kinder und Erwachsenen dieses Landes ist Schwarz-Gelb eine Politik der leeren Hände. Birgit Homburger (FDP): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Herr Kollege Beck, ich habe hier im Zusammen- wie bei Abgeordneten der SPD) hang mit den Vorwürfen zum Thema Verfassungs- feindlichkeit eine grundsätzliche Bemerkung über Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: politische Werte in diesem Land gemacht. Ich habe Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kolle- an keiner Stelle behauptet, dass ein Kollege die- ge Volker Beck. ses Hauses das gesagt habe. (Joachim Poß [SPD]: Sie haben den Eindruck Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erweckt!) NEN): – Herr Poß, ich habe nicht den Eindruck erweckt, Frau Kollegin Homburger, Sie haben vorhin ein dass ein Mitglied dieses Hauses das gesagt habe. Zitat verwendet, in dem Herr Sarrazin und Herr Westerwelle als Nazis in Nadelstreifen bezeichnet (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Natürlich!) werden. Das ist eine Formulierung, die natürlich Es ist im Zusammenhang mit einer Laudatio auf völlig inakzeptabel ist. Sie haben dabei den Ein- eine Journalistin bei der Verleihung eines Kultur- druck erweckt, als ob irgendjemand auf dieser Sei- und Friedenspreises von einem Ex-Stern- te des Hauses die Verantwortung für diese Aussa- Journalisten, von Herrn Kromschröder, genau die- ge zu tragen hätte. So können wir miteinander ser Satz gesagt worden: nicht umgehen. Sie haben keine Zwischenfrage zugelassen, obwohl viele Kollegen wissen wollten, Man trifft sie ja gerade jetzt vermehrt, die Na- von wem das Zitat eigentlich stammt. Deshalb stel- zis im Nadelstreifen, die Sarrazins und Wes- le ich Ihnen jetzt die Frage: Wer aus diesem Ho- terwelles … hen Hause hat diese Aussage getätigt? Oder: Von (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wem haben Sie dieses Zitat? Es ist inakzeptabel – NEN]: Was haben wir damit zu tun?) darüber sind wir uns einig –; aber Sie sollten nicht den Eindruck erwecken, so etwas sei hier von Kol- – Herr Beck, dem ist in dieser Veranstaltung offen- leginnen und Kollegen gesagt worden, wenn Sie sichtlich nicht widersprochen worden. das nicht belegen können. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) NEN]: Wären Sie mal hingegangen zu dieser Veranstaltung!) Ich habe den Verdacht, dass es die Argumenta- tionsstrategie Ihrer Partei in den letzten Tagen ist, Der Weser-Kurier hat das einfach so übernommen gegen Popanze zu argumentieren, um berechtigte und unwidersprochen abgedruckt. Kritik an anderen Dingen abzuwehren. Jetzt wird (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: so getan, als ob die politische Kultur von der Op- Pressefreiheit!) position dadurch beschädigt wird, dass sie berech- tigte Fragen hinsichtlich des Amtsverständnisses 2738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Ich habe nur auf Folgendes aufmerksam ge- Schulden! Außer „mehr Schulden“ habt macht: Wenn Demokraten solchen Sätzen in sol- ihr nichts gesagt!) chen Reden und solchen Veröffentlichungen nicht Anstatt darauf zu reagieren, erlebe ich bei Ihnen gemeinsam widersprechen, Dinge, die ich nur als schäbig bezeichnen kann. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sind Sie empfindlich!) Lassen Sie den Bundespräsidenten aus der Ta- dann ist das ein Verlust der politischen Kultur in gespolitik heraus! Es ist schäbig, ihn aufzufordern, Deutschland. Dabei bleibe ich. sich für die Anliegen der Opposition einzusetzen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gott sei Dank macht er dies nicht. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 90/DIE GRÜNEN]: Frau Homburger, un- anständig!) Frau Künast, wir alle wissen, dass es eines der schlimmsten Verbrechen ist, wenn Kinder miss- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: braucht werden, vor allem in Einrichtungen, in die Das Wort hat nun Volker Kauder für die Eltern und Kinder besonderes Vertrauen haben, CDU/CSU-Fraktion. dass sie geschützt sind. Es ist richtig, dass die Ge- schehnisse der Vergangenheit aufgeklärt werden, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und es ist auch richtig, dass überlegt wird, was neten der FDP) gemacht werden kann, damit dies in Zukunft nicht mehr passiert. Aber was mich schon betroffen ge- Volker Kauder (CDU/CSU): macht hat – Frau Künast, ich dürfte erwarten, dass Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen Sie mir nicht den Rücken zukehren, wenn es um und Herren! Frau Künast, was Schwarz-Gelb solche Sachen geht –, war, dass es offensichtlich macht, was Schwarz-Gelb will, das weiß ich auch einigen von Ihnen nicht um diese Frage geht, son- nicht. dern um eine Abrechnung mit der Kirche. Dies werden wir nicht zulassen. (Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Bleiben Sie mal ganz ruhig! – Aber ich weiß, dass Christlich-Liberal für dieses Land etwas Rich- Ich bekomme Berichte, auch aus meiner Hei- mat, dass es in katholischen, in evangelischen, in tiges macht. freien Einrichtungen so etwas gegeben hat. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – frage mich nicht, wo es war, sondern ich sage: Je- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE der Einzelfall ist furchtbar. Wir müssen aufklären. GRÜNEN]: Umetikettieren nützt nichts!) Die Wahrheit muss auf den Tisch, aber nicht um Das ist die Zukunft in unserem Land. Wir machen der Anklage willen, sondern um in Zukunft so et- eine Politik, die von Werten geleitet ist, und des- was zu verhindern. wegen reden wir von „christlich“ und „liberal“, Frau (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Künast. Wir lassen uns nicht in irgendein Farbge- Das ist es, was die Menschen erwarten: Antworten menge einbinden, von dem Sie glauben, es uns aufmalen zu können. auf die konkreten Herausforderungen (Zuruf von der SPD: Genau!) Mir ist in der letzten Zeit aufgefallen, dass in der Opposition ganz bewusst bestimmte Dinge betrie- und nicht ideologische Auseinandersetzungen. ben werden. Die Menschen in diesem Land haben Die Antwort dieser Regierungskoalition auf die Sorgen. Sie fragen: Wie geht es weiter? Frage, wie es weitergeht in unserem Land, damit (Zuruf von der SPD: Ja, mit dieser Regierung!) Perspektiven eröffnet werden, ist ganz klar: Wir müssen dafür sorgen, dass es Wachstum in unse- In meine Sprechstunde kommen Menschen, die rem Land gibt. wissen wollen: Wird aus Kurzarbeit Arbeitslosig- keit, oder wird aus Kurzarbeit Arbeit? Darauf hat (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Bundeskanzlerin heute in ihrer Regierungser- NEN]: Wie viel haben Sie denn?) klärung klare Antworten gegeben. Wachstum in unserem Land heißt: neue Chancen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es ist unbestritten, wie mir auch aus der Oppositi- neten der FDP) on gesagt wurde, dass wir nicht auf dem aktuellen Da wurde das christlich-liberale Konzept dieser Niveau bleiben können und wollen, sondern dass wir, wenn wir wieder in die Situation des Jahres Koalition deutlich. 2008 kommen wollen, Wachstum brauchen. Ohne (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Wachstum werden wir aus Kurzarbeitern keine Ar- GRÜNEN]: Das Konzept war: mehr beitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen, die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2739 eine Perspektive haben. Deshalb ist es notwendig, allem für unsere Familien. Ich muss Ihnen eines alles dafür zu tun und dafür zu sorgen – dies wird sagen: Es war immer Politik christlich- mit diesem Bundeshaushalt auch gemacht –, dass demokratischer und christlich-sozialer Demokra- Wachstum möglich wird. ten, vielfach in Koalition mit der FDP, sich um die zu kümmern, die Hilfe brauchen bzw. sich aus ei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gener Kraft nicht helfen können. Die allermeisten Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage sozialen Gesetze sind unter der Regierungsver- der Kollegin Hendricks? antwortung der Union in diesem Land entstanden, nicht unter der der Grünen. Das wird auch in Zu- Volker Kauder (CDU/CSU): kunft so bleiben. Bitte. Die Menschen fragen mich doch nicht: Was tut ihr dafür, dass es mir mit Hartz IV möglichst gut Dr. Barbara Hendricks (SPD): geht? Sie fragen vielmehr: Was tut ihr dafür, damit Herr Kollege Kauder, ich bitte um Entschuldi- ich aus Hartz IV wieder in normale Arbeit hinein- gung, Sie sind jetzt schon bei einem anderen kommen kann? – Dafür müssen wir etwas tun. Thema angelangt. Ich will noch einmal auf den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vorherigen Punkt zurückkommen: Worin liegt ei- gentlich der wesentliche Unterschied, wenn einer- Es gehört zum christlich-liberalen Denken, dass seits der Kollege Oppermann den Bundespräsi- man selber für sich sorgen kann, dass man nicht denten um etwas bittet und andererseits die Frau auf die Hilfe von Ämtern angewiesen ist, dass man Bundeskanzlerin den Papst um etwas bittet? nicht als Bittsteller auftreten muss; denn das hat etwas mit der Würde des Einzelnen zu tun. Des- wegen reden wir darüber, was wir tun können, da- Volker Kauder (CDU/CSU): mit an der Schnittstelle von Hartz IV und normaler Wenn Sie diesen Unterschied nicht verstehen, Arbeit immer häufiger Menschen ihrer Würde ent- dann sollten Sie wirklich einmal zu mir zur Nachhil- sprechend wieder in Arbeit kommen und nicht in fe kommen. Diese Nachhilfe will ich Ihnen gerne Hartz IV bleiben müssen. geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bettina Hagedorn [SPD]: Deswegen die Es ist ganz klar und deutlich festgelegt, welche 900-Millionen-Euro-Sperre!) Rolle der Bundespräsident in unserem Land hat. Deswegen werden wir natürlich auch über die Fra- Er hat nicht die Aufgabe, Helfer der Opposition in ge reden: Wie kann Hinzuverdienst neu organisiert tagespolitischen Auseinandersetzungen zu sein. werden? Das ist der Unterschied zwischen dem, was Frau Merkel und Herr Oppermann gemacht haben. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist die falsche Frage!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist keine ganz einfache Aufgabe. Es geht Wir waren bei dem Thema, wie wir Wachstum nämlich nicht ausschließlich darum, ob den Men- hervorrufen. Wachstum wird dadurch erreicht, dass schen statt 100 Euro 150 Euro bleiben; denn dann wir Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Dafür wird werden die Arbeitsverhältnisse danach organisiert. mit diesem Bundeshaushalt die Voraussetzung Vielmehr ist die Frage zu stellen: Wie kann der An- geschaffen. Es wird ein Zuschuss an die Bundes- reiz größer werden? Darauf werden wir eine Ant- agentur gegeben, der es ermöglicht, die Beiträge, wort geben. die wiederum der Bundesagentur zugutekommen, stabil zu halten. Damit sorgen wir dafür, dass Men- In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Gysi, schen in Arbeit bleiben können. Dafür werden 13 haben wir auch Fälle wie den des Mädchens, den Milliarden Euro ausgegeben. In diesem Bundes- Sie angesprochen haben, im Auge. In ordnungspo- haushalt werden auch die Voraussetzungen dafür litischer Hinsicht ist es außerordentlich problema- geschaffen, dass ein entsprechender Bundeszu- tisch, hier einen Hinzuverdienst in einer bestimm- schuss im Gesundheitsbereich geleistet wird. Die ten Größenordnung für zulässig zu erklären, in an- Beiträge bei der Arbeitslosenversicherung bleiben deren Fällen aber nicht. Ich möchte, dass ein jun- in diesem Nochkrisenjahr bei 2,8 Prozent. Das ent- ger Mensch, der in einer Familie lebt, die Hartz IV lastet Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und bekommt, und der nichts dafür kann, dass es so eröffnet der Wirtschaft Chancen. Dies ist eben nur ist, die Erfahrung machen kann, dass es sich lohnt, durch diesen Bundeshaushalt und durch die Politik zu arbeiten. dieser Regierungskoalition möglich geworden. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Dann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mach! Mach! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann muss man doch was Wir eröffnen natürlich auch Perspektiven für die- tun!) jenigen, die Löhne und Gehälter im unteren oder mittleren Einkommensbereich beziehen, und vor 2740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Hinter dem Ziel, jungen Menschen eine solche po- len natürlich auch auf die Entwicklung in den sitive Erfahrung zu ermöglichen, muss die Ord- neuen Ländern. Wir sehen, dass sich dort un- nungspolitik zurücktreten. Wir werden noch vor der heimlich viel getan hat. In einer großartigen Ge- nächsten Sommerpause dazu eine Regelung fin- meinschaftsleistung von West und Ost bzw. von den. Ost und West haben wir in den vergangenen 20 Jahren dafür gesorgt, dass dieses Land zusam- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP menwächst. Da ist noch einiges zu tun – über- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – haupt keine Frage. Es geht natürlich darum, durch Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir Arbeitsplätze Chancen zu schaffen. Es geht auch nehmen Sie beim Wort!) darum, entsprechende Prozesse voranzutreiben. In diesem Haushalt bildet sich auch an einem Ich bin froh über diese gute Entwicklung. Sie hat anderen Thema eine neue Politik ab, nämlich am natürlich auch etwas mit uns, mit der Union, zu tun. Thema Afghanistan. Wir machen Politik in Ver- Unser Wahlbündnis hat damals 48 Prozent der antwortung für die Entwicklung in Afghanistan. Das Stimmen bekommen. Die Menschen haben sich hat wieder etwas mit dem christlich-liberalen Wer- dann für die deutsche Einheit entschieden. Sie ha- tekorsett zu tun. Wir wollen mit unserer Arbeit in ben sich auch deswegen für die deutsche Einheit Afghanistan dafür sorgen, dass die Menschen in entschieden, weil einer ihr Vertrauen gewonnen Frieden und Freiheit leben können und dass sie hat. Deswegen will ich heute sagen: Herzlichen nicht von Terroristen unterdrückt werden. Die Frei- Dank, , dem Kanzler der Einheit, der heit, sich selber um seine Anliegen kümmern zu bald seinen 80. Geburtstag feiert. können, ist ein wesentliches Element der Würde des Einzelnen, die wir in Afghanistan für alle Af- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ghaninnen und Afghanen durchsetzen wollen. Wir haben in den neuen Ländern neue Entwick- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lungen vorangebracht, und das wird auch in Zu- kunft der Fall sein. Das Deutsche BiomasseFor- Deswegen sind wir dort aktiv. Wir wollen noch schungsZentrum ist in Leipzig, also in den neuen mehr dafür tun, dass die afghanische Regierung in Ländern, angesiedelt. Wir sorgen dafür, dass die eigener Verantwortung die Sicherheit in diesem Energiegewinnung aus Kohle in den neuen Län- Land gewährleisten kann. Dabei hat die Entwick- dern durch moderne Technologien wie das CCS- lungszusammenarbeit eine besondere Bedeutung. Verfahren möglich wird. Ich bin dankbar dafür, dass darauf ein Schwer- punkt gelegt worden ist. Aber eines ist auch klar – Wir haben gesagt, wir steigen in das Zeitalter das muss immer wieder gesagt werden –: Ohne der erneuerbaren Energien ein. Das machen wir. die Sicherheit durch die Bundeswehr und andere Das bedeutet aber, dass das Geld, das wir von Einrichtungen wäre die von uns gewünschte Ent- den Menschen – dieses Geld kommt nicht vom wicklung in diesem Umfang gar nicht möglich. Staat – zur Förderung erneuerbarer Energien ver- Entwicklung und neue Chancen in Afghanistan und langen, in einem ausgewogenen Verhältnis zum das Sicherheitsgerüst durch die Bundeswehr sind Ergebnis stehen muss. zwei Seiten derselben Medaille. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Deshalb ordnen wir die Solarförderung neu. Wenn neten der FDP) ich durch das Land fahre, habe ich manchmal den Dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen. Eindruck, dass die Meinung vorherrscht, die Bun- desregierung und diese Koalition wolle die Solar- Ich habe vor zwei Monaten an diesem Platz da- förderung auf null setzen. Absoluter Quatsch! Wir von gesprochen, dass zur Entwicklungszusam- wollen nur, dass nicht 80 Prozent der Förderung in menarbeit und zur Außen- und Sicherheitspolitik eine Energie gehen, die nur einen Anteil von 1 auch das Thema Religionsfreiheit gehört. Wir oder 2 Prozent hat. Wir müssen bei der Energie- machen uns Sorgen darüber, dass die Christen die versorgung breit aufgestellt sein; dafür sorgen wir. am stärksten verfolgte Glaubensgruppe sind. Ich Die Solarenergie wird sich auch in Zukunft rech- bin außerordentlich dankbar, dass der Bundesau- nen. ßenminister vor dem Menschenrechtsrat in Genf vor einigen Tagen genau diesen Punkt aufgegrif- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- fen und erklärt hat, dass Religionsfreiheit ein Teil geordneten der FDP – Joachim Poß unserer wertegeleiteten Politik ist. Er hat in diesem [SPD]: Er lobt gar nicht den Umweltminis- Zusammenhang auf die Lage der Christen hinge- ter!) wiesen. Das verstehen wir unter einer wertegelei- Frau Künast, ich finde es ein bisschen billig, teten Außenpolitik. dass Sie hier nur fordern, die Entwicklung bei den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) erneuerbaren Energien solle vorangehen. Selbst wenn in einigen Jahren die erneuerbaren Energien Wenn wir über die Entwicklung unseres Landes einen Anteil von 40 Prozent haben – was mehr als reden, dann schauen wir einen Tag vor dem eine Verdopplung bedeutet –, ist unbestritten, dass 20. Jahrestag der ersten freien Volkskammerwah- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2741 noch eine Lücke in der Versorgung der Menschen ich sage Ihnen: Das hat alles irgendwo eine Gren- und der Wirtschaft mit Strom bleibt. Es ist doch ze. richtig, ja notwendig, dass die Bundesregierung ein (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das stimmt!) Szenarium rechnen lässt, das aufzeigt, wie es wei- tergeht, wenn die erneuerbaren Energien einen Ich bin sehr dafür, dass man auch einmal pointiert bestimmten Anteil – das können beispielsweise 40 formuliert. Ich bin sehr dafür, dass man in der Sa- Prozent sein – haben. Es gehört zur Wahrhaftig- che hart miteinander umgeht. Aber was ich in den keit, zu sagen: Wir werden noch auf absehbare letzten Tagen an Attacken auf Außenminister Gui- Zeit auf einen Energiemix angewiesen sein. Die do Westerwelle erlebt habe, ist nicht akzeptabel. Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Genauso (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – brauchen wir noch die Kohlekraftwerke. Wie lang Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wer die Brücke wird, hängt von den verschiedenen hat denn angefangen?) Szenarien ab. Aber in der Auseinandersetzung so zu tun, als ob man auf absehbare Zeit auf Kohle Wenn wir bei abgeschalteten Kameras beiei- und Kernenergie verzichten kann, ist unwahrhaftig nanderstehen, höre ich aus allen Fraktionen, aus und nicht anständig. allen Parteien die Klage darüber, welches Bild wir in der Öffentlichkeit abgeben und wie die Men- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schen über uns reden. Widerspruch der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Eben! Genau!) Wenn wir aber nicht mit etwas mehr Respekt über- Sie können sich hier nicht einfach hinstellen und einander und über unsere Arbeit hier im Bundes- so tun, als wenn Sie das, was in der Endlagerfrage tag reden, braucht sich niemand zu wundern, jetzt gemacht wird, nichts angehe. wenn die Menschen so über uns reden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – GRÜNEN]: Bitte?) Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hal- Ich kann nur sagen: Was Rot und Grün gemacht tet den Dieb!) haben, ist verantwortungslos. Sie haben immer Deswegen erwarte ich ein bisschen mehr Grips gegen jede Form von Endlagerung polemisiert. und Intelligenz. Aber wer aus der Kernkraft aussteigen will, der braucht ein Endlager. Sie tun so, als wäre die Be- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS antwortung dieser Frage bei dem von Ihnen gefor- 90/DIE GRÜNEN]: Aber dafür müsste derten Ausstieg aus der Kernenergie nicht mehr man ein bisschen Intelligenz haben!) notwendig. Sie ist aber zwingend nötig. Bei Ihnen Es darf nicht nach dem Motto gehen: Die absolute gibt es in der Energiefrage nur Ideologie und keine Frechheit siegt. – Das gilt für diejenigen auf der wirkliche Erkenntnis. linken Seite dieses Hauses in besonderer Weise, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – damit das auch einmal ausgesprochen ist. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 90/DIE GRÜNEN]: Und das ist christ- lich? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese GRÜNEN]: Lasst uns doch einfach in Ba- Bundesregierung zeigt mit dem vorliegenden Bun- den-Württemberg Standorte untersu- deshaushalt, dass sie den Menschen auf ihre chen!) konkreten Fragen Antworten gibt, dass sie ihre Sorgen und Ängste ernst nimmt. Wir sorgen dafür, Wir werden uns dieser schwierigen Aufgabe stel- dass es in diesem Land vorangeht. Wir wissen, len. dass die Bewältigung der Krise nicht in einem Jahr Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möglich ist. Wir wissen, dass wir dafür einen länge- will noch etwas anderes sagen. Mir macht die Art ren Atem brauchen. Diesen Atem haben wir. Mit und Weise des Umgangs miteinander Sorge. Ich diesem Haushalt müssen wir noch einmal auf die bin wirklich nicht zart besaitet. Finanz- und Wirtschaftskrise reagieren. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ab dem nächsten Haushalt müssen wir die NEN]: Das stimmt! Da hat er recht!) Schuldenbremse berücksichtigen. Dann wird es im Hinblick auf die Beiträge der Opposition in der Ich bin nicht zart besaitet; das weiß jeder. Haushaltsdebatte hochinteressant werden, zu se- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hen, ob Sie wissen, dass die Schuldenbremse be- NEN]: Stimmt auch in der Wiederholung!) deutet, dass wir nicht Milliarden mehr, sondern mindestens 10 Milliarden Euro weniger als in die- Ich selbst war über ein Jahrzehnt lang Generalsek- sem Haushalt ausgeben können. retär und habe ausgeteilt und hingenommen. Aber 2742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung christlich-liberal zu ersetzen, wird nicht funkti- NEN]: Aber erst noch mal Schulden ma- onieren. chen! Wir sollen dann Ihr Neuschulden- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE problem lösen!) GRÜNEN]: Das stimmt!) Ich kann Ihnen sagen: Wir nehmen diese Ver- Es hat sich bei den Menschen festgesetzt: antwortung ernst. Das, was ich von Ihnen gehört Schwarz-gelb ist mittlerweile ein Etikett für Pleiten, habe, lässt mich aber daran zweifeln, dass Sie Pech und Pannen. diesen Weg mit uns mitgehen. (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank. Es geht heute darum, nach 140 Tagen Schwarz- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gelb Bilanz zu ziehen. Die 100-Tage-Bilanz ist Bettina Hagedorn [SPD]: Und das ma- noch nicht so lange her. Deswegen darf ich Ihnen chen Sie mit Steuersenkungen?) ein Zitat der Leipziger Volkszeitung vortragen, die zur 100-Tage-Bilanz von Schwarz-Gelb geschrie- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ben hat: Die Bilanz hat „Stärken und Schwächen“. Das Wort hat nun der Abgeordnete Bernd Sie führt weiter aus: „Schwarz-Gelb hat schwach Scheelen für die SPD-Fraktion. angefangen und dann stark nachgelassen.“ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bernd Scheelen (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen Es ist ein vernichtendes Urteil, das die Presse und und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich die Menschen in Deutschland über Sie gefällt ha- habe hier eine Einladung für den 22. April 2010. ben. An diesem Tag wird dem Kollegen Kauder der Titel Betrachtet man die ersten 140 Tage schwarz-gelbes des Botschafters des Bieres 2010 zuerkannt. Es ist Kabinett Merkel, dann stellt man sich die Frage: Was ist eben deutlich geworden, warum Sie diesen Titel in den 140 Tagen passiert? Was haben Sie bisher be- verdient haben, Herr Kollege Kauder. wegt? Was haben Sie auf die Schiene gesetzt? Immerhin (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten sind 15 Minister am Werke und etliche Dutzend Staats- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE sekretäre. Was ist in diesem Hohen Hause in den GRÜNEN) 140 Tagen herausgekommen? Ganze zwei Gesetze. Was für ein Aufwand für zwei Gesetze! Hinzu kommt, dass Das deutsche Bier unterliegt dem Reinheitsgebot. das zwei Gesetze sind, die Sie besser hätten sein lassen. Ich fände es besser, wenn auch Sie Ihre Reden Das wäre für die Republik deutlich besser gewesen; vorher einem Reinheitsgebot unterziehen würden; denn ich finde es unverschämt und frech von Ih- (Beifall bei der SPD) nen, zu behaupten, die Opposition in ihrer Gänze denn mit diesen Gesetzen verteilen Sie Steuerge- würde die Kirchen bekämpfen. Für die SPD- schenke auf Pump und treiben damit die Schul- Fraktion weise ich diesen Vorwurf entschieden zu- denstände auf neue Rekordhöhen. rück. Gestern hatte Kollege Barthle – er telefoniert ge- (Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller rade – auch noch die Frechheit, sich hier hinzustel- [CDU/ CSU]: Das hat er gar nicht gesagt! len und das Ganze als ein Gesamtkunstwerk zu – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich habe preisen. Er sagte: Der Haushalt sei ein Gesamt- Frau Künast angesprochen!) kunstwerk. – Sie haben die Opposition in Gänze angespro- (Lachen bei der SPD – Nicolette Kressl [SPD]: chen. Für die SPD-Fraktion habe ich diesen Vor- Das war peinlich!) wurf zurückgewiesen. Wir wissen um die Bedeu- tung der Kirchen, aber man wird über Strukturen in Ich habe mir einmal die Mühe gemacht und im Kirchen und weltlichen Einrichtungen doch wohl Brockhaus nachgeschlagen, was ein Gesamt- noch diskutieren dürfen. kunstwerk ist. Darüber gibt es lange Abhandlun- gen. Ein Beispiel wurde genannt: Eine politische Herr Kauder, ich habe volles Verständnis dafür, Utopie könne ein Gesamtkunstwerk sein. Der dass Sie das Thema Schwarz-Gelb so vehement Haushalt, den Sie vorlegen, ist keine politische in den Vordergrund stellen; denn schwarz-gelb ist Utopie, sondern eine politische Bankrotterklärung. die Farbkombination der Giftfässer mit Atommüll. (Beifall bei der SPD) (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Lars Lindemann [FDP]: Wissen Sie treiben mit diesem Haushalt nicht nur die Sie, dass darauf alles Rot geschrieben Bundesschulden in die Höhe, Sie ruinieren gleich- wird?) zeitig auch noch die Länderhaushalte und vor allen Dingen die Kommunalhaushalte. Die Städte und Dass Sie damit nicht in einen Topf geworfen wer- Gemeinden sind in einer schwierigen Situation. den wollen, kann ich verstehen, aber Ihr verzwei- Das wird von Dr. Gerd Landsberg – er ist der felter Versuch, schwarz-gelb durch die Formulie- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2743

Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gemeindebundes – wie folgt zusammengefasst: der LINKEN) Die Lage der Kommunen ist nicht schlecht; sie ist Die Geschenke, die Sie verteilen, müssen die Men- katastrophal. Er hat recht. Christian Ude, der schen in Städten, Gemeinden und Kreisen bezahlen. Das Oberbürgermeister von München, sagt: Unsere ist die große Ungerechtigkeit. Wenn demnächst, in Städte bluten aus. Die Oberbürgermeisterin von Bergkamen zum Beispiel, die Menschen in ihr /Main und Präsidentin des Deutschen Schwimmbad gehen, werden sie zwar froh sein, dass sie Städtetages sagt: Die Städte liegen auf der Inten- noch eines haben, aber sie werden, da die Wassertempe- sivstation. Das sind Äußerungen von wichtigen ratur deutlich abgesenkt ist, hautnah spüren, wie kalt Ih- Kommunalpolitikern, nachdem die beiden Gesetze re Politik den Kommunen gegenüber ist. von Ihnen mit schwarz-gelber Mehrheit durch den Bundestag gebracht wurden, die dazu führen, dass (Beifall bei der SPD – Volker Kauder den Kommunen in diesem Jahr und auch in den [CDU/ CSU]: Es soll doch gar nicht ge- kommenden Jahren deutlich weniger Geld zur Ver- heizt werden! Wegen Öko!) fügung steht. In Oberhausen werden die jungen Menschen ver- Zum sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz. stehen, was für eine Politik Sie betreiben, wenn die Die Kanzlerin hat vorhin ausgeführt, dieses Gesetz wür- Stadtverwaltung ihnen sagt: Wir können euch nicht de den Namen zu Recht tragen. Das Gesetz trägt den mehr ausbilden. Das ist uns verboten worden, weil Namen nicht zu Recht. Das Einzige, was beschleunigt wir pleite sind. – In Wuppertal wird das Schau- wird, ist das Wachstum der Schulden. Es ist ein Schul- spielhaus sehr wahrscheinlich geschlossen. Das denwachstumsbeschleunigungsgesetz. Wuppertaler Schauspiel hat Weltruhm erlangt durch Namen wie Pina Bausch. Der kulturelle Ab- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) stieg in Wuppertal ist Folge Ihrer Politik. Das sind für die Kommunen jedes Jahr Aber ich habe auch ein positives Beispiel gefun- 1,6 Milliarden Euro an Mindereinnahmen. Wenn den: In der Gemeinde Güntersleben – das ist eine man davon ausgeht, dass die Länder ihren Anteil kleine Gemeinde mit etwa 4 000 Einwohnern in der an den Defiziten ebenfalls weitergeben, dann sind Nähe von Würzburg – hat es am Wochenende ei- es 2,5 Milliarden Euro. Dasselbe gilt für das Ge- nen Einbruch ins Rathaus gegeben. 3 500 Euro setz, das Sie zur Entlastung von Unternehmen sind aus der Rathauskasse gestohlen worden. gemacht haben, damit diese ihre Gewinne nun Jetzt ist auch diese Gemeinde pleite. leichter ins Ausland verlagern können. Hier geht es um weitere 700 Millionen Euro minus. Das macht (Birgit Homburger [FDP]: Wir waren es nicht!) unter dem Strich 2,5 bis 3 Milliarden Euro, die die Die Kommunen, meine sehr geehrten Damen Kommunen allein durch Ihre aktuelle Gesetz- und Herren, sind das Fundament der Demokratie gebung weniger zur Verfügung haben, und das in und nicht das Kellergeschoss. Wenn das Funda- einer Situation, in der es den Kommunen eh ment Risse bekommt, dann bekommt auch das schlecht geht; denn sie leiden natürlich wie alle Haus Risse, und die Menschen, die darin wohnen, staatlichen Ebenen unter der Finanz- und Wirt- bekommen Angst. schaftskrise. Das, was weniger zu Buche schlägt, sorgt dafür, dass aus dem positiven Saldo der (Lars Lindemann [FDP]: Mein Gott! Wie ver- Kommunen von knapp 8 Milliarden Euro in 2008 in zweifelt muss man in Ihrer Fraktion sein!) diesem Jahr ein Defizit von 12 Milliarden Euro Die Bundeskanzlerin hat die Vertreter der kommu- wird. Das ist nur zur Hälfte der wirtschaftlichen Si- nalen Spitzenverbände zu sich ins Kanzleramt ge- tuation geschuldet. Der Rest ist durch Gesetz- beten. Nachher war zu lesen, es sei ein anregen- gebung staatlich verordnet. Daran müssen wir ar- der Gedankenaustausch gewesen. Das ist nicht beiten. Da muss angesetzt werden. Da müssen wir das, was die Kommunen brauchen. Die Kommu- den Kommunen Beistand leisten. nen brauchen Hilfe. Sie brauchen keine Kaffee- (Beifall bei der SPD) kränzchen. Statt 8,5 Milliarden Euro für das sogenannte (Beifall bei der SPD) Wachstumsbeschleunigungsgesetz auszugeben, Ein letztes Wort zu Ihnen, Frau Bundeskanzle- hätten Sie besser ein Konjunkturpaket III aufge- rin, und zur Gewerbesteuer, die Sie abschaffen legt und damit das fortgesetzt, was wir mit dem wollen. Das ist Ihr ganz persönlicher Wortbruch. Konjunkturpaket II begonnen haben. Geben Sie Sie haben vor dem Deutschen Städtetag in Bo- das Geld den Kommunen. Die legen es sinnvoll chum und anschließend vor dem Kongress der an. Die sorgen für Wachstum vor Ort. Die sorgen deutschen Kommunen Folgendes gesagt – das dafür, dass Kindertagesstätten gebaut werden darf ich noch eben verlesen –: können, dass Schulen und Hochschulen energe- tisch saniert werden können. Da ist das Geld deut- Das, was ich Ihnen heute zusagen kann, ist, lich besser angelegt als auf den Konten von Hotel- dass wir keinem Druck nachgeben werden, besitzern und reichen Erben. wenn es um die Frage geht, ob wir an die Ge- werbesteuereinnahmen herangehen werden. 2744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Das war in Bochum, am 13. Mai 2009. Am 26. Mai ermutigen, gemeinsam anzupacken, um aus dieser 2009 haben Sie in Berlin gesagt: Krise herauszukommen. Ich habe auf dem Deutschen Städtetag eine Wir haben einen Haushalt vorgelegt, der eine Zusage gemacht, die wir auch halten werden. Balance schafft zwischen einer Entlastung der Die Gewerbesteuer bleibt unangetastet. Bürger – erste Steuersenkungen haben wir zu Be- ginn dieses Jahres durchgeführt; insgesamt sollen Das ist Wortbruch. Über Ihrer Koalitionsverein- die Bürger fast 25 Milliarden Euro mehr in den Ta- barung sollte nicht wie im ersten Satz des Johan- schen haben – und der Möglichkeit für öffentliche nesevangeliums „Am Anfang war das Wort“, son- Investitionen. Auch das ist in diesem Haushalt rea- dern „Am Anfang war der Wortbruch“ stehen. lisiert worden. Im Übrigen, Herr Kollege Scheelen, Herzlichen Dank. sind wir mit den Kommunen im Gespräch. Wir ha- ben eine Kommission für eine Gemeindefinanzre- (Beifall bei der SPD) form eingesetzt, weil wir die schwierige Situation unserer Kommunen sehen und diese Schwierigkei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ten gemeinsam mit den Kommunen lösen wollen. Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich für die CDU/ CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Da (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und muss man helfen und nicht noch ver- der FDP) schärfen!)

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Ich danke den Haushältern dafür, dass sie einen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen weiteren wichtigen Schwerpunkt in diesem Haus- halt gesetzt haben. Sie haben klargemacht: Wir und Herren! Die christlich-liberale Koalition legt in der schwersten Krise, die die globalisierte Welt- wollen und werden sparen. Vielen Dank den Haushältern für die Arbeit, die sie in den letzten wirtschaft bisher mitgemacht hat, einen Haushalts- entwurf vor. Wochen oft in nächtelanger Arbeit leisten mussten! (Bettina Hagedorn [SPD]: Aber unterhalb ihrer Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Menschen in diesem Lande machen sich Sorgen, Möglichkeiten geblieben!) viele um ihren Arbeitsplatz, viele um die Zukunft ih- Das hebt sich von den vielen unrealistischen For- rer Kinder. Ich glaube, es ist unsere gemeinsame derungen in Milliardenhöhe, die von roter und grü- Aufgabe in diesem Hause, dafür zu sorgen, dass ner Seite gestellt werden, wohltuend ab. das Vertrauen der Menschen in unser wirtschaftli- (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß ches und politisches System sowie in die Hand- [SPD]: So ein Quatsch! Stimmt überhaupt lungsfähigkeit all derjenigen, die sich im politischen nicht! – Bettina Hagedorn [SPD]: Wir sind Bereich bemühen, erhalten bleibt. Deswegen for- solider als Sie!) dere ich Sie von der Opposition auf, persönliche Diffamierungen gegenüber Mitgliedern der Bun- 80 Milliarden Euro Neuverschuldung, das sind desregierung zu unterlassen. immerhin 5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduk- tes, also all dessen, was in diesem Land produziert (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wird. Das ist nicht wenig und vor allem mehr als das, Es besteht kein Zweifel: Wir hatten vor einigen (Joachim Poß [SPD]: Wir sind doch hier nicht Jahren noch die Hoffnung, dass wir im Jahr 2011, bei Seehofer!) vielleicht sogar im Jahr 2010, einen ausgegliche- was im Stabilitätspakt der Länder, die der Eurozo- nen Haushalt erreichen könnten. Wir hatten in der ne angehören, vorgesehen ist. Föderalismuskommission – Herr Kollege Poß, die FDP war beteiligt – damals diese Vorstellung. 2008 (Joachim Poß [SPD]: Wir sind hier nicht bei wurde durch die Krise alles anders. Alles war Ma- Seehofer!) kulatur. Die Zahlen haben nicht mehr gestimmt; Ein Blick auf unsere internationalen Partner und denn die Steuereinnahmen sind eingebrochen, die Freunde zeigt, dass es den anderen noch schlech- Ausgaben für Arbeitslosigkeit sind gestiegen, und ter geht: Nettoneuverschuldung in Frankreich Konjunkturpakete und Wachstumsbe- 8,2 Prozent, in Großbritannien 12,9 Prozent und in schleunigungsgesetze mussten finanziert werden. den USA 13 Prozent – in Deutschland 5 Prozent. In dieser Situation stellt sich die Frage nach un- (Ute Kumpf [SPD]: Wir hatten gute Kon- seren Grundsätzen. Unsere Grundsätze, mit denen junkturpakete! – Joachim Poß [SPD]: Ja, wir Politik gestalten wollen, um das Land aus der Große Koalition! Konjunkturpakete!) Krise zu führen, heißen: Wir wollen das Potenzial unseres Volkes ausschöpfen. Wir wollen das Po- So schlecht stehen wir also nicht da. tenzial unserer Wirtschaft nutzen. Wir wollen die Substanz erhalten. Wir wollen die Menschen dazu Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2745

Die wichtigste Botschaft für die Menschen ist, Wettbewerbsfähigkeit, weil nur wenig später Öl dass der Arbeitsmarkt stabil bleibt. und alle anderen Rohstoffe, die wir für die Produk- tion brauchen, teurer werden und letzten Endes (Joachim Poß [SPD]: Kurzarbeitergeld!) eine Spirale der Inflation, auch im Innern, in Gang Ich möchte an dieser Stelle einen ganz herzlichen gesetzt wird. Diese Inflation zu verhindern und sie Dank an die Tarifpartner richten, die bisher ver- schon im Ansatz zu bekämpfen, das ist für uns das handelt haben und deutlich gemacht haben: Die wichtigste Thema. Denn Inflation bedeutet Enteig- Sicherung von Beschäftigung und Arbeitsplätzen nung unserer Bürger, und dabei werden wir nicht steht jetzt an allererster Stelle vor allen anderen mitmachen. Forderungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- Unsere dritte Leitlinie lautet schließlich: Die So- geordneten der FDP und des Abg. Joa- zialabgaben auf Löhne und Gehälter in diesem chim Poß [SPD]) Land dürfen nicht steigen. Wir haben mit dem So- Aber, meine Damen und Herren, die Krise ist zialversicherungs-Stabilisierungsgesetz in der vor- nicht vorbei. Eines steht schon heute fest: Wir letzten Woche eine wichtige Weichenstellung vor- werden Jahre brauchen, um auf das Produktions- genommen. Ich denke, die Leitlinien für die nächs- niveau von 2007, also der Zeit vor der Krise, zu- ten Jahre müssen lauten: keine Erhöhung der So- rückzukommen. Das RWI hat heute Vormittag die zialabgaben zulasten der Bevölkerung, mehr Netto jüngsten Konjunkturprognosen nach unten korri- vom Brutto – das lässt sich an genau dieser Stelle giert. Es wird nicht einfach werden. Deswegen ist realisieren – und keine Erhöhung der Lohnneben- es wichtig, dass wir die Leitlinien der christlich- kosten zulasten von Beschäftigung in diesem liberalen Politik noch einmal deutlich machen. Land. Es kann und darf nicht sein, dass in jeder für die Sozialsysteme schwierigen Situation Beschäf- Erstens. Die Kraft dieses Volkes und dieser tigung vernichtet und eine Spirale nach unten, zu- Wirtschaft liegt im Mittelstand. Wir unterscheiden lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer uns in dieser Frage von einigen anderen Ländern, sowie der Wirtschaft, in Gang gesetzt wird. zum Beispiel von unseren Freunden in Frankreich, die auf Großstrukturen, auf Großindustrie setzen. Die vierte wichtige Leitlinie: Wir bekennen uns Deswegen sind wir sehr skeptisch, wenn es darum zur sozialen Marktwirtschaft als der Wirtschafts- geht, eine Wirtschaftsregierung auf europäischer ordnung der Freiheit. In diesem Zusammenhang ist Ebene zu installieren. Wir sagen: Wir lassen uns der Fokus nicht nur auf die Leistungsfähigkeit des von europäischer Ebene nicht die Großstrukturen Einzelnen zu legen, sondern auch auf die soziale der anderen Länder aufdrücken. Wir in Deutsch- Verantwortung. Die Sozialstaatsdebatte wurde in land sind seit vielen Jahrzehnten mit unserer den letzten Wochen und Monaten eröffnet, nicht Struktur erfolgreich und brauchen keine Belehrung zuletzt auch durch das Urteil des Bundes- von anderen. verfassungsgerichts zu Hartz IV. (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß Wir haben aufgrund dieses Urteils ein Problem, [SPD]: Auch richtig!) das uns immer wieder, auch in der Sozialstaats- debatte, begegnet. Ich hoffe, dass sich alle Frakti- Ich will die Bundesregierung in ihrer Ablehnung onen dieses Hauses einig sind, dass derjenige, der und kritischen Haltung gegenüber der EU- arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht Strategie 2020 bestärken, die ebenfalls darauf ab- arbeitet; ich hoffe, dass wenigstens in diesem zielt, wirtschaftspolitische, finanzpolitische, bil- Punkt Konsens besteht. dungspolitische und sozialpolitische Gleichmache- rei in Europa zu betreiben. Unser Widerstand da- (Joachim Poß [SPD]: Eine Banalität! – gegen ist sicher, und wir unterstützen die Bundes- Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- regierung in ihren Bemühungen. NEN]: Das ist schon heute Gesetz!) Die zweite Leitlinie, die für uns von größter Be- Wenn das so selbstverständlich ist, sehen wir an deutung ist: Die Menschen haben auch deswegen dieser Stelle ein großes Dilemma, in dem wir ste- Vertrauen in diesen Staat und in dieses Land, weil hen. Es ist nämlich so, dass ein Hartz-IV- sie Vertrauen in die Stabilität unserer Währung ha- Empfänger die volle Deckung des Bedarfs seines ben. Das ist die zentrale Herausforderung, der wir Kindes aus staatlichen Mitteln bekommt, während uns stellen: die Stabilität unserer Währung auf- derjenige, der arbeiten geht, nur einen Zuschuss in rechtzuerhalten. Denn ein schwacher Euro hilft Form von Kindergeld bekommt. nicht, vor allem führt er nicht zu mehr Wettbe- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: werbsfähigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat doch Wer auch immer das Märchen erzählt, die gesagt, dass das so nicht ist! Was Sie Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar sei gar sagen, stimmt doch gar nicht!) nicht so schlecht, weil sie zu Konjunkturimpulsen Meine Damen und Herren, je mehr Kinder in ei- führe, dem sage ich: Ja, das ist richtig, aber nur für ner Familie sind, desto weiter entwickelt sich die- eine sehr kurze Frist. Auf Dauer schadet das der 2746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 ser Abstand beim Einkommen auseinander, und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zwar zulasten derjenigen, die arbeiten, bzw. zu- neten der FDP) gunsten derjenigen, die nicht arbeiten. Lassen Sie mich ein letztes Wort zu all denen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – sagen, die auf schamlose Weise in den Wohlstand Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weil der Menschen in ganz Europa hineingegriffen ha- die Löhne zu niedrig sind!) ben, nämlich zu den Finanzspekulanten an den Märkten. Um aus dieser Situation herauszukommen, gibt es nur eine einzige Möglichkeit – sie ist heute schon angesprochen worden –: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kom- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Min- men. destlohn!) Wir müssen mehr Leistungen für alle Kinder, vor Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): allem im Bildungsbereich, zur Verfügung stellen. Ich komme zum Ende. – Wir werden uns von Wir wollen nicht nur über die Kinder von Hartz-IV- den Lobbyisten der Finanzbranche – europa- Empfängern reden, sondern wir müssen über alle und weltweit – nicht in die Knie zwingen lassen. Kinder reden. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dann (Joachim Poß [SPD]: Machen wir doch!) müsst ihr etwas mehr tun!) Wir sind es allen Kindern schuldig, optimale Vo- Wir sagen den Lobbyisten: Wir werden all denen raussetzungen für Bildung zu schaffen. Fesseln anlegen, die in der Vergangenheit zulas- ten der Bevölkerung in Europa und in der Welt ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aast haben. Notfalls werden wir auch nicht davor Dazu gehört, dass die Kinder eine ordentliche zurückschrecken, die sogenannten innovativen Ernährung bekommen, dass sie sich bewegen, Produkte, die letzten Endes nur zur Spekulation dass sie eine musikalische Ausbildung angeboten und zum Zocken dienen, bekommen und dass sie individuell gefördert wer- (Joachim Poß [SPD]: Ja!) den. Wenn wir es schaffen, an dieser wichtigen Schnittstelle zwischen Bildungspolitik – in Klam- zu verbieten. mern: Ländersache – und Sozial- und Gesell- (Joachim Poß [SPD]: Sie sind doch nicht schaftspolitik – in Klammern: Aufgabe des Bundes einer Meinung mit der FDP! Was sagt – ein wichtiges Zeichen zu setzen, indem wir mehr denn Herr Westerwelle dazu? – Dr. Axel Geld für unsere Kinder, und zwar für alle Kinder, Troost [DIE LINKE]: Wir werden Sie an Ih- zur Verfügung stellen, wird es uns auch gelingen, ren Taten messen!) das Problem des Lohnabstands bzw. des Ab- stands zwischen den Sätzen für Kinder aus Hartz- Meine Damen und Herren, diese Regierung IV-Familien und den Zuschüssen für Kinder aus sieht die großen Herausforderungen, und sie packt Arbeitnehmerfamilien zu verringern. Mir scheint, diese Herausforderungen an. Der Haushalt, der das ist ein entscheidender Punkt, über den wir in vorgelegt wurde, beweist das. den nächsten Monaten diskutieren müssen. Vielen Dank. Meine Damen und Herren, wenn Sie gestern ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen Blick in die Zeitungen geworfen haben, muss- neten der FDP) ten Sie vermuten, sich in einer verkehrten Welt zu befinden: Deutschland wird beschuldigt, an der Schuldenkrise in Europa schuld zu sein, weil die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Deutschen mehr arbeiten, fleißiger sind, weniger Das Wort hat nun Petra Merkel für die SPD- ausgeben, mehr sparen. Fraktion. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo (Beifall bei der SPD) haben Sie denn das gelesen? – Joachim Poß [SPD]: Kein Anlass zu Chauvinis- Petra Merkel (Berlin) (SPD): mus!) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kultur ist Europa insgesamt wird nicht wettbewerbsfähiger, nicht alles; aber ohne Kultur ist alles nichts – das Europa insgesamt steht nicht besser da, wenn den merken im Augenblick viele Kommunen, deren Stärksten, nämlich den Deutschen, verordnet wird: Steuereinnahmen drastisch zurückgehen. Wir aus Ihr dürft nicht mehr fleißig sein, ihr dürft nicht mehr dem Kulturbereich haben den Eindruck, dass in sparsam sein. Deswegen rufen wir den Europäern erster Linie sofort an der Kultur gespart wird. zu, dass wir die Linie, die wir in Deutschland fah- ren, unsere erfolgreiche Politik, auch in dieser Fra- Die SPD-Fraktion hat sich überlegt, wie man ge fortsetzen werden. von der Bundesebene Kommunen unterstützen kann. Ich habe im Haushaltsausschuss den Antrag Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2747 gestellt, die Mittel für die Kulturstiftung des Bundes dass Sie sich vehement gegen die unsinnigen Plä- um 2 Millionen Euro zu erhöhen, um kleine Projek- ne stellen, mit der die vier Klangkörper in ihrer te in der Fläche zu organisieren. Dadurch würden Existenz gefährdet werden. Dabei haben Sie unse- die Kommunen unterstützt. Diese Chance wurde re Unterstützung. vertan, weil die Regierungsfraktionen, Schwarz- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gelb, Nein gesagt haben. Das ist schade; denn das wäre ein Ansatz gewesen, wie wir ein wenig Ich komme zu einem anderen Thema. Ein gro- hätten unterstützen können. ßes Potenzial in der Bundesrepublik hat der Be- reich der Filmförderung. Immerhin umfasst dieser Einige der Ideen, die die schwarz-gelbe Koaliti- Bereich über 100 Millionen Euro. Die Filmförde- on eingebracht hat, haben wir zum Teil unterstützt. rung hat viele Impulse gesetzt. Es wird immer Die Ideen sind da; allerdings fehlen häufig ent- deutlicher, dass viele wichtige internationale und sprechende Konzeptionen. Ich will das Zeitzeu- nationale Produktionen und Koproduktionen in genbüro und die Begegnungsstätte der Bun- Deutschland entstehen. Dadurch werden Arbeits- desstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, plätze geschaffen und Impulse gesetzt. Es trans- ein Projekt von 600 000 Euro, ansprechen. Das ist portiert auch ein positives Bild von Deutschland eine gute Idee; aber das Konzept muss nachgelie- nach außen. fert werden. Hier wäre eine Sperre angebracht ge- wesen, wie sie in einem anderen Haushalt – bei Die Berlinale zeigt jedes Jahr aufs Neue, dass Arbeit und Soziales – verhängt worden ist. Hier ist Glamour in der Hauptstadt Berlin eine Sogwirkung wegen der schwarz-gelben Politikerinnen und Poli- hat, aber nicht nur für die Stadt, sondern auch für tiker eine solche Sperre gar nicht erst eingerichtet die Bundesrepublik insgesamt; denn der rote Tep- worden. Wir brauchen aber, wie gesagt, ein Kon- pich, auf dem sich die Schauspielerinnen und zept für dieses Projekt, bevor Geld fließt. Schauspieler, die Producer, die Regisseure und die Drehbuchautoren bewegen, die Storys, die die Ebenso ist es bei der kulturellen Vermittlung: Illustrierten schreiben, sind eben nur ein Teil. Die Der Ansatz ist gut; aber es fehlt auch hier ein kla- Filmförderung bedeutet auch Arbeitsplätze für res Konzept. Das ist schade; denn das hätten wir Deutschland. Die Filmwirtschaft ist ein großer gut hinbekommen können. wichtiger Teil der Kreativwirtschaft und ständig im Ich will zu einem Punkt kommen, der uns von Wachsen begriffen. Die Mittel hierfür sind gut an- der Opposition geärgert hat. Nicht nur mich, son- gelegtes Geld. dern auch Staatsminister Neumann hat der Vor- Wir haben auch einen neuen Schwerpunkt un- stoß seiner Partei- oder Parlamentskollegen über- terstützt. Er betrifft viele von uns, auch Sie, liebe rascht, ja, überfahren, die Mittel für die Rundfunk- Kolleginnen und Kollegen: In den Wahlkreisen gibt Orchester und -Chöre GmbH, roc, zu kürzen. Das es viele kleine Kinos. Ihnen steht die Digitalisie- haben wir durch eine vereinte Aktion im Ausschuss rung ins Haus. Sie können sie aber nicht umset- verhindern können. Es war schließlich gerade ein zen, weil dafür einfach die Mittel fehlen. Es ist ge- gutes Verhandlungsergebnis mit einer leichten Er- lungen, für dieses Jahr 4 Millionen Euro und noch höhung der Mittel für die roc erreicht worden. Da- einmal 2,5 Millionen Euro für die beiden nächsten durch konnte etwas befriedet werden, was jahre- Jahre einzustellen. Wir hätten uns zwar 7 Millionen lang schwierig war. Da rumst es jetzt. Wir waren Euro gewünscht, aber sei es drum. Richtig ist: Es alle ziemlich unglücklich, auch Staatsminister wird mit der Digitalisierung begonnen werden kön- Neumann. Wenigstens konnten wir verhindern, nen. dass die schwarz-gelbe Koalition die Mittel kürzt. Stattdessen ist erst einmal eine Sperre verhängt Allerdings fehlt auch dort ein Konzept. Dazu worden. Jetzt sind Sie an der Reihe, Herr Staats- brauchen wir den Bund. In dem entsprechenden minister. Sie müssen klarstellen, wie es mit der roc Haushalt sind dafür die Mittel eingestellt. Hinzu weitergehen soll. Sie müssen klarstellen, ob die müssen ein Beitrag der Länder und ein Beitrag der Existenz der Orchester aufs Spiel gesetzt werden Branche kommen. Das würde die kleinen Kinos soll und die Chöre den Bach heruntergehen sollen. wirklich unterstützen. Kino-ketten können die Digi- Ich sage Ihnen: Das wäre ein Armutszeugnis. Viele talisierung alleine finanzieren. Kleine Kinos, Pro- haben mir zugestimmt. grammkinos brauchen hier unsere Unterstützung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ja, die roc ist eine ungewöhnliche Konstruktion, sicherlich auch dem Mauerfall geschuldet. Sie ist Herr Staatsminister, ich möchte Sie bitten, den ein Teil der Geschichte dieser Stadt und dieses Wirtschaftsminister davon zu überzeugen, dass er Landes. Allerdings sind Veränderungen nicht tabu; Fördergelder aus seinem Etat bereitstellt. Das wä- das haben wir auch in vorherigen Zeiten immer re eine wahre Mittelstandsförderung und wäre in gesagt. Ich finde aber, es muss jetzt politisch klar- dieser gemeinsamen Konstellation eine sinnvolle gestellt werden, was passieren soll. Deswegen er- Aktion. warte ich von Ihnen, Herr Staatsminister Neumann, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 2748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Die Fraktion der SPD wird in Kürze einen Antrag in Kulturverständnis mit den Elementen Freiheit, Vi- dieser Richtung vorlegen. talität und Vielfalt. Seit jetzt 20 Jahren gilt diese Ausrichtung auch für Deutschland-Ost. In den Zum Schluss möchte ich für eine gute konstruk- 40 Jahren DDR war es anders. Da galt die Wei- tive Zusammenarbeit ganz herzlichen Dank sagen. sung Otto Grotewohls, der auf den Tag genau vor Bei uns allen gibt es unterschiedliche Ansätze, 59 Jahren, am 17. März 1951, erklärte: aber im Kulturbereich funktioniert die Zusammen- arbeit in der Regel noch immer gut. Literatur und bildende Künste sind der Politik untergeordnet … Die Idee der Kunst muss der Herzlichen Dank. Marschrichtung des politischen Kampfes fol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Art von Bevormundung gibt es nicht mehr, und sie darf es in Zukunft auch nicht mehr geben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Wolfgang Börnsen für die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) CDU/ CSU-Fraktion. Die letzten fünf Jahre waren mit die besten Kul- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und turjahre für Deutschland. Daran haben alle Frakti- der FDP) onen ihren Anteil. Fast 6 Milliarden Euro sind durch den Bund initiiert worden. Allein 2010 werden es Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): 1,2 Milliarden Euro sein. So hoch war der Etat noch nie. Das bedeutet eine Steigerung in fünf Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Jahren um über 12 Prozent und ist eine Erfolgsge- gen! Nach Ihrer Rede, Frau Merkel, glaube ich schichte, an der einer unserer Kollegen einen be- schon, dass wir diese Dinge gemeinsam voran- sonders hohen Anteil hat, nämlich Staatsminister bringen. Kultur schafft Lebensfreude. Sie ist sinn- , ein Christdemokrat. erfüllend. Kultur brauchen wir. Auch in dieser Le- gislaturperiode gehören Kultur und Medien weiter (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- zum Etat des Bundeskanzleramtes. Sie sind damit geordneten der FDP – Wolfgang Wieland Chefsache. So sollte es bleiben. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass er es dazusagt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Doch auch Kürzungen hat der Haushaltsaus- Weniger Wachstum, weniger Steuern und weni- schuss vorgenommen, so unter anderem bei der ger freie öffentliche Mittel bedeuten auch für die Kulturstiftung und bei der Deutschen Welle – mit Kultur neue Herausforderungen. Nicht Klagen hel- Skepsis in Bezug auf deren Ausgabenpolitik. So fen, sondern neue Konzepte! Die Finanznot ist be- geht das nicht. Im Fachausschuss müssen wir uns sonders bei den Städten und Gemeinden drama- damit dringend auseinandersetzen. tisch groß. Die von der Bundesregierung jetzt be- schlossene Gemeindefinanzkommission will eine Bei der Kulturförderung durch private Hände grundlegende Verbesserung der kommunalen liegt Deutschland gemeinsam mit der Schweiz an Haushalte erreichen. Das hilft der Daseinsvorsorge der Spitze. Allein Unternehmen bei uns geben vor Ort und gewährt gleichzeitig Mittel für Kultur jährlich 350 Millionen Euro für das Kultursponso- und Bildung. Diese Regierungsentscheidung ver- ring aus. Die christlichen Kirchen sind mit dient die Unterstützung des gesamten Parlamen- 3 Milliarden Euro dabei, und 16 000 Stiftungen tes, weil sie Investitionen für die Kultur ebenso ge- sorgen mit Fördergeldern in Höhe von 4 Milliarden währleistet wie Arbeitsplatzsicherheit für Kultur- Euro auch für die Kultur. Das sind Beiträge, die schaffende. Ausdruck eines vorbildlichen Bürgerengagements sind. Wir sollten das im besten Sinne unterstützen. Mit dem Wissen um diese Reformperspektive appelliere ich an alle Verantwortlichen von Flens- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP burg bis Konstanz, bei der Kultur jetzt nicht zu kür- sowie des Abg. Wolfgang Wieland zen. Wer nicht will, dass aus der wirtschaftlichen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) eine gesellschaftliche Krise wird, der muss das Erfolgversprechend ist auch die Kultur- und Gegenteil tun, nämlich die Kultur jetzt stärken. Kreativwirtschaft, die mit 830 000 Arbeitsplätzen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ein Arbeits- und Wachstumsmotor ersten Ranges der FDP) ist. Wir werden ihr weiter eine Zukunft geben. In einer Epoche zunehmender Globalisierung wird Das gilt auch für die Breitenkultur. Wir als Union durch sie Orientierung für den Menschen und ein wollen Kultur für alle und Kultur von allen gefördert Zusammenhalt unserer Bürgergesellschaft gestif- wissen. Hoch-, Breiten- und Soziokultur: Alle tet. drei haben einen Anspruch auf Anerkennung und Förderung. Seit der Schaffung des Grundgesetzes vor 60 Jahren nach einer menschenverachtenden NS- Die Kultur gibt es nicht nur in den großen Häu- Diktatur praktizieren wir in Deutschland-West ein sern. Auch alle nicht professionellen Initiativen – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2749

Kultur auf dem Lande, die kulturelle Bildung – dür- gehören wir auch –, darf erst recht nicht auf diese fen nicht zu kurz kommen. Sie alle sind im Kultur- Kommission setzen. Wer jetzt nicht wegsehen und haushalt berücksichtigt; er ist entsprechend ausge- weghören will, muss etwas anderes tun und jetzt richtet. So muss es auch bleiben. helfen. Wir sind in Europa mit Gesamtausgaben von 12 (Beifall bei der LINKEN) Milliarden Euro an der Spitze bei den Investitionen Im Art. 104 b des Grundgesetzes heißt es, der in die Kultur. Das ist ein Wort. Wir sind ein Kultur- Bund land, und wir wollen das auch in Zukunft bleiben. kann … im Falle von Naturkatastrophen oder Herzlichen Dank. außergewöhnlichen Notsituationen, die sich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchti- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gen, auch ohne Gesetzgebungsbefugnisse Fi- Jetzt hat Kollegin Lukrezia Jochimsen für die nanzhilfen gewähren. Fraktion Die Linke das Wort. Von dieser außergewöhnlichen Notsituation aus- (Beifall bei der LINKEN) gehend fordert die Fraktion Die Linke ein So- fortprogramm des Bundes in Höhe von 1 Milliarde Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Euro für den Erhalt unserer kulturellen Infrastruk- tur. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Börnsen, ja, das ist weiß Gott (Beifall bei der LINKEN) die Parole der Stunde: die Kultur jetzt stärken. – Allen Kritikern halte ich entgegen: Wenn Sie Wie sieht aber die Umsetzung dieser Parole in der diesen Weg für nicht gangbar halten, dann ma- Wirklichkeit unseres Landes im Moment eigentlich chen Sie etwas Besseres. Aber machen Sie etwas! aus? Sagen Sie nicht immer nur, was Sie nicht können, Wegsehen und Weghören: Das sind Haltungen, sondern fangen Sie endlich an, mit Ländern und durch die einer demokratischen Gesellschaft ein Kommunen darüber zu verhandeln, was möglich schwerer Schaden zugefügt wird. Auf Regierungs- ist. Irgendetwas muss schließlich möglich sein. ebene und auf nationaler Ebene wird in Sachen Denn wir müssen aus dieser Situation he- Kultur im Moment aber weggesehen und wegge- rauskommen. Speisen Sie die Bürgerinnen und hört, und das, obwohl uns jeden Tag neue Hilferu- Bürger, die um ihre Theater, Museen, Büchereien, fe aus den Kommunen erreichen: Rekorddefizite, Mal- und Musikschulen kämpfen, nicht einfach mit Schulden, Sparpläne und die Folgen für die Kultur. Hinweisen auf investive Maßnahmen ab. Neue Vorgestern ging es um die Theaterschließungen im Theater und neue Museen sind schön, aber leben- Ruhrgebiet, gestern um das Verschwinden kleiner dige Kultur sind sie nur dann, wenn Menschen in Bibliotheken und heute um Museen, die ihre Öff- ihnen Kultur für Alt und Jung, für Arm und Reich nungszeiten verkürzen müssen. schaffen können. Dies zu gewährleisten, verlangt wirkliche Investition. Was macht die Regierung? Die Regierung hat eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen (Beifall bei der LINKEN) zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung einge- Die Linksfraktion fordert eine grundlegend ver- setzt – der Kollege Börnsen hat sie uns gerade in änderte Finanzierung unserer ausgeraubten warmen Worten geschildert –: die Gemeindefi- Kommunen. Wir brauchen außerdem Überlegun- nanzkommission. Was wird dieser Kommission gen dazu, was eigentlich zu den Pflichtaufgaben von vornherein aufgetragen? Ihre Aufgabe ist es, und zu den freiwilligen Aufgaben einer Kommune … darauf zu achten, Aufkommens- und Las- gehört. Wieso gehören Bibliotheken nicht zu den tenverschiebungen insbesondere zwischen Pflichtaufgaben einer Kommune? Diese Frage dem Bund auf der einen und Ländern und konnte mir noch nie jemand wirklich beantworten. Kommunen auf der anderen Seite zu vermei- (Beifall bei der LINKEN) den. Wir plädieren an dieser Stelle im Übrigen für Das heißt aber, dass alles bleibt, wie es ist. Es mehr direkte Demokratie und wirkliche Selbstver- wird also weggesehen und weggehört. Wer die Fi- waltung in den Kommunen. Durch Bürgerbefra- nanzgrundlagen der Kommunen prinzipiell verän- gung und Bürgerbeteiligung sollen Bürger mitent- dern will – das wollen zum Beispiel wir von der scheiden können, was im Dorf, in der Kleinstadt Linksfraktion –, oder im Stadtteil gebraucht wird. Überall vor Ort (Beifall bei der LINKEN) mehren sich die Proteste gegen den Kulturabbau. Überall erkennen die Menschen – gerade in Zeiten darf auf die Ergebnisse dieser Gemeindekommis- des derzeit drohenden Verlusts –, wie wichtig Kul- sion nicht warten und muss einen anderen Weg tur für sie und ihre Kinder ist. Es waren verschie- einschlagen. Für wen die Kultur in einem umfas- senden Sinn zur Daseinsvorsorge gehört – dazu dene Bundesregierungen, die die Kommunen in 2750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 diese Not gebracht haben. Insofern ist nun der der SED-Diktatur zu einem Aufgabenschwerpunkt Bund in der Verantwortung. Er darf die Kultur ins- der 17. Wahlperiode gemacht. Gerade im gesamt nicht durch einfaches Wegsehen und 20. Jubiläumsjahr der friedlichen Revolution und Weghören beliebig zur Disposition stellen. des Mauerfalls dürfen die Folgen der SED-Diktatur nicht verharmlost oder vergessen werden. Danke schön. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Mit der Einrichtung eines Zeitzeugenbüros und Das Wort hat nun Reiner Deutschmann für die einer Begegnungsstätte zur Aufarbeitung der DDR- FDP-Fraktion. Diktatur setzt die Koalition diese Vorgabe gleich mit dem ersten Haushalt dieser Legislaturperiode (Beifall bei der FDP) um.

Reiner Deutschmann (FDP): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr ver- In beiden Einrichtungen investieren wir ehrten Damen und Herren! Altbundespräsident Ri- 600 000 Euro. Das ist gut angelegtes Geld. Gera- chard von Weizsäcker hat über die Kultur gesagt: de für junge Leute ist es wichtig, mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. Das ist effizienter als vier Unsere Kultur ist gewachsen wie ein kräftiger, Wochen Geschichtsunterricht im Klassenzimmer. vielgestaltiger Mischwald. Er leistet seinen Beitrag zur lebensnotwendigen Frischluft. Auch die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi- Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen erhält in diesem Jahr eine höhere Zuwendung, um ihre her- Damit spricht er aus, was für uns alle eigentlich vorragende Arbeit noch besser fortführen zu kön- selbstverständlich sein sollte. Leider muss aber ge- nen. rade die Kultur immer wieder um ihre Finanzie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- rungsgrundlagen kämpfen. Sie muss gestärkt wer- ten der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang den. Deshalb sollte die Kultur zur Pflichtaufgabe Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der Länder und Kommunen werden, wie es in Sachsen der Fall ist. „Kein Geschichtsbuch der Welt hätte uns so viel zeigen können wie Sie in diesen zwei Stunden“, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schreiben Schüler aus Baden-Württemberg. Die der CDU/CSU) Mitarbeiter der Gedenkstätte beweisen seit Jahren, Wer die Axt an die Wurzeln der Kultur anlegt, wie Öffentlichkeitsarbeit erfolgreich betrieben wer- riskiert dauerhafte Schäden für unsere gesell- den kann. Ehemalige Häftlinge führen die Besu- schaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Ich bin cher durch die Gedenkstätte. Dieser Kontakt am deshalb froh, dass es der Koalition gelungen ist, Originalschauplatz lässt die Besucher nicht kalt. einen soliden und verlässlichen Bundeskulturetat Die Förderung solcher Einrichtungen wie der in vorzulegen. Hohenschönhausen ist ein wichtiger Punkt, um et- was gegen gefährliches Halbwissen und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ostalgiewellen zu tun. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Der Etat des BKM steigt in diesem Jahr noch ein- der CDU/CSU) mal deutlich, und das, obwohl wir uns in einer der stärksten Wirtschaftskrisen befinden, die unser Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Land in den letzten 60 Jahren bewältigen musste. Denkmäler brauchen unsere Unterstützung. Trotz großer Anstrengungen von Kommunen, Ländern Dieser Etat ist ein starkes Signal an die Kultur- und Bund sind viele bauliche Zeugnisse der Ge- schaffenden sowie an alle Bürgerinnen und Bür- schichte vom Verfall bedroht. Wir haben uns er- ger. Auch in Zeiten knapper Kassen erweist sich folgreich dafür eingesetzt, dass die Mittel für die der Bund als verlässlicher Partner. Kulturförderung Restaurierung von unbeweglichen Kulturdenkmä- hat für uns Liberale höchste Priorität. lern von nationaler Bedeutung um 3 Millionen Euro (Beifall bei der FDP) auf 17,3 Millionen Euro erhöht werden. Damit leis- tet der Bund einen wichtigen Beitrag zur Sanierung Aus diesem Grund sind wir besonders stolz, dass und Substanzerhaltung von Baudenkmälern wie es uns quasi in letzter Minute gelungen ist, zusätz- auch von historischen Parks und Gärten. lich rund 5 Millionen Euro bereitzustellen. Damit wächst der Kulturetat gegenüber dem Vorjahr um (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ insgesamt 22 Millionen Euro. Das entspricht einer CSU und der SPD) Steigerung von 2 Prozent. Gerade kleine und finanzschwache Kommunen Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitions- können durch diese Mittel das eine oder andere vertrag haben Union und FDP die Aufarbeitung Kleinod vor dem völligen Verfall retten. Aufgrund Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2751 der nationalen Bedeutung unterstützt die Koalition Umso erstaunlicher ist es, dass Ihnen die Medien auch den Wiederaufbau des Kölner Stadtarchivs jenseits Ihrer Pressearbeit so wenige Anstrengun- mit 1 Million Euro. gen wert sind. Die Heimat all Ihrer Pressemittei- lungen ist in Not, und Sie schauen tatenlos zu. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ebenso liegt uns die freie Theaterszene sehr am Wir brauchen aber ein breites Angebot an un- Herzen. Freie Theater setzen neue Maßstäbe und abhängigen Medien; denn dies ist ein wesentli- halten mit ihrer Experimentierfreude den kulturellen cher Grundpfeiler unserer Demokratie. Wir Grüne Nährboden fruchtbar. Sie sind ein besonderer Hort wollen mündige Bürgerinnen und Bürger, die teil- kreativer Kraft und nutzen die Sprache jüngerer haben können an dieser Demokratie. Menschen, die wir gerade im Rahmen der kulturel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len Bildung für Kunst und Kultur interessieren wol- len. Diese Theater haben aber gewöhnlich eine Auch deshalb brauchen wir einen leichten Zugang äußerst dünne Finanzdecke und werden haupt- zu Informationen, ohne Einschränkungen oder sächlich von ehrenamtlichem Engagement getra- Barrieren, online wie offline. Der schnelle Zugang gen. oder überhaupt ein Zugang zum Internet fehlt aber in ganzen Landstrichen. Wenn Sie, Herr Brü- Allein in Niedersachsen bieten die freien Thea- derle, die Verlegung moderner Kabelleitungen fei- ter etwa viermal so viele Aufführungen für Kinder ern, bringt das nur wenig, wenn die Leitungen nicht und Jugendliche pro Jahr an wie die Stadt- und bis an die Häuser reichen. Das ist dann so wie ei- Staatstheater und erreichen doppelt so viele Zu- ne ICE-Strecke ohne Bahnhöfe: Man kann nicht schauer. Deswegen ist es nur konsequent, wenn zusteigen und verpasst den Anschluss. der Bundesverband Freier Theater erstmalig Gel- der für seine Arbeit erhält. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ein weiteres zentrales Anliegen muss uns die der CDU/CSU) Medienkompetenz sein. Da müssen wir bei Kin- dern und Jugendlichen anfangen. Zwar finden sich Auch die uns sehr wichtige Initiative Kultur- und über den Haushalt verteilt einige Projekte zur Me- Krea-tivwirtschaft erhält einen höheren Zuschuss. dienkompetenz, die gefördert werden. Aber das Deutschland begreift sich als Kulturnation. Auch im sind zumeist nur große Vorzeigeprojekte. Das ist Ausland werden wir gerade wegen unserer Kultur- uns zu wenig. Wo bleibt die Förderung von kleinen dichte geschätzt. Jeder in die Kultur investierte Eu- Initiativen, die Kindern, Jugendlichen und Erwach- ro zahlt sich auf anderen Ebenen doppelt und drei- senen die digitale Welt erklären? Wir haben ver- fach aus. Unser christlich-liberaler Kulturhaushalt stärkte Maßnahmen unter einem solchen Haus- trägt dieser Tatsache Rechnung. haltstitel gefordert, aber ohne Erfolg. Obwohl der Ich danke insbesondere Herrn Staatsminister Medienbereich sowieso schon mit einem sehr Neumann und allen, die positiv an diesem Haus- schmalen Budget ausgestattet ist, wird ausgerech- halt mitgewirkt haben. net hier noch weiter gespart. Vielen Dank. Kreativität fehlt Ihnen auch bei der Lösung der Pressekrise. Die Verlegerlobby hat Ihnen das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Leistungsschutzrecht in den Koalitionsvertrag dik- der CDU/CSU) tiert. Doch wie es aussehen soll, weiß keiner so genau. Offenbar wissen Sie nicht einmal, sehr ge- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ehrte Damen und Herren von der Koalition, ob Sie Das Wort hat nun Tabea Rößner für die Fraktion es denn überhaupt noch wollen. Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wie bei Abgeordneten der SPD)

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Selbst wenn es diesen Verlegerschutz geben soll- te, wird er die Presse nicht retten. Nicht ein Trop- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! fen und auch nicht ein Tröpfchen, sondern höchs- Da wir hier die ganze Woche über Zahlen diskutie- tens ein Nanotröpfchen auf den heißen Stein wäre ren, habe auch ich eine mitgebracht: 15. 15 Pres- das. Die Presse stirbt, und Sie schauen zu. semitteilungen haben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP gestern versandt. Insgesamt Unsere Demokratie braucht starke, unabhängi- 2 054 waren es im vergangenen Jahr. Offensicht- ge Medien. Sie informieren, sie kritisieren, und sie lich haben Sie ein großes Vertrauen in die Medien tragen zur gesellschaftlichen Debatte bei. Unab- und darin, dass diese Ihre Botschaften an die Bür- hängige Medien sind kein Luxus, den wir uns leis- gerinnen und Bürger weitertragen. ten. Sie sind geistiges und gesellschaftliches Grundnahrungsmittel. Ihre Glaubwürdigkeit ist das (Zuruf von der FDP: Ja!) Fundament, auf das sie bauen. Dieses Fundament 2752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 dürfen wir nicht unterhöhlen, wie es im Fall Bren- ben wir mitgetragen –, mit Fragen des Internets der beim ZDF geschehen ist. und der digitalen Welt auseinandersetzen wird. Nun kann man sicherlich noch einige Zeit auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Handlungsempfehlungen warten. Es gibt aber wie bei Abgeordneten der SPD) schon heute in einigen Punkten insbesondere kul- Mit dieser Personalentscheidung wurde offensicht- turpolitische Herausforderungen, zum Beispiel wie lich, dass der Staat hier auch auf das Programm die kulturelle Vielfalt im Internet und der freie Zu- zugreift. Das aber widerspricht der Rundfunkfrei- gang zu den Informationen gesichert werden kön- heit, die im Grundgesetz verankert ist, fundamen- nen. tal. Eine Antwort, die wir im Bereich der Kulturpolitik (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ geben, ist die Deutsche Digitale Bibliothek. Ob- DIE GRÜNEN) wohl Ende des Jahres ein Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den Ländern abgeschlos- Was haben Ministerpräsidenten, Staatssekretäre und Vertreter der Bundesregierung im Fernsehrat sen wurde, wonach bis zum Jahr 2013 erhebliche des ZDF zu suchen? Ich meine: nichts. Mittel, etwa 10 Millionen Euro, dort eingebracht werden sollen, habe ich erhebliche Kritik an den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Strukturen, in denen dieser Prozess abläuft. Es wie bei Abgeordneten der SPD) gibt keine eindeutig geklärten Verantwortlichkeiten, es gibt keine klare Steuerung dieses Prozesses, es Herr Neumann, wenn Sie schon als Regierungs- gibt kein Konzept, in dem Prioritäten oder Finan- vertreter Mitglied im Verwaltungsrat sind, dann zierungsbedarfe dargestellt worden sind. Das ist schauen Sie nicht tatenlos zu, wenn ein unabhän- ein erheblicher Mangel. Nun mag man wie die Lin- giger Journalist gegangen wird. ken beantragen, zusätzliches Geld dort hineinzu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- pumpen, aber Voraussetzung für uns ist, dass wir wie bei Abgeordneten der SPD) zunächst die Ziele und die Schwerpunkte eindeutig Auch wenn der Rundfunk Ländersache ist, ste- definieren. hen wir Bundestagsabgeordnete hier in der Pflicht, (Beifall bei der SPD) und zwar in der Pflicht, die Verfassung zu wahren. Wir haben die Möglichkeit, einen Normenkontroll- Deshalb fordern wir, dass die Gremien klare Ve- antrag zu stellen. Wir Grüne wollen, dass der ZDF- rantwortungsstrukturen erhalten und ein nationaler Staatsvertrag durch das Bundesverfassungsge- Digitalisierungsrat eingerichtet wird, der eine steu- ernde Funktion und die Aufgabe haben muss, eine richt überprüft wird. Jeder von Ihnen kann sich die- sem Antrag anschließen und zeigen, dass ihm die nationale Digitalisierungsstrategie zu entwickeln. Unabhängigkeit der Medien etwas wert ist. Ich lade Das zweite Thema ist hier schon von anderen Sie alle ein, den Antrag zu unterschreiben. So angesprochen worden. Ich will auf die kommunale senden wir gemeinsam ein starkes Signal nach Finanzkrise und insbesondere auf deren Auswir- draußen, für einen starken und für einen unabhän- kungen auf die Kulturpolitik eingehen. Der Bund gigen Rundfunk. trägt etwa 10 Prozent der öffentlichen Kulturaus- gaben, die Länder tragen gemeinsam mit den Vielen Dank. Kommunen 90 Prozent. In Nordrhein-Westfalen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tragen die Kommunen aus traditionellen Gründen allein 80 Prozent der Ausgaben. Insofern sind die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Auswirkungen der abenteuerlichen Steuerpolitik Frau Kollegin Rößner, das war Ihre erste Rede neben den ohnehin zu bewältigenden Auswirkun- im Deutschen Bundestag. Unsere herzliche Gratu- gen der Finanzkrise gerade für die Kommunen in lation und alle guten Wünsche für die weitere Ar- Nordrhein-Westfalen, aber nicht nur dort, gravie- beit! rend. (Beifall) Was kann der Bund tun? Wir haben den Antrag gestellt – eine schmale Idee, die aber immerhin gu- Nun hat Kollege Siegmund Ehrmann als letzter te Effekte hat –, die Bundeskulturstiftung mit Redner in dieser Debatte das Wort für die SPD- mehr Mitteln auszustatten. Darüber ist berichtet Fraktion. worden. Ein weiterer Punkt ist – das ist ein Ansatz (Beifall bei der SPD) vorausschauender und gestaltender Kulturpolitik –, Erfahrungen, die wir mit der öffentlichen Kulturför- Siegmund Ehrmann (SPD): derung durch den Bund in Ostdeutschland ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! macht haben, auf Westdeutschland zu übertragen. In der Tat gibt es im Bereich der Kultur- und Medi- Im Osten unseres Landes haben wir mit dem enpolitik zwischen den Fraktionen große Schnitt- Blaubuch ein Instrument, mit dem wir gemeinsam mengen. So begrüßen wir ausdrücklich, dass sich mit allen Akteuren die Projekte von nationaler eine Enquete-Kommission – deren Einrichtung ha- Bedeutung identifiziert haben. Muss denn erst in Köln das Stadtarchiv zusammenbrechen, damit wir Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2753 erkennen, dass dieses Archiv in Köln ebenfalls ein Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bit- besonderes nationales kulturelles Erbe ist? ten, Platz zu nehmen, damit wir uns auf die weite- ren Beratungen konzentrieren können. Ich bitte (Beifall bei der SPD) Sie, die Gespräche einzustellen oder sie vor dem Nun haben wir uns als Bund gemeinsam mit der Saal zu führen. Kommune Gott sei Dank in die Stiftung einge- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.10 auf: bracht. Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat extrem lange gebraucht, Einzelplan 05 ebenfalls Verantwortung zu übernehmen. Aus die- Auswärtiges Amt sem Beispiel leiten wir die Forderung ab, die Kul- – Drucksachen 17/605, 17/623 – turförderpolitik des Bundes weiterzuentwickeln und die Idee des Blaubuches nicht auf Ostdeutschland Berichterstattung: zu beschränken, sondern die Identifikation beson- Abgeordnete Herbert Frankenhauser ders förderwürdiger kultureller Güter auch in den Klaus Brandner westdeutschen Ländern vorzunehmen. Dies wäre Dr. h. c. Jürgen Koppelin eine Möglichkeit, die Kommunen zu entlasten. Sven-Christian Kindler (Beifall bei der SPD) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind Im Ergebnis heißt das: Sowohl bei der Digitali- für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – sierungspolitik als auch bei der Weiterentwicklung Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann kön- der Kulturförderung durch den Bund vermisse ich nen wir so verfahren. die Gestaltungsverantwortung dieser Regierungs- koalition und des Staatsministers. Wir haben Anre- Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile als ers- gungen gegeben. Wir erwarten, dass Sie sich mit tem Redner in dieser Debatte das Wort dem Kolle- diesen qualifiziert auseinandersetzen. gen Klaus Brandner, SPD-Fraktion. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Klaus Brandner (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: beraten heute mit dem Einzelplan des Auswärtigen Ich schließe die Aussprache. Amtes einen Haushalt, in dem es zumeist nicht um die ganz großen Zahlen geht. Mit seinen rund 3,2 Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Milliarden Euro macht dieser Etat 1 Prozent des plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, Gesamthaushalts aus. Doch die Ausgaben, die mit in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Ände- diesem 1 Prozent bestritten werden können und rungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den müssen, haben es in sich. wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände- rungsantrag der Linken auf Drucksache 17/1023? Bevor ich zu den Einzelheiten komme, möchte – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der ich mich bei den Mitberichterstattern der einzelnen Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses Fraktionen ganz herzlich bedanken. Die Zusam- gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge- menarbeit war insbesondere für jemanden, der lehnt. zum ersten Mal diese Aufgabe wahrgenommen hat, sehr angenehm. Ich möchte auch meinen Wir kommen damit zur namentlichen Abstim- Dank gegenüber dem Auswärtigen Amt für zuver- mung über den Einzelplan 04 in der Ausschuss- lässige, konstruktive und offene Zusammenarbeit fassung. Ich bitte die Schriftführerinnen und aussprechen. Ich denke, Herr Minister, Sie werden Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh- das Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus- men. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – richten. Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Vizepräsidentin : ten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das 90/DIE GRÜNEN) seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht Nun zurück zum Haushalt: Angesichts zahlrei- der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und cher internationaler und immer differenzierterer bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit Entwicklungen sieht sich das Auswärtige Amt gro- der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der 1 ßen Herausforderungen und einer wachsenden Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Verantwortung gegenüber. Unter Herausforderun- gen verstehe ich nach wie vor die Auswirkungen der Globalisierung in all ihren positiven, aber auch ______1 negativen Facetten. Besorgniserregend sind auch Ergebnis Seite 2752 C die Entwicklungen im Bereich der zerfallenden 2754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Staaten. Ich denke dabei zum Beispiel konkret an Mit der Rücknahme der Kürzungen ist es unse- , Sudan und die Elfenbeinküste, in denen rer Auffassung nach auf lange Sicht aber nicht ge- Unsicherheit, Gewalt, Willkür und Hunger herr- tan. Wir sind der Meinung, dass eine Verstetigung schen und in denen sich die besten Bedingungen dieses Ansatzes erforderlich ist. Die Unsicherheit für internationalen Terrorismus und für organisierte bei den Stiftungen muss reduziert werden. Ich Kriminalität finden. werbe dafür, dass dieser Ansatz in unser aller Inte- resse in der mittelfristigen Finanzplanung des Gerade in den letzten Wochen und Monaten Auswärtigen Amtes verstetigt wird, um das Auf und haben Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tropen- Ab und damit die Unsicherheit endlich zu beenden. stürme, Unwetter und Überschwemmungen viele Tote gefordert und verheerende Zerstörungen ver- (Beifall bei der SPD) ursacht. Da können wir, meine Damen und Herren, Ich begrüße auch, dass die angekündigten Plä- nicht am Fernseher tatenlos zusehen. Da sind wir, ne zur Kürzung von Mitteln zur Abrüstung, Rüs- die wohlhabenden Industriestaaten, gefordert. tungskontrolle und Nichtverbreitungszusam- Auch hier trägt das Auswärtige Amt Verantwortung menarbeit nicht in die Tat umgesetzt werden. und hat diese, wie ich meine, vorbildlich wahrge- Stattdessen sind Sie auch hier den Leitlinien der nommen. Vorgängerregierung gefolgt und bleiben bei den (Beifall bei der SPD) 8,5 Millionen Euro Aufwuchs, die bereits im ersten Regierungsentwurf enthalten waren. Das ist ein Wenn ich an all diese Herausforderungen den- gutes Zeichen angesichts der enormen Herausfor- ke, mit denen das Auswärtige Amt konfrontiert ist, derungen, denen wir uns auf internationaler Ebene dann beruhigt mich, dass sich der Regierungsent- stellen müssen. wurf für den Haushalt dieses Jahres im Großen und Ganzen an den bewährten Leitlinien, die der Selbstverständlich kann ich in einer Rede zum damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier Haushalt des Auswärtigen Amtes nicht unsere aufgestellt hat, orientiert. wichtige Aufgabe und schwierige Verantwortung in Afghanistan und für die afghanische Bevölkerung Kontinuität in der Außenpolitik – das bedeutet außen vor lassen. Ich begrüße daher ausdrücklich für uns Sozialdemokraten vorausschauende die zusätzlichen Mittel, die im Zuge der Verlänge- Friedenspolitik. Dazu gehören vor allem eine rung des Afghanistan-Mandats zur Verfügung ge- wirksame zivile Friedensprävention und ein effekti- stellt wurden. Das hatten wir zur Bedingung für un- ves ziviles Konfliktmanagement auf internationaler sere Zustimmung gemacht; denn auch angesichts Ebene. Das war stets der Dreh- und Angelpunkt der Situation in Afghanistan darf sich der Haushalt guter deutscher Außenpolitik. des Auswärtigen Amtes nicht ausschließlich auf (Beifall bei Abgeordneten der SPD – ein Thema oder eine Region konzentrieren; viel- Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE mehr muss auch im Haushalt Sorge dafür getragen GRÜNEN]: Das wird aber jetzt um werden, dass wir weiterhin weltweit handlungsfähig 10 Prozent gekürzt!) sind. Das wäre ohne die zusätzlichen Mittel nicht möglich gewesen. Uns war es wichtig, dass die für Dazu gehören aber auch Abrüstung, Rüstungskon- Afghanistan notwendigen zusätzlichen Mittel nicht trolle und Zusammenarbeit beim Thema Nichtver- zulasten anderer Haushaltstitel gingen. Das ist ge- breitung – Themen, die angesichts der aktuellen lungen, meine Damen und Herren. Herausforderungen immer wichtiger werden. Nicht zuletzt brauchen wir auch verlässliche Partner, die (Beifall bei der SPD) uns bei unseren Aufgaben vor Ort helfen, die uns Bis dahin zeichnet sich der Haushaltsentwurf bei dem Aufbau von Strukturen, dem Erstellen von durch eine große Kontinuität aus. Doch wo ange- Expertisen und dem Vorantreiben von gesellschaft- sichts der zentralen Aufgaben, die ich vorhin an- lichen Maßnahmen unterstützen. Das sind zum gesprochen habe, ebenfalls Kontinuität notwendig Beispiel das Zentrum für Internationale Frie- gewesen wäre, setzen Sie den Rotstift an. Die denseinsätze und die politischen Stiftungen. Fraktionen der CDU/CSU und der FDP schleifen Für mich ist es deshalb unverständlich, dass in die Mittel für zivile Krisenprävention und ziviles all diesen Themenbereichen Mittelkürzungen ge- Konfliktmanagement sowie für das Zentrum für plant oder vorgesehen waren. Heute bin ich dank- Internationale Friedenseinsätze. Sie wollen mit bar, dass es in weiten Teilen nicht dazu gekom- diesen Mitteln, so sagen Sie, unter anderem die men ist. Ich freue mich, dass alle Fraktionen des Unterhaltung der Seemannsmissionen sowie die Deutschen Bundestages von ihrem Budgetrecht Kriegsgräberfürsorge, -pflege und -instandhaltung Gebrauch gemacht haben, um gemeinsam eine unterstützen. Das alles ist löblich, und dagegen Absenkung des Etats für die politischen Stiftun- kann man im Kern nichts haben. Aber ich meine, gen zu verhindern. Ihre Arbeit ist uns wichtig. Wir genau an dieser Stelle hätten Sie das liberale wollen sie anerkennen. Es war wichtig und gut, Sparbuch zücken sollen, statt es nach der Wahl dass wir gemeinsam so entschieden haben. sang- und klanglos in Aktenbergen verschwinden zu lassen. Sie hätten es genau hier gut einsetzen (Beifall bei der SPD) können, um für dieses wichtige Themenfeld aus- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2755 reichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stel- … Denn nur wer internationale Wissensstan- len. dards teilt, hat auch Zugang zu weltweiten po- litischen und wirtschaftlichen Entwicklungen (Beifall bei der SPD) und zu der Vielfalt von Kunst und Kultur. Nur Sparen ja, aber nicht zulasten wichtiger Maß- wer mehrdimensionales Wissen besitzt und nahmen für den Friedenserhalt; das ist aus meiner über den Tellerrand schaut, kann sein Land Sicht und aus Sicht unserer Fraktion ein wichtiges nach außen öffnen und nach innen einen. Anliegen. Das ist gut gesagt. „Gut gebrüllt, Löwe!“, möchte Zur Arbeit des Auswärtigen Amtes gehört auch man sagen. Doch leider wurde es nicht umgesetzt. die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Den mächtigen und gewichtigen Worten sind leider Auch in diesem Punkt setzt die jetzige Regierung nur schlanke, unterernährte Taten gefolgt. Das ist im Großen und Ganzen auf Kontinuität und den aus unserer Sicht ein großer Fehler, der hier be- von Frank-Walter Steinmeier eingeschlagenen gangen wird. Ich meine, er müsste dringend korri- Weg, der fortgesetzt werden soll. Ich beziehe mich giert werden. dabei unter anderem auf Aussagen von Staatsmi- Lieber Herr Koppelin, Sie setzen sich ansonsten nister Hoyer, der erst kürzlich hier im Bundestag so engagiert für dieses Thema ein. An dieser Stelle sagte: wäre das Liberale Sparbuch eine gute Sache ge- Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hilft uns wesen. Eine Aussage Ihrerseits, wie man das, was somit in der langfristigen Perspektive, wichtige man im Wahlkampf versprochen hat, auch tatsäch- außenpolitische Ziele zu verwirklichen. Hierzu lich umsetzt, wäre wünschenswert. Man hätte ein- zählen Krisenprävention durch das Schlagen gesparte Mittel nutzen können, um diesem wichti- von Brücken zwischen Kulturen und Zivilisati- gen Themenbereich die ihm angemessene Bedeu- onen, die Stärkung der Menschenrechte, die tung zu geben. Förderung von Freiheit und Rechtsstaat sowie Meine Damen und Herren, was wir vor uns lie- eine erfolgreiche Außenwirtschaftspolitik. gen haben, ist ein Übergangshaushalt, der auf der (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Da hat er einen Seite von sinnvollen Elementen der Vorgän- recht, der Herr Hoyer!) gerregierung und auf der anderen Seite von nicht schlüssigen Einsparungen geprägt ist. Der Haus- halt hat noch kein klares Profil. Daher kann ich es Ich möchte mich diesen Worten gerne anschlie- gut verstehen, wenn der Bundesaußenminister auf ßen. Obwohl der Bereich der Auswärtigen Kultur- der Suche nach einem eigenen Profil die Welt be- und Bildungspolitik auch im heute zu beratenden reist. Auf Ihren Reisen, Herr Bundesaußenminister, Haushalt wieder 22,6 Prozent des gesamten Ein- hört man, dass Sie in vielen Fällen einen Strategie- zelplans ausmacht, wird an einer empfindlichen wechsel anstreben, dass Sie Neuanfänge initiieren Stelle deutlich gekürzt. Zuerst will ich aber die po- und gemeinsame Werte neu entdecken wollen. sitiven Aspekte nennen: die Medienförderung, um Nach meinem Eindruck ist dies eine große Ankün- zum Beispiel die Aktivitäten der Deutschen Welle digung, die bisher mit noch wenig Gehalt versehen zu unterstützen, „kulturweit“, den Frei- worden ist. Sie werden nachher dazu noch Stel- willigendienst, der das bürgerschaftliche Engage- lung nehmen können. ment unterstützt, die PASCH-Initiative – Schulen: Ich möchte beispielsweise an Ihre Brasilienrei- Partner der Zukunft –, also den Austausch der se erinnern. Es wurde der Eindruck vermittelt, es Schulen, sowie die Programmarbeit, mit der unter sei ein vernachlässigtes Land; es sei ein Land, das anderem die Fortsetzung der Filmfestspiele in mehr Zuwendung braucht und mit dem wir eine Oberhausen und der Literaturwerkstatt in Berlin fi- gemeinsame Strategie verabreden müssten. Ich nanziert werden kann. All das gibt der jetzige finde, das war viel Ankündigung. Wenn man sich Haushalt her. die Berichte des Auswärtigen Amtes anschaut – Zurück zu den Kürzungen. Ich spreche konkret das gilt auch für den aktuellsten aus dem Februar von den Kürzungen bei den Stipendien, bei Aus- 2010 –, dann sieht man, dass die bilateralen Be- tauschmaßnahmen und bei Beihilfen für Nach- ziehungen zwischen Deutschland und Brasilien auf wuchswissenschaftler, für Studierende und Hoch- einem ganz hervorragenden Stand sind. schulpraktikanten aus dem Ausland. Hier sollen Brasilien ist Deutschlands einziger bilateraler beinahe 10 Prozent – oder um es in absoluten strategischer Partner in Südamerika und damit für Zahlen auszudrücken: circa 13 Millionen Euro – uns das wichtigste Land in dieser Region. In dem eingespart werden. Das halten wir nicht für richtig. Bericht heißt es dazu: Wir sind im Übrigen mit der Staatsministerin Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind Pieper einer Meinung, die erst vor kurzem in der politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kultu- FAZ erklärt hat: rell und gesellschaftlich breit verankert. Mit Bildung ist eine der mächtigsten Abwehrkräfte keinem anderen lateinamerikanischen Land gegen den Terrorismus der Fundamentalisten. 2756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

pflegt Deutschland eine so breite und tiefe den, der für solche Themen spricht. Wo sind in der Kooperation. Wirtschaftsdelegation zum Beispiel die Arbeitneh- mervertreter? Aus meiner Sicht gehören Arbeit- Ich selbst habe dieses Land in anderer Funktion nehmervertreter genauso dazu wie Unterneh- mehrfach bereist. Ich weiß von der dichten Fre- mensvertreter. Wo sind auf solchen Reisen die quenz der Besuche hochrangiger deutscher Politi- Vertreter des typischen Mittelstands? ker in den letzten Jahren: Bundespräsident Köhler im März 2007 und Bundeskanzlerin Merkel im Jahr (Beifall bei der SPD) 2008. Im letzten Jahr war Staatspräsident Lula da Gerade die Handwerker brauchen unsere Unter- Silva im Rahmen eines Staatsbesuchs in Deutsch- stützung, um im Ausland tätig werden zu können. land. Es ist also ein Land, mit dem wir engste Be- Wo bleiben die Umweltorganisationen und die ziehungen haben und zu dem man die Bezie- Menschenrechtsaktivisten? hungen weiter pflegen sollte. Man sollte aber nicht den Eindruck vermitteln, als gebe es hier einen rie- Um diesem Thema auch inhaltlich eine größere sigen Nachholbedarf. Bedeutung beizumessen, wäre es gut, wenn Sie mithelfen würden, dass wir mehr Sozialreferentin- Insofern bedarf es auch keiner neuen Strategie nen und Sozialreferenten an den Botschaften etab- und keiner neuen Aktivität. Die Rede war Ausdruck lieren können, einer gewissen Ankündigungsaktivität, aber der In- halt fehlt noch. Daran müssen Sie aus meiner (Beifall der Abg. [SPD]) Sicht noch arbeiten. damit diese Themen auch institutionell eine besse- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth re Unterstützung erfahren. [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Im Übrigen halte ich die Aktivitäten, die Sie mit (Beifall bei der SPD) der Außenwirtschaftspolitik verbinden, grund- sätzlich für richtig. Aber ich frage mich, was eigent- lich neu daran ist. Sie kündigen nicht nur etwas Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Neues an, dessen Inhalt noch völlig unbekannt ist. Ich komme zunächst zum Einzelplan 04 zurück Ich vermisse auch, dass Sie bei Ihren jetzigen Rei- und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen sen Zeichen setzen, dass Sie nicht nur als Unter- und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na- stützer ökonomischer Interessen unterwegs sind, mentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, sondern auch die soziale Dimension der Globali- den Haushalt der Bundeskanzlerin und des Bun- sierung und ihre ökologischen Herausforderungen deskanzleramtes, bekannt: abgegebene Stimmen im Blick haben. 590. Mit Ja haben gestimmt 322, mit Nein haben gestimmt 268, keine Enthaltungen. Der Einzel- (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) plan 04 ist damit angenommen. Deshalb wäre es gut, wenn Sie auf solchen Rei- sen auch den Personenkreis berücksichtigen wür-

Endgültiges Ergebnis Dr. Maria Böhmer Klaus-Peter Flosbach Dr. Karl-Theodor Freiherr Abgegebene Stimmen: 589; Wolfgang Börnsen Herbert Frankenhauser zu Guttenberg davon (Bönstrup) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) ja: 322 Holger Haibach nein: 267 Klaus Brähmig Erich G. Fritz Dr. Michael Brand Dr. Michael Fuchs Jürgen Hardt Ja Dr. Hans-Joachim Fuchtel Gerda Hasselfeldt Alexander Funk Dr. CDU/CSU Dr. Ingo Gädechens Dr. Dr. Dr. Jürgen Herrmann Dorothee Bär Thomas Bareiß Thomas Dörflinger Ernst Hinsken Norbert Barthle Marie-Luise Dött Josef Göppel Günter Baumann Dr. Ute Granold Ernst-Reinhard Beck Robert Hochbaum (Reutlingen) Ingrid Fischbach Hermann Gröhe (Börde) Hartwig Fischer (Göttin- Michael Grosse-Brömer Franz-Josef Holzenkamp Dr. gen) Astrid Grotelüschen Joachim Hörster Dirk Fischer (Hamburg) Markus Grübel Anette Hübinger Axel E. Fischer (Karlsru- he-Land) Monika Grütters Dr. Dieter Jasper Dr. Dr. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2757

Andreas Jung (Konstanz) Henning Otte Stefanie Vogelsang Sebastian Körber Dr. Egon Jüttner Dr. Michael Paul Andrea Astrid Voßhoff Patrick Kurth (Kyffhäuser) Bartholomäus Kalb Rita Pawelski Dr. Heinz Lanfermann Steffen Kampeter Ulrich Petzold Dr. Harald Leibrecht Bernhard Kaster Sibylle Pfeiffer (Ham- Sabine Leutheusser- Volker Kauder burg) Schnarrenberger Siegfried Kauder Peter Weiß (Emmendin- Lars Lindemann (Villingen- Christoph Poland gen) Schwenningen) Sabine Weiss (Wesel I) Michael Link (Heilbronn) Dr. Stefan Kaufmann Dr. Erwin Lotter Lucia Puttrich Karl-Georg Wellmann Daniela Raab Peter Wichtel Horst Meierhofer Volkmar Klein Annette Widmann-Mauz Patrick Meinhardt Jürgen Klimke Dr. Klaus-Peter Willsch Gabriele Molitor Julia Klöckner Elisabeth Winkelmeier- Jan Mücke (Pots- Becker Petra Müller (Aachen) dam) Dagmar Wöhrl Burkhardt Müller-Sönksen Manfred Kolbe Dr. Dr. (Lau- Dr. Wolfgang Zöller sitz) Hartmut Koschyk Klaus Riegert Willi Zylajew Dirk Niebel Thomas Kossendey Dr. Hans-Joachim Otto Johannes Röring FDP (Frankfurt) Dr. Norbert Röttgen Dr. Günter Krings Dr. Christian Ruck Gisela Piltz Christine Aschenberg- Dr. Martina Krogmann Erwin Rüddel Dr. Birgit Reinemund Dugnus Rüdiger Kruse (Wei- Dr. Peter Röhlinger (Münster) den) Dr. Florian Bernschneider Dr. Hermann Kues Anita Schäfer (Saalstadt) Björn Sänger Sebastian Blumenthal Günter Lach Dr. Annette Schavan Frank Schäffler Claudia Bögel Dr. Karl A. Lamers (Hei- Dr. Christoph Schnurr Nicole Bracht-Bendt delberg) Karl Schiewerling Klaus Breil Andreas G. Lämmel Norbert Schindler Marina Schuster Rainer Brüderle Dr. Norbert Lammert Dr. Erik Schweickert Georg Schirmbeck Werner Simmling Ulrich Lange Christian Schmidt (Fürth) Dr. Max Lehmer Dr. Sylvia Canel Dr. Andreas Schockenhoff Joachim Spatz Helga Daub Dr. Dr. Ole Schröder Dr. Reiner Deutschmann Dr. Kristina Schröder Torsten Heiko Staffeldt Dr. Bijan Djir-Sarai Matthias Lietz (Wiesbaden) Dr. Rainer Stinner Patrick Döring Dr. Bernhard Schulte- Carl-Ludwig Thiele Mechthild Dyckmans Drüggelte Rainer Erdel Dr. Jan-Marco Luczak Jörg van Essen Dr. Michael Luther (Weil am Serkan Tören Ulrike Flach Rhein) Johannes Vogel (Lüden- Otto Fricke Dr. Thomas de Maizière scheid) Paul K. Friedhoff Hans-Georg von der Mar- Dr. Daniel Volk Dr. Edmund Peter Geisen witz Dr. Guido Westerwelle Dr. Dr. Dr. Claudia Winterstein Hans-Michael Goldmann (Altötting) Thomas Silberhorn Dr. Heinz Golombeck Dr. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Miriam Gruß Dr. Angela Merkel Joachim Günther (Plauen) Carola Stauche Dr. Christel Happach- Nein Dr. h. c. Kasan Dr. Heinz-Peter Haustein SPD Philipp Mißfelder Manuel Höferlin Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Birgit Homburger Dr. Gerd Müller Dr. Stefan Müller (Erlangen) (Heilbronn) Dr. Hans-Peter Bartels Heiner Kamp Nadine Müller (St. Wen- Lena Strothmann del) Michael Stübgen Sören Bartol Dr. Lutz Knopek Dr. Dr. Bärbel Bas Bernd Neumann (Bremen) Sabine Bätzing Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Hans-Peter Uhl Hellmut Königshaus Dr. Georg Nüßlein Gudrun Kopp Franz Obermeier Lothar Binding (Heidel- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Kleinsaara) berg) 2758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Gerd Bollmann Jan van Aken Jörn Wunderlich Klaus Brandner Petra Merkel (Berlin) Sabine Zimmermann Ullrich Meßmer Dr. Dietmar Bartsch Bernhard Brinkmann (Hil- Dr. BÜNDNIS 90/ desheim) Franz Müntefering DIE GRÜNEN Dr. Rolf Mützenich Matthias W. Birkwald Marco Bülow (Bremen) Volker Beck (Köln) Petra Crone Manfred Nink Dr. Thomas Oppermann Eva Bulling-Schröter Martin Dörmann Holger Ortel Dr. Alexander Bonde Elvira Drobinski-Weiß Aydan Özo uz Roland Claus ð Ekin Deligöz Heinz Paula Sevim Da delen ð Katja Dörner Joachim Poß Dr. Hans-Josef Fell Siegmund Ehrmann Dr. Wilhelm Priesmeier Heidrun Dittrich Dr. Thomas Gambke Dr. h. c. Werner Dreibus Petra Ernstberger Dr. Sascha Raabe Dr. Dagmar Enkelmann Katrin Göring-Eckardt Karin Evers-Meyer Britta Haßelmann Elke Ferner Gerold Reichenbach Wolfgang Gehrcke Dr. Carola Reimann Dr. Sönke Rix Priska Hinz (Herborn) René Röspel Dr. Gregor Gysi Ulrike Höfken Peter Friedrich Dr. Ernst Dieter Ross- Heike Hänsel Bärbel Höhn mann Dr. Ingrid Hönlinger Michael Roth (Heringen) Inge Höger Iris Gleicke Anton Schaaf Dr. Barbara Höll Günter Gloser Bernd Scheelen Andrej Konstantin Hunko Memet Kilic Sven-Christian Kindler Angelika Graf (Rosen- (Schwandorf) Dr. Lukrezia Jochimsen Maria Anna Klein- heim) Werner Schieder (Wei- Schmeink Michael Groschek den) Ute Koczy Michael Groß (Aachen) Katrin Kunert Tom Koenigs Wolfgang Gunkel Silvia Schmidt (Eisleben) Sylvia Kotting-Uhl Hans-Joachim Hacker Carsten Schneider (Erfurt) Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Leutert Fritz Kuhn Michael Hartmann (Spandau) Stephan Kühn (Wackernheim) Ulla Lötzer Renate Künast (Peine) Dr. Gesine Lötzsch Markus Kurth Rolf Hempelmann Dr. Angelica Schwall- Dr. Barbara Hendricks Düren Ulrich Maurer Nicole Maisch Dr. Martin Schwanholz Dorothée Menzner Agnes Malczak Gabriele Hiller-Ohm Cornelia Möhring (Essen) Niema Movassat Kerstin Müller (Köln) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Wolfgang Nešković Beate Müller-Gemmeke Dr. Eva Högl Christel Humme Peer Steinbrück Dr. Dr. Frank-Walter Stein- Jens Petermann Omid Nouripour meier Richard Pitterle Johannes Kahrs Christoph Strässer Dr. Hermann Ott Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Paul Schäfer (Köln) Brigitte Pothmer Franz Thönnes Michael Schlecht Tabea Rößner Hans-Ulrich Klose Dr. Herbert Schui Claudia Roth (Augsburg) Dr. Bärbel Kofler Rüdiger Veit Dr. Ilja Seifert (Leipzig) Kathrin Senger-Schäfer Nicolette Kressl Dr. Marlies Volkmer Raju Sharma Christine Scheel Angelika Krüger-Leißner Andrea Wicklein Dr. Dr. Ute Kumpf Heidemarie Wieczorek- Dorothea Steiner Zeul Sabine Stüber Dr. Wolfgang Streng- Christian Lange (Back- Waltraud Wolff Alexander Süßmair mann-Kuhn nang) (Wolmirstedt) Dr. Hans-Christian Ströbele Dr. Uta Zapf Frank Tempel Dr. Harald Terpe Steffen-Claudio Lemme Dr. Manfred Zöllmer Gabriele Lösekrug-Möller Wolfgang Wieland Kirsten Lühmann Dr. Valerie Wilms Caren Marks DIE LINKE Josef Philip Winkler Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2759

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und Nun hat Herr Bundesminister Dr. Guido Wes- der CDU/CSU – Renate Künast [BÜND- terwelle das Wort. NIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) was!) Ich möchte Ihnen Folgendes dazu sagen: Brasilien Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des wurde vom Portugiesen Cabral entdeckt. Er reiste Auswärtigen: mit 13 Schiffen. Man wusste in Portugal also schon Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen vor 500 Jahren, dass Delegationen zur Wahrneh- und Herren! In der letzten Lesung soll zunächst mung der eigenen Landesinteressen gelegentlich und hauptsächlich das Parlament zu Wort kom- hilfreich sind. men, daher stehen mir nur wenige Minuten zu. Be- vor ich zu der Friedenspolitik und einem wichtigen (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und Anliegen komme, das uns alle hier in diesem Hau- der CDU/CSU – Renate Künast [BÜND- se noch beschäftigen wird, will ich aber drei Vor- NIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das waren Ver- bemerkungen machen. sorgungsschiffe und keine Delegationen!) Erstens möchte ich mich bei den Berichter- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: stattern und bei dem gesamten Haushaltsaus- Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwi- schuss sehr herzlich bedanken. Ich danke Ihnen, schenfrage? Herr Frankenhauser, Herr Brandner, Herr Koppelin, Herr Kindler und Herr Leutert. Ich möch- te mich ausdrücklich auch im Namen des ge- Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des samten Auswärtigen Amtes für die vorzügliche Zu- Auswärtigen: sammenarbeit bedanken. Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. Zweitens, Frau Kollegin Künast, habe ich heute Ich komme zu einem vierten Punkt, auf den ich Morgen Ihre Rede – wie die gesamte Debatte – inhaltlich eingehen möchte. Zunächst zu Ihnen, aufmerksam verfolgt. Sie haben uns als neue Herr Kollege Brandner. Sie haben völlig zu Recht Bundesregierung und auch mich mit kritischem Un- darauf hingewiesen, dass die auswärtige Politik terton aufgefordert, mich mehr um den skandalö- und auch dieser Haushalt wesentlich von Kontinui- sen Anstieg der deutschen Rüstungsexporte zu tät geprägt sind. Dabei bleibt es auch. kümmern. Ich möchte zunächst einmal wiederge- (Ute Kumpf [SPD]: Mister Ellenbogen!) ben, was am 15. März 2010 von dem Institut SIPRI in Stockholm, das das herausgefunden und kriti- Es geht hierbei nicht um einen Übergangsetat, siert hat, dazu gesagt worden ist, weil hier der Ein- sondern ich habe bereits in der letzten Legislatur- druck erweckt wird, als hätte diese neue Bundes- periode – ich werde das als Bundesminister künftig regierung in den letzten Wochen ganz schnell auch in dieser Legislaturperiode tun – immer wie- noch ein paar U-Boote gebaut und in die Welt ex- der ausdrücklich gewürdigt, dass insbesondere un- portiert. Ich zitiere aus einer Meldung dazu: ter Bundesaußenminister Steinmeier ein Aufwuchs in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Wenig Verständnis zeigte der Brite für die Kri- möglich geworden ist. tik von Grünen-Chefin Claudia Roth am An- stieg der deutschen Rüstungsexporte: (Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) – Jetzt kommt das wörtliche Zitat. – Davon werde ich nichts zurückzunehmen. Ich habe die Absicht, diese Politik fortzusetzen. Ich bitte Sie „Die meisten Verträge, die diese Verdoppe- – bei aller Kritik in anderen Bereichen – um Ihre lung bewirkt haben, wurden ja während der Unterstützung, weil die Stunde kommen wird, in rot-grünen Regierungszeit abgeschlossen.“ der ich im Haushaltsausschuss um die Auswärtige (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und Kultur- und Bildungspolitik werde ringen müssen. der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten (Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Das ist der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS wahr!) 90/DIE GRÜNEN]: Und was tun Sie nun?) Das sage ich an die Adresse aller, weil ich glaube, Drittens, Frau Kollegin Künast, haben Sie mir dass es die beste Visitenkarte für unser Land ist, vorgeworfen, ich hätte Brasilien nicht entdeckt. wenn wir Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fördern. NEN]: Das war kein Vorwurf! Das war ei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ne Feststellung!) der CDU/CSU) – Dann haben Sie es eben festgestellt. Ich glaube, Das ist keine Attacke, sondern es ist ein Angebot, das ist eine historische Tatsache, auf die wir uns das ich Ihnen unterbreiten möchte, weil ich glaube, zwanglos verständigen können. dass ein überparteiliches Interesse daran in die- sem Hohen Hause vorhanden ist. 2760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Schließlich möchte ich einige Bemerkungen zu uns alle gemeinsam an den Kern des Problems er- einem Kernanliegen machen. Es gibt noch vieles innern. Es geht beim Thema – ich sage das zu besprechen. Vieles haben wir bereits im Aus- deshalb, weil das derzeit in New York bei den Ver- wärtigen Ausschuss besprochen. Wir werden in einten Nationen verhandelt wird – um das zentrale der nächsten Woche über den Europäischen Problem: Wenn wir es zulassen, dass sich ein Auswärtigen Dienst sprechen, der aufgebaut Staat die Option der atomaren Bewaffnung ver- werden muss. Sie wissen, dass noch eine Menge schafft, nicht mit der Völkergemeinschaft koope- zu tun ist, damit in diesem Bereich die deutschen riert und nicht für Transparenz sorgt, dann ist es Interessen wahrgenommen werden können und eine Frage der Zeit, bis sich noch mehrere andere vor allen Dingen dafür gesorgt wird, dass wir einen Staaten dieser Region – ich sage Ihnen voraus: guten, schlagkräftigen und handlungsfähigen Eu- mehrere andere Staaten in der Welt – in den ropäischen Auswärtigen Dienst bekommen. Ich nächsten zehn Jahren atomar bewaffnen werden. kann Ihnen ankündigen: Da gibt es noch manches Nukleare Nichtverbreitung hat schon immer zwei zu tun. Komponenten gehabt. Zum einen galt es, diejeni- Es gibt Bereiche der Wirtschaftsförderung, über gen, die Atomwaffen haben wollen, davon abzu- die wir hier im Hohen Hause noch kontrovers dis- bringen, dass sie sich diese illegal beschaffen. kutieren werden. Ich hoffe allerdings, dass wir in Zum anderen gibt es eine Verpflichtung der Atom- einem Bereich eine Gemeinsamkeit haben. Bisher staaten, abzurüsten, übrigens ohne dass konventi- war es ein Kernbestandteil deutscher Außenpolitik, onelle Kriege leichter geführt werden können. Ich dass deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist. sage Ihnen voraus: Das wird – hoffentlich – jen- seits der ganzen tagespolitischen Hektik und jen- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Werden seits all dessen, was man in einer Demokratie muss!) kontrovers beraten muss, ein gemeinsames Kern- – Ich sage: Friedenspolitik ist. Ich glaube, anders anliegen sein. Darüber mache ich mir große Sor- als Sie, Herr Kollege Gehrcke: Wenn deutsche gen. Da gibt es Rückschritte, die man sehen muss, Außenpolitik in den vergangenen Jahrzehnten kei- und zwar, was den Iran angeht, sehr sorgenvoll, ne Friedenspolitik gewesen wäre, dann hätten wir was die Frage des Nahen Ostens angeht, sehr das Glück der deutschen Einheit niemals erlebt. sorgenvoll, vor allem wenn man sich ansieht, dass Davon bin ich fest überzeugt. jüngst, in der letzten Woche, die Siedlungspolitik mal eben fortgesetzt wurde. Es hat keinen Sinn, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) darum herumzureden – jeder weiß, dass wir Es geht nicht darum, wer was gemacht hat: Willy Freunde Israels sind –: Wer zu einem Friedens- Brandt, Walter Scheel, Helmut Kohl oder Hans- prozess kommen möchte, muss auch bereit sein, Dietrich Genscher. Das ist eine gemeinsame Auf- die internationale Forderung nach einem Stopp der fassung. Siedlungspolitik zu erfüllen. Das ist die Vorausset- zung dafür, dass das gelingen kann. Ich sage das Ich möchte Sie warnen: Wenn wir nicht aufpas- beiden Seiten. Das ist die neue Dimension. sen, werden wir ein Jahrzehnt bekommen, das nicht ein Jahrzehnt der Abrüstung wird, sondern ein Jahrzehnt der Aufrüstung werden kann. Das ist immer unsere Maßgabe gewesen: Wenn (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE man in diesem Hohen Hause etwas anspricht, ist GRÜNEN]: Genau!) das nicht immer Kritik am Vorgänger oder gleich Ich glaube, dass wir uns über dieses Problem in eine Attacke gegenüber jemandem, der das bisher diesem Hause – nicht heute, aber in vielen Fach- vielleicht nicht gemacht hat. Nein, die Herausforde- debatten – noch detailliert unterhalten müssen. rung, die auf der Tagesordnung steht, ist neu. Ich glaube, deutsche Außenpolitik hat zwei Marken- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da hat er zeichen: Abrüstung und Friedenspolitik. Das wollte recht!) ich zu dieser Generaldebatte heute beitragen. Das ist in Wahrheit die Gefahr, die vor uns liegt, Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. nämlich dass wir nicht ein Jahrzehnt der Abrüstung erleben werden – wie es durch eine bemerkens- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) werte, hoffnungsvolle Rede von Präsident Obama in Prag eigentlich ermöglicht worden wäre –, son- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dern dass wir in diesem Jahrzehnt erleben, dass Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang durch Staaten, die wir nicht auf dem Schirm hatten, Gehrcke für die Fraktion Die Linke. plötzlich die nukleare Verbreitung die Regel wird. (Beifall bei der LINKEN) Wir reden zu Recht über Menschenrechte. Das habe ich getan, und das wissen Sie und Ihre Kol- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): legen, die bei den Reisen dabei gewesen sind. Wir Danke sehr. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- reden beispielsweise über die Menschenrechtsla- nen und Kollegen! Ich will den Ball, den der Au- ge im Iran. Ich möchte Sie darum bitten, dass wir ßenminister gespielt hat, gleich aufnehmen: Wir Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2761 lehnen den Haushalt des Auswärtigen Amtes ab, Wer die gesellschaftliche Stabilität in Deutschland weil wir als Linke nie einem Haushalt zustimmen gefährdet, kann international nicht glaubwürdig für werden, der Kriegspolitik beinhaltet. globale soziale Gerechtigkeit eintreten. Das ist ein- fach so. Das fällt auf einen zurück, Herr Wester- (Beifall bei der LINKEN) welle. Wir werden uns an keiner Koalition beteiligen, die (Beifall bei der LINKEN) das zu tun beabsichtigt, und wir werden einem sol- chen Haushalt nicht zustimmen. Das ist eben die Gestatten Sie, dass ich ein sehr persönliches Differenz. Ich hätte mich gefreut, wenn in Ihrem Wort dazu sage: Sie sind ein Politiker des raschen Koalitionsvertrag der Satz gestanden hätte: Deut- Erfolges, sche Außenpolitik muss Friedenspolitik werden. (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Sie ist es nicht. Sie ist es strukturell und faktisch Elf Jahre!) nicht. Wir befinden uns in Afghanistan in einem Krieg. Das wird keiner hier ableugnen können. Das des schnellen Wortes. tut nicht einmal mehr zu Guttenberg. (Ute Kumpf [SPD]: Des Ellenbogens!) (Beifall bei der LINKEN) Manchmal gefällt es einem, manchmal nicht. Sie Wir befanden uns, was die Geschichte angeht, sind ein Politiker, der nicht in langen Wellen, nicht auch in Jugoslawien im Krieg – auch das darf hier in langen Linien denkt. nicht vergessen werden –, und wir haben zumin- (Ute Kumpf [SPD]: Nur an sich denkt!) dest indirekt den Krieg der USA im Irak mit vielem gefördert, was nicht unserer Verfassung entspricht. Ein Außenminister muss eigentlich in langen politi- Deutsche Außenpolitik muss Friedenspolitik wer- schen Linien denken und auf das Geschäft des den. Das muss auch das Credo dieses Parlamen- Tages zugunsten der Außenpolitik verzichten. tes sein. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- (Beifall bei der LINKEN) ordneten der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Ich will hinzufügen: Wir stimmen auch deshalb nicht zu, weil die ganze Richtung der Außenpolitik Das schlägt irgendwann durch. aus unserer Sicht falsch ist. Ich will Ihnen das an Sie haben hier als Beispiel genannt, wer Brasi- einigen Beispielen deutlich machen. Ich finde, das lien entdeckt hat. Sie haben sich mit Delegation in ist eine eigenartige Mischung von Kollegen, die in diese Tradition gestellt. Wissen Sie eigentlich, der Bundesregierung die internationale Politik do- dass Sie sich in die Tradition der kolonialen Aus- minieren oder bestimmen: beutung und Unterdrückung gestellt haben? Wir haben einen Entwicklungshilfeminister, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Fallschirmspringer, der eigentlich furchtbar gerne des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verteidigungsminister werden möchte Das kommt davon, wenn man nicht nachdenkt. (Ute Kumpf [SPD]: Vielleicht wird er das ja Schnelles Wort, schnelle Mark, um ein Geschäft zu noch!) machen. und deswegen Entwicklungspolitik und Bundes- (Ute Kumpf [SPD]: Falsche Bilder!) wehrpolitik noch enger verbinden will – zulasten der Entwicklungspolitik. Ich sage das ganz absichtlich hier so, auch vor dem Hintergrund Ihrer Reise. Ich habe mich oft- (Beifall bei der LINKEN) mals wie auf einer Tupperparty gefühlt, Wir haben einen Verteidigungsminister, Ge- (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) birgsjäger, der furchtbar gerne Außenminister wer- den möchte. Er darf sich jetzt nicht zu viel zur Au- auf der die deutsche Industrie ihre Produkte an- ßenpolitik äußern, weil er den Untersuchungsaus- preist und dafür die Vermittlung des Bundesau- schuss zu Kunduz am Hals hat. Er versucht aber ßenministers benutzt. Den SPD-Kollegen möchte immer wieder, zu dokumentieren – jetzt ist er ge- ich sagen, dass es bei Steinmeier auch so war. Ich rade nicht anwesend –, dass er eigentlich der bes- habe mich geschämt, den Außenminister und sei- sere Außenminister wäre. ne Begleitung in Vietnam mit Reklametüten von METRO herumlaufen zu sehen. Das macht Wes- (Ute Kumpf [SPD]: Vielleicht wird er das auch terwelle nicht. Er geht zu VW und signiert einen noch!) Pick-up. Wir hatten einen Autokanzler, jetzt haben Wir haben einen Außenminister, FDP- wir einen Autoaußenminister. Das macht die Sa- Vorsitzender, der die gesellschaftliche Stabilität im che nicht besser. Ich finde, es entspricht nicht der eigenen Land durch leichtfertige Reden und durch Würde dieses Hauses und der deutschen Außen- eine falsche Politik gefährdet. politik, sich für die Verkaufsstrategie der deutschen Industrie zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der LINKEN) 2762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Beifall bei der LINKEN) – Hier wird gesagt, da habe er Glück gehabt. Wenn Sie möchten, werfe ich Ihnen das auch vor; Ich möchte etwas anderes. Ich nenne Ihnen jetzt aber lassen wir das. Ich werfe Ihnen das nicht vor. einige Beispiele. Bis zur Londoner Konferenz war Afghanistan Ihr Hitthema. Danach habe ich Sie Ich möchte gern wissen: Was machen Sie in nicht mehr über Afghanistan und den Friedenspro- Bezug auf Länder wie Syrien? Syrien ist ein zess reden hören. Schnelle Mark, schnelles The- Schlüsselland, wenn man den Nahostkonflikt lösen ma, Thema war abgehakt. Aber die Politik ist nicht möchte. zu Ende. Wir müssten jetzt den Frieden (Zuruf von der CDU/CSU: Ach nee!) afghanisieren und nicht die Afghanisierung des Krieges fortsetzen. – Ja, das wissen auch Sie. – Welche Politik betrei- ben Sie in der Auseinandersetzung mit der israeli- (Beifall bei der LINKEN) schen Regierung? Ich habe vernommen, dass Sie Sie haben hier Rot-Grün und Frau Künast – das den Siedlungsbau kritisiert haben. Man muss hat mir Spaß gemacht – bei der Frage der Rüs- klipp und klar sagen: Wer den Siedlungsbau fort- tungsexporte kritisiert. Aber wissen Sie, Herr setzt, dem darf man keine Waffen liefern. Westerwelle, es macht die heutige Situation nicht (Beifall bei der LINKEN) besser, dass auch Rot-Grün und Schwarz-Rot die- se verhängnisvolle Politik eingeleitet, durchgesetzt Sie bilden deutsche Bundeswehrpiloten in Israel und möglich gemacht haben. Das macht es nicht an Drohnen aus, die in Afghanistan eingesetzt besser. Diese Politik bleibt falsch und schlecht. werden sollen. So einen Schwachsinn kann doch keiner ernsthaft als Politik bezeichnen. Es wäre (Beifall bei der LINKEN) richtig, zu sagen: Wir liefern in ein Land, das eine Wenn Sie bei der Frage der Rüstungsexporte im solche Politik betreibt, nicht weiter Waffen. Das Prinzip sagen, dass Sie eine falsche Politik fortge- hätte politische Wirksamkeit. setzt haben, hat das keinen Sinn. Sie hätten diese (Beifall bei der LINKEN) falsche Politik korrigieren müssen. Man hätte von diesem Pult aus deutlich machen müssen: Wir wol- Herr Außenminister, ich möchte gerne, dass len raus aus dem Geschäft mit dem Tode. man nicht nur, wie es im Koalitionsvertrag steht, Außenpolitik macht, um Deutschlands Platz auf Sie sollten darüber nachdenken, ob wir uns auf dem Weltmarkt zu verbessern. Ich möchte vier Dauer diese doppelten Standards in der Politik Eckpfeiler verankert sehen: erstens sich konse- leisten können. Ein bisschen salopp gesagt: Wer quent für das Völkerrecht einzusetzen, also eine Krümmel nicht vom Netz nehmen will, wird ande- Völkerrechtspartei zu sein, zweitens weltweit eine ren bei der Frage der Nutzung der Atomenergie Partei der sozialen Gerechtigkeit zu werden, drit- schlecht Ratschläge geben können. Deutschland tens auf Abrüstung zu setzen – hier haben Sie brilliert in der Welt mit doppelten Standards; aber recht – und viertens mehr Demokratie in die Au- dies schadet uns irgendwann. ßenpolitik zu bringen. Deutsche Außenpolitik muss Ich möchte stattdessen eine beharrliche, lang- Friedenspolitik werden. Das ist die Zielrichtung der fristige, durchdachte, gründliche und auf Diploma- Partei und Fraktion Die Linke. tie setzende Außenpolitik. Ich möchte gern, dass Herzlichen Dank. Sie verstehen, dass es keinen Sinn hat, gegenüber dem Iran weiter auf Sanktionen zu setzen. Das (Beifall bei der LINKEN) sagen Ihnen alle Leute, die sich dort auskennen. Man muss den Iran, gerade wenn man verhindern Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: will, dass er sich Atomwaffen zulegt, beharrlich in Nun hat das Wort der Kollege Herbert Franken- die Staatengemeinschaft zurückführen. Das heißt, hauser für die CDU/CSU-Fraktion. man sollte nicht auf Sanktionen setzen, sondern auf Diplomatie, auf Debatten und auf Auseinan- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dersetzungen bauen. Sie verlieren einen Partner neten der FDP) nach dem anderen, wenn Sie nur auf Sanktionen setzen. Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- (Beifall bei der LINKEN) ginnen und Kollegen! Ich möchte ein Angebot Ich finde, langfristig gesehen kann man im Nah- wiederholen, das ich bereits im Haushaltsaus- ostkonflikt nur durch ganz konsequente Diploma- schuss gemacht habe. Vorab möchte ich allerdings tie etwas bewegen. Sie sind viel herumgereist in feststellen: Man hat nicht den Eindruck, hier in der der Welt. Das werfe ich Ihnen gar nicht vor; das ist Haushaltsdebatte zu sein – ich bitte deswegen, Ihre Aufgabe als Außenminister. nicht zu erschrecken, wenn ich als Haushälter her- nach etwas detaillierter über den Haushalt spre- (Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär: Da hat chen werde –, sondern ich habe eher den Ein- er aber Glück gehabt!) druck, hier handelt es sich um eine Reisedebatte. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2763

Ich wiederhole, wie gesagt, mein Angebot. Ich – Die ist nirgendwo gestanden, jedenfalls nicht in glaube, ich bin der dienstälteste Berichterstatter für den Änderungsanträgen, die Sie in den Haushalts- den Bereich des Auswärtigen Amtes. Ich habe vie- ausschuss eingebracht haben. Vielleicht haben Sie le Außenminister sozusagen haushalterisch beglei- die in einem Rucksack mit sich herumgetragen; ten dürfen. An diesem reichhaltigen Fundus, was (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Amtsausstattung, Reisen und Delegationen anbe- CDU/CSU und der FDP) langt, und zwar in Bezug auf Außenminister jed- weder Couleur, würde ich gerne alle Kolleginnen das mag sein. Bei uns ist jedenfalls nichts ange- und Kollegen teilhaben lassen. Ich stehe bei Be- kommen. darf immer gerne zu detaillierten Auskünften bereit. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der FDP) Herr Kollege Frankenhauser, gestatten Sie denn eine Zwischenfrage des Kollegen Kindler? Ich bedanke mich zunächst bei Herrn Dr. Morhard und seinen Mitarbeitern aus dem Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): Auswärtigen Amt für die hervorragende Unterstüt- Bitte. zung, nicht nur während der Haushaltswochen, sondern auch über das ganze Jahr hinweg. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und Kolle- gen für die sehr harmonische Zusammenarbeit in Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE den Berichterstattergesprächen. Ich bedanke mich GRÜNEN): auch bei Ihnen, Herr Minister, dass Sie in Bezug Kollege Frankenhauser, würden Sie mir zu- auf das Mitarbeiterbeurteilungssystem bereits stimmen, dass man im Haushalt Prioritäten set- erste Schritte eingeleitet haben – das ist den Mit- zen kann, dass man gerade bei ziviler Krisenprä- arbeitern im Auswärtigen Amt ein sehr wichtiges vention, bei den Mitteln für Afghanistan und bei Anliegen – und dass Sie Ihre Bereitschaft erklärt anderen Punkten, wo wir deutsche Friedenspolitik haben, sich für mehr Gegenseitigkeitsabkommen umsetzen wollen, Aufwüchse vorsehen kann, auch mit anderen Staaten hinsichtlich der Berufs- um die ODA-Quote zu erfüllen? tätigkeit von Partnerinnen und Partnern, die im auswärtigen Dienst tätig sind, einzusetzen. Wir Grünen schlagen als Gegenfinanzierung vor – ich habe das im Haushaltsausschuss gesagt; Der Staatshaushalt Sie erinnern sich vielleicht an die Debatte mit Jür- – so sagte es der berühmte Kabarettist Werner gen Koppelin –, auf Flugtickets eine Abgabe zu er- Finck – heben, wie es in Frankreich gemacht wird, wie es in Großbritannien gemacht wird, wie es in den Nie- ist ein Haushalt, in dem alle essen möchten, derlanden gemacht wird. Das würde über aber niemand das Geschirr spülen will. 2 Milliarden Euro im Jahr einbringen; das wäre ei- Das ist wohl richtig. Trotzdem haben wir unsere ne ausreichende Gegenfinanzierung. Stimmen Sie Arbeit erledigt. Der erste Regierungsentwurf war mir zu, dass diese Debatte im Haushaltsausschuss schon ganz ordentlich, Herr Kollege Brandner. Der so war und dass wir damit eine solide Gegenfinan- zweite war eigentlich ganz gut. Aber den Fein- zierung vorgestellt haben? schliff haben die parlamentarischen Beratungen gebracht, wobei sich die Opposition nicht so sehr Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): mit Ruhm bekleckert hat. Ich stimme Ihnen zu, dass wir eine Debatte hat- ten. Ob die solide war, will ich bezweifeln. Herr Kollege Brandner, ich wusste nicht: Ist Ihre Rede mehr Zustimmung oder mehr Ablehnung? (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Wenn wir Ihren Vorschlägen gefolgt wären, hätten und der FDP) wir noch eine Unterdeckung in Höhe von Gehen Sie einmal zum Bäcker, verlangen Sie 2,362 Millionen Euro zu verzeichnen. Bis jetzt ist fünf Semmeln und sagen: Ich habe eine gute Idee; unbekannt, woher dieser Betrag kommen soll. ich komme in zwei Jahren vorbei und bezahle sie Auch wir könnten umfangreiche Wünsche äußern. Ihnen. Ich will damit sagen: Das ist ja alles wun- Ein Außenminister namens hat derschön; aber man muss im Haushalt konkrete einmal gesagt: Ohne Moos nichts los. Deckungsvorschläge machen, man kann nicht mit Ganz abenteuerlich wird es bei den Grünen. Die theoretischen Zahlen hantieren. Grünen haben einen Wunschkatalog aufgestellt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der sage und schreibe 283 Millionen Euro erfor- Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE dern würde. Sie haben aber keinen einzigen Vor- GRÜNEN]: Haben wir gemacht!) schlag gemacht, woher dieses Geld kommen soll. So kann man keine solide Haushaltspolitik ma- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE chen. GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Wir haben eine Gegenfinanzierung!) 2764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: haben den Titel für den Volksbund Deutsche Kollege Frankenhauser, es gibt eine weitere Bit- Kriegsgräberfürsorge noch einmal um 300 000 Eu- te nach einer Zwischenfrage, und zwar vom Herrn ro verstärkt, die dafür gedacht sind, dass wir ge- Kollegen Brandner. meinsam mit dem VDK beginnen, den Opfern nati- onalsozialistischer Gewalttaten, zum Beispiel in Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): der Ukraine, eine letzte, würdige Ruhestätte zu Bitte, gerne, immer. verschaffen. Ich halte das für dringend geboten. Wir wollen diese Aufgabe jetzt in Angriff nehmen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Herr Kollege Brandner, bitte. der FDP) Wir haben den Titel für Schulen im Ausland um Klaus Brandner (SPD): 5 Millionen Euro erhöht, weil wir darin, unsere Sehr geehrter Herr Kollege Frankenhauser, zu- Schulen im Ausland zu verstärken, eine ganz wich- allererst möchte ich bestätigen, dass die Beratun- tige Aufgabe sehen. gen, wie ich schon angesprochen habe, wirklich sehr harmonisch und von dem Willen geprägt wa- (Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) ren, Einvernehmen zu erzielen. Bei dieser Gelegenheit begrüße ich die zahlreich Bezüglich der Datenlage, wie Sie sie dargestellt anwesenden Vertreter des Bundesrates. haben – dass bei der Gegenfinanzierung, wenn ich (Auf der Bundesratsbank ist niemand zugegen – Hei- das richtig gehört habe, 2,3 Millionen Euro fehlen terkeit und Beifall) würden –, vermute ich, dass Sie oder Ihr Büro oder Ihre Aktenlage nicht alles ganz richtig erfasst ha- Ich möchte noch einmal den Appell an die Bundes- ben. länder richten – ich bitte auch die Bundesregie- rung, die ja mit den Bundesländern ständig Ge- (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: spräche führt, noch einmal darauf hinzuwirken –, Ist das jetzt die Frage?) bei der bisherigen Regelung, dass die Lehrer an Wir haben mehr als eine einzelne Gegenfinanzie- Auslandsschulen kofinanziert werden, zu bleiben. rung vorgeschlagen. Ich kann Ihnen das gerne Würde die Kofinanzierung abgeschafft, müssten noch einmal unterlegen. wir circa 200 Lehrkräfte aus dem Ausland ab- ziehen, weil wir sie mit den bisherigen Mitteln nicht (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ CSU]: finanzieren könnten. Ich denke, alle Kolleginnen Kommt jetzt noch die Frage?) und Kollegen, quer durch alle Fraktionen, wären – Es ist schon wichtig, dass, wenn hier etwas fest- gut beraten, dieses Ansinnen zu unterstützen und gestellt wird, darauf geantwortet wird. Wenn Sie bei ihrem jeweiligen Landeskulturminister vorstellig das beunruhigt, können wir das auch auf andere zu werden, dass er es bei der bisherigen Rege- Art und Weise machen. lung, die sich bewährt hat, belassen möge. Es liegt mir daran, dass deutlich wird: Bei diesen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Beratungen ist es der SPD-Fraktion darum gegan- der FDP) gen, eine Unterfinanzierung zu verhindern und ei- Wir haben den Titel „Afghanistan“ um ne sachlich bezogene Gegenfinanzierung der For- 90 Millionen Euro auf nunmehr 180,7 Millionen Eu- derungen vorzuschlagen. Ich bin gerne bereit, die ro im Bereich des Auswärtigen Amtes erhöht. Da- entsprechenden Unterlagen vorzulegen. von gehen 35 Millionen Euro in die Verstärkung (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Die des Polizeiaufbaus, 35 Millionen Euro in schnell Frage ist, ob das sachlich war!) wirkende Stabilisierungsprojekte im Norden Afgha- nistans, 10 Millionen Euro in eine Beteiligung am Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): Reintegrationsfonds und 10 Millionen Euro in den Ich werte das als wohlgemeinte Frage und bin Verwaltungs- und Justizaufbau. gerne bereit, Ihnen Ihre Absicht zu bestätigen. Al- Ich nehme immer gern die Gelegenheit wahr, les andere können wir gerne noch persönlich klä- Herr Außenminister, liebe Kolleginnen und Kolle- ren, Kollege Brandner. gen, ein paar kritische Worte zum Thema Europa Jetzt weise ich noch auf ein paar wesentliche zu sagen. Ich möchte als Erstes wiederholen, was Veränderungen hin, die wir im Rahmen der Haus- ich leider schon vergebens angesprochen habe. haltsberatungen vorgenommen haben: Wir haben Ich denke, man muss über die Visumpraxis, wie zum Beispiel die Mittel für die Programmarbeit, al- wir sie handhaben, noch einmal intensiv nachden- so für Kulturpolitik, um 2,48 Millionen Euro erhöht. ken. Es kann meines Erachtens nicht angehen, Wir haben die Mittel für den Stabilitätspakt für Af- dass unser Konsulat in Sankt Petersburg etwa ghanistan um 90 Millionen Euro erhöht, den Titel 40 000 Visa im Jahr ausstellt, die Finnen – übri- für Menschenrechte um 1,5 Millionen Euro und die gens ein Schengen-Staat – etwa 150 000 Visa. Mittel für Minenräumung um 1 Millionen Euro. Wir Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2765

Ich als Haushälter sehe einfach nicht den 8 000 Mitarbeitern aufzubauen. Es ist aber noch sicherheitspolitischen Sinn – oder mir fehlt die Er- nicht geregelt, welche Kompetenz die Behörde der kenntnis –, was es bringen soll, wenn Russen oder Baroness als solche haben wird. Es gibt auch noch Esten mit einem finnischen Visum in Deutschland keinen Organisationsplan. Man weiß eigentlich gar einreisen, aber das deutsche Konsulat ein Visum nicht, was diese 7 000 bis 8 000 Mitarbeiter tun nur in einem sehr langwierigen Prozess ausstellen sollen. Ich könnte es mir als zweckmäßig vorstel- kann. Wenn das nicht EU-weit geregelt werden len, dass man diese offenen Fragen klärt, bevor kann, was offensichtlich der Fall ist, sollten wir uns man nun einen zweiten Riesenapparat in Brüssel national etwas überlegen, damit nicht Geschäfts- aufbaut. leute – natürlich finde ich es gut, wenn diese nach Ich erwarte zu gegebener Zeit auch eine Äuße- Deutschland reisen – zuerst zu den Finnen gehen rung von Ihnen, verehrter Herr Außenminister, da- müssen, damit sie etwas unkomplizierter zu einem hin gehend, dass es nicht eine reine Parallelinstitu- Visum kommen. tion geben wird. Es gibt schon erste Stimmen, die (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Recht hat sagen: Gerade weil der Europäische Auswärtige er!) Dienst so stark und so bedeutend werden soll, müssen die nationalen Auswärtigen Dienste zu- Dann habe ich bislang immer gehört, mit dem sätzlich gestärkt werden. Ich glaube also, auch im Vertrag von Lissabon, der nun beschlossen ist, Hinblick auf die noch anstehenden Konsolidierun- werde alles viel besser und einfacher werden. Die gen unserer öffentlichen Haushalte muss hier eine erste Erkenntnis, die ich inzwischen gewonnen Doppelfunktion vermieden werden. habe, ist, dass allerorten nach mehr Personal ge- rufen wird. Als Begründung wird der Vertrag von (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulri- Lissabon genannt. Wir haben zwar über den Ein- ke Flach [FDP]) zelplan 05 gesprochen, aber es zieht sich durch al- Zum Schluss habe ich noch eine Bitte bzw. An- le Einzelpläne. Alle Ministerien erklären: Wegen regung, Herr Außenminister. Mir fällt auf, dass wir des Vertrags von Lissabon brauchen wir mehr weltweit Jahr für Jahr leider sehr viele Katastro- Personal, nicht zuletzt deswegen, weil wir den phenfälle zu beklagen haben. Wir basteln uns jetzt Bundestag besser unterrichten müssen. Ich möch- einen Europäischen Auswärtigen Dienst, haben te anmahnen, dass sich die Bundesregierung auf x Kommissionen und was weiß ich noch alles. Mir ein vernünftiges und personalsparendes Verfahren fehlt ein europäischer Katastrophenhilfsdienst. einigt, in dem der Bundestag ausreichend infor- miert wird. (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Genau das machen wir!) Ein besonderes Anliegen ist auch immer die Haushaltsführung und die Mittelverwendung der Ich halte es für ein humanistisches, zivilisiertes Mit- Europäischen Union. Es beginnt damit, dass zur- teleuropa für nicht hinnehmbar, dass zuerst einmal zeit der Posten des Generaldirektors bei der Anti- 10 oder 14 Tage vergehen, bis sich irgendein Mit- betrugsbehörde OLAF anscheinend nicht recht- gliedstaat darauf besinnt, dass man nach Erdbe- mäßig besetzt ist. Deswegen sind mehrere hundert ben möglicherweise schweres Gerät braucht, er Betrugsverfahren in Gefahr, zu kippen. Ich denke, aber nicht weiß, wie man das dorthin bringen kann. bei den Milliardenbeträgen, die in der EU rechts- (Beifall der Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin widrig erschlichen werden, überwiegend durch [FDP] und Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/ mehr oder weniger angesehene Mitgliedstaaten, DIE GRÜNEN]) muss eine funktionierende Antibetrugsbehörde vorhanden sein. Ich denke, es wäre eine wirklich lohnenswerte Aufgabe – auch für die Europäische Union –, eine Es geht zum Beispiel nicht an, dass etwa die EU zivile Hilfsorganisation zu gründen und einen zivi- der Türkei 700 Millionen Euro jährlich zur Vorberei- len Einsatzplan zu erstellen, um bei solchen Kata- tung der Aufnahme in die EU zukommen lässt, strophen den betroffenen Menschen schneller hel- aber der Europäische Rechnungshof erklärt, dass fen zu können. bei über der Hälfte des Geldes nicht nachkontrol- liert werden kann, wo es gelandet ist. Wir sind es Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit. auch den deutschen Steuerzahlern schuldig, ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) meinsam dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Geld der Steuerzahler auch auf europäischer Ebe- ne sorgfältig umgegangen wird. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. neten der FDP) Eine besondere Blüte scheint sich bei dem neu- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- en Europäischen Auswärtigen Dienst zu erge- NEN): ben. So wie es aussieht, ist eine geschätzte Baro- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ness dabei, einen Behördenapparat mit 7 000 bis Herr Westerwelle, Sie sind jetzt seit fünf Monaten 2766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 im Amt des Außenministers, wenn ich richtig ge- Ich darf einmal fragen: Ist das Ihre Richtung? Ist rechnet habe, und meines Erachtens ist noch im- dabei schon etwas herausgekommen? mer völlig unklar, wohin die deutsche Außenpolitik (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) steuert. Auch in Ihrem Beitrag heute haben Sie meines Erachtens nichts Vorwärtsweisendes dazu beigetragen. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich weiß jetzt nicht, was daran lustig ist; ich sowie des Abg. Michael Roth [Heringen] kann Ihnen dazu nichts sagen. [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich will heute hier darüber reden; denn bei der Haushaltsdebatte geht es auch um eine General- Ich finde es völlig normal, dass man solche Ge- debatte über die deutsche Außenpolitik und da- spräche führt. rum, wohin sie steuert. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird viel über Sie persönlich geschrieben Ja, natürlich gibt es Gespräche!) und viel über Sie geredet. Das haben Sie mit Ihren Sie brauchen uns in der Debatte jetzt auch nicht – ich möchte sagen – diffamierenden Sprüchen zu mit Zwischenfragen zu nerven, mit denen Sie ab- Hartz IV erreicht. Das sieht die Kanzlerin ja wohl lenken, und mit dieser Frage wollten Sie ablenken. auch so. (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND- Was aber ist Ihre Linie in der Außenpolitik? NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der Das ist bis heute nicht erkennbar. Wie denn auch? FDP: Das war zum Thema! – Wir stellen Sie verzetteln sich in diversen Rollen als Parteivor- auch weiterhin Zwischenfragen!) sitzender, als eifriger Spendensammler, als hartzpolitischer Sprecher der Fraktion, und Sie – Ich habe nichts dagegen, und Sie werden das tanzen auf vielen Hochzeiten. Dabei bleibt die Au- auch tun. ßenpolitik eben auf der Strecke. Es wird erwartet, dass der Außenminister (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Deutschlands Rolle in der Welt definiert: in Afgha- wie bei Abgeordneten der SPD) nistan, im Nahen Osten, im Iran, in Europa und in Amerika. Zu alledem sagen Sie nichts, oder es Ich sage: Sie haben bis heute keinen Kompass; kommen nur dünne Schlagworte. Sie wissen nicht, was Sie mit diesem Amt wollen. Da Sie Ihre Rolle als Außenminister bis heute nicht (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ gefunden haben, frage ich mich wirklich: Wie wol- DIE GRÜNEN) len Sie denn dann Deutschlands Rolle in der Welt bestimmen? Das wird nicht gehen. Ich möchte einmal einige Überschriften zitieren: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Der Mann ohne Antworten“, „Minister für Freund- schaft“, „Westerwelles Stilbrüche“. Heute titelt die Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: FTD, die nun wirklich nicht ein linksliberales Blatt Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwi- ist – ich möchte nicht den ganzen Kommentar vor- schenfrage des Kollegen Koppelin? lesen; am Ende ist er nämlich wirklich vernichtend –: „Möllemann der Zweite“. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Pfui!) NEN): Bitte schön. Soll ich vorlesen, was dort steht? (Ute Kumpf [SPD]: Wenn es sein muss!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Fragen Sie lieber nicht. Danke, Frau Kollegin. – Da Sie gerade so schön Sie empören sich darüber, dass sich die Öffent- in Fahrt sind, darf ich Sie einmal etwas fragen. Ich lichkeit nur noch für die Reisebegleitung und nicht habe hier ein Programm, wonach Ihr Parteivorsit- mehr für die Inhalte interessiert. Sie sagen: Das ist zender, Herr Özdemir, in Begleitung von Frau eine Kampagne der Opposition. Die FDP stellt sich Vollmer und anderen gestern in China gewesen hier heute Morgen als Opfer hin. Aber täuschen ist. In der Zeit von 15 Uhr bis 17 Uhr war gestern Sie sich nicht. Die Bürgerinnen und Bürger stellen ein Gespräch in der internationalen Abteilung beim diese Fragen nämlich auch. Das ist an den Um- Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chi- fragewerten zu erkennen. Ich bin jetzt seit nas vorgesehen, und das Arbeitsgespräch lief un- 15 Jahren in diesem Parlament. Es hat immer ter dem Motto „Zusammenarbeit zwischen den Schwierigkeiten gegeben, manchmal auch bei den beiden Parteien“. Außenministern. Aber noch nie ist ein Außenminis- ter im ersten halben Jahr seiner Amtszeit in den Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2767

Umfragewerten so abgestürzt. Ich werde jetzt nicht Sie die Leute deshalb mitnehmen. Hier haben Sie auf Ihre Zustimmungsquote eingehen. wohl eher ein persönliches Versprechen auf Staatskosten eingelöst, oder nicht? (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das bringt doch inhaltlich gar nichts!) Ich sage Ihnen, Herr Außenminister: Sie allein haben es in der Hand, dem Deutschen Bundestag – Hören Sie mir bitte zu. Nur noch 26 Prozent der und der Öffentlichkeit darzulegen, was die Kriterien befragten Bürger sind der Ansicht, dass Herr Wes- für die Mitnahme auf eine solche Reise sind. Sie terwelle Deutschland als Außenminister gut vertritt. haben es in der Hand, zu erklären, dass diese Rei- 77 Prozent – dazu gehören auch die Anhänger der sen keine FDP-Betriebsausflüge sind und nicht FDP – sind der Meinung, dass Joschka Fischer FDP-Spender bevorzugt eingeladen werden oder seine Sache gut gemacht hat. 70 Prozent sind der gar Vertreter bestimmter Firmen, weil Ihr Bruder an Ansicht, dass Herr Steinmeier es gut gemacht hat. einer dieser Firmen Anteile hat. Wir und die Öffent- Das ist der Unterschied. Sie stürzen ab. lichkeit erwarten, dass diese Fragen beantwortet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- werden. Sie allein tragen die Verantwortung. wie bei Abgeordneten der SPD) Schieben Sie sie nicht auf andere. Sie haben es in der Hand, dass dieses Amt nicht weiter beschä- Man traut Ihnen nicht mehr zu, dass Sie das Amt digt, sondern in Würde ausgeführt wird. des Außenministers seriös ausüben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hören Sie auf, das Ganze als Majestätsbeleidi- sowie bei Abgeordneten der SPD – gung zu sehen. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Wirres (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Es geht um Zeug reden Sie hier!) die rote Linie!) Jetzt komme ich zur Außenpolitik. – Es geht sehr wohl um Inhalte. Es geht nämlich (Beifall bei der FDP) um das Amt des Außenministers, das von Herrn Westerwelle beschädigt wird. Es geht darum, dass Ich möchte vor allem auf die Lateinamerikareise das die Mehrheit der Deutschen so sieht. Es geht zu sprechen kommen. Das war ein großartiger Er- darum, dass Herr Westerwelle nicht in der Lage ist, folg. Soll ich Ihnen einmal erzählen, wie die Jour- Deutschlands Rolle in der Welt zu bestimmen, nalisten das sehen? Ich habe wirklich versucht, herauszufinden, wie die Bilanz dieser wichtigen La- (Widerspruch bei der FDP) teinamerikareise aussah. Herr Westerwelle fand al- weil er sich mit Parteispenden, parteitaktischen les „ganz außerordentlich“. Er fand es „sehr Geschichten und in seinen Rollen hier zu Hause schön“, und er fand es „enorm“. Er fand, dass es verzettelt hat und weil er nicht zwischen persönli- von „großer strategischer Bedeutung“ war. Aber chen, dienstlichen und parteitaktischen Dingen selbst den Gastgebern soll wohl schleierhaft ge- trennen kann. blieben sein, worin denn der deutsche Außenmi- nister ihre strategische Bedeutung sieht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD) Ich zitiere einmal die mitfahrenden Journalisten, die sich mit den Inhalten dieser Reise beschäftigt Niemand hat etwas dagegen, dass Außenpolitik haben. Sie sagen, dass Herr Westerwelle „in im- auch Außenwirtschaftspolitik ist. Alle vorherigen mer gleichen Worten so gut wie nichts sagt“ – dies Außenminister haben Delegationen auf ihre Rei- stammt aus der Süddeutschen Zeitung –, dass die sen mitgenommen; das gilt auch für andere Minis- „Pose das Programm ersetzt hat“ und dass „der ter. Darum geht es aber nicht. Es geht vielmehr um Meister der Schlagworte“ unterwegs gewesen ist. die Kriterien für die einzelnen Teilnehmer an den Das ist die Bilanz Ihrer Lateinamerikareise. Ich fin- Delegationen. Wieso liegt es zum Beispiel im deut- de nicht, dass man darauf unbedingt stolz sein schen Interesse, den Unternehmer Boersch auf ei- kann. Das ist auch nicht verwunderlich. Über Ihr ne Dienstreise mitzunehmen, der ein Unternehmen Amtsverständnis konnte man in einem Interview in mit Sitz in der Schweiz hat, das in Deutschland bis der BamS nachlesen, in dem Sie gesagt haben: heute keinen Euro Steuern bezahlt hat? Wieso „Ich will mir nicht ein paar schöne Jahre im Aus- nimmt man ihn mit? Weil er ein guter Freund des wärtigen Amt machen und die Welt kennenlernen.“ Herrn Westerwelle ist? Welche großen deutschen – Ich finde, genau das spiegelt Ihr Verständnis von Interessen vertritt eine Frau Schlinkert, Außenpolitik wider. Sie verstehen Außenpolitik (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: eher als Touristikunternehmen oder sehen sich Wer ist das eigentlich?) bestenfalls als Handlungsreisender, wenn Sie zum ihres Zeichens Mitglied im Kulturausschuss der Beispiel die Interessen der deutschen Atomindust- rie in Brasilien vertreten. Ich meine: Das ist definitiv Stadt Bonn? Warum wurde sie mitgenommen? Man wird bestimmt nichts zu ihr finden, das belegt, zu wenig. dass sie etwas mit deutscher Außenpolitik zu tun (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Oh!) hat oder ihre Mitnahme von deutschem außenpoli- tischen Interesse war. Sie behaupten aber, dass 2768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Ein deutscher Außenminister ist kein Handlungs- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reisender. Sie aber haben eine Hermesbürgschaft NEN): für Angra 3 in Aussicht gestellt, obwohl das AKW Ich komme zum Schluss. – Was macht der in einem Erdbebengebiet gebaut werden soll und deutsche Außenminister? In der erwähnten Pres- obwohl Brasilien nicht bereit ist, das Zusatzproto- semitteilung äußert er sich gar nicht zu diesem koll zum Atomwaffensperrvertrag zu unterzeich- Thema. Auch heute war nichts dazu zu hören. nen, Liegt das daran, dass Sie in parteipolitische Debat- ten verstrickt sind, und warum haben Sie das Gan- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ze nicht schon in der letzten Diskussion um UNIFIL Hört! Hört!) abgeräumt? Deswegen sind Sie nicht sprachfähig, wofür wir aber dem Iran gegenüber massiv eintre- und die Kanzlerin bestimmt die Politik. ten. Das ist außenpolitisch unverantwortlich und enthält wenig Substanz. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit. wie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich kann andere Themen nennen, zum Beispiel das Thema Nahost, das für die deutsche Außen- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- politik von zentraler Bedeutung ist. Man spricht von NEN): der schlimmsten Krise in den Beziehungen zwi- Jetzt komme ich zum Schluss. – Sie haben es in schen Israel und den USA. Das kann ich verste- der Hand. Schaffen Sie hier Klarheit! Wenn Sie hen; denn das, was die israelische Regierung ge- das nicht tun und kein Interesse haben, dann sind macht hat, ist ein Affront. Die neuen Siedlungen in Sie dieses Amtes nicht würdig. Ostjerusalem sind ein Hindernis für den Frieden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Israel muss diesen neuen Siedlungsbau zurück- wie bei Abgeordneten der SPD) nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer der LINKEN) Stinner für die FDP-Fraktion. Ich frage mich allerdings, wo der deutsche Au- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ßenminister bei diesem zentralen Thema ist. Ich habe recherchiert: Es gibt nichts außer einer dürf- Dr. Rainer Stinner (FDP): tigen Pressemitteilung. Stattdessen wird die Kanz- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- lerin zitiert. Die Kanzlerin und der Verteidigungs- gen! Die Haushaltsdebatte ist traditionell eine De- minister – das sehen die Bürgerinnen und Bürger batte über die Grundzüge der Außenpolitik. Das übrigens in Umfragen genauso – machen Außen- sollte sie auch sein. politik. Sie bestimmen, was in Afghanistan, im Iran, in Nahost und im Libanon passiert. Der Außenminister hat in wenigen Worten einige wesentliche außenpolitische Leitlinien dargelegt. Ein anderes Beispiel: Gerade war der libanesi- Aber er hat auch schon in den fünf Monaten seit sche Ministerpräsident Hariri in Deutschland. Wir seinem Amtsantritt deutlich gemacht, wohin die haben ihn gestern getroffen. Die Kanzlerin hat sehr Reise geht. Die Opposition hat Kritik geäußert. Das klar gesagt, dass sie alles dafür tun wird, damit die ist ihr gutes Recht. UNIFIL-Mission fortgesetzt wird. Auf meine Frage nach den Folgen unseres möglichen Rückzugs – Herr Brandner, Ihre Rede würde ich eher als das ist die Position der FDP – hat Ministerpräsi- Kompliment an die Bundesregierung verstehen. dent Hariri sehr deutlich gesagt, dass dies ein sehr Sie haben gesagt, dass alles in die richtige Rich- negatives Signal wäre; denn die UNIFIL-Mission tung gehe, und zwei oder drei Kritikpunkte ange- hat den Libanon in die stabilste Situation seit führt. Das mussten Sie für Ihre sozialdemokrati- 40 Jahren gebracht. Wenn gerade die Deutschen schen Seelen tun. Das verstehe ich. Aber im We- aussteigen, die den stärksten Beitrag unter den sentlichen haben Sie die Bundesregierung unter- Europäern liefern, wäre dies ein negatives Signal. stützt. Sie würden sich damit quasi von den P5-plus-1 Herr Gehrcke, Sie haben sich am Außenminister verabschieden und ihre entscheidende Rolle im abgearbeitet und vor allen Dingen die langen Li- Nahen Osten verlieren. nien vermisst. Ich kann Ihnen nur gratulieren; denn Sie zeigen überdeutlich, wohin lange Linien führen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sie sind seit 40 bis 50 Jahren konsequent auf der Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. falschen Seite deutscher Politik. Das ist konse- Sie ist überschritten. quent. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2769

Sie haben eine lange Linie langfristig verfolgt. Das auch andere Kritik geübt haben. Ich weiß aber ist allerdings richtig. auch – ich kann Ihnen eine entsprechende Liste vorlegen –, wer welche Reisebegleiter in den letz- Frau Müller hat den Anschein erweckt, als wür- ten Jahren mitgenommen hat. Das betrifft sowohl de sie über Inhalte sprechen, konnte aber der den Außenminister der Grünen als auch der SPD. übergroßen Versuchung nicht widerstehen. Sehr Ich könnte Ihnen die Namen nennen. Aber wollen geehrte Frau Müller, Sie haben sich dann doch wir uns angesichts der Probleme auf der Welt allen wieder in eine Schlammschlacht hineinbegeben. Ernstes auf ein solches Niveau in der Haushalts- Ich habe heute ziemlich viel Papier dabei. Ich debatte begeben? Wenn Sie das wollen: Ich bin habe eine Auflistung sämtlicher Reisen von Au- bereit dazu, halte es aber für außerordentlich ßenminister Fischer und Außenminister Steinmeier schädlich und dumm, so etwas zu tun. sowie sämtlicher Spender dabei, die ich im Einzel- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nen vortragen könnte. Das mache ich aber nicht, sondern beschränke mich auf den Hinweis, dass 2004 Herr Fischer einen Unternehmer mitgenom- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: men hat, der vorher eine Spende gezahlt hat. Ich Herr Kollege, mir liegen noch zwei Bitten nach nenne den Namen ausdrücklich nicht, weil ich einer Zwischenfrage vor, und zwar vom Kollegen Spenden nicht für falsch halte. Sie haben das auch Koppelin und vom Kollegen Ströbele. Wollen Sie gemacht, und es ist völliger Unsinn, uns das vor- beide Zwischenfragen zulassen? zuwerfen. Dr. Rainer Stinner (FDP): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ja. Wenn ich die Zwischenfrage von Herrn der CDU/CSU) Koppelin zulasse, dann muss ich auch Herrn Strö- bele die Chance geben, eine zu stellen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Stinner, gestatten Sie eine Zwi- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: schenfrage von Herrn Nouripour? Herr Koppelin, bitte sehr.

Dr. Rainer Stinner (FDP): Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Von Herrn Nouripour? Das ist gut. Es passt vielleicht ganz gut, dass der Kollege Ströbele nach mir eine Zwischenfrage stellt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege Nouripour. Herr Stinner, können Sie sich daran erinnern – da es aktuell um Personalien geht –, dass in den Planungsstab des Auswärtigen Amtes, als Joschka Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fischer Außenminister wurde, ein Herr Schmierer Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kol- kam, der Pol Pot und die Roten Khmer, die für die lege Stinner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh- massenhafte Tötung von Kambodschanern ver- men, dass nicht nur die Grünen Kritik äußern? Sie antwortlich sind, bejubelt hat, und wissen Sie noch, kennen bestimmt den Vizeministerpräsidenten des dass wir das kritisiert haben und die Grünen das Landes Hessen, Jörg-Uwe Hahn. trotzdem akzeptiert haben? Er ist Parteivorsitzender der FDP in Hessen. Er hat gestern – das ist heute in der Frankfurter Rund- Dr. Rainer Stinner (FDP): schau nachzulesen – auf die Nachfrage einer Herr Koppelin, ich kann mich daran erinnern, Zehntklässlerin: „Was würden Sie tun, Herr Hahn, insbesondere daran, dass wir das damals nachhal- wenn Sie Guido Westerwelle wären?“ geantwortet: tig kritisiert haben, und zwar völlig zu Recht. Ich „Ich würde mich zurückziehen, mir selbst eine bleibe bei dieser Kritik noch heute. Auszeit geben.“ Sind Sie nicht stolz darauf, dass Sie noch solch weise Mitglieder in Ihrer Partei ha- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ben? der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Ströbele. Dr. Rainer Stinner (FDP): Nein, darauf bin ich gar nicht stolz. Ich kann mir Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE nicht vorstellen, dass der stellvertretende Minister- GRÜNEN): präsident eines Bundeslandes allen Ernstes erwar- Herr Stinner, Außenminister Westerwelle hat ei- tet, dass der Bundesaußenminister 14 Tage lang ne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die aus nichts tut. Ich glaube daher nicht, dass gemeint Ihren Reihen kommt. Sie heißt Cornelia Pieper. war, dass der Bundesaußenminister sein Amt nicht Wir hatten vor ein paar Tagen das Vergnügen ei- mehr ausüben soll. So können Sie uns nicht kom- ner öffentlichen Diskussion über die Reisen des men. Ich weiß, dass nicht nur die Grünen, sondern Außenministers und die Auswahl seiner Reisebe- 2770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 gleiter. Sie hat in ihrer Not – so bewerte ich das – CDU, nicht aber der FDP gespendet hat. Auch das gesagt, dass ich die Einzelheiten am Mittwoch in nur zur Information. Das heißt, dass hier nicht nach der Debatte im Deutschen Bundestag erfahren solchen Kriterien ausgesucht worden ist. Vielmehr werde, dann werde der Außenminister selber dazu legt das Auswärtige Amt eine Liste vor, aus der Stellung nehmen, insbesondere zu den Kriterien ausgewählt wird. Das war bei Fischer so, das wird der Auswahl seiner Reisebegleiter. – Nun bin ich bei Steinmeier so gewesen sein, und das ist bei heute Morgen früh aufgestanden und hierher ge- Herrn Westerwelle ganz genauso. Diese Praxis kommen wird das Außenministerium fortsetzen. Sie können sicher sein, dass dabei die verschiedenen Interes- (Lachen bei der FDP) sen ausgewogen zur Geltung kommen. und warte schon den ganzen Vormittag, ob die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bundeskanzlerin oder Herr Westerwelle mir Aufklä- der CDU/CSU) rung gibt. Ich hätte gerne Aufklärung darüber – das ist eine normale Frage eines Oppositionsabgeord- neten –: Nach welchen Kriterien wählt der Außen- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: minister seine Begleiter aus, und spielen dabei Herr Kollege Stinner, Herr Beck möchte eine insbesondere persönliche Kontakte, Freundschaf- Zwischenfrage stellen. ten, Spenden oder was auch immer eine Rolle? Sind Sie bereit, das zu beantworten oder Ihren Dr. Rainer Stinner (FDP): Außenminister aufzufordern, das zu tun? Sie wollen noch mehr haben? Sie können noch mehr bekommen, bitte schön. Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Ströbele, ich benötige jetzt mein Papier mit Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Namen der Reisebegleiter ehemaliger Au- NEN): ßenminister tatsächlich, obwohl ich das nicht woll- Herr Kollege, Sie scheinen zumindest dem Be- te. Aber Sie als Opposition zwingen mich dazu. Ich gehren der Transparenz nicht völlig fernzustehen. kann Ihnen bestätigen, sehr geehrter Herr Ströbe- Das ist auch gut. Wir Parlamentarier sollten, egal le, dass Außenminister Steinmeier elfmal – ich be- welche Farbe die Regierung hat, gemeinsam auf tone: elfmal – von einem SPD-nahen Verleger be- unsere Kontrollrechte achten. Nun gibt es nicht nur gleitet worden ist. Fragen zu den Delegationsreisen, sondern auch Fragen zu den Berliner Abenden des Auswärti- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE gen Amtes in der Villa Borsig. GRÜNEN]: Er hat nach Westerwelle ge- fragt!) (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr gute Frage!) – Ich möchte die Frage so beantworten, wie ich es will. Falls Sie von Ihrer Fraktion einmal Redezeit – Darf ich meine Frage stellen? – Der Außenminis- bekämen, könnten Sie hier vorne auch so agieren, ter hat sich meines Wissens auf Nachfragen im wie Sie wollten. Haushaltsausschuss geweigert, die Gäste zu nen- nen. Ich will gar nicht sagen, dass da irgendetwas (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schiefläuft, aber ich kann das nicht nachprüfen, der CDU/CSU) wenn man dem Parlament die Auskunft verweigert. Sehr geehrter Herr Ströbele, ich kann Ihnen be- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das stimmt stätigen, dass Außenminister Steinmeier elfmal aber nicht!) den SPD-nahen Unternehmer P. mitgenommen hat und zu diesem Unternehmer private Beziehun- Ich fand die Begründung, dass die Privatsphäre gen pflegt; denn die beiden bilden eine Wohnge- der Gäste berührt sei, wenn man offenlegt, wer an meinschaft. Man könnte also flapsig sagen: Wohn- einer offiziellen Veranstaltung des Auswärtigen gemeinschafts-Buddys wurden mit auf Auslands- Amtes teilnimmt, besonders beeindruckend. Nun reisen genommen. Darüber können wir noch de- ist das Auswärtige Amt bekanntermaßen kein Ge- tailliert diskutieren. Ich kann Ihnen jetzt nur sagen, heimdienst, und es gab wahrscheinlich auch keine dass das Auswärtige Amt sehr sorgfältig und sau- vertraulichen Gespräche mit anderen Regierun- ber plant, wie solche Reisen zusammengestellt gen. Ich hätte Verständnis dafür, dass man über werden. Das war bei Herrn Fischer und Herrn solche Gespräche nicht alles sagen kann. Unter- Steinmeier so, und das wird auch bei Herrn Wes- stützen Sie das Anliegen unserer Fraktion, dass terwelle so sein. diese Gästelisten offengelegt werden und dabei transparent gemacht wird, (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Haben sie Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Ströbele, doch!) auch sagen, dass bei der Reise nach Tokio und Peking, an der neben Kollegen Ihrer Fraktion auch ob die Gäste Förderer und Spender der FDP oder ich teilgenommen habe, ein Herr dabei gewesen Personen mit einem außenpolitischen Zusammen- war, der in den letzten Jahren der SPD und der hang sind, bei denen es einen Sinn ergibt, dass sie Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2771 an den Berliner Abenden des Auswärtigen Amtes len und dann eine nach Brüssel zur nationalen teilnehmen? Regierung angetreten. Die Regierung in Brüssel hat neun Jahre lang keinen lebendigen deutschen Dr. Rainer Stinner (FDP): Außenminister mehr gesehen. Er hat damit doku- Sehr geehrter Herr Kollege Beck, zunächst ein- mentiert, dass wir das, was wir sagen, ernst neh- mal zeigen Sie und Ihre Kollegen, die dieses The- men, dass wir zwar zu den Großen in Europa ge- ma hochziehen, was von den ersten Kollegen, die hören, aber mit den kleinen und mittleren Staaten hier gesprochen haben, nicht gemacht worden ist, auf Augenhöhe verhandeln. Es war ein deutliches dass Sie offensichtlich inhaltlich an der Politik des Zeichen, das er hier gesetzt hat. Außenministers nichts auszusetzen haben. Das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nehme ich als großes Kompliment für die Au- der CDU/CSU) ßenpolitik. Herzlichen Dank dafür. Das zeigt, dass Sie inhaltlich nichts auf der Pfanne haben. Ferner hat er die beiden Begriffe Werte und In- teressen in einer neuen Weise intoniert. Wie Kol- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) legen von Ihnen habe ich an der Reise nach Pe- Wenn Sie als Parlamentarischer Geschäftsfüh- king und Tokio teilgenommen. Die nicht verletzen- rer einer Fraktion, die auch schon einige Jahre de, aber sehr offene und deutliche Weise, in der Regierungsverantwortung getragen hat – hoffent- der Minister in Peking sowohl die Menschen- lich so bald nicht wieder –, hier bemängeln, dass rechtsproblematik in China angesprochen hat als der Außenminister und Vizekanzler der Bundesre- auch für die deutschen wirtschaftlichen Interessen publik Deutschland auch eine gesellschaftliche und damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen in Funktion wahrnimmt, indem er gesellschaftlich re- Deutschland eingetreten ist, hat auch anderen levante Personen aus allen Kreisen einlädt, Respekt abgerungen. Nach Abschluss der Reise haben mir Kollegen der Oppositionsfraktionen – (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE um niemandem zu schaden, möchte ich jetzt keine GRÜNEN]: Warum kann man sich nicht Namen nennen – gesagt, dass sie sehr beeindru- offen dazu bekennen?) ckend fanden, wie sich der Minister präsentiert hat. und das kritisieren, dann haben Sie ein Verständ- Wenn der Minister so weitermache, dann werde nis von repräsentativer Demokratie, das ich in kei- das eine ganz hervorragende Amtszeit. Ich wie- ner Weise nachvollziehen kann. derhole: Das haben Oppositionsabgeordnete ge- sagt. Ich nenne keine Namen, um keine Parteiaus- Herzlichen Dank. schlüsse zu provozieren; schließlich sind einige (Beifall bei der FDP) unserer Parteien immer sehr schnell damit. Ich bin gerne bereit, weitere Mitreisende von (Beifall bei Abgeordneten der FDP – SPD-Ministern und Ministern der Grünen zu nen- Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE nen. Falls Sie aber keine weiteren Zwischenfragen GRÜNEN]: So etwas kann sich jeder haben, würde ich in den restlichen Minuten gerne ausdenken!) einiges zum Inhalt sagen; denn das sollte der Kern Frau Müller, ich habe nicht das geringste Ver- unserer Debatte sein. Wenn Sie das nicht wollen, ständnis dafür, dass Sie sagen: Auch beim Thema dann zeigen Sie, dass Sie inhaltlich kein Interesse Afghanistan hat der Außenminister nichts Neues haben. eingebracht. Die vorherigen Regierungen haben Der Außenminister hat zu Beginn seiner Amts- nach bestem Wissen und Gewissen etwas Gutes zeit sehr deutlich gemacht, dass er sich einerseits und Richtiges versucht. Die Vorgängerregierung in der Kontinuität deutscher Außenpolitik sieht hat das Thema „vernetzte Sicherheit“ wie eine und andererseits eigene Akzente setzen wird. Wir Monstranz vor sich her getragen. Unter der jet- brechen uns keinen Zacken aus der Krone, wenn zigen Regierung mit diesem Außenminister ist es wir uns zu der Kontinuität der deutschen Außen- erstmals gelungen, dass Deutschland international und Sicherheitspolitik bekennen. Dazu gehören Akzente setzt – das haben wir immer gefordert –: viele FDP-Minister, zu der gehören aber auch an- Die Konferenz in London ist von Deutschland an- dere Minister wie Herr Fischer und auch Herr geschoben, moderiert und getrieben worden; das Steinmeier. Herr Westerwelle stellt sich ausdrück- war deutsche Außenpolitik. Auch das Ergebnis lich in diese Kontinuität. Wir haben auch an dem kann sich sehen lassen; das werden Sie gar nicht Haushalt gesehen, sehr geehrter Herr Brandner, abstreiten können. Damit sind die Probleme Af- dass Kontinuität herrscht. Das haben Sie uns be- ghanistans zwar nicht auf einen Schlag gelöst, stätigt. Herzlichen Dank für die große Überein- aber es ist eine bestimmte Richtung eingeschlagen stimmung, die wir hier haben. worden: Erstmals hat die NATO eine gemeinsame Strategie verabredet, und gleichzeitig ist ein Weg Herr Westerwelle hat aber auch gesagt, dass er aufgezeigt worden, wie wir das Land eines Tages eigene Akzente setzt, wie es jeder Minister tut. Er verlassen werden können. Das ist neu. hat damit sehr früh angefangen und in den ersten Tagen seiner Amtszeit zuerst eine Reise nach Po- Ich bezweifele gar nicht, dass Sie das Gleiche wollten. Nur, meine Damen und Herren, der beste 2772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Beweis für das Wollen ist das Tun – und Sie haben haltsausschuss – einer ist Mitglied Ihrer Fraktion – das Notwendige nicht getan, während es die neue haben entsprechende Listen eingesehen Bundesregierung unter Führung des Außenminis- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine ters getan hat. Das ist ein nachhaltiger neuer Ak- einzige Liste!) zent. Man kann gar nicht energisch genug darauf hinweisen, dass es eine neue Qualität deutscher – meinetwegen haben sie nur eine Liste eingese- Außenpolitik ist. hen; darüber streite ich mich mit Ihnen gar nicht –, auf denen steht, wer in die Villa Borsig eingeladen (Beifall bei der FDP) war. Diese Liste hat sich anschließend in den Me- Ich komme auf das Thema Abrüstung zu spre- dien wiedergefunden, mit Namensnennung und chen. Frau Müller, auch beim schlechtesten Willen Abqualifizierung dieser Gäste. Es wurde zum Bei- – den ich Ihnen sonst nicht unterstelle; aber Ihre spiel geschrieben, das seien B-Promis gewesen. heutige Rede deutet darauf hin, dass Sie vielleicht Unter den Gästen waren Botschafter. In den Medi- auch da ein bisschen abgerutscht sind – können en sind übrigens auch Botschafter genannt wor- Sie nicht bezweifeln, dass der Außenminister be- den, die gar nicht dabei waren; auch das muss züglich der Abrüstung neue, energische Akzente man einmal zur Kenntnis nehmen. gesetzt hat. Auf dieses wichtige Thema hat er auch Wenn der Bundesaußenminister Gäste einlädt, heute trotz seiner kurzen Redezeit ausdrücklich dann kann es nicht angehen, dass diese anschlie- hingewiesen. Es ist eine glückliche Fügung, dass ßend in den Medien persönlich abqualifiziert wer- wir jetzt im Einklang mit unseren amerikanischen den, weil Kollegen aus dem Ausschuss eine ent- Verbündeten sind. Die Bundesregierung wird die- sprechende Liste einsehen konnten. Insofern un- ses Thema unter Führung des Außenministers terstütze ich, dass der Bundesaußenminister ge- weiterhin energisch behandeln. Er hat dabei unse- sagt hat: Zukünftig gibt es keine Einsicht mehr in re große Unterstützung. eine solche Liste. In diesem Fall hat es aber Ein- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) sicht gegeben; er hat sich dem vorher nicht verwei- gert. Das sei zur Klarstellung gesagt. Diejenigen, Ihre Kritik war nicht inhaltlicher Art. Auf die von die das in die Medien getragen haben und die Herrn Gehrcke skizzierten langen Linien bin ich Gäste abqualifiziert haben, haben selber Schuld, eingegangen. Frau Müller, Sie haben der Versu- wenn sie zukünftig diese Listen nicht mehr einse- chung nicht widerstanden, hier auf die Pauke zu hen können. hauen. Ihre Kritik ist inhaltlich nicht fundiert. Die Außenpolitik hat nach 140 Tagen Fahrt aufge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – nommen. Die Leitlinien sind gesetzt. Diese Bun- Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: desregierung unter Führung des Außenministers So ist es!) wird sich auf die Koalitionsfraktionen – auf jeden Fall auf meine Fraktion, aber, wie ich weiß, auch Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: auf die Unionsfraktion – stützen können, sodass Normalerweise antwortet auf die Kurzinterventi- wir diese sachorientierte, wertegeleitete, interes- on der Redner. Nachdem Sie aber persönlich auf sengeleitete deutsche Außenpolitik erfolgreich fort- Einlassungen in Ihrer Zwischenfrage angespro- setzen werden. Dafür werden wir sorgen. Egal was chen wurden, gebe ich Ihnen das Wort, Herr Beck. für einen Tanz Sie anstellen: Sie werden uns von diesem richtigen Weg nicht abbringen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- NEN): ten der CDU/CSU – Sven-Christian Kind- Unsere Anfrage an diese Listen verbindet sich ler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie mit keiner Bewertung, sondern es geht hier um mauern doch bei den Informationen!) Transparenz. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Gäste ab- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: qualifizieren!) Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Kollegen Koppelin. – Ja, es geht hier um Transparenz. Natürlich kann Transparenz dazu führen, dass Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): die Öffentlichkeit kontrovers über Dinge, die be- Der Kollege Volker Beck hat in einer Zwischen- kannt werden, diskutiert. Ich meine, dass es auch frage behauptet, der Bundesaußenminister habe völlig in Ordnung geht, dass darüber geredet wird, sich im Haushaltsausschuss geweigert, zu ermög- wer bei solchen Veranstaltungen eingeladen wird. lichen, dass Listen eingesehen werden, aus denen Hier handelt eine Regierungsstelle als Exekutive. hervorgeht, wer Gast in der Villa Borsig gewesen Es wäre nicht in Ordnung, wenn darüber geredet ist. Der Sachverhalt ist folgendermaßen – ich bin würde, wer sich mit wem auf privaten Partys des Mitglied im Haushaltsausschuss, Sie nicht, Herr Außenministers oder welcher Person auch immer Kollege Beck –: Zwei Kollegen aus dem Haus- trifft. Aber wenn etwas vom Steuerzahler bezahlt wird, wenn es um die offiziellen Kontakte des Aus- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2773 wärtigen Amtes geht, dann hat die Öffentlichkeit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- auch einen Anspruch. gen! Die eine oder andere Diskussion, die wir hier gerade geführt haben, entspricht nicht meiner De- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: battenkultur. Der Rechnungshof prüft! – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Rech- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nungshof!) FDP) Es reicht nicht, dass diskrete Einsichtnahme ge- Zugleich finde ich aber auch, dass Sie, Herr Au- währt wird; vielmehr kann man sich dazu beken- ßenminister, heute eine Chance verpasst haben. nen. Ich sage gar nicht, dass da irgendetwas Sie hätten auf die Nachfragen, die in den letzten schief ist; aber wir haben das Recht, so etwas zu Tagen gestellt worden sind, durchaus antworten erfahren und dann zu bewerten, ob das in Ord- können. Sie hätten auch genug Redezeit gehabt, nung ist oder nicht. insbesondere weil ich glaube, dass die drei Punk- te, die Sie angeführt haben, Sie nicht so stark be- Ich maße mir kein Urteil an, wenn ich die ent- drängt haben, dass Sie nicht auf die drängenden sprechenden Informationen nicht habe. Aber es Fragen, die in den letzten Tagen immer wieder ge- gibt eben entsprechende Berichte, bei denen man stellt worden sind, hätten antworten können. das Gefühl hat, die Zusammenstellung sei in be- sonderer Weise und vielleicht nicht ganz sachge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) recht mit Blick auf das Auswärtige Amt erfolgt. Es Ich fand auch manches bizarr, insbesondere, mag so sein, es mag sich auch ganz anders ver- dass Sie am Sonntag gesagt haben, Ihnen werde halten. Wissen und beurteilen kann man das nur, man den Schneid nicht abkaufen. Ich will Ihnen wenn man die Informationen offenlegt. Deshalb den Schneid nicht abkaufen. Darauf kommt es gar fordere ich den Außenminister auf, hier Transpa- nicht an. Ich hätte auch diesen Duktus nicht ge- renz walten zu lassen und uns auch zu sagen, wer wählt. Der entscheidende Punkt ist doch einfach, welche Leute für Delegationsreisen vorgeschlagen dass in den letzten Wochen und Monaten so viele hat und welches Beratungsergebnis am Ende für unterschiedliche Fragen mit Ihnen, aber auch mit die Zusammenstellung der Delegation herausge- dem Amt in Verbindung gebracht worden sind, kommen ist. Diese Vorgänge müssen transparent dass diese Diskussion notwendig gewesen ist und gemacht werden. die offenen Fragen sozusagen nach Antworten Sie, Herr Außenminister, haben sich beschwert, schreien. Ich glaube, Sie hätten heute antworten dass angeblich eine Kampagne gegen Sie laufe. sollen. Ich habe das erwartet. Ich hätte es auch Ich glaube, die Kampagne hat nur ein Feuer: Das deswegen besser gefunden, weil ich glaube, dass ist die mangelnde Transparenz des Auswärtigen diese Empörungsrituale, die Sie in den letzten Ta- Amtes bei diesen Vorgängen und nicht der böse gen immer wieder aufzuführen versucht haben, Wille von Leuten, die Fragen haben. letztendlich wieder auf Sie zurückfallen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sie haben sich darüber beschwert, dass die bei der SPD) Opposition eine entsprechende Debatte geführt hat, als Sie im Ausland gewesen sind. Ich hätte Fragen, mit Verlaub, sind keine Majestätsbeleidi- mich zuerst einmal an meinen Koalitionspartner gung, sondern das gute Recht des Parlamentes. gewandt und gefragt, was denn in den General- Das Interpellationsrecht und das Haushaltsrecht sekretär Dobrindt gefahren sei, als er über die sind unsere höchsten Güter. Sie machen viel von „Abwrackprämie für Taliban“ gesprochen hat, als dem aus, was das Parlament leisten kann. es um die Afghanistanstrategie ging, als er Sie in (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Gäste ab- die Türkei begleitet hat und Aussagen getätigt hat, qualifizieren!) die von uns mit Sicherheit niemals gekommen wä- ren. Ich wäre also vorsichtig bei diesen Fragen. Diese Aufgabe werden wir auch weiter wahrneh- men und uns da, mit Verlaub, den Schneid nicht abkaufen lassen. Nun wollen zum Beispiel Herr Lindner und Ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktionsvorsitzende Ihnen beispringen, indem sie und bei der SPD – Dr. Rainer Stinner sagen, das alles schade der Demokratie bzw. der [FDP]: Ich möchte gerne antworten!) politischen Kultur. Aber, Herr Außenminister, wo kommen wir hin, wenn Sie die Ordnung des Staa- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tes so mit Ihrer Person identifizieren, dass Sie Wir fahren in der Debatte nun fort. Ich erteile auch die Kritik, die an Ihnen persönlich geübt wird, das Wort dem Kollegen Rolf Mützenich für die mit Ihrem Amt verbinden? SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss Ihnen sagen: Wenn etwas der Demokra- Dr. Rolf Mützenich (SPD): tie geschadet hat, dann waren es die Parteispen- 2774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 den und eine Haushaltspolitik, die sich möglicher- ne, man muss ganz offen gegenüber der israeli- weise von diesen Parteispenden abgeleitet hat. schen Regierung zum Ausdruck bringen, dass die Das müssen Sie verantworten. Ich finde, das Palästinensische Autonomiebehörde nirgendwo schadet der Demokratie mehr als die Frage nach baut, sondern im Grunde genommen daran gehin- Aufklärung und Transparenz in diesem Bundestag. dert wird, ihre Arbeit zu tun. Das sind Dinge, die ein deutscher Außenminister ansprechen muss (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS und auch darf, insbesondere in der konkreten Ver- 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- antwortung gegenüber Israel. Auch dazu habe ich ten der LINKEN) heute kein Wort gehört. Herr Außenminister, ich hatte Ihnen in der De- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des batte, die wir anlässlich der Einbringung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Haushalts geführt haben, Kooperation angeboten. Das finde ich auch weiterhin richtig. Wir haben dies Dann rühmen Sie sich immer, Sie wären sozu- auch im Falle Afghanistans getan. Es wird in den sagen der Erfinder von Abrüstung und Rüs- nächsten Wochen und Monaten sicherlich genü- tungskontrolle. Herr Außenminister, Sie wissen, gend Themen geben, bei denen die Opposition, dass wir zurzeit über einen gemeinsamen Antrag zumindest die SPD-Fraktion, mit Ihnen in ein Ge- zu Abrüstung und Rüstungskontrolle verhandeln, spräch inhaltlicher Art eintreten will. Aber dazu weil uns viel daran liegt, dass die Überprüfungs- möchten wir wissen: Wo wollen Sie eigentlich hin konferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New mit dieser Außenpolitik? Eine Antwort auf diese York ein Erfolg wird. Ich finde es richtig, dass der Frage hat in den letzten 140 Tagen gefehlt. Bundestag sich hierzu zusammensetzt. Aber ich sage Ihnen: Es ist zu wenig, zum Beispiel nur den Ich war zum Beispiel wirklich enttäuscht, dass Abzug der taktischen Atomwaffen zu fordern, wenn Sie es nicht geschafft haben, der neuen europäi- man nicht gleichzeitig mit seinen europäischen schen Außenministerin – Herr Stinner und Herr Kollegen darüber spricht. Denn sonst sagen viel- Frankenhauser, Sie haben eben darüber gespro- leicht plötzlich andere Regierungen: Wenn die chen – einmal beizuspringen. Was macht diese Atomwaffen aus Deutschland verschwinden, neh- Kollegin in den letzten Tagen durch? Sie wird auf men wir die ganz gerne. – Das gehört nicht zu ei- europäischer Ebene sozusagen gemobbt, weil sie ner klugen Abrüstung und Rüstungskontrolle, son- es beispielsweise nicht schafft, am Wochenende dern das verlagert nur das Problem. drei Termine wahrzunehmen, und stattdessen bei ihrer Familie sein will. Ich finde, es gehört, auch in- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nerhalb Europas, zum guten Ton, sich vor diese Deswegen wäre ich Ihnen wirklich dankbar, wenn Institution zu stellen und den Europäischen Aus- Sie Manns genug wären, diese Diskussion auch wärtigen Dienst zu unterstützen. auf die europäische und die NATO-Ebene zu ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lagern. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt im Zusammenhang mit Abrüs- Ein anderer Punkt ist von Kollegin Müller ange- tung und Rüstungskontrolle betrifft den immer noch sprochen worden. Ich finde es erschreckend, dass ausstehenden Vertrag zwischen den USA und Sie, der Sie sich damals in der Opposition gegen Russland über den Abbau strategischer Atomwaf- UNIFIL ausgesprochen haben, es heute nicht fen. Ich glaube, die brauchen ein bisschen Feuer schaffen, über Ihren Schatten zu springen und in bei dieser Diskussion bzw. Unterstützung. Ich sage der Funktion des Außenministers dem libanesi- Ihnen: Wir bauen ein riesengroßes Problem auf, schen Ministerpräsidenten gegenüberzutreten und wenn wir die Raketenabwehr nicht mit Abrüstung ihm zu sagen, dass wir darüber noch einmal nach- und Rüstungskontrolle verbinden. Dies zu tun, ist denken und unter Umständen nach der Sommer- eine ganz wichtige Aufgabe. Die Frage, wie man pause ein erneutes Mandat dafür einbringen. Denn das erreichen kann, beantworten Sie in Ihrer Funk- der libanesische Ministerpräsident hat doch, als er tion als deutscher Außenminister aber nicht. hier zu Besuch war, händeringend darum gefleht, Der letzte Punkt. Die konventionelle Abrüstung und dass Deutschland sich nicht aus dem Mandat ver- Rüstungskontrolle stehen vor einer großen Herausforde- abschiedet, weil er Angst hat, dass dann der Nah- rung. Wir von der SPD haben Ihnen angeboten, den an- ostprozess, von dem man nicht mehr wirklich spre- gepassten Vertrag im Deutschen Bundestag sofort zu ra- chen kann, nicht mehr für Libanon gilt. Auch das tifizieren, wenn Sie ihn vorlegen. Dadurch könnte man haben Sie nicht getan. Ich würde mir wünschen, zu einer weiterführenden Diskussion kommen. Diese Sie wären an dieser Stelle wirklich Außenminister. Aufgabe haben Sie zu erfüllen. Auch die Fragen zu der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft DIE GRÜNEN) schreien danach, dass sich der Außenminister damit be- schäftigt. Sie haben es der Kanzlerin überlassen, den Siedlungsbau zu kritisieren. Ich fand das, was Sie Ich glaube, Ihr Problem ist, dass Sie nach 140 heute hierzu gesagt haben, wachswindelweich; Tagen noch immer nicht im Amt angekommen das sage ich an beide Parteien gerichtet. Ich mei- sind. Ihr Augenmerk gilt zuerst Ihnen selbst und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2775 dann der Außenpolitik. Ich glaube, das ist die fal- Deutschland beträgt rund 3 000 Euro brutto. Der sche Reihenfolge. Etat entspricht also umgerechnet einer Arbeitsleis- tung von 1 064 605 Monaten. Wenn man für ein Vielen Dank. Erwerbsleben 35 Jahre veranschlagt, dann kann (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ man sagen, dass das gesamte Erwerbsleben von DIE GRÜNEN) rund 2 500 Arbeitnehmern benötigt wird, um die- sen Etat zu erwirtschaften. Die Bürgerinnen und Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bürger fragen sich also zu Recht, wie wir dieses Nächster Redner ist der Kollege Philipp Mißfel- Geld für die Interessenvertretung unseres Landes der für die CDU/CSU-Fraktion. im Ausland ausgeben und für welche Ziele wir im Ausland einstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb muss jeder Cent des Haushaltes, über Philipp Mißfelder (CDU/CSU): den wir heute beraten, begründet werden. Die Ausgaben werden durch die Professionalität des Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Dienstes, die unser Auswärtiges Amt auszeichnet, Kollegen! Zunächst einmal möchte ich in dieser Debatte und durch die weltweit erbrachten Serviceleistun- die Gelegenheit nutzen, mich bei denjenigen zu be- gen gerechtfertigt. Dazu zählen Reisehinweise, die danken, die neben dem Bundesaußenminister und neben Hilfe beim Verlust des Passes oder die extrem pro- den Abgeordneten die Außenpolitik Deutschlands reprä- fessionelle und weltweit gerühmte Arbeit des Kri- sentieren. Das sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitar- senstabes im Auswärtigen Amt, der immer dann, beiter im diplomatischen Korps und unsere vielen Orts- wenn Deutsche im Ausland in Gefahr sind, sehr kräfte, die wir weltweit beschäftigen. Insgesamt reprä- gute Arbeit leistet. sentieren 12 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bundesrepublik Deutschland in der Welt. Ihnen spreche Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, dass es ich meinen herzlichen Dank für ihre vorzügliche Arbeit neben dieser professionellen tagtäglichen Arbeit große aus, die sie in schwierigen Situationen wie in Chile, Ha- Linien gibt, die von dieser Regierung verfolgt werden iti, Afghanistan und anderswo, aber auch auf Positionen, und die wir hier im Parlament politisch unterstützen, wo deutsche Interessen gewahrt werden müssen, wie heute durch unsere Zustimmung zum Haushalt. Dazu zum Beispiel in Nachbarländern, leisten. gehört zum Beispiel die Außenwirtschaft. Wenn man sieht, dass in den vergangenen Jahren nahezu jeder fünf- Mein Dank geht auch an diejenigen, die sie da- te Arbeitsplatz in Deutschland vom Export abhängig bei begleiten: an die Ehemänner und Ehefrauen, gewesen ist, dann liegt es doch auf der Hand, dass sich an die Partnerinnen und Partner. Sie alle tragen der Außenminister für die deutsche Wirtschaft im Aus- dazu bei, dass das Ansehen Deutschlands überall land starkmacht und damit unsere außenwirtschaftliche in der Welt sehr gut ist. Auch dafür einen herzli- Position stärkt. Ich glaube, man kann schon nach dieser chen Dank. kurzen Regierungszeit sagen, dass dies bislang ein vol- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP ler Erfolg ist. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte in dieser Debatte die Gelegenheit Vor diesem Hintergrund möchte ich dem Außenmi- nutzen, auf ein paar grundsätzliche Fragen der nister ausdrücklich zu seiner Südamerikareise gratulie- Außenpolitik einzugehen. Es geht in diesem Zu- ren. Wir können uns nun dem zuwenden, was auf dieser sammenhang auch um die Frage, mit welcher Ziel- Reise passiert ist. Wenige Stunden vor Abreise veröf- setzung wir Außenpolitik für unser Land betreiben. fentlichte das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel einen Artikel, in dem die Position Deutschlands Die Außenpolitik muss erstens den Interessen der Men- schen in unserem Land dienen. Sie muss zweitens die in Brasilien massiv kritisiert worden ist. Die beiden Au- europäische Dimension bei allen Fragen umfassen. Drit- toren kamen zu dem Ergebnis, dass uns andere europäi- tens muss deutsche Außenpolitik – das hat der Bun- sche Länder den Rang in Brasilien schon längst abge- desaußenminister bei jeder sich bietenden Gelegenheit laufen hätten. Allein durch Ihre Reisetätigkeit in Süd- amerika haben wir diesen Wettbewerbsnachteil wieder in vorzüglicher Weise deutlich gemacht – auch Frie- aufgeholt, und das wird allseits gerühmt. Deshalb danke denspolitik sein. Dieser Grundsatz bestimmt das Han- deln der bürgerlichen Koalition. Es ist wichtig, dies ich Ihnen für Ihr Engagement in Brasilien, um dieses noch deutlicher herauszustellen. Wir sollten uns daher wichtige Land ganz ausdrücklich zu nennen. diesen Debatten am heutigen Tage stellen und uns nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) in Nebengefechten verzetteln, was der Bedeutung der Außenpolitik in keiner Weise angemessen wäre. Uns geht es bei der Beschreibung unserer poli- tischen Linien in den nächsten Monaten darum, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) uns den drängenden politischen Fragen zu stellen. Der Kollege Frankenhauser hat bereits darauf Der Außenminister hat sehr nachdrücklich unter- hingewiesen, dass es sich mit 3,2 Milliarden Euro strichen, welche Themen ihm wichtig sind. Ich Ausgaben um einen sehr großen Etat handelt. Das möchte für unsere Fraktion ein paar Ergänzungen Durchschnittseinkommen eines Arbeitnehmers in vornehmen, die in unserem besonderen Interesse, 2776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 aber auch in dem unseres Koalitionspartners lie- sehen. Ich glaube, dass uns gerade unser großes Anse- gen. hen, das wir durch unser dauerhaftes Engagement in China genießen, nutzen kann und wir das stärker aus- Wir haben uns in gemeinsamen Gesprächen da- spielen müssen. rum bemüht, die drängenden Fragen auch von parlamentarischer Seite her zu begleiten. Dabei geht es uns besonders um die zukünftige Sicher- In den nächsten Jahren der Regierungszeit soll- heitsarchitektur in Europa und um die Zukunft der te unsere Position sein, dass die beiden Schwer- NATO. Ich möchte noch einmal die Ausgabe des punkte – das Verhältnis zu Russland und das Ver- Spiegel, der aus bekannten Gründen nicht meine hältnis zu China – eine größere Rolle spielen als in Lieblingszeitschrift ist, aus der vergangenen Wo- den vergangenen Jahren. Vor allem muss das un- che heranziehen. Volker Rühe, Klaus Naumann, ter einem eher politischen Gesichtspunkt betrach- Frank Elbe und Ulrich Weisser haben in einem tet werden, als das früher unter Gerhard Schröder Spiegel-Aufsatz sehr deutlich Position dazu bezo- der Fall war, bei dem der Verdacht nahelag, dass gen, was die Zukunft der NATO ist und was die – eine Anschlussverwendung vielleicht eine größere ich sage das sehr bewusst – Nachbarschaftspolitik Rolle gespielt hat als die politische Zielsetzung. gegenüber Russland in den nächsten Jahren do- minieren soll. Unsere Aufgabe, die des Parlaments Ich glaube, die Prognose wagen zu können, und insbesondere die der Koalitionsfraktionen, dass das Verhältnis zwischen den USA und China, muss es sein, sich der Frage nach der Zukunft der das als G-2-Prozess beschrieben wird, schon in NATO auch unter dem Gesichtspunkt zu stellen, den nächsten drei Jahren in eine entscheidende inwiefern wir dazu beitragen können, dass die Tür Phase kommen wird. Man muss in diesem Zu- zwischen der NATO und Russland etwas weiter sammenhang fragen, welche Rolle Deutschland in geöffnet werden kann, als es momentan der Fall diesem Prozess spielen soll und wie es vor dem ist. Hintergrund der europäischen Dimension unter Hinzuziehung der Deutschen und insbesondere Wie dringend das ist, zeigen die außenpoliti- der Europäer insgesamt gelingen kann, einen bes- schen Diskussionen, die in den vergangenen Mo- seren Ausgleich zwischen diesen beiden Polen zu naten unseren Alltag geprägt haben, die Themen, schaffen und zu erreichen, dass europäische Poli- die wir hier allwöchentlich diskutieren. Es geht da- tik, europäische Maßstäbe und letztendlich auch bei zum Beispiel um die Sicherheit in Afghanistan, europäische Interessen stärker berücksichtigt wer- wo wir dringend auf die Kooperation Russlands den. angewiesen sind. Natürlich gilt das nicht im militä- rischen Sinne, weil es naheliegt, dass sich Russ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- land in dieser Hinsicht nicht engagieren will und neten der FDP) dies auch zukünftig nicht tun wird. Vielmehr geht Die besondere Rolle Europas kommt dabei nicht es, wenn man politische Lösungen in dieser Regi- nur bei Themen wie Klimaschutz – das ist offen- on erreichen will, um die Frage, wie es gelingen sichtlich – oder internationale Finanzpolitik – darü- kann, Russland bzw. die sich verändernde russi- ber diskutieren wir derzeit sehr intensiv –, bei de- sche Politik stärker einzubeziehen. Insofern schla- nen das Verhältnis zwischen China und den USA ge ich vor, dass wir alle uns dieser Frage deutlich von Bedeutung ist, zum Ausdruck, sondern betrifft intensiver zuwenden und den NATO- auch Teile der Außenpolitik, die in unseren alltägli- Reformprozess unter diesem Gesichtspunkt stär- chen Debatten unterrepräsentiert sind. Ich möchte ker in den Blick nehmen. einen Kollegen ganz ausdrücklich namentlich er- Nun möchte ich Russland und China nicht in einem wähnen, der gestern bei uns in der Fraktion mit Atemzug nennen; denn die Länder sind so unterschied- Unterstützung unserer Fraktionsführung und auch lich, wie sie nur sein können, obwohl sie direkt nebenei- mit Unterstützung des Bundesentwicklungsminis- nanderliegen. Bei all den Fragen, die uns in den nächs- ters eine sehr gute Veranstaltung durchgeführt hat: ten Monaten beschäftigen werden, müssen wir aber Fol- Kollege Hartwig Fischer hat gestern dafür gesorgt, gendes sehen: Wenn es uns nicht gelingt, Russland und dass Afrika unter einem besonderen Gesichts- China gemeinsam international stärker in die Verant- punkt betrachtet wurde, nämlich nicht nur als Zu- wortung zu nehmen, wird uns weder eine Lösung für wendungsempfänger, nicht nur als ein Kontinent, Afghanistan leichtfallen noch werden wir die Probleme der Hilfe braucht, sondern auch als realer Partner, mit dem Iran lösen können. Deshalb muss aus dem Par- den man bei wirtschaftlichen Fragen und der zu- lament der nachdrückliche Appell kommen, mit China, künftigen wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen was die Sicherheitsstrukturen im Nahen Osten, aber kann. Lieber Kollege Fischer, der gestrige Abend auch was die konkrete Situation im Iran angeht, stärker war ein voller Erfolg. zusammenzuarbeiten, als das bisher der Fall war. Ich sehe gute Chancen. Ich begrüße es deshalb ausdrück- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und lich, wenn wir alle zur Verfügung stehenden Ge- der FDP) sprächskanäle nutzen und versuchen, mit denjenigen in Selbst wenn das kein Thema ist, das hier alle in China ins Gespräch zu kommen, die dort Politik gestal- Aufregung versetzt, glaube ich, dass, wenn wir ten. Das wird in groben Zügen von allen Parteien so ge- über die Interessen Europas – gerade auch im Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2777

Wettlauf mit China – in Afrika diskutieren, die wirt- den über grundlegende Fragen, zum Beispiel über schaftliche Zusammenarbeit mit Afrika eine zentra- das Bankenrettungspaket, das die öffentlichen le Rolle spielt. Haushalte auf Jahre mit 500 Milliarden Euro belas- ten wird? Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Sven-Christian (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir keinen Volksentscheid in Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Deutschland haben!) Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kollege . Diese Belastung werden Sie der Bevölkerung wahrscheinlich erst nach der Wahl in Nordrhein- (Beifall bei der LINKEN) Westfalen präsentieren. Deshalb rufe ich dazu auf und unterstütze es, dass die Menschen in Andrej Konstantin Hunko (DIE LINKE): Nordrhein-Westfalen, in Essen, am kommenden Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Samstag auf die Straße gehen unter dem Motto: Das ist meine erste Rede hier im Deutschen Bun- Wir zahlen nicht für eure Krise! destag. Ich muss sagen: Herr Westerwelle, ich bin (Beifall bei der LINKEN) konsterniert, wie wenig inhaltliche Anknüpfungs- punkte Ihr Redebeitrag lieferte. Island hat im Juli letzten Jahres einen Antrag auf Beitritt in die Europäische Union gestellt. Am (Beifall bei der LINKEN) 24. Februar hat die Europäische Kommission der Ich werde überwiegend zur Europapolitik spre- Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zugestimmt. chen. Es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die Eine mögliche Beschlussfassung des Rates am wir als Linke mit großer Sorge und auch kritisch 25. März soll jetzt verzögert werden, weil die briti- sehen. Zum einen wäre der Umgang mit Griechen- sche und die niederländische Regierung die Auf- land zu nennen. Des Weiteren wäre das Stock- nahme der Beitrittsverhandlungen als Hebel für die holmer Programm zu nennen, das die innere Auf- Verhandlungen über die Icesave-Schulden benut- rüstung der Europäischen Union vorantreibt. Es zen möchten. In der Delegation waren wir uns in wäre der Europäische Auswärtige Dienst zu nen- Island parteiübergreifend einig, dass die Icesave- nen, der heute bereits angesprochen wurde. Das Frage von der Frage der Beitrittsperspektive zu Besondere an diesem Dienst ist, dass verschiede- trennen ist, dass die Icesave-Frage eine bilaterale ne Bereiche, die in Deutschland aus gutem Grund bzw. trilaterale Frage ist. Deshalb ist es für mich getrennt sind – Entwicklungshilfe, auswärtige Poli- völlig unverständlich, warum die Regierungsfrakti- tik, Militär- und Sicherheitspolitik –, in einem mäch- onen den Beitritt jetzt offensichtlich doch verzögern tigen Apparat mit 8 000 Beschäftigten zusammen- wollen, wie gestern im EU-Ausschuss deutlich gefasst werden. Damit soll – so sagen Sie, Herr wurde. Das riecht doch sehr danach, dass ein ent- Westerwelle – ein schlagkräftiger Auswärtiger sprechender Druck aufgebaut worden ist. Dienst errichtet werden. Ich frage mich: Wer soll da (Beifall bei der LINKEN) geschlagen werden? Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Linke (Beifall bei der LINKEN) hat durch die Klage gegen den Lissabon-Vertrag Ich werde jetzt überwiegend über Island spre- vor dem Bundesverfassungsgericht erwirkt, dass chen. Demnächst laufen wahrscheinlich die Bei- der Bundestag in EU-Fragen gestärkt wurde und trittsverhandlungen an. Ich war in der letzten Wo- bei wichtigen Entscheidungen beteiligt werden che mit einer Delegation des EU-Ausschusses in muss. Die Bundesregierung muss ihre Verpflich- Island, in Reykjavik. Vor wenigen Tagen haben in tungen endlich ernst nehmen und ein Einverneh- Island fast 94 Prozent der Bevölkerung in einem men mit dem Bundestag herstellen. Es ist aber Referendum einen Gesetzentwurf abgelehnt, der nicht hinnehmbar – das passiert gerade –, wenn die Übernahme der Schulden der privaten Icesave- die gestärkten parlamentarischen Rechte als Vor- Bank durch die öffentlichen Haushalte vorsieht. wand genommen werden, um die Aufnahme von Das Gesetz hätte jede isländische Familie mit Beitrittsverhandlungen zu verzögern. Es ist mög- 48 000 Euro belastet. Die Isländerinnen und Islän- lich, unter Einhaltung aller parlamentarischen der haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: Spielregeln bis zum 25. März 2010, also bis zum Wir zahlen nicht für diese Krise. Wir zahlen nicht nächsten EU-Ratsgipfel, zu einer Entscheidung zu für die Krise der Banken und Spekulanten. Wir Lin- kommen. Ich fordere Sie auf, dies zu tun. ke begrüßen das außerordentlich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Herbert Fran- Im Zusammenhang mit Island stimmt mich eines kenhauser [CDU/CSU]: Da sind aber An- bedenklich: Da ist die Rede von geostrategischen leger auch betroffen!) Interessen der Europäischen Union in der Arktis. Da fragt man sich doch: Wieso gibt es in Die EU wolle bei dem großen Spiel dabei sein, wie Deutschland eigentlich nicht wie in Island Referen- es der schwedische Außenminister Carl Bildt in 2778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Brüssel formulierte. Auch der SPD-Antrag geht lei- (Beifall bei der LINKEN) der in diese Richtung. Die Mitgliedschaft Islands Ich komme zum Schluss. Die Stimmung in der soll der EU das Tor zur Arktis öffnen. Wir wissen, isländischen Bevölkerung im Hinblick auf einen dass in der Arktis die größten unberührten Öl- und Beitritt zur EU war lange positiv. In den letzten Mo- Gasreserven lagern. Wir jedoch wollen nicht, dass naten ist diese Stimmung dramatisch umgeschla- sich die EU an einem imperialen Wettlauf um die gen. Zurzeit lehnen mehr als zwei Drittel einen Bei- letzten Öl- und Gasvorkommen der Welt beteiligt. tritt ab. Die Gründe habe ich angedeutet; ich will Es müssen endlich einmal andere Wege gegangen sie nicht noch einmal aufführen. Die Linke begrüßt werden als bei den großen rohstoffreichen Gebie- die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Mein ten im 19. und 20. Jahrhundert. Eindruck ist jedoch, dass sich hier nicht nur Island, (Beifall bei der LINKEN) zum Beispiel in der Walfangpolitik, ändern muss, sondern vor allen Dingen auch die Politik der Eu- Deshalb sind wir für ein Moratorium bezüglich der ropäischen Union. Die letzte Entscheidung – das Ressourcenausbeutung der Arktis. Es ist wichtig, können wir von Island lernen – trifft in Island der endlich vollständig von der Abhängigkeit fossiler Souverän, die Bevölkerung. Energieträger wegzukommen und vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Danke. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Die Krise in Island ist nur eine besonders kon- zentrierte Form der allgemeinen Krise des finanz- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: marktgetriebenen Kapitalismus. Die Kontrolle über Herr Kollege Hunko, das war Ihre erste Rede im die Finanzmärkte ist überall ausgehebelt worden, Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch in Island, in Deutschland, in den USA, in der EU, dazu, verbunden mit den besten Wünschen. und zwar maßgeblich in den 1990er- und 2000er- (Beifall) Jahren. Es kann aber nicht sein, dass jetzt ein kleines Land über Gebühr belastet wird. Das Wort hat nun der Kollege Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Völlig unerträglich ist, dass Großbritannien – üb- rigens unter sozialdemokratischer Regierung – Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der SPD: Das musste jetzt sein!) NEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Island zusammen mit al-Qaida und anderen auf die Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle- Terrorliste gesetzt hat, um die isländischen Ver- gen! Bevor ich zum Außenetat komme, möchte ich mögen einzufrieren. Das muss man sich einmal kurz auf die aktuelle Debatte eingehen, weil ich vorstellen. glaube, dass es wichtig ist, dass in diesem Hohen (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja!) Hause darüber diskutiert wird. Herr Außenminister, Sie werfen den Medien und Oppositionsparteien Das ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie be- unappetitliche Angriffe und Diffamierung vor. Aber liebig die sogenannten Antiterrorgesetze einge- dass die politische Debatte jetzt an einem Tief- setzt werden können. So etwas darf nicht sein. punkt angekommen ist, ist meiner Ansicht nach (Beifall bei der LINKEN) größtenteils Ihrem Handeln geschuldet; darauf komme ich jetzt zu sprechen. Ich halte es für einen Die isländische Regierung hat nach dem Fi- Tiefpunkt der politischen Kultur, wenn der FDP- nanzcrash im September 2008 rigide Kapitalver- Generalsekretär und die Fraktionsvorsitzende der kehrskontrollen eingeführt. Das hatte zwar positi- FDP im Bundestag Nachfragen und berechtigte ve Auswirkungen auf die Wirtschaft. Jetzt sollen Kritik von Oppositionsparteien und Medien als de- sie aber im Zusammenhang mit den Beitrittsver- mokratieschädlich darstellen, handlungen aufgehoben werden. Ich zitiere aus dem Kommissionsbericht: (Christian Lindner [FDP]: Das war nicht so!) Hier muss Island durch Liberalisierungsmaß- während Sie sich weiterhin weigern, nach Haus- nahmen die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz haltsrecht Auskünfte zum Beispiel dazuzugeben, des freien Kapitalverkehrs gewährleisten. wann Sie wen in der Villa Borsig auf Staatskosten getroffen bzw. mit wem sie dort gefeiert haben. Es kann doch nicht sein, dass Kapitalverkehrs- kontrollen im Zuge von Beitrittsverhandlungen mit (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister dem Hinweis auf den Lissabon-Vertrag oder die des Auswärtigen: „Gefeiert haben“! – daraus folgenden Grundlagenverträge wieder auf- Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: „Gefei- gehoben werden müssen und der Zustand, wie er ert“!) vor der Krise war, wiederhergestellt wird. Wenn ei- Dieses Recht auf kritische Nachfrage ist ein demo- ne sinnvolle Beschränkung des Kapitalverkehrs im kratisches Recht, auf das wir stolz sein sollten. Widerspruch zum Lissabon-Vertrag steht, dann muss der Vertrag geändert werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2779

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechtfertigten Kritik in Deutschland gar nicht deut- – Christian Lindner [FDP]: Sie fragen lich wurden. Wir können ja einmal über die Süd- nicht, sondern Sie unterstellen!) amerikareise reden und darüber, was dabei her- ausgekommen ist. Ich nehme an, die Umbenen- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nung des AA in „Ministerium für auswärtige Atom- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage politik“ steht kurz bevor. des Kollegen Frankenhauser?

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN): sowie bei Abgeordneten der SPD und der Gerne. LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und bei der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Blöder geht es nicht!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bitte. Sehen wir uns doch einmal an, was in Brasilien passiert ist. Das Atomkraftwerk Angra 3 wird wei- Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): tergebaut. Herr Westerwelle hat eine Hermesbürg- Herr Kollege, wie beurteilen Sie die Tatsache, schaft zugesagt, dass ein ehemaliger Außenminister namens Fi- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE scher GRÜNEN]: So ist es nämlich!) (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Joseph!) unabhängig davon, dass das AKW in einem Erd- die Offenlegung a) seiner Begleiter bei Auslands- bebengebiet gebaut wird, unabhängig davon, dass reisen und b) von Einladungen zu Treffen, die er Brasilien keine unabhängige Atomaufsicht hat, un- als Außenminister zum Beispiel in der Villa Borsig abhängig davon, dass Brasilien nicht das Zusatz- veranstaltet hat, einem Mitglied des Haushaltsaus- protokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterzeich- schusses komplett verweigert hat? net hat. (Zurufe von der FDP: Aha!) (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Tiefer geht es vom Niveau her wirklich nicht!) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das alles ist Ihnen offensichtlich total egal und NEN): zeugt von einer wirtschaftsfreundlichen Atomau- Das Haushaltsrecht gilt für alle Außenminister. ßenpolitik. Wir als Parlamentarier müssen uns konsequent (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dafür einsetzen, dass unsere Rechte gewahrt wer- Norbert Barthle [CDU/CSU]: Mein Gott!) den. Das gilt für Außenminister Fischer, für Au- ßenminister Steinmeier, aber auch für Sie, Herr Sie haben angedeutet, wie gefährlich angeblich ei- Außenminister Westerwelle. ne linke Mehrheit für die politische Kultur in Deutschland sei. Wir wissen nun, wie gefährlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, eine schwarz-gelbe Mehrheit für Mensch und Natur bei der SPD und der LINKEN – Claudia weltweit ist. Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Übrigens auch bei den Rüs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tungsexporten, Herr Westerwelle!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh! Oh!) Im Übrigen betrifft das ein Recht, von dem Sie hier und da in den vergangenen Jahren regen Ge- Man muss sich einmal klarmachen: Sie fordern, brauch gemacht haben. Wenn wir die Regierung in dass in Deutschland stationierte Atomwaffen ab- ihrer Amtsführung aus Rücksicht auf die Demokra- gezogen werden, und im gleichen Atemzug fordern tie nicht mehr hinterfragen dürfen, dann sieht es für Sie, Atomkraftwerke in einem Erdbebengebiet in unsere Demokratie dunkel aus. Brasilien zu bauen, in einem Land, das das Zu- satzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag nicht (Christian Lindner [FDP]: Das ist doch Un- unterzeichnet hat. Ich finde, das ist eine schizo- sinn!) phrene Haltung. Wenn Sie, Herr Westerwelle, dies wirklich fordern, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind Sie im Ausland dann noch ein Vertreter eines sowie bei Abgeordneten der SPD und der freien Landes, einer lebendigen Demokratie mit ei- LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] ner vitalen Opposition? [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! (Christian Lindner [FDP]: Das ist absurd!) Das ist nicht glaubwürdig!) Das müssen Sie sich fragen. Die Inkonsequenz und Inkonsistenz Ihrer Politik schlägt sich auch im Haushalt nieder. Nehmen wir Nun beklagen Sie sich, dass die Erfolge Ihrer zum Beispiel die Mittel für die Entwicklungszu- Südamerikareise aufgrund der angeblich unge- sammenarbeit. Deutschland hat sich verpflichtet, 2780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 die ODA-Quote einzuhalten, in diesem Jahr also ren aber schwere Geschütze, Herr Kolle- mindestens 0,51 Prozent des Bruttoinlandsproduk- ge! Meine Güte!) tes für die internationale Entwicklungszusammen- arbeit bereitzustellen. Dieses Versprechen findet Vizepräsidentin Petra Pau: weder in Ihrem Etat noch in anderen Etats seinen Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster für Niederschlag. Hier wird internationale Solidarität die FDP-Fraktion. gepredigt, aber in spätrömischer Dekadenz gelebt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Marina Schuster (FDP): Das wird auch deutlich, wenn man sich den Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- Haushalt des Auswärtigen Amtes ansieht. Die gen! Bevor ich zum Haushalt komme, muss ich et- Floskeln zur vernetzten Sicherheit aus dem Koali- was zur Süd-amerikareise sagen, und zwar zu ih- tionsvertrag bleiben eine Worthülse. Anstatt die zi- rem Inhalt. Auch ich gehörte der Delegation an. vilen Handlungsfelder auszubauen und den Akti- Deswegen kann ich ganz sachlich und ruhig über onsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung die Ergebnisse dieser Reise berichten. und Friedenskonsolidierung“ weiter auszubauen, Zunächst einmal möchte ich feststellen: Es gab werden die Mittel um fast 10 Prozent gesenkt. Da- anscheinend zwei Reisen, nämlich eine Reise, die mit wird eindeutig demonstriert, dass die zivile in den Medien und in Berlin stattgefunden hat, und Säule weiterhin die entscheidende Schwachstelle die Reise, die tatsächlich stattgefunden hat. Frau der internationalen Friedensbemühungen Deutsch- Kollegin Müller, ich fände es sehr gut, wenn Sie lands ist. Wir leisten uns immer noch einen Vertei- sich nicht nur auf Presseberichte oder digungshaushalt mit einem Volumen von über -kommentare berufen würden, sondern auch das 30 Milliarden Euro, aber für zivile Maßnahmen zur Gespräch mit dem Kollegen Josef Winkler, der Krisenprävention sind uns schon ebenfalls Teil dieser Delegation war, suchen wür- 130 Millionen Euro zu viel. Damit muss Schluss den. sein. Der Fokus deutscher Außenpolitik muss auf ziviler Krisenprävention und Friedenssicherung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- und darf nicht auf Militärfixierung liegen. ten der CDU/CSU – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hört! Hört!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Er könnte Ihnen nämlich berichten, welche Ge- LINKEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin spräche wir Parlamentarier geführt haben und wel- [FDP]: Blabla!) che Ergebnisse dabei herausgekommen sind. Es ist aber nicht so, dass Sie nur die ODA- Der Kollege Gehrcke, der auch mit dabei war, Quote nicht erfüllen. Die Bundesregierung kommt hat kritisiert, dass wir Volkswagen besucht haben. auch weiteren internationalen Verpflichtungen (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich habe die nicht nach. Die Bundesregierung hält nicht einmal Show von Westerwelle kritisiert!) die bescheidenen Zusagen von Kopenhagen ein. Sie haben versprochen, für den internationalen Herr Gehrcke, Volkswagen ist dort der größte Ar- Klimaschutz 420 Millionen Euro zur Verfügung zu beitgeber und hat den UN Global Compact unter- stellen, stellen jetzt aber nur 70 Millionen Euro zu- zeichnet. Ich denke, ein Arbeitgeber, der den UN sätzlich bereit. Das sind billige Taschenspieler- Global Compact unterzeichnet hat und anwendet, tricks. Das ist ein klarer Bruch des Kopenhagen- kann eine Vorbildfunktion für die Region haben. Versprechens, und das ist eine Blamage für die Das sollte auch in Ihrem Interesse liegen. Bundesrepublik auf dem internationalen Klimapar- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) kett. In Argentinien ist nicht nur das VW-Werk besich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tigt worden. Nein, es wurde auch ein Wissen- Das ist Ihre Art, Außenpolitik zu machen, Herr schaftstunnel eingeweiht. Ich denke, es ist eine Westerwelle: Internationale Zusagen werden ge- sehr gute Idee, hier auf eine Wissenschaftskoope- brochen, die Mittel für Zukunftsinvestitionen wie ration mit dem Max-Planck-Institut zu setzen. Da- Krisenprävention werden gekürzt, und das Auswär- von profitieren beide Seiten. Gerade in Argentinien tige Amt wird zum Ministerium für auswärtige gibt es sehr viele Nobelpreisträger. Atompolitik umfunktioniert. Herr Kindler, Sie haben Brasilien angespro- Vielen Dank. chen. In Brasilien hatten wir ein Gespräch mit Stif- tungsvertretern. Bei diesem Gespräch sind zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beispiel die Staudammprojekte von Herrn Lula an- sowie bei Abgeordneten der SPD – gesprochen worden. Die Grünen können gegen Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das wa- Atomkraft sein; aber dann müssen sie auch erklä- ren, wie man die Rechte der indigenen Völker und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2781 die Natur schützen kann, wenn so viele neue Schutz der Menschenrechte in internationalen Sys- Staudämme gebaut werden. Das gehört zu dieser temen zu stärken. Ein wesentlicher Anker ist der Debatte dazu. Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Ich freue mich, dass Frau Leutheusser- (Beifall bei der FDP – Sven-Christian Schnarrenberger mit ihren Vorschlägen die Reform Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: des EGMR vorantreibt. Denn wir sehen, dass die Schon mal was von erneuerbaren Ener- Zunahme der Zahl der eingereichten Beschwerden gien gehört? Erneuerbare Energien kann eine starke Überlastung des EGMR verursacht hat. man auch in Brasilien fördern!) Diese Zunahme ist einerseits ein Ausdruck der Ak- Wenn Sie sich mit dem Kollegen Winkler zusam- zeptanz des EGMR bei der europäischen Bevölke- mensetzen würden, würden Sie auch erfahren, wie rung; andererseits macht diese Zunahme es not- vielfältig die Projekte in den Bereichen der erneu- wendig, dass wir den EGMR wieder arbeitsfähig erbaren Energien, der Biodiversität und des Kli- machen. Ich freue mich, dass die Ministerin per- mawandels sind. Da sind unsere Durchführungs- sönlich diese Vorschläge unterstützt. organisationen der GTZ schon tätig, und das be- Ich denke, wir haben einen Haushalt vorgelegt, grüßen wir; denn auch das liegt in unserem ge- der auch im Interesse der Opposition ist. Ich werbe meinsamen Interesse. sehr herzlich um Zustimmung. Wenn ich noch auf einen Punkt der Reise kom- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten men darf, der heute noch gar nicht angesprochen der CDU/CSU) worden ist: Uruguay. In Uruguay war das letzte Mal vor 25 Jahren ein deutscher Außenminister zu Gast. Vielleicht können Sie sich ja darüber freuen, Vizepräsidentin Petra Pau: dass die Initiative ergriffen worden ist, Lateiname- Das Wort hat der Kollege Michael Roth für die rika wieder ganz oben auf die Agenda zu setzen. SPD-Fraktion. Wir achten bei unserer neuen Lateinamerika- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Strategie darauf, nicht nur auf die Großen zu schauen, sondern auch vermeintlich kleinen Län- Michael Roth (Heringen) (SPD): dern mit Respekt gegenüberzutreten. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gen! Herr Minister Westerwelle, bei Ihrem Amtsan- der CDU/CSU) tritt haben Sie erklärt, Ihr Anspruch sei, nicht nur Bundesminister des Auswärtigen zu sein, sondern Ich möchte noch zwei konkrete Punkte zum ebenso Bundesminister für Europa. Das haben Sie Haushalt anbringen; beide betreffen den Bereich in der Ihnen eigenen lautsprecherischen Attitüde Menschenrechte. Ich freue mich als mittelfränki- vorgetragen. An diesen Ansprüchen, an diesen sche Abgeordnete ganz besonders, dass es ge- Worten, sehr geehrter Herr Minister, müssen Sie lungen ist, im Haushalt 500 000 Euro für die Ein- sich nun vor dem Parlament messen lassen, müs- richtung eines Instituts zur Durchsetzung der sen Rechenschaft ablegen. Nürnberger Prinzipien zum Völkerstrafrecht bereit- zustellen. Das ist eine sehr gute Nachricht. Wir ha- Ich kann für meine Fraktion nach 140 Tagen nur ben im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, dass feststellen: Ihre bisherige Europapolitik ist ideen- wir dieses Institut einrichten wollen, das mit seiner los, und sie ist konzeptlos. Ich kenne kein Projekt – Expertise viel zur Weiterentwicklung des Völker- – Ach ja, doch, ein Projekt fällt mir ein: die Förde- strafrechts beitragen kann. Ich denke, das ist ein rung der deutschen Sprache, Motto „Deutsch – Anliegen, das wir alle unterstützen können. Sprache der Ideen“. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Zuruf von der FDP: Ja!) CDU/CSU) Gegen dieses Motto spricht überhaupt nichts. Aber Der zweite Punkt. Es ist uns trotz der ange- auch die schönste Sprache hilft nichts, lieber Herr spannten Haushaltslage gelungen, die Mittel zur Minister, wenn es an den entsprechenden Ideen Förderung der Menschenrechte im Vergleich zum gebricht. Gehen Sie hier bitte, Herr Westerwelle, Vorjahr um 1,5 Millionen Euro zu erhöhen. Das fällt mit gutem Beispiel voran. unter den Haushaltsposten Demokratisierungshilfe. Was mich aber viel mehr stört, ist diese Attitüde, Dass wir konkret Mittel im Haushalt bereitstellen – sowohl global als auch auf europäischer Ebene im dafür bin ich den Haushaltspolitikern beider Koali- deutschen Interesse auftreten zu wollen. Es ist tionsfraktionen dankbar –, ist ein wichtiges Signal, noch gar nicht so lange her, dass ein Bundeskanz- dass es uns nicht nur bei Besuchen und in Reden ler und ein Bundesaußenminister formuliert haben: darum geht, die Menschenrechte zum Thema zu Das, was im guten europäischen Interesse ist, was machen. Europa insgesamt voranbringt, das bringt auch Mein letzter Punkt. Ich bin auch Mitglied der Deutschland voran und ist gut für Deutschland. – Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Diese Sätze eines Bundeskanzlers, der nicht un- Was uns besonders am Herzen liegt, ist, den bedingt der SPD angehört hat, der aber sicherlich 2782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Europa maßgeblich mitgestaltet hat, würde ich mir (Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Haben auch von Ihnen einmal wünschen, Herr Minister Sie ihn schon ohne Hosen gesehen?) Westerwelle. Ich habe heute nur wenig zu den Themen ge- (Beifall bei der SPD) hört, die Europa zurzeit bewegen. Vor allem ein Thema ist entscheidend: die Bewältigung der Was hat Ihre bisherige Amtszeit in der Europa- Wirtschafts- und Finanzkrise in Griechenland. politik geprägt? Kompetenzgerangel zwischen Hier ist Häme völlig fehl am Platze. Wir sitzen Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt. Wer hat nämlich alle in einem Boot. hier eigentlich die Hosen an? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Wirk- lich beide!) Was will die Bundesregierung? Was wollen Sie, Herr Minister? Sie hatten heute Gelegenheit, auch Wer hat das maßgebliche Wort zu sprechen? Ich hierzu ein paar Ausführungen zu machen. Ich ha- möchte Ihnen empfehlen, Herr Westerwelle, ein- be dazu klare Aussagen genauso vermisst wie bei fach einmal selbstbewusst mit Ideen und konkreten Ihrem Antrittsbesuch beim Europaausschuss. Au- Vorschlägen in die Debatte einzutreten und nicht ßer wolkigen Bemerkungen, da müsse man etwas kleinkariert irgendwelche Kompetenzdiskussionen tun, das sei ganz schwierig, habe ich von Ihnen zu führen. nichts vernommen. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie Was mich daran ärgert, ist, dass nur wenige Ta- verschleudern Ihre Redezeit!) ge später ein Rat in Brüssel weitreichende Maß- Ein anderer Punkt sind die Kontroversen. Es nahmen gegenüber Griechenland beschlossen geht bei Ihnen in jedem Politikbereich wie bei den hat. Ich erwarte von Ihnen als Europaminister der Kesselflickern zu. Sie streiten sich wie ein wild ge- Bundesregierung, dass Sie auch den Kolleginnen wordener Hühnerhaufen. und Kollegen im Europaausschuss, wenn konkrete Fragen gestellt werden, entsprechende Auskünfte (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sa- erteilen: Mit welchen Erwartungen, mit welchen gen Sie doch mal was zum Thema!) Forderungen, mit welchen Maßnahmen und mit Das ist auch bei der Frage des Türkeibeitritts so. welchen Ideen geht die Bundesregierung in eine Ich darf Sie, Herr Minister, mit Genehmigung der Ratssitzung? Hier haben Sie, Herr Minister Wes- Präsidentin zitieren: terwelle, Ihre Hausaufgaben bislang nicht erledigt. Ich sage es Ihnen ganz klar: Was die EU und (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE die Türkei vereinbart haben, gilt. Es gilt auch LINKE]: Er wusste es nicht!) für diese Bundesregierung. Dafür stehe ich Wir müssen aus dieser schweren Krise, die ein. … Ich bin hier nicht als Tourist in kurzen nicht nur Griechenland alleine betrifft, lernen. Wir Hosen unterwegs, sondern als deutscher Au- müssen jetzt endlich entscheiden und handeln. ßenminister. Das, was ich sage, zählt. Wenn Solidarität in der Europäischen Union nicht Wir alle wissen: Die CSU ist gegen eine Vollmit- nur etwas für Sonntagsreden, sondern auch etwas gliedschaft der Türkei. Die CDU will eine soge- für konkretes Handeln im politischen Alltag ist, nannte strategische Partnerschaft. Der schon eben dann erwarte ich jetzt von Ihnen entsprechende genannte Generalsekretär der CSU, Dobrindt, hat Ideen und Konzepte, wie Sie verhindern wollen, erklärt, dass das, was Außenminister Westerwelle dass aus dem griechischen Flächenbrand ein eu- in der Türkei gesagt habe, nicht den Positionen der ropäischer Flächenbrand wird. Wir brauchen nicht Koalition entspreche. Darauf hat wiederum Ihr mehr Renationalisierung, sondern wir brauchen ei- Staatsminister gesagt, das Maß des Erträglichen ne gemeinsame Wirtschaftspolitik. Wir haben beim Generalsekretär sei deutlich überschritten, einen gemeinsamen Währungsraum. Aber das, CSU-Chef Horst Westerwelle – Entschuldigung, was schon seit dem Vertrag von Maastricht in den – maßgeblichen Verträgen steht, nämlich eine Euro- päische Wirtschafts- und Währungsunion, ist bis- (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) lang überhaupt nicht mit Leben erfüllt worden. Wir müsse seine Mannschaft endlich zur Ordnung ru- brauchen mehr Abstimmung, wir brauchen mehr fen. Verbindlichkeit. Aber auch hier gebricht es der Ko- alition ja an jeder klaren Position. Herr Minister Westerwelle, Sie mögen keine kurzen Hosen tragen. Sie tragen vielleicht auch keine langen Hosen. Sie haben in der Europapoli- tik einfach nicht die Hosen an. Sie müssen einmal Finanzminister Schäuble hat den, wie ich finde, prüfenswerten Vorschlag unterbreitet, einen euro- innerhalb der Koalitionsfraktionen, aber auch in- päischen Währungsfonds zu etablieren. Dazu nerhalb der Regierung einen Klärungsprozess herbeiführen. hört man von Ihnen überhaupt nichts, und die Uni- on erklärt gleich, das sei ein Vorschlag, der mit ihr nicht abgesprochen sei, und sie würde ihn ableh- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2783 nen. Zumindest hat das Herr Kauder, der Vorsit- wir damit anfangen, uns hier in der Art und Weise zende der CDU/CSU-Fraktion, so erklärt, wenn zu verhalten, wie Sie das getan haben, nämlich mit denn das, was heute Morgen in den Medien stand, persönlichen Angriffen gegen den Außenminister wirklich stimmt. vorzugehen, mit dessen Haltung und Einstellung man nicht in jedem Fall einverstanden sein muss. So kann man Europapolitik nicht gestalten. Man Wenn Sie glauben, dass uns das hilft, dann sind muss auch einmal eine Idee mutig nach vorne Sie auf dem Holzweg. Die Koalition wird auf dem bringen, man muss sich um Bündnispartnerinnen richtigen Weg bleiben. und Bündnispartner in der Europäischen Union bemühen, und man darf keine Eitelkeiten pflegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hier erwarte ich von der Union und von der FDP, Michael Roth [Heringen] [SPD]: Dürfen aber vor allem auch von der Bundesregierung kla- wir jetzt noch nicht mal mehr im Bundes- re Aussagen. tag Kritik an einem Minister üben?) Wir brauchen eine Wirtschafts-, Fiskal- und Ich möchte darauf eingehen, dass wir in der Eu- Lohnpolitik, durch die auch die Beschäftigung in ropäischen Union zurzeit eine sehr große Unruhe den Blick genommen wird. Es gibt hier doch haben. Wir befinden uns – das muss man leider durchaus Ansätze auf europäischer Ebene, auf- feststellen – in der schwersten Krise seit Bestehen grund deren wir sagen können: Wir wollen und der Europäischen Währungsunion überhaupt. Die- können voneinander lernen. – Einer dieser Beiträ- se Krise hat mittlerweile ein besorgniserregendes ge wären Mindestlöhne. Mindestlöhne werden Ausmaß angenommen. von vielen gefordert. Mindestlöhne wären eine na- In dieser Krise merken wir auch, dass man viele tionale Lösung für ein europäisches Problem, aber Äußerungen und Vorschläge – manchmal ist das auch hier gibt es überhaupt keinen klaren Ansatz gut – nicht allzu ernst nehmen sollte, auch wenn von Ihnen. sie von einer französischen Finanzministerin kom- (Beifall bei der SPD) men. Man sollte hinhören, was sie gesagt hat, aber auch zur Kenntnis nehmen, dass einen Tag später Insofern erwarte ich von Ihnen nicht nur flotte sie ja auch gesagt hat, sie habe es nicht so ge- Sprüche. Ich erwarte von Ihnen konkrete Taten; meint. das hat die Europäische Union bitter nötig. Sie sind weit hinter den Möglichkeiten in Bezug auf die Der öffentliche Fokus und der mediale Fokus Europapolitik der Bundesrepublik Deutschland zu- richten sich vor allem auf Griechenland. Allerdings rückgeblieben. Hier sollten Sie einmal ein bisschen wird durch diese Fokussierung sowohl das Aus- Tempo vorgeben. Sie haben die Möglichkeiten da- maß der Krise, in der wir uns befinden, als auch zu. Bitte nutzen Sie sie auch! deren komplexe Ursachenstruktur verkannt. Danke schön. Ich möchte einige der wesentlichen Ursachen für diese Krise benennen und vorweg eindeutig (Beifall bei der SPD) sagen: Nach meiner festen Überzeugung war die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion Vizepräsidentin Petra Pau: und war die Einführung des Euro richtig, und die- Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege ses Projekt ist auch weiterhin richtig. Michael Stübgen. Der Euro hat sich in den letzten Jahren zu einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- stabilen Währung entwickelt. Er war einer der Ur- neten der FDP) sachen für das europaweite Wachstum in der Mitte dieses Jahrzehnts. Wir müssen aber auch feststel- Michael Stübgen (CDU/CSU): len, dass der Euro in seiner jetzigen Struktur nicht Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen ausreichend krisenfest ist. Man kann sagen, dass und Herren! Nein, ich werde nicht groß auf die Re- er bei gutem Wetter funktioniert, wenn also die de von Herrn Kollegen Roth eingehen; denn ich Weltfinanzmärkte funktionieren, es zu Wachstum möchte etwas zu Europa sagen. kommt und sich Wechselkursschwankungen in Grenzen halten. Kommt es aber zu einer solchen Ich möchte aber an etwas erinnern: Es scheint leider sehr lange her zu sein, dass ich zu einer Weltfinanzkrise, wie wir sie jetzt haben, kommt der Euro-Raum ins Trudeln. Zeit, als es einen Außenminister gab, der Joseph Fischer hieß, Warum ist das so? Was Griechenland und auch weitere Länder betrifft, ist es leider Tatsache, (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass in der Europäischen Union alle Kontrollgre- NEN]: Guter Mann!) mien und Kontrollstrukturen über viele Jahre hin- in diesem Hause geredet habe und wir die grund- weg versagt haben. Dies gilt sowohl für die Euro- legenden Linien der Europapolitik nach innen und päische Kommission als auch für die Räte, die Eu- nach außen gemeinsam getragen haben. Sie soll- ro-Gruppe, Eurostat, die Europäische Zentralbank ten sich überlegen, ob es dem Einfluss Deutsch- und auch die nationalen Parlamente. Es kam nicht lands in der Europäischen Union dienlich ist, wenn deswegen zur Krise, weil die Kontrollregeln nicht 2784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 ausreichen. Das Hauptproblem ist vielmehr, dass gangshilfe. Selbst dann muss absolut gesichert die Regeln, die wir uns im Stabilitäts- und Wachs- sein, dass Griechenland weiterhin Anstrengungen tumspakt bewusst auferlegt haben, nicht rechtzei- unternimmt, um die Versäumnisse der letzten Jahr- tig und nicht nachhaltig angewandt worden sind. zehnte aufzuarbeiten. Wo sind in dieser Situation die Lösungsansätze Es ist kein Zufall, dass Deutschland in dieser zu suchen? Was müssen wir auf langfristige Sicht Krise bisher halbwegs klargekommen ist. Wir wis- tun? Eines ist überdeutlich: Wir müssen in den sen – gerade bei diesem Haushalt bzw. seiner Mitgliedsländern der Europäischen Union und zu- Verschuldung haben wir die Debatte gehabt –: Das vörderst in den Ländern der Euro-Gruppe die Bud- ist alles nicht üppig, auch wir verletzen das Maast- getdisziplin herstellen. Nach dem, was wir jetzt richt-Kriterium. Aber im europäischen Vergleich wissen, geht es nicht einfach um die Wie- kommen wir verhältnismäßig gut klar. derherstellung der Budgetdisziplin. Wir müssen sie Ich sehe den Grund darin, dass die Bundesre- vielmehr herstellen. Dazu gibt es keine Alternative. publik Deutschland in den letzten zehn Jahren an- (Beifall bei der CDU/CSU) gefangen hat, schwierige Reformen im Sozialbe- reich, bei den Renten, den Steuern etc. umzuset- Es ist nicht so – das höre ich gelegentlich –, zen. Fast alle Fraktionen in diesem Haus haben dass der Maastricht-Stabilitätspakt und die dazu- eine lebhafte Erinnerung daran. Denn diese Re- gehörigen Maastricht-Stabilitätskriterien die Ursa- formen waren zum einen extrem schwierig und che für die Krise sind. Es ist dagegen so, dass zum anderen extrem unpopulär. Es gibt aber kei- nachhaltiges Verstoßen gegen diese Kriterien die nen verantwortungsvollen Weg, der daran vorbei- Krise heraufbeschworen hat. Es ist schon jetzt führen könnte, für kein Land. Das muss man auch überdeutlich: Länder mit einer nachhaltig orientier- Griechenland, Portugal, Spanien und Großbritan- ten Haushaltspolitik meistern die jetzige Krise bes- nien deutlich sagen. ser als andere. Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass ich – Welches Krisenmanagement könnte aktuell am das will ich unumwunden zugeben – zurzeit noch besten funktionieren? Ein kurzer Blick in die Ge- nicht vollständig davon überzeugt bin, dass die schichte kann an dieser Stelle hilfreich sein. Vor Einrichtung eines europäischen Währungsfonds gut eineinhalb Jahren, im Herbst 2008, hatten wir langfristig der richtige Lösungsansatz ist, um zu- diese Situation schon einmal – es handelte sich künftige Krisen zu verhindern oder besser meistern damals aber nicht um Euro-Länder –, als Lettland, zu können. Ungarn und Rumänien kurz vor der Zah- lungsunfähigkeit standen. Damals konnte kurzfris- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tig und sehr schnell ein kombiniertes Unterstüt- Ich sehe das Hauptproblem nicht darin, dass eine zungspaket vom Internationalen Währungsfonds, weitere Vertragsreform von allen Mitgliedsländern von der Europäischen Investitionsbank und der ratifiziert werden muss und deshalb etwas länger Europäischen Entwicklungsbank geschnürt wer- dauern würde. Wenn der Vertrag geändert werden den. Mit diesem Maßnahmenpaket konnte die Zah- muss, dann müssen wir das eben angehen. Ich lungsunfähigkeit in allen drei Ländern abgewendet kann mir aber derzeit keine Struktur eines europäi- werden. Bis heute sind diese Maßnahmen er- schen Währungsfonds vorstellen, die weiterhin si- folgreich. cherstellen würde, dass die absolute Un- Es ist aber wichtig, Folgendes festzustellen: Es abhängigkeit der Europäischen Zentralbank in ih- funktioniert nur deshalb, weil die betroffenen Län- rer Zins- und Wechselkurspolitik nicht, wenn auch der nachhaltige Maßnahmen ergriffen haben, um möglicherweise nur indirekt, geschwächt würde. ihre Haushaltspolitik, Wirtschaftspolitik und Sozial- Frankreich hat für solch einen Weg traditionell politik zu reformieren. Für die Euro-Länder sind viel übrig. Wir wissen eindeutig, dass ein Eingriff in vergleichbare Maßnahmen nicht möglich. Ob es die Unabhängigkeit der Wechselkurspolitik einen sich nun um Euro-Länder oder Mitgliedsländer der Holzweg darstellt. Deswegen werden wir uns im- Europäischen Union handelt: Die Nothilfe als Ul- mer gegen eine solche Gefährdung stemmen. tima Ratio für ein Mitgliedsland der Europäischen Union zählt für mich zum Besitzstand der Europäi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schen Union. Ich betone aber: Es ist eine Ultima der FDP) Ratio, die nur anzuwenden ist, wenn alle anderen Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube – Maßnahmen mindestens kurzfristig versagt haben. das kann man jetzt noch nicht endgültig feststellen Ich halte es für absolut richtig, wie sich die Bun- –, es wird für die nächsten Jahren weniger not- desregierung in dieser Frage verhält; das ist auch wendig sein, Regelungen und europäische Verträ- der einzig mögliche Weg. Griechenland muss die ge zu ändern. Was wir ändern müssen, ist der eingeleiteten Reformen umsetzen. Es können der Umgang mit den vorhandenen Regelungen und Internationale Währungsfonds und die Mitglieds- Gremien. länder der EU nur bei drohender Zahlungsunfähig- Ich möchte versuchen, als Schlusssatz frei nach keit helfen, und auch dann nur als Not- und Über- Kant zu formulieren, wie er es in seiner Schrift Be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2785 antwortung der Frage: Was ist Aufklärung? gut Die Menschenrechte sind universell, unteilbar ausgedrückt hat: und unveräußerlich. Sie sind Ausdruck der unan- tastbaren Würde der Menschen. Auf dieser Grund- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Übernehmen überzeugung basiert unser politisches Handeln in Sie sich nicht!) Deutschland und in der Welt. Wir sehen es als eine Die Ursache unserer Krise ist nicht der Mangel an Verpflichtung an, Menschenrechtsverletzungen Regeln, sondern der Mangel an Mut, sie anzuwen- über Ländergrenzen hinweg anzusprechen und den. Das muss sich in der Europäischen Union in deren Einhaltung einzufordern. Es reicht nicht aus, Zukunft ändern. Dann werden wir solche Krisen dass in manchen Staaten dieser Welt die Men- nicht mehr zu beklagen haben. schenrechte zwar in der Verfassung und den Ge- setzen verankert sind, sie aber nur auf dem Papier Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. stehen und nicht geachtet werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- geordneten der FDP – Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Das reicht nicht, Lassen Sie mich als Beispiele den Iran und – für Herr Stübgen! Wir brauchen neue Regeln! den Bereich der Religionsfreiheit – die Türkei nen- – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich nen. Herr Minister, Sie haben den Iran bereits an- sagte: Übernehmen Sie sich nicht!) gesprochen, allerdings in einem ganz anderen Kontext. Ich möchte auf die Bürger-, Freiheits- und Vizepräsidentin Petra Pau: Menschenrechte zu sprechen kommen. Auf den Das Wort hat die Kollegin Ute Granold für die ersten Blick könnte man sich mit den dortigen Re- Unionsfraktion. gelungen einverstanden erklären, da die Freiheits- und Bürgerrechte in der iranischen Verfassung (Beifall bei der CDU/CSU) verankert sind. Der erste Blick täuscht aber. Auf den zweiten Blick liest man den Satz: Alle Geset- Ute Granold (CDU/CSU): ze, auch die Verfassung, müssen im Einklang mit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- den islamischen Prinzipien stehen. – Das heißt gen! Lassen Sie mich heute als Mitglied des Aus- konkret Folter, Todesstrafe, Misshandlung und schusses für Menschenrechte und humanitäre Hil- Steinigung, auch von Minderjährigen. In diesem fe den Akzent auf den Bereich der Menschen- Staat herrscht großes Elend, auch wenn es um die rechte in der deutschen Außenpolitik setzen. Gleichberechtigung geht. Deutsche Außenpolitik ist neben der Friedenspoli- tik das Politikfeld für den Einsatz für Men- Die Menschenrechte dürfen aber nicht relativiert schenrechte. Das haben wir im Koalitionsvertrag werden, auch nicht wegen vermeintlich religiöser ganz klar festgelegt und geregelt. Insofern gibt es oder kultureller Besonderheiten. Wir sind der Bun- sowohl einen Kompass als auch ein Steuern auf desregierung dankbar, dass sie nun entschieden ein bestimmtes Ziel hin. hat, im Rahmen einer Einzelfallprüfung iranische Dissidenten aufzunehmen. Sie gibt damit der irani- Die Bundeskanzlerin hat in der letzten Legisla- schen Opposition das Zeichen, dass wir auf der turperiode die wertegebundene Außenpolitik als Seite derer stehen, die unterdrückt werden und de- Akzent gesetzt. Das wird jetzt kontinuierlich fortge- ren Menschenrechte mit Füßen getreten werden. setzt. Dafür sind wir sehr dankbar. Deutschland genießt diesbezüglich ein großes Ansehen in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Welt. Ein anderes Beispiel ist die Türkei; sie wurde Herr Minister, Sie waren vor zwei Wochen beim ebenfalls bereits in einem anderen Kontext ange- Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf sprochen. Derzeit wird in der Türkei über einen und haben dort für Deutschland gesprochen. Sie neuen Verfassungsentwurf debattiert. Bürgerrech- haben für diese Rede über den Kurs der deut- te und Grundfreiheiten sollen gestärkt werden. Die schen Außenpolitik zugunsten der Menschen- Menschenwürde soll als Kernbegriff Eingang in die rechtspolitik großes Lob erfahren. Sie haben viele Verfassung finden. Die internationalen Menschen- Gespräche geführt. Eine Delegation aus dem rechtskonventionen sollen Vorrang vor den türki- Menschenrechtsausschuss war eine Woche später schen Gesetzen haben. Nun ist in der Türkei ein in Genf und hat davon erfahren. Wir sind sehr heftiger Streit entbrannt. Auf der einen Seite gibt dankbar für diese klare Position und die nochmali- es die Tendenz hin zur Säkularisierung, auf der ge Betonung des Auftrags zur Förderung der Men- anderen Seite die Tendenz hin zur Islamisierung schenrechte. Wir haben für den Einsatz, aber auch mit der Gefahr, dass die Scharia Einzug in die Ge- für die finanzielle Unterstützung Deutschlands für setzgebung hält. Die jüngsten EU- die Einhaltung und Förderung der Menschenrechte Fortschrittsberichte bezüglich der Türkei stimmen in der Welt Anerkennung erfahren. Dafür sind wir einen zurückhaltend, wenn man sich nur die Ent- dankbar. wicklung der Religionsfreiheit in der Türkei an- schaut. Darum ist es nicht zum Besten bestellt. Ich (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten möchte als Beispiel das Kloster Mor Gabriel nen- der CDU/CSU) 2786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 nen. Es ist mit rund 1 600 Jahren eines der ältes- me in Indien, wo Religionsfreiheit zwar im Gesetz ten Klöster der Christenheit. Nun droht die Enteig- steht, aber nicht geachtet wird. nung. Erzbischof Aktas ist zurzeit in Deutschland Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass die und hat gesagt, bis zum letzten Atemzug werde Koalition den Antrag „Menschenrechte weltweit diese Wiege der Christenheit verteidigt, und wir al- schützen“ eingebracht hat, über den wir nächste le sollten an seiner Seite stehen. Woche in diesem Hause debattieren werden. Für (Beifall bei der CDU/CSU) uns steht immer auf der Agenda, dass wir uns für die Menschenrechte einsetzen. Dazu gehört auch An dieser Stelle möchte ich auch die Pauluskirche die Situation in China und in anderen Regionen in Tarsus und das Priesterseminar auf Chalki, das der Welt. Für uns ist die Religionsfreiheit ein ganz seit 30 Jahren geschlossen ist – das macht es un- wichtiges Menschenrecht, und deshalb habe ich möglich, Nachwuchs auszubilden –, in Erinnerung meinen Fokus daraufgelegt. rufen. Ich danke dem Außenminister und der Bundes- Die Religionsfreiheit ist für uns ein sehr hohes regierung für die wertegebundene Außenpolitik, für Gut. Sie ist für uns in Deutschland selbstverständ- ihren Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte lich, vielleicht zu selbstverständlich. Wir dürfen und für die Friedenspolitik. nicht vergessen, dass es in vielen Teilen der Welt keine Religionsfreiheit gibt und die Menschen we- Vielen Dank. gen ihrer Religion verfolgt und auch getötet wer- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den. Das dürfen wir nicht schweigend hinnehmen. Es gibt insgesamt 2,1 Milliarden Christen auf der Welt. 80 Prozent der religiös Verfolgten weltweit Vizepräsidentin Petra Pau: sind Christen. Sie werden misshandelt und getötet; Das Wort hat der Kollege Rüdiger Kruse für die ihre Häuser werden zerstört. Der sogenannte Unionsfraktion. Open-Doors-Weltverfolgungsindex führt die Länder (Beifall bei der CDU/CSU) auf, in denen die Menschen am schlimmsten ver- folgt werden. Darunter sind Nordkorea, der Iran, Rüdiger Kruse (CDU/CSU): Saudi-Arabien, Somalia, Ägypten und der Irak. Auf Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen die Situation in den letzten beiden Ländern möchte und Herren! Der Kollege von den Linken hatte vor- ich genauer eingehen. hin die langen Linien vermisst. Lange Linien sind In Ägypten wurden Anfang Januar sechs Chris- meistens nicht so spannend, weil sie nicht diese ten und ein muslimischer Wachmann während ei- Ausschläge haben. Natürlich gibt es diese langen nes Gottesdienstes in einer Kirche ermordet. In Linien. Außer den internationalen Missionen, an diesem Land werden seit vielen Jahren schwerste denen wir beteiligt sind und die meistens mit Af- Delikte gegen Christen begangen. ghanistan oder Fragen finanzpolitischer Art ver- bunden sind, gibt es auch unsere Präsenz im Aus- Im Vorfeld der Wahlen im Irak wurden Christen land, die der Kulturpolitik zuzuordnen ist. Das ist so umgebracht, Häuser von Christen in Brand ge- eine lange Linie. Um an das anzuschließen, was steckt und Bomben gelegt. Die dort lebenden meine Vorrednerin zum Thema Menschenrechte Christen fordern Solidarität. Das sollte für uns eine gesagt hat: Es gibt auch ein Menschenrecht auf Selbstverständlichkeit sein; denn auch dort liegen kulturelle Teilhabe. Es liegt oberhalb der Men- die Wurzeln unseres Glaubens. Wenn hier Solida- schenrechte, für deren Einhaltung wir meistens rität eingefordert wird, müssen wir sie auch zeigen. kämpfen müssen, aber es ist ein sehr wichtiges. In Die Bundesregierung hat in der letzten Wahlperio- sehr vielen Ländern stillt unser Beitrag, den wir de dank der Initiative der Menschenrechtler ent- zum Beispiel über das Goethe-Institut und andere schieden, irakische Flüchtlinge aufzunehmen. Einrichtungen leisten, einen Hunger, der hier in Letztendlich handelte es sich um eine europäische Deutschland vielleicht gar nicht mehr so groß ist. Solidaritätsaktion. Wir Deutsche haben unsere Es ist ein Hunger auf andere Kulturen, auf Anre- Hausaufgaben gemacht und 2 500 irakische gungen, auf etwas, was neugierig macht. Flüchtlinge, davon 1 100 Christen, aufgenommen. Unser Fraktionsvorsitzender Volker Kauder hat Ich frage gerne Besuchergruppen, wie hoch der angekündigt, die Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu Anteil der Mittel für Kultur im Haushalt der Bundes- prüfen, da die Integration der hier Aufgenomme- republik ist. Die Schätzungen liegen regelmäßig nen sehr gut verläuft. Sehr viele Flüchtlinge befin- bei etwa 20 Prozent. Diese Zahl ist richtig, wenn den sich noch in Syrien und Jordanien. Diesen das Aufregungspotenzial, das Kultur hat, gemeint Menschen muss Beistand geleistet werden. ist; aber der finanzielle Anteil beträgt 0,4 Prozent. Über Kultur kann man wunderbar streiten, und Kul- (Beifall bei der CDU/CSU) tur regt zum Nachdenken an. Man kann sich fra- Wie zerstörerisch religiöser Fanatismus sein gen, was eine Ausstellung meinethalben in China kann, sieht man in Nigeria. Das gilt auch für die Si- mit Bildern aus der Zeit der europäischen Aufklä- tuation der Christen und übrigens auch der Musli- rung nützt. Sie regt zum Nachdenken an. Kunst begeistert, irritiert, oder sie provoziert. Das liegt im Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2787

Auge des Betrachters. Das heißt, wir setzen etwas Vizepräsidentin Petra Pau: in Bewegung, und gleichzeitig machen wir neugie- Ich schließe die Aussprache. rig auf das Land, aus dem die Kunst kommt. Das Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ein- ist unsere Visitenkarte; das ist, wenn man so will, zelplan 05, Auswärtiges Amt, in der Ausschussfas- der Trailer zu einem Film. Wenn der Trailer gut ist, sung. – Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der dann schaue ich mir auch den ganzen Film Ausschussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Deutschland an, und wenn er richtig gut ist, auch Wer enthält sich? – Der Einzelplan 05 ist mit den den zweiten und dritten Teil. Wir interessieren mit Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion ganz wenig Aufwand Menschen für unser Land. gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Das ist für mich sehr wichtig. Es ist schön, wenn Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jemand sagt, dass Deutschland für den schicken angenommen. ICE oder auch für Windräder steht, oder wenn je- mand die guten deutschen Autos anführt. Aber viel Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.11 auf: interessanter und bleibender ist die Wirkung, die Einzelplan 14 wir durch Kultur erzielen. Bundesministerium der Verteidigung Nun kann man im Ausland natürlich nicht für ei- – Drucksachen 17/613, 17/623 – ne Sache werben, die es im Inland gar nicht mehr gibt. Dann könnten höchstens kulturelle Ruinen Berichterstattung: besucht werden. Deswegen korrespondiert der Abgeordnete Bartholomäus Kalb Kulturanteil im Haushalt des auswärtigen Bereichs Klaus-Peter Willsch mit dem Kulturanteil im Haushalt des innerdeut- Bernhard Brinkmann (Hildesheim) schen Bereichs. Mit diesem vorgelegten Haushalt Dr. h. c. Jürgen Koppelin sind wir nicht der Versuchung erlegen, einem all- Dr. Gesine Lötzsch gemeinen Trend entsprechend Kultur als Luxus, Alexander Bonde der in der Krise verzichtbar ist, zu kennzeichnen, Zum Einzelplan 14 liegen zwei Änderungsanträ- sondern wir haben ganz klar gesagt, dass wir die ge der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsan- Weiterentwicklung von Kultur fortschreiben wollen. trag der Abgeordneten Klaus-Peter Willsch und Das machen wir auch im Haushalt deutlich. Wir Dr. h. c. Jürgen Koppelin vor. Außerdem liegt ein haben nicht brutal gekürzt. Dieser Versuchung sind Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, wir nicht erlegen. Ich glaube, das ist wichtig. Im über den wir am Freitag nach der Schlussabstim- Zusammenhang mit dem Einzelplan 04 sind die mung abstimmen werden. Kommunen angesprochen worden. Gerade in die- sen Bereichen darf man nicht sparen. Es lohnt sich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind unwahrscheinlich, Investitionen in Kultur zu täti- für die Aussprache anderthalb Stunden vorgese- gen. hen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bin sehr froh, dass die Themen „kulturelle Entwicklung“ und „kulturelle Botschaft im Ausland“ Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der vom Auswärtigen Amt, das jetzt unter einer ande- Kollege Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion. ren Führung steht – offensichtlich gibt es jetzt je- (Beifall bei der SPD) manden, der nicht nur kellnern will, sondern auch einmal kocht –, aufrechterhalten und ganz bewusst gesetzt werden.Vor dem Hintergrund der fort- Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): schreitenden Integration dieser Welt, der fort- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und schreitenden Globalisierung werden wir in den Kollegen! Bei der ersten Lesung des Einzel- nächsten Jahren wesentliche Beiträge über kultu- plans 14 am 20. Januar 2010 habe ich von glei- relle Impulse leisten können. Das sind Dinge, die cher Stelle ausgeführt, dass der Regierungsent- die Menschen der verschiedenen Länder einander wurf des Verteidigungshaushalts auf den ersten näherbringen. Auch wenn es ein bisschen abge- Blick stabil und solide erscheint. Nach den Bera- grast klingt: Wenn man ein Land näher kennenge- tungen im Ausschuss und den Ergebnissen aus lernt hat, dann ist es viel schwieriger, in einen Kon- der Bereinigungssitzung kann man das allerdings flikt mit diesem Land zu kommen. – Das zu erken- nicht mehr behaupten. In zu vielen Punkten bleibt nen, ist die Aufgabe. Ich hoffe, Herr Minister, dass der oberste Grundsatz der Haushaltswahrheit und Sie sich dieser Aufgabe mit viel Macht und In- -klarheit leider auf der Strecke. tensität – dies lässt der Haushaltsentwurf erkennen (Beifall bei der SPD) – stellen. Angesichts der Rednerliste sei mir ein kurzer Herzlichen Dank. Einwurf gestattet: Ich vermisse auf der Rednerliste (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- den Namen des Ministers der Verteidigung, Herrn geordneten der FDP und des Abg. Jo- Freiherr zu Guttenberg. hannes Kahrs [SPD]) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ale- 2788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

xander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS NEN]: Im Schützengraben!) 90/ DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist aber ein Trug- Man kann nur spekulieren – vielleicht wird diese schluss!) Spekulation im Laufe der Debatte aufgehoben –: Darf er nicht? Will er nicht? Möchte er nicht? – Die SPD-Fraktion steht mit dieser Äußerung zur Schauen wir einmal, was die Koalition zu dieser Regierungsfähigkeit nicht alleine da. Ich gehe ein- Angelegenheit sagen wird. mal davon aus, dass auch Sie sich Umfragen und Bewertungen anschauen. Über 70 Prozent der Im Rahmen der Haushaltsberatungen ist deut- deutschen Bevölkerung – das ist eine deutliche lich geworden, dass 90 Prozent des investiven An- Mehrheit – sind ebenfalls dieser Auffassung; sie teils durch Großvorhaben über Jahre gebunden sagen: Die können das nicht. – Das ist auch so; sind, sodass für die nächsten Jahre finanzielle aber Sie sind nicht bereit, den ersten Schritt zu tun, Handlungsspielräume für Neues so gut wie nicht um das zu verändern. mehr vorhanden sind. Das unfassbare Durchei- nander bei der Beschaffung des Flugzeugs (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie ist es bei A400M erreicht heute durch einen kurzfristig ein- euch? Abgewählt!) gereichten Antrag der Koalition anscheinend eine Einsicht wäre der erste Schritt auf dem Weg der neue Größenordnung, man könnte fast sagen: den Besserung. Sie aber halten an diesem totalen absoluten Höhepunkt. Man muss sich einmal vor Durcheinander fest. Augen führen, wie die Koalition in dieser Frage in der Bereinigungssitzung mit Ihnen, Herr Minister, Es kommt aber noch schlimmer. umgegangen ist – ich will ganz deutlich sagen, (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Noch dass die Bundeswehr dieses Flugzeug braucht; die schlimmer?) SPD-Fraktion steht nach wie vor zu diesem Be- schaffungsvorhaben –; das schreit zum Himmel. Der Kollege Kahrs hat in der Bereinigungssitzung den Minister und den Staatssekretär gefragt, wie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sie diese über Nacht ausgeheckten Kürzungen bewerten. Antwort des Ministers darauf: Dazu bin ich nicht in der Lage. – Wie sollen dann aber Da wird über Nacht ein Kürzungsvorschlag in Haushälter eine Entscheidung hinsichtlich von Be- Höhe von 100 Millionen Euro durchgesetzt – ohne schaffungsmaßnahmen für den Schutz unserer Begründung –, obwohl jeder wusste, dass in 2010 Soldatinnen und Soldaten und auch für die ge- aufgrund des bestehenden Vertrages selbst vor fährlichen Auslandseinsätze treffen? Weder die der jüngst erfolgten Einigung mit EADS Verteidigungspolitiker noch die zuständigen Be- 250 Millionen Euro fällig geworden wären. Damit richterstatter der Opposition wurden über diese – das geheilt und das Projekt insgesamt gerettet ich muss es wiederholen und möchte es deutlich werden kann, herrschte hier gestern hektische Be- betonen – über Nacht ausgeheckten Kürzungen in- triebsamkeit. Der Kollege Willsch, der Kollege Kalb formiert. und der Kollege Koppelin waren mehrfach mit dem Minister im Plenarbereich unterwegs. So geht man im parlamentarischen Beratungs- verfahren nicht miteinander um. So ist man auch (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: So nach 1998 nicht mit den Berichterstattern des Ein- was!) zelplans 14 und aller anderen Einzelpläne umge- Andere wurden nicht dazugebeten, obwohl es eine gangen. Das ist unfair und macht nur ganz deut- durchaus übliche und sehr faire Praxis ist, dass al- lich, dass die FDP wieder einmal versucht, ein le Berichterstatter des Einzelplans über Verände- bisschen Profil zu gewinnen und eine Gegenfinan- rungen informiert werden. Aber nun kommt es: zierung für die 1 Milliarde Euro hinzubekommen, Kurz vor der abschließenden Beratung legt die die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dem Koalition einen Antrag vor – dass darüber abge- Hotelfenster geworfen haben. Wie durchsichtig das stimmt wird, hat die Frau Präsidentin eben ange- ist, wird daran deutlich, dass die DEHOGA heute kündigt – über eine Verpflichtungsermächtigung für erklärt hat, dass ihre Mitgliedsunternehmen bereit den A400M in Höhe von 500 Millionen Euro. Wie sind, im Gegenzug für dieses Steuergeschenk in sieht es da mit dem Einhalten des hehren Grund- Höhe von 1 Milliarde Euro vielleicht 400 Millionen satzes eines jeden Haushälters der Haushalts- Euro zu investieren. Wo bleiben die anderen 600 wahrheit und -klarheit aus, Herr Minister? Die Koa- Millionen Euro? Sie sind wohl als reines litionsfraktionen – das sage ich in aller Deutlichkeit Klientelgeschenk der Regierung und der Koaliti- – tanzen Ihnen auf der Nase herum. Sie haben onsfraktionen anzusehen. letztendlich durch diese Vorgehensweise wie bei Meine sehr verehrten Damen und Herren von vielen anderen Einzelplänen auch mehr als deut- der Koalition, Sie müssen den Soldatinnen und lich gemacht, dass diese Koalition nicht regie- Soldaten erklären, warum ab dem Haushaltsjahr rungsfähig ist. 2010 – in den Folgejahren wird der Spielraum ja noch enger – die unbedingt notwendigen Finanz- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2789 mittel für Schutz und Ausrüstung nicht mehr zur besondere für die Teile der Bundeswehr, die einen Verfügung stehen. gefährlichen und schwierigen Auslandseinsatz zu bewältigen haben. Herzlichen Dank auch allen Gestatten Sie mir noch zwei kurze Anmerkun- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Minis- gen. Gestern Abend war die Jubiläumsfeier des teriums, die uns bei den Verbandes der Reservisten. Dort gab der Minister Berichterstattergesprächen stets die gewünschten bekannt, dass er die im Koalitionsvertrag festge- Informationen zur Verfügung gestellt haben. Die legte Verkürzung des Wehrdienstes auf den Zusammenarbeit hat sich bisher ausgesprochen 1. Oktober vorziehen will. Damit werden Sie be- angenehm dargestellt. stimmten Fragen nicht gerecht und verabschieden Sie sich endgültig von einer sicherheitspolitischen Wir lehnen den Einzelplan 14 ab und werden Begründung für die Aufrechterhaltung der Wehr- auch der heute Mittag kurzfristig von Ihnen einge- pflicht. Sie sagen auch nicht, wie Sie die in vielen reichten Verpflichtungsermächtigung über Bereichen daraus resultierenden Herausforderun- 500 Millionen Euro unsere Zustimmung nicht ge- gen finanzieren wollen. Bei der von Ihnen vorge- ben. sehenen Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs (Henning Otte [CDU/CSU]: Kein Geld für die Monate wird der Aufwand für die Ausbildung von Soldaten! So stellen Sie sich das vor!) Personal, für Material und Infrastruktur in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis stehen. Ich habe bis Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts dazu von Ihnen (Beifall bei der SPD) gehört, Herr Minister, wie Sie das in der künftigen Haushaltsplanung darstellen wollen und wie Sie das finanzieren wollen. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch Lassen Sie mich noch ein paar kurze Anmer- von der Unionsfraktion. kungen zu Lagerhaltung, ÖPP und Privatisierung machen. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): (Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt kommt er mal Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine sehr zum Thema!) verehrten Damen und Herren! Herr Minister! Zu- nächst einmal, Kollege Brinkmann, finde ich, dass Ich sage für die SPD-Fraktion ganz deutlich, dass der Ton, den Sie in diese Debatte, die wir gemein- die im Ministerium zurzeit angestellten Vergleichs- sam führen, hineingebracht haben, berechnungen transparent erfolgen müssen und dass man auch die berechtigten Sorgen und Nöte (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Der Ton der Beschäftigten ernst nehmen muss. Private war sehr sachlich, Herr Kollege!) Dienstleister sind nämlich nicht generell besser der Debatte nicht gerecht wird. und kostengünstiger. Stichworte wie Bundeswehr- Fuhrpark, BWI oder auch Entwicklungen in ande- (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: ren von PPP geprägten Bereichen sind der beste Wenn es so ruhig bleibt, können Sie zu- Beweis dafür. frieden sein!) Es gibt natürlich nicht nur Kritik, sondern durch- Ich finde es auch nicht schön, dass Sie einver- aus auch erfreuliche Dinge, die ich kurz erwähnen nehmlich beschlossene Maßnahmen – unterstützt möchte, nämlich die Baumaßnahmen im Rahmen von einer breiten Fachpolitik, auch aus der des Konjunkturpakets II und das Zentrum für die CDU/CSU – wie das Zentrum, das sich um post- Traumabehandlung der vom Einsatz zurückkeh- traumatische Belastungsstörungen kümmern soll, renden Soldatinnen und Soldaten, das übrigens mit einem Parteilabel zu versehen versuchen. Das auf einen Antrag der Arbeitsgruppe „Sicherheit“ der halte ich nicht für sehr anständig; denn dieser Be- SPD-Fraktion zurückgeht. schluss entsprach dem Anliegen all derer, die ver- antwortlich mit der Bundeswehr umgehen. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) Wir brauchen weiterhin eine junge, leistungs- Das sollte hier auch so gesagt werden. Wir sollten starke Armee. Diese muss, um eine gewisse At- die Soldaten gerade bei diesem Thema nicht poli- traktivität zu entfalten, gut ausgerüstet sein. Hierzu tisch einseitig instrumentalisieren. hat der Wehrbeauftragte in seinem Bericht sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) viele, durchaus nachvollziehbare und kritische Anmerkungen gemacht, die wir in unseren weite- Der Minister ist der Meinung, dass die Haus- ren Beratungen berücksichtigen müssen. haltsberatungen die Stunde des Parlaments sind. Er hatte bei Einbringung des Haushalts die Gele- Zum Schluss meiner Ausführungen darf ich al- genheit genutzt, zum Haushalt seines Ministeriums len Soldatinnen und Soldaten und dem zivilen Per- zu sprechen. Ich bin dem Minister dankbar, dass er sonal den Dank, die Anerkennung und den Res- in dieser Debatte meiner Fraktion seine Redezeit pekt der SPD-Fraktion aussprechen. Das gilt ins- 2790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 zur Verfügung gestellt hat. Das ist eine Reverenz den zivilen Arbeitgeber Bundeswehr Werbung ma- gegenüber dem Parlament. chen. Wir sind, weil in der Fläche breit aufgestellt, am besten dafür geeignet, unserem Minister zivile (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Mitarbeiter zuzuführen. Wir glauben, dass man bei GRÜNEN]: Na ja! Das gab es noch nie, Baumaßnahmen, bei vermischten Verwaltungs- dass da einer kneift! Das hat mit Reve- ausgaben, bei Mieten und Pachten mit renz nichts zu tun! Das ist eine Brüskie- 15,2 Millionen Euro weniger auskommt. Ohne die rung des Parlaments!) weitere Ausrüstung mit dem Eurofighter infrage zu Ich möchte mich aber nicht nur dafür, sondern stellen, glauben wir, dass wir bei der Waffenent- auch für die angenehme und zufriedenstellende wicklung mit 5 Millionen Euro weniger auskommen. Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministeri- – Das alles sind Kürzungen, die die christlich- um bedanken. Es gab mit den Staatssekretären liberale Koalition unter Beachtung ihrer Verantwor- und den Mitarbeitern des Hauses eine vertrauens- tung für den Gesamthaushalt vorgenommen hat. volle Zusammenarbeit im Rahmen der Haushalts- Natürlich wissen wir, dass sich das Ministerium beratungen. über diese Kürzungen nicht freut. Wer freut sich schon, wenn in seinem Bereich Mittel gekürzt wer- Etwa jeder zweite Bundesbürger spricht sich den? Wir glauben aber, dass das Haus diese Vor- für eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik gaben wird umsetzen können. aus … Das Vertrauen in die Bundeswehr ist außerordentlich groß … Die Bundesbürger Lassen Sie mich noch zu dem Thema „öffentli- vertrauen der Bundeswehr, weil sie davon che Entwicklungszusammenarbeit und ODA-Mittel“ überzeugt sind, dass die Streitkräfte dazu bei- im Bereich des Einzelplans 14 einige Bemerkun- tragen, Frieden, Schutz und Freiheit für gen machen. 2008 war das letzte abgerechnete Deutschland zu wahren. Jahr. In dem Jahr haben wir aus dem Einzel- plan 14 lediglich 8,2 Millionen Euro ODA-fähige Das habe nicht ich mir ausgedacht, sondern das ist Mittel erbracht. Das sind Mittel, die zwar aus dem das Ergebnis einer Studie des Sozialwissen- Verteidigungshaushalt bezahlt werden, die aber schaftlichen Instituts der Bundeswehr zum als Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit ge- Thema „Sicherheits- und verteidigungspolitisches wertet werden. Wenn wir uns die Zahlen für 2010 Meinungsklima in der Bundesrepublik Deutsch- anschauen, so kommen wir auf einen Betrag von land“, die im Januar veröffentlicht wurde. Das ist 12,8 Millionen Euro. Sie wissen alle – die ODA- ein gutes Zeugnis für unsere Bundeswehr. Wir soll- Quote ist schon mehrfach angesprochen worden – ten unseren Soldaten im Einsatz, aber auch den , dass das, was dort für einen späteren Zeitpunkt in Mitarbeitern der Bundeswehr auf allen anderen Aussicht gestellt wird, heute noch nicht erreicht Dienstposten für den aufopferungsvollen und wird. Wir sollten aber wenigstens die Mittel zu- schweren Dienst danken, den sie für unser Land sammenrechnen, die wir für diesen Bereich schon leisten. jetzt zur Verfügung stellen, damit die Zahlen nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schlechter aussehen, als sie in Wirklichkeit sind. Ich habe bereits bei der ersten Lesung im Janu- Wir haben im Einzelplan 14 einen Bereich mit ar zum Ausdruck gebracht: einem Volumen von 56,3 Millionen Euro, der strei- tig gestellt ist, weil das BMZ sagt, dass es sich Wenn wir Soldaten in Einsätze schicken, dann nicht um ODA-Mittel handelt. Ich glaube, an dieser müssen wir sie so ausrüsten, dass sie unter Stelle müssen wir zu Neubewertungen kommen größtmöglichem Schutz und mit höchstmögli- und müssen deutlich machen, dass das, was wir in cher Wirksamkeit ihren gefährlichen Auftrag diesem Bereich tun, der Entwicklung Afghanistans erfüllen können. dient. Es geht mir nicht darum, hier billigen Beifall Das ist die Verantwortung des Parlaments, und zu für die damit erreichte Verbesserung bei der Quo- dieser Verantwortung stehen wir. Das haben wir tenerfüllung zu bekommen, sondern es geht mir auch bei diesen Haushaltsberatungen unter Be- um die Anerkennung der Soldaten, die dort ihren weis gestellt. Der Bundeshaushalt steht unter ei- Dienst tun. Sie sollen entsprechende öffentliche nem gewaltigen Spardruck. Wir alle wissen das. Wertschätzung erfahren, indem ihnen sozusagen Trotzdem ist es uns gelungen – wenn auch nicht testiert wird, dass sie einen wichtigen Beitrag zur völlig unbeschadet –, mit Einsparungen von ledig- Entwicklung des Landes leisten. lich 32 Millionen Euro unterm Strich he- rauszukommen. Es ist notwendig, der Öffentlich- keit zu sagen, dass Sicherheit und Freiheit ihren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von Preis haben. der CDU/CSU: Sehr guter Vorschlag!) Ich will gleichwohl kurz illustrieren, bei welchen Da wir beim Thema Quote sind: Häufig wird Maßnahmen wir Kürzungen vorgenommen haben. über Quoten bei der Entwicklungszusammenarbeit Wir meinen, dass wir bei der Nachwuchswerbung und über das 10-Prozent-Ziel bei den Bildungs- mit 10 Millionen Euro weniger auskommen. Wir als und Forschungsausgaben gesprochen. Quotale Abgeordnete können in unseren Wahlkreisen für Bindungen sind Haushältern ein Graus. Aber wenn Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2791 wir schon über quotale Bindungen reden, dann Sparmaßnahmen auf die Truppe zukommen. Ne- müssen wir das auch vollständig tun. In der NATO ben all den netten Dingen, die Sie bisher erwähnt ist man schon vor mehreren Jahren über- haben, könnten Sie auch einmal zum Kern kom- eingekommen, einen Anteil der Verteidigungs- men und dies begründen. ausgaben am BIP von 2 Prozent anzustreben. Das erreichen wir nicht; wir sind in einem Bereich Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): von 1,3 Prozent bis 1,4 Prozent. Die einzigen, die Lieber Kollege Kahrs, ich bedanke mich für die dieses Ziel erreichen, sind die Amerikaner, die lobenden Worte bezüglich meines Beitrags. Die Engländer und die Franzosen, die sogar darüber Fachdiskussion werden wir jetzt sicherlich nicht liegen. mehr im Detail nachholen können. Wir haben uns (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE die einzelnen Beschaffungsmaßnahmen ange- GRÜNEN]: Und die Griechen! Und da se- schaut und uns überlegt, wo wir parlamentarisch hen Sie mal, wozu das führt!) nachsteuern können – ich erinnere Sie an unseren Antrag in Sachen MEADS –, indem wir uns in Be- – Stimmt, das waren Einmalerscheinungen. Ob tracht kommende Alternativen anschauen, die den das bei den Griechen allerdings nur auf Sollzahlen gleichen Zweck erfüllen können und bei denen wir beruht oder ob das Geld wirklich schon geflossen der Auffassung sind, dass noch genügend Zeit ist. ist, ist aber fraglich. Darüber kennen wir ja auch Das haben wir gemacht. Das ist ein verantwortli- Geschichten. cher Umgang mit dem Haushalt. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Hinsichtlich des A400M bin ich Ihnen in der Tat GRÜNEN]: Seit zehn Jahren kontinuier- noch eine Begründung unseres Antrags schuldig; lich über 4 Prozent!) auch der Kollege Brinkmann hat danach gefragt. Das ist eine beachtliche Quote, wenn wir uns als Diese will ich jetzt gerne nachtragen. Ich will Ihnen Industriestaaten miteinander vergleichen und über- aber nicht zumuten, die ganze Zeit stehen zu müs- legen, welcher Anteil der Verteidigungsausgaben sen, wenn ich jetzt noch einmal zum A400M kom- am BIP sinnvoll und notwendig ist. Das müssen wir me. mit im Blick behalten. (Abg. Johannes Kahrs [SPD] nimmt Platz) Die Beratung über den A400M ist mit Blick auf Vizepräsidentin Petra Pau: die Technik der Haushaltsaufstellung nach der Be- Kollege Willsch, gestatten Sie eine Zwischen- reinigungssitzung in ein Stadium gekommen, in frage des Kollegen Kahrs? dem wir, um den Kredit über die KfW ausreichen zu können, eine Ermächtigung im Haushalt brau- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): chen; das wissen Sie, Herr Kollege Brinkmann. Natürlich. Deshalb haben wir nach einem Weg gesucht und haben das mit dem gemeinsamen Antrag meines Johannes Kahrs (SPD): Kollegen Dr. Koppelin und mir als Verpflich- Herr Kollege, ich höre Ihre Rede, und Sie sagen tungsermächtigung noch in den Haushalt 2010 viele gefällige Dinge. Aber wenn man sich an- hineingebracht. schaut, was Sie im Verteidigungshaushalt gemacht Zur Erläuterung: Mit den 2 Milliarden Euro ha- haben, wird deutlich, dass es nicht auf die Strei- ben wir überhaupt nichts zu tun; das wissen Sie al- chungen in Höhe von 1 Million, 2 Millionen oder le. 5 Millionen Euro, die Sie eben genannt haben, an- kommt. Ich würde es begrüßen, wenn Sie einmal (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Streichung von 200 Millionen Euro im investi- NEN]: Da bin ich mal gespannt!) ven Bereich begründen würden. 100 Millionen Eu- Dafür erwarten wir eine Lösung, die nicht haus- ro beim A400M, NH-90, Tiger, Quartiermeisterma- haltswirksam wird. Wir haben darüber hinaus die terial und alles, was dazugehört, die globale Min- 1,5 Milliarden Euro, die die sieben derausgabe von 200 Millionen Euro, die Bestellernationen dem Hersteller als Kreditmittel 57 Millionen Euro flexibilisierte Mittel: Ich würde zur Verfügung stellen sollen. Unser Anteil daran einfach gerne einmal die Begründung dafür hö- beträgt 500 Millionen Euro. Diese soll die KfW ver- ren. zinst und rückzahlbar ausreichen. Weil jetzt aber (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hat er doch noch kein Vertrag da ist und die Konditionen noch gemacht!) nicht ausgehandelt sind und feststehen, war das BMF der Auffassung, wir müssten den vollen Be- Im Ausschuss selbst wollten Sie die Begrün- trag ansetzen. Wir sind der festen Überzeugung, dung nicht geben. Ihr Minister konnte sie nicht ge- dass das nicht fällig werden wird. ben, weil er erst Stunden vorher erfahren hat, was Sie gestrichen haben. Ihr Staatssekretär muss jetzt (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE 450 Millionen Euro in einem Haushalt, der bereits GRÜNEN]: Das sieht Ihr Finanzminister läuft, zusammensuchen. Das heißt, dass große anders! – Bernhard Brinkmann [Hildes- 2792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

heim] [SPD]: Sie hätten ganz in Ruhe be- eine gute Zukunft haben und nicht nur uns, son- raten können!) dern auch Partnern ihre hervorragenden Produkte zur Verfügung stellen können. Das Ganze wurde in hervorragender Weise aus- gehandelt. Viele hatten einen schlimmeren Aus- (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: gang dieser Verhandlungen erwartet. Darum habt ihr 100 Millionen gekürzt! Un- glaublich!) Vizepräsidentin Petra Pau: Lassen Sie mich schließen, indem ich bekenne: Kollege Willsch, der Kollege Kahrs hat offen- Das, was wir mit der Fassung in der Nacht der Be- sichtlich noch eine Nachfrage. reinigungssitzung beschlossen haben, hat schon Auswirkungen gezeigt. Sie alle kennen die Aussa- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): gen des Inspekteurs des Heeres. Das betrifft auch Lassen Sie mich das bitte im Zusammenhang mich persönlich: Ich bin Flakpanzerkommandant. darstellen. – Sie haben schon bei der ersten Le- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das merkt sung gesagt, dass wir auf jeden Fall weitermachen man!) müssen, und damit die Verhandlungsposition nicht gerade erleichtert. Dass wir dieses gute Ergebnis Es nimmt einen schon mit, wenn man liest, dass erreichen können, indem die KfW angewiesen der Gepard außer Dienst gestellt wird; aber es werden kann, diesen Kredit auszureichen, ist Ge- zeigt zugleich, dass wir mit solchen Vorgaben das genstand und Notwendigkeit des Antrags, den ich Problem in die Truppe verlegen, wenn wir fragen: hier einbringe und den ich Ihrer Zustimmung emp- Wo könnt ihr mithelfen, dass wir diese haushalts- fehle. politisch schwierigen Zeiten meistern?

Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Willsch, können Sie mir bitte sa- Kollege Willsch, ich verrate Ihnen ein Geheim- gen, ob Sie die Frage noch zulassen oder nicht; nis. Sie haben gleich die Möglichkeit, weiter zu re- denn ich kann diese Zeit nicht an Ihre Redezeit den, da es nach Ihrer Rede eine Kurzintervention hängen. gibt. Aber jetzt bitte ich Sie, mein Signal zu beach- ten, und Ihre Rede zu beenden. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Ich möchte meinen Gedanken im Zusammen- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): hang ausführen. Ich bitte um Verständnis. Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Haus- recht Vizepräsidentin Petra Pau: (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Gut. und schließe mit folgendem Satz ab: Die Bundes- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): wehr, das Verteidigungsministerium und die Trup- pe können sich auf die CDU/CSU-Fraktion verlas- Das Thema A400M macht zugleich deutlich, dass im Einzelplan 14 Belastungen vorgesehen sen. Wir werden im Haushaltsausschuss für die Truppe möglich machen, was geht. sind, die nicht allein verteidigungspolitisch motiviert sind. Keiner hat dieses Thema rein militärisch dis- Danke schön. kutiert, es wurde auch immer industriepolitisch dis- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kutiert. Das gibt es auch in anderen Bereichen. Der Bericht von SIPRI über unsere Erfolge an der Ex- portfront ist schon mehrfach angesprochen wor- Vizepräsidentin Petra Pau: den. Wir können stolz darauf sein, weil unsere Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kahrs Spitzentechnologie weltweit, gerade bei unseren das Wort. NATO-Partnern, nachgefragt wird. Das sichert 77 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich. Johannes Kahrs (SPD): Herr Kollege Willsch, Sie haben eben davon ge- Wenn technologische Fähigkeiten der Ingeni- sprochen, dass Sie es bedauern, was der Inspek- eurskunst erhalten werden sollen, dann muss es teur Heer verfügt hat, nämlich dass die Geparden, Aufträge geben. Marder und viele andere Fahrzeuge stillgelegt (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, Krieg füh- worden sind. Das liegt daran, dass Sie die Politik ren!) machen, die Sie machen. Wenn man den Haus- halt betrachtet, muss man feststellen, dass Sie Wenn das die Bundeswehr allein machen soll, über 450 Millionen Euro aus einem laufenden Etat dann werden wir sozusagen als industriepolitischer gestrichen haben, die in diesem Jahr eingespart Einzelplan missbraucht. Als wichtiger Punkt ist werden müssen. Von den 250 Millionen Euro, die festzuhalten: Wir können mit diesen Gütern auch in diesem Jahr für den A400M vorgesehen waren, dafür sorgen, dass Hochtechnologieunternehmen haben Sie 100 Millionen Euro gestrichen. Es gibt im Bereich Luft- und Raumfahrt in unserem Land Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2793 aber eine vertragliche Bindung, das heißt, die Mit- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): tel werden anderswo im Haushalt erwirtschaftet Herr Kollege Kahrs, es ist Ihnen sicher nicht werden müssen. Sie haben 30 Millionen Euro beim entgangen, dass wir für den einsatzbedingten Tiger eingespart. Auch hier gibt es vertragliche Mehrbedarf für Afghanistan 437 Millionen Euro Verpflichtungen, sodass die Mittel woanders ein- zusätzlich zur Verfügung gestellt haben. Sie versu- gespart werden müssen. Beim NH-90 gilt das Glei- chen, aus dem Thema Honig zu saugen und einen che: Sie werden die Mittel im laufenden Etat ein- anderen Eindruck zu vermitteln; aber Sie wissen sparen müssen. natürlich, dass für sehr viele Mittel im Einzel- plan 14 gegenseitige Deckungsfähigkeiten beste- Das ist in keiner Sitzung des Verteidigungsaus- hen, sodass es bei der Truppe bleibt, die Vorga- schusses, bei keinem Berichterstattergespräch und ben, die der Haushaltsausschuss gemacht hat, zu auch vorher nie diskutiert worden. Das heißt, auch realisieren. Ihr Minister hat erst Stunden vorher erfahren, was Sie in jener Nacht von Mittwoch auf Donnerstag Ich betone einmal mehr: Der optimale Schutz ausgeheckt haben. Die Truppe wird das jetzt im und die optimale Ausrüstung der Truppe im Ein- laufenden Jahr erdulden müssen. Kein anderer satz bleiben für uns im Fokus. Wenn wir bei lang- Etat ist so geschröpft worden wie der Verteidi- fristigen Beschaffungsvorhaben auf die Bremse gungsetat. Das heißt, auf der einen Seite schicken treten oder sagen: „Das muss anders gemacht wir Soldaten nach Afghanistan, auf der anderen werden“, dann hat das mit dem Einsatz unmittelbar Seite wird der Etat brutal zusammengestrichen. nichts zu tun. Wir alle kennen die Mängel bei der Bundeswehr. (Rainer Arnold [SPD]: Da gibt es doch Ver- Wir wissen um die Probleme bei Infrastruktur und träge, die gelten!) Beschaffung. Als schwarz-gelbe Koalition streichen Sie Ihrem Minister 450 Millionen Euro aus dem lau- fenden Haushalt und begründen das hier nicht Vizepräsidentin Petra Pau: einmal. Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke. Sie haben über den A400M und die 500 Millionen Euro VE gesprochen. Hier geht es (Beifall bei der LINKEN) aber um die 450 Millionen Euro, die Sie real gestri- chen haben. Dafür habe ich keine Begründung ge- Inge Höger (DIE LINKE): hört. Glauben Sie, dass Sie die 30 Millionen Euro Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Damen für den Tiger nicht brauchen? Glauben Sie, dass und Herren! Das Geschäft mit der Rüstung blüht. Sie die 100 Millionen Euro für den A400M, die ver- Die Zahlen des Friedensforschungsinstituts SIPRI traglich gebunden sind, nicht brauchen? wurden heute verschiedentlich genannt. SIPRI warnt ganz entschieden vor weltweitem Wettrüs- Es wäre schön, wenn einer die Streichung ten. Deutschland ist zum drittgrößten Rüstungs- einmal begründen würde, damit die Truppe weiß, exporteur aufgestiegen. Rot-Grün hat die Türen warum sie im laufenden Jahr das Geld nicht hat. geöffnet, aber unter der Großen Koalition haben Der Haushalt ist groß – das wissen wir alle –, aber sich die Rüstungsexporte nahezu verdoppelt. der disponible Teil ist sehr klein. Sie werden dieses Geld bei der Truppe im laufenden Jahr – wir haben Mit den Ausgaben für das eigene Militär liegt ja schon März – zusammensparen müssen. Deutschland auf Platz 6 weltweit, also in den Topten. Deutsche Waffen in alle Welt, das scheint Die Auswirkungen werden jeden Soldaten tref- die Devise der hiesigen Rüstungsindustrie zu sein. fen, werden die Truppe generell treffen. Das sind Nicht nur die Bundeswehr wird aufgerüstet. Auch die Soldaten, über die wir große Reden gehalten NATO-Länder und EU-Verbündete werden mit haben, die Sie nach Afghanistan schicken. Das Waffen beliefert. Die meisten dieser Länder sind in sind die Soldaten, auf die Sie immer wieder Lo- Kriege verwickelt. Selbst arme Länder in Afrika, beshymnen singen. Deren Geld wird jetzt von Lateinamerika oder Asien dürfen sich immer wie- Schwarz-Gelb gegen den Willen des Ministers und der über Rüstungslieferungen aus Deutschland des Ministeriums zusammengestrichen. Dafür ste- freuen. hen Sie als Berichterstatter. Ich finde, man könnte das hier, vor dem Parlament, zumindest einmal In ihrem Koalitionsvertrag behauptet die begründen. Das gebietet der Anstand. Wir Sozial- schwarz-gelbe Regierung – Herr Westerwelle hat demokraten haben diese Kürzung abgelehnt. Wir das heute auch noch einmal betont –, die Koalition halten das für unanständig und falsch. wolle Frieden in der Welt schaffen und dazu bei- tragen. Wie soll das aber mit immer mehr Waffen Vielen Dank. und immer neuen Rüstungsexporten gehen? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Frieden schaffen kann man nur ohne Waffen. Kollege Willsch, möchten Sie antworten? – Bitte. Auch wenn immer wieder versucht wird, den Ein- druck von Einsparungen beim Militär zu suggerie- 2794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 ren, kann hier nicht von einem Sparhaushalt die Wenn die Bundeswehr nicht mehr weltweit zum Rede sein. Oberflächlich betrachtet haben Sie den Einsatz kommen soll, braucht sie auch keine teu- Verteidigungshaushalt um klägliche 0,1 Prozent ren Transportflugzeuge. Die Bundesregierung gekürzt. Die Linke sieht wesentlich mehr Ein- könnte sich das ganze Dilemma um den Pannen- sparmöglichkeiten. Vorschläge für die Kürzung flieger A400M sparen. Bereits jetzt sind für um insgesamt 4 Milliarden Euro haben wir in unse- die Beschaffung dieses Militärtransporters etwa rem Antrag aufgelistet. 10 Milliarden Euro eingeplant. Das entspricht etwa dem deutschen Entwicklungshilfe-etat der letzten Doch diese Regierung hat offensichtlich kein In- beiden Jahre zusammen. Doch das Flugzeug wird teresse daran, beim Militär zu sparen. die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wahr- (Beifall bei der LINKEN) scheinlich noch deutlich teurer zu stehen kommen. Eigentlich müsste die Firma EADS aufgrund der Selbst bei den behaupteten Sparbemühungen im starken Lieferverzögerung Strafzahlungen an die Promillebereich wird die Öffentlichkeit getäuscht; Bundesregierung leisten; aber Sie verzichten auf denn nicht alle Militärausgaben sind tatsächlich im Ihre Ansprüche. Weitere Zahlungen wurden zuge- Einzelplan 14 aufgelistet. Ein treffenderes Bild be- sagt. Die verschiedenen Bestellerländer haben kommt man, wenn man sich die Meldung an die sich bereit erklärt, insgesamt 3,5 Milliarden Euro NATO-Verbündeten anschaut. Nach NATO- zusätzlich zu zahlen; 1,5 Milliarden Euro davon Kriterien planen Sie Militärausgaben in Höhe von gibt es eventuell zurück. Wann? Wenn sich der 34 Milliarden Euro. Das ist gegenüber 2009 ein Airbus als Exportschlager herausstellt. Das ist aus Anstieg um 600 Millionen Euro. Das wird ge- Sicht der Linken pervers. genüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern verschleiert. Hören Sie auf mit diesen Täu- (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen schungsmanövern, und beginnen Sie mit wirklicher Koppelin [FDP]: Das ist ein Transportflug- Abrüstung. Da lassen sich Milliarden sparen. zeug!) Die Firma Airbus rechnet damit, auf dem Welt- markt bis zu 500 dieser Militärflugzeuge verkaufen (Beifall bei der LINKEN) zu können. Um die Aufrüstung der deutschen und Unter Sparen versteht die Linke keine Um- französischen Armee mit Transportflugzeugen ir- schichtung im Militärhaushalt, wie dies in den letz- gendwie finanzierbar zu halten, wird die weltweite ten Jahren gemacht wurde. Durch Standortschlie- Aufrüstung bewusst vorangetrieben. Dabei wäre ßungen und den Abbau der Zahl ziviler Beschäftig- die Lösung ganz einfach: Die Bundesregierung hat ter wurde an einzelnen Stellen Geld gespart, aber aufgrund der Lieferverzögerungen Kündigungs- die frei werdenden Mittel wurden dann in die Auf- recht. Sie könnten also ganz einfach aus diesem rüstung und Umstrukturierung der Bundeswehr in- Vertrag aussteigen. Dann wäre das Projekt zwar vestiert. Die Umschichtungen dienten und dienen wahrscheinlich am Ende, aber das wäre auch gut dem Umbau der Bundeswehr von einer Ver- so. Beenden Sie diesen Wahnsinn. Deutschland teidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz. Der braucht den A400M nicht. Verteidigungshaushalt ist der drittgrößte Einzel- (Beifall bei der LINKEN) haushalt. Statt abzurüsten, rüsten Sie die Bun- deswehr für weltweite Kriegs- und Besatzungsein- Gleiches gilt für viele andere Rüstungsvorha- sätze auf. Das geht nicht zum Nulltarif. ben. Auch der neue Schützenpanzer Puma soll zu einem Exportschlager werden wie das Vorgän- (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte germodell Leopard 2, das bereits in alle Welt ver- [CDU/CSU]: Humanitäre Hilfe!) kauft wurde. Der Einkauf von 410 Genau diese Bundeswehr als Interventions- und Hightechschützenpanzern Puma wird ein- Besatzungsarmee sollte Deutschland sich sparen. schließlich der Bewaffnung etwa 5 Milliarden Euro Die Linke vertritt einen strikten Antikriegskurs. Aus- kosten. Diese 5 Milliarden Euro würden reichen, landseinsätze können wir sowohl den Menschen in um allen Menschen in Afghanistan fünf Jahre lang den betroffenen Regionen als auch den Bundes- eine medizinische Grundversorgung zukommen zu wehrsoldaten ersparen. lassen. Auch dieser große Auftrag reicht den Pro- duzenten Rheinmetall und Krauss-Maffei Weg- (Beifall bei der LINKEN) mann nicht. Der Auftrag der Bundeswehr ist ledig- Hören Sie endlich auf, Deutschland am Hindu- lich ein Türöffner für den lukrativen Weltmarkt. In kusch oder am Horn von Afrika zu verteidigen. fast allen Fällen gibt es einen Zusammenhang zwi- Nehmen Sie das Grundgesetz ernst. Reduzieren schen der Rüstungsproduktion für die Bundeswehr Sie die Aufgaben der Bundeswehr auf einen strikt und der Rüstungsproduktion für den Export. Hohe territorial definierten Verteidigungsbegriff. Dann Stückzahlen machen die Produktion von Panzern können Sie wirklich sparen. und U-Booten lukrativer. Hier komme ich auf die bereits erwähnte Warnung von SIPRI vor einem (Beifall bei der LINKEN) neuen weltweiten Wettrüsten zurück. Die neue Aufrüstungsspirale dreht sich bereits. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2795

Mit diesem Haushalt wird die Grundlage für Aus- (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Nein! landseinsätze der Bundeswehr gelegt. Wir haben es Natürlich nicht! – Weiterer Zuruf von der hier mit einer Mogelpackung zu tun. Allein der ISAF- CDU/ CSU: Das ist einfach unanständig!) Einsatz in Afghanistan wird im laufenden Jahr mehr als 1 Milliar-de Euro verschlingen. Im Haushalt wird aber Außerdem sind Arbeitsplätze in der Rüstungsin- so getan, als ob alle Auslandseinsätze zusammen, ob auf dustrie hoch subventioniert. Mit dem finanziellen dem Balkan, in Afghanistan und am Horn von Afrika, Aufwand für einen Arbeitsplatz in der Rüstungsin- nur 600 Millio-nen Euro kosten würden. Auch hier gibt dustrie könnten Sie vier bis fünf gut bezahlte Ar- es natürlich eine sehr einfache Möglichkeit, mit diesem beitsplätze im Bildungswesen oder im Gesund- Geld auszukommen: Verzichten Sie auf die Aufsto- heitsbereich finanzieren. ckung des ISAF-Mandates. Schicken Sie keine weiteren (Beifall bei der LINKEN) Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan. Lassen Sie die Soldaten, die vor Ort sind, ihre Koffer packen. Be- Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge enden Sie den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. sind auf jeden Fall sinnvoller und in diesem Land notwendiger. (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Dann ermöglichen Sie ein Schon die rot-grüne Bundesregierung erklärte vor ei- Massaker!) nigen Jahren stolz, der Einzelplan 14 sei zu einem Ein- satzhaushalt geworden. Schwarz-Gelb hat diese unsägli- Die NATO, mit ihr auch die Bundeswehr, kann che Tradition mit dem vorliegenden Haushalt fortge- und wird diesen Krieg nicht gewinnen; immer mehr setzt. Aber eine Frage bleibt noch offen. Da diese Re- Militärs sagen Ihnen das. Das Militär trägt nur zur gierung nun zugibt, sich in Afghanistan im Krieg zu be- Eskalation der Situation bei. Ziehen Sie deshalb finden, frage ich Sie: Warum nennen Sie diesen Haus- den längst fälligen Schlussstrich unter diese un- halt nicht ganz offen und ehrlich einen Kriegshaushalt? rühmliche Geschichte und holen Sie die Bundes- Oder ist das für Sie zu viel Klartext? Doch egal wie Sie wehr aus Afghanistan heraus. ihn nennen, die Linke kann und wird diesem Aufrüs- (Beifall bei der LINKEN) tungs- und Kriegshaushalt nicht zustimmen. Wir sagen Nein. Völlig pervers ist auch die Tatsache, dass Kriegseinsätze inzwischen zu einem Verkaufsar- (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen gument für deutsche Rüstungsgüter geworden Koppelin [FDP]: Wer hat Ihnen diesen sind. Was sich im Einsatz bewährt hat, verkauft Unsinn bloß aufgeschrieben?) sich auf den internationalen Rüstungsmärkten offensichtlich besser. Während die Zivil- Vizepräsidentin Petra Pau: bevölkerung und auch die Soldatinnen und Solda- Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege ten den Preis für Kriege bezahlen müssen, profi- Dr. h. c. Jürgen Koppelin das Wort. tiert die Rüstungsindustrie gleich doppelt: von der (Beifall bei der FDP) Nachfrage der Bundeswehr und von besseren Ex- portchancen. Diese Form der Exportförderung Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): muss sofort aufhören. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der LINKEN) gen! Man muss wirklich geduldig sein, um so eine Rede wie eben ertragen zu können. Das Geschäft mit dem Krieg läuft gut. Die Rüs- tungsindustrie ist kaum von der Krise bedroht. Die (Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist wahr! Verträge sind langfristig, und Krieg hat offensicht- – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was lich wieder Konjunktur. Zusätzlich profitiert die meinen Sie, was wir für Geduld mitbrin- Rüstungsindustrie auch vom Konjunkturpaket. Im gen müssen!) laufenden Jahr werden neben Kasernensanierung Ich will dazu nur Folgendes sagen: Eine Feuerver- und militärischer EDV beinahe 200 Millionen Euro sicherung kündigt man auch nicht, nur weil es seit aus dem Konjunkturpaket für Rüstung zur Verfü- Jahren nicht gebrannt hat; gung stehen, und das zusätzlich zum Verteidi- gungshaushalt. Profiteure dieses makabren Kon- (Inge Höger [DIE LINKE]: Sie könnten damit junkturpaketes aus Panzern und Maschinenpisto- viel Geld sparen!) len sind unter anderem Heckler & Koch, EADS, das sei Ihnen ins Stammbuch geschrieben. In An- Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall. betracht Ihres Verhältnisses zur Bundeswehr rate Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Ar- ich Ihnen: Besuchen Sie unsere Soldatinnen und beitsplatzargument. Wollen Sie wirklich das Ster- Soldaten einmal und reden Sie mit ihnen. ben von Menschen in anderen Teilen der Welt mit (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das haben dem Erhalt von Arbeitsplätzen in unserem Land wir ja gerade gemacht!) rechtfertigen? Ich glaube, dann kommen Sie zu anderen Er- kenntnissen. 2796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten finde es nicht nur interessant und völlig in Ord- der CDU/CSU) nung, sondern auch sehr richtig, dass der Wehr- beauftragte für unsere Soldaten in Aus- Lassen Sie mich als Hauptberichterstatter erst landseinsätzen mehr menschliche Unterstützung einmal etwas Positives sagen. Hier werden die un- eingefordert hat. Nach den terschiedlichen Auffassungen der Fraktionen vor- Berichterstattergesprächen kann ich nur sagen: Al- getragen; das ist in einer solchen Debatte völlig in le Fraktionen hier – außer den Linken; die haben Ordnung. sich daran nicht beteiligt – sind der Auffassung: (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das nennt man Wir müssen da etwas tun. Vor allem müssen wir Demokratie!) uns um die Soldatinnen und Soldaten kümmern, die vom Auslandseinsatz zurückkehren. Einen Ein- Insgesamt ist allerdings festzustellen – das wurde satz in Afghanistan steckt man nicht so einfach in den Berichterstattergesprächen, bei denen Sie weg, der bleibt manchen präsent, sodass sie Be- ja nicht dabei waren, deutlich –, dass alle Fraktio- treuung benötigen. nen zur Bundeswehr stehen und der Auffassung sind: Wir brauchen eine moderne und leistungs- fähige Bundeswehr. Ich finde, das sollten unsere Vizepräsidentin Petra Pau: Soldaten wissen; denn das ist trotz aller Unter- Kollege Koppelin, gestatten Sie dem Kollegen schiede, die es gibt, ausgesprochen positiv. Dass Nouripour eine Frage? wir über einzelne Details streiten, hat also nichts mit unseren Soldatinnen und Soldaten oder mit der Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Bundeswehr zu tun. Ja, selbstverständlich. Alle Fraktionen – natürlich außer den Linken – wissen, dass wir unsere Bundeswehr immer wie- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der befähigen müssen, in Krisensituationen für die Herr Kollege Koppelin, wir schließen uns Ihren Friedenssicherung und im Sinne der Humanität lobenden Worten für den Wehrbeauftragten aus- eingesetzt zu werden, auch im Interesse und im drücklich an. Wir müssen anerkennen, dass der Auftrag der Völkergemeinschaft; diesen Aspekt Kollege Polenz diese Worte längst aufgegriffen haben Sie in Ihrem Redebeitrag vergessen. hat. Auch er hat den Wehrbeauftragten gelobt und dafür plädiert, dass Herr Robbe wegen seiner Auch ich möchte an dieser Stelle unseren Sol- Kompetenz und wegen der Leistung, die er erb- datinnen und Soldaten, die im Auslandseinsatz racht hat – alle Fraktionen sehen das –, doch im sind, unseren Respekt bekunden für ihren Einsatz, Amt bleiben möge. Könnten Sie uns erklären, wa- der nicht einfach ist. rum Ihre Fraktion das anders sieht? (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): SES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass Sie diese Frage nicht bei der Debatte über den Etat des Verteidigungsministers, Wir müssen – ich sage das wie meine Vorredner, sondern bei der Debatte über den Etat des Deut- außer natürlich denen von den Linken – diesen schen Bundestages hätten stellen sollen; denn der Respekt immer wieder bekunden; denn die Solda- Wehrbeauftragte gehört zum Deutschen Bundes- tinnen und Soldaten sind draußen im Einsatz, weil tag, er untersteht dem Bundestagspräsidenten. Da wir hier im Deutschen Bundestag das so entschie- hätte Ihre Frage hingehört. den haben. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil Sie keine GRÜNEN]: Dann hätte auch Ihr Lob dort- Friedenspolitik machen können!) hin gehört!) Daher verfolgen wir sehr intensiv, wie es unseren Sie sollten sich ein Vorbild nehmen am amtieren- Soldatinnen und Soldaten geht, auch menschlich; den Wehrbeauftragten, der das in einer entspre- ich komme gleich noch darauf zurück. chenden Weise honorig kommentiert hat; vielleicht Ich möchte auch den Bundeswehrangehörigen lernen Sie von ihm noch etwas. im Inland, den Soldatinnen und Soldaten, aber (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auch den Zivil-angehörigen, unseren Dank aus- der CDU/CSU) sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der Wir haben in unserem Berichterstattergespräch auch die Mängel im Sanitätswesen angesprochen. Da ist et- CDU/ CSU, der SPD und des BÜNDNIS- was, was einen bei der Bundeswehr, egal wer Minister SES 90/DIE GRÜNEN) ist, sehr ärgert – das muss ich hier einmal deutlich sagen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns –: Es wird oft sehr spät gehandelt, und viele Probleme – bei den Haushaltsberatungen intensiv mit der Situ- das hat auch der Wehrbeauftragte so gesehen – werden ation der Soldatinnen und Soldaten der Bundes- schöngeredet. Man muss sich einmal die Frage stellen: wehr – im Ausland wie im Inland – beschäftigt. Ich Warum wird bei der Bundeswehr – wir haben das bei Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2797 unseren Berichterstattergesprächen gemerkt – so vieles Da gibt es das MEADS, das taktische Luftver- schöngeredet? Jeder meldet nach oben: Es ist alles bes- teidigungssystem. Damit plagen wir uns seit Jah- tens. – Die Soldaten haben anscheinend den Eindruck: ren herum. Das war ein Produkt aus rot-grüner Wer sich diesem System nicht anpasst, muss eventuell Regierungszeit. Ich weiß allerdings, dass damals mit Schwierigkeiten rechnen; vielleicht fällt sogar die die Haushaltspolitiker und die Verteidigungspoliti- Beurteilung etwas schlechter aus. ker der Grünen gegen dieses Projekt waren. Wir (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE haben hier Debatten gehabt. Wir als FDP haben GRÜNEN]: Das sind ja Zustände fast wie auch Anträge gestellt. Ich muss dem einen oder in der FDP!) anderen, der neu im Parlament ist, vielleicht einmal sagen, wie das damals ablief. Die Abgeordneten Herr Bundesverteidigungsminister, ich kann Sie waren dagegen. Dann gab es einen Rüffel von Ge- nur bitten: Sagen Sie der Truppe sehr deutlich: Je- rhard Schröder, und es tagte der Parteirat in der der Soldat muss die Möglichkeit haben, Mängel Besetzung Roth, Höhn, Bütikofer, Volker Beck und beim Namen zu nennen und dies weiterzugeben. Trittin. Es wurde beschlossen: MEADS wird ange- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schafft. Das machen wir. – So ist das damals ge- laufen. Heute plagen wir uns damit herum. Ohne ins Detail zu gehen, Herr Minister, sage ich auch: Jeder Soldat sollte nicht nur die Möglich- Wir wollen aus MEADS aussteigen. Ich freue keit haben, sich an den Wehrbeauftragten zu wen- mich, dass ich hier sagen kann: Auch der Bun- den, sondern auch direkt an Sie. desminister der Verteidigung, der Herr zu Gutten- berg, sieht dieses Projekt kritisch. Wir wollen da- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) raus aussteigen. Vielleicht freut das die Grünen, Wenn ich schon dabei bin, Herr Minister: Viel- dass es nach so vielen Jahren dazu kommt. Aller- leicht gilt das auch für Truppenbesuche. Ich weiß, dings ist viel Geld verbrannt worden. wie so etwas abläuft; ich habe schon an solchen Das Transportflugzeug A400M ist ebenfalls ein Veranstaltungen teilgenommen. Es sollte nicht nur Produkt aus rot-grüner Regierungszeit, mit dem wir alles positiv, im NATO-olivgrünen Bereich gesehen uns jetzt beschäftigen müssen. Hätten Sie die Ver- werden – vor allem wenn man mit Pressetrupp da träge doch bloß besser formuliert! ist, kommt kaum Kritik –, man sollte auch einmal hinter die Kulissen schauen. (Beifall bei der FDP – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Ver- Ich muss einen Punkt ansprechen, der mich trag war gut!) immer wieder ärgert – ich spreche diesen Punkt seit Jahren an; ich mache diesen Etat ja nun schon Ich erinnere mich an heftigste Debatten hier im seit vielen Jahren –: In Zeitschriften wie Bundes- Parlament. Ich bin von Anfang an dabei gewesen. wehr aktuell wird immer alles positiv dargestellt. Kollege Bonde, da waren Sie noch gar nicht im Auch in der Ausgabe vom 22. Fe-bruar über das Parlament. CDU/ CSU und FDP gingen sogar zum Sanitätswesen ist alles nur positiv dargestellt. Wer Verfassungsgericht, weil dieser Vertrag Mist war. den Bericht des Wehrbeauftragten liest, weiß, dass Jetzt plagen wir uns immer noch damit herum. es tatsächlich etwas anders ist. Vielleicht sollte so (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE eine Zeitschrift, die an die Soldatinnen und Solda- GRÜNEN]: Der Haushalt von Scharping ten verteilt wird, auch einmal kritische Dinge auf- war Mist! Deshalb haben die Grünen greifen. Ich glaube, dass täte unseren Soldatinnen mitgeklagt!) und Soldaten gut. Das wäre mein Wunsch an Ihr Haus, Herr Minister: dass diese Zeitung nicht nur Das ist die Krux. Sie haben am Anfang mit Fotos des Ministers oder der Staatssekretäre 90 Flugzeuge bestellt; die Grünen haben die Hand dekoriert wird. dafür gehoben. Dann kam Gott sei Dank der Ver- teidigungsminister Struck, der den Scharping ab- (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie löste und sagte: Das können wir gar nicht bezah- des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS len. 90/DIE GRÜNEN]) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Haushalts- NEN]: Eben! Sehen Sie!) beratungen haben gezeigt, dass die Koalitionsfrak- tionen die Beschaffungsmaßnahmen wie ange- Da kam es zur Bestellung von 60 Flugzeugen. Wir kündigt auf den Prüfstand stellen. Die meisten Be- als FDP haben immer gesagt, dass 50 völlig rei- schaffungsmaßnahmen, über die wir reden und mit chen. Der Rechnungshof hat 40 Stück für völlig denen wir uns teilweise herumschleppen und bei ausreichend gehalten. denen wir Mühe haben, die Finanzierung sicherzu- Wir wollen das Transportflugzeug, aber den stellen, kommen noch aus rot-grüner Zeit. Ich nen- Schlamassel, den wir jetzt damit haben, haben Sie ne einige Beispiele: uns eingebrockt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE 2798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Sie Redeentwurf gegeben. Ich hoffe, dass ich noch ein lassen sich doch Geld aus der Nase zie- bisschen daraus vortragen kann. Es ist, wie ge- hen, und zwar ohne vertragliche Grundla- sagt, jetzt also nicht meine Rede, sondern die der ge!) Kollegin Elke Hoff. Wir versuchen jetzt, den Schaden zu begrenzen, (Heiterkeit – Bernhard Brinkmann [Hildes- auch für den deutschen Steuerzahler. Hier wurde heim] [SPD]: Gib die Rede zu Protokoll! kritisiert, dass wir, der Kollege Willsch und ich, Das ist besser!) heute einen Änderungsantrag dazu eingebracht – Nein. Wenn eine Kollegin kurzfristig wirklich haben. Das hat mit Haushaltswahrheit und -klarheit schwer erkrankt ist und ihren Redeentwurf weiter- zu tun. Deswegen mussten wir diesen Änderungs- gibt, dann sollte man so fair sein, zu akzeptieren, antrag einbringen. Das werden Sie vielleicht nicht dass das jemand vorträgt. verstehen, weil Sie sich nicht mehr so intensiv da- mit beschäftigen; Sie sind eben nicht mehr in der (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Regierung, und das ist auch okay so. Wir mussten Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: so vorgehen. Das hat mit Haushaltswahrheit und - Ich habe ja nur einen Vorschlag gemacht! klarheit zu tun. Du musst den Vorschlag ja nicht anneh- men!) Ich nenne das nächste Projekt, das IT-Projekt Herkules, ebenfalls ein großes Projekt aus rot- Die Kollegin Elke Hoff begrüßt ausdrücklich, grüner Regierungszeit, ein Milliardenprojekt, das dass es Umschichtungen im Haushalt gegeben kaum noch in den Griff zu bekommen ist. Ich sage hat. Sie hat sich intensiv mit dem Thema der post- hier klar: Auch das hat uns Rot-Grün in dieser traumatischen Belastungsstörungen unserer Form eingebrockt. Milliarden hat das schon gekos- Soldaten befasst. Wir sollten endlich ein echtes tet. Ich sage für die FDP: Mehr Geld gibt es dafür Behandlungszentrum bekommen. Das ist ein nicht. Wir haben schon so viel Geld hineingesteckt; Schwerpunkt ihrer Arbeit gewesen. Ich kann nur mehr gibt es nicht. sagen: Alle Achtung! Wir bekommen das jetzt hin. Die Kollegin Hoff hat sich genauso intensiv für die So sind wir weiter bereit, alles auf den Prüfstand Sonderprogramme zur Kasernensanierung West zu stellen. Es geht immer nach folgenden Kriterien: eingesetzt. Die Verbesserung der Vereinbarkeit Was ist das Beste für unsere Soldaten? Brauchen von Familie und Dienst war ein weiterer Schwer- wir das für den Einsatz der Bundeswehr? Danach punkt der Arbeit meiner Kollegin. Ich kann nur sa- geht es. Alles andere zählt nicht. gen: Wir haben das mit dem Haushalt durchge- Die Zwischenfragen des Kollegen Kahrs haben setzt, und ich bin sehr froh darüber. mich nun wirklich gewundert; er weiß es ja besser. Genauso froh bin ich darüber, dass sich im Im Haushaltsausschuss lobt er die FDP sogar und Haushalt die neue Afghanistan-Strategie der sagt: Was ihr alles von eurem Liberalen Sparbuch Bundesregierung wiederfindet. Das hat mir in der durchgesetzt habt! – Das ist auch so; das kann außenpolitischen Debatte heute, in der in Bezug man nachlesen. Es kam nicht überraschend. Kol- auf den Außenminister herumgenölt wurde, wie der lege Kahrs, Sie zitieren doch sonst immer das Li- Norddeutsche sagt, ein bisschen gefehlt; das sage berale Sparbuch. Darin standen all die Anträge. ich ganz offen. Endlich gibt es im Bereich Afgha- Nun haben wir das umgesetzt, und nun jammern nistan neue Aktivitäten. Andere Regierungen vor Sie. – Nein, Kollege Kahrs; Sie haben genug ge- uns haben das nicht geschafft. Das hat der Au- fragt. Auch im Ausschuss haben Sie lange gespro- ßenminister gemacht, und das macht diese Regie- chen. Damit machen wir heute ausnahmsweise rung. Darauf bin ich als jemand, der den Einsatz einmal Schluss. sonst immer sehr kritisch gesehen hat, ein biss- Wir wollen Folgendes: Unsere Soldaten be- chen stolz. kommen alles, was für den Einsatz notwendig ist. Genauso stolz bin ich darauf, dass uns jetzt ein Dafür wollen wir die finanziellen Mittel effektiv ein- Attraktivitätskonzept vorgelegt wurde; auch das setzen. finde ich in Ordnung. Ich sage zum Schluss, auch als Hauptberichter- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- statter: Mein Eindruck war, dass alle Fraktionen NEN]: Sagt das Frau Hoff?) das Beste für unsere Soldatinnen und Soldaten wollen. Darauf bin ich, auch als Demokrat in die- Herr Minister, wir verlangen und wünschen, dass sem Parlament, trotz aller Kontroversen stolz. das zügig umgesetzt wird. Auch das ist ein Wunsch meiner Kollegin Elke Hoff. (Beifall bei der FDP) Ich komme zu W6. Sie kennen die Vorstellung Nun wäre meine Redezeit eigentlich fast zu En- der Freien Demokraten. Wir sind der Meinung – de, aber ich habe noch etwas zu sagen. Meine daran halten wir politisch auch fest –, dass die Kollegin Elke Hoff ist heute Morgen erkrankt. Ich Wehrpflicht abgeschafft gehört. Die Wehrpflicht hat wünsche ihr von hier aus alles Gute und übermittle ausgedient. Hier haben wir uns in der Koalition die besten Genesungswünsche. Sie hat mir ihren Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2799 nicht durchgesetzt. Jetzt gibt es den W6- schließen wir uns dem uneingeschränkt Kompromiss. an!) (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich will vorneweg sagen, dass ich irritiert darü- NEN]: Alles teurer und schlechter!) ber bin, dass wir in dieser Debatte eine Besonder- heit erleben, die ich bei Haushaltsberatungen noch Im Interesse der Wehrpflichtigen und der Bundes- nicht erlebt habe, nämlich dass die Bundesregie- wehr wollen wir das nun so sinnvoll wie möglich rung in der Schlussberatung eines Haushaltes ausgestalten. kneift. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage an (Iris Gleicke [SPD]: Sie hat nichts zu sagen!) dieser Stelle – das ist auch immer das Anliegen meiner Kollegin Hoff gewesen, und das bleibt es Die Bundesregierung ergreift das Wort nicht und auch weiterhin –: Vorrang haben die Soldatinnen äußert sich nicht zu Veränderungen in ihrem und Soldaten, die Angehörigen der Bundeswehr, Haushalt, und das in der außergewöhnlichen Situ- auch die Zivilangehörigen, ob sie hier im Inland ation, dass es in diesem Haushalt durch den An- sind, oder ob sie im Ausland sind. trag der Koalitionsfraktionen um kurz vor zwölf zu einer Veränderung bei den Ver- Ich kann aus Zeitgründen nicht mehr alles vor- pflichtungsermächtigungen im Umfang von 500 tragen, was mir die Kollegin Hoff in ihrer Rede vor- Millionen Euro gekommen ist. gelegt hat, Herr Minister, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und zu diesem Haushalt Stellung! Stellen Sie sich hier der CDU/CSU – Bernhard Brinkmann vorne hin und erklären Sie dem Parlament und den [Hildesheim] [SPD]: Da steht alles drin!) Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, welche Ver- aber es ist vielleicht eine ganz gute Gelegenheit, änderungen in diesem Einzelplan Sie aufgrund Ih- meiner Kollegin Hoff einmal ganz herzlich für ihren rer Verhandlungen mit Airbus über den A400M last Einsatz für die Bundeswehr zu danken. Sie ist eine minute zu verantworten haben. unglaublich engagierte Anwältin für unsere Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deswehr, und dafür hat sie unseren großen Dank verdient. Es geht nicht, hinten auf der Bank zu sitzen und zu schweigen. Das, was hier als Verbeugung vor dem Herzlichen Dank für Ihre Geduld. Parlament bezeichnet wird, ist kein Verbeugen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sondern ein Wegducken. Das ist Ihnen nicht an- gemessen, Herr Minister. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Kollege Koppelin, ich habe mir fest vorgenom- bei der SPD) men, nachzuforschen, ob es das schon einmal ge- geben hat, dass zwei Reden in einer Rede gehal- Wir reden hier über einen Haushalt, der sehr ten wurden. durch unterschiedliche Entscheidungen geprägt ist. Dieser A400M ist eines der großen Rüstungs- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU projekte. Hinsichtlich dieses Projekts hat Herr und der FDP) Koppelin hier eine interessante Geschichtsklitte- Jetzt hat der Kollege Alexander Bonde für die rung versucht. Das ist ein Projekt, für das es einen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. klaren Vertrag gibt und das in der Amtszeit des Vorgängers von Herrn zu Guttenberg aus dem Ru- (Zuruf von der SPD: Auf sie mit Gebrüll!) der gelaufen ist. Das kreide ich Herrn zu Gutten- berg nicht an. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Obwohl es einen klaren Vertrag, klare Leis- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- tungsbeschreibungen und einen klaren Preis gab, sagt das Unternehmen jetzt: Es ist jetzt irgendwie gen! Ich darf der Kollegin Hoff im Namen meiner nicht so, dass wir liefern können. – Es hält die Fraktion ganz herzliche Gesundheitswünsche aus- richten. Richten Sie ihr aus: Ihre Reden gefallen Hand auf und sagt: Kohle her! uns allerdings besser, wenn sie sie vorträgt, als Man könnte denken, dass die Bundesregierung wenn der Kollege Koppelin aus ihnen zitiert. sagt: Vertrag ist Vertrag. – Das ist aber eine Bun- desregierung – und das liegt jetzt im Verantwor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten tungsbereich des Ministers –, die sich auf Ver- handlungen eingelassen hat – und die der Indust- der CDU/CSU und der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Kein Wider- rie, die ausweislich der Gutachten, die der Minister selber in Auftrag hat geben lassen, gepfuscht hat spruch! – Bernhard Brinkmann [Hildes- heim] [SPD]: Wenn wir uns auf „Gene- und alleine verantwortlich ist für massive Kosten- steigerung und für ein Fehlmanagement im ge- sungswünsche“ verständigen können, samten Projekt, jetzt zusätzliche Milliarden Euro 2800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 hinterherwirft. Ich finde schon, dass Sie das erklä- Luftfahrtfahrtindustrie gegenüber der europäischen ren müssen. Man kann nicht einfach schweigend Luftfahrtindustrie nichts zu tun. Sie vollziehen hier auf der Bank sitzen. genau dasselbe! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wie bei Abgeordneten der SPD) NEN]: So ist es!) Ich möchte einmal erwähnen, was Sie alles ver- Es spricht auch nicht für die handwerklichen Fä- abredet haben: Zusatzkosten bzw. Minderleistun- higkeiten der Bundesregierung, dass Sie wochen- gen von 2 Milliarden Euro bedeuten für Deutsch- lang nicht einmal gemerkt haben, dass Sie Ver- land Kosten in Höhe von 667 Millionen Euro. Ein pflichtungsermächtigungen brauchen. Dieses gan- Exportkredit über 1,5 Milliarden Euro bedeutet für ze Schauspiel hat deutlich gemacht, dass diese Deutschland Kosten in Höhe von 500 Millionen Eu- Regierung sich nicht traut, den Leuten reinen Wein ro. An dieser Stelle ist es spannend, dass das einzuschenken. Herr Minister, Sie sind Teil dieses Bundesfinanzministerium, vertreten durch den Problems. Staatssekretär, schreibt, es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- sehe … eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wie bei Abgeordneten der SPD) der Bund bei Absicherung eines bedingt rück- zahlbaren Kredits in Anspruch genommen Vizepräsidentin Petra Pau: wird. Das Wort hat der Kollege Henning Otte für die Das heißt, nach Einschätzung der Bundesregie- Unionsfraktion. rung gehen Sie mit diesen 500 Millionen Euro ein massives Risiko für den Bundeshaushalt ein. Henning Otte (CDU/CSU): Gleichzeitig erklären Sie uns aber seit Wochen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- dass das alles schon irgendwie kostenneutral zu gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der machen sei. Jetzt, wo die Mehrkosten für die Steu- Haushalt 2010 stellt eine finanzpolitische Heraus- erzahler auf dem Tisch liegen, sitzen Sie dort hin- forderung dar. Das gilt insbesondere für den Ein- ten und trauen sich nicht, nach vorne zu treten und zelplan 14, also den Verteidigungshaushalt. Dieser uns zu sagen, dass Sie dem Unternehmen be- Haushalt steht im Bewusstsein der Auswirkungen wusst Subventionen zahlen und die Steuerzahle- der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise, rinnen und Steuerzahler wieder einmal das Säckel der notwendigen Haushaltskonsolidierung und der aufmachen müssen, ohne etwas dafür zu bekom- anstehenden Schuldenbremse. Er steht aber vor men. allem in dem Bewusstsein, unseren Soldatinnen und Soldaten alle notwendigen Mittel und Leis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- tungen zur Verfügung zu stellen, die sie zur Erfül- wie bei Abgeordneten der SPD) lung ihres Auftrages benötigen. Diese Verpflich- Es geht noch weiter. Sie sagen nämlich auch tung ist für die christlich-liberale Koalition eine nicht, dass Sie auf milliardenschwere Vertragsstra- Selbstverständlichkeit. fen verzichten, die Deutschland aufgrund des was- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- serdichten Vertrags zustünden, den Sie jetzt ohne neten der FDP) Not ändern. Sie erklären nicht, dass die sogenann- te Preisgleitklausel geändert wird, dass also die Trotz der Einsparungen in Höhe von Firma aufgrund Ihrer neuen Vereinbarung in den 32 Millionen Euro gegenüber dem Regierungsent- künftigen Jahren zusätzliche Preissteigerungen auf wurf ist es der Regierungskoalition gelungen, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abwälzen notwendigen Investitionen und Versorgungsleis- kann. tungen für unsere Bundeswehr sicherzustellen und zu verbessern. Wir sind überzeugt, dass unsere Sie ziehen außerdem Vorauszahlungen vor. Bundeswehr ein verlässlicher und attraktiver Ar- Das bedeutet, dass der Bund zusätzlich millionen- beitgeber bleiben muss. Für die CDU/CSU- schwere Zinsverluste erleidet, wobei die Sankti- Fraktion steht das Wohl unserer Soldatinnen und onsmöglichkeiten im Zuge der nächsten Fehl- oder Soldaten sowie der zivilen Mitarbeiter, denen wir Schlechtleistungen noch geringer sind. Sie müss- für ihren Dienst und Einsatz im Inland und Ausland ten sich dann erneut von der Industrie erpressen danken, im Zentrum ihrer Verteidigungspolitik. lassen. Ich finde, dass das ein ordnungspolitisches Versagen ist. Der Ordnungspolitiker Guttenberg duckt sich nach einem solchen Verhand- Vizepräsidentin Petra Pau: lungsergebnis zu Recht. Er sagt nichts dazu, weil Kollege Otte, gestatten Sie eine Zwischenfrage das mit Ihrer wirtschaftspolitischen Ansage über- des Kollegen Kahrs? haupt nichts mehr zu tun hat. Henning Otte (CDU/CSU): Es hat auch mit der Ansage der Bundesregie- Nein. Ich möchte erst einmal fortfahren. rung an die Vereinigten Staaten in Sachen WTO und unfairen Subventionen der amerikanischen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2801

Mit der richtigen Schwerpunktbildung der Mittel- trag aller Fraktionen. Es ist nicht angemessen, das verwendung in Höhe von 31,1 Milliarden Euro wer- jetzt parteipolitisch ausschlachten zu wollen. den die wichtigsten Zukunftsprojekte bei Personal, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ausrüstung und Unterbringung realisiert. Mit dem und der FDP – Bernhard Brinkmann [Hil- neuen Schützenpanzer Puma, der erstmalig in desheim] [SPD]: Das habe ich auch nicht diesem Etat veranschlagt wurde, verfügt das Heer getan, Herr Otte! Da müssen Sie etwas in der Zukunft über ein leistungsfähiges und hoch- Falsches gehört haben! Das ist Ihre Inter- geschütztes Gefechtsfahrzeug für den Einsatz in pretation, und die ist falsch! Das Zuhören allen denkbaren Szenarien. müssen Sie noch ein bisschen üben!) Mit dem A400M steht unserer Armee zukünftig ein Wir müssen die Bundeswehr in die Lage versetzen, neues Transportflugzeug zur Verfügung. Es war richtig, eine moderne und familiengerechte Arbeitswelt zu dass wir auf der Erfüllung dieses Vertrages bestanden schaffen. Auch die Bundeswehr muss die Vereinbar- haben. Ich verstehe die Aufregung insbesondere der keit von Dienst und Familie so gestalten, dass sie als Fraktion der Grünen nicht. Alle Daten sind zeitgerecht Arbeitgeber insbesondere für junge Menschen attraktiv in den Haushalt eingebracht. Haushaltsklarheit und - bleibt. Die Nachwuchsgewinnung insbesondere unter wahrheit sind gegeben, was von besonderer Bedeutung Berücksichtigung der Umgestaltung auf W6 ist ein ist, wenn man den Haushalt mit den Haushaltsberatun- Schlüsselaspekt für die Zukunft unserer Truppe. gen unter Rot-Grün und Minister Eichel vergleicht. Der Antrag der CDU/CSU- und der FDP- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Fraktion auf Erarbeitung einer Organisationsstruk- und der FDP – Alexander Bonde [BÜND- tur ist ein weiterer richtiger Baustein zur stetigen NIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben Modernisierung und Effizienzsteigerung unserer 100 Millionen Kürzungen erklärt, und jetzt Bundeswehr. wächst alles auf! Verpflichtungsermächti- gungen, die Sie nicht gegeben haben! Eine verlässliche Verteidigungs- und Sicher- Was erzählen Sie eigentlich?) heitspolitik, welche die innere und äußere Sicher- heit Deutschlands gewährleistet, kostet Geld. Sie Wesentliche Großprojekte, die Sie vertraglich ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. abgeschlossen haben, binden uns und erschweren unsere Haushaltsfindung. Die Ausführungen von Frau Höger von der Frak- tion Die Linke finde ich sehr erschreckend. Mit Ih- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rer Einstellung, Frau Höger, und Ihrem Selbstver- 15 Milliarden Euro fließen insgesamt als Aufträge ständnis, auch unserer Bundeswehr gegenüber, in die Industrie. 75 Prozent davon werden an mit- sollten Sie sich fragen, ob Sie als Mitglied des Ver- telständische Unternehmen weitergereicht. Auch teidigungsausschusses überhaupt dem Wohl un- dies ist ein Beitrag zur Stabilisierung und Siche- serer Soldatinnen und Soldaten dienen können. rung von Arbeitsplätzen in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- Für die CDU/CSU als Mittelstandspartei ist dies geordneten der FDP – Widerspruch bei von besonderer Bedeutung. Die Wirtschaft muss der LINKEN) jedoch alles daransetzen, dass die Auslieferungen Nach Art. 87 a Grundgesetz ergeben sich die zeitgemäß erfolgen und ein verzögerter Zulauf wie Stärke und die Grundzüge der Organisation der beim NH90 unterbleibt. Verträge müssen eingehal- Streitkräfte aus dem Haushaltsplan. Daraus ergibt ten werden. Unsere Truppe braucht die neuen sich die Verpflichtung, die Streitkräfte so auszurüs- Systeme, und unsere Industriepartner müssen in ten, dass sie ihre Pflichten effektiv wahrnehmen der Lage sein, diese Systeme zu liefern. Wir wer- können. den als CDU/CSU-Fraktion nicht nachlassen, die Auslieferung der Systeme und damit auch die Als Reaktion auf die aktuelle fiskalische Lage Vertrags-erfüllung einzufordern. hat der Inspekteur des Heeres das System Gepard aus der Verwendung genommen. Kollege Willsch Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Vertreter hat darauf hingewiesen. Flugstundenobergrenzen eines Wahlkreises mit mehreren Bundeswehrstan- wurden abgesenkt. Damit wird deutlich, dass unse- dorten weiß ich sehr genau um die Empfindungen, re Bundeswehr zielgerichtet einen Beitrag zur Ein- Sorgen und Nöte unserer Soldaten. Meiner Frakti- sparung vornimmt. on war es daher sehr wichtig, dass der Problematik der posttraumatischen Belastungsstörung end- Es wird aber auch deutlich, dass wesentliche Einspa- lich konkret mit der Einrichtung eines Zentrums für rungen im Verteidigungsetat nur noch dann möglich PTBS begegnet wird. Wir sehen das auch als Aus- sind, wenn wir in die Substanz eingreifen. Als Parla- druck von Fürsorge und Verantwortung gegenüber ment müssen wir sicherstellen, dass unsere Bundeswehr unseren Einsatzkräften. erstens ihren verteidigungspolitischen Auftrag erfüllen kann, Verehrter Kollege Brinkmann, lassen Sie sich von Ihren Kollegen aus dem Verteidigungsaus- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Am Hindu- schuss aufklären: Dies war ein gemeinsamer An- kusch?) 2802 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

– auch am Hindukusch –, zweitens die Verpflich- Johannes Kahrs (SPD): tungen im Bündnis wahrnehmen kann, drittens den Man muss zumindest darauf erwidern, wenn Transformationsprozess fortführen kann, viertens hier ein bisschen geschwindelt wird. – Den Kolle- den besten Schutz für Leib und Leben unserer gen Jürgen Koppelin lasse ich dabei heute einmal Soldaten insbesondere im Einsatz zur Verfügung aus, auch wenn er der Schuldige ist. hat und fünftens weiterhin ein attraktiver Arbeitge- Der Kollege von der CDU/CSU hat gesagt – je- ber für Wehrdienstleistende, Zeit- und Berufssolda- denfalls habe ich ihn so verstanden –, man habe ten und zivile Mitarbeiter bleibt. nur um 23 Millionen Euro abgesenkt, und das sei Unter Berücksichtigung dieser Aufgaben stelle halb so schlimm. Wir haben in diesem Parlament ich zusammenfassend fest: Die im Haushalt 2010 226 Millionen Euro im Einzelplan on top für den der Bundeswehr zur Verfügung gestellten Mittel Afghanistan-Einsatz beschlossen. Dann hat die können nur als knapp bezeichnet werden. Sie ver- Koalition, und zwar die Haushälter, in einer Nacht- pflichten das Bundesministerium der Verteidigung und-Nebel-Aktion ohne Wissen des Ministeriums, und die Politik zu einer klaren Priorisierung der des Ministers, des Staatssekretärs und der Berich- Projekte. Von höchster Priorität sind dabei die ein- terstatter im Verteidigungsausschuss beschlossen, satzrelevanten Belange. Ich erwarte, dass das Mi- diese Summe zu streichen, und hat das in der Be- nisterium den Konsolidierungsbeitrag so umsetzt, reinigungssitzung gegen die Stimmen der SPD zu- dass die Einsparungen auf keinen Fall die sich im lasten der Truppe durchgesetzt. Dass Sie das eine Einsatz befindenden Soldaten treffen. Sie brau- mit dem anderen verrechnen, ist ein bisschen un- chen die gesamtverfügbare Unterstützung des redlich. Die Truppe hätte auf jeden Fall die Gelder, BMVg und dieses Hauses. Wer Soldaten in den die für den Einsatz in Afghanistan bestimmt waren, Einsatz entsendet, muss ihnen auch die notwendi- bekommen. gen Mittel zur Verfügung stellen. Das ist eine klare Sie haben die 450 Millionen Euro herausge- Haltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. nommen, die der Minister bzw. der Staatssekretär (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aus dem laufenden Haushalt einsparen muss. Sie sollten als Haushälter dann zumindest das, was Ich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Minister zu Sie gegen die eigenen Fachpolitiker von CDU/CSU Guttenberg, sehr dankbar dafür, dass Sie als Ver- und FDP beschlossen haben, ehrlich eingestehen. teidigungsminister zu jeder Zeit hinter unseren Hier sind gegen jede Gepflogenheit 450 Millionen Soldaten stehen. Unsere Soldaten leisten täglich Euro aus dem laufenden Etat des Bundes- einen schwierigen und gefährlichen Dienst zum ministeriums der Verteidigung gestrichen worden. Wohle Deutschlands. Sie verdienen den Rückhalt Der Minister konnte dazu gar nicht Stellung neh- des gesamten Deutschen Bundestages. men, weil er nicht wusste, wie er damit umgehen Vielen Dank. soll. Er kann schließlich nicht in laufende Verträge eingreifen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Otte hat eben beklagt, dass Fahrzeuge Vizepräsidentin Petra Pau: vom Typ Gepard und Marder stillgelegt werden Bevor ich das Wort zu einer Kurzintervention er- müssen. Das ist wirklich nicht schön. Aber das hat teile, möchte ich aus § 27 Abs. 2 unserer Ge- damit gar nichts zu tun. Die 450 Millionen Euro schäftsordnung zitieren, damit wir dann eine Ver- kommen nun on top. Das, was da gewesen ist, ist abredung für den weiteren Verlauf unserer Debatte noch gar nichts im Vergleich zu dem, was jetzt haben: kommt. Herr Otte, Sie haben das nicht zu verant- worten, wohl aber die Kollegen im Haushaltsaus- Im Anschluss an einen Debattenbeitrag kann schuss, die das unabgestimmt beschlossen haben. der Präsident Ich finde, man muss deshalb zumindest im Parla- – ich füge hinzu: die Präsidentin – ment sagen, warum man Geld aus laufenden Ver- trägen streicht, wohl wissend, dass es nicht geht. das Wort zu einer Zwischenbemerkung von höchstens drei Minuten erteilen; der Redner Wir alle haben doch den Wehrbeauftragten ge- darf hierauf noch einmal antworten. hört. Wir wissen um die Mängel bei der Sanitäts- truppe. Wie sollen die behoben werden, wenn Das heißt – das entspricht auch unserer Praxis nicht durch Geld? Das Geld ist gestrichen worden, und Verabredung –, es gibt kein Grundrecht auf die Bundeswehr ist geschröpft worden, das Elend Kurzinterventionen, wenn Zwischenfragen durch in diesem Jahr wird groß, und Sie werden das er- den Redner nicht erlaubt werden. klären müssen, obwohl ich zugebe, dass die Kol- Kollege Kahrs, ich erteile Ihnen daher heute das legen im Verteidigungsausschuss dafür nicht zu- letzte Mal das Wort zu einer Kurzintervention im ständig waren und es nicht zu verantworten haben. Verlauf dieser Debatte. Trotzdem werden Sie das in Ihrer Partei und Ihrer Koalition klären müssen. So kann man weder mit (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Die SPD der Opposition noch mit der Bundeswehr umge- muss ihm doch den Etat zurückgeben!) hen, vor allen Dingen nicht, wenn man ständig die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2803

Soldaten und ihren Einsatz lobt. Wenn man ihnen Lassen Sie mich zum ersten ernsten Thema gleichzeitig das Geld wegnimmt, das notwendig kommen: zum Haushalt. Dazu wurde schon viel wäre, damit sie ihren Einsatz vernünftig durchfüh- gesagt. Herr Kollege Otte, ich erinnere mich noch ren können, ist das unredlich. gut an Rot-Grün und Ihre Kritik daran, wie knapp der Bundeswehretat ist. Wir haben zusammen vier (Beifall bei der SPD) Jahre Verantwortung getragen, und wir waren uns immer einig: Dieser Bundeswehretat ist auf Kante Vizepräsidentin Petra Pau: genäht. Das heißt, sobald man hier weitere Stell- Bitte. schrauben anzieht, geht es an die Substanz.

Henning Otte (CDU/CSU): (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wieso hat denn die SPD Kürzungsanträge eingebracht?) Kollege Kahrs, ich verwahre mich gegen den Vorwurf, geschwindelt zu haben. Ich glaube, ich Wir waren uns einig in den letzten Jahren, dass habe sehr offen gesagt, dass Einsparungen voll- das nicht solide sein kann. zogen worden sind und dass diese uns Verteidi- Wir erinnern uns, wie Peter Struck mit solchen gungspolitikern das Leben nicht leichter machen. Themen umgegangen ist. Ich bekenne mich aus- Ich weise aber auch darauf hin, dass Verteidi- drücklich dazu. Bei knappen Kassen werden die gungspolitik insbesondere im Selbstverständnis Bäume sicherlich nicht in den Himmel wachsen. des Verteidigungsausschusses eine gemeinsame Das gilt auch für den Bundeswehretat. Dass aber Aufgabe ist. Ich habe ganz klar gesagt, dass wir in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, ohne Absprache eine Priorisierung verlangen und dass die einsatz- mit den Fachpolitikern relevanten Belange zuallererst zufriedengestellt werden müssen. Die zusätzlichen 437 Millionen (Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Ge- Euro für den einsatzbedingten Sofortbedarf sind nau das ist der Punkt!) ein Ausdruck davon. und ohne dass der Minister einbezogen wird, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 456 Millio-nen Euro bei einer Armee im Einsatz einfach ratzfatz weggestrichen werden, dass Ver- Vizepräsidentin Petra Pau: pflichtungsermächtigungen erst vor wenigen Stun- Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold für die den nach einem mehr oder weniger giftigen SPD-Fraktion. Schriftverkehr zwischen zwei Staatssekretären ge- klärt wurden und die jetzt auch noch auf den Ein- (Beifall bei der SPD) zelplan 14 gelegt wurden, das hätten unsere Haushälter – das sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen Rainer Arnold (SPD): und Kollegen vor allem von der CDU – mit uns Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- Fachpolitikern nicht gemacht, weil wir anders mit- gen! Bisher haben alle Minister und Ministerinnen einander umgehen, und auch mit Minister Struck der Bundesregierung hier in den Haushaltsbera- hätte das kein Parlamentarier gemacht. tungen das Wort ergriffen. Sie, Herr Minister zu Guttenberg, pflegen das Image, jemand zu sein, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der gern Klartext redet. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE Nun werden hier merkwürdige Beispiele ge- nannt. Das finde ich schon bemerkenswert. Herr GRÜNEN]: Jetzt kann man „Klartext Koppelin, Sie sagen, für Herkules gebe es nicht schweigen“ hinzufügen!) mehr Geld, aber Sie wollten, dass die Soldaten al- Es gäbe viele Themen, die schwierig und ernst sind – les haben, was sie brauchen. Wenn Sie Herkules Wehrpflicht, Haushalt, Bericht des Wehrbeauftragten nicht seriös aufs Gleis setzen, dann gehen Sie zu und manches andere mehr –, über die Sie heute reden den Soldaten und sagen ihnen, dass sie kein Tele- könnten. Immer wenn es ernst und schwierig ist, wenn fon, keinen Computer und kein Netzwerk mehr ha- es nicht darum geht, Überschriften zu produzieren, son- ben! Das ist die Konsequenz. Dass Herkules mehr dern darum, substanzielle Debatten zu führen, dann tau- Geld braucht, hat – das werden Sie feststellen, chen Sie ab. Das tun Sie auch heute Nachmittag. Das wenn Sie sich wirklich damit befassen – in erster finde ich deshalb sehr schlimm, weil wir spüren – der Linie etwas damit zu tun, dass es bei der Bundes- Bericht des Wehrbeauftragten sagt das deutlich –, dass wehr eine desolate Infrastruktur gab – das ist un- die Fragen in der Truppe sehr ernsthafte und drängende strittig –, die Rot-Grün übernommen hat, ja dass sind. Es gibt auch Verunsicherungen in der Truppe. nicht einmal geklärt werden konnte, welche techni- Die Bundeswehr bräuchte jetzt einen Minister, der in sche Infrastruktur im EDV-Bereich bei der Bun- einer solchen Situation auch vor diesem Haus Orientie- deswehr vorhanden ist. Das stellt man erst jetzt rung gibt, statt zu irritieren. Das ist das Problem im Au- peu à peu fest. Dies ist die Wahrheit; dies sind die genblick. Es ist nicht in Ordnung, dass Sie, Herr Minis- Fakten. ter, heute kneifen. So muss das zwangsläufig interpre- tiert werden. 2804 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Vizepräsidentin Petra Pau: ger Kitaplätze und weniger Polizisten auf den Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfra- Straßen. Die Soldaten in der Bundeswehr wissen ge des Kollegen Koppelin? natürlich, dass schwacher Staat darüber hinaus bedeutet: weniger Verantwortung für die Frauen Rainer Arnold (SPD): und Männer, die bei der Bundeswehr ihren Dienst Sehr gerne. tun. (Beifall bei der SPD) Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Eines ist klar: Mit diesem Haushalt, Herr Minis- Herr Kollege Arnold, ist Ihnen der Beschluss aus ter, übernehmen Sie die Verantwortung für Mängel der Zeit der Großen Koalition bekannt? Initiator wie die fehlenden geschützten Fahrzeuge, die feh- war der Kollege Kahrs; alle Fraktionen im Haus- lenden Wartungsstunden, die fehlenden Flugstun- haltsausschuss haben zugestimmt. Es ging um die den, die fehlenden Übungsmöglichkeiten. Dies Bonizahlungen bei Herkules und um ein paar an- muss man ganz deutlich sagen. dere Punkte. Im Haushaltsausschuss wurde der Beschluss gefasst: Wenn die Dinge nicht geklärt Lassen Sie mich ein weiteres Thema anspre- werden, steigen wir aus Herkules aus. Daran halte chen. Es ist eine Debatte über die Wehrpflicht ich mich nur. aufgeflammt. Der Minister hat die Randbemerkung gemacht, dass die Verkürzung der Wehrpflicht Rainer Arnold (SPD): rückwirkend ab Oktober gelten soll. Eine Debatte Diese Bonizahlungen sind geklärt. darüber, was das wirklich bedeutet, wird aber nicht geführt, weder hier noch im Verteidi- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Nein, sie gungsausschuss. So dürfen wir mit diesem Thema sind nicht geklärt!) nicht umgehen. – Langsam. – Wo der Kollege Kahrs recht hat, hat (Beifall bei Abgeordneten der SPD) er recht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage Ein Management muss eigentlich daran gemessen des Kollegen Otte zulassen? werden, ob die Telefone und die Computer an den Arbeitsplätzen möglichst gut funktionieren. Dafür sollen Manager Boni bekommen und nicht für ei- Rainer Arnold (SPD): nen betriebswirtschaftlichen Ertrag, der umso hö- Gerne. her ist, je weniger sie liefern. Kahrs hat recht: Die- se Art Bonizahlungen ist völlig inakzeptabel. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Einstimmig!) Das habe ich als Verteidigungspolitiker übrigens Henning Otte (CDU/CSU): erst vor wenigen Tagen wieder mit Vertretern des Lieber Kollege Arnold, Sie haben den Brief des Managements besprochen. Sie sagten: Es gibt Inspekteurs des Heeres gelesen. Stimmen Sie mit nicht mehr Geld. Ich sage Ihnen: Ohne mehr Geld mir überein, dass sich die Flugstunden auf die BO im IT-Bereich – egal wohin es fließt – werden die und auf die Bell, die nicht im Einsatz sind, und Soldaten nicht das haben, was sie brauchen. nicht auf die CH bezogen haben? (Beifall bei der SPD) Rainer Arnold (SPD): Herr Kollege Otte – Sie sind doch Fachpolitiker Es gilt für alle Flugzeugtypen, Herr Kollege, –, die Reduzierung der Flugstunden als ruhmrei- dass sie sich nach NATO-Standards im Grenzbe- che Einsparung zu bezeichnen, ist abenteuerlich. reich befinden. Das gilt für die CH-53, für die BO Nach NATO-Standards sind wir schon jetzt zah- und für die Bell. Es gilt für die geflügelten Flugzeu- lenmäßig an der Grenze. Im Hinblick auf einen ve- ge. Es ist ganz klar: Die Reduzierung des Haus- rantwortbaren Umfang an Übungsmöglichkeiten für halts – der größte Teil entfällt auf Personalkosten; Piloten gibt es keinen Spielraum nach unten mehr; man ist an laufende Verträge gebunden – geht schließlich geht es um eine Armee im Einsatz, die zwangsläufig zulasten der Betriebskosten, und die in Kunduz mit ihren Hubschraubern im Staub lan- Flugstunden sind ein wichtiger Faktor bei den Be- den muss und mehr üben müsste als in der Ver- triebskosten. 456 Millionen Euro weniger nehmen gangenheit. Ihre Auffassung kann also wirklich den Piloten zusätzliche Möglichkeiten, schränken nicht richtig sein. sie also ein. Ich bitte Sie, das Problem nicht Was wir bei dieser Kürzungsorgie erleben, ist schönzureden. Das ist ein ernstes Problem. ein Vorgeschmack auf die FDP-Ideologie – das (Beifall bei der SPD) wird in den nächsten Jahren noch deutlicher wer- den –: Steuersenkungen zugunsten weniger – das ist klar –, ein schwacher Staat. Das bedeutet weni- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2805

Lassen Sie mich auf die Wehrpflicht zurück- Schließlich verspielen Sie auch eine Chance. kommen. Herr Minister zu Guttenberg sagte dazu, Ich glaube, die Wehrpflicht braucht einen breiten die Opposition habe kein Konzept. gesellschaftlichen Konsens. Das ist ganz wichtig. Deshalb möchte ich Ihnen dringend raten: Bevor (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Da hat er Sie diesen Murks, der auf die Kappe der FDP geht, recht!) jetzt auch noch öffentlich verteidigen und als gut Ich möchte auf drei Probleme hinweisen: darstellen, gehen Sie lieber auf die Opposition, vor allen Dingen auf die Sozialdemokraten, die eine Erstens. Mit Ihrem Ansatz, die Wehrpflicht auf ernsthafte Alternative entwickelt haben, zu und sechs Monate zu reduzieren und eine achtwöchi- lassen Sie uns nach einem Weg suchen, der die ge Schnellbleiche durchzuführen, lösen Sie keines gute Idee der Wehrpflicht mit den Anforderungen der Probleme, die mit der Wehrpflicht verbunden aufgrund der Veränderungen in der Sicher- sind. Ein einfaches Weiter-so bei der Wehrpflicht heitspolitik kompatibel macht. Wir sind dazu bereit. ist nicht angesagt. Dann gäbe es Probleme, zum Beispiel mit der Dienstgerechtigkeit. Minister Jung (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Ale- hatte zu Recht Angst vor dem Verfassungsgericht xander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und hat deshalb viel mehr Wehrpflichtige eingezo- NEN]) gen, als eigentlich geplant war. Sie erhöhen diese Das nächste ernsthafte Thema, bei dem ich ei- Zahl gar nicht signifikant. Dieses Problem lösen gentlich gehofft hatte, heute etwas dazu zu hören, Sie also nicht wirklich. ist nach wie vor das Thema Kunduz. Wir wollen Zweitens. Natürlich empfinden die jungen Men- das hier nicht vertiefen. Aber eines möchte ich schen – ihre Lebenswelt hat sich stark verändert, schon noch einmal in Erinnerung rufen, Herr Minis- was Ausbildungs- und Studienplätze sowie die Be- ter. Die Kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung rufswelt insgesamt angeht – die Einzugspraxis als gesagt: nicht gerecht, sondern als eher zufällig. Das ist ein Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls … ist ernsthaftes Problem. für mich und die ganze Bundesregierung ein Das dritte Problem ist die Frage der Legitimität Gebot der Selbstverständlichkeit. Die Bun- der Wehrpflicht. Sie begründet sich laut unserer deswehr wird mit allen zur Verfügung stehen- Verfassung ausschließlich aus der Verteidigung den Kräften genau dazu beitragen. des Landes, zwar nicht unbedingt an den Grenzen, Wenige Tage nach diesem Abwurf der Bomben hat aber es muss sich eben um Verteidigung des Lan- die Bundesregierung die interne Aufklärung des des handeln. Davon ist doch stringent abzuleiten, Vorfalls gestoppt unter Berufung auf die Argumen- dass es bei dem, was Wehrpflichtige bei der Bun- tation, es gebe ja die NATO- und ISAF- deswehr in der Grundausbildung lernen und was Untersuchungen. Diese ISAF-Untersuchung liegt sie da nachher tun, um soldatische Fähigkeiten jetzt seit viereinhalb Monaten auf dem Tisch. Sie und Fertigkeiten im engeren Sinne gehen muss. haben weder weitere eigene nationale Unter- Jetzt erzählen Sie mir einmal, wie diese in acht suchungen in Auftrag gegeben, noch hat die Bun- Wochen vermittelt werden sollen. Es wird vielmehr desregierung den Vorfall so aufgearbeitet, dass sie so sein, dass die jungen Männer nachher in die der deutschen Öffentlichkeit sagen kann, wie sie Schreibstuben geschickt werden, um Fotokopierer ihn nun bewertet. Das ist ein schweres Versäum- und Laptops zu bedienen, oder als Pkw-Fahrer nis. Sie halten die Zusage, dass das aufgeklärt den Oberst durchs Gelände fahren oder im Lager wird, nicht ein. als Logistiker arbeiten. Das werden deren Auf- gaben sein. Das heißt, Sie nehmen, wenn Sie die- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. sen Weg einschlagen, den Menschen, die die Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS Wehrpflicht aus guten Gründen für angesagt und 90/DIE GRÜNEN]) richtig halten, gute Argumente weg. Die Erfüllung dieser Zusage kann man nicht ein- Sie sagen, es gebe keine Alternative. Sozialde- fach dem Untersuchungsausschuss übertragen. mokraten haben eine Alternative vorgelegt. Wir (Zuruf von der CDU/CSU: Wer wollte den wollen bei der gesellschaftlich richtigen Ansage denn?) bleiben: Man kann nicht alles kaufen, und die Wahrnehmung von Verantwortung für Sicherheit in Das ist nicht die Aufgabe des Ausschusses. Er hat unserem Land ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Diese Deshalb halte ich die Wehrpflicht für richtig. Las- Aufgabe nehmen wir im Ausschuss sehr ernst. Da- sen Sie uns zugleich jedoch die Freiwilligendienste rüber werden wir im Ausschuss miteinander noch insgesamt in allen Bereichen so attraktiv gestalten, spannende Gespräche führen. dass auch die Bundeswehr genügend junge Men- Die Bundesregierung muss der deutschen Öf- schen findet, die bereit sind, neun, zwölf oder wie fentlichkeit sagen, was richtig gelaufen ist, was viele Monate auch immer zur Bundeswehr zu falsch gelaufen ist, und vor allen Dingen, welche kommen, und dort gerne ihren Dienst leisten. Konsequenzen daraus gezogen werden. Wenn wir das gut machen, wird das auch gelingen. 2806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. liegen in diesem Ranking ganz weit hinten. Das ist Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS sicherlich nicht immer gerecht. 90/DIE GRÜNEN]) Meine Bitte ist also: Wir müssen mithelfen, die Was um Himmels willen lernt man daraus, wenn so Zweifel, die Verunsicherungen bei den Bundes- etwas Tragisches passiert? Solange Sie keine wehrsoldaten zu zerstreuen – Antworten auf diese Fragen geben, müssen wir doch davon ausgehen, dass solche tragischen Er- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: eignisse immer wieder passieren können. Deshalb Herr Kollege! bitten wir Sie dringend: Klären Sie hier auf! Lassen Sie mich am Ende noch einmal den Rainer Arnold (SPD): Wehrbeauftragten erwähnen. Es gibt, wie ich – ja, ich bin fertig –, glaube, zunächst einmal wirklich keinen Grund, jetzt einen neuen Wehrbeauftragten zu berufen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gut. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rainer Arnold (SPD): Das Parlament hat in den letzten Jahren diesem – indem man ihnen sagt: Eurer Arbeit gebühren Wehrbeauftragten vertraut; das ist überhaupt keine unser Dank und unsere Anerkennung. Frage. Er hat in seinem letzten Jahresbericht auf etwas Wichtiges hingewiesen, nämlich darauf, Herzlichen Dank. dass der Beruf des Soldaten kein Job und kein Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ruf wie jeder andere ist und dass die Soldaten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Respekt und Anerkennung verdienen. Das ist überhaupt kein Thema. Ich glaube, wir Parlamen- tarier müssen alle miteinander aufpassen, dass wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: diese Verunsicherung bei der Truppe, die daher Michael Brand ist der nächste Redner für die kommt, dass sie das Gefühl hat, sie würde nicht Unionsfraktion. genügend Anerkennung finden, nicht noch durch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- unsere eigene Argumentation verstärken. Wir soll- neten der FDP) ten auch nicht immer gleich der Presse auf den Leim gehen, die entsprechende Artikel schreiben Michael Brand (CDU/CSU): will. Fakt ist: Die Verunsicherung in der Bun- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- deswehr ist da, und wir dürfen sie nicht negieren. nen und Kollegen! Es ist jedem hier im Haus wie Wir müssen aber auch den Soldaten ein paar auch allen, die uns zuschauen, sehr bewusst, dass Dinge sagen. Das Erste ist: Kritik am Minister, an der Haushalt 2010 ein besonders schwieriger in der politischen Verantwortlichkeit, ist weder Majes- einem besonders schwierigen Jahr ist. Ich sage tätsbeleidigung noch Kritik an den Soldaten. das auch im Hinblick auf manche Zwischenfragen, Kurzinterventionen und sonstige Äußerungen hier (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS im Plenum: Der Haushalt erfüllt die Grundpflicht, 90/ DIE GRÜNEN – Michael Brand die Bundeswehr mit den notwendigen Mitteln aus- [CDU/CSU]: Wer sagt denn das?) zustatten, und zwar im Sinne der Sicherheit unse- Das Zweite ist ebenso wichtig: Wenn in Deutsch- rer Soldatinnen und Soldaten und im Übrigen auch land viele Menschen den Einsatz in Afghanistan der Sicherheit unseres Landes. kritisch bewerten, ist das ein Zeichen von demo- Lieber Herr Kollege Arnold, lieber Herr Kollege kratischer Kultur. Das heißt noch lange nicht, dass Kahrs, ich sage Ihnen sehr klar: Unterlassen Sie die Menschen der Bundeswehr nicht vertrauen. Sie Ihre Krokodilstränen! Denn eins ist wahr: Das Geld vertrauen ihr trotzdem. Alle Umfragen bestätigen ist knapp. Die SPD hat selbst Einsparungen gefor- dies. Bundeswehr, Polizei und Feuerwehr genie- dert. ßen die höchste Anerkennung in der deutschen Gesellschaft, und das ist gut so. Darauf können die (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es! Da- Soldaten und auch das deutsche Parlament stolz rüber schweigen die!) sein. Lieber Herr Kollege Arnold, das, was Sie gerade über Verunsicherungen gesagt haben, will ich Ih- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nen gerne zurückgeben. Sie versuchen hier, Ver- Herr Kollege! unsicherung zu schüren, indem Sie erstens dem Minister unterstellen, er wolle sich wegducken. Rainer Arnold (SPD): Zweitens war Ihre Strategie in den vergangenen Ich komme zum Ende. – Ich füge als Randbe- Wochen im Untersuchungsausschuss, einen Minis- merkung hinzu: Journalisten und Parlamentarier ter, der erfolgreich ist, der nah bei den Soldaten ist, verantwortlich zu machen für Ereignisse, die vor Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2807 seiner Amtszeit lagen. Hören Sie damit auf, denn (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist einfach zu damit verunsichern Sie Soldaten! kurz und unsinnig! Unverantwortlich!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zehntausende junger Menschen, denen dieser Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dienst jedes Jahr abverlangt wird, können sich si- NEN]: Das kann er doch auch selber sa- cher sein, dass sie mit ihrem Dienst und mit dieser gen!) Ausbildung einen sehr wichtigen Beitrag zur Si- cherheit unseres Landes leisten. Wir als CDU/CSU Zu den generellen Rahmenbedingungen ist be- bleiben dabei: An der Wehrpflicht wird nicht gerüt- reits viel gesagt worden. Zum Verteidigungshaus- telt. Sie ist und bleibt ein legitimer und moderner halt bleibt als zentrale Botschaft festzuhalten: Der Anker der Bundeswehr in der Bevölkerung. Verteidigungsetat ist so sparsam wie möglich und stellt Mittel bereit, wo es nötig ist. Ich würde in den nächsten Minuten gerne auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- einige Punkte eingehen, an denen der Minister in geordneten der FDP – Johannes Kahrs den letzten Tagen und Wochen erfolgreich gear- [SPD]: Das ist doch Unsinn!) beitet und bei denen er gute Ergebnisse erzielt hat. Der dritte Punkt ist das Thema Beschaffung. Beim Haushalt 2010 geht es natürlich auch um die Zu diesem Themenbereich ist festzuhalten, dass Frage: Wie wird eigentlich der nächste Haushalt, wir natürlich wissen, dass in Zeiten knapper Kas- der Haushalt 2011, in schwieriger Zeit aussehen? sen nicht jede Beschaffung möglich ist, die auch Deswegen müssen Prioritäten gesetzt werden, wie wünschenswert wäre. Allerdings – auch das gehört Kollege Otte zu Recht gesagt hat. dazu – gilt nach wie vor der Grundsatz: Was die Der erste Punkt ist die Transformation einer Bundeswehr im Einsatz braucht, das muss sie und Armee im Einsatz. Die Bundeswehr ist seit lan- das wird sie auch weiterhin erhalten. Dass wir gem eine Armee im Einsatz und im Umbruch. Die durch vordringliche Beschaffungsmaßnahmen die Transformation der Bundeswehr bleibt ein komple- passive Schutzfähigkeit unserer Truppe in Afgha- xer Prozess. Wir als CDU/ CSU begrüßen nach- nistan – Stichwort ist hier der Dingo; der Wehrbe- drücklich, dass der Bundesverteidigungsminister auftragte hat dazu einiges in seinem Bericht ge- die Diskussion über die zukünftige Struktur der sagt – während des laufenden Einsatzes kontinu- deutschen Streitkräfte eingeleitet hat, um Effizienz ierlich steigern, ist dabei eine unabdingbare Not- und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für die Zu- wendigkeit. kunft zu sichern. Wir wissen um die Bedeutung der Ich will zum vierten Punkt, zum Thema Afgha- eingesetzten Strukturkommission, und wir bleiben nistan kommen. Lassen Sie mich wegen der Be- als CDU/CSU, Kollege Nouripour, offen für eine deutung dieses Themas einige Anmerkungen ma- sehr intensive Erörterung der Struktur mit allen, die chen. sich der Sicherheit des Landes und der Einsatzfä- higkeit der Bundeswehr verpflichtet fühlen. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist so bedeutend, dass die (Johannes Kahrs [SPD]: Aber kürzen bei den Kanzlerin heute Morgen kein Wort dazu Soldaten um 450 Millionen! Unsäglich!) gesagt hat!) – Herr Kollege Kahrs, manchmal nutzt es auch, Ich möchte zunächst festhalten: Wir tragen als zuzuhören statt nur zu rufen. CDU/ CSU gemeinsam mit der großen Mehrheit (Karin Strenz [CDU/CSU]: Das nützt bei dem des Hauses die Londoner Strategie der Verstär- nichts mehr!) kung militärischer und ziviler Anstrengungen in Af- ghanistan voll mit. Dazu – lieber Herr Kollege Der zweite Punkt ist die Wehrpflicht als Anker. Kahrs, nicht umdrehen und rufen, sondern zuhören Bei der Umsetzung der sechsmonatigen Wehr- – zählt auch der zusätzliche Kostenanteil, den die pflicht können wir erste Vorschläge verzeichnen – Aufstockung unserer Maßnahmen im Vertei- einige waren ja gestern Abend beim Reservisten- digungsetat ausmacht. verband –, was wir sehr begrüßen. Wehrpflichtige sollen eine moderne, intensive und in einem guten (Johannes Kahrs [SPD]: Dem haben wir zuge- Sinne spannende, das heißt inhaltsreiche, Grund- stimmt!) ausbildung durchlaufen. Hier verwenden wir Steuergelder dazu, den Frie- (Johannes Kahrs [SPD]: Sechs Monate sind den in Afghanistan zu erreichen und die Übergabe zu kurz!) der Verantwortung für Afghanistan an die Afgha- nen abzusichern. Das ist eine zentrale Vorausset- Skeptikern, Herr Kahrs, kann mitgeteilt werden: zung dafür, dass wir nach dieser Übergabe unsere Das hat nichts mit Intensivpraktikum oder Aben- Truppen endlich abziehen können. Diesen Abzug teuer zu tun, sondern mit einer intensiven und for- wollen wir allerdings nicht überstürzt, sondern ko- dernden Grundausbildung für einen sehr verant- ordiniert und ehrenhaft vollziehen. Das heißt, wir wortlichen Dienst. wollen die Sicherheit der afghanischen Zivil- 2808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 bevölkerung in den Händen gut ausgebildeter af- Robbe, ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was ghanischer Sicherheitskräfte wissen. Sie in den letzten Jahren geleistet haben und was Sie in dieser Woche angesprochen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich eine weitere offene Bemerkung zu diesem (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der nach wie vor sehr wichtigen Thema deutscher FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sicherheitspolitik machen. Dass der Afghanistan- NEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE einsatz in vieler Hinsicht mehr Opfer gekostet hat, GRÜNEN]: Aber?) als dies zu Beginn abzusehen war, ist inzwischen – Nur die Schlussfolgerungen, Herr Kollege allen klar geworden. Das gilt es, offen anzuspre- Nouripour, sind andere. chen. Ich sage dies auch als Abgeordneter aus ei- nem Wahlkreis, der zu Hause mit den Eltern von Verwundeten und Gefallenen dieses Einsatzes ge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sprochen hat. Dass die Menschen in unserem Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss Land die Lage in Afghanistan als Krieg empfinden, kommen. kann ich gut nachvollziehen. Wenn hier jetzt ein völkerrechtlich anderer Begriff verwendet wird, än- Michael Brand (CDU/CSU): dert dies an der Einschätzung der Menschen Ich komme zum Schluss. nichts. Wenn es also so ist, dass die Menschen die Es geht um das Thema Afghanistan. Der Deut- Bundeswehr in Afghanistan im Krieg sehen, wie sche Bundestag insgesamt ist stolz auf die Frauen sie es sagen, dann hat dies für uns klare Konse- und Männer, die in den Dörfern und Städten Af- quenzen. ghanistans den zivilen Kräften mit ihrem Einsatz Eine Konsequenz ist, dass wir den Bürgern die Schutz bieten und damit die zivile Entwicklung Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes und überhaupt erst möglich machen. Ich empfehle den das Interesse unseres eigenen Landes an diesem Linken, bei dieser Passage besonders gut zuzuhö- Einsatz überzeugend erklären müssen. Ich bin ren. Wir stehen hinter jedem Euro, den wir für die dem Bundesverteidigungsminister sehr dankbar, Frauen und Männer in diesem schweren und ver- dass er diese Aufgabe in vorderster Front über- antwortungsvollen Einsatz bereitstellen. Das wird nimmt. Aber es ist auch die Aufgabe des Parla- auch unter schwierigen Rahmenbedingungen für mentes. Es geht für uns nicht nur darum, die Her- den Haushalt 2011 gelten. zen und Köpfe der Afghanen vor Ort zu gewinnen, (Johannes Kahrs [SPD]: Vielleicht kürzen Sie wie es die Strategie der Londoner Konferenz und dann nicht ganz so viel Geld!) der ISAF vor Ort ist. Es geht auch jeden Tag da- rum, die Zustimmung der Menschen hier zu Hause In diesem Sinne wünsche ich den Soldatinnen und für einen Einsatz und zur Rückenstärkung für un- Soldaten allzeit gute Hand, Sicherheit im Einsatz sere Soldaten zu gewinnen. Auch ist die Initiative und immer eine gesunde Rückkehr. des Bundestages zur Nachbetreuung von kriegs- Vielen Dank. traumatisierten Angehörigen der Bundeswehr ein klares Indiz dafür, dass wir längst bei einer realisti- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schen Bewertung dessen angekommen sind, was sich in Afghanistan abspielt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Omid Nouripour ist der nächste Redner für Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bünd-nis 90/Die Grünen. Herr Brand, möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Nouripour zulassen? Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Michael Brand (CDU/CSU): führen in dieser Woche eine relativ deprimierende Zu ihm will ich jetzt kommen. Deswegen muss Diskussion; es geht um den Haushaltsentwurf. Da er leider zuhören. Er hat vorhin den Wehrbeauf- erfreut man sich natürlich an jeder guten Nachricht, tragten angesprochen. In diesem Zusammenhang und eine gute Nachricht, die mich wirklich sehr ge- will ich sehr deutlich machen, dass alle Fraktionen freut hat, habe ich tatsächlich im Einzelplan 14 ge- diesen Weg nicht nur beschritten haben, sondern funden. Wir hatten im Verteidigungsausschuss die stark unterstützen. Das gilt auch für den Wehrbe- seltene Situation, dass alle Fraktionen Anträge zu auftragten. posttraumatischen Belastungsstörungen ein- gebracht haben. Ich bin sehr froh und glücklich Lieber Kollege Nouripour, wir sollten nicht das und werte es als Zeichen des Dankes und der An- kleine Karo ins Spiel bringen, wenn es um das Amt erkennung für die Arbeit, die die Soldatinnen und des Wehrbeauftragten geht. Ich will an dieser Stel- Soldaten leisten, dass alle Fraktionen allen Anträ- le ausdrücklich sagen, dass der Wehrbeauftragte gen zugestimmt haben. Das ist ein sehr richtiges des Deutschen Bundestages, Herr Robbe, seinen Signal. Möge das so weitergehen. Job ordentlich und gut gemacht hat. Ich denke, das kann man unumwunden so sagen. Lieber Herr Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2809

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju- CDU/CSU, der SPD und der FDP) gend gesagt, das sei nicht abgesprochen und noch nicht ausgemacht. Allerdings habe ich eine zweite Stelle im Einzel- plan 14, bei der ich mich hätte freuen können, Sie haben nebenbei außerdem erklärt, das Kon- nicht gefunden. Wir haben jetzt eine neue Koaliti- zept komme aus Ihrem Hause und Sie seien ent- on, die am Anfang große Versprechungen ge- täuscht, dass die Bundestagsfraktionen nicht da- macht hat, insbesondere der Minister. Die Stich- ran mitgearbeitet hätten. Ein paar Tage vorher ha- worte sind bekannt: große Bundeswehrreform, ben Sie das Angebot gemacht, dass wir uns mit Verkürzung des Wehrdienstes, bessere Ausstat- dem Generalinspekteur über genau diese Frage tung – das ist schon mehrfach genannt worden –, unterhalten können. Wir haben dieses Angebot Transparenz und eine klare Sprache. Es ist aber dankend angenommen. Das Gespräch fand ges- nur eines klar: Das alles gibt es zumindest derzeit tern statt und war sehr offen und konstruktiv. Herz- noch nicht. Herr Minister, Sie wissen, dass wir kei- lichen Dank dafür. Ich weiß nicht, wann wir das ne Probleme damit haben, Sie zu loben, wenn Sie hätten einbringen sollen, was Sie von uns einge- Gutes tun. Aber bisher kenne ich nur Ankündigun- fordert haben. Sie haben quasi zeitgleich gesagt: gen. Sie sind der Ankündigungsminister in diesem Bringt euch ein! Das Konzept ist fertig. Ihr habt Kabinett. Konkretes gibt es bisher nicht viel. euch nicht eingebracht. Das Konzept kommt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Das Konzept ist nicht da. Ich habe das Konzept DIE GRÜNEN) nicht, das Parlament hat das Konzept nicht, und ich bin sehr gespannt, wie Sie das mit dem Beispiel Bundeswehrreform. Im Koalitionsver- 1. Oktober 2010 hinbekommen wollen. Jedenfalls trag steht, dass es Strukturveränderungen in Or- hat das mit Transparenz und Klarheit nichts zu tun. ganisation, Führung und Verwaltung geben wird; das ist recht umfangreich. Sie haben gesagt, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und es keine Tabus geben wird. Im Koalitionsvertrag bei der SPD) steht, dass Vorschläge dazu bis Ende 2010 kom- Es hat auch nichts mit Informationspolitik zu men werden. Ich habe im Februar nachgefragt, wie tun, wenn es in Afghanistan eine Task Force 47 es denn aussieht. Die Antwort des Hauses ent- gibt, von der wir aus der Presse erfahren, es dann sprach dem Text aus dem Koalitionsvertrag, nur eine Unterrichtung gibt, in der uns erläutert wird, ein bisschen umgeschrieben. Wenn Sie Ihren Zeit- was dort eigentlich geschieht, dann über die Pres- plan tatsächlich einhalten wollen, werden Sie Ende se neue Details bekannt werden und es eine neue dieses Jahres erheblich ins Schwitzen kommen Unterrichtung gibt, in der uns bestätigt wird, was in und noch einiges an Tempo zulegen müssen, Herr der Presse steht. Es ist eigentlich nur ein hinter Minister. den Ankündigungen in der Presse Herrennen. Beispiel Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Auch das hat mit Transparenz und Klarheit nichts Monate. Das ist besonders spannend, und zwar mehr zu tun. nicht nur, weil wir Grüne der Meinung sind, dass Zur Beschaffung hat Kollege Bonde einiges die Wehrpflicht abgeschafft gehört, weil sie mit den gesagt. Herr Kollege Brand, Ihr Hinweis, dass wir Sicherheitsanforderungen des 21. Jahrhunderts alles für die Soldatinnen und Soldaten tun müssen, und mit Wehrgerechtigkeit überhaupt nichts mehr damit diese effizient arbeiten können, ist richtig. Ich zu tun hat, sondern vor allem deswegen, weil das will nur darauf hinweisen, dass die knapp 40 aus- so, wie Sie es machen wollen, überhaupt keinen gemusterten Schutzfahrzeuge vom Typ Dingo in Sinn ergibt. Afghanistan bisher nicht ersetzt worden sind, weil (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Mittel fehlen. Jetzt überlegen Sie einmal, wie viele Hundert Dingos man von den Zusatzkosten, Frau Hoff hat in einer Diskussion sinngemäß er- die für den A400M ausgegeben worden sind, hätte klärt: Ihr müsst das verstehen. Wir konnten uns beschaffen können. Was derzeit passiert, hat mit nicht durchsetzen. Also haben wir das Modell ge- dem Konzept „Vom Einsatz her denken“, mit einer wählt, das am ehesten dazu führt, dass die Union angemessenen Beschaffung von Material für Sol- begreift, dass die Wehrpflicht keinen Sinn mehr datinnen und Soldaten und deren Schutz nichts zu hat. Dann wird sie am Ende ohnehin abgeschafft tun. werden. – Das ist Subversion, und Subversion ge- hört nicht auf die Regierungsbank. (Zuruf von der FDP: Wollt ihr den Transpor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ter?) des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Herr Robbe hat einen Bericht vorgelegt, in dem er viele Mängel genannt hat. Einige Mängel liegen Herr Minister, Sie haben am Anfang dieser Wo- schon länger vor – das ist bedauerlich –, aber ich che angekündigt, das Konzept sei fertig und werde kommen. Heute haben Sie gesagt, die Einführung bin sehr froh, dass Sie beharrlich geblieben sind und nicht aufgegeben haben. Es fehlen Ärzte und von W6 werde auf Oktober vorgezogen. Um 14.30 Uhr hat der Pressesprecher des Bundesmi- Piloten. Es gibt einiges zu tun. Herr Minister, wir würden uns wahnsinnig freuen, und wir verspre- 2810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 chen weiterhin jede Unterstützung, wenn Sie sich oft nicht robust genug ausgestattet, um gegen Auf- dieser Themen annehmen. Wenn Sie nicht nur An- ständische und Terroristen vorzugehen. kündigungen machen, sondern auch konkrete Viele unserer Partnerstaaten in der Europäi- Schritte vornehmen, dann haben Sie uns auf Ihrer schen Union lösen diese Aufgabe mit Seite. Sonst können wir nur feststellen, dass es bei Gendarmerieeinheiten. Nicht, dass ich danach ru- Ankündigungen bleibt. Das hat mit Klarheit und fen wollte, aber wir müssen ernsthaft überlegen, Transparenz nichts zu tun. Fähigkeiten vorzuhalten, um Aufgaben einer Gen- Herzlichen Dank. darmerie erfüllen zu können. Ob das eine Spezial- einheit der Bundespolizei sein sollte oder ob man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Funktion der Feldjäger erweitern sollte, mag bei der SPD) dahingestellt sein. Wir müssen uns der Aufgabe als solcher annehmen. Im Übrigen bin ich der Mei- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nung, dass jede Entsendung von Militär und von Thomas Silberhorn hat das Wort für die Polizei ins Ausland durch den Deutschen Bundes- CDU/CSU-Fraktion. tag mandatiert werden sollte. Auch darüber sollten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir nochmals nachdenken. Ich begrüße es, dass die Bundesanwaltschaft Thomas Silberhorn (CDU/CSU): vor wenigen Tagen zu dem Zwischenergebnis ge- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen langt ist, dass es sich in Afghanistan um einen und Herren! Der Verteidigungshaushalt bestimmt nicht internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne maßgeblich mit, wie wirksam wir unseren internati- des Völkerstrafgesetzbuches handelt. Die Gene- onalen Verpflichtungen nachkommen können. Die ralbundesanwaltschaft teilt damit die Bewertung, Bundeswehr kann nur so leistungsfähig sein, wie die bereits Bundesminister zu Guttenberg und die es der Haushalt zulässt. Der Haushalt 2010 ist ab- Bundesregierung vorgenommen haben. Damit solut auf Kante genäht. müssen Angehörige der Bundeswehr, die im Aus- (Johannes Kahrs [SPD]: Von euch selber!) landseinsatz unsere Aufträge ausführen, nicht län- ger befürchten, dass ihr Verhalten in bewaffneten Wir sind mittlerweile an einem kritischen Punkt an- Konflikten auf der Grundlage des deutschen Straf- gelangt, an dem wir uns ernsthaft die grundsätzli- gesetzbuches beurteilt wird. Für genau diesen che Frage stellen müssen, welche verteidigungs- Zweck gibt es das Völkerstrafgesetzbuch. Es ist politischen Ziele wir künftig verfolgen wollen und gut, dass es jetzt zur Anwendung kommen kann. welche Streitkräfte wir dazu brauchen. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Jedem dieser Auslandseinsätze liegt ein Mandat Ich glaube auch, dass es ein wichtiger Fort- des Deutschen Bundestages zugrunde. Die Solda- schritt wäre, wenn wir unseren Koalitionsauftrag tinnen und Soldaten sind deshalb in den Einsät- dahin gehend erfüllen würden, eine zentrale Zu- zen, weil wir sie dorthin entsenden. Deswegen ist ständigkeit der Justiz zu schaffen, um Straftaten es unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass von Soldaten im Auslandseinsatz zu verfolgen. sie bestmöglich ausgerüstet und ausgestattet sind. Das müssen wir zeitnah angehen. Es kann nicht angehen, dass bei Ermittlungen gegen Soldaten Nicht nur mit Blick auf den vorliegenden Haus- viel Zeit verstreicht und sich Strafverfolgungsbe- halt stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung hin hörden monatelang in komplizierte militärische zu einer Armee im Einsatz mit all den damit ver- Sachverhalte einarbeiten müssen. Ich weise darauf bundenen Konsequenzen tatsächlich schon voll- hin, dass Bayern diesbezüglich vorangegangen ist zogen worden ist. Ausrüstung und Ausstattung der Bundeswehr müssen sich an den Einsatzerforder- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nissen orientieren und nicht umgekehrt. Anders NEN]: Das ist einer der Gründe, warum würden wir unserer Verantwortung als Parlamenta- wir dagegen sind!) rier für die Soldatinnen und Soldaten im Aus- und zum 1. März dieses Jahres die Staatsanwalt- landseinsatz nicht gerecht. schaft in Kempten mit der Wahrnehmung aller Eine Lehre aus den bisherigen Auslandseinsät- Strafverfolgungsverfahren gegen Soldaten im Aus- zen der Bundeswehr ist, dass die Aufgabe, in in- landseinsatz beauftragt worden ist. Nachahmung stabilen Regionen selbsttragende Sicherheits- ist empfohlen. strukturen zu schaffen, an Bedeutung gewinnt. Lassen Sie mich zur Debatte über die Wehr- Das gilt für die Piratenbekämpfung am Horn von pflicht Stellung nehmen. Die Verkürzung der Afrika und ebenso für Afghanistan. Ich meine, dass Wehrdienstzeit von neun auf sechs Monate ist ein wir eine echte Fähigkeitslücke haben. Die Ausbil- zentrales Vorhaben aus unserem Koalitionsver- dung lokaler Polizeikräfte vor Ort gehört nicht zu trag. Wir halten an der allgemeinen Wehrpflicht den Kernkompetenzen der Feldjäger der Bun- fest, weil sie die gesellschaftliche Verankerung der deswehr, und internationale Polizeieinheiten sind Bundeswehr sicherstellt und weil es so gelingt, qualifizierten Nachwuchs für die Bundeswehr zu Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2811 gewinnen. Bereits heute werden über 40 Prozent Sonst macht das doch keinen Sinn! Das der Berufs- und Zeitsoldaten durch den Wehrdienst ist doch langsam absurd!) für die Bundeswehr gewonnen. Das streben wir Wenn wir mehr Flexibilität im Interesse der auch für den sechsmonatigen Wehrdienst an. Wehrdienstleistenden schaffen können, dann soll- (Johannes Kahrs [SPD]: Wie ist das mit ten wir auch den Mut aufbringen, mehr Flexibilität der verfassungsmäßigen Grundlage? Hat für die Zivildienstleistenden zu schaffen; denn es nichts damit zu tun?) liegt im Interesse der Zivildienstleistenden, die den Wehrdienst nicht ableisten wollen, angemessene Wir werden hinsichtlich der Wehrgerechtigkeit Beschäftigungsverhältnisse zu bekommen. Des- übrigens eine spürbar bessere Situation bekom- wegen plädiere ich dafür, dass wir die Option men; denn wir werden mit W6 mehr Wehrpflichtige schaffen, den Zivildienst auf zwölf Monate zu ver- einziehen können. Auch die demografische Ent- längern. wicklung wird die Situation bei der Wehrgerechtig- keit deutlich verbessern. Ziel muss es sein, den (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist kein Wunschkonzert! Wehrdienst so auszugestalten, dass er für die Das ist Bundeswehr! Wehrpflicht!) Bundeswehr, aber auch für die Wehrpflichtigen ein Wenn wir bedenken, dass wir viele Freiwilligen- echter Gewinn ist. Ich möchte einige Kriterien dafür dienste haben, bei denen junge Leute von sich nennen. aus ein Jahr im Freiwilligen Sozialen Jahr oder im Ich glaube, dass es besonders wichtig ist, dass Freiwilligen Ökologischen Jahr verbringen, dann ist dieser Wehrdienst in der Truppe stattfindet und es, glaube ich, angebracht, diese Freiwilligendiens- nicht in separaten Einheiten. Wir müssen nach der te besser auf den zivilen Ersatzdienst anzurech- Grundausbildung dafür sorgen, dass die Wehr- nen. dienstleistenden in einer Funktion bei der Truppe (Johannes Kahrs [SPD], an die CDU/CSU eingesetzt werden. gewandt: Der soll Zivildienstbeauftragter (Johannes Kahrs [SPD]: In sechs Monaten! werden!) Hurra!) Ich denke insbesondere an unser Programm Ich würde es begrüßen, wenn es gelänge, mehr „weltwärts“ auf dem Gebiet der Entwicklungszu- berufsrelevante Elemente in die Ausbildung zu sammenarbeit. übernehmen. (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Johannes Kahrs [SPD]: Sechs Monate!) NEN]: Da habt ihr doch gerade gekürzt!) Ich rege an – ich bitte die Kolleginnen und Kol- Wenn man ein weitgefasstes Sicherheitsverständ- legen aus meiner Fraktion um Nachsicht, weil das nis vertritt, dann ist auch eine Tätigkeit in der Ent- eine sehr persönliche Bemerkung ist, die nicht ab- wicklungspolitik in unserem sicherheitspolitischen gestimmt ist –, die Situation der Wehrdienstleis- Interesse. Deswegen plädiere ich dafür, diese tenden, die zum 1. Juli eines Jahres eingezogen Dienste beim Zivildienst, beim Wehrdienst besser werden, nochmals zu überdenken. Nach sechs als bisher anzuerkennen. Monaten beenden sie ihren Wehrdienst, also zum (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ende des Jahres, und haben dann gegebenenfalls, Zuruf von der LINKEN: Deshalb kürzen wenn sie erst zum Wintersemester ein Studium Sie jetzt die Mittel? – Omid Nouripour aufnehmen können, eine neunmonatige Wartezeit [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt habt zu überbrücken. Natürlich kann man denen anbie- ihr das Programm gekürzt! Was ist eigent- ten, freiwillig länger zu dienen. Ich glaube aber, lich Sache? – Johannes Kahrs [SPD], an dass es eine sinnvolle Lösung wäre – das würde die CDU/CSU gewandt: Erkläre ihm doch ich bevorzugen –, in diesen Fällen den Wehrdienst mal einer die Wehrpflicht!) zu splitten: im ersten Jahr eine dreimonatige Grundausbildung, Herr Bundesminister, wenn es gelingt, dass die Neuordnung, die Umstellung auf einen sechsmo- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- natigen Wehrdienst, zeitgleich vonstatten gehen NEN]: Aber er ist dann doch nur zwei Mo- kann mit der Wehrstrukturkommission, die jetzt ih- nate!) re Arbeit aufnimmt und bis Ende des Jahres Vor- die die Aufnahme des Studiums noch im gleichen schläge vorlegen soll, dann wird ein stimmiges Jahr ermöglicht, und in den Semesterferien des Konzept daraus, nächsten Jahres die zweite Hälfte. (Johannes Kahrs [SPD]: Was sagt der Gene- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ralinspekteur zu so einem Unsinn?) Johannes Kahrs [SPD]: Dann schafft sie an dessen Umsetzung man sich zu Beginn des doch ab! Dann schafft den ganzen Krem- nächsten Jahres machen kann. Also zeitgleich: pel doch ab! Das ist ja unglaublich! Wir Wehrstrukturkommission und sechsmonatiger brauchen mindestens neun Monate! Wehrdienst. Ich glaube, das wäre der richtige Weg. 2812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE – Drucksache 17/983 – GRÜNEN]: Wenn Sie weiter daran Überweisungsvorschlag: herumstümpern, bringt es auch nichts!) Haushaltsausschuss (f) Rechtsausschuss Wir haben noch einige Wochen darüber zu dis- Ausschuss für Arbeit und Soziales kutieren. Aber ich glaube, wir werden sehr zügig zu b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LIN- Lösungen kommen. KE (Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt zerschießt Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda schon die CSU das Konzept vom CSU- setzen – Freihandelsabkommen EU-Kolum- Minister!) bien stoppen Ich freue mich, dass der Bundesminister die nöti- – Drucksache 17/1015 – gen Initiativen ergriffen hat, um zügig zu Lösungen Überweisungsvorschlag: zu kommen, die im Interesse der Zivil- und Wehr- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe dienstleistenden liegen. (f) Auswärtiger Ausschuss Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LIN- Ich schließe die Aussprache. KE Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Den Schienenverkehr als sichere Verkehrs- plan 14, Bundesministerium der Verteidigung, in form erhalten und stärken der Ausschussfassung. – Drucksache 17/1016 – Hierzu liegen Änderungsanträge vor. Über diese Überweisungsvorschlag: stimmen wir zuerst ab. Wer stimmt für den Ände- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache Rechtsausschuss 17/1024? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustim- Hierbei handelt es sich um Überweisungen im mung durch die einbringende Fraktion. Die Frakti- vereinfachten Verfahren ohne Debatte. on Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Alle anderen haben dagegen gestimmt. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Frakti- schüsse zu überweisen. Damit sind Sie einver- on Die Linke auf Drucksache 17/1025? – Wer standen? – Dann sind die Überweisungen so be- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Ände- schlossen. rungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. Zugestimmt hat die einbringende Fraktion. Alle übrigen haben Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte IV a bis l dagegen gestimmt. Enthaltungen gab es keine. auf. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abge- hen ist. ordneten Klaus-Peter Willsch und Dr. h. c. Jürgen Koppelin auf Drucksache 17/1076? – Wer stimmt Tagesordnungspunkt IV a: dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ände- Beratung der Ersten Beschlussempfehlung rungsantrag angenommen bei Zustimmung durch des Wahlprüfungsausschusses den größten Teil der Koalitionsfraktionen. Dagegen haben die Oppositionsfraktionen gestimmt. Es gab zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl eine Enthaltung. der Abgeordneten des Europäischen Parla- ments aus der Bundesrepublik Deutschland Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Aus- am 7. Juni 2009 schussfassung mit der soeben beschlossenen Än- derung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält – Drucksache 17/1000 – sich? – Damit ist der Einzelplan 14 angenommen Berichterstattung: bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Ablehnung durch die Oppositionsfraktionen. Bernhard Kaster Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte III a bis Michaela Noll c auf: Michael Hartmann (Wackernheim) Christian Lange (Backnang) a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Stephan Thomae rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr. Dagmar Enkelmann zes zur Abschaffung des Finanzpla- Ingrid Hönlinger nungsrates Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2813

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – und SPD. Bünd-nis 90/Die Grünen stimmten dage- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- gen. Die Linke hat sich enthalten. schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt IV g: Tagesordnungspunkte IV b bis l. Wir kommen Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- titionsausschusses (2. Ausschuss) schusses. Tagesordnungspunkt IV b: Sammelübersicht 55 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- – Drucksache 17/914 – titionsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Sammelübersicht 50 zu Petitionen Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist ange- nommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP, – Drucksache 17/909 – SPD und die Linke. Bündnis 90/Die Grünen haben Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – dagegen gestimmt. Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 50 ist ein- Tagesordnungspunkt IV h: stimmig angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- Tagesordnungspunkt IV c: titionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- Sammelübersicht 56 zu Petitionen titionsausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 17/915 – Sammelübersicht 51 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – – Drucksache 17/910 – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist ange- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – nommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP, Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 51 ist eben- SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die falls einstimmig angenommen. Linke hat dagegen gestimmt. Tagesordnungspunkt IV d: Tagesordnungspunkt IV i: Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- titionsausschusses (2. Ausschuss) titionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 52 zu Petitionen Sammelübersicht 57 zu Petitionen – Drucksache 17/911 – – Drucksache 17/916 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 52 ist an- Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist ange- genommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD nommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und FDP. Dagegen hat die Fraktion Die Linke ge- und SPD. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen stimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthal- und die Linke gestimmt. Enthaltungen gab es kei- ten. ne. Tagesordnungspunkt IV e: Tagesordnungspunkt IV j: Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- titionsausschusses (2. Ausschuss) titionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 53 zu Petitionen Sammelübersicht 58 zu Petitionen – Drucksache 17/912 – – Drucksache 17/917 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 53 ist ein- Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist ange- stimmig angenommen. nommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak- tionen und die Linke. Bündnis 90/Die Grünen und Tagesordnungspunkt IV f: SPD haben dagegen gestimmt. Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- Tagesordnungspunkt IV k: titionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- Sammelübersicht 54 zu Petitionen titionsausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 17/913 – Sammelübersicht 59 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – – Drucksache 17/918 – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 54 ist an- genommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei Zu- 2814 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 stimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP. Dage- 600 Millionen Euro zu erreichen; das ist dreimal so gen haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen viel wie das, was uns jetzt vorliegt. Vor diesem gestimmt. Enthaltungen gab es keine. Hintergrund finde ich das Gesamtergebnis der Be- ratungen und die Zahlen, mit denen wir es zu tun Tagesordnungspunkt IV l: haben, traurig und bescheiden. Beratung der Beschlussempfehlung des Pe- (Beifall bei der SPD) titionsausschusses (2. Ausschuss) Dieser Haushalt, der ja wahrscheinlich von der Sammelübersicht 60 zu Petitionen Mehrheit des Hauses verabschiedet werden wird, – Drucksache 17/919 – belegt eines: Deutschland verabschiedet sich aus der Rolle eines zuverlässigen Partners in der Ent- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – wicklungszusammenarbeit, aber auch darüber hin- Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist ange- aus. Wir sind internationale Verpflichtungen einge- nommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak- gangen. Vom 0,51-Prozent-Ziel redet schon nie- tionen und Gegenstimmen durch die Oppositions- mand mehr. Der Minister hat davon sowieso nie fraktionen. Enthaltungen gab es keine. geredet. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt I.12 auf: Wir als SPD-Fraktion haben Vorschläge ge- Einzelplan 23 macht, wie man dieses Ziel erreichen kann. Wir Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- haben auch Gegenfinanzierungsvorschläge vorge- sammenarbeit und Entwicklung legt. Es wurde eine sinnlose Debatte vom Zaun – Drucksachen 17/619, 17/623 – gebrochen, ob im Jahre 2015 das 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden könnte. Auch wenn vonseiten des Berichterstattung: Ministeriums noch eine PM nachgeschickt und zu Abgeordnete Volkmar Klein erklären versucht wurde, das alles sei nicht so ge- Lothar Binding (Heidelberg) meint gewesen, wie es im Interview gestanden ha- Dr. h. c. Jürgen Koppelin be, sage ich Ihnen: Das verunsichert Partner und Dr. Dietmar Bartsch trägt nicht dazu bei, dass andere Länder uns wei- Priska Hinz (Herborn) ter als Vorreiter und als verlässlichen Partner an- Hierzu liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion sehen. Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Außerdem liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis Ein Auf und Ab gab es auch beim Global Fund. 90/Die Grünen vor; darüber werden wir am Freitag Wir erinnern uns: Ursprünglich wollte die Regie- nach der Schlussabstimmung befinden. rung, wollte Minister Niebel dort kürzen. Auf Druck der Opposition, insbesondere auf Druck der Kolle- Es ist verabredet, hierzu eineinhalb Stunden zu gin Karin Roth aus meiner Fraktion, und auf Druck debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. aus der Öffentlichkeit wurde diese Kürzung zu- Dann ist das so beschlossen. rückgenommen. Gott sei Dank; das ist gut. Aber Ich gebe das Wort der Kollegin Bärbel Kofler für was soll dieses Hin und Her, was soll diese Verun- die SPD-Fraktion. sicherung internationaler Partner und inter- nationaler Institutionen? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Hinzu kommt das Drama um die Mittel für den Kli- Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und maschutz. Die Kanzlerin hat im Dezember letzten Jah- Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! res – zu diesem Zeitpunkt hätte man über die Finanzkri- Zuerst ein positives Moment: Das Volumen dieses se schon nachdenken können – in Kopenhagen zuge- Haushalts, den wir in zweiter und dritter Lesung sagt, in diesem Jahr für internationalen Klimaschutz beraten, ist immerhin um 180 Millionen Euro grö- 420 Millio-nen Euro bereitzustellen. Das ist zwar eine ßer als das Volumen der beschämenden Vorlage, bescheidene Zusage; aber es wäre ein wichtiger Beitrag die wir im Januar dieses Jahres vom Kabinett er- gewesen. Wer sich diesen Haushalt daraufhin anschaute, halten haben. Trotzdem ist das kein Erfolg für die musste im Einzelplan 23 – wirtschaftliche Zusammen- Entwicklungszusammenarbeit als Ganzes. Ich höre arbeit – wie im Einzelplan 16 – Umwelt – lange suchen. schon jetzt die Töne, die später kommen werden: Kurz vor knapp, kurz vor der Bereinigungssitzung, fin- Aufgrund der Finanzkrise war leider nicht mehr det sich plötzlich ein neuer Titel Klimaschutzmaßnah- möglich und leider nicht mehr drin. men in den Entwicklungsländern. Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erin- (Heinz-Peter Haustein [FDP]: So sind wir!) nern, dass die Finanzkrise bei den Haushaltsbera- Nur stehen da nicht 420 Millionen Euro, wie es die tungen im letzten Jahr bereits in vollem Gange Kanzlerin im Dezember versprochen hat. In den war. Damals ist es uns immerhin gelungen, für die- beiden genannten Etats finden sich jeweils nur sen Haushalt einen Aufwuchs in Höhe von 35 Millionen Euro, und es ist nur den Haushältern Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2815 von SPD und Bündnis 90/Grüne zu verdanken – Was Ende März bei der Geberkonferenz für Hai- sie haben in der Bereinigungssitzung einen ge- ti he-rauskommen wird, kann man nur vermuten. meinsamen Entschließungsantrag eingebracht –, Das bisherige Gebaren bei der Einhaltung interna- dass nicht auch hier Taschenspielertricks versucht tionaler Zusagen lässt nichts Gutes erahnen. Auch worden sind und diese 35 Millionen Euro für den hier wurde viel angekündigt, aber nur wenig umge- Umweltetat gerettet werden konnten und damit setzt, und das Wenige ist völlig intransparent. auch, gleichgezogen, für das BMZ eingestellt wer- Ich habe vorhin bei der Debatte über den Ver- den mussten. teidigungshaushalt zugehört. Der letzte Redner der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Union hat noch einmal die Bedeutung der Freiwil- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eduard ligendienste he-rausgestellt. Dem kann man sich Oswald [CDU/CSU]: So ein Unfug! – Volk- nur anschließen. Aber warum werden in diesem mar Klein [CDU/CSU]: Sind wir in einer Haushalt dann gerade im Einzelplan 23 die Mittel Karnevalssitzung?) für den Freiwilligendienst „weltwärts“ gekürzt? Wa- rum werden verlässliche Zusagen, die man jungen Ich kann mir schon vorstellen, was uns der Mi- Menschen gegeben hat, die sich engagieren wol- nister erzählen wird: Für den internationalen Kli- len, nicht eingehalten? Warum schürt man auch maschutz seien noch ganz viele Mittel in anderen hier Misstrauen bei den Partnern, mit denen man Titeln des Einzelplans 23 versteckt. zusammenarbeitet und auf deren Entgegenkom- (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Und im Einzel- men man angewiesen ist? Hier gilt wieder: keine plan 16!) Verlässlichkeit, keine Ruhe in der Planung, keine Solidität. Man könnte das überschreiben mit dem schönen Sprichwort: Alter Wein in neuen Schläuchen. Na- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS türlich enthält der Einzelplan 23 seit Jahren viele 90/ DIE GRÜNEN – Ute Koczy [BÜNDNIS klimarelevante Titel. Man denke zum Beispiel an 90/ DIE GRÜNEN]: Ein großes Rätsel! In- die Sonderfazilität „Initiative Klima- und Umwelt- konsistente Politik ist das!) schutz“: Bis 2011 sollen für 2,4 Milliarden Euro Wir als Sozialdemokraten haben Anträge ge- zinsverbilligte Darlehen ausgegeben werden. Oder stellt, nämlich für einen vernünftigen Aufwuchs, um man denke an die 4E-Fazilität, die Sonderfazilität das 0,51-Prozent-Ziel zu erreichen. Wir haben Ge- für erneuerbare Energien und Energieeffizienz. genfinanzierungsvorschläge gemacht. Darauf wird All diese Titel wurden über Jahre hinweg im der Kollege Binding sicherlich eingehen. Haushalt aufgebaut. Hier zu versuchen, Mittel aus Einen Satz zur Finanztransaktionsteuer muss der finanziellen Zusammenarbeit oder aus der ich an dieser Stelle schon noch loswerden. Wenn technischen Zusammenarbeit zu Mitteln für den fast 70 000 Bürger eine Steuer gegen Armut für Klimaschutz umzuetikettieren, dafür ist „alter Wein ein richtiges Konzept halten, dann vergeben wir in neuen Schläuchen“ ja noch billig gesagt. Das hier eine Chance, wenn wir nicht auf eine Fi- sind buchhalterische Taschenspielertricks, die ei- nanztransaktionsteuer im internationalen Rahmen nes transparenten Haushalts nicht würdig sind. drängen. Dazu ist von diesem Minister leider nichts (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zu erwarten. Dazu ist auch von dieser Regierung DIE GRÜNEN) nichts zu erwarten. Deshalb ist eine Finanzierung für eine moderne Entwicklungspolitik, die Struk- Was Transparenz im Haushalt angeht, muss man sich auch den Umgang mit dem Thema Haiti turpolitik ist und deshalb entsprechende Mittel braucht, nicht zu sehen. anschauen. Wir, aber auch die Haushälter der SPD-Fraktion haben im Ausschuss gefordert, ei- nen Sondertitel für den Wiederaufbau Haitis aufzu- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: legen. Wie man der Presse entnehmen konnte, Frau Kollegin, ich möchte Ihnen nur sagen, dass fand auch der Minister diese Idee nicht schlecht. die Redezeit bereits abgelaufen ist. Das Spannende ist nur, dass im Haushaltsaus- schuss die Haushälter der Koalitionsfraktionen Dr. Bärbel Kofler (SPD): nichts dergleichen unternommen haben. Auch hier Ich komme zu meinem letzten Satz. – Was nicht wird wieder versucht, ein bisschen zu tricksen: Da passiert, ist Strukturpolitik in der Entwicklungspoli- gibt es die Not- und Übergangshilfe. Sie wird zwar tik. Sie haben sich von allen inhaltlichen Themen, nicht mit mehr Geld ausgestattet; aber es dürfen die wir in der Großen Koalition gesetzt haben, ver- Mittel davon für Haiti verwendet werden. Man darf abschiedet. Ein Beispiel: soziale Sicherungssys- auch Mittel verrechnen mit der finanziellen Zu- teme in den Entwicklungsländern: abgelehnt von sammenarbeit. Die bekommt aber auch nicht die den Haushältern, auch denen der CDU/CSU. entsprechenden Mittel, vor allem bekommt sie kei- (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Wir haben halt ne Planungssicherheit für den Aufwuchs der Verantwortung!) nächsten Jahre, nein, da werden bei den Verpflich- tungsermächtigungen, die ja die eigentliche Pla- Dieser Haushalt ist kein Haushalt der Nachhal- nung darstellen, noch 40 Millionen gestrichen. tigkeit, kein Haushalt der internationalen Verläss- 2816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 lichkeit. Was Sie hier in den letzten sechs Monaten Schlechtreden nichts zu tun, wenn es ein- abgeliefert haben, ist für Deutschlands Auftreten fach nicht reicht!) im internationalen Rahmen beschämend. Hier er- Dass zu einem späteren Zeitpunkt mehr Geld zur warten wir deutlich mehr. Verfügung gestellt werden würde, war von Anfang (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ an klar. Da wird auch noch einiges geschehen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Harald Leibrecht hat das Wort für die FDP- Ohne jeglichen Anhaltspunkt wurden von der Oppo- Fraktion. sitionsseite irgendwelche Zahlen in den Raum gewor- fen. Immer mehr sollte es sein. Dass es aber nach der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ersten Nothilfe im Sinne einer wirkungsvollen Wieder- der CDU/CSU) aufbau- und Entwicklungszusammenarbeit erst einmal notwendig ist, eine entsprechende Bestandsaufnahme Harald Leibrecht (FDP): zu machen, wurde im Wettlauf um die höchsten Geld- Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Liebe forderungen hier völlig ausgeblendet. Ich empfand diese Kolleginnen! Meine sehr verehrten Damen und Zahlenspiele als in höchstem Maße unseriös und gegen- Herren! Wenn wir heute abschließend über den über den Menschen in Haiti unverantwortlich. Einzelplan 23 debattieren, müssen wir uns vor Au- (Beifall bei der FDP – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ gen halten, dass wir in diesem Jahr in der Tat noch DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!) in wirtschaftlich schwieriger Situation sind und uns in einer Übergangsphase befinden. Wir alle wün- Das Land muss zunächst in die Lage versetzt schen uns mehr Geld für die Entwicklungspolitik – werden, die internationale Hilfe, die von allen Sei- ohne Frage –, aber wir dürfen diese ge- ten kommt, zu absorbieren. Dabei geht es gerade samtwirtschaftlichen Realitäten nicht aus den Au- in einem Not leidenden Land wie Haiti darum, die gen verlieren. zahlreichen internationalen Hilfsprojekte und - initiativen aufeinander abzustimmen. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In- novative Finanzierungsinstrumente!) Es können nicht einfach nur pauschal Geld- summen eingefordert werden, bevor klar ist, wel- Trotz der angespannten Haushaltslage konnten che Wiederaufbauhilfe und -maßnahmen in den wir das Volumen des Einzelplans 23 im Vergleich nächsten Monaten dort notwendig sein werden. zu 2009 um immerhin 250 Millionen Euro auf ins- Diese Maßnahmen müssen dann auch, wie ge- gesamt 6,1 Milliar-den Euro erhöhen. Das, Frau sagt, richtig koordiniert werden. Dies gehört auch Kofler, ist keine beschämende Zahl. Es ist sehr viel zu einer seriösen Entwicklungs- und Haushaltspoli- Geld, das wir für diesen Bereich einsetzen. Es ist tik, der wir uns natürlich verpflichtet fühlen. vor allem Geld des Steuerzahlers, und das sollten wir sehr viel mehr respektieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit Blick auf die heutige Debatte habe ich mir die BMZ-Haushalte der letzten Jahre wieder ein- Das möchte ich an dieser Stelle auch direkt mal angesehen. Wir hören derzeit ja viel davon, einmal betonen: Ich bin froh darüber, dass der dass Deutschland seine Verpflichtungen zur Erfül- Haushalt des BMZ auch in wirtschaftlich schwieri- lung der ODA-Quote unter der neuen Bundesre- gen Zeiten wächst. Wir alle wissen, denke ich, gierung nun ignorieren würde. dass noch mehr Anstrengungen nötig sein werden, um den Entwicklungsländern eine Perspektive zu Vor fünf Jahren lag die ODA-Quote bei geben. Diese Anstrengungen sollten vor allem 0,35 Prozent, wofür sich Frau Wieczorek-Zeul ja Wirksamkeit zeigen, damit wir ihnen langfristige gerne immer loben ließ. In den Folgejahren wurde und nachhaltige Perspektiven bieten können. es gerade einmal geschafft, die Quote ein biss- chen auf 0,38 Prozent zu erhöhen. Dass dem neu- Ich möchte auch direkt auf das eingehen, was en Minister jetzt vorgeworfen wird, dass er das im Laufe unserer Haushaltsberatungen von der 0,51-Prozent-Ziel verfehlt, finde ich eine verfehlte Opposition an zum Teil fast schon populistischen Argumentation der Opposition. und aus meiner Sicht teilweise unseriösen Forde- rungen nach mehr und immer noch mehr Geld (Beifall bei der FDP – Priska Hinz [Her- vorgetragen wurde. Nehmen wir doch gerade ein- born] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir mal das Beispiel Haiti, Frau Kofler. Die haben gezeigt, wie es geht!) 15 Millionen Euro Soforthilfe wurden von der Op- Wir hätten den Etat des BMZ in diesem Jahr um position beinahe ignoriert, fast schon schlechtge- über 3 Milliarden Euro, also um rund 50 Prozent, redet. erhöhen müssen, um diese 0,51 Prozent zu errei- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE chen. GRÜNEN]: Ach was! Es hat doch mit Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2817

(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ja, aber mit GRÜNEN]: Quatsch! – Dr. Bärbel Kofler 3 Milliarden Euro!) [SPD]: Nein, nicht den Etat des BMZ! Das und das können Sie, Herr Leibrecht, in einem sehr wissen Sie auch! – Ute Koczy [BÜNDNIS guten Antrag der Linksfraktion nachlesen. 90/ DIE GRÜNEN]: Sie können nicht rechnen! 2,2 hätten es auch getan!) (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Es gibt keine gu- ten Anträge der Linksfraktion!) Doch elf Jahre Entwicklungspolitik der SPD haben dieses Ziel in weite Ferne rücken lassen, und das Wir zeigen Ihnen, dass es finanziell möglich ist, die ist der eigentliche Skandal. ODA-Quote in diesem Haushalt zu erreichen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Indem Sie die der CDU/CSU) Bundeswehr totsparen!) In der letzten Legislaturperiode waren das BMZ Ihnen fehlt aber der politische Wille dazu, und das und das Finanzministerium ja SPD-geführt. Die ist das Entscheidende. ODA-Quote droht seitdem fast zu stagnieren. In Ih- (Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding rem Haushaltsentwurf vom letzten Herbst wurden [Heidelberg] [SPD]: Sie können auch den gerade einmal 23 Mil-lionen Euro mehr für Ent- SPD-Antrag nehmen! Der ist auch gut!) wicklungszusammenarbeit vorgesehen. Mit dem jetzt beschlossenen Haushalt übertreffen wir Ihren Sie sind nicht bereit, 2 Milliarden Euro mehr für Haushalt immerhin um 230 Millionen Euro. Das ist die weltweite Entwicklungshilfe auszugeben, aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sie sind jederzeit bereit, in diesen Haushalt zum Beispiel mehr als 7 Milliarden Euro für neue Rüs- Entscheidend ist letztlich aber, dass die Gelder tungsprojekte einzustellen. auch Früchte tragen, und dies wird nur geschehen, wenn sie richtig verwendet werden. Daher muss (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das sind auch das BMZ so aufgestellt werden, dass eine ver- Arbeitsplätze!) stärkte bilaterale, zielgerichtete Entwicklungszu- Damit steht diese Ausgabenpolitik der Bundes- sammenarbeit möglich ist. regierung auch im krassen Widerspruch zur Bevöl- In wirtschaftlich schwierigen Zeiten können wir kerung. Die Menschen in diesem Land sind näm- es uns eben nicht erlauben, die Kontrolle über ei- lich viel mehr dazu bereit, Geld für Entwicklungshil- nen Großteil der Gelder, die wir in die Entwick- fe auszugeben. Das haben sie durch Spenden in lungszusammenarbeit fließen lassen, aus der dreistelliger Millionenhöhe bei den Spendensamm- Hand zu geben. Das sind wir dem Steuerzahler lungen für die Tsunamiopfer und auch jetzt wieder schuldig, aber vor allem auch den Menschen in bei den Spenden für die Hilfe der Erdbebenopfer in den Entwicklungsländern, die auf eine effiziente Haiti eindrücklich gezeigt. Unterstützung von unserer Seite hoffen. In meinem Wahlkreis Tübingen sammeln zum Ich danke Ihnen. Beispiel Künstlergruppen und Schulklassen müh- sam für Haiti, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Dr. Bärbel Kofler (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nicht nur in Ih- [SPD]: Sie verabschieden sich von der rem Wahlkreis!) Internationalität in der Entwicklungszu- währenddessen die Bundesregierung nicht bereit ist, ei- sammenarbeit!) nen Sondertitel für die mittelfristige Hilfe für Haiti ein- zustellen. Das sind nicht nur Forderungen der Oppositi- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: on, sondern die Vereinten Nationen haben die Industrie- Heike Hänsel hat das Wort für die Fraktion Die staaten aufgefordert, deutlich mehr Geld als bisher für Linke. Haiti zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der LINKEN) (Harald Leibrecht [FDP]: Da kommt doch Geld!) Heike Hänsel (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her- ren! Herr Leibrecht, die Bundesregierung erreicht Sie ignorieren diese Aufforderungen. mit diesem Haushalt nicht das für 2010 vorgege- (Beifall bei der LINKEN) bene Zwischenziel, die Ausgaben für Entwick- lungshilfe auf 0,51 Prozent des Bruttonationalpro- Ich halte es übrigens für ein persönliches Ar- dukts – das ist die sogenannte ODA-Quote – zu mutszeugnis des Ministers, dass er diese Forde- erhöhen. rungen gegenüber seinen Haushältern nicht hat durchsetzen können. (Harald Leibrecht [FDP]: Das habe ich ja ge- sagt!) Damit komme ich zu Ihrer Hauptbotschaft, die Sie, Herr Niebel, recht häufig zum Besten geben. Es wäre finanziell aber durchaus möglich, 2818 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Sie sagen, dass Ihre Entwicklungshilfe werteorien- Menschenrechtsaktivisten. Herr Niebel, ich möchte tiert und interessengeleitet sei. Ich frage mich al- von Ihnen die Auskunft bekommen, ob konkrete In- lerdings, von welchen Werten und welchen Inte- formationen aus dem Ministerium von Harald Klein ressen Sie sprechen. Mit diesem Haushalt zeigt an die Friedrich-Naumann-Stiftung in Honduras die Bundesregierung nämlich, dass Friedenspolitik, weitergeleitet wurden. weltweite Armutsbekämpfung, Klimaschutz, soziale (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist Entwicklung, globale Gerechtigkeit und somit der niveaulos, was Sie hier machen!) Wert der menschlichen Solidarität nicht oberste Priorität Ihrer Politik sind. Stattdessen geht es Ih- Sollte diesen beiden mutigen Menschenrechtsakti- nen ganz offensichtlich um deutsche Wirtschafts- visten etwas zustoßen, werde ich auch die FDP interessen, die Sie möglichst ungehindert durch- dafür verantwortlich machen. setzen wollen. Sie propagieren – so habe ich es (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten auch auf der letzten Reise nach Vietnam erleben des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) können – die freie Marktwirtschaft als Grundlage freier Gesellschaften. Sie wollen also Freiheit für Ich möchte noch eine zweite Personalie anspre- Konzerne, Freihandel und Marktliberalisierung. All chen. Diese betrifft ebenfalls einen Abteilungslei- das hat allerdings in vielen Ländern des Südens ter, und zwar den ehemaligen Oberst Herrn nicht zu mehr sozialer Entwicklung geführt, son- Eggelmeyer. dern – ganz im Gegenteil – zu mehr Armut, mehr (Harald Leibrecht [FDP]: Auch ein guter Hunger und mehr Umweltzerstörung. Da frage ich Mann! – Dr. Martina Krogmann mich: Ist das Ihre Vorstellung von freien Gesell- [CDU/CSU]: Mann, Mann, Mann!) schaften? Ich frage mich, was ein Oberst im Ministerium (Beifall bei der LINKEN – Harald Leib- für Entwicklungszusammenarbeit verloren hat. In recht [FDP]: Wir haben das Ministerium meinen Augen hat er dort gar nichts verloren. Das die letzten elf Jahre nicht geführt!) führt zu einer strukturellen Militarisierung der Ent- Bezüglich Ihrer Werte, Herr Niebel, möchte ich wicklungszusammenarbeit. Sie wollen die zivil- auf Ihre jüngst stark kritisierte Personalpolitik ein- militärische Zusammenarbeit ausbauen, Herr gehen. Dabei geht es mir jetzt allerdings weniger Niebel. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt um die Klientelpolitik nach dem FDP-Parteibuch. immer mehr Hilfsorganisationen, die das kritisie- Die Einstellung nach Parteibuch haben Rot-Grün ren. Ich möchte aus der heutigen Pressemitteilung und Schwarz-Rot schließlich genauso betrieben. der Organisation Ärzte ohne Grenzen zitieren, in Mir geht es vielmehr um die inhaltliche Ausrichtung der steht: einiger Personalentscheidungen. Konkret betrifft Die internationale humanitäre Hilfsorganisati- das Ihre neuen Abteilungsleiter im Ministerium. Als on ÄRZTE OHNE GRENZEN weist die Äuße- Erstes möchte ich Herrn Harald Klein nennen, rung des NATO-Generalsekretärs Anders (Harald Leibrecht [FDP]: Sehr guter Mann!) Fogh Rasmussen aufs Schärfste zurück, wo- nach Nichtregierungsorganisationen die wei- der lange Zeit bei der FDP-nahen Friedrich- che Komponente militärischer Strategien dar- Naumann-Stiftung gearbeitet hat. Dieser hat im stellen sollten … Äußerungen wie diese kreie- letzten Jahr den Putsch gegen den demokratisch ren ein zusätzliches Risiko für unsere Pa- gewählten Präsidenten Zelaya gerechtfertigt und tienten und unsere Mitarbeiter … die damit einhergehenden Menschenrechtsverlet- zungen mehr als verharmlost. Soviel zu Ihren Wer- (Beifall bei der LINKEN) tevorstellungen von Demokratie, Rechtsstaatlich- Wir schließen uns dieser Kritik vorbehaltlos an keit und Menschenrechten. und lehnen eine zivil-militärische Zusammenarbeit Ich halte es ebenfalls für einen Skandal, dass ab. Wir sehen, dass Sie, Herr Niebel, das Entwick- Harald Klein jetzt Ansprechpartner für internationa- lungsministerium für die systematische Begleitung le Beziehungen und für Menschenrechtsfragen ist. der wirtschaftlichen und militärischen deutschen Vor zehn Tagen haben wir Menschenrechtsaktivis- Expansion umbauen wollen. Sie können mit unse- ten aus Honduras nach Berlin eingeladen. Sie ha- rem massiven Widerstand rechnen. ben sich auch mit dem BMZ getroffen und im Mi- (Beifall bei der LINKEN) nisterium ebendiesem Harald Klein über aktuelle politische Morde, Folterungen und Verhaftungen berichtet. Diese Aktivisten sind ein enormes Risiko Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: eingegangen, indem sie hierher gekommen sind Volkmar Klein hat das Wort für die CDU/CSU- und davon berichtet haben. Trotzdem wurden sie Fraktion. aber von einem Mitarbeiter der Friedrich- (Beifall bei der CDU/CSU) Naumann-Stiftung namentlich in einer Zeitung in Honduras genannt und denunziert, sie würden die Volkmar Klein (CDU/CSU): jetzige sogenannte gewählte Regierung schlecht- machen. Das ist eine konkrete Gefährdung von Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2819

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Zweitens finde ich es ausgesprochen schön, und Herren! Als Allererstes möchte ich betonen, dass in unserem Land sehr viele Menschen genau dass die Wortwahl und der Inhalt dessen, was wir das zu ihrem persönlichen Anliegen machen und gerade gehört haben, einem Parlament nicht an- sich in Kirchen, Initiativen und Verbänden für Men- gemessen sind. Es ist eine Schande, so mit dem schen in der Dritten Welt engagieren. Ihnen möch- Minister und dem Ministerium umzugehen. te ich an dieser Stelle ganz herzlich für ihr vorbild- liches Engagement danken, auf das wir stolz sein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – können. Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der sich mit seinem Militärkäppi in Afrika zeigt! Toller (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Minister!) Auch als Bundesrepublik Deutschland ist es Wenn ich gewusst hätte, was Frau Kofler eben richtig, sich massiv – stärker, als ursprünglich von sagen wollte, dann hätte ich sie vielleicht eingela- der Regierung geplant – einzubringen, weil auch den, die Plenardebatte gestern aufmerksam zu dies im deutschen Interesse ist. Hilfestellungen, verfolgen. Da waren nämlich von der Opposition aus der Armut herauszukommen, schaffen in den ganz andere Töne zu hören. Die Opposition hat betreffenden Ländern Stabilität, von der auch wir über die massive Neuverschuldung geschimpft. am Ende etwas haben. Das reduziert Migrations- Der Kollege Bonde hat sogar von blinder druck und Sicherheitsprobleme. Schuldenmacherei gesprochen. Deswegen ist es richtig, dass wir jetzt einen Deswegen hatte ich ein flaues Gefühl, heute Haushalt beschließen wollen und auch werden, Abend ausgerechnet den Einzelplan 23 zu vertre- der mit fast 6,1 Milliarden Euro so groß ist wie ten, dessen Mittel im Rahmen der Haushaltsplan- noch nie. Er weist 256 Millionen Euro mehr auf als beratungen sogar noch deutlich erhöht werden im Haushalt 2009. Das ist vor allem auch deutlich konnten und der somit mitten im Zentrum der bei- mehr, als ursprünglich im Regierungsentwurf ge- ßenden Kritik des gestrigen Tages steht. plant war. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will noch einmal die Relationen in Erinne- rung rufen. Wir haben aus guten Gründen im Ge- Aber wir stehen dazu. Der Haushalt mit einer samthaushalt 5,9 Milliarden Euro gespart und Aus- Neuverschuldung von 80,2 Milliarden Euro ist lei- gaben gekürzt. Das werden wir jetzt beschließen. der alternativlos. Wir haben die Ausgaben gegen- über dem Entwurf deutlich gekürzt, aber trotz aller (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Kritik an der Neuverschuldung sind weitere Einspa- GRÜNEN]: Nein, nein, nein! Sie haben rungen nicht möglich. Sonst würden wir die wirt- Konjunkturverbesserungen eingeplant! schaftliche Entwicklung wieder abwürgen. Deswe- Das ist etwas ganz anderes!) gen ist dieser Haushalt die richtige Antwort auf die Wir haben trotz dieser Kürzung um 5,9 Milliarden aktuellen Probleme. Euro insgesamt einen Aufwuchs um 189 Millionen (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Euro im Einzelplan 23. Was sagen die Entwicklungsländer?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die im Einzelplan 23 – Bundesministerium für der FDP) wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Ich will eine weitere Zahl, die dem einen oder vorgesehene Ausgabensteigerung ist trotz des ge- anderen mit Sicherheit auch nicht gefallen wird, in nerell von uns gemeinsam so empfundenen Spar- Erinnerung rufen. Es gab schon einmal einen zwanges die richtige Antwort auf die aktuellen Fra- Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das gen im Sinne der Zukunft unseres Landes. Wir Jahr 2010. Er stammt aus dem Sommer des letz- werden mit diesem Haushalt unserer internationa- ten Jahres. Damals hieß die Ministerin Wieczo- len Verantwortung gerecht. rek-Zeul. Im Vergleich zum Haushalt 2009 – Frau (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieczorek-Zeul, das können Sie sicherlich bestä- Nein! Ganz klar nein!) tigen – war damals ebenfalls ein Aufwuchs ge- plant, und zwar in Höhe von etwas über Erstens – das scheint mir entscheidend zu sein – 20 Millionen Euro. Das sah der Regierungsentwurf tun wir etwas. Wir geben viel Geld aus, und zwar aus dem letzten Jahr vor. Nun haben wir einen mehr Geld, als ursprünglich von der Regierung ge- Aufwuchs in Höhe von 256 Millionen Euro. Das ist plant, weil dies auch ethisch geboten ist. elfmal mehr als von der ehemaligen Ministerin ge- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Al- plant. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständ- mosen sind das! Nichts mit Gerechtigkeit!) nis für den Protest der SPD. Es ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, sich für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) andere Menschen einzusetzen. Unsere Verantwor- tung endet nicht an den Grenzen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 2820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Entschuldigung, Herr Kollege, möchten Sie eine Lieber Kollege Klein, du hast vorhin die SPD Zwischenfrage von Herrn Movassat zulassen? angegriffen und behauptet, wir hätten zuerst ge- sagt, keine Neuverschuldung, und nun sähen wir Volkmar Klein (CDU/CSU): das ganz anders; das sei ein gewisser Wider- Bitte schön. spruch. Des Weiteren hast du gesagt, der jetzigen Regierung und Koalition gehe es nur um die Sa- che. Ein sehr umfänglicher Antrag der SPD- Niema Movassat (DIE LINKE): Fraktion sieht Ausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden Herr Willsch, Sie haben darauf verwiesen, dass Euro für ganz wichtige Bereiche wie den Friedens- wir in einer Wirtschafts- und Finanzkrise sind und dienst, die Sozialstruktur, politische Stiftungen, das Haushaltsprobleme haben. Welternährungsprogramm usw. vor. Nun kommt (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das ist das Interessante: Es ist uns gelungen, diesen Vor- Herr Klein!) schlag seriös zu decken, und zwar mit Mitteln aus nur zwei Titeln. Es besteht also nicht die Notwen- – Entschuldigung, Herr Klein, mir lag die falsche digkeit Schulden zu machen oder neue Steuern Liste vor. einzuführen. Das eine ist § 1 des Außensteuer- Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass gesetzes; darüber haben wir lang geredet. Es geht Großbritannien trotz Schuldenproblematik und Fi- hier um die Funktionsverlagerung, die ökonomisch nanzkrise es geschafft hat, mit seinem aktuellen äußerst problematische Folgen für die Steuerein- Haushalt das Zwischenziel von 0,56 Prozent zu nahmen in Deutschland hat. Das andere ist – das übertreffen? Wie stehen Sie dazu? ist ein bisschen unser Dauerbrenner; es handelt sich um einen seriösen Vorschlag, weil die Mittel Volkmar Klein (CDU/CSU): nur einmal verwendet werden, und das noch nicht Lieber Herr Kollege, Ihre Desorientierung zeigt einmal vollständig – der Steuernachlass für Hotel- sich schon daran, dass Sie mich nicht mit meinem konzerne in einer Größenordnung von Namen angesprochen haben. 500 Millionen Euro. (Zurufe von der LINKEN: Falsche Antwort!) (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) – Ich glaube, das ist als Antwort ausreichend; denn – Sie können ruhig Buch führen. Dieser Vorschlag wir reden hier über Deutschland. Ich habe gerade ist seriös gedeckt. Weil Sie ihn immer abgelehnt gesagt, was eine Regierung damals vorgelegt hat haben, ist er als Deckung noch vorhanden und se- – die ehemaligen Regierungsmitglieder sitzen nun riös durchgerechnet. Wir können Ihnen das jeder- ganz still und werden sich wohl auch nicht zu Wort zeit zur Verfügung stellen. melden – und dass wir einen elfmal höheren Auf- Weil Sie sehr ernsthaft gesagt haben, Ihnen ge- wuchs beschließen. he es um die Sache, lautet meine Frage: Ist es Ih- Ich möchte unterstreichen – das mag dem einen nen bei der Priorisierung tatsächlich wichtiger, ei- oder anderen als Petitesse erscheinen –, dass wir nem Hotelkonzern Steuern zu erlassen, als die an der Sache interessiert sind und mehr Geld für eben von mir vorgetragenen Maßnahmen in der wichtige Projekte ausgeben wollen – deswegen Entwicklungspolitik voranzubringen? dieser erhebliche Aufwuchs –, während wir gleich- zeitig im Vergleich zum Entwurf der Regierung die Volkmar Klein (CDU/CSU): Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit um 2 Prozent re- Lieber Kollege Binding, Sie können sich sicher- duziert haben. Uns geht es um die Sache und lich noch ganz genau an die umfangreichen Dis- nicht um Schaufensterdekoration. kussionen über das Wachstumsbeschleunigungs- gesetz erinnern. Wie Sie wissen, ist das nur einer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und von vielen Punkten, der dazu beiträgt, die wirt- der FDP) schaftliche Belebung in unserem Land nach vorne zu bringen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, auch Herr Binding will Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie diese auch noch Das, was wir in den letzten Monaten erlebt ha- zulassen? ben, unterstreicht den Erfolg dieser Strategie. Inso- fern muss ich den Vorschlag, den wir im Haus- Volkmar Klein (CDU/CSU): haltsausschuss diskutiert haben, eher unter der Ja, das ist ein vernünftiger Kollege. Rubrik „Mut nach Kassenschluss“ einsortieren. Es bleibt dabei, was ich eben gesagt habe: Im letzten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jahr, als die frühere Ministerin die Möglichkeit hat- Bitte. te, wurde nichts getan, aber jetzt werden große Forderungen erhoben. Das ist nicht glaubwürdig. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2821

wissen, dass das falsch ist, was Sie sa- Kritik der Opposition an der Gesamtverschuldung. gen!) Aber die Kritik – das hören wir jetzt – zielt nicht nur auf die Gesamtverschuldung und die Neuver- Jetzt möchte ich zu meinem Konzept zurück- schuldung, sondern auch auf die angeblich zu kommen. Ich will vier Punkte, die uns wichtig sind, niedrigen Ausgaben für diesen Etat. Das eine nennen. Erstens. Für das Klima wird natürlich sehr passt mit dem anderen nicht ganz zusammen. Wer viel getan. Ich meine nicht nur die 35 Millionen Eu- auf der einen Seite Kritik an der Verschuldung übt, ro, die im Laufe der Beratungen zusätzlich hinzu- aber auf der anderen Seite die Ausgaben erhöhen gekommen sind, sondern auch der bereits beste- will, befindet sich in einem Widerspruch. Das sollte hende Titel „Entwicklungswichtige multilaterale Hil- man normalerweise bereits als Kind gelernt haben, fen zum weltweiten Umweltschutz, zur Erhaltung das mit dem Taschengeld umzugehen hat. Dieses der Biodiversität und zum Klimaschutz“ ist nicht nur Versäumnis müsste nachgeholt werden. Sich über ein bisschen aufgestockt worden, sondern mit zu- beides aufzuregen, hat mit Entwicklungspolitik sätzlichen 78 Millionen Euro mehr als verdoppelt nichts zu tun. Das ist eher Entrüstungspolitik. worden. Darüber hinaus – das wissen wir doch alle Wenn sich der eine oder andere als entrüstungs- – ist in den TZ- und FZ-Titeln einiges für den Kli- politischer Sprecher seiner Fraktion hier bewerben maschutz enthalten. So zu tun, als ob das Um- will, dann kann er das tun. weltministerium gar keine Rolle spielen würde, geht nun völlig an der Sache vorbei. Ich habe den Eindruck, dass wir mit diesem Haushaltsplan ein Dokument deutscher Zukunfts- Ich finde es wichtig – das ist der zweite Punkt –, verantwortung vorgelegt haben. Das sollten wir dass wir mit 120 Millionen Euro zusätzlich für die nicht kritisieren, und darüber sollten wir nicht la- Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan mentieren. Wir sollten das eher feiern. Herr Minis- dokumentieren, dass es eben nicht unser Anliegen ter Niebel macht gute Arbeit, und er verdient die ist, militärisch für eine Lösung in Afghanistan zu breite Unterstützung eigentlich des gesamten Hau- sorgen, sondern dass wir natürlich wissen und ses. auch untermauern, dass wir eine sich selbst tra- gende Sicherheit brauchen. Dafür sind derartige (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Projekte der Kern. Deswegen ist es richtig, dort 120 Millionen Euro zusätzlich neben allen anderen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Einzelplänen hineinzupacken. Das haben wir mit Das Wort hat jetzt Priska Hinz für Bündnis 90/ einem separaten Antrag getan und intensiv disku- Die Grünen. tiert. Drittens. Noch ein Satz zu Haiti. Es wird hier so Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- getan, als ob für Haiti kein Geld da wäre. Es gibt NEN): aber im Haushaltsplan den Haushaltstitel „Entwick- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu lungsorientierte Not- und Übergangshilfe“. Der ist Beginn der Haushaltsberatungen konnte man noch mit 129 Millionen Euro ausgestattet und ganz an- darauf hoffen, dass sich die Koalition auf die inter- ders als die meisten anderen Titel im Einzelplan 23 nationalen Verpflichtungen besinnt, die die Regie- nicht durch Verpflichtungsermächtigungen vorbe- rung eingegangen ist. Wir hatten Hoffnung, dass lastet. Vielmehr machen Verpflichtungsermächti- sie sich an die Koalitionsvereinbarung hält und gungen an diesen 129 Millionen Euro im Haus- dass sie in dem Punkt, dass das 0,7-Prozent-Ziel haltsjahr 2010 nur 22,5 Millionen Euro aus. Der erreicht werden muss, kein Papiertiger bleibt. Na- Rest ist natürlich für derartige Katastrophen ver- türlich hatten wir die Hoffnung, dass die Zusagen fügbar. Das haben wir unterstrichen. Um trotzdem von Kopenhagen eingehalten werden. Jetzt, bei Bedenken zu zerstreuen, ob das Geld am Ende der Verabschiedung dieses Einzelplans, müssen reicht, haben wir einseitige Verstärkungsvermerke wir feststellen: Alle Zusagen sind gebrochen wor- durch FZ und TZ ausgebracht. Das wird sicher alle den. Sie begehen damit einen Wortbruch, dass Sie Zweifel, die bestehen könnten, beseitigen. das 0,51-Prozent-Ziel schlicht und einfach nicht erreichen. Der vierte Punkt, der mir wichtig ist: Träger wie Kirchen, Stiftungen, Genossenschaften und ande- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So re private Träger stellen die Pluralität und den ist es!) Reichtum unserer Gesellschaft dar. Deswegen ist Schwarz-Gelb wird laut Ministerium von Herrn es richtig, diese Träger in der Entwicklungszu- Niebel mit diesem Haushalt höchstens sammenarbeit einzusetzen. Diese wollen wir weiter 0,40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Ent- fördern, und das haben wir durch erhöhte Ver- wicklungshilfe ausgeben. Herr Klein, wir sind damit pflichtungsermächtigungen im Laufe der Haus- im unteren Drittel der DAC-Länder Europas – haltsberatungen für diesen Bereich getan. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie weit war Der Einzelplan 23 umfasst also 6,1 Milliarden denn Rot-Grün?) Euro. Das ist der höchste Betrag, den es je gab. Ich denke, dass wir diesen hohen Betrag guten vielleicht wussten Sie das eben nicht; wahrschein- Gewissens vertreten können, trotz der berechtigten lich haben Sie deswegen die Frage nicht beant- 2822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 worten können –, und das, obwohl die anderen halt eingestellt; 35 Millionen Euro entfallen auf den Länder von der Wirtschaftskrise genauso betroffen Haushalt des BMU und 35 Millionen Euro auf den sind wie Deutschland. Haushalt des BMZ. Natürlich wurde erst einmal versucht, diese Mittel dadurch aufzubringen, dass (Harald Leibrecht [FDP]: Eben nicht!) man in einem anderen Topf streicht, dass man al- Deutschland ist immer noch ein finanz- und wirt- so einfach umschichtet. Daraufhin musste es im schaftsstarkes Land; deswegen ist das Verfehlen Haushaltsausschuss eine Krisensitzung geben, dieses Ziels ein Armutszeugnis für diese Regie- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer redet denn von rung. Krisensitzung? Sie haben eine Krise!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- weil wir Ihnen diese Peinlichkeit vor Augen geführt wie bei Abgeordneten der SPD) haben, in die Frau Merkel und ihre Regierung Jetzt ist schon fast erklärt, warum sich Herr kommen, wenn sie diese Zusage noch nicht einmal Niebel so langsam aus der Verantwortung stiehlt. in Ansätzen einhalten. Nur so ist das Gerede zu verstehen, der effiziente In diesem Haushalt werden also 70 Millionen Mitteleinsatz sei wichtiger, als irgendeine Quote Euro bereitgestellt; aber das wird Ihnen nicht hel- zu erreichen. fen. Auf dem internationalen Parkett ist Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) kanzlerin Merkel mit ihrer Koalition im Hinblick auf Glaubwürdigkeit und Ansehen gesunken, und das, Wer oder was hindert Sie eigentlich daran, viel wie ich finde, zu Recht. Geld in die Hand zu nehmen und dieses Geld ef- fektiv und sinnvoll auszugeben? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD) (Harald Leibrecht [FDP]: Das machen wir doch jetzt!) Stichwort: Glaubwürdigkeit, Ansehen und Durchsetzungsfähigkeit des neuen Entwick- Niemand, also wir jedenfalls nicht! lungshilfeministers. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Harald Leibrecht [FDP]: Ohne „-hilfe-“!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) – Entwicklungsminister. Danke schön! – Im Gegenteil: Wir haben entsprechende Vorschlä- Zu Recht leidet Ihr Ansehen darunter, dass Ihre ge gemacht. Sie haben es geschafft, den Haus- Partei das Ressort abschaffen wollte. haltstitel „Beobachtung und Überprüfung der deut- (Zuruf von der FDP: Stimmt ja gar nicht!) schen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit“ um die Hälfte zu kürzen. Sie wollen anscheinend – Das müssen Sie sich schon anhören! – Statt gar nicht wissen, wie effektiv Ihre Mittel eingesetzt peinliche Personalpolitik zu betreiben, müssten werden. Das ist ein zweites Armutszeugnis. Sie, Herr Minister, da Sie ja unter besonderer kriti- scher Beobachtung stehen, jetzt sehr viel Elan da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hin gehend entwickeln, das 0,7-Prozent-Ziel on the Hinter Ihren Ausflüchten steckt etwas anderes. long way zu erreichen, Sie wissen schon jetzt: Das 0,7-Prozent-Ziel kön- (Harald Leibrecht [FDP]: Long run!) nen Sie nicht erreichen. Deswegen muss man schon einmal anfangen, das Ganze schönzureden. und sich kräftig dafür einsetzen, dass ein entspre- Das ist das Problem. 2015 – wahrscheinlich wer- chen-der Aufwuchs bei diesem Haushalt in Höhe den Sie dann nicht mehr regieren; wir arbeiten je- von über 2 Milliarden Euro geschieht. denfalls darauf hin – geht es nach dem Motto: Was machen Sie? Sie besitzen noch nicht ein- Nach mir die Sintflut; die neue Regierung soll doch mal Durchsetzungsfähigkeit in Ihren eigenen Rei- sehen, wo sie bleibt. Herr Klein, das dient weder hen. Ich glaube, das ist wahrscheinlich dieser lang- den internationalen noch den deutschen Interes- jährigen Forderung, das Entwicklungsministerium sen – ich erinnere an die globalen Verpflichtungen, abzuschaffen, geschuldet. Weder ist Ihr Wunsch die wir eingegangen sind und die Sie hier vorhin so aufgenommen worden, einen eigenständigen schön zitiert haben –, im Gegenteil. Es hilft weder Haushaltstitel für Haiti einzurichten, Deutschland noch der Welt insgesamt, wenn wir unsere Verpflichtungen nicht einhalten und nicht (Helga Daub [FDP]: Man braucht doch nicht global dafür sorgen, dass Armut erfolgreich be- immer einen eigenständigen Titel!) kämpft wird, dass es mehr Sicherheit gibt und dass noch ist Ihrem Wunsch entsprochen worden, die der Klimaschutz verbessert wird. Unterstützung für UN-Programme nicht zu kürzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier gab es ja den ausdrücklichen Hinweis: Das gibt Probleme im Hinblick auf einen eigenen Sitz Zum zweiten Wortbruch. Bundeskanzlerin Mer- im Sicherheitsrat. Sie können sich nicht durchset- kel hat in Kopenhagen jährlich 420 Millionen Euro zen, nicht einmal bei Ihren eigenen Leuten. Wie zugesagt. 70 Millionen Euro sind in diesen Haus- soll das denn erst werden, wenn Sie diese Aufga- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2823 be auf dem internationalen Parkett wahrnehmen Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. sollen? Das ist ein Armutszeugnis für diese Koalition. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Machen [FDP]: Das wird er gut machen!) Sie keine Milchmädchenrechnung auf! Sie verunsichern die Menschen! Das ist doch Ich sage Ihnen: So wird das nichts mit Ansehen unredlich!) und Glaubwürdigkeit im Amt und der Durchsetzung der Entwicklungsinteressen. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben einen Haushalt mit Rekordverschuldung Wenn Sie schon keine Steigerung der Barmittel vorgelegt. Sie schaffen es aber nicht, zwei zentrale erreichen konnten, dann hätten Sie sich wenigs- internationale Zusagen Deutschlands einzuhalten. tens um innovative Finanzierungsinstrumente Das ist bitter für die Entwicklungsländer, bitter für kümmern sollen, wie wir sie unter anderem vorge- den Klimaschutz, bitter für das Ansehen und das schlagen haben, und dann sollten Sie sich auch Gewicht Deutschlands auf der internationalen nicht gegen eine Finanztransaktionsteuer ausspre- Bühne. Meine Damen und Herren von Schwarz- chen, wie unter anderem wir sie zur Finanzierung Gelb, Sie können es einfach nicht! von Entwicklungszusammenarbeit einführen wol- len. Danke schön. (Harald Leibrecht [FDP]: Den Bürger noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr belasten!) sowie bei Abgeordneten der SPD – La- chen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Herr Klein, uns können Sie nicht vorwerfen, Harald Leibrecht [FDP]: Und ihr dürft es dass wir nur vom Sparen reden, aber in Wirklich- nicht!) keit mehr ausgeben wollten. Wenn man unsere Vorschläge verwirklichen würde, bliebe man 7 Mil- liarden Euro unter dem Neuverschuldungsbetrag, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mit dem die Regierung plant und den die Koaliti- Der Kollege Dr. Christian Ruck hat jetzt das onsfraktionen beschließen wollen. Zugleich haben Wort für die CDU/CSU-Fraktion. wir Vorschläge gemacht, wie wir 2,2 Milliarden Eu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ro in Form von Barmitteln und zinsvergünstigten der FDP – Holger Haibach [CDU/CSU]: Krediten für die Entwicklungszusammenarbeit auf Endlich einer, der etwas von der Sache den Weg bringen können. versteht!) (Harald Leibrecht [FDP]: Alles Luftbuchun- gen!) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Das ist der richtige Weg; denn so könnten wir das Kollegen! Ich beginne mit dem, was uns alle eint: 0,51-Prozent-Ziel in diesem Jahr tatsächlich errei- Für uns alle ist Entwicklungspolitik ein zentrales chen. Element für die Zukunftssicherung auf unserem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Planeten. Deswegen ist unser Entwicklungshaus- sowie bei Abgeordneten der SPD – Wi- halt auch ein Kernelement für Deutschlands globa- derspruch des Abg. Norbert Barthle le Verantwortung in der Welt. Wenn man so will, ist [CDU/CSU]) der Entwicklungshaushalt das Aushängeschild da- für, wie unser Land Solidarität und Verantwortung Ich möchte noch auf einen Punkt zu sprechen in der Welt ausübt. Diese globale Verantwortung kommen: In den ganzen Diskussionen um den besteht zum Beispiel in der Prävention von Krisen, Haushalt des BMZ, bei denen Sie ja immer von ei- in der Prävention von Migration, in der Bekämp- nem angeblich so riesengroßen Aufwuchs spre- fung von Armut und Unterdrückung und in der Si- chen, cherung des biologischen und kulturellen Erbes (Volkmar Klein [CDU/CSU]: Der ist wirklich so der Welt. groß!) wurde überhaupt nicht bemerkt, dass Sie die Ver- Ich möchte zu den Zahlenspielereien eines ganz pflichtungsermächtigungen um 10 Prozent kür- klar sagen: Wir sind inzwischen der zweitgrößte zen. Das heißt, Verpflichtungen in Höhe von 400 Geber von Entwicklungshilfe in der ganzen Welt. Millionen Euro können nicht rechtlich bindend ein- Das ist eine Leistung, die wir von niemandem gegangen werden. Diese Kürzung ist insgesamt kleinreden lassen werden. größer als der Aufwuchs in Höhe von 189 Millionen Euro, den Sie hier immer so preisen. Deswegen ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) festzuhalten: Es handelt sich einmal mehr nicht um Als zweitgrößter Geber tragen wir öffentlich Ver- ein Nullsummenspiel, sondern um einen Rückgang antwortung und sind öffentlich der Solidarität ver- der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. 2824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 pflichtet. Das wird auch in den kommenden Jahren hätten. Aber trotzdem verwahre ich mich gegen die so bleiben. ungerechtfertigte Kritik, dass wir in dieser schwie- rigen Lage überhaupt nichts geleistet hätten. Ich Wir müssen allerdings auch immer wieder beto- verwahre mich auch gegen die Behauptung, dass nen: Entwicklungspolitik ist nicht nur im Interesse der letzte Haushalt so toll gewesen wäre. Ich glau- unserer Partner, sondern auch im vitalen deut- be, unsere Haushälter und unsere Arbeitsgruppen schen Interesse, und zwar nicht nur aus Sicher- haben hier ganze Arbeit geleistet. Das ist ein guter heitsgründen. Vielmehr ist der BMZ-Haushalt der Start für die neue Koalition. zweitgrößte Investitionshaushalt der Bundesrepub- lik Deutschland und sichert mehrere Hunderttau- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) send Arbeitsplätze in unserem eigenen Land. Eines muss man doch auch einmal sagen: Erst Deswegen ist der Haushalt des BMZ auch ein mit dem Amtsantritt der Kanzlerin haben die vitalen wichtiges Instrument bei der Bekämpfung der der- Zukunftsfragen der Menschheit, nämlich Klima, zeitigen globalen Krise, und zwar sowohl in Umwelt und Entwicklungspolitik, auch international Deutschland als auch international. wieder den nötigen Rückenwind bekommen, Frau Zur Kritik der Opposition möchte ich eines sa- Koczy. Jeder sieht doch, wie riskant zum Beispiel gen – ich sage das immer wieder mit Freude und Ankündigungen vor oder nach Kopenhagen sind. auch im Interesse unseres ehemaligen Koalitions- Ebenso sieht jeder, dass es sehr riskant ist, auf in- partners, der sich nicht immer von seinen eigenen ternationalem Parkett mit einer solchen Vorlage Erfolgen distanzieren sollte –: Unter Bundeskanz- aufzutreten, wie es die Kanzlerin und diese Bun- lerin Angela Merkel ist der Entwicklungshaushalt in desregierung getan haben. Wenn man aber nicht den letzten vier Jahren um 50 Prozent angewach- alles erfüllt, dann schreit die Opposition sofort, sen, und die Ausgaben für Klimaschutz, Hunger- dass man hinter den Erwartungen zurückgeblieben bekämpfung und die Bewahrung der Schöpfung ist. sind stets gestiegen. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sagen Sie das dem GRÜNEN]: Sie sind nicht hinter unseren Herrn Klein mal!) Erwartungen, sondern hinter Ihren Zusa- gen zurückgeblieben! Das ist absurd!) Eine Steigerung um 50 Prozent hat nie ein anderer Haushalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deshalb frage ich Sie: Welche Erwartungen hatten Deutschland geschafft. Deswegen, Frau Wieczo- Sie früher? Was Sie von den Grünen damals im rek-Zeul, habe ich Ihnen immer unterstellt, dass BMZ zur Zeit der rot-grünen Regierung gemacht Sie sehr froh waren – zu Recht –, als Bundeskanz- haben, war alles andere als grüne Politik. Sie ha- ler Schröder endlich durch Bundeskanzlerin Ange- ben vielmehr eine mickrige Leistung abgeliefert. la Merkel ersetzt worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Und wo ist sie jetzt?) Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Die christlich-liberale Koalition hat dafür gesorgt, ich möchte auf Ihren Fraktionsvorsitzenden Stein- dass – das ist schon angesprochen worden – 2010 meier zurückkommen. Zwar will ich seine Rede ein Entwurf des Haushalts vorgelegt wurde, der ei- nicht in Gänze kommentieren, aber ich finde, dass ne Steigerung von 256 Millionen Euro gegenüber er an einer Stelle etwas sehr Wichtiges gesagt hat. dem Haushalt 2009 aufweist. Ich verstehe eines Er hat nämlich gesagt, dass auch die Sozialdemo- nicht, Frau Kofler: Sie müssen doch, wenn Sie mit kraten nicht so tun, als befänden wir uns nicht in den Zahlen spielen, erkennen, wie groß der Auf- der schwersten Krise seit Bestehen der Bundesre- wuchs gegenüber dem letzten Entwurf unserer publik Deutschland. gemeinsamen Regierung war. Unser letzter ge- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber die Ent- meinsamer Haushalt hat einen Aufwuchs von ge- wicklungsländer auch!) nau 23 Millionen Euro vorgesehen. Jetzt ist die Steigerung elfmal so hoch. Deswegen fassen Sie Ich sage ganz ehrlich, dass es überhaupt nichts sich am besten an Ihre eigene Nase. Wir sind je- schönzureden gibt. Wir werden Schwierigkeiten denfalls ohne Sie um das Elffache weitergekom- haben, in den nächsten Jahren unsere selbst ge- men, als wir es mit Ihnen wären. steckten Ziele zu erreichen, weil uns die Krise un- sere eigenen Pläne ziemlich verhagelt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es leider!) soll nur Vergleichbares miteinander ver- Ich sage an dieser Stelle aber auch: Wir werden gleichen! Sie haben schon von einem diese Pläne nicht aufgeben. Sie stehen im Koaliti- überrollten Haushalt gehört? Das ist nicht onsvertrag. Wir werden versuchen, durch mehr seriös, was Sie gerade machen!) Fantasie die notwendigen Mittel aufzubringen. Das – Herr Binding, ich bin Ihrer Meinung: Wir sollten ist weiterhin unser Ziel für 2015. seriös bleiben. Ich gehe davon aus, dass wir auf Ich möchte noch ein paar strukturelle Dinge zur diese 23 Millionen Euro noch etwas draufgesattelt Diskussion stellen. Es war uns ein großes Anlie- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2825 gen, dass wir in diesem Haushalt neue Akzente Anhand dieser Zahlen sieht man: Wir halten un- bzw. Akzente – das sage ich an die Adresse unse- ser Wort in Bezug auf die Fast-Start-Initiative, die res ehemaligen Koalitionspartners –, die wir uns in Kopenhagen verabredet worden ist. Es sind ge- damals gemeinsam vorgenommen hatten, setzen. nau 350 Millionen Euro dafür eingestellt, die schon Ich verstehe die diesbezüglich geäußerte Kritik veranschlagt worden waren. Obendrauf kommen nicht. Ich halte es nicht für besonders gelungen, noch einmal 70 Millionen Euro. dass man nach vier Jahren guter Zusammenarbeit Lassen Sie mich noch etwas zu einem sehr ak- innerhalb von drei Monaten alles vergisst, was tuellen Thema sagen, nämlich zu Haiti. Man kann man einmal gemeinsam machen wollte. sicher darüber diskutieren, ob man hier oder da Im Haushalt der neuen Koalition ist eine neue noch mehr hätte machen können. Aber die ent- Entwicklungsoffensive zu Afghanistan gestartet scheidende Frage ist doch eine andere: Es gibt Si- worden. Wir haben die Mittel für die ländliche Ent- tuationen, in denen mehr Hilfe keinen Sinn hat. Wir wicklung deutlich erhöht. Wir haben die Mittel für müssen vielmehr längerfristiger denken. Bildung und Ausbildung und für die nachhaltige (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Wirtschaftsentwicklung ebenfalls deutlich erhöht. Wir unterstützen mehr denn je die Arbeit der Nicht- – Genau. – Wir müssen uns fragen, warum Haiti in regierungsorganisationen, der Kirchen und Stiftun- einem so katastrophalen Zustand war, dass es mit gen. Vor allem fördern wir – dieses Thema liegt mir dieser Krise überhaupt nicht zurechtgekommen ist. sehr am Herzen – die Biodiversität und den Klima- Das führt mich wieder zu einer Steigerung, und schutz. zwar der Steigerung der Mittel zum Beispiel für Stiftungen und Kirchen um 63 Millionen Euro. Wir Für die ländliche Entwicklung haben wir 500 Mil- müssen uns im Zusammenhang mit den entwick- lionen Euro veranschlagt. Bei der Bildung als lungspolitischen Mitteln auch mit fragilen Staaten, Schlüssel zur Selbstbestimmung wurden die Mittel mit Staaten, die am Rande des Zusammenbruchs auf 200 Millionen Euro fast verdoppelt. Bei der stehen und weiße Flecken der Ordnung auf die- nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung ist es ganz sem Planeten sind, stärker auseinandersetzen. wichtig – auch das war einmal ein gemeinsames Das ist vor allem eine Aufgabe für die Stiftungen Anliegen –, dass wir den Aufbau des privaten Sek- und die Kirchen, die auch in einem Terrain arbei- tors und des Mittelstandes tatkräftig unterstützen. ten können, in dem die bilaterale Zusammenarbeit Das kann zum Beispiel durch Mikrofinanzierungen, nicht funktionieren kann, weil es keinen demokra- aber auch durch umfangreiche Infrastrukturmaß- tisch legitimierten Ansprechpartner gibt. Ich bin nahmen, die für den Aufbau der Privatwirtschaft sehr froh, dass es uns gelungen ist, da einige ent- genauso wichtig sind, geschehen. scheidende Weichen zu stellen. Hinsichtlich des Umwelt- und Ressourcen- Wir werden die Entwicklungspolitik auch in den schutzes gibt es ja die tollsten Kapriolen. Als da- nächsten Jahren sowohl qualitativ als auch quanti- mals die Grünen die Regierungsverantwortung ver- tativ voranbringen. Wir werden das Schritt für loren hatten und wir in die Regierung eingetreten Schritt und mit Fantasie tun. Nur so werden wir die sind, waren gerade einmal 25 Millionen Euro für globalen Herausforderungen meistern können. die Erhaltung der Schöpfung, also für die Biodiversität, im Haushalt eingestellt. Frau Wieczo- Vielen Dank. rek-Zeul, ich weiß das deswegen noch so genau, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weil wir uns damals gefragt haben, was wir mit diesem Plafond bewirken können. Jetzt wird in die- sem Haushalt mehr als das Zehnfache dafür ein- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gestellt. Der Kollege Dr. Sascha Raabe hat das Wort für die Fraktion der SPD. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte Sie daher fragen: Was haben Sie wäh- Dr. Sascha Raabe (SPD): rend Ihrer Regierungszeit in diesem Bereich zu- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolle- stande gebracht? ginnen und Kollegen! Lieber Herr Ruck, lieber Herr Klein, Sie versuchen hier, den kümmerlichen Auf- (Holger Haibach [CDU/CSU]: Da gibt es keine wuchs dieses Haushaltes Zwischenrufe!) (Helga Daub [FDP]: Aufwuchs! Aufwuchs!) Wir haben für Umwelt- und Ressourcenschutz fast 1 Milliarde Euro im BMZ-Haushalt eingestellt. mit einem vermeintlichen Entwurf aus dem letzten Wir haben zum Beispiel auch die Mittel, die wir für Jahr zu vergleichen, der nie in das Parlament – die Global Environmental Facility bereitstellen, um dann können wir das Parlament auch auflösen – fast 100 Prozent erhöht, Frau Koczy. Es macht eingebracht worden ist. Man kann aber nur das nichts, wenn Sie das eine oder andere nicht mitbe- vergleichen, was vergleichbar ist. Das war ein kommen haben. Darum sage ich es hier. Aber ich überrollter Haushalt, der vor der Bundestagswahl bitte darum, dass Sie das entsprechend würdigen. nicht mehr in das Parlament eingebracht wurde. 2826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Fakt ist, dass wir in den letzten beiden Jahren entwicklung und die Gesundheit bis hin zu den einen Aufwuchs von über 14 Prozent hatten. Jetzt Frauenrechten vieles angeschaut; das alles war in kommen Sie mit nur knapp 4 Prozent daher und Ordnung. Auch die Gespräche mit den politischen wollen kaschieren, dass der Entwicklungsminister Entscheidungsträgern von Regierung und Parla- und die Kanzlerin ein Versprechen bzw. eine Zu- ment waren gut. Sie haben in Ihren einleitenden sage an die ärmsten Menschen dieser Welt nicht Sätzen durchaus die richtigen Worte gewählt. Sie eingehalten haben. Das werden wir nicht durchge- haben immer darauf hingewiesen, dass gute Re- hen lassen. Dieser Haushalt ist und bleibt eine gierungsführung in den Partnerländern wichtig ist, Schande für Deutschlands Ansehen in der Welt und das unterstütze ich. Die Themen Men- und ein Schlag ins Gesicht der Ärmsten der Ar- schenrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und men. der Kampf gegen die Korruption haben wir zu Recht gemeinsam angesprochen; denn die Mittel (Beifall bei der SPD – Harald Leibrecht [FDP]: Sie aus der Entwicklungszusammenarbeit sollen bei sprechen hier von Steuergeldern!) den Ärmsten ankommen und nicht in den Taschen Ich kritisiere jetzt bewusst die Kanzlerin. Von Ih- der Regierenden und Eliten landen. nen, Herr Entwicklungsminister – das habe ich schon bei der Einbringung des Haushalts gesagt –, bin ich nicht enttäuscht; denn von Ihnen habe ich Sie haben ausgeführt, dass Sie das in Kambod- nichts anderes erwartet. Sie wollten das Ministeri- scha noch prominenter als in Vietnam angespro- um abschaffen. Sie haben noch vor einem Jahr chen haben, weil sich Kambodscha als Demokratie gesagt, Entwicklungshilfe für Afrika sei verpulver- versteht. Sie begründen das damit, dass Kambod- tes Steuergeld, dafür solle man lieber deutsche scha einen höheren Anspruch als Vietnam habe, Lehrer einstellen. Von Ihnen habe ich gar nicht er- das sowieso nur ein Einparteiensystem habe und wartet, dass Sie für einen großen Etat kämpfen. in dem keine freien Wahlen stattfinden würden. Man kann dieser Logik folgen. Wenn man ihr aber Aber dass sich die Bundeskanzlerin, die sich bei folgt, dann muss man auch berücksichtigen, dass jedem Kirchentag und bei jedem internationalen es in Kambodscha nach dem Terror der Roten Auftritt mit Künstlern wie Bono immer wieder hat Khmer und der Besetzung durch Vietnam erst seit feiern lassen und gesagt hat, sie stehe zu dem Ziel 1993 freie Wahlen gibt. Es ist eine sehr junge De- der ODA-Quote von 0,51 Prozent im Jahre 2010, jetzt klammheimlich aus der Verantwortung davon- mokratie, die sich erst in der 4. Legislaturperiode befindet. Wir haben zu Recht trotzdem gemahnt gestohlen hat, ist unerhört. Sie hat schon in Ko- penhagen in Bezug auf den Klimaschutz Ankündi- und den Finger gehoben. gungen gemacht, die sie nicht hält, und jetzt ge- Allerdings frage ich mich, was passiert, wenn schieht das Gleiche bei der Entwicklungszusam- unsere Gesprächspartner, die wir zu einem Ge- menarbeit. Das ist Kontinuität in der Lüge. Wenn genbesuch eingeladen haben, nach Deutschland Pinocchio eine Schwester hätte, dann würde sie kommen und zu Recht die Erwartungshaltung ha- Angela heißen. ben, dass ein demokratischer Staat wie die Bun- desrepublik Deutschland, die seit 1949 besteht (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der und sich in der 17. Legislaturperiode befindet, eine CDU/CSU und der FDP) lupenreine Demokratie mit guter Regierungsfüh- Wenn wir wollen, dass die Entwicklungsländer rung sein müsste. Herr Niebel, Sie werden mir zu- uns beim Klimaschutz und bei internationalen Ver- stimmen, dass in Deutschland, in einem etablier- handlungen vertrauen, dann müssen wir ihnen die ten, jahrzehntelang währenden demokratischen Mittel zur Verfügung stellen, die wir ihnen zum Teil Staat und einer reichen Nation, die sich einen öf- schon seit den 70er-Jahren versprochen haben. fentlichen Dienst etc. leisten kann, ein höherer Nichts davon ist zu sehen. Was 2015 angesichts Maßstab als in Kambodscha angelegt werden dessen, dass der Entwicklungsminister die Fi- muss. Wenn das aber so ist, wie soll ich dann mei- nanztransaktionsteuer ablehnt, nem kambodschanischen Parlamentskollegen er- (Harald Leibrecht [FDP]: Sehr vernünftig!) klären, warum unser Entwicklungsminister Niebel in seinem Ministerium fast alle wichtigen Leitungs- geschehen soll, ist mir schleierhaft. funktionen mit Parteifreunden besetzt hat und so- Herr Minister Niebel, jetzt komme ich zu Ihnen. gar extra eine neue Abteilung zur Versorgung von Wir waren letzte Woche gemeinsam auf Dienstrei- FDP-Parteifunktionären geschaffen hat? se in Vietnam und Kambodscha. Vielleicht sagen (Helga Daub [FDP]: Das kennen wir Sie im Anschluss in Ihrer Rede auch noch etwas schon! – Holger Haibach [CDU/CSU]: Die dazu. Ich will aber schon einmal den ersten Teil SPD hat das nie gemacht! – Hartwig Fi- des Reiseberichts liefern. Der Fairness halber ist scher [Göttingen] [CDU/CSU]: Bei Ihnen zu sagen: Die Länder und die Programmpunkte hat es das nie gegeben!) waren gut ausgewählt. Wir haben uns vom zivilen Friedensdienst über die Förderung der ländlichen Was soll ich meinem kambodschanischen Parla- Entwicklung, eine nachhaltige Wirtschafts- mentskollegen erklären, wenn er mich fragt, wel- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2827 che Einflüsse in Deutschland von außen auf die (Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] meldet Gesetzgebung möglich sind und wie sich die Par- sich zu einer Zwischenfrage) teien finanzieren? Mein letzter Satz konkret zum Haushalt. Wir be- (Harald Leibrecht [FDP]: Da lachen ja die finden über den Personalplan und die Finanzie- Hühner!) rung der Stellen im Ministerium. Wie soll ich ihm erklären, dass die Regierungspar- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: tei FDP 1,1 Millionen Euro von der Hotellobby ge- Ein Raabe macht noch keine Demokratie! spendet bekommen hat – die höchste Spende ih- – Heiterkeit bei Abgeordneten der rer Geschichte – und CDU und CSU zusammen CDU/CSU und der FDP) 800 000 Euro bekommen haben und sie danach ein Gesetz auf den Weg gebracht haben, mit dem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: den Hotellobbyisten über 1 Milliarde Euro ge- Herr Raabe, wenn Sie noch innerhalb Ihrer Re- schenkt wurde? Ich kann es nicht erklären. dezeit gewesen wären, dann hätte ich Sie gefragt, (Harald Leibrecht [FDP]: Das müssen Sie ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen. Sie auch nicht!) sind aber so weit außerhalb Ihrer Redezeit, dass ich das nicht mehr fragen kann. Ich bitte Sie, zum Ich kann dies vor allen Dingen nicht mit guter Re- Ende zu kommen. gierungsführung erklären. In jedem anderen Land der Welt würde man ein solches Vorgehen in die Dr. Sascha Raabe (SPD): Nähe von Korruption rücken. Ich komme zum Ende. – Damit kein falscher Wenn mich mein kambodschanischer Kollege Eindruck entsteht: Ich würde gerne den Mitteln für fragt, was man denn in Deutschland tun muss, um den Personaletat des Ministeriums zustimmen, als Unternehmer einem Ministerpräsidenten ein weil es dort viele gute Mitarbeiterinnen und Mitar- wichtiges Anliegen vorzutragen, dann kann ich ihm beiter gibt. Aber was die unzähligen Versorgungs- sagen: Du hast zwei Möglichkeiten. Du kannst posten für Parteifreunde auf Leitungsebene an- entweder beim Büro des Ministers um einen Ter- geht, sage ich: Wir machen da nicht mit. Der Fisch min bitten. Vielleicht hast du Glück und kannst ei- stinkt vom Kopf her. Schon allein deshalb werden nen Staatssekretär sprechen. Wenn du ganz viel wir dem Haushalt nicht zustimmen. In diesem Sin- Glück hast, kannst du nach vielen Monaten auch ne können Sie auf unsere Ablehnung zählen. den Ministerpräsidenten sprechen. Oder du zahlst Ich würde mir wünschen, Herr Minister, dass wir 6 000 Euro an die Parteikasse der CDU, dann be- in Deutschland dafür sorgen, dass gute Voraus- kommst du spätestens beim nächsten Parteitag setzungen bezüglich unserer Glaubwürdigkeit ganz sicher die Möglichkeit zu einem Gespräch mit herrschen, bevor wir das nächste Mal zusammen dem Ministerpräsidenten. ins Ausland reisen. Wir in Deutschland müssen mit (Helga Daub [FDP]: Sprechen Sie zum gutem Beispiel vorangehen und für eine saubere Haushalt! – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Trennung von Partei- und Regierungsämtern sor- Zum Thema Entwicklungshilfe haben Sie gen. nichts zu sagen?) Vielen Dank. Ich möchte nicht missverstanden werden: Natür- (Beifall bei der SPD) lich sind die Zustände in Kambodscha mit denen in Deutschland nicht vergleichbar. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zu einer Kurzintervention Barbara Hendricks. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Raabe. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Herr Kollege, Sie haben darüber gesprochen, Dr. Sascha Raabe (SPD): wie man an Termine für ein Gespräch mit einem Aber wir müssen einen höheren Maßstab an Ministerpräsidenten kommt. Ich darf Sie kurz da- uns anlegen. Wenn wir gegenüber unseren Part- rauf aufmerksam machen, dass zum Beispiel der nerländern glaubwürdig sein wollen und dort eine Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, gute Regierungsführung einfordern, – Herr Kurt Beck, alle vier Wochen eine Bürger- sprechstunde abhält, zu der jeder hinkommen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kann. Herr Raabe! (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hol- ger Haibach [CDU/CSU]: Das ist eine Dr. Sascha Raabe (SPD): entwicklungspolitisch maßgebliche Aus- – dann müssen wir vor unserer eigenen Haustür sage! Leute!) kehren. Dr. Sascha Raabe (SPD): 2828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Frau Kollegin, nur ganz kurz: Sie wissen natür- können, die in der Zeit nach einer Diktatur vielleicht lich, dass ich den Ministerpräsidenten von dazu beitragen können, dass sich die Gesellschaft Nordrhein-Westfalen, Herrn Rüttgers, gemeint ha- weiterentwickeln kann. Auch das ist ein Grund, wa- be. Als Sozialdemokrat kann ich sagen, dass wir rum gerade hier ein Aufwuchs stattfinden soll. Die- da ein anderes Verständnis haben. Ich war einmal ses Instrument sollte man intensiver nutzen. Bürgermeister, und auch ich habe eine offene (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sprechstunde angeboten. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Ich werde meinem kambodschani- Diese Bundesregierung stärkt ausdrücklich auch schen Parlamentskollegen sagen, dass wir Politi- die Zusammenarbeit mit der mittelständischen ker auch ohne Parteispenden gerne für Gespräche deutschen Wirtschaft, in diesem Fall mit zusätz- mit Bürgern, mit Menschenrechtlern und selbstver- lich 10 Millionen Euro. ständlich auch mit Unternehmern zur Verfügung (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) stehen. – Sie können gerne Zwischenfragen stellen, insbe- (Volkmar Klein [CDU/CSU]: Und auf diese sondere zum Personal. Ich habe die Lebensläufe billige Show sind Sie jetzt auch noch der Mitarbeiter dabei, die Sie hier so schändlich stolz! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Pein- angegriffen haben, ohne dass sie sich verteidigen lich! Peinlich!) konnten, meine liebe Frau Kollegin. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das Wort hat der Bundesminister Dirk Niebel. Wir setzen ausdrücklich auch auf das Engage- (Beifall bei der FDP) ment der deutschen Wirtschaft, weil es unser Ziel ist, unsere Partnerländer dahin gehend zu entwi- ckeln, dass sie im Idealfall nicht mehr auf unsere Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- Hilfe angewiesen sind. Das heißt, wir verlagern sammenarbeit und Entwicklung: den Schwerpunkt in Richtung der Förderung des Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Wirtschaftswachstums in unseren Partnerländern, und Herren! Zuallererst möchte ich den Kollegin- damit sich dort eine eigenständige Wirtschaft ent- nen und Kollegen des Haushaltsausschusses, ins- wickeln kann. Die Chance auf ein eigenes Ein- besondere Frau Hinz, Herrn Klein, Herrn Binding, kommen ist ein wesentlich besserer Beitrag zur Ar- Herrn Koppelin und nicht zuletzt Herrn Bartsch, mutsbekämpfung als jede noch so gut gemeinte danken für die kooperative Zusammenarbeit und Hilfeleistung durch das Verteilen von irgendwel- für das Verständnis, das dafür sorgte, dass es in chen Wohltaten. der Bereinigungssitzung insbesondere zu früher Morgenstunde noch bestimmte, wichtige Ent- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) scheidungen gegeben hat. Allerdings würde ich Wir wollen, dass unsere Entwicklungspolitik mir wünschen, dass die Erinnerung an die Zeit in weltweit sichtbarer wird, nicht nur, weil wir glauben, politischen Jugendorganisationen, wo die wichtigs- dass unsere Bürgerinnen und Bürger, die unser ten Entscheidungen auch immer erst morgens ge- Engagement durch Steuern zu finanzieren haben, troffen wurden, in Zukunft aus dem Haushaltsaus- einen Anspruch darauf haben, dass man unser schuss verbannt wird. Wir könnten eigentlich Engagement nachvollziehen kann, sondern auch, schon drei Stunden früher fertig werden, wenn ich weil wir wissen, dass wir durch Wirksamkeit und das so ehrlich sagen darf. Sichtbarkeit immer wieder die Zustimmung der (Beifall bei der FDP) Menschen in unserem Land gewinnen müssen, damit wir viel Geld in die Entwicklungszusammen- Nichtsdestotrotz waren die letzten Entscheidun- arbeit investieren können. Nicht jeder erkennt so- gen die besten. Ich bin sehr dankbar dafür, dass fort, dass vieles auch im deutschen Interesse ist. sich in diesem Haushalt ein Politikwechsel in der Entwicklungspolitik widerspiegelt. Es ist der aus- Ich wundere mich über manche Diskussionsbei- drückliche Anspruch dieser neuen Bundesregie- träge, die hier geboten wurden, insbesondere von rung, Dinge anders zu machen. Wir setzen andere Ihnen, Herr Raabe. Sie waren einmal Bürgermeis- Schwerpunkte. Dies können Sie in diesem Haus- ter. Gehen Sie einmal in eine Gemeinde, einen halt erkennen. Kreis, eine Stadt und erzählen Sie dort von diesem vermeintlich schändlichen, geringen Aufwuchs von Wir setzen ganz bewusst auf eine Stärkung der 256 Millionen Euro. Erzählen Sie das einmal einem Zivilgesellschaft. Wir stärken die Kirchen, die Kommunalpolitiker, der nicht weiß, wie er die Lö- Nichtregierungsorganisationen und – das sage ich cher zu Hause schließen soll. ganz ausdrücklich – alle politischen Stiftungen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass in vie- (Holger Haibach [CDU/CSU]: Der erzählt noch len Ländern, in denen man aus guten Gründen ganz andere Sachen!) vielleicht nicht auf bilateraler Ebene arbeiten sollte, Wir müssen wirksam, sichtbar, erfolgreich und effi- die politischen Stiftungen, die Kirchen, aber auch zient sein, damit uns die Bürgerinnen und Bürger NGOs Zugänge haben und Strukturen schaffen immer wieder ihr Vertrauen geben, wenn wir zu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2829 sätzliche Steuermittel im Bereich der Entwick- 6. März dieses Jahres zitieren. Die Frage des lungspolitik einsetzen. Abendblattes an mich lautete: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rücken Sie langsam vom 0,7-Prozent-Ziel ab? Meine Antwort war: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Niebel, möchten Sie eine Zwischenfrage Die Bundesregierung hält ausdrücklich an die- des Kollegen Raabe zulassen? sem Ziel fest. Es wird nur sehr sportlich, es zu erreichen. Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- Wer die Daten kennt, weiß, dass das stimmt. sammenarbeit und Entwicklung: Wir halten an dem Ziel fest. Es steht im Koalitions- Ja, aber selbstverständlich. vertrag, und die Bundeskanzlerin hat es in der Re- gierungserklärung gesagt. Aber es wird sportlich, Dr. Sascha Raabe (SPD): es zu erreichen. 2008 lag die ODA-Quote bei Herr Niebel, nur ganz kurz, weil Sie sagten, 0,38 Prozent. Wir haben jetzt der OECD den vor- dass ich als Bürgermeister wissen müsste, was läufigen Wert für 2009 gemeldet. Die ODA-Quote 256 Millionen Euro bedeuten: Sie werden bitte zur ist auf 0,35 Prozent gesunken. Das habe nicht ich Kenntnis nehmen, dass ich Bürgermeister einer in den zwei Monaten meiner Amtszeit erreicht; da Gemeinde mit 12 000 Einwohnern gewesen bin. können Sie sicher sein. Es gibt auf der Welt 3 Milliarden hungernde Men- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und schen: 2 Milliarden leben von weniger als 2 Dollar der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike und 1 Milliarde von weniger als 1 Dollar pro Tag. Hänsel [DIE LINKE]) 256 Millionen Euro, bezogen auf 3 Milliarden Men- schen, bedeutet etwas anderes, als dies für 12 000 – Nein, so gut bin ich nicht, dass ich so etwas in Einwohner der Fall wäre. Wenn Sie aber meiner zwei Monaten erreiche, nicht einmal wenn es mein Heimatgemeinde 256 Millionen Euro zur Verfügung Ziel wäre; aber dies ist ausdrücklich nicht mein stellen, nehme ich diese sehr gerne an. Ziel. Wir werden mit diesem Haushalt, der hier heute Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- vorliegt, in diesem Jahr eine Quote von ungefähr sammenarbeit und Entwicklung: 0,4 Prozent, vielleicht 0,41 Prozent, erreichen. Das Lieber Kollege Raabe, würde ich nur ist vor dem Hintergrund einer schwierigen wirt- 256 Millionen Euro im Haushalt des Bundesminis- schaftlichen Situation eine enorme Leistung. teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Entwicklung haben, würde ich Ihnen voll und ganz ist ein gebrochenes Versprechen!) zustimmen. Sie übersehen, dass dieser Haushalt das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepub- Auch aus diesem Grund danke ich dem Haus- lik bei 6,1 Milliarden Euro angelangt ist. Das ist ein haltsausschuss für das Entgegenkommen bei den Erfolgsergebnis, das es hier noch nie gegeben hat. Beratungen. – Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Etat spiegelt eine Strategieänderung in Be- Daran kann ich nahtlos anschließen. Kollege zug auf Afghanistan wider. Wir verlagern den Ruck hat es angesprochen: Unabhängig von unse- Schwerpunkt in Afghanistan ausdrücklich und ein- rem Haushalt, unabhängig von der ODA-Quote deutig auf den zivilen Aufbau. und Sonstigem muss man zur Kenntnis nehmen, (Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] mel- dass die Bundesrepublik Deutschland in der Ent- det sich zu einer Zwischenfrage) wicklungszusammenarbeit der zweitgrößte Zahler weltweit ist. Wir sind stolz darauf, dass wir diese – Kollege Binding hat eine Frage. Leistung erbringen können. (Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie diese zulassen? Betrachtet man zusätzlich die Hilfen der Europäi- schen Union – von all dem, was dort finanziert Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- wird, zahlen wir gute 20 Prozent –, sind wir sogar sammenarbeit und Entwicklung: der weltgrößte Zahler in der Entwicklungszusam- Ja, natürlich. Wenn Sie die Uhr wieder anhalten, menarbeit. Das ist eine hervorragende Leistung Frau Präsidentin, sogar sehr gerne. der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland, auf die sie stolz sein können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich bin da sehr zuvorkommend. Weil manche nicht lesen können oder wollen, möchte ich aus dem Hamburger Abendblatt vom 2830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Ich bin ausdrücklich stolz darauf, dass in diesem ist immer so, Herr Niebel!) Haushalt netto 15,5 neue Stellen geschaffen wor- den sind. Denn das war lange überfällig, nachdem Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- in den vergangenen Jahren immer nur Geld in die- sammenarbeit und Entwicklung: sen Etat gepumpt wurde, aber nicht die Fähigkeit Nicht immer, manchmal läuft die Uhr ein biss- vorhanden war, dieses Geld bilateral einzusetzen. chen weiter, Frau Koczy. Dies ist jetzt möglich.

Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Besonders freue ich mich, dass bei den vier Ich habe eine Frage zu der jetzt überraschend Stellen im einfachen Dienst morgens kurz nach 2 niedriger als bisher geschätzt ausgefallenen ODA- Uhr die kw-Vermerke endgültig gestrichen worden Quote. Ich wollte fragen, ob ein Zusammenhang sind. Das tut dem Haus gut. Weil das dem Haus besteht zwischen den möglicherweise zeitlich an- guttut, wundere ich mich sehr, dass mich nach al- ders strukturierten Vorfinanzierungen seitens der len öffentlichen, auch hier geführten Angriffen kein KfW und den Verzögerungen bei den Schuldener- Vertreter der Opposition auf die Lebensläufe mei- lassen für Länder in Afrika. Hätte man diese bei- ner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesprochen den Aufgaben, die ich jetzt angesprochen habe, hat. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wie sonst üblich noch im letzten Jahr vollzogen – nämlich hochkompetent und haben es nicht nötig, das war am Anfang Ihrer Amtszeit –, würde die hier beschimpft und erniedrigt zu werden. ODA-Quote dann anders aussehen? (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!) Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- Meine Redezeit ist vorbei. Sie haben jetzt die letzte sammenarbeit und Entwicklung: Gelegenheit, dazu eine Zwischenfrage zu stellen. Es ist richtig, dass der IWF-Schuldenerlass für Ich habe die Lebensläufe hier. Es handelt sich, wie Liberia, den übrigens nicht mein Haus verhandelt, gesagt, um hochkompetente Leute, hervorragend sondern das Finanzministerium – ich sage das der motiviert und übrigens längst nicht alle Mitglied der guten Ordnung halber, weil in der Frage ein leiser FDP. Wenn Sie aber weiterhin so argumentieren, Vorwurf lag –, ins Stocken geraten ist und nicht werden sich viele von ihnen überlegen, ob sie zu planmäßig vorangekommen ist. Wenn das alles uns kommen. planmäßig hätte durchgeführt werden können, wä- ren wir wahrscheinlich auf dem gleichen Niveau Vielen Dank. wie 2008, also bei 0,38 Prozent. Fakt ist, dass die (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der erste Meldung an die OECD – es wird natürlich CDU/CSU) noch eine abschließende geben, die alle Details enthält – 0,35 Prozent lautet. Das ist ein Absinken Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gegenüber dem Vorjahr. Das ist keine gute Ent- Der Kollege Niema Movassat hat jetzt für die wicklung. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Bei Fraktion Die Linke das Wort. allem, was Sie mir zutrauen – das meiste schätze ich als positiv ein –: Das habe ich in zwei Monaten (Beifall bei der LINKEN) wirklich nicht geschafft, selbst wenn ich es gewollt hätte, und ich habe es ausdrücklich nicht gewollt. Niema Movassat (DIE LINKE): (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kolle- Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vielen gen! „Dabei sein ist alles“ scheint das Motto des Dank für die Antwort! – Ute Koczy Entwicklungshaushaltes zu sein, jedenfalls dann, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er wenn man sich, wie Minister Niebel, der Freizeit- recht!) sprache bedient und das Ziel, die Ausgaben für Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent des Dieser Haushalt spiegelt eine Strategieänderung Bruttonationaleinkommens zu steigern, als „sehr in Bezug auf Afghanistan wider. Das Schwerge- sportlich“ bezeichnet. Das Thema ist viel zu ernst wicht wird auf den zivilen Aufbau gelegt. für eine solch saloppe Wortwahl. Wir haben durch die Bereitstellung von zusätz- (Beifall bei der LINKEN) lich 70 Millionen Euro – 35 Millionen Euro beim BMU und 35 Millionen Euro beim BMZ – unsere Rund 1 Milliarde Menschen weltweit hungern, Verpflichtungen, die sich aus der Konferenz von fast 5 Millionen sterben jährlich an Malaria und Tu- Kopenhagen ergeben, erfüllt. Mit den bereits vor- berkulose. Die 0,7 Prozent sind ein Mindestver- her im Regierungsentwurf eingestellten sprechen an die Ärmsten der Armen. Wenn man 350 Millionen Euro in den Einzelplänen der beiden bedenkt, dass täglich 8 000 Kinder unter fünf Jah- Ressorts werden die vorgesehenen 420 Millionen ren verhungern, ist es geradezu kriminell, diese Euro erreicht. Zusage nicht einzuhalten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2831

Andere Länder sind verantwortungsvoller. So über- Ein Beispiel gibt der Spiegel. Die Consultingfir- treffen Schweden, Dänemark und die Niederlande die- ma TellSell, die FDP-Großveranstaltungen mitfi- ses Ziel schon jetzt. Doch Deutschland ist Meister der nanziert und in deren Beirat Herr Koppelin, stell- Ankündigungen, nicht der Taten. So wird mit diesem vertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, sitzt, Haushalt nicht einmal die 0,51-Prozent-Marke für 2010 will Beratungsaufträge von der GTZ ergattern. Das als Zwischenziel erreicht, sondern es sind nur etwa wird nicht allzu schwer werden, da Herr Koppelin 0,4 Pro-zent. Dies hat die OECD jüngst kritisiert. Das gleichzeitig im Aufsichtsrat der GTZ sitzt. Zudem ist eine Schande für CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP; hat an dem Gespräch zwischen TellSell und der denn keiner von Ihnen hat sich in Regierungsverantwor- GTZ Herr Beerfeltz, FDP-Staatssekretär im Ent- tung um die versprochene Steigerung der Entwick- wicklungsministerium, teilgenommen. Hier soll also lungshilfe geschert. ein Unternehmen, welches mit der FDP personell (Beifall bei der LINKEN) und finanziell verbandelt ist, ein Stück vom Kuchen abbekommen. Dabei wird es anscheinend auch Aber es kommt noch dicker. Selbst die mageren von Ihrem Ministerium unterstützt. So bleibt alles in 0,4 Prozent werden nicht nur für Entwicklungspro- der FDP-Familie. jekte ausgegeben. Ein Unding ist die Anrechnung der Klimaschutzmaßnahmen. Der Klimawandel (Beifall bei der LINKEN – Heike Hänsel [DIE liegt vor allem in der Verantwortung der Industrie- LINKE]: Skandal!) nationen. Klimagelder sind Wiedergutmachung, Entwicklungspolitik soll also noch mehr zum keine Entwicklungshilfe. Türöffner für Interessen der deutschen Wirtschaft (Beifall bei der LINKEN) werden. Armutsbekämpfung sieht anders aus: Sie orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen Aber auch damit nicht genug. Entschuldung, Kosten in den Partnerländern, nicht an den Bedürfnissen für Abschiebungen und für die Unterkünfte der Soldaten des Gebers. Unter Ihnen, Herr Niebel, steht die in Afghanistan, all dies verkaufen Sie den Menschen als deutsche Entwicklungspolitik heute Kopf. Entwicklungshilfe und hübschen somit Ihre Bilanz auf. Dabei ist das 0,7-Prozent-Ziel ohne Zahlentricks er- (Beifall bei der LINKEN) reichbar. Wer Bürgschaften in Höhe von 480 Milliarden Im Rahmen der Neuausrichtung des Ministeri- Euro für Banken aufbringt und 10 Milliarden Euro in ums erleben wir ferner eine strukturelle Militarisie- den Kauf von A400M-Militärtransportern investiert, der rung der Entwicklungspolitik. kann sich auch mehr Entwicklungshilfe leisten. Allein mit den Einnahmen aus einer Finanztransaktionsteuer (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: und einer Flugticketabgabe, deren Einführung wir hier Oh! – Harald Leibrecht [FDP]: Immer die beantragt haben, wäre die Finanzierung möglich. gleiche Leier!) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Hei- – Das müssen Sie sich schon anhören! – Ein demarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Oberst der Bundeswehr wird in die Führung des Hauses berufen. Jetzt sollen Nichtregierungsorga- Herr Minister, wir können gerne über Volumen nisationen in Afghanistan nur dann Geld erhalten, und/oder Wirksamkeit der Entwicklungshilfe disku- wenn sie bereit sind, mit der Bundeswehr zusam- tieren. Für die Linke ist klar: Wir brauchen eine menzuarbeiten, um sie – Zitat Minister Niebel – zi- Steigerung bei beidem. Was denn sonst? vil zu flankieren. Nötiger ist indes eine Diskussion über die neue Ein aktuelles Thema ist die Reform der Instituti- Marsch-richtung im Ministerium. Diese lautet onen der Entwicklungszusammenarbeit. Für die nämlich, dass sich der Einsatz in Entwicklungslän- Linke macht sich die Handlungsfähigkeit der deut- dern vor allem für deutsche Unternehmen lohnen schen Entwicklungspolitik nicht an Institutionen soll. So wollen Sie, Herr Niebel, den Etat Ihres fest. Wir brauchen eine neue politische Ausrich- Hauses künftig weniger über internationale Orga- tung, statt dass nur über das Wie der Fusion disku- nisationen als vielmehr über nationale Projekte tiert wird. Vor allem müssen wir basisorientierte steuern. Projekte, die eine nachhaltige Entwicklung ermög- (Harald Leibrecht [FDP]: Richtig!) lichen, stärken. Dabei geht es letztlich darum, deutsche Firmen Ich komme zum Schluss. Sie, Herr Niebel, de- stärker am Entwicklungsgeschäft teilhaben zu las- gradieren das Entwicklungsministerium zum inter- sen. national agierenden Lobbyverein für Interessen der deutschen Wirtschaft und zur zivilen Begleithilfe für (Harald Leibrecht [FDP]: Genau! Was ist da- Bundeswehreinsätze. Das wird die Linke nicht ak- ran schlimm?) zeptieren. Kompetenz und Effektivität spielen eine unterge- Danke schön für die Aufmerksamkeit. ordnete Rolle. Das Hissen der deutschen Fahne oder aber die Nähe zur FDP sind maßgeblich. (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 2832 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Für die Unionsfraktion spricht der Kollege Hol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hei- ger Haibach. ke Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sie wollen – das gilt für manche andere in die- der FDP) sem Haus auch – nicht einsehen, dass man, wenn man Entwicklungspolitik richtig machen will, einen Holger Haibach (CDU/CSU): ganzheitlichen Ansatz braucht. So schrecklich Sie Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und die Wirtschaft finden mögen, am Ende werden Sie Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her- einsehen müssen, dass man die Wirtschaft ren! Ich habe mir heute Morgen überlegt, was man braucht. Eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft nach einer so langen Debatte noch sieben Minuten bietet genauso wie eine Zusammenarbeit mit lang sagen soll. Inzwischen frage ich mich, ob sie- Nichtregierungsorganisationen, genauso wie eine ben Minuten ausreichen, um den hanebüchenen Zusammenarbeit mit Stiftungen, genauso wie eine Unsinn, der hier erzählt worden ist, auszumerzen. Zusammenarbeit mit staatlichen Entwicklungsor- ganisationen, genauso wie eine Zusammenarbeit (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE mit den Kirchen einen Zugang, den die Politik al- GRÜNEN]: Aber jetzt meinen Sie nicht lein nicht bieten kann. Das müssten Sie endlich mich!) anerkennen! Aber dazu sind Sie offensichtlich All diejenigen, die hier markige Worte gefunden nicht willens oder in der Lage. Anders kann ich die haben, sollten sich einmal überlegen, ob sie unse- Aussagen, die hier getroffen worden sind, jeden- rem Thema, das ein wichtiges Thema ist, mit mar- falls nicht verstehen. kigen Worten einen Gefallen tun. Ich glaube, wir al- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) le – nicht nur wir, die wir die Regierung tragen, sondern auch die Opposition – haben eine Ver- Damit bin ich bei einem weiteren Punkt. Hier ist antwortung dafür, ob unser Politikfeld ernst ge- viel darüber diskutiert worden, welche Zahlen zu nommen wird. Das dokumentiert sich auch in der welchem Etat richtig gewesen sind. Solche Zah- Sprache. Da haben Sie unserer Sache garantiert lenspiele sind hochinteressant, und jeder – ob er in keinen Gefallen getan. der Opposition ist oder in der Regierung sitzt – stellt sie an; aber man muss doch zugeben: Vieles (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kann man auf die eine oder auf die andere Weise der FDP) interpretieren. Herr Movassat und die Kollegin Hänsel haben Mich stört, dass der Aspekt, dass es bei der vor mir gesprochen; daher fange ich bei der Links- Verwendung der Mittel auch um Effizienz geht – fraktion an. Sie haben die saloppe Wortwahl des der Minister hat darauf hingewiesen, und auch vie- Ministers, das Ziel, auf eine ODA-Quote von le von uns haben das angesprochen –, nonchalant 0,7 Prozent des BIP zu kommen, sei ein sehr als Ausweichdiskussion dargestellt worden ist, sportliches Ziel, kritisiert. Ich finde es interessant, dass man gesagt hat: Das spielt ja eigentlich keine mit welcher Wortwahl Sie hier angetreten sind. Rolle. Was musste ich da alles hören: militärische Ex- pansionspolitik, Gerade wenn ich mir Afghanistan anschaue – um nur ein Beispiel zu nehmen –, dann komme ich (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! – Beifall zu dem Schluss, dass Effizienz von höchster Wich- der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) tigkeit ist. Wenn wir die Mittel für Afghanistan ver- wirtschaftliche Expansionspolitik, doppeln, ist es doch in hohem Maße notwendig, auch für die Legitimation von Entwicklungszusam- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) menarbeit in unserem eigenen Land, dafür zu sor- Interessenvertretungsverein deutscher Wirtschaft. Ja, gen, dass die Mittel tatsächlich abfließen, dass sie meine Herren! Sie sind rhetorisch in einer Zeit stehen sinnvoll verwendet werden und in Afghanistan die geblieben, die länger vorbei ist als der Fall der Mauer. Friedensdividende bewirken, die wir brauchen. Da- Sie sollten sich einmal überlegen, ob Sie, gerade was für bedarf es der richtigen Maßnahmen. Deshalb die Entwicklungspolitik angeht, weiter bei Marx und ist Effizienzkontrolle gerade an einem solchen Lenin bleiben oder endlich in der Realität ankommen Punkt extrem wichtig. Man darf das nicht einfach wollen. Viel Spaß dabei! beiseiteschieben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Inhaltlich haben Sie, außer dass Sie Mitarbeiter Genau das Gleiche ließe sich mit großer Be- des BMZ beschimpft haben, und abgesehen da- rechtigung auch über die Mittel für Klimaschutz von, dass Sie den Minister kritisiert haben, nichts, und für andere Bereiche sagen. Der Kollege Ruck aber auch gar nichts Konstruktives zur Debatte hat zu Recht auf das Beispiel Haiti hingewiesen. beigetragen. Es hätte genügend Gründe gegeben, Es bedarf wirklich eines längerfristigen Ansatzes, etwas Konstruktives dazu beizutragen. wenn wir auf Haiti erfolgreich sein wollen. Der Un- terschied zwischen der Katastrophe auf Haiti und anderen Katastrophen ist nun einmal der, dass der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2833

Staat Haiti schon vorher kaum vorhanden war, ser Erde verhungern muss usw. usf. Dann heißt dass es nach der Katastrophe keine UN-Mission es: mehr gab und dass der Staat quasi keine funktio- Besonders hart kritisierte der Bundestagsab- nierenden Strukturen mehr hatte. Dort geht es also geordnete in diesem Zusammenhang die neue um „build back better“, also darum, diesem Staat Bundesregierung, die ganz entgegen ihres so zu helfen, dass er nach dem Wiederaufbau Versprechens die Entwicklungshilfe gekürzt besser als vorher ist. Dabei spielt Geld eine wichti- hatte. ge Rolle, aber Strukturen sind mindestens genau- so wichtig: Wie stellt man einen Bebauungsplan so Das behauptet nicht mal Ihre eigene Truppe, Herr auf, dass die Gebäude dann auch einigermaßen Kollege! Kein Mensch behauptet heute, dass wir erdbebensicher sind? Man kann Katastrophen die Entwicklungshilfe gekürzt haben. Damit haben nicht verhindern, aber dafür sorgen, dass die Din- Sie der Glaubwürdigkeit von Politik insgesamt und ge insgesamt besser gemacht werden. Da haben auch dem Politikfeld keinen Gefallen getan. Wenn wir eine große Expertise. Das ist unabhängig von Sie ein anständiger Mensch wären, würden Sie Geld. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe, die wir das zurücknehmen. an der Stelle haben. Herzlichen Dank. Ich will noch etwas dazu sagen, dass wir – angeblich – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zwiespältig reden, was die Freiwilligendienste betrifft; Frau Kofler hat das erwähnt. Manchmal hilft ja Nach- fragen beim Herausfinden der Wahrheit, Frau Kollegin. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir haben das getan, und ich finde das Ergebnis ganz Zu einer Kurzintervention der angesprochene spannend. Der Mittelabfluss bei „weltwärts“ betrug im Kollege Raabe. letzten Jahr 27 Millionen Euro. Wir stellen nach dem vorliegenden Haushaltsentwurf 29 Millionen Euro zur Dr. Sascha Raabe (SPD): Verfügung. Das heißt, die Mittel werden vermutlich Nur ganz kurz. Herr Kollege Haibach, ich habe ausreichen. Wie das im nächsten Jahr aussieht, werden das in der Schule so gesagt, wie ich es auch hier wir uns in Ruhe anschauen müssen. Es geht also gar gesagt habe, und dazu stehe ich. Versprochen wa- nicht darum, dass irgendjemand „weltwärts“ nicht ren im Prinzip plus 1,7 Milliarden Euro im Einzel- schätzt – ich halte das durchaus für ein vernünftiges und plan 23, 3 Milliarden Euro insgesamt, um auf gutes Projekt –, aber wir müssen die Mittel ein bisschen 0,51 Prozent zu kommen. Ich habe da gesagt, an dem orientieren, was tatsächlich notwendig ist und dass es schäbig ist, dass dieses Versprechen ge- was tatsächlich abgeflossen ist. brochen wurde. Wenn ein Journalist dort das et- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was verkürzt, darf man, so glaube ich, einem Kol- die Evaluation soll Ende 2010 laufen!) legen in diesem Hause das nicht vorwerfen. Damit bin ich beim allerletzten Punkt, den ich Ich glaube aber schon, dass man Folgendes gern noch ansprechen würde, nämlich bei dem sagen kann: 256 Millionen Euro sollen am Ende Moralapostel der SPD, dem heiligen Sascha Raa- ein Aufwuchs sein. Dabei hat die Kanzlerin doch be, 1,7 Milliarden Euro versprochen. Sie hat das noch im Wahlkampf 2009 und auf dem Kirchentag ver- (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Danke schön!) sprochen. Sie hat das im Bundestag vor uns allen der die Moral wie eine Monstranz vor sich her ge- versprochen. Ich kann fünf oder sechs Passagen tragen hat. Man fragt sich, ob der Kollege katho- vortragen, in denen die Kanzlerin gesagt hat: Ich lisch ist und gern an Prozessionen teilnimmt. Es weiß ganz genau, was es bedeutet, wenn ich sa- war wirklich ganz interessant. Er hat auch ge, dass ich verspreche, dass ich im Jahr 2010 Pinocchio bemüht und was da alles war. Ich stim- 0,51 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit zur me ihm darin zu, dass Glaubwürdigkeit in der Poli- Verfügung stellen will. – Deshalb muss man wei- tik ein hohes Gut ist. Aber dann, lieber Herr Kolle- terhin den Finger in diese Wunde legen. Das ist ein ge Raabe, muss man bei sich selber anfangen. Skandal, und dabei bleibe ich. Der Kollege Raabe hat, wie viele von uns das ab und zu tun, in seinem Wahlkreis eine Schule besucht und über Entwicklungspolitik gesprochen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Hanauer Anzeiger vom 25. Februar 2010, aus Herr Haibach. dem ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin gern zitieren möchte, berichtet über einige sehr in- Holger Haibach (CDU/CSU): teressante Aussagen des Kollegen Raabe. Der Herr Kollege Raabe, ich bin ja nur Altphilologe Kollege Raabe erzählt also etwas über seine Ar- und Historiker und kein Mathematiker, aber ein beit als entwicklungspolitischer Sprecher. Er sagt, Aufwuchs von 256 Millionen Euro bleibt ein was alles notwendig ist, dass es genügend Reich- Aufwuchs von 256 Millionen Euro. Da können Sie tum und Lebensmittel gibt, dass kein Kind auf die- so lange irgendwelche Dinge bemühen, wie Sie sie gerade eben bemüht haben, aber es bleibt ein 2834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Aufwuchs. Deswegen ist die Aussage, die Mittel für (Harald Leibrecht [FDP]: Ach nein!) die Entwicklungszusammenarbeit seien als Gan- Meine letzte Vorbemerkung mache ich zum zes gekürzt worden, einfach nicht richtig. Stichwort „Effizienz“. Natürlich ist ein effizienter Sie zitieren auch oft genug aus Zeitungen, ohne Einsatz der Mittel immer gut, aber Sie müssen mir hinterher klar sagen zu können: Das ist tatsächlich zugestehen, dass ein effizienter Einsatz von mehr alles so gesagt worden; das ist tatsächlich alles so Mitteln besser ist als ein effizienter Einsatz von gewesen. – Ich verlasse mich erst einmal darauf, weniger Mitteln, und wir sind dafür, mehr Mittel ef- dass die Presse in Deutschland das Richtige be- fizient einzusetzen. richtet, und ich verlasse mich darauf, dass Sie das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) so gesagt haben. Sie haben es jetzt richtiggestellt. Dirk Niebel sagt oft, Zahlen spielten nicht die Das macht die Tatsache, dass Sie etwas be- große Rolle, und die ODA-Quote sei vielleicht nicht haupten, was nicht stimmt, an und für sich aber das Entscheidende. Dem stimme ich zu, und ich nicht besser. 256 Millionen Euro Aufwuchs bleiben frage: Was ist eigentlich das Entscheidende? Mit 256 Millionen Euro Aufwuchs. Da nützt auch keine Blick auf die Regierung möchte ich diesem Parla- – wie soll ich das sagen? – intelligente und fanta- ment sagen, dass die Kanzlerin, der Außenminis- siereiche Mathematik. Ich glaube, hier müssen wir ter, der Minister für wirtschaftliche Zusammenar- schon bei der Wahrheit bleiben. beit und Entwicklung und auch der Vertei- (Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP]) digungsminister das Bild Deutschlands in der Welt bestimmen. Ich finde, darauf müssen wir ein biss- Ich denke, es ist richtig, dass man das an dieser chen genauer gucken. Stelle sagt; denn es geht darum, dass wir in den Wahlkreisen genauso glaubwürdig bleiben, wie wir Welchen Eindruck können die Menschen ande- das auch in Berlin sein sollten, da Glaubwürdigkeit rer Länder von Deutschland haben, wenn dieser – darin sind wir uns ja wohl einig – das größte Gut Eindruck maßgeblich durch das Verhalten dieser ist, das wir in der Politik haben. Regierungsmitglieder dominiert und definiert wird? Um nur ein paar charakteristische Dinge als Bei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten spiele zu nennen: Welches Bild haben andere der CDU/CSU) Menschen von unserer Kultur? Ist sie anspruchs- voll? Ist sie ansprechend? Welchen Eindruck ha- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ben sie von unseren demokratischen Grundprin- Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die zipien? Funktioniert das hier? Haben wir einen gu- SPD-Fraktion. ten Parlamentarismus? Wie geht unser Volk zum Beispiel mit der Not, dem Hunger und den Krank- Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): heiten anderer Völker um? Wie hält unser Volk die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- Versprechen, die es macht? – Ich glaube, unser gen! Sehr verehrte Damen und Herren! Erste Vor- Bild jenseits der Zahlen ist im Moment eher ver- bemerkung. Auch ich möchte zunächst meinen heerend. Dank zum Ausdruck bringen. Priska Hinz hat unse- (Harald Leibrecht [FDP]: Stimmt doch gar re Berichterstattergespräche sehr gut organisiert. nicht!) Ich möchte mich auch beim BMZ für die stets gute Information bedanken. Wir haben einen Außenminister, der im Grunde nicht erklären kann, wen er warum mit auf Reisen Vielleicht kann ich das Lob auch ein bisschen nimmt – möglicherweise auch seinen Freund, der mit einer subtilen Kritik verknüpfen. Wenn die Poli- sich aber nicht im Rahmen des Beiprogramms be- tik so gut wäre wie die Atmosphäre in den Gesprä- tätigt und Deutschland repräsentiert, sondern ei- chen und die Information aus dem BMZ, dann wä- genen Geschäften nachgeht. re das eine super Politik. Das muss ich wirklich sa- gen. Oder schauen wir auf die Kanzlerin. (Harald Leibrecht [FDP]: Das war eine gute (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie macht Verbesserung!) das doch wirklich gut!) Zweite Vorbemerkung. Vorhin hat jemand ge- Sie verspricht international 420 Millionen Euro. Das sagt: Wir haben einen guten Ruf in der Welt im fand ich sehr gut, weil das ein absolut gutes Ver- Hinblick auf unsere Entwicklungszusammenarbeit. sprechen ist. Denn mit 420 Millionen Euro, die wir – Das stimmt. Wenn wir ganz ehrlich sind, dann für andere Länder ausgeben, können wir ökolo- wissen wir: Ein guter Ruf ist meistens dem Blick gisch viel mehr erreichen als mit der gleichen zurück geschuldet. – Die Leute fragen: Wie war Summe in Deutschland. Das ist also ein sehr gutes das eigentlich bisher? – Deshalb kann man wirklich Versprechen. Enttäuschung gab es aber dennoch. sagen: Wir haben einen sehr guten Ruf. Unsere Denn was soll das Ausland von uns denken, wenn Sorge ist aber ein klein wenig, dass der Ruf mögli- die Kanzlerin selbstsicher auftritt und etwas vertritt, cherweise nicht so bleiben wird, wenn wir nicht was im Haushalt dann aber plötzlich nicht mehr sehr aufpassen. abgebildet wird? Das halte ich für sehr gefährlich. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2835

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schen Anliegens mehr sind. Von einem aufge- DIE GRÜNEN) klärten Eigeninteresse an einer gerechteren Welt ist nichts mehr zu spüren. Jetzt möchte ich eine Sache ansprechen, die zu einem Dauerstreit zwischen Dirk Niebel und mir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) geworden ist, und zwar meine ich die Privatisie- Deshalb habe ich den Minister nach seiner Per- rung von Ministerämtern. Herr Westerwelle pri- sonalentwicklung gefragt. Er hat zunächst ein biss- vatisiert sein Ministeramt und vernachlässigt seine chen falsch verstanden, was ich damit meine, und gesellschaftlichen Aufgaben. Nachdem ich den deshalb drei Einstellungsvoraussetzungen ge- Witz mit der Mütze gemacht habe – ich habe es nannt. Dazu möchte ich sagen: Erfahrung beim Mi- gar nicht lange ausgehalten –, litär, guter Freund und FDP-Affinität waren nicht (Harald Leibrecht [FDP]: Das war wirklich ein dabei. Witz!) Vielen Dank. hat Dirk Niebel mir erklärt, dass es erstens der fal- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des sche Typ war und er sie zweitens wieder tragen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wird. Ich sage aber: Das darf nicht seine private Entscheidung sein. Dirk, du hast uns in Afrika mit einer Brille und einem Hut repräsentiert, der aus Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: einer Szene stammt, von der ich nicht möchte, Der Abgeordnete Niebel erhält das Wort zu ei- dass sie uns im Ausland vertritt. Das ist keine per- ner Kurz-intervention. sönliche Sache. Es stellt sich nämlich die Frage, mit welcher Reputation du uns auf internationaler Dirk Niebel (FDP): Ebene vertrittst. Es ist irgendwie sehr merkwürdig, Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da hier mehr- wenn mich jemand anspricht und sagt: Dein Minis- fach die entwicklungspolitische Kompetenz der von ter hat eine verspiegelte Brille. Das tragen bei uns mir eingestellten Kolleginnen und Kollegen bestrit- Leute in ganz anderen Vierteln. – Ich möchte so ten worden ist, möchte ich einige wenige Daten nicht vertreten werden und kenne viele Deutsche, aus deren Lebensläufen zum Besten geben: die das auch nicht möchten. Derjenige, der die Einheit für die Durchführung (Beifall bei der SPD) der Organisationsreform leitet, war von 2004 bis 2010 selbstständiger Berater bei InWEnt, CIM, Ich möchte noch eine Sache zur Harmonisie- GTZ und sonstigen. Von 2006 bis 2010 war er rung und Koordination der Geberländer sagen; Trainer bei InWEnt. Von 1998 bis 2003 war er Re- das ist nämlich sehr wichtig. Ich finde es sehr gut, gierungsberater für Politik- und Verwaltungsre- dass jetzt der Versuch gemacht wird, die GTZ, formprozesse in Äthiopien. Von 1993 bis 1996 war InWEnt und den DED zu integrieren. Das halte ich er Regierungsberater für Politik und Ver- für einen sehr guten Weg. Man muss vielleicht waltungsreformprozesse in Ecuador. noch einmal daran erinnern, dass die SPD- Fraktion 2007 auf einem sehr guten Weg war, die- Der völlig unbekannte und entwicklungspolitisch se Integration auf diesem Gebiet, der TZ, unter unbedarfte Abteilungsleiter 2 war nicht nur Mitar- Einschluss der finanziellen Zusammenarbeit vo- beiter des Instituts für Entwicklungspolitik und Ent- ranzutreiben, sie aber leider durch andere im Par- wicklungsforschung der Universität Bochum, son- lament blockiert wurde. dern ab 1988 auch entsandter Projektleiter einer politischen Stiftung, zunächst in Peru, dann in Ko- Die meisten können sich erinnern, wie die Situa- lumbien. Er war auch für weitere Länder zuständig. tion in der Koalition damals war. Wir glauben trotz- Ab 1996 war er Leiter des Regionalbüros Mittel-, dem, dass diese kleine Lösung heute besser ist, Südost- und Osteuropa. Von 2002 bis 2007 war er als gar keine Lösung anzustreben. Vielleicht wäre Leiter der Programme in Lateinamerika. Danach es eine gute Idee, die Länder zu fragen. Denn der war er in der Zentrale der Stiftung für das gesamte Kollegen Laschet von der CDU sagt: Minister Auslandsportfolio zuständig. Niebel soll sich nicht so weit vorwagen. – Es ist in- teressant, die Länder zu fragen, da sechs von ih- nen an InWEnt beteiligt sind. Das ist eine kompli- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zierte Sache. Herr Kollege Niebel!

Um es nicht selber sagen zu müssen, möchte Dirk Niebel (FDP): ich nun etwas zitieren; das ist mein letzter kleiner Ich habe noch eine Minute, Frau Präsidentin. Block. Es geht um das Personal. Professor Rauch, Professor für Geografie an der FU in Berlin, sagt: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Fatale an dem radikalen Personalwechsel Nein, Herr Kollege Niebel. Ich muss Sie deswe- an der Spitze des BMZ ist, dass unter der gen unterbrechen, weil ich Ihnen als Abgeordneten neuen Führungsriege keine kompetenten und das Wort zu einer Kurzintervention erteilen kann. engagierten Anwälte des entwicklungspoliti- 2836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Was Sie aber jetzt machen, ist, Personalbögen des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ministeriums zu verlesen. – Zuruf von der FDP: Das wurde doch hinterfragt!) Dirk Niebel (FDP): Frau Präsidentin, als Abgeordneter ist es meine Dirk Niebel (FDP): Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unbescholtene Das wurde doch hinterfragt. Die Menschen sind Menschen in diesem Haus nicht ohne Widerspruch ja hier als inkompetent beschimpft worden. beschimpft werden. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nein! Als (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Putschunterstützer, als ten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE Putschverharmloser! Darum ging es, nicht LINKE]: Aber diese Daten kennt nur der um ihre Kompetenz!) Minister! Was ist denn das für ein Daten- Aber wenn es Ihnen lieber ist, Frau Präsidentin, schutzverständnis?) dann werde ich meine Tätigkeit als Vertreter der Als Abgeordneter ist es meine Aufgabe, dafür zu Bürger, für die ich hier spreche, einstellen und als sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger, wenn sie in Regierungsmitglied das Wort ergreifen. Das ver- diesem Haus um ihre Rechte gebracht, erniedrigt längert die Debatte. Falls die anderen daran Freu- und gedemütigt werden, einen Fürsprecher haben. de haben, mache ich das gerne. Dieser Fürsprecher bin ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das können Sie gerne machen. Wenn Sie als der CDU/CSU) Minister das Wort ergreifen wollen, dann können Sie das jederzeit tun. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Niebel, da Sie in dieser Debatte als Dirk Niebel (FDP): Minister Redezeit hatten, hätten Sie das selbstver- Ja, dann melde ich mich eben zu Wort, Frau ständlich tun können. Insofern habe ich den Ein- Präsidentin. druck, dem ich gerne Ausdruck verleihen möchte, dass Sie möglicherweise hier nicht als Abgeordne- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ter, sondern als Minister sprechen, zumal Sie von Bitte schön. den „von mir eingestellten Kollegen“ gesprochen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- haben. Insofern habe ich den Eindruck, dass Ihre ten der CDU/CSU – Ute Koczy [BÜNDNIS Kurzintervention eher in Ihrer Funktion als Minister 90/ DIE GRÜNEN]: Ein bisschen Ge- getätigt wird – schäftsordnung wäre nicht schlecht, Herr Minister!) Dirk Niebel (FDP): Frau Präsidentin, ich könnte als Minister das Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftli- Wort ergreifen. che Zusammenarbeit und Entwicklung: Vorhin hätte ich Fragen zugelassen, die aber Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht gestellt wurden. Deswegen kann ich relativ – darf ich ausreden? – als in Ihrer Funktion als zügig zum Abschluss kommen. Es fehlen nur noch Abgeordneter. Sie können als Minister jederzeit zwei Personen. das Wort ergreifen. Im Moment sind Sie aber bei der Kurzintervention eines Abgeordneten. Diese Ein weiterer Abteilungsleiter, der angeblich in- können Sie auch gerne in der einen Minute zu En- kompetent ist, arbeitet seit 1989 beim BMZ in allen de bringen. möglichen Referaten und ist jetzt Leiter der neu gegründeten Abteilung geworden. Dirk Niebel (FDP): Der Letzte, der vermeintlich militaristische Das werde ich auch tun, zumal Ihr Eindruck Oberst im Generalstab außer Diensten, war die trügt, Frau Präsidentin. letzten zwölf Jahre lang außen- und sicherheitspo- litischer Berater der FDP-Bundestagsfraktion, in Der Abteilungsleiter 1 war Leiter der Grundsatz- seiner aktiven Dienstzeit abgeordnet zu internatio- abteilung eines Landeswirtschaftsministeriums, nalen Stäben, unter anderem in den Vereinten Na- Leiter der Zentralabteilung und Abteilungsleiter Mit- tionen. Er diente drei Jahre lang im Planungsstab telstand. des Auswärtigen Amtes und zwischenzeitlich meh- rere Jahre im Bundesministerium der Verteidigung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: in den verschiedensten Verwendungen. Dann muss ich Sie unterbrechen, wenn Sie wei- ter fortfahren mit der Verlesung der Personalent- Wenn das Inkompetenz ist, dann würde ich mir wicklung von Kolleginnen und Kollegen, die Sie in wünschen, dass mehr dieser inkompetenten Men- Ihrem Ministerium eingestellt haben. schen in vielen Verwaltungen tätig sind. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2837

Vielen Dank. später in der Großen Koalition wollten, aber nie geschafft haben. (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ich kann Uschi Eid nur unterstützen. Gleiches gilt GRÜNEN]: Sie haben eine gute Kame- für ihre Aussage, dass die Besetzung des Minis- radschaft da!) terpostens keine skandalöse Fehlbesetzung ist. Für sie ist dieser Vorwurf einfach Unfug. Ich emp- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: fehle den Grünen, sich in stärkerem Maße der Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke für die Entwicklungskompetenz von Uschi Eid zu bedie- CDU/CSU-Fraktion. nen und sich darauf zu besinnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- Die Regierungskoalition jedenfalls legt – wir ha- gen! Herr Minister, herzlichen Dank für die ein- ben das heute schon mehrfach gehört – die Hände drucksvollen Einblicke in die Lebensläufe Ihrer nicht in den Schoß, sondern nimmt den Gestal- neuen Mitarbeiter. Das war unter dem Gesichts- tungsauftrag an. Ziel ist, unsere Entwicklungsin- punkt „Erfahrung und Kompetenz“ sehr bemer- strumente in den Organisationen, was Effektivität, kenswert. Koordination und Kohärenz angeht, so einzuset- zen, dass die Hilfe zur Selbsthilfe in unseren Part- Bemerkenswert finde ich vor allen Dingen, wie nerländern besser gelingen kann. Dieser Ansatz Sie für Ihre Mitarbeiter kämpfen und sich vor sie wird auch im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Ich bin stellen. Herzlichen Dank dafür! dem Minister dankbar, dass er mit viel Reformei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fer – auch gegen Widerstände – Neues beginnt. der CDU/CSU) Wir betreten effiziente, kohärente Wege im Rah- men der Vorfeldorganisationen, bei dem Vorha- Weniger bemerkenswert als orientierungslos ben, das BMZ gegenüber anderen Bundesministe- fand ich das, was wir in den letzten Wochen lesen rien zu stärken, im Rahmen der konditionierten konnten und teilweise auch heute gehört haben. Budgethilfe und der Spezialisierung auf die Kern- Lassen Sie mich zitieren: „Entwicklungspolitik mit sektoren zur Erreichung der Millenniumsziele und der Abrissbirne“, „Versorgung von Parteisoldaten“, bei der Verstärkung der Kohärenz zwischen Bun- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS desregierung, Bundesländern und der EU, aber 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch so! Sind auch bei der Erklärung der Sinnhaftigkeit von Ent- das nicht Soldaten?) wicklungspolitik gegenüber den Bürgern und den Steuerzahlern gerade in einer Zeit der wirtschaftli- „Entmachtung der GTZ“ oder das leidige Zitat von der Abschaffung des Ministeriums durch den jetzi- chen Krise sowie bei der Förderung der lokalen Wirtschaft in unseren Partnerländern durch deut- gen Minister. Meine Damen und Herren von der Opposition, diese Platte hat nicht einen kleinen, sches Mittelstands-Know-how, das dorthin über- tragen wird. sondern einen ganz dicken Sprung. Sie schaden damit nicht nur sich selbst, sondern vor allen Din- Der Weg, der derzeit in den Vorfeldorganisatio- gen dem Ansehen der Entwicklungspolitik und den nen beschritten wird, ist richtig. Endlich wird hier Menschen, die von der Zusammenarbeit mit uns, die Leitungsfunktion des BMZ gestärkt. Die drei mit Deutschland, profitieren und in dieser Zusam- zusammenzulegenden Vorfeldorganisationen menarbeit teilweise die einzige Perspektive und InWEnt, GTZ und DED werden gleichberechtigt in Hilfestellung sehen. Das können wir überhaupt die Fusionsprozesse einbezogen. Der geplante nicht akzeptieren. Umbau wird endlich die Doppelstrukturen abbauen und dem deutschen Entwicklungsauftritt im Aus- land unter dem Slogan „One face to the customer“ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gerecht werden. Dabei ist es angemessen, dass das Ministerium künftig die Qualität der GTZ-Arbeit Im Übrigen sehen dies auch wirklich profilierte kontrolliert. Die neue technische Durchführungsor- Entwicklungspolitiker in Deutschland so, die an ei- ganisation muss zuvorderst den entwicklungspoliti- ner ehrlichen Weiterentwicklung dieses Feldes in- schen Leitlinien der Bundesregierung und somit teressiert sind. Ich darf die ehemalige Parlamenta- rische Staatssekretärin Uschi Eid von den Grünen auch der Führung des BMZ unterliegen. Diesem Ziel fühlt sich die Unionsfraktion verpflichtet. zitieren, die anscheinend die Einzige ist, die den Mut hat, der Ideenlosigkeit der Opposition zu wi- Die Vorhaben des BMZ, die sich aus der Paris- dersprechen: Deklaration oder aus den Beschlüssen in Akkra ergeben, dürfen nicht von anderen Bundesministe- Es gefällt mir einfach nicht, wenn alle auf rien unterlaufen werden. Das BMZ hat sich im Na- Niebel eindreschen und dabei unterschlagen men der gesamten Bundesregierung verpflichtet. wird, dass der Mann entschlossen etwas an- Dies gilt somit auch für die anderen Ministerien. packt, was wir schon 1998 unter Rot-Grün und 2838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Daher ist es gut, dass Minister Niebel hier anpackt Leider müssen wir feststellen, dass Schlüssel- und sicherstellen will, dass die Länderliste, die das positionen im Hause, die für die künftige Ge- BMZ beschlossen hat, auch für die anderen Mini- staltung der deutschen Entwicklungspolitik von sterien Gültigkeit hat. Wir haben in mehreren Fäl- strategischer Bedeutung sind, zunehmend len festgestellt, dass das bislang nicht funktioniert. handverlesen extern besetzt werden. Wir hal- Es funktioniert wunderbar in Indonesien; aber auf ten bei nunmehr zehn externen Besetzungen den Philippinen macht das Umweltministerium eine in wenigen Wochen die Grenze für erreicht. sehr viel eigenständigere Politik, als dies gemäß Weiter heißt es: der Zusammenarbeit innerhalb der Ministerien „er- laubt“ ist. Wir sagen eindeutig: Diese Entwicklung Externe Besetzungen ganz ohne Ausschrei- muss gestoppt werden, da sie die Axt an die Exis- bung oder interne Besetzungen ohne Berück- tenzberechtigung des BMZ legt. Ich denke, dass sichtigung qualifizierter Bewerbungen wider- hier nicht nur eine Pflicht der anderen Ministerien sprechen dem Grundsatz der Besetzung öf- zur Information des BMZ über ihre Arbeit im Aus- fentlicher Ämter nach Leistung, Eignung und land notwendig ist, sondern dass auch die Leitlinie Befähigung und gefährden daher auch die der Länderliste anerkannt werden muss. Vor allen selbstgesteckten Ziele der Leitung, die anste- Dingen muss sehr viel mehr Kohärenz und Zu- henden großen entwicklungspolitischen Her- sammenarbeit erfolgen. ausforderungen erfolgreich anzugehen. Herr Minister, ich schließe mich der Kritik des Per- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sonalrats vollumfänglich an. Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. In Kambodscha haben Sie ein bisschen ironisch gesagt, als uns einer der Minister gegenübersaß: Jürgen Klimke (CDU/CSU): So viele Staatssekretäre wie Sie hätte ich auch Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass gerne. – Sie haben sogar eine neue Abteilung ge- die Reform der deutschen Entwicklungszu- gründet. Sie blähen den Apparat auf, um Partei- sammenarbeit im Bereich des 0,7-Prozent-Ziels freunde zu versorgen. Sie haben aus dem Lebens- völlig richtig ist. Wir brauchen aber auch mehr Gel- lauf von Oberst Eggelmeyer zitiert. Es ist keine der für die öffentliche Entwicklungshilfe, wir brau- Parteipolitik, wenn ich den Entwicklungsexperten chen vor allen Dingen eine strategische Weiter- Franz Nuscheler, den wir alle hier seit Jahrzehnten entwicklung. Diese Weiterentwicklung ist Minister kennen, zitiere. Er kritisiert, dass Minister Niebel Niebel hervorragend angegangen. eine zunehmende Militarisierung der Entwick- lungspolitik nun auch personell vollendet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! (Widerspruch bei der FDP) Der Professor sagt, er sei einfach entsetzt über Jürgen Klimke (CDU/CSU): den Fall. Mit dieser Entscheidung verliere die Ent- Wir danken ihm dafür. Er hat die Unterstützung wicklungspolitik den Rückhalt in der Zivilbevölke- der CDU/CSU-Fraktion. rung. Dies sei ein immenser Kollateralschaden. Vorhin hat der Kollege Binding Professor Rauch zi- Herzlichen Dank. tiert. Das sind keine eingetragenen Parteigenos- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sen; (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Vielleicht doch!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Sascha Raabe für die das sind objektive Vertreter der Zivilgesellschaft SPD-Fraktion. und der Wissenschaft. Sie haben den Mitarbeiter Tom Pätz genannt. Dr. Sascha Raabe (SPD): Ich kann mir nur ein Bild über die Mitarbeiter, die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- Sie eingestellt haben, machen, die ich im Aus- gen! Herr Minister, ich glaube, es ist mehr als ge- schuss kennengelernt habe. Sie haben den Le- rechtfertigt, dass sich das Parlament, das über den benslauf zitiert. In dem Lebenslauf steht nicht, Haushalt und damit über die Mittel für das Perso- dass dieser Kollege jemals eine Fusion verant- nal entscheiden muss, darüber Gedanken macht, wortlich geleitet hat und dass er sich damit aus- wie Spitzenpositionen im Haus besetzt werden. kennt. Das ist jemand, der in Bonn auf lokaler Weil Sie aus den Lebensläufen von Mitarbeitern Ebene Agenda-21-Prozesse moderiert hat. des Ministeriums zitiert haben, will ich aus dem Brief des Personalrats des Bundesministeriums (Harald Leibrecht [FDP]: Stimmt doch gar für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- nicht! Sie wissen doch, dass er hochquali- wicklung vom 11. Januar 2010 zitieren. Da heißt fiziert ist!) es: Er hat uns im Ausschuss gesagt, es tue ihm leid, dass er unsere Fragen nicht beantworten könne, weil er erst seit wenigen Wochen diese Aufgabe Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2839 habe. Er hat gesagt, er spreche jetzt zum ersten deres als eine zivile Ausbildung; das geht in eine Mal mit dem Personalrat. Meistens hat er um Ver- ganz andere Richtung. Die Einstellung dieses ständnis gebeten, weil er erst seit wenigen Wo- Obersts lehne ich inhaltlich ab. Insofern finde ich chen mit dieser Aufgabe betraut sei. es nicht in Ordnung, wenn Sie hier die Biografien Ihrer Mitarbeiter – ich denke dabei auch an den Für ein so großes Projekt brauchen Sie erfahre- Datenschutz – in die Öffentlichkeit zerren. Es geht ne Leute. Wir haben den Mut gehabt, auch wenn um die politische Einstellung Ihrer Mitarbeiter, nicht es am Ende aus Gründen, die wir nicht zu verant- um detaillierte biografische Daten. worten haben, nicht geklappt hat. Sie müssen die finanzielle und die technische Zusammenarbeit zu- (Beifall bei der LINKEN) sammenlegen, aber sie dürfen nicht eine Minire- form im technischen Bereich mit jemandem an der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Spitze durchführen, der in erster Linie das FDP- Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein. Parteibuch hat, der aber keinerlei Qualifikation oder Erfahrung hat, eine so große Herausforde- Volkmar Klein (CDU/CSU): rung zu stemmen. In diesem Sinne bleiben wir bei Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen unserer Kritik. Wir wollen, dass Qualifikation vor und Herren! In der Sache ist an sich längst alles Parteibuch geht. gesagt. Ich muss ehrlich sagen: Ich bin über diese (Beifall bei der SPD) Debatte ein bisschen irritiert. Obwohl hier und da aufgeregte Worte gefallen sind und es zu Konfron- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tationen gekommen ist, hatte ich den Eindruck, Die Kollegin Heike Hänsel hat das Wort. dass uns die gemeinsame Motivation und das ge- meinsame Ziel einen. Insofern hätten versöhnlichere Töne die Diskussion prägen kön- Heike Hänsel (DIE LINKE): nen. Es tut mir ein bisschen leid, dass wir in diesen Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und persönlich geprägten Diskussionsstil verfallen sind, Kollegen! Herr Minister Niebel, ich möchte gern zumal uns eben gesagt worden ist – das ist für die- kurz auf Ihren Einwurf reagieren. Ich habe nicht die jenigen wichtig, die sich vorher vielleicht nicht aus- Inkompetenz Ihrer Mitarbeiter kritisiert. Meine Kritik reichend informieren konnten oder wollten –, dass bezog sich auch nicht auf deren Parteibuch. Meine qualifizierte Personen vorhanden sind. Kritik bezieht sich vielmehr auf Ihre Personalpoli- tik. Ich kritisiere vor allem die zweifelhafte Kompe- Zurückweisen möchte ich den zuletzt vorgetra- tenz Ihres Abteilungsleiters Harald Klein, der sich genen Anwurf bezüglich eines Obersts im Ministe- in Publikationen der Friedrich-Naumann-Stiftung, rium. Ich glaube, wir können hier nicht den Stab also öffentlich, dezidiert über den Putsch in Hondu- über irgendwelche Lebensläufe brechen. ras geäußert hat. Er hat diesen Putsch indirekt ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rechtfertigt, und er hat die Kritik an den Men- schenrechtsverletzungen der jetzigen Regierung Wir sollten nicht plötzlich so tun, als wären Men- verharmlost. schen aufgrund eines vorher ausgeübten Berufes für andere Aufgaben disqualifiziert. Wenn ich es Wie fatal das ist, zeigt folgender Vorgang: Zwei richtig verstanden habe, ist diese Person nicht als Menschenrechtsaktivisten aus Honduras sind hier- Oberst, sondern als Mitarbeiter im Ministerium be- her gekommen – sie sind ein Risiko eingegangen schäftigt. Wir sollten allgemein etwas abrüsten; –, um Kritik an der dortigen Regierung zu üben. das ist vielleicht das richtige Stichwort. Sie sind ausgerechnet an Ihren Abteilungsleiter Klein geraten, um mit ihm über die Situation in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Honduras zu sprechen. Noch nicht einmal eine Ganz abgesehen davon habe ich mitbekommen, Woche nach diesem Gespräch hat Herr Lüth – ein dass es in diesem Ministerium schon in der Ver- Kollege von Herrn Klein, mit dem er zusammen bei gangenheit Differenzen mit dem Personalrat über der Friedrich-Naumann-Stiftung publiziert hat – ge- die persönliche Qualifikation neuer Mitarbeiter genüber einer Tageszeitung in Honduras diese gegeben hat; der Fall Mikota wurde schon ge- beiden Menschenrechtsaktivisten namentlich ge- nannt. Ich glaube, dass es das immer wieder ge- nannt und erklärt, sie reisten durch die Welt und ben wird, aber dass es einfach unangemessen ist, diskreditierten die jetzige Regierung. Das gefähr- die Lebensgeschichte dieser Menschen im Plenum det diese beiden Aktivisten. Das finde ich unver- des Deutschen Bundestages schon ein bisschen in antwortlich. Da frage ich mich natürlich: Welche den Schmutz zu ziehen. Rolle spielt dabei Herr Klein? Ich halte es nicht für akzeptabel, im Entwick- lungsministerium einen Oberst einzustellen; dabei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ist es egal, dass er vorher im Auswärtigen Amt be- Ich würde mir wünschen, dass wir das in Zukunft schäftigt war. Ich halte das für falsch. Ich bin für unterlassen. eine strikte Trennung zwischen Zivilem und Militä- rischem. Eine militärische Ausbildung ist etwas an- 2840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010

Die Auffassung, dass es eine weitere Struktur- Danke für die Aufmerksamkeit. reform auch im Ministerium geben muss bzw. ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ben sollte, scheint mir bisher Allgemeingut bei al- bei der SPD) len hier gewesen zu sein. Von diesem Plan sollte sich der Minister durch diese Diskussion nicht ab- bringen lassen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Michael Link hat das Wort für die Herzlichen Dank. FDP-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Link (Heilbronn) (FDP): Die Kollegin Ute Koczy hat das Wort. Frau Präsidentin! Ich gebe der Kollegin recht: Die inhaltliche Debatte ist hier ohne Zweifel insge- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): samt die wesentlich wichtigere; denn für die inhalt- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- liche Debatte sind wir auch gewählt. Diese Regie- nen und Kollegen! Ich wünschte mir, wir hätten rung und gerade dieser Minister vertreten inhaltlich diese neue Runde nicht eröffnen müssen. Es hätte genau das, wofür wir im letzten September gewählt doch sicherlich elegantere Methoden gegeben, um wurden. Wenn aber in den letzten Wochen die eine solche Debatte zu führen. ganze Debatte eine für die jetzt eingestellten Mit- arbeiter wirklich diffamierende und beleidigende Ich bin der Meinung, dass es, Herr Minister, viel- Tonart angenommen hat, dann ist es doch mehr leicht nicht ganz so hilfreich war, die Rollen zu als verständlich, wenn der Kollege Niebel das rich- wechseln und etwas vorzulesen, was vielleicht in tigstellen möchte. eine etwas kleinere Runde gehört hätte. Vielleicht hätten Sie anbieten können – das wäre mein Vor- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schlag gewesen –, in einer kleineren Runde mit Es sind im Übrigen die gerade erwähnten Mitar- den Obleuten und den Haushaltsberichterstattern, beiter vorher gefragt worden, ob sie einverstanden wenn es gewünscht worden wäre, ein Gespräch zu sind, dass, wenn auch hier im Plenum weiterhin führen, als hier diese Debatte in diese Richtung zu Kritik geübt wird, weitere Sachinformationen über lenken. ihre Personen gegeben werden. Ich glaube, es ist (Harald Leibrecht [FDP]: Sie wissen ja, wie es sehr beruhigend, vor der Öffentlichkeit feststellen im Ausschuss gelaufen ist!) zu können, dass hier hochkompetente, leistungs- fähige und eben nicht nach Parteibuch ausgesuch- – Ich meinte jetzt nicht den Ausschuss, Herr Leib- te Mitarbeiter eingestellt worden sind. recht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Harald Leibrecht [FDP]: Aber Sie wissen, wie es dort gelaufen ist!) Dass Handlungsbedarf auf der Leitungsebene des Ministeriums bestand, ist wohl klar. Ich – Herr Kollege! – Ich bin der Meinung, dass eine möchte nur die Kollegen von der SPD daran erin- solche Debatte über Personal und über Personal- nern, dass nach meiner Information Ministerin führung nicht in dieser Form hier ausgebreitet wer- Wieczorek-Zeul, als sie ihr Amt antrat, außer ei- den sollte. nem einzigen alle Abteilungsleiter in den einstwei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- ligen Ruhestand versetzt hat. Das zeigt doch auch, wie bei Abgeordneten der SPD) in welch unterschiedlicher Art und Weise man in einer solchen Situation vorgehen kann. Es sind viele daran beteiligt gewesen, dass wir hier nicht günstig dabei weggekommen sind. (Zuruf von der FDP: Ja oder nein, Frau Wieczorek-Zeul? – Widerspruch der Abg. (Harald Leibrecht [FDP]: Dann hören Sie end- Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) lich auf, die Mitarbeiter zu diskreditieren!) Ich stelle fest: Es handelt sich hier um hochqua- Ich fand es, ehrlich gesagt, nicht in Ordnung, lifizierte, über jeden Verdacht erhabene Mitarbei- dass die Frau Präsidentin deutlich machen musste, ter. dass sich doch bitte alle an die Art der Geschäfts- führung, die es hier im Parlament gibt, halten soll- (Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Mein lieber Gott!) ten, nämlich zum Kern der Debatte zu reden, statt Wenn wir so weit kommen, dass es jemandem, der sich auf Nebengleise zu begeben und dies dann einmal als Zeitsoldat bei der Bundeswehr gedient auch noch zu vertiefen. hat – wir haben gerade den Einzelplan 14 behan- (Helga Daub [FDP]: Das gilt aber für alle! – delt –, zum Berufsverbot beim BMZ gereicht, dann Weiterer Zuruf von der FDP: Ach was!) ist etwas falsch in unserem Land. Das hat letztlich dazu beigetragen, dass das The- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ma verfehlt wurde. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2841

Ich bitte die Opposition, sich nicht auf der einen der Änderungsantrag abgelehnt bei Zustimmung Seite in Krokodilstränen und Bemerkungen über durch die einbringende Fraktion. Die Koalitions- den Dienst unserer Soldaten, den wir sonst bei je- fraktionen haben dagegen gestimmt, die Fraktio- der Gelegenheit beklatschen, zu ergehen, dann nen SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich aber, wenn sie nach ihrer Dienstzeit in anderen enthalten. Bereichen der Wirtschaft oder Verwaltung Dienst Wer stimmt für den Änderungsantrag der Frakti- tun wollen, so zu tun, als ob das nicht mehr aller on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Ehren wert sei. 17/1030? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt bei Zu- GRÜNEN]: Beschimpfen Sie nicht die ge- stimmung durch Bünd-nis 90/Die Grünen, SPD und samte Opposition! Ein bisschen mehr Dif- die Fraktion Die Linke. Abgelehnt haben ihn die ferenzierung ist angesagt!) Koalitionsfraktionen. Wir als FDP-Fraktion danken der Bundesregierung Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 23 in der Aus- und insbesondere Bundesminister Niebel für die schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? Arbeit, die er im Ministerium macht, und wir ver- – Damit ist der Einzelplan angenommen bei Zustim- trauen voll und ganz auf seine Personalauswahl. mung durch die Koalitionsfraktionen und Ablehnung durch die Oppositionsfraktionen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Damit sind wir am Schluss der heutigen Tages- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ordnung. Damit schließe ich die Aussprache. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- März 2010, 9 Uhr, ein. menarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfas- Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und sung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, den restlichen Abend. Die Sitzung ist geschlossen. über die wir zuerst abstimmen. (Schluss: 19.51 Uhr) Wer stimmt für den Änderungsantrag der Frakti- on Die Linke auf Drucksache 17/1026? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 30. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 17. März 2010 2843

(A) (C) Anlage zum Stenografischen Bericht

DIE GRÜNEN Koch, Harald DIE LINKE 17.03.2010 Anlage Körper, Fritz Rudolf SPD 17.03.2010 Liste der entschuldigten Abgeordneten Kramme, Anette SPD 17.03.2010 Möller, Kornelia DIE LINKE 17.03.2010 entschuldigt Pflug, Johannes SPD 17.03.2010 Abgeordnete(r) bis Roth (Esslingen), einschließlich SPD 17.03.2010 Karin Schäfer (Bochum), SPD 17.03.2010 Barchmann, Heinz- SPD 17.03.2010 Axel Joachim Dr. Schäuble, Wolf- CDU/CSU 17.03.2010 Bellmann, Veronika CDU/CSU 17.03.2010 gang Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 17.03.2010 Scharfenberg, BÜNDNIS 90/ 17.03.2010 Elisabeth Burchardt, Ulla SPD 17.03.2010 DIE GRÜNEN Cramon-Taubadel, BÜNDNIS 90/ 17.03.2010 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 17.03.2010 Viola von DIE GRÜNEN Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 17.03.2010 Götz, Peter CDU/CSU 17.03.2010 DIE GRÜNEN Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 17.03.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 17.03.2010 Golze, Diana DIE LINKE 17.03.2010 Hempelmann, Rolf SPD 17.03.2010 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 17.03.2010

(B) (D)