Freitag, 04.04.2014 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Norbert Meurs

„J.S. Bach durch die Brille von W. A. Mozart betrachtet“

Adagios & Fugues W. A. Mozart after J. S. Bach Akademie für Alte Musik Berlin HMC 902159

„Genuine Strauss-Interpretin

„Heimliche Aufforderung“ Lieder Christiane Karg (Sopran) Malcom Martineau (Klavier) Berlin Classics 0300566BC

„Lohnende Begegnung“

Joachim Raff Sinfonie Nr. 5, „Lenore“ Ouvertüren Abends Orchestre de la Suisse Romande Leitung: Neeme Järvi Chandos CHSA 5135

„Betörende Farben des Orients“

Michelangelo Falvetti Nabucco (Oratorium) diverse Solisten Choeur de Chambre de Namur Cappella Meditarranea Leitung: Leonardo Garcia Alarcon Ambronay Amy 036

Heute mit Norbert Meurs – guten Morgen ! In den kommenden anderthalb Stunden möchte ich Ihnen vier neue CDs vorstellen: Erstens: JS Bach durch die Brille von WA Mozart betrachtet – eine nagelneue Aufnahme der Akademie für Alte Musik Berlin mit Adagios und Fugen der beiden Komponisten. Zweitens: „Heimliche Aufforderung“ – das neue Album der Sopranistin Christiane Karg. Für sie ist das Strauss-Jubiläums-Jahr sicher nicht nur eine heimliche Aufforderung, sich dem Liedkomponisten zu widmen. Soviel sei schon verraten, zu entdecken ist hier eine genuine Strauss-Interpretin. Mit Entdeckungen geht es weiter: Anstatt zum xten Mal einen Beethoven,- Brahms-, oder Schumann-Zyklus vorzulegen, hat sich Neeme Järvi zusammen mit dem Orchestre de la Suisse Romande an das sinfonische Werk von Joachim Raff gemacht, und er zeigt, dass eine Begegnung mit dem Komponisten durchaus lohnen kann. Schließlich eine veritable Ausgrabung: Der Nabucco – nein nicht der von Verdi, sondern von Michelangelo Falvetti. Keine Oper des 19., sondern ein Oratorium des 17. Jahrhunderts. Eingespielt haben es der Argentinier Leonardo Garcia Alarcon und seine Cappella Mediterranea. Beginnen wir aber mit dem kaum zu schlagenden Duo Mozart-Bach:

Bach/Mozart: Fuge Es-Dur aus „Wohltemperiertes Klavier“, 2. Band 1‘25

Die Fuge Es-Dur aus dem 2. Band des „Wohltemperierten Klaviers“ von Johann Sebastian Bach – für Streichquartett gesetzt von Wolfgang Amadeus Mozart. Eine von insgesamt sechs Fugenbearbeitungen des Zyklus‘, die Mozart für die Matineen beim Baron van Swieten schrieb. Der Präfekt der Wiener Hofbibliothek war in den 1770er Jahren Kaiserlicher Gesandter in Berlin gewesen und hatte dort die ansonsten aus der Mode gekommene Musik Bachs und Händels kennen und lieben gelernt. In Wien tat er alles dafür, sie unter die Leute zu bringen, allen voran begeisterte er führende Komponisten wie Haydn, Mozart oder später auch Beethoven dafür. Allerdings war das WC zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht im Druck erschienen. Also musste Mozart in seinen Bearbeitungen auf Abschriften zurückgreifen. Dadurch erklären sich wahrscheinlich auch die kleinen Abweichungen vom Original. Hinzu kommt, dass die Abschriften nur die Fugen umfassten, nicht dagegen die zugehörigen Präludien. Daher wurden die Fugen in einer anonymen Handschrift durch hinzukomponierte einleitende langsame Sätze ergänzt. Ob die nun auch von Mozart stammen oder lediglich aus seinem Umkreis, weiß man nicht so genau. Für die Berliner Akademie für Alte Musik war das freilich kein Hinderungsgrund, die Mozartschen Fugenbearbeitungen mit den einleitenden Adagios ungewisser Herkunft zusammen zu spannen. Hören wir nun also auch das Adagio cantabile, das der eben verklungenen Es-Dur Fuge aus dem 2. Teil des WC vorangestellt ist.

Bach/Mozart: Adagio zur Fuge Es-Dur aus „Wohltemperiertes Klavier“, 2. Band 2‘30

Das anonyme Adagio zur von Mozart bearbeiteten Fuge Es-Dur aus dem 2. Teil des „Wohltemperierten Klaviers“. Bachs Kontrapunkt wird hier gleichsam mit dem Geist der Empfindsamkeit vermählt. Es spielten Mitglieder der Berliner Akademie für Alte Musik. So kompliziert die Quellenlage der hier eingespielten Stücke, so gelungen ist die inter- pretatorische Umsetzung. Einmal beherrscht die Berliner Akademie die Regeln der barocken Klangrede natürlich aus dem FF. Die einzelnen Stimmen sind wunderbar artikuliert und phrasiert, dabei genauestens miteinander austariert, in fließendem Wechselspiel zwischen Vorder- und Hintergrund. Gerade in den Streichquartettfassungen begreift man, wo die klassische Idee der vier gleichberechtigten Stimmen ihre Wurzel hat. Hinzu kommt, dass die Berliner Akademie für die verschiedenen Werke unterschiedliche Besetzungen wählt. Neben Streichquartett auch chorische Streicher, Bläser – sowie Streicher und Bläser gemischt. Das Ergebnis ist erstaunlich:

Bach/Mozart: Montage 3‘05

Eine kleine Kostprobe, die zeigt, wie abwechslungsreich in dieser Aufnahme die unter- schiedlichen Bearbeitungen besetzt, ja, eigentlich muss man sagen, instrumentiert sind. Das öffnet die Ohren auch dafür, welche Folgen die Auseinandersetzung mit Bach für das Mozartsche Werk insgesamt hatte – quer durch alle Gattungen. Jeder wird da seine eigenen Assoziationen haben und Verbindungslinien ziehen. Wobei nachzureichen ist, dass die beiden zuletzt angespielten Stücke natürlich schon reinster Mozart waren, Früchte der Begegnung mit Bach: Allegro und Fuge c-moll für zwei Cembali sowie Adagio und Fuge für Streicher c-Moll KV 546. Letztere weist mit ihren schmerzvollen Dissonanzen, wilden Durchführungen und ihrer drangvollen Zerklüftetheit geradewegs auf Beethovens Große Fuge voraus. Auch sie ein Beispiel dafür, welche schöpferischen Kräfte die Begegnung mit Bach freigesetzt hat.

Mozart: Fuge c-Moll 1‘05

Mozarts c-Moll Fuge KV 546. Nach diesen Ausschnitten möchte ich Ihnen aber doch noch ein komplettes Beispiel aus dieser anregenden CD spielen: Adagio und Fuge in d-Moll nach Bachs cis-Moll Fuge aus dem 1. Band des „Wohltemperierten Klaviers“. Hier kommen die Bläser und Streicher der Berliner Akademie für Alte Musik endlich zusammen und stimmen mit dem enigmatischen B-A-C-H Motiv gewissermaßen ein Loblied an auf den genialen Inspirator dieser Mozart-CD.

Mozart: Adagio und Fuge d-Moll 7‘30

Großartig! Das waren Adagio und Fuge d-Moll nach Bachs cis-Moll Fuge aus dem 1. Band des „Wohltemperierten Klaviers“ von Wolfgang Amadeus Mozart, gespielt von der Akademie für Alte Musik Berlin. Erschienen ist die CD mit Mozarts Bach-Bearbeitungen bei Harmonia Mundi.

Unter Sopranistinnen gilt die Regel: Wer Mozart kann, der kann auch Strauss, Richard wohlgemerkt. Christiane Karg scheint diese Regel zu bestätigen. Auf ihr Mozart-Gluck-Album folgt schnurstraks eine Strauss-CD, pünktlich zum 150. Geburtstag des Komponisten und ausschließlich seinen Liedern gewidmet. Seit ihrem Salzburger Debut 2006 in der frühen Mozart-Oper „Apollo et Hyacinthus“ hat sie sich aufs schönste entwickelt. Nach einem festen Engagement an der Frankfurter Oper arbeitet sie nun frei, ist gern gesehener Gast an führenden Häusern und kann sich ihre Projekte weitgehend selbst aussuchen. Dass sie eine ausgesprochene Strauss-Stimme besitzt, konnte sie auch schon beweisen. Sowohl als Sophie im „Rosenkavalier“, als auch als unglaublich intensive Zdenka in „“. Hören wir also erst einmal hinein in ihre neue CD, die sie zusammen mit Malcolm Martineau für Berlin Classic aufgenommen hat: „Heimkehr“ auf ein Gedicht von Adolf Friedrich von Schack.

Richard Strauss: „Heimkehr“ 2‘15 Christiane Karg, Malcom Martineau

Richard Strauss hat sein Stimmideal einmal so beschrieben. „Meisterhaft geschult, nicht heroisch, humorvoll, mit anmutiger Poesie, Tiefe seelischen Ausdrucks, warm, weich, freundlich, innig, mit feinster Durchdringung des dichterischen Gehaltes, einem sicheren und schönen Darstellungstalent.“ Das sind nicht gerade wenige Qualitäten, die Strauss übrigens bei seiner Frau, der Sängerin , aufs Schönste gegeben sah. Hört man seine „Heimkehr“ in der Interpretation von Christiane Karg, so bleibt da eigentlich keiner dieser Wünsche offen. Christiane Karg verfügt über alle gebotene Leichtig- und Mühelosigkeit, Zartheit, Flexibilität und Wandlungsfähigkeit, über das Strahlen, die glockenreine Höhe usw. usf. Vor allem aber entwickelt sie die musikalische Linie immer aus dem Text heraus. Nicht nur, dass sie ihn vorbildlich artikuliert, so dass man ihn Wort für Wort versteht, sondern sie setzt ihn auch atmosphärisch um, beleuchtet, färbt ihn in seinen verschiedenen Elementen, arbeitet seinen rhetorischen Aufbau genau heraus. Wunderbar, wie sie die letzte Strophe verklingen lässt, und vor allem wie sie einen Doppelpunkt setzt vor der Schlusspointe des Textes „bei Dir ist der Frieden“.

Dass Christiane Karg einen untrüglichen Sinn für die Lautpoesie der Texte besitzt, beweist sie auch im „Ständchen“, ebenfalls auf einen Text von Schack:

Richard Strauss: „Ständchen“ 2‘35 Christiane Karg, Malcom Martineau

Man hat Strauss häufig vorgeworfen, nicht sonderlich wählerisch zu sein, was seine Texte angeht. Unbestreitbar aber ist, wie meisterlich er die musikalischen Qualitäten eines Textes erkennt und umsetzt. Im „Ständchen“ z.B. das Spiel mit einzelnen Lauten, zunächst die getupften Konsonanten der Elfenwelt, dann zum Schluss die sich öffnenden Vokale, wenn die Liebe ins Spiel kommt. Christiane Karg ist das spielerische Vergnügen daran deutlich anzuhören. Und Malcolm Martineau lässt das Klavier dazu nur so perlen und funkeln. Wie er überhaupt den gleichberechtigten und gleichgewichtigen Partner abgibt. Wie subtil die Beiden mit dem Text umgehen, zeigt auch ein kleiner Interpretations-Vergleich des Liedes „Morgen“ nach John Henry Mackay. Hören wir zunächst eine im letzten Jahr erschienene Aufnahme mit Christiane Oelze und Eric Schneider. Achten Sie besonders auf den Eintritt der Singstimme.

Richard Strauss: „Morgen“ 4‘15 Christiane Oelze, Eric Schneider Solo Musica SM 183

Soweit Christiane Oelze und Eric Schneider. Nun das Gleiche noch einmal in der Neuaufnahme mit Christiane Karg und Malcolm Martineau.

Richard Strauss: „Morgen“ 3‘40 Christiane Karg, Malcom Martineau

„Morgen“ auf ein Gedicht von John Henry Mackay ist wohl eines der schönsten und interessantesten Strauss-Lieder. Unvergleichlich das mahlernahe Vorspiel. Unvergleichlich aber auch, wie Strauss die Singstimme einsetzen lässt. Sie scheint schon mitten in einer Rede zu sein, bevor sie überhaupt begonnen hat. Die Stimme nimmt einfach den vom Klavier gesponnenen Faden auf und führt ihn weiter. In unserer ersten Aufnahme mit der geschätzten Christiane Oelze kommt es da glatt zum Absturz. Eric Schneider wählt ein betont langsames Tempo, kostet wunderbar jede Nuance des Vorspiels aus und führt es in höchste Höhen, in die die Sängerin jedoch förmlich hineinplatzt, mit einem überspitzt gesagt etwas plärrenden Ton. Sie klingt wie ein trotziges Kind, das nach einem verregneten Tag darauf besteht: „Und morgen wird die Sonne wieder scheinen“. Aber darum geht es ja nicht in diesem Lied, sondern um die Hoffnung, nach schmerzvoller Trennung wieder zu einander finden zu können. Bei Christiane Karg wird dieser Zusammenhang sehr deutlich. Ihr Partner Malcolm Martineau nimmt das Vorspiel zügiger, gleichzeitig zögernd, mit immer wieder zurückgenommenem Schwung. Und die Singstimme geht unmerklich aus dem Klavierpart hervor. Der magische Moment in der Zeile „stumm werden wir uns in die Augen schauen“ erhält seine Zeit, ist aber zugleich eingebettet in den Gedanken des Ganzen.

Hören wir aber nach diesem Vergleich noch drei weitere Lieder aus dieser neuen Strauss-CD von Christiane Karg, die Bekanntes mit weniger Bekanntem mischt: „Leises Lied“ nach Richard Dehmel sowie „Geduld“ und „“ nach Hermann von Gilm. Am Klavier: Malcolm Martineau.

Richard Strauss: „Leises Lied“, „Geduld, „Zueignung“ 9‘00 Christiane Karg, Malcom Martineau Fast schon ein Schlager: Strauss‘ „Zueignung“ – ein Lied, in dem der rauschende Applaus sozusagen schon einkomponiert ist. Kein Wunder also, dass es so beliebt ist als Zugabe! Es spricht aber für Christiane Karg, dass sie auf die häufig viel zu stark aufgesetzte Schluss- Emphase verzichtet: sie entwickelt die letzte Strophe ganz aus dem Zusammenhang heraus. Wohltuend unterläuft sie das Strauss-Klischee des bloß effektbewussten Machers – im Gegensatz übrigens zum CD-Heft, das man auf den 1. Blick glatt mit einem Coiffeur-Magazin verwechseln könnte. Das ist aber auch das einzige Fragezeichen, das man an dieser ansonsten rundum beglückenden CD anbringen kann.

Meine Damen und Herren, Sie hören SWR2 Treffpunkt Klassik – neue CDs.

Ausgerechnet Franz Liszt hatte ihn gewarnt: Er produziere zuviel. Das sei unzweckmäßig, schwäche sein Talent und seinen Namen. Die Geschichte sollte ihm Recht geben. Weit über 200 Werke in sämtlichen Gattungen hat Joachim Raff komponiert – von ihm ist hier die Rede. Ende des 19. Jahrhunderts wurde er noch in einem Atemzug mit Brahms, Bruckner oder Wagner genannt. Heute ist von solchem Ruhm kaum etwas geblieben, stattdessen hat man Raff das Etikett eines Eklektizisten verpasst. Obwohl: In letzter Zeit tritt er wieder stärker ins Bewusstsein. Nicht zuletzt durch Aufnahmen wie die des estnischen Dirigenten Neeme Järvi, der sich gern abseits der ausgetretenen Pfade des Repertoires bewegt. Seitdem er Musikdirektor des Orchestre de la Suisse Romande ist, widmet er sich passenderweise Raff, der ja in der Schweiz, in der Nähe von Zürich, geboren wurde. Geplant ist, dessen Orchesterwerke, darunter die sage und schreibe elf Sinfonien, für das Label Chandos einzuspielen. Gerade ist die 2. CD erschienen mit Ouvertüren und der 5. Sinfonie, „Lenore“, nach der Ballade von Bürger. Hören wir einmal hinein in den Anfang des 1. Satzes.

Joachim Raff: Sinfonie Nr. 5, 1. Satz (Auschnitt) 3‘30

Und da beginnt auch schon die Durchführung. „Liebesglück“ – so ist dieser erste Satz aus der 5. Sinfonie in E-Dur von Joachim Raff überschrieben. Und Neeme Järvi stürzt sich mit seinem Orchestre de la Suisse Romande geradezu in den hochgestimmten Überschwang. Es ist eine brillante Interpretation mit auffällig raschen Tempi, gerade im Vergleich zu einer älteren Aufnahme mit Hans Stadlmaier und den Bamberger Sinfonikern. Sie brauchen für das gesamte Werk insgesamt 10 Minuten länger – das ist immerhin ein Viertel der Gesamtzeit. Neeme Järvi kann sich freilich für seine raschen Tempi auf die Metronom-Angaben des Komponisten berufen. Raff ist ein interessanter Fall. Als langjähriger Sekretär von Franz Liszt stand er den Neudeutschen und ihrem Konzept der Programmmusik nahe, andererseits versuchte er dies zugleich mit einer Art Klassizismus zu verbinden, mit der seit Beethoven verbürgten sinfonischen Form. So basiert die 5. Sinfonie vom Beginn der 1870er Jahre auf der literarischen Vorlage der schaurigen Ballade „Lenore“ von Gottfried August Bürger, die schon Liszt zu einem Melodram inspiriert hatte: der Geschichte von Lenore, die mit Gott hadert, weil ihr Liebster aus dem Krieg nicht zurückkehrt, und die dann für ihre Blasphemie bestraft wird. Der Geist des Liebsten holt sie des Nachts in einem wahren Höllenritt ins Totenreich. Fragt sich natürlich, wie daraus eine viersätzige Sinfonie wird? Raff legt sie in drei Abteilungen an: Die ersten beiden erzählen gewissermaßen die Vorgeschichte: das Liebesglück im 1. und 2. Satz, dann die Trennung im 3., schließlich das Finale „Wiedervereinigung im Tode“. Ihm erst liegt die Ballade zugrunde. Musikalisch basiert es völlig auf den Themen der vorangegangenen Sätze, führt sie durch. Eine originelle Lösung, die aber auch den etwas gespaltenen Eindruck des Werks erklärt: zwischen dem klassizistischen, fast serenadenhaften Charakter der ersten Sätze und den dramatischen Abgründen des Finales. Hier folgt Raff den Vorbildern der Klangmalerei, wie man sie etwa auch von dem Höllenritt aus Berlioz‘ „Fausts Verdammnis“ kennt oder der Wolfsschluchtszene des „Freischütz“. Das Wiehern und Schnauben des gehetzten Pferdes mischt sich mit einem Choral, mit Kriegslärm und Walzererinnerungen – da tut sich eine phantastische Szenerie auf, die Neeme Järvi und das vorzügliche Orchestre de la Suisse Romande glänzend umsetzen. Freilich: ohne den klassizistischen Zuschnitt des gesamten Werks infrage zu stellen.

Joachim Raff: 5. Sinfonie, 4. Satz 11‘50

Das Finale aus der 5. Sinfonie „Lenore“ nach der Ballade von Gottfried August Bürger von Joachim Raff. Die Neuaufnahme mit Neeme Järvi und dem Orchestre de la Suisse Romande ist Teil einer ambitionierten Gesamteinspielung der Orchesterwerke Raffs beim Label Chandos.

Zum Abschluss von Treffpunkt Klassik – Neue CDs möchte ich noch eine absolute Rarität vorstellen, eine Ausgrabung : das Oratorium mit dem Verdi-erprobten Titel „Nabucco“ von Michelangelo Falvetti. Vermutlich wird Ihnen dieser Name bislang genau so wenig begegnet sein wie mir. Auch in den gängigen Lexika sucht man ihn vergebens. Falvetti wurde 1642 in Kalabrien geboren, wurde Geistlicher, stieg dann aber in Sizilien zu einer führenden Persönlichkeit des Musiklebens auf. Er war Kapellmeister am Dom zu Palermo, später in Messina. Er schrieb zahlreiche Kompositionen , darunter Messen, Psalmvertonungen und Motetten. Überliefert sind allerdings nur zwei Oratorien, die erst vor kurzem wiederentdeckt wurden. Nach „Il diluvio universale“ haben sich der Argentinier Leonardo Garcia Alarcon und seine Cappella Mediterranea nun auch an das zweite Werk gemacht: „Nabucco“ aus dem Jahr1683. Und sie hauchen dem jahrhundertelang Scheintoten ein bemerkenswert sinnenfreudiges Leben ein. Hier eine Kostprobe aus dem Prolog.

Michelangelo Falvetti: Nabucco, Prolog (Ausschnitt) 4‘40

Das biblische Babylon in den betörenden Farben des Orients. Das war der Beginn des Oratoriums „Il Dialogo del Nabucco“ von Michelangelo Falvetti mit der Cappella Mediterranea. Ihr Leiter Leonardo Garcia Alarcon war, wie er im Booklet bemerkt, fasziniert von der sinnlichen Pracht dieser Musik, und er hat dabei noch etwas nachgeholfen. Offenbar hat Falvetti selbst alle möglichen Instrumente eingesetzt, also verstärkte Alarcon das schon reiche Barockinstrumen- tarium vor allem durch diverse exotische Blas- und Schlaginstrumente aus dem Vorderen Orient. Für letztere engagierte er den iranischen Percussionisten Keyvan Chemirani. Hinzu kommen allerlei Improvisationen, und all dies peppt die verblüffend eingängige, ja oft volkstümliche Musik gehörig auf. Die zahlreichen Ostinato-Melodien laden geradezu zum Mitsingen ein. So drängt sich schon die Frage auf, was nun wirklich von diesem bislang völlig unbekannten Komponisten Falvetti stammt und was von den geschickten Bearbeitern? Sie haben jedenfalls ganze Arbeit geleistet. Ihre Nabucco-Version ist ziemlich unterhaltsam und mitreißend ausgefallen, sängerisch und instrumental auf durchweg hohem Niveau. Dabei geht es in dem Oratorium eigentlich um ernste Angelegenheiten. Anders als Verdis „Nabucco“ handelt es von den drei Jünglingen im Feuerofen. Weil sie sich weigern, das Götzenbild des Nabucco anzubeten, werden sie zur Strafe in einen glühenden Ofen geworfen. Doch Feuer und Hitze können ihnen nichts anhaben, da Gott seine Hand über sie hält. Hören wir zum Abschluss noch einen Ausschnitt aus der zentralen Szene, in der sich die drei Knaben dafür entscheiden, lieber in den Tod zu gehen als Nabuccos Götzendienst zu folgen. Caroline Weynants, Mariana Flores und Magdalena Padilla Olivares singen die drei Knaben, Fernando Guimaraes den Nabucco.

Michelangelo Falvetti: Nabucco, Verurteilung der drei Knaben 8‘10

Soweit die Verurteilung der drei Knaben aus dem Oratorium „Il Dialogo del Nabucco“ von Michelangelo Falvetti. Ein Ausschnitt aus der Ersteinspielung mit Caroline Weynants, Mariana Flores und Magdalena Padilla Olivares sowie der Cappella Mediterranea unter Leitung von Leonardo Garcia Alarcon. Die Aufnahme ist erschienen in der Edition Ambronay und wird vertrieben von harmonia mundi. Die genauen Angaben zu den heute vorgestellten CDs finden Sie wie immer auf unserer Internetseite www.swr2.de. Dort können Sie die die Sendung sowohl nachlesen als auch noch eine Woche lang nachhören. Einen schönen Tag noch wünscht Ihnen damit Norbert Meurs. Hier geht es jetzt weiter mit dem Kulturservice und den neuesten Nachrichten.