ISSN 1866-0843

HEFT 284 – DEZEMBER 2011 51. JAHRGANG

• Interview mit • Schlussfolge • Den Wandel gestalten! Marina Schuster (MdB) II. Vaticanum (56. Gesamtkonferenz)

• Salzburger Hochschul- • Bundeskonferenz • Festakt in Fulda wochen 2011 der GKS 50 Jahre KOK / GKS INHALT AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 • 51. JAHRGANG

EDITORIAL ...... 3 Kirche unter Soldaten (II) anwesend, bekennend, wirksam SEITE DES BUNDESVORSITZENDEN ...... 4 Bundeskonferenz der GKS von Bertram Bastian ...... 40 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK Wozu sind die intervenierenden Staaten Neue Hoffnung für den Kongo in Afghanistan verpfl ichtet? Interview mit Marina Schuster (FDP) von Heinz-Gerhard Justenhoven ...... 41 von Klaus Liebetanz ...... 5 Terrorismus als ethische Heraus- 56. GESAMTKONFERENZ forderung (Die Deutschen Bischöfe; 94) „Den Wandel gestalten!“ von Bertram Bastian ...... 7 von Bertram Bastian ...... 48

Internationales Friedenstreffen der Nationen SOLDATEN IM ZDK von Klaus Liebetanz ...... 8 Herbstvollversammlung des ZdK GESELLSCHAFT NAH UND FERN von Joachim Lensch ...... 50 Jean-Claude Kibala – ein Porträt 50 Jahre KOK / GKS von Klaus Liebetanz ...... 12 von Bertram Bastian ...... 53 Sicher – unsicher (I) AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS von Bertram Bastian ...... 13 Zur Dynamik im Sicherheitsbegriff GKS-KREIS KÖLN im modernen Staat Gottesbilder – wer ist ein Christ? ...... 54 von Klaus Stüwe ...... 14 GKS-KREIS MÜNCHEN Sicher – unsicher (II) von Bertram Bastian ...... 18 Körper, Geist und Seele! ...... 54

Leben in einer bedrohten Welt GKS-KREIS NÖRVENICH von Philipp Weber ...... 19 Kirche und Freude – ein wirklicher Widerspruch? ...... 55 BILD DES SOLDATEN Ehemaliger Soldat ausgezeichnet GKS-KREIS WILHELMSHAVEN von Günter Neuroth ...... 21 Übergabe an den Neuen am Wochenende . . . . 55 Vorbereitung auf die 3. Lebensphase von Michael Wilk ...... 21 GKS-KREIS LAUDA / HARDHEIM Junger Kreis bei Akademie Korn ...... 56 RELIGION UND GESELLSCHAFT II. Vaticanum BUCHBESPRECHUNGEN: ...... 57, 58 zweite und dritte Sitzungsperiode von Andreas M. Rauch ...... 22 KURZ BERICHTET: . . . . . 11, 12, 13, 20, 37, 52, 56 Christlicher Glaube in moderner Welt TERMINE ...... 59 vierte Sitzungsperiode II. Vaticanum von Andreas M. Rauch ...... 28 IMPRESSUM ...... 60 Papst Benedikt XVI. in Erfurt von Rainer Zink ...... 35

KIRCHE UNTER SOLDATEN Redaktionsschluss für WOCHE DER BEGEGNUNG Kirche unter Soldaten (I) AUFTRAG 285 anwesend, bekennend, wirksam Freitag, 27. Januar 2012 Vollversammlung des Katholikenrates von Bertram Bastian ...... 39

TITELBILD: Während der 56.Gesamtkonferenz der katholischen Militärgeistlichen, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten sprach der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, über den Gesprächsprozess in der Katholischen Kirche Deutschlands. Militärgeneralvikar Walter Wakenhut (rechts) begrüßte den Redner am Dienstagvormittag. (Bild: Bertram Bastian)

2 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 • 51. JAHRGANG editorial:

ei der Gesamtkonferenz trug der Präsident Bdes Zentralkomitees der deutschen Katholi- ken (ZdK) Alois Glück über den Gesprächsprozess vor, bevor danach Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck mit den Teilnehmern der Konferenz in Klausur ging, um „Den Wandel gestalten“ vorzubereiten.

iebe Leserschaft, die Zeiten des Umbruchs sind Limmer hektisch und unruhig, die Standortent- scheidungen sind gefallen, die Broschüre kann aus dem Internet heruntergeladen werden, die Einsätze gehen unvermindert weiter. Das bedeutet für unsere aktiven Kameraden eine enorme Zusatzbelastung, muss doch mal wieder „am laufenden Motor“ repariert werden. Diesmal mit einer noch nie gekannten Anzahl von Um- zügen durch die radikale Umgliederung des Ministe- riums. Unterstützen wir weiterhin nach besten Kräften die aktiven Soldatinnen und Soldaten und machen wir uns politisch bemerkbar. Wie das geht, lesen Sie in dem Liebe Leserinnen, liebe Leser, Interview mit dem Mitglied des Deutschen Bundesta- ges Marina Schuster (FDP). bevor ich auf den Inhalt dieser Ausgabe zu spre- chen komme, muss ich eine Richtigstellung vornehmen: ine weiter Möglichkeit, sich bemerkbar zu Militärgeneralvikar Walter Wakenhut hat während Emachen, ist die Arbeit im ZdK, darüber wird des Trauergottesdienstes die Würdigung des verstorbe- Joachim Lensch berichten. Aber auch mit den anderen nen Dr. Ernst Niermann vorgenommen und Militärde- katholischen Verbänden kann man auf sich aufmerk- kan a.D. Heinrich Hecker trug ein Gedicht vor. sam machen, wie die Zusammenarbeit in Bonn mit Da ich diese Meldungen über den Tod des ehema- dem Bund Katholischer Unternehmer zeigt. Nutzen wir ligen Militärgeneralvikars Dr. Niermann zeitnah in alle Möglichkeiten, um Lobbyarbeit für unseren Ver- die letzte Ausgabe bringen wollte, ist unter Zeitdruck band und seine Ziele zu betreiben. Beide sind es wert! ein Halbsatz weggelassen worden und somit entstand die falsche Nachricht. Ich habe für die unrichtige Be- ür die Weihnachtszeit wünsche ich Ihnen, dass richterstattung den Apostolischen Protonotar Waken- FSie Kraft im Kreis der Familie tanken kön- hut um Entschuldigung gebeten, und bitte jetzt auch nen, denn das nächste Jahr wird alles, aber nicht ein- um ihre Nachsicht. facher. Unseren Kräften im Einsatz wünsche ich eine Rückkehr in die Heimat, gesund an Leib und Seele und n unserer Dezemberausgabe schließen wir die ohne Probleme. IBerichterstattung über das II. Vaticanum ab, es wird über die Bundeskonferenz der Gemeinschaft Katho- Herzlichst, lischer Soldaten berichtet ebenso wie über die Salzbur- ger Hochschulwochen. Durch Unterstützung der GKS konnten drei junge Soldaten mich zu dieser Veranstal- tung begleiten und werden über die Veranstaltung mit Pfarrer Armin Göllner berichten. Einen kurzer Bericht über den Festakt des 50-jährigen Jubiläums habe ich in diese Ausgabe mit aufgenommen, ein ausführlicher Bericht über das 13. Seminar der Akademie Oberst Korn wird in der nächsten Ausgabe erscheinen.

3 SEITE DES BUNDESVORSITZENDEN

„Den Wandel gestalten!“

er Wandel an sich ist uns Soldaten ein selbst- bei der Gesamtkonferenz klar gesetzt: Im Zentrum steht Dverständliches Merkmal des Berufes geworden. nicht mehr „was wir tun sollten oder müssten, sondern Im Moment allerdings sind die Veränderungen in was wir tun können“. Dies mag zum Widerspruch her- der Bundeswehr besonders intensiv spürbar, wenn ausfordern. Ich bin mir aber sicher, dass hier nicht das auch noch nicht in allen Ausprägungen erkennbar. Begnügen mit dem Minimalansatz gemeint ist, sondern Ebenfalls in der Katholischen Kirche in Deutschland die Forderungen dahinter steht, das auch wirklich zu wird das Stichwort „Wandel“ aktuell aufgegriffen. Die tun, wozu man objektiv in der Lage ist! Deutsche Bischofskonferenz hat in diesem Sommer Was aber gilt es zu bewahren? Was macht uns un- einen Gesprächsprozess mit Vertreten aller Bereiche verkennbar aus? Und mich treibt dabei besonders der der Kirche aufgenommen, die AAspekt um: wo ist der Bei- Militärseelsorge war hier wie ttrag der Laien gefragt? Und die anderen Bistümer vertre- wasw kann und muss die GKS ten. Dieser Ansatz gibt Hoff- hierh leisten? nung auf einen Austausch der durchaus unterschiedlichen um Berufsethos der Sol- Wahrnehmungen von Lebens- Zdaten, die sich der Si- wirklichkeit. Nun folgen die cherheitc und Freiheit der Veränderungen in der Kirche Völker,V der Achtung der sicherlich anderen Mechanis- MMenschenrechte und des men als in der Bundeswehr, VVölkerrechtes verpflich- die Innovationszyklen folgen ttet sehen, gehören auch anderen zeitlichen Rahmen- UUrteilsfähigkeit und dar- bedingungen und das lässt aufa aufbauendes selbstbe- Zeit für gründliches Abwä- stimmtess Handeln. Als ei- gen. Lassen Sie mich hinzu- nenn Beitrag zur Vermittlung fügen: Gott sei Dank! vonv Urteilsfähigkeit haben Mit der Aufnahme des wwir in diesem Jahr wieder Dialogprozesses wurde in die- eein Seminar der GKS-Aka- sem Jahr ein Weg begonnen, ddemie „Oberst Dr. Helmut der über die Station „Katho- Korn“K durchgeführt. Ein- likentag“ im nächsten Jahr gebettetg wurde in diesem auf das Jahr 2015 hinführt, JahrJ ein Festakt, bei dem in dem sich der Abschluss dasd 50-jährige Bestehen der des Zweiten Vatikanischen GKSG würdig begangen wur- Konzils zum fünfzigsten Mal de.d Dieser begann mit einem jährt. Parallel zu Strukturwandel in der Bundeswehr Pontifikalamt im Hohen Dom zu Fulda, bei dem Mili- und Dialogprozess in der Kirche ist ein Strategiepro- tärbischof Dr. Overbeck mit der Predigt klar die Kraft zess der Katholischen Militärseelsorge angelaufen. des Glaubens als Quelle und Maßstab für das Wirken Hier gilt es, beiden Entwicklungen zu folgen und Ak- der Laien in der Welt formuliert hat. zente für das eigene Handeln in der Katholischen Mi- Abschließend möchte ich für alle Arbeit, auf wel- litärseelsorge zu setzen. cher Ebene auch immer geleistet, mit einem herzlichen Das Ziel des Wandels muss doch sein, sich an die „Vergelt’s Gott“ danken! Auch im nächsten Jahr aber veränderten Rahmenbedingungen anzupassen um wird ebenso aktive Mitarbeit gebraucht, die Aufträge wirksam zu sein, ohne dabei die eigene Identität auf- liegen klar auf der Hand – siehe oben. zugeben. Dabei ist jedoch nicht alles anpassbar, gibt Zunächst aber wünsche ich uns allen ein gesegne- es immer Merkmale, die den Charakter bestimmen und tes Weihnachtsfest und einen guten Start ins Neue Jahr. die deshalb nicht beliebig sind. Als Maßstab für die Möglichkeiten der Katholischen Militärseelsorge hat Rüdiger Attermeyer unser Militärbischof Dr. Overbeck in seinem Vortrag Bundesvorsitzender

4 AUFTRAGAUFTRAG28 2844 • DEZDEZEMBEREMBER 2011 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK Neue Hoffnung für den Kongo Interview mit Marina Schuster (MdB)

arina Schuster, Jahrgang 1975 ist seit 2005 für die FDP im Deutschen und Mitglied im Aus- wärtigen Ausschuss und im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Sie ist Mitinitiatorin Mdes Antrages an die Deutsche Bundesregierung „Die Demokratische Republik Kongo stabilisieren“ vom 06.07.2011 (Drucksache 17/6448). Die Fragen für die Redaktion AUFTRAG stellte Klaus Liebetanz.

AUFTRAG: Sehr geehrte Frau und eine unabhängige Justiz, die sol- die sich für afrikanische Themen in- Bundestagsabgeordnete, zunächst che Fälle zur Anklage bringen würde, teressieren. Diese von der Notwen- möchten wir Ihnen dazu gratulie- existiert nicht. Korruption grassiert digkeit des Antrags zu überzeugen ren, dass der von war allerdings kein Ihnen initiierte in- PProblem. terfraktionelle An- trag zu Gunsten der AUFTRAG: Stabilisierung der InI wie weit hat Demokratischen ddie engagierte Republik Kongo LLobbyarbeit von am 7. Juli 2011 im MMitgliedern des Deutschen Bun- SachausschussS destag mit großer „Sicherheit„ und Mehrheit angenom- Frieden“F der Ge- men wurde. Welche meinschaftm Katho- Gründe haben Sie lischerl Soldaten dazu bewogen, sich (GKS) im Deut- über ein Jahr lang schens Bundestag intensiv für dieses IhreI Arbeit unter- Anliegen zu enga- sstützt? gieren? auf allen Ebenen und bringt priva- Marina Schuster: Den Sach- Marina Schuster: Der Konflikt te wie staatliche Initiativen schnell ausschuss sehe ich vor allem als in der DR Kongo wird von der inter- zum Erliegen. Ende dieses Jahres ste- hilfreichen Multiplikator wenn es nationalen Gemeinschaft leider seit hen im Kongo nun wieder Präsident- darum geht, das Thema des An- den Wahlen im Jahr 2006 stark ver- schaftswahlen an. Präsident Kabila trags in wichtigen gesellschaftli- nachlässigt. Wegen der Beteiligung muss sich an dem messen lassen, was chen Gruppen publik zu machen. der Bundeswehr am Einsatz zur Ab- er in den vergangenen fünf Jahren für Das ist zum einen natürlich die sicherung der Wahlen war das Thema das Land erreicht hat. Bundeswehr selbst, zum anderen damals auch hierzulande für kurze aber auch die Akteure in der zivi- Zeit in den Medien, verschwand aber AUFTRAG: Welche Widerstän- len Friedensarbeit und Konflikt- ebenso schnell wieder. Die Probleme de in Regierung und Parlament bearbeitung. Auch politisch ist die im Kongo sind jedoch auch fünf Jah- mussten überwunden werden, da- GKS gut vernetzt. re später nicht gelöst, das Ausmaß mit es zu diesem Antrag des Par- von Gewalt und Gesetzlosigkeit ist laments an die Bundesregierung AUFTRAG: Mit welchen Maß- nach wie vor verheerend. Vor allem kam, der schonungslos die heuti- nahmen kann Deutschland die die Zivilbevölkerung im Osten des ge Situation in der DR Kongo be- Präsidentschaftswahlen und die Landes leidet enorm unter dem Zu- schreibt und geeignete und ver- Wahl der Regionalparlamente im stand anhaltender Anarchie, in dem antwortungsvolle Unterstützungs- kommenden November unterstüt- Rebellengruppen und marodierende maßnahmen von der Bundesregie- zen, damit diese zur demokrati- Regierungstruppen Massaker, Mas- rung fordert? schen Konsolidierung in der DR senvergewaltigungen, Plünderungen, Kongo beitragen? Vertreibungen und zahlreiche weitere Marina Schuster: Auch inner- Menschenrechtsverletzungen bege- halb der Bundesregierung hatte das Marina Schuster: Zunächst ein- hen. Aber auch in vergleichsweise ru- Thema in den vergangenen fünf Jah- mal gilt es mit den Instrumenten der higen Landesteilen ist die Menschen- ren keine Priorität. Insofern war das Diplomatie darauf hinzuwirken, dass rechtssituation desolat: Journalisten Parlament hier die treibende Kraft. Im neben den Präsidentschafts- und und Menschenrechtsaktivisten wer- Bundestag gibt es ohnehin nur eine Parlamentswahlen die bereits mehr- den eingeschüchtert und ermordet – Handvoll Kolleginnen und Kollegen, fach verschobenen Regionalwahlen

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 5 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK diesmal auch tatsächlich stattfinden. rung) beteiligt. Deutschland stellt kürzester Zeit verpufft? Oder mit Auch die Finanzierung der Wahlen in dieser VN-Mission weder einen anderen Worten: Wie kann verhin- wird ein Thema bleiben. Hier ist aber Diplomaten noch einen Offizier, dert werden, dass deutsche Sol- zunächst die kongolesische Regierung obwohl dies ausdrücklich im Ent- daten nicht als Lückenbüßer für in der Pflicht. Außerdem sollte früh- schließungsantrag der schwarz-ro- ein fehlendes zielführendes, politi- zeitig auf den Einsatz internationaler ten Koalition vom 31.05.2010 zum sches Gesamtkonzept missbraucht Wahlbeobachter gedrängt werden. An Einsatz der Bundeswehr in der DR werden, in dem Leib und Leben der einer entsprechenden EU-Wahlbeob- Kongo gefordert wurde. Wie kann eingesetzten Soldaten aufs Spiel achtermission sollte sich Deutschland dieser offensichtliche Missstand be- gesetzt werden? auf jeden Fall beteiligen. hoben werden? Marina Schuster: Militäreinsätze AUFTRAG: Andauernde, Marina Schuster: Im Antrag for- sind kein Politikersatz, sondern müs- schwere und systematische Men- dern wir auch eine effektivere und sen sich in eine politische Gesamtstra- schenrechtsverletzungen, beson- nachhaltigere Unterstützung der MO- tegie einpassen. Im Falle der EU-Mis- ders durch Massenvergewaltigun- NUSCO-Mission. Gerade in den Be- sion EUFOR RD Congo zeigte sich, gen gegen Frauen und Mädchen reichen Einsatzführung und –logistik dass ein langfristiges Konzept fehlte. als Kriegs- und Unterdrückungs- sind Offiziere der Bundeswehr in VN- Die Wahlen bildeten jedoch eine wich- waffe, erschüttern seit Jahren den Kreisen eine geschätzte Ressource, tige Wegmarke bei der Überwindung Osten der DR Kongo. Welche drin- wie auch der Einsatz bei der UNMIS- des Konfliktes. Leider wurde nach den genden Maßnahmen zur Reform Mission im Sudan gezeigt hat. Hier ist Wahlen versäumt, den internationalen des Sicherheitssektors müssen end- vor allem das BMVg aufgerufen, sei- Druck aufrecht zu erhalten. Die nach- lich getroffen werden, damit die Zi- ne bisherige Haltung zu MONUSCO folgenden Sicherheitssektorreformen vilbevölkerung, besonders Frauen zu überdenken. Minister de Maizière wurden nicht mehr mit dem notwen- und Kinder, ohne Furcht und die hat sich ja bereits offen für eine ver- digen Nachdruck vorangetrieben. Das ständige Bedrohung durch Rebel- stärkte deutsche Beteiligung an VN- ändert sich nun hoffentlich bald. len und die regulären kongolesi- Missionen gezeigt. schen Streitkräfte leben können? AUFTRAG: Der gut begründe- AUFTRAG: Wie beurteilen Sie te Kongoantrag des deutschen Par- Marina Schuster: Die Europäi- den Vorschlag, bei der Bw-Struk- laments vom 06.7.2011 ist sicher sche Union ist bereits seit 2005 mit turreform nicht mehr benötigte nur die halbe Miete auf dem Weg den Missionen EUSEC und EUPOL Offiziere und Feldwebel (zu viele zu einer Verbesserung der Lage in zur Reform der kongolesischen Ar- Häuptlinge und zu wenig India- der DR Kongo. Wie wollen Sie und mee und Polizei aktiv. Deutschland ner) nach umfassender sprach- Ihre Kolleginnen und Kollegen si- ist an diesen Maßnahmen personell licher und interkultureller Schu- cherstellen, dass die Bundesregie- wie finanziell beteiligt. Allerdings lung als Berater und Ausbilder in rung Ihre detaillierten Vorschläge waren die Erfolge dieser Missionen der rechtsstaatlichen Sicherheits- in die Realität umsetzt? bisher äußerst bescheiden. Das liegt sektorreform von ausgewählten in erster Linie daran, dass die kongo- Staaten (sog. failing states) in Ab- Marina Schuster: Als Angehö- lesische Regierung selbst wenig In- sprache mit dem BMZ einzusetzen? rige der Regierungsfraktion verfüge teresse an wirklichen Reformen hat. ich natürlich über einen guten Draht Hinzu kamen Abstimmungsprobleme Marina Schuster: Der Vorschlag in die Ministerien. Wir kennen un- zwischen den zahlreichen internati- klingt grundsätzlich nicht uninteres- sere Ansprechpartner und arbeiten onalen Partnern vor Ort. Außerdem sant. Neben der notwendigen Abstim- vertrauensvoll bei der schrittweisen setzen die Programme zumeist auf mung innerhalb der Bundesregierung Umsetzung unserer Forderungen zu- niedrigem administrativen Level an – müsste natürlich auch eine Prüfung sammen. Darüber hinaus hoffe ich nötig wäre stattdessen ein Ansatz auf des internationalen Bedarfs erfolgen. natürlich, dass der Antrag auch au- höchster politischer Ebene. Im Antrag An der ein oder anderen Stelle besteht ßerhalb der Ministerien gelesen und fordern wir daher neben einer spürba- sicherlich Interesse. Ich bezweifle al- von NGOs und anderen „Praktikern“ ren personellen und finanziellen Auf- lerdings, dass sich die von Ihnen skiz- aufgegriffen wird. Es kann nicht scha- stockung der EU-Missionen vor allem zierten Personal-Probleme der Bun- den, wenn unsere Forderungen auch ein besser koordiniertes Vorgehen und deswehr auf diesem Wege in großem aus diesem Bereich wieder an die Re- erheblich intensivierten politischen Stile lösen lassen. gierung herangetragen werden. So wird Druck auf die politischen Schaltstel- deutlich, dass es sich nicht um eine len in den Ministerien. AUFTRAG: Welche Lehren „Kopfgeburt“ des Parlamentes han- müssen aus dem Kongoeinsatz der delt, sondern unsere Forderungen von AUFTRAG: Die Bundesrepu- deutschen Bundeswehr 2006 zur einer möglichst breiten Schicht in der blik Deutschland ist jährlich mit Absicherung der Präsidentenwahl Gesellschaft geteilt werden. 140 Mio. USD an der VN-Stabilisie- gezogen werden, damit die Wir- rungsmission MONUSCO (Haupt- kung eines ungewissen und gefähr- AUFTRAG: Zum Schluss wol- auftrag: Schutz der Zivilbevölke- lichen Einsatzes nicht innerhalb len wir Ihnen noch eine sehr per-

6 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK sönliche Frage stellen: Welche Wer- schundenen Menschen in der DR setzung der Menschenrechte ist te und Überzeugungen leiten Sie bei Kongo? nicht religiös begründet, sondern Ihrem außergewöhnlichen, verant- beruht vielmehr auf meiner hu- wortungsvollen und ausdauernden Marina Schuster: Mein En- manistisch-liberalen Grundüber- Engagement zu Gunsten der ge- gagement für die weltweite Durch- zeugung.

Terrorismus als ethische Herausforderung Menschenwürde und Menschenrechte

m 5.September 2011 veröffentlichte das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz dieses Papier1 als eine vorläufige Bilanz der Politik gegen den Terrorismus zu ziehen. Grundlage dafür ist die kirchliche AFriedensethik, die stets auch eine Ethik des Rechts ist. Gerade die rechtsethischen Dimensionen der Ka- tholischen Friedenslehre treten in der geistigen Auseinandersetzung mit den politischen Strategien zur Bekämp- fung des Terrorismus in den Vordergrund, so die Deutschen Bischöfe.

n fünf Kapiteln nimmt die Bi- eine internationale Solidarität gegen „Die Antwort des Völkerrechtes Ischofskonferenz dazu Stellung. Gewaltanwendung stattfände. auf die Herausforderungen des in- Als Grundlage wird die Veränderung Im dritten Kapitel der Veröffent- ternationalen Terrorismus“ ist das der Weltlage nach den Anschlägen lichung gehen die Bischöfe auf die Schlusskapitel dieser Schrift. In die- analysiert. Da schon in der Schrift Konflikte zwischen Freiheit und Si- sem Kapitel wird die Ordnungs- und „Gerechter Friede“ von einer Aus- cherheit ein. Ein Staat müsse auch Friedensfunktion des Völkerrechts weitung diffuser Gewaltpotentiale Zwangsmittel einsetzen können, um betont. Es wird klargestellt, dass eine gesprochen wurde, unternähmen die von ihm garantierte „Freiheits- Reaktion auf eine zukünftige Bedro- „die vorliegenden Überlegungen ordnung“ durchsetzen zu können. hung (sog. preemption) in der Bezie- den Versuch, auf der Grundlage der Es könne eben kein „Grundrecht auf hung zwischen Staaten ausgeschlos- Friedensethik der Kirche Fragen zu Sicherheit“ geben, denn die Schutz- sen sei, da die Konturen der legitimen bedenken, die den Schutz der Men- funktion des Staates beziehe sich auf Selbstverteidigung zur Unkenntlich- schenwürde entweder unmittelbar alle Rechte und somit stehe die Si- keit verschwimmen würden. Die be- betreffen oder aber in dessen Kern- cherheit nicht als separater Rechts- sondere Verantwortung des Sicher- bereich hineinreichen. Wir wollen anspruch daneben. heitsrates wird hervorgehoben, bei den Rahmen abstecken, innerhalb Die Grenzfälle legitimer Gewalt- allen Vor- und Nachteilen, die seine dessen sich legitimes Recht bewe- anwendung werden im Kapitel vier jetzt gültige Form mit Vetomächten gen muss“. aufgezeigt. Nicht nur das absolute hat. Mit einem Blick auf die Haager In einem zweiten Schritt wird Folterverbot, auch das Luftsicher- und Genfer Rechtssprechung und der die Bekämpfung des Terrorismus heitsgesetz und dessen Verwerfung Feststellung, dass in der Sprachlich- aus friedensethischer Sicht der Ka- durch das Bundesverfassungsgericht keit des Völkerrechtes das Individu- tholischen Kirche dargestellt, wo- werden hier erwähnt. Die Ausweitung um nicht vorkomme, wird festgestellt, bei die Gewaltprävention als vor- der staatlichen Eingriffsmöglichkei- dass „die bis heute vorherrschen- rangige ethische Verpflichtung nach ten in die persönlichen Freiheits- de Mediatisierung des Einzelnen im wie vor als aktuell gültiges Kon- rechte durch den „Kampf gegen den Völkerrecht und die vorrangige Ori- zept herausgestellt wird. Die Legi- Terrorismus“ wird geschildert und entierung der Völkerrechtsordnung timitätsgrundlage der Terrorismus- bewertet. „Grundsätzlich gesagt, ma- am Interesse von Staaten und inter- bekämpfung bleibe der Schutz der nifestiert sich der gebotene Respekt nationalen Organisationen versperrt Menschenwürde und die Garantie vor der Würde der Menschen auch den Blick auf das eigentliche Ziel der Menschenrechte, führen die Bi- darin, dass man Zumutungen erklärt, des Völkerrechts: den Menschen zu schöfe aus. Es gelte, dem „Kampf der etwaige Einschränkungen der Rechte einem gerechten Frieden und einem Kulturen“ durch Verständigung und in präzise kontrollierbaren Grenzen Leben in Würde zu verhelfen.“ Die Klarstellungen zu begegnen, damit hält, auf Willkür und vor allem Dis- Veröffentlichung schließt mit der kriminierungen verzichtet und den Feststellung, dass auch der Terrorist 1 Terrorismus als ethische Betroffenen die Möglichkeit gibt, sich Träger von Menschenrechten sei. Die Herausforderung. Menschenwürde und politisch oder gerichtlich gegen Über- Menschenrechte und die Würde des Menschenrechte / hrsg. vom Sekretariat griffe mit Erfolgschancen zu wehren“, Menschen stünden nicht unter einem der Deutschen Bischofskonferenz. – ❏ Bonn 2011. – 65 S. – (Die deutschen damit schließt das Kapitel vier der Terrorismusvorbehalt. Bischöfe ; 94) Veröffentlichung. (Bertram Bastian)

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 7 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK Internationales Friedenstreffen der Religionen Zusammen Leben unsere Bestimmung!

VON KLAUS LIEBETANZ

as Internationale Friedenstreffen der großen Weltreligionen (Christen, Muslime, Juden, Buddhisten und Shin- toisten) fand am 11. bis 13. September 2011 in München statt. Eingeladen dazu hatte die Gemeinschaft DSant’Egidio und das Erzbistum München Freising. Am Friedenstreffen hatten ca. 400 religiöse und politische Vertreter aus ungefähr 60 Ländern teilgenommen. Zu den Gästen aus aller Welt gehörten zahlreiche Kardinäle und Bischöfe der katholischen Kirche, der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider und andere evangelische Bischöfe, einige Vertreter der orthodoxen Kirchen, wie der Metropolit von Minsk Filaret, eine hochrangig besetzte Delegation aus dem Judentum mit Oberrabbiner Yona Metzker aus Jerusalem und bedeutende Vertreter aus der islamischen Welt wie Mustafa Cerec, der Großmufti von Sarajewo und Mohammed Rifaah al-Tahtawi, der Sprecher der be- rühmten Al-Azhar Universität aus Kairo, sowie zahlreiche Vertreter aus der asiatischen Welt, einschließlich Zen- Priestern aus Japan. Für die Bundesrepublik nahm Bundespräsident Christian Wulff an der Eröffnung und Bundes- kanzlerin bei einer Podiumsveranstaltung teil. Neben einigen rein religiösen Veranstaltungen fan- den insgesamt 36 teilweise hochaktuelle Podien statt, die sich dem Dialog der Kulturen und Religionen widmeten.

Ursprung des Friedenstreffens – mit Christen, Moslems, Juden, Bud- „verabscheuungswürdigen Taten“ vor Der Geist von Assisi dhisten, Taoisten, Hindus, Anhän- zehn Jahren in den USA müsse zu ei- apst Johannes Paul II. hatte 1986 gern des Konfuzius und verschiede- nem Auftrag werden. Es gehe darum, Pin einem weltweit beachteten nen anderen Religionen und Kultu- „sich nicht der Logik der Rache, der Schritt die Vertreter aller Weltreli- ren steht immer das gemeinsame Be- Gewalt und der Feindschaft zu un- gionen zum gemeinsamen Gebet für kenntnis: Religion kann niemals der terwerfen“. Das Treffen in München den Frieden nach Assisi eingeladen. Grund für einen Krieg sein! Es darf wolle zeigen, dass Religionen Quel- Er kam damit der Forderung des 2. keinen Kampf der Kulturen geben. len des Friedens, des echten Dialogs Vatikanischen Konzil in „Gaudium et Vielmehr muss um des Friedens wil- und der Versöhnung sein könnten. spes“ Ziff. 77 nach: „...mit allen Men- len ein Dialog der Kulturen und Re- „Wir wehren uns entschieden gegen schen (guten Willens) zusammenzuar- ligionen geführt werden. den Missbrauch des Namens Gottes, beiten zur Festigung des Friedens in gegen jede Gewalt, Ausbeutung, Un- Gerechtigkeit und gegenseitiger Lie- Gedenken zum 10. Jahrestag von 9/11 terdrückung im Namen der Religion“, be und zur Schaffung von Mitteln, die as Friedenstreffen wurde mit ei- betonte Marx. „Sich auf Gott zu beru- dem Frieden dienen.“ Assisi war ein Dnem symbolträchtigen Gedenken fen und unschuldige Menschen zu tö- beeindruckendes Zeichen für die Ver- an die Anschläge von New York am ten, ist Blasphemie.“ antwortung der Religionen für Frieden 11. September 2011, an dem auch der und Verständigung. In konservativen deutsche Bundespräsident Christian Ägypten und der arabische Frühling Kreisen des Vatikans war die Vorge- Wulff teilnahm, auf dem Münchener odium 5 befasste sich mit dem hensweise Johannes Paul II. nicht Marstallplatz begonnen. Zu Beginn PThema: „Ägypten und der ara- unumstritten. Man fürchtete um den des Gedenkens wurde Weihrauch ver- bische Frühling“. Zu den Podiums- Alleinvertretungsanspruch der „allein brannt, der in allen Weltreligionen bei teilnehmern gehörten u.a. Antonios seligmachenden“ katholischen Kirche Zeremonien verwendet wird. In einer Kardinal Naguib, der Patriarch von und eine Tendenz zum Relativismus: „ Videobotschaft kamen zwei Hinter- Alexandria, von der koptisch-katho- Im Prinzip sei es dann ja gleich, was bliebene von Attentatsopfern aus New lischen Kirche und Hssan Shafi’e, man glaubt“. Papst Johannes Paul II. York zu Wort. Musiker verschiedener der Dekan der Fakultät für islami- war deshalb nicht unglücklich, als Kulturen brachten die Auftragskom- sche Theologie der berühmten Al- sich die Gemeinschaft Sant’Egidio position „Time Zero“ der griechischen Azhar-Universität Kairo. Für Hassan bereit erklärte, ab 1987 die alljähr- Dirigentin Konstantia Gourzi erstmals Shafi’e bestand kein Zweifel daran, lichen interreligiösen Nachfolgetref- zu Gehör. Ein Glockenschlag sym- dass das Mubarak-System despotisch fen von Assisi zu organisieren und bolisierte den Einschlag des ersten und äußerst korrupt gewesen sei. Für durchzuführen. Flugzeugs in das World Trade Center, die friedliche Demonstration auf dem Die Treffen wurden zum wichti- gefolgt von einer Schweigeminute. In Tahrir-Platz hätte es bereits Vorläufer gen Knotenpunkt für das inzwischen einem „Akt der Versöhnung“ legten gegeben, wie z.B. die Gewerkschafts- weltweite Netzwerk von Beziehun- Menschen aus allen fünf Kontinenten bewegung von 2006 und die Revolte gen, vor allem zu den verschiedenen Ölzweige zum Zeichen des Willens der Richter, die sich nicht mehr von christlichen Kirchen, zur islamischen zur Versöhnung nieder. Der Münch- der Regierung gängeln lassen wollten. Welt und zum Judentum. Im Mittel- ner Erzbischof Kardinal Reinhard Die Mauer aus Angst, Gewalt und Un- punkt dieser interreligiösen Treffen Marx erklärte, die Erinnerung an die terdrückung sei aber erst durch die

8 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK massenhaften Proteste und Demons- zu befürchten hätten. Muslimische des Friedens sei nicht nur eine poli- trationen junger, durch die Medien Polizisten verzichteten in diesen Fäl- tische, sondern auch eine spirituelle vernetzter, Menschen zum Einsturz len auf eine angemessene Untersu- Realität. Riccardi rief Merkel dazu gekommen. Es hätte nur 18 Tage ge- chung und ließen den muslimischen auf, für Europa zu kämpfen. „Wir spü- dauert bis Mubarak und sein Clan ge- Täter in der Regel ungeschoren. ren, die Welt braucht ein starkes und hen mussten. Hassan Shafi’e berich- Abschließend zu diesem aktuel- vereintes Europa. Die Schwäche Eu- tete, dass er selbst mehrfach auf dem len Podium bleibt festzustellen, dass ropas ist eine Tragödie“, rief Riccardi. Tahrir-Platz gewesen sei und mit den viel vom Verhalten der militärischen „Das vereinte Europa ist entscheidend jungen Demonstranten gesprochen Führung abhängen wird. Der Ausgang für das Zusammenleben in der Welt.“ hätte. Muslime und Christen hätten des arabischen Frühlings in Ägypten Der Erzbischof von München und gemeinsam demonstriert. Extremisten bleibt spannend. Freising und Mitgastgeber, Kardinal hätten kaum eine Rolle gespielt. Kurz Reinhard Marx, beschwor die Hoff- vor dem 29. Juli, an dem eine große Plenum mit der Bundeskanzlerin nung auf Veränderung. Intention müs- Freitagsdemonstration stattfand, hät- ie Veranstaltung mit Kanzlerin se sein, „dass wir uns nicht abfin- te die Al-Azhar-Universität, die nach DAngela Merkel fand vor ausge- den mit einer Welt, wie sie ist, son- dem Sturz Mubaraks wieder eine füh- wählten Gästen im Herkulessaal der dern dass wir uns einsetzen für eine rende Rolle in der Verbreitung eines Münchener Residenz statt und wurde Welt, die Tag für Tag verbessert wer- gemäßigten Islams und der Toleranz in die Allerheiligen-Hofkirche und den kann.“ Das Zusammenleben sei übernommen hätte, ein wegweisendes ins Cuvilliès-Theater direkt übertra- die Bestimmung der Menschen. „Die Dokument zu den Beziehungen zwi- gen. Mit Blick auf die aktuelle Kri- anderen dürften nicht als Bedrohung schen Staat und Religion herausge- se sagte die Kanzlerin, Europa habe empfunden werden sondern als Ergän- geben. Darin wurde ein Verfassungs- schon viel geschafft und viele Hürden zung. So sollten Weltanschauungen staat mit Gewaltenteilung und freier genommen, etwa die Teilung über- und Religionen nicht trennend sein, Wahl gefordert. Gleichzeitig sei ge- wunden. „Die Kirchen hatten an der sondern zu einer Lösung beitragen. fordert worden, die Prinzipien der is- Überwindung solcher Hürden immer Israelis und Palästinenser: Ist lamischen Scharia bei der Errichtung großen Anteil.“ Merkel unterstrich Friede möglich? eines modernen, demokratischen und die Rolle der Religionen für Einheit Das Podium 25, das sich mit islamischen Staates als grundsätzliche und Frieden in der Welt. „Die Tren- dem Problem der Israelis und Paläs- Quelle der Gesetzgebung in Ägyp- nung von Kirche und Staat darf nie- tinensern befasste, war im wesentli- ten anzuerkennen. Ein laizistischer mals vergessen lassen, dass wir als chen von zwei leidenschaftlichen und Staat nach westlichem Vorbild wurde Menschen ohne den Glauben an Gott höchst gegensätzlichen Aussagen ge- abgelehnt. schnell überheblich werden“, sagte kennzeichnet. Für die Palästinenser Kardinal Naguib, der katholisch- Merkel. „Politik kann Zusammenhalt sprach Mahmoud Al Habash, Minister koptische Patriarch von Alexandria, fördern, aber eben nicht verordnen.“ für Religiöse Angelegenheiten der Pa- forderte die Gleichberechtigung der Die Politik baue auf Einstellungen in lästinensischen Autonomiebehörde, Christen in dem neuen ägyptischen der Gesellschaft auf, die von den Kir- und für die Israelis Daniel Hershko- Staat. Es müsse aufhören, dass Chris- chen entscheidend mitgeprägt wür- witz, Minister für Wissenschaft und ten – in der Regel Kopten, die 10% den. Es gehe um das gemeinsame Technologie. der ägyptischen Bevölkerung stellen Verständnis von Menschenwürde. Die Mahmoud Al Habash legte seinen – Bürger zweiter Klasse seien. Nach Terroranschläge des 11. September Standpunkt wie folgt dar: Seine Fa- seiner Meinung kommt es jetzt darauf 2001 hätten aber auch gezeigt: „Re- milie stammt aus der Nähe von Jaffa, an, dass sich die islamischen Extre- ligionen werden auch in unserer Zeit dem heutigen Israel. Sie wurde 1948 misten sich nicht bei der Anwendung sträflich missbraucht.“ Militärische von den Juden vertrieben. Seine Fa- einer rigiden Scharia durchsetzten. Mittel seien manchmal notwendig, milie und viele andere Palästinenser Bischof Damian vom koptisch- könnten aber allein nie Frieden brin- kämpften nicht gegen die Vertreibung orthodoxen Kloster aus der Nähe von gen. „Ich glaube, dass die Bekämp- sondern hatten sich auf die Zusage der Höxter forderte die anwesenden mus- fung von Armut und Ungerechtigkeit arabischen Brüder und Verbündeten, limischen Vertreter aus Ägypten auf, ein gutes Mittel ist, dem Terrorismus wie Ägypten, Syrien und Jordanien alles zu unternehmen, dass musli- seine Wurzel zu entziehen.“ verlassen, die im Falle der Ausrufung mischen Extremisten das Handwerk Der Gründer der Gemeinschaft eines Staates Israel die Israelis be- gelegt werde, die christliche Frauen Sant‘Egidio, Andrea Riccardi, sag- siegen wollten und die Palästinenser und Mädchen, welche unverschleiert te bei dieser Veranstaltung mit Blick wieder in ihre Heimat bringen wür- gingen, kidnappen und dem Organ- auf den 11. September: „Dieser Tag den. Der Verlauf der Geschichte nahm handel zuführen. Im anschließenden schien die Theorie vom Kampf der aber eine ganz andere Richtung, als Gespräch mit dem protestantischen Religionen zu bestätigen.“ Diese The- er von den Palästinensern erhofft wur- ägyptischen Journalisten Mina Fouad orie habe viele Entscheidungen be- de. Nach der Proklamation des israe- erfuhr der Verfasser des Artikels, dass einflusst, unter anderem den Krieg lischen Staates am 14. Mai 1948 griff in der derzeitigen Praxis der Scharia rehabilitiert. „Nach zehn schwierigen Ägypten, Syrien und Jordanien den muslimische Täter gegenüber Chris- Jahren ist eine Wende notwendig“, neuen Staat Israel an. Der erste Nah- ten als Opfer kaum eine Verurteilung verlangte Riccardi. Die Möglichkeit ostkrieg endete Mitte 1949 mit einem

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 9 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Sieg Israels, das kurz nach seiner Pro- ge von ihnen hatten dabei ihr Leben Friedensverhandlungen zwischen Is- klamation von den USA und der Sow- verloren. rael und den Palästinensern vorge- jetunion anerkannt wurde und durch Daniel Hershkowitz sagte, er kön- legt. Binnen drei Monaten sollen ers- umfangreiche Waffenlieferungen aus ne sich durchaus mit einer Zwei-Staa- te Vorschläge in der Streitfragen der der Tschechoslowakei und massive fi- ten-Lösung anfreunden. Er habe aber Grenzen und der Sicherheitsaspekte nanzielle Mittel aus den USA unter- erhebliche Zweifel an der Zuverlässig- vorliegen. Substanzielle Fortschritte stützt wurde. Seit Herbst 1948 gab es keit der Palästinenser. Friede könne in den Verhandlungen werden dann ca. 650.000 palästinensische Flücht- nur sein, wenn die Palästinenser end- nach sechs Monaten angestrebt. Die- linge in Lagern. So auch die Familie gültig auf Gewaltanwendung verzich- se Zwischenresultate will das Nahost- Al Habash, wo Mahmoud 1962 ge- teten. Er sehe auf palästinensischer Quartett dann nach Angaben der EU- boren wurde. Auch in den folgenden Seite keine einheitliche Meinung, das Außenbeauftragten Catherine Ashton Kriegen, so im Sinai-Feldzug 1956, Existenzrecht Israels anzuerkennen. auf einer internationalen Konferenz in im Sechs-Tage Krieg 1967 und im Die Mehrzahl der Hamas-Mitglieder Moskau festschreiben. Der Abschluss Jom-Kippur-Krieg konnten die arabi- würde auch heute noch die Israelis der Verhandlungen ist dann für Ende schen Nationen Israel nicht besiegen. ins Meer treiben, wenn sie nur könn- 2012 geplant. Teil des Konzepts ist Zwischenzeitlich war auch Mahmoud ten. Die Zwei-Staaten-Lösung sähen auch eine Geberkonferenz für die Pa- Habash’s Vater im Widerstand gegen sie nur als taktische Zwischenlösung, lästinenser im kommenden Jahr. Die Israel gefallen. um die Position der Palästinenser zu internationale Gemeinschaft soll ih- Nach diesen erfolglosen Versu- verbessern. Die Mehrzahl der Israe- nen zudem beim Aufbau staatlicher chen, „die Israelis ins Meer zu trei- lis hätten kein Vertrauen in die pa- Strukturen helfen. Dieser Plan er- ben“, hatte sich bei den gemäßig- lästinensische Zusicherung zu einem scheint nicht unrealistisch, weil die ten Palästinensern die Auffassung Friedensvertrag. USA ihn unterstützen und Israel nur durchgesetzt – so auch bei Mahmut Das Podiumsmitglied Antonio so einer weltweiten Isolierung ent- Abbas, dem Präsidenten der palästi- Ferrari, ein Journalist des „Corriere kommen kann. Auch die USA werden nensischen Autonomiebehörde – es della Sera“ mit jahrzehntelanger Er- nicht unbegrenzt an ihrer Nibelun- sei erfolgversprechender das Exis- fahrung im Nahen Osten beurteilte gentreue zu Israel festhalten können, tenzrecht Israels anzuerkennen und die Chancen für einen Frieden zwi- ohne dass ihre Glaubwürdigkeit in eine Zwei-Staaten-Lösung mit einem schen Israel und den Palästinensern der muslimischen Welt und bei vie- Palästinenserstaat in den Grenzen sehr pessimistisch. Die Situation sei len Dritt-Weltländern endgültig ver- von 1967 anzustreben. Mahmoud Al völlig verfahren. Erneut wurde durch loren geht. Habash schloss seine Ausführungen die Diskussion auf dem Podium deut- mit der Aussage, es sei für ihn uner- lich, dass Israelis und Palästinenser Die Welt neu denken – Wege träglich, im eigenen Land israelische allein nicht in der Lage sind, den gor- jenseits der Krise Behörden schriftlich um Genehmi- dischen Knoten der unterschiedlichen n der Diskussionsrunde nah- gung ersuchen zu müssen, um nach Auffassungen und Befürchtungen zu Amen neben Kardinal Marx, der Ostjerusalem oder in den Gazastrei- zerschlagen. Der internationalen Ge- deutsche Finanzminister Wolfgang fen zu fahren. Ferner müsste die völ- meinschaft muss es gelingen, beide Schäuble und sein italienischer Amts- kerrechtswidrige Siedlungspolitik in Seiten zu Zugeständnissen zu bewe- kollege Giulio Tremonti teil, ferner Ostjerusalem und im Westjordanland gen und den Israelis Sicherheitsgaran- Marco Impagliazzo, der Präsident der ein Ende haben. tien zu geben. Die USA und Europa Gemeinschaft Sant’Egidio, und Cor- Danach legte der israelische Mi- sollten ein großes Interesse an einer rado Passera, Berater und Geschäfts- nister für Wissenschaft und Technik friedlichen Nahostlösung und einem führer der italienischen Bank Intesa Daniel Herhkowitz seine Erfahrun- Friedensvertrag zwischen Israel und Sanpaolo. gen und seinen Standpunkt wie folgt Palästina haben, weil die Spannungen Kardinal Reinhard Marx forder- dar: Der größte Teil seiner väterlichen im Nahen Osten stets Ausgangspunkt te eine „soziale Marktwirtschaft auf Familie war in Auschwitz und der der für weitere Unruhen in der Region Weltebene“ als langfristige Perspek- mütterlichen Seite in Buchenwald sein können und weil die jüngsten tive für eine neue Wirtschaftsordnung ums Leben gekommen. Nach dem 2. militärischen Einsätze der USA und nach der Finanzmarktkrise (vgl. sei- Weltkrieg wanderten die Reste der ihrer Verbündeten ihre Wurzeln in nen Bestseller „Das Kapital“ in An- beiden Familien in das britisch man- ihrer einseitigen Israelpolitik haben. lehnung an seinen Namensvetter). datierte Palästina aus und bauten dort Das Gleiche gilt für die Anschläge am Er unterstrich, „dass ein Markt nur im Laufe der Zeit den Staat Israel auf. 11. September 2001. dann Früchte trägt und dem Weltge- Nach den Erfahrungen des Holocaust Der Antrag von Palästinenserprä- meinwohl dient, wenn er in einen ord- hatten sie die Überzeugung gewonnen, sident Mahmut Abbas auf VN-Voll- nungspolitischen Rahmen eingeord- sich nie wieder wie Schafe ohne Wi- mitgliedschaft in der Vollversamm- net ist, der ethische Qualitäten hat“. derstand zur Schlachtbank führen zu lung der Vereinten Nationen, könnte Dazu müssten auch die Finanzmärk- lassen. Die Männer und jungen Frau- eine neue Dynamik im Friedenspro- te einen produktiven Beitrag leisten. en seiner Familie hatten an den vier zess auslösen. Das Nahost-Quartett Aufgabe der Politik sei es, „das Ganze Nahostkriegen teilgenommen. Eini- (VN, EU, USA und Russland) hat be- anzuschauen, von den Folgen für das reits einen neuen Zeitplan für neue Ganze her zu denken und dann die

10 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK entscheidenden Schritte zu tun“. In ten Dokument wird der Dialog als meinwohl. In vielen Regionen der diesem Bemühen müssten die Poli- „intelligente und friedliche Waffe“ Welt sind zunehmende Gewalt und tiker auch von der Kirche unterstützt bezeichnet. Kardinal Marx zog auf eine Sinnkrise spürbar. Eine Wende werden. Zugleich könnten die Reli- dem Marienplatz eine positive Bi- ist notwendig! gionen angesichts aktueller Tenden- lanz. Vertreter aus Religion und Po- Die Globalisierung bietet nämlich zen zu Provinzialismus und nationa- litik hätten echten Dialog praktiziert. zahlreiche Chancen, doch sie benötigt lem Populismus zur Entwicklung „ei- Sant‘Egidio sei eine Inspiration für die eine Seele. Der Egoismus führt zu ei- ner globalen Schicksalsgemeinschaft“ Weltgemeinschaft, die Kraft eines sol- ner Zivilisation des Todes und bringt beitragen und mithelfen, „dass es ein chen Treffens sei nicht zu unterschät- auch real vielen Menschen den Tod. globales Verständnis von Menschen- zen. „Geben Sie die friedensstiftende Daher müssen wir den Blick erheben, würde gibt“. Kraft eines wirklichen Dialogs, die wir uns für die Zukunft öffnen und fähig Man dürfe die wirtschaftlichen hier miteinander erlebt haben, weiter werden, eine Globalisierung der Ge- Realitäten zwar nicht verkennen, müs- in Ihre jeweiligen Verantwortungsbe- rechtigkeit zu verwirklichen. Mit Ent- se aber zugleich regulierend eingrei- reiche!“ schiedenheit müssen wir uns mit der fen: „Wir müssen uns der Wirklich- Der Gründer von Sant‘Egidio, An- Frage des Friedens in all seinen Facet- keit stellen, Gott umarmt uns durch drea Riccardi, sagte, München sei ten beschäftigen. Denn wir sind zum die Wirklichkeit. Aber die Wirklich- in diesen Tagen zur „Hauptstadt des Zusammenleben bestimmt und tragen keit muss gestaltet werden“, sagte Geistes“ geworden. „Auf den Straßen alle die Verantwortung für die Kunst Marx: „Der Markt an sich ist blind, er war nicht das laute Marschieren von des Zusammenlebens. In der heutigen sieht nicht die Armen, die Familien, Soldaten zu hören, sondern die sanften Zeit hat sich der Dialog als intelligente die Kranken, die Nicht-Produktiven.“ Schritte der Gottessucher und Frie- und friedliche Waffe erwiesen. Er ist Damit Wirtschaft und Finanzmärkte denspilger.“ Die dabei erfahrene Kraft die Antwort auf die Prediger des Ter- ihrem eigentlichen Zweck, dem Men- werde „das Feuer des Krieges aus- rors, die sogar die Worte der Religio- schen zu dienen erfüllten, brauche löschen“. Das kommende Jahrzehnt nen verwenden, um Hass zu verbreiten es Rahmen und Regularien: „Ohne möge Frieden bringen in einer Welt, und die Welt zu spalten. Nichts ist ver- diese Rahmen dient der Markt nicht „welche die Armen gerechter behan- loren mit dem Dialog. Hier in München dem Gemeinwohl, sondern führt zur delt, in der die Reichen lernen, genüg- haben wir die Sprache des Dialogs und Zerstörung.“ Europa könne als posi- sam zu sein, und sich wirklich an der der Freundschaft gesprochen. Denn tives Beispiel vorangehen und zeigen, Armutsbekämpfung zu beteiligen“. kein Mann, keine Frau und kein Volk „was es bedeutet, die Wirtschaft so ist eine Insel, es gibt nur ein Schicksal, zu gestalten, dass sie der Mensch- Auszug aus dem gemeinsamen ein gemeinsames Schicksal.“ heit dient“. Friedensappell Der deutsche Finanzminister, ie Versuchung ist groß, ver- Die Einladung zum nächsten Wolfgang Schäuble, wies bei diesem „Dschlossen zu leben und auch Friedenstreffen nach Sarajewo Podium darauf hin, dass die anglo- die Religionen zur Abgrenzung zu Der Großmufti von Bosnien und amerikanische Idee vom grenzenlo- benutzen. Diese Versuchung hat sich Herzegowina Mustafa Ceric und und sen und nicht regulierten globalen durch die Weltwirtschaftskrise noch Pero Sudar, der katholische Weihbi- Markt gescheitert sei. Finanz- und zugespitzt. Die Welt scheint teilwei- schof von Sarajewo, luden am Schluss Schuldenkrise zeigten katastrophale se das Bewusstsein der eigenen Be- der Veranstaltung unter großem Bei- Folgen für die schwächeren Länder grenztheit verloren zu haben. Sie neigt fall am Marienplatz zum 26. Internati- und machten selbst vor den hochent- häufig dazu, mehr das Trennende zu onalen Friedenstreffen der Weltreligi- wickelten Industriestaaten nicht halt. suchen, als die Sympathie gegenüber onen 2012 nach Sarajewo ein. Welche Die Finanzmärkte brauchten klare dem anderen. Sie achtet mehr auf die Symbolkraft: Die Einladenden sind ein Regeln. Der italienische Finanzminis- Bedürfnisse des Ich als auf das Ge- Muslim und ein Christ. ❏ ter Giulio Tremonti, ein enger Freund von Sant’Egidio, sah ohne die Auf- gabe weiterer nationaler Rechte im Finanz- und Wirtschaftsektor keine Kurznachrichten Chance, die gegenwärtigen Probleme Friedenstreffen in Assisi zu lösen. Die Finanz- und Wirtschaft- ilger unterschiedlicher Glaubenszugehörigkeit sind Anfang November krise sei eine Chance, für Europa wei- Pnach Assisi gekommen, um an dem „Tag der Reflexion, des Dialogs und terzukommen. des Gebets für den Frieden und die Gerechtigkeit in der Welt“ teilzuneh- men. Das Friedenstreffen der „Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens“ wurde einheitlich als „historischer Moment von großer Bedeutung“ beurteilt. Schlussveranstaltung und Friedensappell Eine hinduistische Nonne, die in einen orangefarbenen Sari gewandet it einem Friedensappell ist am ist, erläuterte: „Ich fühle mich Papst Benedikt sehr verbunden. Dieser Tag MDienstagabend auf dem Mari- ist eine wundervolle Geste des Papstes und eine Botschaft der Hoffnung enplatz in München vor ca. 10. 000 und des Friedens. Von den vielen schönen Worten, die ich hörte, hat mich Teilnehmern das dreitägige Treffen nachhaltig der Gedanke an einen Gott beeindruckt, der Liebe bedeutet. zu Ende gegangen. In dem von rund Das Wort „Liebe“ vereint alle Menschen“. ❏ (ZENIT) 200 Religionsführern unterzeichne-

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 11 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Demokratische Republik Kongo Jean-Claude Kibala – ein Porträt Versuch, das Chaos im Süd-Kivu zu beherrschen

ean-Claude Kibala wurde am 3. Kivu und Verantwortlicher für Fi- Kleptokratie sind weit verbreitet. 70 JJuni 1965 im Kamituga in der Pro- nanzen und Verwaltung. Eine schier Prozent der Bevölkerung lebt in ir- vinz Süd-Kivu geboren. Er absolvierte unlösbare Aufgabe: Teilweise ausblei- gendeiner Form von der Ausbeutung ein Architekturstudium in der Haupt- bende Zahlungen aus der Hauptstadt von Mineralien, aber der Reichtum stadt der DR Kongo. Im Rahmen der Kinshasa, Plünderung und Vergewal- des Landes verschwindet in dunklen Kanälen, wobei die Zwischenhändler und außerkongolesischen Abnehmer den eigentlichen Gewinn machen. Die Provinzregierung versucht dem unre- gulierten Abbau von Mineralien, wie Coltan und Zinn ein Ende zu berei- ten, was nicht ganz einfach ist, weil es im Süd-Kivu zahlreiche Rebellen- gruppen gibt, die als Zwischenhändler fungieren. Das benachbarte Ausland – insbesondere Ruanda – scheint in diese Geschäfte verwickelt. Die Gren- zen sind praktisch nicht zu überwa- chen. Kibala versuch,t in dieses Cha- os Ordnung zu bringen. Er hat den Spitznamen „l’allemand“, weil er mit deutscher Gründlichkeit und afrikani- schen Pragmatismus die anfallenden Probleme lösen will. Das hat ihm Be- wunderung aber auch Misstrauen ein- „Militärischen Ausbildungshilfe“ tigung von Teilen der 14. Brigade der gebracht. Er hat sich bei der Korrup- (MAH) wurde er in Deutschland von offiziellen aus ehemaligen Rebellen- tionsbekämpfung nicht nur Freunde 1989 bis 1992 bei der Bundeswehr gruppen zusammengewürfelten Solda- gemacht und wird deshalb auch mit von zum Offizier ausgebildet. An- ten (Brassage) der regulären kongole- dem Tode bedroht. Selbst Teller, Tas- schließend durchlief er erfolgreich sischen Armee, weil ihnen wieder ein- se und Besteck hat Jean-Claude Ki- von 1992 bis 1996 ein Studium im mal der Sold nicht ausgezahlt wurde. bala immer dabei. Er isst nicht gern, Bauingenieurwesen an der Bundes- Durch unregelmäßige Zahlungen aus was Fremde ihm vorsetzen. Vergiften wehrhochschule in München. Auf Kinshasa sind auch die Lehrer und ist im Kongo eine beliebte Methode, Grund der veränderten Sicherheitsla- die übrigen öffentlichen Angestellten unbequeme Politiker aus dem Wege ge in seiner afrikanischen Heimat zog betroffen, deren Zahl unüberschau- zu räumen. Kabila will auf keinen Fall er es vor als Bauingenieur in Deutsch- bar ist und die auf irgendwelchen aufgeben. ❏ land zu arbeiten, zunächst im Hoch- Gehaltslisten stehen. Korruption und (Text und Foto: Klaus Liebetanz) und Tiefbauamt in Troisdorf bei Bonn und später bei der Deutschen Bahn. Er ist mit einer Deutschen verheiratet und hat zwei Söhne. Seit 2006 hält es ihn nach 17 Jahren persönlicher und Kurznachrichten beruflicher Erfahrung mit der Demo- kratie in Deutschland nicht mehr in Wahlen im Kongo seiner zweiten Heimat. Er will bei de- m 27. November fanden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in mokratischen Aufbruch in seiner kon- Ader Demokratischen Republik Kongo statt. Am Wahltag selbst war von golesischen Heimat dabei sein und Unruhen und größeren Unregelmäßigkeiten die Rede. Die Bekanntgabe der bewirbt sich als unabhängiger Parla- vorläufigen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl ist für den 6. Dezember ge- mentskandidat im Wahlkreis Mwenga/ plant. Die Vereinten Nationen haben vor Gewaltausbrüchen gewarnt. Da es Süd-Kivu. Seine Familie unterstützt bei der Präsidentschaftswahl nur noch einen Wahlgang gibt, sind Konflikte ihn dabei und bleibt aus Sicherheits- um das Ergebnis quasi vorprogrammiert. Zur Absicherung der letzten Wahl in gründen in Deutschland. Seit 2008 Kongo war auch ein Kontingent der Bundeswehr eingesetzt worden. ❏ (BB) ist Kibala Vizegouverneur im Süd-

12 AUFTRAGAUFTRAG28 2844 • DEZDEZEMBEREMBER 2011 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Salzburger Hochschulwochen 2011 Sicher – unsicher (I)

VON BERTRAM BASTIAN

om 1.August bis zum 7.August 2011 fand in Salzburg die 80. Hochschulwochen unter diesem Thema statt. Ein Workshop für Studierende am Freitag- und Samstagnachmittag wurde von Militärpfarrer Armin VGöllner unter dem Titel abgehalten: „Leben in einer bedrohten Welt – Wenn Weltpolitik plötzlich im eige- nen Leben spürbar wird“. Die Gemeinschaft Katholischer Soldaten hatte drei jungen Soldaten durch Übernah- me eines Teils der Kosten die Teilnahme an dieser Woche ermöglicht.

ach dem Gottesdienst in der Kir- Das Thema des Individuums be- dig verspräche, durch Wellness eine Nche St. Peter eröffnete in der Aula schäftigte den zweiten Vortragenden Kompensation zu erreichen, um so- der Obmann der Hochschulwochen, an diesen Tagen, Prof. Dr. Matthias mit das Glücklichsein als Lebensziel Univ.-Prof. Dr. Gregor Maria Hoff Sellman aus Bochum. Er trug un- des Individuums darzustellen, böte die 80. Salzburger Hochschulwochen. ter dem Thema vor. „Von der Unsi- die Religion dem Individuum eine Montag und Dienstag wurde von der cherheit, individuell sein zu wollen“. Vollinklusion an, eine allumfassende Individualisierung der europäischen Im ersten Teil führte er die negative Anerkennung in dem System Glau- Gesellschaft und die Angst davor ge- Freiheit vor, denn die Freiheiten als ben. Damit würde das persönliche sprochen. Prof. Dr. Lieven Boeve aus Erbe der Aufklärung wurden erkämpft Glück zu einem Nebeneffekt der Bio- Belgien trug zum Thema vor: „Christ- und führten zu Unsicherheiten, dass graphie des Einzelnen und nicht des- licher Glaube in einer Zeit der Verun- diese Errungenschaften auch wieder sen Ziel. „Christsein ist kein Regen- sicherung: Theologie, Kirche und die „weggenommen“ werden könnten. schirm gegen die Unbill des Wetters, Angst vor dem Risiko“. Er stellte dar, Der Mensch löste sich in der Betrach- sondern die Erkenntnis, dass man wie sich die westlichen Gesellschaf- tungsweise vom „Gottähnlichen“ zum im Regen tanzen kann“ führte der ten von der Tradition weg hinbewegt „kleinen Rädchen“, welches funktio- Professor anschaulich vor. In den am hätten zu einer Individualisierung. niere und dabei seine Individualität Nachmittag folgenden Diskussionen Man gehöre nicht mehr aufgrund Her- verlöre. Erst durch gewolltes „An- über die beiden Vorträge wurden die kunft und Bildung zu einem Milieu derssein“ erwüchse wieder eine Art Thesen von den Vortragenden mit sondern „jeder sei seines Glückes von Individualität. Ansonsten müsse den Zuhörern vertieft. Am Abend Schmied“. Jedoch führe dies zu einem man seine Rolle spielen, führte Prof. beim Treffen der Kooperationsver- „alleinsein“, das nicht mehr geprägt Sellmann aus. Hier sei jetzt die Re- bände trug Professor Stüwe von der sei durch die Erzählungen, die Tradi- ligion – und gerade das Christsein – Katholischen Universität Eichstätt- tionen und somit wüchsen die Ängste. eine herausragende Chance. Während Ingolstadt vor, dessen Vortrag nach- Europa könne nur bestehen, wenn es die Werbung den Menschen vollmun- stehend abgedruckt ist. ❏ sich wieder auf die christliche Identi- tät wieder entdecke, die ja den Glau- ben in der Gemeinschaft leben würde und somit wieder Sicherheit für den Einzelnen schaffen würde. Im zweiten Kurznachrichten teil seiner Vorlesung betrachtete Prof. Boeve die These der Theologie der Besonderer Dank an Soldaten im Auslandseinsatz Unterbrechung. Nachdem bisher die undespräsident Christian Wulff hat die Bundeswehrsoldaten im Aus- Religion immer aus der Historie ge- Blandseinsatz in einem „Weihnachtsgruß“ gewürdigt. In Afghanistan wachsen betrachtet wurde, sei durch seien die deutschen Soldatinnen und Soldaten auch ein Zeichen der Hoff- die kontextuelle Unterbrechung der nung, so Wulff. Dort stünden sie für viele Menschen für die Chance auf ein Theologie eine neue Art der Theologie Leben in Freiheit und persönlicher Selbsterfüllung. Diese Hoffnung für das entstanden, wobei die Unterbrechun- afghanische Volk habe sich bereits ein Stück weit erfüllt, wie er bei seinem gen immer der Rückbesinnung auf Besuch in Afghanistan gesehen habe. Bei seinen Gesprächen mit afghani- die ursprünglichen christlichen Wer- schen Bürgern habe er gespürt, „wie groß die Sorge ist, alleine gelassen zu te dienen sollte. Somit eine Art von werden“, erklärte der Bundespräsident. „Neujustierung“ des Glaubens, um Gerade die deutschen Streitkräfte wüssten jedoch, dass allein militärisch falschen Entwicklungen vorzubeugen. weder der Friede noch eine stabile Demokratie erreichbar seien. Dafür sei- Am Beispiel von Jesus Christus, der en ein Zusammenwirken von militärischem Schutz, Politik, zivilem Engage- die geschlossenen jüdische Gemein- ment, Entwicklungszusammenarbeit und Dialog der Kulturen erforderlich. schaft unterbrach und zur offene Ge- In vielen Begegnungen mit Soldaten habe er festgestellt, dass sie dies nicht sellschaft der Christen führte, belegte nur wüssten, sondern auch danach handelten. (KNA) Prof. Boeve seine These.

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 13 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Treffen der Kooperationsverbände Zur Dynamik des Sicherheitsbegriffs im modernen Staat Risiken, Gefahren und der Wunsch nach Sicherheit

VON KLAUS STÜWE1

n der menschlichen Gesellschaft sich vor diesen Gefahren zu schüt- Nutzenabwägung und der Furcht vor Ikönnen Bedrohungen und Gefah- zen, ohne Furcht leben zu können und der Unsicherheit des Naturzustands. ren durch die unterschiedlichsten damit einen Zustand der Sicherheit3 Durch den Gesellschaftsvertrag Faktoren entstehen. Zum einen sind zu erreichen. In der modernen Ge- übertragen nach Hobbes alle Indivi- wir Risiken ausgesetzt, die durch sellschaft ist es vor allem der Staat, duen ihre Rechte auf einen Souverän, äußere Einflüsse gewissermaßen der dieses Sicherheitsbedürfnis sei- der unabhängig von ihnen regieren schicksalhaft entstehen. Dazu gehö- ner Bürger befriedigen soll. Die Ge- kann, solange er ihnen Sicherheit ren Naturkatastrophen, Hungersnöte währleistung von Sicherheit kann als garantiert. Dieser Souverän bekommt und Krankheiten. Andere Gefahren raison d’être des modernen Staates4 alle Macht. Durch die ihm zuerkann- entstehen durch gezielte Übergriffe bezeichnet werden. te Autorität ist er in der Lage, „alle anderer Menschen: durch Einbre- Diesem Sicherungszweck wohnt Bürger zum Frieden und zu gegensei- cher, Computerhacker, Terroristen eine gewisse Dynamik inne: Der mo- tiger Hilfe gegen auswärtige Feinde oder durch Angriffskriege. Eine drit- derne Verfassungsstaat, wie wir ihn zu zwingen.“ Er herrscht mit unein- te Kategorie von Risiken wird durch heute kennen, beruht auf einer im- geschränkter Gewalt, der sich alle zu menschliche Fehler verursacht, z.B. mer weiter voranschreitenden und unterwerfen haben. durch den Sicherheitstechniker, der immer mehr Bereiche erfassenden Der moderne, neuzeitliche Staat den Riss in der Turbine eines Ver- Fortentwicklung staatlicher Siche- wird demnach zuallererst durch seine kehrsflugzeugs übersieht. Schließ- rungsaufgaben. Sicherungsfunktion legitimiert6. Er lich sind es manchmal die Menschen ist, in den Worten von Theodor Heuss, selbst, die sich bewusst riskant ver- Der Staat als Gewährleister innerer der „Domestizierer“ und „Befrieder“ halten und dabei sich oder andere und äußerer Sicherheit des Menschen7. Er stellt Regeln auf, gefährden. Dazu gehört der Raser auf deengeschichtlich betrachtet, war die das friedliche Zusammenleben der Autobahn, aber auch der Ketten- Ies vor allem der politische Theo- der Menschen garantieren sollen und raucher, der die Folgen seines Niko- retiker Thomas Hobbes (1588-1679), sieht Sanktionen für den Regelbre- tinkonsums in Kauf nimmt. Der fran- der uns an der Wende zur Neuzeit die cher vor. Er schützt das Leben und zösische Soziologe David Le Breton Augen dafür öffnete, dass es der Ba- die Güter seiner Bürger und unter- diagnostizierte darüber hinaus bereits siszweck des Staates ist, das friedli- bindet durch seine Sicherheitsorga- vor zwanzig Jahren eine zunehmende che Zusammenleben der Menschen ne die Androhung und Anwendung „Lust am Risiko“ auch beim Durch- zu sichern. In seinem Hauptwerk von privater Gewalt. Mit Recht wur- schnittsbürger und benannte dabei Leviathan5 von 1651 geht Hobbes de daher die Sorge für den inneren „Bungee-Jumping“ und andere Ar- davon aus, dass die politische Ord- Frieden als „primäre Staatsaufgabe“8 ten, das Schicksal herauszufordern2. nung durch einen rational begründe- bezeichnet. Das Bundesverfassungs- Die Aufzählung dieser Risiko- ten Vertrag geschaffen wird, um den gericht spricht vom „fundamentalen faktoren macht deutlich, dass Bedro- Krieg aller gegen alle, der im Natur- Staatszweck der Sicherheit“9, der Ver- hungen und Gefahren unvermeidlich zustand herrschte, zu überwinden. fassungsrechtler Josef Isensee gar von zur menschlichen Existenz gehören. Der Staat ist nicht – wie die antike einem „Grundrecht auf Sicherheit“10. Hieraus erwächst letztlich das ele- Philosophie geglaubt hatte – Fol- mentare Bedürfnis der Menschen, ge der natürlichen Geselligkeit der 6 Vgl. Wolfgang Cremer, Menschen, sondern Ergebnis einer Freiheitsgrundrechte: Funktionen und 1 Prof. Dr. Klaus Stüwe lehrt Strukturen. Tübingen 2003, S. 259. Politikwissenschaft an der Katholischen 7 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU). 3 Zum Begriff der Sicherheit vgl. Franz- (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat Seine Forschungsschwerpunkte Xaver Kaufmann, Sicherheit als soziolo- 1948-1949. Band 5/1, Boppard am sind die politischen Systeme gisches und sozialpolitisches Problem. Rhein 1993, S. 71. Deutschlands und der USA, Stuttgart (2. Aufl .) 1973, S. 6 ff. 8 Kurt Eichenberger, Die Sorge für Vergleichende Politikwissenschaft, 4 Klaus Stüwe, Innere Sicherheit im den inneren Frieden als primäre Verfassungsgerichtsbarkeit und Bundesstaat, in: Klaus Detterbeck, Staatsaufgabe, in: Ders., Der Staat der politische Kommunikation. Er ist Wolfgang Renzsch und Stefan Schieren Gegenwart. Tübingen 1980, S. 73 ff. Leiter des Studiengangs „Politik und (Hrsg.), Föderalismus in Deutschland. 9 BVerfG, 1 BvR 518/02 vom 4.4.2006, Gesellschaft“ an der KU und Mitglied München 2010, S. 293. bsatz-Nr. 128. im Zentralkomitee der deutschen 5 Thomas Hobbes, Leviathan. Erster 10 Josef Isensee, Das Grundrecht auf Katholiken. und zweiter Teil (Reclams Universal- Sicherheit. Zu den Schutzpfl ichten des 2 David de Breton, Passions du risque. Bibliothek Nr. 8348). Stuttgart 1998 freiheitlichen Verfassungsstaates. Berlin Paris 1991. (übersetzt von Jacob Peter Mayer). u.a. 1983.

14 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Auch nach außen hat der moder- die größte Gefahr, die dem neu ge- 20 des Grundgesetzes der Bundesre- ne Staat eine Sicherheitsfunktion. gründeten Gemeinwesen droht, der publik Deutschland. Eigens einge- Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts Missbrauch der übertragenen Macht richtete Verfassungsgerichte wie das stellt Sicherheit einen „Grundbegriff“ ist, schlägt Locke eine Aufteilung Bundesverfassungsgericht in Karls- der Außen- und Militärpolitik sowie staatlicher Gewalt auf mehrere Träger ruhe sollen die Freiheit und die Rech- des Völkerrechts dar11. Der Staat sorgt vor. Dieser Gedanke der Gewaltentei- te der Bürger auch institutionell ge- für die Verteidigung gegen Angriffe lung wurde von Charles de Montes- währleisten. anderer Staaten; er betreibt „Sicher- quieu (1689-1755) ein Jahrhundert Beide Aspekte – der Schutz der heitspolitik“, indem er außenpoli- später in seinem Werk „De l’esprit Bürger voreinander durch den Staat tisch agiert; Abkommen und Bünd- des lois“ (1748) aufgegriffen und (Sicherheit) und der Bürger gegen nisse zwischen Staaten sollen „kol- in die bis heute vertraute Form ge- den Staat (Freiheit) – sind zentrale lektive Sicherheit“ gewährleisten. bracht. Legislative, Exekutive und Themen geblieben, die sich „wie ein Je international vernetzter ein Staat Judikative teilen sich demnach die rotes Band durch die moderne Staats- ist, desto umfassender wird auch sein Staatsgewalt und kontrollieren sich und Verfassungsgeschichte ziehen“16. außenpolitisches Sicherheitsinteres- gegenseitig. Die Suche nach der rechten Balance se. Der ehemalige deutsche Verteidi- Während also der Staat des Tho- zwischen Sicherheit und Freiheit ist gungsminister Peter Struck brachte mas Hobbes Sicherheit garantiert, eine der Grundkonstanten moderner diese Tatsache in einer Regierungs- indem er Macht bei sich konzent- Staatlichkeit. erklärung des Jahres 2004 auf den riert und monopolisiert, wird bei Lo- Punkt, als er sagte: „Unsere Sicher- cke und Montesquieu die Macht des Der Staat als Gewährleister heit wird nicht nur, aber auch am Hin- Staates zur Vermeidung von Miss- sozialer Sicherheit dukusch verteidigt“12. Das Beispiel brauch „eingehegt“14 und kontrol- it der im 19. Jahrhundert einset- Afghanistan zeigt darüber hinaus, liert. Der Einzelne soll nicht nur Mzenden Industrialisierung ent- dass unsere Sicherheit seit einigen vor Übergriffen durch seine Mit- stand eine neue Gefährdungslage. Jahren noch anderen Bedrohungs- menschen geschützt werden, son- Nun galt es, der Furcht der Menschen lagen ausgesetzt ist. Der internatio- dern auch vor Übergriffen des Staa- vor den wirtschaftlichen und sozialen nale Terrorismus ist zu einer großen tes selbst. Durch diese Konstruktion Risiken des Lebens zu begegnen. Der Herausforderung für die Gefahrenab- soll der Staat selbst zum Garanten moderne Staat nahm auch dieses Ver- wehrfunktion des Staates geworden. der Freiheit werden. Der Sinn des auf langen nach Sicherheit auf: Er wan- Rechtsschutz angelegten Zwecks des delte sich zum Sozialstaat. Die Ur- Der Staat als Gewährleister von Freiheit liberalen Rechtsstaats wurde bereits sachen und Motive für den Beginn und Rechtssicherheit im 19. Jahrhundert durch den Begriff sozialpolitischer Aktivitäten durch Der hobbesianische Staat kann der „Rechtssicherheit“ wiedergege- den Staat waren vielfältig. Die Mo- zwar seine Bürger vor Gefahren schüt- ben. So hieß es in Meyers Konversa- dernisierung der Gesellschafts- und zen, aber er kann auch selbst zu einer tionslexikon des Jahres 1858: „Die Wirtschaftsordnung hatte im Ver- Bedrohung werden. Selbst demokrati- rechtliche Sicherheit ist einer der gro- lauf des 19. Jahrhunderts nicht nur sche Verfassungsstaaten sind ständig ßen Hauptzwecke des Staates, ja in zur politischen und ökonomischen in Versuchung, die Freiheit ihrer Bür- gewisser Hinsicht sein Hauptzweck Emanzipation vor allem bürgerlicher ger unter Berufung auf Sicherheits- selbst. Die Rechtssicherheit in ih- Bevölkerungsschichten geführt. Mit zwecke unangemessen einzuschrän- rem ganzen Umfange wird stets nur dem Untergang der alten ständischen ken und zu gefährden. Im Gegensatz das Eigentum freier Staaten sein.“15 Ordnung gingen auch traditionelle zu Hobbes erkannte der Politiktheo- Diese Annahmen fanden freilich Fürsorgestrukturen verloren wie die retiker John Locke (1632-1704) die- erst im Verlauf des 19. und 20. Jahr- Großfamilie, das Zunftwesen oder se Ambivalenz der Staatszwecks Si- hunderts Eingang in konkrete poli- die Bindung an den Gutsherrn. Das cherheit. In seinem Second Treatise tische Praxis. Eine gewaltenteilige machte Risiken wie Alter, Krankheit, of Government (1689) geht er eben- Staatsorganisation und insbesondere Unfall oder Behinderung zu einer un- falls davon aus, dass die Menschen die Gewährleistung von Menschen- mittelbaren Existenzbedrohung. Zu- durch Vertrag „politische oder bür- und Bürgerrechten als Abwehrrechte gleich brachte der ökonomische und gerliche Gesellschaften“13 gründen, gegen den Staat sollen in den moder- gesellschaftliche Transformationspro- damit ihre Freiheit, ihr Leben und ihr nen Verfassungsstaaten das Bedürfnis zess neue soziale Probleme in Form Eigentum gegenüber den Übergriffen des Einzelnen nach Sicherheit gegen- von Massenarbeitslosigkeit, Massen- anderer verteidigt werden. Da aber über staatlichen Eingriffen gewähr- armut, miserablen Arbeitsbedingun- leisten. Manifest wird dies z.B. in der gen und extremer Wohnungsnot. 11 Werner Conze, Sicherheit, in: Otto Festschreibung der Gewaltenteilung Brunner, Werner Conze und Reinhart 16 Gert-Joachim Gläßner, Sicherheit in Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche und des Rechtsstaatsprinzips in Art. Freiheit, in: APuZ B 10-11 (2002), S. 3; Grundbegriffe. Stuttgart 1984 (Ausgabe vgl. auch Erhard Denninger, Sicherheit 2004), S. 834. 14 Gert-Joachim Gläßner, Sicherheit in – Vielfalt – Solidarität: Ethisierung 12 Peter Struck, Regierungserklärung, Freiheit, in: APuZ B 10-11 (2002), S. 7. der Verfassung?, in: Ulrich K. Preuß Berlin, 11. März 2004. 15 Neues Conversations-Lexikon für alle (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung. Die 13 John Locke, Über die Regierung. Stände, Bd. 38. Hildburghausen 1858, Ordnung des Politischen, Frankfurt/M. Stuttgart 1974, S. 67. S. 1279, Art. „Sicherheit“. 1994, S. 115.

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 15 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Die Politisierung dieser sozia- der sozialen Not, sondern auch poli- Bereits in vormoderner Zeit hatten len Probleme und die Mobilisierung tisch. Seine Sozialpolitik machte ihn politische Gemeinwesen für die Ver- der Arbeiter in Gewerkschaften und so populär, dass ihn das amerikani- sorgung ihrer Bürger mit lebenswich- sozialdemokratischen Parteien führ- sche Volk insgesamt vier Mal in das tigen Ressourcen gesorgt. Doch seit ten zu einer Sensibilisierung der po- Präsidentenamt wählte. Schon damals etwa 40 Jahren lösen die immer knap- litischen Eliten. Als erstes Land re- zeichnete sich ab, dass das Thema so- per werdenden fossilen Energieträger agierte das Deutsche Reich unter ziale Sicherheit in den Demokratien in denjenigen Staaten, deren Wohl- Reichskanzler Bismarck auf die neu- der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- stand und Lebensstil maßgeblich von en Bedingungen, indem es in rascher derts zu einem politischen Argument ihnen abhängen, zunehmende Bedro- Folge Pflichtversicherungen gegen werden würde: Mit dem Versprechen hungsängste aus. Staaten reagieren Krankheit (1883), industrielle Unfäl- sozialer Sicherheit waren Wahlen zu darauf, indem sie ihre Außen- und le (1884) sowie Invalidität und Alter gewinnen. Verteidigungspolitik verstärkt auch (1889) errichtete. Schon aus diesem Grund hat- auf die Sicherung der Rohstoffver- In anderen Ländern Europas fass- te der Sozialstaat in den westlichen sorgung ausweiten. te der moderne Sozialstaat nur wenig Demokratien eine gleichsam auto- Eng damit verknüpft ist die Pro- später Fuß. Die Einführung der sozi- matische Expansionstendenz. Die blematik der Energiesicherheit, die alen Sicherungssysteme folgte meist staatliche Sozialpolitik, die im 19. sich ebenfalls zu einer bedeuten- einem bestimmten Rhythmus: Zu- Jahrhundert als eng begrenzte Ar- den Staatsaufgabe entwickelt hat. nächst wurde die Unfallversicherung beiter- und Armenpolitik begonnen In den nächsten Jahren werden die errichtet, anschließend der Schutz hatte, differenzierte sich im Verlauf Industriestaaten und erst recht die gegen Risiken des Alters, der Krank- des 20. Jahrhunderts in zahlreiche Schwellenländer trotz aller Sparziele heit und Invalidität, sodann mit er- Teilbereiche. Im Ergebnis entstand weiterhin einen enorm hohen Ener- heblicher Zeitverzögerung die Ar- ein weit ausgreifendes System der gieverbrauch haben. In Deutschland beitslosenversicherung und mit meist sozialen Sicherung, das nicht erst besteht hier durch den Anfang 2011 noch größerem Abstand die Sozialpo- bei existenzbedrohenden Notlagen beschlossenen schrittweisen Aus- litik für Familien. In den letzten Jahr- eingreift, sondern Einkommens-, Ver- stieg aus der Atomenergie besonde- zehnten des 20. Jahrhunderts kam in sorgungs- und Lebenslagen umfas- rer Handlungsbedarf. einigen Ländern der Aufbau einer send sichert19. Von der Frage der Energiesicher- Pflegeversicherung hinzu17. Erst seit Mitte der 1970er Jahre heit nicht zu trennen ist eine weitere Zu den Nachzüglern der Sozialpo- begannen Politik und Wissenschaft Sicherungsaufgabe des Staates, näm- litik zählten die USA. Die Amerika- sich mit den Grenzen des Sozialstaats lich der Umweltschutz. Im Angesicht ner entschlossen sich erst in der Welt- zu beschäftigen. Lang anhaltende Ar- der Furcht vor ihrer irreversiblen Zer- wirtschaftskrise Anfang der 1930er beitslosigkeit, geringere Wachstums- störung sorgt der Staat heute auch für Jahre mit der Politik des „New Deal“ raten der Wirtschaft, Finanzierungs- die Erhaltung und den Schutz der zu ersten Ansätzen des Aufbaus von probleme in den Sozialversicherun- natürlichen Lebensgrundlagen der sozialen Sicherungssystemen auf gen, hohe Staatsverschuldung sowie Menschen. In der Bundesrepublik nationaler Ebene. Präsident Frank- hohe Belastungen von Wirtschaft und besitzt diese Aufgabe seit 2002 so- lin D. Roosevelt verwendete im Jahr Arbeitnehmern durch Steuern und gar Verfassungsrang20. 1934 in einer Botschaft an den ame- Beiträge führten zu einem Ende der Der technologische Fortschritt rikanischen Kongress erstmals die Expansionsphase und zum Beginn ei- der Moderne machte schließlich auch Formel von der „Social Security“18. ner Stagnations- oder sogar partiellen Sicherheitsaktivitäten des Staates im Dieser ursprünglich rein US-ame- Kürzungsphase. Bereich der technischen Sicherheit rikanische Begriff der „Sozialen Si- notwendig21. Vor allem der zunehmen- cherheit“ setzte sich vom Ende der Neue Sicherheitsaufgaben des Staates de Verkehr erforderte Sicherheitsvor- 1930er Jahre an auch international it dem Fortschreiten der Moder- kehrungen. Immer mehr und schnel- sehr schnell durch. Mnisierung können inzwischen ler fahrende Kraftfahrzeuge zwangen Roosevelt hatte mit der Politik noch weitere Entwicklungsstufen der den Staat, regulierend in den Verkehr der sozialen Sicherheit großen Er- sicherheitsorientierten staatlichen einzugreifen und für Verkehrssicher- folg – nicht nur bei der Bekämpfung Aufgabenstellung beobachtet werden. heit zu sorgen. Staatliche Vorschriften Der moderne Staat nahm und nimmt zur Beherrschung und Minimierung 17 Zur Entwicklung des Sozialstaats vgl. Franz-Xaver Kaufmann, Varianten sich neu entstandenen Sicherheits- technischer Risiken sind heute aus des Wohlfahrtsstaats. Der deutsche belangen nämlich genauso an, wie dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sozialstaat im internationalen Vergleich. er sich den vorgelagerten elementa- Ob in der Luftfahrt, beim Arbeits- Frankfurt/M. 2003; zur Typologie moderner Sozialstaaten vgl. die ein- ren Sicherheitsbedürfnissen zu wid- schutz oder im Haushalt – überall ist fl ussreiche Arbeit von Gösta Esping- men hat. der Staat an der Gewährleistung von Andersen, The Three Worlds of Welfare So geht es seit langem auch um technischer Sicherheit durch die Auf- Capitalism. Princeton 1990. Ressourcen- und Rohstoffsicherheit. 18 Franklin D. Roosevelt, Message 20 Art. 20a GG. to Congress Reviewing the Broad 19 Gerhard Bäcker u.a, Sozialpolitik und 21 Franz-Xaver Kaufmann, Sicherheit als Objectives and Accomplishments of the soziale Lage in Deutschland. Wiesbaden soziologisches und sozialpolitisches Administration. June 8, 1934. (3. Aufl .), 2000, S. 35. Problem. Stuttgart 1970, S. 76.

16 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 GESELLSCHAFT NAH UND FERN stellung von technischen Standards Recht plädierte der frühere Präsi- chen Entwicklung erscheint jedoch und durch Sicherheitskontrollen ak- dent des Bundesverfassungsgerichts, ein über solche partiellen Leistungs- tiv beteiligt. Auch die Produktsicher- Hans-Jürgen Papier, dafür, dass der kürzungen hinausgehender Abbau heit ist in diesem Zusammenhang zu Sicherheitszweck des Staates „nicht sozialpolitischer Programme wenig nennen. gegen den liberalen, staatsbegrenzen- wahrscheinlich. Zu einem immer bedeutenderen den und freiheitsverbürgenden Zweck Drittens: Totale Sicherheit gibt Handlungsfeld des Staates hat sich des Rechtsstaats ausgespielt werden“ es nicht. Bedrohungen und Gefah- schließlich die Informations- und dürfe. Gerade unter dem Aspekt ter- ren gehören eben unvermeidlich zur Datensicherheit entwickelt. Mit dem roristischer Bedrohung kann diese menschlichen Existenz. Der Soziolo- rasanten Wachstum der Informations- Grenze jedoch leicht überschritten gie Ulrich Beck hat aufgezeigt: Je mo- technologie ist in den vergangenen werden. Das Bundesverfassungsge- derner und komplexer Gesellschaf- Jahren eine bis dahin unbekannte Be- richt hat zwar schon früh festgestellt: ten werden, desto größer werden die drohungslage entstanden. Ein Aspekt „Der Staat darf und muss terroristi- Risiken26. Diese kann der Staat zwar ist die Internetkriminalität22. Compu- schen Bestrebungen (...) mit den er- möglicherweise minimieren, aber terviren, Trojaner und Würmer dro- forderlichen rechtsstaatlichen Mit- ganz beseitigen kann er sie nicht. hen die auf Computer gespeicherten teln wirksam entgegentreten“24. Bei So wie im Straßenverkehr das Null- Daten und Programme zu löschen, der Wahl der Mittel zur Erfüllung die- risiko nur zu erreichen wäre, wenn Rechner zu lähmen oder außer Be- ser Schutzpflicht ist der Staat jedoch wir das Geschwindigkeitslimit auf trieb zu setzen; durch Phishing täu- auf diejenigen Mittel beschränkt, null Kilometer reduzierten, so könn- schen Hacker eine falsche Identität „deren Einsatz mit der Verfassung te das Risiko eines Terroranschlags vor, spionieren persönliche Daten aus in Einklang steht“25. Staatliche Maß- letztendlich nur ausgeschlossen wer- und greifen auf Bankkonten zu. Aber nahmen zur Terrorabwehr, wie sie den, wenn der Staat jedem einzelnen das IT-Zeitalter kennt auch globale nach dem 11. September 2001 auch Bürger einen Überwacher zuteilen Bedrohungslagen. Mit den seit 2005 in Deutschland beschlossen wurden würde27. Eine solche Vorstellung ist zunehmenden, zielgerichteten elek- – etwa der Große Lauschangriff, das absurd und wäre mit den Prinzipi- tronischen Angriffen auf Behörden Luftsicherheitsgesetz, die Antiterror- en einer freiheitlichen Demokratie und Wirtschaftsunternehmen werden Datei -, stehen deshalb stets unter nicht zu vereinbaren. Darüber hin- ganze Staaten bedroht. dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. aus müssen wir immer damit rechnen, Zur Abwehr solcher Gefahren des Sicherheit darf nicht zu Lasten der dass nach der Beseitigung von alten Computerzeitalters wird Schutz eben- Freiheit gehen. Bedrohungen neue Risiken entste- falls allenthalben durch den Staat er- Zweitens: Sicherheit hat ihren hen können. Inzwischen ist der Kal- wartet. In Deutschland wurde deshalb Preis. Dies gilt für innere und äu- te Krieg zu Ende und der Sozialstaat bereits im Jahr 1991 das „Bundes- ßere Sicherheit, aber mehr noch für hat ein beachtliches Niveau erreicht, amt für Sicherheit in der Informati- soziale Sicherheit. Sicherheit kos- aber auch das 21. Jahrhundert wird onstechnik“ in Bonn eingerichtet, im tet Geld, und mit der Ausdehnung trotz aller Sicherheitsanstrengungen April 2011 zudem ein „Nationales der Sicherheitsaufgaben des Staa- von Unsicherheit geprägt sein. Glo- Cyber-Abwehrzentrum“. tes sind parallel auch die Ausgaben bale Probleme wie der Klimawandel des Staates angestiegen – und zwar und die Bedrohung durch den inter- Sicher – unsicher. Grenzen der geradezu exponentiell. In Zeiten zu- nationalen Terrorismus stellen neue Sicherheitstätigkeit des Staates rückgehender Steuereinnahmen, von Gefährdungslagen dar. Und auch mit er menschliche Wunsch, sich si- Haushaltsdefiziten und Finanzkri- materiellen Existenzängsten werden Dcher fühlen zu können, steht in sen können Staaten freilich nicht weiterhin viele Menschen konfron- einem engen Zusammenhang mit der unendlich Ausgaben tätigen, son- tiert bleiben. Entstehung, Entwicklung und Aus- dern müssen über eine verantwort- Gerade dieser letzte Aspekt ver- weitung des modernen Staates. Doch liche Begrenzung nachdenken. Dies weist darauf, dass Sicherheit als nor- die dem Sicherungszweck des Staa- ist bekanntlich eine schwierige Auf- mativer Begriff stets eine psycho- tes innewohnende Dynamik hat ihre gabe: Gerade im Bereich der Ver- logisch-subje ktive Dimension be- Grenzen. Diese sollen abschließend teidigung können Sparmaßnahmen sitzt. Es wird immer eine Kluft ge- in drei Thesen angesprochen werden. schnell die Einsatzbereitschaft ge- ben zwischen objektiv bestimmbarer Erstens: „Die Erweiterung der fährden. Im Bereich der Sozialpoli- und vom Staat herstellbarer Sicher- staatlichen Zweckordnungen und tik haben die so genannten „Hartz“- heit und der subjektiven Empfindung Zweckdimensionen darf (...) in kei- Reformen in Deutschland haben zwar praktischer Unsicherheit. Wir müs- nem Fall zur Aufgabe der elementa- gezeigt, dass die politischen Akteure sen damit leben, dass hier auf Erden ren Sicherungszwecke führen“23. Mit durchaus in der Lage sind, partielle immer ein Rest Unsicherheit bleibt. Leistungskürzungen durchzusetzen. 22 Vgl. Markus Thiel, Die Entgrenzung Angesichts der breiten politischen 26 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf der Gefahrenabwehr. Tübingen 2011, S. Basis der bisherigen sozialstaatli- dem Weg in eine andere Moderne. 6-29. Frankfurt a.M. 1986. 23 Hans Jürgen Papier, Wie der Staat 24 BVerfGE 49, 24 (56). 27 Vgl. Rolf Dobelli, Warum wir für das Freiheit und Sicherheit vereint, in: Die 25 BVerfG, 1 BvR 518/02 vom 4.4.2006, Nullrisiko zu viel bezahlen, in: FAZ vom Welt vom 1.6.2008. Absatz-Nr. 130. 7.3.2011, S. 28.

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Salzburger Hochschulwochen 2011 Sicher – unsicher (II)

ie Vorlesungen am Mittwoch und DDonnerstag gehörten Prof. Dr. den: Unsicherheit sei eine Triebfeder Die Katholische Kirche habe eine an- Wolfgang Kromp, der das Thema „Ri- der menschlichen Entwicklung, aber dere Struktur als ein Wirtschaftsun- siko, Sicherheit und Zivilisation“ be- die Menschen könnten Unsicherheit ternehmen, führte Kopp aus. Es seien handelte und Prof.’in Dr. Regina Am- immer weniger ertragen. Somit sei die 27 eigenständige Bistümer, in denen micht Quinn, die mit Hamlet fest- Gratwanderung zwischen verantwor- jeweils der Ortsbischof die alleinige stellte: „Sei denn behutsam. Furcht tungsvollem politischem Handeln und Verantwortung trage. Ein Durchregie- gibt Sicherheit“: Fragen nach einer dem „Inkaufnehmen“ vertretbarer Ri- ren nach der Basta-Methode gäbe es in Ethik der Sicherheit. Prof. Kromp siken zur Herstellung von Sicherheit der Kirche nun mal nicht. Dafür habe betrachtete den Zustand unserer Ge- moralisch geboten. Die dazu notwen- die Kirche aber Gelassenheit und die sellschaft kritisch nach den Katast- digen Eingriffe in Freiheiten müssten Fähigkeit, ohne Hektik zu handeln. rophen von Fukushima und Tscher- durch die Grundfragen der Sicher- Dies sei gerade beim beginnenden nobyl. Bemerkenswert sei die Be- heitsethik vorgenommen werden, in- Gesprächsprozess wichtig, bei dem reitschaft höchste Risiken einzuge- dem es keinerlei Absolutsetzung der man am Anfang stehe und bis 2015 hen unter gleichzeitiger Forderung Sicherheitsbegriffe gäbe, die Angst- in „geordneter Haltung“ zu einem Er- nach größtmöglicher Sicherheit. Ein diskussion von der Sicherheitsdiskus- gebnis kommen werde. Er beendete nicht aufzulösendes Paradoxon, wel- sion entkoppelt würde und eine Inte- seine Ausführungen mit fünf Thesen: ches aber vielen Mitbürgerinnen und gration von Sicherheitsfragen in die Kirche muss mehr Themen wagen, Mitbürgern den Blick auf das eigent- Rechts- und Wertediskurse der Ge- eine bessere Strategie entwickeln, liche Problem, die Endlichkeit un- sellschaft stattfände. Dann, so schloss um die Interpretationshoheit über die serer Ressourcen, verstellen würde. Regina Ammicht Quinn ihren Vortrag, Themen zu wahren, mehr Kommuni- Unbekümmert würde seit der Urzeit gelte das Wort des Aristoteles:“ Die kation und Ehrlichkeit wagen, eine immer nur dem Heute gelebt und die Tugend des Bürgers ist es, regiert zu klarere Sprache sprechen, damit die Zukunft nicht gebührend betrachtet werden und regieren zu können“. Gläubigen aber auch die Suchenden führte der Leiter des Institutes für Am Freitag und Samstag trugen sie verstehen und mehr Werbung wa- Sicherheit- und Risikowissenschaf- der Pressesprecher der Deutschen gen, denn die Botschaft, welche die ten aus. Der Weg der Menschheit zu Bischofskonferenz Matthias Kopp Kirche vermitteln solle, sei und blei- sogenannten Mega- und Hyperstädten zum Thema vor: „Sicher-unsicher. be gut und gültig. sei vorgezeichnet, die Probleme die- Warum wir Grund haben, von uns zu Maximilian Burger-Scheidlin ser „Menschenansammlungen“ aber reden. Zum Kommunikationsauftrag stellte gleich zu Beginn seines Vor- in keinster Weise beendete der Vor- der Kirche“ und Dr. Maximilian Bur- trages die Frage, ob die Wirtschaft tragende seinen Beitrag. ger-Scheidlin aus Wien zum Thema: böse sei oder böse gemacht worden Regina Ammicht Quinn führte „Wirtschaft und Ethik – ein Wider- sei. Er belegte mit anschaulichen Bei- aus, dass in früheren zeiten Sicherheit spruch?“. Matthias Kopp betonte wäh- spielen, wie anhand der Erhöhung der ein von Gott geschenktes Gut gewesen rend seines Vortrages, dass 90 % der Tabaksteuer der Schmuggel aufblüh- sei. Im Laufe der Zeit der Aufklärung, Medien korrekt und neutral über die te, teils mit Originalzigaretten, die in ganz besonders aber durch die Säkula- Katholische Kirche berichten würden, anderen Ländern mit geringeren Pro- risation ist Sicherheit aber zunehmend so dass hier kein Grund zum Jammern duktionskosten hergestellt wurden ein Produkt geworden. Dies bedeute, oder gar Medienschelte vorläge. Seit oder mit Plagiaten, die aber Giftstof- dass man Sicherheit produzieren kön- 2009 habe sich die Aufmerksamkeit fe enthielten und so die Gesundheit ne und dafür bezahlt werden müsse. aber verschoben. Waren die beherr- der Einwohner stärker schädigten als Sicherheit sei zur Handelsware ge- schenden Themen 2009 der Fall des der normale Tabakgenuss. Darüber- worden sagte Prof.’in Ammicht Quinn Bischofs Williamson, die Nicht-Wahl hinaus wird durch den organisierten weiter. Durch die Möglichkeit, perso- von Brockmann zum Präsidenten des Schmuggel Teile der Gesellschaft kor- nenbezogene Sicherheit zu erwerben, ZdK sowie das Papier der EKD über rumpiert, vom Zöllner, der wegschaut entstünde aber Ungerechtigkeit, denn die Ökumene, so war über die histo- bis zum Konsumenten, der Zigaretten wer mehr habe, könne sich mehr Si- rische Reise des Papstes nach Isra- ohne Steuerbanderole kauft. So werde cherheit leisten. Die Regierung als el kaum etwas zu lesen. Auch seien eine Abhängigkeit von der Kriminali- Garant für Sicherheit trete immer Fehleinschätzungen getroffen wor- tät geschaffen, sagte Burger-Scheid- mehr in den Hintergrund, erst bei Ka- den. Man habe zwar schon am ersten lin, die sicherlich nicht im Interesse tastrophen, die große Teile der Bevöl- Tag des Missbrauchskandals reagiert, des Staates sein könne. Am Beispiel kerung betreffe, würde der Ruf nach aber den Vorsitzenden der Deutschen der Schutzzölle Amerikas für seine „mehr Staat – mehr Sicherheit“ wieder Bischofskonferenz nicht gleich richtig Stahlindustrie wurden zwar 10.000 lauter, führte die Vortragende aus. So platziert, so dass Einzelmeinungen in Arbeitsplätze erhalten, dafür wurde sei das Sicherheitsparadoxon entstan- der Presse die Schlagzeilen füllten. aber die Automobilindustrie nicht

18 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 GESELLSCHAFT NAH UND FERN mehr wettbewerbsfähig mit all den trüge. Nicht der Kapitalismus sei das Ressourcenverbrauch sein. Wirtschaft Konsequenzen, die wir erlebt haben Problem, sondern die Handhabung und Ethik seien keine Widersprüche, und dem Vrlust von 30.000 Arbeits- des kapitalistischen Systems durch durch die richtigen Rahmenbedingun- plätzen. So sei es eine Gesetzmäßig- den Menschen, erleichtert durch fal- gen würden Friede und offene Märk- keit, dass jeder Schutz der eigenen sche Rahmenbedingungen der Poli- te Ethik schaffen, schloss der Redner Industrie oder der eigenen Agrarwirt- tik. Steuergesetze, die zur Ehrlichkeit seinen interessanten Vortrag. schaft an anderer Stelle Arbeitsplätze animieren, erhöhten das Einkommen, Über den Work-Shop des Mili- vernichte, Gesellschaften verarmen führte Burger-Scheidlin aus, ein mög- tärpfarrers Armin Göllner berichtet lasse und so zur Radikalisierung bei- licher Ausweg könnte eine Steuer auf nachfolgend ein Teilnehmer. ❏

Salzburger Hochschulwochen 2011 Leben in einer bedrohten Welt Wenn Weltpolitik plötzlich im eigenen Leben spürbar wird

VON PHILIPP WEBER

ilitärpfarrer Armin Göllner, der hat. Hier stellte man fest, dass fast genannten Themen noch nie ausein- Mden Workshop für Studierende niemand der Anwesenden eine kla- andergesetzt hatten – vertraten vor- hielt, ist zuständig für die Garnison re, zutreffende Vorstellung von den gefertigte Meinungen, die aufgrund in Stadtallendorf, einem Standort der Anforderungen an den soldatischen unhaltbarer Thesen oder großer Rea- Division Spezielle Operationen und nahm bereits an zwei ISAF-Einsät- zen teil. Unter anderem erlebte Mi- litärpfarrer Göllner dabei die Bom- bardierung der geraubten Tanklast- züge in der Nacht vom 04.09.2009 bei Kunduz. In seinem Workshop „Leben in einer bedrohten Welt – Wenn Welt- politik plötzlich im eigenen Leben spürbar wird“ ging der Militärgeistli- che unter dem Aspekt des allgemei- nen Sicherheitsgefühls darauf ein, wie man mit dem Umstand umgeht, wenn Sicherheitspolitik oder Weltpolitik auf einmal persönlich betroffen macht. Das Seminar begann daher mit einem Rückblick auf die Anschläge des 11. September 2001 und die folgenden NATO-Einsätze. Während des ersten Treffens am Freitag wurden Eindrük- Vom Fachsanitätszentrum Fritzlar nahmen die Hauptgefreiten Danut Palme ke gesammelt, wie jeder Teilnehmer (links) und David Obloncek an den Salzburger Hochschulwochen teil (hier den 11. September erlebt hat und wie während des Workshops) (Foto Sulzer, Salzburg) er in Erinnerung geblieben ist. Größtenteils wurde hierbei festge- Beruf hatte. Auch das Verständnis litätsferne nicht haltbar waren. Nach stellt, dass der Schock und die Bestür- und Wissen über Außen- und Sicher- diesen ersten Eindrücken am Frei- zung über den damaligen Terroran- heitspolitik war gering ausgeprägt, es tag verteilte Pfarrer Göllner einige schlag noch immer bei allen Teilneh- schin alles weit weg. Bis auf wenige Texte, welche den ISAF-Einsatz aus menden vorhanden ist. Die teilneh- Ausnahmen waren alle Teilnehmen- soldatischer Sicht und zu den ver- menden Soldaten gaben die Folgen, den an einem Austausch und einer schiedensten Themen beschrieben. was das für den Einzelnen bedeutete, neuen Sichtweise im Bezug auf Au- Darin schilderten Soldaten ihre Ein- aus ihrer Sicht wieder und erklärten ßen- und Sicherheitspolitik interes- drücke übe Land und Leute, Tod und aus militärischer Sicht, welche Ein- siert. Lediglich wenige der Teilneh- Verwundung oder einfach über den drücke man damals und auch heute mer – welche sich offensichtlich mit Alltag im Einsatzland. Aufgrund der

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Zeitvorgaben wurde nach 90 Minuten nes Auslandseinsatzes sind. Ebenso Verständnis für den Dienst des Sol- der Workshop unterbrochen und am wenig hatte man eine Vorstellung über daten zu bekommen – auch wenn am Samstag fortgesetzt. die Arbeit des Militärpfarrers im Ein- Ende des Workshops noch unzählige unbeantwortete und auch ungestellte Fragen im Raum standen. Neben dem Versuch den jungen Studenten einen Eindruck zu Einsatz, Sicherheits- und Außenpolitik sowie soldatischen All- tag zu vermitteln, gelang es vor al- lem durch die hervorragende Arbeit des Militärgeistlichen Verständnis für Soldaten, Bundeswehr, Einsatz und die damit zusammenhängenden Themen zu erzeugen. Am Ende des Workshops stand für alle Teilnehmer einstimmig fest, dass dieser Work- shop ein Erfolg war, da man in ein der Gesellschaft nur schwer zugäng- liches Thema einen kleinen Über- blick bekommen konnte und auch ein reger Austausch dazu stattfand. Die Teilnehmer äußerten sich alle sehr positiv über die Arbeit. Es bleibt zu hoffen, dass diese Meinung erhalten Rechts im Bild: Leutnant Philipp Weber, der Autor dieses Berichtes während der bleibt und dass die Teilnehmer hier Diskussion im Workshop neben einem Kommilitonen. (Foto Sulzer, Salzburg) als Multiplikatoren wirken werden. Zum Schluss und reflektierend zu Am Samstagsworkshop kamen satz und in Deutschland. Dabei ent- den Salzburger Tagen, muss Pfarrer nach Studium der ausgegebenen Lek- standen unter anderem Gespräche Göllner ausdrücklich gedankt wer- türe zum ersten mal Fragen zum Beruf über die Sinnhaftigkeit des soldati- den, für seine Vermittlungsarbeit, des Soldaten und des Militärseelsor- schen Berufs und vor Allem über die für seine Umsicht mit den Teilneh- gers auf. Der Großteil der Teilnehmer Legitimität des ISAF-Einsatzes. Die mern und auch die Gabe, kompli- konnte sich nicht vorstellen, was die Teilnehmer – großteils junge Frau- zierte Zusammenhänge einfach zu verschiedenen Aufträge während ei- en – begannen so nach und nach ein erklären. ❏

Gebet einer Äbtissin aus dem 17. Jahrhundert

ott, Du weißt besser als ich, dass ich altere und eines Tages alt sein werde. G Bewahre mich vor dem fatalen Glauben, ich müsse zu jeder frage und jeder Gelegenheit etwas sagen. Befreie mich von dem Bestreben, jedermanns Angelegenheiten in Ordnung bringen zu wollen. Mache mich teil- nahmsvoll aber nicht trübsinnig, lass mich helfen ohne zu bevormunden. Es ist jammerschade, dass mein großer Schatz an Lebenserfahrungen nicht voll genutzt werden kann; aber ei paar Freunde werde ich mir bis zum Ende meiner Tage erhalten müssen. Bewahre mich davor, endlos Einzelheiten aufzuzählen; gib mir Flügel, damit ich zum Wesentlichen komme. Verschließe meine Lippen für Berichte meiner Leiden und Gebrechen. Sie nehmen zu, die Neigung, von ihnen zu reden, wird mit den Jahren immer stärker. Ich wage nicht, um die Gnade zu bitten, die Leidensgeschichten anderer mit großem Interesse zu hören; aber hilf mir, sie mit Geduld zu ertragen. Ich wage auch nicht, um ein besseres Gedächtnis zu flehen, sondern um wachsende Geduld und verminderte Selbstsicherheit, wenn meine Erinnerungen mit denen anderer zusammenprallen. Lehre mich die glorreiche Erkenntnis, dass auch ich mich gelegentlich irren kann. Lass mich einigermaßen liebenswert bleiben. Ich möchte keine Heilige sein (mit manchen kann man so schwer auskommen!) – aber eine verbitterte Alte ist eines der Meisterwerke des Teufels. Verleihe mir die Fähigkeit, Gu- tes da zu entdecken, wo man es nicht vermutet und Talente an Menschen, denen man sie nicht zutraut. Und gib mir, o Herr, die Gnade, es ihnen zu sagen. Amen ❏ (Rainer Zink)

20 AUFTRAGAUFTRAG28 2844 • DEZDEZEMBEREMBER 2011 BILD DES SOLDATEN Ehemaliger Soldat ausgezeichnet

m 10.11.2011 wurde VVorher war er mehrfach im AHauptmann a.D. Günter AAuftrag der NATO in Kroa- Neuroth aus Weroth und wei- ttien und Bosnien sowie für teren Bundeswehrangehöri- died OSCE im Bürgerkrieg im gen in Berlin durch den Bot- KosovoK eingesetzt; als Mi- schafter der Republik Indone- litärbeobachterl der Verein- sien der „Satyalencana Dharma tent Nationen arbeitete er Nusa“ Orden verliehen. Der imi Kaukasus in Georgien/ pensionierte Berufssoldat hatte AbkazienA sowie zweimal im nach dem Helsinkiabkommen Sudan.S Über seine Einsät- 2005/2006 im Auftrag der EU- zez berichtet Günter Neuroth Kommission in der Planungs- iim AUFTRAG, so erschien abteilung der ACEH Monito- seins Bericht über die ACEH- ring Mission die Vorbereitung MissionM im AUFTRAG 265, und Durchführung der Entwaff- SSeite 28ff und sein Bericht nung der GAM-Rebellen so- üüber den Einsatz im Sudan wie die Rückführung der indo- imi AUFTRAG 273, Seite nesischen Spezialeinheiten in Zusammen mit Hauptmann a.D. Günter Neuroth 23ff. ❏ der Provinz ACEH in Sumatra (dritter von links) wurden weiter Angehörige der (Text und Foto: vorbereitet und durchgeführt. ehemaligen Mission Aceh ausgezeichnet Günter Neuroth)

„Vorbereitung auf die dritte Lebensphase“

ieses Seminar der Gemeinschaft der GKS, entführte uns Soldaten der aus ärztlicher Sicht. RAmtFr Clau- DKatholischer Soldaten (GKS) in Akademiedirektor Prof. Dr. Heimo dia Hartmann aus dem Bundeswehr- Verbindung mit der Erzdiözese Bam- Ertl und unsere Ehefrauen Pater Jo- Dienstleistungszentrum Ingolstadt berg wurde im Caritas Pirkheimer hannes Jeran SJ in eine außergewöhn- trug zum Versorgungs- und Sozialrecht Haus in Nürnberg im Oktober durch- liche Kennenlernrunde. Das Kennen- vor. Sie konnte viele Fragen zu ver- schieden Fällen der Versorgungsbezü- ge bis zum Beihilferecht beantworten. Als kultureller Teil wurden wir von Ursula Gölzen durch das sehenswerte Zentrum Nürnbergs geführt. Zwischenzeitlich lockerte H eimo Ertl uns mit Kurzgeschichten á la „Reisender ohne Fahrkarte“ auf. Wir haben viele Gespräche über unsere Zukunft im Ruhestand geführt. Mit unseren Frauen haben wir Hoffnungen und Befürchtungen diskutiert, haben über „loslassen“ und sich „einlas- sen“ gesprochen. Ein weiteres Thema geführt. Wir Soldaten reisten mit un- lernen wurde anschließend im Wein- war „Nicht auf die lange Bank schie- seren Ehefrauen aus vielen Berei- keller vertieft. Der weitere Verlauf ben…“, Heimo Ertl gab Anregungen chen und Standorten nach Nürnberg, des Seminars wurde von Heimo Ertl zu Vorsorge durch Vollmacht, Betreu- gespannt, was uns erwarten würde. in unnachahmlicher Weise humorvoll ungs- und Patientenverfügungen. Das Caritas Pirkheimer Haus liegt und kurzweilig gestaltet. Im Morgen- Am Sonntag nach der Eucharis- mitten im Zentrum Nürnbergs und lob der Kapelle stimmte uns Pater tiefeier verabschiedeten wir uns mit bietet einen guten Rahmen für die Johannes Jeran SJ stets fröhlich mit Wehmut, die Tage in Nürnberg hat- erlebnisreichen Tage. Nach der Be- Liedern und Texten auf den Tag ein. ten uns zu einer homogenen Gruppe grüßung durch den Haushaltsbeauf- Prof. Dr. med. Thomas Ebert refe- geformt. Wir sind für unseren Ruhe- tragten der GKS Johann Schacherl rierte zu dem Thema „Älter werden – stand gerüstet. und Friedrich Mirbeth, Organisator nichts für Feiglinge“ über das Altern (Text und Foto: Michael Wilk)

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 21 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Aufbruch der Kirche II. Vaticanum Die Dokumente der zweiten und dritten Sitzungsperiode

VON ANDREAS M. RAUCH

n der Kirchen- und Papstgeschich- Kirche, zu vermitteln und zu mode- verstanden, diesen neuen Katechis- Ite kennen wir Licht- und Schatten- rieren. Mit Papst Paul VI. kam keine mus vor allem in Entwicklungs- und gestalten, wobei zu diskutieren ist, Diskontinuität in das II. Vaticanum, Schwellenländern wie Lateinameri- welche Kriterien hier jeweils zum wie in der Literatur vielfach zu lesen kas und Afrika zu verbreiten und in tragen kommen sollen. Unstrittig ist, bist. Vielmehr ist heute bekannt, dass das Gedächtnis der Menschen durch dass das Papsttum in der Geschichte sich Kardinal Giovanni Montini, eben gezielte Bildungsarbeit zu bringen. zu einer Machtgestalt aufwuchs, wel- der spätere Paul VI., ganz akzentuiert Doch gerade in der römischen Kurie ches jedem Papst Führungsaufgaben hinter den Kulissen für eine program- der sechziger Jahre war oftmals noch abverlangt. Das Kardinalskonsistori- matische Neuausrichtung der Kirche ein Bild vom unmündigen „Volk Got- um, also die Versammlung von Kar- einsetzte, auch wenn er dies während tes“ in den Köpfen vieler Kleriker vor- dinälen, die den Papst wählt, wurde des Konzils in nur zwei öffentlichen handen, welches geführt, aber nicht sich dabei stets des Spannungsbogens Ansprachen zum Ausdruck brachte. überzeugt werden sollte. Aus dieser bewusst, einerseits einen guten, from- Doch Montini war eben auch Jahre Haltung heraus erklärt sich eine man- men, glaubwürdigen und charismati- lange Diplomat des Heiligen Stuhles gelhafte Vermittlung der Dokumente schen Menschen zum Oberhaupt der gewesen und als solcher wusste er des II. Vaticanums, die aber auch mit katholischen Christenheit zu wählen. auch um die Bedeutung und den Er- den für die Kirche krisenhaften Jah- Andererseits galt es eben auch, je- halt der Macht der Kirche. In Papst ren zwischen 1965 und 1985 zusam- manden auszuwählen, der Macht und Paul VI. spiegeln sich also der Ein- menhängen, auf die bei der Rezeption Einfluss der Kirche bewahrte. Dieser fluss der römischen Kurie wider, aber des II. Vaticanums noch einzugehen Verantwortung gerecht zu werden, ist auch die Bereitschaft zur Reform, und sein wird. nicht immer gelungen. Ein Beispiel zwar in einer Weise, wie es Montini hierfür ist Papst Coelestin V., Ober- als Diplomat gelernt hatte, also stets Zweite Sitzungsperiode haupt der Kirche von Juli bis De- diskret zwischen den Lagern zu ver- is zum Tode Papst Johannes zember 1294, der einzige Papst der mitteln. BXXIII., also in der ersten Sit- Kirchengeschichte, der sein Amt aus Das II. Vaticanum fand zwar schon zungsperiode vom 11. Oktober bis 8. eigenem Antrieb niederlegte, und vor im beginnenden Medienzeitalter statt, Dezember 1962, wurden keine Doku- seinem Amtsantritt als Eremit lebte doch im Prinzip gab es eine geringe mente verabschiedet. Mit dem Tode und dies nach seinem Rücktritt auch Verbreitung des Schwarz-Weiß-Fern- Johannes XXIII. setzte auch noch ein- wieder tun wollte. Im Grunde wollte sehens und die Verkehrswege (Flug- mal ein Innehalten ein, über das wei- das Kardinalskonsisterium in schwie- zeug, Zug, Auto) waren weit weniger tere Vorgehen des Konzils nachzuden- riger Zeit mit Coelestin ein Zeichen ausgebaut und verbreitet als heute. ken. In der zweiten Sitzungsperiode setzen, indem sie einen guten, glaub- Demzufolge hatten die Printmedien, vom 29. September bis 4. Dezember haften Menschen an die Führungsspit- also Zeitungen, Zeitschriften und Bü- 1963 wurden dann zwei Dokumente ze der katholischen Kirche setzte. In cher, eine weit wichtigere Bedeutung verabschiedet, die bereits in der ers- diesem Sinne, aber in ganz anderer als geistige Mittler und Träger als ten Sitzungsperiode weitgehend er- Weise, verhielt es sich mit Papst Jo- dies heute der Fall ist. Auch griff sich arbeitet waren und über die Konsens hannes XXIII., der in der Zeit seines damals bei vielen die Überzeugung bestand, sodass sie am 4. Dezember Lebens ein guter, frommer und charis- Bahn, mit der Veröffentlichung der 1963 veröffentlicht werden konnten: matischer Priester gewesen ist. entsprechenden Bücher und Doku- – Sacrosanctum Concilum: die Kon- „Eccelsia semper reformanda“ mente werde sich eine daraus abgelei- stitution über die heilige Liturgie, – die Kirche ist stets zu erneuern, tete Meinung in der Gesellschaft und – Inter mirifica: Dekret über die die Aktualität dieser Aussage, die in der Kirche rasch ausformen und sozialen Kommunikationsmittel. stets schon gegolten hat und vor al- durchsetzen. Hier handelte es sich um lem seit der Zeit der Reformation in einen Trugschluss, wie wir heute wis- Mit der Konstitution „Sacrosanc- der römisch-katholischen Kirche wir- sen. Texte müssen auch aktiv unter die tum Concilium“ wurde etwas verab- kungsmächtig zur Entfaltung kommt, Menschen gebracht werden, damit sie schiedet, was bereits lang geübte Pra- bestimmte auch das II. Vaticanum in ihr Bewusstsein und ihr Gedächtnis xis in der katholischen Kirche war: ein entscheidend. Papst Johannes XXIII. Eingang finden. Bei der Verbreitung deutliches Zurücktreten der lateini- machte es sich zur Aufgabe, vermit- des neuen katholischen Katechismus schen oder römischen Messe (Missale teln zwischen Tradition und Aggior- (1997) unter Papst Johannes Paul II. Romanum) zugunsten einer Heiligen namento, also einem Aufbruch der hat sich die Kirche darauf bestens Messe mit Predigt in der jeweiligen

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Muttersprache. Im Grunde wurde hier etwas beschlossen, was selbst in vor- Überblick über die wichtigsten Konzilsbeschlüsse dergründig konservativen Bistümern wie etwa in Köln lang geübte Praxis des II. Vaticanums war, wie die Ausgabe des Gotteslo- bes aus dem Jahre 1949 von Kardinal Die sechzehn Konzilsdokumente sind von jeweils unterschiedlicher, Frings belegt. Allein schon vor dem persönlicher Relevanz, etwa wenn es um die Sichtweise eines katholi- Hintergrund der Herausforderungen schen Theologen, Priesters oder die eines Soldaten geht. Im Folgenden durch die Reformation und die Fran- sind die sieben wichtigsten Dokumente des Konzils für das Selbstver- zösische Revolution waren diese Än- ständnis eines katholischen Soldaten aufgeführt: derungen erforderlich geworden. Die Kirchenverständnis: Die dogmatische Konstitution „Lumen genti- Gläubigen verlangten, dass sie geistig um“ (1964), also „Licht der Völker“, legt erstmals schriftlich Zeugnis ab mitgenommen werden, in den Schrift- über das Selbstverständnis der römischen-katholischen Kirche in der Welt lesungen in der jeweiligen Landes- von heute. Die Kirche versteht sich als die Gemeinschaft der Gläubigen, sprache und in den Schriftlesungen als das pilgernde Volk Gottes auf dem Weg durch diese irdische Zeit. In aus der Bibel. Aber nicht nur in Eu- dieser katholischen – ‚katholisch‘ bedeutet ‚allgemein‘– Kirche gilt der ropa, auch in den Missionsgebieten Grundsatz „ecclesia semper reformanda“, also die Kirche ist stets zu er- wie etwa Afrika war die lateinische neuern. In dieser ständig zu reformierenden, allgemeinen Kirche Jesu Messe als Regelgottesdienst kaum Christi hat das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen Vorrang vor den noch zu vermitteln, insbesondere mit kirchlichen Ständen und Ämtern, da vor Gott alle Menschen gleich sind. der Unabhängigkeit vieler ehemaligen Gelebter Glaube in der Liturgie: In Konsequenz der Liturgie-Kon- Kolonien. Die Menschen konnten nur stitution „Sacrosanctum Concilium“ (1963) ersetzt die Landessprache fak- mitgenommen und in den Gottesdienst tisch die lateinische Messe als vorherrschende Sprache im Gottesdienst. integriert werden, wenn sie auch in ih- Die Gläubigen werden aktiv in die Liturgie einbezogen. Die bislang gel- rer heimischen Kultur akzeptiert wur- tende alleinige Zentrierung der Messe auf den Priester tritt zurück und den und diese in den Gottesdienst ein- ebenso entfällt, dass der Priester oder der Gottesdienstleiter die Messe bringen durften. Bis heute können wir oder den Gottesdienst mit dem Rücken zur Gemeinde abhalten. deshalb in Afrika und Lateinamerika Religionsfreiheit: Die Erklärung „Dignitatis humanae“ (1965) zum besonders farbenfrohe und gesangs- Thema Religionsfreiheit aus dem Bereich der christlichen Gesellschafts- freudige Messen erleben. lehre zählt zu den wichtigsten Konzilsdokumenten und klärt auch das In der Konstitution „Sacrosanc- neue Verständnis von Kirche und Staat. Die Religionsfreiheit verweist auf tum Concilium“ heißt es im Vorwort die unverbrüchliche Menschenwürde jedes Einzelnen, eben als Eben- ganz in diesem Sinne: „Das Heilige bild Gottes, und spricht allen Menschen das Recht zu, ihre Religion frei Konzil hat sich zum Ziel gesetzt, das nach dem eigenen Gewissen zu wählen – auch wenn dies der katholi- christliche Leben unter den Gläubi- schen Lehre widerspricht, die den katholischen Glauben als die einzig gen mehr und mehr zu vertiefen, die wahre Religion ansieht. Auch löst sich die katholische Kirche damit von dem Wechsel unterworfenen Einrich- dem Anspruch, Staatsreligion sein zu wollen, eben weil dies auch oft- tungen den Notwendigkeiten unseres mals gar nicht umsetzbar ist, wie etwa in Frankreich, Deutschland oder Zeitalters anzupassen, zu fördern…“ in anderen Staaten. und etwas später wird angebracht: „… Ökumene, Judentum und nicht-christliche Religionen: Die Kon- Unter diesen Grundsätzen und Richt- zilsväter intendierten ein neues Verhältnis der römisch-katholischen Kir- linien sind manche, die sowohl auf che gegenüber den anderen christlichen Konfessionen im Dekret „Unita- den römischen Ritus wie auf alle Riten tis redintegratio“ (1964) und zu den nicht-christlichen Religionsgemein- angewandt werden können und müs- schaften in der Erklärung „Nostra aetate“ (1965). sen. Indes sind die folgenden prak- Bibel und Offenbarung: Die Konstitution „Dei Verbum“ (1965), die tischen Richtlinien so zu verstehen, sich vor allem mit der biblischen Exegese befasst, eröffnet mit der Zulas- dass sie nur für den römischen Ritus sung der historisch-kritischen Methode einen neuen wissenschaftlichen gelten, es sei denn, es handle sich um Zugang zur Bibel, wobei die Heilige Schrift als Wort Gottes zu verstehen Normen, die aus der Natur der Sache ist. In „Dei Verbum“ wird ein ausgewogener Umgang im Verhältnis von auch die anderen Riten angehen. Treu Bibel, kirchlicher Tradition und kirchlichem Lehramt intendiert. der Überlieferung erklärt das Heilige Kirche und Welt: In der pastoralen Konstitution „Gaudium et spes“ Konzil schließlich, dass die heilige (1965) geht es um eine umfassende Positionsbestimmung der Kirche in Mutter Kirche allen rechtlich aner- der Welt von heute und des christlichen Glaubens in einer modernen kannten Riten gleiches Recht und Gesellschaft. Angesprochen sind dabei vor allem Themen wie Rüstung gleiche Ehre zuerkennt, das heißt, und Abrüstung, Krieg und Frieden, Angriffskrieg und Verteidigungs- neben der lateinischen Messe und Li- krieg, Kommunismus und Atheismus, Wissenschaft und Wirtschaft, die turgie sind Messen und Gottesdienste ausgelegt werden im Horizont der christlichen Gesellschaftslehre bzw. in der jeweiligen Landessprache an- der katholischen Soziallehre. (Andreas M. Rauch) erkannt und gleichwertig mit einer lateinischen Messe, und zwar gemäß

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 23 RELIGION UND GESELLSCHAFT dem Wort des Matthäus-Evangeliums: sittlich Bösen kann gewiss auch mit diese Veröffentlichungen teilweise ein „Wo zwei oder drei versammelt sind den Sozialen Kommunikationsmitteln hohes und ansprechendes Niveau er- in meinen Namen, da bin ich mitten zur besseren Erkenntnis und Ergrün- reicht. Ähnliches gilt für die Bistums- unter ihnen“ (Mt 18,20) und im Sinne dung des Menschen beitragen. „ Für blätter, die nach dem II. Vaticanum der bereits zitierten Konstitution, in die Kirche besteht als immerwäh- geschaffen wurden. Im Jahre 1970 der es weiter heißt: „In der irdischen rende Aufgabe, „…die Erhabenheit wurden einzelne Bistümer Gesell- Liturgie nehmen wir vorauskostend an des Wahren und Guten“ dem Men- schafter der Wochenzeitung Rheini- jener himmlischen Liturgie teil, die in schen zu offenbaren. Medienarbeit scher Merkur in Bonn, eines von Jo- der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert bedeutet also eine ständige Selbst- seph Görres 1814-1816 betriebenen wird, zu der wir pilgernd unterwegs verpflichtung, dem Guten und Wah- Blattes, welches dann eingestellt, aber sind, wo Christus sitzt zur Rechten ren zu dienen. 1946 in den westlichen Besatzungs- Gottes … . “ Ziemlich deutlich wird das Do- zonen wiederbegründet und 2010 er- kument in seinem zweiten Kapitel, neut eingestellt wurde. Dieses Drän- Einsatz der modernen wenn es da heißt: „Alle Glieder der gen nach einem erhöhten Einsatz von Kommunikationsmittel Kirche sollen einmütig und planmä- Kommunikationsmitteln gilt auch für as Dekret über die sozialen Kom- ßig darangehen, ohne Aufschub und den L’Osservatore Romano, der Zei- Dmunikationsmittel „Inter miri- mit größtem Eifer die sozialen Kom- tung des Heiligen Stuhles, der zwar fica“ wurde ebenfalls so rasch ver- munikationsmittel in den vielfältigen schon seit 1861 in italienischer Spra- abschiedet, weil es hierüber kaum Arbeiten des Apostolates, wie es Zeit che erscheint, als deutsche Ausgabe Streitpunkte gab und es ohnehin be- und Umstände erfordern, zu benutzen aber erst seit 1971 existent ist. Im reits Bestandteil der täglichen Pra- und schädlichen Unternehmungen zu- Übrigen ist seit dem II. Vaticanum xis der katholischen Kirche war. So vorzukommen, besonders in den Ge- der L‘Osservatore Romano auch in heißt es ganz unmissverständlich im genden, wo sittlicher oder religiöser anderen Sprachen erhältlich, etwa in Vorwort des Textes: „Der Kirche ist Fortschritt erhöhte Anstrengungen spanisch, französisch, portugisisch sehr wohl bekannt, dass die sozialen erfordert. Die kirchlichen Oberhirten und englisch. Auch im Internet ist Kommunikationsmittel bei echtem sollen darum auf diesem Gebiet, das die römisch-katholische Kirche heu- Gebrauch den Menschen wirksame mit ihrer Pflicht zur Verkündigung so te gut vertreten, sei es über die ka- Hilfe bieten, denn sie leisten einen eng verbunden ist, ihrem Auftrag ei- tholische Laienarbeit und die katho- wichtigen Beitrag zur Erholung und lends nachkommen.“ Der Text weckt lischen Verbände, die Ortsbistümer, Bildung des Geistes. „ den Anschein, als sei hier das Kon- die regionalen Bischofskonferenzen Diese zurückhaltende Formulie- zil fortschrittlicher als der Rest der oder den Heiligen Stuhl selbst. Zum rung hängt mit dem Missbrauch der Kirche, dessen Führung in Rom doch Thema Kommunikation gehört auch, Medien in der Zeit des deutschen zusammengetreten ist. Bemerkens- dass sich die Kirche seit dem Konzil Nationalsozialismus, vor allem durch wert sind auch Formulierungen wie dem Thema Film und Fernsehen stär- Veröffentlichungen und den Einsatz „ohne Aufschub“, in denen deutlich, ker widmete. So sitzt die katholische des Radios, und durch den italieni- wie dringlich das Einbringen der Kir- Kirche in den Beiräten öffentlich- schen Faschismus sowie jeder Form che in die moderne Medienlandschaft rechtlicher Fernseh- und Rundfunk- illegitimer Herrschaft zusammen, die gesehen wurde. Von Bedeutung ist anstalten. Auch dem (Kino-) Film hat durch Propaganda versuchte, die ei- deshalb in diesem Zusammenhang sich die Kirche in vielfacher Weise gene Herrschaftsausübung durch ein- die Äußerung: “Es ist ein unwürdi- angenähert, etwa durch die Gründung seitige Berichterstattung und Medien- ger Zustand, wenn es von den Mitglie- von Filminstituten oder Filmdiensten. arbeit zu rechtfertigen. Mit dieser dern der Kirche untätig hingenommen Beispielsweise wurde der Einsatz von Einschränkung gelangt die Kirche wird, dass das Wort des Heiles durch Filmen im katholischen Religionsun- deshalb zu dem Ergebnis: „Deshalb technische Unzulänglichkeit und un- terricht eingeführt und einzelne Bis- hält sie es für ihre Pflicht, die Heils- zureichende Mittel gefesselt und ge- tümer halten auch einen entsprechen- botschaft auch mit Hilfe der sozialen hindert ist.“ den Filmverleih vor. Kommunikationsmittel zu verkündi- Um auf der Ebene der Kirchen- gen und Grundsätze über deren rich- gemeinde zu beginnen, so war es tat- Dritte Sitzungsperiode tige Anwendung aufzustellen. „ sächlich ein ziemlich „unwürdiger ielfach werden in Veröffentli- Des Weiteren setzt sich das Do- Zustand“, dass die meisten Gemein- Vchungen Zahlen kolportiert, über kument mit der Information, also dem den in der Mitte der sechziger Jahre neunzig Prozent der Konzilsteilneh- Sammeln und dem Verbreiten von noch immer nur Handzettel mit den mer seien progressiv und reformfreu- Nachrichten auseinander sowie den Gottesdienstzeiten und allenfalls noch dig gewesen, während etwa fünf bis Beziehungen zwischen der „Freiheit Gebetsblätter herausgaben. Kommu- acht Prozent die harte römisch-kon- der Kunst“ und den Normen des ka- nikation in Form eines Pfarrbriefes servative Linie vertreten hätten. Dass tholischen Sittengesetzes, also mitun- oder einer Kirchengemeindezeitung diese Zahlen aus wissenschaftlicher ter divergierenden Auffassungen von fand erst nach dem II. Vaticanum und Sicht rein spekulativ sind, hängt allein Ethik und Ästhetik. Sodann führt die der Konzils-Konstitution über die so- schon damit zusammen, dass es sich Konstitution aus: „Die Schilderung, zialen Kommunikationsmittel statt hierbei um Schätzungen und nicht um Beschreibung oder Darstellung des und in einzelnen Gemeinden haben wissenschaftliche Befragungen han-

24 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 RELIGION UND GESELLSCHAFT delt. Außerdem war es so, dass die führlich zur Lehre von der Kirche per tel wird der Gottesmutter Maria als jeweiligen Konzilsteilnehmer in Ein- se äußert. „mater ecclesia“, als Mutter der Kir- zelfragen ganz unterschiedliche Posi- Das Dokument gliedert sich in che, gedacht. tionen einnahmen und schon von da- acht Kapitel: das Mysterium der Kir- Bei „Lumen gentium“ handelt es her nicht über einen Kamm geschert che, das Volk Gottes (populus dei), die sich um eine dogmatische Konstituti- werden können. hierarchische Verfassung der Kirche, on, also um eine Aneinanderreihung Es gehört zum modernen, de- die Laien, die Berufung zur Heiligkeit von Lehrsätzen. Diese Lehrsätze sol- mokratischen Selbstverständnis der in der Kirche, die Ordensleute, der len deutlich machen, wofür die Kir- Konzilsteilnehmer, dass nur jene endzeitliche Charakter der pilgern- che steht und worin ihre identitätsbil- Texte verabschiedet wurden, für den Kirche und ihre Einheit mit der denden Momente liegen. Im Grunde die sich eine klare und eindeutige himmlischen Kirche und die selige geht es darum, den Mitgliedern der Mehrheit findet. In der zweiten und jungfräuliche Gottesmutter Maria im römisch-katholischen Kirche, Laien dritten Sitzungsperiode ging es nicht Geheimnis Christi und der Kirche. und Kleriker gleichermaßen, Argu- um die Einhaltung einer gewissen In diesen Kapitelüberschrift kommt mente an die Hand zu geben, um zu thematischen Systematik, sondern es das Hauptanliegen des Textes zum verdeutlichen, was Kirche in einem wurden vor allem jene Dokumente tragen, der darin besteht, dass Chris- positiven Sinne ausmacht und worin gebilligt, wo es wenig Dissens gab, tus als Mitte der Kirche deutlicher ihre Strahlkraft, ihre Botschaft be- da entweder hier eine Theologie oder hervortreten soll. So wird die Kirche steht. Ganz grundsätzlich stellt „Lu- eine Pastoralpraxis skizziert wurde, als mystischer Leib Christi und als men gentium“ also eine programma- die im Grunde schon längst Gestalt „Wanderndes Gottesvolk“ verstanden, tische Schrift dar, aber nur für die angenommen hatte. Es handelt sich wobei Engführungen auf den institu- Ausrichtung der Kirche nach Innen. um die drei am 21. November 1964 tionellen Charakter der Kirche ver- Für die Beziehungen der Kirche und verabschiedeten Dokumente: mieden werden. ihrer Gläubigen nach außen, in Ge- – Lumen gentium (Licht der Völ- Das Dokument beginnt mit der sellschaft und Politik hinein, steht ker), die dogmatische Konstitu- Formulierung: „Christus ist das Licht die pastorale Konstitution „Gaudium tion der Kirche, in der es um ihr der Völker. Darum ist es der dringen- et spes“, die am 7. Dezember 1965 Selbstverständnis als Kirche geht, de Wunsch dieser im Heiligen Geist verabschiedet wurde. Beide Schriften – Orientalium Ecclesiarum: das De- versammelten heiligen Synode, alle sind daher in einem inneren, theologi- kret über die katholischen Ost- Menschen durch seine Herrlichkeit, schen Zusammenhang zu sehen. kirchen, die auf dem Antlitz der Kirche wider- – Unitatis redintegratio, das Dekret scheint, zu erleuchten, indem sie das Die katholischen Ostkirchen über den Ökumenismus, also über Evangelium allen Geschöpfen ver- ur geschichtlichen Bedeutung des die getrennten Christen der evan- kündet. Die Kirche ist ja in Christus ZII. Vaticanums gehört es, dass das gelischen Religionsgemeinschaf- gleichsam das Sakrament, das heißt Konzil versuchte, zwei geschichtliche ten und der orthodoxen Kirchen. Zeichen und Werkzeug für die innigs- Ereignisse, wenn nicht gleich aufzu- te Vereinigung mit Gott wie für die heben, doch zumindest zu überbrü- „Christus ist das Licht der Völker“ Einheit der ganzen Menschheit. Die cken: das Schisma zwischen der west- ie dogmatische, also von Lehr- Kirche, das heißt das im Mysterium römischen und der ost-römischen Kir- Dsätzen durchzogene Konstitution schon gegenwärtige Reich Christi, che im Jahr 1054, aus der sich im „Lumen gentium“ ist eine in deutlich wächst durch die Kraft Gottes sicht- Osten dann die orthodoxen Kirchen biblischer Sprache geprägte Schrift, bar in der Welt. … Alle Menschen entwickelten, und die Abspaltung in der es um das theologische Selbst- werden zu dieser Einheit mit Chris- der evangelischen Religionsgemein- verständnis der katholischen Kirche tus gerufen, der das Licht der Welt schaften im Kontext der Reformation geht. Der gesamte Text ist durchsetzt ist: Von ihm kommen wir, durch ihn im 16. Jahrhundert. Zugleich besteht von zahlreichen Zitaten aus dem Alten leben wir, zu ihm streben wir hin.“ seit dem II. Vaticanum das Bemühen, und Neuen Testament. Hierbei erfolgt Und etwas später: „So erscheint die andere (Welt-) Religionen nicht ein- ein klarer Rückgriff auf die Lehre der ganze Kirche als ‚das von der Einheit fach als Werke des Teufels abzutun, Kirchenväter (Patristik), vor allem auf des Vaters und des Sohnes und des sondern mit diesen nicht-christlichen Cyprian von Karthago, Ambrosius von Heiligen Geistes her geeinte Volk.“ Religionen in einen Dialog zu treten. Mailand, Basilius von Caesarea, Kyrill In diesen Formulierungen steigt eine Hierzu sind drei Dokumente verab- von Alexandria und Augustinus von Aufwertung der Rolle der Laien in der schiedet worden, eben am 21.Novem- Hippo. Auch auf dem im Hochmittel- römisch-katholischen Kirche auf, da ber 1964 das Ost-Kirchen- und das alter lebenden Heiligen Thomas, dem eben alle Menschen in Heilsgemein- Ökumene-Dekret und am 28. Oktober Jesus von Aquino, der zusammen mit schaft mit Christus stehen. Die heil- 1965 die Erklärung „Nostra Aetate“, Albertus Magnus der Scholastik zur stiftende Erlösungsbotschaft Christi in der es um das angesprochene Ver- Blüte verhalf, wird in „Lumen gen- hat Vorrang vor allem anderen. Dies hältnis zu den nicht-christlichen Re- tium“ Bezug genommen. Es handelt kommt auch in weiteren Kapiteln zur ligionen geht. sich zugleich um den ersten Text in Heiligkeit der Kirche und zum Bild Die Frage nach dem Verhältnis der langen Geschichte der Kirche, in von der Pilgerschaft der Kirche zum zu den katholischen Ostkirchen er- der sich das kirchliche Lehramt aus- Ausdruck. In einem Abschlusskapi- scheint erklärungsbedürftig, da weit-

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 25 RELIGION UND GESELLSCHAFT gehend in Deutschland unbekannt ist, rückreicht. Sie bildet ein Stück des ren getrennten Brüdern ist unter der welche Kirchen damit gemeint sind. von Gott offenbarten und ungeteilten Einwirkung der Gnade des Heiligen Die katholischen Ostkirchen werden Erbgutes der Gesamtkirche. Für die- Geistes eine sich von Tag zu Tag aus- auch als unierte Kirchen bezeichnet, se Überlieferung sind die Ostkirchen breitende Bewegung zur Wiederher- da sie in Union, also in Einheit im lebendige Zeugen.“ Und an späterer stellung der Einheit aller Christen Glauben, im Gebet und im Sakrament Stelle wird ausgebracht: „Auf der gan- entstanden. Die Einheitsbewegung, mit der römisch-katholischen Kirche zen Welt soll daher für die Erhaltung die man als ökumenische Bewegung und dem Papst stehen. Allerdings ha- und das Wachstum aller Teilkirchen bezeichnet, wird von Menschen getra- ben die unierten Kirchen nicht den gesorgt werden.“ gen, die den dreieinigen Gott anrufen ‚Codex Ius Canonicae‘, also das ka- Ansonsten steht in dem Doku- und Jesus als Herrn und Erlöser be- nonische Kirchenrecht der römisch- ment, dass etwa eine stärkere Abstim- kennen .“ katholischen Kirche, sondern das ori- mung bei den kirchlichen Feiertagen Dieses Dekret zielt also auf die entalische Kirchenrecht als Rechts- und eine Übereinkunft hinsichtlich Gesamtheit aller Christen, mit de- grundlage, und zwar den ‚Codex Ius der Feier des Osterfestes erfolgen sol- nen die katholische Kirche durch Eccelisanum Orientalium‘. Von allen len. Im Schlusswort wird ausgeführt: die Taufe in (Heils-) Gemeinschaft oströmischen oder ostchristlichen Kir- „Das Heilige Konzil ist hocherfreut steht. So sagt das Dekret: „Denn wer chen und Patriarchaten gibt es unier- über die fruchtbare und tatkräftige Zu- an Christus glaubt und in der rech- te Zweige, wobei hier zwischen zwei sammenarbeit der katholischen Ost- ten Weise die Taufe empfangen hat, großen Gruppen zu unterscheiden ist, und Westkirchen. Gleichzeitig erklärt steht dadurch in einer gewissen, wenn den byzantinisch-orthodoxen Kirchen es: Alle Rechtsbestimmungen dieses auch nicht vollkommenen Gemein- und den orientalisch-orthodoxen Kir- Dekretes gelten nur für die gegenwär- schaft mit der katholischen Kirche. chen. In der Regel bilden diese unier- tigen Verhältnisse, bis die katholische Da es zwischen ihnen und der katho- ten Zweige stets eine Minderheit ge- Kirche und die getrennten Ostkirchen lischen Kirche sowohl in der Lehre genüber den orthodoxen Kirchen im zur Vollendung der Gemeinschaft zu- und bisweilen auch in der Diszip- jeweiligen Land oder der jeweiligen sammenfinden.“ lin wie auch bezüglich der Struktur Region. Nur die chaladäisch-katho- der Kirche Diskrepanzen verschie- lische Kirche ist größer als die assy- Die Ökumene dener Art gibt, so stehen sicherlich risch-orthodoxe Kirche des Ostens. ie Ökumene, also die Frage der nicht wenige Hindernisse der vollen Im Osten bildet die ukrainisch-grie- DGemeinschaft und der Gemein- kirchlichen Gemeinschaft entgegen, chisch-katholische Kirche in der Uk- samkeiten mit den von der katho- bisweilen recht schwerwiegende, um raine mit 5,2 Millionen Mitgliedern lischen Kirche getrennt lebenden deren Überwindung die ökumenische die größte unierte Kirche, während Christen, bildete eine der großen Bewegung bemüht ist.“ sie im Orient die maronitisch-syrische Themen des Konzils, wie der Schrift Das Dokument gliedert sich in Kirche von Antiochien mit ca. 6 Mil- von Peter Hünermann und Bernd Jo- ein Vorwort und drei Kapitel: Die lionen Mitgliedern die größte unierte chen Hilberath „Herdes Theologi- katholischen Prinzipien des Öku- Kirche ist. Daneben gibt es noch klei- scher Kommentar zum Zweiten Va- menismus, die praktische Verwirk- ne, aber sehr alte unierte Kirchen mit tikanischen Konzil“ zu entnehmen lichung des Ökumenismus und die dem so genannten alexandrinischen ist. So heißt es gleich zu Beginn des vom Römischen Apostolischen Stuhl Ritus, und zwar die äthopisch-katho- Dekrets: „Die Einheit aller Christen getrennten Kirchen und kirchlichen lische und die koptisch-katholische wiederherstellen zu helfen ist eine der Gemeinschaften. Das erste Kapitel Kirche. Hauptaufgaben des Heiligen Ökume- ist inhaltlich in enger Verbindung Der römisch-katholischen Kirche nischen Zweiten Vatikanischen Kon- zu „Lumen gentium“ zu sehen und geht es bei ihrem Verhältnis zu den zils. Denn Christus der Herr hat eine zeigt an, dass die Lehre von der Kir- katholischen Ostkirchen nicht um die einige und einzige Kirche gegründet, che auch eine Wiederherstellung der Festschreibung eines Status quo, son- und doch erheben mehrere christliche Einheit unter allen Jüngern Christi dern darum, die bisherigen Beziehun- Gemeinschaften vor den Menschen impliziert. Das zweite Kapitel deutet gen zu intensivieren und zu erneuern, den Anspruch, das wahre Erbe Jesus vor allem eine positivere Würdigung indem den katholischen Ostkirchen Christi darzustellen; sie alle beken- der anderen christlichen Konfessio- gegenüber die Hoch- und Wertschät- nen sich als Jünger des Herrn, aber nen an. Das ganze Thema Ökumene zung seitens Roms zum Ausdruck ge- sie weichen in ihrem Denken vonei- ist jedoch eine hochkomplexe An- bracht wird. So wird gleich zu Beginn nander ab und gehen verschiedene gelegenheit, wie vor allem das drit- des Dekretes formuliert: „Die Ostkir- Wege, als ob Christus selber geteilt te Kapitel zeigt, da jede christliche chen mit ihren Einrichtungen und li- wäre. …“ An den theologischen Be- Konfession in ihrer Beziehung zur ka- turgischen Bräuchen, ihren Überlie- griff der „göttlichen Gnade“ und des tholischen Kirche singulär betrachtet ferungen und ihrer christlichen Le- „göttlichen Gnadenplans“ verknüpft werden muss. bensordnung sind in der katholischen sich die Aufgabe an alle Christen, Das erste Kapitel steckt zudem Kirche hochgeschätzt. In diesen Wer- nach Einheit mit den anderen Chris- normativ den Rahmen für einen Ver- ten von ehrwürdigem Alter leuchtet ja ten zu streben: „Von dieser Gnade ständigungsprozess zwischen der rö- eine Überlieferung auf, die über die sind heute überall sehr viele Men- misch-katholischen Kirche und den Kirchenväter bis zu den Aposteln zu- schen ergriffen, und auch unter unse- anderen christlichen Konfessionen

26 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 RELIGION UND GESELLSCHAFT ab. Dabei kommen zwei Punkte zur Das zweite Kapitel macht deut- sprechend sollen auch gemeinsame Sprache, die aus katholischer Sicht lich, dass die ökumenische Verstän- Gottesdienste und Veranstaltungen ganz zentral sind. Da ist zum einen digung ein Prozess ist, der keinesfalls durchgeführt werden. Der ökumeni- die Anerkennung des Petrusamtes. mit diesem Dekret abgeschlossen ist. sche Gottesdienst, der vielen Chris- So heißt es in dem Dokument: „… Das dritte Kapitel geht detailliert auf ten heute ganz selbstverständlich er- Unter ihnen hat er Petrus ausgewählt, die einzelnen Religionsgemeinschaf- scheint, hängt sowohl mit dem vorlie- auf dem er nach dem Bekenntnis des ten ein. Gerade hierbei wird deutlich, genden Ökumene-Dokument als auch Glaubens seine Kirche zu bauen be- dass vieles im Fluss ist und es eines mit der Liturgie-Reform, der bereits schlossen hat; ihm hat er die Schlüs- ökumenischen Dialogs zur Klärung behandelten Konstitution über die sel des Himmelreiches verheißen und Erforschung von Einzelfragen be- heilige Liturgie, zusammen. ❏ und nach dessen Liebesbekenntnis darf. Grundsätzlich lässt sich sagen, alle Schafe anvertraut, damit er sie dass die orthodoxen Kirchen der rö- Literaturhinweise im Glauben stärken und in vollkom- misch-katholischen Kirche in vielem – Alberigo, Giuseppe; Wittstadt, mener Einheit weiden solle, wobei Nahe steht, es hier eine hohe Schnitt- Klaus (Hg): Geschichte des Zwei- Christus Jesus selbst der höchste menge in theologischen Positionen ten vatikanischen Konzils (1959- Eckstein und der Hirt unserer See- gibt. Sodann folgt die anglikanische 1965). Mainz 1997 len in Ewigkeit bleibt.“ Zum ande- Kirche, die auf dem Gebiet der Leh- – Hünermann, Peter; Hilberath, ren wird die Schuldfrage im Kontext re von den heiligen Sakramente und Bernd Jochen (Hg): Theologischer der Trennung der Konfessionen an- der Liturgie viele römische Elemen- Kommentar zum zweiten Vatika- gesprochen: „…es kam zur Trennung te beibehalten hat. Ähnliches gilt für nischen Konzil. Freiburg 2005 großer Gemeinschaften von der vollen die evangelisch-lutherische Kirche. – Jäger, Lorenz: Das Konzilsdekret Gemeinschaft der katholischen Kir- Größere Schwierigkeiten bestehen „Über den Ökumenismus.“ Sein che, oft nicht ohne Schuld der Men- jedoch für die römisch-katholische Werden, sein Inhalt und seine Be- schen auf beiden Seiten. Den Men- Kirche hinsichtlich einzelnen, evan- deutung. Paderborn 1995 schen jedoch, die jetzt in solchen gelischen Kirchen wie etwa der re- – Pesch, Otto Hermann: Das Zwei- Gemeinschaften geboren sind und formierten Kirche, die sie lediglich te Vatikanische Konzil- Vorge- in ihnen den Glauben an Christus als eine Religionsgemeinschaft, nicht schichte, Verlauf, Ergebnisse, erlangen, darf die Schuld der Tren- aber als Kirche akzeptiert. Nachgeschichte. Würzburg 1993 nung nicht zur Last gelegt werden – Das Ökumene-Dekret verdeut- – Rahner, Karl; Vorgrimler: Klei- die katholische Kirche betrachtet sie licht, dass ein Zusammengehen bes- nes Konzilskompendium. Frei- als Brüder, in Verehrung und Liebe.“ ser ist als ein getrennt gehen. Ent- burg 1990

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AUFTRAGAUFTRAG28 2844 • DEZDEZEMBEREMBER 2011 27 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Aufbruch der Kirche Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft Die vierte Sitzungsperiode des II. Vatikanischen Konzils

VON ANDREAS M. RAUCH

ie Zeit wurde knapp und der nen Dokumente die Arbeit einzelner dauernde Anwachsen der Menschheit, DPapst machte hinter den Kulis- Kongregationen, also Verwaltungsbe- der Fortschritt von Wissenschaft und sen Druck mit dem dezenten Hinweis, hörden oder Ministerien des Heiligen Technik, das enge Netz der gegensei- was das Konzil nicht verabschieden Stuhles, oder anderer vatikanischer tigen menschlichen Beziehungen ha- oder zu Ende bringe, könne er auch Dienststellen, wieder. ben nicht nur die Räume des Apos- selbst in die Hand nehmen. Unter tolats der Laien, die größtenteils nur den Konzilsteilnehmern bestand aber Kirchliches Leben und ihnen offenstehen, ins unermessliche der ausdrückliche Wunsch, selbst- kirchliche Ämter erweitert; sie haben darüber hinaus verständlich das Heft in der Hand zu ie sechs Dokumente des II. Va- auch neue Probleme hervorgerufen, behalten und zu Beschlüssen zu kom- Dticanums zum kirchlichen Le- die das eifrige Bemühen sachkun- men. Doch der Umstand, dass zwei ben und zu den kirchlichen Ämtern diger Laien erfordern.“ Damit ist im Drittel der Dokumente quasi auf den können zu jenen gezählt werden, die Prinzip aus heutiger Sicht eine Selbst- letzten Drücker, in den letzten sechs am wenigsten in der Öffentlichkeit verständlichkeit formuliert, denn das Wochen des Konzils zustande kamen reflektiert und diskutiert werden, da Engagement der Laien in Kirche und und verabschiedet wurden, zeugte ei- sie im rein innerkirchlichen Bereich Gesellschaft war und ist unverzicht- nerseits von den großen Unterschie- angesiedelt sind. Für einen prakti- bar. Auch das Engagement der ka- den in Einzelfragen und andererseits zierenden Katholiken oder einen ka- tholischen Soldaten in Strukturen der auch von den Flügelkämpfen, die hin- tholischen Soldaten mögen etwa das katholischen Militärseelsorge und der ter geschlossenen Türen stattfanden, Selbstverständnis des Bischofsamtes Gemeinschaft der katholischen Solda- die aber überlagert wurden letztlich oder das Leben der Ordensleute vom ten gehören hier fundamental dazu. von der gemeinsamen Überzeugung, allgemeinen Interesse sein, doch die Und weiter heißt es im Dokument: Ergebnisse der kirchlichen und all- Anfragen eines katholischen Solda- „Das Konzil hat in Fortsetzung der gemeinen Öffentlichkeit vorzuzeigen. ten an die Kirche gehen meist wohl in Tradition mit dem Begriff des ‚gemein- Bei den letzten neun Dokumen- eine andere Richtung, nämlich dahin- samen Priestertums aller Gläubigen‘ ten können wir zwischen zwei The- gehend, wie der christliche Glaube in in mehreren Dekreten eine Gleichheit mengruppen unterscheiden, und zwar: der modernen Gesellschaft von heute aller Glaubenden bekräftigt.“ Vor Gott – Sechs Dokumenten zu Themen aufleuchten kann. sind alle Menschen gleich, was immer des kirchlichen Lebens und Für den katholischen Soldaten ist sie auch an beruflicher oder gesell- Selbstverständnisses: zum Or- in diesem Zusammenhang vor allem schaftlicher Stellung auf Erden inne densleben, zur Priesterausbil- das Dokument „Apostolicam Actuo- haben oder hatten. dung, zum Hirtenamt der Bischö- sitatem“, also über das Apostolat der So dann verabschiedete das II. fe, zum Laienapostolat, zur christ- Laien, von theologischer Wichtigkeit Vaticanum zwei Dokumente zu den lichen Erziehung und zur Missi- und persönlicher Relevanz. Insgesamt Priestern, und zwar zu ihrer Ausbil- onstätigkeit der Kirche sowie sind neben dem vorliegenden Doku- dung und zum Dienst der Priester. – Drei Dokumenten zu Themen der ment noch in zwei weiteren Texten Im Dekret „Optatam totius“ vom 28. Kirche in der Welt von heute: innerhalb der sechzehn Konzilsdo- Oktober 1965 geht es um allgemeine das Verhältnis der Kirche zu den kumente von der Rolle der Laien die Gesetze zur Priesterausbildung: Die nicht-christlichen Religionen, zur Rede: und zwar in der dogmatischen Neuordnung der Priesterausbildung Frage der Religionsfreiheit und Konstitution „Lumen gentium“ und in den einzelnen Völkern, die stärke- zur Kirche in der Welt von heute. in der Pastoralkonstitution „Gaudium re Förderung der Priesterberufe, die Aus heutiger Sicht und aus Grün- et spes“, womit wieder deutlich wird, Ordnung der Priesterseminare, die den der kommunikativen Vermittlung dass es statt zu Straffungen zu inhalt- Sorge um die gründlichere geistli- wäre es sicherlich sinnvoller gewe- lichen Überlappungen innerhalb des che Formung, die Neugestaltung der sen, die insgesamt sechzehn Doku- Dokumentenkanons gekommen ist. kirchlichen Studien, die Förderung mente auf drei oder vier Texte zusam- In der Einleitung des Dekretes der pastoralen Ausbildung im en- menzufassen, so wie letztlich heute über das Laienapostolat heißt es: „Un- geren Sinne und die Weiterbildung wohl auch nur drei bis vier Doku- sere Zeit erfordert keinen geringeren der Priester nach dem formellen Ab- mente im Bewusstsein vieler interes- Einsatz der Laien, im Gegenteil: die schluss des Studiums. Mit dem letzen sierter Gläubiger hängen geblieben gegenwärtigen Verhältnisse verlan- Punkt kommt also im Prinzip ein Vo- sind. Doch darum ging es damals gen von ihnen ein durchaus inten- tum für ein immerwährendes Lernen nicht. Vielmehr spiegeln die einzel- siveres und weiteres Apostolat. Das auch der Priester zum tragen. Im De-

28 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 RELIGION UND GESELLSCHAFT kret „Presbyterorum ordinis“ vom 7. Dezember 1965 wird der Dienst der Zur Wirkungsgeschichte des Priester behandelt, der ein Dienst für Christus ist. Inhaltlich setzt sich II. Vatikanischen Konzils die Schrift mit dem Priestertum und der Sendung der Kirche auseinander as II. Vaticanum wird in der kirchengeschichtlichen Fachliteratur sowie mit dem priesterlichen Dienst Dals das wichtigste kirchliche Ereignis des 20. Jahrhunderts bezeich- im Allgemeinen und dem Leben der net. Bei der Diskussion um die Wirkungsgeschichte des II. Vaticanums Priester im Besonderen. Herausge- tauchen immer wieder Begriffe wie „Geist des Konzils“ oder „Theolo- stellt wird dabei die Verpflichtung gische Konzilsvorstellungen“ auf. Unzweifelhaft hat das II. Vaticanum zum Zölibat, der dem Priestertum in neue Akzente gesetzt, indem vielfacher Weise als angemessen an- – die pastorale Arbeit der Kirche befruchtet wurde gesehen wird. Des Weiteren wird auf – die Bibel als bleibender Bezugspunkt des Glaubens festgeschrieben die rechte Verwendung der zeitlichen wird und die Kirchenväter als privilegierte Zeugen der Tradition be- Güter verwiesen. zeichnet werden, die das biblische Zeugnis auslegen Neben den Priestern hat das II. – die ökumenische Öffnung zu den anderen christlichen Konfessionen Vaticanum auch die Ordensleute the- vollzogen wurde matisiert. Das Dekret „Perfectae ca- – die Öffnung zu den anderen Weltreligionen und zur Welt stattfand. ritatis“ vom 28. Oktober 1965 setzt Die theologische Auslegung des II. Vaticanums wird durch die pro- sich mit einer zeitgemäßen Erneue- gressive Geschichtsschreibung des Giuseppe Alberigo maßgeblich be- rung des Ordenslebens auseinander. einflusst. Diese kann jedoch nicht überdecken, dass im katholischen Mi- Gleich zu Beginn des Dokuments wird lieu mit der nach-konziliaren Phase von 1965 bis etwa 1985 von einem festgestellt. „In der Tat von Anfang an schwierigen Zeitabschnitt für die Kirche, vielleicht sogar von einer Zeit haben Männer und Frauen der Kirche der Krise, gesprochen werden kann. Dazu gehören auch die Phänomene über die Nachfolge Christi mit grö- einer schwindenden, religiösen Praxis und einer nachlassenden Diszip- ßerer Freiheit und imitiert durch die lin in der katholischen Kirche ad intra. Vieles innerhalb der Kirche hat Praxis der evangelischen Räte jeder einfach mit Disziplin und Selbstdisziplin zu tun, und daran mangelt es auf seine eigene Art und Weise ihr zusehend. Dieser Prozess der Abwendung von der Kirche wird vielfach Leben für Gott eingesetzt.“ Mit den als Wertewandel und Säkularisierung bezeichnet. evangelischen Räten sind Ehelosig- Papst Paul VI. hat sich zwei Mal kritisch zu dieser nach-konziliaren keit, Keuschheit, Armut und Gehor- Rezeption des II. Vaticanums geäußert. Am 7. Dezember 1968 sprach sam gemeint, die nunmehr vor dem er von einem „Prozess der Selbstzerstörung der Kirche“ (Insegnamenti, Hintergrund von menschlichen Be- Band VI, 1968, S. 1187-1189) und am 29. Juni 1972 zeigte er sich ent- dürfnissen in der Gegenwart behan- täuscht und irritiert darüber, dass die erhoffte Belebung und das erwar- delt werden. Den Konzilsvätern ging tete geistliche Wachstum der Kirche nicht stattfinden. Nach kritischen es dabei darum, dass an traditionel- Theologen wie etwa dem Tübinger Ökumene-Professor Hans Küng dau- len Strukturen festgehalten wird, aber ert diese nach-konziliare Krise bis heute an. auch neue Wege des Gemeinschaftsle- Immer wieder werden Irrtümer bei der Bewertung und Interpretation bens und des apostolischen Dienstes des II. Vaticanums geäußert. So heißt es, das Konzil habe gesagt, es habe gesucht werden. Es kam infolge die- nichtchristlichen Religionen zuerkannt, dass sie Offenbarungscharakter ses Dokuments in der Weltkirche zur haben und zum Heil führen. Das Konzil lehrt aber, das Erlösung und Heil Gründung von Ordensobernkonferen- in keinen anderen Namen als dem drei-einen Gott gefunden werden kann zen, so auch in Deutschland. (so in „Ad gentes Nr. 9, Lumen gentium Nr. 16 und „Dignitatis huma- Im Dekret „Christus dominus“, nae“ Nr. 1). Dem Konzil wird angeblich zugeschrieben, dass es der Hei- also „Christus, der Herr“ vom 28. ligen Schrift vor der Tradition den Vorrang einräume. Anders aber „Dei Oktober 1965 geht es um die Hirten- Verbum“ Nr. 9, die der Heiligen Schrift und der Tradition gleicherma- aufgabe der Bischöfe in der Kirche. ßen Vorrang einräumt, wobei bei der Tradition das Bibelverständnis der Zu ihren Aufgaben zählen die Förde- Kirchenväter zu berücksichtigen ist. Weiter wird behauptet, dass Konzil rung der verschiedenen Formen des messe den „Zeichen der Zeit“ normativen Charakter für den Inhalt der Apostolats und die Abstimmung der christlichen Offenbarung heute zu. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, wie Leitung der Apostolatswerke unterei- in „Gaudium et spes“ Nr. 4 eindeutig nachzulesen ist. Schließlich wird nander, sodass eine innige Verbindung dem Konzil nachgesagt, dass es auf die Heilsnotwendigkeit der Kirche zur Ortsdiözese zum Ausdruck ge- verzichte und den Absolutheitsanspruch der wahren Religion preisgebe. bracht wird. Die Schrift gliedert sich In „Lumen gentium“ Nr. 14-16 ist aber ausdrücklich ausgeführt, dass in Kapitel über grundsätzliche Aufga- nur durch den in der Taufe eingegangenen Bund mit Gott und durch den ben der Bischöfe, die neue Ordnung Glauben an den drei-einen Gott der Weg zu Heil und Erlösung führen. der Kirche, die Weihbischöfe und die Bischofskonferenzen. Im Grundsatz- Fortsetzung im Kasten auf Seite 30 kapitel wird noch einmal das Leitbild des Bischofs als guter Hirte beschrie-

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 29 RELIGION UND GESELLSCHAFT

ben, oder wie es im Vorwort heißt: Am 4. Juli 2011 ist Otto von Habsburg, letzter Kronprinz des österrei- sie „sind die Nachfolger der Apos- chischen Kaiserreiches und des Königreichs von Ungarn im bayrischen tel als Hirten der Seelen.“ Es wird Pöcking im Alter von 98 Jahren verstorben. Beim Pontifikalrequiem im unterstrichen, dass die Bischöfe in Wiener Stephansdom verwies Christoph Kardinal Schönborn auf das Jahr ihrer Lehrautorität und ihrer ‚pasto- 1914 und auf den I. Weltkrieg, durch den Europas Geschichte in andere ralen Regierung‘ ganz in Bezug auf Richtungen und Bahnen gelenkt wurde. Tatsächlich ist die „nach-kon- die universale Kirche Gottes vereint ziliare Krise“ in einen größeren, ideen- und kirchengeschichtlichen Zu- sind: „Sie üben dieses Amt einzeln sammenhang einzuordnen. Durch das elende Sterben so vieler Soldaten in Bezug auf die Teile der Herde des im I. Weltkrieg und den damit verbundenen Zäsuren im Leben so vieler Herrn, die ihnen…“ zugeteilt sind, Menschen kam es zu einer Krise jedweder überlieferten Autorität, sei- aus. Über die Einrichtung von nati- en es Monarchie, Vaterland, ländliche Großfamilie, religiöse Praxis oder onalen Bischofskonferenzen mit ent- der traditionelle Sozialkonsens in der Moral. Es folgten Kritik an bislang sprechenden Sekretariaten wurde auf bekannten Autoritäten der europäischen Zivilisation, vor allem in den dem II. Vaticanum trefflich diskutiert Nachwehen des deutschen Nationalsozialismus und des II. Weltkrieges. und gestritten, bevor sie eingerichtet, Wenn der deutsche Maler Hermann Stenner, der sich ebenso wie die gemeinrechtlich vorgeschrieben und Maler August Macke und Franz Marc 1914 freiwillig zum Kriegseinsatz im Codex Iuris Canonici von 1983 nor- meldeten, in seinen Briefen Formulierungen gebraucht wie „wir wollen miert wurden. Seither sind auch die den Franzosen verdreschen“ oder „jetzt verhauen wir den Franzos‘ mal Weihbischöfe vollberechtigte Mitglie- ordentlich“, dann zeugen diese Äußerungen von einer anfänglich bestan- der der jeweiligen Bischofskonferenz. denen unglaublichen Naivität und Fehleinschätzung der politischen Lage in Europa. Tatsache heute ist, dass jedwede Autorität und jede Großorga- Bibel, Mission und nisation es in der pluralistischen Gesellschaft schwer haben, seien es die christliche Erziehung Parteien, die Gewerkschaften, Jugendverbände oder eben die Kirchen, amit kommen wir zu drei weite- gerade weil die moderne pluralistische Gesellschaft auf die freiwillige Dren Texten, die in die Form einer Zustimmung ihrer Mitglieder basiert. Auch die noch bestehenden Kö- Konstitution, eines Dekrets und ei- nigshäuser müssen sich deshalb immer wieder mit der öffentlichen Mei- ner Erklärung gebracht wurden. Eine nung und den Ergebnissen von Meinungsumfragen auseinandersetzen. Konstitution erklärt etwas grundsätz- lich verbindliches, welches jedoch Autonome Moral kontra Gesetzesmoral stets in einen gewissen theologischen m die Wirkungsgeschichte des II. Vaticanums zu verstehen und richtig oder kirchlichen Zusammenhang ein- Ueinzuordnen, gilt es jenen Spannungsbogen zwischen Heteronomie zuordnen ist. Ganz so verhält es sich und Autonomie, also zwischen Gesetzesmoral und selbstverantworteter mit der Konstitution „Dei Verbum“ Moral zu verstehen, die das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft vom 18. November 1965. Die Schrift charakterisiert. Der Bonner Moraltheologe Franz Böckle hat hierzu grund- steht in einem inhaltlichen Zusam- legendes in seinem Buch „Fundamentalmoral“ geschrieben. Die katho- menhang zur Konstitution über die lische Kirche stand sich in weiten Teilen des Mittelalters und der Neu- Liturgie und zur dogmatischen Kon- zeit einer Gesellschaft gegenüber, in der alle Macht im Himmel und auf stitution „Lumen gentium“, die noch Erden auf den christlichen Gott zurückgeführt wurde. Demzufolge gab zu behandeln ist. „Dei verbum“, was es Kaiserreiche und Königreiche, die sich auf diesen göttlichen Legiti- übersetzt soviel wie „Gottes Wort“ mationsanspruch stützten, jedoch praktisch keine Demokratie und eine heißt, manifestiert die Richtigkeit der Rechtsstaatlichkeit nur in Ansätzen kannten. Mit der Reformation und der Heiligen Schrift im Kontext der mo- Französischen Revolution wuchsen demokratische Bewegungen auf, die dernen Wissenschaft und in Treue den Einzelnen in eine immer stärkere, persönliche Verantwortung führten. zur Tradition der Kirche gleicherma- Zum einen war es wohl so, dass das Erste Vatikanische Konzil (1869- ßen, womit deutlich wird, dass es sich 1870), welches aufgrund der politischen Ereignisse um die Kriegserklä- hier um einen geistigen Drahtseilakt rung Frankreichs an Preußen, dem Abzug der französischen Schutztrup- handelt, auch wenn der Kirche hier- pen aus Rom, die Abschaffung des Kirchenstaates und der Gründung des mit eine positive Lehraussage gelun- Königreiches Italien, unvollendet geblieben war und irgendwie eines Ab- gen ist. Die Heilige Schrift hat ohne schlusses bedurfte. Aufgrund der politischen Umbrüche in Italien und in Zweifel recht, aber nicht im wortwört- Europa war dies aber erst nach dem II. Weltkrieg möglich. Zum anderen lichen Sinne und nicht im Spiegel der verhinderten die beiden Weltkriege, die offene römische Frage bis 1929 modernen Wissenschaft, sondern im und die vielen politischen Konflikte und Brüche in der ersten Hälfte des Horizont des christlichen Glaubens. 20. Jahrhunderts Selbstreflektion und Reformbereitschaft, sodass es An- Die Heilige Schrift stellt Gottes Wort fang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu einem gewissen „Re- dar, in ihr offenbart sich Gott selbst. formstau“ in der römisch-katholischen Kirche gekommen war. So heißt es denn auch in „Verbum dei“: „Gott hat in seiner Güte und Fortsetzung im Kasten auf Seite 31 Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis des Willens kundzutun, dass die Men-

30 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 RELIGION UND GESELLSCHAFT schen durch Christus, das fleischge- wordene Wort, im Heiligen Geist Zu- gang zum Vater haben und teilhaftig So waren Anpassungen notwendig, beispielsweise bei Themen wie werden der göttlichen Natur. Gott, der Liturgie, Ökumene, interreligiösen Dialog, Verhältnis Staat-Kirche und durch das Wort alles erschafft und er- ziviler Religionsfreiheit. Dabei sollte und wollte das II. Vaticanum in Ein- hält, gibt den Menschen jederzeit in zelfragen lediglich Impulsgeber sein, um Dialoge anzustoßen, etwa bei den geschaffenen Dingen Zeugnis von der Ökumene und im interreligiösen Dialog sowie in der Ausgestaltung sich.“ Die Heilige Schrift und die Tra- der katholischen Soziallehre. dition der Kirche schließen sich nicht Um es noch einmal zu sagen: die römisch-katholische Kirche woll- aus, sondern sie bedingen und ergän- te und will in die Welt hineinwirken und eine Neu-Evangelisation be- zen einander. treiben, in der sich Menschen aus freiem Willen Christus anschließen. Das Dekret „Ad gentes“, was so- Vielleicht war, so müssen wir wohl heute sagen, die damalige Einschät- viel wie „zu den Völkern“ bedeutet, zung zu optimistisch, die Menschen, vor allem in Europa, werden sich wurde am 7. Dezember 1965 verab- machtvoll in Freiheit für eine Neuevangelisation Europas entscheiden, schiedet und beinhaltet eine eigene sich dafür einsetzen und damit auch der römisch-katholischen Kirche in Verordnung über die Missionstätigkeit verstärktem Maße zuwenden. der Kirche. Der Text behandelt die Andererseits versucht gerade die dogmatische Konstitution „Lumen Themen theologische Grundlegung, gentium“ deutlich zu machen, dass es ewige Wahrheiten gibt, die für die Missionsarbeit, Teilkirchen, die Mis- Kirche nicht zu diskutieren sind. Es geht darum, dass uns Jesus Chri- sionare, die Ordnung der missionari- stus in dem ältesten Teil des Neuen Testaments, den Paulusbriefen, die schen Tätigkeit und die gesamtkirch- noch vor den Evangelien in den Jahren 50 bis etwa 62 n. Chr. verfasst liche Missionshilfe. In der Schrift wird wurden, vom Reiche Gottes erzählt, welches unsere menschliche Vorstel- grundsätzlich festgestellt, dass die ge- lungskraft von der Herrlichkeit Gottes übersteigt. So heißt es im ersten samte Kirche ihrem Wesen nach mis- Brief an die Korinther, der um 54/55 n. Chr. verfasst wurde, in Kapitel 2 sionarisch tätig ist, gleichsam als pil- Vers 9: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines gernde Kirche. Mission ist nichts an- Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lie- deres als die Kundgabe oder Erfüllung ben.“ Und vor diesem Hintergrund ist Kapitel 22 der Pastoralkonstitution des Heilsplans Gottes in der Welt und „Gaudium et spes“ zu sehen, in dem von Christus, dem neuen Menschen in der Geschichte. „Ad Gentes“ ist in gesprochen wird und in dem auf den Brief des Paulus an die Römer Be- engem theologischem Zusammenhang zug genommen wird: „Wenn der Geist dessen, der Jesus von den Toten zu „Lumen gentium“ zu sehen, in der erweckt hat, in euch wohnt, wird er, der Jesus Christus von der Toten er- die Missionsarbeit und die Evangeli- weckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen des in sation der Völker als Aufgaben der euch wohnenden Geistes“ (Röm 8,11). Kirche formuliert sind: „Zur Völker- (Andreas M. Rauch) welt von Gott gesandt, soll die Kir- che ‚das umfassende Sakrament‘ des Heils‘ sein. … In der gegenwärtigen Weltlage, aus der für die Menschheit gentium“ und der pastoralen Kons- sche Konzil eingehende Erwägungen eine neue Situation entsteht, ist die titution „Gaudium et spes“. Die Ver- angestellt. Tatsächlich machen die Kirche, die da ist Salz der Erde und mittlung von christlichem Glauben Gegebenheiten unserer Zeit die Erzie- Licht der Welt, mit verstärkter Dring- und christlichen Werten gehört ganz hung der Jugend, ja sogar eine stetige lichkeit gerufen, dem Heil und der existentiell zur Kirche. Bereits 1929 Erwachsenbildung leichter und vor Erneuerung aller Kreatur zu dienen, wurde deshalb eine Enzyklika „Divini allem dringlicher.“ In der Erklärung damit alles in Christus zusammenge- illius magistri“ zur Erziehung an ka- werden im Wesentlichen vier weitere fasst werde und in ihm die Menschen tholischen Schulen, Hochschulen und Aussagen gemacht: eine einzige Familie und ein einziges Universität veröffentlicht. Vor dem – alle Christen haben das Recht auf Gottesvolk bilden.“ Es wird auf die Hintergrund der UN-Charta von 1948 eine christliche Erziehung; erste bekannte Missionsenzyklika, führt daher die Erklärung von 1965 – die Eltern haben die Pflicht zur die „Sancta dei civitas“ von Papst Leo eingangs aus: „Alle Menschen, gleich Kindererziehung; XIII. verwiesen; eine kritische Ausei- welcher Herkunft, welchen Standes – in der Erfüllung ihrer Erziehungs- nandersetzung mit ihr und mit der bis- und Alters, die kraft ihrer Personen- aufgabe ist die Kirche um geeig- herigen katholischen Missionspraxis würde das unveräußerliche Recht auf nete Hilfsmittel bemüht, unter de- findet in dem Dokument nicht statt. Erziehung (besitzen)….“ Und in die- nen die (katholische) Schule eine Die Erklärung „Gravissimum ser Erklärung zur christlichen Erzie- ganz besondere Bedeutung hat; educationis“ über die christliche Er- hung wird weiter gesagt: „Über die – von der Tätigkeit der theologi- ziehung vom 28. Oktober 1965 steht in entscheidende Bedeutung der Erzie- schen Fakultäten erwartet die Kir- einem engen Zusammenhang mit dem hung im menschlichen Leben und ih- che sehr viel, weshalb den Uni- gerade behandelten Dekret über die ren ständig wachsenden Einfluss auf versitäten und Fakultäten ihre Missionstätigkeit der Kirche, mit der den gesellschaftlichen Fortschritt der besondere Sorge gilt. Die ka- dogmatischen Konstitution „Lumen Gegenwart hat das Heilige Ökumeni- tholischen Schulen und die ka-

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tholisch-theologischen Fakultä- formation vor allem im christlichen Gegensatz ansehen. Das Hauptargu- ten sind gleichermaßen Orte der Abendland entfaltet hat. ment für diesen scheinbaren Kurs- Glaubensvermittlung und ein Me- Vor dem II. Vaticanum wurden wechsel besteht darin, dass erst durch dium der Evangelisierung. aufgrund des Wahrheitsanspruches eine freie Religionsausübung und die der katholischen Religion staatliche Freiheit des Einzelnen, seine Religi- Zur Frage der Religionsfreiheit Vorrechte durch die römisch-katho- on zu wählen, eine Neu-Evangelisa- s gibt drei Dokumente des II. Va- lische Kirche beansprucht. Solche tion Europas gelingen könne. Viel- Eticanums, die auch heute noch staatlichen, mitunter verfassungs- leicht wurde in diesem Punkte – aus immer wieder rezipiert und disku- rechtlich abgesicherten Vorrechte heutiger Sicht – etwas zu idealistisch tiert werden: das Dekret über die Re- existierten schon zur Zeit des Kon- gedacht. ligionsfreiheit, das Verhältnis zu den zils nur noch teilweise in Italien (bis Tatsächlich ist es so, dass die nicht-christlichen Religionen und 1984), in Portugal (bis 1974) und in Schrift „Dignitatis humanae“ die das Wirken der Kirche in der Welt. Spanien (bis 1976). Der Heilige Stuhl Themen Menschenwürde, Menschen- Dabei handelt es sich nicht um rein hat aufgrund dieser Selbstkorrektur rechte und Religionsfreiheit in den innerkirchliche Fragestellungen, son- der kirchlichen Lehre in der Folgezeit Mittelpunkt stellt, indem sie ausführt: dern um Themen, die sich um den eine Politik dahingehend betrieben, „Die Würde der Menschen kommt christlichen Glauben in moderner dass die römisch-katholische Kirche den Menschen unserer Zeit immer Gesellschaft drehen. Auf alle drei in Ländern wie Italien und Spanien mehr zum Bewusstsein, und deshalb Schriften habe die Päpste Johannes nicht mehr als Staatsreligion in der wächst die Zahl derer, die den An- XXIII. und Paul VI. Einfluss genom- Verfassung verankert ist. Reste die- spruch erheben, dass die Menschen men; beide Päpste hatten als langjäh- ser Vorrechte sind allerdings vielfach bei ihrem Tun ihr eigenes Urteil und rige Diplomaten des Heiligen Stuhles noch in Konkordaten, also Verträgen eine verantwortliche Freiheit besitzen ein besonderes Interesse an den darin zwischen dem Heiligen Stuhl und den und davon Gebrauch machen sollen, behandelten Themen. Vielleicht auf- jeweiligen Ländern, erhalten geblie- nicht unter Zwang, sondern vom Be- grund dieser Einflussnahme legten ben. Problematisch ist in diesem re- wusstsein der Pflicht geleitet. In glei- alle drei Texte eine mehr oder min- ligiösen Gesamtkontext auch, dass cher Weise fordern sie eine rechtli- der schwere Entstehungsgeschichte in vielen protestantischen Ländern che Einschränkung der öffentlichen zurück, was aber auch auf das große in Europa, so in Großbritannien, Dä- Gewalt, damit die Grenzen einer eh- innerkirchliche und allgemein gesell- nemark, Schweden und Norwegen, renhaften Freiheit der Person und schaftliche Interesse zurückzuführen die protestantische Religion Staats- auch der Gesellschaftsnormen nicht ist. Auch nehmen alle drei Dokumen- religion geblieben ist. Auch die or- zu eng umschrieben werden. … Das te, ebenso wie die Erklärung über die thodoxen Kirchen beanspruchen in Vatikanische Konzil wendet diesen christliche Erziehung, bezug auf die vielen osteuropäischen Staaten eine Bestrebungen seine besondere Auf- UN-Menschenrechtscharta von 1948. staatlich garantierte Vorrangstellung merksamkeit zu in der Absicht, eine Zudem hat Papst Paul VI. durch sei- für sich, so etwa in Russland, Weiß- Erklärung darüber abzugeben, wie ne Pastoralreise in ein Entwicklungs- russland, der Ukraine, Serbien und in weit sie der Wahrheit und Gerech- und Schwellenland wie Indien vom 2. Griechenland. Überhaupt handelt es tigkeit entsprechen, und deshalb be- bis 5. Dezember 1964 Akzente ge- sich hierbei um ein schwieriges und fragt es die heilige Tradition und die setzt, die in allen drei Dokumenten recht komplexes kirchen-, verfas- Lehre der Kirche, aus denen es im- Eingang gefunden haben. sungs- und staatsrechtliches Thema. mer Neues hervorholt, das mit dem Vor diesem zeit- und kirchenge- Tatsächlich können wir hinsicht- Alten in Einklang steht.“ Und dann schichtlichen Hintergrund wurzelt lich der katholischen Staats- und Ge- ganz deutlich äußert das Dokument somit die Erklärung „Dignitatis hu- sellschaftslehre von einer gewissen zum Punkt Religionsfreiheit: „Bei der manae“, also über die menschliche Zäsur sprechen, weil auf der einen Behandlung dieser Religionsfreiheit Würde, in großen Teilen in der er- Seite der geistig-religiöse Absolut- beabsichtigt das Heilige Konzil, zu- wähnten Allgemeinen Erklärung der heits- und Heilsanspruch der Kir- gleich die Lehre der neueren Päpste Menschenrechte der Vereinten Nati- che ad intra, also nach innen hin, über die unverletzlichen Rechte der onen, indem sie einen Bogen schlägt nicht aufgegeben wird, wie das auch menschlichen Person wie auch ihre zwischen der unantastbaren Würde „Lumen gentium“ unterstreicht und Lehre von der rechtlichen Ordnung des Menschen und des Rechtes des wie es auch die lange Geschichte der Gesellschaft weiterzuführen.“ Menschen auf freie Wahl und Aus- und Lehre der römisch-katholischen Der prominenteste Kritiker der übung seiner Religion (Religions- Kirche vermittelt. Andererseits zeigt vorliegenden Erklärung war Erzbi- freiheit). Dieser Zusammenhang kam sich die Kirche ad extra, also nach schof Marcel Lefebvre, der das II. auch bei der Rede von Papst Paul VI. außen hin, ganz offen, also ohne auf Vaticanum beschuldigte, in der Frage am 4. Oktober 1965 vor den Verein- ein Beharren öffentlich-rechtlicher der Religionsfreiheit einem Irrtum er- ten Nationen in New York zum Aus- Ansprüche im Sinne einer Staats- legen zu sein. Tatsächlich gab es bei druck. Geschichtlich greift dieses kirche und ganz in einem pastoralen der Abstimmung über dieses Doku- Dokument eine Entwicklung auf, die Sinne gemäß „Gaudium et spes“, was ment 70 Gegenstimmen, während an- sich im Zusammenleben der Staaten viele Christen und Katholiken heute sonsten eher 10 bis 20 Gegenstimmen und Völker schrittweise seit der Re- als noch immer unüberbrückbaren auf dem Konzil üblich waren.

32 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Die Beziehungen zu den nicht- formationen, geschweige den einen schen erwarten von den verschiede- christlichen Religionen persönlichen Kontakt mit der jüdi- nen Religionen Antworten auf die as Dokument „Nostra Aetate“, schen und muslimischen Weltreligion ungelösten Rätsel des menschlichen Dalso die Erklärung zu den nicht- hatten – auch wenn die beiden Welt- Daseins, die heute wie von je her die christlichen Religionen vom 28. Ok- religionen einen prägenden Einfluss Herzen der Menschen im tiefsten be- tober 1965, steht in einem engen geis- auf die europäische Geschichte und wegen: Was ist der Mensch? Was ist tigen Zusammenhang zu den Dekre- die Kirchengeschichte hatten. Noch Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ten über die katholischen Ostkirchen deutlicher wird dies mit Bezug auf die ist das Gute, was die Sünde? Woher und den Ökumenismus. Ein Dekret asiatischen Weltreligionen des Hin- kommt das Leid und welchen Sinn ist ein Erlass, ein juristischer Verwal- duismus und Buddhismus, wo sich hat es? Was ist der Weg zum wahren tungsakt mit Gesetzeskraft, der an alle einzelne Konzilsteilnehmer erst ein- Glück? Was ist der Tod, das Gericht Gläubige oder an Einzelpersonen ge- mal informieren mussten, was damit und die Vergeltung nach dem Tode? richtet ist. Eine Erklärung hingegen überhaupt gemeint war. Tatsächlich Und schließlich: Was ist jenes letz- stellt einen kommunikativen Akt dar, brauchten die vier großen Weltreligi- te und unsagbare Geheimnis unserer einen Sachverhalt, der erläutert wird onen bislang auch gar nicht im Wahr- Existenz, aus dem wir kommen und und der sich an alle richtet, die davon nehmungshorizont eines katholischen wohin wir wollen?“ Kenntnis bekommen, also hinsicht- Klerikers zu liegen, da er ohnehin mit Das zweite Argument lautet, lich seiner Äußerung wie von seiner dem Selbstanspruch auftrat, die ein- dass es eigentlich seit Anbeginn der Zielgruppe her weit unbestimmter ist zig wahre Religion zu vertreten. Erst Menschheit schon immer Religionen als ein Dekret. mit der Erklärung über die Religi- gegeben hat, das für die Menschen Für Papst Paul VI. war „Nost- onsfreiheit trat auch hier eine andere der frühen Menschheitsgeschichte ra Aetate“ ein persönliches Anlie- Akzentsetzung ein. und des Altertums die Existenz Got- gen. Als langjähriger Diplomat des Die Einführung zur Erklärung tes oder von Göttern eine Selbstver- Heiligen Stuhles hatte Montini viele führt aus, wieso dieser Text überhaupt ständlichkeit war, so wie auch heute Kontakte zu Regierungen und Reli- geschrieben wurde: „In unserer Zeit, die Mehrheit aller Menschen einer gionsgruppen. Dabei spielten die jü- da sich das Menschengeschlecht von der Weltreligionen verbunden ist: „ In dische und muslimische Weltreligion Tag zu Tag enger zusammenschließt den ältesten Zeiten bis zu unseren Ta- ebenso wie Buddhismus und Hindu- und die Beziehungen unter den ver- gen findet sich bei den verschiedenen ismus eine Rolle. Paul VI. baute ge- schiedenen Völkern sich mehren, er- Völkern eine gewisse Wahrnehmung rade in diesem Punkt deutlich einen wägt die Kirche mit um so größerer jener verborgenen Macht, die dem Druck hinter den Kulissen auf, damit Aufmerksamkeit, in welchem Verhält- Lauf der Welt und den Ereignissen eine Klärung der Beziehungen der rö- nis sie zu den nichtchristlichen Re- des menschlichen Lebens gegenwär- misch-katholischen Weltkirche zu den ligionen steht. … Alle Völker sind ja tig ist, … .In diesem Zusammenhang anderen Weltreligionen erzielt wird. In eine einzige Gemeinschaft, sie haben mit dem Fortschreiten der Kultur su- diesem Zusammenhang sind die Pil- denselben Ursprung, da Gott das gan- chen die Religionen mit genaueren gerreisen Papst Paul VI. in das Heili- ze Menschengeschlecht auf dem ge- Begriffen und in einer mehr durch- ge Land und seine Begegnung mit Pa- samten Erdkreis wohnen ließ; auch gebildeten Sprache Antwort auf die triarch Athenagoras vom 4.-6. Januar haben sie Gott als ein und dasselbe gleichen Fragen.“ 1964 sowie in das bereits erwähnte letzte Ziel.“ Das bedeutet, auch christ- Kern und Angelpunkt der ge- indische Bombay vom 2.-5. Dezem- liche Wahrheitselemente sind in au- samten Schrift ist die Frage des Ver- ber 1964 einzuordnen. Obwohl Indi- ßerchristlichen Religionen enthalten. hältnisses der römisch-katholischen en durch den um 72 n. Chr. in Madras Der kritische Leser wird fragen, Christen zu den Juden. Ursprüng- verstorbenen Apostel Thomas teilwei- wie denn etwa im Hinduismus oder lich plante Papst Johannes XXIII. se missioniert wurde, war es doch der Buddhismus christliche Wahrheits- ein eigenes Dekret zum Judentum. erste Besuch eines Oberhauptes der elemente vorhanden sein können, Als päpstlicher Botschafter, also als römisch-katholischen Kirche auf dem wenn diese Gläubigen an den christ- Nuntius in Bulgarien und in Ungarn indischen Subkontinent und deswe- lichen Gott gar nicht glauben? Hier hatte Roncalli die Judenverfolgun- gen ein außergewöhnliches Ereignis. werden zwei Argumente vorgetragen. gen in der Zeit des deutschen Natio- Der spätere Pastoralbesuch von Papst So versteht die Kirche bereits die Su- nalsozialismus persönlich miterlebt Johannes Paul II. wurde hingegen von che nach Wahrheit - ganz im Sinne und vielen Juden das Leben gerettet. vielen fast schon als eine Normalität der alten griechischen Philosophen Seit seinem Amtsantritt 1958 leitete empfunden. Die Visiten von 1964 oder eines neuzeitlichen Denkers wie Johannes XXIII. ein erneuertes Ver- von Papst Paul VI. waren zudem et- Gottfried Ephraim Lessing – als ei- hältnis zum Judentum ein, indem er was ganz besonderes vor dem Hinter- nes Stück Weges hin zu Gott, so wie etwa im Jahr 1959 bei der traditio- grund des noch laufenden II. Vatica- in den alten Katakomben von Rom, nellen Karfreitagsfürbitte die Worte nums in Rom. vor allem in den Calixtus- und Do- ‚treulos‘ (perfidus) und ‚jüdische Un- Dabei war die Lage hinsichtlich mitilla-Katakomben Jesus und seine treue‘ (iudiacam perfidiam) wegließ. des Themas Weltreligionen einfach Jünger als Philosophen an die Wän- Für die katholische Kirche ist das so, dass die Masse der Konzilsteil- de gemalt sind. In „Nostra aetate“ Verhältnis zum Judentum ein ganz nehmer anfänglich nur wenige In- heißt es in diesem Sinne: „Die Men- heikler Punkt aus zweierlei Gründen:

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 33 RELIGION UND GESELLSCHAFT

– Jesus, alle Apostel und auch Pau- dem Gott alle Menschen auferweckt zilsteilnehmer zu Konzilsbeschlüssen lus waren Juden; und ihnen vergilt. Deshalb legen sie gelangen. Gleichwohl nahm Papst Jo- – judenkritischen Äußerungen und Wert auf sittliche Lebenshaltung und hannes XXIII. durch seine Enzykli- jedwedem Antisemitismus galt verehren Gott besonders durch Gebet, ken „Mater et magistra“ von 1961 es, eine klare Absage zu erteilen. Almosen und Fasten.“ Darüber hinaus und vor allem mit „Pacem in terris“ Deshalb bedenkt die Schrift „Nos- wird ein Neubeginn im Sinne eines von 1963 Einfluss auf das Konzil. So tra Aetate“ erst einmal die gemeinsa- gegenseitigen Verstehens angemahnt: führt das II. Vaticanum die inhaltli- men Grundlagen mit dem Judentum, „Da es jedoch im Laufe der Jahrhun- che Linie beider Enzykliken fort, kei- und zwar in Form der geistlichen An- derte zu manchen Zwistigkeiten und ne Lehrverurteilungen fortzunehmen, erkennung Abrahams als Stammva- Feindschaften zwischen Christen und sondern zu positiven Aussagen über ter und des Fortbestandes des Alten Muslime kam, ermahnt die Heilige Sy- Gott und die Welt zu kommen und in Bundes. node alle, das Vergangene beiseite zu gewisser Weise dadurch für die Kir- Sodann wird jeder Bezeichnung lassen, sich aufrichtig um gegensei- che werbend einzutreten. Vor diesem der Juden als „Christusmörder“ eine tiges Verstehen zu bemühen und ge- Hintergrund entfiel die von einigen Absage erteilt: „Obgleich die jüdi- meinsam einzutreten für Schutz und Konzilsteilnehmern geforderte expli- schen Obrigkeiten mit ihren Anhän- Förderung der sozialen Gerechtig- zite Verurteilung des Kommunismus gern auf den Tod Christi gedrungen keit, der sittlichen Güter und nicht als eines modernen Zeitirrtums. haben, kann man dennoch die Er- zuletzt des Friedens und der Freiheit „Gaudium et spes“ stellt zudem eignisse seines Leidens weder allen für alle Menschen.“ Dass diese For- der einzige Text des Konzils dar, der damals lebenden Juden ohne Unter- mulierung nur ein erster Schritt sein eindringlich auf politisch-gesell- schied noch den heutigen Juden zur konnte, macht die Vergebungsbitte schaftliche Fragen eingeht. Diese Last legen: Gewiss ist die Kirche das von Papst Johannes Paul II. im Jahr werden im Lichte der von Papst Leo neue Volk Gottes, trotzdem darf man 2000 deutlich und der mit dem Konzil XIII. formulierten katholischen So- die Juden nicht als von Gott verworfen einsetzende und bis heute fortgeführte ziallehre behandelt und bewertet. In oder verflucht darstellen, als wäre dies christlich-jüdische Dialog. politischen Fragen können Christen aus der Heiligen Schrift zu folgern.“ unterschiedlicher Meinung sein und Und dann kommt die zentrale Die Pastoralkonstitution sie müssen ihre Entscheidungen vor Textstelle, in der vor dem Hinter- „Gaudium et spes“ ihrem eigenen Gewissen verantwor- grund antijudaistischer Kirchenleh- leich einem theologischen Pau- ten. Hiervon zu trennen sind dogma- ren und der daraus abgeleiteten und Gkenschlag endet die Reihe der tische Lehrentscheidungen. Zu den Jahrhunderte lang praktizierten Ju- Konzilstexte mit der am letzten Sit- dogmatischen Äußerungen der Kir- dendiskriminierung und Judenver- zungstag des Konzils, den 7. Dezem- che zählen beispielsweise die katho- folgung, vor allem in Europa, deutlich ber 1965 verabschiedeten Pastoral- lische Auffassung von den Sakramen- gemacht wird, dass Antisemitismus konstitution „Gaudium et spes“, was ten wie etwa dem Sakrament der Ehe, mit dem christlichen Glauben und übersetzt so viel wie Freude und Hoff- die Lehre von der Erbsünde oder die dem Gebot der Nächstenliebe nicht nung heißt. Gemeint ist damit, dass Forderungen nach Gerechtigkeit und zu vereinen sind: „Im Bewusstsein die Kirche in die Welt mit Freude und Frieden in der Welt. In politischen des Erbes, das sie mit den Juden ge- Hoffnung hinein wirken soll, also mit Angelegenheiten kann die Kirche ihre meinsam hat, beklagt die Kirche, die einer positiven Ausstrahlungskraft. Meinung äußern, wie dies etwa Papst alle Verfolgungen gegen irgendwelche Zugleich prägte dieses Dokument wie Leo XIII. in „Rerum novarum“ 1891 Menschen verwirft, nicht aus politi- kein anderes das Konzilsgeschehen, auch tut, doch ist eben der einzel- schen Gründen, sondern auf Antrieb da es um das pastorale Bemühen der ne Christ in diesen Fragen lediglich der religiösen Liebe des Evangeli- Kirche geht, die Welt von heute an- seinem Gewissen und seiner Verant- ums alle Hassausbrüche, Verfolgun- zusprechen und auf sie Einfluss im wortung vor Gott unterworfen. Jedoch gen und Manifestationen des Antise- Sinne einer christlichen Wertevermitt- fiel es Zeitgenossen von „Gaudium et mitismus, die sich zu irgendeiner Zeit lung zu nehmen. Dazu gehört es auch, spes“ auf, dass in Teilen die Kirche und von irgend jemanden gegen die sich der Sorgen dieser Welt anzuneh- eine Selbstkorrektur in der kirchli- Juden gerichtet haben.“ men: „Obwohl die Menschheit stau- chen Botschaft vornahm, indem sie Im Unterschied zum Judentum nend auf eigene Entdeckungen und seither in weltlichen Fragen stärker fielen die Ausführungen zum Islam seine Macht heimgesucht wird, wirft den Dialog und den gegenseitigen relativ kurz aus. Auch hier wird der es oft bange Fragen über den aktuel- Lernfortschritt betont. Deshalb wird Islam als eine monotheistische Reli- len Trend der Welt, über die Stellung die katholische Kirche von vielen seit- gion herausgestellt, die sich auf Abra- und Rolle des Menschen im Univer- her mehr als eine mitwirkende Kraft in ham zurückführen lässt. Positiv wird sum …auf.“ der Welt wahrgenommen denn als ein gewürdigt, dass die Muslime Jesus als Wichtig für das gesamte Konzils- geistliches Reservoir oder gar ein Kor- Propheten verehren und seine Mutter geschehen und sein Selbstverständ- rektiv für die moderne Gesellschaft, Maria in Frömmigkeit anrufen. Außer- nis war, dass nicht der Papst kraft wozu es aber auch unterschiedliche dem werden gemeinsame theologische seines Amtes autoritativ Entschei- Meinungen gibt. Überzeugungen betont: „Überdies er- dungen herbeiführte, sondern dass in Die pastorale Konstitution „Gau- warten sie den Tag des Gerichtes, an demokratischer Abstimmung die Kon- dium et spes“ enthält sechs Kernaus-

34 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 RELIGION UND GESELLSCHAFT sagen, die auch für katholische Sol- Lebens hat und in Folge dessen der ten Zivilisation bedroht ist, vor allem daten von Bedeutung sind. Staat die Gemeinnützigkeit von Ei- durch die Atomwaffen, die biologi- Erstens, der Mensch ist Urheber, gentum zu beachten hat, sofern damit schen und chemischen Kampfmittel, Mittelpunkt und Ziel allen wirtschaft- nicht das Gemeinwohl gefährdet wird. durch andere Kriegssituationen oder lichen Lebens und der Kultur sowie Fünftens tritt die Kirche für die durch (Natur-) Katastrophen, die mit Träger und Ziel aller gesellschaftli- Förderung des Friedens und den Auf- umweltschädlichen Handeln einher- chen Institutionen, denn die Würde bau der Völkergemeinschaft ein, wo- gehen, bei der Gottes Natur nicht ge- des Menschen und das daraus abge- bei sie dem einzelnen Staat das Recht achtet und beschützt wird. Die Kirche leitete Recht des Menschen gründen auf eine sittlich erlaubte Verteidigung fordert zur Vermeidung jeden Krieges in der Ebenbildlichkeit Gottes. zubilligt. auf und sie beklagt den damaligen Rü- Zweitens braucht die Kirche den Sechstens tritt die Kirche vehe- stungswettlauf zwischen der östlichen offenen Dialog mit der Welt und eine ment für die Forderung nach einer und westlichen Hemisphäre vor dem Kenntnis von der Situation der Men- internationalen friedensschaffenden Ende des Ost-West-Konflikts 1989 schen in der Welt von heute, um die Autorität ein, damit der Krieg end- als „eine der schrecklichsten Wun- ‚Zeichen der Zeit‘ zu erkennen und gültig untersagt und geächtet wird. den der Menschheit“. Die Pastoral- ein Gemeinwohl in einem weltweiten Hierzu heißt es wörtlich: „Der Krieg konstitution „Gaudium et spes“ be- Kontext nach Gottes Ordnung anzu- besteht nicht darin, dass kein Krieg kennt sich zu einer weltweiten Ak- streben. ist, er lässt sich auch nicht bloß durch tion für die Verhinderung von Krieg, Drittens sagt „Gaudium et spes“ das Gleichgewicht entgegengesetzter um eine absolute Ächtung des Krie- aus, dass die Demokratie die Regie- Kräfte sichern; er entspringt ferner ges auf der ganzen Erde zu erreichen. rungsform ist, welche den Staatsbür- nicht dem Machtgebot eines Starken; Abschließend geht das Dokument auf gern die besten Voraussetzungen für es heißt vielmehr mit Recht, dass er die Laien ein – wozu auch die Solda- die Entfaltung von Gemeinsinn und ein Werk der Gerechtigkeit sein soll.“ ten zählen – denn ihnen obliegt die Initiative bietet, was einem monarchi- Und Werke der Gerechtigkeit werden Aufgabe, im bürgerlichen Leben die stischen Staatsoberhaupt nicht wider- erst einmal nicht durch Kriegseinsät- Gebote Gottes zu leben und die Ge- spricht, sofern dadurch keine autori- ze erreicht. sellschaft in diesem Sinne zu prägen, täre Regierungsform legitimiert wird. Den Hintergrund für diese Über- wobei hier Grundsatztreue im christ- Viertens wird zum Thema Arbeit legungen bildet die Erkenntnis, dass lichen Glauben mit einer situations- ausgeführt, dass sie Vorrang vor allen heute die global vereinte Menschheit bezogenen Sachgerechtigkeit zu ver- anderen Faktoren des wirtschaftlichen stets von der Vernichtung der gesam- binden sind. ❏

Papstbesuch in Deutschland Papst Benedikt XVI. in Erfurt

VON RAINER ZINK

ei seinem viertägigen Deutschlandbesuch war der Heilige Vater zu Besuch in der Hauptstadt von Thürin- gen, in Erfurt vom 23. bis 24. September 2011. Dies war der erste Besuch des Papstes in Ostdeutschland Bnach dem Fall der Mauer. Ankunft am Flughafen Erfurt gen Vater ihre Doktorarbeit als Ge- der Heilige Vater von Bischof Wanke nter zahlreichen Gläubigen wur- schenk überreichte. Diese Doktorar- begrüßt. Dieser zeigte dem Papst dar- Ude Papst Benedikt XVI. am 23. beit hat die Ministerpräsidentin 1982 über hinaus auch die sakralen Kunst- September gegen 10.45 Uhr am Flug- als evangelische Theologin über die werke der Kathedrale. Nach einem hafen in Erfurt empfangen. Unter den Confessio Augustana von 1530 ge- stummen Gebet im Dom begab sich Anwesenden befanden sich hochran- schrieben. Die Confessio Augustana anschließend Benedikt XVI. zum ers- gige Vertreter aus Politik und Kirche, ist eine zentrale Bekenntnisschrift der ten Höhepunkt seines Aufenthaltes so waren die Ministerpräsidenten aus deutschen Lutheraner. in Thüringen, zur ökumenischen Be- Thüringen, Sachsen und Sachsen-An- gegnung mit Vertretern der Evange- halt sowie viele ostdeutsche Bischö- Besuch des Doms St. Marien zu Erfurt lischen Kirche Deutschlands (EKD) fe unter der Führung des Erzbischofs m Anschluss daran besuchte der ins Augustinerkloster. von Erfurt, Dr. Joachim Wanke vor IPapst den Dom St. Marien zu Er- Ort. Die Begrüßung wurde durch die furt. Die Bischofskathedrale thront Gespräch mit der Evangelischen Kirche Ministerpräsidentin des Freistaates auf dem Domberg leicht oberhalb der in Deutschland Thüringen, Christine Lieberknecht Stadt und fasziniert mit diesem Bild as Evangelische Augustinerklos- vorgenommen, die dabei dem Heili- die Besucher Erfurts. Im Dom wurde Dter Erfurt wurde im Jahr 1277 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 35 RELIGION UND GESELLSCHAFT durch den Orden der Ausgustiner sei ständig die Frage nach Gott ge- ken und Protestanten füreinander den aufgebaut. Dieser Orden zählte stets wesen, denn eine Frage habe Luther Tisch decken, nicht weil wir es müs- zu den wichtigsten Trägern der Uni- sich während seines ganzen Lebens sen, sondern weil wir es können und versität Erfurt. Am 17. Juli 1505 trat immer wieder gestellt: „Wie kriege weil wir es wollen“, intonierte die Vi- Martin Luther in das Erfurter Augus- ich einen gnädigen Gott?“ Der Papst zepräsidentin. tinerkloster ein. verwies darauf, dass gerade die Fra- Den ökumenischen Gottesdienst Im Augustinerkloster wurde der ge Martin Luthers „Wie steht Gott zu begann der Heilige Vater mit den Wor- Heilige Vater begrüßt vom Vorsit- mir, wie stehe ich vor Gott“ neu und ten Jesus nach dem Johannes-Evan- zenden des Rates der Evangelischen auch in neuer Form wieder gestellt gelium im Abendmahlsaal zum Vater Kirche in Deutschland, Präses Ni- werden müsse. Dabei müssten sich „Nicht nur für diese hier bitte ich, kolaus Schneider. Der Präses stell- Katholiken und Protestanten gegen- sondern für alle, die durch ihr Wort an te dabei fest, dass Christinnen und seitig helfen und tiefer und lebendi- mich glauben“ (Joh 17,20). Der Papst

Christen beider Kirchen in Erfurt in ger glauben. Auch heute in einer sä- rief die Katholiken und Protestanten der Diaspora leben würden und be- kularisierten Welt sei der von innen auf, sich gegenseitig im Glauben zu tonte deshalb die Gemeinsamkeiten gelebte Glaube die stärkste ökume- stärken. Dazu gehöre auch die Ver- zwischen der evangelischen und der nische Kraft, die zueinander führe, pflichtung zur Liebe und die Ernst- katholischen Kirche. „Im Vertrauen endete der Heilige Vater seine Rede. haftigkeit des Glaubens. Diese zeige auf das Gebet des Ephieserbriefes sich vor allen Dingen dadurch, dass (Eph. 3,17f) beschreiten wir unseren Ökumenischer Gottesdienst er Menschen inspiriert, sich ganz für gemeinsamen ökumenischen Weg“ in der Augustinerkirche Gott und für andere zur Verfügung zu und „zu weiteren Gemeinsamkeiten or dem Beginn der Ökumeni- stellen. Benedikt XVI. forderte die gehöre das Verständnis der Heiligen Vschen Feier in der Augustinerkir- Gläubigen zum Eintreten für christli- Schrift als Wort des lebendigen Got- che hieß ebenfalls die Bundestagsvi- che Werte in Politik und Gesellschaft tes“ so Schneider. zepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, bis zur Verteidigung der menschlichen In einer weiteren Ansprache be- Präses der Synode der EKD den Heili- Würde auf. Ferner betonte der Papst, grüßte ebenfalls die Landesbischöfin gen Vater und alle Gläubigen willkom- dass der Glaube die Grundlage sei, der Evangelischen Kirche in Mittel- men. Sie begann im Geistlichen Wort auf der wir leben und mit dem Dank deutschland, Ilse Junkermann. Auch mit dem Jesajawort „Von Herzen ver- an den Herrn in sein Gebet: „Laß die Bischöfin ermutigte die Kirchen langt mich nach dir des Nachts, ja mit uns eins werden, wie du mit dem Va- zu weiteren Schritten in der Ökumene. meinem Geist suche ich dich am Mor- ter eins bist, damit die Welt glaube, Ferner erwähnte sie, dass die heutige gen.“ (Jesaja 26,9). Vor 300 gelade- dass er dich gesandt hat (Joh 17,21) Begegnung geschichtlich bedeutsam nen Gästen befürwortete auch Göring- beendete der Heilige Vater den Öku- sei und beide Kirchen sollten jetzt und Eckardt sofort die Ökumene, denn sie menischen Gottesdienst. heute in der Gemeinschaft und im ge- freute sich, das Ehepaar Wulff be- meinsamen Gespräch das Miteinan- grüßen zu dürfen und betonte dabei, Marienvesper im Marienwallfahrtsort der im Hören auf Gottes Wort suchen. dass der Bundespräsident und seine Etzelsbach Der Heilige Vater würdigte in sei- Ehefrau die Verbundenheit der Kon- m Abend feierte der Papst vor ner Eröffnungsrede bei der Begegnung fessionen in der Familie leben. Dar- A90.000 Pilgern die Marienvesper mit Vertretern des Rates der evangeli- über hinaus zeigte sie Hoffnung auf im Marienwallfahrtsort Etzelsbach im schen Kirche in Deutschland Martin ein gemeinsames Abendmahl. „Zum thüringischen Eichsfeld. Diese Ge- Luther. Was Martin Luther umtrieb, richtigen Zeitpunkt würden Katholi- meinde war zu DDR-Zeiten eine ka-

36 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 RELIGION UND GESELLSCHAFT tholische Enklave und ist heute mit heren DDR habt ihr eine braune und nerte ferner in seiner Predigt an die 83.000 Katholiken die größte Regi- eine rote Diktatur ertragen müssen, Gründung des Bistums Erfurt im Jah- on mehrheitlich katholischer Bevöl- die für den christlichen Glauben wie re 742 durch den heiligen Bonifatius. kerung in Ostdeutschland. Als der saurer Regen wirkte“ betonte Bene- Benedikt XVI. entsann sich weiterhin Papst im Hubschrauber landete, be- dikt XVI. in seiner Predigt und er er- auf die Vorbildfunktion der Heiligen grüßten die Gläubigen den Heiligen gänzte: „Viele entschiedene Katho- und er erklärte, dass gerade die Hei- Vater mit Benedetto-Rufen. In seinem liken sind gerade in der schwierigen ligen die Tatsache verdeutlichten, Papamobil fuhr Benedikt XVI. dann Situation einer äußeren Bedrängnis dass Gott sich zuerst uns zugewandt 600 Meter durch die Menschenmen- Christus und der Kirche treu geblie- hat in Jesus Christus uns gezeigt hat. ge. „Seit meiner Jugend habe ich viel ben“. Damit bedankte sich der Papst „Gloriosa ist ein lebendes Zeichen von Eichsfeld gehört, dass ich einmal bei jenen, die gerade in dieser be- für unsere tiefe Verwurzelung in der herkommen musste, um mit euch ge- schwerlichen Zeit die Sehnsucht nach christlichen Überlieferung, aber auch meinsam zu beten“, begann der Papst Wahrhaftigkeit wach gehalten hatten. ein Signal des Aufbruchs und der mis- diese Feier. Er widmete seine Rede Sein besonderer Dank galt hierbei sionarischen Einladung.“ Mit diesem der Gottesmutter Maria. „In zwei gott- den Priestern, deren Mitarbeiterin- Hinweis auf die berühmte Glocke des losen Diktaturen , die es darauf an- nen und Mitarbeitern sowie den El- Erfurter Doms, die den Namen Glori- legten, den Menschen ihren ange- tern, die inmitten der Diaspora und osa, die „Glorreiche“ trägt, beendete stammten Glauben zu nehmen, waren in einem kirchenfeindlichen Umfeld der Heilige Vater seine Predigt. sich die Eichsfelder gewiss, hier am ihre Kinder nach dem katholischen Gloriosa gehörte der Schlussakt, Gnadenort Etzelsbach eine offene Tür Glauben erzogen haben. Der Heilige denn mit dem Klang der größten frei und eine Stätte inneren Friedens zu Vater forderte aber ebenso die Gläu- schwingenden mittelalterlichen Glo- finden. Die besondere Freundschaft bigen auf, die gewonnene Freiheit cke der Welt am Ende der Heiligen zu Maria, die daraus gewachsen ist, verantwortlich zu gestalten und sich Messe wurden die Gläubigen in den wollen wir auch mit der heutigen Ma- nicht in einem bloß privaten Glau- noch jungen Tag begleitet. ❏ rienvesper weiter pflegen.“ Zum Ab- ben zu verstecken. Der Papst erin- (Foto: Rainer Zink) schied schenkte der Heilige Vater den Gastgebern einen Rosenkranz, der künftig in der Wallfahrtskirche zu sehen sein wird.

Heilige Messe auf dem Domplatz am Kurznachrichten 24.09.2011 – 09.00 Uhr evor die Heilige Messe auf dem BDomplatz anstimmte, wurde der Sozialpolitik hat bei Armutsbekämpfung versagt Heilige Vater durch Bischof Dr. Jo- achim Wanke, den Bischof von Er- or einer Verfestigung der Armut in Deutschland hat der Professor furt begrüßt. Dr. Wanke erwähnte Vfür Sozialpolitik an der Hochschule Darmstadt, Walter Hanesch, ge- den Besuch des Papstes als Zeichen warnt. Mittlerweile sei jeder siebte Bundesbürger von Einkommensarmut der Ermutigung für alle ostdeutschen betroffen. „Trotz verstärkter Rhetorik hat die Sozialpolitik immer weni- Katholiken, die in der Zeit des Sozi- ger dazu beigetragen, die Armut zu bekämpfen“, sagte Hanesch während alismus das katholische Bekenntnis des Festakts zum 20-jährigen Bestehen der Nationalen Armutskonferenz des Glaubens treu bewahrt haben. (NAK) am Freitag in Berlin. Auch die Armutsberichte der Bundesregie- „Gemeinsam mit den evangelischen rung hätten nicht zu einem Politikwechsel beigetragen. Christen sind wir bemüht, den Him- Kritisch äußerte sich Hanesch zu den Umsetzungsplänen der Bun- mel offen zu halten für alle, die hier desregierung für die Armutsstrategie „Europa 2020“ der Europäischen leben“, so der Hinweis vom Erfurter Union. Die Bundesregierung konzentriere sich im Wesentlichen auf eine Bischof auf die Ökumene. Reduzierung der Zahl der Langzeitarbeitslosen. Dies sei für eine nach- Der Höhepunkt des Papstbesuchs haltige Verringerung von Armut aber nicht ausreichend. in Thüringen war sicherlich die Eu- Der Sprecher der 1991 von Wohlfahrtsverbänden, Selbsthilfeorgani- charistiefeier auf dem Domplatz in Er- sationen und dem Deutschen Gewerkschaftsbund in Bonn gegründeten furt. 28.000 Besucher kamen zu die- NAK, Thomas Beyer, erklärte, „Armut ist in einem so reichen Land wie sem Ereignis teilweise schon Stunden Deutschland nur eines, nämlich ein Skandal.“ In Deutschland gehe die vor dem Beginn der Heiligen Mes- Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Die NAK se. Um 08.30 Uhr wurde der Heilige müsse deswegen auch weiterhin Mahner sein. „20 Jahre NAK sind kein Vater mit dem Papamobil durch die Grund zur Zufriedenheit, sondern eine Bekräftigung und Ermutigung, Menge gefahren und nach der Begrü- die Gesellschaft immer wieder mit diesem Skandal zu konfrontieren“, so ßung durch den Bischof von Erfurt Beyer, der auch Mitglied im Präsidium der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist. konnte der Papst gegen 09.00 Uhr (KNA) mit der Heiligen Messe beginnen. „Hier in Thüringen und in der frü-

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 37 KIRCHE UNTER SOLDATEN Impressionen von der Woche der Begegnung

Der Innenminister des Landes Baden- Württemberg Reinhold Gall (SPD) bei seinem Grußwort in der Herz- Jesu Kirche. Im Hintergrund der Militärbischof Dr. Overbeck (Foto: Brockmeier)

Militärbischof Overbeck im Gespräch mit den Delegierten Hptm Christian Bumann (links) und Hptm a.D. Heinrich Dorndorf (mitte) beim Gästeabend (Foto: Brockmeier)

Der bisherige stellvertretende Bundesvorsitzende StFw Klaus Feineis (rechts) übergibt an den von links: Oberstlt Stefan Konz, Prof. Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven, neu gewählten OStFw Peter Oberstlt Rüdiger Attermeyer nach dem Vortrag (Foto: Brockmeier) Strauss (Foto: Brockmeier)

Die neu gewählte Leiterin des Sachausschusses VII „Ehe – Familie – Partnerschaft“, Oberstabsärztin Prof‘in Dr. Maria Widl (rechts) im Gespräch mit Oberstlt Thomas Caroline Traue (Foto: Bastian) Aßmuth (links) und Dipl.-Theol. Manfred Heinz, Geschäftsführer des Katholikenrates (Foto: Bastian)

38 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 KIRCHE UNTER SOLDATEN

Woche der Begegnung – Katholikenrat Kirche unter Soldaten (I) anwesend, bekennend, wirksam

VON BERTRAM BASTIAN

om Montag, den 12. September bis Freitag, den 16. September fand im Bildungshaus Kloster Untermarch- tal die 51. Woche der Begegnung statt. Die Delegierten des Katholikenrates beim Katholischen Militärbi- Vschof für die Deutsche Bundeswehr und anschließend die Delegierten der Bundeskonferenz der Gemein- schaft Katholischer Soldaten trafen sich, um unter dem Motto: „Kirche unter Soldaten – anwesend, bekennend, wirksam“ zu zeigen, dass die katholischen Soldaten in der Bundeswehr die Zukunft der Militärseelsorge in der veränderten Armee mitgestalten wollen.

ilitärgeneralvikar Apostolischer Protonotar Walter schaffen würden“, den sie für die misslichen Dinge des MWakenhut zelebrierte den Eröffnungsgottesdienst, Lebens verantwortlich machen würden. Dabei hätten doch bevor der Vorsitzende des Katholikenrates Oberstleutnant die Naturwissenschaftler schon seit längerem festgestellt, Thomas Assmuth die Vollversammlung eröffnete. Nach- dass es nichts Vernünftigeres gäbe, als anzunehmen, dass dem Generalvikar Wakenhut schon den 10. Jahrestag des es den Schöpfergott gebe, denn aus Nichts wird Nichts, Anschlages auf die Twin Towers in New York als Anlass führte die Rednerin aus. Nach kurzer Diskussion nahmen nahm, auf die zahlreichen Veränderungen in der Gesell- vier Gesprächskreise ihre Arbeit auf, die unter dem Motto schaft, aber auch in der Bundeswehr hinzuweisen, bat zu stand: Besonderheit in der Militärseelsorge – Avantgarde Beginn der Versammlung Thomas Assmuth um eine Ge- oder Mauerblümchen“. Übereinstimmend kamen die Ge- denkminute für die Gefallenen in den Einsätzen. Zahlrei- sprächskreise zu dem Ergebnis, dass die Militärseelsorge che Gäste konnte der Vorsitzende begrüßen, und übergab die Avantgarde des Katholischen Glaubens in Deutsch- danach das Wort an den Generalvikar zu dessen traditio- land sei, denn hier würden Probleme wesentlich deutli- neller Lage der Militärseelsorge. Generalvikar Wakenhut cher als in einer noch pastoral geprägten Gemeinde, in der führte aus, dass nach den Entscheidungen des Ministers zu die „Religionsfernen“ eben keinen Kontakt überhaupt zur den Standorten, die Militärseelsorge ebenfalls ihre Planun- Kirche bekämen. In der Bundeswehr hingegen sei allein gen für die neue Struktur der Bundeswehr vorlegen müsse. schon durch die Einsätze die Existenz und Notwendigkeit Dabei gelte es zu beachten, dass in den abstellenden Di- eines Seelsorgers unbestritten. özesen der Priestermangel immer größer wird, so dass die Oberstlt Norbert Kisters stellte das Positionspapier Bereitschaft Priester für die Militärseelsorge freizustellen „Zukunft der Militärseelsorge – Militärseelsorge der Zu- eben abnähme. Die Rolle des Laienapostolates wird dabei kunft vor“. Dieses Papier wurde von einer eigens geschaf- mehr zunehmen als abnehmen, sagte Wakenhut. fenen Arbeitsgruppe des Katholikenrates in den vergange- Am Dienstag stellte Oberstlt Stefan Graichen die ein- nen Monaten erarbeitet und wurde dem Militärbischof Dr. zelnen Bereiche in Zahlen und Daten vor. Danach führte Franz-Josef Overbeck nach seinem Eintreffen überreicht. der Leitende Direktor i.K. (im Kirchendienst) Lothar Ben- Für die Nachbarschaftshilfe wurde die Unterstützung des del die Versammlung in die Sinus-Milieu-Studie ein, wel- Projektes in Georgien für ein weiteres Jahr verlängert. che das Militärbischofsamt in Auftrag gegeben hatte. Da Hierbei handelt es sich um die Ausbildung traumatisier- der offizielle Abschlussbericht noch nicht übergeben wur- ter Jugendlicher, die mit Hilfe der Caritas in eigens dafür de, blieb es bei dieser Einführung, welche Milieus in der eingerichteten Werkstätten einen Handwerksberuf erlernen Gesellschaft und damit auch in der Bundeswehr vorkom- und somit ihre eigene Existenz aufbauen können. Nachdem men. Nach der Veröffentlichung des Berichtes wird über Thomas Aßmuth für weitere vier Jahre in das Zentralko- diese Studie mehr zu berichten sein. Mit dem Referat von mitee der Deutschen Katholiken gewählt wurde, wurde für Prof’in Dr. Maria Widl „Kirche inmitten der Säkularität: den Sachausschuss „Ehe und Familie“ des Katholikenra- den Glauben ins Gespräch bringen“ begann der Studien- tes Oberstabsärztin Caroline Traue aus Rostock gewählt. tag der Versammlung. Mit dem Zitat aus Lumen Gentium, dass die Laien besonders dazu berufen sind, die Kirche nschließend stellte sich der neue Militärbischof zu- an jenen Stellen anwesend und wirksam zu machen, wo Aerst den Fragen des Referatsleiters II Lothar Bendel die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden könne, und danach den Fragen der Delegierten. Bischof Overbeck führte Prof’in Widl in das Thema ein. Da die Volkskirche berichtete von seinen ersten Eindrücken, in dem „neuen immer weniger würde, seien gerade die Gespräche über Weinberg“, in dem große Veränderungen bevorstehen. Religion wichtig, da in der säkularen Welt immer weniger Erstaunlich sei das große öffentliche Interesse über die Gottesbezug stattfinden würde. Eine völlige Umkehr der Arbeit des Militärbischofs, berichtete Dr. Overbeck. Mili- Dinge sei zu beobachten: während früher es Allgemeingut tärseelsorge sei ein Teil der Gesamtkirche in Deutschland war, dass Gott den Menschen geschaffen habe, gelte es jetzt und lebe von Abstellungen der Ortsdiözesen an die Mili- festzustellen, dass schwache Menschen „sich einen Gott tärseelsorge, erläuterte der Bischof. Dr. Overbeck führte

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 39 KIRCHE UNTER SOLDATEN aus, dass ein Denken in den alten Bildern nicht zielführend und Gebet öffentlich zu bekunden. Somit begrüße er die sei. Man dürfe nicht ausschließlich in Defiziten denken, Anwesenheit dieser Gemeinschaften im Zentralkomitee. sondern die Zukunft als Herausforderung verstehen, die Am Nachmittag stellte sich Militärbischof Overbeck, Kirche lebendig zu gestalten. Dabei seine auch die Lai- zusammen mit Generalvikar Wakenhut, Lothar Bendel, en aufgerufen, deren arbeit sich gleichfalls ändern werde, Thomas Assmuth und Rüdiger Attermeyer den Fragen letztendlich sei Kirche da, wo Menschen seien, führte der der Presse. Als größte Herausforderung in seinem „neuen Bischof aus, nicht dort, wo ein Priester sich befände. Zu Bistum“ schilderte der Militärbischof die Umstellung auf den großen Herausforderungen der katholischen Kirche die Freiwilligenarmee und die Umgliederung der Bundes- gehöre es, das verloren gegangene Vertrauen wieder zu ge- wehr, die von Standortschließungen verbunden sei. Hier winnen. Dies geschehe nicht nur durch die Aufarbeitung müsse die Militärseelsorge nach den Entscheidungen des der Missbrauchsfälle, sondern eben auch durch den Ge- Ministers reagieren. Ob er ein Wort des Papstes bei des- sprächsprozess, der von der Bischofskonferenz angestoßen sen Deutschlandbesuch zu den Soldaten erwarte, wurde Dr. wurde. Hier gelte es, nicht nur zuzuhören, sondern auch Overbeck gefragt. Wenn der Papst, der ja einen Staatsbe- Position zu beziehen. Was die Kirche sich am wenigstens such absolviere, dazu etwas sagen wolle, so werde dies im leisten könne, sei, der Beliebigkeit anheimzufallen, führ- Bundestag bei der dortigen Rede geschehen. Ansonsten te der neue Militärbischof aus. Aus dem Plenum kam die träfen sich die Militärbischöfe aller Staaten im Oktober Frage, wie der Gläubige seinen Glauben verkündigen kön- im Vatikan und würden dort mit dem Heiligen Vater spre- ne, wenn er nicht „religiös sozialisiert“ sei. Bischof Over- chen können, führte der Militärbischof weiter aus. Einer beck führte aus, dass erstens der Glaube ein Geschenk sei, zu befürchtenden Verrohung der Truppe durch die Anwen- welches Inhalt besäße und nicht beliebig mit Vernunft ge- dung von Gewalt in den Einsätzen, sehe der Bischof nicht. koppelt werden könne, zweitens sei es möglich durch den Ansonsten könne man dieser Entwicklung am besten be- Erwachsenenkatechismus sich den Glauben zu erschlie- gegnen, indem man Gewissenschärfung betriebe und die ßen und drittens sei das Evangelium so zu verkünden, dass Soldaten zu Christen erziehe, erläuterte Bischof Overbeck. Antworten gegeben würden, die verstanden würden. Für Die Frage nach der Vorbereitung der Militärpfarrer für die das Militär bedeute dies, ein Grundwissen zu vermitteln, Einsätze beantwortete der Generalvikar, in dem er schil- gerade für die Glaubensfernen. Dies könne man am Bes- derte, dass die vorgesehenen Pfarrer die Vorbereitung der ten durch die neue Form des Lebenskundlichen Unterrich- Truppe teilen würde. Jeder Pfarrer mache zu Beginn seiner tes, in dem Ethik und Moral vermittelt würden. Die daraus Zeit als Militärpfarrer eine Ausbildung durch, die sowohl entstehenden Fragen könnten danach durch die Religion englische Sprache, Sanitätsdienst sowie körperliche Fit- erklärt werden, sagte Bischof Overbeck. Die Schlussfrage ness beinhalte. Am Abend zelebrierte Dr. Overbeck mit nach den neuen Geistlichen Gemeinschaften beantwortete den Delegierten und geladenen Gästen ein Pontifikalamt der Bischof von Essen, diese seien ein neuer, frischer Wind in der Herz-Jesu-Kirche und lud anschließend zum Gä- in der Katholischen Kirche, die den Mut hätten, Glauben steabend in das Bildungshaus ein. ❏

Woche der Begegnung – Bundeskonferenz der GKS Kirche unter Soldaten (II) anwesend, bekennend, wirksam

VON BERTRAM BASTIAN

m Donnerstagvormittag begann die Bundeskonferenz des Bundesvorsitzenden, die offensive, inhaltliche Ar- Ader Gemeinschaft Katholischer Soldaten. Nach dem beit jetzt wieder in den Vordergrund zu rücken, um auf Wort des Militärgeneralvikars und den Grußworten der dem Kirchentag 2012 in Mannheim sich zu positionie- zahlreichen Gäste trug der Bundesvorsitzende Oberst- ren, werde schon in dieser Bundeskonferenz erste Zei- leutnant Rüdiger Attermeyer den Lagebericht vor. Er chen setzen. Danach schlug Attermeyer den Bogen vom führte aus, dass der Berichtszeitraum geprägt war von Bundesgeschäftsführer, dem Haushaltsbeauftragte, der der Umsetzung der „Fuldaer Ordnung“. Die Mitglieder- Zeitschrift AUFTRAG hin zu den Bereichen und den erfassung ergab bis zum September ca. 1.400 Mitglie- Ausschüssen, deren Arbeit und Ergebnisse er vorstell- der der GKS. Diese Zahl gelte es zu erhöhen, indem die te und würdigte. GKS junge, aktive Soldaten für ihr Anliegen werbe. Ge- Am Nachmittag trug Prof. Dr. Heinz-Gerhard Justen- rade im Bereich der Sachausschüsse sei Unterstützung hoven zu Afghanistan vor. Da der Afghanistan Einsatz und durch aktive Soldaten mit Einsatzerfahrung notwendig, der beginnende Rückzug aus dem Land ein Thema wäh- um auch weiterhin die Nöte und Sorgen der Soldatin- rend des Kirchentages sein wird, ist der Vortrag mit Er- nen und Soldaten deutlich zu artikulieren. Die Absicht laubnis von Prof. Justenhoven im Anschluss abgedruckt.

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Am Abend wurde in der Bundesvorstandssitzung zeigt, dass Innere Führung nach wie vor aktuell und die alle zwei Jahre notwendigen Wahlen durchgeführt. interessant ist. Rüdiger Attermeyer wurde im Amt des Bundesvorsit- Anschließend trug Regierungsdirektorin Kerstin Piltz- zenden bestätigt, bei seinen Stellvertretern gab es ei- Baumann aus dem Internationalen Sachausschuss zur Ber- nen Wechsel. Da Stabsfeldwebel Klaus Feineis in Pen- liner Erklärung des Apostolat Militaire International (AMI) sion ging, wurde an seiner Stelle Oberstabsfeldwebel vor. Diese Erklärung wurde während der Hauptversamm- Peter Strauss zum neuen stellvertretenden Bundesvor- lung des AMI in Berlin 2010 verabschiedet und liegt jetzt sitzenden gewählt. Hptm Jörg Klauck wurde in seinem in autorisierter deutscher Übersetzung vor. Die GKS trägt Amt als stellvertretender Bundesvorsitzender bestä- diese Erklärung und hat diese als GKS-Erklärung über- tigt. Bei den Berufungen gab es keine Änderungen. nommen (siehe AUFTRAG 283, Seite 8 ff). Am Nachmit- Der Freitagvormittag war der „Evalution des ge- tag wurde die Mitgliederversammlung des Förderkreises lebten Lebenskundlichen Unterrichts als Grundlage abgehalten, bevor es zum Kulturprogramm nach Zweifalten für den Erlass der neuen Zentralen Dienstvorschrift ging. Bevor es Samstagmittag nach Hause ging, war der 10/4“ gewidmet. Hier trug Oberst i.G. Peter Gerhard, detaillierte Haushalt der GKS das Thema des Vormittags. Referatsleiter FüS I 3, zu den Ergebnissen vor und Hier erläuterte Oberstleutnant Attermeyer den Delegierten gab ein deutliches Bekenntnis zur Inneren Führung wofür die Gemeinschaft das ihr anvertraute Geld ausgibt ab. Eine lebhafte Diskussion mit den Delegierten und antwortete auf Fragen aus dem Plenum. ❏

Bundeskonferenz GKS

Wozu sind die intervenierenden Staaten in Afghanistan verpflichtet? Ethische Erwägungen im zehnten Jahr der politisch-militärischen Intervention

VON HEINZ-GERHARD JUSTENHOVEN

er Direktor des Institutes für Theologie und Frieden in Hamburg, Professor Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven Dhielt diesen Vortrag während der Bundeskonferenz der GKS in Untermarchtal. (Zu dieser Problematik siehe auch die Buchbesprechung Seite 58, unten.)

er politische wie der militärische Afghanistan-Einsatz te. Von dieser Loja Jirga sollte eine Übergangsverwaltung Dder internationalen Gemeinschaft befindet sich in ei- und Übergangsregierung eingesetzt werden, die das Land ner entscheidenden Phase. Trotz einer Steigerung der ein- führt, „bis eine in vollem Umfang repräsentative Regie- gesetzten Mittel ist es der internationalen Gemeinschaft rung in freien und fairen Wahlen gewählt werden kann“.2 in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Lebenssi- Es dauerte dann weitere fünf Jahre bis zur Londoner tuation für die Bevölkerung, insbesondere deren Sicher- Konferenz 2006, bis sich die Staatengemeinschaft zusam- heit und ökonomische Grundversorgung, zu verbessern. men gefunden hatte, nicht nur Mittel für den politisch- Dabei schien es am Beginn des Einsatzes Ende 2001, ökonomischen Wiederaufbau bereit zu stellen, sondern als habe die internationale Gemeinschaft fast alles richtig ein entsprechendes Konzept zu verabschieden. Nur die gemacht: Mit den Beschlüssen auf dem Petersberg soll- wichtigsten Aspekte seien kurz skizziert: te die afghanische Bevölkerung über die sogenannte Loja Sicherheit im Land soll dadurch entstehen, dass die Jirga, die traditionelle Versammlung der afghanischen von der NATO geführte International Security Assistance Stammesrepräsentanten, in den politischen Wiederaufbau Force (ISAF) wie die US-geführte Operation Enduring einbezogen werden.1 Allerdings macht Florian Kühn dar- Freedom (OEF) „der afghanischen Regierung weiterhin auf aufmerksam, dass schon auf der Petersberger Konfe- nachdrückliche Unterstützung bei der Schaffung und Er- renz nicht das afghanische Volk vertreten war, da die De- haltung von Sicherheit und Stabilität in Afghanistan leis- legierten „aus verschiedenen afghanischen (insbesonde- ten“; weiter wird vereinbart, dass die afghanische Regie- re der Nordallianz) und exilafghanischen Fraktionen wild rung „alle illegalen bewaffneten Gruppierungen auflöst“3. zusammengewürfelt .... und keineswegs repräsentativ für Armee und Polizei sollen mit internationaler Hilfe ge- die gesamte Bevölkerung oder wenigstens relevante Ein- schult und dann neu aufgestellt werden. Eine Verwaltung flussgruppen“ waren. Dort wurde eine Interimsverwaltung soll entstehen, indem die Regierung „sachkundige und unter dem Vorsitz von Hamid Karzai beschlossen, die in- glaubwürdige Fachleute aufgrund ihrer Fähigkeit für öf- nerhalb von sechs Monaten eine Loja Jirga einberufen soll- 2 Abschlussdokument der Petersberger Konferenz (5.12.2001), , 1 Berit Bliesemann de Guevara / Florian P. Kühn, Illusion I(4). Statebuilding. Warum sich der westliche Staat so schwer expor- 3 Der Afghanistan-Compact, www.karin-kortmann.de/downloads/ tieren lässt, Edition Körber Stiftung, Hamburg 2010, 122. themen_ afghanistan/0457-07-1.pdf, 3.

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 41 KIRCHE UNTER SOLDATEN fentliche Dienstleistungen“ einstellt. Hierzu gehören ne- Dieser Ansatz scheint mir in doppelter Hinsicht un- ben der Zivilverwaltung auch Polizei, Haftanstalten und angemessen. Dies betrifft erstens die Frage, auf welche Gerichte. Das Gerichtswesen soll reformiert werden, um Weise staatliche Interessen vertreten werden. Die Vertei- „allen Menschen den gleichen, fairen und transparenten digung eigener Sicherheitsinteressen ist, wie allgemein die Zugang zum Recht zu gewährleisten.“ Hohes und nach- Vertretung eigener Interessen, sofern und solange legitim, haltiges Wirtschaftswachstum wird angestrebt, um Hunger, als sie die berechtigten Interessen der übrigen Betroffe- Armut und Arbeitslosigkeit zu vermindern. Dazu sollen öf- nen nicht unterminiert. Dabei wird vorausgesetzt, dass fentliche Investitionen in den Sektoren Infrastruktur, na- grundsätzlich jeder Mensch und auch jede menschliche türliche Ressourcen, Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft Gemeinschaft legitimer Weise Interessen haben und ver- und Sozialfürsorge, sowie der Ausbau der Privatwirtschaft treten kann: Als Bedürfniswesen muss der Mensch bei- erfolgen. Der Drogenanbau soll bekämpft werden, indem spielsweise zur Erhaltung seiner Selbst grundlegende In- Bauern wirtschaftliche Alternativen bereitgestellt werden teressen vernunftgeleitet verfolgen.8 Nicht die Vertretung und gegenüber der Korruption von Beamten eine Null-To- von Interessen ist ethisch ein Problem, sondern mangelnde leranz-Politik betrieben wird. Rücksichtnahme auf legitime Interessen anderer Menschen Für alle diese Aufgaben wurden benchmarks verein- und menschlicher Gemeinschaften. Um dieses Problem zu bart. So heißt es u.a.: „Alle illegalen bewaffneten Grup- lösen, verlangt die auf der Idee der Menschenrechte ba- pen werden bis Ende 2007 in allen Provinzen aufgelöst.“4 sierende moderne rechtsstaatliche Demokratie, dass die Die Erwartungen der meisten Afghanen wie der inter- Bürger sich wechselseitig jene Rechte einräumen, die die nationalen Gemeinschaft haben sich in den meisten Berei- Grundbedingungen des Menschseins darstellen. Das ana- chen nicht erfüllt; Afghanistan steht am Scheideweg. Mit loge Problem stellt sich zwischen den Staaten. Auch sie der Londoner Konferenz im Frühjahr 2010 hat die inter- verfolgen Interessen, wie die Gewährung von Sicherheit nationale Gemeinschaft einen wohl letzten Versuch unter- oder Wohlstand für ihre Bürger. So wie Individuen in der nommen, das Ruder herumzureißen. Hier soll der Frage Vertretung ihrer Interessen in Konflikt geraten, so gera- nachgegangen werden, wozu Deutschland in Afghanistan ten auch Staaten unvermeidbar in Interessenskonflikte. verpflichtet ist und welche Folgen aus dieser Verpflich- Als wesentlicher zivilisatorischer Fortschritt hat sich die tung entstehen. Dabei geht es mir nicht um die Legitimi- Staatengemeinschaft mit den Vereinten Nationen und der tät des ISAF-Einsatzes, sondern um die Frage, was ange- UN-Charta ein Instrument geschaffen, durch das zumin- sichts der heute in Afghanistan anzutreffenden Umstände dest prinzipiell internationale Konflikte auf der Basis des sinnvollerweise zu tun ist. internationalen Rechts zuverlässiger lösbar werden, als nur durch die Mittel der Diplomatie. Vorrang für die Interessen der afghanischen Bevölkerung Folgerichtig hat sich der UN-Sicherheitsrat unmittel- eobachtet man die deutsche Debatte über das internati- bar nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Bonale Engagement in Afghanistan, so sind das Ziel der für zuständig erklärt und am 20. Dezember 2001 mit der Maßnahmen vorrangig die Interessen und die Sicherheit UN-Resolution 1386 die International Security Assistance Deutschlands.5 Der damalige Terrorismusreferent im Bun- Force (ISAF) mandatiert. Die Stabilisierung Afghanistans deskanzleramt, Guido Steinberg betont, dass die Situation lag im Interesse der internationalen Gemeinschaft, weil in Afghanistan für die Entscheidung der Regierung Schrö- das Land zu einem Rückzugsraum des internationalen der im Herbst 2001 Truppen zur Stabilisierung des Lan- Terrorismus geworden war, der die Staatengemeinschaft des zu entsenden, „kaum eine Rolle gespielt (habe). Viel- als Ganzes bedrohte. Dass dies heute noch so ist, bezwei- mehr ging es der Bundesregierung in erster Linie darum, fele ich, da Al Qaida in Afghanistan nicht mehr die Be- den USA nach dem 11. September zur Seite zu stehen.“6 drohungskapazität von 2001 hat.9 Der oft wiederholte Satz, Stabilität in Afghanistan ist in dieser Perspektive inst- Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt, rumentell für unser Sicherheitsinteresse vor terroristischer greift allerdings in jeder Hinsicht zu kurz. Deutschland Bedrohung; die Interessen der betroffenen afghanischen verteidigt sich im Rahmen der Vereinten Nationen gegen Bevölkerung spielen nur insoweit eine Rolle, als die Sta- den internationalen Terrorismus; dies geschieht mittelbar, bilität ihres Staates als Voraussetzung unserer Sicherheit indem die International Security Assistance Force (ISAF) angesehen wird. Entsprechend heißt es im Positionspapier die afghanische Regierung dabei unterstützen soll, aus der Bundesregierung nach der Londoner Konferenz von dem ehemaligen safe haven für den internationalen Ter- 2010: „Das Ziel unserer Anstrengungen ist mehr Sicher- rorismus einen stabilen Staat zu schaffen, der sich gegen heit für Deutschland durch die langfristige Stabilisierung eine Vereinnahmung durch diesen Terrorismus wehren Afghanistans.“7 Diese Perspektive bestimmt dann auch kann. Folglich geht es nicht um eine Vertretung deutscher das politische Handeln. Sicherheitsinteressen im Kontext der Vereinten Nationen. Die Einbindung des Einsatzes in die NATO steht nicht im 4 Der Afghanistan-Pakt, Anhang I, Sicherheit. 5 Vgl. Michael Brzoska/Hans-Georg Ehrhart, Kriegsbeendigung in Afghanistan?, in: Friedensgutachten 2009, 69. 6 Guido Steinberg, Im Visier von Al Qaida. Deutschland braucht am Hindukusch? VENRO-Positionspapier 7/2009, S.7. eine Anti-Terror-Strategie, Hamburg 2009, 64. 8 Vgl. Arno Anzenbacher, Christliche Sozialethik. Einführung und 7 Vgl. Die Bundesregierung, Positionspapier: Auf dem Weg Prinzipien, Paderborn u.a. 1997,184f. zu Übergabe in Verantwortung: Das deutsche Afghanistan- 9 Gilles Dorronsoro, Fixing a failed strategy in Afghanistan, Carne- Engagement nach der Londoner Konferenz (25.1.2010). Kritisch gie Endowment Washington 2009, www.CarnegieEndowment.org/ zu dieser Position äußert sich: VENRO, Was will Deutschland pubs, 30.

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Widerspruch dazu, insofern sich dieser Einsatz im Rah- Augen der afghanischen Bevölkerung erhalten, wenn und men des ISAF-Mandates bewegt. insofern sie die Bevölkerung nicht unterdrücken, sondern Zweitens sollte aus einer ethischen Perspektive immer deren Rechte schützen. Dabei wird beispielsweise von der für die Armen und Schwachen optiert werden. Dies bedeu- OECD durchaus angeraten auf bestehende, traditionelle tet im Kontext des Afghanistan-Einsatzes, dass wir für die- Rechtsstrukturen wie Ältestenräte zurückzugreifen, da sie jenigen eintreten müssen, die am meisten leiden und sich „bisweilen effektiver, zugänglicher, schneller und kosten- am wenigsten wehren können. Dies ist in Afghanistan die effizienter als die staatliche Justiz“ sind.11 Zivilbevölkerung; seit 30 Jahren leben die Menschen dort Da aber das state building auf massive Schwierigkei- fast ununterbrochen in einem Bürgerkrieg. Gegenüber der ten stößt und die Kooperation mit Milizenführern kontra- afghanischen Bevölkerung sind wir in besonderer Weise produktiv erscheint, stellen sich weitere Fragen: verpflichtet, weil Deutschland seit neun Jahren im Nor- Wie kann das erste Ziel des physischen Überlebens den Afghanistans für die Sicherheit und den Staatsaufbau erreicht werden und zugleich die Perspektive auf eine Wei- Verantwortung übernommen hat. Damit haben wir in der terentwicklung der rudimentären Staatlichkeit auf die Si- afghanischen Bevölkerung Hoffnungen geweckt und eine cherung darüber hinaus gehender Menschenrechte offen Verpflichtung übernommen, die es zumindest nicht erlaubt gehalten werden? Notwendig und auch anzustreben, aber dem Land baldmöglichst den Rücken zuzukehren. in der Priorität nachrangiger sind beispielsweise Bildung, Verwaltung, Medien, Strukturen politischer Teilhabe. Nach- Politische Ziele müssen realistisch rangig heißt nicht unwichtig, sondern weniger dringlich und zugleich ethisch verantwortlich definiert werden für das unmittelbare Überleben. Wie kann also ein poli- tatt in Resignation oder Zynismus zu verfallen, müs- tischer Prozess in Gang gesetzt und gehalten werden, der Ssen politische Ziele definiert werden, die realistisch, mit dem vorrangigen Ziel ‚physisches Überleben‘ einsetzt erreichbar und ethisch verantwortbar sind. Welche Ziele und dann realisierbare Zwischenziele anstrebt, die die Le- müssen die Anstrengungen für eine politische Neuordnung bensbedingungen nachhaltig verbessern? in Afghanistan – vorläufig nicht ohne Hilfe der Staatenge- Ohne dies zunächst weiter auszufalten, geht es mir um meinschaft – unbedingt erreichen, wenn die idealen Ziele den Gedanken der Priorisierung.12 Er würde den alten mo- „Demokratie und Menschenrechte“ kurz- und mittelfristig raltheologischen Grundsatz ultra posse nemo tenetur (nie- nicht erreichbar zu sein scheinen, auch wenn diese prin- mand ist über das Können hinaus verpflichtet) konkreti- zipiell anzustreben sind? Wie sehen notwendige und ver- sieren helfen auf die Fragen hin: Wozu sind wir in Afgha- antwortbare Zwischenziele aus? Welche politischen Ziele nistan angesichts der gegebenen Umstände gegenüber der sind in einer gestuften Dringlichkeit vorrangig? Bevölkerung vorrangig verpflichtet und welche Ziele sollen Elementar sind physische Grundbedürfnisse: die Si- in einem zweiten und dritten Schritt angestrebt werden? cherheit vor Anschlägen auf das eigene Leben, also eine Wenn Einigkeit über die Priorität der politischen Zie- Situation, in der das physische Überleben weitgehend le besteht, wird man anschließend zu fragen haben, durch gesichert ist. Über die Herstellung minimaler Sicherheit welche Maßnahmen diese Ziele unter den gegebenen Um- hinaus gehört dazu, Rahmenbedingungen zu schaffen, in ständen am besten erreichbar sind. denen Menschen fundamentale Grundbedürfnisse nach Nahrung, Kleidung und Behausung befriedigen können. Im Sinn der Subsidiarität: Schon dies leistet der afghanische Staat nach neun Jahren Rechtlosigkeit und Willkür muss Afghanistan zuerst Aufbauhilfe nicht.10 selbst bekämpfen wollen Trotz entgegen gesetzter Zusagen ist die Staatengemein- ür Afghanistan bedeutet der politische Prozess im schaft von Anfang an nicht bereit gewesen die erforderli- FKern, das Land in die Rechtsgemeinschaft zurück zu chen personellen und materiellen Mittel bereit zu stellen, holen: in die Gemeinschaft der Völker und Staaten, die um physische Sicherheit landesweit durchzusetzen. Da- zwischen ihren Bürgern wie untereinander ihre Konflik- durch erschien die Kooperation mit Milizenführern und te grundsätzlich durch die Anerkennung der berechtigten warlords unvermeidlich, um minimale, aber durch diese Interessen der anderen und auf dem Rechtswege zu lösen Kooperation auch sehr fragwürdige‚ Sicherheit‘ zu erzielen. gewillt sind.13 Dieser Prozess ist für einen fragilen Staat Viele Afghanen sehen die durch diese Kooperation quasi wie Afghanistan noch lange nicht zu Ende und es ist nicht legitimierten warlords und Milizenführer eher als Bedro- absehbar, ob das Land diesen Prozess in übersehbarer Zeit hung an, da die Willkürherrschaft schnell zur Gefahr ihrer erfolgreich bewältigen wird! Aber er wird in der kirchlichen auch physischen Sicherheit werden kann. Friedensethik als der Weg zur Überwindung von Krieg und Physische Sicherheit bedarf immer auch zugleich eines Gewalt beschrieben.14 Minimums an Rechtssicherheit. Hier hat sich die Staaten- gemeinschaft in Afghanistan offenkundig die falschen Ver- 11 Jörg Krempel, Recht und Justiz am Hindukusch, HSFK- Standpunkte 1/2010,2. bündeten gesucht. Im Gleichklang muss also der afghani- 12 Conrad Schetter konstatiert das Fehlen von Prioritäten im sche Sicherheits- wie der Justizsektor aufgebaut werden. Im Wiederaufbau Afghanistans bis 2006: vgl. Conrad Schetter/ Unterschied zu vielen warlords oder Milizenführern kön- Katja Mielke, Staatlichkeit und Intervention in Afghanistan, in: nen die afghanische Justiz und Polizei Legitimität in den Friedenswarte 83 (2008), 71-96, 85. 13 Grundlegend dazu Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der 10 Vgl. J. Alexander Thier, Introduction: Building Bridges, in: J. Globalisierung, München 1. neubearb. Aufl . 2002, 40 ff. Alexander Thier (ed.), The Future of Afghanistan, United States 14 Vgl. Die deutschen Bischöfe, Gerechter Friede, Bonn 2000, 48 Institute of Peace, Washington DC, 2009, 5 ff. f. Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen. Eine

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Während das Modell zur innerstaatlichen Herrschaft von außen z.B. durch den Aufbau von Polizei und Justiz des Rechts durch den demokratischen Rechtsstaat vor- nichts Entscheidendes bewirken. Das Subsidiaritätsprin- liegt, befindet sich das Völkerrecht noch in der Transfor- zip fordert, dass der Einzelne oder die Familie zuerst sel- mation. Das Völkerrecht ist im 20. Jahrhundert von einem ber für das zuständig ist, was er/sie leisten kann. Erst dort, zwischenstaatlichen Recht ansatzweise fortentwickelt wor- wo sie überfordert sind, soll die Gesellschaft unterstützen. den hin zu einem Recht, in dem die Menschenrechte und Die Subsidiarität fordert Selbstverantwortung soweit mög- der Schutz des Individuums eine zentrale Rolle spielen.15 lich und Hilfe sofern nötig.19 Die Defizitanalyse zeigt, wie Wichtige Indikatoren dafür sind die internationalen Men- gravierend das Problem auf allen Ebenen ist: schenrechtserklärungen. So kann weltweit das Bewusst- Nach wie vor tyrannisieren aufständische Taliban große sein dafür wachsen, dass fundamentale Menschenrechte Teile der Bevölkerung, um dieser ihre radikale Vorstellung vorstaatliches Recht sind und staatliche Gewalt binden.16 einer gesellschaftlichen Ordnung aufzuzwingen. Zugleich Die Souveränität der Staaten findet an fundamentalen Men- ist eine bürgerkriegsähnliche Situation entstanden, in der schenrechten eine Grenze. rivalisierende Fraktionen um die Macht im Land kämpfen; In dem Gedanken eines alle Völker und Staaten glei- die westlichen Truppen können kaum vermeiden, Partei chermaßen bindenden Rechts findet der gerade auch im in diesem Machtkampf zu sein. Christentum tief verwurzelte Gedanke der Einheit des Es wird aber auch immer deutlicher, dass mit dem Menschengeschlechts einen hervorragenden Ausdruck. Ende der Talibanherrschaft 2001 die Willkürherrschaft Alle Menschen sind unabhängig von Geschlecht, Rasse, nicht beendet wurde, sondern durch eine neue Form der Nationalität oder Religion gleichberechtigte Glieder der Rechtlosigkeit ersetzt worden ist. Die Regierung Karsai einen Völkerfamilie. Im Prinzip soll das internationale entpuppte sich in den vergangenen Jahren immer mehr Recht alle diese Glieder in gleicher Weise schützen und als korrupt. „Die Regierung veranlasste gegen hochrangige zur Einhaltung verpflichten. Faktisch besteht nach wie vor Beamte, von denen allgemein vermutet wurde, dass sie in eine große Ungerechtigkeit zwischen denen, die als Bürger Menschenrechtsverletzungen und illegale Aktivitäten ver- starker Staaten hohen Schutz genießen, und denen, die als wickelt waren, weder Ermittlungen noch Strafverfolgungs- Bürger schwacher Staaten Unrecht erdulden müssen: Zum maßnahmen. ... Personen, die schwerer Menschenrechts- Teil durch diesen Staat und seine Mitbürger selbst, zum verletzungen verdächtigt werden, (können sogar) für öffent- Teil durch Unrecht, das von außen zugefügt wird. liche Ämter kandidieren und diese bekleiden.“ 20 Im Alltag erleben viele Afghanen, dass das Recht des Stärkeren und Dies ist aus ethischer Perspektive auf Dauer unak- Einflussreicheren regiert. Sie beklagen, dass Richter das zeptabel. Ein wesentlicher Schritt zur Überwindung die- Urteil zugunsten des Meistbietenden fällen.21 Staatliche ser Art von Ungerechtigkeit besteht also in der Herstel- Posten, wie die des Gouverneurs, werden verkauft; diese lung von Rechtsverhältnissen innerhalb der Staaten und Gouverneure refinanzieren die Kosten durch den Verkauf in der Völkergemeinschaft.17 Nicht nur ist Deutschland nachgeordneter Posten wie z.B. den eines Polizeichefs, die im Grundgesetz Art. 25 auf das Völkerrecht verpflichtet, sich ihrerseits genauso refinanzieren.22 Es fehlt der poli- sondern auch die Europäische Union verpflichtet sich im tische Wille der Herrschenden in Kabul wie in den meis- Europäischen Verfassungsvertrag in Artikel 2 (5) genau in ten Provinzhauptstädten, ein Rechtssystem umzusetzen. diesem Sinn auf die „strikte (...) Einhaltung und Weiter- Daraus folgt, dass nicht nur viele gesetzliche Grundlagen entwicklung des Völkerrechts“.18 Gerade angesichts der fehlen, sondern auch kaum jemand Verwaltungen zur Ver- Unzulänglichkeiten des internationalen Rechts und der antwortung für übertragene Aufgaben zieht, obwohl dies Notwendigkeit der Reform der internationalen Institutio- im London Compact 2006 explizit vereinbart worden ist.23 nen besteht diese Verpflichtung. Acht Jahre nach der Petersberger Konferenz geht die Die nach wie vor grassierende Rechtlosigkeit und Will- Internationale Gemeinschaft das Problem der Korruption kür in Afghanistan sind in Verbindung mit einer weit ver- erstmals auf der Londoner Konferenz im Januar 2010 ge- breiteten Korruption ein Problem, das sich nicht von außen meinsam mit der afghanischen Regierung an. So wird die lösen lässt. Die Staatengemeinschaft kann einen Reform- Ermächtigung eines „Hohen Aufsichtsamtes zur Unter- prozess nur unterstützen. Wenn die relevanten Machteliten suchung und Bestrafung der Taten korrupter Amtsträger keine Lösung des Problems wollen, kann subsidiäre Hilfe und zur Führung des Kampfes gegen die Korruption“24 vereinbart. Die von der Konferenz gewürdigte Absicht (!) Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2007, 57 ff. 19 Vgl. Bernhard Sutor, Politische Ethik, Paderborn 1991, 37-39. 15 Vgl. Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, München 20 Afghanistan, Amnesty International Report 2010, www.amnesty. 2/2007, 244. de/jahresbericht /2010 /afghanistan. 16 Vgl. Hans-Richard Reuter, Was ist gerechter Frieden? Die Sicht 21 Vgl. Can Merey, Die afghanische Misere. Warum der Westen am der christlichen Ethik, in: Jean-Daniel Strub, Stefan Grotefeld Hindukusch zu scheitern droht, Weinheim 2008, 134. (Hg.), Der gerechte Friede zwischen Pazifi smus und gerechtem 22 Vgl. B. Bliesemann de Guevara / F.Kühn, Illusion Statebuilding, Krieg. Paradigmen der Friedensethik im Diskurs, Stuttgart 2007, a.a.O., 128. 179-190, 180. 23 Vgl. Der Afghanistan-Pakt, Anhang I, Regierungsfähigkeit, 17 Vgl. Peter Koller, Westfälisches System oder globale Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, a.a.O. Friedensordnung? In: Politisches Denken. Jahrbuch 2000, 96- 24 Afghanistan: Die Londoner Konferenz, 28. Januar 2010 118, 111 f. (Kommuniqué), Afghanische Führungsverantwortung, regio- 18 Klemens H. Fischer, Der Vertrag von Lissabon. Text und Kom- nale Zusammenarbeit, internationale Partnerschaft, in: www. mentar zum - Europäschen Reformvertrag, Baden-Baden auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/343834/publica- 2008, 111. tionFile/135819/ 100128-communique.pdf, Nr. 23.

44 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 KIRCHE UNTER SOLDATEN von Präsident Karsai, „eine Verordnung zu erlassen, die - 2009 unumwunden zu, wenn dort konstatiert wird: „Die die Beschäftigung enger Verwandter von Ministern, … internationale Gemeinschaft verfolgt nun (sic!) eine ge- Gouverneuren … auf allen staatlichen Ebenen verbietet“25 meinsame Strategie.“28 Es wird dort geholfen, wo es der kann nur als Spiegel einer dramatischen Lage verstanden eigene Vorteil nahe zu legen scheint. Dies gilt nicht nur werden. für Afghanistan, sondern auch in vergleichbaren anderen Die seit neun Jahren in Afghanistan intervenierenden internationalen Engagements. Deshalb unterstreicht das Staaten und Organisationen müssen ihr Handeln gegen- II. Vatikanische Konzil die Notwendigkeit einer interna- über der afghanischen Bevölkerung an Rechtsstandards tionalen Ordnung mit wirksamen Institutionen; das Frie- orientieren. Dazu gehört die Anerkennung der afghani- denswort der deutschen Bischöfe „Gerechter Friede“ betont schen Bevölkerung und damit der afghanischen Bürger und die Notwendigkeit einer Reform der UN.29 Das derzeitige Bürgerinnen als gleichberechtigte Rechtsgenossen. Diese strukturelle Problem der Staatengemeinschaft ist solange Haltung haben die intervenierenden Staaten in den Jahren nicht überwindbar, solange den Staaten als internationa- seit 2001 eher zögerlich eingenommen; erst seit der Londo- len Akteuren nicht eine zumindest gleichrangige UN ge- ner Konferenz 2010 setzt sich die Einsicht durch. Für den genübersteht, die in der Lage ist die Partikularinteressen Aufbau des Rechtssystems in Afghanistan hatten Deutsch- in Ausgleich zu bringen und das für das globale Gemein- land und Italien besondere Verantwortung übernommen. wohl Notwendige zu realisieren. Von einer an ethischen Allerdings ist dies bislang noch nicht gelungen; mit der Prinzipien ausgerichteten Außenpolitik ist demnach zu Londoner Konferenz ist aber eine erneute Anstrengung in fordern, die Weiterentwicklung der Vereinten Nationen auf dieser Richtung unternommen worden. Bisher scheiter- das beschriebene Ziel hin nicht nur nicht zu untergraben, te die Forderung die in Afghanistan herrschende „Kultur sondern die Weiterentwicklung auch aktiv zu fördern.30 der Straflosigkeit“ zu beenden und mit dem Aufbau eines Rechtsstaats zu beginnen, am gemeinsamen Unwillen der Wer das Ziel will, muss auch die Mittel bereitstellen afghanischen Verantwortlichen wie der Verantwortlichen olitische Zielvorgaben müssen mit den entsprechenden der internationalen Staatengemeinschaft. Für den weiter- PMitteln unterlegt sein, sonst ist vorhersehbar, dass der hin notwendigen Aufbau eines afghanischen Rechtsstaates Erfolg ausbleibt. Dies gilt – nicht nur mit Blick auf das bedarf es vor allem aber die Zustimmung der Bevölkerung. Afghanistan-Engagement – sowohl für den zivilen Wieder- Recht lebt von der Anerkennung der Rechtsgenossen, nicht aufbau als auch für den militärischen Auftrag. Die Erfah- primär von der gewaltsamen Durchsetzung. Weil aber die rungen des internationalen Engagements lehren, dass der intervenierenden Staaten Recht nicht von außen durch- zivile Wiederaufbau staatliche Verwaltungsstrukturen ge- setzen können, braucht dieser Prozess Zeit, die sich nicht nauso umfasst wie Justiz, Polizei, grundlegende Infrastruk- in Monaten oder wenigen Jahren bemisst, sondern eher in tur und den Bildungssektor – all dies abhängig vom Grad Jahrzehnten. Hierbei ist immer vorauszusetzen, dass alle der Zerstörung, nicht zuletzt die Organisation politischer Beteiligten in gleicher Weise den Aufbau einer funktionie- Teilhabe, um nicht gleich von Demokratie zu sprechen. renden unparteilichen Rechtsordnung wollen. Genau hie- Drei Probleme haben sich in den letzten Jahren gezeigt: ran müssen aber im Blick auf die afghanische Machtelite Erstens wird auf die anschwellende Aufstandsbewe- nicht nur um Präsident Karzai erhebliche Zweifel ange- gung seit 2002 mit der Bereitstellung weiterer Ressour- meldet werden.26 Eine gewisse Hoffnung besteht jedoch, cen geantwortet, insbesondere mit dem Entsenden zusätz- wenn es gelingt die Beschlüsse der „National Consultative licher Truppen, ohne die offenkundig falsche politische Peace Jirga“ vom Juni 2010 umzusetzen, dies wird weiter Strategie zu hinterfragen, die die aufständischen Taliban unten thematisiert. in den vergangenen neun Jahren nicht stoppen und auch die Bevölkerung mehrheitlich nicht überzeugen konnte.31 Partikularinteressen dürfen nicht dominieren Aus diesem Grund stellt Gilles Dorronsoro fest, „the focus och immer dominieren zu sehr Einzelinteressen mäch- on resources continues to prevent proper debate on strat- Ntiger Staaten das Handeln der Vereinten Nationen. Der egy and objectives“32: Wenn aber die implementierte po- ausbleibende Erfolg in Afghanistan hat nicht zuletzt mit litisch-militärische Strategie offenkundig nicht zum Ziel unkoordinierter Hilfe und dem Fehlen einer starken UN führt, muss sie überprüft werden; die Verlagerung auf die zu tun, so dass die wohlwollende Aufbauhilfe der Staaten Mittelebene führt nicht zum Erfolg. ohne effektive Koordination vonstatten geht.27 Die deut- sche Regierung gibt dieses Defizit in ihrem Fortschritts- 28 Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht Afghanistan zur bericht Afghanistan (Dezember 2010) für die Jahre 2001 Unterrichtung des Deutschen Bundestages, 5; www.bun- desregierung.de/Content/DE/Artikel/2010/12/2010-12-13- 25 Afghanistan: Die Londoner Konferenz, 28. Januar 2010 (Kom- fortschrittsbericht-afghanistan.html. muniqué), ebd. 29 Vgl. Die deutschen Bischöfe, Gerechter Friede, Bonn 2000, 60 26 Diese These vertritt u.a. US-Botschafter Karl Eikenberry, wenn ff. er sagt: “Mr. Karzai was not an adequate strategic partner and 30 Diese These hat Gerhard Beestermöller entwickelt; vgl. G. was interested only in using foreign troops to keep himself Beestermöller, Krieg gegen den Irak – Rückkehr in die Anarchie in power“, in: ‘Nobody is winning’, admits McChrystal. The der Staatenwelt? Ein kritischer Kommentar aus der perspektive Independent, 16. May 2010, www.independent.co.uk/news/ einer Kriegsächtungsethik, Stuttgart 2002, 41ff. world/asia/nobody-is-winning-admits-mcchrystal-1974697.html 31 Vgl. A New Way Forward: Rethinking U.S. Strategy in 27 Vgl. Paul Fishstein, Winning Hearts and Minds? Examining the Afghanistan, Report of the Afghanistan Study Group, www.af- Relationship between Aid and Security in Afghanistan’s Balkh ghanistanstudygroup.org/NewWayForward_report.pdf province, Feinstein International Center, 11/2010, 34 ff. 32 G. Dorronsoro, Fixing a failed strategy in Afghanistan, a.a.O., 25

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Zweitens werden auf Geberkonferenzen finanzielle streicht General a.D. Kujat die Mitverantwortung derjeni- und personelle Mittel zugesagt, die in den wenigsten Fäl- gen heraus, die die politische Verantwortung für den Ein- len dann auch konkret für den Wiederaufbau bereitgestellt satz unter mangelnder Materialausstattung verantworten. werden. Auch Deutschland hat über Jahre seine Zusagen Militärische Einsätze werden in Deutschland durch Be- beispielsweise für die Entsendung von Polizeiausbildern schluss des Bundestages durchgeführt. Damit übernimmt nicht eingelöst. Seit 2002 hatte Deutschland die Ausbil- der Souverän nicht nur die prinzipielle Verantwortung für dung der afghanischen Polizei (Afghan National Police, den militärischen Einsatz, sondern auch dafür, dass die ANP) zugesagt. Zwar wurde eine Ausbildungsakademie für für die Durchführung des Einsatzes angemessen Mittel zur Führungskräfte aufgebaut und die Organisationsstruktur Verfügung stehen: Dies betrifft den personellen Umfang wie reformiert, aber das eigentliche Ziel, eine funktionsfähige auch die materielle Ausstattung. Wenn ein zu ehrgeiziges Polizei aufzubauen, wurde verfehlt: Statt den zugesagten politisches Ziel mit unzureichenden Mitteln durchgeführt 62.000 Polizisten wurden bis Anfang 2010 nur 5.000 Po- werden soll, sind negative Folgen vorhersehbar. Nur eine lizisten des mittleren und gehobenen Dienstes ausgebildet Konsequenz wird ein sich ausbreitender Zynismus unter und 14.000 fortgebildet. Die Übertragung dieser Aufgabe Soldaten sein; eher gewissenhafte Menschen werden den auf die EU in 2007 kaschiert dieses Defizit auch nicht: Soldatendienst meiden. Dies wäre eine wirkliche Katast- „Zu dem Zeitpunkt, als die USA mit 3000 Polizeiausbil- rophe für eine Parlamentsarmee. dern in Afghanistan vertreten waren, schlug Deutschland Wer also das Ziel will, muss auch die notwendigen Mit- vor, die EU-Mission mit 200 Polizeiexperten auszustatten. tel wollen und sie zur Verfügung stellen. Umgekehrt gilt: Vergeblich forderte der damalige EU-Sonderbeauftragte für Wer die notwendigen Mittel nicht zur Verfügung stellt, will Afghanistan, Francesc Vendrell, EUPOL mindestens 2000 auch das Ziel nicht ernsthaft! Experten zur Verfügung zu stellen. Weder die Bundesre- gierung noch der Bundestag unterstützten den Plan.“33 Prinzip ownership Zwischenzeitlich ist die Zahl der EU-Polizeiausbilder auf Ihr politisches System muss die afghanische Gesellschaft 400 aufgestockt worden, doch von deutscher Seite kann selbst entwickeln das Personal nicht entsandt werden, da es für solche Fälle ur wenn die politischen Entscheidungen für den Wie- nicht bereitgehalten wird. Während mit der Bundeswehr Nderaufbau des Landes wesentlich von der afghanischen die Truppe für den militärischen Teil des Einsatzes vorge- Bevölkerung getroffen werden und damit zu ihrer eigenen halten wird, fehlen in Deutschland vergleichbare perso- Angelegenheit werden, kann ein nachhaltiger Staats- und nelle Ressourcen, beispielsweise für die Ausbildung der Wirtschaftsaufbau gelingen. Dieses aus der Entwicklungs- Polizei in Afghanistan. Italien oder Spanien haben mit zusammenarbeit bekannte Prinzip ist bei der Entscheidung den Carabinieri oder der Guardia Civil seit langem ent- über die politische Zukunft Afghanistans offenkundig zu sprechende Polizeieinheiten; Deutschland hat erst mit der wenig berücksichtigt geblieben.37 So ist der Versuch, ein Strukturreform der Bundespolizei am 1. März 2008 zwei demokratisches System einzuführen, für den Moment ge- Auslandseinsatzhundertschaften, insgesamt 240 Polizi- scheitert, weil die Entscheidung über das politische Mo- sten, im Verantwortungsbereich des Bundesinnenministers dell offenkundig im Westen gefallen ist und trotz der Loja aufgestellt.34 Dies ist angesichts der ursprünglichen Zusa- Jirga keine afghanische Handschrift trägt; wir sehen heute gen der Bundesregierung allerdings nur ein erster Anfang. deutlicher als vor neun Jahren, dass die Voraussetzungen Gleiche Defizite bestehen für andere Bereiche des zivilen für den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates in Wiederaufbaus: Es fehlen entsendbare Verwaltungsbeam- Afghanistan zumindest kurzfristig nicht gegeben sind.38 te, Richter, Ausbilder für Lehrpersonal etc.35 Afghanistan hat sich im Laufe der Geschichte nicht als Drittens beklagten Soldaten über Jahre, dass ihnen sei- Staat durch von innen gesteuerte Prozesse formiert, sondern tens der politischen Führung militärische Aufträge erteilt ist eher als ein loser Stammesverbund zu beschreiben, der werden, für die die notwendigen personellen oder techni- höchstens einen embryonalen Status entwickelt hat. „Der schen Ressourcen nicht oder nur unzureichend zur Verfü- Kampf zwischen dem Autonomieanspruch der Stämme und gung stehen. Der Hinweis auf die fehlenden Hubschrau- dem Herrschaftsanspruch des Staates durchzieht den ge- ber in Afghanistan mag an dieser Stelle genügen. Entspre- samten Prozess der Staatsentwicklung in Afghanistan.“39 chend fragt der ehemalige Generalinspekteur Harald Ku- Darüber hinaus sind die Landesgrenzen von den Koloni- jat: „Haben wir Oberst Klein, der den Angriff am 4.9.09 almächten Britisch Indien und Russland festgelegt worden in Kundus befahl, überhaupt die entsprechenden Mittel und durchtrennen traditionelle Stammesgebiete. So werden an die Hand gegeben, dass er auch anders hätte entschei- die Staatsgrenzen als künstlich und weniger relevant für den können?“36 Mit dem Hinweis auf die fehlenden Mittel politische Entscheidungen erlebt; wichtiger ist die Orien-

33 Ronja Kempin, Verschenkte Jahre bei der Polizeiausbildung, und Claus Richter zeigen das „Sterben für Afghanistan“, in: www.zeit.de/ politik /ausland/2010-01/polizeiausbildung-afgha- FAZ, 16.3.2010, S.35 nistan-3 (28.1.2010). 37 So auch Amitai Etzioni, Vom Stamm zum Staat. Masterplan mit 34 Vgl. ausführlich: Ronja Kempin / Christian Kreuder- Clanchefs: Wie man Afghanistan dauerhaft stabilisieren könnte, Sonne, Gendarmerieeinheiten in internationalen in: Internationale Politik, März/April 2010, 98f. Stabilisierungsmissionen. Eine Option für Deutschland?, SWP- 38 Vgl. C. Schetter/K. Mielke, Staatlichkeit und Intervention in Studie 6/2010, 21ff. Afghanistan, 76. 35 Vgl. Jens Behrendt, Zivilpersonal in Friedenseinsätzen: von der 39 Michael Brzoska/Hans-Georg Ehrhart, Kriegsbeendigung in Improvisation zur Systematik? zif policy briefi ng, Januar 2011. Afghanistan? Konsequenzen für das deutsche Engagement, in: 36 zitiert nach: Sergej, ist das Krieg? Lohnt sich das? Stefan Aust Friedensgutachten 2009, 60-72, 64.

46 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 KIRCHE UNTER SOLDATEN tierung auf traditionelle Stammesgebiete, die auch außer- rechterhaltung der Sicherheit benötigt wurden. Diese Ein- halb der Landesgrenzen liegen können. bindung der warlords wirkte sich ebenfalls kontraproduk- Der seit 1979 tobende Bürgerkrieg hat zur weitgehen- tiv aus und diskreditierte die „Idee Demokratie“ und den den Erosion staatlicher Ordnung geführt, die auch die Ta- Westen in den Augen der Bevölkerung.42 liban nicht wieder aufgebaut haben. Mit der Petersberger Was folgt daraus? Die Frage, ob Afghanistan jemals Konferenz (2001) ist das Ziel vorgegeben worden, einen eine Demokratie werden kann, oder wie politische Partizi- demokratischen Staat aufzubauen. Dahinter stand die – pation aussehen kann, muss die afghanische Gesellschaft in der westlichen Politik und Wissenschaft breit geteilte selber entscheiden.43 Dies betrifft auch die Frage der In- – Annahme, dass durch die Institutionalisierung formaler tegration der Taliban.44 Im günstigen Fall können die in- demokratischer Strukturen eine demokratische politische tervenierenden Staaten durch Bildung und Unterstützung Kultur entstehe, die langfristig friedliche Konfliktaustra- entsprechender Entwicklungen diesen Prozess befördern. gungsmechanismen hervorbringe. Eine Chance hat ein politischer Prozess auf eine demo- Allerdings sind nach Almut Wieland-Karimi wesent- kratische Entwicklung aber nur, wenn er ein afghanisches liche Grundvoraussetzungen für eine Demokratie in Af- Projekt wird und kein westlicher Import. In diesem Sinn ghanistan bisher nicht entwickelt: So kann man nicht für ist die Resolution der „National Consultative Peace Jirga politische Ideen oder Bewegungen votieren, sondern nur (NCPJ)“ in Kabul vom 2.-4. Juni 2010 ein ganz wesent- Einzelpersonen wählen. Weil aber der afghanischen Ge- licher Schritt der afghanischen Gesellschaft, die Zukunft sellschaft die Voraussetzungen für eine Demokratie fehlten, Afghanistans zu gestalten. Diese Friedens-Jirga repräsen- wurde auf die bestehende Klientelstruktur zurückgegriffen, tiert die afghanische Gesellschaft umfassender als die im um Mehrheiten z.B. für die Wahl von Präsident Karsai zu Dezember 2001 auf dem Petersberg zusammen getretene organisieren.40 Die Kooperation mit und Einbindung von Versammlung.45 Im Juni haben sich in Kabul 1.600 Dele- regionalen Führern (Warlords, Kommandeuren, Stammes- gierte aus den folgenden staatlichen Gremien und gesell- führern) war hierzu unausweichlich. Dies hat die Idee der schaftlicher Gruppen getroffen: aus beiden Häusern des Demokratie in den Augen der westlich orientierten urba- Parlamentes, aus den Provinzräten, Religionsgelehrte, nen Afghanen diskreditiert. Stammesführer, Vertreter zivilgesellschaftlicher Gruppen Florian Kühn hat in seiner bemerkenswerten Untersu- sowie Vertreter afghanischer Flüchtlingsgruppen aus dem chung darauf aufmerksam gemacht, dass die Regierenden Iran und Pakistan. Diese NCPJ hat Kriterien verabschiedet, in Kabul sich an den Interessen der internationalen Geber um den politischen Prozess in Afghanistan zu gestalten: ausrichten, da ihre Macht daran hängt, dass sie von diesen – Während die Taliban in einen Versöhnungsprozess finanziert werden. Die Interessen der afghanischen Bevöl- eingeladen werden, gilt dies nicht für „foreign extre- kerung seien für den Machterhalt nicht von Belang, da sie mist elements and international terrorist networks“46. keine Steuern zahlten, daher keinen wirksamen Druck auf – Die Verantwortung für den Friedensprozess soll in der die Regierung ausüben könnten und folglich keine Mög- Hand der afghanischen Regierung liegen, die interna- lichkeit hätten, von den Regierenden Rechenschaft zu for- tionale Gemeinschaft wird um Unterstützung des Pro- dern. Solange Afghanistan mehr von ausländischem Gel- zesses gebeten. de abhängt als vom eigenen Steueraufkommen, so Kühn, – Die afghanische Regierung wird auf good governance wird sich jede Regierung eher an den Interessen der aus- und die Bekämpfung der Korruption verpflichtet. ländischen Geldgeber als an den Interessen der Bevölke- – Die Rechte der Bürger einschließlich der Frauen und rung ausrichten.41 Kinder sollen durch einen gerechten Frieden gewährt Die internationale Gemeinschaft hat ein eigenes Inte- werden. resse daran, den afghanischen Staat aufzubauen, um die – Gleichheit vor dem Gesetz soll gelten. eigenen Sicherheitsinteressen zu realisieren, auch wenn – Moscheen und Medien sollen Frieden befördern und die Mittel nur teilweise bereitgestellt wurden und werden. gegen Gewalt predigen. Ob die afghanische Machtelite dies auch will, daran muss man zunehmend Zweifel haben. Wenn aber die Inhaber re- Während die afghanische Gesellschaft selber über die gionaler Macht sowie die Regierung um Präsident Karzai Rahmenbedingungen des Staatsaufbaus zu entscheiden hat, selber kein echtes Interesse daran haben, den Staat auf- kommt der internationalen Gemeinschaft eine subsidiäre zubauen, wie soll es dann gelingen? Rolle zu. Diese muss sich an den Notwendigkeiten und Schließlich hat der Westen die Idee einer afghanischen Entscheidungen in Afghanistan orientieren. Zu den Feh- rechtsstaatlichen Demokratie selber diskreditiert, weil er 42 Vgl. Arvid Bell, Acht Jahre nach der Invasion. Eine einerseits zwar die Einführung einer formalen Demokra- Zwischenbilanz, in Friedensgutachten 2010, 104-117, 110. tie unterstützt, andererseits aber mit warlords kooperiert 43 Vgl. Seth Jones, Stabilization from the Bottom Up, Rand hat, um die eigenen Sicherheitsinteressen zu realisieren: Testimony 2/2010, . 44 Vgl. hierzu Sultan Barakat / Steven A. Zyck, Afghanistan’s So wurden einige Milizen nicht entwaffnet, da sie als Ver- Insurgency and the Viability of a Political Settlement, Routledge bündete zur Bekämpfung der Al Qaida oder für die Auf- 2010, www.informaworld.com/smpp/content~ content=a9191064 71~db=all~jumptype=rss. 40 So Almut Wieland-Karimi während der Podiumsdiskussion 45 Vgl. B. Bliesemann de Guevara / F. Kühn, Illusion der Katholischen Friedens-stiftung am 22. April 2010 in der Statebuilding,a.a.O., 122. Katholischen Akademie Berlin. 46 The National Consultative Peace Jirga Resolution: www.presi- 41 B. Bliesemann de Guevara/F. Kühn, Illusion Statebuilding, dent.gov.af/Contents/88/ Documents/ 1834/ resolution_English. a.a.O. 130-136. htm.

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 47 KIRCHE UNTER SOLDATEN lern der vergangenen Jahre gehörte die mangelnde Balance in der Lage ist, und somit noch länger unterstützt werden zwischen militärischem Engagement und Mitteln für den muss. So spricht die Bundesregierung in Bezug auf den Ver- politisch-ökonomischen Aufbau: Die Staatengemeinschaft waltungsaufbau in Afghanistan von „einem auf Jahrzehnte hatte in Afghanistan die Priorität faktisch auf die militäri- angelegten internationalen Engagement“.48 Sollen Investi- sche Sicherung gelegt, aber entgegen den politischen Zu- tionen in Bildung, Wirtschaft und Verwaltungsaufbau nach- sagen die Bedeutung des politischen Wiederaufbaus nur haltig sein, werden sie an Jahrzehnten orientiert zu kon- unzureichend mit Mitteln unterlegt. Im Sinne des Prinzips zipieren sein, nicht an Wahlperioden, dies hat der frühere der Nachhaltigkeit ist hier erheblicher Nachholbedarf.47 litauische Außenminister und jetzige EU Sondergesand- Zugleich ist auch offenkundig, dass nach Lage der Dinge te für Afghanistan, Vygaudas Usackas, klargestellt.49 ❏ der politisch-ökonomische Aufbau noch solange abgesi- chert werden muss, bis der afghanische Staat hierzu selber 48 Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht Afghanistan zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages, a.a.O. 48. 47 Vgl. VENRO, Was will Deutschland am Hindukusch?, 49 www.monstersandcritics.com/news/southasia/news/artic- Hilfsorganisationen fordern grundlegenden Kurswechsel in der le_1614562.php/INTERVIEW-Afghanistan-needs-30-year- Afghanistanpolitik, VENRO Positionspapier 7/2009, 7. commitment-EU-envoy-says

56. Gesamtkonferenz „Den Wandel gestalten“ Kirche unter Soldaten: mit Profil in die Zukunft

VON BERTRAM BASTIAN

ie 56. Gesamtkonferenz der Militärgeistlichen, Pastoralreferenten und Pastoralreferentinnen fand vom 17. bis zum 21. Oktober in Berlin-Steglitz statt. Der Ablauf war neu gestaltet, nach den ersten beiden Tagen Dging der neue Militärbischof ab Mittwochnachmittag mit seinen Geistlichen „in Klausur“. ilitärgeneralvikar Walter Wakenhut eröffnete die Ge- sei aber noch nicht in Gänze fertig und könne somit auch Msamtkonferenz und begrüßte die zahlreichen Gäste noch nicht verteilt werden. Ziel der Veränderungen sei es, aus dem Ministerium, aus dem Ausland mit dem Militär- nach der Reform keine Vakanzen mehr zu haben. Diese bischof der Ukraine an der Spitze und aus den Instituten hänge aber stark von den Diözesen ab, die ihre Priester und Einrichtungen, die mit der Militärseelsorge zusam- freistellen müssten. Trotzdem habe es keinen Sinn, Stel- menarbeiten. Er betonte zu Beginn seines Berichtes zur len zu fordern, wenn diese nicht besetzt werden könnten. Lage der Militärseelsorge mit den beiden größten Verän- Generalvikar Wakenhut fordert die Geistlichen auf, den derungen: der Berufung des Bischofs von Essen als neuen Kontakt zu ihren Heimatdiözesen nicht abreißen zu lassen, Militärbischof und den Wechsel an der politischen Spitze damit dies auch besser informiert würden über die Arbeit des Ministeriums. Darüberhinaus sei die Aussetzung der und die Wichtigkeit der Militärseelsorge. Zu den Finan- Wehrpflicht, einhergehend mit der Verringerung der Bun- zen führte der Apostolische Protonotar aus, dass es weni- deswehr auf 185.000 Mann und den damit verbundenen ger Steuermizttel gäbe, die dann auch den katholischen Standortschließungen die die bedeutendsten Einschnitte, Soldaten zukommen sollten. „Wo Katholisch draufsteht, die auf die neue Struktur auch der Militärseelsorge Ein- muss auch Katholisch drin sein“ mahnte Generalvikar Wa- fluss nehmen würden. Es gelte, zuerst die Entscheidungen kenhut. Es gelte, nicht Spaßveranstaltungen zu betreiben, zu diesen Rahmenbedingungen abzuwarten, danach könne sondern die weniger werdenden Gelder gezielt einzusetzen die Militärseelsorge den Streitkräften folgen, so wie es seit und in gute, sinnvolle Veranstaltungen umzusetzen. Zum Anbeginn immer war. Diese Veränderungen vorzuberei- Schluss seiner Ausführungen würdigte der Generalvikar ten, damit man agieren statt reagieren könne, sei das Ziel den im August verstorbenen Apostolischen Protonotar Dr. dieser Gesamtkonferenz, dem man sich ab Donnerstag im Ernst Niermann, der von 1981 bis 1995 Militärgeneral- internen Kreis widmen würde. Die Lage der Katholischen vikar gewesen war. Er habe die Zeichen der Zeit verstan- Kirche in Deutschland sei von einem Rückgang des Pfar- den, die Militärseelsorge im Osten nach der Wiederverei- rernachwuchses ebenso geprägt wie von dem Rückgang nigung zielstrebig aufgebaut. Dabei sei er ein Geistlicher der Kirchensteuer bezahlenden Bevölkerung. Man kön- gewesen, der nicht nur angeordnet habe, sondern auch ne heute nicht mehr von dem religiös-sozialisierten Men- vorgelebt habe, führte Wakenhut aus. Anschließend sagte schen ausgehen, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Militärgeneralvikar Dank, nicht nur an den neuen Militär- noch die Masse ausmachte. Ein Ausgangspunkt für die bischof, der diese Amt neben seiner Diözese Essen und neue Struktur sei die fertig gestellte Sinus-Milieu-Studie, seiner Aufgabe für Adveniat zusätzlich übernommen habe, die am Dienstag vorgestellt würde. Der Abschlussbericht sondern auch seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in

48 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 KIRCHE UNTER SOLDATEN der Kurie, den Pfarrern in den Einsätzen und vor Ort so- senkranz-Basilika ein Pontifikalamt feierte. Danach lud wie den Laiengremien und den in Ökumene verbundenen Bischof Dr. Overbeck zu einem Gästeabend. Mitbrüder der evangelischen Kirche. Am Mittwoch trug General a.D. Dr. (hc) Klaus Nau- Im Anschluss an den Bericht zur Lage begrüßte der mann zum Thema vor: „Sicherheit für Europa in unruhi- Leitende Militärdekan Wolfgang Schilk drei neue Priester ger Zeit“. In seiner Einleitung schlug General Naumann in der Militärseelsorge: für den Standort Müllheim Pfarre einen Bogen von den Anschlägen 2001 in New York, der Hubert Link, für den Standort Munster Pfarrer Hans Dehm das Bewusstsein der Bevölkerung auf die Asymmetrie ei- und für den Standort Zweibrücken Pfarrer Msgr. Bernward nes potentiellen Angreifers aufmerksam machte, hin zur Mezger. In einer Präsentation wurden die zehn Pfarrer, die Arabellion, einer Entwicklung in der arabischer Welt, aus der Militärseelsorge ausschieden, der Versammlung deren Ausgang völlig offen sei. In Europa selbst sei die noch einmal bildlich nahegebracht. gemeinsame Währung auf Hoffnung gebaut, die in der Banken- und Finanzkrise unterzugehen drohe und das m Dienstag referierte der Präsident des Zentralkomi- Schengener Abkommen drohe auf Lampedusa zu schei- Atees der Deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, tern. Alle seien aufgerufen mitzuhelfen, diese Krisen zu über das Thema: „Kirche in der Krise – der Dialogpro- meistern, denn zum Zusammenschluss Europas gebe es zess als Chance“. Glück führte aus, dass das Vertrauen keine Alternative erklärte Naumann. Die krasse Fehlent- wieder gewonnen werden müsse, welches durch die Kri- wicklung in den nationalen Haushalten für Verteidigung se verloren gegangen sei. Dies sei schwieriger als zuerst schilderte der ehemalige Generalinspekteur mit den Wor- angenommen, denn die Botschaft des Glaubens habe für ten, dass Europa zwar 60 % des Budget der Amerikaner viele Menschen keine Relevanz mehr, während die Erwar- für Verteidigung ausgeben würde, aber nur 10 % der Fä- tungen an die Kirche zur Einflussnahme eher hoch sei- higkeiten besäße. Hinzu käme, dass Deutschland mit der en. Es gäbe im Grunde genommen keine generelle Geg- Parlamentsarmee von den Verbündeten nicht zu schnellen nerschaft. Religion ist ein Gesprächsthema und es gebe Entschlüssen für fähig gehalten wird. Im Osten Europas genügend Sinn-Suchende. Man müsse sich fragen, war- habe man nicht Angst vor Terrorismus, sondern Angst vor um diese Leute nicht die Wahrheit in der Kirche suchen Russland, mit dem die NATO noch keine richtige Zusam- würden. Um die Menschen wieder für die Kirche zu ge- menarbeit aufgebaut hätte. winnen, müsse die Kirche mehr Transparenz zeigen und Die Arabellion hält Naumann für einen Weckruf und sich der Wahrhaftigkeit bedienen. Es sei mehr die Diffe- für eine Chance zugleich. Da Amerika in dieser Region renz zwischen der Lehre der Kirche und dem Leben in der nicht die allergrößte Reputation genießt, könne Europa Kirche, welche zur Entfernung führe, betonte der Redner. mit seinen Erfahrung in der Umwandlung von Diktaturen Man dürfe den Menschen, die in ihrem Lebenslauf Brü- in Demokratien hier entscheidende Hilfestellung leisten, che erlebten, nicht mit Selbstherrlichkeit begegnen und um die Entwicklung in die richtigen Bahnen zu lenken. sich vor Selbstgefälligkeiten hüten führte Glück aus. Er Für die weitere Zukunft sieht General a.D. Naumann drei selbst sehe drei Möglichkeiten: die Resignation der Lai- Risiken, erstens die demographische Entwicklung, zwei- en, die keine Veränderung erwarteten, das Zurück zur tens die Ressourcenknappheit und drittens die Umwelt- kleinen Herde, das bedeute die Konzentration auf Kern- belastung und den Klimawandel. Aus diesen Risiken gemeinden oder einen neuen Aufbruch. Der begonnene werden die Konflikte der Zukunft entstehen, führte der Dialogprozess ringe um den richtigen Weg, sagte Glück. Redner aus. Dabei werden nicht-staatliche Akteure die Diese Ringen sei der katholischen Kirche aber seit dem Hauptrolle spielen sowie Proliferation und Cyber Warfare Apostelkonzil mit auf den Weg gegeben. Der Auftrag der werden die Aktionen sein, sagte Naumann voraus. Zurzeit Kirche sei den Menschen das Evangelium zu verkünden, sei keine Nation darauf vorbereitet. Weder Militär allein also könne eine Konzentration auf Kerngemeinden nicht noch Pazifismus würden zur Lösung der Probleme dienen. der richtige Weg sein. Ämter, Strukturen und Verantwor- Da der gesellschaftliche Wandel nur in Sicherheit ge- tung müssten auf dieses Ziel ausgerichtet sein, so Glück deihen könne, Sicherheit aber heutzutage nur in internati- weiter. Entwicklungen in der Gesellschaft seien immer von onalen Organisationen gewährleistet werden könne, seien engagierten Minderheiten ausgegangen, deshalb gelte es, zwangsläufig nationale Zuständigkeiten an diese Organi- diese engagierten Minderheiten zu erreichen, um an das sationen zu transferieren. Dazu sei die NATO weiterzuent- Ziel zu gelangen. Die eigentliche Zäsur sei das Ende der wickeln und eine Aufgabeverteilung müsse vorgenommen milieugeprägten Volkskirche, woraus sich die Frage er- werden. Hier sei die Verlässlichkeit Deutschlands gefor- gibt, wie der glaube jetzt an die Menschen gelangen kön- dert. Schließlich habe die Bereitschaft zu kämpfen auch ne, sagte der Präsident des ZdK. Die Auftaktveranstaltung den Kalten Krieg erfolgreich beendet. Nur ein starkes, in Mannheim gebe ihm Mut, sagte Glück, die Botschaft gemeinsames Europa im Bündnis mit den nordamerikani- sei nicht „Struktur“ sondern die barmherzige Pastoral. schen Demokratien könne dies Zukunftsaufgabe schultern Der ermutigende Auftakt sei ein gutes Zeichen, dass bis und meistern schloss der Redner seinen Vortrag. 2015 der Aufbruch geschafft sei. Gleichzeitig habe er tag in Mannheim aber auch den Erfolgsdruck erhöht, been- ilitärbischof Overbeck trug vor „Zur Zukunft der Mi- dete Alois Glück sein Referat, bevor er sich den Fragen Mlitärseelsorge“. Dabei könne er den Entscheidungen des Plenums stellte. des Ministers weder vorgreifen noch diese beeinflussen. Am Nachmittag stellte sich der Militärbischof Over- Aber er könne die Rahmenbedingungen skizzieren und beck den Fragen der Presse, bevor er abends in der Ro- darauf aufbauend die Schwerpunkte setzten, was Militär-

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 49 KIRCHE UNTER SOLDATEN seelsorge in Zukunft zu leisten hätte. So werde ein formaler falt sich zu orientieren versuchen, benötigen klare Anspra- Projektplan am Ende für das kommende Jahr diese Her- che, verständliche Erklärungen und vorgelebten Glauben. ausforderungen zu bewältigen versuchen und gleichzeitig Dies müsse der Seelsorger leisten können, sagte der Mili- formulieren, dass wir nach folgender Einsicht vorgehen: tärbischof weiter. Gerade der Zugang zu allen Milieus in „Wir werden nicht tun, was wir tun sollten; wir werden der Bundeswehr sei eine ungeheure Chance, die sich den nicht tun, was wir tun müssten; wir werden tun, was wir Pfarrern in den Diözesen so nicht bieten würde. Mit einem tun können“ führte der Bischof aus. Ein Schwerpunkt sei Blick auf die Verantwortung der Katholischen Kirche für ohne Zweifel die Seelsorge in den Einsätzen, auch in den die Wahrung der Menschenwürde müsse die Entwicklung kommenden Einsätzen. Ein zweiter Schwerpunkt werde in der Staaten so begleitet werden, dass Terrorismus und Ext- der Begleitung der Familienangehörigen und der Solda- remismus der Nährboden entzogen würde. Daraus ergäben tinnen und Soldaten in Deutschland liegen, ein weiterer sich auch Grenzen von legitimer Gewaltanwendung, wozu Schwerpunkt in der Gestaltung der ökumenisch zu ver- die Kirche ganz besonders ihre Stimme erheben müsse. antwortenden Arbeit im lebenskundlichen Unterricht in Zum Ende seines Vortrages ging Bischof Overbeck noch enger Absprache mit den entsprechenden Organen und auf das Verhältnis Kirche – Staat ein. Auch wenn es eine Institutionen der Bundeswehr. Schließlich werde viertens strikte Trennung gäbe, seien doch die Problemfelder der ein Schwerpunkt liegen müssen auf der Weiterqualifika- „res mixtae“ wie die Militärseelsorge oder das Schulwesen tion hinsichtlich der schwierigen friedensethischen He- zu beachten. Die Diskussion in diesen Bereichen werde rausforderungen, vor denen die Bundeswehr in Zukunft in Zukunft noch zunehmen, führte der Militärbischof aus. weiterhin stehen werde, gab Bischof Overbeck den ver- Abschließend ermunterte Dr. Overbeck, sich den vielfäl- sammelten Geistlichen mit auf den Weg. Die vielen Sinn- tigen Aufgaben zu stellen und „die Saat auszusäen“, um Suchenden, die in der heute herrschenden Religionsviel- die frohe Botschaft zu verkünden. ❏

Soldaten im Zentralkomitee Herbstvollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

VON JOACHIM LENSCH1

raditionell fand die Herbstvollversammlung des höchsten katholischen Laiengremiums in Deutschland, des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), in der Stadthalle in Bonn-Bad Godesberg statt. Das ZdK Tsprach über derzeit relevante Themen wie die Krise in der Europäischen Union, stärkere Einbindung von Frauen in der Kirche, den Dialogprozess und die Katholikentage der Zukunft.

Präsident Alois Glück berichtete zur Lage In der Schuldenkrise in Europa zeige sich besonders n seinem Bericht zur Lage spannte der Präsident des drastisch ein Grundübel und eine zunehmende Selbstge- IZdK, der langjährige bayrische Landtagspräsident, Herr fährdung der westlichen Zivilisation. „Wir geben ständig Alois Glück, einen weiten Bogen: Dass eine „skrupello- mehr aus als wir erarbeiten und einnehmen“, so der ZdK- se Mörderbande“ über Jahre hinweg unentdeckt morden Präsident wörtlich. „Wenn wir uns vor Augen halten, dass kann, untergrabe das Vertrauen in die Fähigkeit des Staa- wir trotz Rekordeinnahmen im Staatshaushalt mit einer hö- tes, die Sicherheit zu garantieren, so Glück. Er rief zu heren Verschuldung für das kommende Jahr planen, haben großer Wachsamkeit gegenüber Rechtsradikalismus und auch wir keinen Grund zu deutscher Selbstgerechtigkeit.“ Fremdenfeindlichkeit auf und forderte eine restlose Auf- Als Stärkung und Herausforderung hat der Präsident klärung der Gewalttaten. Insbesondere Christen sind durch des ZdK, den Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. ihr Menschenbild herausgefordert, Menschenverachtung gewürdigt. Den 3. Deutschlandbesuch des Papstes bezeich- und Hass entschieden entgegenzutreten. Die Bürger dürfen nete er als „großes geistliches Ereignis“. Auch wenn sich das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates zur Aufklärung viele konkretere ökumenische Zeichen von diesem Besuch und Prävention nicht verlieren, andernfalls drohe Gefahr erhofft haben, so darf man trotzdem und gerade jetzt nicht für die Demokratie. im Bemühen um die Ökumene nachlassen. Die Begegnung Den parlamentarischen Kompromiss zur Präimplantati- der ZdK-Delegation mit dem Papst sieht Glück als eine onsdiagnostik (PID) bezeichnete er als Gefährdung für die besondere Anerkennung des Zentralkomitees als die re- Unantastbarkeit des Lebens und den Schutz Behinderter. präsentative und legitimierte Vertretung der katholischen Laien in Deutschland. Beim Treffen mit der ZdK-Spitze in 1 Oberstabsfeldwebel Joachim Lensch ist Vertreter des Freiburg hat der Papst ausdrücklich seine Wertschätzung Katholikenrates beim Katholischen Militärbischof im ZdK für die Arbeit der Laien in der Öffentlichkeit bekundet.

50 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 KIRCHE UNTER SOLDATEN

Katholiken sollen entschlossen für die Rolle der Religion drücklich nicht ausgeschlossen. Diese Frage bedürfe weit- in der Gesellschaft eintreten. gehender Diskussionen und vor allem einer „größeren Übereinstimmung der Meinungen in der gesamten Kir- Europas Zukunft prägt unsere Zukunft che“ hieß es damals. or dem Hintergrund der aktuellen Schuldenkrise und Die Vollversammlung des ZdK befand, dass die Zeit Vden Herausforderungen durch die fortschreitende Glo- reif ist, Frauen als Diakoninnen zu weihen. Zur Begrün- balisierung setzt sich das ZdK für die Weiterentwicklung dung hieß es: „Der Auftrag aller Christinnen und Christen einer handlungsfähigen und solidarischen Europäischen zur Diakonie bildet sich auch im sakramentalen Diakonat Union ein (EU). Die ZdK-Vollversammlung hat hierzu die ab. Da diakonische Arbeit auf vielfältige Weise von Frauen Erklärung mit dem Titel „Europas Zukunft ist unsere Zu- geleistet wird, sind gerade Frauen als Diakoninnen unver- kunft! Europa nicht von seinen Grenzen, sondern von sei- zichtbar.“ Generell bezeichnete das ZdK den Frauenanteil nen Chancen her denken“ verabschiedet. bei Führungspositionen in den Bistümern als immer noch Der Präsident des ZdK, Herr Alois Glück, forderte viel zu gering. Frauen und Männern sollten die gleichen eine öffentliche Debatte über die künftigen Aufgaben der Chancen der Mitwirkung eingeräumt werden. Ein partner- EU. „Die Herrschaft der Märkte mit der Möglichkeit der schaftliches Miteinander entstehe dann, so argumentiert strategischen Spekulation auf potenzielle Gewinne ist zu die Entschließung weiter, wenn es auf allen Ebenen rea- einem zentralen Problem des politischen Handelns und lisiert wird, im ehrenamtlichen wie im hauptberuflichen des weiteren Vertrauens in die Demokratie geworden“, sagt Engagement von Christinnen und Christen in der Kirche. Glück. Rating-Agenturen sind die obersten und wirksams- Weitere Forderungen des Entschließungstextes bezie- te Instanz für die Bewertung politischer Entscheidungen hen sich auf die Beteiligung von Frauen an Finanzentschei- und Zukunftsstrategien geworden, ohne Verantwortung für dungen in der Kirche und auf die Förderung von Frauen in ihr Tun zu tragen. „Diese Entwicklungen sind für die De- theologischer Forschung und Lehre. Der Generalsekretär mokratie zerstörerisch“, so Glück weiter. Es dürfe nicht der Deutschen Bischofskonferenz kritisierte die ZdK-For- so bleiben, dass die Gewinne privatisiert und ohne eigene derung nach einem Frauendiakonat und sieht darin eine Risiken eingefahren werden, Verluste aber von allen ge- erhebliche Belastung für den innerkirchlichen Dialog. tragen werden müssen. „Solche Situationen und Entwick- lungen hält auf Dauer kein Gemeinwesen aus“. Katholikentage der Zukunft „Das Fundament der Europäischen Union sind un- ie Vollversammlung des ZdK hat im Mai 2010 in Mün- sere gemeinsamen Werte. Die Erfahrung lehrt: eine Ge- Dchen die Einrichtung einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe meinschaft ohne starke Werte und Leitbilder ist bald eine „Katholikentage der Zukunft“ beschlossen. Auf dieser schwache Gemeinschaft, die sich in den Verstrickungen Grundlage hat der Hauptausschuss eine Arbeitsgruppe unterschiedlicher Interessen lähmt“ so Glück. Als Eu- eingerichtet. Die Arbeitsgruppe hat einen Abschlussbe- ropäer müssen wir unseren notwendigen Beitrag leisten richt, bestehend aus einer „Vision 2020“ und konkreten zu weltweiten Aufgabenstellungen wie Armutsbekämp- Empfehlungen verfasst. Es wird unter anderem empfohlen fung, Welthandel, Klimawandel und Energieversorgung. den zweijährigen Rhythmus von Katholikentagen beizube- Grundlage dafür sind universelle Werte wie Menschen- halten, die Prozesse zur Vorbereitung des Katholikentages würde, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Wegen zu untersuchen und Vorschläge zu unterbreiten, wie die dieser Werteorientierung ist ein verstärktes Engagement Belastung der Ehrenamtlichen in der Vorbereitung verrin- der Kirchen dringen notwendig. Die Einigung Europas ist gert werden kann sowie Ministrantinnen und Ministranten nicht nur ein weltweit einmaliges Projekt, sondern eine und Firmlingen durch spezifische Angebote im Jugend- bleibende historische Notwendigkeit, so die Botschaft am zentrum anzusprechen. Schluss der Erklärung. Die Vollversammlung des ZdK hat nach lebhafter Debatte die Einladung von Bischof Dr. Gerhard Ludwig Partnerschaftliches Zusammenwirken Müller, den 99. Deutschen Katholikentag im Jahr 2014 in von Frauen und Männern in der Kirche Regensburg zu veranstalten, angenommen. Ausdrücklich in Schwerpunkt der Herbstvollversammlung in Bonn dankte sie Bischof Müller für seine Einladung, die sie als Ewar ein verabschiedetes Beschlusspapier zur Stellung einen Ausdruck der Wertschätzung der gewachsenen Tra- der Frau in der Kirche. Der Text war bereits auf der Früh- dition und des Selbstverständnisses der Deutschen Ka- jahrsvollversammlung des ZdK in Erster Lesung beraten tholikentage verstehe. Sie würdigte die Einladung insbe- worden, wurde dann aber noch einmal in Überarbeitung sondere im Kontext des Dialogprozesses der katholischen gegeben. Mit großer Mehrheit – für das Papier stimmten Kirche in Deutschland. 129 Delegierten bei 16 Gegenstimmen und 7 Enthaltun- In der vorangegangenen Aussprache wurde die Ent- gen – haben die Delegierten unter anderem für die Weihe scheidung heftig diskutiert, weil es in der Vergangenheit von Frauen zum Diakonenamt votiert. Das Diakonat ist das wiederholt Spannungen zwischen Bischof Müller und dem unterste katholische Weiheamt. Laiengremium gegeben hatte. Die Delegierten folgten aber Dabei beriefen sich die Delegierten freilich auf die schließlich dem Antrag der ZdK-Leitung und stimmten mit deutschen Bischöfe, die im Jahr 1981 ein Dokument über 114 Ja-Stimmen bei 12 Ablehnungen und 19 Enthaltungen „Fragen der Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft“ für das Großtreffen in der bayerischen Bischofsstadt. Es veröffentlicht hatten. Die Möglichkeit der Zulassung von ist der erste Katholikentag in Bayern seit 30 Jahren. Der Frauen zum sakramentalen Diakonat wurde damals aus- Katholikentag in Regensburg wird vom 28. Mai bis 1. Juni

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 51 KIRCHE UNTER SOLDATEN

2014 stattfinden. Die Bischofsstadt ist damit nach 1849 schof Zollitsch sehr dankbar sei, dass er als eine Konse- und 1904 zum dritten Mal Gastgeber eines Katholikentags. quenz aus dem Treffen im Dialogprozess im vergangenen Juli in Mannheim die pastorale Notwendigkeit einer einla- Dialogprozess denden Haltung gegenüber Menschen mit Brüchen in ih- nsere Kirche braucht den Dialog, nicht nur Gespräche. rem Leben, namentlich wiederverheirateten Geschiedenen, UDialog ist eine Haltung, zu der zuhören, ernst nehmen hervorgehoben hat. und Bereitschaft zur Veränderung gehört. Im Rahmen des Die Website des ZdK „Einen neuen Aufbruch wagen“, Dialogprozesses hat das ZdK immer wieder betont dass wurde im ersten halben Jahr gut 37.000 Mal aufgerufen. Die- kein Gegensatz gesehen wird zwischen Glaubensvertie- se Website soll nicht nur dokumentieren sondern auch gute fung und notwendigen Reformen in unserer Kirche. Äm- Ideen und bewährte Ansätze bekannt machen um damit dem ter und Strukturen haben immer nur Dienstcharakter und Dialogprozess umso besser dienen zu können. Schon jetzt sind nicht Selbstzweck. Im nächsten Jahr wird der Dialog- wird deutlich: Der Dialogprozess findet nicht nur punktu- prozess den Schwerpunkt „Diakonia“ haben. „Hier können ell in den Gesprächsforen der Deutschen Bischofskonferenz und müssen wir selbstbewusst unsere diakonische Präsenz statt, sondern kontinuierlich in den Verbänden und Diözesen. in Gesellschaft, Politik und Kultur als unverzichtbarer Teil Die nächste Vollversammlung des ZdK findet am 15./16. unseres Glaubens zeigen und in der Welt darlegen“, so der Mai 2012 im Rahmen des 98. Deutschen Katholikentages Präsident Glück. Weiterhin betonte Glück, dass er Erzbi- in Mannheim statt. ❏

Landeskomitee Bayern Wohin schlägt das Pendel zukünftig in Deutschland / Europa aus?

um ersten Mal in der Ge- Gerade die eher kritischen ten, und dass sowohl die Kirche Zschichte des Landeskomitees Äußerungen im Vorgriff zur Rede als auch der Staat dem Menschen der Katholiken in Bayern fand eine des Papstes im Bundestag zei- zu dienen haben“. Vollversammlung im benachbar- gen wie brandaktuell dieses The- Fazit: Das partnerschaftliche ten Ausland statt. Teilnehmer war ma auch in Deutschland ist. Der Verhältnis zwischen Kirche und auch der Delegierte der GKS Süd, Vorsitzende des Landeskomitees Staat in Deutschland könnte dabei OStFw a.D. Reinhard Kießner. der Katholiken in Bayern Albert „Exportmodell“ werden. Schließ- Es war naheliegend, in einem Schmid sprach deutlich aus, dass lich könne der Staat „ein abge- ehemals kommunistischen Land es im Interesse des Staates liegt, stuftes Verhältnis zu den Kirchen wie Tschechien das Verhältnis mit der Kirche zusammenzuarbei- und Religionsgemeinschaften ha- Staat und Kirche zu thematisie- ten. „Es handelt sich dabei nicht ben – nach dem Grad der Über- ren. Im Rahmen einer Podiums- um eine Privilegierung der Kir- einstimmung mit seiner Werteord- diskussion mit dem Titel „ Staat che, sondern um eine Wahrneh- nung“. Bischof Radkovskí stellte ohne Kirche – Kirche ohne Staat – mung der Interessen des Staates“. nach dem Ende des Kommunis- Christen bezeugen ihren Glauben Es gebe „starke Partnerschaft von mus in seinem Land fest, dass in einer säkularen Gesellschaft“ Staat und Kirche in Deutschland, nach einer materialistischen Pha- wurde das Thema beleuchtet. Teil- die immer wieder neu gedacht und se wieder ein zunehmendes Inte- nehmer auf dem Podium waren auch mit Leben gefüllt werden resse an Religion zu verzeichnen der Vorsitzende des Landeskomi- muss“, stellte der Verfassungs- ist. Religionssoziologen sprechen tees der Katholiken in Bayern Dr. rechtler Robbers fest. Es genüge von einem Pendel zwischen Mate- Albert Schmid, der Prager Erz- nicht, sich auf historische Argu- riellen und Spirituellen. Wo steht bischof Dominik Duka OP, der mente zu berufen: „Es ist nicht nö- das Pendel bei und in Deutsch- Regensburger Bischof Gerd Lud- tig sich zu verstecken. Das Chris- land? wig Müller, der Pilsner Bischof tentum hat die richtigen Antwor- František Radkovskí sowie Prof. ten, die richtigen Botschaften.“ (Text: Reinhard Kießner und Dr. Gerhard Robbers vom Institut Erzbischof Duka verwies darauf, Presseveröffentlichungen für europäisches Verfassungsrecht dass „beide – der Staat sowie die des Landeskomitee der Katholi- an der Universität Trier. Kirche – sich gegenseitig brauch- ken in Bayern)

52 AUFTRAGAUFTRAG28 2844 • DEZDEZEMBEREMBER 2011 KIRCHE UNTER SOLDATEN

Festakt in Fulda 50 Jahre Königsteiner Offizierkreis / Gemeinschaft Katholischer Soldaten

VON BERTRAM BASTIAN

ingebettet in den Ablauf des 13. Seminars der GKS Deshalb entschied der Bundesvorstand der GKS, diesen EAkademie Oberst Korn feierte die Gemeinschaft den Festakt in das diesjährige Seminar einzubetten. 50. Gründungstag des Königsteiner Offizierkreises, der In seiner Predigt ging der neue Militärbischof Dr. Over- Vorgänger Organisation der Gemeinschaft Katholischer beck auf die Verantwortung der Laien – und hier speziell Soldaten. Mit einem feierlichen Pontifikalamt im Dom zu auf die militärischen Laien in der GKS – für die Gestal- Fulda, dem Festakt im Marmorsaal des Schlosses und ei- tung des kirchlichen Lebens ein. Gerade der Soldatenberuf nem anschließenden Gästeabend im Bonifatiushaus wur- müsse sich an christlichen Werten, Tugenden und Idealen de dem Beginn des organisierten Laienapostolates in der orientieren, um im Sinne der katholischen Friedensethik Katholischen Militärseelsorge gedacht. zu handeln. Das Zeugnis der christlichen Soldatinnen und

Bild 1: Generalleutnant Günter Weiler bei seinem Bild 2: von links: Oberstlt Rüdiger Attermeyer, BrigGen Grußwort im Marmorsaal des Schlosses Fulda a.D. Friedhelm Koch, Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck, Oberstlt a.D. Paul Schulz Schon 1960 forderte der spätere Generalmajor Hubert Walitschek: „Es ist notwendig, dass katholische Christen Soldaten zeige sich nicht nur in den Einsätzen, die unter Offiziere werden und dass diese Offiziere als bewusste ka- Bedrohung von Leib und Seele stattfänden, sondern müsse tholische Christen dienen; denn davon wird die Qualität ständiger Begleiter im Alltag in den Kasernen und in den dessen mitbestimmt, was wir – als Volk und Staat – sind Einheiten sein. Als Festredner schlug der Abt des Bene- bzw. werden wollen, was wir bleiben wollen, was wir ver- diktinerklosters Maria Laach, Abt Benedikt, den Bogen teidigen wollen.“1 Nachdem das II. Vatikanische Konzil von den Regeln des Ordensgründers hin zum Soldatenall- eine stärkere Mitverantwortung der Laien für Sendung und tag. Der Gehorsam und das Dienen seien dem Benedikti- Auftrag der Kirche wünschte, öffnete sich der 1961 nach nerorden und den Soldaten gemeinsam, wobei beide kein seinem Gründungsort benannte Königsteiner Offizierkreis Selbstzweck seien, sondern dem höheren Dienst an den (KOK) für alle Dienstgrade und ging am 17. März 1970 in Menschen und an Gott zuzuordnen seien. die Gemeinschaft Katholischer Soldaten auf. Schon sehr Für die Bundeswehrführung entbot der Stellvertreter des früh wurde der Gedanke geäußert, eine Bildungsveran- Generalinspekteurs, Generalleutnant Günter Weiler (Bild 1) staltung, eine Akademie zu gründen, die dem hohen Ziel ein Grußwort, bevor ihn sein übervoller Terminkalender zu- gerecht würde, das Verantwortungsbewusstsein zu schär- rück nach Berlin rief. Nach den Grußworten wurde das erste fen und an der politischen und ethischen Meinungs- und Exemplar der Chronik des KOK / der GKS Bischof Over- Urteilsfindung teilzunehmen. So wurde folgerichtig 1987 beck übergeben (Bild 2). Brigadegeneral a.D. Friedhelm die Akademie Oberst Korn gegründet, die im 2-jährigen Koch hatte mit starker Unterstützung durch das Archiv des Rhythmus Seminare durchführt, um diesem Ziel zu dienen. KMBA die Daten und Fakten zusammengetragen, die der Ehrenbundesvorsitzende Oberstlt a.D. Paul Schulz redak- tionell bearbeitete und zu diesem Buch zusammenführte. 1 Zit. nach: Im Dienst der Sicherheit & Freiheit der Völker, Bei- träge zum Selbstverständnis und zur Verantwortung der Soldaten, Ein ausführlicher Bericht über das Seminar der Akademie herausgegeben von der GKS 2010, Seite 39 Korn und dem Festakt folgt im nächsten AUFTRAG. ❏

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 53 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

GKS-Kreis Köln I GKS-Kreis München Gottesbilder – Wer ist ein Christ? Körper, Geist und Seele !

An welchen Gott glauben wir Christen? om 08 bis 10. Juli führte der GKS-Kreis München Vein Familienwochenende in Ohlstadt im Kolpinghotel it diesen Fragen befassten sich 25 Erwachsene, 26 durch. Die Leitung übernahm OStFw i.R. Reinhard Kieß- MKinder und Jugendliche und drei Kinderbetreuerin- ner sowie Frau Gudrun Kießner, die sich durch spirituelle nen während des Familienwochenendes der GKS Köln I in Inhalte einbrachte. Als Referentin konnte Frau Katja Ho- Günne am Möhnesee vom 08. bis 10. Juli 2011. yer aus München gewonnen werden. Das Thema zielte hauptsächlich auf die Bewältigung von alltäglichen Stress-Situationen ab. Im täglichen Le- ben ob Beruf, Schule oder Beziehung kommt es häufig zu Spannungsfeldern. Besonders der Soldatenberuf ist mit positiven wie negativen Ereignissen gespickt. Es sollten Möglichkeiten der Konfliktstabilisation bzw. einer rela- tiven Stressresistenz aufgezeigt werden. Die Teilnehmer konnten individuell Methoden der Kinesiologie, Brain- Gym und Spiritualität für sich als Anregung mitnehmen. Kinesiologie gehört in den Bereich der Gesundheitsförde- rung und dient der körperlichen, geistigen und seelischen Gesunderhaltung. Mit „Gesund durch Berühren“ erlangen wir neue Erkenntnisse über unseren Körper. Brain Gym: Das dortige Heinrich-Lübke-Haus der katholischen Brain-Gym stellt ein Werkzeug für Kinder und Erwach- Arbeitnehmerbewegung (KAB) bot den Familien zahl- sene dar, welches das Lernen erleichtert und Phänomene reiche Freizeitmöglichkeiten wie großzügige Spielplät- wie Prüfungsangst und innere Unruhe positiv beeinflusst. ze, Fußballplatz, Kegelbahn, Tischtennisplatten und ein Lernblockaden werden aufgespürt und gelöst sowie vor- Kleinschwimmbecken. Die Teilnehmer machten davon handene Potentiale freigesetzt. Mit einfachen Übungen und regen Gebrauch. Bewegungsbalance können großartige Erfolge bei Schü- Nach der obligatorischen Vorstellungs-runde am Frei- tagabend konnte man sich bei Spiel und Gesprächen in lockerer Atmosphäre näher kennen-lernen. Der Samstagvormittag stand dann ganz im Zeichen des inhaltlichen Programms: In einer ersten Arbeitseinheit lei- tete der Hausgeistliche Pater Willi Heck die Gesprächs- runde zum Thema „Wer ist ein Christ? An welchen Gott glauben wir Christen?“. Durch seinen authentischen Vor- trag gab Pater Willi viele Anstöße zur intensiven Diskus- sion. In einer zweiten Arbeitseinheit trug Herr Karl Heinz Does, pädagogischer Mitarbeiter des Hauses, kurzweilig mit vielen eindrucksvollen alten und neuen Bildern zur Geschichte des Möhnesees vor. Währenddessen wurden die Kinder liebevoll von Ma- rina, Elisa und Melanie beim Spiel betreut. Am Nachmit- lern mit Lese- und Rechtschreibschwächen erzielt werden. tag stand für die Meisten eine Familienrallye auf dem Pro- Es zeigt sich: Spiele und Bewegungen, die die Mittellinie gramm. Dabei gab es rund um die Möhnetalsperre viel zu des Körpers kreuzen, erhöhen die Konzentration, stärken erkunden. Die abendliche Runde wurde durch ein kleines die Merkfähigkeit, steigern die Kreativität und Aufmerk- „Public Viewing“ des FIFA Frauen-WM 2011 – Viertelfi- samkeit. Durch die einfachen und unkompliziert durchzu- nalspiels Deutschland – Japan bereichert. führenden Brain-Gym Übungen wird das gesamte Körper- Am Sonntagvormittag stieß Militärdekan van Dongen Geist-System mobilisiert. Bei Tests mit Kindern konnten zu den Teilnehmern und berichtete in einer Arbeitseinheit enorme Verbesserung der Lernleistungen festgestellt wer- über den Dialogprozess, den die Deutsche Bischofskon- den, nachdem Brain-Gym Übungen durchgeführt wurden. ferenz nicht zuletzt nach den Missbrauchsfällen der letz- So wurden wertvolle Aspekte für den Einklang von ten Zeit initiiert hat. Die Diskussion drehte sich um die Körper, Geist und Seele vermittelt. Der Sonntagsgottes- Frage, welche Erwartungen die Laien an einen solchen dienst mit Herrn Dekan Edwin Grötzner rundete das Wo- Prozess haben. chenende ab. Zum Abschluss bedankte sich OTL Stefan Den Abschluss eines rundum gelungenen Wochenen- Luckas stellv. Vorsitzender des GKS-Kreis München beim des bildete die gemeinsame Heilige Messe und das Mit- Ehepaar Kießner für die Leitung der gelungen Veranstal- tagsbuffet. tung und verabschiedete alle Teilnehmer in ihre Wohnorte. (Text: Marian Paul Schiebilski, Foto: Walter Raab) (Text und Foto: Reinhard Kießner)

54 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

GKS-Kreis Nörvenich Höhepunkt des Wochenendes statt. Auch hier waren alle Teilnehmer mit viel Freude dabei und trugen ihren Teil Kirche und Freude – ein wirklicher dazu bei, eine kindgerechte aber dennoch festliche Mes- se zu erleben. Die obligatorische Abschlussrunde, bei der Widerspruch? alle Teilnehmer ihre Zufriedenheit über den Ablauf und die Gestaltung des Wochenendes zum Ausdruck brach- hr zweites Familienwochenende seit der Gründung im ten, nutze der Vorsitzende, OStFw Hasebrink dazu, über IJahr 2009 führte die GKS Nörvenich vom 16. bis 18. die Mitgliedschaft in der GKS und ihres Förderkreises zu September 2011 im Familienhotel Hochwald in Horath informieren. Das abschließende Mittagessen lieferte eine durch. Insgesamt 30 Teilnehmer waren der Einladung ge- gute Grundlage dafür, dass alle Beteiligten gestärkt an Kör- folgt und freuten sich auf ein interessantes Wochenende. per und Seele nach Hause zurückkehren konnten. Ein ge- Mit dem für den Standort zuständigen katholischen Mili- lungenes Familienwochenende, das nach jetziger Planung tärpfarrer Andreas Temme hatte der Vorsitzende der GKS vom 01. bis 03. Juni 2012 seine Fortsetzung finden wird. Nörvenich, OStFw Matthias Hasebrink einen Referenten (Text und Foto: Matthias Hasebrink) eingeladen, der aufgrund seiner Herkunft aus dem Rhein- land zur Freude im Alltag und im kirchlichen Leben eine besondere Verbindung hat. So fiel es Pfarrer Temme dann auch sehr leicht, mit seinem Einstiegsimpuls am Freitag- abend die Gruppe für das Thema zu interessieren und auf GKS-Kreis Wilhelmshaven die weiteren beiden Tage neugierig zu machen. Während die Kinder am Samstagvormittag durch die Übergabe an den Neuen beim Wochenende Kinderbetreuerin Ina Wolters kreativ betreut wurden, be- schäftigten sich die Eltern intensiv mit dem Verhältnis er Kreis Wilhelmshaven führte vom 07.10. bis zwischen Freude und Kirche. Militärpfarrer Temme hatte D09.10.2011 sein zweites Familienwochenende in Li- hierzu zahlreiche Beispiele zusammengestellt, aus denen lienthal/Worpswede in diesem Jahr durch. Dazu hatten ersichtlich war, dass Kirche und Freude keine konkurrie- sich 30 Teilnehmer angemeldet. renden, sondern sich ergänzende Begriffe sind. „Insbeson- Nach der Gründung des GKS-Kreises am Standort dere der ehemalige Erzbischof von Köln, Kardinal Frings Wilhelmshaven im Jahr 2005 war es gelungen, jährlich hat dies erkannt und mit seiner humorigen Art immer wie- zwei Familienwochenenden durchzuführen. Erfreulicher- weise wuchs die Mitgliederzahl des Kreises stetig an. Der Kreis besteht jetzt überwiegend aus aktiven Soldaten mit ihren Familien. Dabei sind alle Teilstreitkräfte vertreten. Dies war meine Motivation als Vorsitzender des Kreises, weiter zu werben und zu arbeiten um auch im Norden Deutschlands wahrgenommen zu werden. Nachdem ich zum 31.12.2010 aus dem aktiven Dienst bei der Bundes- wehr ausgeschieden bin, habe ich den bestehenden Kreis an meinen gewählten Nachfolger Hptm Gerhard Rusch vom LogZBw übergeben. Beim Wochenende im Juli diesen Jahres wurde der neue Vorsitzende gewählt und während des beschriebe- nen Wochenendes vom 07. bis 09.10.2011 durch mich aktiv eingeführt. Damit ist der „Neue“ nun eingewiesen der dazu beigetragen, dass Kirche als ein Ort der Freude und kann mit ganzer Kraft den Kreis führen. Zu seiner Un- wahrgenommen wurde“, stellte Temme zum Abschluss sei- terstützung ist es mir gelungen in den letzten Jahren drei nes Referates fest. Nach der theoretischen Wissensvermitt- Ansprechpartner im Bereich Wilhelmshaven zu finden. lung am Vormittag stand der Nachmittag ganz im Zeichen Diese wollen auch ihn bei seiner Arbeit als Vorsitzender der praktischen Umsetzung. Hierzu konnten die Freizeit- weiterhin tatkräftig unterstützen. einrichtungen des Tagungshauses durch die Familien in Bei durchwachsenem Wetter in einem Haus in einer Anspruch genommen werden. An den Geräuschen in und herrlich gelegenen Landschaft bei Bremen ging das Wo- um das Familienhotel war zu erkennen, dass insbesondere chenende viel zu schnell vorüber. die Kinder daran ihre Freude hatten. Zum Abschluss des Als Bildungsteil wurde von der Polizei Verden ein Re- Tages fand auf Initiative des Militärpfarrers in der haus- ferent abgestellt, der mit den Erwachsenen das Thema: eigenen Kapelle eine Vorabendmesse statt. „Drogenproblematik“ beleuchtete. Mit seiner langjährigen Traditionell für ein Familienwochenende der GKS Erfahrung in diesem Bereich war es dem Referenten ge- stand der Sonntag nochmals den Familien zur Verfügung. lungen, alle am Vortrag teilnehmenden Eltern durch leb- Das ausgiebige gemeinsame Frühstück, das keine Wün- hafte Beispiele und Vorzeigeobjekte auf die Gefahren mit sche offen ließ, bot hierzu den entsprechenden Rahmen. sogenannten leichten und harten Drogen hinzuweisen. In Nachdem die Zimmer geräumt waren, fand mit dem ge- unserer Gesellschaft gehören Drogen leider zum Alltag. meinsam gestalteten Familiengottesdienst der eigentliche Gerade Eltern von Kindern und Jugendlichen muss klar

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 55 AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKS

Königsteiner Offizierkreis / Gemeinschaft Katholischer Sol- daten teilnehmen. Zur Eröffnung der Feierlichkeiten fand ein Pontifikalamt im Dom zu Fulda statt, welches durch Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck zelebriert wurde. Die Mitglieder des Kreises Lauda / Hardheim, allesamt Angehörige des Abgesetzten Technischen Zuges 134 Lau- da, nutzten die Gelegenheit, sich durch die Teilnahme am Seminar mit ganz unterschiedlichen und doch unmittelbar in Verbindung zueinander stehenden Themenfeldern, wie gesellschaftlicher Wandel, Vertrauenskrise im öffentlichen wie privaten Raum und Glaubenskrise auseinander zu set- zen. Durch die kompetenten Vorträge und anschließenden Diskussionen im Plenum konnten viele neue Eindrücke und Ansichten mit nach Hause genommen werden. sein, dass niemand davor geschützt bleibt. Eine gute Auf- (Text: Christian Müller, Foto: Matthias Schwarz) klärung ist die beste Prävention. Die Kinder wurden über das gesamte Wochenende betreut und freuen sich schon auf die nächste Veranstal- tung im Juni 2012. Mir Freude in den Augen und selbst gebastelten Sachen in den Händen verabschiedeten sie Kurznachrichten sich von ihrem Betreuer. (Text und Foto: Klaus Feineis) „Kirche in Not“ sorgt sich um Christen in Ägypten

GKS-Kreis Lauda / Hardheim er arabische Frühling könnte nach Einschätzung Ddes internationalen Hilfswerks „Kirche in Not“ Junger Kreis bei Akademie Korn den Christen Nachteile bringen. Bei freien Wahlen sei die Gefahr groß, dass dem politischen Islam zu- gerechnete Parteien an die Macht kommen könnten, m Rahmen des 13. Seminars der GKS-Akademie „Oberst erklärte der Menschenrechtsexperte des Hilfswerks, IHelmut Korn“ in Fulda hatten die Teilnehmer im An- Berthold Pelster, am Dienstag in München. In Tune- schluss an eine gemeinsame Eucharistiefeier in der Kapelle sien sei dies bereits geschehen. des Bonifatiushauses die Gelegenheit, mit Militärbischof In Ägypten werde vermutlich die Muslimbru- Dr. Franz-Josef Overbeck Gespräche zu führen. Für die derschaft einen großen Teil der Wählerstimmen er- halten. Das gemeinsame Merkmal vieler solcher re- ligiös-ideologischer Bewegungen sei das politische Ziel, eine „islamische Ordnung“ zu errichten, erläu- terte Pelster. Die Folge sei ein islamischer Staat, in dem die Scharia gelte. Nur Muslime würden dann als vollwertige Bürger gelten, Andersgläubige, etwa Christen, würden eingeschränkte Bürgerrechte zu- gestanden. Ob es so kommen werde, sei aber noch nicht absehbar. Der Experte sieht jedoch in Ägypten auch posi- tive interreligiöse Auswirkungen der Bürgerbewe- gung. So sei bei den Demonstrationen immer wieder eine große Geschlossenheit zwischen Muslimen und Christen zu beobachten gewesen. Die Demonstran- ten hätten nicht nur für einen islamischen Gottes- Das Bild zeigt Angehörige des Abgesetzten Technischen staat plädiert, sondern auch Gerechtigkeit, sozialen Zuges 134 aus Lauda mit dem Militärbischof. Von links: Ausgleich und Teilhabe am gesellschaftlichen Fort- HptFw Müller, StUffz Rath, StUffz Döhring, Militärbischof schritt gefordert. Zudem sei in Ägypten im Sommer Dr. Franz-Josef Overbeck, HptFw Schwarz, OFw Bienert ein Gesetzentwurf eingereicht worden, der den Bau von Gebetsstätten vereinfachen solle, sagte Pelster. Mitglieder des noch jungen Kreises Lauda / Hardheim, Muslimische und christliche Gemeinden sollen da- die sich erst zu Beginn des Jahres 2011 zu einem eigenen bei gleich behandelt werden. Kreis zusammen fanden, war es die erste Teilnahme an (KNA) einem GKS-Seminar in dieser Form. Bereits am Dienstag durften die Besucher des Seminars am Festakt 50 Jahre

56 AUFTRAGAUFTRAG28 2844 • DEZDEZEMBEREMBER 2011 BUCHBESPRECHUNGEN

Buchbesprechung Belagerung und Gefangenschaft er Autor Albert Pethö hat das die Karpaten nach Ungarn und liegt sowohl in der Festung als auch in den DKriegstagebuch des k.u.k. Re- in Galizien. Diese Festung war schwer verschiedenen Lagern, bis hin zum gimentsarztes Dr. Richard Ritter von umkämpft und musste sich nach Be- Austausch und der glücklichen Rück- Stenitzer bearbeitet und lagerungla ab Sep- kehr. Dabei ist ein großer Teil seiner der Öffentlichkeit zu- temberte 1914, einem Zeit dem Kampf gegen die zaristische gänglich gemacht. Ri- kurzfristigenk Ent- Bürokratie gewidmet. Diese Tagebü- chard von Stenitz, ein ssatza Anfang Okto- cher macht Pethö dem Leser zugäng- praktizierender und er- berb 1914, wiederum lich. Er schildert den Lebenslauf des folgreicher Arzt in Wien bbelagert ab Anfang erfolgreichen Arztes vor dem Krieg, hat in seiner Reservisten- NovemberN letztend- geht auf die Zeit ein, indem er die laufbahn bis zu Beginn lichli März 1915 we- Bedeutung der Festung für die Ver- des Krieges 1914 den geng Lebensmittel- teidigung Österreichs schildert und Rang eines Oberarztes der knappheitk ergeben. gibt so in diesem Werk einen unge- Reserve. Dass er von sei- danachd fängt der schminkten Einblick in einen Kriegs- ner in diesem Jahr statt- WWeg des Richard schauplatz des ersten Weltkrieges, der findenden Beförderung vvon Stenitz durch zu Unrecht fast völlig aus dem Blick- zum Regimentsarzt erst died verschiedenen punkt geraten ist. (BB) Anfang 1915 schon in der Kriegsgefange-K Festung Przemysl erfährt, nnenlager an, bis er Albert Pethö, Belagerung und zeigt, dass in dem großen Ende 1917 durcdurch einen durch das Gefangenschaft - Von Przemysl bis Habsburger Reich der k.u.k. Monar- Rote Kreuz vermittelten Gefangenen- Russisch-Turkestan. Das Kriegs- chie eben vieles „gemütlicher „ zu- austausch wieder bei seiner Familie tagebuch des Dr. Richard von Ste- ging. Die Festung Przemysl, nordost- ist. Während der gesamten Zeit führte nitzer 1914 - 1917, Ares-Verlag, wärts der Karpaten gelegen, versperr- er präzise Tagebuch, schildert Höhen Graz 2010, 264 Seiten, ISBN 978- te der Armee des Zaren den Weg über und Tiefen bei der Krankenbetreuung 3-902475-83-1

Buchbesprechung Deutsche Luftlandungen am 10. Mai 1940 n dem vorliegenden Buch wird der energisch genug betriebene Vertei- wird. Der Detaillierungsgrad geht bis IWerdegang der Operationen im digung der Fortanlage, von den Vor- hin zur Kampfbeladung der eingesetz- Raum Maastricht - Albert-Kanal - bereitungen der Fes-- tent Gruppen in ihren Eben Emael von der ersten Planung tungstruppen bis hinn LastenseglernL unter bis zur Umsetzung geschildert. Meist zum Kampf, als die AngabeA der geplan- ist dem Publikum nur bekannt, dass Fallschirmjäger das tent Landeräume und durch ein Kommandounternehmen Areal besetzt hatten. derd tatsächlich er- das Sperrfort Eben Emael unter Zu- der Autor greift auf folgtenf Landung mit hilfenahme von modernen Waffen wie das Kriegstagebuch demd anschließenden Gleitflieger und Hohlladungen er- der Sturmabteilung KampfK gegen die Fes- obert wurde. Aber wie die Führung Koch zurück sowie tungsbesatzung.tu Wer speziell darauf vorbereitet hat, wie an auf die Gefechtsbe- sichsi für den Westfeld- Modellen geübt wurde und wie diese richte der eingesetz- zuzug interessiert, sollte speziell entwickelten Waffen erprobt ten Sturmgruppen, diesedi Buch gelesen ha- und der Truppe an die Hand gegeben die im Bundesar- ben.be (BB) wurde, dass wird in diesem Buch aus- chiv in Freiburg ar- gezeichnet und mit einem sehr hohen chiviert sind. Ergän- Jens Oebser, Deut- Detaillierungsgrad geschildert. Hinzu zend dazu werden schesch Luftlandungen kommt die Schilderung der Kämpfe Aufzeichnungen des amam 10. Mai 1940, Fort der eingesetzten Fallschirmjäger, die ehemaligen Gegners verwendet,verwendet so EbenEben EEmaelmaell undun die Brücken am länger als geplant ohne Unterstüt- dass ein abgerundetes Bild abgelie- Albert-Kanal, Historicus Verlag zung auskommen mussten. Hilfreich fert wird, welches durch Karten und Jens Oebser, Jena 2009, 271 Seiten, war aus deutscher Sicht die nicht Lagezeichnungen sehr gut dargestellt ISBN 978-3-9813160-0-1

AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 57 BUCHBESPRECHUNGEN

Buchbesprechung Der Nahostkonflikt er Herausgeber hat von drei Ta- rechts in die-- ses Buch sehr gut geeig- Dgungen in den Jahren 2007 und sem Konfliktt nnet, dem Leser die Viel- 2008 in der Katholischen Akademie wird eben-- ffältigkeit des israelisch- des Bistums Essen in der Wolfsburg in so behandeltt palästinensischenp Kon- Mülheim Beiträge zusammengetragen, wie die Kabu- fliktesf näher zu bringen. um den Nahostkonflikt in seinen we- ler Resoluti- DDafür, diese Themen ge- sentlichen Facetten zu verdeutlichen. on, die ver- bündeltb einem größeren Das beginnt mit der historischen Ge- suchte, die KreisK als den damaligen nese und der Geschichte der zionisti- Zivilgesell- TeilnehmernT an den Ta- schen Bewegung und die Geschichte schaft gegen gungengu zu ermöglichen, der Landverheißungen. Eine weitere, die Selbst- gebührtge dem Herausgeber wichtige Quelle zum Verständnis des mordatten- DankD und ein großes Pu- Nahostkonfliktes sind neben den reli- tate zu mo- blblikum. giös begründeten Ansprüchen auf das bilisieren. Land die Einstellungen der jeweils Dass bei Beiträge zur Frie- handelnden Akteure zu religiös be- der Vielfalt ddensethike Band 43, gründeter Gewalt. Deshalb wird nicht der Themen DirkDi Ansorge (Hrsg.), nur die Problematik der Selbstmordat- und Auto- DerDe Nahostkonflikt, po- tentäter in einem Beitrag beleuchtet, ren nicht litische,liti religiöse und es wird auch das Tötungsverbot der alle der Meinung desdH Herausgebers b theologischeth l i h Dimensionen, Verlag verschiedenen Religionen betrachtet. sind oder diese widerspiegeln, ver- W.Kohlhammer 2010, 332 Seiten, Die selektive Anwendung des Völker- steht sich von selbst. Trotzdem ist die- ISBN 978-3-17-021500-9

Buchbesprechung Das internationale Engagement in Afghanistan in der Sackgasse?

ie Herausgeber haben Beiträ- Bedeutung, Bilanz und Konsequenzen Strukturen in dieesm Land verant- Dge von Praktikern und Wissen- des deutschen Afghanistan-Einsatzes. wortlich, die eine effiziente Verwal- schaftlern der verschiedenen Diszip- Heinz-Gerhard Justenhoven schreibt tung gar nicht zuließen. Die zivil-mi- linen zusammengefasst,g die der über die ethischen litärische Zusammenarbeit am Bei- Frage nachge- ErwägungenErw im spiel der Afghanistan Mission wird hen, ob das zehntenzeh Jahr die- von August Pradetto analysiert. Auf- internationale serser Intervention grund der interdisziplinären Zusam- Engagement undun fragt dabei, menstellung ein interessantes Buch, in Afghanis- wozuwo die interve- welches einige Fragen beantwortet, tan noch die nierendennie Staa- aber auch noch genügend Spielraum elementars- tenten in Afghanis- lässt, um Hoffnung zu haben, dass in ten Ziele errei- tantan verpflichtet diesem vom Bürgerkrieg seit fast 40 chen kann. Vom sisind.n Aus dem Jahren gezeichneten Land noch einen zeitgeschichtli- BereichBe der Ver- entscheidenden Wandel herbeizufüh- chen und poli- waltungsreformwa ren. (BB) tischen Kontext in Afghanistan der Afghanis- veröffentlichtve Heinz-Gerhard Justenhoven, tanintervention EbrahimE Afsah Ebraim Afsah (Hrsg.), Das inter- bis hin zur Rol- seines Ansich- nationale Engagement in Afgha- le des Iran in die-- tente zum Schei- nistan in der Sackgasse?, eine po- sem Kulturraumm ternt dieser Re- litisch-ethische Auseinanderset- wird der Bogenn formf und macht zung, Beiträge zur Friedensethik gespannt. Win-- dafürd die tief- Band 45, Nomos Verlagsgesell- fried Nachtweii greifenden,g alt- schaft, Baden-Baden 2011, 179 schreibt über diee hergebrachten Seiten, ISBN 978-3-8329-6689-8

58 AUFTRAG 284 • DEZEMBER 2011 TERMINE

Termine für das Laienapostolat in der Kath. Militärseelsorge

2012 Allg. Termine u. Bundesebene GKS-Sachausschüsse

21.01. Sitzungen KR-Vorstand, Geschäftsführender SA »Innere Führung« Bundesvorstand-GKS 22.06.-24.06. Sitzung in Berlin (mit S&F) 25.04.-29.04. GKS Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg SA »Sicherheit und Frieden« 09.05.-15.05. 54. Int. Soldatenwallfahrt Lourdes 10.02. Sitzung in Bonn 15.05.-16.05. Vollversammlung ZdK Mannheim 23.03. Sitzung in Bonn 16.05.-20.05. 98. Deutscher Katholikentag in Mannheim 22.06.-24.06. Sitzung in Berlin (mit IF) 30.05.- 03.06. Seminar 3. Lebensphase, Cloppenburg 15.06.-16.06. Vorstand Katholikenrat, Essen 15.06.-17.06. GKS Bundesvorstand, Nürnberg Vorschau 2013 22.06.-24.06. Seminar Funktionsträger, Mülheim / Ruhr 10.09.-15.09. 52. Woche der Begegnung, Berlin 14.04.-18.04. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 15.10. -19.10. 57. Gesamtkonferenz, Bensberg 22.05.-28.05. 55. Lourdeswallfahrt 24.10.-28.10. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 29.05.- 02.06. Seminar 3. Lebensphase, Cloppenburg 10.11.-11.11. GKS Bundesvorstand, Mülheim / Ruhr 16.10.-20.10. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 17.11. Vorstand Katholikenrat, Berlin 23.11.-24.11. Vollversammlung ZdK, Bonn Vorschau 2014

Bereichs- / Arbeitskonferenzen / Familienwochenenden 14.-18.05. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 02.- 07.07. Seminar 3. Lebensphase, Fulda 15.-19.10 Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg KMilD Kiel / GKS Nord/Küste 13.11.-15.11. AK II in Salem Regionale Zuständigkeit der Katholischen KMilD Erfurt / GKS Mitte Militärdekanate 30.03.- 01.04. Dassel KMilD Kiel: Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schles- 19.10.-21.10. Duderstadt wig-Holstein, Dienststellen im Bereich des Flottenkommandos KMilD Mainz / GKS West KMilD Mainz: Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland- 23.02.-24.02. Bonn Pfalz, Saarland 21.09.-23.09. Cochem KMilD München: Bayern, Baden-Württemberg KMilD München / GKS Süd KMilD Erfurt: Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen, 23.03.-25.03. Ellwangen Sachsen-Anhalt, Bremen, Niedersachsen 26.10.-28.10. Wertach DAK Ausland 26.04.-30.04. Neapel

VERWENDETE ABKÜRZUNGEN: BK – Konferenz der GKS im Bereich ..., BuKonf – Bundeskonferenz der GKS, BV GKS – Bundesvorstand der GKS, DAK – Dekanatsarbeitskonferenz im Bereich….., GKMD – Gemeinschaft der kath. Männer Deutschlands, IS – Internationaler Sachausschuss, IThF – Institut Theologie und Frieden, Hamburg, KMilD – Kath. Militärdekanat, MGV – Militärgeneralvikar, SA InFü – Sachausschuss »Innere Führung«, SA S+F – Sachausschuss »Sicherheit und Frieden«, WB – Wehrbereich, WdB – Woche der Begegnung, KR – Katholikenrat beim Militärbischof, VV ZdK – Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

AUFTRAGAUFTRAG28 2844 • DEZDEZEMBEREMBER 2011 59 Impressum AUFTRAG ist das Organ der GEMEINSCHAFT KATHOLISCHER SOLDATEN (GKS) und erscheint viermal im Jahr. Hrsg.: GKS, Am Weidendamm 2, Das Kreuz der GKS 10117 Berlin Das »Kreuz der GKS« ist das Symbol www.katholische-soldaten.de der Gemeinschaft Katholischer Sol- Redaktion: verantwortlicher Redakteur daten. Vier Kreise als Symbol für die Bertram Bastian (BB), GKS-Kreise an der Basis formen in Rainer Zink (RZ), Oberstlt a.D., Redakteur einem größeren Kreis, der wiederum Zuschriften: Redaktion AUFTRAG die Gemeinschaft ver sinnbildlicht, ein c/o Bertram Bastian, Alter Heerweg 104, 53123 Bonn, Kreuz, unter dem sich katholische Sol- Tel: 0177-7054965, Fax: 0228-6199164, daten versammeln. E-Mail: [email protected] Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Namensartikel werden allein vom Verfasser verantwortet. Nicht immer sind bei Nachdrucken die Inhaber von Rechten feststellbar oder erreichbar. In solchen Aus- nahmefällen verpfl ichtet sich der Herausgeber, nachträglich geltend gemachte rechtmäßige Ansprüche nach den üblichen Honorarsätzen zu vergüten. Der Königsteiner Engel Layout: VISUELL, Aachen Der »siebte Engel mit der siebten Posaune« Druck: MVG Medienproduktion (Offb 11,15–19) ist der Bote der Hoff- Boxgraben 73, 52064 Aachen Überweisungen und Spenden an: nung, der die uneingeschränkte Herrschaft GKS e.V. Berlin, Pax Bank eG Köln, Gottes ankündigt. Dieser apokalyptische BLZ: 370 601 93, Konto-Nr.: 1 017 495 018. Engel am Haus der Begegnung in Königstein/ Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Ts., dem Grün dungsort des Königsteiner Genehmigung der Redaktion und mit Quellenangabe. Nachbe stellung gegen Offi zier kreises (KOK), ist heute noch das eine Schutzgebühr von EUR 10,- an Tradi tionszeichen der GKS, das die katho- den ausliefernden Verlag. lische Laienarbeit in der Militärseelsorge seit mehr als 40 Jahren begleitet. ISSN 1866-0843