Ionisierende Strahlen

Warnzeichen: «Warnung vor radioaktiven Stoffen oder ionisierenden Strahlen»

Kapitel 5: Ionisierende Strahlen

Einleitung

Teilchen- oder Photonen- (d.h. elektromagnetische Wellen-)Strahlung wird als ionisierende Strahlung bezeichnet, wenn sie in der Lage ist, Atome oder Moleküle zu ionisieren, d.h. aus diesen Elektronen zu entfernen. Neutronenstrahlung zählt aus praktischer Sicht dazu, obwohl sie physikalisch nur indirekt (über Zwischenprozesse) ionisiert. Wenn die einzelnen Teilchen (Pho- tonen) nicht genug Energie zur Ionisation haben, können grundsätzlich auch grosse Mengen die- ser Strahlung keine Ionisation hervorrufen. Radioaktive Produkte haben die Eigenschaft, dass sie ionisierende Strahlen abgeben. Diese sind für den Menschen aus folgenden drei Gründen beson- ders gefährlich: − Sie sind in der Lage, Atome oder Moleküle zu ionisieren, d.h. aus diesen Elektronen zu ent- fernen. Ionisierende Strahlen haben somit eine für lebende Organismen meist negative Wir- kung. − Sie sind im Gegensatz zu Lichtstrahlen oder Radiowellen durchdringend. − Sie werden von den Sinnesorganen des Menschen nicht erfasst, was sie somit von , Wärme oder Lärm unterscheidet. Aus diesen Gründen wurde eine ganze Reihe von Techniken entwickelt, um sich vor ionisieren- den Strahlen zu schützen, man spricht dabei von Strahlenschutz. Die Masseinheit der Äquivalenzdosis ist das Sievert (Sv.). Die Äquivalentdosis ist ein spezieller Dosisbegriff aus dem Strahlenschutz. Sie dient zur Ermittlung der Strahlenbelastung auf den Menschen

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Definition

Radioaktivität

Grundlagen Atome mit einem Kern, der zu viel Energie enthält, sind instabil. In der Natur gibt es viele natür- lich vorkommende instabile Atomkerne, man bezeichnet diese als radioaktive Isotope. Sie ver- wandeln sich, indem sie Fragmente (Strahlungen) nach aussen abgeben und neue Kerne schaf- fen, die in der Regel stabil sind. Dieser Vorgang wird als radioaktiver Zerfall bezeichnet. In einigen Fällen ist der neu gebildete Kern noch instabil, es kann dann zu mehreren aufeinander folgenden Zerfällen kommen, bis der Kern schliesslich stabil ist. Man unterscheidet verschiedene Zerfallsarten: Ö Alphazerfall (α-Zerfall), bei dem α-Strahlen abgegeben werden Ö Betazerfall (β-Zerfall), bei dem β-Strahlen abgegeben werden Der nach einem Alpha- oder Betazerfall neu entstandene Kern liegt meistens in einem energe- tisch angeregten Zustand vor und gibt ausserdem Energie in Form von Gammastrahlung (γ- Strahlung) ab (elektromagnetische Wellen).

Ionisierende Strahlung Grundlagen Es gibt zwei unterschiedliche Quellen für ionisierende Strahlen: - Radioaktivität bestimmter Stoffe: Diese Stoffe enthalten instabile Kerne, die zerfallen und dabei ionisierende Strahlen abgeben. - Strahlungsgeneratoren: Es handelt sich dabei um Geräte, die Strahlen erzeugen sollen. Die wichtigsten sind die in der medizinischen Radiodiagnostik verwendeten Röntgenstrahlenge- neratoren. Diese Geräte geben nur Strahlen ab, wenn sie ans Stromnetz angeschlossen und eingeschaltet sind. Sie stellen somit für Transporte oder bei der Brandbekämpfung kein Problem dar.

Es gibt verschiedene Arten von ionisierender Strahlung: - Alphastrahlung (α): Bei Alphastrahlen handelt es sich um einen echten Teilchenstrom. Al- phateilchen bestehen aus zwei Protonen und zwei Neutronen, also einem Helium-Atomkern. Aufgrund ihrer Ladung und relativ grossen Masse haben Alphateilchen nur eine sehr gerin- ge Eindringtiefe (Reichweite) in Materie. Ein dickeres Blatt Papier oder einige Zentimeter Luft reichen im Allgemeinen schon aus, um Alphateilchen vollständig abzuschirmen. Eine technische Anwendung ist der Ionisationsrauchmelder, der auf der Abschwächung der Al- phastrahlen durch Rauchpartikel beruht.

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- Betastrahlung (β): Die Elementarteilchen der Betastrahlen sind negative Elektronen oder Positronen, die mit hoher Energie (Geschwindigkeit) aus dem Atomkern eines sich gerade durch radioaktiven Zerfall (Betazerfall) verändernden Atoms ausgestossen werden. Zur Ab- schirmung dieser Strahlen reicht eine 1 cm dicke Plexiglasscheibe aus. In Papierfabriken wird die Blattdichte oft mit Hilfe von β-Strahlenquellen gemessen. - Gammastrahlung (γ). Es handelt sich um elektromagnetische Wellen, wie das Licht, jedoch mit sehr hoher Energie. Gammastrahlen werden durch den Atomkern abgegeben und besit- zen eine hohe Durchdringungsfähigkeit. Gammastrahlen werden unter anderem für Rönt- genfilme von Schweissnähten oder medizinische Strahlentherapien verwendet. - Röntgenstrahlung. Es handelt sich um ähnliche Strahlen wie bei der Gammastrahlung. Rönt- genstrahlen sind elektromagnetische Wellen mit einer Photoenergie, die höher ist als die von ultraviolettem Licht. Röntgenstrahlen entstehen durch starke Beschleunigung geladener Teilchen (meistens Elektronen) oder durch hochenergetische Übergänge in den Elektronen- hüllen von Atomen oder Molekülen. Sie besitzen ebenfalls eine hohe Durchdringungsfähig- keit. Die bekannteste Anwendung von Röntgenstrahlen ist die Erzeugung von Röntgenbil- dern im Bereich der medizinischen Diagnose. - Neutronenstrahlung. Neutronenstrahlung entsteht selten durch natürlichen Zerfall; man stellt sie künstlich mit Hilfe von Neutronenquellen her. Beispiele: Im Kernreaktor werden bei der Kernspaltung Neutronen freigesetzt. Technisch kann Neutronenstrahlung auch durch Be- strahlung geeigneter Materialien mit Protonen oder Alphateilchen (α-n-Reaktion) hergestellt werden. Neutronenquellen werden meistens zur Messung der Bodenfeuchtigkeit eingesetzt.

Eindringen der Strahlung in Materie Die Durchdringungsfähigkeit der Strahlen ist je nach Art der Strahlung sehr unterschiedlich: − Bei α-Strahlen beträgt die Eindringtiefe oder Reichweite1 nur gerade 50 Nanometer im Was- ser und bis 5 Zentimeter in der Luft. α-Strahlen werden somit quasi vor Ort aufgebraucht. Sie stellen somit kein externes Strahlungsproblem dar (sie gelangen nur bis in die Epidermis, d.h. bis in die obere Hautschicht). − Bei β-Strahlen beträgt die maximale Reichweite rund 1 cm im Wasser. Um sich vor dieser Art der Strahlung zu schützen, genügt eine 1 cm dicke Plexiglasscheibe. − Bei γ-Strahlen, welche die höchste Durchdringungsfähigkeit besitzen, ist die Situation etwas komplizierter. Versucht man eine γ-Strahlung durch einen 5 cm dicken Schutzschild aus Blei abzuschirmen, kann die Strahlung um den Faktor 10 abgeschwächt werden. Bei einem Blei- schutz von 10 cm liegt der Faktor bei 100, bei einem Bleischutz von 15 cm beträgt er 1000 usw. Eine vollständige Abschirmung wird somit nie möglich sein, da es immer einen Strah- lenrest geben wird, der durch den Schutzschild dringen kann. − Bei den Neutronen ist es nötig, sie zu verlangsamen, um die Strahlung abzuschwächen. Man verwendet dazu einen Schutzschild aus einem wasserstoffreichen Material (z.B. Paraffin oder Polyäthylen).

1 Beim Durchgang durch Materie ionisieren geladene Teilchen die Atome oder Moleküle, auf die sie treffen. Dabei verlieren sie Energie, so dass ihre Energie schliesslich auf null sinkt. Der Weg, den sie bis dorthin zurücklegen, heisst Reichweite. Die Reichweite ist abhängig von der Teilchenart, von der Anfangsenergie und vom Material, das die Teilchen durchqueren.

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Bei den angegebenen Werten für die γ-Strahlung handelt es sich übrigens nur um Durch- schnittswerte, da diese Strahlen von verschiedenen Radioelementen abgegeben werden und so- mit nicht dieselbe Energie haben, die wiederum die Reichweite bestimmt.

Einige Beispiele für die Reichweite (Durchdringungsfähigkeit) pro Strahlenart: Strahlung Reichweite Schutzmöglichkeit α 50 µm (Wasser) Obere Hautschicht 5 cm (Luft) β 1 cm (Wasser) Plexiglasscheibe (~ 1 cm) γ unendlich Reduktion um den Faktor 10 bei: - 5 cm Bleischicht - 25 cm Betonschicht

Masseinheiten der Strahlendosis Energiedosis Die Energiedosis charakterisiert die in Materie absorbierte Strahlenmenge. Gray (Gy) ist die Benennung der durch Radioaktivität und andere ionisierende Strahlung verursachten Energiedo- sis und beschreibt die pro Masse absorbierte Energie. 1 Gray entspricht der Energie in Joule (J), die von 1 Kilogramm Materie aus der Strahlung absorbiert wird: 1 Gy = 1 J/kg.

Äquivalentdosis Die Äquivalentdosis — Einheit: Sievert (Sv) — entspricht einer Abschätzung der Strahlenmenge unter Berücksichtigung ihrer biologischen Wirkung. Hierzu wird die Energie, die in 1 kg Materie absorbiert wird, mit einem so genannten Wirkungsfaktor (Wr) multipliziert. Dieser berücksich- tigt die unterschiedliche biologische Wirksamkeit der verschiedenen Strahlenarten. Die Anzahl der Sievert entspricht der Energiemenge in Joule (J), die von einem Kilogramm Ma- terie aus der Strahlung absorbiert wird (also der Energiedosis), multipliziert mit dem Wirkungs- faktor der vorliegenden Strahlenart: 1 Sv = 1 J/kg. Beziehung Sievert - Gray In der Praxis kommt es zu einer wesentlichen Vereinfachung der Situation, da β- und γ-Strahlen — die wichtigsten im Bereich des Strahlenschutzes — einen Wirkungsfaktor von 1 haben. Somit gilt: 1 mGy Ö 1 mSv

Freigrenzen und Bewilligungsgrenzen

Folgende Tabelle enthält die Freigrenzen einiger üblicher radioaktiver Isotope:

Isotop Bewilligungsgrenzen im Freigrenzen Halbwertszeit normalen Labor Bq Bq/kg H-3 3.108 2 105 12,3 Jahre

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C-14 9.106 2 104 5530 Jahre P-32 1.106 4 103 14,3 Tage S-35 (inorg.) 7.106 5 104 87,4 Tage Ca-45 1 104 163 Tage Ca-47 6 103 4,5 Tage Fe-55 3 104 2,7 Jahre Fe-59 6 103 45 Tage Zn-65 3 103 244 Tage I-125 5.105 7 102 60 Tage I-131 5 102 8,1 Tage (Nach StSV, Anhang 3, Spalte 9)

Dosisleistung Die Dosisleistung (oder Dosisrate) misst die momentane Intensität der γ-Strahlung an einem be- stimmten Punkt. Sie wird in mSv/h oder µSv/h ausgedrückt. Ist die Aktivität einer Quelle be- kannt, kann die Dosisleistung in einer bestimmten Entfernung zur Quelle folgendermassen be- rechnet werden: Gesucht wird die Äquivalentdosiskonstante des radioaktiven Elements. Diese Konstante ergibt die Dosisleistung in mSv/h im Abstand von 1 Meter zu einer Quelle von 1 GBq. Ist das Radio- element nicht bekannt, nimmt man den Wert 0,4. Äquivalentdosiskonstante * Aktivität an der Quelle (GBq) Dosisleistung im Abstand r = r2

Tabelle 1: Äquivalentdosiskonstanten einiger Elemente:

Radioisotop Konstante [mSv/h] 60Co 0,366 131I 0,062 137Cs 0,092 226Ra 0,283

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Behandlung mit radioaktivem Jod Die Behandlung mit Jod 131 (γ- und β-Ausstrahler) wird angewendet: • bei Schilddrüsenkrebs nach einer Thyreoidektomie: eine Dosis von 3,7 GBq am Tag 0. Die Radioaktivität wird per Dosimetrie gemessen (bei 1m) am T1, T2… Im Allgemeinen kann der Patient am T3 oder T4 nach Hause zurückkehren. Der Entlassungswert von 5 mSv ist in der Verordnung über den Umgang mit offenen radioaktiven Strahlenquellen festgelegt. Dem Patienten ist zu raten, mit Kleinkindern oder schwangeren Frauen während einer Woche nach Entlassung aus dem Spital zu vermeiden. • bei Schilddrüsenüberfunktion: - 185 MBq und der Patient kann nach Hause zurückkehren - 740 MBq bei toxischen Adenomen; der Patient muss in ei- nem abgeschirmten Spitalzimmer untergebracht sein Radioaktives Jod befindet sich in Form von Kapseln in einer abgeschirmten Bleiverpackung. Die Handhabung wird dem Patienten durch den zuständigen Arzt erläutert (der drei fachspezifische Weiterbildungstage in Spiez besucht hat und dem eine Bewilligung zur Anwendung von Radio- behandlungen erteilt wurde), der sich hinter einer Schutzwand befindet. Die Kapseln werden mit einer heissen Flüssigkeit hinuntergeschluckt, um deren Auflösung im Magen und einen raschen Übergang in den Blutkreislauf zu erleichtern. Es sind Vorsichtsmassnahmen zu treffen, damit bei allfälligem Erbrechen der Boden nicht kon- taminiert wird (eine Nierenschale muss vorhanden sein). Doch trotz dieser Massnahmen wird der Boden dennoch kontaminiert (z.B. Speichelspritzer). Das Personal muss daher immer einen Schuhschutz und Handschuhe tragen. Während der Pflege bleibt das Personal hinter einer klei- nen abgeschirmten Wand, welche die Genitalien schützt. Da die Radioaktivität in den ersten Be- handlungstagen am höchsten ist, wurde die Präsenzgrenze zu Beginn der Behandlung (1. und 2. Tag) im abgeschirmten Zimmer auf 20 Minuten pro 24 Stunden festgelegt (bei einer Distanz von 1 m). Das Zimmer ist für das Einsammeln von Stuhlgang, Urin und Waschwasser, die in Tanks zu la- gern sind, ausgerüstet. Der Inhalt der Tanks wird 2 bis 3 Monate lang aufbewahrt. Vor der Ent- sorgung in die Kanalisation ist die Restradioaktivität zu messen. Das Personal hat während dieser Behandlungen stets ein Dosimeter auf sich zu tragen. Die Mes- sungen liegen meistens bei Null, können aber manchmal 0,1 bis 0,2 mSv betragen. Das Personal untersteht präventiven Arztkontrollen (ärztliche Untersuchung, vollständiges Blutbild). Schwan- gere Frauen sollten nicht in solchen Abteilungen arbeiten. Nach jedem Verlassen des Zimmers sowie nach der Entlassung des Patienten müssen, im Rahmen der Kontaminationskontrolle des Zimmers, die Schilddrüse, die Füsse und die Hände des betroffenen Personal auf eine Kontami- nation hin kontrolliert werden. Bei einer Kontamination der Haut ist die Haut mit einem nicht abrasiven Reinigungsmittel zu waschen. Bei einer Kontamination der Schilddrüse durch Inkor- poration ist eine Gammaspektrometrie durchzuführen. Die Dekontaminierung des Zimmers durch das Dienstpersonal erfolgt nach den Richtlinien und Weisungen des Physikers. Folgende Elemente sind zu untersuchen: Zimmer, Bettwäsche, Tele- fon, TV-Fernbedienung. Falls nötig, erfolgt eine Dekontaminierung mittels eines Reinigungsmit- tels. Das Abwasser ist zu sammeln und in Tanks zu lagern. Die Bettwäsche ist zur Strahlungsab- nahme zu lagern und erst nach einer bestimmten Wartezeit wieder in Verkehr zu bringen. Stirbt der Patient, wird das Problem durch das Institut universitaire de radiophysique appliquée (IRA) geregelt.

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Hauptgefahren

Wenn die Bestrahlung des Organismus' von einer Quelle herrührt, die ausserhalb des Körpers liegt, spricht man von Bestrahlung von aussen oder von äusserer Bestrahlung. Dieses Risiko be- steht bei Arbeiten mit relativ durchdringenden Strahlen (β, X, γ, Neutronen). Die Bestrahlung von aussen kann partiell oder total sein (Bestrahlung des ganzen Körpers). Die damit verbunde- nen Risiken hängen davon ab, welcher Körperteil der Bestrahlung ausgesetzt war: Gonaden (ge- netische Folgen), aktives Knochenmark (Leukämie), Rumpf (Brust-, Lungenkrebs) usw. Eine innere Bestrahlung entsteht durch Einnahme oder Einatmen radioaktiver Materialien. Die Wirkung dieser Bestrahlung hängt von der Verteilung der Substanz im Körper ab. Im Falle einer inneren Bestrahlung sind sehr schwach durchdringende Strahlen (z.B. α-Strahlen) ebenfalls ge- fährlich, dies um so mehr als ihre biologische Wirksamkeit im Allgemeinen hoch ist. Wird ein Mensch bestrahlt, kann die Ionisierung der Atome zu einer Schädigung oder zum Ab- sterben der betroffenen Zellen führen. Die Wirkung auf den Organismus ist je nach Stärke der Bestrahlung unterschiedlich: § Bei hohen Dosen erfolgt die Wirkung unmittelbar und mit Gewissheit bei Personen, die mit einer Dosis bestrahlt wurden, die über der Wirkungsschwelle, der so genannten deterministi- schen Wirkung, liegt. § Bei geringen Dosen erfolgt die Wirkung verzögert und nicht zwingend bei jedem bestrahlten Menschen. Es handelt sich um ein stochastisches Phänomen, für das es keine Wirkungs- schwelle gibt. Es ist darauf hinzuweisen, dass im Falle einer hoch dosierten Bestrahlung nicht nur unmittelbare Wirkungen auftreten. Mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit können auch verzögerte Wir- kungen beobachtet werden.

Akute Bestrahlung Die akute Bestrahlung des Organismus' führt zu einer ganzen Reihe von Wirkungen (Syndrome), die von der erhaltenen Dosis abhängen. Man unterschiedet dabei: § das hämatopoietische Syndrom (ab 2 Sv), das durch die Zerstörung des Knochenmarks cha- rakterisiert ist; während die Wirkung bei 4 bis 6 Sv reversibel sein kann, ist die Zerstörung ab 8 Sv vollständig § das gastrointestinale Syndrom (ab 10 Sv), das durch die Zerstörung der Darmschleimhaut charakterisiert ist und das in den Wochen nach der Bestrahlung zum Tod führt § das Zentralnervensystem-Syndrom (ab 50 Sv), charakterisiert durch eine allgemeine Störung der lebenswichtigen Funktionen; der Tod tritt unausweichlich in den Stunden nach der Be- strahlung ein Diese drei Arten von akuter Strahlung weisen zudem gemeinsame Wirkungen auf: Übelkeit und Erbrechen, Unwohlsein und Müdigkeit, erhöhte Temperatur, Veränderung des Blutbilds.

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Tabelle 2: Wirkungsschwellen bei akuter Bestrahlung.

Dosis Wirkungen auf den Organismus bis 250 mSv Keine erkennbaren Wirkungen 250 - 500 mSv Geringe temporäre Veränderungen des Blutbilds 500 - 2000 mSv Erbrechen, Müdigkeit 2000 - 5000 mSv Hämatopoietische Störungen 5 Sv Semi-letale Dosis (Dosis, die ohne ärztliche Behandlung in 50 % der Fälle zum Tod führt) über 10 Sv Unmittelbarer Durchfall, 1-2 Wochen über 50 Sv Schädigung des Zentralnervensystems, 1-2 Stunden

Die akute Bestrahlung der Haut führt ab 3 Sv zu einer Rötung, die als Erythem bezeichnet wird. Bei höheren Dosen führt die Bestrahlung nacheinander und je nach erhaltener Dosis zu einer Pigmentierung, Epilation, Ulzeration und Nekrose der Haut. Eine Bestrahlung der Hoden führt zu einer vorübergehenden Sterilität. Je höher die Dosis, um so länger dauert die Sterilitätsdauer (mehrere Jahre bei einer Dosis von 6 Sv). Eine Bestrahlung der Eierstöcke bei einer Dosis über 10 Sv führt ebenfalls zur einer Sterilität. Die Bestrahlung des Auges ab 4 Sv kann Grauen Star (Katarakt) verursachen.

Bestrahlung bei schwacher Dosis Bei geringen Dosen treten die Wirkungen der Strahlung auf den Organismus verzögert auf. Die- se können sich nach einer Latenzperiode von 5 bis 30 Jahren nach der Bestrahlung manifestie- ren. Ihr Auftreten ist statistischer Natur, bei einer Gruppe von bestrahlten Personen treten die Wirkungen nur bei einigen auf, bei anderen hingegen nicht. § Die Hauptwirkung von geringen Dosen ist das Auftreten von Krebs. Die Krebsrate einer Bestrahlung von 1 mSv liegt bei ungefähr 4 Fällen pro 100 000 Personen. § Die zweite Wirkung von geringen Dosen ist das Auftreten von Missbildungen beim Nach- wuchs der bestrahlten Person. Man geht davon aus, dass das Risiko genetischer Verände- rungen, die zu einer Missbildung führen, eine von 100 000 Personen, die einer Strahlendosis von 1 mSv ausgesetzt waren, betrifft.

Besondere Gefahren

Embryonen sind besonders radiosensibel. Die Schädigungen hängen vom Entwicklungsstadium des Embryos ab. Während der Organogenese (Zeit, in der sich die Organe entwickeln, 8. bis 60. Tag) kann die Bestrahlung zu Missbildungen führen. Später nimmt das Missbildungsrisiko ab, es tritt jedoch das Risiko einer verzögerten geistigen Entwicklung auf, vor allem bei Bestrahlungen während der 8. und 17. Schwangerschaftswoche.

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Gesetzesgrundlagen

Die Strahlenschutzvorschriften umfassen die Bestimmungen, welche die Nutzung radioaktiver Substanzen regeln: Strahlenschutzgesetz (StSG), Strahlenschutzverordnung (StSV), Verordnung über den Umgang mit offenen radioaktiven Strahlenquellen, Verordnung über die Personendo- simetrie (Dosimetrieverodnung).

Bewilligungen und Aufsicht Eine Bewilligung braucht, wer § mit radioaktiven Stoffen oder mit Apparaten und Gegenständen umgeht, die radioaktive Stoffe enthalten § Anlagen und Apparate, die ionisierende Strahlen aussenden können, herstellt, vertreibt, ein- richtet oder benutzt § ionisierende Strahlen und radioaktive Stoffe am menschlichen Körper anwendet Bewilligungsbehörden sind das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und für Aktivitäten in Nukle- aranlagen und Versuche mit radioaktiven Substanzen das Bundesamt für Energie (BfE).

Bewilligungsgrenzen Die nuklidspezifischen Bewilligungsgrenzen für die verschiedenen Laboratorien sind in der Strahlenschutzverordnung festgelegt. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Bewilligungs- grenzen für die einzelnen Laboratorien ein Mehrfaches über der Bewilligungsgrenze für Normal- laboratorien liegen. Normallaboratorium: < LA (keine Bewilligung erforderlich) Laboratorium C: < 100 LA Laboratorium B: < 10000 LA Laboratorium A: gemäss Bewilligung

Zulässige Dosen Die in der Schweiz zulässige Jahresgrenzdosis für beruflich strahlenexponierte Personen liegt bei 20 mSv. Für die einzelnen Arten der Strahlenexposition gibt es allerdings unterschiedliche Grenzwerte: - Die Grenzdosis liegt bei 500 mSv, wenn die Exposition nur die Haut, die Füsse oder die Hände betrifft. - Die Äquivalentdosis an der Abdomenoberfläche darf bei schwangeren Frauen, die beruflich einer Bestrahlung von aussen ausgesetzt sind, nicht über 2 mSv liegen. - Die effektive Dosis im Falle einer Inkorporation darf bei schwangeren Frauen, die beruflich strahlenexponiert sind, nicht über 1 mSv liegen. Stillende Frauen dürfen keine Arbeiten mit radioaktiven Substanzen ausüben, die ein Inkorpora- tions- oder Kontaminationsrisiko beinhalten.

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Allgemeine Weisungen

Strahlenschutzverantwortliche Der Inhaber einer Bewilligung hat die Verantwortung für den Strahlenschutz wahrzunehmen. Er bezeichnet so genannte Strahlenschutzexperten, die für die praktische Umsetzung der Strahlen- schutzvorschriften am Arbeitsplatz zuständig sind. Im Allgemeinen ist es die Leitung des Unternehmens oder der Institution, welche die gesetzliche Inhaberin der Bewilligung ist. Strahlenschutzexperten Für jedes Lokal oder für eine Gruppe von Lokalen, die dem Strahlenschutz unterstehen, sind Strahlenschutzexperten zu bezeichnen, die einen spezifischen Strahlenschutzkurs zu besuchen haben. Die Strahlenschutzexperten haben folgende Aufgaben: § Durchsetzen, dass die Strahlenschutzvorschriften von allen Betroffenen eingehalten werden § Regelmässige Kontrolle der Eintragungen im Kontrollbuch der radioaktiven Substanzen § Wöchentliche Kontaminationskontrolle der Arbeitsflächen und Geräte, die kontaminiert sein könnten § Die Nutzer informieren den Strahlenschutzexperten über Änderungen bei den Versuchsver- fahren (z.B. neues Radionuklid) sowie über personelle Änderungen (z.B. neue Mitarbeiter, Einstellung der Arbeit), damit diese ihre dosimetrischen Unterlagen aktualisieren können § Die Nutzer sind dafür verantwortlich, die Arbeiten mit radioaktiven Substanzen in Überein- mit den Strahlenschutzvorschriften auszuführen § Sie sind dafür verantwortlich, jegliche Änderungen ihrer Stellung (Aufnahme und Einstel- lung der Arbeit mit radioaktiven Substanzen), ihrer Tätigkeit (neue Radionuklide usw.) so- wie den Standort ihrer Tätigkeit dem Strahlenschutzexperten zu melden § Strahlenschutztechniken

Schutz vor Bestrahlung von aussen Es gibt hauptsächlich drei Arten, sich vor einer Bestrahlung von aussen zu schützen: Begrenzung der Bestrahlungsdauer: Es handelt sich um eine einfache, wirksame und sparsame Massnahme, auf die man vielleicht nicht immer genügend zurückgreift. Ein vorgängiges Ein- üben aller Abläufe (bei ausgeschalteten Geräten) ermöglicht es in vielen Fällen, die Strahlenaus- setzung zu reduzieren, da die Abläufe rascher ausgeführt und unnötige Handgriffe, Wartezeiten und unangebrachte Präsenzen systematisch verhindert werden können. Abstand von der Quelle. Da die Strahlenleistung mit zunehmender Distanz zur Strahlenquelle abnimmt, sollte sich der Nutzer möglichst weit von ihr aufhalten. Mit dem Gebrauch von Pinzet- ten oder ferngesteuerten Vorrichtungen kann die Entfernung von der Quelle wirksam erhöht wer- den. Bei einer Distanz von 1 Meter zur Quelle beträgt die Strahlendosis nur noch etwa 1/10'000-stel ihres Werts gegenüber einer Distanz von 1 Zentimeter. Der Gewinn ist vor allem bei den ersten

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paar Zentimetern beträchtlich. So wird die Dosisleistung beispielsweise durch eine simple Ent- fernung um eine Armlänge (Erhöhung der Distanz von 10 auf rund 50 cm) um den Faktor 25 reduziert. Absorbierung der Strahlen mittels eines Schutzschirms zwischen der Quelle und dem Nutzer. Folgende Abschirmungen können als Schutz eingesetzt werden: Ö kein Schutz bei α-Strahlen Ö 1 cm dickes Plexiglas bei β-Strahlen Ö bei γ-Strahlen muss der Schutzschirm so dimensioniert sein, dass die Exposition unter den zulässigen Grenzwerten liegt. 5 cm Blei oder 25 cm Beton reichen beispielsweise aus, um bei den energetischsten Strahlen die Dosisleistung um den Faktor 10 zu reduzieren.

Tabelle 3: Halbwerttiefen (Reduktion der Exposition um den Faktor 2) für γ-Strahlen Gammaenergie (MeV) Al Fer Cu Pb Wasser Luft Beton [cm] [cm] [cm] [cm] [cm] [cm] [cm] 0,1 1,60 0,26 0,18 0,012 4,14 35,5 1,75 0,2 2,14 0,64 0,53 0,068 5,10 43,6 2,38 0,5 3,05 1,07 0,95 0,42 7,17 61,9 3,40 1,0 4,17 1,49 1,33 0,90 9,82 84,5 4,65

Schutz vor Kontamination Der Schutz muss der Radiotoxizität und der Aktivität der radioaktiven Substanz angepasst sein. Es gibt zwei Hauptmethoden zum Schutz gegen eine interne Kontamination, den Schutz durch die Strukturen und den persönlichen Schutz. Der persönliche Schutz muss dem Niveau des Kontaminationsrisikos angepasst sein. Die üb- lichsten Methoden sind (Reihenfolge gemäss steigendem Risiko): Tragen einer Spezialkleidung (Laborkittel, Schutzanzug), Tragen von Handschuhen, Tragen einer kleinen Filtermaske, Tragen einer Schutzmaske, Tragen einer Schutzmaske und einer dichten Ausrüstung. Die systematische Dekontaminierung der Gegenstände oder der Personen garantiert, dass keine radioaktiven Substanzen gestreut und das Inkorporationsrisiko vermieden werden. Sie muss es ermöglichen, dass die Kontamination unter die zulässigen Werte gemäss Strahlenschutzverord- nung herabgesetzt wird. Tabelle 4: Beispiele für maximal zulässige Oberflächenkontaminationen Isotop Messwertanzeige in Bq/cm2 Halbwertszeit H-3 1000 12,3 Jahre C-14 30 5570 Jahre P-32 3 14,5 Tage S-35 30 87,5 Tage Ca-45 10 143 Tage Ca-47 3 4,7 Tage Fe-55 300 2,6 Jahre Fe-59 3 45 Tage Zn-65 30 245 Tage I-125 10 60 Tage I-131 3 8,1 Tage

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Individuelle Strahlenschutzkontrollen

Meldepflicht Jede Person, welche die Absicht hat, mit radioaktiven Substanzen zu arbeiten, muss sich vorgän- gig bei einem Strahlenschutzexperten ihrer Einheit melden. Dieser händigt ihr das Strahlen- schutzhandbuch aus und erstellt das dosimetrische Dokument.

Kontrollierte Personen Personen, die mit radioaktiven Substanzen arbeiten, deren Aktivität das Hundertfache der - sitionsgrenze übersteigt, müssen sich einer ärztlichen Überwachung, den periodischen Kontrol- len (physikalische Messungen) sowie der internen Triagemessung unterstellen. Letztere ist direkt durch die betroffenen Personen (Nutzer) zu realisieren, und zwar unter der Verantwortung des Strahlenschutzexperten.

Ärztliche Überwachung Spätestens zwei Wochen nach Aufnahme der Arbeit muss eine ärztliche Untersuchung durchge- führt werden. Eine ärztliche Untersuchung muss zudem auch nach Einstellung der Tätigkeit durchgeführt werden. Die Untersuchung muss mindestens das Blutbild der roten und weissen Blutkörperchen umfas- sen. Die erste Untersuchung umfasst im Übrigen die persönliche Anamnese und trägt insbeson- dere früheren Bestrahlungen Rechnung. Das Aufgebot zur ärztlichen Untersuchung wird durch die SUVA verschickt. Es ist sinnvoll, dieses Aufgebot abzuwarten, bevor man zum Arzt geht. Die Untersuchung erfolgt im Allgemeinen durch die Arbeitsärzte des Spitalpersonals, es besteht jedoch auch eine freie Arztwahl.

Physikalische Kontrollmessungen Eine Kontrolle mittels Dosimetrie ist monatlich durchzuführen. Die Dosimeter werden monatlich durch einen zugelassenen Dosimetriedienst (in der Westschweiz ist es das IRA) verteilt und ein- gesammelt. Die Ergebnisse werden dem Strahlenschutzexperten mitgeteilt, der die Nutzer dar- über informieren muss.

Triagemessung der internen Dosimetrie Die Überwachung der internen Kontamination wird vom Strahlenschutzexperten gemäss den Bestimmungen der Dosiemtrieverordnung organisiert. Im Falle einer positiven Messung (Nach- weis von Radioaktivität) hat ein zugelassener Dosimetriedienst (für die Spitaleinrichtungen in der Westschweiz ist es das IRA) eine quantitative Messung der Kontamination durchzuführen. Im Falle der Isotope I-125, I-131 ist eine direkte Messung der Schilddrüse mit einem Kontami- nationsmonitor durchzuführen. Falls nötig, erfolgt danach eine Messung der Aktivität durch das IRA. Die Ergebnisse dieser Messungen sind dem Strahlenschutzexperten mitzuteilen.

Transport (externer Transport) Radioaktive Substanzen gehören zu den gefährlichen Stoffen und unterliegen somit einer ganzen Reihe von Bestimmungen und Sondervorschriften: - Verordnung vom 29. November 2002 über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Stras- se (SDR) (SR 741.621)

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- Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (ADR) (SR 0.741.621) - Verordnung vom 3. Dezember 1996 über die Beförderung gefährlicher Güter mit der Eisen- bahn (RSD) (SR 742.401.6) - Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID) - Bestimmungen der International Air Transport Association (IATA) (Internationale Flug- transport-Vereinigung,)

Das ADR legt die Transportbedingungen und -anforderungen fest. Diese Bestimmungen schrei- ben namentlich die Verwendung von dichten Verpackungen, unzerstörbare Behälter für flüssige, gas- oder pulverförmige radioaktive Quellen, eine zwingende Kennzeichnung der Quellen usw. vor. Der Versand radioaktiver Materialien erfolgt unter der Verantwortung des Absenders, der die ADR-Richtlinien einzuhalten hat. Der Rücksand eines Radionuklids, das fälschlicherweise an eine Abteilung gesandt wurde, fällt zum Beispiel ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich des ADR.

Bestellung/Entsorgung

Kauf, Gebrauch und Entsorgung radioaktiver Substanzen müssen gemäss den Weisungen des betreffenden Strahlenschutzexperten registriert werden. Jegliche Handhabung mit radioaktiven Substanzen hat so zu erfolgen, dass so wenig radioaktive Abfälle wie möglich entstehen. Radioaktive oder kontaminierte Abfälle dürfen erst nach einer entsprechenden Kontrolle entsorgt werden. Die Handhabung radioaktiver oder kontaminierter Abfälle darf nur durch das dafür ermächtigte Personal erfolgen. Unterhalb einer gewissen Aktivität (Abgaberate), die in der Strahlenschutzverordnung festgelegt ist, können die Abfälle (Flakon, Sack, tierische, flüssige) wie inaktive Abfälle entsorgt werden. Unterhalb einer gewissen Aktivität (Freigrenze), die in der Strahlenschutzverordnung festgelegt ist, gilt ein Radionuklid nicht mehr als radioaktiv.

Feste Abfälle Radioaktive Abfälle sind nach Isotopen getrennt in Behälter zu geben, die als «Radioaktiv» ge- kennzeichnet sind. Am Ende der Handhabung sind die vollen Behälter sorgfältig zu schliessen und mit einer selbstklebenden Etikette «Feste radioaktive Abfälle» zu versehen, die folgende Angaben enthält: das Isotop, die geschätzte Aktivität in MBq, das Datum des Versuchs, den Namen des Nutzers sowie das Herkunftslabor des Abfalls. Radioaktiv kontaminierte Kadaver sind zur Abnahme der Strahlung einzufrieren.

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Flüssige Abfälle Flüssige Abfälle dürfen niemals ins Abwassersystem entsorgt werden. Flüssige Abfälle sind nach Isotopen getrennt in Polyäthylen-Fläschchen zu geben und mit dem Kennzeichen «Radioaktiv» zu markieren. Die vollen Fläschchen sind mit einer Etikette zu kenn- zeichnen, die folgende Angaben enthält: das Isotop, die geschätzte Aktivität in MBq, die Art der Flüssigkeit, das Datum und den Namen des Nutzers.

Lagerung / Zwischenlagerung

§ Behälter, die radioaktive Substanzen enthalten, müssen das Gefahrenzeichen für ionisieren- de Strahlen, die Angabe des Nuklids, die Aktivität, das Datum und den Nutzer tragen. § Die Quellen sind sorgfältig zu schliessen. Zwischenlagerungsbereiche (Schrank, Kühl- schrank usw.) sind mit einem Gefahrenzeichen zu kennzeichnen. § Wenn nötig, sind die Art und die Dicke der Abschirmung der Strahlenart und der Aktivität der Quellen anzupassen; sie gewährleisten eine zulässige und möglichst schwache Strah- lungsleistung. Die praktische Organisation der Arbeit im Laboratorium muss von Fall zu Fall untersucht und auf der Grundlage der Strahlenschutzgrundsätze angepasst sein. Eine ganze Reihe von prakti- schen und allgemeinen Umgangsregeln erlaubt es zudem, die Kontaminationsrisiken einzu- schränken. Die folgenden Regeln müssen beim Umgang mit Radionukliden zwingend eingehal- ten werden: § Niemals mit dem Mund pipettieren (gilt für ALLE Laboratorien). § Im Laboratorium weder rauchen, essen, trinken oder Kosmetika benutzen. Keine Lebensmit- tel in den Kühlschränken aufbewahren, die radioaktive Substanzen enthalten (gilt für ALLE Laboratorien). § Bei jeglicher Handhabung geeignete Handschuhe und Laborkittel tragen. In B-Laboratorien darf ausschliesslich Kleidung getragen werden, die der Arbeit mit radioaktiven Substanzen vorbehalten ist. Bei der Handhabung von β-Quellen ist das Tragen von Schutzbrillen obliga- torisch. § Persönliches Dosimeter auf sich tragen. Bei Handhabungen, die besondere Risiken einer Bestrahlung von aussen beinhalten, ist das Tragen eines direkt ablesbaren Dosimeters obli- gatorisch. § Alle Vorsichtsmassnahmen treffen, um Stich- und Schnittwunden zu vermeiden. § Häufiges Kontrollieren der Kontamination der Hände, der Schuhe und der Kleidung. Diese Kontrollen sind bei jedem Verlassen des Laboratoriums obligatorisch. Jeder Gegenstand, der das Labor verlässt, muss vorgängig auf eine allfällige Kontamination kontrolliert werden. § Handhabung radioaktiver Substanzen in der Kapelle oder in einer Glovebox, wenn die Si- cherheit der Arbeit auf dem Labortisch nicht garantiert werden kann oder wenn bei der Handhabung das Risiko einer inneren Kontamination besteht. § Handhabung radioaktiver Substanzen nur auf einer Platte, in einer Schale oder auf einer Kunststoffunterlage.

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§ Bei der Entnahme aus einem Membranfläschchen mittels Aufziehspritze Bildung von Aero- solen, Tröpfchen und Spritzern vermeiden. § Nicht in Anwesenheit des Lagerbestands der radioaktiven Substanz arbeiten; den Bestand unmittelbar nach der Entnahme zurückstellen. § Mit Schutzschirm und auf Distanz arbeiten. § Abfälle täglich und vorschriftgemäss entfernen. Kontaminierte Abfälle dürfen nur in den dafür vorgesehenen und bezeichneten Behältern deponiert werden. Kontaminierte Abfälle, die volatile Stoffe enthalten, müssen unter Kapellen oder in Gloveboxes konserviert werden. § Mindestens einmal täglich die Kontamination der Arbeitsflächen kontrollieren. § Eine Kontamination niemals bestehen lassen, unverzüglich eine Dekontamination vor- nehmen. § Kontaminationen dem Strahlenschutzexperten melden. § Nach jeder Handhabung und vor Verlassen des Arbeitsraums Hände sorgfältig waschen. § Käufe, Verwendungen und Abfälle radioaktiver Substanzen ins Kontrollheft eintragen. § Unfälle und Zwischenfälle dem Sicherheitsbeauftragten melden. § Regelmässiges Überprüfen der angemessenen Strahlenschutzpraxis, insbesondere vor der Arbeit mit einem neuen Radionuklid. § Die Triagemessungen der internen Kontamination sind nach den Weisungen des Strahlen- schutzverantwortlichen vorzunehmen.

Medizinische Anwendungen Es gibt allgemeine Regeln in Bezug auf die Anwendung von Bestrahlungen im medizinischen Bereich. Diese sind in der Strahlenschutzverordnung (StSV) enthalten und schreiben namentlich Folgendes vor: § Es sind alle erforderlichen Massnahmen zum Schutze des Patienten zu treffen, und der Ein- satz ionisierender Strahlen muss so festgehalten sein, dass die Dosis, die jeder Patient erhal- ten hat, bestimmt werden kann. § Die Applikation offener und geschlossener radioaktiver Strahlenquellen am Menschen für physiologische und pharmakologische Untersuchungen bedarf für jedes Projekt der Bewilli- gung des BAG (Art. 28 StSV). § Wer einen klinischen Versuch mit radiopharmazeutischen Produkten am Menschen durch- führen will, muss ihn mindestens sechs Wochen vor Beginn des Versuchs dem BAG mel- den.

Besondere Weisungen Es gibt besondere Weisungen in Bezug auf gewisse Tätigkeiten und Dienste. Es handelt sich dabei namentlich um: - Behandlungen mit radioaktivem Jod - den Gebrauch von Wannen mit leicht radioaktivem Wasser

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Einige geläufige Radio-Isotope

TRITIUM, H-3 Physikalische Daten Höchstenergie: 19 keV (100 %) Maximale Reichweite in der Luft: 6 mm Maximale Reichweite im Wasser: 6 µm Halbwertszeit: 12,3 Jahre 3 . 5 Freigrenze ( H20) 6 10 Bq Zulässige Grenze im 3.108 Bq Normallabor Grenze im C-Labor 3.1010 Bq Kontaminationsgrenze 1000 Bq/cm2 Bemerkungen Aktivitäten von Millicuriemengen von Tritium stellen kein Risiko einer äusseren Bestrahlung dar, da die emittierten Elektronen niedriger Energie nicht durch die Lederhaut dringen (Reichweite < 6µm). Das kritische Organ für eine Inkorporation von Tritium ist das Wasser im ganzen Körper. Drei bis vier Stunden nach der Inkorporation ist das tritiierte Wasser ein- heitlich im Wasser des ganzen Körpers verteilt. Im Durchschnitt wird tritiumhaltiges Wasser mit einer Halbwertszeit von 10 Tagen eliminiert. Der Eliminationsgrad kann durch vermehrtes Trinken von Wasser erhöht werden. Besondere Schutzmass- Einige tritiumhaltige Verbindungen können leicht durch die Handschuhe nahmen und die Haut dringen. Diese Verbindungen auf Distanz manipulieren, 2 Paar Handschuhe tragen und das äussere Paar mindestens alle 20 Minuten wechseln. Tritiierte DNS-Vorläufer sind toxischer als tritiumhaltiges Wasser. Sie sind hingegen weniger flüchtig und stellen normalerweise kein akutes Risiko dar.

KOHLENSTOFF-14 (C-14) Physikalische Daten Höchstenergie: 0,156 MeV (100 %) Maximale Reichweite in der Luft: 30 cm Maximale Reichweite im Wasser: 0,3 mm Halbwertszeit: 5730 Jahre Freigrenze 2.104 Bq Zulässige Grenze im 9.106 Bq Normallabor Grenze im C-Labor 9.108 Bq Kontaminationsgrenze 30 Bq/cm2 Bemerkungen Aktivitäten von Millicuriemengen von C-14 stellen kein Risiko einer äusse- ren Bestrahlung dar, da die emittierten β-Strahlen niedriger Energie nicht durch die obere Hautschicht dringen können. Das kritischen Organe für eine Inkorporation zahlreicher markierter Ver- bindungen mit C-14 sind die Knochen und das Fettgewebe. Die meisten markierten Verbindungen mit C-14 werden rasch metaboli- siert, und das Radionuklid wird in Form von 14CO2 exhaliert. Einige Bin- dungen und ihre Metaboliten werden über den Urin ausgeschieden. Die Halbwertszeit liegt zwischen einigen Minuten bis zu 25 Tagen, wobei für die meisten Bindungen 10 Tage ein akzeptabler Wert sind. Besondere Schutzmass- Einige markierte Verbindungen mit C-14 können durch die Handschuhe nahmen und die Haut dringen. Diese Verbindungen auf Distanz manipulieren, 2 Paar Handschuhe tragen und das äussere Paar häufig wechseln. Mit C-14 markierte Halogensäuren sind aufgrund des Risikos einer Inkorporation

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über die Haut mit besonderer Sorgfalt zu manipulieren.

PHOSPHOR-32 (P-32) Physikalische Daten Höchstenergie, β-: 1,71 MeV (100 %) Maximale Reichweite in der Luft: 8 m Maximale Reichweite im Plexiglas: 1 cm Halbwertszeit: 14,3 Tage Freigrenze 4.103 Bq Zulässige Grenze im 1.106 Bq Normallabor Grenze im C-Labor 1.108 Bq Kontaminationsgrenze 3 Bq/cm2 Bemerkungen Das kritische Organ für eine Inkorporation transportabler mit P-32 markier- ter Verbindungen sind die Knochen. Der Metabolismus von Phosphor ist sehr komplex, da rund 30 Prozent im Körper rasch abgebaut werden, wäh- rend 40 Prozent eine Halbwertszeit von 19 Tagen haben und die übrigen 30 Prozent mit dem Abklingen der Radioaktivität eliminiert werden. Die Lun- gen und der distale Darm sind die kritischen Organe für die Inhalation und die Einnahme von nicht transportablen, mit P-32 markierten Verbindungen. Besondere Schutzmass- P-32 hinter Plexiglasabschirmungen lagern; bei P-32-Mengen von rund 40 nahmen Mβq (mCi) ausserhalb des Plexiglases Blei hinzufügen, um die sekundären Strahlen höherer Dichte zu absorbieren. Tragen von Fingerring-Dosimetern bei der Handhabung von Aktivitäten in der Grössenordnung von Millicu- riemengen. Benutzen von Abschirmungen, um die Strahlenexposition bei der Handhabung mit P-32 zu reduzieren. Nicht über offenen Behältern arbeiten; bei der Handhabung nicht geschütz- ter Quellen und potenziell kontaminierter Behälter Instrumente benutzen.

SCHWEFEL-35 (S-35) Physikalische Daten Höchstenergie, β-: 0,167 MeV (100 %) Maximale Reichweite in der Luft: 30 cm Maximale Reichweite im Wasser: 0,3 mm Maximale Reichweite in Plastik: 3 mm Halbwertszeit: 87,4 Tage Freigrenze 4.104 Bq Zulässige Grenze im 7.106 Bq Normallabor Grenze im C-Labor 7.108 Bq Kontaminationsgrenze 30 Bq/cm2 Bemerkungen Aktivitäten von Millicuriemengen von S-35 stellen kein Risiko einer äusse- ren Bestrahlung dar, da die emittierten β-Strahlen niedriger Energie nicht durch die obere Hautschicht dringen können. Das kritische Organ für S-35 ist der ganze Körper. Der Abbaugrad von S-35 hängt von der chemischen Form ab. Die meisten markierten Verbindungen mit S-35 werden über den Urin eliminiert, die Halbwertszeit beträgt 90 Tage. Besondere Schutzmass- S-35 ist aufgrund der Emission von β-Strahlen ähnlicher Energie schwer nahmen von C-14 zu unterscheiden. Werden diese beiden Radionuklide am selben Standort verwendet, sind für beide Isotope sichere Kontrollgrenzwerte fest- zulegen.

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JOD-125 (I-125) Physikalische Daten Höchstenergie: 0,177 MeV (100 %) - Gamma: 0,035 MeV (6,5 %) - Strahlen X-Kα: 0,027 MeV (112,0 %) - Strahlen X-Kβ: 0,031 MeV (25,4 %) Expositionsdauer bei 1 cm von einer punktuellen Quelle von 1 mCi: 1,4 R/h Halbwertsdicke von Blei: 0,02 mm Halbwertszeit: 60,14 Tage Freigrenze 6.102 Bq Zulässige Grenze im 5.105 Bq Normallabor Grenze im C-Labor 5.107 Bq Kontaminationsgrenze 10 Bq/ cm2 Bemerkungen Hauptrisiko: Jod ist flüchtig. Das kritische Organ für eine Kontaminierung ist die Schilddrüse. Diese kann bis zu 30 Prozent des vom Körper aufgenommenen markierten Jods aufnehmen und ihn mit einer Halbwertszeit von 138 Tagen zurückhalten. Markiertes Jod wird über den Urin eliminiert. Besondere Schutzmass- I-125-Mengen von rund 40 MBq (1 mCi) sind im Schutz einer Bleiab- nahmen schirmung (von mindestens 3 mm) zu lagern. Benutzen von Instrumenten bei der Handhabung ungeschützter Quellen der Grössenordnung von 1 mCi (40 MBq). Mengen von über 0,4 MBq (10 µCi) sind in einer Kapelle zu handhaben (Kontrollieren, dass sie funktioniert). Na125I-Lösungen bei Raumtemperatur lagern, da beim Gefrieren die Gefahr einer Verflüchtigung des markierten Jods besteht. Vermeiden von sauren Lösungen, um die Verflüchtigung zu reduzieren. Einige Verbindungen können durch die Handschuhe und die Haut dringen. Diese Verbindungen mit Instrumenten handhaben, Tragen von 2 Paar Handschuhen und das äussere Paar häufig wechseln.

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Quellen

Dieses Dokument beruht in der Hauptsache auf den Kursunterlagen des Strahlenschutzkurses für Rettungsdienste sowie des Ausbildungskurses für Strahlenschutzfachleute des Institut universi- taire de radiophysique appliquée (IRA) in Lausanne. § Strahlenschutzgesetz vom 22. März 1991 (StSG) (SR 814.50) § Strahlenschutzverordnung vom 22. Juni 1994 (StSV) (SR 814.501) § Verordnung vom 20. Januar 1998 über den Strahlenschutz bei medizinischen Röntgenanla- gen (Röntgenverordnung) (SR 814.542.1) § Verordnung des EDI vom 15. Dezember 2004 über den Strahlenschutz bei medizinischen Elektronenbeschleuniger-Anlagen (Beschleunigerverordnung, BeV) (SR 814.501.513) § Verordnung vom 7. Oktober 1999 über die Personendosimetrie (Dosimetrieverordnung) (SR 814.501.43) § Verordnung vom 15. September 1998 über die Ausbildungen und die erlaubten Tätigkeiten im Strahlenschutz (Strahlenschutz-Ausbildungsverordnung) (SR 814.501.261)

Nützliche Links http://www.psi.ch http://www.hospvd.ch/public/instituts/ira/ http://www.sgsmp.ch http://www.nagra.ch/index.htm http://www.military.ch/SVO/REGION/Montreux/be-brof.htm http://www.admin.ch/bag/d/index.htm http://www.andra.fr/fr/radioactivite/radioac.htm http://musee.curie.fr/documentation/applications.html http://www.baclesse.fr/cours/fondamentale/8-carcino-phys/physi-1.htm http://brise.ere.umontreal.ca/drh/html/ssst/r_dechet.htm http://www.radwaste.org/ http://irpa.sfrp.asso.fr/

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