swissjazzorama jazzletter

Nr. 45, April 2020

Editorial

Liebe Leserin, liebe Leser Im nächsten November werden es 20 Jahre sein, dass wir die erste Nummer unseres Jazzletters herausbrachten. Unser leider verstorbener Freund Ueli Staub würdigte mit einem längeren Artikel unter dem keines- wegs übertriebenen Titel «Glanzvolle Eröff- nung!» die Anlässe, die wir vom 26.– 28. Mai 2000 im Musikcontainer Uster durch- führten. Dass wir die Etablierung des swiss- jazzorama in Uster – nach langer Odyssee in Basels Regionen – als Hauptfeature in unserem ersten Jazzletter einsetzten, ver - steht sich von selbst. Hin und wieder gab‘s Hermann Hesse und Otto Dix und der weitere Anlässe, über die wir berichteten. Doch lenkten wir unser Hauptaugenmerk Wenn wir den Jazz der 1920er Jahre, der lieber als alle akademische Musik immer wieder auf Schweizer Musikerinnen sogenannten Roaring Twenties, in den von heute. Hesses Urteil über den Jazz ist und Musiker, die wir meistens mit Interviews Brennpunkt unserer Betrachtungen rücken, weniger wichtig als die Tatsache, dass er vorstellten, und schrieben Beiträge über lohnt sich auch ein Blick, ob und wie er ihn nicht ignorierte wie viele Autoren seiner Instrumente, Stilepochen, Regionen und sich ausserhalb der Musik, z.B. in der Lite - Zeit, sondern ihn als Kulturfaktor ernst Ähnliches. Keinesfalls verstehen wir uns als ratur und Malerei, manifestiert hat. In der nahm. Die Jazz passagen in Hesses Werk Informationsorgan für Hinweise auf Anlässe jüngeren Literaturgeschichte der USA gilt sind jazz- und sozialgeschichtlich wertvoll. (Konzerte etc.) oder neue Tonträger. Im Francis Scott Fitzgerald (1896–1940) als Zentrum der vorliegenden Ausgabe stehen The Writer of the Jazzage. «The Jazz - In der Malerei ist der Mittelteil des Tripty- die Themen «New Orleans 1920–2020» und age» waren die 20er Jahre, in denen sich chons Grossstadt, das der deutsche Maler «Roaring Twenties». In anderen Beiträgen in der Entwicklung neuartiger Klänge eini- Otto Dix (1891– 1969) 1927 geschaffen hat, geht’s um Bandleader, deren Musik bei uns ges getan hat. (siehe Beiträge auf Seiten 2 von besonderer Bedeutung. Wie kaum ein in Fülle vorhanden ist, hauptsächlich in Form und 4). In sei nem Hauptwerk, dem Roman anderer Künstler verstand es Otto Dix, die von CDs oder LPs. Alles, was besprochen The Great Gatsby, setzt er sich mit den Lebensgier der Roaring Twenties und auch wird, ist mit ein paar Handgriffen zum Hören grossen ge sellschaftlichen Veränderungen die Kehrseiten, das Elend der Massen und bereit. Das macht den Jazzletter einzigartig. seiner Zeit und seines Landes auseinander. die bedrohliche Kriminalität, darzustellen. Dabei spielt der Jazz jedoch nur eine mar- Die 20er Jahre, das ist eine Zeit, in der Herzlich ginale Rolle. Ganz anders im deutschspra- alles möglich schien, in der Literaten und Jimmy T. Schmid chigen Der Steppenwolf des grossen Her- Maler, Film- und Theaterleute und auch mann Hesse (1877–1962), den der Nobel - Jazzmusiker viel Kreativität entfaltet haben. preisträger 1927, fast in der Mitte des Jahr- Das Dancingbild (Ausschnitt) von Otto Dix Im Focus zehntes, geschrieben hat. Im Mittelpunkt illustriert geschickt die simple Gleichung des Romans, der als eines von Hesses JAZZ = TANZMUSIK, die bis in die 40er New Orleans er folgreichsten Werken gilt, steht Harry Jahre hinein, mit dem Aufkommen des 1920–2020 Seite 2 Haller, ein kauziger Typ, der sich in der Bebop, weitgehend Gültigkeit hatte. modernen Welt schlecht zurechtfindet. «Roaring Her mine, seine Freundin, überredet ihn zum Etwa das linke Drittel des Bildes wird von Twenties» Besuch eines Tanzlokales. Dort begegnet einem weissen (!) Saxofonisten dominiert – er, ein Mozart-Fan, der neuartigen Tanz- ein in die Jahre gekommener Mann. Hinter in Zürich Seite 4 musik, dem Jazz. Als Hermine Harry mit ihm ein schwarzer (!) Drummer, der mit 4 Unten: Film «Bolden» Pablo, einem Saxofonisten, bekannt macht, seinen Sticks fürs rhythmische Fundament 6 Interview mit dem Pianisten Melch Däniker kommt es zum Disput Jazz contra Klassik. sorgt. Das Gemälde zeigt Partygänger, 8 Band within the Band Das lässt Hesse seine Meinung über den stell vertretend für Ausgelassenheit und 10 – Eine kleine Jazzgeschichte 13 Jazz in Zürich 2020 Jazz ausdrücken. Klar, dass sich Hallers, Snobismus einer zur Dekadenz neigenden 14 West End Blues, Louis Armstrong & Earl Hines resp. Hesses, Begeis terung für diese fremd- Gesellschaft. Es vermittelt Anregungen zur 15 In memoriam artig klingende Tanzmusik in engen Gren- sozio logischen Einordnung des Jazz zur 16 In memoriam - In eigener Sache - Impressum zen hält. Immerhin ist sie ihm zehnmal Zeit der Roaring Twenties. J. T. Schmid etwa die vom orchestralen Jazz des in New Orleans 1920–2020 New York tätigen Fletcher Henderson (p). Im Vergleich zum in Chicago praktizierten Jazz könnte man die Musik der Daheim- New Orleans – Wiege des Jazz? New Orleans ist ein mythischer Ort, gilt er doch gebliebenen wie folgt kurz umschreiben: gemeinhin als Entstehungsort des Jazz. Ein Mythos, der vielen anderen Mythen immer noch starke Brass-Band- und voraus hat, dass er in grossen Zügen sogar stimmt, worauf auch der verstorbene Society-Music-Einflü̈sse – rhythmisch und Jazzwissenschafter Ekkehard Jost hinweist (1). Albert Stolz harmonisch weniger entwickelt – mehr Gewicht auf dem Kollektiv als auf den Star- New Orleans bis 1917 New Orleans Jazz solisten – mehr Variation des Themas an in den 1920er Jahren Stelle von Improvisation – technisch weni- Es gibt vom frü̈hen Jazz in New Orleans ger versiert (natürlich mit Ausnahmen). keine Aufnahmen. Man kann lediglich Spricht man heute vom New Orleans Jazz, Rü̈ckschlüsse ziehen sowie auf Fotos die- so denkt man meistens an den New Or - Zwischenhalt: New Orleans 1950 ser Musiker oder mündliche Zeugnisse von leans Jazz im «Chicagoer Exil». Ende der Überlebenden jener Zeit zurückgreifen. 1910er/anfangs der 1920er Jahre zogen Nach der Schliessung von Storyville sowie So weiss man z.B. nicht, wie die Trompete viele der wichtigsten Musiker im Gefolge nach dem Wegzug der obgenannten Mu- Buddy Boldens, des legendenumwobenen der ersten grossen Wanderbewegungen siker nach Chicago und später teilweise «Urvaters» des Jazz dieser Stadt, geklun- von afroamerikanischen Arbeitskräften aus nach New York war der Jazz zwar nicht gen hat. Nur Erinnerungen bleiben: ein Foto den Sü̈dstaaten in die Industriemetropolen ausgestorben, New Orleans verlor jedoch und Jelly Roll Mortons (p) Stü̈ck I Thought des Nordens; sie folgten sozusagen ihren an Bedeutung und Strahlkraft. Erst in den I Heard Buddy Bolden Say (aka Buddy «Mahlzeit-Coupons». Zudem gab es im 1950er Jahren geriet diese Stadt wieder in Bolden's Blues). New Orleans dieser Jahre zu wenig Ar beits- den Fokus der Musikwelt. Sie gilt als Brut- möglichkeiten für all die ansässigen Musi- stätte einer spezifischen Art von Rhythm 1917 wurden die ersten Jazzaufnahmen ker. Zu diesen stilbildenden «Chicagoer 'n'Blues, von dem sich der Rock'n'Roll überhaupt gemacht. Sie stammen von Exilanten» gehörten u.a. King Oliver (co), wichtige Element einverleibte (Roy Brown, der Original Dixieland Jazz Band, Louis Armstrong (tp), Jelly Roll Morton (p), Professor Longhair, Fats Domino oder die au s fünf weissen Musikern aus New Baby (dm) und Johnny Dodds (cl), Jimmy spä ter die Neville Brothers). Orleans bestand. Aufgenommen wurde Noone (cl) oder die Frontline der «weissen» diese Gruppe jedoch nicht in New Orleans, Band New Orleans Rhythm Kings (Paul Das ab den 1940er Jahren verstärkt auf- sondern in New York… Mares, tp - George Bruni(e)s, tb - Leon Ro- tretende Interesse am «echten, ursprüng - pollo, cl). Sidney Bechet (ss, cl) war einer lichen» Jazz fü̈hrte 1961 zur Eröffnung 1917 wurde der Red Light District Storyville der bedeutendsten Musiker aus New Or - der Preservation Hall und leitete mitunter mit seinen Bordell-Palästen geschlossen. leans, spielte aber nur kurz in Chicago, zog den bis heute anhaltenden Touristenstrom Dass der Jazz in diesen Bordellen entstan - dann weiter nach New York und Europa. ein. Ortsansässige aus der «Versenkung» den sei, ist wiederum ein Mythos, der Diese Musiker waren im Vergleich zu den heraustretende Revival-Jazz-Musiker wie höchstens zur Hälfte stimmt. Von den in in New Orleans verbliebenen keine «Musi - Bunk Johnson (tp), George Lewis (cl) oder diesen Einrichtungen tätigen Kleinstforma- cians for all Occasions» mehr, sondern Jim Robinson (tb) avancierten zu inter- tionen und Pianisten, den hochbezahlten vollprofessionelle Bühnenkü̈nstler (Klubs, nationalen Stars. «Piano Professors», wie etwa dem jungen Cabarets, Tanzlokale). Armstrongs bahn- Jelly Roll Morton, verlangte man diskrete, brechende Gruppen wie die Hot Five New Orleans 2020 gediegene Hintergrundmusik. Der Jazz oder Hot Seven waren sogar reine Studio - entwickelte sich wohl eher auf der Strasse gruppen. Der Jazz in Chicago verlor einen Auf die im Gefolge des Wirbelsturms Kat- (Paraden), an Festen und in Spelunken am Teil seiner Zweckgebundenheit, auch rina ab 2005 erfolgte verstärkte Gentrifi- Rande von Storyville, wobei sich im Verlauf wenn seine Hauptfunktion immer noch zierung (3) von New Orleans kann hier der Entstehungszeit eine gegenseitige das Entertainement blieb. nicht näher eingegangen werden. Es sei Beeinflussung vollzog, wie dies erneut das diesbezüglich auf den Leitartikel vom Beispiel von Jelly Roll Morton zeigt. In New Orleans selbst jedoch spielte der Jazzletter Nr. 13 verwiesen. Jazz im öffentlichen Raum weiterhin eine Das Zusammenleben der wichtigsten in bedeutsame Rolle (Feste, Paraden, Dance New Orleans ist nicht nur ein Hort des New Orleans ansässigen Ethnien wurde Halls, Mardi Gras, Jazz & Heritage Festival traditionellen Jazz. Es gab und gibt immer durch die zwischen 1890–94 allmählich usw.). Diese Musiker sind weit weniger noch Orte, an denen moderner Jazz ge - eingefü̈hrten Segregationsgesetzte State bekannt als die in Chicago tätigen: Oscar spielt wird: die sogenannte «Off Bourbon Segregation Statues (die sogenannten Papa Celestine (tp), Alphonse Picou (cl, Street»-Szene. Ein in dieser Hinsicht wich - Jim-Crow-Gesetze) erschwert. Ganz bekannt wegen seines Solos im Stück tiger Ort ist seit ̈über 30 Jahren der etwas allgemein waren jedoch die Afroameri- High Society), Albert Brunies (co, Bruder ausserhalb der Tourismus-Meile namens kaner und die Kreolen etwas mehr am von George), Sharkey Bonano (co) usw. (2). French Quarter gelegene Klub Snug Har- gemeinsamen Leben mitbeteiligt als Eine der besten Bands war die von Sam bor («New Orleans' Premier Jazz Club», anderswo. So spielten afroamerikanische, Morgan (co), welche 1927 bekannte Stü̈cke Eigenwerbung). kreolische oder weisse Bands im allge - wie Bogalusa Strut oder Mobile Strut meinen ohne grössere Probleme manch- aufnahm, Orte an denen diese Bands auch Die Platten und Auftritte von Beboppern mal fast Tü̈r an Tür. Der oft zusammen mit auftraten. Aus einigen dieser Orchester wie Charlie Parker (as) oder Dizzy Gilles- Buddy Boldon erwähnte legendäre weisse gingen später bedeutende New-Orleans- pie (tp) übten einen grossen Einfluss Schlagzeuger Papa Jack Laine erklärte Revival-Musiker hervor. Vor allem am Bei- auf jüngere Musiker aus, so auch auf das seine afroamerikanischen oder kreolischen spiel von Morgan erkennt man deutlich, 1956 gegründete Original American Jazz Mitmusiker kurzerhand zu Mexikanern wie immer mehr «fremde» musikalische Quartet, das fü̈r die Entwicklung des oder Kubanern... Einflüsse auf diese Bands einwirkten, wie modernen Jazz in New Orleans von ent-

2 scheidender Bedeutung war. Diese Gruppe bestand aus Ellis Marsalis (vgl. weiter 12 unten), Alvin Battiste (sax, cl), Harold Bat- tiste (sax) und Ed Blackwell, dem beken- nenden Baby-Dodds-Verehrer und ehe- maligen Schlagzeuger im Quartett des «Free-Jazz-Pioniers» Ornette Coleman. Diese Musiker integrierten in ihre Musik auch Elemente des «freien Jazz».

Eine Schlüsselstellung bei der Entwicklung und Verbreitung des modernen Jazz in New Orleans kommt Ellis Marsalis zu, Pianist, Komponist, Musikprofessor und (teilweise ehemaliger) Leiter verschiedener kultureller Institutionen. Aus seiner «Kaderschmiede» 34 ging eine ganze Reihe brillanter und be- kannter Musiker hervor. Man denke nur an Trompeter wie Ellis’ Sohn Wynton Mar - salis, Nicholas Payton oder Terence Blan- chard. Sie setzen die grosse, seit Buddy Bolden bestehende Trompeter-Tradition dieser Stadt fort. Der Saxofonist ist ein weiterer international be- kannter Musiker aus dem «Marsalis-Clan», der auch mit jüngeren Musikern aufge - treten ist und Aufnahmen macht.

Stilistisch über den vorherrschenden mo- dernen Mainstream-Jazz hinaus gehen 56 heute jüngere aus New Orleans stammen- de Musiker wie etwa der Trompeter Chris- tian Scott oder Trombone Shorty (aus der Brass-Band-Zeit stammender Spitzname von Troy Andrews). So unterschiedlich diese Musiker auch sein mögen, sie gehören der Crossover-Generation an, die sich zwi- schen Jazz, R'n'B, Funk, Hip Hop, Pop sowie Elektronik bewegt. Man findet in dieser Musik durchaus auch Bezüge zu ihrer mu- sikalisch-kulturellen Herkunft. Trombone Shorty zum Beispiel nahm 2005 mit sei- ner Gruppe Orleans Avenue ein Album unter dem Titel Orleans & Clairbone 7 8 (wichtige Strasse in New Orleans) auf.

Und, um den Bogen zu schliessen: Vor allem in den von Katrina teilweise stark gebeutelten Ghettos lebt die fü̈r New Orleans so typische Brass-Band-Traditon weiter, welche heute ein breit gefächertes Repertoire umfasst, das von (Marching- Band)-Jazz und Rhythm'n'Blues bis zu Funk und Rap reicht. Die bekannte Dirty Dozen Brass Band ist lediglich ein Bei- spiel hierfür.

Fotos: 8 New Orleans-Musiker, die wichtig (1) Ekkehard Jost, Sozialgeschichte zahlungskräftigere Leute ziehen sind für einen bestimmten Zeitabschnitt: des Jazz in den USA, Frankfurt/M. 1982 ins Viertel. So geschehen in New 1920 1 Buddy Bolden co (1877–1931) Paola Cimino, Über den Zaun und zurück. Orleans nach der Jahrhundert- 2 Alphonse Picou cl (1880–1961) In: Jazz Life, Frankfurt/M. 2005 Katastrophe von Katrina. 1940 3 George Lewis cl (1900 –1968) (2) CD: New Orleans in New Orleans,1923/1929, Im Gefolge dieser Gentrifizierung 4 Bunk Johnson co, tp (1879 –1949) Jazz Archives no 68, SJO-Archiv-Nr. CD 06932 sank der afroamerika nische 1950 5 Fats Domino p, voc (1928–2017) (3) Gentrifizierung bedeutet eine soziale Bevölkerungsanteil; ein Prozess, 6 Professor Longhair voc, p, (1918 –1980) Umstrukturierung in einer Stadt. der sich auch an anderen Orten 1960 7 Ellis Marsalis p, Musikpädagoge (*1934) Ärmere Bewohner müssen verschwinden, wie etwa in Harlem (NY) vollzieht. 2020 8 Trombone Shorty tb, tp, voc (*1986)

3 wurde auch zum Land der Absurditäten. «Roaring Twenties» in Zürich Man liest von einer Jazz-Band im Zoo von Los Angeles, gebildet aus drei Schimpan- sen, von einer Sekretärin, die gleichzeitig «Der Boston und der Blouse (oder wie man ihn schreibt) ist mir noch recht proble- auf zwei Schreibmaschinen schreibt, oder matisch, (…) aber den Fox und den Onestep glaube ich nun soweit bewältigen von Rockefeller, der gleichsam nebenbei zu können, als man es von einem älteren Herrn mit Gicht erwarten darf», schreibt eine ganze Stadt kauft. Hermann Hesse im Februar 1926 an eine Freundin. Und gleichzeitig gestand Hesse dem Bildhauer Hermann Hubacher, der ihn zur Zeit der Entstehung des Steppen- Gegen Ende des Jahrzehnts mehren sich wolfs dazu überredete, Bälle in Zürich zu besuchen, dass er doch ein richtiger kritischere Stimmen, die gegen den Kul - «Fox trottel» sei, dass er fast 50-jährig hätte werden müssen, um zu erfahren, tur import wetterten, so etwa gegen das wie erfrischend tanzen und Ballbesuche seien (1). Heinrich Baumgartner un schweizerische, aber allgegenwärtige Wörtchen Hallo oder gegen die 1930 nach Aus heutiger Sicht muten der Jazz und das Das wundersame Amerika amerikanischem Vorbild eingerichtete EPA- Saxophon des Negers Pablo im Steppenwolf Filiale in Zürich. Aber das Amerikabild hatte ebenso kurios an wie das Bild, das in den Amerika war nicht nur militärisch, sondern bleibende Spuren hinterlassen; auch, als zeitgenössischen Zeitungen von dieser auch politisch und wirtschaftlich als Sieger Ende der 1920er Jahre die amerikanische neumodischen Kultur gezeichnet wird. Da aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen. Wirtschaft zusammenbrach und die USA traten die Moldau-Symphoniker als Jazz- Dank diesem gestärkten Ansehen gewann wegen ihrer Einwanderungs- und Zollpolitik Kapelle auf. Die Jazz-Gruppe Happy Boys die ehemalige Kulturprovinz zunehmend sowie ihrer Haltung dem Völkerbund gegen- flötete My Baby und Valencia, und die an Einfluss auf den alten Kontinent. Anfäng- über politisches Prestige einbüssten. Die Jazz-Kunst von Ephim Schachmeisters Sin- lich wenig ernst genommen, häuften sich amerikanische Populärkultur – zu der der fonikern trug den Titel Wenn der weisse die Zeitungsartikel über die USA und den frühe Jazz gehört – hatte entgegen den Flieder wieder blüht (2). Schlager und damaligen American way of life. Gruppen Unkenrufen der bürgerlichen Intellektuellen Jazz schlossen sich keineswegs aus. von Industriellen und von Journalisten in Europa Fuss gefasst. bereisten in wochenlangen, sogenannten Unter «Jazz» verstand man weniger einen Swiss Missions, die USA. Sie wunderten Moderne Massenmedien neuen Musikstil als eine Art zu leben, Musik sich in ausführlichen Zeitungsberichten zu hören, zu spielen und zu tanzen. Mit darüber, dass man in der Schweiz die USA, Die modernen Medien kamen in der Wahr- «Jazz» war ein Gefühl gemeint, und um die grosse Schwesterrepublik, so schlecht nehmung der Europäer aus den USA: Das dieses Gefühl zu verstehen, reicht die Ana - kannte – eine Nation, von der so viel zu Radio wurde anfänglich Broadcasting l yse von Rhythmen und Intervallen nicht lernen war. Da berichtete man von den genannt; der Siegeszug des amerikanischen aus. Die Tanzwut der 20er Jahre, der rasche grössten je gebauten Wolkenkratzern und Tonfilms war trotz europäischer Proteste Durchbruch der modernen Medien und Hotels, von der rasenden technischen und schlechter Prognosen nicht zu bremsen, das Bild, das man sich hierzulande von Entwicklung, den unglaublichen Produk- und die Schallplattenproduktion lag nach Amerika machte, sind gleich wichtig für tionszahlen der Autofirmen. Amerika galt dem Weltkrieg zur Hauptsache in amerika- das Verständnis dieses gesellschaftlich- bald als das Land der Rekorde par excel - nischen Händen. Die Inhalte dieser neuen kulturellen Phänomens. lence – und nicht nur der technischen: Es Medien waren populär und entsprachen

Bandleader der Frühzeit des Jazz. Der Film nern, neben mündlichen Aussagen, an ihn. «BOLDEN» (2019) skizziert das Leben des Von Jelly Roll Morton (2) stammt der Titel Musikers Buddy Bolden. Der Soundtrack I Thought I Heard Buddy Bolden Say (3), stammt von (1) und ist jetzt auch als CD erhältlich. Die CD ist auf Musiker um Jelly Roll Morton machten dem Label Blue Engine erschienen. Die am 14. September 1939 in New York, in der Aufnahmen, die Wynton Marsalis und seine Zeit des New Orleans Revival, von diesem Band einspielten, sind so brillant, dass sie Thema eine wunderbare Aufnahme. Dabei auch unabhängig vom Film absolut hörens- waren eine ganze Reihe bekannter Musiker: wert sind, denn Marsalis ist nicht nur ein Sidney de Paris (tp), Claude Jones (tb), exzellenter Trompeter, sondern auch ein Sidney Bechet (ss), Albert Nicholas (cl), profunder Musikforscher. Happy Cauldwell (ts), Lawrence Lucie (g), Wellman Braud (b), Zutty Singleton (dm). Der Film thematisiert das Umfeld, in dem Walter Abry Buddy Bolden anfangs des 20. Jahrhun- «BOLDEN» – Original-Film- derts seine Musik machte. Er war wie alle Soundtrack von Wynton Marsalis Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen (1) Wynton Marsalis, tp, comp, leader und diskriminierenden Rassengesetzen unter- teacher, ist 1961in New Orleans geboren. Die Meinungen darüber, was Buddy Bolden worfen. Bolden suchte sein Heil im Alkohol. Er ist künstlerischer Leiter von Jazz at hauptberuflich gemacht hat, gehen aus - Vierundzwanzig Jahre vegetierte er in einer Lincoln Center, NY. einander. Als erwiesen gilt, dass der 1877 geschlossenen Anstalt und starb verarmt (2) Jelly Roll Morton, p, voc, comp, leader, in New Orleans geborene Trompeter ein im Jahr 1931. Der Ort seines Grabes ist (1885–1941). Wichtiger Musiker des populärer Musiker seiner Zeit war. Sein nicht bekannt. New Orleans Jazz in den 1920er Jahren. Vater verstarb früh. Die Schulbildung von (3) Label Bluebird, BS-041458. Buddy blieb rudimentär. Er war ein «Self- Buddy Bolden hinterliess weder Aufnahmen mademan». Mal hatte er als Barbier Erfolg, noch Aufzeichnungen. Nur eine einzige Vgl. Artikel Seiten 2 und 14 und Texte dann wieder feierte man ihn als guten Foto und eine einzige Komposition erin- im Internet über den Film «Bolden».

4 Der wilde Tanz

Neue moderne Tänze, die als wild und naiv «eben als schwarze» Tänze – erlebt wur - den, erfüllten das Nachholbedürfnis der Kriegsgeneration an Vergnügen und Zer - streuung. Tango und Foxtrott, die in der besseren Gesellschaft schon vor dem Ersten Weltkrieg bekannt waren, wurden unter vielen verschiedenen Namen zum Allgemeingut: Shimmy, One-Step, Fox- Trot, Fox-Blues, Boston, Tango; aber auch Jazz und Blues waren neben Yale, Charleston und Black-Bottom Bezeich- nicht den althergebrachten europäischen nungen für die Modetänze. Eine stattliche Vorstellungen von Kunst und Kultur. Anzahl von Tanzinstituten und privaten Tanzlehrern versuchten, dem Willigen die Die amerikanischen Negersänger und Grundkenntnisse für das unvermeidliche Hawaiian-Instrumentalisten Corneys Tanzvergnügen zu vermitteln. Ein inter- Hawaiian Singers ernteten im Zürcher nationales Tanzturnier brachte 1926 die lassen. Auch wenn die Musik dieser meist Kino Capitol im Vorprogramm zum Film europäische Prominenz des modernen Tan - obskuren Kapellen heute oft unfreiwillig Onkel Toms Hütte mit ihren fröhlichen zes nach Zürich; und selbst im Kino bestrit- komisch wirkt: sie war beliebt und (…) und schwermütigen Liedern und den ten Tanzgruppen oft das Vorprogramm. nicht grundlegend verschieden von der übermütigen Jazzkompositionen stür- Musik, die gleichzeitig in Amerika en vogue mischen Beifall. 1930 versetzte Jack Während dieses «schwarze» Element war.» (3) Die Schlagertextautoren versach- Hylton mit seinem Orchester im überfüll- früher in Europa vor allem im Varieté ein lichten ihr Vokabular. Das Publikum wurde ten Tonhalle-Saal das Publikum in einen Podium fand, verbreitete es sich in den durch diese Musik legitimiert, sich freier, Trancezustand. 1928 vermochte Jose- 1920er Jahren überall – gerade noch recht- «kulturloser» zu benehmen, denn sie stell - phine Baker Zürich mit ihrem Film Die Si - zeitig, bevor das Varieté einging. Singende, te in ihren neuartigen Ausdrucks formen rene der Tropen derart zu betören, dass tanzende und musizierende Schwarze die traditionellen Werte der europä i schen im folgenden Jahr, als ein persönliches oder Negermusik darbietende Weisse Kultur des 19. Jahrhunderts in Frage. Gastspiel angesagt war, das 1400 Plätze gehörten damals zum Kern jedes Varieté- fassende Kino Scala ausverkauft war und programms: Im Kabarett Hirschen führte Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war noch viele Leute draussen auf der Strasse ein molliges Prinzesslein einen Char les - reif für eine Ablösung der überkommenen sich vergeblich Einlass erhofften. Nach ton im Ur waldgenre vor, während die Werte, auch wenn die Schweiz nur am dem Vorfilm und dem Jazzkonzert trat sie aparte Mila Marx im Cabaret Mascotte mit Rande in den Krieg involviert war und das dann auf – sie, die mit Gazellenbeinen ihrem nickelblitzenden Saxophon wie Wachsen ihrer Grossstädte und die Auto- die Sprache beherrscht, welche auf ein Jazz könig umzugehen wusste. Ende matisierung ihrer Industrie nicht mit der allen Dancings der Welt heute gespro- des Jahrzehnts fehlte an keinem grösseren Schwesterrepublik USA verglichen werden chen wird, die im Bananengürtel und Ball eine rassige Jazzkapelle: Verwegen konnte, nahm man – vermittelt durch die mit einer anspruchslosen Stimme im lockende Klänge der Jazz-Band anzu- Medien oder «live» – doch teil an den Grund ihre unterbewusste Heimat bieten war Pflicht jedes Veranstalters. Die kulturellen Veränderungen und am Traum nachahmt und mit ihrer Persönlichkeit mit diesen Tänzen ver bundenen morali- einer zukünftigen modernen, sorglosen die Natur in die Kultur hineinpflanzt. schen und ästhetischen Vorstellungen Welt. Die für das Jazz-Zeitalter typische waren mit denjenigen der europäischen Inflation der Illusion fand auch hierzulande Kulturwächter unvereinbar .Das komplexe statt. Dies nicht nur – wie man lange ange - Phänomen «Jazz» blieb so lange ein intel- nommen hat – in den Städten und in den lektuell nur schwer erfass bares Gefühl, Touristenorten, sondern, wie Untersuchun- bis es in den folgenden Jahrzehnten auf gen belegen, auch auf dem Land (4). die europäische Norm eines musikalischen Stils zurechtgestutzt wurde. (1) Zitiert nach Volker Michels (Hg.): «Jazz» in Zürich Mate rialien zu Hermann Hesses Steppenwolf, Frankfurt/Main 1972, So wie man sich in Zürich Amerika, die Seiten 62 und 65. Schwarzen und die moderne technische (2) Sofern nicht anders angegeben, Welt vorstellte, so wurde auch Jazz ge - stammen die Zitate aus der NZZ, spielt. Das Etikett «Jazz» erlaubte den dem Tages Anzeiger oder der Musikern, sonderbare Geräusche und Schweizer Illustrierten der 1920er Jahre. begleitende Gesten in ihre Musik einzu- (3) Bruno Spoerri (Hg.): Jazz in der Schweiz, bauen und sie dadurch spannender und Geschichte und Geschichten, «ausgeflippter» zu interpretieren. Bruno Zürich 2005, Seite 44f. Spoerri bringt es in seiner Schweizer Jazz- (4) Vgl. beispielsweise Werner Tian Fischer: geschichte auf den Punkt: «In diesen Jah - Jazz im Glarnerland. Ergänzter Neudruck ren genügte ein Schlagzeug und ein Saxo- des Jahrbuchs Nr. 86/2006 phon auf der Bühne, um ein Salonorchester des Historischen Vereins des Kantons alter Schule zur Jazzband mutieren zu Glarus. Glarus 2019.

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«Stilistischer Stetigkeit verpflichtet»

Auszug aus dem grossen Haus, Einzug in eine Wohnung – Verzicht auf den gelieb - mit Wohlgefallen hin, die Minderklassier- ten Flügel, Hinwendung zum schlichten E-Piano. Umbrüche im Alter gehören in der ten zogen enttäuscht von dannen, um den Regel zu einem erfüllten Leben. Das gilt auch für Melch Däniker, der Jahrzehnte als aktiven Jazz entweder an den Nagel zu Ingenieur tätig war, daneben freilich ein unkündbares Verhältnis zum Jazz auf 88 hängen oder aber ihren Probenehrgeiz mit weissen und schwarzen Tasten entwickelt hat. René Bondt und Fernand Schlumpf Blick aufs nächste Festival zu verdoppeln. haben den ehemaligen Hauspianisten von Jazzclub und swissjazzorama in Uster Insgesamt hatten die Ranglisten zweifellos beim Aufräumen gestört. Eine Bilanz aus Fragen und Antworten. anspornende Wirkung, auch wenn sie in einzelnen Sparten eher fragwürdig waren. es einen Max Hugo Adrian Heberlein, ge- nannt Bürzel, der in Küsnacht-Goldbach Jazz-Zentrum Uster wohnte, ein Schlagzeug bekam und anfing, mein Klavierspiel zu begleiten. Am Zürcher Festival 1964 tratest du Gleich neben den Heberleins lebte die mit der am Zürcher Freigymi gebilde- Familie Hörni, deren Sohn Hans Cello ten Formation auf, ein Jahr später spielte. Hans stieg vom kleineren Viersaiter bediente in deiner Festivalband ein auf den Kontrabass um und erweiterte gewisser Fernand Schlumpf aus Uster unser Duo zum Piano-Trio. die Drums. Wir kombinieren: Da reali- sierte ein Küsnachter Seebub über Vorzugsweise zu dritt den Pfannenstiel hinweg den musikali- schen Schulterschluss mit Glatttalern. Dieser Grundformation bist du ein Mu - Dieser Spagat hatte keine musikalische sikerleben lang treu geblieben. Wo hin Ursache. Entscheidend war die Wirkungs- ging die Reise repertoiremässig? stätte meiner – damals zukünftigen – Frau Durchaus in Richtung Jazz der fünfziger Ursula. Sie lebte in Seegräben, das mich und sechziger Jahre. Wir übten damals nicht übermässig anzog. Aber sie arbeitete im Schnitt zweimal pro Woche bei den im Spital Uster. Uster gefiel mir. Wir schau- Die erste LP des Melch Däniker-Quintetts. Heberleins, denn es gab ein Ziel für diese ten uns nach einer Wohnung um und ent- Titelbild: Emmy Lou Heberlein. Gast aus USA: Proben: Am Gymi wurde ein Festival deckten, dass man im Raum Uster auch Clint Padgitt, ts (Austausch-Schüler am Gymi). organisiert. Mein dortiger Klassenlehrer, Jazz spielte. So entstanden neue und sehr zugleich Rektor der Schule und überdies dauerhafte musikalische Beziehungen. ein Jazzfan, kümmerte sich mit allerlei Melch, du bist mit drei deutlich älte- Ratschlägen intensiv um mich und meine Deine musikalischen Aktivitäten las- ren Geschwistern in einer Küsnachter Küsnachter Musikerkollegen – um drei sen sich anhand von Tonträgern doku- Familie aufgewachsen. Fand der Knabe Burschen, die alle ihre Väter früh verloren mentieren. Der ersten Vinylscheibe, Däniker dort schon ein musikalisches hatten. Im Rahmen dieser ersatzväter - ent standen zur Gymizeit, folgte eine Umfeld vor? li chen Förderung entstand eine erste Vinyl- zweite, privat produzierte 45er Platte, Unser Familiendomizil stand mitten in platte. Man hört darauf unser Piano-Trio auf der die Schauspielerin Lilian West- einem parkähnlichen Garten, den einer mit einem jungen amerikanischen Saxo - phal eine Rolle spielt. meiner Onkel – damals Chef des Botani- fonisten, der seinerzeit als Austausch- Das ergab sich ad hoc. Lilian Westphal schen Gartens in Zürich – teilweise als schüler unser Gymi besuchte. gab einen Sketch zum Besten. Das klang- Versuchsgelände nutzte. Der familiäre liche Umfeld dazu ergab sich im Zürcher Nachwuchs interpretierte dieses Areal Stichwort Festival: In Zürich gab es Africana, das in den sechziger Jahren vorzugsweise als Velopiste. Im Haus gab damals alljährlich das nationale, spä- ein beliebter Klub mit Live-Jazz war. Ich es ein Piano, das ebenfalls mein Interesse ter international organisierte und war dort vor allem im Quartett von Mario weckte. Man schickte mich zu einer Kla- zunehmend professionalisierte Ama - Schneeberger aktiv. vierlehrerin, die im Dachgeschoss eines teur-Jazzfestival. Melch, du hast in den grossen Chalets ihre Stunden gab. Sie sechziger Jahren sowohl als Pia nist In Uster hast du die wachsenden Akti- zitierte mich jeweils per Gegensprech - wie auch als Bandleader an die sem vitäten des lokalen Jazzclubs musika- anlage ins Probezimmer und verspätete musikalischen Kräftemessen teilge- lisch stark mitgeprägt. Mit dir, Fernand sich regelmässig. Die langen Wartezeiten nommen und regelmässig Spit zen- Schlumpf und Bassist Peter Frei prä - überbrückte ich mit freiem Klimpern. klassierungen erspielt. Das Zürcher sentierte sich während vielen Jahren Spä ter verriet mir die Dame, sie habe auf Festival gab Generationen von jungen eine Formation, die hervorragenden Anraten ihres Vaters mutwillig Zeit ver- Interpreten Rückenwind und förderte Trio-Jazz vortrug und als Hausband im streichen lassen, um den Sololäufen des die musikalische Vernetzung im Land. Jazzclub, später im swissjazzorama Knaben Däniker aufmerksam zuzuhören. Zu dieser Vernetzung trug nicht zuletzt einheimische und ausländische Jazz- der «Weisse Wind» im Zürcher Oberdorf koryphäen begleiten konnte. Die Mit - Ein Improvisationstalent bei, wo man sich – nach den offiziellen schnitte jener Konzerte bildeten die war da wohl bereits geboren … Auftritten im Kino Urban und später im Basis mehrerer CDs. … dem aber auch die klassische Seite Corso – zum Jammen traf. Der Wettbewerb Uns ging es nicht primär um die Produk - des Klavierunterrichts beigebracht wurde. auf der Festivalbühne, von André Berner tion von Tonträgern, wir wollten einfach Das kam mir im Gymnasium zugute, wo ins Leben gerufen und von einer Fachjury Musik machen. Dass dies und jenes auf- man mich musikalisch weiter förderte. beurteilt, schlug sich in vielbeachteten gezeichnet und auf Hörmedien gebannt Daheim in Küsnacht formierte sich unter Ensemble- und Solistenranglisten nieder. wurde, war ein Begleiteffekt. Lediglich Gleichaltrigen eine lokale Band. Da gab Die Gut bewerteten nahmen ihre Resultate unsere erste CD – «Trio plus» – war eine

6 Art Studioaufnahme. Die Titel wurden Ich habe den Kontakt eigentlich nicht aktiv Der Ingenieur und ohne Publikum auf der Musikcontainer- gesucht, er ergab sich durch ein zufälliges Musiker Melch Däniker Bühne eingespielt. Zusammentreffen und Plaudern über Gott und die Musik. Etwas später telefonierte Wer eure Tonträger in kompakter mir Vince und fragte, ob ich bei einem Gig Folge anhört, entdeckt am Piano einen für ihn einspringen könnte. Das bedingte Melch Däniker, der früh seinen eigenen ein ausführliches Gespräch über das ge - Stil im modernen Jazz fand, ihn durch- plante Repertoire. Weil es nicht bei diesem strukturierte und nicht der Versuchung einen Einsatz blieb, kamen wir in der Folge erlag, jeder neuen Keyboard-Mode auf meinen Wunsch öfter zusammen. hinterherzurennen. Ich habe stets das gespielt, was mir selber In einer früheren Phase, als Bassist gefiel, und versuchte nicht, laufend neuen Peter Frei seinen eigenen musikal i- Trends hinterherzulaufen. Bei der Themen- schen Weg einschlug, ging es um suche blieben wir ausgesprochen variabel, eine Vakanz im lange Zeit personell aber bei der Themenbehandlung sollte un - stabilen Däniker-Trio. Gemeinsam Melch Däniker wuchs in Küsnacht auf, be - sere Handschrift immer erkennbar bleiben. mit Fernand Schlumpf hast du dir suchte dort die Primarschule und wechselte die Suche nach einem vollwertigen anschliessend in das betont musisch ausge- Die stilistische Stetigkeit schliesst Ersatz nicht einfach gemacht … richtete Freie Gymnasium Zürich. Nach der aber besondere Momente im musikali- Das stimmt, aber wir fanden adäquate Matura avancierte Melch an der ETH zum schen Kalender der Melch-Däniker- Kollegen am Bass – zunächst Vincenc eidgenössisch diplomierten Elektroingenieur Formationen nicht aus … Kummer und Roman Dylag, später Franti- und blieb nach dem Studium zunächst im Natürlich nicht. Wichtige frühe Begegnun- sek Uhlir aus Prag. Diese drei Bassisten akademischen Umfeld. In der Folge wech- gen waren während meiner Studenten- gelten als europäische Spitzenkönner, aber selte Däniker zur Industrie. Beim neuen Ar- und Africana-Zeit jene mit Mario Schnee- als musikalische Freelancer fällt ihnen beitgeber Contraves Oerlikon wurde er in der berger und Bruno Spoerri. Später, während materieller Wohlstand wahrlich nicht in attraktiven und international orientierten der Haus-Trio-Phase in Uster, stiessen noch den Schoss. Manchmal ist es gut zu wissen, Sparte Raumfahrt tätig. Nächster Schritt war und noch prominente Gäste zur regionalen dass man selber nicht zu den grandiosesten der zur Eidgenossenschaft mit Standbein Szene – Stars von teilweise stark unter- Höhenflügen des Jazz ansetzen kann, aber in Dübendorf und Bern. Vor Melchs Pen - schiedlichem Charakter, die man als musi- dank einem soliden Brotberuf nicht um sionierung nutzte der Bund während zwei- kalischer Begleiter auf ebenso unterschied- alltägliche Bedürfnisse kämpfen muss ... einhalb Jahren seinen beruflichen Fundus: liche Weise abholen musste. Melch überwachte im Bundesauftrag welt- Dank deinem Brotberuf warst du in weit eidgenössische Radar-Projekte. Programmieren und dozieren der Lage, die Welt zu bereisen ... Nach der Zeit am pharmatologischen Melchs jazzmusikalische Karriere nahm Als der Jazzclub Uster sein Zentrum Insti tut bildete Bangkok für mich beinahe zunächst einen für seine Herkunft und Ge - in der Villa am Aabach hatte, warst du ein zweites Karrierestandbein. Die Firma neration typischen Verlauf. In wechselnder für die Programmierung der Konzerte Oerlikon-Bührle betrieb dort ein grosses Formation präsentierte er sich zwischen zuständig. Und nicht zu vergessen sind Residence Office. Von jenem Zentrum aus 1964 und 1969 den Juroren des Zürcher deine Bemühungen, den Jazz pädago- reiste ich jeweils sternförmig über den Amateur-Jazzfestivals und wurde regelmässig gisch ins Land hinauszutragen. «Jazz asiatischen Kontinent und be suchte, nota- mit ehrenhaften Klassierungen bedacht – erklärt und gespielt» hiess der in Uster bene auch im Interesse und Einverständnis sein Trio glänzte im modernen Stil mit zwei- lancierte Wanderzirkus mit Volkshoch- des Exportlandes Schweiz, unsere führen- ten (1968) und dritten Rängen (1966, 1967, schulcharakter. den Leute vor Ort und deren Geschäfts- 1969), und als Pianist erreichte Melch 1966 Ob jene Popularisierungsbemühungen partner. Unter den langen Terminen in der und 1968 den Spitzenplatz. Dem Konzert - letztlich erfolgreich waren, darüber lässt Ferne litt manchmal das Familienleben, betrieb des Jazzclub Uster und des swissjazz - sich streiten. Eher selten gelang es, vortra- was mich schliesslich bewog, die Bührle- orama (SJO) diente Melchs Basisformation gend und spielend, unsern Spass an der Tochter Contraves zu verlassen. langjährig als Haustrio und Grundgerüst Sache ins andächtig lauschende Publikum für die Begleitung namhafter Solisten. Der zu übermitteln. Manchmal war an den Trotz berufsbedingten Absenzen gelang Instrumentalist Melch fungierte aber auch als Veranstaltungen mehr akademische Ge - es dem Däniker-Haustrio über viele Gestalter der Jazzclub-Uster-Konzerte in der lehrsamkeit als lockere Stimmung spürbar. Jahre, in Uster mit wechselnden Solis - Villa am Aabach. Ab 1987 trat er mit Trio und Aber es gab auch tolle Momente, zum Bei - ten präsent zu sein. Zahllose Konzerte Solisten unter der Devise «Jazz erklärt und spiel an der ETH, wo wir vor vollem Haus sind mitgeschnitten worden und liegen gespielt» in Foren und Clubs, bei Vereinen im grossen Auditorium das Wesen des als Achivbelege vor. Sie dokumentie - und Volkshochschulen auf. Jazz, seine Herkunft und die stilistischen ren die Entwicklung des Jazz in den Wandlungen demonstrieren konnten. letzten Jahrzehnten. Du selber hast als Das Inventar des Archivs Pianist stilistische Beständigkeit ge - des swiss jazzorama (SJO) verweist Wer über die stilistischen Wandlun- schätzt, wie aber hat sich dein Verhält- auf zwei frühe, privat produzierte Vinylplatten gen im Jazz doziert, tut gut daran, nis zum Jazz generell gewandelt? mit Melch Däniker und auf die auf Anraten sich se lber im Fach weiterzubilden. Ich habe das Neue im Jazz immer akzep- von Hans Oesterreicher (Turicaphon AG) rea - Du wolltest nach der Pensionierung tiert und dem Alten nicht nachgetrauert. lisierten professio nellen Tonträger Trio Plus dein Piano spiel weiter vervollkomm- Ich stelle fest, dass sich die musikalischen (CD, 2005), Monday Session (CD, 2006), nen und hast dich zu diesem Zweck Ansichten und Moden laufend verändern. Trio mit Frantisek Uhlir im Club (Live-CD, mit dem prominenten Amerikaner Bezogen auf meine eigene musikalische 2009), Trio Plus im Club (CD, 2010), sowie Vince Benedetti kurzgeschlossen. Was Aktivität gebe ich allerdings gerne zu, stilis - Clubaufnahmen wie z.B. Trio mit Thomas hat dir sein Rat gebracht? tischer Stetigkeit verpflichtet zu bleiben. Moeckel (Live-CD, Ausschnitt auf Youtube). 7 Artie Shaw (1910 – 2004) Band within the Band Bei einem Versuch, Shaws musikalische Leistungen kurz zu würdigen, sind ein paar Was war wohl ausschlaggebend, dass eine Reihe erfolgreicher Leader von Swing- Parallelen zu Benny Goodman nicht zu bands in den Dreissiger- und frühen Vierzigerjahren mit Gruppen ihrer Orchester- übersehen. Beide stammen aus Familien musiker kleine Bands formierten, die Smallbandjazz vom besten spielten? Wahr- jüdischer Einwanderer und verdienten sich scheinlich die Lust, losgelöst von den musikalischen Vorgaben der Arrangements ihre Dollars mit dem Altsaxofon in New mehr als nur ein paar Takte improvisieren zu können. Die ersten «Bands within Yorker Studiobands. Fast zur gleichen Zeit the Band» waren die Kleinformationen von Benny Goodman, auf die wir besonders hatten sie in den dreissiger Jahren grosse unser Augenmerk richten wollen. Eine Reihe weiterer Orchesterleiter taten es Erfolge mit ihren Big Bands, legten aber Goodman gleich. Auch auf sie wollen wir hier hinweisen. Jimmy T. Schmid auch Wert darauf, mit kleinen Formationen guten Jazz zu spielen. Auch ihr Klarinetten- stil war weitgehend gleich. Das berühmte Trios, Quartette, Sextette und die sich mit der Zeit zu erstklassigen Sextett von Shaw hiess «Artie Shaw and Septette von Benny Goodman Swing-Standards entwickelten, z.B. «Air his Grammercy Five». Hier wurde der Mail Special». Das ziemlich schnell zu Sound der ersten Aufnahmeserie zum gros- Vielleicht liess sich Benny Goodman spielende «Air Mail Special» hiess zuerst sen Teil dadurch geprägt, dass der Pianist (1909–1986) vom schwarzen Klarinettisten «Good Enough to Keep». Denn nach Johnny Guarnerie statt Klavier das barocke Johnny Dodds zu seinen ersten Aufnahmen längerem Hin und Her fanden Goodman, Cembalo spielte. Besonders hörenswert mit einem Trio inspirieren. Im März 1928 Christian und alle Mit musiker, die Neu- sind die von Shaw komponierten Swing- spielte Dodds eine Reihe von Aufnahmen schöpfung sei «gut genug» für eine Auf- themen mit den originellen Titeln «Dr. ein, lediglich begleitet von einem Pianisten nahme ins Repertoire. Musikalisches Livingstone, I presume» und «When the und einem Washboard-Spieler. Gefühl und ein musikalischer Verstand Quails come back to San Quentin». An - mischten sich optimal. Bis zum Schluss sei- fangs 1945 versuchte Shaw den Erfolg der Nur wenige Klarinettisten waren imstande, ner Laufbahn musizierte Goodman neben ersten Aufnahmeserie zu wiederholen, in dieser Art zu musizieren. Voraussetzung seinen Jobs als Leiter von grossen Orches- was ihm jedoch, trotz dem Einsatz hoch- war eine weitreichende musikalische Er - tern immer wieder auch mit Kleinformatio- karätiger Musiker, allen voran Roy Eldridge findungsgabe und ein Partner am Klavier, nen. Meistens mit Musikern, hochkarätigen (tp), Dodo Marmarosa (p) und Barney dank dessen Einfühlungsvermögen ein Zu- Solisten, wie z.B. Jack Sheldon (tp), Bill Kessel (g), nicht ganz gelang. sammenspiel auf hohem Niveau möglich Harris (ts), Flip Philips (ts) usw., die auch war. Den speziellen «Trio-Anforderungen» in Goodmans Big Bands engagiert waren. Duke Ellington (1899 – 1974) entsprachen neben Goodman der Pianist Teddy Wilson und der Drummer Gene Kru- Count Basie (1904 – 1984) Auf Duke Ellingtons Extraklasse wollen pa, meistens mit den Besen spielend, in wir hier nicht mehr mit vielen Details idealer Weise. Die Goodman-Trios wurden Basies Bedeutung als Leader eines Orches- hinweisen. Wie Basie, Goodman und Chick im Sommer 1936 durch Lionel Hampton ters vom Piano aus haben wir im Jazzletter Webb haben wir auch ihn in unserer Num- am Vibrafon zu einem Quartett erweitert. 42 unter dem Titel «Let’s Dance, die Big mer 42 im August 2018 unter dem Titel In dieser Idealbesetzung wurden etwa Bands der Swing Era» ausführlich gewür- «Der grosse Duke Ellington» vorgestellt. 20 Nummern für Victor aufgenommen, digt. Neben seinen vielen Auftritten und Ein wichtiger Grund seines dauer haften durchaus beliebte Standards, «Dinah», Aufnahmen ab Ende 1937 sorgte er auch Erfolges in den Dreissiger- und Vierziger- «Moon Glow», «Tiger Rag» usw., die sich für einige Highlights mit «Bands within jahren war die intensive Zusammenarbeit als Schellacks gut verkaufen liessen. the Band». Ein attraktives Septett «Kansas mit seinen Musikern, die ihm über viele City Seven» im November 1939 war eine Jahre hinweg halfen, seine musikalischen Durch den Beginn der Zusammenarbeit Erweiterung seiner legendären «All Ameri- Pläne zu verwirklichen. Immer wieder mit dem genialen, leider viel zu früh ver- can Rhythm Secion» durch den Trompeter gelang es dem Duke, wie Joachim E. Be- storbenen Gitarristen Charlie Christian Buck Clayton, den Posaunisten Dicky Wells rendt schreibt, «die ganze Atmos phäre endete Mitte 1939 die Zeit der erfolgrei- und den Tenorsaxofonisten Lester Young. der Ellington Musik in verblüffender Weise chen Quartett-Produktionen. Im neuen Lesters wundervoll swingendes Spiel mit in kleine Besetzungen hineinzuprojizieren». Sextett, nach wie vor mit Hampton am dem Tenorsax ist einzigartig. (Die All Ame - Schon 1930 gab es Aufnahmen mit einer Vibrafon, sass für einige Aufnahmen Alt - rican Rhythm Section haben wir auf Seite 1 Kleinformation unter dem Namen «The meister Fletcher Hen derson am Piano. unserer Ausgabe 40 im Dezember 2017 Harlem Feetwarmers». Besonders erwäh- Charlie Christian mit seiner elektrischen mit einem Bild herausgestellt.) nenswert sind die Nummern, die für «Blue- Gitarre wurde zur herausragenden Figur bird» im November 1940 mit Cootie Wil - der Goodman-Kleinformationen. Nach vielen Jahren voller Konzerte und liames (tp), Lawrence Brown (tb) und Plattenaufnahmen überraschte Basie Johnny Hodges (as) aufgenommen wur - Als Goodman 1940 zwei ausgezeichnete 1950 seine Fans, indem er seine Big Band den. Das lyrische «Day Dream» ist in Zu - Solisten, den Duke Ellington-Trompeter auflöste und sich mit einem Oktett prä - sammenarbeit mit seinem langjährigen Cootie Williams und George Auld (ts), sentierte. Das war keine «Band within the Partner Billy Strayhorn entstanden. einen langjährigen Weggefährten von Band», doch die Besetzung war geradezu Artie Shaw, für sein Orchester engagierte, sensationell, sodass es einem in den Fin- Ein Duo ist noch keine Band. Doch auf liess er es sich nicht nehmen, diese zwei gern juckt, hier alle acht Musiker nament- einige Duo-Aufnahmen wollen wir hin - Koryphäen auch in seine Smallbands auf- lich zu erwähnen: Clark Terry (tp), Buddy de weisen. Sie dokumentieren das herrliche zunehmen. Das war die Zeit, nun nicht Fanco (cl), Wardell Gray (ts), Serge Chaloff Bassspiel von Jimmy Blanton. Seine Inter- mehr bei Victor, sondern bei Columbia, (bs), Count Basie (p), Freddie Green (g), pretationen von «Body and Soul» und als der Lea der zusammen mit seinem Top - Jimmy Lewis (b) Buddy Rich (dm). «Sophisticated Lady» teilweise mit dem solisten Christian neue Themen erfand, Bogen, begleitet von Ellington am Piano,

8 Etwa 1939 engagierte Benny Goodman Charlie Christian. Dieser war ein wichtiger Musiker für den Jazz, den er griff als einer der ersten Gitarristen in die Seiten einer elek tri- schen Gitarre. Er und Cootie Williams machten das Benny Goodman Sextett zu einer hervor- ragenden, modernen Swing Combo.

Mit dem Trio hat Benny Goodman die erste Combo «Band within the Band» gegründet: Benny Goodman (cl), Teddy Wilson (p), Gene Krupa (dm). Bald wurde aus dem Trio ein Quartett mit Lionel Hampton (vib). Ganz nebenbei standen mit dem Trio und Quartett wahrscheinlich zum ersten Mal afroamerika nische und weisse Musiker gemeinsam auf einer Konzertbühne. Das war ein längst fälliger, aber schwieriger Schritt, der jetzt von der Öffentlichkeit sukzessive akzeptiert wurde. haben Seltenheitswert. Leider starb Jimmy Tommy Dorsey (1905 – 1956) Tommy wusste, gute Drummer zu schätzen. Blanton bereits 1942 mit 21 Jahren an und Bob Crosby (1913 – 1993) Immer wieder sass Dave Tough am Schlag- einem Tuberkuloseleiden. zeug. Im Frühjahr 1940 übernahm Buddy Alle «Bands within the Band» von Good- Rich, der damals auch eine Attraktion des Chick Webb (1902 – 1939) man, Basie, Shaw, Ellington und Webb sind grossen Orchesters Tommy Dorsey war, kleine Swingbands. Doch es gab auch den Schlagzeugstuhl. In unserem Beitrag über Big Bands in der kleine Formationen mit starker Neigung Nummer 42 im August 2018 bezeichneten zum Dixielandjazz, die aus Swing Big Bob Crosby war der jüngere Bruder des wir William «Chick» Webb als «Seltenes Band-Musikern zusammengestellt waren. Sängers und Schauspielers Bing Crosby. Phänomen der Jazzgeschichte». Durchaus Hier sind vor allem die «Clambake Seven» Seine «Bob Cats» waren stilistisch etwa mit Recht. Obwohl der bucklige, nur 130 von Tommy Dorsey und die «Bob Cats» auf der gleichen Linie wie die «Clambake cm grosse Drummer körperlich stark handi- von Bob Crosby zu erwähnen. Seven» von Tommy Dorsey. Ein Teil seiner capiert war, verstand er es, mit viel Drive Rhythm Section, Bob Haggart am Bass seine Big Band anzufeuern. Auch wenn er Vom Ende der Zwanzigerjahre an bis zum und Ray Bauduc am Schlagzeug, hatte diskret mit den Besen spielte, kam etwas Herbst 1935 leiteten die Dorsey Brüder, eine Gimmick-Nummer eingeübt, die so vom Schlagzeug her, das für eine ständig der Posaunist Tommy und der Klarinettist auffällig und erfolgreich war, dass sie über - swingende rhythmische Basis sorgte. Webb und Altsaxofonist Jimmy, das «Dorsey all von ähnlichen Bands imitiert wurde. engagierte für sein Orchester immer nur Brothers Orchestra». Als sie ihr gemein - Bauduc spielte einen Teil der Nummer auf erstklassige Solisten. Einige von ihnen sam geleitetes Orchester auflösten, grün- den Saiten von Haggart’s Bass. Bauduc scharte er im Herbst 1937 um sein Schlag- dete jeder eine eigene Big Band. Jimmy’s war übrigens der einzige Drummer, dem zeug für vier Aufnahmen mit seinen «Little Musik entfernte sich – zumindest nach der es gelang, im Baby Dodds-Stil, ohne HiHat- Chicks», einem Quintett, dessen Sound Meinung des französischen Diskografen Rhythm, in einer Swingband zu reüssieren. weitgehend durch das Flötenspiel des Sa - Charles Delaunay – etwas weit vom Jazz. xofonisten Wayman Carver geprägt wurde. Tommy’s Orchester etablierte sich bald Selbstverständlich gab es noch weitere Über Chick Webb zu berichten, ohne auf unter den besten Swing Big Bands (Basie, «Bands within the Band». Auf die wich- die wichtige Rolle hinzuweisen, die Ella Goodman etc.) Seine Liebe zum Dixieland, tigsten konnten wir im beschränkten Fitzgerald in seinem kurzen Leben gespielt von dem er schliesslich herkam, war so Rahmen dieses Beitrages hinweisen. hat, wäre eine kleine Unterlassungssünde. gross, dass er bald sein Musik-Angebot Chick engagierte die junge Sängerin nach mit einem Dixieland-Septett, den «Clam- Die Musik der vorgestellten Bands anfänglichem Zögern Mitte der Dreissiger- bake Seven» erweiterte. Diese Band war ist im Archiv des swissjazzorama jahre. Das war musikalisch und kommer - in jeder Beziehung ein Erfolg. Sie spielte bestens dokumentiert. ziell ein Haupttreffer. Mit Ellas Gesang nur wenige Oldtime-Themen, meistens wur den viele Decca-Aufnahmen des Webb- Swinghits wie «The Sheik of Araby» oder Orchesters zum Kassenerfolg. Als Chick «Chinatown, my Chinatown» , die allen leider bereits 1939 starb, übernahm Ella Gelegenheit boten, ihre so lis ischen Quali- sein Orchester. täten zu zeigen.

9 Die sen Ehen entsprangen neun Kinder, aus Art Blakey – einer nicht legalisierten Verbindung ein weiteres, dazu noch sechs oder sieben adoptierte oder sonstwie aufgenommene Eine kleine Jazzgeschichte Kinder. Damit ergibt sich eine stattliche Zahl, die etwa dem Umfang einer Schul- Es wäre vermessen, in Art Blakey (1919 – 1990) einen Musiker zu sehen, der sich klasse gleich kommt. Wie so etwas mit in die Geschichte des Jazz als Revolutionär eingeschrieben hätte. Die Limiten seines dem rastlosen und zuweilen prekären Instrumentes bieten einem Schlagzeuger hierbei weniger Möglichkeiten, zumal Leben eines Jazzmusikers zu vereinbaren die Emanzipationsentwicklung der Perkussion im Jazz erst mit dem Aufkommen ist, muss Gegenstand anderweitiger Speku- freierer Formen einsetzte. Blakeys Name ist indes mit einer Gruppe verbunden, lationen bilden; deshalb zurück zur Musik. die in Zeiten der Hochblüte des Hardbop, mithin in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, das Jazzgeschehen massgeblich bestimmte: The Jazz Messen- Blakey begann mit dem Klavierspiel, hatte gers. Die Botschafter des Jazz, die von der Bühne herab und via Tonträger sozu - jedoch Mühe mit der musikalischen Nota - sagen den State of (the) Art verkündeten. Schon jetzt lässt sich daher festhalten, tion, hörte dann Erroll Garner, der ebenfalls dass eine Betrachtung von Blakeys Leben und Schaffen ohne Einbezug der Messen- des Notenlesens unkundig war, dem die gers nicht auskommen kann. Heinz Abler Musik jedoch nach Blakeys Meinung «nur so aus den Fingern flutschte». Wie er zum Frühzeit und Familie – Eckstine Clarke, den Bassisten Ray Brown und Schlagzeug kam, ist nicht genau geklärt, Paul Chambers, den Pianisten Erroll Gar- jedenfalls war es für einen Musiker mit Natürlich gab es ein Leben gewissermas- ner, Ahmad Jamal und Horace Parlan, Notenleseschwäche eine brauchbare Op - sen vor der Gründung der Messengers- dem Trompeter Roy Eldridge, dem Tenoris - tion. Früh schon – wir schreiben die frühen Familie. Es verlief privatim recht turbulent. ten Bob Cooper usw. Und vor allem dem 40er – hatte er eine eigene Band, spielte Schon das Geburtsdatum, obwohl offi - Sänger und Bandleader Billy Eckstine, aber auch mit der Pianistin Mary Lou ziell mit dem 11.10.1919 angegeben, ist von dem noch die Rede sein wird. Williams sowie in der Fletcher Hender- umstritten. Kollegen schätzten ihn älter als son Band, um sich schliesslich Billy Eck - etwa Dizzy Gillespie (*1917) ein. Seine Die elterlichen Familienverhältnisse waren stine anzuschliessen. Eckstine hatte sich von ihm ungeliebte Geburtsstadt Pitts- nicht so, dass man von einer glücklichen aus der soeben aufgelösten Earl Hines burgh, PA war in diesen Zeiten expandie- Jugend hätte sprechen können. Die Mutter Big Band mit Hilfe Dizzy Gillespies, dem render Stahlproduktion ein Zentrum starb bald nach der Geburt Arts, und zum Musical Director, das passende Personal des Bergbaus. Auch Blakey musste hier Vater, der einen Barbershop führte, hatte besorgt. Zunächst sass Shadow Wilson zunächst notgedrungen einer ungemüt- er kein gutes Verhältnis. So wuchs er bei am Schlagzeug. Dieser wurde aber einge- lichen und schweisstreibende Art des Brot - einer Cousine der Mutter auf. Schon als zogen – der Zweite Weltkrieg wütete noch erwerbs nachgehen. Teenager in die erste Vaterschaft hinein immer – und auch Kenny Clarke – erste geschlittert, pflegte Blakey nach hiesigen Wahl Eckstines – war in Uniform, so dass Die Stadt war indes reich an Jazzmusikern Standards ein wenig übersichtliches Fa mi - schliesslich der verfügbare Blakey ein- seiner Generation, etwa Kollege Kenny l ienleben: Er war viermal verheiratet. sprang. Im Vergleich zum eher zurückhal- tenden Wil son zeich nete ihn schon damals das laute, kraftvolle Spiel aus, das ihm in der Folge zeitlebens eigen war.

Zwischenzeit – Abstecher nach- Afrika – Abdullah Ibn

Nach der Auflösung der Eckstine Band im Frühjahr 1947 nahm Blakey hier und dort einen Gig an und machte diese und jene Aufnahme (u.a. mit Monk im Trio für Blue Note). Es scheint, dass es an einträglichen Angeboten mangelte, so dass er nach Westafrika (Ghana, Nigeria) aufbrach und sich das Geld für die Überfahrt mit Arbeit an Bord des Schiffes verdiente. Über die Länge des Aufenthaltes (wahrscheinlich mehrere Monate 1947) besteht so wenig Klarheit wie über das Motiv. Es liegt nahe und wird oft kolportiert, dass das Studium afrikanischer Rhythmen im Vordergrund gestanden hätte. Dem widersprach Blakey und schob vielmehr religiös-philosophische Gründe vor. Der Umstand, dass er nach eigenen Aussagen in seiner Kindheit ein bigottes weisses Christentum aufgedrückt bekam, mochte ihn zu einer Korrektur der spirituellen Orientierung bewogen haben. Dieser Selbstfindungsprozess mündete bei seiner Rückkehr nach New York in den

10 Übertritt zum Islam und zur Annahme des arabischen Namens Abdullah Ibn Bu- haina. Dies entsprach auch einer unter schwarzen Boppern gängigen Protesthal- tung gegenüber einem weissen Establish- ment, das rassistisch nach wie vor verblen- det, keinen Widerspruch zwischen christ- lichem Anstrich und der Verweigerung von Bürgerrechten sah. Wieder eingetaucht ins Haifischbecken des New Yorker Musik - betriebes, konnte ihn indes auch das neue Bekenntnis nicht vor dem Einstieg in die Drogensucht bewahren – einer damals unter Jazzern weit verbreiteten Seuche.

Von den Messengers zu den Jazz Messengers

Im Dezember 1947 betrat eine kurzlebige 17-köpfige Gruppe unter der Leitung Art Blakeys die Szene, welche sich vornehmlich aus zum Islam übergetretenen Musikern zusammensetzte. Ihr äusseres Erschei- nungsbild wie auch der Name «Messen- gers» liessen vermuten, dass es hier zu - nächst eher um die Verbreitung einer reli- giösen Botschaft mittels Musik ging.

Die weiteren Jahre bis zur Gründung der eigentlichen «Jazz Messengers» 1954 wa - ren noch eine Zeit des Wirkens als Side- man. Dies jedoch an der Seite mancher Schwergewichte wie Thelonious Monk oder erdete den etwas kopflastigen Bebop in ein, der eines Abends für Miles Davis. Jedoch auch Engagements bester schwarzer Trad ition, rüstete die den «verhinderten» McLean einsprang und bei stilistisch hinter der damaligen Aktua- Musik «funky» auf und tränkte sie in gleich blieb, um den Sturzflug abzufangen. lität verbliebenen Musikern wie etwa «Blues & Soul» – erstaunlich für einen Golson, nun der eigentliche Boss und Mas- Buddy DeFranco oder Coleman Hawkins mit portugiesisch-kapver dischen Wurzeln. termind, sorgte für neues Personal, ein sind zu verzeichnen. Weniger bekannt neues Repertoire und selbst für das Ge- aber umso erstaunlicher ist, dass Blakey Jazz Messengers – schäftliche – kurz, neuen Glanz. Die ersten kurzzeitig zwischen Kenny Clarke und aus dem Chaos zur Hochblüte wahrhaft bekannten Messengers betraten Connie Kay beim Modern Jazz Quartet die Szene: Neben Golson und Blakey waren das Schlagzeug bedient hatte – leider gibt Nach Silvers Abgang, der zusammen mit dies tp, p es davon kein Tondokument. Man kann nur seinem Quintett die eine Säule des Hard- sowie b. Golson und Tim - ahnen, dass er sich dabei ähnlich zurückge- bop-Programms des legendären Blue Note mons steuerten das musikalische Material nommen haben muss, wie beim legendären Labels bildete, baute Art Blakey mit seinen bei, welches bald zum Standardrepertoire Album Something Else (mit Cannonball Messengers die andere. Beide Gruppen gehörte: So etwa Moanin‘, Blues March, Adderley, Miles Davis, Blue Note 1958). mar kierten als fixe Formationen neben den Along Came Betty oder Whisper Not. Three Sounds die Ausnahme innerhalb der Auffallend ist, dass Lee Morgan, der Sehr bekannt sind dagegen die Live- üblicherweise von den Blue Note-Vätern eigentlich ein hervorragender Komponist Aufnahmen vom Februar 1954 aus dem Francis Wolff und Alfred Lion personell war, wenig beitrug. New Yorker Birdland mit dem Art Blakey ad hoc zusammengestellten Produktionen. Quintett, in dem Lou Donaldson as, Clif- Anlässlich von Abstechern in den von US- ford Brown tp, p, und Nach diversen Umbesetzungen mit den Musikern stets geschätzte Sehnsuchtsort Curley Russell b mitwirkten. Silver gab Trompetern und Bill Hard- Paris nahmen die Messengers 1958 / 59 hier den Komponisten und Arrangeur und man, holte sich Blakey auch den Altsaxofo- auch Filmmusik auf. So für Roger Vadims formte ein Konzept, das man gewisser - nisten Jackie McLean ins Boot, was über- Liaisons dangereuses oder Edouard Moli- massen als Geburtsurkunde der Jazz Mes- raschte, denn das Altsaxofon in der Front- naris Des femmes disparaissent, wobei sengers sehen könnte. Zunächst firmierte line einer Combo war in der Nach-Parker die Beteiligung einheimischer Musiker, wie die Gruppe ja auch unter Horace Silver Ära weniger gefragt als das besser verkäuf- etwa Barney Wilen ts, (obzwar Belgier) and , nun allerdings liche Tenorsax. Erschwerend war die Dro - erforderlich war. mit ts, tp genabhängigkeit Hardmans und McLeans, und b, ehe Silver den neben Blakeys eigener, die genug Probleme Vielleicht tat Golson mit seinem Willen Gruppennamen Art Blakey überliess. bei der Wahrnehmung von Verpflichtungen zur perfekten Form ab und zu des Guten Die Aufnahmen vom November 1955 aus verursachte. Bald war der Ruf Blakeys zuviel, indem er sich in Blakeys Drumming dem Café Bohemia, NYC zeigen nunmehr und der Messengers hinreichend ruiniert. einmischte (wo Sticks, wo Besen, welches den Schlagzeuger als Leader. Silver, der Höchste Zeit für einen Neustart. Der Retter Cymbal wann und wo usw.). Derlei haut- weiterhin als Musical Director fungierte, stellte sich in der Person des Tenoristen nahes Kümmern, an falscher Stelle und

11 Person appliziert, bewährt sich auf Dauer Schnitter ts, der russische Trompeter Va - Stücks, stets Bestandteil seiner Musik, natürlich nicht, so dass es an der Zeit war, lery Ponomarev, James Williams, später weil sie für die Dynamik des Geschehens den Posten neu zu besetzen. p und Dennis Irwin b. unverzichtbar waren.

Zur Auswahl standen die Tenorstars John Als im Sommer 1980 der aufblühende Die Ausflüge ins weite Feld der Perkussion Coltrane (!) und . Nach Jungstar aus New Orleans Wynton Mar - bei den Alben Orgy in Rhythm (1957) Blakeys Aussage, wäre der Entscheid für salis den Trompetenpart übernahm, führte und (1962) gestalteten Coltrane, der damals bei Monk spielte, dessen virtuose Brillanz die Messengers sich eher als Mustermessen, um vorzu- einer unfreundlichen Abwerbung gleich wenn nicht musikalisch so doch kommer - führen, was man mit vielerlei Perkussions- gekommen, weswegen er Shorter bevor- ziell zurück ins Flutlicht. Marsalis blieb gerät jedweder Provenienz anstellen kann. zugt habe. Fraglos eine gute Wahl, insbe- bis Anfang 1982, und auch in der Zeit Zumal, wie schon angedeutet, die vermu- sondere wenn man Shorters Talent neben da nach blieben die Messengers das, was teten afrikanischen Einflüsse bei Blakey dem Instrumentellen auch in Bezug auf sie schon immer waren: eine perfekte offenbar überschätzt wurden. Arrangement und Komposition in Rech- Talentschmiede, mit dem inzwischen gross - nung stellt. Zahlreiche Aufnahmen am väterlichen und schwerhörigen Patron Epilog Beginn der 60er Jahre belegen dies. am Schlagzeug. Eine Jazzgeschichte ohne den Brand Art Nun erweiterte Blakey die Messengers Einige Namen seien genannt: Die Trom- Blakey & The Jazz Messengers ist kaum zu einem Sextett und gruppierte um Shor- peter , Wallace vorstellbar. Auch hierzulande waren sie ter nach dem Ausscheiden von Morgan Ro ney, die Saxofonisten Donald Harri- immer eine Referenzgrösse bei vielen Ama- und Timmons den angriffigen Jungspund son, Kenny Garrett as, Bill Pierce, Jean teuren, die in den 50/60er Jahren als aktive tp, den virtuosen Cedar Toussaint, , Philip Harper Musiker die Bühne des Corso (Zürich) Walton p, sowie zusätzlich den eleganten, ts, der Posaunist , die an lässlich diverser Festivals betraten. Die mit bluesiger Wärme spielenden Posaunis - Pianisten John O’Neil, Messengers selber waren etliche Male zu ten . Zeitweilig sorgte an und Geoff Keezer, sowie Charles Fam- Besuch, so etwa 1960 in Lausanne, doku- Stelle des «Workhorses» Merritt (Blakey) brough, und Kenny mentiert auf TCB Records (02022+02062) am Bass für festen Washington am Bass. oder 1980 in Montreux. Leider gibt es, Untergrund. Nach diesem Umbau in eine abgesehen von den hier genannten, keine «Mini Big Band», die mit sattem Sound Unermüdlich, nahezu taub, sass Art Blakey weiteren bekannten Tonzeugnisse. und viel Power die Beiträge in Komposition fast bis an sein Lebensende 1990 am und Arrangement fast aller Bandmitglieder Drum set, trieb seine Vorderleute mit seinen Art Blakey verstand seine Musik immer vortrug, war der Gipfel des Schaffens nicht berühmten, manchmal wohl auch berüch- als Jazz, amerikanischen Jazz notabene, mehr fern. Das Blue Note-Album «Free tigten Pressrolls an, die sein Spiel in unsere den er aus seiner Lebenserfahrung For All» (1964), ein epochales musika - Erinnerung eingeprägt haben. schöpfte und in seiner Lebensspanne vom lisches Statement zum Thema Hardbop, aus gehenden Swing über den Bebop bis stellt gewissermassen die Flagge dar. Musik und Instrument zum Hardbop miterlebt und – geprägt hat. Zu bewerten ist diese Musik auch als Danach Pressrolls wäre demnach das Stichwort wesentlicher Teil des afroamerikanischen und Markenzeichen des Schlagzeugers Art Beitrags zur US-amerikanischen Kultur. Die zehn folgenden Jahre, nach Auflösung Blakey, der gewiss kein filigraner Techniker Das ist nicht wenig. dieser Supertruppe, waren geprägt von wie sein Hardbop-Antipode Max Roach ständigen Wechseln, so dass die vormalige war. Diese aufschäumenden, lauten und oft Wucht und Geschlossenheit früherer Mes- kurz gesetzten Wirbel, mit denen er den sengers zu verschwinden drohte. Gleich- Ablauf innerhalb eines Stückes struktu - wohl beschäftigte Art Blakey stets heraus- rierte, zeigen ihn als Leader, der das musi- ragende Talente und bot vielen jungen Mu - kalische Geschehen stets steuerte und im sikern eine Startrampe für den Karriere- Griff hatte. Will heissen, was immer man sprung. Unter anderen setzte sich auch oben an Komposition und Improvisation Keith Jarrett kurz ans Piano. Die Messen- einfüllte, durchlief, unabhängig vom gerade gers wurden zuweilen als Jazz-Universität agierenden Personal, die Blakey-Behand- mit Rektor Blakey bezeichnet, zumal er von lung und kam unten als unverwechselbare den Seinen auch immer mit Kompositionen Messengermusik heraus. Auch den Schlag- und Arrangements versorgt werden wollte. zeuger erkannte man gleich an seiner «Handschrift», die sich durch einen schwe- Blakey war nun wieder vermehrt ausser- ren, lauten und vehement vorwärtsdrän- halb der Messengers als Sideman unter- genden Drive auszeichnete. Blakey zeigte wegs, etwa dann, wenn findige Promoto- Schwächen bei langsamen Tempi, was ren wieder mal eine einträgliche, mit ihn bei den unvermeidlich zum Programm grossen Namen veredelte Gigantentruppe gehörenden Balladen oft in double time auf die Beine stellten, die auch die Kasse Begleitung ausweichen liess. Beobachtet klingeln liess. man Blakeys Solospiel über viele Aufnah- men hinweg, stellt man fest, dass er im Erst 1977 gelang es Blakey wieder, eine Gegensatz etwa zu Max Roach oder Roy über Jahre halbwegs stabile Formation Haynes kein grosser Geschichtenerzähler zu bilden. Es war wiederum ein Sextett, war und seine Beiträge in etwa die gleiche wobei er die Posaune gegen ein Altsaxo- Dramaturgie aufwiesen. Dennoch waren fon austauschte: as, Dave die Soli, oft auch in der Einleitung eines

12 auch die Jazzausbildung bei. Sie ist mitver- Jazz in Zürich 2020 antwortlich, dass eine innovative und krea- tive Szene entsteht, die jung und lebendig Über die frühe Zeit des Jazz in der Schweiz in den 1920er Jahren, speziell auch in bleibt. 1977 wurde in der Freizeitanlage Zürich erfährt man einiges im Artikel auf Seite 4 dieses Jazzletters «Roaring Twenties Buchegg auf Initiative einiger Jazzmusiker in Zürich» von Heinrich Baumgartner. Auf alle Fälle wurde Zürich früh vom Jazzfieber die Jazzschule Zürich gegründet. Seit erfasst oder dem, was Tanzorchester und Publikum damals unter Jazz verstan den. 1999 ist sie als Abteilung «Jazz und Pop» Heute zeigt sich Zürich mehr denn je als aufregende, attraktive und angese hene Teil der Zürcher Hochschule der Künste europäische Jazzstadt. Diverse Jazzclubs und Jazzfestivals mit internationaler Aus - (ZHdK) im Toni-Areal domiziliert. Die rund strahlung locken ein interessiertes und neugieriges Publikum an die Limmat. Jazz hundert Jazzstudierenden aus dem In- und begeisterte, talentierte junge Musikerinnen und Musiker aus der Schweiz und aus Ausland werden bestens ausgebildet und der ganzen Welt kommen nach Zürich, um Jazz zu studieren. Hans Peter Künzle brauchen den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Sie prägen die Zürcher Am 30. November 1934 spielte Louis Arm- Jazzszene mit, sei es mit eigenen Projekten strong mit seiner Band vor 1400 Zuhörern oder als Sideman in nationalen und inter- in der Tonhalle. Seit damals war der Jazz in nationalen Bands. Und nicht zuletzt sorgt Zürich immer präsent. In den Anfängen ein Grossteil der diplomierten Jazzerinnen spielten Jazzgrössen wie Sidney Bechet, und Jazzer mit ihrer pädagogischen Aus- Coleman Hawkins, Count Basie, Duke bildung, als Musiklehrerinnen und Musik- Ellington, Lionel Hampton, Ella Fitz - lehrer, an den städtischen und regionalen gerald, Oscar Peterson u.a. regelmässig Musikschulen für den ganz jungen Jazz- in der Stadt. Es ist klar, dass diese Präsenz Nachwuchs. des amerikanischen Jazz einen grossen Einfluss auf junge Musikerinnen und Musi- Lokale in der Stadt Zürich veranstalteten Zurich Jazz Orchestra ker in der Schweiz hatte. Nach dem Zwei- im Januar 2020 in der Regel mehrere Jazz- ten Weltkrieg ging es dann mit der Zürcher konzerte. Schaut man über den Stadtrand Zürich blickt auf eine lange Tradition von Jazzszene richtig los. Es formierten sich hinaus, gibt es zusätzlich eine beachtliche Jazzorchestern zurück. Vor allem in den zahlreiche einheimische Amateurbands, Anzahl Jazzveranstaltungen in der Region, 1940er und 1950er Jahren hatten die Big und es gab erste Profi-Jazzmusiker. Jazz - zum Beispiel in Winterthur, Uster, Düben- Bands Hochkonjuktur. Leider konnten sich keller und Jazzclubs wie der Trester-Club dorf, Thalwil und Bülach, um nur einige diese aus wirtschaftlichen Gründen nicht später der Basin-Street-Club öffneten ihre Orte zu nennen. lange halten. 1986 löste sich das letzte Pforten. Im Café Wellenberg waren regel- professionelle Jazzorchester, die DRS Big mässig Live-Konzerte zu hören. Jazzfestivals Band, auf. Doch knapp 10 Jahre später, 1995, wurde der Vorläufer des Zurich Jazz Noch heute schwärmen ältere Jazzmusiker Was 1951 mit dem jährlich stattfindenden Orchestra als Rehearsal Band im Umfeld und Hörer vom legendären Africana, Nationalen Amateur-Jazzfestival Zürich der Jazzschule Zürich, bzw. der ZHdK ge- dem Jazzclub in Zürich der sechziger Jahre begann, entwickelte sich mit kleinen Unter- gründet. Sie wurde aufgrund der hohen und eigentlichen Vorläufer des heutigen brüchen zum Internationalen Jazzfesti- Professionalität schnell zum Forum für ein - Moods. Zusammen mit dem Nationalen val, das dann nach grossartigen Konzerten heimische Komponistinnen und Arrangeure. Zürcher Amateur-Jazzfestival, das von 1995 leider ein abruptes Ende fand, da es Dank den regelmäs sigen Konzerten im 1951 bis 1973 alljährlich im Kino Urban der Sparpolitik der Zürcher Stadtregierung Jazzclub Moods, Musikklub Mehrspur (später im Kino Corso) ausgetragen wurde, zum Opfer fiel. Doch bereits 1996 wurde und im Theater Rigiblick, den kompeten- hat das Africana die Schweizer- und die von Pius Knüsel,dem damaligen Leiter des ten international bekannten Bandleadern Zürcher-Jazzszene richtig in Gang gebracht. Jazzclubs Moods, unter Mithilfe von priva- und auch dank dem professionellen Mana- Seither hat sich in Sachen Jazz in Zürich ten Sponsoren das Jazznojazz-Festival gement von Bettina Uhlmann ist das viel getan. Meist auf Musikerinitiative gab gegründet, ein Festival, das bis heute unter Zurich Jazz Orchestra eine feste Grösse es immer wieder mehr oder weniger erfolg- der Leitung von «Mr. Jazznojazz» Johan- im Kulturleben der Stadt Zürich geworden. reiche Versuche, Lokale mit regelmässigen nes Vogel zur Erfolgsgeschichte wurde. Jazzkonzerten zu etablieren. Dies gelang Vogel als Spezialist von Events mit grossen Das swissjazzorama nach dem Africana besonders gut mit dem Namen kann aus finanziellen Überlegun- Bazillus und später dann mit dem 1992 gen die Schweizer Szene zu wenig berück- hat sich in unmittelbarer Nähe der Stadt gegründetem Moods, das seit langem zu sichtigen, was speziell die offene freie Zürich in Uster etabliert. Sein Archiv über den führenden Jazzclubs Europas gehört. Szene jenseits des Mainstreams zur Selbst- Jazz in der Schweiz und international ist hilfe veranlasste. Heute haben sich das mittlerweile zu einer umfangreichen Samm- Jazzclubs Taktlos- und das Unerhört-Festival als lung gewachsen. Zu finden sind: Schellacks, musikalische Gegenpole etabliert, ebenso LPs, CDs, Bücher, Zeitschriften, Zeitung s - Im Januar 2020 fanden allein im Jazzclub das von Zürcher Musikstudierenden ins artikel, Plakate, Fotos und vieles mehr. Moods an 30 Tagen Jazzkonzerte statt, Leben gerufene experimentelle Gamut- mehr als zwei Drittel der Konzerte bestrit- Festival. Diese Festivals ziehen auch ein Quellen: ten Schweizer Bands oder fanden mit jüngeres Publikum an und tragen dazu bei, – Bruno Spoerri (Hrsg.): Jazz in der Schweiz Beteiligung von Schweizer Musikerinnen dass sich die Festival-Szene in Zürich Geschichte und Geschichten und Musikern statt. Gleichzeitig im Januar erfreulich dicht und lebendig präsentiert. Chronos-Verlag, Zürich 2005 spielten im «Mehrspur», dem Musikclub ISBN 3-0340-0739-6 der Jazz- und Popabteilung der Zürcher Jazzausbildung – Ueli Staub (Hrsg.): Jazzstadt Zürich Hochschule der Künste (ZHdK), an 17 Aben- Von Louis Armstrong bis Zurich den 35 Bands von Studierenden, Dozieren- Zur Vielfalt und Agilität der Jazzszene trägt Jazz Orchestra – Neue Zürcher Zeitung den und Alumni. Mindestens 15 weitere neben den Jazz-Auftrittsorten und Festivals Zürich 2003, ISBN 978-3-03823-012-0

13 Blick ins Archiv West End Blues ist ein 12-taktiger Blues, komponiert von Joe «King» Oliver (tp). Meistens wird er in einer instrumentalen Version vorgetragen. Clarence Williams (p) hat dazu aber auch einen Songtext erarbeitet. «King Oli ver and his Dixie Syncopaters» machten am 11. Juni 1928 für das Label Brunswick die erste Aufnahme. Clarence Williams nahm das Stück 1928 gleich mehrmals auf, zuerst Joe «King» Oliver 1885 – 1938) Clarence Williams (1893 – 1965) mit der Sängerin Ethel Waters und dann auch mit anderen Sängerinnen. – Der Titel «West End» leitet sich ab vom westlichsten Punkt des Lake Pontchartrain bei «Orleans Parish». Das war in den Som mermonaten ein sehr beliebter Ort mit viel Musik, Tanz- pavillons, Restaurants und Badevergnügen.

Richtig berühmt wurde der «West End Blues» aber durch Louis Armstrong. Er nahm das Stück mit seinen zweiten «Hot Five» (die eigentlich ein Sextett waren und auch «Savoy Ballroom Five» hiessen) am 28. Juni 1928 für das Label Okeh auf. Dabei: Earl Hines (p), Jimmy Strong (cl), Earl Hines (1903 – 1983) Louis Armstrong (1901 – 1971) Fred Robinson (tb), Mancy Carr (bj) und Zutty Singelton (dm). Armstrongs unbe - gleitete Kadenz, mit der er das Thema ein- leitete wurde ein Höhepunkt des Jazz der 1920er Jahre. Es folgt dann sein «scat vo- cal» im Duett mit dem Klarinettisten Jimmy Strong und ein eindrückliches Pia nosolo von Earl Hines. Der letzte Chorus wird do - miniert von einem vier Takte langen hohen Bb aus Armstrongs Trompete. Den Schluss- punkt setzt Zutty Singleton mit den Cym- bals. Die Aufnahme wurde 1979 in die «Gram my Hall of Fame» auf genommen. Sie unterstreicht Louis Arm strongs Spitzen- platz als Trompeter der ersten Hälfte des Jazz im letzten Jahrhundert. Walter Abry

Den «West End Blues» findet man im Archiv des swissjazzorama in vielen verschiedenen Varianten. Die Savoy Ballroom Five. Von links: Zutty Singleton (dm), Mancy Carr (bj), Jimmy Strong (Eingeben: «Westend» in einem Wort geschrieben) (cl, ts), Fred Robinson (tb), Louis Armstrong (tp), Gene Anderson (p) (anstelle von Earl Hines).

Die neuen «Hot Five» brachten Mit den Meisterwerken von Spitzentöne entwickelt. Seine mu sika- für Armstrong in Earl Hines einen Louis Armstrongs «Hot Five» und li schen Strukturen waren immer organisch eben bürtigen Klavier-Partner. «Hot Seven» war die Geschichte des gewachsen und kontinuierlich gebildet, Jazz in ein Stadium der Anerkennung und seine Interpretationen zugleich von grosser «Weather Bird» ist eine Komposition von des Erfolgs eingetreten. Jazz war nun nicht Intensität und Sensibilität. Joe Oliver, ein Duo zwischen Trompete und mehr nur Honky Tonk-, Bar-, Club-, und Louis Armstrong hat seinen Beitrag zur Klavier, das gleichberechtigt zwei grosse Unterhaltungs-Musik, sondern eine musi- Musikgeschichte geleistet. Seine Inno - Solisten nebeneinander vorstellt. Die beiden kalisch anspruchsvolle Kunstform gewor- va tio nen waren kaum zu übertreffen. Instrumental-Linien wirkten wie ein Dialog. den. Louis Armstrong hatte sich durch eine Quelle: Ilse Storb «Louis Armstrong» Das Stück wurde am 5. Dez. 1928 aufge- virtuose Beherrschung der Trompete und Rowohlt-Taschenbuch (1989) nommen. Armstrong und Hines ergänzten einen umfassenden Ideenreichtum der (Aufnahmen: 65 Titel, 1925 – 1928). WA sich gegenseitig genial in der Behandlung Improvisationen ausgezeichnet. Er hatte des musikalischen Materials und bewahren die instrumentale Solotechnik, das «swing Über Armstrong gibt es in unserem doch ihre künstlerische Individualität. feeling», die melodischen Varianten und Archiv unzählige Dokumente aller Art.

14 dem in Bern die Swiss Jazz School installiert war, In memoriam begann er dort seine jazzspezifischen Studien. Zusammengestellt Hier wirkte er selbst von 1975 – 2011 als Leh rer. und geschrieben Natürlich war es in Scherrers jungen Jahren Heinz Abler üblich, sich an US-amerikanischen Vorbildern, wie John Coltrane oder Wayne Shorter auszu- richten, wobei es ihm Joe Henderson besonders angetan hatte. Ihm zollte er in Form einer CD Tribut (Serenity, A Tribute To Joe Henderson, Harold Mabern Unit Re cords, 2004). Diese Aufnahme ist eine US-amerikanischer Pianist des Hard Bop, der wenigen, die unter seinem Namen veröf- 20.03.1936 – 19.09.2019 fentlicht wurde. Seine Beiträge setzte er in For - Mabern, der nach eigener Aussage Autodi dakt mationen wie Isla Eckingers Hot Mallets oder war und in vielerlei – auch stilistischen Zusam- Klaus Königs Magog. Zudem war er Mitglied menhängen u.a. mit Lionel Hamp ton in Er - in Grossformationen wie der George Gruntz scheinung trat – war nicht Träger eines grossen Concert Jazz Band oder Matthias Rüeggs Namens. Aber als vielbeschäftigter Sideman Vienna Art Orchestra. Neben vielen Auftritten spürte er den Lufthauch von Überfliegern, wie Andy Scherrer als Sideman belebte er die Szene auch mit etwa Miles Davis, Sonny Rollins, Wes Mont - Schweizer Tenorsaxofonist des Postbop seinem Quartett bestehend aus Wi lliams Evans gomery oder Rhasaan Roland Kirk. In den 10.10.1946 – 26.11.2019 (p), Isla Eckinger (b) und Dré Pallemaerts letzten Jah ren hörte man ihn oft im Quartett Es ist kaum vermessen, Andy Scherrer zu den (dm) In den letzten Jahren beeindruckte er im zusammen mit dem Tenorsaxofonisten Eric Grossen des Schweizer Jazz moderner Prägung Quartett seines ehemaligen Schülers Donat Ale xander. zu zählen. Er gehörte zu jenen Musikern, die uns Fisch, wo er seine Qualitäten als ebenso ele- neben der Bühne leise, zurückhaltend und be- ganter wie ausdrucksstarker Saxer ausspielen Richard Wyands scheiden begegnen. Betreten sie jedoch das konnte. Es entsprach seinem Naturell, sich nicht US-amerikanischer Pianist des Modern Jazz, Podium und finden mit jedem Ton mehr und in den Vordergrund spielen zu müssen, son dern 02.07.1928 – 25.09.2019 mehr in ihre Musik hinein, wachsen sie zu dem Ganzen zu dienen, in idealer Weise. Wyands stammte aus der Bay Area um San Fran- Giganten ihrer Kunst. Andy Scherrer hat dem Schweizer Jazz nicht cisco und war dort Hauspianist im be rühmten Nachdem er der Kindheit und Jugend in Glarus nur als aktiver Musiker – er war im Übrigen Black Hawk Club. Gelegentlich begleitete er entwachsen war, nahm er Wohnsitz in seiner auch ein bemerkenswerter Pianist –, sondern Sängerinnen, so kurzzeitig Ella Fitzgerald oder Wahlheimat Basel. Zu Zeiten seiner Jugend war auch als Lehrer unzäh liger Schüler, die zum Carmen McRae. Während zehn Jahren (1965 – eine akademische Aus bildung zum Jazzmusiker Saxofon gegriffen haben, viel gegeben. Da 75) war er Mitglied des Kenny Burrell Quartets. noch ausser Sichtweite, so dass er nach Versu- insbesondere das Tenorsaxofon ein Schlüsse l- Obzwar auch er nicht Träger eines strahlenden chen an der Violine sich das Saxofonspiel selbst instrument des Modernen Jazz ist, kann man Namens war, stand der Seinige dennoch auf beibrachte. Erst am Ende seiner Zwanziger nahm in Andy Scherrer mithin eine Schlüsselfigur un gezählten Plattencovers ( 51 Alben). er klassischen Saxofonunterricht. Später, nach- des Schweizer Jazz erkennen.

Lawrence «Larry» Willis Herbert Joos des beliebten DRS-2-Apéro wirkte. US-amerikanischer Pianist des Hard-/ Deutscher Trompeter/Flügelhornist des zeit- Als Pianist und Keyboarder orientierte er sich Postbop, 20.12.1942 – 29.09.2019 genössischen Jazz, 21.03.1940 – 07.12.2019 zunächst in den 70er Jahren am damals hoch Willis, der seine Karriere bei Blue Note als Pia- Joos zählte zu jenen Trompetern und insbe - gehandelten Jazzrock in der Gruppe Tetragon. nist des Jackie McLean Quartets (right now!, sondere Flügelhornisten, die demonstrierten, Nach seiner Frühpensionierung 2005 stellte 1962) lancierte, wurde später ein gefragter Mit - dass ihr Instrument eben ein Blasinstrument er sich vermehrt im Trio, zuweilen ohne Schlag- spieler auf mehreren hundert Aufnahmen, mit ist, indem er die begleitenden Blas- und Atem- zeug, insbesondere mit Bill von Arx (g) sowie unzähligen Musikern des Hard/Postbop. Bemer - geräusche hörbar in sein Spiel integrierte. Damit Beat Ramseier (e-b) oder Roman Dylag (b) kenswert war aber auch seine Mitwirkung als ist auch gesagt, dass Joos ein experimentier- vor. Aber auch seine Mitwirkung in grösseren Pianist bei der Rockjazz Gruppe Blood, Sweat freudiger Jaz zer war, der oft auch zum Eupho- Formationen u.a. mit Hazy Osterwald oder & Tears in den 70er Jahren. Da griff er oft in nium oder gar Alphorn griff. Bekannt sind seine der Gruppe Triple Sax (mit Bruno Spoerri, die Tasten des E-Pianos. Willis zeichnete sich Beiträge im Vienna Art Orchestra, dem er Ernst Gerber und Mario Schneeberger) schliesslich auch als Komponist/Arrangeur aus. lange Jahre als Stütze angehörte. Nicht zu ver - zeugten von seiner Vorliebe für stilüber - gessen sind seine Arbeiten als Gra fiker, wo er greifendes Swingen. Peter «Ginger» Baker Berühmtheiten des Jazz porträtierte, die man Britischer Schlagzeuger des Rock gelegentlich auf Titel bildern der Zeitschrift Jazz Wolfgang Dauner 19.08.03.1939 – 06.10.2019 Podium be wundern konnte. Deutscher Pianist/Keyboarder/Komponist Baker einen Jazzschlagzeuger zu nennen, mag des zeitgenössischen Jazz einige zu Unrecht befremden, denn er spielte Beat Uhlmann 30.01.1935 – 10.01.2020 häufig an der Schnittstelle Rock-Jazz und ver - Schweizer Klarinettist/Saxofonist des traditionellen Jazz, 06.09.1945 –12.06.2019 Dauner war im besten Sinne des Wortes ein wischte die Grenzen. Insbesondere die legen - zeitgenössischer Musiker, der weder stilmässig, däre Formation The Cream, mit Jack Bruce (e-b) Uhlmann gehörte zu den langjährigen Mit - noch musikkulturell oder instrumentell unter und Eric Clapton (e-g), pflegte im engen impro- gliedern der Wolverines Jazz Band Bern. Berührungsängsten litt. visatorischen Interplay ein am Jazz angelegtes Diese wurde nach dem Vorbild der berühmtem Spielideal. Baker war auch ein Pionier in der Wolverines (mit Bix Beiderbecke) aus dem Als Tüftler brachte er sich vieles selber bei, um Verwendung des doppelten Bassdrums, einer Chicago der Zwanziger Jahre gegründet. Beat nach moderatem Start als Begleiter und im heute verbreiteten Spielweise. Uhlmann gehörte der Band von 1964–2014 als Pianotrio, nach Massgabe von Bill Evans, in Klarinettist und Saxofonist an. Die Amateurband die Elektronik auszugreifen. In den Siebziger , und so Milcho Leviev pflegt einen Stil des traditionellen Mainstream, blies der Zeitgeist den Rock in die Stube wur den Fusion und Rock jazz ins Werk gesetzt. US-amerikanischer Pianist des Modern Jazz, und nahm zahlreiche Ton-und Bildträger auch Zunächst in der Wolfgang Dauner Group und 19.12.1937 – 12.10.2019 mit US-Grössen, wie Wallace Davenport oder Ralph Sutton auf. später der Formation Et Cetra bewegte man Leviev, der aus Bulgarien stammte und dort die sich zudem in die Nähe des Free Jazz. Er war ersten Schritte seiner Karriere ansetzte, gründete Willy Bischof auch Initiator und prägendes Mitglied einer mit dem Flötisten Simeon Shterev die Gruppe päi schen Schweizer Pianist/Produzent des der langlebigsten Gruppen des euro Jazz Focus’65, mit der er u.a. auch in Montreux des international besetzten United Jazz Modern Jazz, 28.01.1945 – 23.12.2019 Jazz, auftrat. Nach der Übersiedlung via Deutschland + Rock Ensembles (1977–2002). in die USA 1970 machte er zunächst als Pianist Bischof widmete sein Berufsleben eher der Dauner wäre nicht Dauner ge wesen, hätte er des Don Ellis Orchestra von sich reden, wo Produktion von Radio-Jazzsendungen mit den nicht auch in jener Zone gewildert, die gemein- er auch als Arrangeur und Komponist für kom p- zugehörigen journalistischen Inhalten als dem hin als E-Musik firmiert. Zumal ihm derlei lexe, an Balkanfolklore erinnernde Rhythmik Dasein als aktiver Musiker. Hierbei bot ihm Schubladen nichts bedeuteten. Die Jazz-Oper zuständig war. Später erwarb er sich Verdienste Radio DRS die Plattform, wo er als Redaktor, «Der Urschrei» möge als Bei spiel dienen. als Lehrer für Jazz-Komposition an der Univer- Moderator und Verantwortlicher für Formate, sität von Südkalifornien. wie Jazztime, Jazz Classics und insbesondere Weiterlesen auf Seite 16

15 Schliesslich war er auch als Kom ponist von Uster für das swissjazzorama wurde Mu sik für Film und Fernsehen unterwegs. Am In eigener Sache durch eine politische Farce bis zum Schluss kehrte er dorthin zurück, wo er einst 20. Januar hinaus gezögert, da ein begonnen hatte: Ans Klavier, häufig solo. Rekurs die Stadt Uster zu einem Jack Sheldon Kurzbericht über NOT-Budget für das Jahr 2020 zwang. US-amerikanischer Trompeter des West Jetzt ist es aber klar: das SJO erhält Coast Jazz, 30.11.1931 – 27.12.2019 Vereins-Tätigkeiten für zwei Jahre eine Erhöhung von Sheldon gehörte zu den stilbildenden West- im letzten Halbjahr CHF 20 000.-– auf total CHF 45 000.–. Coast-Musikern und ist, wie so viele seiner Kollegen, aus dem Stan Kenton Orchestra hervorgegangen. Ob sie nun Gerry Mulligan, Die Ernst Göhner Stiftung in Zug Jimmy Giuffre, Herb Geller, Wardell Gray, Das swissjazzorama im Spiegel hat ebenfalls für die nächsten drei Curtis Counce usw. hiessen, irgendwann stand der Presse! In der NZZ erschien ein Jahre einen Beitrag von je 15 000.– Jack Sheldon an ihrer Seite. Da sich Hollywood grösserer Artikel (28.10.2019) mit zugesagt. gleich um die Ecke befand, versuchte er sich neben vielerlei Jobs als Studiomusiker auch detaillierten Aus sagen zum Wirken erfolgreich als Schauspieler. Ihm ist ein Doku- des swissjazzorama und zu seiner SHOP Der Verkauf von CDs mentarfilm Trying to get good – the Jazz finan ziellen Basis. und LPs läuft zurzeit zweispurig: Odyssey of Jack Sheldon (2008) gewidmet. 1. Über die Webseite

Claudio Roditi Unterstützungs-Angebote von Inter- www.jazzorama.ch Brasilianischer Trompeter/Flügelhornist essenten haben zu Aktionen geführt 2. Über das Angebot des Postbop, 28.05.1946 –17.01.2020 wie die «Miet-Patenschaft» und der von www.ricardo.ch Roditi mit seiner brasilianischen Herkunft wäre «Rettungsschirm». Auf der Titelseite Verkäufer «Alba Varden» Unrecht getan, wollte man ihn ausschliesslich unserer Web seite sind die dazu- Speziell günstige Angebote sind in die Latin-Schublade sperren. Zwar interes- sierte ihn die Verbindung Latin-–Jazz durchaus, gehörenden Unterlagen einsehbar. zurzeit im Shop in Uster erhältlich. aber er war dennoch in vielen Kontexten zu Darunter sind Doppel-und Drei - finden, die man eher dem Hard- oder Postbop Im November realisierte das West- fach-CDs sowie eine Auswahl von zuordnen kann. 1970 übersiedelte er in die schweizer Radio RTS eine Live- Intakt-CDs. Doppelte Schweizer USA um am Berklee College of Music zu Sendung zum swiss jazzorama, die CDs sind ebenfalls zu einem Spezial- studieren. Danach fand man ihn etwa in der Big Band von Dizzy Gillespie und häufig in eine Woche lang jeden Mor gen im preis erhältlich. Deutschland wo er in der Band des Pianisten Radio-Pro gramm aus gestrahlt wurde. Klaus Ignatzek mitwirkte. Ein schönes Beispiel Im Personalbereich suchen wir für Roditis musikalische Intention bietet das Der Gemeinderat Uster befasste sich zwei Hilfs kräfte. Jemanden für die Album Brazilliance X4 von 2009. mit einem politischen Vorstoss, der u.a. Registrierung von Singles (45 Touren), Jimmy Heath eine Erhöhung des jährlichen Betriebs- (diese Arbeit kann zuhause für das US-amerikanischer Tenorsaxofonist beitrages für das swissjazzorama swissjazzorama erledigt werden), des Postbop, 25.10.1926 –19.01.2020 beinhaltete. Tele «Z» machte in der und jemanden für den Shop zur Jimmy war altersmässig der mittlere der drei Folge eine Sen dung, die ebenfalls eine Aus sortierung von LPs aus dem Heath-Brüder, zu denen der 2005 verstorbene Bassist Percy (Jg. 1923) und der noch lebende, Woche lang aus gestrahlt wurde. riesigen Bestand doppelter LPs. 1935 geborene Drummer Albert «Tootie zäh - Wir freuen uns auf weitere Kollegin- len. Sie alle waren in der berühmten Familien- Die Entscheidung für eine Erhöhung nen und Kollegen, die sich ehrenamt- gruppe The Heath Brothers versammelt, die des jährlichen Beitrages der Stadt lich für die Sache «JAZZ» engagieren. ab Mitte der 70er Jahre mit Unterbrüchen immer mal wieder die Szene betrat. Zudem bot sich ihm als Überlebendem jener goldenen Bebop Generation um Miles Davis, Gillespie, Howard McGee, Milt Jackson u.a. die Chance, mit all diesen Koryphäen zusammen zu spielen. Buddha Scheidegger Einiges davon ist auf unzähligen Tonkonserven dokumentiert. Es zeigt, dass Jimmy Heath Soeben erreicht uns die traurige zwar kein überlauter, aber gefragter und sehr Nachricht, dass Buddha Scheidegger, geschätzter Partner war, dessen Kompositionen einer der bekanntesten Pianisten (z.B. Gingerbread Boy ,Miles Smiles 1966) und Bandleader des Schweizer Jazz, Aufnahme in manches Repertoire fanden. in seinem 80. Lebensjahr am 26. Februar 2020 verstorben ist. Heinz Bühler Gerne werden wir in der nächsten Schweizer Tompeter des traditionellen Jazz Nummer des Jazzletters seine 06.08.1941 – 19.01.2020 Jazzaktivitäten würdigen. Er begann mit 14 Jahren Trompete zu spielen. 17-jährig machte er die ersten Platten- aufnahmen. In der Folge war er in diversen Schweizer Bands tätig: 1956 – 1959: Teacher Training College Band. Heinz Bühler (am Bass: Andi Reinhard) Impressum 1960 – 1964: The Nameless Zürich. 1962 – 1969: Harlem Ramblers. Diese hatten rere Alben veröffentlichte. Vor allem freuten Der Jazzletter erscheint 2–3 x jährlich wöchentliche Auftritte im Zürcher Africana ihn die Aufnahmen mit dem britischen Tenor - Redaktion: Jimmy T. Schmid (J.T.S.) und später in der Casa Bar. saxofonisten Danny Moss. Walter Abry (WA, Layout), Heinz Abler (ha), Zwischen 1963 und 1967 erreichte er am 2012: Wolverines Jazzband Bern. Fernand Schlumpf (fs) Zürcher Amateur Jazzfestival mehrfach Preise Dort ersetzte er Hans Zurbrügg. Copyright: swissjazzorama als bester Trompeter im «alten Stil». 2016: Bauchnuschti Stompers. Ackerstrasse 45, 8610 Uster, +41(0)44 940 19 82 1969: New Harlem Ramblers (Mitbegründer). Diese Zusammenstellung der musikalischen [email protected] www.jazzorama.ch Dort war er an Konzerten mit internationalen Tätigkeiten von Heinz Bühler attestieren ihm, Mitarbeiter dieser Nummer: Heinz Abler (ha), Stars wie Albert Nicholas, Bill Coleman, Benny dass er über viele Jahre bei Musikern und Walter Abry (WA), Heinrich Baumgartner, René Waters u.a. beteiligt. Zuhörern ein sehr be achteter und beliebter Bondt, Hans Peter Künzle, Fernand Schlumpf (fs), 1988: Buddha’s Gamblers mit denen er meh- Swing-Trompeter war. WA Jimmy T. Schmid (J.T.S.), Albert Stolz, Irène Spieler

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