Okka Gundel

11 Freundinnen müsst ihr sein

Warum Frauenfußball begeistert

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Originalausgabe April 2011 Copyright © 2011 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden. Redaktion: Franz Leipold, München Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Umschlagabbildung: Satz: Adobe InDesign im Verlag Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck Printed in ISBN 978-3-426-78449-5

2 4 5 3 1 Für Karsten. Meinen größten Fan. Danke für ein wunderbares Leben.

Inhalt

Vorwort von Dr. Theo Zwanziger ...... 9 Einleitung ...... 11 Frauenfußball in Deutschland – eine einmalige Erfolgsgeschichte ...... 15 Die zarten Anfänge ...... 17 Hannelore Ratzeburg – die Pionierin...... 18 Der große Tag ...... 22 Die Geburtsstunde der Nationalmannschaft ...... 23 Europameisterschaft 1989 ...... 26 Frauenfußball in der DDR...... 37 Weltmeisterschaft 2003 ...... 40 Jahre in der Weltspitze – Bilanz und Ausblick...... 45 Ladylike – 12 Fußballfrauen im Porträt ...... 47 ...... 49 ...... 61 Fatmire »Lira« Bajramaj...... 73 Martina Voss-Tecklenburg ...... 82 ...... 93 Nia Künzer ...... 102 ...... 111 ...... 122 Alex Popp ...... 131 ...... 141 ...... 162 Bibiana Steinhaus ...... 162 Dr. Theo Zwanziger – Übervater der Frauen-Nationalmannschaft ...... 173 Rituale – ein Blick in die Kabine ...... 177 Anekdoten aus der »guten alten Zeit« des Frauenfußballs ...... 182 Schiedsrichter 2487 / 72...... 182 China 1991...... 184 Polen 1992 ...... 187 Irgendwann im Ostblock...... 189 »Damen« oder »Frauen« – »Ladies« oder »Women« ...... 191 Vom Flatterhemd zum Girls Cut ...... 193 Fußballstiefel und andere Stiefel ...... 195 Abpfi ff ...... 197 Frauenfußball und Integration ...... 201 von Dr. Theo Zwanziger

8 Vorwort

ch bin ein Freund des Frauenfußballs. Gelegentlich wird I dieses Bekenntnis als Abgrenzung zum Männerfußball missverstanden, den ich jedoch auch – bereits seit Jahrzehn- ten – mit großer Leidenschaft begleite. Weil es einen gab, einen Uwe Seeler, einen Franz Beckenbauer und mein großes Idol Günter Netzer. Durch die großartigen Erfolge unserer Frauen-National- mannschaft in den vergangenen Jahren haben sich auch in diesem Bereich tolle Persönlichkeiten entwickelt, die für viele fußballbegeisterte Mädchen zu Identifi kationsfi guren geworden sind. Einige von ihnen werden in diesem Buch vorgestellt. Meine ganz persönliche Lieblingsspielerin, das ist längst kein Geheimnis mehr, ist . Sie hat mei- ne Begeisterung für den Frauenfußball entfacht als sie vor einigen Jahren ein ohnehin schon sehr ansehnliches DFB- Pokalendspiel in mit ihrer technischen Brillianz und Raffi nesse zu einem besonderen Spektakel machte. Zuvor ging es mir wie vielen, die den Frauenfußball zu- nächst skeptisch beurteilen. Zu selten hatte ich mit der nöti- gen Aufmerksamkeit ein Spiel unserer Frauen-National- mannschaft oder der Frauen-Bundesliga gesehen. Will man die Faszination des Frauenfußballs beschreiben, endet dies häufi g in Vergleichen zum Männerfußball. Damit wird man aber beiden Sportarten nicht gerecht. Es gibt begeisternde Elemente auf der einen Seite, die auf der anderen nicht zum

9 Tragen kommen – und umgekehrt. Sich auf den Frauenfuß- ball einzulassen bedeutet auch, sich loszulösen von Kli- scheedenken, von Vorurteilen, von Vorverurteilungen. In Bezug auf den gesamten Fußball birgt der Frauenfuß- ball vor allem enorme Chancen. Aktuell haben wir im Deut- schen Fußball-Bund fünfzehn Prozent weibliche Mitglieder. Das ist noch viel zu wenig. Der Boom beim Mädchenfußball ist längst kein Strohfeuer mehr. Durch die demografi sche Entwicklung werden sich bei den Jungs als auch bei den Männern die Teams reduzieren. Die Mädchen sind die Zu- kunft. Sie brauchen eine faire Chance in den Vereinen und dürfen nicht das Gefühl vermittelt bekommen, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Die große integrative Kraft des Fußballs offenbart sich in der beeindruckenden Lebensgeschichte von Nationalspiele- rin Fatmire Bajramaj, die ursprünglich aus dem Kosovo stammt. Sie ist ein Vorbild für viele junge Fußballerinnen mit muslimischen Wurzeln, und es muss unser Ziel sein, künftig noch viel mehr Mädchen mit ähnlicher Geschichte durch den Fußball in die Gesellschaft zu integrieren und ih- nen zu helfen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Die Ausrichtung der FIFA Frauen-Fußballweltmeister- schaft 2011 bietet eine großartige Möglichkeit, diese Chan- cen wahrzunehmen und den Frauenfußball in unserem Land nachhaltig zu etablieren. Die Identifi kation mit unseren Spielerinnen voranzutreiben ist dabei eine wichtige Aufga- be. Das vorliegende Buch trägt dazu in informativer, unter- haltsamer und zuweilen nachdenklicher Weise bei.

Dr. Theo Zwanziger

10 Einleitung

IFA-Präsident Sepp Blatter mag zwar nicht der sympa- F thischste aller Zeitgenossen im Fußball sein, aber er ist mächtig, und manchmal landet auch er einen Volltreffer. »Die Zukunft des Fußballs ist weiblich«, sagte Blatter schon 1995. Und für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Er hatte recht. Frauenfußball hat ein enormes Potenzial; er wird seinen vorläufi gen Höhepunkt mit der Weltmeister- schaft 2011 in Deutschland erreichen. »Frauen sind Zicken und haben keine Ahnung von Fuß- ball.« – willkommen in der Welt der Klischees! Und davon gibt es im Frauenfußball genug. Alle Fußballerinnen sind lesbisch, keine rasiert sich die Beine, sie sind langsam und unathletisch … Wer heute noch so etwas behauptet, hat die letzten zehn Jahre verpennt. Guten Morgen! Frauenfußball ist nach der ersten Dekade des neuen Jahr- tausends vor allem eins: erfolgreich. Und warum? Weil Fuß- ballerinnen ihren Sport lieben. Sie sind nicht satt wie viele männliche Profi s, sondern hungrig nach Erfolg. Es ist pure Leidenschaft. Für ihren Sport würden sie alles tun. Im Ge- gensatz zum Männerfußball, bei dem jeder Durchschnitts- kicker heutzutage Millionen nach Hause schleppt, ist Frau- enfußball bei weitem noch keine Gelddruckmaschinerie. Nur die Topelite des deutschen Frauenfußballs kann vom Sport allein leben, die meisten jedoch spielen aus Idealismus. Sie geben ihr Herzblut.

11 Für Frauen ist Fußball mehr als nur ein Sport. Wenn wir sehen, wie die deutsche Nationalelf einen Titel nach dem an- deren abräumt, dann sind das die Highlights im Leben einer Fußballerin. Der Alltag jedoch sieht anders aus. Neben Schule, Ausbildung und Job geht’s zum Training, teilweise zweimal am Tag. Fast alle brauchen ein zweites Standbein für das Leben nach dem Fußball. Bis vor wenigen Jahren mussten sich viele Fußballerinnen verteidigen, weil sie diesen Sport betreiben, der doch eigent- lich ein Männersport ist. Sie waren Außenseiter, wurden be- lächelt und verhöhnt. Fußball war schließlich Sache der Män- ner. Emanzipation? Im Fußball wurde sie lange ignoriert. Bis 1970 war der Frauenfußball im DFB sogar verboten. Aber schließlich sind diejenigen, deren Leidenschaft für diesen Sport stärker als das Machotum war, als Sieger hervorgegan- gen. Ausgerechnet ein Mann hat den deutschen Frauenfuß- ball nach oben torpediert: Dr. Theo Zwanziger, seit 2004 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Er hat sich nicht nur als echter Fan des Frauenfußballs geoutet, sondern ist auch ihr größter Förderer. Er war es, der die Weltmeister- schaft nach Deutschland geholt hat. Mittlerweile zeigen der Daumen und der Trend im Frau- enfußball nach oben. Es hat sich was geändert. Frauenfuß- ball ist ein Hingucker geworden, und zwar in vielerlei Hin- sicht. Frauenfußball ist guter Fußball. Er ist schneller ge- worden, athletischer, aggressiver, und er hat ein hohes technisches Niveau erreicht. Er erinnert an den attraktiven Männerfußball in den 1970er und 1980er Jahren – damals, als es noch schöne Spielzüge gab, als man sich Spiele nur aus der Perspektive der Führungskamera angucken konnte, ohne einzunicken.

12 Außerdem ist Frauenfußball etwas fürs Auge geworden. Wir sehen absolut durchtrainierte Mädchen, die Wert auf ihr Äußeres legen. Attraktivität auf dem Platz ist wichtig. Frau- enfußball ist ein ästhetisches Erlebnis. Verkappte Manns- weiber, womit dieser Sport früher – teilweise auch zu Recht – automatisch assoziiert wurde, sind selten geworden. Wer aber sind unsere erfolgreichen Frauen im Fußball? Wir ha- ben in diesem Buch die Geschichten unter den Trikots aus- gegraben, die übrigens immer körperbetonter werden. Was hatte FIFA-Präsident Sepp Blatter 1995 noch gesagt? »Die Zukunft des Fußballs ist weiblich.« Und die Zukunft ist jetzt.

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Frauenfußball in Deutschland — eine einmalige Erfolgsgeschichte

ede Zukunft hat auch eine Vergangenheit. Die des Frau- J enfußballs in Deutschland hat eine sehr interessante und bisweilen sogar amüsante. Die Geschichte beginnt nach dem Zweiten Weltkrieg, das heißt, eigentlich beginnt sie noch nicht, denn am Anfang stand erst einmal ein Verbot …

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Die zarten Anfänge

In den 1950er Jahren, als wir nach dem Wunder von Bern endlich wieder wer waren, befand sich der Frauenfußball auf dem Nullpunkt. 1955 wurde er vom Deutschen Fußball- Bund (DFB) offi ziell verboten. Gleichberechtigung und Emanzipation waren damals noch Fremdwörter – nicht nur im Fußball. Deshalb war es nicht weiter verwunderlich, dass man scheinbar plausible Gründe für dieses Verbot fand. So hieß es zum Beispiel sinngemäß: »… dass diese Kampfsport- art der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd ist …; dass Körper und Seele unweigerlich Schaden erleiden …, dass das Zurschaustellen des Körpers Schicklichkeit und Anstand verletze und die Gebärfähigkeit beeinträchtige …« Nur als kleiner Sidekick: Nach dem Krieg durften Frauen schuften bis zum Umfallen. Niemand fragte damals, ob das auch der physischen Konstitution einer Frau entsprach. Wie auch im- mer, die Zeiten haben sich ja zum Glück geändert. Ende 1970 hob der DFB das Frauenfußball-Verbot auf seinem Bundestag wieder auf.

17 Hannelore Ratzeburg — die Pionierin

Hier beginnt die Geschichte der Hannelore Ratzeburg. Ihr Name ist Programm, wenn es um Frauenfußball in Deutsch- land geht. Sie war und ist immer noch eine Vorreiterin, die es aufgrund ihres unermüdlichen Einsatzes in der Verbandsar- beit als bisher einzige Frau bis ins DFB-Präsidium geschafft hat. Heute ist Hannelore Ratzeburg Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball. Eine, die immer und überall dabei ist. Eine, die alles miterlebt hat. So auch das Jahr 1970. Damals war die Hamburgerin neunzehn Jahre alt. Sie machte ein bisschen auf intellektuell und las gerne in der U-Bahn den Spiegel – Hannelore Ratzeburg, eine Rebellin aus traditionellem Haus. Die Zeit war geprägt von Jugend- revolten und Studentenunruhen, eine Zeit des Aufbruchs und Umbruchs. Dass der DFB das Verbot des Frauenfuß- balls aufgehoben hatte, ging damals dick und fett durch die Medien. Eine Sensation in Zeiten, in denen es noch die soge- nannte Hausfrauenehe gab, das heißt eine Ehe, in welcher der Mann auch rechtlich gesehen das Sagen hatte und eine Frau beispielsweise nur mit dem Einverständnis ihres Gat- ten arbeiten gehen durfte. Ratzeburg wurde durch die Auf- hebung des Verbots zum ersten Mal überhaupt auf Frauen- fußball aufmerksam. Sie war begeistert und sprang sofort auf den Zug auf – und bisher noch nicht wieder runter. Ihr damaliger Freund spielte 1970 Fußball bei West-Eims-

18 büttel. Auf der Weihnachtsfeier seines Vereins war Frauen- fußball ein heiß diskutiertes Thema unter den Spielern und Spielerfrauen. Der Tenor war schnell klar: Man wollte es ausprobieren. Anfang 1971 ergatterten die Frauen eine Hal- lenzeit fürs Training, das Hannelore Ratzeburgs Freund zu- sammen mit zwei Kumpels leitete. Er hatte ihr schon zu Weihnachten echte Hallenfußballschuhe geschenkt; damit war sie ganz weit vorne, denn die meisten Mädels kreuzten tatsächlich in ihren Gymnastikschläppchen auf. Alles war noch ein bisschen unbeholfen, aber sie juchzten und jauchz- ten, hatten richtig Spaß, fanden es spannend und auch schick. Die Akquise der Spielerinnen nahm Hannelore Ratzeburg selbst in die Hand. Neben ihrem Elternhaus befand sich ein Studentenwohnheim – der perfekte »Tatort« sozusagen, denn dort vermutete sie selbstbewusste Frauen und Sport- studentinnen, die sich nicht mehr von den Eltern reinquat- schen ließen und die sich auch nicht rechtfertigen mussten, ob und warum sie Fußball spielen wollten. Sie machte einen Aushang, und es meldeten sich tatsächlich mehrere Frauen; so viele sogar, dass sie ganz schnell eine Mannschaft aufstel- len konnten. Zur Rückrunde 1971 durften sie bereits in einer einfachen Runde spielen. Immerhin gab es damals in Ham- burg bereits achtundzwanzig Frauenmannschaften. Kurz vorher fand die Mitgliederversammlung des Sportvereins West-Eimsbüttel statt. Ihre Kameradinnen schickten sie dorthin, damit sie verschiedene Dinge wie Trikots, Bälle, Platzreservierung etc. ansprechen konnte. Als sie dort ihr Anliegen vortrug, waren die meisten Mitglieder entsetzt; ein Herr knallte sogar seinen Handstock auf den Tisch und rief: »Nehmt euch vor solchen Frauen in Acht!« Natürlich hatte

19 keiner der ausschließlich männlichen Verantwortlichen des Vereins Bock, sich um Hannelore Ratzeburgs »Probleme« zu kümmern. Stattdessen sollte sie erst einmal die wirkli- chen Probleme des Vereins kennenlernen. Und so wurde sie, nachdem sie noch vor Ort ihren Mitgliedsantrag unter- schrieben hatte, direkt in den Vorstand gewählt, um sich der Sache anzunehmen. Da war Hannelore zum ersten Mal al- lein unter Männern. Es sollte noch öfter so kommen, aber damit hatte sie nie ein Problem, auch wenn sie sich durchaus bewusst war, dass sie von den Männern damals keiner für voll genommen hatte. Egal! Das Gute an ihrer Vorstandsar- beit war, dass durch sie die Ehefrauen der wichtigen Herren auch auf Frauenfußball aufmerksam wurden. Und so lang- sam verstummten dann die überheblichen Stimmen in der abgehobenen Männerrunde. Hannelore Ratzeburg nahm ihr Amt und ihre Arbeit ernst, sie kümmerte sich um alles. »Dann ging die Party los«, wie sie noch heute stolz berichtet. Interessant waren die Aufl agen, die der DFB für die Frauen aufstellte:

• Die Spielzeit betrug nur zweimal dreißig Minuten. • Es sollte mit einem Jugendball der Größe 4 gespielt wer- den, der kleiner war als ein normaler Ball. • Bei Freistößen war die Schutzhand (Arme vor der Brust verschränkt) erlaubt. • Es sollten keine Schraubstollen getragen werden, weil sie schlecht für die Gelenke seien.

Hier also hatte der DFB doch noch einige Abgrenzungen zum Männerfußball parat, offi ziell zum Schutz der Frau. »Die Männer, die sich das ausgedacht haben, saßen wohl im

20 Biologie-Unterricht in der letzten Reihe. Das war doch to- taler Quatsch. Kein Mensch hat sich an diese lächerlichen Aufl agen gehalten, und es hat sie auch keiner kontrolliert«, erzählt Hannelore Ratzeburg. »Außerdem sollte offi ziell nur bei schönem Wetter gespielt werden. Auch das wurde ignoriert … zum Glück, denn sonst hätte ja niemals ein ge- regelter Spielbetrieb organisiert werden können.«

21 Der große Tag

Am 9. Mai war es soweit: Für Hannelore Ratzeburg stand das erste Spiel an, und zwar gegen den HSV. Endstand 0 : 6. Es war Muttertag. Ihre Mutter war natürlich nicht da. Sie wollte mit Frauenfußball nichts zu tun haben. Es war tro- cken, erinnert sich Hannelore Ratzeburg, und sie durften dieses Spiel auf dem heiligen Rasen austragen, wo sonst nur die Männerspiele stattfanden. Das galt allerdings nur für diese historische Premiere. Alle anderen Spiele fanden auf einem Asche- oder Hartplatz statt – immerhin tagsüber bei guten Lichtverhältnissen, während das Training am Abend auf einem schäbigen Ascheplatz ohne Flutlicht abgehalten wurde. »Es gab quasi nur einen Restposten Licht vom ande- ren Platz, und wir mussten im Halbdunkel trainieren.« 250 Zuschauer waren gekommen, fast nur Männer. Sie bogen sich vor Lachen, weil es ein katastrophales Match war. »Wie ein Bienenschwarm jagten alle Spielerinnen dem Ball hinterher. Kein Wunder, es war ja wirklich das erste Spiel für uns alle.« 0 : 6 verloren. So what! »Wir sind dann ins Clubheim gefahren. Die HSV-Frauen kamen mit, und wir haben zusam- men gefeiert, wie nach jedem Spiel. Einigkeit macht stark. Die anderen Frauenmannschaften hatten ja die gleichen Proble- me, das heißt wie nett oder nicht nett sie im Verein behandelt wurden. Es war immer wie eine Erfahrungsbörse«, schwärmt Hannelore Ratzeburg von dieser verschwörerischen An- fangszeit im Frauenfußball. Es hatte viel Menschliches!

22 Die Geburtsstunde der Nationalmannschaft

Im Jahr 1979 lud die UEFA alle Nationalverbände zu einer Frauenkonferenz ein. Auch Hannelore Ratzeburg als Mit- glied des DFB-Spielausschusses war dabei. Die UEFA wollte von allen Nationen ein Update zum Frauenfußball haben und bot an, entweder einen europäischen Vereinswettbe- werb oder einen Wettbewerb für Nationalmannschaften auszuschreiben. Hannelore Ratzeburg war damals schon ein ausgebuffter Fuchs in ihrem Metier; ihr war sofort klar, dass die einzelnen Vereine damit fi nanziell überfordert wären, während bei Nationalmannschaften der jeweilige Verband die Kosten tragen müsste. Die Abstimmung fi el für die Na- tionalmannschaften aus. »Dann war Holland in Not«, be- richtet Ratzeburg. Oder besser gesagt: Deutschland, denn es gab bis dahin keine deutsche Nationalmannschaft. Ratze- burg rief den damaligen Präsidenten Hermann Neuberger an und fragte, was sie nun tun solle – ohne Nationalteam. Neuberger sagte ganz schlicht: Dann stellen wir eben eine Nationalmannschaft auf. Kurzerhand wurde , der damalige Leiter der Trainer-Ausbildung an der Sport- hochschule Köln, zum Bundestrainer der Frauen ernannt. Bisanz hatte sich bis dahin noch nicht mit Frauenfußball be- schäftigt, und da bereits die ersten Qualifi kationsspiele für die Europameisterschaft vor der Tür standen, rekrutierte er fast die gesamte Mannschaft vom damaligen Branchenführer Bergisch Gladbach. Die Trainerin von Bergisch Gladbach,

23 Anne Trabant-Haarbach, machte er praktischerweise zu seiner Co-Trainerin. Dazu kamen ein paar Talente und Spie- lerinnen aus anderen Mannschaften. Nach einigen Trainingseinheiten stand im November 1982 das erste offi zielle Länderspiel der deutschen Frauennatio- nalmannschaft an, und zwar gegen die Schweiz im Stadion Oberwerth in Koblenz. Am Spieltag selbst machte sich Hannelore Ratzeburg mit dem Zug von Hamburg auf den Weg nach Koblenz, in einem kleinen abgetrennten Abteil. Ein Bummelzug, der an jeder Milchkanne hielt. ICEs gab es noch nicht. Kurz vor Koblenz kam sie mit einer älteren Dame ins Gespräch, die sagte: »Sie sind ja ganz blass, geht’s Ihnen nicht gut?« Ratzeburg erzählte der Dame von dem bevorstehenden Ereignis, dass sie aufgeregt sei wegen des ersten Länderspiels, wegen der Presse, die sich angekündigt hatte, wegen der ganzen DFB-Bosse, die kommen wollten, wegen der über 5000 Zuschauer, die erwartet wurden. Nie im Leben hatte sie damit gerechnet, dass jemals so viele Menschen ein Frauenfußballspiel schauen wollten. Dieser 10. November 1982 sollte ein Meilenstein des Frauenfußballs werden, und Hannelore Ratzeburg hatte kräftig daran mitgemeißelt. Trotzdem war sie sich nicht si- cher, ob wirklich alle den deutschen Mädels die Daumen drücken würden. Sollte es ein Fiasko werden, würden sich die Kritiker wieder laut zu Wort melden. Die Schweiz als Gegner – das war fast schon Tradition, denn auch die Män- ner hatten ihr erstes Spiel nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Schweiz bestritten. Zum Glück waren die Eidgenossen sehr fortschrittlich und hatten bereits ein Frauenteam. Im Stadion sah Hannelore Ratzeburg dann Präsident Neuber- ger und die Crème de la Crème des DFB. »Ich war ein klei-

24 nes Würstchen und kannte die ja alle gar nicht!« 5 : 2 siegte die deutsche Mannschaft, aber Hannelore Ratzeburg war immer noch schlecht. Die Aufregung. Vielleicht ist deshalb auch ihre Erinnerung an das, was nach dem Spiel geschah, sehr lückenhaft. Ob und wie sie noch gefeiert haben, das weiß sie nicht mehr. Die Frauen haben sich umgezogen, und es gab auch irgendwo was zu essen, meint sie sich zu erin- nern. Doch die meisten Spielerinnen sind dann auch abge- rauscht, weil sie am nächsten Tag ganz normal arbeiten mussten. Der historische 10. November 1982 war ein Mitt- woch.

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