Bull. angew. Geol. Vol. 11/2 Dezember 2006 S. 35-43

Weitere Erkenntnisse und weitere Fragen zum Flimser Bergsturz Andreas von Poschinger1

Stichworte: Graubünden, Flims, Ilanz, , Bergsturz

Zusammenfassung Abstract Es werden die in den letzten 10 Jahren gewonne- In the last ten years the investigation of the Flims nen Erkenntnisse zum Flimser Bergsturz rockslide got new impetus. One of the most impor- zusammengefaßt. Die ursprünglich vom Autor tant results was the dating of the slide event to a noch mit einem Fragezeichen versehene zeitliche post-glacial age. As in the meantime several differ- Einordnung in das Boreal hat sich inzwischen weit- ent and independent investigations indicate such a gehend bestätigt. Zum Sturzereignis selbst liegen young age, the earlier assumption of any glacial nur wenige neue Erkenntnisse vor, doch kann influence on the process and on the post-event inzwischen eine überschlägige Energiebilanz vor- morphology has to be denied. There are only few gestellt werden. Der durch den Bergsturz aufge- new insights into the mechanism of the slide event staute «Ilanzer See» hat wohl eine maximale Kote itself, but a first energetic estimation is given. The von 930 m ü.M. nicht überschritten. Nach dem ver- rockslide barrier caused the damming of a lake. Its heerenden Dammbruch hat ein Restsee noch län- maximum level obviously did not reach higher up gere Zeit bestanden. Die Entstehung der Kiese von than 930 m a.s.l. After the breach of the dam, an Bonaduz ist weiterhin nicht eindeutig geklärt, doch important sediment transport down the val- verdichten sich die Hinweise darauf, dass es sich ley had occurred. Nevertheless, a relict lake existed um ein Bergsturzmobilisat handelt. for a longer time, probably for centuries. In close relation to the Flims rockslide is the sedimentation of the rather peculiar Bonaduz gravel. Even if the sedimentation process is not yet understood or even known, many hints indicate that the rockslide mobilised the alluvium in the bottom of the valley. These consequently liquidised sediments must have flown downstream the Alpenrhein and upstream the Hinterrhein valley, transporting enormous rip-up clasts with them.

1 Bayerisches Landesamt für Umwelt, Geologischer Dienst, Lazarettstrasse 67, 80636 München (D)

35 1. Einleitung

Der Flimser Bergsturz (Fig. 1, 2) hat bereits Kenntnisstand hat Kirchen (1993) sehr sehr früh die geowissenschaftlichen For- anschaulich zusammengefasst. Erst der scher fasziniert. Schon zur Mitte des 19. Fund von Holz in der Sturzmasse und dessen Jahrhunderts gab es in der Literatur lebhaf- Datierung (Poschinger et al. 1997) hat viele te Diskussionen über die Genese der «Flim- neue Fragen aufgeworfen und die Diskussion ser Breccie» (Fig. 3). Eine Zusammenfassung um das Ereignis neu angefacht. Nachfolgend der sehr umfangreichen früheren Literatur sollen nun die Erkenntnisse der Forschun- findet sich in Poschinger et al. (2006). Die gen, die in den letzten 10 Jahren gewonnen Ansichten zum Flimser Bergsturz hatten wurden, zusammengefasst werden. Teil- sich zu Beginn der 90er Jahre des vergange- weise sind in dieser Zeit neue Auffassungen nen Jahrhunderts weitgehend gefestigt, so entstanden, teilweise aber konnten auch dass dort fast keine Forschungstätigkeit ältere Annahmen bestätigt werden. mehr stattgefunden hat. Den damaligen

Fig. 1: Blockdiagramm des Flimser Bergsturzgebietes als Übersichtsskizze. Aus Poschinger et al. (2006). Die im Text erwähnten Rutschungen in den Bündnerschiefern liegen nordwestlich sowie nordöst- lich des Schriftzuges «Carrera» sowie nördlich der Beschriftung «Rhäzüns».

36 Fig. 2: Blick von Südosten auf den Flimserstein (rechte obere Bildhälfte) und das Bergsturzgelände mit dem Ort Flims in der linken Bildmitte. Die hohen Südwände des Flimsersteins bilden einen Teil der Anbruchnische. Die mit Schutt überdeckte Gleitfläche ist im Wiesengelände um den Ort Fidaz unterhalb der Wände erkennbar. Die bewaldeten Rücken im linken unteren Bildteil werden von Bergsturzablagerungen gebildet, die vom durchschnitten wurden.

Fig. 3: Detail der Sturzmasse in der Rabiusaschlucht. Das ursprüng- liche sedimentäre Gefüge ist noch deutlich erkennbar, den- noch ist das Material bis zur Kieskorngröße und teilweise bis zu Staub zerschert. Die Falte ist durch sekundäre, nord-(links)- fallende Bewegungsbahnen zer- schert, an denen jedoch kein großer Versatz erfolgte. Die Bewegungsrichtung war von links nach rechts.

37 2. Die Altersdatierungen nach der Radiokarbonmethode datiert. Es ist aufgrund der Lage der Fundstelle (Fig. 4) Seit den Holzfunden in der Rabiusaschlucht davon auszugehen, dass das Sturzereignis durch den Autor (Poschinger et al. 1997) jünger ist, als das eingearbeitete Holz. Nach- wurden an der gleichen Stelle von mehreren folgend werden die Ergebnisse nochmals anderen Autoren Holzstücke gesichert und übersichtlich zusammengestellt:

Bearbeiter Probe Alter BP Alter kalibriert (BP: before present) Poschinger & Haas 1997 Fl 33 8790 ± 85 7955-7695 v. Chr. Poschinger & Haas 1997 Fl 34 8015 ± 290 7415-6490 v. Chr. Poschinger & Haas 1997 Fl 35 8415 ± 215 7580-7100 v. Chr. Schneider et al. 2004 Lyon-1273 8360 ± 85 9487 cal. BP OxA (= 7483 v. Chr., ohne Intervallangabe) O. Keller (1997, unpubl.) Flims- 8260 ± 90 7431-7169 v. Chr. (kalibriert nach Calpal 2005 SFCP)

Weitere Untersuchungen zur Alterseinstu- Methode ermittelten Daten stimmen weitge- fung erfolgten durch S. Ivy-Ochs mit der hend mit den oben genannten Radiokarbon- Methode der Oberflächenexpositionsalter. daten überein (S. Ivy-Ochs, mdl. Mitt.). Erste Informationen hierzu wurden von ihr Einen anderen Ansatz hat Deplazes (2005) 2005 vorgestellt (Ivy-Ochs et al. 2005). Eine versucht. Er konnte Sedimente in Seen auf eingehendere Veröffentlichung ist einge- und an der Sturzmasse datieren. Sowohl im reicht (Ivy-Ochs et al. 2006). Die mit dieser Caumasee, als auch im Laaxer See waren mehrere Datierungen an organischem Mate- rial mit der Radiokarbonmethode möglich, sie geben ein Mindestalter für das Sturz- ereignis an. Die Ergebnisse stehen mit den oben genannten Altersdaten in Einklang bzw. sie präzisieren diese noch weiter (Deplazes & Anselmetti, mdl. Mitt.). Eine Publikation hierzu ist eingereicht.

3. Das Sturzereignis

Fig. 4: Rabiusaschlucht bei der Lokalität «An der Zum Sturzereignis selbst gibt es nur wenige Hus». Unter der großen Scholle aus Quint- neuere Erkenntnisse. Die Annahme Heims nerkalk, die eindeutig dem Flimser Sturz (1883, S. 301), dass es sich um ein Ereignis «in zuzuordnen ist, wurden Holzstücke gefun- den, die datiert werden konnten. Sie lagern einem Schlage» gehandelt haben muss, wird in Kiesen, die offensichtlich mit dem Sturz- inzwischen weitgehend geteilt. Die Hypothe- material talaufwärts geschoben worden se von Pollet (Pollet 2004, Wassmer in sind. Die Felsscholle wurde inzwischen durch die Erosion der Rabiusa weitgehend Poschinger et al. 2006), während des Abglei- abgetragen. tens hätten sich die höheren Schichtpakete

38 wie bei einem Stapel von Spielkarten relativ 4. Der Ilanzer See schneller als die tieferen bewegt, konnte nicht bestätigt werden. Das Volumen der Zweifelsohne hat die Flimser Sturzmasse das Sturzmasse ist immer noch sehr vage defi- Vorderrheintal abgeriegelt und zum Aufstau niert, da keinerlei Informationen über den des Talflusses geführt. Über die Dimensio- Tiefgang im Rheintal vorliegen. Während nen des Sees gehen die Meinungen derzeit Heim noch von 13 km3 ausging, wird derzeit allerdings weit auseinander. In der früheren ein Volumen von ca. 8-9 km3 angenommen. Literatur (Heim 1883, Abele 1974) war stets Setzt man das Minimalvolumen und eine ver- von einer Stauhöhe von ca. 800-820 m ü.M. tikale Verlagerung des angenommenen Mas- die Rede. Diese Höhe ist durch die Delta- senschwerpunktes von 1'900 m ü.M. auf 800 schüttungen des Glenner bei Sevgein und m ü.M., also um 1'100 Höhenmeter an, so des Laaxerbaches bei belegt. Eindeu- lässt sich eine Gesamtenergie abschätzen. tig zuzuordnende Seesedimente konnten Sie errechnet sich nach der Formel bisher nur deutlich unterhalb dieser Höhe gefunden werden. Durch eine Arbeitsgruppe W = m ! g ! ̅z. der Universität Strassburg wurde nun kürz- lich jedoch eine Stauhöhe von 1'170 m ü.M. Wenn die mittlere Dichte vorsichtig auf postuliert (Schmitter-Voirin 2000, Pollet 2.2 ! 103 kgm-3 angesetzt wird, so ergibt sich 2000, 2004, Schneider at al. 2004). Ausgangs- eine Masse von 1.76 ! 1013 kg. Die freigesetz- punkt für diese Annahme waren für die Auto- te Energie W errechnet sich somit auf ren drei Aufschlüsse: 1.9 ! 1017 Joule. Das entspricht mehr als dem • Eine Kiesgrube im Lugnez nördlich Duvin Zehnfachen der Energie, die Erismann auf 1'175 m ü.M. zeigt zwischen fluvialer (1977) für den Bergsturz von Köfels in Tirol auch Anzeichen von lakustrischer Sedi- errechnet hatte. mentation; Aufgrund der Höhe der frei gewordenen • bei der Passhöhe 1'107 m ü.M. östlich Energie ist ein Erdbeben als Folge des Stur- Murschetg deuten Rundbuckel nach Auf- zes mit Sicherheit anzunehmen. Ein Erdbe- fassung der Autoren auf einen murartigen ben als Auslöser bleibt hingegen reine Spe- Abfluss des Seeüberlaufs hin, zudem fin- kulation. Ob das sturzinduzierte Beben den sich in der Nähe geschichtete kiesige andere Hangbewegungen ausgelöst hat, Sedimente; bleibt ebenso fraglich. Wahrscheinlich ist • bei der Passhöhe 933 m ü.M. bei Carnifels ein Einfluss auf die drei grossen Rutschun- und in der Ebene von Hüschera westlich gen in den Bündnerschiefern am Gegenhang Versam finden sich angeblich morpholo- bei , bei Carrera und bei Salums gische Überlaufspuren. (Fig. 1), die jeweils über die Flimser Sturz- masse aufgeglitten sind. Der Bergsturz von Bei zahlreichen Begehungen des Autors mit dürfte aufgrund verschiedener verschiedenen Kollegen konnten die Punkte Anzeichen in Zusammenhang mit den Bona- allerdings nicht nachvollzogen werden. Bei duzer Kiesen (siehe unten) bereits etwas frü- den Sedimenten bei Duvin dürfte es sich um her abgegangen gewesen sein. Die Altersda- alte Ablagerungen ohne Zusammenhang mit tierungen nach der Oberflächenexpositions- dem holozänen «Ilanzer See» handeln. Eine methode ergaben für den Taminser Sturz Radiokarbonanalyse an einer von den Auto- ähnliche Werte, wie für den Flimser Berg- ren nicht näher spezifizierten Probe ergab sturz (Ivy-Ochs, mdl. Mitt.). ein Alter von 11'250 ± 150 yBP (Schmitter- Voirin 2000, S. 69). Die durchgeführten Pol- lenanalysen (Bastian 2005, S. 57f.) waren nur wenig aussagekräftig und ergaben offen-

39 sichtlich keinen Hinweis auf ein holozänes et al. 2004) könnte auf den Seeausbruch Alter. zurückzuführen sein. Ein Restsee auf einer Die geschichteten Kiese bei Murschetg sind Höhe unterhalb von 800 m ü.M. dürfte nach zugegebenermassen bezüglich ihrer Genese dem Dammbruch noch längere Zeit überdau- nicht eindeutig geklärt. Sie weisen eine ert haben, wie an den mächtigeren Seesedi- Schüttungsrichtung nach Südsüdwesten, menten unterhalb dieser Höhe erkennbar ist. also zum Becken von Ilanz hin auf. Man kann sie bis zur Kiesgrube von Runca und somit in eine Höhe von mindestens 1'350 m ü.M. 5. Die Kiese von Bonaduz verfolgen. Ihre Genese ist vorläufig noch offen, doch steht sie mit Sicherheit nicht mit Pavoni (1968) hatte bereits sehr früh eine einem «Ilanzer See» in Verbindung. Die sehr zutreffende Beschreibung der Kiese genannten Rundbuckel östlich von Mur- von Bonaduz (Fig. 6) geliefert und sich schetg sind zwanglos als Sturzblöcke zu deu- Gedanken über deren Genese als Verdrän- ten. Auch die Passhöhe von Carnifels wurde gungssediment eines Bergsturzes gemacht. nie von grösseren Wassermassen über- Die bis zu 100 m mächtigen Kiese zeichnen strömt, denn dort finden sich keinerlei ent- sich durch folgende Charakteristika aus: sprechende morphologische Anzeichen. • das Fehlen einer sedimentären Schichtung; Derzeit ist vielmehr davon auszugehen • eine Gradierung von groben Kiesen an der (Poschinger 2005), dass der «Ilanzer See» nur Basis bis zu Feinsanden am Top; kurzfristig eine Stauhöhe von etwa 900-930 m • Einschlüsse von Fetzen von Seesedimenten, ü.M. erreicht hat, bevor er durchgebrochen die eine willkürliche Orientierung haben, ist. Der Dammbruch selbst muss wohl als ein teilweise verbogen sind und in die entlang Prozeß gesehen werden, der über eine längere von «Klüften» teilweise Kies intrudiert ist; Zeit (Wochen?) angehalten hat (Hewitt 2006). • subvertikale, röhrenartige Strukturen Die groben Ausbruchsedimente bauen die (sogenannte «Pavoniröhren»), entlang derer geneigte Ebene von Ransun auf (Fig. 5), die der Feinanteil ausgewaschen ist. sich über Reichenau bis nach Domat-Ems fort- setzt, wo sie unter den jungen Rheinsedimen- Während Schneider et al. (2004) in den Kie- ten abtaucht. Eine der beiden inzwischen viel- sen immer noch eine Deltaschüttung sehen, fach zitierten Sedimentanomalien in Sedimen- ist Pavonis Deutung heute aktueller denn je. ten des Bodensees (Wessels 1998, Schneider Eine fluviale Genese ist eher unwahrschein-

Fig. 5: Aufschluss an der Ruine Wacke- nau bei Bonaduz. Im Profil zei- gen sich unten Sturzmassen, denen im unteren Bereich Bona- duzer Kiese an- oder eingela- gert sind. Das Profil wird von Sedimenten des Seeausbruchs nach oben abgeschlossen. Diese bestehen zunächst aus gut geschichteten Sedimenten in Kieskorngröße, die hier von gro- ben, typischen Mursedimenten überlagert werden. Anderweitig findet sich aber auch die gegen- teilige Abfolge.

40 lich, so dass der ältere Begriff Bonaduzer lich. Diese Beobachtung deckt sich mit der «Schotter», der definitionsgemäss eine fluvi- Interpretation der sogenannten Toma- oder ale Genese impliziert, nicht mehr Verwen- Crestahügel bei Rhäzüns sowie im Dom- dung finden sollte. Er sollte durch den rein leschg. Sie bestehen aus helvetischem Sturz- beschreibenden Begriff Bonaduzer «Kiese» material, das über viele Kilometer Hinter- ersetzt werden, auch wenn untergeordnet rhein-aufwärts transportiert worden sein Sande an den Sedimenten beteiligt sind. muss. Pavoni hatte noch den Taminser Berg- Kippel (2002) hatte in seiner Diplomarbeit sturz als Auslöser für einen solchen Trans- bestätigen können, dass die Komponenten port postuliert. Es ist allerdings viel wahr- der Bonaduzer Kiese selbst noch weit im scheinlicher, dass der weitaus grössere Flim- Hinterrheintal zu über 25-30% aus helveti- ser Sturz dafür verantwortlich war. Dabei schem, also aus Vorderrheinmaterial beste- müssen nicht Flimser Sturzmassen transpor- hen. Dies ist nur durch einen Transport tal- tiert worden sein, sondern es ist eher wahr- aufwärts entlang des Hinterrheintales mög- scheinlich, dass bereits im Tal abgelagerte

Fig. 6: Kiesgrube Reichenau. Die Abbauwand der Bonaduzer Kiese zeigt keine offensichtlichen sedimentären Strukturen. Auffal- lend ist auch die hohe Standfestigkeit der hier ca. 25 m hohen Abbauwände.

41 Sturzmassen von Tamins mitsamt den Allu- von 1883 treffend bemerkte, weckt jedoch vionen mobilisiert wurden und Hinterrhein- jede Erkenntnis auch neue Fragen. So ist der aufwärts geschoben wurden oder geflossen Forschungsbedarf zum Flimser Bergsturz sind. In jedem Fall ist ein Transportmecha- und seinem Umfeld weiterhin sehr hoch. nismus zu postulieren, bei dem nur geringe Erst auf der Basis einer möglichst umfassen- Scherkräfte auftreten, da die lockeren Sturz- den Datengrundlage wird es möglich sein, massen als Ganzes verlagert wurden. Die die Abläufe der Geschehnisse zu rekonstru- Dimension der transportierten Komponen- ieren und ihren Einfluss auf die damalige ten reichen dabei jeweils von wenigen Umwelt zu werten. Das Verständnis solcher Kubikdezimetern bis zu mehreren hundert- Prozesse ist nicht ausschließlich akademi- tausend Kubikmetern. Die Großkomponen- scher Natur, sondern für unsere aktuellen ten bilden die Erhebungen in den Ebenen und zukünftigen Bewertungen von Gross- von Rhäzüns und Bonaduz (Fig. 1) sowie bis ereignissen unbedingt erforderlich. im Hinterrheintal bei Pardisla und Rodels Für eine Rekonstruktion des Flimser Bergstur- (Fig. 7). Der eigentliche Bergsturz hat damit zes wäre eine Information zum Tiefgang der seine katastrophalen Auswirkungen bis weit Sturzmassen im Vorderrheintal durch Bohrun- in das Domleschg hineingetragen. gen sowie geophysikalische Tiefensondierun- gen sehr hilfreich. Weitere Untersuchungen sind auch am benachbarten Taminser Sturz 6. Ausblick erforderlich, der in engem Zusammenhang mit dem Flimser Ereignis zu sehen ist. Ganz In den letzten 10 Jahren konnten einige neue besonderes Interesse gilt der Genese der Aspekte zum Flimser Bergsturz aufgezeigt Bonaduzer Kiese, vor allem da ähnliche Bil- werden. Insbesondere hat die Neudatierung dungen auch im Frontbereich anderer grosser jeglichen glazialen Einfluss auf die Mecha- Bergstürze bekannt sind. Es handelt sich also nismen widerlegt, denn das Ereignis fand um eine unter bestimmten Voraussetzungen unter ähnlichen Klimabedingungen wie den gelegentlich auftretende Form, über die aber heutigen statt. Einige neuere Erkenntnisse bisher noch nie im Zuge von historischen Fäl- waren aber auch nur eine Bestärkung von len berichtet wurde. Es gilt für die Vorhersage früheren Annahmen, insbesondere jenen bei Grossereignissen somit zu klären, welche von Pavoni (1968) und von Abele (1991). konkreten Bedingungen zu einem solchen Wie schon Heim in seiner Flims-Publikation Mobilisat führen können.

Fig. 7: Blick von Südosten auf den Tomahügel von Pardisla im Dom- leschg (Lage siehe Fig. 1). Der isoliert aus der Ebene aufragen- de Hügel hat eine Höhe von ca. 40 m. An der linken Seite ist in einem ehemaligen Steinbruch lockere Sturzmasse aus helveti- schem Rötidolomit sowie aus Quartenschiefer aufgeschlossen.

42 Literatur Poschinger, A. v. 2005: Der Flimser Bergsturz als Staudamm. Bull. Angew. Geol. 10/1, 33-47. Abele, G. 1974: Bergstürze in den Alpen. Wiss. Poschinger, A. v. & Haas, U. 1997: Der Flimser Alpenvereinshefte. 25, 1-230. Bergsturz, doch ein warmzeitliches Ereignis? Abele, G. 1991: Durch Bergstürze mobilisierte Bull. angew. Geol., 2/1, 35-46. Muren und durch Muren transportierte Berg- Poschinger, A. v. & Kippel, Th. 2006: Liquefaction of sturzmassen. Österr. Geogr. Ges., Jahresber. Alluvial Deposits by Large Rock slides. Geomor- 1989/90, 33-39, Innsbruck. phology Spec. Iss., eingereicht. Bastian, Ch. 2005: Conséquences hydrologiques de Poschinger, A. v., Wassmer, P. & Maisch, M. 2006: l'avalanche rocheuse de Flims (, Alpes The Flims Rock slide; History of Interpretation suisses): Formation et rupture du lac de barrage and New Insights. In: Evans, S.G., Scarascia- d'Ilanz. Mémoire de Maitrise de Géographie Phy- Mugnozza, G., Strom, A. & Hermanns, R. L. sique. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Univ. de (Hrg.). Landslides from Massive Rock Slope Fai- Strasbourg, 84 S., Strasbourg. lure; 347-375, Springer, Berlin u.a. Calpal 2005: Inst. f. Ur- u. Frühgeschichte der Uni- Schneider, J. - L., Pollet, N., Chapron, E., Wessels, versität Köln, Cologne Radiocarbon Calibration & M. & Wassmer, P. 2004: Signature of Rhine Valley Paleoclimate Research Package. Zugriff: sturzstrom dam failures in Holocene sediments http://www.calpal.de. of Lake Constance, Germany. Sedimentary Geo- Deplazes, G. 2005: Seesedimente auf der Flimser logy 169, 75-91. Bergsturzmasse: Ein neuer Ansatz zur Datierung Schmitter-Voirin, C. 2000: Sturzstroms et risques der grössten Massenbewegung der Alpen. hydrologiques associés en milieu montagnard: Unveröffentlichte Diplomarbeit, ETH, Zürich, 185 Le sturzstrom de Flims et le lac de barrage d'I- S., Zürich. lanz. Mémoire de DEA, Unveröffentlichte Erismann, Th. 1977: Der Bimsstein von Köfels, Diplomarbeit, Univ. de Strasbourg, 75 S., Stras- Impaktit oder Friktionit? Material und Technik bourg. 5/4, 190-196. Wessels, M. 1998: Late-Glacial and postglacial Heim, A. 1883: Der alte Bergsturz von Flims. Jb. d. sediments in Lake Constance (Germany) and Schweizer Alpenclubs 18. Jg., S. 295-309, Bern. their paleolimnological implications. Arch. Hewitt, K. 2006: Disturbance regime landscapes: Hydrobiol. Spec. issues advanc. limnol., 53, 411- mountain drainage systems interrupted by large 449, Stuttgart. rockslides. Progress in Physical Geography. 30/3, 365-393. Ivy-Ochs, S., Poschinger, A. v., Maisch, M. & Synal, H. A. 2005: Constraining the temporal distribu- tion of giant landslides in the Alps through cos- mogenic nuclides: The Flimser Bergsturz. Geo- physical Research Abstracts 7. Ivy-Ochs, S., Poschinger, A. v., Synal, H.-A. & Maisch, M. 2006: The Surface Exposure age of the Flims rockslide. Geomorphology Spec. Iss., eingereicht. Kippel, Th. 2002: Die Kiese in der Bonaduzer Fazies (GR). Unveröffentlichte Diplomarbeit ETH Zürich, 72 S., Zürich. Kirchen, E. 1993: Wenn der Berg stürzt. Das Berg- sturzgebiet zwischen Chur und Ilanz. Selbstver- lag, Chur. Oberholzer, J. 1933: Geologie der Glarneralpen. Beitr. z. Geol. Karte der Schweiz NF 28. Pavoni, N. 1968: Über die Entstehung der Kiesmas- sen im Bergsturzgebiet von Bonaduz-Reichenau (Graubünden). Eclogae geol. Helv. 61/2, 494-500. Pollet, N. 2000: Un exemple de sédimentation gra- vitaire événementielle en domaine continental: Le sturzstrom holocène de Flims (Grisons, Alpes Suisses). Rapport de stage DEA, Unveröffentlich- te Diplomarbeit, Univ. Lille, 50 S., Lille. Pollet, N. 2004: Mouvement gravitaires rapides de grandes masses rocheuses: Apports des observa- tions de terrain à la compréhension des processus de propagation et dépôt, application aux cas de La Madeleine (Savoie, France), Flims /Grisons (Suis- se) et Köfels (Tyrol, Autriche). Thèse, 252 S.

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