Ludwig Baumann mit Ehefrau und Laien-Bassist und jeden Sonntag lauscht man im fa- 20 Kilometer außerhalb der Stadt, wo er vor und zwi- Dirigentin Cornelia miliären Kreis andächtig den Sonntagskonzerten des schen Proben und Aufführungen noch in den Stallungen von Kerssenbrock Bayerischen Rundfunks. So entdeckt der junge Knabe aushilft und Reitstunden abhält. Darüber hinaus eröff- schon recht früh seine Leidenschaft für die Oper sowie net er auch eine kleine Galerie, welche sich vorwiegend auch sein eigenes Stimmtalent. Animiert von den Eltern auf moderne Kunst spezialisiert. Seine Station an der wie auch von seinen Lehrern, singt der gerade ein- Deutschen Oper am Rhein fällt in die Ära des Generalin- mal 17-Jährige schließlich im ehemaligen Bürgerbräu- tendanten Grischa Barfuss, dessen Haus u.a. mit einem Große Stimmen Große Saal in München vor, in welchem zu jener Zeit gerade festen Ensemble von über 100 (!) Sängern mit Größen ­Flotows Oper »« für die deutsche Electrola auf- wie Hildegard Behrens oder aufwar- genommen wird. Unter den Zuhörenden befinden sich ten kann. Es ist auch Barfuss, der Baumann im Hinblick der und der Dirigent Robert ­Heger. auf dessen mühelose Höhe zu seinem Fachwechsel vom Nach dem Vortrag des talentierten Jungspunds sind Bass zum Bariton animiert. So steht der Sänger in Düs- sich die beiden Musiker sofort einig: »Junge, du musst seldorf erstmals mit einem seiner größten Rollenerfol- unbedingt Gesang studieren!« ge in der »Zauberflöte« von Mozart auf der Bühne, dem ­Papageno, welchen er im Laufe seiner Karriere über 350 Ein knappes Jahr später beginnt Ludwig Baumann dann Mal singen wird. auch seine Gesangsausbildung am Richard-Strauss- Konservatorium in München. Zu seinen Lehrern in den Seine ersten großen Bariton-Solopartien singt Baumann folgenden Jahren zählen keine Geringeren als die beiden jedoch erst ab 1977 am Landestheater Coburg. Als Vor- Kammersänger Josef Metternich und Hans Hotter. Um bereitung für den Fachwechsel reist er nach Rom, um seine Ausbildung zu finanzieren, jobbt der angehende mit dem Belcanto-Spezialisten Luigi Ricci zu studieren, Sänger u.a. als Kellner oder als Statist an der Oper. Jedes welcher in frühen Jahren noch persönlich mit Kompo- Der Opfer ist ihm recht, um seinen Berufstraum zu verwirk- nisten wie und zusam- lichen. Durch die Förderung eines Begabtenstipendiums­ mengearbeitet hatte. Die stark von dieser italienischen kann Baumann seine Studien für ein Jahr in Los Angeles Schule beeinflusste Gesangstechnik wird Baumann sein fortsetzen, bis er im Jahr 1970, nach einem Vorsingen Leben lang begleiten, sowohl als aktiven Sänger als für und ­Günther ­Rennert, als jun- auch als Leiter zahlreicher Meisterklassen (v.a. in China­ ger Bassist in das Opernstudio der ­Bayerischen Staats- und Georgien) und in der Beurteilung von Sängern für Fitzcarraldo oper aufgenommen wird. Von nun an geht es Schlag auf sein Festival. Etwa zur selben Zeit springt Baumann für Schlag mit seiner Karriere.

des Chiemgaus Vom Bass zum Bariton Im Anschluss an das Opernstudio kommt der nun 22-Jährige an die Deutsche Oper am Rhein nach Düssel­­ Zum 70. Geburtstag des Sängers, dorf. Auch in der rheinländischen Landeshauptstadt Intendanten und Künstlers LUDWIG BAUMANN bleibt der gebürtige Bayer seiner Liebe zu Natur und Tier treu: Er bezieht Logis auf einem Bauernhof, etwa von Georg Silas Glas

Seine Stimme erinnere an den berühmten italienischen rühmten Dirigenten wie Herbert von ­Karajan, ­Christian Bariton Ettore Bastianini, das hatte einst die große So- ­Thielemann, , Bernard Haitink,­ William­ pranistin zum Sänger Ludwig Baumann Christie und Lorin Maazel. Seine Karriere als Opern- gesagt. Beide, sowohl Baumann als auch sein lebens- sänger endete 1994 abrupt durch einen verhängnisvol- langes Vorbild Bastianini, begannen ihre Karrieren als len Bühnenunfall, seine zweite Karriere als Intendant Bassisten. Ähnlich auch wie sein legendärer italieni- des Immling Festivals hingegen feiert im Jahr 2021 ihr scher Vorgänger hatte Baumann ein breitgefächertes 25-jähriges Jubiläum. Repertoire, welches sich von sämtlichen großen und namhaften Partien des Baritonfaches, von der Barock- oper über Gluck, Mozart, Verdi, Puccini und Wagner Ein Leben für die Oper Prägende Festengagements: oben am sowie diverser Operettenrollen bis hin zur Moderne er- ­Gärtnerplatztheater als Guglielmo in ­Mozarts streckte. Mit über 100 erlernten Partien arbeitete er mit Ludwig Baumann wird am 9. November 1950 in Rosen­ »Così fan tutte« an der Seite von Marilyn Regisseuren wie Jean-Pierre Ponnelle, und heim geboren und wächst in einer überaus musikali- ­Schmiege, links als Peter der Erste in Lortzings Peter ­Konwitschny zusammen und sang unter so be- schen Bauernfamilie auf. Sein Vater ist ein bekannter »Zar und Zimmermann« an der Oper Köln

56 November/Dezember 2020 November/Dezember 2020 57 Unten das Ensemblefoto eines internationalen »Tannhäuser«- Gastspiels mit Baumann als Wolfram von Eschenbach in Marseille, rechts als Papageno – der Rolle seines Lebens – in Wiesbaden Diskographie

Obwohl viele der Aufnahmen von Ludwig Baumann ver- griffen und seinerzeit nur auf Schallplatte erschienen sind, gibt es doch ein paar wenige noch erhältliche. In einem Ausfl ug ins Barock-Repertoire fi ndet sich in Baumanns Diskographie zunächst das »Utrecht Te Deum« von Georg Friedrich Händel unter , in welchem der Sänger in den jeweiligen Soli-Passagen einen unge- ahnt fl exiblen und – passend zur Stilistik – aristokratischen Stimmklang zur Schau zu stellen vermag. Als einzige noch erhältliche Opern-Gesamtaufnahme ist Puccinis »Bohème« in deutscher Sprache aus dem Jahr 1985 zu nennen, bei welcher dirigiert und Lucia Popp, und Wolfgang Brendel zu den solistischen Mitstrei- tern zählen. Baumanns Schaunard ist dabei ein bewun- dernswertes Paradebeispiel an Textverständlichkeit. Zu seinem einzigen und inzwischen lediglich als CD beim Immling Festival erhältlichen Solo-Recital (Kontakt über einen erkrankten Sänger in einer Fernsehsendung mit Wotan im »Rheingold«. Besondere künstlerische Zu- [email protected]) mit dem Titel »Oper | Operette Rudolf Schock ein. Sein universell veranlagtes Talent sammenarbeiten verbinden ihn dabei beispielsweise | Musical« können hinsichtlich Baumanns Stimme die auch im Unterhaltungs-Showbusiness sowie seine Vor- mit dem Humoristen Loriot und dessen Bearbeitung augenscheinlichsten Aussagen getroffen werden: Sie agiert liebe für den Volksliedgesang bringen durchaus kriti- des Wagner’schen Nibelungenringes sowie mit Gustav trotz schwerer und dunkel timbrierter Substanz mühelos sche Stimmen mit sich. Baumann hält jedoch unbeirrt Mahlers » von der Erde« in Kooperation mit dem und leuchtend in der Höhe, wie man insbesondere an der an diesen Repertoire-Ausfl ügen außerhalb der Oper fest legendären Ballett-Tänzer Rudolf Nurejew. Einspielung der »Barbier«-Eintrittsarie »Largo al factotum« und verdient sich darüber hinaus auf Dauer auch im mit dem mehrmals gesungenen zweigestrichenen »a« er- Oratorien- und Konzertfach den Ruf eines vielseitigen sehen kann. In den jeweiligen Ausschnitten des Escamillo Sängers. In der Person Rudolf Schock fi ndet er zudem Schicksalsschlag und Neuanfang (»Carmen«) und Homonay (»Der Zigeunerbaron«) kann einen langjährigen Freund und Mentor, welcher die sich die Stimme in überzeugender Art und Weise Autori- Karriere des jungen Sängers bis zu seinem Tod im Jahr Auf der Bühne der Dresdner Semperoper kommt es tät verschaffen und weiß darüber hinaus auch mit humo- 1986 begleitet. 1994 schließlich zum folgenschweren Unfall: Baumann ristischem Charme als Papageno oder Vogelhändler von stürzt während einer Hauptprobe von Verdis »Un ballo Zeller sowie mit sattem, lyrischem Schmelz in Erminios Ab dem Jahr 1979 ist Baumann am Münchner Gärtner- in maschera« auf einen tiefer gelegenen Teil der Büh- Lied »Dunkelrote Rosen« aus Millöckers »Gasparone« zu platztheater tätig und brilliert dort mit Rollen wie ne und verbringt danach fast ein Jahr im Krankenhaus. überzeugen. Die stimmschöne Klarheit von Baumanns dem Figaro in Rossinis »Barbiere di Siviglia«, als Graf Obwohl der Sänger noch diverse Comeback-Versuche vielseitigem Bariton sowie auch ihre besondere Qualität in Eberbach in Lortzings »Wildschütz« oder auch in auf die Bühne wagt, zwingen ihn die Folgeschäden den lyrischen Passagen weisen klare Bezüge zum Lehrer Dallapiccolas modernistischem Stück »Il prigioniero«. des Unfalls letztlich doch, seine internationale Karrie- Metternich auf, während ihre eindringliche Ausdruckskraft, Seit 1982 ist er wieder öfter in deutschen und auslän- re als Opernsänger endgültig aufzugeben. Anstatt sich welche besonders in den dramatischeren Partien zur vollen dischen Rundfunkprodukionen zu sehen und beginnt in Selbstisolation zu begeben und, wie Baumann ein- Entfaltung gelangt, den Einfl uss von Hotter sowie auch als mittlerweile 35-Jähriger eines seiner letzten gro- mal in einem Interview meinte, »den Rest seines Lebens eine Ähnlichkeit zum Italiener ßen Festengagements an der Oper Köln. Zahlreiche den Kopf in den Sand zu stecken«, hebt er im Jahr 1996 Bastianini spürbar macht. Gastspiele führen ihn an die Deutsche Oper Berlin, an sein eigenes Opernfestival samt angrenzendem Gna- die Staatsopern Hamburg und München, nach Aix-en- denhof aus der Taufe und begeistert seitdem zehntau- Provence, Orange, Marseille, an die Grand Opéra sowie sende Menschen, die jährlich auf den grünen Hügel in

an die Opéra- Comique in Paris. Große und von der Kri- den bayerischen Chiemgau strömen. Ein besonderes Baumann Ludwig Privatarchiv Richter, Festival/Nicole Immling Fotos tik gelobte Erfolge feiert der Sänger als herausragen- Anliegen ist Baumann dabei auch, Kinder und Jugendli- der Interpret von Liederabenden sowie in den Rollen che sowie auch Menschen mit Handicap in zahlreichen des Wolfram in Wagners »Tannhäuser«, als Stefan in der Projekten an das Musiktheater heranzuführen. Der be- »Regina« von Lortzing, als Valentin in Gounods »Faust« sonderen inneren Stärke und Visionskraft des Sängers, und als Hamlet in der gleichnamigen Oper von Thomas. Malers, Tierliebhabers, Bühnenbildners, Regisseurs und In den frühen neunziger Jahren wagt sich der Sänger Intendanten Ludwig Baumann ist es somit zu verdan- nach und nach mehr ins dramatischere Wagner- ken, dass die Begeisterung durch und für die Kunst in mit Rollen wie dem Amfortas im »Parsifal« und dem und um Immling ungebrochen weiterleben kann.

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