THEMA EUROPA
Europas Weg in die Zukunft – Erneuerbare Energien
Von Mechtild Rothe MdEP, Oliver Schäfer, Milan Nitzschke 02/2002 THEMA EUROPA: Europas Weg in die Zukunft – Erneuerbare Energien i NFO
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INHALT
VORWORT 5
1. FÜR EINE BESSERE UMWELT: EUROPA BRAUCHT DIE ENERGIEWENDE 7 1.1 Klimaschutz zwingt zum Handeln 7 DAS KYOTO-PROTOKOLL 8 1.2 Wie stellen wir die künftige Energieversorgung sicher? 9 1.2.1 Das Grünbuch zur Energieversorgungssicherheit 9 Eine Lagebeschreibung Herausforderungen für die Euopäische Union 10 Die künftigen Schwerpunkte 1.3 Brauchen wir eine europäische Strategie? 12 Eckpfeiler einer neuen europäischen Energiepolitik 12
2. ERNEUERBARE ENERGIEN – SCHLÜSSEL ZUR ENERGIEWENDE 15 2.1 Europa ist Vorreiter 15 2.2 Innovationen für den Arbeitsmarkt 15 2.3 Der Elektrizitätsmarkt wird sich verändern 18 EXTERNE KOSTEN 19
3. ENERGIEEFFIZIENZ – ZWEITES STANDBEIN DER ENERGIEWENDE 21 3.1 Energieeffizienz im Gebäudebereich 21
4. ERNEUERBARE ENERGIEN IN DER PRAXIS BEISPIEL SOLARENERGIE: PRAKTIKABEL UND RENTABEL 23 BEISPIEL WASSERKRAFT: ZUKUNFT MIT TRADITION 24 BEISPIEL BIOMASSE: WÄCHST JAHR FÜR JAHR NACH 26 BEISPIEL WINDENERGIE: EINE ERFOLGSGESCHICHTE 28
5. DIE EU WILL DIE ENERGIEWENDE DURCH ERNEUERBARE ENERGIEN 29 5.1 Bestehende Förderprogramme Altener I und II 29 Forschungsrahmenprogramm 31
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5.2 Das Grünbuch Erneuerbare Energien – erste Schritte 1996 32 5.3 Das Weißbuch für Erneuerbare Energien – ein großer Sprung 1997 32 5.4 Die erste Richtlinie zur Förderung von Strom aus Erneuerbaren Energien – ein echter Durchbruch? 34 DIE FÖRDERSYSTEME 36 Europaweite Definition für Strom aus Erneuerbaren Energien 39 Garantierter Netzzugang 39 Verbraucherschutz durch Herkunftsnachweise 40 Vereinfachte Verwaltungsverfahren 40 Bestandsgarantie nach dem Subsidaritätsprinzip 41 Zielerfüllung 42 DER GEMEINSCHAFTSRAHMEN FÜR STAATLICHE UMWELTSCHUTZBEIHILFEN 43
6. BEDEUTUNG DER ERNEUERBAREN ENERGIEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER 45
7. DER EINSATZ VON BIOTREIBSTOFFEN IM VERKEHRSBEREICH 47
8. ENERGIEWENDE DURCH STEUERREFORM 49
9. FAZIT: WAS IST NOCH ZU TUN? 51
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VORWORT
„Die zukünftigen Energieträger werden Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie heißen.“
Mechtild Rothe MdEP
Die Zukunft der Energieversorgung gehört Jahren aber wissen wir, dass unter anderem den Erneuerbaren Energieträgern und den die Freisetzung von Kohlenstoffverbindun- intelligenten Energiedienstleistungen. gen zu einer weltbedrohenden Klimaverän- derung führt. Daher muss die Nutzung fos- Von den herkömmlichen Energieträgern Öl, siler Energieträger so früh wie möglich Gas, Kohle und Kernenergie werden wir gestoppt werden. Kernenergie ist in dieser uns mittel- bis langfristig verabschieden Situation keine Alternative, da sie selbst mit müssen. Dafür gibt es drei Gründe: unüberschaubaren Risiken verbunden und auch endlich ist. 1. Ressourcenverbrauch: Die erschöpfba- ren Ressourcen werden bei gleichbleibender Die zukünftigen Energieträger werden Nutzung in diesem Jahrhundert weitestge- Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geo- hend verbraucht sein. thermie heißen. Je schneller wir die Wende hin zu diesen nachhaltigen Energieträgern 2. Energiebedarf: Der weltweite Bedarf an schaffen, desto mehr können wir von ihren Energieressourcen steigt drastisch an. Da- ungeheuren Vorteilen profitieren: her ist von einem noch schnelleren Ver- brauch der erschöpfbaren Energieträger Zeitlich unbeschränkte Nutzbarkeit und mit einem verschärften Kampf um die verbleibenden Ressourcen zu rechnen. Vermeidung von immensen Umweltkosten
3.Klimaschutz: Energieerzeugung aus Dezentrale Einsatzfähigkeit Kohle, Öl und Gas war schon immer umweltschädlich. Spätestens seit den 90er Riesiges wirtschaftliches Potenzial
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Auch das Verbrauchsverhalten wird sich Daher setzen sich die Sozialdemokraten im ändern. Angesichts von Umwelt- und Europäischen Parlament für die politische Rohstoffkosten liegt ein ebenfalls ungeheu- Beschleunigung der Energiewende ein. Den res Potential in Einsparmaßnahmen und Weg dorthin und die genauen Hintergründe effizienten Energieanwendungen. soll diese Broschüre veranschaulichen.
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1. FÜR EINE BESSERE UMWELT: EUROPA BRAUCHT DIE ENERGIEWENDE
1.1 Klimaschutz zwingt zum Handeln Schon heute nehmen weltweit Überschwem- mungen, Krankheiten und Dürren zu. Die Wir stehen vor einer der größten umweltpo- Tabelle (unten) zeigt die Zunahme großer litischen Herausforderungen: der globalen Katastrophen in den letzten Jahrzehnten . Klimaveränderung. Damit das Klimasystem nicht aus den Das International Panel for Climate Change Fugen gerät, müssen die Industrieländer (IPCC) gibt die folgenden Effekte als wahr- innerhalb von fünfzig Jahren ihre Emissio- scheinliche Ergebnisse einer fortdauernden nen an Kohlendioxid aus der Verbrennung Erwärmung an1: fossiler Energieträger um etwa 80 Prozent3 reduzieren. Ohne eine grundlegende Ände- Anstieg der Meeresspiegel rung der Energiewirtschaft und des Ener- gieverbrauchs ist das nicht machbar. Das Überflutung von Küstenregionen Klimaprotokoll von Kyoto verpflichtet die Europäische Union, ihre Treibhausgas- Verlangsamung des ozeanischen Wär- emissionen zwischen 1990 und 2010 um 8 mekreislaufes durch Erhöhung der Prozent zu reduzieren. Wie das Europäische Wassermengen mit der Folge einer Parlament hat auch die Europäische Kom- abrupten Abkühlung der nordatlanti- mission mehrfach darauf hingewiesen, dass schen Region dieses Ziel nur unter erheblichen Anstrengun- gen zu erreichen sei. Ohne zusätzliche Häufige extreme Wetterlagen Maßnahmen sei vielmehr ein Anstieg von 6- 8 % zu prognostizieren. Die Bundesrepublik Ernteeinbußen Deutschland hat im Rahmen des Lastenaus- gleichs ein Reduktionsziel von 21 Prozent. Wasserknappheit Diese anspruchsvollen Zielvorgaben gilt es zu erfüllen. Die Europäische Union hat Verwüstungen damit bereits begonnen. Allerdings müssen den ersten Schritten weitere folgen. Das Verlust an biologischer Vielfalt bedeutet, dass mit der Energiewende im Verkehr, bei den Haushalten und in der Zunahme von Infektionskrankheiten Industrie ernst gemacht werden muss.
Dekadenvergeich großer Naturkatastrophen2
Dekade 1950-1959 1960-1969 1970-1979 1980-1989 1990-1999
Anzahl 20 27 47 63 89
Schäden in Mrd. US$ 40,7 73,1 131,5 204,2 629,2
1 IPCC – International Panel for Climate Change: Summaries of Policymakers, Working Group II, www.ipcc.com 2 Quelle: Münchener Rück Versicherungsgruppe, http://www.munichre.com/pdf/topics_2000_a5.pdf. Als „groß“ werden hier Naturkatastrophen bezeichnet, wenn sie die Selbsthilfefähigkeit der betroffenen Region deutlich übersteigen und überregionale Hilfe erforderlich machen 3 IPCC – International Panel for Climate Change: Summaries of Policymakers, Working Group II, www.ipcc.com
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DAS KYOTO-PROTOKOLL
Das Kyoto-Protokoll ist Bestandteil der und viele andere Staaten sowie eine Reduk- Klimarahmenkonvention, die 1992 auf dem tion um 7 % für die USA und 6 % für Japan. Weltgipfel für Umwelt und Entwicklung in Innerhalb der EU sind die Reduktionsziele Rio de Janeiro verabschiedet wurde. Nach nach dem Lastenteilungsprinzip 1998 fest- der Unterzeichnung durch 186 Staaten trat gelegt worden. Danach muss Deutschland die Konvention 1994 in Kraft. In der Klima- um 21 % reduzieren. Auf der 6. Vertragsstaa- konvention wurde der Klimawandel erstmals tenkonferenz in Bonn wollte man das Kyoto- als ernstes Problem, das die Staatengemein- Protokoll weiter ausgestalten; ihr Scheitern schaft zum Handeln zwingt, anerkannt. Die konnte erst in letzter Minute abgewendet Vertragsstaaten verpflichten sich außerdem, werden. Die Bestimmungen wurden in wei- die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr ten Teilen aufgeweicht, jedoch wurde am not- 2000 wieder auf das Niveau von 1990 zu wendigen Klimaschutzprozess festgehalten. drücken. Als klimaschädliche Gase gelten: Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid, Bisher ist das Kyoto-Protokoll von 33 Staaten Drei Jahre nach FCKW, FKW und Schwefelhexanfluorid. Die ratifiziert worden. Die Europäische Union hat Kyoto reisen Ende Klimakonvention bildet den Rahmen für kon- seine Ratifizierung für 2002 geplant und tritt März 1995 Experten krete Klimaschutzverhandlungen. Diese fan- als einheitlicher Verhandlungspartner auf. aus 117 Ländern zur Weltklimakonferenz den seit 1994 jährlich als Vertragsstaaten- Das Kyoto-Protokoll soll noch vor dem Gip- nach Berlin. Dort wer- konferenzen (COP – Conference of the Par- fel für Nachhaltigkeit im September 2002 in den die Ursachen der ties) statt. Auf der 3. Vertragsstaaten- Johannesburg in Kraft treten. Das kann es Klimaveränderungen, konferenz (COP 3) in Kyoto wurde das soge- nur, wenn mindestens 55 Staaten, die wie- ihre Folgen und Gegenmaßnahmen nannte Kyoto-Protokoll verabschiedet. Es derum 55 % der Treibhausgasemissionen ver- diskutiert. Der sieht vor, dass die Vertragsstaaten im ersten ursachen, ratifizieren. Ohne Japan und/oder Karikaturist hat seine Reduktionszeitraum (2008-2012) ihre Emis- die USA ist diese Voraussetzung nur sehr eigene Meinung. sionen insgesamt um 5 % gegenüber dem schwer zu erfüllen. Die japanische Regierung Zeichnung: Ausgangswert von 1990 senken. Das bedeu- hat in Bonn ihre Zustimmung signalisiert. Die Klaus Espermüller tet konkret eine Reduktion um 8 % für die EU neuen Vorschläge der Bush-Administration scheinen eine Zustimmung der USA auszu- schließen.
Die Europäische Union will jedoch in jedem Fall an ihrer Reduktionsverpflichtung festhal- ten. Vertragsstaaten können innerhalb des Kyoto-Protokolls auch Klimaschutz-Projekte außerhalb ihres nationalstaatlichen Gebietes fördern und sich dies auf ihre eigenen Zielvorgaben „gutschreiben“ lassen. Die Eu- ropäische Union hat dazu im letzten Jahr ein gesondertes Protokoll beschlossen, welches Atomenergieprojekte von diesen Maßnah- men ausdrücklich ausnimmt.
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1.2 Wie stellen wir die künftige erreichen, ist eine verstärkte Koordinierung Energieversorgung sicher? nationaler Energiepolitiken notwendig.
Die sogenannte „Energiepreiskrise” hat uns Am 29.11.2000 hat die Europäische Kommis- im letzten Jahr erneut verdeutlicht, wie sion ein Grünbuch zur Energieversorgungs- wichtig ein Umdenken in der Energiepolitik sicherheit vorgelegt. Es zeigt die Notwendig- ist. Das Krisenszenario ist nicht über Nacht keit für eine aktive Energiepolitik der EU auf. über uns hereingebrochen, sondern Folge einer sich seit langem abzeichnenden Ent- wicklung. Schon viel früher hätte uns Reichweiten der bewusst werden sollen, dass die fossilen Primärenergieträger Energieträger begrenzt und endlich sind. Nur einige wenige Staaten verfügen über nahezu 70 Prozent der vorhandenen fossi- Erdöl len Energieträger. Diese Abhängigkeit hät- ten wir längst überwinden können. Die Erdgas Industrienationen jedoch vertrauten zu sehr auf ihre ökonomische und militärische Kohle Macht. Aus der heutigen Perspektive erweist sich diese Verkennung der Realitäten als fol- genschwerer Fehler. Die Wahrnehmung der Uran fossilen Energieträger als begrenzte Res- source sollte jedoch nicht nur motivieren, heute 100 200 Jahre weitgehende Unabhängigkeit von den öl- und gasbesitzenden Regionen zu schaffen. Vielmehr geht es darum, eine nachhaltige, globale Energieversorgung für künftige Generationen sicherzustellen. 1.2.1 Das Grünbuch zur Energie- versorgungssicherheit Wir müssen wegkommen von der Diskus- sion um Preise für Rohöl und Gas. Diese Debatte kann ohnehin nur ein Zwischen- Eine Lagebeschreibung spiel sein und wird auf mittlere Sicht eine unnötige Debatte sein. Bei nur gleichblei- Die Abhängigkeit der Europäischen Union bendem, weltweiten Verbrauch werden die von Energieeinfuhren nimmt beständig zu. bekannten natürlichen Vorkommen der Die Union deckt ihren Energiebedarf zu 50 meisten fossilen Brennstoffe noch in diesem Prozent durch Energieeinfuhren; wenn Jahrhundert erschöpft sein (Erdöl 50 Jahre, nichts geschieht, wird dieser Anteil in 20 bis Erdgas 60 Jahre, Uran 70 Jahre). Lediglich 30 Jahren 70 Prozent erreichen. Diese die Kohle wird uns noch etwa 200 Jahre zur Einfuhrabhängigkeit birgt wirtschaftliche, Verfügung stehen. Aufgrund der Verknap- gesellschaftliche, ökologische und sicher- pung werden die Energiepreise zunehmend heitspolitische Gefahren für die Union. steigen. Deshalb ist es längst überfällig, den Energieversorgung ist elementare Daseins- Einstieg in eine neue Energiepolitik mit den vorsorge. Alle Wertschöpfungsprozesse sind Schwerpunkten „Erneuerbare Energien” von der Energiezufuhr und somit auch von und Energieeffizienz zu finden. Um dies zu Energiepreisen abhängig. Die Energie-
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einfuhren machen 6 Prozent der Gesamt- die Europäische Union sich zahlreichen einfuhren aus. Geographisch betrachtet Herausforderungen stellen, die bei der Ent- stammen 45 Prozent der Erdöleinfuhren wicklung einer solchen Strategie berück- aus dem Mittleren und Nahen Osten und sichtigt werden müssen. 40 Prozent der Erdgaseinfuhren aus Russland. Die Europäische Union verfügt Diese sind: noch nicht über ausreichende Möglich- keiten, auf den Weltmarkt Einfluss zu neh- Umwelterwägungen müssen bei energie- men. Diese Schwächen zeigte der drastische politischen Entscheidungen stets be- Anstieg der Erdölpreise Ende 2000 deutlich rücksichtigt werden, insbesondere im auf. Hinblick auf den Klimaschutz
Die Europäische Union sollte dieser proble- Verwirklichung des Energiebinnen- matischen Situation durch die Entwicklung marktes, in dessen Rahmen der Nach- einer Strategie für die Energieversorgungs- frage eine neue Rolle zukommt aber sicherheit begegnen, die darauf abzielt, die auch neue Spannungsverhältnisse ent- mit der Einfuhrabhängigkeit verbundenen stehen können z. B. kann ein Preisrück- Risiken und mittelfristig insbesondere diese gang Einsparungen und somit dem Abhängigkeit zu reduzieren. Klimaschutz entgegenwirken. Hier sind unsere Gesellschaften gefordert, gang- bare Lösungen zu finden.
EUR 15 – Ölimporte nach Herkunftsländern (1999) Die künftigen Schwerpunkte Andere 8% OPEC Iran Mexiko 9% 2% Im Grünbuch „Versorgungssicherheit” wird
Libyen gefordert, dass eine Energiestrategie insbe- ehem. UdSSR 10% 18% Irak sondere darauf ausgerichtet sein muss, im 7% Hinblick auf das Wohl der Bürger und der OPEC 51% Wirtschaft sicherzustellen, dass Energie- träger fortlaufend und zu für alle Ver- Nigeria Saudi Arabien 4% braucher erschwinglichen Preisen auf dem 13% Algerien Markt zur Verfügung stehen, ohne dass Norwegen 4% Venezuela 21% 2% Umwelterwägungen und das Ziel einer Kuweit nachhaltigen Entwicklung in den Hinter- 2% grund gedrängt werden.
Es kann kurz- bis mittelfristig leider nicht darum gehen, ein Höchstmaß an Energie- Herausforderungen für die autarkie zu erzielen oder die Abhängigkeit Europäische Union auf das geringstmögliche Niveau zu dros- seln, sondern darum, die mit dieser Abhän- Im energiepolitischen Zieldreieck muss eine gigkeit verbundenen Risiken zu mildern. Politik für mehr Versorgungssicherheit mit Langfristig sollte jedoch angestrebt werden, den Eckpunkten Umweltverträglichkeit und auf heimische Erneuerbare Energieträger Kosteneffizienz harmonieren. Dabei muss umzusteigen.
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DAS KÜNFTIGE ENERGIEPOLITISCHE DREIECK
Versorgungs- sicherheit
kostengünstige umwelt- Energiedienst- verträgliche leistung Energie- verwendung
Ausgangspunkt der Debatte sollten die ge- Die Union muss den mittelfristigen genwärtig eingesetzten Energieressourcen Beitrag der Kernenergie prüfen und sein. Das Grünbuch und die Stellungnahme sich gemäß dem Willen der Mehrheit des Europäischen Parlaments zeigen mögli- der Unionsländer zu einem Ausstieg che Grundzüge für eine langfristige energie- entschließen. Der Beitrag der Kern- politische Strategie auf: energie dürfte bei unveränderten Aus- gangsbedingungen in Zukunft noch Die Union muss neben der Förderung weiter zurückgehen. Derzeit nutzen nur des Angebotes von nachhaltigen Ener- acht von 15 Mitgliedsstaaten die gietechnologien entschlossen auf eine Kernenergie, davon haben fünf bereits Regulierung der Energienachfrage den Ausstieg oder Moratorien beschlos- hinwirken. Der Aktionsspielraum auf sen. Damit bekunden nur noch drei der Nachfrageseite (z.B. Energieeinspa- Mitgliedsstaaten ihren Willen zur weite- rungen, Energieeffizienz) ist größer als ren Kernenergienutzung. Leider ordnen die Handlungsmöglichkeiten zur Beein- aber auch die Europäische Kommission flussung des europäischen Energiean- und Teile des Europäischen Parlamentes gebotes (z.B. der Ausbau von Kraftwer- der Kernenergie und Kernfusion eine ken). Es muss versucht werden, die bis- weiterhin wichtige Rolle in der europäi- her steigende Nachfrage insbesondere schen Energieversorgung zu. Die deut- dadurch einzudämmen, dass z.B. durch schen Sozialdemokraten im Parlament gemeinschaftsweite steuerliche Maßnah- stellen sich dem gemeinsam mit vielen men eine grundlegende Änderung des anderen vehement entgegen. Neben den Verbraucherverhaltens eintritt. Auf der ungelösten Sicherheitsrisiken, darf man Angebotsseite sollen Erneuerbare Ener- in diesem Zusammenhang auch nicht gieträger und effiziente Energieanwen- vergessen, dass die Kernenergie eine dungen gefördert werden. endliche Energiequelle ist. Selbst
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wenn man die Wiederaufarbeitung bieten. Vielmehr soll der Anstoß zu einem genutzter Kernbrennstäbe mit einrech- gründlichen Überdenken dieser Fragen net, steht uns die Quelle bei den heute gegeben werden. angewandten Technologien nur noch etwa 100 Jahre zur Verfügung. Unab- hängig davon sind aber Forschungs- Eckpfeiler einer neuen anstrengungen im Bereich sicherer europäischen Energiepolitik Entsorgungstechnologien für Nuklear- abfälle und für die Sicherheit der noch Energiepolitische Entscheidungen einzel- im Betrieb befindlichen Reaktoren aktiv ner Mitgliedsstaaten wirken sich aufgrund voranzutreiben. der Liberalisierung notwendigerweise auf die Märkte der anderen Mitgliedsstaaten Die von der Kommission mit ihrem Grün- aus. Klimapolitische Herausforderungen buch angeregte Debatte zu diesen Schlüssel- betreffen aufgrund nicht möglicher geogra- fragen sollte sich ursprünglich nur über das phischer Abgrenzungen alle in gleicher Jahr 2001 erstrecken. Angesichts der Be- Weise. Diesen Herausforderungen gilt es deutung dieses Themas werden die Diskus- sich europäisch zu stellen. sionen aber intensiv weitergeführt. Zur Erfüllung des Zieldreiecks – Versor- gungssicherheit, umweltverträgliche Ener- 1.3 Brauchen wir eine europäische gieproduktion und kostengünstige Energie- Strategie? dienstleistungen- kann man anhand jeweils eines kurzen Beispiels deutlich machen, Der Energiepolitik ist eine europäische warum eine europäische Energiepolitik Dimension zugewachsen: Die Mitglied- unerlässlich ist. staaten sind sowohl bei Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels als auch Beispiel eins : Das Ziel der kostengünsti- im Hinblick auf die Verwirklichung des gen, oder besser: effizienten Energie- Energiebinnenmarktes voneinander abhän- bereitstellung gig. Dieser Umstand spiegelt sich jedoch Die europaweite Liberalisierung der Märkte nicht in neuen Zuständigkeiten der Ge- für Elektrizität und Gas und damit die meinschaft wider. Die Einflussnahme der Neuschaffung eines europäischen Marktes Gemeinschaft kann über Zuständigkeiten in hat zum Ziel, Monopolstrukturen und verschiedenen Bereichen, vor allem Binnen- nationale Abschottungen zu durchbrechen. markt, Umwelt- und Finanzpolitik, dort ins- Das Ergebnis, auf das die Staaten der besondere bei der Steuergesetzgebung, Europäischen Union hinarbeiten wollen, ist erfolgen. Das bisherige Fehlen eines politi- die optimale Verteilung der europäischen schen Konsenses zugunsten einer gemein- Energieproduktions- und Handelsressour- schaftlichen Energiepolitik begrenzt jedoch cen und damit die Schaffung eines nicht- die Interventionsmöglichkeiten. Im Ener- verzerrten Preises für Energiedienst- giebereich ist eine Erweiterung der Befug- leistungen. Dieses Ziel ist auch Jahre nach nisse der Gemeinschaft sinnvoll, damit die der Verabschiedung der beiden Richtlinien Europäische Union ihre Energieversorgung – Liberalisierung des Elektrizitätsbinnen- besser in den Griff bekommen kann. Es ist marktes (96/92/EG) und Liberalisierung des nicht beabsichtigt, ein Patentrezept für die Gasbinnenmarktes (98/30/EG) – noch nicht Strategie der Versorgungssicherung anzu- erreicht. Die Auseinandersetzung beispiels-
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weise mit Frankreich über die Anwendung liches Ziel zur Reduktion der Treibhausgase des Reziprozitätsprinzips (Die EU-Richt- gesetzt. Um dies zu erreichen, ist eine Sen- linie sieht für jene Mitgliedsstaaten, die kung des Energieverbrauchs und ein massi- über den Marktöffnungsgrad eines anderen ver Ausbau von Erneuerbaren Energieträ- hinausgehen, die Möglichkeit vor, den gern in der gesamten EU notwendig. Ein Marktzutritt für Lieferanten aus Mitglieds- wichtiger Beitrag zum Erreichen dieses staaten mit einer geringeren Strommarkt- Ziels liegt im Beschluss der EU, den Anteil öffnung einzuschränken) zeigt deutlich, Erneuerbarer Energieträger am Energie- dass die Anstrengungen für eine gemeinsa- verbrauch bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln. me europäische Energiepolitik verstärkt Wie jedoch soll ein EU-weites Ziel erreicht werden müssen. werden, wenn Weichenstellungen über den jeweiligen Energiemix allein den Mitglieds- Beispiel zwei: Die Schaffung einer nach- ländern überlassen bleibt? haltigen Versorgungssicherheit Die Abhängigkeit der EU von Energie- Im Rothe-Bericht zum Weißbuch zur För- importen liegt derzeit bei etwa 50 %. Bis zum derung Erneuerbarer Energieträger hat das Jahre 2020 wird sich dieser Anteil bei gleich- EP deshalb bereits 1997 gefordert : bleibenden Bedingungen auf etwa 70 % er- höht haben. Die meisten Importe stammen „Die EU sieht das Ziel der Verdoppelung des aus ökonomisch und politisch höchst insta- Anteils erneuerbarer Energie am Gesamt- bilen Ländern mit teilweise sehr fra- energieverbrauch bis 2010 auf 15% (nach gilen Beziehungen zu den Abnehmer- Substitutionsprinzip) als Mindestziel und ländern. Die derzeitige weltpolitische Krise erwartet die bindende Selbstverpflichtung der ist ebenso Symptom wie verstärkender Fak- Mitgliedsstaaten auf nationale Gesamtziele tor dieser Instabilität. Politische und ökono- und Orientierungsziele pro Energieart; als mische Lösungen können in ausreichendem spezifisches Teilziel muss die angestrebte Umfang nicht von einzelnen Mitglieds- Menge von Strom aus erneuerbarer Energie staaten der EU gefunden werden. Hier kann dargestellt sein; betont, dass die im Weißbuch nur ein gemeinsames Auftreten der Euro- vorgesehene Möglichkeit einer späteren päischen Union das nötige Gewicht ver- Revision dieses Zieles niemals eine Ab- schaffen. schwächung des festgelegten Zieles bedeuten kann, sondern, dass es sich dabei ausschließ- Beispiel drei : lich um eine Revision nach oben handeln Die EU hat sich in Kyoto ein gemeinschaft- kann;
Einfuhrabhängigkeit der EU
1998 2010 2020 2030
EU 49 % 54 % 62 % 71 %
Quelle: Europäische Kommission
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Das Fehlen einer ausreichenden energiepo- Die im ersten europäischen Gesetz zu litischen Kompetenz der EU und die Erneuerbaren Energien, der „Richtlinie zur Bestimmungen des EU-Vertrages, dass Förderung der Stromerzeugung aus Er- Eingriffe in den Energiemix nur durch ein- neuerbaren Energieträgern im Elektrizi- stimmigen Beschluss im Ministerrat mög- tätsbinnenmarkt“, vorgesehenen nationalen lich sind, haben rechtsverbindliche Ziel- Richtziele für Elektrizität aus Erneuerbaren setzungen jedoch bisher unmöglich gemacht. Energien und der Option auf mögliche bin- dende Ziele sind deshalb als Erfolg für den DER ARTIKEL 175 Ausbau der Elektrizitätsgewinnung aus DES EG-VERTRAGES Erneuerbaren Energien zu betrachten. Artikel 175 (ex Artikel 130 s) Die Konsequenz aus den genannten Bei- spielen muss eine stärkere Kompetenz der (1) Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren EU in Hinblick auf eine nachhaltige des Artikels 251 (Mitentscheidungs- Energiepolitik sein. Seit Jahren stellt das verfahren, qualifizierte Mehrheit; Anm. d. Europäische Parlament diese Forderung Red.) und nach Anhörung des Wirtschafts- auf, die jedoch durch Regierungen einiger und Sozialausschusses sowie des Ausschus- Mitgliedsstaaten stetig blockiert wird. Es ist ses der Regionen über das Tätigwerden der an der Zeit, die nächste Regierungskonfe- Gemeinschaft zur Erreichung der in Artikel renz für eine entsprechende Vertragsverän- 174 genannten Ziele. derung endlich zu nutzen.
(2) Abweichend von dem Beschlussver- fahren des Absatzes 1 und unbeschadet des Artikels 95 erlässt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Euro- päischen Parlaments, des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen einstimmig - Vorschriften überwiegend steuerlicher Art, - Maßnahmen im Bereich der Raumord- nung, der Bodennutzung – mit Ausnahme der Abfallbewirtschaftung und allgemei- ner Maßnahmen – sowie der Bewirtschaf- tung der Wasserressourcen - Maßnahmen, welche die Wahl eines Mit- gliedstaats zwischen verschiedenen Ener- giequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich be- rühren. (Hervorhebungen d. d. Red.) Der Rat kann nach dem Verfahren des Unterabsatzes 1 festlegen, in welchen der in Schon seit Anfang des 14. Jahrhunderts fangen die diesem Absatz genannten Bereiche mit qua- Menschen in Europa die Kraft des Windes zur Energie- lifizierter Mehrheit beschlossen wird. gewinnung ein: Reetverkleidete Windmühle in Nebel auf Amrum (Nordfriesland)
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2. ERNEUERBARE ENERGIEN – SCHLÜSSEL ZUR ENERGIEWENDE
Erneuerbare Energien sind ein unverzicht- wird nachgewiesen, dass eine Minderung barer Bestandteil einer wirksamen Klima- der CO2-Emissionen alleine in Deutsch- schutzstrategie und helfen, die Kyoto-Ziele land bis zum Jahre 2020 um 40 Prozent zu erreichen. Sie dienen der Ressourcen- machbar und mit positiven volkswirtschaft- schonung und vermindern die Freisetzung lichen Auswirkungen verbunden ist. Ähnli- von Luftschadstoffen. Zudem ermöglichen ches gilt für die gesamte Europäische sie den Aufbau einer dezentralen Energie- Union. versorgungsstruktur, verbunden mit der Chance zu einer stetigen Regionalentwick- lung und neuen Beschäftigungsmöglich- 2.2 Innovationen für den Arbeitsmarkt keiten. Sie schaffen Versorgungssicherheit und helfen im internationalen Kontext auch Die Behauptung, ambitionierte Klima- den Entwicklungsländern bei der Lösung schutzziele und ein Einleiten der Energie- vieler Probleme. wende gefährde Arbeitsplätze ist nicht nur populistisch, sondern auch falsch: Schon Gegenwärtig werden Erneuerbare Energie- heute sind europaweit – dank des gezielten 20.000-30.000 träger aber ungleichmäßig und in unzurei- Ausbaus von Erneuerbaren Energieträgern- Arbeitsplätze hat chender Weise genutzt, obgleich erhebliche allein der Windraft- etwa 120.000 Menschen im Bereich der sektor bis heute in Potentiale in allen Mitgliedsländern vorhan- Erneuerbaren Energien beschäftigt – mehr Deutschland ge- den sind. Trotz ihrer beträchtlichen wirt- als in der Atom- oder Kohleindustrie. Bis schaffen. Im Bereich schaftlichen Bedeutung ist ihr Anteil am zum Jahr 2020 erwartet das renommierte der Erneuerbaren gesamten Energieverbrauch der EU äußerst Schweizer Forschungsinstitut Prognos allei- Energien arbeiten gering. Wenn es nicht gelingt, einen deut- zur Zeit europaweit ne in Deutschland sogar fast 200.000 neue 120.000 Menschen. lich größeren Teil des Energiebedarfs durch und dauerhafte Arbeitsplätze.4 Erneuerbare Energieträger zu decken, wird Foto: NORDEX es nicht nur immer schwerer werden, den auf internationaler Ebene bestehenden Umwelt- und Klimaschutzverpflichtungen nachzukommen, sondern werden auch be- deutende ökonomische Entwicklungschan- cen versäumt.
2.1 Europa ist Vorreiter
Mit den Klimaschutzzielen der Europäi- schen Union, die notwendig und alternativ- los sind, wurde gleichzeitig eine enorme Dynamik für Investitionen und Innova- tionen zum Klimaschutz angestoßen.
Das bestätigt auch eine im März 2001 ver- öffentlichte Studie der Prognos AG (Basel) „Klimaschutz und Arbeitsplätze“. Darin
4 Bundesministerium für Umwelt „Climate protection creates jobs and export opportunities“, Dokument Nr. 245/01, Berlin, 27. November 2001
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STECKBRIEF Die erneuerbaren Energieträger im einzelnen5
Wasser: Stromerzeugung in Durchflussturbinen Derzeit 13% des EU-Bruttoenergieverbrauchs (BRD: 4%) Erweiterungspotenzial bei Kleinkraftwerken Effizienzsteigerungspotenzial bei Großkraftwerken Erzeugungspreise zur Zeit zwischen 2,5 (Grossanlagen) und 12 Cent/kWh
Wind: Stromerzeugung durch Windräder im Binnenland, an der Küste und auf dem Meer (Offshore) Derzeit weniger als 1% des EU-Verbrauchs (BRD > 2%) Großes Erweiterungspotenzial in allen Standortkategorien (insbesondere Offshore) Erzeugungspreise zur Zeit zwischen 6 (Küstennähe) und 9 Cent/kWh
Geothermie: Wärmepumpen und "Hot-Dry-Rock-Verfahren" zur Nutzung von Tiefenwärme (zur Stromerzeugung geeignet) Bisher praktisch ungenutzt Sehr großes Potenzial Erzeugungspreise zur Zeit zwischen 10 und 13 Cent/kWh
Sonnenwärme: Wärmenutzung an Gebäuden und durch Spiegeltechnik (zur Stromerzeugung mit Dampf geeignet) Riesiges Potenzial kaum genutzt Erzeugungspreise für Strom zwischen 9 (Mittelmeer) und 11 Cent/kWh
Photovoltaik: Stromerzeugung durch Lichtnutzung Riesiges Potenzial kaum genutzt Erzeugungspreise noch bei etwa 35 bis 60 Cent/kWh
Biomasse: Wärmeerzeugung mit Reststoffen, Energiepflanzen, Biogas (Stromerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung möglich) Nutzung als Treibstoff Großes Potenzial im Wärmebereich, bei Strom zwischen 20 und 30% (bisher praktisch ungenutzt) Erzeugungspreise für Strom zwischen 6 (Großanlagen) und 15 Cent/kWh
Mit unterschiedlichen Gewichtungen stehen alle Erneuerbaren Energieträger in allen europäischen Ländern zur Verfügung. Durch einen Mix der verschiedenen Technologien lassen sich Wetter- und Jahres- zeitschwankungen in der Energieerzeugung ausgleichen. Rein hypothetisch wäre ein vollständiger Umstieg von den konventionellen Energieträgern auf Erneuerbare Energieträger möglich. Aufgrund der teilweise sehr hohen Preise (insbesondere Photovoltaik) ist dies nur schrittweise erreichbar. Die Kosten reduzieren sich aber im Laufe von Erprobungszeiten und Stückzahlerhöhungen.
5 Daten aus: Staiß: Jahrbuch Erneuerbare Energien 2001; Fischendick, Langniß, Nitsch (2000): Nach dem Ausstieg: Zukunftskurs Erneuerbare Energien
16 THEMA EUROPA: Europas Weg in die Zukunft – Erneuerbare Energien 02/2002
Die EU nimmt im Anlagenbau in den ver- vergleichen das Wachstumspotential von schiedenen Energieerzeugungsbereichen Unternehmen in diesem Sektor bereits mit bereits heute eine weltweite Spitzenstellung dem der Kommunikationsbranche. ein. Es wäre unverantwortlich, Entwick- lungschancen in einem zukünftig so bedeut- In den nächsten zehn Jahren werden nach samen Marktsegment wie der Stromerzeu- verschiedenen Schätzungen in den Ent- gung aus Erneuerbaren Energien nicht zu wicklungs- und Schwellenländern mehrere nutzen. Die Marktentfaltung beispielsweise 100 Milliarden Dollar in den Ausbau der auf dem Windkraftsektor hat eine leistungs- dortigen Energiesysteme investiert. Davon fähige Industrie mit großen Exportchancen wird ein großer Teil auf Erneuerbare entstehen lassen, die mittlerweile 20.000 bis Energien fallen. Wenn die Union in diesem 30.000 Menschen alleine in Deutschland Sektor wettbewerbsfähig werden will, dann beschäftigt. Aufgrund der ökonomischen muss sie durch eigene Nutzung und der Chancen ist in diesem Sektor ein Wett- damit verbundenen Weiterentwicklung der bewerb unter den Anlagenherstellern ent- standen, der die Erzeugungskosten seit 1991 um etwa 50 Prozent sinken ließ. Aufgrund des technologischen Fortschritts ist der Absatz auf dem Weltmarkt stark angestiegen. Außerdem führen die Welt- klimaprobleme zu einem als sicher gelten- den Bedarf für Erneuerbare Energieträger. Die Bedeutung ist daher auch aus industrie- politischer Sicht erheblich. Dieser Prozess wird sich bei den anderen Erneuerbaren Energieträgern (insbesondere Photovoltaik und Biomasse) ebenso vollziehen. Analysten
17 02/2002 THEMA EUROPA: Europas Weg in die Zukunft – Erneuerbare Energien
zu einer wesentlich höheren Zahl gelangen.
Durch ihren dezentralen Charakter bieten Erneuerbare Energieträger auch bedeuten- de Möglichkeiten für die regionale und loka- le Entwicklung. Die Produktion und Nut- zung von Erneuerbaren Energieträgern för- dert nachhaltig die regionale Entwicklung, die darauf ausgerichtet ist, den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft zu verbessern und die Lebensverhältnisse innerhalb der Europäi- schen Union anzugleichen.
2.3 Der Elektrizitätsmarkt wird sich verändern
Der Markt für Elektrizität, wie er sich auch Technologien dazu beitragen. Es ist aus nach der Einführung des liberalisierten industrie-, umwelt- und entwicklungspoliti- Europäischen Elektrizitätsbinnenmarktes schen Gründen erforderlich, dass die darstellt, ist geprägt durch umfangreiche Gemeinschaft eine Exportstrategie für Preisverzerrungen. Für neue Technologien, Erneuerbare Energien erarbeitet. Hierzu wie die Erneuerbaren Energien, ergeben muss das gesamte Instrumentarium von sich erhebliche Wettbewerbsnachteile durch Außenhandelsabkommen, Krediten, Bürg- die Marktdominanz etablierter Energiepro- schaften u.s.w. genutzt werden. duzenten. Diese Dominanz ist durch jahr- zehntelange Subventionssysteme sowie mo- Während bei den traditionellen Energie- nopolartige Strukturen entstanden und hat trägern seit längerem Arbeitsplatzredu- erhebliche Auswirkungen auf den heutigen zierungen zu verzeichnen sind, wird die Markt. Ausweitung der Erzeugung von Strom aus Erneuerbarer Energie die Schaffung neuer Diesen Strukturen muss die Europäische und zukunftsträchtiger Arbeitsplätze, be- Union entschieden entgegentreten und ein sonders bei kleinen und mittleren Unter- level-playing-field, welches allen Energie- nehmen, mit sich ziehen. Das Potential trägern gleiche Chancen gibt, herstellen. hierfür ist, auch im Hinblick auf die Ex- Dazu müssen geeignete Instrumente gefun- portchancen, enorm. Die Europäische den werden, die es erlauben, positive exter- Kommission schätzt die im Zusammenhang ne Effekte wie vermiedene Umwelt- und mit der Verdopplungsstrategie für Energie Risikokosten, unerschöpfbare Vorkommen, aus erneuerbaren Energiequellen bis 2010 kurze Transportwege und soziostrukturelle zu schaffenden Arbeitsplätze auf minde- Vorteile zu internalisieren, d.h. in den Preis stens 500.0006 für die EU. Eine Hochrech- einfließen zu lassen. nung der neuen Prognos Studie dürfte aber
6 „TERES II – The European Renewable Energy Study – The Prospects für Renewable Energy in 30 European Countries from 1995- 2020“, ESD for Altener; http://www.fire-italia.it/adapt/toe3.pdf
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EXTERNE KOSTEN
Für Umweltschäden, also den Verbrauch von Stromgestehungskosten gibt die Tabelle auf Umwelt, entstehen Kosten. Da im Regelfall Seite 20 auf der Basis von Daten aus der aber niemand von der Nutzung von Umwelt- europäischen ExternE-Studie. gütern wie der Atemluft ausgeschlossen werden kann, wird für sie auch kein Preis Bei der Kernenergie liegen die Daten sehr erhoben. Die Kosten sind somit extern. Sie weit auseinander. Je nachdem, ob man die werden nicht dem Verursacher zugerechnet, rechnerisch geringe Wahrscheinlichkeit einer sondern auf die Allgemeinheit verteilt. Reaktorkatastrophe oder die Berechnung der möglichen Folgeschäden einer solchen Im Falle der Energieversorgung entstehen Katastrophe zugrundelegt. Im ersten Fall, Kosten zum Beispiel durch: der von der Europäischen Kommission (ExternE) angenommen wird, liegen die Gesundheitsschäden in der Bevölkerung externen Kosten sehr niedrig. Im zweiten durch Luftschadstoffe und ionisierende Fall, den beispielsweise eine Studie der Strahlung Schweizer Unternehmen Prognos und Infras untersucht, sind sie verhältnismäßig hoch. Berufliche Gesundheitsschäden Die europäischen (beispielsweise beim Rohstoffabbau) Deutlich ist, dass die externen Kosten bei Wälder sind krank. den konventionellen Energieträgern eine Hauptursache: Der Treibhauseffekt / Erderwärmung im Vergleich zu den Gestehungskosten der CO2-Ausstoß druch Stromproduzenten erhebliche Größenord- Industrie-, Heizungs- und Verkehrsab- Schäden an Nutzpflanzen nung haben. Lässt man sich nicht auf die gase. Die Kosten rein rechnerisch geringen Kosten der Kern- (externe Kosten) Schäden an Wäldern und Ökosystemen energienutzung ein, sondern orientiert sich dieser ökologischen an den tatsächlichen Risikovermeidungs- Schäden werden von den Verursa- Materialschäden (beispielsweise an kosten, so sind alle konventionellen Ener- chern nicht getra- Gebäudefassaden) gieträger in den Gesamtkosten teurer als gen