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DISNovember 2007 PUT

Gibt es einen Linksruck? Alle einbeziehen. Eine solidarische Erwerbstätigenversicherung »… dreifach könnt ich den Tag füllen«. Die neue Liebknecht-Biografi e Vom Aufbau der »Neuen« – Berichte aus NRW, Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen … Wir sind alle die EL: Vor dem zweiten Kongress der Europäischen Linken

Arbeit im 21. Jahrhundert. Was ist ein »guter« Arbeitsplatz? Was tut DIE LINKE für soziale Arbeitsmarktpolitik? – Seite 10 © Erich Wehnert © Erich Betroffene zu Beteiligten machen 4 Vom Aufbau der neuen Partei: Düsseldorf, wir kommen! 26 Rezensiert 8 Mustergültig im Musterländle 28 Demokratie auf Bayerisch 29 Alte Idee mit neuen Aufgaben: Die Basis im Kaisersaal. Erfurt 30 ZITAT Genossenschaften. Gastkommentar 9 Aktiv in der Szene. DIE LINKE.queer 32 Willkommen auch mit zwölf 33 »Ich habe Die Arbeitswelt muss gerechter aufgegeben werden 10 Anfänge im Stadtrat 34 und wähle nicht mehr. Falls ich Alle einbeziehen. Eine solidarische Nachbelichtet 35 nun die Linke Erwerbstätigenversicherung 14 wähle, können Anpfi ff für SV Rote Socken 36 Sie mir garantie- Energisch 15 ren, dass ich Pressedienst 37 Ihnen bei nicht Martinstag 16 gehaltenen Wir sind alle die EL. Vor dem Wahlverspre- Was die IG Metall will 17 Kongress der Europäischen Linken 38 chen die Ohren abreißen darf?«, Nicht nur satt, sauber, trocken. Solidarität 39 fragt eine Frau Das Pfl egekonzept der LINKEN 18 Gregor Gysi. Sozialismus chinesischer Prägung 40 Flensburger Vor Ort 19 Tageblatt, Mindestens die Hälfte mit dem 2. November »dreifach könnt ich den Tag füllen«. Herzen: Andrej Hermlin 42 Die neue Liebknecht-Biografi e. Gespräch mit Annelies Laschitza 20 Briefe 45

Biedermann und Selbstentlarvung. Bücher 46 Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten in 24 Novemberkolumne 47

Traditionen 25 Seite achtundvierzig 48

ZAHL DES MONATS © Robert Bluhm © Robert 83

Deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt es bei der Le- benserwartung. Am höchsten ist sie bei Neugeborenen in Baden-Württem- berg: voraussichtlich 78 Jahre bei Jun- »You« nennt sich gen, 83 Jahre bei Mädchen (Berichts- Europas größte zeitraum 2004/2006). Die niedrigste Jugendmesse in Lebenserwartung haben voraussicht- . Zu ihr lich die Jungen in Mecklenburg-Vor- kamen Ende pommern und Sachsen-Anhalt (74,5 Oktober 150.000 Jahre) und die Mädchen im Jugendliche. (80,8 Jahre). Viele informierten sich am Stand von Linksjugend [‘solid] und der LINKEN.

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14 – 16, 10178 Berlin REDAKTION Stefan Richter, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: (030) 24 00 95 10, Fax: (030) 24 00 93 99, E-Mail: [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK MediaService GmbH BärenDruck und Werbung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin ABOSERVICE , Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS 12. November 2007

INHALT DISPUT November 2007 02 HERBERT WILZEK

53 Jahre, verheiratet, drei Töchter. Seit 1983 Wahl-Oberschwabe. Diplom-Psycho- loge und Betriebswirt. Aktives ver.di-Mitglied. Seit 16 Jahren Personalratsvorsit- zender am Zentrum für Psychiatrie Bad Schussenried. Vorsitzender der LINKEN im Landkreis Biberach (Baden-Württemberg). Hobbys: Politik, Tanzen, Fußball. © privat

Was hat Dich in letzter Zeit am meisten überrascht? Dass unser Gründungsparteitag so einvernehmlich und so erfolgreich verlaufen ist.

Was ist für Dich links? Die Werte Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit mit Leben zu füllen.

Was war Dein erster Berufswunsch? Förster

Wenn Du Parteivorsitzender wärst ...... würde ich großen Wert auf die Entwicklung der Organisationsstrukturen unserer Partei legen, damit unser hoher Anspruch, eine Partei neuen Typs zu schaffen, sich darin verwirklicht.

Was regt Dich auf? Das leichtfertige Nichteinhalten von Absprachen.

Wann und wie hast Du unlängst Solidarität gespürt? Erst vorgestern, als meine liebe Frau meine ganze Wäsche gebügelt hat.

Wovon träumst Du? Von schönen Frauen (wir haben drei Töchter), von Abenteuern (ich bin Per- sonalratsvorsitzender an einem Krankenhaus und Kreisvorsitzender unserer Partei) und von fernen Ländern (wir reisen gerne).

Wofür gibst Du gerne Geld aus? Für schöne Frauen, für Abenteuer und ferne Länder.

Möchtest Du (manchmal) anders sein, als Du bist? Nein, ich bin mit mir und meinem Leben äußerst zufrieden.

Müssen Helden und Vorbilder sein? Vorbilder müssen sein, ja. Für mich sind das Menschen, die etwas Wichtiges besser können als ich.

Wo möchtest Du am liebsten leben? Ich lebe sehr gerne in Oberschwaben, denn hier gibt es wirklich sehr liebe Menschen. Ich wünsche mir hier allerdings deutlich andere politische Mehrheiten – daran arbeite ich.

Worüber lachst Du besonders gern? Gemeinsam mit meiner Frau bei Veranstaltungen des Kabarettisten Volker Pispers.

Was bringt Dich zum Weinen? Die jahrzehntelange Umverteilung von Einkommen von unten nach oben.

Wovor hast Du Angst? Dass ich es nicht mehr erlebe, dass DIE LINKE in Oberschwaben Volkspartei ist.

Welche Eigenschaften schätzt Du an Menschen besonders? Wenn sie in der Lage sind, gute Laune zu verbreiten und dabei differenziert und nicht oberfl ächlich sind, wie Beate, Anne, Ina, Stella, Stefan, Fabian, Siggi, Moni, Martin, Sonja, Uwe, Michael und Monika.

Wie lautet Dein Lebensmotto? Fröhlich sein, Gutes tun und die Schwarzen pfeifen lassen.

30 DISPUT November 2007 FRAGEZEICHEN Betroffene zu Beteiligten machen Mitglieder des Parteivorstandes stellen sich vor

Brigitte Ostmeyer xus leisten, selbst zu bestimmen, was Beispiel eine Carsharing-Zweigstel- ich machen will. le gegründet – leider eine totaler Flop Das hätte ich mir vor drei Jahren nicht Während des späten Studiums der in der Autoregion von Daimler und Por- träumen lassen: Ich stelle mich als Mit- Politikwissenschaft, Soziologie und sche. Meine Vision ist nach wie vor ein glied des Parteivorstandes der LINKEN Rechtswissenschaft an der Fernuniver- intelligentes Mobilitätskonzept – war- im »DISPUT« vor! Damals, 2004, konnte sität Hagen (M.A. 2003) setzte ich mich um nicht kostenloser ÖPNV, aus Steu- ich all die Argumente der Regierenden unter anderem intensiv mit der »Sinn- ermitteln fi nanziert? Mein Ziel ist es, Al- zur anscheinend alternativlosen Politik frage« auseinander, die mich mein ternativen zum Ressourcen fressenden nicht mehr hören. Den Kurs der Umver- ganzes Arbeitsleben beschäftigt hat; Lebensstil zu entwickeln und damit ak- teilung von unten nach oben mit Sach- deshalb war ich auch Mitglied im FIfF tive Friedenspolitik zu machen. zwängen zu begründen, das war aus (Forum Informatiker/innen für Frieden Mein Parteieintritt bei den Grünen meiner Sicht ein Abdanken der Politik, und gesellschaftliche Verantwortung): 1997 war ein Versuch, innerhalb der die Aufgabe jeglichen politischen Ge- Partei die von mir vertretenen ökolo- staltungswillens und nicht zuletzt ein gischen, wachstums- und kapitalis- Versuch, »das Volk« zu verblöden. Toll, muskritischen sowie radikalpazifisti- dass sich dagegen die WASG gründete. schen Positionen zu stärken –, und das Am 8. März (!) 2005 wurde unser Kreis- ist auch mein Ziel innerhalb der LINKEN. verband in Böblingen gegründet, da- Kurz gesagt war die Zeit bei den Grü- nach war ich beim Bundesparteitag in nen eine große Enttäuschung. Als De- Dortmund dabei, wurde vom Landes- legierte bei den Bundesparteitagen er- parteitag in den Länderrat gewählt und lebte ich, wie linke und pazifi stische vom Länderrat dann in die Steuerungs- Positionen zu einer exotischen Minder- gruppe auf Bundesebene. heit wurden. Als Sprecherin des Orts- Natürlich ging das mit dem Zusam- verbandes Böblingen organisierte ich mengehen von WASG und Linkspar- vor meinem Austritt im Oktober 2001 tei.PDS ein bisschen sehr schnell, wir noch eine Veranstaltung für attac (»Ei- waren leider zu Getriebenen des po- ne andere Welt ist möglich«), und mein litischen Kalenders geworden. Und Ortsverband verabschiedete einen Be- nicht selten argumentierten in diesem schluss, keine Mitgliedsbeiträge mehr Prozess nun unsere Vorstandsmitglie- an die Bundespartei abzuführen, so- der mit den alternativlosen Sachzwän- lange sie bei ihrer Afghanistanposition

gen – nicht eben zur Freude der Ba- Storz © Martin bleibt – große Aufregung! sis. Meine Grundüberzeugung war und Der logische Schritt danach war der ist aber, dass wir nur gemeinsam eine Eintritt bei attac. Allein durch außer- Chance haben, die Politik nach links zu Nur gemeinsam parlamentarische Bewegungen Druck rücken! zu erzeugen, scheint mir (ohne Gene- Ein Rückblick auf mein Leben vor der eine Chance ralstreik) nicht sehr aussichtsreich, lei- LINKEN: Nach einer technischen Lehre der waren auch die Montagsdemos re- absolvierte ich über den zweiten Bil- ■ ■ lativ erfolglos. dungsweg ein Informatikstudium, ar- Erst durch DIE LINKE im Parlament beitete am Uni-Rechenzentrum in Stutt- bewegt sich etwas, wie der Sonder- gart und seit 1981 im Forschungslabor die Verstrickung der Computerindus- parteitag der Grünen und der (schein- der IBM in Böblingen. Drei dieser Be- trie in die Rüstung, die Verantwortung bare?) Kurswechsel der SPD zeigen, rufsjahre (1987/1990) verbrachte ich von InformatikerInnen für Wegrationali- beide Parteien scheinen endlich die in Kalifornien – zu deutschen Arbeits- sierung von Arbeitsplätzen, die gesell- Meinungsmehrheit »draußen auf der bedingungen, die übrigens von den schaftlichen Auswirkungen der von uns Straße« zur Kenntnis zu nehmen. Zu amerikanischen KollegInnen als pa- entwickelten Informations- und Kom- befürchten ist allerdings, dass diese radiesisch empfunden wurden im Ge- munikationstechnologien usw. Warum Wirkung in den Medien genutzt wird, gensatz zu ihrem von Unsicherheit ge- führt der technisch ermöglichte Pro- DIE LINKE für überfl üssig zu erklären – prägten Arbeitsleben. Genau diese Un- duktivitätszuwachs nicht zu drastischer dagegen müssen wir im Parteivorstand sicherheit kennzeichnete allerdings ein Arbeitszeitverkürzung, sondern zu Ar- und an der Basis Strategien entwickeln, paar Jahre später auch die deutsche Ar- beitsverdichtung und Arbeitslosigkeit? um glaubwürdig als ökologischste, so- beitswelt, weshalb ich mich als IG Me- Das muss doch politisch zu gestalten zialste und »friedlichste« Partei in der tall-Mitglied seit 1993 im Betriebsrat sein – wenn es gewollt ist! Öffentlichkeit (Rolle der Medien!) an- engagierte (meist freigestellt für die Und damit bin ich in der Politik an- zukommen. Betriebsratsarbeit). Ende 2005 been- gekommen. Seit den 70er Jahren habe Es wäre begrüßenswert, wenn wir dete ich 53jährig das Arbeitsverhältnis ich mich in örtlichen Friedens- und öko- uns für eine intensive Diskussion darü- bei IBM und kann mir seither den Lu- logischen Initiativen getummelt, zum ber im Parteivorstand die Zeit nehmen

ANSICHTEN DISPUT November 2007 04 würden – am Besten im Rahmen einer Überall im Land wurde plötzlich über werden muss, werden wir nur errei- Klausurtagung. So hätten wir zusätzlich die Gründung einer neuen Partei dis- chen, wenn unsere Ideen in der Gesell- die Möglichkeit, uns in diesem 44-köp- kutiert. In jeder größeren Stadt fanden schaft hegemonial werden. Das heißt, fi gen »Riesenvorstand« etwas besser erste Treffen statt. Im Sommer 2004 wir müssen Bündnisse schmieden, Wi- kennenzulernen und zu verstehen und gründeten wir dann den Verein »Wahl- derstand an konkreten Punkten organi- Ost-West-Biografi en auszutauschen. alternative Arbeit und soziale Gerech- sieren und natürlich auch in Parlamen- PS: Unbedingt muss ich noch eine tigkeit«. Wir hatten uns für dieses Mo- ten und Talkshows für unsere Konzepte Antwort an den geschätzten Vorstands- dell entschieden, weil wir wollten, dass werben. Wir dürfen aber niemals die Il- Kollegen (oder heißt es »Genossen«?) sich die vielen Menschen, die wir bis lusion haben, dass Parlamente etwas Jürgen Klute loswerden: Im Gegensatz dahin als Mitstreiter/innen gewinnen Grundlegendes verändern können. zu ihm halte ich Sport nicht für eine konnten, aktiv an der Gründung einer Die Aufgabe der LINKEN sehe ich Form der Energieverschwendung (Sep- Partei beteiligen. Die Partei, die wir darin, die versteinerten Verhältnisse tember-DISPUT), sondern hole mir jede wollten, sollte nicht von ein paar we- zum Tanzen zu bringen. Dazu versuche Menge Energie beim Joggen, Schwim- nigen aus dem Boden gestampft wer- ich im Parteivorstand meinen Beitrag men und Rad fahren. den. Stattdessen sollte es einen demo- zu leisten. Als Vorstand können wir PPS: Auch wenn der Platz längst kratischen bundesweiten Prozess ge- aber nur so viel bewegen, wie die Par- verbraucht ist und wenn der Redakteur ben, an dessen Ende alle Beteiligten tei trägt. Wir entwickeln zum Beispiel mich noch lässt: Eine Werbung der Bun- über die Parteigründung entscheiden. Ideen für Kampagnen bzw. setzen Par- desregierung für die Rente mit 67 im Nach der entsprechenden Urabstim- teitagsbeschlüsse um, wie bei der Ki- DISPUT 9 könnte ja ein guter Gag sein, mung wurde im Januar 2005 die Partei ta-Kampagne. Ob daraus am Ende wirk- wenn auf der gegenüberliegenden Sei- WASG gegründet. lich ein bundesweit sichtbares öffent- te die Fakten auseinandergenommen liches Signal wird, ob wir tatsächlich würden. Aber so? Null Verständnis! den Druck entfalten können, den wir bei der Mindestlohn-Kampagne ge- schafft haben, hängt von der Partei als Marc Mulia Ganzes ab. Aus diesem Grund sehe ich den regelmäßigen Austausch zwischen Einer meiner Lieblingssätze aus dem der kommunalen, der Landes- und der Aufruf zur Gründung einer Wahlalter- Bundesebene als unbedingt nötig an. native lautet: »Es kommt nicht einfach Soweit es meine Zeit erlaubt, nehme so oder so, sondern es kommt darauf ich an den Sitzungen des Landesvor- an, was wir daraus machen.« Als ich standes Nordrhein-Westfalen und an das Anfang 2004 gelesen hatte, wollte den Sitzungen meines Kreisverbandes ich mich an der Diskussion beteiligen, in Duisburg teil und diskutiere viel mit ob es Sinn macht angesichts der Ent- Genossinnen und Genossen aus ande- wicklung von Rot-Grün, eine neue Par- ren Kreis- und Landesverbänden. tei zu gründen. Ich war in den 90er Jah- Und natürlich diskutiere ich auch ren Mitglied der Grünen und bin nach mit meinen Eltern, mit Nachbarn und dem Bielefelder Parteitag 1999 ausge- FreundInnen, mit SchülerInnen und treten, auf dem die Partei ihre Zustim- KollegInnen. Ich arbeite als Lehrer (So-

mung zum Jugoslawien-Krieg beschlos- © Aris zialwissenschaften, Philosophie und sen hat. In meinen Augen hatten die Physik) an einem Gymnasium in Duis- Grünen eine ihrer wichtigsten Grund- burg. Dadurch wird mir täglich vor Au- positionen verraten. Das Schlimms- Es kommt nicht gen geführt, wie stark sich neoliberale te war die ideologische Verklärung der Denkmuster bei Jugendlichen festset- Bundeswehrkampfeinsätze als huma- einfach so oder so zen. Dazu gehört vor allem eine Ideo- nitäre Notwendigkeit. Ich habe damals logie des Wettbewerbs und der Leis- sehr aktiv in Antikriegsbündnissen mit- ■ ■ tungsorientierung, die den meisten gearbeitet und fi nde es übrigens auch als naturgegeben und alternativlos er- für DIE LINKE extrem wichtig, dass wir scheinen. uns klar gegen Auslandseinsätze der Im Rahmen der WASG-Gründung Um solches Denken zu durchbre- Bundeswehr positionieren. Ich kann und später im Parteineubildungspro- chen, müssen wir Aufklärungsarbeit mir gut vorstellen, dass wir die Bundes- zess habe ich mich sehr für die Ver- leisten, aber auch gesellschaftliche Al- wehr abschaffen und das Geld für sinn- ankerung einiger demokratischer Ele- ternativen aufzeigen, für die sich Men- volle Dinge ausgeben. mente in der Satzung eingesetzt. Da- schen begeistern können. Über unsere Die Kritik an der Agenda 2010, aber zu gehörte etwa die klare Trennung von Alternativen werden wir mit Sicherheit auch an der Kriegspolitik von Rot-Grün Amt und Mandat, die es in der WASG- noch streiten. Das macht eine leben- hat im Frühjahr 2004 Menschen mit Satzung gab und die sich in der neuen dige Partei aus. DIE LINKE wird erfolg- unterschiedlichen politischen Ge- Partei nicht durchsetzen ließ. Meines reich sein, wenn es ihr gelingt, Be- schichten zusammengeführt. Inner- Erachtens ist eine Trennung der Auf- troffene zu Beteiligten zu machen, zu halb weniger Wochen haben sich tau- gaben von Partei und Fraktion wich- Beteiligten an Debatten über gesell- sende bei www.wahlalternative.de in tig, weil ansonsten die Gefahr besteht, schaftliche Alternativen, aber vor allem den Newsletter eingetragen. Als Mit- dass die außerparlamentarische Arbeit zu Beteiligten an den konkreten Kämp- glied des Arbeitsausschusses war ich vernachlässigt wird. Gesellschaftliche fen auf der Straße und in den Betrieben, an der Koordination erster Aktivitäten Veränderungen, insbesondere eine de- gegen Privatisierungswahn und Sozial- beteiligt. Die Resonanz war für uns al- mokratisch-sozialistische Gesellschaft, abbau und für Umfairteilung von Reich- le erstaunlich und sehr ermutigend. für die der Kapitalismus überwunden tum und Arbeit.

50 DISPUT November 2007 Gibt es einen Linksruck? Ein Zwischenruf Von Harald Pätzolt

Diese nun lebten wie Götter, Nicht die FDP, aber die CDU versozial- Bürger/innen zuständig. Dabei unter- von Sorgen befreit das Gemüte, demokratisiert schon eine gute Weile. scheiden die Menschen zwischen dem Fern von Mühen und fern von Trübsal; Und gelegentlich der Programmdebat- so verstandenen Staat auf der einen lastendes Alter te in der SPD überschrieb Franz Walter Seite und den Politikern und Parteien Traf sie nimmer; an Händen und Füßen seinen Artikel am 21. September 2007 auf der andern. Wenn der Staat nicht die nämlichen immer, in Spiegel online: »Ruck nach links«. bringt, was er soll, dann werden in al- Freuten sie sich bei Gelagen, Soweit steht der »Linksruck« also fest. ler Regel dafür die Politiker/innen ver- entrückt stets jeglichem Übel. Schwerer tut man sich mit der Ur- antwortlich gemacht. So auch im Falle Wie vom Schlummer bezwungen sachenforschung. Wer ist schuld? Die des hier betrachteten »Linksrucks«. verschieden sie; keines der Güter bürgerlichen Parteien, weil sie nicht 2. Wozu aber führt das? Missten sie; Frucht gab ihnen das ordentlich gegenhalten? Die Agenda Es führt zunächst einmal zu keinen nahrungsspendende Saatland 2010? DIE LINKE? Rückt die SPD nach Verhaltensänderungen der Bürger/in- Gern von selbst und in Hülle und Fülle; links, weil DIE LINKE nach links rückt? nen. Nichts zu sehen von Massenstreiks und ganz nach Belieben Und rückt nun DIE LINKE noch weiter und Demonstrationen, sonstige mas- Schafften sie ruhig das Werk im nach links? Wie hängen all diese Links- senhafte Aktionen gibt es keine, sogar Besitze der reichlichsten Gaben rucke miteinander zusammen? die Beitritte zur linken Partei schlecht- Aus: Hesiod, Werke und Tage Und DIE LINKE? Sie freut‘s freilich. hin halten sich in bescheidenen Gren- Ist das nicht eine wunderbare Bestä- zen. Und, was noch merkwürdiger ist: Gibt es einen Linksruck in Deutsch- tigung der eigenen Position? Der Lohn Die für den Schlamassel verantwortlich land? Was für eine Frage. Es steht doch der politischen Arbeit? Gar mancher re- gemachten Parteien bekommen in den seit diesem Sommer in der Zeitung. det und schreibt bereits wieder über wöchentlichen Umfragen bei der Sonn- »Deutschland rückt nach links« titelte linke Mehrheiten und sinniert über die tagsfrage regelmäßig ihre 85 Prozent DIE ZEIT am 9. August 2007 und über- richtige Strategie für die Bundestags- Zustimmung. raschte die Leser mit einem Umfrage- wahlen 2009: Eine Einheit von Partei Aber es ändert sich die Politik. Zu- ergebnis, wonach jeweils große Mehr- und Volk. Endlich! nächst allerdings nur die Parteipolitik. heiten den politischen Forderungen 1. Was ist, bei Lichte betrachtet, die- Noch nicht ändert sich das Verhalten DER LINKEN zustimmten. Kurz vorher, ser »Linksruck«? des Staates, der Regierung. Erst sind am 18. Juli, berichtete die FAZ, dass Meine These ist: Die Unzufrieden- es die von den BürgerInnen verantwort- das renommierte Institut für Demosko- heit mit der Entwicklung der Gesell- lich gemachten Parteien, die reagieren. pie Allensbach den »Zauberklang des schaft in den letzten Jahren wird öf- In unserm Falle ist es vor allen die SPD, Sozialismus« vernommen habe: Im- fentlich. die sich bewegt. Aber ein Parteitagsbe- mer mehr Menschen hielten den Sozi- Das ist keineswegs trivial. Der Vor- schluss ist noch kein Gesetz. alismus für eine gute Idee, die schlecht gang setzt eine funktionierende Öffent- 3. Und DIE LINKE? ausgeführt wurde. Natürlich lauschte lichkeit voraus. Wir haben es mit poli- DIE LINKE als Partei war und ist in auch Emnid Volkes Stimme, so konn- tischer Meinungsbildung zu tun, einem diesem Prozess der politischen Mei- te Klaus-Peter Schöppner am 3. Au- urdemokratischen Prozess. Einem Vor- nungsbildung in der Rolle des Kataly- gust in der LVZ vom »Linksruck« be- gang, den man nicht verwechseln soll- sators. Katalysator des Öffentlichwer- richten, und damit es auch im Norden te mit dem gewöhnlichen Rauschen im dens der allgemeinen Unzufriedenheit. ankommt, schrieb derselbe Autor am Blätterwald. Und ebenfalls auch nicht Sie konnte und kann diese Rolle spie- 1. Oktober im Hamburger Abendblatt: mit der publizistischen Begleitmu- len, weil sie die einzige Partei ist, die »Deutschland ruckt! ... Deutschland sik des alltäglichen Aushandelns von für die Zustände heute nicht haftbar ruckt nach links!« Kompromissen vielfältigster Interes- gemacht wird. Das ist der eine Punkt. Seitdem der »Linksruck« feststeht, sengruppen. Hier wird eine Wahrheit Ist das schon alles? Ja, das ist der wird er nun von rechts, von links und öffentlich und damit allgemein: Es ist andere Punkt: Das ist die Rolle, die uns auch aus der Mitte kommentiert. Am etwas faul in Deutschland. Das also ist von den Menschen zugewiesen worden 19. September erhob der Ex-BDI-Chef der erste Punkt: Die Unzufriedenheit ist. Zu sagen: »Der Kaiser ist nackt!« Hans-Olaf Henkel in der SVZ mahnend wird öffentlich. Wie konnte DIE LINKE diese Rolle seine demokratisch-marktwirtschaft- Der zweite Punkt ist der, dass für so gut spielen? Zum einen bedurfte es liche Stimme: »Wir sind auf dem Weg diesen Zustand der Unordnung, mit der Persönlichkeiten, die eine derar- in den Neosozialismus«! Und BILD dem die Menschen so unzufrieden tige Rolle in den Massenmedien auch kommentiert seitdem, als sei das Va- sind, die Politik verantwortlich gemacht auszufüllen vermögen wie Gregor Gysi terland bereits an die Russen – par- wird. Nicht das Wetter, nicht fremde oder . Aber auch die don! an die Roten verloren: »Wenn auf Mächte, nicht das Schicksal und auch Nebenrollen mussten gut besetzt sein. einem Schiff die Ladung auf eine Seite nicht die Wirtschaft. In säkularen Ge- Zum andern aber bedurfte es unbe- verrutscht, gerät es im Sturm in höchs- sellschaften ist das allgemeine Gegen- dingt des politischen Aktivismus’ vie- te Gefahr.« (4. Oktober) über der Menschen: Der Staat. Der ist ler Genossinnen und Genossen vor Ort, Aber nicht nur das Volk, auch die für die Ordnung, für Stabilität, Wohl- an der Basis. Nur weil beides zusam- Parteien, hört man, rucken nach links. stand und auch für die Sicherheit der menkam, gibt es den »Linksruck«.

DEBATTE DISPUT November 2007 06 DIE LINKE und persönlich Oskar La- in denen Utopien wieder an Kraft ge- fontaine sind derzeit die politischen winnen. Es gibt ihn seit Jahrtausen- Ich abonniere Meinungsbildner in Deutschland. In- den, den Traum vom Leben ohne die sofern lag die Financial Times Deutsch- Last und die Angst des Daseins. Man DISPUT land nicht falsch, als sie am 8. Okto- darf diese Vorstellung, wann immer sie ber 2007 titelte: »Die Lafontaine-Repu- mächtig wird, sei es Ende des 8. Jahr- blik«. hunderts vor Christus in Hesiod »Werke Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, und Tage« oder eben heute, nicht wört- diese uns als Partei zugewiesene Rol- lich nehmen. Man wird sie sonst nicht le gut zu verstehen und gut zu spielen. verstehen. Ein Leben ohne Arbeit, Hun- So, wie es heute aussieht, erwarten die ger, Krankheit, ohne Alter und Tod – das Name, Vorname Leute nun eine Reaktion von den ande- übersetzt sich so: Die Annäherung, der ren Parteien und dann natürlich end- Versuch zählt. Wenn die Arbeitszeit ver- lich von der Regierung. Nicht von uns. ringert (= keine Arbeit), ein Existenzmi- Straße, Hausnummer Wir haben für sie das Beste schon ge- nimum (= kein Hunger), medizinische tan. Aber zunächst damit eben auch Versorgung (= keine Krankheit) für alle unsre Schuldigkeit. Nun erwartet man und das menschliche Leben verlängert PLZ, Ort was von den andern. Dass sie dafür (= kein Tod) wird, dann ist die Welt in sorgen, dass der Staat wieder in seine Ordnung. Wir sehen: Dies alles ist ge- Rolle eintritt. Ob als vor- oder als nach- genwärtig in Frage gestellt. Von daher Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) 1 sorgender, als schlanker oder pumme- rührt die große Unzufriedenheit. der Zeitschrift DISPUT im liger – das ist den Leuten schnuppe. Wir dürfen das nicht verwechseln, 4. Über soziale Gerechtigkeit und es ist nicht der konkrete, der praktische Halbjahresabonnement zum Preis von über den Sozialismus Ruf nach einer anderen Gesellschaft. Es 12,00 Euro inkl. Versandkosten Der »Linksruck«, das ist auch der öf- soll nur besser, nicht unbedingt anders fentlich festgestellte Mangel an sozi- werden. Darum wird diese Unordnung Jahresabonnement zum Preis von aler Gerechtigkeit. Verfällt man nicht eher vergehen, eher zu beseitigen sein 21,60 Euro inkl. Versandkosten umgehend ins Aufzählen singulärer als die Ungleichheit.2 Sachverhalte, so skandiert man im All- 5. Was tun? und nutze den vorteilhaften Bankeinzug gemeinen den Einbruch der Ungleich- Darauf habe ich drei Antworten. Ers- heit ins Leben der Menschen. tens: Die uns zugewiesene Aufgabe bei Wiederum mag man das nicht ver- der öffentlichen Artikulation/des Laut- wechseln mit den Ungleichheiten, die sprechers der allgemeinen Unzufrie- Geldinstitut es immer und überall gab und gibt. Hier denheit erfüllen und damit an der Än- geht es um eine doppelte und – für derung der Politik, an der Beseitigung mehrere Generationen – neue Erfah- der Unzufriedenheit mitwirken. Zwei- rung. Einmal weiß man mittlerweile um tens: dabei nicht vergessen, dass das Bankleitzahl eine neue Qualität des Ausschlusses länger bestehen bleibende Problem der sogenannter Unterschichten (»Hartz- Ungleichheit noch zu lösen ist, wenn IV-Empfänger« heißen Mitglieder ei- die große Zahl der Menschen wieder Kontonummer ner neuen Spezies Mensch). Das sind zufrieden sein wird. Das bedarf grund- nicht mehr die bislang immer schon legender Veränderungen in Politik und oder zwar häufi g vorkommenden, generell Gesellschaft. Drittens: den modernen aber jeweils wieder zu integrierenden Traum vom heutigen und künftigen Le- bitte um Rechnungslegung (gegen Individuen. Hier werden heute dauer- ben erzählen. Reich, sinnlich und kühn Gebühr) an meine Adresse. haft Menschengruppen aus der Gesell- dieses Leben und die Erzählung auch. schaft ausgestoßen. Gleichheit und gutes Leben. Und dass Dann aber sind es auch Teile der es erstickt, wenn die Freiheit gering ge- Oberschichten, die sich dem Ver- schätzt oder aufgegeben wird. Das Abonnement verlängert sich automatisch um den kehr, der Vergleichbarkeit, der Rezip- angegebenen Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf rozität entziehen. Ein Ackermann, ein Dr. Harald Pätzolt ist Mitarbeiter der schriftlich kündige. Schrempp treten aus der Gesellschaft Bundesgeschäftsstelle. aus. Und viele kleinere Oberschichtler [email protected] tun es, indem sie sich zum einen den größten Teil des gesellschaftlichen Datum, 1. Unterschrift Reichtums aneignen, zum andern aus 1 Die Kenntnis dieser Lesart von Hesi- den sozialen Sicherungssystemen und od verdanke ich Eric Voegelin. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich die Bestellung damit aus der Solidargemeinschaft ver- 2 Ganz nebenbei sei daran erinnert, innerhalb von 10 Tagen widerrufen kann. abschiedet haben. dass immer dann, wenn allgemeiner Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Es ist ein zutiefst beunruhigender, Wohlstand herrschte, die Unzufrieden- Widerrufs. beängstigender Zustand, wo der Mas- heit von einem Unglücklichsein abge- se der Menschen die Bindungen nach löst wurde. Erich Honecker wunderte oben und nach unten fehlen. Ich sich bis an sein Ende, warum »unsere Datum, 2. Unterschrift fürchte, dass dieser Zustand für länge- Menschen« nicht zufrieden und glück- Coupon bitte senden an: Parteivorstand DIE LINKE, re Zeit bleiben wird. lich waren, nachdem sie doch Arbeit Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin Geschichtsmomente der Unzufrie- und Wohnung, Gesundheit und ein ru- Bestellungen auch möglich unter: www.die-linke.de denheit sind auch solche Momente, higes Alter sicher hatten.

70 DISPUT November 2007 BUCHTIPP

»DIE LINKE. Wohin verän- dass sie ihren Aufschwung der Empö- wie Angehörige mittlerer und höherer rung in der Wählerschaft über sozial- Bildungsabschlüsse heraus. dert sie die Republik?« demokratische Verbiegungen und ih- Der Beitrag von Wolfgang Dreibus, rer Kaninchenstarre vor der wachsen- Matthias Hinze und Axel Troost verweist Alle Parteien bereiten den Wahlkampf den Macht der privaten Profi tinteres- auf neue konzeptionell-gewerkschaft- 2009 vor und entwickeln Strategien sen verdankt. liche Kompetenzen der Partei vor dem darüber hinaus. Die SPD löst sich vor- Meinhard Meuche-Mäker zeich- Hintergrund, dass der SPD »das Senso- sichtig von der Agenda 2010 und net auf der Basis von leitfadenge- rium für Veränderung von Lebenswirk- spricht wieder vom demokratischen stützten Experteninterviews ein un- lichkeiten und Interessenlagen abhän- Sozialismus. Nicht mehr die »Neue Mit- geschminktes Bild von den Denkwei- gig Beschäftigter« verlorenging. Die te«, sondern eine »solidarische Mehr- sen und Haltungen von führenden Signale der gewerkschaftlichen Basis heit« ist die Zielgruppe, so ihr Vorsit- Akteuren der beiden fusionierten Par- wurden »nicht verarbeitet«. Nun habe zender Kurt Beck. Diese Mehrheit gibt teien. Gefragt wurde nach den Schwie- DIE LINKE eine Situation geschaffen, in es rein rechnerisch, jedoch ohne ge- rigkeiten und Konfl ikten im Zusammen- der die Forderung nach Mindestlohn in meinsames Projekt. gehen, dem Selbstverständnis, den den Gewerkschaften Allgemeingut und Michael Brie beschreibt in dem eben strategischen Ansätzen, nach der Un- dann von der SPD aufgegriffen wurde. erschienenen Buch »DIE LINKE. Wohin terschiedlichkeit der Akteure und ihrer Das verändere auch die strategische verändert sie die Republik?« zwei mög- politischen Kultur, der Ost-West-Diffe- Grundsituation in Deutschland. Katja liche gesellschaftliche Mehrheiten: ei- renz, dem Wirken der Bundestagsfrak- Kipping beschreibt die »Gipfelprotes- ne solidarische und eine marktliberal- tion und ihren Repräsentanten. Bemer- te 2007 als einen gelungenen Start für autoritäre. Daher müsse das zentrale kenswert sind die unterschiedlichen, DIE LINKE«, in denen das zu Recht ein- strategische Ziel der Partei DIE LINKE teilweise gegensätzlichen Grundorien- geforderte Bündnis zwischen Parteien die Schaffung von Mehrheiten für ei- tierungen, Erfahrungen und Handlungs- und sozialen Bewegungen erfolgreich nen Richtungswechsel sein. Die Ana- optionen der beteiligten Akteure. funktioniert hat. Dies sei ein Schritt lyse politischer Milieus, die er aus ei- Ein zentraler Konfl ikt bleibt die Re- voran und zeigte DIE LINKE als »Bewe- ner Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gierungsbeteiligung, die Cornelia Hil- gungspartei«. übernimmt und hinsichtlich ihrer sozi- debrandt am Beispiel Berlin darstellt. »Was in geschieht, kommt alen und politischen Bündnisfähigkeit Kann man in Regierung zugleich gesell- früher oder später auch anderswo«, er- weiterdenkt, führt er zu folgenden The- schaftskritische Opposition sein? Geht klärt Christoph Spehr in seinem Beitrag. sen. Erstens: Die oberen gesellschaft- linkes Regieren? Was ist mit den Privati- Bremen zeigte, dass sich jene Strate- lichen Gruppen sind in eine marktlibe- sierungen? Dieter Klein beschäftigt die- gien bewähren, die den politischen rale und eine soziale Richtung gespal- se Frage grundsätzlicher: Kann es Grün- Raum besetzen, Vorurteile zerstreuen, ten, die unteren Gruppen vereint – sie de für den Verkauf von Einrichtungen öf- die Vielzahl von Zielgruppen berück- sind deutlich sozial und in bestimmtem fentlicher Daseinsvorsorge geben, und sichtigen und bedenken, dass Gegen- Maße autoritär orientiert. Zweitens: Die welchen Kriterien sollten den Auseinan- macht-Strategien der Unterdrückten Parteien, die die unteren Gruppen ge- dersetzungen um unterschiedliche Ei- komplexer sind, als Parteiführungen winnen, ohne ihre Basis in den obe- gentumsformen zugrunde liegen? es wahrhaben wollen. Und: »Wer das ren Gruppen zu verlieren, können über Ein anderes Problem der Berliner Volk mobilisieren will, muss mit dem stabile Mehrheiten verfügen. Drittens: war die wachsende Entfremdung zwi- Volk reden, ernsthaft und auf Augenhö- Auf der Basis ein und derselben gesell- schen Partei und Landespolitik. Rainer he«. So wird man in Bremen zwar nicht schaftlichen Einstellungen können ge- Ferchland beschreibt das an Hand der Volkspartei, »aber Partei des Volkes«. gensätzliche Mehrheiten geschaffen Mitgliederbefragung der Berliner LIN- Ob DIE LINKE diesem Maßstab gerecht werden: Mehrheiten, die für marktli- KEN in Marzahn-Hellersdorf. Außerdem wird, muss sie noch beweisen. Erste berale und autoritäre Richtung stehen verweist er auf Probleme ostdeutscher Voraussetzungen hat sie geschaffen. oder eben für eine soziale und demo- Landesverbände. Wie bleibt eine al- kratische Richtung. ternde Partei in einer alternden Gesell- aus: RosaLux, Journal der Rosa- Die LINKE braucht als eine von meh- schaft handlungsfähig? Allgemeiner be- Luxemburg-Stiftung reren Kräften für einen politischen Rich- schreibt dies Dietmar Wittich mit Blick tungswechsel mehrheitsfähige Alterna- auf die Wählerschaft der neuen Partei. tiven. Die Chance hierfür – so Dietmar 14,2 Prozent ihrer Wählerschaft kom- DIE LINKE

Bartsch in seinem Beitrag – sei eine zu- men aus der SPD, 11,7 Prozent aus dem Wohin verändert © Repro tiefst innersozialdemokratische: »Aus- Nichtwählerlager, und über 50 Prozent sie die Republik? grenzung und Ausschluss oder Koope- haben sie 2005 wiedergewählt. Aber 18 Texte 40 der Rosa- ration mit der LINKEN?« Ein Linksbünd- Prozent wollen sie nicht mehr wählen, Luxemburg-Stiftung nis wächst aus der Gesellschaft, nicht darunter viele Frauen. Bei den zuge- Karl Dietz Verlag aus machtpolitischen Spielereien, er- wanderten Gruppen ragen die Anteile Berlin 2007 klärt er. Das heißt sie wäre zum Unter- an Männern und Angestellten, älteren 317 Seiten, gang verurteilt, würde sie vergessen, Gruppen und Rentnern von der SPD so- 19,90 Euro

DISPUT November 2007 08 Alte Idee mit neuen Aufgaben Zur Arbeit des Bundesvereins zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e. V. Ein Gastbeitrag von Jan Kuhnert

Genossenschaften sind mehr als ei- rung preiswerten Wohnens ist eine Ge- Mit der aktuell geplanten Einfüh- ne Rechtsform für wirtschaftliche Be- nossenschaftslösung geeigneter als rung der Mini-GmbH wird die Genos- tätigung. Sie sind Bestandteil der poli- der Verkauf kommunaler Wohnungen senschaft für Neugründungen in Zu- tischen, wirtschaftlichen und sozialen an Finanzinvestoren. kunft noch unattraktiver, als sie es of- Demokratie. Der Bundesverein zur För- Projekte, die auf solidarischem Han- fenbar jetzt schon ist. Wir setzen uns derung des Genossenschaftsgedan- deln basieren und damit zum Erfolg daher dafür ein, dass es eine ver- kens e. V. hat sich 1986 gegründet, in gelangen, organisieren ihr Wirtschaf- gleichbare Regelung auch im Genos- einer Zeit, als der Ruf nach »mehr De- ten gemeinschaftlich nach den genos- senschaftsgesetz gibt. Dabei müss- mokratie wagen« auch in der wirt- senschaftlichen Grundprinzipien der te die Mini-Genossenschaft so ausge- schaftlichen und sozialen Sphäre an- Selbsthilfe, der Selbstverantwortung staltet werden, dass sie ohne bürokra- gekommen war. Steigende Arbeitslo- und Selbstverwaltung. Diese Unterneh- tische Hemmnisse gegründet werden sigkeit und der zunehmende Wunsch, men bereichern die Gesellschaft und kann (keine Gründungsprüfung, kei- zentrale Lebensbe- überwinden sozi- ne Pfl ichtmitgliedschaft in einem ge- reiche wie zum Bei- ale oder ökono- nossenschaftlichen Prüfungsverband spiel Wohnen und mische Benachtei- und keine Pfl ichtprüfung), dass ande- soziale Dienste un- ligungen und Un- rerseits aber sichergestellt wird, dass ter Einbeziehung der gerechtigkeiten. der Übergang in die eingetragene Ge- Betroffenen zu ge- Während diese nossenschaft reibungslos funktioniert stalten, haben aktu- Grundprinzipien in (Pflichtmitgliedschaft und Pflichtprü- ell auch den Genos- manchen Ländern fung bei Überschreiten bestimmter Um- senschaftsgedanken hohe Achtung ge- satz- und Bilanzgrößen).

neu belebt. © privat nießen und nach Der Bundesverein zur Förderung des Nicht nur an die- Kräften gefördert Genossenschaftsgedankens hat sich se Entwicklungen knüpft der Verein an, werden, führen Genossenschaften in zum Ziel gesetzt, der Genossenschaft sondern ebenso an eine weit über hun- unserem Land in der öffentlichen Wahr- zu ihrer verdienten Beachtung zu ver- dert Jahre alte Tradition: dem Zusam- nehmung nach wie vor ein Schatten- helfen. Dazu stellt er Kontakte her zu menschluss von Gruppen in Notlagen dasein. Durch die Diskussionen im Zu- Entscheidungsträgern aus Politik und zur Verbesserung ihrer Lebenssituati- sammenhang mit der Reform des Ge- Verbänden und trägt seine Anliegen in onen. Bei der aktuellen Polarisierung nossenschaftsgesetzes zum 18. Au- die Öffentlichkeit. Darüber hinaus wirkt der Gesellschaft in immer reicher wer- gust 2006 haben Genossenschaften in er durch den regelmäßig ausgeschrie- dende und verarmende Bevölkerungs- erfreulicher Weise eine verstärkte Auf- benen Wettbewerb über erfolgreiches teile wird die Zunahme der Opfer die- merksamkeit erlangt. Dennoch ist die solidarisches Handeln in Genossen- ser Entwicklung viel zu wenig beachtet. Genossenschaft immer noch nicht ei- schaften, die Mitgliedschaft und Un- Die öffentliche Hand ist häufi g nicht ne gleichberechtigte Rechtsform neben terstützung der Gründungsagentur in- mehr bereit oder in der Lage, den so- den Kapitalgesellschaften und den ide- nova eG und Fachveranstaltungen auf zialen Ausgleich zu gestalten und zu fi - ellen Vereinen. die Fachwelt und die genossenschaft- nanzieren, und zieht sich aus vielen Be- Auch wenn mit der Reform des Ge- lichen Verbände ein. Der Bundesverein reichen zurück. nossenschaftsgesetzes im Jahr 2006 zur Förderung des Genossenschaftsge- Neben den Genossenschaften auf einige wichtige Forderungen des Bun- dankens bietet damit Interessierten die den klassischen Geschäftsfeldern (zum desvereins erfüllt worden sind, so sind Möglichkeit, den Genossenschaftsge- Beispiel Wohnungs(bau)genossen- doch weitere Maßnahmen erforder- danken weiterzuentwickeln und zu ver- schaften, Banken oder als Unterneh- lich, damit die Genossenschaften in breiten. menskooperation) gibt es eine Reihe Deutschland wieder eine noch größere von Genossenschaften, die ihre Mit- Rolle spielen, als sie es derzeit schon Jan Kuhnert ist Vorstandsvorsitzender glieder mit sozialen Dienstleistungen tun. Dies sind insbesondere: des Bundesvereins zur Förderung des oder ökologischen Produkten versor- ■ ■ eine verstärkte Informations- und Genossenschaftsgedankens e. V. (BzFdG). gen. Hier zeigt sich deutlich, dass die Bildungsoffensive (zum Beispiel die Genossenschaft sehr gut dazu geeignet Aufnahme von solidarischen Wirtschaf- ist, wirtschaftliches Handeln einerseits ten in die Lehrpläne der Schulen), ■ ■ Der BzFdG veranstaltet und die Erreichung ideeller Ziele ande- ■ ■ die (Wieder-) Aufnahme der Ge- Seminare, Lehr- und Vortrags- rerseits zu kombinieren. nossenschaften als gleichberech- veranstaltungen, fördert gemein- Viele Projekte des Bürgerengage- tigte Unternehmensform in Förderpro- nützige Aufgaben und organisiert ments werden als Genossenschaft orga- gramme und Informationsveranstaltungen für nisiert, von der Trägerschaft von Schu- ■ ■ eine Klarstellung, dass und unter Neugründer sowie zum Ausbau len über Stadtteilgenossenschaften bis welchen Voraussetzungen Genossen- von Genossenschaften. hin zur Übernahme von Bädern, Thea- schaften als gemeinnützig im Sinne Tel. (0511) 228 959 40 tern etc., die von Schließung bedroht der Abgabenordnung anerkannt wer- Fax (0511) 228 959 68 sind. Auch als Instrument zur Siche- den können. www.genossenschaftsgedanke.de

90 DISPUT November 2007 VERBÄNDE Die Arbeitswelt gerechter machen Das Manifest »Gute Arbeit – Gutes Leben« Von Werner Dreibus

Mit der Schrift »Gute Arbeit – Gutes warten, so fällt die Antwort eindeutig ben und weniger verdienen als fest An- Leben. Manifest für eine gerechte Ar- aus: Die Arbeit muss sicher sein. Sie gestellte. beitswelt« legt die Bundestagsfraktion muss anständig bezahlt sein, meine ■ ■ Bei Neueinstellungen wurde die DIE LINKE ein umfassendes Programm Arbeit soll mich nicht krank machen, Dauer einer Befristung auf zwei Jahre vor, das den modernen Anforderungen und ich möchte so arbeiten, dass ich angehoben. Damit werden der Kündi- der Menschen an die Erwerbsarbeit tat- Beruf, Freunde und Familie gut verein- gungsschutz unterlaufen und die Pro- sächlich gerecht wird. baren kann. Gemessen an diesen Kriterien, bie- ten nur noch wenige Arbeitsplätze in Deutschland eine »Gute Arbeit«. Eine aktuelle Umfrage des Deutschen Ge- werkschaftsbundes kommt zu dem Er- gebnis, dass mehr als ein Drittel aller Beschäftigten ihre Arbeit als schlecht bewerten, nur 12 Prozent sprechen von guter Arbeit. Besonders Beschäftigte in Leiharbeit, befristeten Beschäftigungs- verhältnissen und Minijobs bewerten ihre Arbeitsplätze negativ. Als Grün- de geben sie vor allem die unsicheren Beschäftigungsperspektiven und die niedrige Bezahlung an. Daran ändert auch der aktuelle Wirt-

© Erich Wehnert (2) Wehnert © Erich schaftsaufschwung nichts. Die gute Konjunktur führt zwar zu mehr Nach- frage nach Arbeit. Insgesamt bleibt Anders als die SPD, die die Ausbreitung der Zuwachs an Arbeitsplätzen aber »Wenn wir die schlechter Arbeit (unsicher, gering be- deutlich hinter dem Zuwachs im letz- Menschen fragen, zahlt, nicht mitbestimmt) nur beklagt, ten Aufschwung zurück, weil die Men- was sie von einem aber nicht zu einer Abkehr von der schen, die bereits eine Arbeit haben, guten Arbeitsplatz Agenda-Politik bereit ist, benennt das länger arbeiten müssen. Und: Ein Groß- erwarten, so fällt Manifest der LINKEN konkrete Schritte teil der neuen Arbeitsplätze entsteht in die Antwort ein- für eine Wende in der Arbeitsmarktpo- der Leiharbeit oder ist befristet. Das deutig aus: Die litik. sind Beschäftigungsverhältnisse mit Arbeit muss sicher Das Manifest »Gute Arbeit – Gutes wenig Perspektive. Auch die Situation sein. Sie muss an- Leben« ist eine Selbstverpfl ichtung der der Arbeitslosen ist schlechter, als es ständig bezahlt LINKEN und zugleich ein Angebot zur die Zahlen nahelegen: Obwohl die Ar- sein, meine Ar- Zusammenarbeit an Gewerkschaften, beitslosigkeit auf das Niveau von 1994 beit soll mich nicht Sozialverbände, Initiativen und an- gesunken ist, erhalten statt 1,7 Millio- krank machen, dere, die die Erwerbsarbeit im Inter- nen Menschen heute nur 930.000 Ar- und ich möchte so esse der Beschäftigten gestalten wol- beitslosengeld I. Alle anderen werden arbeiten, dass ich len. Diesen Anspruch haben alle ande- mit dem niedrigen Arbeitslosengeld II Beruf, Freunde und ren im vertretenen Parteien abgespeist. Familie gut verein- aufgegeben. Für die Ausbreitung unsicherer und baren kann ...« In seiner Regierungserklärung im gering entlohnter Beschäftigungsver- März 2003 hat der damalige Kanz- hältnisse hat die Gesetzgebung im Rah- ler Schröder als ein Ziel der Agenda men der Agenda 2010 die wesentlichen 2010 die Modernisierung des Arbeits- Voraussetzungen geschaffen. Unter Bil- marktes ausgegeben, ohne dass dabei ligung von CDU und FDP hat die rot-grü- »das Soziale beiseite gedrängt würde« ne Koalition Schutzrechte für Beschäf- (Schröder). Heute müssen wir feststel- tigte abgebaut und Leistungen für Ar- len, dass die Politik der Agenda 2010 beitslose zusammengestrichen: genau zu dem geführt hat, was laut ■ ■ Die Begrenzung der Verleihdauer Schröder verhindert werden sollte. Sie von Leiharbeiterinnen und Leiharbei- hat das Soziale in der Arbeitswelt bei- tern wurde abgeschafft. Immer mehr seite geschoben. Unternehmen nutzen Leiharbeit statt Wenn wir die Menschen fragen, was reguläre Arbeit, weil Leiharbeiter/in- sie von einem guten Arbeitsplatz er- nen im Betrieb weniger zu sagen ha-

SOZIAL bezeit faktisch auf zwei Jahre verlän- öffentliche Einrichtungen die 1-Euro- zunehmen und so die »Schwachen« gert. Jobber/innen als billige Arbeitskräfte auszusortieren. ■ ■ Die Verdienstgrenze für Minijobs missbrauchen und gleichzeitig gute Ar- ■ ■ Die Bezugsdauer für das Arbeits- wurde auf 400 Euro angehoben. Damit beitsplätze abbauen. losengeld I wurde drastisch gekürzt. wurde der Umwandlung regulärer, fes- ■ ■ In Unternehmen mit weniger Jede Arbeit wurde als zumutbar erklärt, ter Stellen in Hilfsjobs der Weg geeb- als zehn Beschäftigten gibt es kei- auch wenn sie noch so schlecht ent- net. Die Unternehmer zahlen weniger nen Kündigungsschutz mehr. Betrof- lohnt ist und mit der Qualifi kation des Sozialbeiträge und Lohn und behal- fen davon sind etwaacht Millionen Be- oder der Arbeitssuchenden gar nichts ten mehr für sich. Die Beschäftigten schäftigte. Die Menschen leben stän- zu tun hat. Zudem wurde mit dem Ar- mit Minijobs sind ohne ausreichendes dig in der Ungewissheit, ob sie auch beitslosgeld II eine soziale Sicherung Einkommen, ohne Schutz bei Arbeits- morgen noch Arbeit haben. Zusätz- eingeführt, die diesem Anspruch nicht losigkeit und erwerben zudem kaum lich wurde den Unternehmen gestat- gerecht wird. Von 347 Euro im Monat Rentenansprüche. tet, besonders leistungsfähige Be- kann niemand menschenwürdig leben. ■ ■ Die Einführung der 1-Euro-Jobs schäftigte von der Sozialauswahl bei Finanzielle Notlagen und berufl icher führte dazu, dass Unternehmen und betriebsbedingten Kündigungen aus- Abstieg sind die Folgen. So wurden die »Wer »Gute Arbeit« tatsächlich will – und nicht nur auf Stimmen- fang bei Beschäf- tigten und Gewerk- schaften aus ist –, der muss die poli- tischen Ursachen ›Schlechter Arbeit‹ beseitigen, der muss der Agenda 2010 eine klare Absage erteilen.« DISPUT fotogra- fi erte im Gasturbi- nenwerk Berlin, in der DeltaTech Controls GmbH und in der G-Elit Präzisionswerk- zeug GmbH.

Arbeitslosen erpressbar gemacht und wicklung ist nicht absehbar. Für Millio- türlich. Aber sie werden nur zu mehr der Ausbreitung von Hungerlöhnen der nen Menschen ist die Agenda 2010 al- »Guter Arbeit« beitragen, wenn auch Weg geebnet. so nichts anderes als »Schlechte Arbeit die anderen Fehlentscheidungen der Die Kritik der LINKEN an diesen unso- per Gesetz«. Agenda 2010 rückgängig gemacht wer- zialen Entscheidungen kontern die poli- Und weil das so ist, begrüßt DIE LIN- den. Auf dem Weg zu »Guter Arbeit« tischen Fans der schlechten Arbeit ger- KE, dass jetzt bei den für diese Poli- kommen wir deshalb an der vollständi- ne mit der Frage, ob es den besser sei, tik Verantwortlichen eine Diskussion gen Korrektur der Agenda-Politik nicht wenn die Menschen statt eines Arbeits- in Gang kommt, ob diese Politik denn vorbei. platzes in der Leiharbeit oder eines Mi- richtig war und ist. Die bisherigen Bei- Unsere Bundestagsfraktion hat am nijobs arbeitslos bleiben würden. träge erwecken allerdings den Ein- 23. Oktober 2007 ein Manifest für »Gu- So kann nur argumentieren, wer die druck, dass die Beteiligten nicht bereit te Arbeit – Gutes Leben« vorgelegt und Wirklichkeit am Arbeitsmarkt ausblen- sind, konsequent zu handeln. Wer »Gu- zwei Tage später einen entsprechenden det. Etwa die Tatsache, dass die Einfüh- te Arbeit« tatsächlich will – und nicht Antrag in den Bundestag eingebracht. rung der Minijobs im Einzelhandel zur nur auf Stimmenfang bei Beschäftigten Im Kern geht es uns um eine grundsätz- Vernichtung zehntausender regulärer und Gewerkschaften aus ist –, der muss liche Neuausrichtung der Politik. Wir und sozial abgesicherter Arbeitsplätze die politischen Ursachen »Schlechter brauchen nicht Arbeit um jeden Preis. geführt hat. Oder nehmen wir die Leih- Arbeit« beseitigen, der muss der Agen- Das war die Botschaft der Agenda 2010. arbeit, sie hat längst die ihr einst zuge- da 2010 eine klare Absage erteilen. Ei- Wir brauchen stattdessen Arbeit nach dachte Funktion als Personalpuffer bei ne »Weiterentwicklung« falscher poli- den Bedürfnissen der Menschen. Auftragsschwankungen verloren. Heu- tischer Entscheidungen gibt es nicht. Der allzeit verfügbare und uneinge- te gilt sie in den Personalabteilungen Auch wenn Herr Beck das der Öffent- schränkt mobile Arbeitnehmer ohne als probates Mittel, um Tarifl öhne zu lichkeit weiß machen möchte. Kinder oder pfl egebedürftige Angehö- unterlaufen und den Kündigungsschutz Es reicht auch nicht aus, einzelne rige kann nicht länger das Leitbild der zu umgehen. Quer durch alle Branchen Entscheidungen wie die Kürzung des Arbeitsmarktpolitik sein. Denn so ist werden gute Arbeitsplätze durch Leih- Arbeitslosengeldes zu korrigieren. DIE kein »Gutes Leben« möglich. Für ein arbeit ersetzt. Und ein Ende dieser Ent- LINKE begrüßt solche Forderungen na- »Gutes Leben« brauchen die Menschen

SOZIAL DISPUT November 2007 012 sichere Arbeitsplätze, vernünftige Ar- gewiesen: Aus Angst vor Leistungskür- beitszeiten und gute Löhne. Nur so zungen akzeptieren selbst hochqua- lässt sich die Arbeit mit Familie, Freun- lifizierte Arbeitslose immer häufiger den und Freizeitaktivitäten vereinen. Hungerlöhne und miese Arbeitsbedin- Eine unverzichtbare Grundlage für gungen. Das ist ein unwürdiger und un- mehr »Gute Arbeit« ist die Beseitigung haltbarer Zustand. der Massenarbeitslosigkeit. Mit einem 2. Die Beschäftigten müssen wirk- umfangreichen Investitionsprogramm, sam vor Lohndumping und einer Per- einem Programm für mehr öffentlich sonalpolitik des Heuerns und Feuerns geförderte Beschäftigung und einem geschützt werden. Deshalb sind Leih- Konzept für eine gerechte Steuer- und arbeiter und Leiharbeiterinnen so zu Finanzpolitik hat DIE LINKE dazu be- bezahlen wie ihre fest angestellten reits konkrete Vorschläge unterbreitet. Kollegen und Kolleginnen in den Ent- Unser Manifest enthält weitere leihbetrieben. Deshalb muss die Be- Schritte, um die Arbeitswelt gerechter fristung von Beschäftigungsverhältnis- zu machen. Diese Vorschläge können sen wieder vom Vorliegen triftiger be-

und müssen kurzfristig umgesetzt wer- trieblicher Gründe abhängig gemacht (3) Wehnert © Erich den. Im Kern geht es darum, unsichere werden. Und schließlich wollen wir die Beschäftigung zurückzudrängen und staatliche Subventionierung von ge- reguläre – unbefristete, sozialversiche- ringfügiger Beschäftigung beenden. Je- 4. An der Einführung eines allge- rungspfl ichtige, mitbestimmte, gut ent- de Stunde Arbeit muss voll sozialversi- mein gültigen gesetzlichen Mindest- lohnte – Arbeitsverhältnisse zu fördern. cherungspfl ichtig werden. lohns führt kein Weg vorbei. Die Auf- Aus der Vielzahl der Forderungen hier 3. Die vorhandene Arbeit muss ge- nahme weiterer Branchen ins Entsen- sechs Beispiele: rechter verteilt werden. Es ist nicht hin- degesetz ist richtig, aber für einen um- 1. Neben einem längeren Bezug des nehmbar, dass weite Teile der Bevölke- fassenden Schutz vor Armutslöhnen Arbeitslosengeldes ist die Wiederein- rung von Arbeitslosigkeit, unfreiwilliger nicht ausreichend. führung von Zumutbarkeitskriterien Teilzeit oder Minijobs betroffen sind, 5. Wir brauchen auch einen wirksa- für Arbeitslose unverzichtbar. Kanz- während sich viele andere, die kürze- men Schutz gegen Lohnsenkungen. Da- ler Schröder hatte 2003 davon gespro- re Arbeitszeiten haben wollen, mit Ar- her werden wir in Kürze einen Gesetz- chen, dass diese anzupassen sein. Tat- beitszeitverlängerungen konfrontiert entwurf in den Bundestag einbringen, sächlich wurden sie ganz gestrichen. sehen. Deshalb wollen wir die zuläs- mit dem willkürliche Lohnsenkungen Das Institut für Arbeitsmarkt- und Be- sige Höchstarbeitszeit im Arbeitszeit- gleich welcher Art unterbunden wer- rufsforschung hat kürzlich auf die ver- gesetz in einem ersten Schritt auf 40 den. heerenden Folgen dieser Politik hin- Stunden pro Woche senken. 6. Auch zukünftig wird die Durch- setzung menschengerechter Arbeits- und Beschäftigungsformen wesentlich von der Stärke der Gewerkschaften ab- hängen. Deshalb wollen wir die Rech- te von Gewerkschaften und Betriebs- räten stärken. Dazu ist das Streikrecht auszuweiten, etwa auf die Übernah- me und Verlagerung von Unternehmen. Wir brauchen ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften zum Schutz gelten- der Tarifverträge sowie ein Vetorecht für Betriebsräte bei Einsatz von Leiharbeit und befristet Beschäftigten. Diese wenigen Hinweise sollen deutlich machen: Wer wirklich »Gu- te Arbeit« will, muss sich auf Alterna- tiven zur Agenda 2010 einlassen. Die Gewerkschaften haben dazu Vorschlä- ge unterbreitet. Und wir haben ein um- fassendes Programm vorgelegt. Nun erwarten wir von den anderen Parteien Beiträge, die unserer gemeinsamen Verantwortung für »Gute Arbeit« ge- recht werden.

Werner Dreibus ist stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Zum Herunterladen gibt es das Manifest unter: www.werner-dreibus.de/ topic/17.wirtschaftspolitik.html

13 0 DISPUT November 2007 Alle einbeziehen Für eine solidarische Erwerbstätigenversicherung statt Armutsrenten Von Volker Schneider

Der von der rot-grünen Koalition durch- im Alter, sodass aufgrund einer zuneh- darischen Erwerbstätigenversicherung gesetzte Paradigmenwechsel in der menden Einkommensungleichheit ein auszubauen, die zum einen den zuneh- Rentenpolitik – weg von einer auf die steigendes Armutsrisiko im Alter be- mend prekär Beschäftigten und »Solo- Sicherung des Lebensstandards ori- fürchtet werden muss«, räumt auch die Selbstständigen« einen Zugang zu ei- entierten Rente hin zu einer beitrags- Große Koalition im Entschließungsan- ner solidarischen Rentenversicherung satzfi xierten Ausgabenpolitik – führt trag der Fraktionen der CDU/CSU und ermöglicht, zum anderen aber auch zu einer erheblichen Senkung des Si- der SPD zum Altenbericht ein. langfristig Gruppen privilegierter Er- cherungsniveaus sowie zu (höchstens Die gesetzliche Rentenversicherung werbstätiger wie Beamte, Abgeordne- noch) marginalen Rentenerhöhungen (GRV) wird sich zudem der Tatsache te und Angehörige verkammerter Be- auf absehbare Zeit. Notwendig – so stellen müssen, dass sich die histo- rufe in ein dann einheitliches solida- das Credo der »Reformer« – sei die Um- risch bedingte Trennung zwischen so- risches Sicherungssystem einbezieht. stellung aufgrund der demografi schen zialversicherungspflichtigen, abhän- Im Rahmen eines Übergangsprozesses Entwicklung und der internationalen gig Beschäftigten und sozialversiche- würden alle Neuzugänge bei Selbstän- Konkurrenzfähigkeit. rungsfreien Selbstständigen vor dem digen und Beamten in die Erwerbstä- Der unter Rot-Grün durchgesetz- Hintergrund der heutigen Arbeitswelt tigenversicherung aufgenommen. Die te Paradigmenwechsel wird unter der überholt hat. Die Zahl der sogenannten Beitragsbemessungsgrenze der GRV schwarz-roten Koalition fortgesetzt. Im Solo-Selbständigen, die ausschließlich würde schrittweise an- bzw. länger- Bereich der Alterssicherung sind die vom Verkauf ihrer eigenen Arbeitskraft fristig aufgehoben. Der damit verbun- Anhebung der Regelaltersgrenze auf leben, hat sprunghaft zugenommen. Ei- denen und viel zitierten Problematik, 67 Jahre sowie die Modifi zierung der ne klare Unterscheidung zwischen ab- durch die vergleichsweise hohen Bei- Schutzklausel (»Nachholfaktor«) inso- hängig Beschäftigten und sozialversi- träge der Besserverdienenden würden fern »konsequente« Schritte zur Fest- cherungsfreien Selbständigen ist kaum die Rentenkassen zwar vorübergehend schreibung und Fortsetzung der Leis- noch möglich. entlastet, längerfristig entstünden aus tungskürzungen der Schröder-Regie- Außerdem hat sich die soziale Ab- den höheren Beiträgen aber auch hö- rung. All diese Einschnitte im Leis- sicherung vieler Selbstständiger mas- here Anwartschaften und somit hohe tungsrecht vergrößern die sich ohnehin siv verschlechtert: Lediglich ein Viertel Ausgaben, könnte man entgegenwir- auftuenden Sicherungslücken im Alter aller Selbstständigen ist in einem ob- ken, indem man eine degressive Kurve aufgrund veränderter Erwerbsbiogra- ligatorischen Alterssicherungssystem bei den aus hohen Beiträgen entstan- fi en, etwa Arbeitslosigkeit und Zeiten einbezogen. Hinzu kommt, dass seit denen Ansprüchen einführt. So stün- prekärer, sozial minder- oder ungesi- Längerem ein deutlicher Rückgang der den zugleich Mittel für einen zusätz- cherter Beschäftigungsverhältnisse. Sparfähigkeit Selbständiger zu beob- lichen Solidarausgleich zur Verfügung, So hat sich die Zahl der geringfügig Be- achten ist. Denn oft unterscheidet sich mit dem die weitgehend vom Markt be- schäftigten nach Angaben der Bundes- ihre Einkommenssituation kaum von stimmte Primäreinkommensverteilung agentur für Arbeit seit 1999 von 3,7 Mil- der abhängig Beschäftigter. korrigiert werden könnte. lionen auf über sieben Millionen Per- Sie führt zur Ausgrenzung einer zu- Das Solidaritätsprinzip und der so- sonen im April 2007 fast verdoppelt. nehmenden Zahl von Erwerbstätigen genannte Generationenvertrag, wo- Gerade die im Zuge der Agenda aus dem Schutzbereich der GRV. Ziel nach die jeweils Erwerbstätigen mit ih- 2010 weiter vorangetriebene »Flexibili- der Alterssicherung in Deutschland ist ren Beiträgen die Renten der Rentne- sierung« des Arbeitsmarktes hat dazu es aber, im Alter wegfallende Erwerbs- rinnen und Rentner fi nanzieren, sind geführt, dass Leiharbeit, teilzeit- oder einkommen zu ersetzen. Die Einkom- die tragenden Grundpfeiler der GRV. befristete Beschäftigungsverhältnisse mensersatzfunktion der Rente soll so Grundpfeiler, die der gesetzlichen Ren- weiter ausuferten. Gingen 2002 noch den Lebensstandard im Alter sicher- tenversicherung lange Zeit ein erheb- 57 Prozent aller Erwerbstätigen einer stellen. Nach wie vor ist die gesetz- liches Vertrauen bei den Versicherten geregelten Beschäftigung nach, waren liche Rentenversicherung die wichtigs- garantierten. Dieses Vertrauen wurde es 2005 nach Angaben der Hans-Böck- te Säule der Alterssicherung. Während durch die Rentenpolitik gründlich zer- ler-Stiftung gerade noch 44 Prozent. Be- im Westen rund 80 Prozent aller Alters- stört. Im Januar 2007 hatten laut Allens- troffen sind vor allem Frauen. Sie stel- einkommen aus der gesetzlichen Ren- bach 88 Prozent der Bevölkerung kein len gut 71 Prozent der im Niedriglohn- tenversicherung stammen, liegt der Ge- oder wenig Vertrauen in die Zukunft der bereich Beschäftigten. samtanteil der Alterssicherungsleistun- gesetzlichen Rente. Leider ist das nicht Doch auch unter Annahme deut- gen im Osten sogar bei 99 Prozent. Da- nur ein ungutes Gefühl, sondern ent- lich günstigerer Erwerbsverläufe kann mit erfordert das wachsende soziale spricht harten Daten und Fakten. ein sicherer Schutz vor Altersarmut Schutzbedürfnis vieler Erwerbstätiger Wer aktuell mit 45 Beitragsjahren in nicht mehr erwartet werden. »Berech- dringend eine zukunftsweisende Wei- Rente geht und sein Leben lang immer nungen prognostizieren selbst unter terentwicklung unseres Alterssiche- Durchschnitt verdient hat – für 2007 der Annahme ununterbrochener Er- rungssystems. wurde das Durchschnittsentgelt in der werbsverläufe und unter voller Ausnut- Eine Möglichkeit, diesen Schritt zu Rentenversicherung vorläufi g auf 2.457 zung der Fördermöglichkeiten ein sin- vollziehen, besteht darin, die gesetz- Euro festgesetzt –, würde als Mann im kendes Niveau des Nettoeinkommens liche Rentenversicherung zu einer soli- Westen aktuell eine Rente von immer-

SOZIAL DISPUT November 2007 014 hin noch 1.061 Euro erhalten. Um eine punkte für die private Vorsorge aufbrin- ENERGISCH Rente auf dem Niveau der Grundsiche- gen. Macht 15,75 Prozent. Was liegt nun rung (Miet- und Heizkosten eingerech- höher: 15,75 Prozent oder elf Prozent? net aktuell 664 Euro) zu erhalten, müss- Um das zu beurteilen, reicht wohl die te der gleiche Rentner 28 Beitragsjahre berühmt-berüchtigte Volksschule Sau- nachweisen können. Zukünftig werden erland. Wer hier höhere Beiträge zu dies 37 Jahre sein. zahlen hätte, wären die Arbeitgeber. Wer von einer Dreiviertelstelle, also Denn dank der Aufkündigung der pa- einem Einkommen von 1.843 Euro, le- ritätischen Beitragszahlung durch die ben muss, würde dieses Grundsiche- Renten»reformen« zahlen sie statt elf Unter dem Motto »klima & ener- rungsniveau, selbst wenn er ununter- nur 9,75 Prozent. gie – macht – arbeit« diskutier- brochen arbeiten würde, erst nach 48 Die gesetzliche Deckelung der Bei- ten insgesamt 500 Teilnehmer/ Beitragsjahren erreichen. Nur am Ran- tragssätze auf 20 Prozent im Jahr 2020 innen auf der energiepolitischen de sei erwähnt, dass eine Verkäuferin bzw. 22 Prozent im Jahr 2030 muss auf- Konferenz der Partei und Bundes- im Einzelhandel in Nordrhein-Westfa- gehoben werden, denn sie nutzt alleine tagsfraktion DIE LINKE vom 2. bis len bei Vollzeitbeschäftigung zwischen den Arbeitgebern. Bereits heute müs- 4. November in . An der 1.411 und 2.006 Euro verdient. Wie es sen Arbeitnehmer/innen, die sich ei- Tagung nahmen Vertreter/innen mit deren Rentenansprüchen aussieht, ne lebensstandardsichernde Altersver- von Politik, Wissenschaft sowie lässt sich leicht ausrechnen. sorgung aufbauen wollen, einen insge- Natur- und Umweltschutzverbän- Mit der Einbeziehung aller Erwerbs- samt höheren Anteil für die gesetzliche den teil. Klimaschutz und Energie- tätigen in die gesetzliche Rentenversi- und die private Vorsorge aufbringen, politik sind untrennbar mit Fragen cherung wird die Solidargemeinschaft als es bei einer paritätischen Finanzie- der sozialen, kulturellen und öko- wieder gestärkt und so auch für zukünf- rung im Rahmen einer solidarischen Er- logischen Entwicklung verbunden. tige Generationen langfristig gesichert. werbstätigenversicherung für das Jahr Der bundesweite Kongress sollte Gleichzeitig werden durch die solida- 2030 erforderlich wäre. Von einer wirt- dazu beitragen, das ökologische, rische Erwerbstätigenversicherung die schaftlichen Entlastung der jüngeren wirtschaftliche und soziale Profi l fi nanzielle Situation der gesetzlichen Generation kann keine Rede sein! der Partei zu schärfen. Rentenversicherung spürbar verbes- Letztlich muss die Messlatte für ein »Die LINKE ist die einzige Par- sert sowie weitere Spielräume für not- linkes rentenpolitisches Gesamtkon- tei, die nicht akzeptiert, dass der wendige Leistungserhöhungen und für zept dessen strukturelle Armutsfestig- Zugriff auf die weltweiten Ener- einen fi nanzierbaren Beitragssatz ge- keit sein. Wer ein Erwerbsleben lang giereserven mit militärischen Mit- schaffen. Zwar stehen den Mehrein- in die gesetzliche Rentenversicherung teln gesichert wird«, sagte Par- nahmen kurz und mittelfristig auch einzahlt, muss sich darauf verlassen teivorsitzender Oskar Lafontaine. Mehrausgaben gegenüber. Langfris- können, im Alter und bei Eintritt voller Um der Monopolisierung der tige Einsparungen ergeben sich aber Erwerbsminderung eine Leistung zu er- Energiemärkte konsequent entge- aufgrund der besseren Absicherung al- halten, die seinen Lebensstandard si- genzuwirken, setze sich DIE LIN- ler Erwerbstätigen – vor allem bei der chert. Für Menschen, die dennoch auf- KE für die Wiedereinführung ef- Grundsicherung im Alter. Die gesetz- grund untypischer Erwerbsbiografi en fektiver Preiskontrollen sowie die liche Rentenversicherung wird so ro- von Altersarmut bedroht sind, sollte ne- Übertragung der Strom- und Gas- buster gegenüber dem Strukturwan- ben weiteren solidarischen Ausgleichs- netze in die öffentliche Hand ein. del in der Arbeitswelt und für Arbeit- elementen eine zusätzliche bedarfsori- Darüber hinaus sei die Rekommu- nehmerinnen und Arbeitnehmer sowie entierte Grundsicherung bestehen, die nalisierung und Dezentralisierung Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber be- allerdings aus Steuermitteln zu fi nan- der Energieversorgung erforder- zahlbar bleiben. zieren ist, da es sich hierbei um eine lich, um eine soziale und ökolo- Nun wird der LINKEN vorgewor- gesamtgesellschaftliche Aufgabe han- gische Energiepolitik zu ermögli- fen, die Forderung, dass die gesetz- delt. chen. Die Versorgung der Bevölke- liche Rentenversicherung wieder den Es ist an der Zeit, die Privatisierungs- rung sei eine Aufgabe der öffent- Lebensstandard im Alter sichern soll- und Individualisierungstendenzen in lichen Daseinsvorsorge. te, führe zu drastischen Beitragsstei- der Altersvorsorge zu stoppen, die ver- Die Vorsitzende des Bundes für gerungen für die Arbeitnehmer/innen. gangenen Leistungskürzungen in der Umwelt- und Naturschutz Deutsch- Nach unseren Vorschlägen (die im Üb- gesetzlichen Rente zurückzunehmen lands, Dr. Angelika Zahrnt, rief da- rigen den Verzicht auf die Rente mit 67 sowie zukünftige auszuschließen und zu auf, das in der jüngsten Zeit dra- einschließen) wären zurzeit 22 Prozent die staatliche Förderung der privaten matisch gestiegene Bewusstsein in die Rentenversicherung einzuzahlen; Altersvorsorge zu beenden. Der derzeit für Klima und Umwelt zu nutzen. das wären elf Prozent für die Arbeitneh- von der Politik eingeschlagene Kurs Prof. Dr. Wolfgang Methling, mer und elf Prozent für die Arbeitge- kann nur korrigiert werden, wenn es umweltpolitischer Sprecher des ber. Derzeit liegt der Beitragssatz bei gelingt, deutlich zu machen, dass es Parteivorstandes, wertete die 19,5 Prozent, der Arbeitnehmeranteil für breite Bevölkerungsschichten von Konferenz als vollen Erfolg. »Die beträgt also 9,75 Prozent. Hinzu kom- Vorteil wäre, wenn in der Rentenpolitik energie- und klimapolitische Kom- men für die Riester-Rente selbst nach weiterhin ein hohes Leistungsniveau petenz der LINKEN wurde nach- Abzug der staatlichen Förderung – im- der gesetzlichen Rentenversicherung drücklich unter Beweis gestellt«, merhin ein Drittel nimmt sie gar nicht angestrebt würde. Dafür kämpft DIE betonte er. »Zugleich wurde die in Anspruch – noch einmal drei Pro- LINKE. im Bundestag. Bereitschaft deutlich zur Beratung zentpunkte. Macht 12,75 Prozent, und Volker Schneider ist Renten- und und Zusammenarbeit mit Umwelt- das bei einem niedrigeren Rentenni- wissenschaftspolitischer Sprecher der und Naturschutzverbänden sowie veau. Wer auch dieses noch ausglei- Bundestagsfraktion. anderen außerparlamentarischen chen will, muss weitere drei Prozent- [email protected] Kräften.«

15 0 DISPUT November 2007 n der Düsseldorfer Altstadt steht vor Jahren 60 Prozent mehr in die Taschen dem Portal der Kunsthalle eine ho- geschoben. Und wo nun seine Lokfüh- Ihe Säule, auf deren Kopf ein Pferd rer 30 Prozent Zulage verlangten, da mit Reiter thront. Der Reiter hält ein wurden sie von Presse, Bankiers und Schwert in der Hand und zertrennt da- Börsianern wie Raubritter verteufelt. mit seinen Mantel. Dieses Kunstwerk Aber wer sitzt denn in diesem Unter- soll an den Ritter Martin erinnern. Der nehmerstaat auf dem hohen Ross? Und wurde im Jahr 316 in Ungarn geboren, wer wird durch die unsoziale Lastenver- ging zu den Soldaten, hatte bald ge- teilung in den Abgrund der Altersarmut nug von den Gemetzeln, ging ins Klos- getrieben? ter und wurde im Jahr 371 als Bischof in Die Oberschicht, die dies mit ih- Tours eingesetzt. rer Steuer- und Abgabenpolitik verur- Was diesen Ritter zum Heiligen sacht, geht sonntags gerne mal in die machte, war die Legende, dass er wäh- Kirche. Am 11. November, dem Martins- rend seiner Soldatenzeit am Stadttor tag, sind die Kirchen besonders gut be- von Amiens seinen Mantel mit einem sucht. Dieser Tag gilt seit alters her als frierenden Bettler geteilt hat. Seither Tag der Verträge und Abgaben. Die so- gilt Ritter Martin als Sinnbild der Barm- genannte Martinsgans war der Obolus herzigkeit und Solidarität. der Bauern für die Kirchendiener, die Düsseldorf ist der Schreibtisch und Genügsamkeit predigten. Tresor des Ruhrgebietes, ist Messestadt Heutzutage geht es um ganz ande- und Modezentrum. re Beträge. Die Methoden wurden raf- Auf der Königsal- fi nierter und umfassender. Ein Prozent Martinstag lee fl anieren die Rei- der Bevölkerung besitzt 50 Prozent al- chen und Schönen. ler Privatvermögen. 760.000 Multimil- Dort wird an einem lionäre löffeln aus dem Sahnetopf der Tag mehr Geld aus- Agenda 2010. Aber jeder sechste Haus- gegeben, als man- halt lebt in Armut. Die Ungleichheit ga- che Kreisstädte als loppiert. Jahreseinnahme ver- Steuern eintreiben heißt, die Gänse Von Jens Jansen buchen. Wie kommt zu rupfen, ohne dass sie zischen! Die man gerade dort zu Medien der Spaßgesellschaft übertö- der Martinssäule? nen das Zischen. Doch es schwillt an. Nun ja, es war die Zeit des Wirt- Gysi und Lafontaine haben als erste schaftswunders. Da fi el schon was ab laut gepfi ffen. Beck knurrt nun mit, weil für die Künstler. Das Denkmal steht ja die Bundestagswahl naht. Münte spielt auch nicht als Mahnmal auf der Königs- Querfl öte nach den Notenblättern der allee, sondern abseits. Die Säule ist Unternehmerverbände. Aber der Wind so hoch, dass man den weichherzigen dreht sich! Spender kaum sieht. Ein anderer Platz wäre günstiger, um als Stachel künst- Schatten in den Nebenstraßen lerischer Bosheit zu wirken. Man weiß doch, wie das Völkchen denkt. Schließ- Die Kinder ziehen zum Martinstag mit lich wurde in Düsseldorf auch ein Hein- Lampions durch die Straßen, um Rit- rich Heine geboren. Der saß mit Marx ter Martin und die Barmherzigkeit zu am Kamin und trug seine giftigen Verse ehren, weil in diesem Land Millionen vor: »Wir wollen hier auf Erden schon Hartz-IV-Kinder von zweieinhalb Euro das Himmelreich errichten ...« und sol- am Tag leben müssen. Ihre Lichter sol- chen Unsinn. len helfen, die Menschen im Schatten Der Herr Esser, der den weltbe- zu erkennen. Aber was nutzt das, wenn rühmten Düsseldorfer Mannesmann- die Herrschenden nicht mal hingu- Konzern an die Wand gefahren hat und cken, weil sie ihre Dividenden zählen? mit 30 Millionen als persönliche Ab- Je heller das Licht auf der Königsallee findung geehrt wurde, dachte nicht scheint, umso tiefer werden die Schat- im Traum daran, 15 Millionen dem Rit- ten in den Nebenstraßen. Selbst wenn ter Martin zu Füßen zu legen. Der kauft sich Boss und Bettler beim Lichterum- nicht mal für einen Euro die Obdachlo- zug treffen, geht es so, wie Brecht 1934 senzeitung. Der pfeift auf den Himmel. schrieb: Reicher Mann und armer Mann Der lebt schon so. standen da und sah’n sich an. Und der Ach, wenn’s doch nur der wäre! Aber Arme sagte bleich: »Wär ich nicht arm, der Ackermann von der Deutschen wärst du nicht reich.« Bank, der Hartz von VW, die Vorständ- Vielleicht sollte man die Düsseldor- ler von Siemens – sie leben doch alle fer Martinssäule doch umrücken auf so. die Königsallee? Und gebt dem Ritter Der Mehdorn von der Bahn hat 2,1 ein längeres Schwert, um jenen die Ta- Millionen Euro offi zielle Bezüge im Jahr schen aufzuschlitzen, die nie genug und hat seinen Vorständlern in zehn kriegen!

FEUILLETON DISPUT November 2007 016 Geschlossenheit trotz Differenzen Vom 21. Gewerkschaftstag der IG Metall in Leipzig Von Thomas Händel

Gewerkschaftstage der IG Metall er- tigte mit besonderen Belastungen, als zen. Bei Umstrukturierungen und Pro- freuen sich einer außerordentlichen Nahziel formuliert. duktionsverlagerungen müssen Be- Aufmerksamkeit – nicht erst seit 2003, Die Flut von Ergänzungstarifver- schäftigungssicherung, Arbeitszeitver- dem Jahr des verlorenen Kampfes um trägen, meist nur zur Revision der Ar- kürzungen, interne Qualifi zierung und die 35-Stunden-Woche im Osten und beitszeitverkürzung betrieben, bedarf die Schaffung neuer Arbeitsplätze vor der folgenden Personaldebatte in der einer massiv verbesserten Koordina- Entlassungen stehen. Gefordert wird IG Metall. Diese Phase ist überwunden. tion durch den Vorstand. Das soge- eine Beteiligung der Unternehmen an Hinsichtlich der Mitgliederentwicklung nannte Pforzheimer Abkommen, das den gesellschaftlichen Kosten von Pro- wieder stabilisiert, zeigte sich die IG vom Flächentarifvertrag abweichende duktionsverlagerungen durch eine Aus- Metall auf ihrem diesjährigen Kongress Regelungen erlaubt, soll künftig hin- gleichsabgabe der Unternehmen. vom 4. bis 10. November in Leipzig ent- sichtlich Qualität der Abweichungen, Eine grundlegende Reform der Fi- schlossen, die tarif- und gesellschafts- Verbindlichkeit der Gegenleistungen nanzmärkte muss Spekulationen und politischen Herausforderungen in An- sowie Befristung und Begrenzung ver- illegale Finanzbewegungen verhin- griff zu nehmen. bessert werden, und der Wildwuchs dern, hoch spekulative Hedge-Fonds Welche Irritationen das, trotz aller soll eindämmt werden. Dies tut ange- transparent machen und die Kreditfi - inhaltlichen Debatten und Differenzen, sichts mancher Beliebigkeit in den ei- nanzierung der Beteiligungen von Pri- geschlossene Auftreten in den Medien genen Reihen not: Ein Bevollmächtigter vate Equity-Fonds an Unternehmen ein- (auch bei so manchen Linken) erzeugte, verstieg sich dazu, den Verfechtern der schränken. zeigt die höchst klischeehafte Bericht- 35-Stunden-Woche und des Flächen- Bekräftigt wurde die Forderung nach erstattung: Weder wurde die Aufga- tarifvertrages »Ewiggestrigkeit« vorzu- der »Solidarischen Einfachsteuer«, um be der 35-Stunden-Woche verkündet, werfen ... gesellschaftliche Aufgaben wie Zu- noch die Perspektive weiterer Arbeits- Der Gewerkschaftstag votierte ein- kunftsinvestitionen, Bildung, Gesund- zeitverkürzung aufgegeben. Angesichts deutig für den absoluten Vorrang des heit und soziale Sicherheit solidarisch der arbeitszeitpolitischen Entwicklung Flächentarifvertrages. Er wird das sozi- zu finanzieren. Geringe Einkommen wäre dies einer beschäftigungspoli- al und ökonomisch entscheidende ver- müssen entlastet, hohe Einkommen tischen Kapitulation gleichgekommen. teilungs-, ordnungs- und gestaltungs- wieder stärker belastet werden. Vor Offensichtlich haben »junge Welt« und politische Instrument bleiben. allem Unternehmen und Kapitalein- (alte) »Welt« zu früh gejubelt. Gegen die Rückkehr sozialer Unsi- künfte sollen wieder größere Beiträge Der Kongress ließ keinen Zweifel an cherheiten formulierten die Delegier- zur Finanzierung gesellschaftlicher Auf- der Entschlossenheit, die 35-Stunden- ten einen Grundkanon sozialer Rechte gaben leisten. Die Vermögensteuer auf Woche als Referenzgröße und Regel- – mitunter gegen die Empfehlungen der hohe Vermögen sei wieder einzufüh- arbeitszeit in den Branchen Holz, Tex- Antragsberatung. Dazu gehören aktuell ren und die Erbschaftssteuer entspre- til und Metall durchzusetzen. Große die klare Ablehnung von Ein-Euro-Jobs, chend zu reformieren. Einigkeit herrschte hinsichtlich der die nahtlose Fortsetzung der Kampag- Keinen Widerspruch stellen die Ver- Beibehaltung und Erreichung dieser ne gegen die Rente mit 67 und die Zu- ortung »der IG Metall in der (soziolo- Normalarbeitswoche, »die täglich neu rückdrängung des wuchernden Leihar- gischen) Mitte der Beschäftigten« (Hu- erkämpft werden müsse«, so Huber in beitssektors. Nicht nur Equal Pay (glei- ber) und die bekräftigten Positionen der seinem Grundsatzreferat. Ausufernde cher Lohn für gleiche Arbeit), sondern IG Metall im linken politischen Spek- Arbeitszeiten müssten begrenzt wer- auch Equal Treatment (Leiharbeit muss trum der Gesellschaft dar. Die Wahlen den. Die IG Metall müsse ihre Kompe- zu gleichen Lohn- und Arbeitsbedin- unterstreichen dies eher: Während die tenz in Arbeitszeitfragen einsetzen, um gungen stattfinden wie reguläre Be- Wahl von Huber und Wetzel mit ausge- wieder in die Offensive zu kommen und schäftigung), eine Wiedereinführung zeichneten Ergebnissen keine Überra- die gesellschaftliche Meinungsführer- des Synchronisierungsverbotes und schung bot, war das Ergebnis von Hans- schaft zurückzuerobern, so ein Dele- verbesserte Mitbestimmungsrechte Jürgen Urban nach einem eindeutigen gierter. Der »Arbeit wieder ein gesun- für die Betriebsräte von Entleiherbe- Bekenntnis zur Linken mit 89,9 Pro- des Maß geben« ist das Motto einer trieben stehen dabei ganz oben. Nach zent der Stimmen mehr als unerwartet. künftigen arbeitszeitpolitischen Kam- Jahren schwieriger Debatten tritt die IG Neu im geschäftsführenden Vorstand pagne der IGM. Metall nun ebenfalls für einen gesetz- ist ebenfalls Helga Schwitzer, die den Bei allen Anforderungen an eine dif- lichen Mindestlohn ein. Zwar wurde et- abgewählten Wolf-Jürgen Röder ersetzt. ferenzierte Arbeitszeitgestaltung ver- was vollmundig kein Bedarf für den ei- Der für die Bildungsarbeit verantwort- schiedener Beschäftigtengruppen soll genen Organisationsbereich bekundet, liche Röder war nach belastenden Aus- dies unter tariflichen Rahmenbedin- Insider sehen in manch einem organi- einandersetzungen über den künftigen gungen und unter stärkerer Berücksich- sationsschwachen Wirtschaftsbereich Kurs der gewerkschaftspolitischen Bil- tigung von gesundheitspolitischen Prä- bei Metall, Holz oder Textil aber durch- dungsarbeit vom Vorstand nicht mehr missen gestaltet werden. Ausdrücklich aus Handlungsbedarf. nominiert worden. Dieses Thema hat wurde eine weitere Arbeitszeitverkür- Für eine nachhaltige und sozial ge- nun in Fortsetzung des Gewerkschafts- zung für speziell defi nierte Beschäftig- rechte Wirtschaftsordnung wollen sich tages zunächst der Beirat der IG Metall tengruppen, wie Ältere oder Beschäf- die Metaller/innen verstärkt einset- zu bearbeiten.

170 DISPUT November 2007 GEWERKSCHAFT Nicht nur satt, sauber, trocken Pfl ege ist ein Thema, das viele direkt betrifft und noch mehr beschäftigt. DIE LINKE hat ein Konzept vorgelegt Von Ilja Seifert und André Nowak

Kürzlich machte eine Berliner Tageszei- in Bezug auf eine hilfreiche, assistie- Die Pfl egeversicherung ist seit Jah- tung auf sich aufmerksam, indem sie rend-begleitende oder auch anleiten- ren unterfi nanziert. Seit ihrer Einfüh- auf ihren »Pfl egeführer« verwies. Die de Pfl ege. rung 1995 sind ihre Leistungen nicht Redaktion hatte dafür Daten der 290 Da sind erstens die Menschen, die ein Mal angepasst worden. Pfl egebe- Berliner Pflegeheime aufgearbeitet. häufi g schon frühzeitig, zum Teil von dürftige und Angehörige müssen einen Diese gehen auf Aktivitäten des »Run- Geburt an, mit einem Handicap und immer größeren Anteil selbst bezah- den Tisches Pfl egequalität« zurück, den entsprechenden Beeinträchtigungen len, die Zahl der Sozialhilfeempfänge- Senatorin Heidi Knake-Werner (DIE LIN- leben. Sie erwarten eine volle Teilhabe rinnen und -empfänger unter den Pfl e- KE) initiiert hatte. Die Zeitung konnte und haben Ansprüche, die alle Lebens- gebedürftigen steigt. Deswegen fordert sich gewiss sein, dass diese Werbung bereiche umfassen. Sei es Wohnen, Ar- DIE LINKE, den 15-prozentigen Wertver- zieht, denn immer mehr Menschen fra- beiten, Freizeitgestaltung, Familienle- lust der Pfl egeleistungen unverzüglich gen sich: »Was wird aus mir, wenn ich ben, Urlaub, Sport, Kultur, Einkaufen. auszugleichen. Für eine bessere Qua- eines Tages – wegen Alters, Krankheit Sie benötigen dafür häufi g eine stän- lität der Pfl ege und bessere Arbeitsbe- oder Unfall – nicht mehr allein zurecht- dige oder sehr weitgehende persona- dingungen sollen als Sofortmaßnahme komme?« le Assistenz, Begleitung und/oder An- die Sachleistungsbeträge für die am- Pfl ege ist ein Thema, das viele be- leitung. bulante, teilstationäre und stationäre trifft und noch mehr beschäftigt. Die Zweitens: Menschen, deren Alltags- Pfl ege gleichzeitig um weitere 25 Pro- Bundesregierung hat jetzt einen Ge- kompetenz – aus verschiedenen Grün- zent angehoben werden. Grundsätzlich setzentwurf für eine Pfl egereform vor- den – nachlässt oder verringert ist, die muss das Pflegestufensystem über- gelegt, der allerdings selbst hinter den trotzdem Teilhabe beanspruchen und wunden und die Leistungshöhe am tat- eigenen Zielen aus der Koalitionsver- die körperliche Pfl ege ebenso benöti- sächlichen Bedarf der Betroffenen, ein- einbarung zurückbleibt. Die Fraktion gen wie Hilfe im Haushalt und/oder be- schließlich der Demenzkranken, ausge- DIE LINKE. im Bundestag hat deshalb gleitende Assistenz oder Anleitung. richtet werden. ein eigenes Konzept für eine humane Drittens: Menschen im (oder nahe Die Regierung sieht in ihrem Ge- und solidarische Pfl ege und ein Sofort- am) Sterbeprozess, die auf Zuwendung setzentwurf eine völlig unzureichende programm erarbeitet und auf einer Pfl e- (auch auf Zuhören oder geistlichen Zu- stufenweise Anhebung der Geld- und gefachtagung am 29. Oktober zur Dis- spruch), auf Palliativ- und Schmerzbe- Sachleistungen in der Pfl egeversiche- kussion gestellt. Das Fazit der LINKEN: handlung und auf würdevolle Sterbe- rung bis 2012 vor. Dadurch würde nicht Eine grundlegende Reform der Absi- begleitung Anspruch erheben. einmal der genannte Realwertverlust cherung von Pfl ege und Assistenz ist Diese unterschiedlichen Anforde- der Leistungen ausgeglichen. Gut ein überfällig. rungen müssen besser berücksichtigt Viertel der Leistungsbezieherinnen und Sie erfordert erstens einen neuen werden. Die Praxis sieht anders aus -bezieher – rund 530.000 Pfl egebedürf- Pflegebegriff, in dem Assistenz und und hat seit Langem Kritik auf den Plan tige – bekommt keinen Cent mehr als damit Selbstbestimmung eine wich- gerufen. Angesichts dessen ist die Re- bisher. So erhalten Pfl egebedürftige tige Rolle spielen. Kurz gesagt: Hil- aktion der Bundesregierung zwölf Jah- der Pfl egestufen I und II, die in Hei- fe und Unterstützung zu geben, ohne re nach Inkrafttreten der Pfl egeversi- men versorgt werden, keinerlei zusätz- dabei zu entmündigen. Zweitens sind cherung (geregelt im Sozialgesetzbuch liche fi nanzielle Unterstützung. Für de- qualitative Verbesserungen der Infra- XI) völlig unzureichend: Sie deckelt zu- menziell erkrankte Menschen stellt die struktur, insbesondere im ambulanten erst die Finanzen und beschränkt da- Bundesregierung maximal 2.400 Euro und teilstationären Bereich, erforder- mit den Spielraum für die Neudefi niti- im Jahr zur Verfügung. Würden tatsäch- lich. Drittens müssen (siehe erstens) on des Pfl egebegriffs sowie für die drin- lich eine Million Betroffene ihre Unter- die Pfl egeassistenz-Leistungen ausge- gend erforderliche Verbesserung des stützung einfordern, blieben im Jahre baut werden. Viertens geht es um die Leistungsniveaus, der Qualität und der 2008 rechnerisch für jeden Einzelnen moralische und fi nanzielle Aufwertung Pfl egestrukturen. 76 Cent pro Tag übrig. Steigende Kosten der Pfl ege- und Assistenzberufe. Und Der gegenwärtig gültige, vorwiegend – ob im Heim, teilstationär oder ambu- nicht zuletzt ist fünftens eine sozial ge- auf den Körper und damit auf Verrich- lant – werden weiterhin auf die Betrof- rechte Finanzierung zu sichern. tungen bezogene Pflegebegriff (satt, fenen, ihre Angehörigen und/oder die Pfl ege muss assistierte Teilhabe er- sauber, trocken) hat sich als unbrauch- Sozialämter abgewälzt. möglichen. Sonst bleiben die Betrof- bar erwiesen. Nötig sind Hin- und Zu- Die Gewinnorientiertheit vieler Leis- fenen auf der Strecke. Sowohl diejeni- wendung, das Sprechen mit dem alten tungsanbieter beschädigt die Quali- gen, die Unterstützung benötigen, als oder behinderten Menschen, die Mobi- tät der Pfl ege. Der Medizinische Dienst auch die Pfl egerinnen und Pfl eger. Arti- lisierung seiner eigenen Möglichkeiten der Krankenkassen hat in seinem Qua- kel 1 des Grundgesetzes zur Würde des und Fähigkeiten. Fachleute sprechen litätsbericht in Pflegeheimen, aber Menschen muss immer, überall sowie von einer »ganzheitlichen Assistenz- auch im ambulanten Bereich zum Teil für jede und jeden gelten. leistung«. Ein Pfl egebegriff mit diesem problematische Zustände festgestellt. So unterschiedlich die Betroffenen- Ansatz ist auch eine der Vorausset- Gute Pfl ege braucht Zeit, also ausrei- gruppen sind, so unterschiedlich sind zungen, um demenziell erkrankte Men- chend motiviertes und qualifi ziertes die Erwartungen und Anforderungen schen einzubeziehen. Personal. Für eine optimale stationäre

SOZIAL DISPUT November 2007 018 Versorgung sind eine bessere Mitwir- dige Pfl ege nicht möglich. Das Teilkas- VOR ORT kungsmöglichkeit und Mitbestimmung ko-Prinzip der Pfl egeversicherung führt der Betroffenen in Heimbeiräten, eine zu Überforderung und Überlastung. An- erhöhte Transparenz durch die Veröf- gehörige und Ehrenamtliche brauchen fentlichung von allgemein verständli- Unterstützung durch professionelle Be- chen Prüf- und Qualitätsberichten so- ratung, Anleitung und Betreuung. Die- wie verstärkte unangemeldete Kontrol- se Aufgaben kann eine von Anbietern len vorzusehen. und Kostenträgern unabhängige Pfl e- Mit den Vorschlägen der LINKEN geberatung übernehmen. Mit höheren kann sich der Pfl egebereich zu einem Leistungen in den Pfl egestufen können Die Verankerung in den Kommu- Beschäftigungsmotor entwickeln. Min- dringend benötigte Angebote der Ta- nen war und ist ein wichtiges destens die Hälfte des Personals soll- ges-, Kurzzeit- und Nachtpfl ege ausge- Standbein der LINKEN. Hier be- te aus Fachkräften bestehen. Für das baut und genutzt werden. weist sie sich als politischer Part- Heimrecht sollte die Zuständigkeit Die Finanzierung der Pfl egeversiche- ner, hier steht sie im gesellschaft- des Bundesgesetzgebers wieder her- rung ist eine Schlüsselfrage. Wer sich lichen Dialog, hier sammelt sie gestellt werden, um einen bundesein- mit fi skalischen Tricks um die Lösung politische Erfahrungen. 256 Mit- heitlichen Minimalstandard in der sta- der maßgeblichen Probleme drückt, glieder oder Sympathisanten der tionären Pfl ege sicherzustellen. macht sich mitschuldig an den unter- LINKEN bekleiden derzeit ein Amt Altenpfl egekräfte müssen in ihrer ernährten Frauen und Männern, für in kommunalen Verwaltungen. Bezahlung den Krankenpfl egekräften die nicht einmal Zeit bleibt, um sie vor Das sind 188 haupt- und ehren- angeglichen werden. Gesetzliche Re- Druckgeschwüren zu bewahren. amtliche Bürgermeisterinnen und gelungen sollen ermöglichen, dass die Die geforderten Verbesserungen Bürgermeister, zwei Landrätinnen Überbelastung abgebaut, Teilzeitarbeit können solide und sozial gerecht fi nan- und ein Landrat, vier Amtsleiter ermöglicht, die Ausbildung verbessert ziert werden, wenn eine solidarische und 61 haupt- und ehrenamtliche und die Angebote an Qualifikations- Bürgerinnen- und Bürgerversicherung Beigeordnete. und Weiterbildungsmaßnahmen (in- in der Pfl ege eingeführt wird. Demnach Auf der Bürgermeister/innen- klusive Supervision) ausgeweitet wer- sollen alle, auch Selbständige, Beam- Konferenz am 2. November im den. Pfl egekräfte sollen auch über ei- tinnen und Beamte und Freiberufl er/in- Berliner Roten Rathaus kündig- nen langen Zeitraum motiviert ihren nen, in die soziale Pfl egeversicherung te Bundesgeschäftsführer Diet- Beruf ausüben können. einbezogen werden. Die Trennung zwi- mar Bartsch an, dass DIE LINKE ih- Der Regierungsentwurf kündigt ei- schen privater und sozialer Pfl egever- re Verankerung vor Ort kontinu- nen Ausbau der Infrastruktur an. Aber sicherung ist aufzuheben. Sämtliche ierlich ausbauen werde. »Das ist wo ist ein einleuchtendes Konzept? Einkommen werden beitragspfl ichtig für die politische Wirkung genau Wo die Finanzierung? Pfl egebegleitung und mit einem einheitlichen Beitrags- so wichtig wie für die Parteient- und Pflegestützpunkte bleiben nur satz belegt. Beitragsungerechtigkeiten wicklung überhaupt.« Ohne wirk- hübsche Verzierungen, solange nicht – werden abgeschafft: Rentnerinnen und same Qualifi zierungen und ohne strukturell und bezahlt – Betroffenen- Rentner sollen künftig wieder nur den praktischen Erfahrungsaustausch sachverstand von Selbsthilfeorganisa- halben Beitragssatz zahlen; die andere sei erfolgreiche Kommunalpolitik tionen einbezogen wird. Hälfte ist aus der Rentenversicherung nicht möglich. »In der Bundespo- Durch die Veränderung der Familien- zu begleichen. Der höhere Pfl egebei- litik erleben die Menschen, ob und strukturen und des Familienbildes, die trag von Kinderlosen sollte abgeschafft wie wir ihre Interessen und Sicht- stärkere Berufstätigkeit von Frauen und werden. Die Beitragsbemessungsgren- weisen auf die Lage im Lande re- die fl exible Arbeitswelt kommen neue ze soll stufenweise angehoben werden, präsentieren und vertreten. In der Herausforderungen auf die Pfl egever- im ersten Schritt auf die Höhe der Bei- Kommune erleben sie, ob und wie sicherung zu, die im Entwurf völlig un- tragsbemessungsgrenze der gesetz- wir uns für ihre konkreten Anlie- zureichend angegangen werden. Ein lichen Rentenversicherung. Die fak- gen, ihre Nöte und Sorgen und für Trend zur stärkeren Inanspruchnahme tische Abkehr vom Prinzip der paritä- ihre Perspektive einsetzen.« von professioneller Pfl ege beziehungs- tischen Finanzierung in der Pfl ege ist Der Bundesgeschäftsführer weise Assistenz ist bereits zu festzu- zu überwinden. Arbeitgeber und Ar- dankte allen Kommunalpolitike- stellen. Maßnahmen für eine stärke- beitnehmer sollen wieder gleicherma- rinnen und Kommunalpolitikern re öffentliche Verantwortung sieht die ßen beteiligt sein. für ihr großes Engagement. Er hob Regierung nicht vor. Ihr fehlt es an Mut, Zurück zur Ausgangsfrage: Was wird hervor, dass sich mit dem Ham- die kostenintensive Entlastung der fa- aus mir ...? Ängste vor dieser Situation burger SPD-Parteitag die Mög- miliären Hilfe durch professionelle Pfl e- können nur genommen werden, wenn lichkeiten für eine Zusammenar- gekräfte umzusetzen. die Gesellschaft den Mut für wirkliche beit von SPD und LINKEN auf kom- Das Risiko, krank oder pfl egebedürf- Reformen aufbringt. Unstrittig ist, dass munaler Ebene verbessert hätten. tig zu werden, hängt eng mit der sozi- für eine humane Pfl ege grundlegende Dies werde DIE LINKE im Interes- alen Situation, der Bildung und dem Änderungen notwendig sind, die nur se der Bürger/innen optimal aus- Einkommen zusammen. Mehr Chan- schrittweise erfolgen können. Trotzdem schöpfen. cengleichheit sowie mehr Prävention oder gerade deswegen sind Solidarität Schwerpunkte der Konferenz und Gesundheitsförderung könnten und rasches Handeln erforderlich. waren Themen wie die Sicherung helfen, Pfl egebedürftigkeit zu vermei- einer Grundversorgung im länd- den oder zumindest zu reduzieren. Dr. Ilja Seifert ist behinderten- und lichen Raum, die Schaffung güns- Ohne enorme zeitliche und fi nanziel- pfl egepolitischer Sprecher der Fraktion tiger Bedingungen für kommunale le Anstrengungen von Angehörigen und DIE LINKE, André Nowak sein Unternehmen sowie Erfahrungen besonders nahestehenden Personen wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Auseinandersetzung mit ist eine individuelle und menschenwür- [email protected] Rechtsextremisten und Rassisten.

190 DISPUT November 2007 »... dreifach könnt ich den Tag füllen« © aus: Die Liebknechts, aufbau, Berlin 2007 aufbau, Berlin © aus: Die Liebknechts,

Historiker leben von und mit Zahlen. Vor 100 lig – das war eine Sensation – zogen sozialdemokratische Jahren, fast auf den Monat genau, musste Parlamentarier in das preußische Abgeordnetenhaus ein, Karl Liebknecht eine eineinhalbjährige Haft- und zu ihnen gehörte der Festungshäftling Liebknecht. strafe in der Festung Glatz antreten. Was war Schlagartig besaß er auch in der Partei größere Aufmerk- dafür der Anlass? samkeit. Bis zum Prozess war er als Sohn des »Alten« Wil- Das Reichsgericht hatte ihn am 12. Oktober helm Liebknecht, des Mitbegründers der Partei, mit seinen 1907 wegen seiner Schrift »Militarismus Ansichten keineswegs voll akzeptiert oder gar umjubelt wor- und Antimilitarismus unter besonderer Be- den. Karl Liebknecht entwickelte sich fortan zu einem Vor- rücksichtigung der internationalen Jugend- kämpfer der Linken in der deutschen und internationalen bewegung« verurteilt. In der Schrift fasste Sozialdemokratie. Liebknecht Erfahrungen aus dem antimilitaristischen Enga- gement der deutschen Sozialdemokratie zusammen, mach- Karl Liebknechts Patenonkel Nr. 1 war Karl Marx. Erklärt dies te auf neue Wesenszüge des Militarismus aufmerksam und auch seinen Vornamen? begründete, warum darüber eine treffendere antimilitaristi- Nein, nachweisen lässt sich das nicht. Wilhelm Liebknechts sche Aufklärung der Jugend notwendig sei. freundschaftliches Verhältnis zu Marx legt die Vermutung na- Der preußische Kriegsminister von Einem ließ die Schrift he. Aber dann hätte er bereits seinen ersten Sohn Karl nen- beschlagnahmen und forderte den Oberreichsanwalt von nen können ... Olshausen auf, Karl Liebknecht wegen Aufforderung zum Hochverrat anzuklagen und zu verurteilen. Auffallend ist, dass alle fünf Söhne Wilhelm Liebknechts stu- Liebknecht und seine Verteidiger wandten sich gegen diert haben. haltlose Unterstellungen und erzwangen das Verlesen der Auf Bildung und solide Berufe legte er großen Wert, nicht zu- gesamten Schrift vor Gericht. Karl Liebknecht fühlte sich letzt deshalb, um fi nanziell unabhängig und unbestechlich nicht als Angeklagter, er bekannte sich mutig zu seinem zu sein. Da dieses Ziel die fi nanziellen Möglichkeiten der Fa- antimilitaristischen Grundanliegen und erklärte in seinem milie von Wilhelm Liebknecht überstieg, erhielt er auf Initi- Schlusswort, er wolle den Frieden und verfolge den Zweck, ative von August Bebel, Paul Singer und anderen durch ei- die Entscheidung über Krieg und Frieden aus dem Dunkel nen von vermögenden Sozialdemokraten gestifteten »Erzie- der Kabinette und Diplomatenschleichwege herauszuholen. hungsfonds« eine beachtliche Unterstützung, deren Höhe vertraulich behandelt wurde. Was hat diese Haft bewirkt? Im Vergleich zu seiner Zuchthaushaft in Luckau (ab Ende Karl studierte (Jura), wurde Anwalt (in Berlin) und kam erst 1916) besaß er in Glatz deutlich bessere Möglichkeiten zum danach in die Politik. Arbeiten, die er weidlich nutzte. Während dieser Zeit wurde Für den Jurastudenten und für die Referendarzeit in Staats- er als Berliner Stadtverordneter wiedergewählt. Und erstma- diensten war es nicht ratsam bzw. nicht ungefährlich, sich

GESCHICHTE DISPUT November 2007 020 offen als Sozialist zu bekennen. Parteimitglied wurde Karl vor Gericht verteidigte. Ähnlich erging es ihm in seiner Ar- Liebknecht im August 1900, in dem Monat, in dem sein Va- beit als Abgeordneter im Stadtparlament, im Landtag und ter plötzlich verstorben war. im Reichstag.

Wäre Karl auch in die Politik gegangen, wenn er nicht Anwalt Für viele Linke bilden Liebknecht und Luxemburg ein poli- geworden wäre? tisches Begriffspaar wie auf andere Weise vielleicht Marx und Ich meine ja. Durch seine juristische Ausbildung und die Engels. Ist das nach Deinen Forschungen berechtigt? praktischen Erfahrungen erhielt er tiefe Einblicke in die ka- Unbedingt. Beide verdienen es, zusammen beachtet und pitalistische Gesellschaftsstruktur und das Gebaren der Ins- titutionen des Kaiserreiches, die sein kritisches Verhältnis zu diesem System schärften. Für die Partei-Entscheidung ausschlaggebend dürfte je- doch das sozialdemokratische Familienleben gewesen sein. Durch das politische Engagement des Vaters – ab 1890 war er Chefredakteur des »Vorwärts« – kannten sich die Kinder beizeiten in den Pfl ichten, Werten und Gefahren von Partei- arbeit aus und hatten engen Kontakt zu vielen Freunden aus dem In- und Ausland. Auch Karls Brüder wurden alle Sozial- demokraten.

Karl Liebknecht – Zur jüngsten Biografi e des Rechtsanwalts, Parlamentariers, Kriegsgegners und herausragenden Linken Im Gespräch mit Prof. Dr. Annelies Laschitza

Welche Klienten vertrat Rechtsanwalt Karl Liebknecht? Grundsätzlich alle, die sich an ihn wegen politischer und so- zialer Ungerechtigkeiten wandten. Das waren Redakteure, die der »Majestätsbeleidigung« bezichtigt wurden, Vertre- ter von Wahlkreis- und Gewerkschaftsvereinen, die sich Po-

lizeiübergriffen bei Versammlungen und Demonstrationen Wehnert © Erich erwehren mussten, Revolutionäre und studentische Emig- ranten aus dem zaristischen Russland, die gegen Verfolgung und um Asylrecht fochten. Es sprach sich rasch herum, dass geehrt zu werden. Auch weil sie gemeinsam das bittere in der Kanzlei der Gebrüder Karl und Theodor Liebknecht Ar- Schicksal der Verfolgung, Einkerkerung und des Märtyrer- men geholfen wurde. Also kamen zum Beispiel Dienstboten, todes erleiden mussten. Vor allem aber, weil sie in ihrem Binnenschiffer oder Landarbeiter als Opfer der Gesindeord- politischen Engagement Gleichgesinnte waren. Sie setzten nung; es ging um Alimentezahlungen, Vergewaltigungskla- sich konsequent für eine revolutionäre, antikapitalistische, gen, Lohnforderungen, Mietstreitigkeiten. Viele seiner Erfah- antimonarchistische, antimilitaristische Opposition ein und rungen als Anwalt brachte der Abgeordnete Karl Liebknecht zeichneten sich im Kampf gegen den imperialistischen Ers- in den Parlamenten zur Sprache, zum Beispiel auch, dass ten Weltkrieg durch Standhaftigkeit aus. Und sie nahmen die Kosten für Rechtshilfe und Rechtssprechung vermindert viele persönliche Opfer auf sich. Beide verfolgten als Ziel ei- werden sollten, weil es ungerecht sei, dass die Leute, die so- ne Gesellschaft, in der Frieden, Menschenrechte, soziale Ge- wieso nichts haben, auch noch bezahlen müssten. Es scher- rechtigkeit, Demokratie gewahrt werden, Dinge, deren Ver- te ihn wenig, dass er dann selbst weniger verdient hätte. In wirklichung sie im Kapitalismus nicht mehr für möglich hiel- der Kanzlei führte übrigens Theodor die Kasse und Konten. ten. Als Karl 1906 während der russischen Revolution 6.000 Mark Es existieren aber nach wie vor Legenden und Illusionen Schulden aufnahm und zur Unterstützung der Revolutionäre über das subjektiv einvernehmliche Zusammenwirken der spendete, gab es einigen Ärger. beiden. Bis 1914 nahmen sie in ihren Äußerungen und Hand- lungen kaum aufeinander Bezug. Die direkte persönliche Zu- Inwiefern haben die Klienten Karl Liebknechts Bild von der sammenarbeit begann erst bei Ausbruch des Krieges, ange- Gesellschaft geschärft? sichts der Krise der deutschen Sozialdemokratie und der II. Deren Schicksale und Probleme gaben ihm wichtige Einbli- Internationale. Infolge der zwar durchaus befürchteten, aber cke in das Leben einfacher Menschen, Einblicke, die er zum dennoch nicht so vorauszusehenden neuen Situation gin- Beispiel Rosa Luxemburg voraus hatte. Sie erfuhr davon gen sie im Ringen um die Sammlung der verbliebenen auf- höchstens durch ihre Hausgehilfi n und indirekt in sozialde- rechten Kriegsgegner aufeinander zu, wurden Freunde und mokratischen Versammlungen. Liebknecht wurden sie stän- entwickelten sich zu den bekannten Führern der Spartakus- dig gewahr, wenn er für seine Klienten recherchierte und sie bewegung.

210 DISPUT November 2007 Warum fanden sie erst so spät politisch zueinander? Zum einen unterschieden sie sich in ihrer Herkunft. Zum an- deren positionierten sie sich auf verschiedenen Tätigkeits- feldern: Rosa Luxemburg stärker in der Theorie und in der Presse, seit 1907 war sie Lehrerin an der Parteischule. Karl Liebknecht war vor allem als Rechtsanwalt, als Parlamenta- rier, als Verteidiger selbständiger proletarischer Jugendorga- nisationen und als Agitator tätig und hatte, außer in der Glat- zer Haftzeit, weder Zeit noch Muße, theoretische Werke zu verfassen. Zudem lebte Karl Liebknecht in einer relativ großen Fa- milie, während Rosa Luxemburg auf sich allein gestellt ih- ren Ambitionen nachging. An der Intensivierung der Be- ziehungen zwischen Karl und Rosa hatte übrigens Sophie Liebknecht, seine zweite Ehefrau, großen Anteil. Rosa Luxemburgs »Briefe aus dem Gefängnis« geben wunderbar Aufschluss über die Freundschaft der beiden gebildeten und einfühlsamen Jüdinnen und ihr Verhältnis zu Karl. Wehnert © Erich Sockel für ein Denkmal am Potsdamer Platz in Berlin: »Von die- Wenn Du Karl Liebknecht als Person kurz beschreiben müss- ser Stelle rief Karl Liebknecht am 1. Mai 1916 zum Kampf gegen test, wie würde das Bild aussehen? den imperialistischen Krieg und für den Frieden auf«. Der So- Er war mittelgroß, freundlich und forsch, kontaktfreudig, ckel war 1951 errichtet worden, das Denkmal nie fertiggestellt charmant, musikliebend, naturverbunden, wanderfreudig, – ab 1961 stand er im gesperrten Grenzgebiet und wurde 1995 temperamentvoll, schnell entschlusskräftig, rast- und ru- beim Neubau des Potsdamer Platzes eingelagert. 2003 wurde helos, deshalb manchmal hektisch, konsequent und den- der Sockel selbst zum Denkmal, hier bei der Wiederaufstellung. noch tolerant, furchtlos, etwas eitel, aber nicht herrschsüch- tig oder machtbesessen. Und scharfsinnig! Das beweisen viele seiner Dokumente Bio grafi en ist es mein Anliegen, Karl Liebknecht insgesamt in komplizierten Situationen, zum Beispiel die Reichstagsre- ins Blickfeld zu rücken. Mit einer Komposition, die Persön- den und Presseartikel über die Krupp-Enthüllungen 1913, die liches, Familiäres sowie Politisches und Zeitgeschichtliches Thesen über den Ersten Weltkrieg vom November 1914, sei- zusammenfügt, möchte ich dazu beitragen, dass Karl Lieb- ne Kleinen Anfragen im Deutschen Reichstag 1915/16 oder knecht aus dem Schatten Rosa Luxemburgs heraustritt und sein Artikel »Das, was ist« in der »Roten Fahne« vom 21. No- nicht zu einem linken Säulenheiligen versteinert, sondern vember 1918. als ungestümer Kämpfer und umstrittener Querdenker, als »...dreifach könnt ich den Tag füllen«, schrieb er mal an Mann mit Charme und Charisma in Erinnerung bleibt. Nichts Sophie. Nicht selten ging er in seinem Enthusiasmus über liegt mir dabei ferner, als ihn wie eine Ikone emporzuheben seine Kräfte, verhielt er sich gegenüber der Familie manch- bzw. aus seinem Erbe ahistorische Handlungsrezepte oder mal auch ein bisschen rücksichtslos. Wenn es um die Sache Denkschablonen für heute abzuleiten. Bei ihm ist wahrhaft ging, setzte er alles auf eine Karte. Fallen wollte er nur auf Überlegenswertes und Anregendes zu entdecken, und zwar dem Schlachtfeld der Revolution. Selbst wollte er nie auf je- vieles von hochaktueller Treffl ichkeit. Das gilt auch für sein manden schießen. Fragment »Die Bewegungsgesetze der menschlichen Gesell- schaft« von 1917/18, das erstmalig so ausführlich in einer Welche Vorstellungen hatte er von einer neuen Gesell- Biogra fi e vorgestellt wird. schaft? Kurz geantwortet: Auch Liebknecht war für eine demokratisch An welche Leser/innengruppen hast Du gedacht? gesicherte sozialistische Perspektive mit absoluter Friedens- An alte wie junge, nicht zuletzt an die, die alljährlich zu Lieb- garantie und unbedingtem Ende des Rüstungswahnsinns. knecht nach Berlin-Friedrichsfelde (zur Gedenkstätte der So- Ähnlich wie im Spartakus-Programm, das Rosa Luxemburg zialisten, zweiter Januarsonntag – St. R.) gehen. entwarf, vertrat er die Auffassung, dass man dafür sorgen Ich wünsche mir, dass alle mein Buch lesen, die sich muss, eine neue Machtkonstituierung in Richtung Sozialis- für Karl Liebknecht, seine Familie und Freunde, auch sei- mus auf den Mehrheitswillen der Bevölkerung eines Landes ne Widersacher und Gegner interessieren, die seine Auffas- stützen zu können. Das sei die größte und schwierigste Her- sungen kennenlernen wollen, nach Alternativen zum Kapita- ausforderung. Alles andere bringe solche Schwierigkeiten, lismus suchen und mehr als bisher über seine Lebens- und Unwegsamkeiten und Folgen mit sich, wie er sie als »Zucht- Kampfesweise erfahren möchte, auch über seine persön- häusler« bei der Oktoberrevolution und beim Vorgehen der lichen Höhen und Tiefen. Bolschewiki beobachtete, wenn er auch die scheußlichen Umstände und Zwänge nur ahnen konnte, unter denen eine Hast Du spezielle Lese-Wünsche? Minderheitenpartei plötzlich zur erstmals siegreichen Revo- Na, ein paar Abgeordneten wünschte ich schon sehr, dass lutionspartei geworden war. sie mal das Kapitel über Parlamentarier lesen. Das muss je- dem ein bisschen in Fleisch und Blut übergehen. Für Lieb- Was ist neu an dieser Biografi e? knecht war Prinzip, dass er nicht in erster Linie daran dachte, Sie stützt sich auf viele neue Quellen und Forschungsergeb- wie die Mehrheit des Hauses auf seine Rede reagiert, son- nisse anderer Historiker zu speziellen Problemen. Sie ver- dern die Frage: Bringe ich durch meine Gedanken im Haus meidet unhistorische und einseitige Einschätzungen. Ihr Ak- eventuell einen wichtigen Gesichtspunkt raus aus dem Par- tualitätswert drängt sich über die Darstellung Liebknechts lament, indem ich es hier sage und dort draußen weiter ak- und seiner Leistungen auf. tiv vertrete? Die Frechheiten, die ihm entgegengeworfen wur- Im Unterschied zu den bisherigen vorrangig politischen den, hat er an sich abprallen lassen.

GESCHICHTE DISPUT November 2007 022 Wie dicht kann, mit wie viel Abstand muss sich eine Histori- Das Buch heißt »Die Liebknechts«, meint wohl vor allem Karl kerin einer solchen Persönlichkeit nähern? und Sophie? Als Historikerin der Arbeiterbewegung will man, noch da- Nein, der Titel ist auch auf die ausführliche und persönliche zu im reizvollen Genre der Biografi e, quellengestützt, exakt Schilderung der Eltern, die Charakterisierung seiner ersten und so objektiv wie möglich bleiben. Aber ich denke, kein Ehe mit Julia und den drei Kindern Wilhelm (Helmi), Robert Biograf kann sich gänzlich von subjektiv ergreifenden Mo- (Bob) und Vera sowie der Beziehungen zu seinen vier Brü- menten befreien. dern Theordor, Otto, Curt und Wilhelm bezogen. Nicht zuletzt Dass ich, die sich intensiv der Forschung über Karl Lieb- werden die dramatischen Schicksalsschläge für die Familie knecht widmet, mit seinen Angehörigen viele Gespräche füh- nach der Ermordung von Karl Liebknecht skizziert. ren und freundschaftliche Kontakte pfl egen konnte, nicht oh- ne Sympathie für diese Persönlichkeit gearbeitet habe, er- Gibt es für Dich so etwas wie eine besondere Absicht, die Du klärt sich von selbst. Meine, wenn auch nicht unkritische mit Deinen Biografi en verfolgst? Faszination wird dem Buch anzumerken sein. Es spräche für ein echtes humanistisches Klima in der heu- tigen Gesellschaft, wenn Persönlichkeiten wie Karl Lieb- Mal spannend, mal anrührend zu lesen sind all die Seiten knecht, und nicht nur Kaiser und Kanzler, auch in der allge- der lange Zeit unehelichen Beziehung Karl Liebknechts zu meingeschichtlichen Historiografi e den ihnen gebührenden Sophie. Platz erhielten und nicht lediglich als Ermordete erwähnt In die russische Kunstgeschichtsstudentin Sophie Ryss aus würden. Rostow am Don, die zunächst in Berlin, bald aber an der Uni- versität in Heidelberg studierte und dort 1909 zum Thema Gespräch: Stefan Richter »Die heilige Maria Magdalena in der toskanischen Kunst des 14. und 15. Jahrhunderts« promovierte, verliebte sich Karl ■ ■ Die Historikerin Annelies Laschitza, 1934 geboren, Liebknecht Anfang des Jahres 1906 unbändig. Soweit es die errang international Anerkennung für die Edition der Quellen und menschlicher Anstand erlauben, wird das Ver- Gesammelten Briefe, die Mitherausgabe der Werke Ro- hältnis zu ihr und werden die Seelenqualen, die die Bezie- sa Luxemburgs und ihre Luxemburg-Biografi e »Im Le- hung für ihn, Sophie und seine ganze Familie nach sich zog, bensrausch, trotz alledem« (1996). Jetzt aktuell: »Die im Buch dargestellt, während es bisherige Biografi en bei An- Liebknechts. Karl und Sophie – Politik und Familie«, deutungen beließen. Aufbau-Verlag, 511 Seiten, 24,95 Euro

Karl Liebknecht (geboren am 13. August 1871, ermordet am 15. Januar 1919 in Berlin) mit Sohn Wilhelm im Tiergarten, Dezember 1918 © aus: Die Liebknechts, aufbau, Berlin 2007 aufbau, Berlin © aus: Die Liebknechts,

230 DISPUT November 2007 Biedermann und Selbstentlarvung Zur Auseinandersetzung mit der rechtsextremen DVU im Brandenburger Landtag Von Andreas Bernig

Bereits seit 1999 sitzt die Deutsche Persönlichkeit ihre Grenzen in der ver- da. § 130 sei als allgemeines Gesetz im Volksunion (DVU) in Fraktionsstärke im fassungsmäßigen Ordnung hat. Sinne des Artikels 5 Absatz 2 Grundge- Brandenburger Landtag. 2004 konnte Im Folgenden einige Erfahrungen setz eine verfassungsrechtlich zuläs- sie 6,1 Prozent der Stimmen erzielen, aus dem parlamentarischen Auftreten sige Schranke der nicht unbeschränkt weil sie auf dem Höhepunkt der Hartz- der DVU in den vergangenen Jahren. Im gewährleisteten Meinungsfreiheit. Der Reformen an die sozialen Ängste vieler Oktober 2007 gerierten sich die sechs DVU-Antrag, so Sarrach, diene nicht der Menschen anknüpfte und ihre Wahl- DVU-Landtagsabgeordneten wieder Meinungsfreiheit, weil Faschismus kei- strategie auf Protestwähler, insbeson- einmal als die wahren Volksvertreter ne Meinung sei, sondern ein Verbre- dere unter der jungen Generation, aus- und beschimpften die Abgeordneten chen. richtete. Dabei orientierte sie weniger der demokratischen Parteien als »Par- Während wir es in diesem Fall mit auf eine Präsenz ihrer Kandidaten in teienvertreter«. dem Versuch der Abschaffung von Straf- der Öffentlichkeit, sondern mehr auf Entlarvend für die wahren Bestre- tatbeständen zu tun haben, tritt die eine Plakatschlacht, die von der Mün- bungen der DVU ist ihr Antrag zu einer DVU ansonsten häufi g mit Anträgen zur chener Parteizentrale aus finanziert »Bundesratsinitiative zur Gewährleis- Verschärfung von Strafrechtstatbestän- wurde. Für die Wahlkämpfe 1999 und tung des Rechts auf Meinungs-, Infor- den auf. So bemüht sie sich, über An- 2004 gab die DVU schätzungsweise ge- mations- und Forschungsfreiheit« vom träge, Große Anfragen und zahlreiche nauso viel Geld aus wie CDU, SPD und September 2006. Auf den ersten Blick Kleine Anfragen das Thema der schär- DIE LINKE (PDS) zusammen. Der Wahl- hört sich der Antrag progressiv an. In feren Bestrafung von Graffi ti-Sprayern erfolg basierte auch auf dem »Deutsch- Wirklichkeit geht es um die Streichung auf die Tagesordnung zu setzten. Oder landpakt« von DVU und NPD, mit dem der Absätze 3, 4 und 5 des Paragrafen sie verlangt die Verschärfung des Straf- sie eine Konkurrenz der rechtsextre- 130 des Strafgesetzbuches. Einen ähn- rahmens bei Unterschlagung und Un- men Parteien ausschließen wollen. lichen Antrag stellte übrigens die NPD treue. Per Antrag forderte sie die Lan- Mit ihrem lediglich sechs Seiten ein Jahr später in den Landtagen von desregierung auf, im Bundesrat der langen Programm kommt die DVU als Sachsen und Mecklenburg-Vorpom- Schaffung eines Bleiberechts für ab- Biedermann daher. Sie bekennt sich mern; beide Parteien arbeiten also zu- gelehnte Asylbewerber und geduldete zwar zum Grundgesetz und zur freiheit- sammen. Ausländer nicht zuzustimmen. lichen demokratischen Grundordnung. Paragraf 130 ist der DVU und der Völlig anders reagiert die DVU, wenn Aber bereits bei der Formulierung kon- NPD ein Dorn im Auge, weil es um die die Landesregierung das Versamm- kreter Ziele drücken sich Nationalis- Bestrafung von Volksverhetzung geht. lungsgesetz ändert, um die Opfer auf mus, Deutschtümelei, Europa- und Danach kann bestraft werden, wer zum dem größten deutschen Soldatenfried- Ausländerfeindlichkeit, die Verharm- Hass gegen Teile der Bevölkerung auf- hof, dem Waldfriedhof in Halbe, vor losung der Nazidiktatur und die Nicht- stachelt, entsprechende Schriften ver- verleumderischem Missbrauch durch anerkennung der Oder-Neiße-Grenze breitet oder herstellt; wer den Völker- Rechtsextremisten zu schützen. So ge- als Ostgrenze Deutschlands aus. In der mord der Nationalsozialisten öffent- schehen mit dem Gesetz zur Ersetzung Ausländerpolitik fordert die DVU zur lich oder in einer Versammlung billigt, des § 16 des Versammlungsgesetzes »Wahrung der deutschen Identität« die leugnet oder verharmlost; wer öffent- im September 2006. Damit sollen Auf- Begrenzung des Ausländeranteils, den lich oder in einer Versammlung in einer züge verboten werden können, die Stopp für zunehmenden Ausländerzu- die Würde der Opfer verletzenden Wei- den Nationalsozialismus verherrlichen. strom, die Beschleunigung der Asylver- se die nationalsozialistische Gewalt- Insbesondere geht es um den Solda- fahren und die Ausweisung von »krimi- und Willkürherrschaft billigt, verherr- tenfriedhof in Halbe, den die Neona- nellen Ausländern«. Damit verstößt licht oder rechtfertigt. zis zum neuen Wallfahrtsort machen sie eklatant unter anderem gegen die Für den DVU-Landesvorsitzenden wollen. Für Demokraten ist der Solda- ersten drei Artikel des Grundgesetzes, Sigmar-Peter Schuldt ist dieser Paragraf tenfriedhof, wo ca. 23.000 Opfer, aber die die Unantastbarkeit der Würde des unvereinbar mit Artikel 5 des Grundge- auch Täter der letzten Kesselschlacht Menschen, die persönlichen Freiheits- setzes zur Meinungsfreiheit. In der par- des Zweiten Weltkrieges begraben sind, rechte für jede und jeden (und nicht nur lamentarischen Auseinandersetzung ein Symbol für das völkerrechtlich ver- für Deutsche) und die Gleichheit aller bemühte Christoph Schulze (SPD) die urteilte verbrecherische System des Menschen vor dem Gesetz regeln. Da- Fabel vom Fuchs und vom Igel und hielt Nationalsozialismus. zu gehört, dass niemand wegen seines der DVU vor, sie wolle dem wehrhaften In der Parlamentsdebatte waren sich Geschlechts, seiner Abstammung, sei- Rechtsstaat, der die freiheitliche de- alle Demokraten einig, dass dieses Ver- ner Rasse, seiner Sprache, seiner Hei- mokratische Grundordnung verteidi- sammlungsverbot nur ein juristisches mat und Herkunft, seines Glaubens, ge, den Stachel ziehen. Stefan Sarrach Mittel ist, um sich mit dem zuneh- seiner religiösen oder politischen An- von der LINKEN verwies auf die Entste- menden Rechtsextremismus ausein- schauungen benachteiligt werden darf. hungsgeschichte des Paragrafen: Als anderzusetzen. Darüber hinaus kom- Gern beruft sich die DVU auf die Be- Reaktion auf antisemitische und na- me es vielmehr darauf an, diese poli- nachteiligung wegen einer politischen zistische Vorfälle im Jahr 1994 dient er tische Auseinandersetzung im Alltag Anschauung. Dabei ignoriert sie regel- der Bekämpfung rechtsextremistischer und an jedem Ort zu führen, um eine mäßig, dass die freie Entfaltung der und ausländerfeindlicher Propagan- schleichende Gewöhnung an das fre-

ANTIFASCHISMUS DISPUT November 2007 024 che Auftreten der Neonazis nicht zuzu- trieben worden, und es handle sich um TRADITIONEN lassen. den größten Raubzug an deutschem Als Schuldt versuchte, die Bühne Vermögen. Die Deutschen sollten sich des Parlaments zu missbrauchen und nicht ständig in einer Bringschuld ge- die in Halbe begrabenen Soldaten zu genüber Polen suhlen. heroisieren, verließ ein Teil der Abge- Wie meist bei DVU-Anträgen ver- ordneten von Linkspartei und SPD den zichtete die Landeregierung auf ihr Re- Saal als Zeichen des Protestes. Für die derecht. Von den demokratischen Par- übrigen Abgeordneten stellte der parla- teien äußern sich nur ein oder zwei mentarische Geschäftsführer der Links- Redner. Diesmal Barbara Riechstein partei, Heinz Vietze, einen Geschäfts- für die CDU und Gerlinde Stobrawa für Offiziere, die Hitler die Hand ordnungsantrag, damit der Redner zur DIE LINKE. Wenn CDU und DIE LINKE schüttelten, gehen in Ordnung; Sache rede und die Anwesenden so- sonst keine politischen Gemeinsam- Matrosen, die Kontakt zu Sozialis- wie die Geschichte nicht weiter verhöh- keiten haben, so sind sie sich doch ten hielten, sind unzulässig. Das ne. Nach der Debatte wandte sich Par- häufi g bei der Auseinandersetzung mit ist die Quintessenz der Antworten lamentspräsident Gunter Fritsch (SPD) dem Rechtsextremismus einig, auch auf Kleine Anfragen der Bundes- an die Gäste im Landtag: »Sie haben wenn die CDU immer wieder versucht, tagsfraktion zur Traditionspfl ege hier gerade einen Vorgang erlebt, wie Rechtsextremismus und Linksextremis- der Bundeswehr. Ulla Jelpke er- wir ihn uns auch in der Gesellschaft mus in einen Topf zu werfen. Barbara klärte dazu am 2. November: wünschen. Es wäre natürlich leicht ge- Riechstein bekannte öffentlich, dass Vom Kommandanten der Luft- wesen, dem Redner das Mikrofon ab- sie sich für eine solche Rede in einem waffenbasis Köln-Wahn wurde An- zuschalten. Aber wichtiger ist, dass die deutschen Parlament schäme. Gerlin- fang September eine Gedenkfei- Meinungsbildung innerhalb des Parla- de Stobrawa verurteilte die Geschichts- er der Kulturvereinigung Leverku- ments, die Artikulation von Landesre- fälschung der DVU, die bewusst die sen für die Matrosen Max Reich- gierung und allen Abgeordneten hier Hauptbelastung der zwischenstaatli- pietsch und Albin Köbis untersagt. deutlich macht, wo die Mehrheit steht. chen Beziehungen ausklammere, das, Sie hatten 1917 an revolutionären Das wünsche ich mir auch in der Ge- was Deutschland Millionen Polen, Ju- Bewegungen in der Marine teil- sellschaft , das wün- den, Roma, Kaschuben und anderen genommen und Kontakt mit dem sche ich mir an jeder Schule. Nicht den polnischen Staatsbürgern nach dem 1. sozialistischen Reichstagsabge- Mund halten und wegschauen, wenn September 1939 angetan habe. ordneten Wilhelm Dittmann und so etwas passiert, sondern klar und in Leider gelingen die Auseinanderset- weiteren USPD-Politikern aufge- großer Mehrheit Stellung beziehen!« zung mit der DVU und ihre Entlarvung nommen. Der Kommandant ha- Wie nötig das ist, zeigte die Debat- nicht immer so substanziell und ein- be, so die Bundesregierung, rich- te im Landtag zum Nichtrauchenden- deutig, zumal die DVU nicht immer so tig gehandelt, denn er hätte sich Schutzgesetz im Oktober 2007. Bezug offen ihre wahre Gesinnung zeigt. ansonsten »dem Verdacht aus- nehmend auf das Lob Eva Hermans für Durch eine Vielzahl von Anträgen gesetzt, seine Vorgesetztenstel- die nationalsozialistische Familienpo- mit einer breiten, aber oberfl ächlich lung zugunsten einer bestimm- litik, meinte die DVU-Abgeordnete Bir- behandelten Themenpalette entwickelt ten politischen Richtung zu miss- git Fechner, die NSDAP hätte auch ein sie einen starken Aktionismus, der die brauchen« – und das, obwohl der hohes Maß an Gesundheitsbewusst- parlamentarische Arbeit der demokra- Friedhof der Stadt Köln gehört und sein besessen. Als Anregung solle Mi- tischen Parteien nicht wenig blockiert. lediglich der Zugang über Bundes- nisterin Ziegler aufnehmen, dass be- Zum Glück wird das in der Öffentlich- wehrgelände führt. reits 1939 eine Reichsstelle gegen Al- keit kaum wahrgenommen. Das liegt Hingegen finden auf der Luft- kohol- und Tabakgefahren gegrün- am einheitlichen Vorgehen der demo- waffenbasis Zell regelmäßig det wurde. – Das ist eine Verleugnung kratischen Parlamentsfraktionen, die »Mölders-Feiern« am »Mölders- der »NS-Rassenhygiene« und nicht zu alles zu vermeiden suchen, was der Stein« statt. Werner Mölders war rechtfertigen! Neben einem Ordnungs- DVU ungerechtfertigte Aufmerksamkeit ein hochdekorierter Wehrmachts- ruf der Landtagspräsidentin brachten verschafft. So sind sich SPD, CDU und oberst, Angehöriger der Legi- diese Äußerungen der DVU eine straf- DIE LINKE einig, dass Anträge der DVU on Condor, dessen Briefe keinen rechtliche Prüfung ein. nicht zur Auseinandersetzung mit der Zweifel an seiner Kriegsbegeiste- Ein Beispiel für die Europa- und Aus- Regierungspolitik genutzt und dass sie rung lassen. Erst 2005 wurde ein länderfeindlichkeit sowie die Nicht- abgelehnt werden. Dadurch spielt die nach ihm benanntes Geschwader anerkennung der Oder-Neiße-Grenze DVU kaum eine Rolle in den Medien. umbenannt. »Ein ehrendes Geden- lieferte die DVU in der Aktuellen Stun- Vor Ort ist die DVU wenig veran- ken des Oberst Werner Mölders de am 6. Juni 2007. Das etwas ange- kert und nicht in der Lage, kontinuier- fi ndet durch die Bundeswehr nicht spannte deutsch-polnische Verhältnis lich Basisarbeit zu leisten. Anders als statt«, behauptet die Regierung. nutzend, hielt der DVU-Abgeordnete die NPD, die alles unternimmt, um ihre Aber: Die Bundeswehr unterstützt Nonninger eine völlig ahistorische Re- Organisation auszubauen und über Er- nach Kräften die »Mölders-Ver- de und ignorierte die spätestens seit folge bei den Kommunalwahlen 2008 einigung«, die eine wüste Wehr- dem Zwei-plus-Vier-Abkommen vom den Grundstein für den Einzug in den machtsverherrlichung betreibt. 12. September 1990 anerkannte West- Landtag 2009 zu legen. Das gilt es zu Die »soldatischen Tugenden« Möl- grenze Polens: Die vom Ministerpräsi- verhindern! ders, die er ganz in Hitlers Dienste denten ins Auge gefassten Regionen stellte, gelten als »erstrebenswer- einer Partnerschaft gehörten derzeit zu Dr. Andreas Bernig ist Abgeordneter im te Ideale«. Da kommt kein Kom- Polen, es handele sich um seit tausend Landtag Brandenburg. mandant auf den Gedanken, er Jahren urdeutsches Land; 12 Millionen andreas.bernig@dielinke-brandenburg. könne »unzulässige politische Tä- Deutsche seien völkerrechtswidrig ver- de tigkeiten« unterstützen.

25 0 DISPUT November 2007 Düsseldorf, wir kommen! Vom Gründungsparteitag in Nordrhein-Westfalen Von Heinz Hillebrand

Am Sonntag, den 21. Oktober, um gliederentwicklung weiter geht, wird (Dortmund), Nina Eumann (Mülheim), 20.30 Uhr war es soweit. Mit dem En- die momentan 5.200 Mitglieder star- Edith Fröse (Duisburg) und Helmut de des NRW-Landesparteitages in der ke NRW-Landespartei bald den ersten Manz (Dortmund). Ruhrgebietsstadt Gladbeck (parallel zu Ost-Landesverband an Mitgliederstär- Auf die Delegierten wartete der für dem Kongress in Baden-Württemberg) ke übertreffen. Die Parteigründung war die Gründungsphase übliche Abstim- wurde der Gründungsprozess der LIN- entsprechend unumstritten, es gab nur mungs- und Wahlmarathon, der er- KEN offi ziell abgeschlossen. Die LINKE eine einzige Gegenstimme. Auch bei staunlich diszipliniert und routiniert Nordrhein-Westfalen hatte einen sym- den inhaltlichen Aussagen herrschte absolviert wurde. Die gute Stimmung bolträchtigen Veranstaltungsort ge- Konsens vor. Die verschiedenen Par- offenbarte sich vor allem bei den Gruß- wählt, die Maschinenhalle eines ehe- teifl ügel und traditionell starken Strö- worten oder wenn das Transparent maligen Bergwerks. Die Zusammen- mungen hatten sich im Vorfeld des »Düsseldorf, wir kommen« hochgehal- setzung der Delegierten wurde dieser Parteitags entschlossen, eine gemein- ten wurde. Gregor Gysi und Uli Mau- Tradition gerecht, die meisten waren same Konsens-Präambel zu den lan- rer sparten nicht mit Kritik an der SPD Arbeiter/innen und Angestellte, aller- despolitischen Positionen zu erarbei- und appellierten an DIE LINKE, glaub- dings können sich nicht mehr alle als ten. Diese wurde dann mit überwäl- würdig zu bleiben. Guntram Schneider Arbeitsplatzbesitzer bezeichnen. Die tigender Mehrheit, bei nur 15 Gegen- konterte die Kritik an seinem Auftreten Delegierten repräsentierten auch den stimmen, angenommen. auf dem Parteitag souverän. Der Sozi- Strukturwandel an Rhein und Ruhr. Nach einer Generaldebatte und aldemokrat warb ebenso für einen Po- ver.di-Gewerkschafter/innen waren einem umjubelten Grußwort von Gre- litikwechsel in NRW wie die ver.di-Lan- weitaus stärker vertreten als Metaller gor Gysi, der tief im Westen fast schon desvorsitzende Gabriele Schmidt. oder gar Bergarbeiter, die selbst im ein Heimspiel hatte, fanden die Wahlen Wegen Zeitmangels mussten die »Kohlenpott« eine Minderheit darstel- zum geschäftsführenden Landesvor- meisten Anträge an die Parteigremien len. Nicht nur formal, sondern auch in- stand statt. Zu Landessprechern wur- verwiesen werden. Die verabschiede- haltlich bildete der Parteitag den Ab- den der ehemalige WASG-Landesspre- ten Anträge kennzeichnet ein basisori- schluss eines Prozesses, Unterschiede cher Wolfgang Zimmermann (57) aus entiertes Politikverständnis. So sollen zwischen den beiden Quellparteien Düsseldorf mit 89,2 Prozent und die Landes- und Bundesparlamentarier/in- WASG und PDS waren kaum noch zu ehemalige PDS-Landessprecherin Ul- nen nur 20 Prozent der Vorstandsplät- spüren. rike Detjen (55) aus Köln mit 58 Pro- ze besetzen dürfen, der Landesaus- Die anderen Parteien reagierten im zent der Stimmen gewählt. schuss soll das höchste Organ zwi- Vorfeld des Parteitags hilfl os-wütend Die weiteren Mitglieder des ge- schen den Parteitagen sein. Nach der auf die erstarkende Konkurrenz, deren schäftsführenden Landesvorstandes: Wahl der 16 weiteren Vorstandsmit- Umfragewerte für die Landtagswahl Bärbel Beuermann (Herne), Günter glieder, der Mitglieder der Kommis- momentan bei acht Prozent liegen. Blocks (Oberhausen), Helmut Eigen sionen und des Bundesausschusses Der Generalsekretär der NRW-SPD, Mi- chael Groschek, sieht in der LINKEN ei- ne im Kern konservative Partei, die Re- zepte der Vergangenheit präsentiere. CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst, der schon Dossiers über die Mitglieder des Übergangs-Landesvorstands anle- gen ließ, erkannte in den Delegierten eine »Ansammlung von Frustrierten, Demagogen und Extremisten, eine Ge- fahr für unser Land«. Besonders die Teilnahme von DGB-Landeschef Gun- tram Schneider, der neben den Lan- desvorsitzenden von ver.di und GEW ein Grußwort hielt, schmerzte die Alt- parteien. FDP-Fraktionschef Michael Papke warf dem DGB-Landesvorsitzen- den vor, er mache sich »zum Steigbü- gelhalter einer mit Extremisten durch- setzten wirren Truppe«. In den Wochen vor dem Landes- parteitag war DIE LINKE an Rhein und Ruhr äußerst erfolgreich. Mehr als 900 neue Mitglieder fanden den Weg in die neue Partei. Wenn die positive Mit-

BASIS DISPUT November 2007 026 © Siggi Stoff © Siggi Stoff (2) Gut gewählt ist halb gewonnen. Der Landesparteitag in NRW ging in der Maschinenhalle von Gladbeck erfolgreich über die Bühne. hatten die ca. 300 Delegierten aus 52 Kommunalwahlen statt, nach den bis- Die Presse, vor allem der WDR, be- Kreisverbänden ihr umfangreiches Ar- herigen Umfragewerten können min- richtete größtenteils seriös über den beitspensum bewältigt. destens 600 Mandate besetzt wer- Parteitag, ein Teil versuchte aber, die Auf den neu gewählten Landesvor- den. Für eine einigermaßen flächen- NRW-LINKE als politikunfähigen, allzu stand wird eine Menge Arbeit zukom- deckende Kandidatur werden mehr als bunten Haufen darzustellen, während men. Zunehmend wird DIE LINKE als 1.500 Kandidatinnen und Kandidaten die Junge Welt die NRW-Partei zu einem gleichberechtigter Partner im poli- benötigt. Im Jahr 2010 fi nden dann die Bollwerk der Parteilinken stilisiert. Zwar tischen Spiel wahrgenommen. Ohne Landtagswahlen statt. stimmen Fremd- und Eigenwahrneh- großen politischen Apparat muss sie Es braucht nicht viel Phantasie, um mung auch in diesem Fall nicht unbe- zu den wichtigsten Politikfeldern Stel- auszurechnen, dass die Aufgaben mit dingt überein, aber der neue Landes- lung nehmen. Zwar verfügt DIE LINKE dem jetzigen Mitgliederstand nur unzu- vorstand der neuen Partei steht vor der in Nordrhein-Westfalen über ihren ers- reichend bewältigt werden können, zu- Aufgabe, die Partei zu einen und sie in ten Landtagsabgeordneten – der grü- mal die NRW-Partei nach eigenem An- die politische Aktion zu führen – damit ne Landtagsabgeordnete Rüdiger Sagel spruch in den außerparlamentarischen sich der vielbeklatschte Ausspruch Gre- trat unmittelbar nach dem Parteitag in Bewegungen aktiv sein will. Für poli- gor Gysis bewahrheitet, dass sich die die LINKE ein –, aber das wird nicht rei- tischen Zündstoff sorgen auch die rot- Partei nur zu 20 Prozent mit sich selbst chen, um sich zu den wichtigsten lan- roten Gedankenspiele der SPD-Landes- und zu 80 Prozent mit den Anliegen der despolitischen Themen eigene Positi- vorsitzenden Hannelore Kraft, die von Bürgerinnen und Bürger beschäftigt. Je onen zu erarbeiten. Die Kompetenzen den Gewerkschaften unterstützt wer- mehr sich diese Aussage bewahrheitet, innerhalb der Partei müssen zusam- den. In der Frage Rot-Rot winken aber umso besser kann DIE LINKE ihren er- mengeführt werden, damit die Partei alle Flügel der Partei ab, solange sich folgreichen Weg in Nordrhein-Westfa- weiß, was die Partei weiß. 2009 fi nden die SPD substanziell nicht ändert. len fortsetzen.

270 DISPUT November 2007 Mustergültig im Musterländle Die Gründung der LINKEN in Baden-Württemberg Von Pascal Meiser

Baden-Württemberg kann stolz auf sei- ne LINKE sein. Bereits seit dem Bundes- tagswahlkampf 2005 verlief die Koope- ration zwischen WASG und Linkspar- tei.PDS im Musterländle mustergültig. Diese Entwicklung wurde am 20. und 21. Oktober mit einem rundum gelungenen Gründungsparteitag des Landesver- bandes der neuen LINKEN gekrönt. Oh- ne Gegenstimmen beschlossen die 196 anwesenden Delegierten im Stuttgarter DGB-Haus die Gründung ihres Landes- verbandes. Bei der Wahl des neuen 18- köpfi gen Landesvorstandes folgten die Delegierten zudem den Empfehlungen ihrer beiden Quellparteien WASG und Linkspartei.PDS. Diese hatten bereits im Frühjahr jeweils getrennt Kandida- tinnen und Kandidaten für den Vorstand aufgestellt. Die Geschäfte des Landes- vorstandes wird künftig ein sechsköp- fi ges Team führen. Mustergültig auch die langfristige politische Planung im Ländle: Der Lan- desparteitag stand bereits ganz im Zei- chen der Vorbereitungen auf die Kom- Hägele © Roland munalwahlen 2009. Politische Schwer- Im Stuttgarter DGB-Haus wurde der Landesverband Baden-Württemberg gegründet punkte der Linken, so Landessprecher Bernd Riexinger, seien die Bekämp- fung der Armut, die Überwindung der lich fl ächendeckend vertreten ist. Die hatte Stamm vorab auch SPD-Landes- selektiven Bildungspolitik und die Be- Präsenz vor Ort ist jedoch das A und O chefi n Ute Vogt unterrichtet. Diese, so endigung der Privatisierung kommu- des erfolgreichen Parteiaufbaus. Des- Stamm, sei zwar nicht begeistert gewe- naler Einrichtungen, insbesondere im halb baut der Landesverband seine Ar- sen, hätte aber Verständnis für Stamms Bereich der Energieversorger und der beitsstrukturen im Land weiter aus. Ein Entscheidung gezeigt. Stamm wandte Krankenhäuser. Erklärtes Ziel: bei den sechstes Regionalbüro wurde in Mann- sich in ihrer Parteitagsrede daher auch Kommunalwahlen fl ächendeckend an- heim eröffnet. In Stuttgart, Ulm, Karls- direkt an die verbliebene SPD-Linke. treten und in die Gemeinderäte aller ruhe, Tübingen und Freiburg gibt es be- Sie müsse endlich begreifen, dass ei- größeren Städte einziehen. Die Aus- reits entsprechende Anlaufstellen der ne starke Partei DIE LINKE auch die SPD- sichten sind gut, dieses Ziel zu errei- LINKEN vor Ort. Linke stärke. chen und damit auch einen großen Diese positive Entwicklung des Lan- Das zweite zentrale Standbein der Schritt auf dem Weg in den Landtag von desverbandes beruht maßgeblich auf baden-württembergischen LINKEN ist Baden-Württemberg zu machen. Denn seiner starken gewerkschaftlichen Ver- schon jetzt die Kommunalpolitik. Ei- bei der Sonntagsfrage zu den Land- ankerung. So sind mit Bernd Riexinger ne gute kommunalpolitische Veranke- tagswahlen landete DIE LINKE in Baden- und Ursula Schorlepp zwei der sechs rung gibt es bereits in einigen größe- Württemberg in den Umfragen zuletzt neu gewählten Landessprecher/innen ren Städten, so in Mannheim, Freiburg, bei sechs Prozent der Stimmen. Zum berufl ich für die Gewerkschaft ver.di in Stuttgart oder Tübingen. Die Reutlinger Vergleich: Noch im März 2006 musste Stuttgart tätig. Auf dem Landespartei- Handwerkskammer unterstützte bei- sich die WASG mit 3,1 Prozent der Stim- tag erklärte zudem die Hauptrednerin, spielsweise unlängst öffentlich einen men begnügen. die ehemalige ver.di-Chefi n von Baden- Antrag der LINKEN im Tübinger Kreis- Dieser positiven Entwicklung liegt Württemberg, Sybille Stamm, ihren tag, in der diese die Tariftreue bei der eine solide Arbeit vor Ort zu Grunde. Eintritt in DIE LINKE. »Anlass meines Vergabe öffentlicher Aufträge forderte. Seit der Fusion der beiden Quellpar- Übertritts ist die Agenda-2010-Politik Für diese kommunalpolitische Veran- teien im Juni sind 300 Baden-Württem- der Bundes-SPD«, sagte Stamm, die kerung steht im neuen geschäftsfüh- berger in die Partei eingetreten. Ins- 24 Jahre Mitglied der SPD war. Stamm renden Landesvorstand unter anderem gesamt sind etwa 2.200 Mitglieder in hatte den ver.di-Landesbezirk bis zum Bernhard Strasdeit, Kreistagsabgeord- 36 Kreisverbänden organisiert. Nur im April dieses Jahres geleitet und sich neter in Tübingen und Ex-Landesspre- Schwarzwald gibt es noch einige weiße mit 62 Jahren in den Ruhestand verab- cher der Linkspartei.PDS. Flecken, in denen die Partei nicht wirk- schiedet. Von ihren Übertrittsplänen Die politische Breite der LINKEN im

BASIS DISPUT November 2007 028 DEMOKRATIE AUF BAYERISCH

Ländle wird auch an einer ganz ande- Am 2. März 2008 fi nden in Bayern einfach wird, ist der Zeitraum für die- ren Person deutlich: Franz Groll, ehe- Kommunalwahlen statt. In 71 Land- se Unterstützungsunterschriften ein- mals Betriebsrat, dann Hauptabtei- kreisen werden Kreistage, in 25 kreis- geschränkt auf einen Starttermin zwi- lungsleiter bei IBM, später Entwick- freien Städten werden Stadträte und schen dem 4. und dem 27. Dezember, lungshelfer und für dieses Engagement in Hunderten von Gemeinden wer- den der jeweilige amtliche Wahlleiter inzwischen sogar mit dem Bundesver- den Gemeinderäte gewählt. Der Flä- festsetzen kann, und dem Endter- dienstkreuz ausgezeichnet. Groll war chenstaat Bayern stellt jede neue po- min am 21. Januar 2008. Für die Mit- lange Jahre Mitglied der CDU, bevor er litische Partei, die zu dieser Wahl an- glieder der LINKEN werden das sehr nach einem kurzen Intermezzo bei den treten will, alleine schon wegen sei- anstrengende Feiertage! Grünen seine neue politische Heimat ner Ausdehnung und Vielfalt vor eine Die Kreisverbände entwickeln ei- erst bei der WASG und jetzt bei der neu- große Herausforderung. ne ganze Reihe von Ideen, wie sie en LINKEN gefunden hat. Groll, zuletzt DIE LINKE nimmt diese Herausfor- diese Hürde meistern können. Als Landesschatzmeister der WASG, wur- derung an und will in möglichst vie- erstes wird natürlich das persönliche de in Stuttgart in das neue Landesspre- len Kreisen, Städten und Gemeinden Umfeld der KandidatInnen und der cherteam gewählt. Auch das zeigt: DIE antreten. Aber so einfach ist das im Mitglieder abgegrast: Verwandte, Be- LINKE hat mustergültig Fuß gefasst im Freistaat nicht: Das bayerische Kom- kannte, Freunde, Kollegen usw. Wei- traditionell eher konservativ geprägten munalwahlrecht sieht vor, dass Par- ter werden Hausbesuche, Infostände, Musterländle Baden-Württemberg. teien und Listen, die noch nicht in Anzeigen in Anzeigenblättern, Auf- In den geschäftsführenden Lan- den Parlamenten vertreten sind, ei- rufe von Persönlichkeiten, Anrufak- desvorstand wurden gewählt: Franz ne entsprechende Anzahl von Unter- tionen, Fahrdienste und vieles mehr Groll (Calw); Elke Lison (Reutlingen); stützungsunterschriften für ihre Lis- geplant. Dabei darf man nicht ver- Bernd Riexinger (Stuttgart); Ursula ten brauchen. Diese können nicht frei gessen, dass es nicht gerade die Jah- Schorlepp (Stuttgart); Bernhard Stras- gesammelt werden, sondern müssen reszeit ist, die derartige Aktivitäten – deit (Tübingen); Christoph Cornides, von den UnterstützerInnen jeweils in überwiegend im Freien – besonders Schatzmeister (Mannheim); weitere den Wahlämtern geleistet werden. angenehm sein lässt. Mitglieder des Landesvorstandes: An- Zum Beispiel haben sich an Al- Eine besonders pfi ffi ge Idee hat nette Groth (Stuttgart), Jürgen Gulden lerheiligen im Landkreis Nürnberger sich die LINKE in Ostbayern (Baye- (Weinheim), Ute Gsöls-Puhl (Karlsru- Land rund 25 Personen im Neben- rischer Wald) einfallen lassen. Sie he), Susanne Kempf (Ostalb), Gudrun raum einer Gaststätte versammelt, präsentierte ihre KandidatInnen auf Kuch (Mannheim), Gregor Mohlberg um eine Liste DIE LINKE für die Kreis- dem Großen Arber, dem höchsten (Freiburg), Reinhard Neudorfer (Waib- tagswahl aufzustellen. Es sind Mit- Berg des Bayerischen Waldes, und lingen), Silvia Ofori (Schwäbisch-Hall), glieder des dortigen Kreisverbandes führte anschließend eine Pressekon- Anne Rahlfs (Stuttgart), Sabine Rösch- sowie einige unorganisierte Freun- ferenz in der Arberhütte durch. Das Dammenmiller (Göppingen), Dirk Spöri dinnen und Freunde. Das ist nicht ge- schaffte Aufmerksamkeit für die Kan- (Freiburg), Stefan Straub (Reutlingen) rade üppig, aber schon etwas Beson- didaturen und für die Hürden, die ge- deres in einem Landkreis mit nur vier rade im Bayerischen Wald nur schwer größeren Gemeinden (Lauf, Hers- zu überwinden sind. Hoch hinaus will Bayerns LINKE. bruck, Altdorf, Röthenbach/Pegnitz) Trotz dieser eher vordemokra- Die Kreisverbände Cham und Straubing- und vielen Kleinstgemeinden mit tischen Hürden erleben wir landauf Deggendorf gaben die Kandidaturen so illustren Namen wie Kirchensit- und landab eine große Bereitschaft, für die Kommunalwahlen auf dem tenbach, Ottensoos oder Pommels- zu diesen Kommunalwahlen anzutre- Großen Arber (1.456 Meter) bekannt. brunn. Aber immerhin leben in die- ten, und eine große Zuversicht, die- sem Landkreis rund 170.000 Men- se Hürden auch zu überwinden. Und schen. wenn wir auf möglichst viele Wahl- Die Aufstellung der Liste war zwar zettel drauf kommen, dann ist die nicht ganz einfach, aber stellte sich Chance groß, auch in die jeweiligen bald als das geringere Problem her- Kommunalparlamente einzuziehen. aus. Jetzt steht der kleine Kreisver- Es kann schon jetzt als ziemlich band vor der Herausforderung, 430 sicher gelten, dass wir unsere Kom- wahlberechtigte Menschen aus dem munalmandate vervielfachen wer- Landkreis dazu zu bewegen, diese den. Und aus dieser kommunalpo- Liste zu unterstützen, indem sie wäh- litischen Verankerung können wir rend der Öffnungszeit auf ein Wahl- dann die Landtagswahl im Herbst amt gehen, sich dort ausweisen und 2008 angehen. eine Unterschrift leisten. Das ist De- mokratie auf Bayerisch; der baye- Harald Weinberg ist Sprecher des rische Hürdenlauf in die Kommunal- Landesvorstandes Bayern und führt

© Siggi Stoiber parlamente. Und damit das nicht zu die Linke Liste Nürnberg an.

290 DISPUT November 2007 Die Basis im Kaisersaal Eindrücke von der Gründung der Erfurter LINKEN Von Stefan Richter

Den Ort für ihren Gründungsparteitag esten Zahlen, wonach in Thüringen die oben stehen. Die Stadt müsse bezahl- am letzten Oktobersamstag hatte die Kinderarmut bundesweit am stärksten baren Wohnraum vorhalten, weswe- Erfurter LINKE mit Bedacht gewählt. gewachsen sei. Mehr als 10.000 Mäd- gen der Gründungsparteitag später ein Nicht weil in der heutigen Futterstraße chen und Jungen suchten regelmäßig Nein zum geplanten Wohnungsabriss einst Bier gebraut, klassisch Theater ge- die Ausgabestellen der »Tafel« auf. am Wiesenhügel beschloss. Die Stadt- spielt und gekrönten Häuptern gehul- Das Bündnis für soziale Gerechtig- ratsfraktion wurde aufgefordert, die digt worden war. Sondern weil im »Kai- keit rief dazu auf, »wann immer Gele- vorliegende Beschlussfassung (Sanie- sersaal« exakt 116 Jahre und eine Wo- genheit ist«, an den Donnerstagsde- rung von 558 Wohnungen, Abriss von che zuvor der legendäre Parteitag der monstrationen teilzunehmen – damit 540 Wohnungen im Jahr 2009 und Ab- Sozialdemokratie beendet wurde. Mit nicht die Neonazis die Oberhand ge- bruch von weiteren 405 Wohnungen seinem 1891 verabschiedeten Erfurter winnen; letztens kamen von denen 16. nach 2009) abzulehnen und alterna- Programm hatte die Partei August Be- Den kürzesten Grußwort-Auftritt tive Anträge für eine zusätzliche Sa- bels und Wilhelm Liebknechts Maßstä- hatte ein junger Mann vom SPD-Kreis- nierung zu stellen. Denn: »Der Abriss be gesetzt, auf die sich DIE LINKE in ih- verband: Konkurrenz belebt das Ge- von 1.000 zum größten Teil bewohnten ren Gründungsstunden gern und mehr- schäft – das kann die politische Linke Wohnungen, die Vertreibung bzw. Um- fach berief. in Deutschland gebrauchen. Wer woll- siedlung von so vielen Bürgern und Fa- Auch wenn in der Landeshauptstadt te, durfte auch dies als eine Art Auftrag milien mit den entsprechenden sozi- nur wenige WASG-Mitglieder aktiv wa- verstehen. alen Verlusten verletzt den sozialen ren, gemeinsam mit bislang Parteilo- Wesentlich ausführlicher und mit Frieden in der Stadt ...« DIE LINKE ak- sen und den gut 750 einstigen Links- freundlichen Worten an »Euch und zeptiere nicht, dass eine Entschuldung partei-Genossinnen und -Genossen ist Sie« äußerte sich Andreas Bausewein. der KOWO zulasten der Mieter erfolgt. der Erfurter Verband der zahlenmäßig Der Oberbürgermeister mit SPD-Buch In der recht kurzen Aussprache größte unter den 21 Kreisorganisati- war vor eineinhalb Jahren mit PDS-Un- spielten Erfahrungen des außerparla- onen in Thüringen. Nicht zuletzt daraus terstützung gewählt worden, nach 16 mentarischen und parlamentarischen erwächst seine Verantwortung. Im Foy- Jahren CDU-Vorherrschaft. Auch er ver- Wirkens eine große Rolle. Matthias Bär- er des historischen Gebäudes machten wandte das Wort »gemeinsam«; es sei wolf, jüngster Landtagsabgeordneter, Infostände, beispielsweise der Partei- »uns« gelungen, die Mehrheit für ei- bekräftigte: Wenn wir für gesellschaft- jugend und der Bundestagsabgeord- nen politischen Neuanfang zu erringen. liche Veränderungen streiten, müssen neten, auf einige der Themen aufmerk- Mancher Erfolg sei bereits zu verzeich- wir – vor allem auch die, die für die Par- sam. Transparente gegen Bundes- nen; die Bildung wurde in den Mittel- tei in Amt und Würden sind – in sozi- wehr-Auslandseinsätze und Bahnpri- punkt gestellt. Aber: Jährlich müsse alen Bewegungen aktiv sein. »Sach- vatisierung an den Rängen des Saales die Stadt allein zehn Millionen Euro zwänge« müssten durch den Druck der bekundeten grundsätzliche Positionen, an Zinsen für den Schuldenabbau zah- Straße bekämpft werden. ebenso Foto- und Videoaufnahmen aus len. Den heftig umstrittenen Teilverkauf der Geschichte der Erfurter PDS und der Wohnungsbaugesellschaft KOWO Partei für den Alltag vom Gründungskongress der LINKEN nannte er unangenehm, doch notwen- am 16. Juni 2007 in Berlin. Die Auftritte dig. Gleichwohl will er Vertrauen in der Auf die veränderte Verantwortung der eines Kabarettisten und eines Lieder- Bevölkerung (zurück)gewinnen, nur 30 Stadtratsfraktion verwies deren Vor- macher-Duos brachten zusätzlich Kul- Prozent hatten sich an der OB-Wahl be- sitzende Karin Landherr. Wäre jahre- tur in den Saal. teiligt. Und: Der Einzug von Neonazis lang allenfalls ein Antrag der PDS-Frak- Grußworte hören sich mitunter nach ins nächste Stadtparlament müsse ver- tion angenommen worden, so seien im freundlichen Formalitäten, manchmal hindert werden. vergangenen Jahr aufgrund der verän- jedoch nach deutlichen Aufträgen an. Von einer veränderten Farbenlehre derten Kräfteverhältnisse 24 von 28 So mahnten Vertreter von der Thüringer sprach die Stadtvorsitzende der LIN- Anträgen der Linkspartei erfolgreich Arbeitsloseninitiative und vom Erfurter KEN, Karola Stange: Von tief-schwarz gewesen. Richtschnur sei das Wahlpro- Bündnis für soziale Gerechtigkeit, das bewegen wir uns auf Rot-Rot zu. Das gramm, weswegen sich auch die Frak- sich erst Tage zuvor den Zusatz »gegen sei ein Lernprozess. An der LINKEN sei tion gegen die Stadtverwaltungspläne Rechtsextremismus« gegeben hatte, es, die Chancen auszuloten und bes- zum Wohnungsabriss am Wiesenhü- das gemeinsame Wirken von sozialen ser zur artikulieren. Dazu gehöre, wie- gel aussprach. (Einige Tage später ent- Verbänden, Gewerkschaften und der der verstärkt mit den Bürgerinnen und schied der Stadtrat, den beabsichtig- Partei DIE LINKE an. Die Themen soziale Bürgern ins Gespräch zu kommen, ih- ten Abriss teilweise zurückzunehmen.) Gerechtigkeit und Kampf gegen Rechts- re Sorgen aufzunehmen. Sie erinnerte Eine konsequent linke, glaubwür- extremismus müssten mehr Menschen an die Volksbegehren für eine besse- dige Politik sei notwendig, wollen wir zum Handeln bewegen. Von der neuen re Familienpolitik und für mehr Demo- unseren Vorstellungen von einer sozial Partei erwarte man deshalb weiterhin kratie, bei denen sich die Partei als ak- gerechten Gesellschaft näher kommen, Engagement und Verlässlichkeit. tiver Bündnispartner erwiesen habe. betonte Robert Blättermann. Er forder- Hans-Hermann Hoffmann von der Ar- Sie machte zugleich klar, dass Interes- te im Kaisersaal, den er irrtümlich zum beitsloseninitiative berichtete von neu- sen der Mieterinnen und Mieter ganz Jakob-Kaiser-Saal umbenannte, neue

BASIS DISPUT November 2007 030 haben. Manchmal, sagte sie, sollten wir wieder die Frechheit besitzen, »uns Zeit zu nehmen für uns selbst«, um In- halte zu diskutieren, ohne sie zu zer- reden. Und manche der Fragen, die in PDS-Debatten geklärt schienen, stün- den in der neuen Partei schon wieder, wie die der Gleichstellung. Tamara ist übrigens die Stellvertreterin des Ober- bürgermeisters. Der Blick richtete sich freilich auch nach vorn, besonders bei Bodo Rame- low, Bundeswahlkampfl eiter und mit Blick auf die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl. Und beim Landes- vorsitzenden der LINKEN. Der Erfurter Knut Korschewsky zeigte sich mit dem Gründungsprozess in Thüringen – der ging mit den Kreisparteitagen in Erfurt und in drei weiteren Kreisen zu Ende – im Großen und Ganzen zufrieden. Mit einem Landesparteitag Anfang Dezem- ber in Mühlhausen (noch so ein his- torischer Ort! Bauernkrieg) sollen die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen sein, um mit voller Kraft inhaltlich das Superwahljahr 2009 vor- zubereiten – dann sind in Thüringen Wahlen für Europaparlament, Bundes- tag, Landtag und Kommunen angesagt. In Erfurt, kündigte Karola Stange an, wolle DIE LINKE die stärkste Partei wer- den. In Thüringen, bekräftigte Knut Kor- schewsky, solle alles für die Abwahl der CDU-Regierung und für einen wirklichen Politikwechsel getan werden. Bis dahin müsse geklärt werden – insbesonde- re in Erfurt –, ob für Rot-Rot die inhalt- lichen Gemeinsamkeiten ausreichten. © Stefan Richter © Stefan Voraussetzung dafür sei, DIE LINKE zu Auf traditionsreichem Gelände bereitete sich die Erfurter LINKE auf die nächsten Auf- stärken, ihr Profi l zu verdeutlichen und gaben vor. zu schärfen: »Wir müssen dafür sorgen und dürfen nicht danach schielen, was Bildungsangebote. Bildung war auch mit unverfänglich klingenden Namen die SPD oder andere machen. Wir müs- ein Thema für Luc Jochimsen. Die Bun- zu installieren und sich in Bürgerinitia- sen stärker werden!« destagsabgeordnete machte auf viel- tiven einzumischen, letztlich mit dem »DIE LINKE.Erfurt versteht sich als ei- gestaltige Versuche der politisch Herr- Ziel, bei den nächsten Wahlen in die ne Partei für den Alltag! Das war und ist schenden in Berlin aufmerksam, eine Parlamente einzumarschieren. Als sehr unser Markenzeichen. Wir helfen, wo »Nationalkultur« zu installieren. Darauf wichtig erachtet es deshalb DIE LINKE, Protest und Widerstand erforderlich müsse DIE LINKE reagieren. Noch jung dass der Bürgertisch gegen Rechts wie- sind. Wir wenden uns gegen Diskrimi- in der Partei, schätzte Henrik Volkert der belebt worden ist. Bodo Remus, nierung jeglicher Art. Wir sind im Stadt- seine bisherigen Erfahrungen als »ei- Gewerkschafter bei der IG BAU, schlug rat aktiv und stellen mit Tamara Thier- nigermaßen in Ordnung« ein. Doch die all jenen Genossinnen und Genossen, bach die Bürgermeisterin und Sozial- Anträge an den Parteitag sollten künf- die sich nicht (mehr) in die erste Reihe dezernentin ... Die parlamentarische tig frühzeitiger veröffentlicht werden, stellen wollten, vor, in Bürgerinitiativen Arbeit ist aber nichts ohne die Partei um eine intensivere Diskussion in der zu gehen und dort wachsam gegen al- als Netzwerk von Aktivistinnen und Ak- Basis zu ermöglichen. le Neonazi-Versuche der Unterwande- tivisten, die sich vor allem außerparla- Allenthalben war die Absicht zu spü- rung zu sein. mentarisch engagieren.« So steht’s im ren, den Neonazis entschlossen entge- Unter den mehr als 200 Delegierten Gründungsdokument der Erfurter LIN- genzutreten. Wie aktuell notwendig und Gästen waren viele, die sich all die KEN. Am 27. Oktober, 12.48 Uhr, war das ist, zeigte ein kleines Beispiel vor PDS-Jahre abgestrampelt haben. Ihnen sie offi ziell gegründet. dem Tagungsort: Die Plakate zum Grün- galt mehrfach der Dank. Und selbstver- Für Karola Stange wurde dieser dungsparteitag waren mit dem Hinweis ständlich ging der Blick auch ein Stück Samstag im Kaisersaal ein besonderer ergänzt, Rechtsextremisten sei der Zu- zurück. Wie bei Tamara Thierbach: Wir Tag: Nicht allein, dass sie mit 93 Pro- tritt verboten. Mehrere Redner berich- wollten 1989/90 nicht die Idee des So- zent der Stimmen als Stadtvorsitzen- teten von den Versuchen der Neonazis, zialismus begraben, sondern die For- de gewählt wurde. Sie hatte zudem Ge- ihre Strukturen auszubauen, Vereine men, die ihre Verwirklichung verhindert burtstag. Doppelten Glückwunsch!

310 DISPUT November 2007 Aktiv in Szene und Partei DIE LINKE.queer wurde neu gegründet. In der Europäischen Linkspartei gibt es jetzt das LGBT/queer-Netzwerk Von Monika von der Lippe und Andreas Günther

Mitglieder der LINKEN trafen sich am 6. system auch für homosexuelle Partner- ber). Das Ziel ist nun, die notwendige und 7. Oktober in Berlin, um die queere schaften. Die Pressearbeit wird selbst- Vertretung in acht Landesverbänden Arbeitgemeinschaft der lesbischen, verständlich ebenfalls fortgeführt. zu erreichen und die Mitgliederzahl auf schwulen, bisexuellen und transgender Letztlich ist DIE LINKE.queer eine Inter- 250 zu steigern, damit die Arbeitsge- (LGBT) Mitglieder neu zu gründen. Sie essengemeinschaft, in der soziale As- meinschaft mit stimmberechtigten De- verabschiedeten ein Grundsatzdoku- pekte nicht zu kurz kommen sollen! legierten am Bundesparteitag teilneh- ment als Arbeitsgrundlage und wähl- Die queere LINKE konnte zu ih- men kann. ten einen Bundessprecher/innenrat rer Tagung Gäste begrüßen. Barbara Das nächste Bundestreffen fi ndet (Andreas Günther, Monika von der Lip- Höll, stellvertretende Fraktionsvorsit- am 9. und 10. Februar 2008 in Saar- pe). Ihre Aufgaben sieht die Arbeitsge- zende und lesben- und schwulenpoli- brücken statt. Dort soll eine Zwischen- meinschaft in der Erarbeitung und Ver- tische Sprecherin der Bundestagsfrak- bilanz über den Aufbau der Arbeitsge- tretung queerer Positionen innerhalb tion, machte deutlich, dass die Neu- meinschaft gezogen und über die Vor- der Partei und in der Repräsentation gründung der Arbeitsgemeinschaft schläge für ein neues Grundsatzpapier der Partei in der Szene. auch ein Signal dafür ist, dass es in diskutiert werden. Andreas Günther erinnerte zunächst der neuen LINKEN keine unterschied- Auch die internationalen Aktivitäten an die lange Tradition einer LGBT-Struk- liche Gewichtung von sozialen und kamen nicht zu kurz. Zur Gründung des tur in der früheren PDS. Die 1989/90 Bürgerrechten geben wird. Sie berich- LGBT/queer-Netzwerkes der Europä- als AG Lesben- und Schwulenpolitik ge- tete über die queerpolitischen Initiati- ischen Linkspartei (EL) waren Gäste gründete spätere BAG queer gehörte zu ven der Fraktion und über die Ausein- aus drei französischen, italienischen den ältesten Zusammenschlüssen der andersetzung um die Gleichstellung und portugiesischen EL-Mitgliedspar- Partei und hat die Außenwahrnehmung eingetragener Lebensgemeinschaften teien angereist. Die Genossen berich- der PDS durch Lesben, Schwule, Bise- in der Erbschaftssteuer. teten über die Situation von Schwulen, xuelle und Transgender geprägt. Nicht vom geschäfts- Lesben, Bi- und Transsexuellen in ihren zuletzt durch diese besondere Form führenden Parteivorstand betonte das Parteien und Ländern. Nach einem in- der Öffentlichkeitsarbeit in der Szene Fortbestehen der Diskriminierung von tensiven Meinungsaustausch stimmten (zu ihr gehören ca. fünf Prozent der Be- Lesben, Schwulen, Bisexuellen und die Teilnehmer/innen aus den vier Par- völkerung) wurde der PDS unter Les- Transgendern trotz aller Verbesse- teien darin überein, ein eigenes Netz- ben, Schwulen, Bisexuellen und Trans- rungen in den letzten Jahren und ver- werk innerhalb der EL aufzubauen, wei- gendern ein Wählerpotenzial von bis zu deutlichte dies an der Diskriminierung tere Mitgliedsparteien dazu einzuladen 30 Prozent bescheinigt. am Arbeitsplatz und an Verzögerungen und es mit anderen linken LGBT-Grup- Monika von der Lippe umriss die bei der Umsetzung das Antidiskrimi- pen in Europa zu vernetzen. Künftig soll Aufgaben, die sich im Prozess des Par- nierungsgesetzes. Sie unterstrich, dass es ein jährliches Arbeitstreffen geben. teiaufbaus und der Programmdiskus- die Überwindung von Diskriminierung Das Netzwerk schlägt vor, am Vortag sion für die zu gründende Arbeitsge- auch Voraussetzung für soziale Gerech- von EL-Kongressen einen Netzwerktag meinschaft ergeben. Konkret geht es tigkeit ist. abzuhalten. um den Aufbau von Strukturen in allen Nach Diskussion wurde der Entwurf Als erste Aufgaben wurden ein ge- Bundesländern und die Festigung der eines vorläufigen Grundsatzpapiers, meinsames Auftreten auf dem EL-Kon- Arbeitsbeziehungen auf Bundesebe- das durch ein neu zu erarbeitendes er- gress in Prag im November 2007 und ne. Unterstützt werden soll auch künf- setzt werden soll, einmütig als Arbeits- die gemeinsame Unterstützung eines tig die inhaltliche Arbeit der Partei und grundlage angenommen und die AG osteuropäischen CSD im nächsten Jahr der Fraktionen, etwa in der Diskussi- damit förmlich neu gegründet. vereinbart. on eines neuen Parteiprogramms, der Erste Schritte zur Umsetzung dieser Beratung von Wahlprogrammen, in der Vorhaben unternahmen die Bundes- Kampf um Anerkennung Bereitstellung von Expertisen für Abge- sprecher/innen auf dem Europakon- ordnete, den Parteivorstand und ande- In den nächsten Monaten wird die Ar- gress der International Lesbian and re Gremien. beit am Grundsatzpapier und die Mit- Gay Association (ILGA Europe) vom 24. Auch die Öffentlichkeitsarbeit für arbeit an der Positionierung der Partei, bis 28. Oktober in Vilnius. Bei den Ver- die neue Partei in der Szene ist wich- etwa in der Programmdiskussion und treterInnen der LGBT-Gruppen aus al- tig – etwa durch die Vertretung unserer in Wahlkämpfen, im Mittelpunkt der len Teilen Europas gab es großes Inter- Interessen innerhalb der Europäischen Aktivitäten stehen. In einer Aktionswo- esse an der Neuformierung der LINKEN Linkspartei oder der International Les- che vom 15. bis 21. Oktober kämpften in Deutschland und an der Stellung von bian and Gay Association (ILGA), durch die Mitglieder der AG für die offi zielle LGBT-Fragen innerhalb der Partei. Ange- die bundesweite Teilnahme an Chris- Anerkennung als bundesweiter Zusam- bahnt wurden Kontakte insbesondere topher-Street-Days (CSD), an weiteren menschluss der Partei DIE LINKE. Sie ist zu nordeuropäischen linken Parteien. Events und durch die Beteiligung an jetzt in fünf Landesverbänden mit dem Kampagnen anderer LGBT-Organisati- geforderten Zweihundertstel der Mit- www.die-linke-queer.de onen, wie aktuell der Beteiligung an ei- gliedschaft vertreten und hat bundes- [email protected] ner Kampagne für ein gerechtes Steuer- weit 103 Mitglieder (Stand: 31. Okto- [email protected]

ARBEITSGEMEINSCHAFT DISPUT November 2007 032 Willkommen auch mit zwölf Warum und wie sich die junge Linke in Sachsen verändert Von Claudia Jobst

Bedingungsloses Grundeinkommen, Ende Oktober betraf den Mitgliedsbei- haben auf der Gesamtmitgliederver- Unterstützung von Studierenden- trag. Kann mensch erwarten, von einer sammlung ein Arbeits- und Aktionspro- protesten gegen das Hochschulge- 14-Jährigen, die vielleicht fünf Euro Ta- gramm für 2008 beschlossen. Im Zu- setz, kostenlose Bildung, Emanzipati- schengeld im Monat bekommt, 1,50 ge des Wahlkampfes auf kommunaler on, Luxus für alle, Wahlalter Null und Euro Mitgliedsbeitrag an den Jugend- Ebene sollte und muss es unsere Auf- vieles, vieles mehr steht für das Han- verband zu zahlen? Kann mensch er- gabe sein, gegen die Rechten zu arbei- deln des Jugendverbands der LINKEN warten, dass die Mitglieder ihr Einkom- ten, zu agieren und zu argumentieren. in Sachsen im Vordergrund. Dürfen wir men darlegen, um eventuell in die Ka- In Sachsen gehört es mittlerweile lei- erwarten, dass wir mit diesen Themen tegorie »verdient zu wenig – muss nix der dazu, dass die NPD Familien- und auch bundesweit gehört und verstan- bezahlen« zu rutschen? Derartiges hat Straßenfeste ausgestaltet oder mit The- den werden? Dürfen wir diskutieren? für uns wenig mit sozialem Verständ- men wie »Hartz IV muss weg« Wähler/ Wo stehen wir als Linksjugend [‘solid]- nis und Freiheit eines jeden zu tun. Da- innen gewinnt. Auf dem platten Lande Sachsen? her haben wir uns klar gegen einen werden Freizeitmöglichkeiten für jun- Der Schritt, sich von alten Verbands- Mitgliedsbeitrag ausgesprochen. Auch ge Menschen angeboten und Jugend- strukturen zu lösen, war kein einfacher. sind wir der Auffassung, dass es nur lichen Perspektiven aufgezeigt. DIE Die Diskussionen über einen einheit- Hürden schafft, wenn mensch Eintritts- LINKE hat es teilweise verpasst, kons- lichen bundesweiten Jugendverband gelder für politische, ja sogar interne truktiv gegen dieses Handeln vorzuge- der Partei DIE LINKE waren mühsam Veranstaltungen bezahlen muss. Linke hen. Auf die Gefahr, die von rechts aus- und teilweise sehr anstrengend. Letzt- emanzipatorische Politik sollte für je- geht, müssen wir intensiver aufmerk- endlich hat mensch sich bei der Bun- den barrierefrei zugänglich sein! sam machen. desdelegiertenkonferenz im Mai auf ei- Strukturell haben wir uns verändert, Wir wollen ein starker linker und nen Kompromiss geeinigt, welcher ver- nach außen hin wollen wir weiterhin mit auch emanzipatorischer Jugendver- einzelt Bauchschmerzen verursachte. kritischen Themen auftreten und wir- band sein. Es muss klar werden, dass In Sachsen gab es bis zum 27. Okto- ken. In den letzten zwei Jahren wurden Linke nicht nur Punkmusik hören oder ber 2007 die Junge Linke, die mit kultu- Themen angesprochen, wie die Freiga- Motto-Shirts tragen. Auch kulturell an- rellen Veranstaltungen, politischer Bil- be aller Drogen oder die Nationenkam- ders verankerte junge Menschen, zum dung und der Durchführung von poli- pagne, die nicht nur heftige Diskussi- Beispiel Popmusik-Hörer/innen oder tisch motivierten Aktionen Jugendli- on in der Öffentlichkeit erzeugten, son- Gin-Tonik-Trinker/innen gehören zu che an die Partei band bzw. sie in ihrer dern auch Denkprozesse innerhalb der uns. Umso fataler ist es, feministisch- Arbeit in und bei unserer Partei unter- Partei angestoßen haben. emanzipatorisches Handeln zu verur- stützte. Jede, jeder hatte die Möglich- Wie soll es weitergehen? Der Bun- teilen. Eine Gender- und Geschlechter- keit, mitzumachen und aktives Mit- dessprecher/innenrat des bundeswei- debatte wird in Sachsen durch eine ge- glied zu sein. So war gesichert, dass ten Jugendverbandes hat eine Kampag- meinsame Konferenz mit der AG LISA alle, auch jene jungen Menschen, die ne zum Thema Prekarisierung ins Leben durchgeführt. Natürlich sind dazu alle vielleicht nur einmal am Pfi ngstcamp gerufen. Grundsätzlich ist es zu begrü- herzlich willkommen und eingeladen! teilgenommen haben, am Informati- ßen, sich mit dem Thema der prekären Wir sind froh, strukturelle Klarheit onsfl uss über Termine, Inhalte und Ak- Beschäftigungsverhältnisse und ihren geschaffen zu haben und endlich wie- tionen partizipieren konnten. Folgen zu beschäftigen. Doch proble- der intensiver inhaltlich arbeiten zu Und wie sieht die Struktur jetzt matisch waren und sind einige Fest- können. Nicht nur unsere Mitglieder aus? Auf Bundesebene waren Fragen legungen im Vorfeld der Diskussion erwarten Bildungsveranstaltungen, zur Mitgliedschaft, zur Parteizugehö- schon: Warum schließt mensch die Be- Diskussionsplattformen, Materialien rigkeit und dem Alter aufgekommen. handlung oder intensivere Auseinan- und Kampagnen. Menschen, die wir er- Landesweit haben wir uns verständigt, dersetzung mit den Gedanken des Be- reichen wollen und eventuell bald als dass alle Menschen, die inhaltlich und dingungslosen Grundeinkommens von Neumitglieder begrüßen dürfen, treten auch kulturell bei uns verortet sein wol- vornherein aus? Gerade im Zeitalter nicht bei, weil unsere Satzung gut ist, len, bis zum 35. Lebensjahr mitmachen der Verarmung großer Teile der Bevöl- sondern weil es gute Inhalte gibt. können. So hat auch die 12-Jährige die kerung und der Verschärfung der Sche- Wir haben uns verändert, weil es Möglichkeit, bewusst Entscheidungen re zwischen arm und reich sollten die unser Anreiz ist, bundesweit arbeiten mit zu bestimmen. Des Weiteren ha- Finanz- und Sozialsysteme der Regie- und agieren zu können, weil wir wollen, ben die jungen Menschen in Sachsen rung kritisiert und Alternativen angebo- dass Diskussionen über kritische The- die Möglichkeit, ihre Mitgliedschaft zu ten werden. In Sachsen wurde im Zu- men aus vielerlei Sichtweisen disku- aktivieren, wenn sie Veranstaltungen sammenhang mit diesem Thema eine tiert werden (dürfen) und weil wir einen oder Diskussionsrunden besuchten Tour der Jugend unter dem Label »Lu- starken linken Jugendverband wollen! oder an den regionalen Ortsgruppen- xus für alle!« durchgeführt. Den Men- treffen teilnehmen. schen soll deutlich gemacht werden, Claudia Jobst ist Jugendkoordinatorin der Eine weitere wichtige Entscheidung dass jede und jeder das Recht auf eine LINKEN im Landesverband Sachsen. für unsere Teilnehmer/innen bei un- Lebenssicherung hat. serer Gesamtmitgliederversammlung Und wie geht’s sonst so weiter? Wir www.junge-linke-sachsen.de

330 DISPUT November 2007 JUGEND Anfänge im Stadtrat Viel Arbeit, richtig Spaß, aber auch Bedenken und Zweifel. Erfahrungen in Hildesheim Von Doris Ließmann-Heckerott

Meine ersten Erfahrungen im Wahl- trag gegen Rechtextremismus (anläss- viel Arbeit, aber richtig Spaß, zumal in- kampf konnte ich bei den Kommunal- lich eines Naziaufmarsches in unserer zwischen eine gewisse Resonanz und wahlen 2006 sammeln. Wir (ca. zehn Stadt), die ich mit dem Gedicht »Ge- Anerkennung zu spüren ist. Leute aus WASG, PDS und Parteilose) schwiegen« von Martin Niemöller ab- Deshalb habe ich mich entschlos- hatten drei Monate vor der Wahl ein schloss. sen, trotz des erheblichen Zeitauf- Wahlbündnis – Die Linke Alternative Der Umgang mit den anderen Rats- wands neben meiner berufl ichen und Hildesheim LAH – gegründet und ge- mitgliedern ist – abgesehen von familiären Inanspruchnahme bei der wannen zur Überraschung aller auf An- kleineren Scharmützeln und Frotze- niedersächsischen Landtagswahl am hieb einen Sitz im Hildesheimer Stadt- leien – quer durch alle Fraktionen aus- 27. Januar 2008 auf der Landesliste rat. gesprochen gut. Man hilft sich sogar und als Direktkandidatin zu kandidie- Auf diesem Platz versuche ich seit- gegenseitig bei gleicher Ausrichtung, ren – weil bei uns kein anderer dazu dem als Einzelkämpferin, die obligato- hierbei sind dann auch die Möglich- bereit war. rische Ratsarbeit zu bewältigen und da- keiten größer, diese Themen in die Öf- Allerdings habe ich auch Beden- bei die linke Politik nicht aus den Au- fentlichkeit zu bringen. Die Zusammen- ken und Zweifel, denn in unserer neu- gen zu verlieren. Denn eins war mir von arbeit mit Kirchen, Gewerkschaften und en vereinigten Partei sind nicht alle mit Anfang an klar: An eine solche Aufga- anderen Gruppen ist in diesem Zusam- meinem pragmatischen, unkonventio- be kann man nur pragmatisch heran- menhang wichtig. nellen Stil einverstanden. Ihnen sind gehen, noch dazu als Anfängerin in der Natürlich bringt der »direkte Draht« förmliche Rituale und sozialistische Kommunalpolitik. zur Presse die größte Aufmerksamkeit. Utopien anscheinend wichtiger als Wichtig war mir daher, dass ich in Allerdings ist dies nicht so einfach, und die jetzt machbare Politik für die Men- den maßgebenden Ausschüssen Ver- man hat wenig oder keinen Einfl uss schen. Ich habe aber klargestellt, dass waltung und Finanzausschuss die auf das, was im Endeffekt geschrie- ich jetzt in diesem Land eine soziale, Strukturen und Verfahrensabläufe stu- ben oder nicht geschrieben wird, ins- gerechte Politik machen will und nicht dieren konnte. besondere bei unseren Pressemittei- auf eine sozialistische Utopie in ferner Denn noch etwas war mir klar: Be- lungen. Bei der Berichterstattung geht Zukunft warte. vor ich großartige Anträge stellen kann, es trotzdem stetig voran. Anfangs wur- Als man mir daraufhin vorhielt, muss ich das nötige Hintergrundwis- de nur aus den Ratssitzungen berich- ich hätte die Wahl ja ablehnen kön- sen haben und durch konstruktive Mit- tet, wie beim Nazimarsch und bei der nen, platzte mir der Kragen, denn das arbeit in den Ausschüssen die anderen Abwasser-Privatisierung, die ich mit kommt für mich nicht in Frage. Wir ha- Ratsmitglieder von der Ernsthaftigkeit einem Brecht-Zitat kommentierte: Be- ben bei der Kommunalwahl unseren meiner kommunalpolitischen Arbeit fragt, womit er sich gerade beschäfti- Wählerinnen und Wählern Hoffnung überzeugt haben. ge, antwortete er, dass er gerade sei- auf eine bessere Politik hier im Land Aus diesem Grund halte ich nichts nen nächsten Irrtum vorbereitet ... Das gemacht, denn das haben sie verdient. von Anträgen zu allen möglichen The- kam gut an und stand auch so in der Und ich denke: Nun erst recht! Ich will men, die zwar berechtigt sein mögen, Zeitung. mich für eine bessere, soziale und ge- aber für dieses Gremium nicht relevant Inzwischen wurde ich sogar aus ei- rechte, linke Politik stark machen – sind. Um für diese Dinge dann noch ner Sitzung des Finanzausschusses zi- auch wenn ich mich damit manchmal exakte Begründungen zu erarbeiten, tiert mit der berechtigten Frage zum unbeliebt mache, wie im Hildesheimer fehlt mir die Zeit, und ich würde mich Haushalt, zum relativ geringen Bei- Stadtrat. verzetteln. Daher konzentriere ich mich trag der öffentlichen Sparkasse im Ver- Meine Grundüberzeugungen und bei meiner Ratsarbeit auf die Punkte, hältnis zu einem sehr ansehnlichen Hauptanliegen verliere ich dabei nicht die für unsere Stadt maßgebend sind. Gewinn. Die Stadt hat dies nun sogar aus dem Auge, und der Wahlspruch für Diese Punkte können natürlich durch- selbst zum Thema gemacht! mein Handeln lautet: Realist sein heißt, aus auch überregionale Bedeutung ha- Und anlässlich des Ablaufs der Ein- das Unmögliche zu versuchen. Ich ha- ben, wie beim Kampf gegen Rechtsext- spruchsfrist gegen das Untreue-Ur- be damit angefangen und versuche, remismus, gegen die Privatisierung der teil unseres Oberbürgermeisters wur- andere zu überzeugen. Abwasserentsorgung und bei der Ver- de meine Stellungnahme dazu telefo- urteilung unseres Oberbürgermeisters nisch erfragt und korrekt veröffentlicht. Doris Ließmann-Heckerott ist Mitglied wegen Untreue im Zusammenhang mit Das brachte mir nicht nur Zuspruch ein, im Kreisvorstand Hildesheim und seinem Spendenverein »Pecunia non da ich ganz klar zum Ausdruck brachte, Abgeordnete im Stadtrat olet« (Geld stinkt nicht). dass ein verurteilter Oberbürgermeis- [email protected] Ich denke, dass ich inzwischen ter für die Stadt eigentlich nicht tragbar durch die kontinuierliche Mitarbeit sei, er dies aber mit seinem Gewissen in Ausschüssen und Gremien von al- ausmachen müsse und jeder eine zwei- len Ratsmitgliedern akzeptiert und te Chance verdient habe. nicht mehr – wie am Anfang – mitlei- Ja, so arbeite ich fl eißig und bemühe www.die-linke.de dig belächelt werde. Dies wurde beson- mich, eine linke, soziale und gerechte ders deutlich bei meiner Rede zum An- Politik zur Geltung zu bringen. Es macht

KOMMUNAL DISPUT November 2007 034 © Erich Wehnert © Erich

NACHBELICHTET

Von Arthur Paul ■ ■ Konferenzende. von den Wirtschaftsräten, Banken und richterstattern haben wohl an länge- Langweiliger kann ein Foto nicht aus- Versicherungen mit den Getränken und ren Texten zu basteln. Es ging schließ- sehen: Ein leerer Saal, kahle Wände, Knabbereien ihrer Sponsoren versorgt. lich um eine markante Veränderung verlassene Sitzreihen, halbdunkles Ar- Die SPD hätte an alle Wände geschrie- der Parteienlandschaft in Deutschland. beitslicht, Abräumer packen ein, die ben: »Seit Bebel und Brandt die Kraft Man weiß nicht, für wen der Mann im Nachsitzer mit Rücken zur Kamera. Sie- der Erneuerung!« Die FDP hätte Pla- Vordergrund schreibt. Die Schlagzei- ben Menschen zwischen 700 Stühlen. kate mit Westerwelle an den Wänden: le könnte es verraten. Die »Märkische Und doch muss da was Wichtiges »Wir können es besser!« Aber bei de- Oderzeitung« schrieb: »Die Anwäl- passiert sein! Wer mietet sonst einen nen hier hat es wohl nur für die Stirn- te der Armen«. Die »Süddeutsche Zei- Saal für so viele Leute? Vielleicht eine wand gereicht. Vielleicht mit Losungen tung« titelte: »Eine Kraft, mit der man Jahreshauptversammlung der Aktio- wie: »Hartz IV ist Armut per Gesetz!« rechnen muss«. Und »Bild« schrie auf: näre? Aber die mieten bessere Säle mit oder »Umsteuern zu mehr Gerechtig- »Deutschland kippt nach links!« anderen Stühlen und Tischen. Diese keit«. Dann wären es die LINKEN, die Dann aber zeigt uns das Foto kei- hier gehören nicht zu den Besitzenden. hier getagt haben. Und die zusätz- nen langweiligen Tagungsort, sondern Es könnte auch eine Parteikonfe- lichen Pressetische mit Steckdosen für einen wichtigen Schauplatz der Zeit- renz gewesen sein. Das Bild verrät aber die Laptops lassen vermuten, dass es geschichte, der nur deshalb so leer ist, nicht, welche Partei hier tagte. Die CDU um die Vereinigung von PDS und WASG weil die Teilnehmer längst bei der Ar- hätte ihre Delegierten und Ehrengäste ging. Die drei Nachsitzer unter den Be- beit sind.

35 0 DISPUT November 2007 ANPFIFF

Von wegen, DIE LINKE kann nicht rechnen. Eine Elf, das sind bei der LINKEN allemal elf Spielerinnen und Spieler, min- destens. Denn ein Match besteht schließlich auch aus zwei Halbzei- ten, mindestens. Jedenfalls hieß es am Feierabend des 29. Oktober im Berliner Jahn- sportpark politisch korrekt: Hier ist DIE LINKE, sport- lich übersetzt: Hier

spielt der SV Ro- Nostie feum quat te Socken der Bun- lum irit la fac- destagsfraktion. cum alit erci blam- Und das, umju- con ute doluptatio belt, zum allerers- coreet la faci blam- ten Mal! conse mod minit Sie liefen, acker- alit utpat dunt lor ten, fl ankten, irillan dreet, conul- kämpften, passten, la feu facip erilla und einer traf so- facil do cor si blan gar: Olaf Schroers. verci bla alit ve- Doch wo Flutlicht nit augait vel do et ist, ist auch Schat- lorperos alit a ten: Denen von der »Grüne Tulpe« (Bündnis 90/Die Grünen) gelangen irgendwie wenige Tore mehr, nämlich © Erich Wehnert (2), Frank Schwarz (2) insgesamt sechs.

DISPUT November 2007 036 PRESSEDIENST

■ ■ EU-Vertrag: Die Einigung der EU- form und einer gerechten Besteuerung ■ ■ MV-Parteitag: Auf ihrem ersten Staats- und -Regierungschefs auf ei- hat sich die Große Koalition wieder Landesparteitag wählte DIE LINKE in nen neuen Reformvertrag entspreche einmal gedrückt.« Es sei völlig unan- Mecklenburg-Vorpommern am 27. Ok- nur auf wenigen Gebieten den Heraus- gebracht, die Freibeträge für Ehepart- tober in Klink Peter Ritter zum Vorsit- forderungen der Gegenwart und kaum ner, Kinder und Enkel massiv anzuhe- zenden. Neben der Wahl des Vorstan- denen der Zukunft, erklärte Parteivor- ben und dafür alle übrigen Erben stär- des standen Satzungsänderungen und sitzender Lothar Bisky am 19. Oktober: ker zur Kasse zu bitten. Ein großer Teil organisatorische Beschlüsse auf dem »Die markantesten Defi zitpunkte bis- der Erben von Millionenvermögen wer- Programm. heriger Europapolitik und die damit ver- de künftig noch weniger Erbschafts- bundenen Gründe für die wachsende steuer zahlen. ■ ■ Bayern-Bündnis: Der Landesvor- Kluft zwischen Politik und Akzeptanz stand Bayern bekräftigte am 27. Ok- der EU durch die Bürger/innen blei- ■ ■ Mindest-Lohn: Gegen die Ver- tober seine Ablehnung der geplanten ben leider bestehen.« Positive Ansatz- suche der Union, in Tateinheit mit den Münchner Transrapid-Strecke und be- punkte seien die mit den Vertragsän- Unternehmerverbänden die Einfüh- schloss den Beitritt zum Bündnis gegen derungen möglich werdenden Schritte rung eines tarifl ichen Mindestlohnes in den Transrapid. Der Bau der Transrapid- zur weiteren Demokratisierung der Uni- der Postbranche zu verhindern, wand- Stecke sei weder wirtschaftlich noch on durch deutlich mehr Rechte für das ten sich am 2. November die gewerk- ökologisch vertretbar, erklärte Landes- Europäische Parlament, durch die Mög- schaftspolitischen Sprecher des Par- sprecherin Eva-Bulling-Schröter. lichkeit von Bürgerbegehren und durch teivorstandes Heidi Scharf und Michael die Rechtsverbindlichkeit der Grund- Schlecht: »Der Tarifvertrag muss unver- ■ ■ Sachsen-Klausur: Die sächsische rechte-Charta. Ambivalent seien die Er- züglich und unbürokratisch für allge- Landtagsfraktion einigte sich auf einer gebnisse, was das soziale Europa be- meinverbindlich erklärt werden. Dar- Klausur auf ihre Arbeitsschwerpunkte trifft. Da jedoch weder Wettbewerbs- über hinaus müssen die Postdienste bis 2009: Soziale Gerechtigkeit; Gu- noch Wirtschafts- und Währungspolitik schnell in das Entsendegesetz aufge- te Arbeit, gutes Leben; Bildung für al- inhaltlich verändert wurden, bleibe die nommen und der tarifliche Mindest- le; Demokratie stärken – Rechtsstaat neoliberale Grundausrichtung beste- lohn für die ostdeutschen KollegInnen erhalten; Umwelt schützen – Klima- hen. »DIE LINKE als konsequente Frie- auf das Niveau der westdeutschen Be- wandel begegnen. Über unsere Rolle denspartei lehnt eine weitere Militari- schäftigten angehoben werden.« nach 2009 würden die Wähler/innen sierung der Union ab.« entscheiden, sagte Fraktionschef An- DIE LINKE bleibe dabei: »Die Bürge- ■ ■ Niedersachsen-Kandidaturen: dré Hahn: »Selbstverständlich sind wir rinnen und Bürger müssen selbst ent- Am 3. November stellte DIE LINKE Nie- in der Lage, weiter entschlossene Op- scheiden, ob dieser Vertragsentwurf dersachsen ihre 55-köpfi ge Liste zur positionspolitik zu machen. Sollte die die Grundlage der künftigen EU-Politik Landtagswahl auf. »Dass wir am 27. CDU keine Regierung mehr bilden kön- werden soll.« Januar 2008 in den Landtag einzie- nen, sind wir nunmehr auch bereit, Re- hen, davon gehen wir fest aus«, mein- gierungsverantwortung für Sachsen zu ■ ■ Zwangs-Verrentung: Die Absicht te die 41-jährige Spitzenkandidatin Ti- übernehmen.« der Bundesregierung, ältere Erwerbs- na Flauger. Ulrich Maurer, Mitglied des lose mit erheblichen Abschlägen in die geschäftsführenden Parteivorstandes, ■ ■ Berlin-Lohn: Mit der am 6. No- Rente zu zwingen, wurde von der stell- unterstrich: »Je stärker wir sind, desto vember verabschiedeten Novellierung vertretenden Parteivorsitzenden Katja sozialer wird die SPD.« Auf den nächs- des Vergabegesetzes, kommentierte Kipping am 7. November zurückgewie- ten Plätzen der Landesliste nach Flau- der stellvertretende Fraktionschef Ste- sen: »Diese Zwangsverrentung muss ger folgen Manfred Sohn, Christa Reich- fan Liebich, sei Berlin Vorreiter bei der verhindert werden.« Darüber hinaus waldt, Patrick Humke-Focks, Pia Zim- Vergabe öffentlicher Aufträge an Unter- sollten ältere Erwerbslose ihr Leben mermann, Kurt Herzog, Ursula Weisser- nehmen nach sozialen Gesichtspunk- selbstbestimmt gestalten können – mit Roelle, Hans-Henning Adler. ten: »Während andere Bundesländer möglichen Zugängen zu frei gewählten die Vergabe öffentlicher Aufträge nur Projekten, die ordentlich bezahlt wer- ■ ■ Hessen-Tour: Knapp 100 Genos- in Teilbereichen an eine Tariftreueerklä- den und mit abgesicherten Optionen sInnen eröffneten am 4. November mit rung gekoppelt haben, weitet Berlin die einer Teilhabe an der Gesellschaft oh- der Hessentour den Landtagswahl- Tariftreue nun auf alle öffentlichen Auf- ne Erwerbsarbeit. kampf. Auf der mehrwöchigen Tour träge aus.« Novum sei in Berlin zudem wollen die KandidatInnen der LINKEN die Festschreibung eines Mindestlohns ■ ■ Steuer-Verzicht: Mit ihren Eck- in ganz Hessen mit den BürgerInnen in Höhe von 7,50 Euro. Die Linksfraktion punkten zur Erbschaftssteuer verzichte über politische Themen und Probleme werde darauf dringen, weitere Mindest- die Bundesregierung auf Mehreinnah- diskutieren und ihr Programm vorstel- standards, wie ökologische und gleich- men in Milliardenhöhe, kritisierte Ange- len. Die Tourstationen am 5. November stellungsspezifi sche, als Wertungskri- lika Gramkow, Mitglied des geschäfts- waren die Werkstore von Aventis im In- terien einzuführen. führenden Parteivorstandes, am 6. No- dustriepark Höchst und die Galluswar- vember: »Vor einer umfassenden Re- te in am Main. Zusammenstellung: Stefan Richter

370 DISPUT November 2007 Wir alle sind die EL Vor dem Kongress der Partei der Europäischen Linken in Prag Interview mit Helmut Scholz, Vorstandsmitglied der EL und der Partei DIE LINKE

Der 2. Kongress der Partei der Europä- sentliches Ergebnis war und ist, dass vor allem darauf fußt, dass sich Men- ischen Linken steht vor der Tür. Vor zwei die EL sich selbst in EU-weiten oder schen aktiv in gesellschaftliche Gestal- Jahren lautete das Motto des Athener auch nationalen Aktionen engagierte – tung einbringen: auf unterschiedlichs- Kongress »Ja, wir können Europa verän- so nicht nur in den nationalen »Nein«- te Art und Weise. Wir wollen in Prag Al- dern«, jetzt heißt es »Buliding Alterna- Kampagnen zum EU-Verfassungsver- ternativen aufzeigen, was gegen eine tives«, also Alternativen schaffen. Wel- trag einer Reihe von EL-Parteien, son- von den Regierungen der EU-Mitglieds- che Entwicklung steht dahinter? dern erstmals auch massiv »europä- länder, der EU-Kommission und den Die Europäische Linke oder deutlicher isch« wahrnehmbar in der Kampagne großen Finanz- und Wirtschaftsunter- formuliert ihre Mitglieds- und Beobach- gegen die Bolkestein-Richtlinie. nehmen verfolgte Politik des Sozialab- terparteien bereiten sich gegenwärtig Mit dem 2. Kongress werden wir EL- baus und der Entfremdung des Staates auf ihren 2. Kongress vor, der entspre- Parteien nun beraten und bestimmen, von seinen BürgerInnen gemacht wer- chend der Statutenregelungen mindes- wie weit wir in den ersten drei Jahren den kann. Denn deren EU-Politik erle- tens einmal in zwei Jahren zusammen- gemeinsamer Politik gekommen sind. ben viele Menschen von Portugal bis tritt. Als wir in Athen zum ersten Kon- Wer und was sind wir als europäische Rumänien, von Schweden bis Italien gress zusammenkamen, waren wir ja politische Partei eigentlich: ein europä- tagtäglich am eigenen Leibe: statt Voll- noch eine – sozusagen – Novität im isches Nebeneinander von nationalen, beschäftigung und Erhaltung umfang- Kreis der europäischen politischen Par- unabhängigen politischen Parteien, reicher und gesicherter Sozialstan- teien. Diese Parteien sollen dazu bei- ein Netzwerk, ein um eine gemeinsame dards und wissensbasierter Produktion tragen, ein europäisches Bewusstsein Strategie auf europäischer Ebene sich für alle – wie in der Lissabon-Strategie herauszubilden und den politischen bemühendes politisches Gebilde, das versprochen – prekäre Beschäftigung Willen der Bürgerinnen und Bürger in die gesellschaftlichen Auseinander- und »fl exicurity« als »moderne« Zau- zum Ausdruck zu bringen. Unverzicht- setzungen auf nationaler, kommunaler berformeln zur Sicherung von Renta- barer Anspruch der linken politischen und eben vor allem auf europäischer bilität und höchsten Gewinnmargen Parteien in der EU und über ihre Gren- Ebene eingreifen will (dazu hat Athen für die hiesigen Monopole im globalen zen hinaus ist es also, unsere Vorstel- Ja gesagt) und eingreifen kann (das Wettbewerb. lungen und Forderungen nach einer an- wollen wir in Prag ereichen!)? Die EL will und muss, wenn sie als deren Politik in der Europäischen Uni- Wie also bereitet sich eine solche politische Kraft im »Wettbewerb« mit on zu formulieren und die Erwartungen europäische linke politische Kraft auf den anderen europäischen politischen der Menschen an ein demokratisches, die Wahlen zum Europäischen Parla- Parteien erfolgreichen bestehen will, soziales und friedliches Europa ein- ment vor, um die so dringend notwen- konkrete Wege und politische Alterna- deutig zu artikulieren. dige Antwort geben zu können: »Ja, wir tiven zur neoliberal geprägten europä- Athen hatte die Aufgabe – am Vora- können Europa verändern!«? Eine po- ischen Wirtschafts- und Währungsuni- bend des Athener Europäischen Sozi- litische Partei auf europäischer Ebe- on aufzeigen – also auch zu dem nicht alforums – herauszuarbeiten: Die Lin- ne, die durch die aktive Beteiligung zu akzeptierenden Lissaboner Vertrag. ke ist eine politische Kraft, die sich den der Mitglieds- und Beobachterparteien Und sie muss Alternativen vorstellen, Herausforderungen der EU-Integrati- erst real wird, das heißt durch das ge- die wieder bzw. sogar erst einmal ei- on und darüber hinaus europäischen meinsame Agieren von Parteien, die in ne europäische Wirtschaftspolitik oder Entwicklungsprozessen stellt und die Regierungsverantwortung stehen, Par- erst recht eine europäische Mindest- sich einbringen will in die Veränderung teien, die auf nationaler und europä- lohnpolitik ermöglichen. Oder auch sol- des Nizza-Europas – auch und gerade ischer parlamentarischer Ebene sich in che strukturellen und institutionellen in der Auseinandersetzung zur damals die Politik einbringen, oder auch Par- Veränderungen vorstellen, die über- laufenden EU-weiten Debatte über die teien, die (noch bzw. gegenwärtig) nur haupt demokratische Mitbeteiligung künftige Verfasstheit der EU. Es war ei- geringen realen Einfl uss auf die aktu- und -Entscheidung vieler bzw. besser ne entscheidende Erfahrung für die EL, ellen gesellschaftlichen Debatten be- noch aller Bürger/innen nicht nur er- mit der nach wir vor gültigen Athener sitzen. Deshalb wollen wir mit Prag ei- möglichen, sondern zwingend notwen- Erklärung und den Thesen des Kon- nen weiteren Schritt machen in der Klä- dig machen. Deshalb also unser Motto gresses sich aktiv mit dem »Verfas- rung des Verhältnisses der politischen für Prag: Alternativen aufzeigen! Buil- sungsvertrag für eine Europäische Uni- Linken auf europäischer Ebene zu den ding Alternatives! on« auseinanderzusetzen und unse- anderen gesellschaftlichen Akteuren Nicht mehr, aber vor allem auch re vorrangige Kritik vor allem an des- und deutlich sagen: Ja, wir haben eine nicht weniger wird reichen, um uns für sen neoliberaler Wirtschaftslogik und gemeinsame Strategie, die sich auf die 2009 zu wappnen und zugleich bis da- Wettbewerbsorientierung und an des- Ablehnung neoliberaler Politik gründet, hin den intensiven Dialog mit sozialen sen militärischer Ausrichtung der euro- die sich entschieden gegen die Fortset- Bewegungen und Gewerkschaften und päischen Außen-, Sicherheits- und Ver- zung des Denkens in militärischen Kate- vielen anderen dazu bereiten gesell- teidigungspolitik und unzureichenden gorien zur Lösung von wie auch immer schaftlichen und politischen Kräften zu Strukturen herauszuarbeiten und unse- gearteten und zustande gekommenen verstärken, um die tagtäglichen euro- re Position in den Mittelpunkt der Akti- Konfl ikten hier in Europa oder außer- päischen politischen Entscheidungen vitäten der Partei(en) zu stellen. Ein we- halb seiner Grenzen wendet. Und die zu beeinfl ussen.

EUROPÄISCHE LINKE DISPUT November 2007 038 Die Europäische Linke scheint ein Er- Der Vorschlag Bertinottis ist aus meiner SOLIDARITÄT folgsmodell zu sein. Mittlerweile sind Sicht gerade auch eine Würdigung (und 29 Parteien in ihr vertreten. Kann sich Verpfl ichtung!) des Projekts der LINKEN dieser Wachstum fortsetzen? und natürlich zu Recht, meine ich, ei- Auch wenn die eine oder der andere ne Anerkennung des langjährigen Wir- vielleicht meint, die EL ist so gar nicht kens Lothar Biskys in der europäischen sichtbar, scheint der wachsende Mit- Linken, einschließlich der EL. Denn die gliedsstand doch zu verdeutlichen: Idee dieser politischen Partei wurde Die Idee der EL ist angekommen. Sie bereits 1998 in Berlin – vor den Euro- war und ist für alle interessierten po- pawahlen 1999 – von Lothar Bisky ge- Seit neun Jahren sind in den USA litischen Parteien und Organisationen äußert. Es gab, so weit ich das kenne, fünf Kubaner inhaftiert, die welt- sowie für Einzelmitglieder ein offenes in allen EL-Mitgliedsparteien einhellige weit als »Miami Five« bekannt Konstrukt. Insofern bin ich optimistisch, Zustimmung zu dem Vorschlag. wurden. Anlässlich des Deutsch- dass mit der weiteren Schärfung un- landbesuchs von Adriana Perez seres politischen Profi ls und vor allem Wieso hat sich die Europäische Linke und Olga Salanueva, zwei der mit konkreten Arbeitschwerpunkten, auf Prag als Kongressort geeinigt? Ehefrauen, erklärten die stellver- Aktionen und Aktivitäten die Zahl wei- Prag ist auch als Symbol und Selbstver- tretende Parteivorsitzende Katina ter steigen kann. Und sicherlich ist mit pfl ichtung der EL zu verstehen. Die EU Schubert und Helmut Scholz, Vor- dem Ausrichtungsort Prag die Botschaft umfasst heute 27 Mitgliedstaaten, es standssprecher für internationale vernehmlich: Die EL ist keine westeuro- gibt eine Erweiterungsperspektive für Beziehungen, am 29. Oktober: päische Angelegenheit, sie steht gera- einige Balkan-Staaten, und zugleich DIE LINKE bekräftigt ihre Unter- de auch jenen politischen Kräften in ist die EL eben nicht auf die EU-Außen- stützung für die Forderungen der den mittel- und osteuropäischen Staa- grenzen begrenzt, wie die Mitglied- kubanischen Regierung und vieler ten offen, die unser programmatisches schaft der Partei der Kommunisten in internationaler politischer, kirch- und statutarisches Selbstverständnis der Republik Moldova zeigt. licher und Menschenrechts-Initi- teilen und an der Veränderung des eu- Die Wahl Prags ist eine Anerken- ativen nach einer sofortigen Frei- ropäischen Integrations-Ist-Zustandes nung für die kleine, aber aktive und lassung der seit 1998 in den USA mitwirken wollen. rührige Partei des Demokratischen So- inhaftierten fünf Kubaner. Von der zialismus. Und zugleich ist sie auch ein Bundesregierung fordern wir eine Die Entstehung unserer Partei hat, man Signal in die tschechische Öffentlich- entsprechende Intervention bei kann das schon so sagen, die Linke in keit: Es gibt auch in Tschechien alter- der US-Regierung, die in Fragen Europa begeistert. Wie wird unsere Par- native Kräfte zum neoliberalen Grund- Terrorismusbekämpfung und Men- tei heute, fast sechs Monate nach Grün- kurs der herrschenden Parteien, und schenrechten offenbar mit zweier- dung, gesehen? die Kooperation zweier linker Parteien lei Maß misst. Ich kann es kurz machen: An unsere – der KPBM und der SDS – kann in Die mit diesem Fall zusammen- Partei DIE LINKE werden riesige Erwar- Tschechien eine Möglichkeit sein, wie- hängenden Menschenrechtsver- tungen geknüpft. Die sind in den sechs der Vertrauen in konkrete Alternativen letzungen sind nicht hinnehmbar. Monaten nicht verebbt, sondern viel- der Linken zu gewinnen. Also, Prag soll DIE LINKE ist mit den beiden Ehe- leicht sogar eher gewachsen. Und es auch den Linken und den Menschen in frauen und den Angehörigen soli- wird unterstrichen: Wer hätte vor weni- den mittel- und osteuropäischen Staa- darisch und hat ihnen weitere po- gen Jahren daran gedacht, dass gerade ten überhaupt Mut machen, sich poli- litische Unterstützung im Kampf in Deutschland politische Hoffnung für tisch zu engagieren. um die Freilassung ihrer Männer die Linke in anderen europäischen Län- und der anderen Inhaftierten und dern erwächst. Was kann und muss die EL in Zukunft im Bemühen um ein rechtsstaatli- Aber ich will auch sagen: Wir haben besser machen? ches Verfahren zugesagt. damit eine gewachsene Verantwortung. Wir müssen endlich für uns annehmen: Die Aktivitäten der »Miami Denn vieles können wir vermitteln, wie Die EL ist nichts Abstraktes. Wir alle Five« hatten sich gegen die Um- wir herangegangen sind an das Zu- sind die EL: DIE LINKE in Deutschland triebe exilkubanischer Organisati- sammenführen unterschiedlicher Lin- ebenso wie die Vereinte und Alternative onen gerichtet, die auf einen ge- ker, wie wir den Parteibildungsprozess Linke in Katalonien, der Linksblock in waltsamen Sturz der kubanischen organisiert haben etc.; doch wir sind Portugal wie die KP in Österreich. Und Regierung abzielten. Statt diese kein Modell, kein Muster. Wir haben wenn wir 400.000 EL-Mitglieder uns auf terroristischen und völkerrechts- vielleicht – selten für Linke, wenn ich wichtige politische Schwerpunkte kon- widrigen Aktivitäten gegen Kuba das so salopp formulieren darf – un- zentrieren, nicht warten, ob die da in zu unterbinden, verhafteten die seren Mut und Verstand mal zusam- Brüssel etwas machen, sondern in un- Strafverfolgungsbehörden jene mengenommen und haben bewusst serer täglichen politischen Arbeit den fünf Kubaner, die das belastende gemeinsam den Aufbruch in ein Neues europäischen Gedanken mitdenken, Material in Florida unter den Exil- gewagt. Das muss nun untersetzt wer- die europäische Politikebene akzeptie- organisationen gesammelt und den, sonst werden wir keine neue ge- ren und damit hier in Deutschland oder den kubanischen Behörden zur meinsame starke Partei, sondern ver- andere in ihren Ländern gesellschaft- Verfügung gestellt hatten. bleiben inhaltlich vereinzelt. liche Realität beeinfl ussen, ist eine an- Die UN-Menschenrechtskom- dere Perspektive möglich. Da will auch mission stellte bei den Gerichts- Lothar Bisky kandidiert in Prag auf Vor- ich weiter mittun. verfahren schwere Verstöße fest schlag von Fausto Bertinotti als Vorsit- und charakterisierte die Freiheits- zender der EL. Wie wird die Kandida- Interview. Oliver Schröder entziehung als willkürlich. Das tur in den anderen Parteien aufgenom- Verfahren habe gegen Grundsätze men? [email protected] der Rechtsstaatlichkeit verstoßen.

390 DISPUT November 2007 Sozialismus chinesischer Prägung Der 17. Parteitag der KP Chinas Von Helmut Ettinger

Vom 15. bis 21. Oktober 2007 tagte in der Partei der Europäischen Linken in – um den Übergang vom vorwiegend Peking der 17. Parteitag der Kommunis- Prag teilnehmen und die Führungsspit- extensiven zum vorwiegend intensiven tischen Partei Chinas, der größten po- zen ihrer 28 Mitglieds- und Beobach- Wachstum. Bei Reduzierung des Ener- litischen Partei der Welt. 2.235 Dele- terparteien ins Bild setzen will. Ein No- gieverbrauchs wird an dem Ziel fest- gierte vertraten 73 Millionen Parteimit- vum für die KP Chinas, die zur EL bisher gehalten, das Bruttoinlandsprodukt glieder. Allein die Dimensionen dieses eher vorsichtige Distanz hielt. pro Kopf vom Jahre 2000 bis zum Jahre Kongresses, der alle fünf Jahre zusam- Der 17. Parteitag hat eine Bilanz von 2020 zu vervierfachen. mentritt und Beschlüsse von strate- dreißig Jahren Reform- und Öffnungs- ■ ■ Die Demokratie in der Gesell- gischer Tragweite für ein Land mit 1,3 politik gezogen und den bisherigen schaft ist auszubauen, die politische Milliarden Einwohnern fasst, garantie- Kurs bestätigt. Alle Erfolge Chinas der Teilhabe der Bürger/innen weiter zu ren ihm weltweite Aufmerksamkeit. Die letzten Jahre seien auf das Konzept entwickeln. deutsche Presse zeigte indes eher mä- vom Sozialismus chinesischer Prägung ■ ■ Wichtiges Ziel ist die Schaffung ßiges Interesse. zurückzuführen, erklärte Zhang Zhijun. von sozialen Sicherungssystemen für Das mag daran liegen, dass der Das ist die Formel der KP Chinas für die die Stadt- und Landbevölkerung, ei- Parteitag keine sensationsträchtigen Reformpolitik der letzten Jahrzehnte, ne gerechtere Gestaltung der Einkom- Schlagzeilen lieferte. Die »vierte Füh- die die Entwicklung der Marktwirtschaft mensverhältnisse, insbesondere die rungsgeneration« der Partei, wie es in mit den Zielen sozialer Gerechtigkeit zu Überwindung der Armut. Bildungsmög- China geschichtsbewusst heißt, unter verbinden sucht – aus Sicht der KP Chi- lichkeiten und gesundheitliche Betreu- Generalsekretär Hu Jintao und Minis- nas ein legitimer Kurs für das Anfangs- ung müssen allen garantiert werden. terpräsident Wen Jiabao zog eine Zwi- stadium des Sozialismus, in dem China ■ ■ Wachstum und Konsum sind we- schenbilanz zur Mitte ihrer Amtszeit noch eine lange Wegstrecke zurückzu- sentlich stärker auf die Einsparung von und nahm wichtige Weichenstellungen legen hat. Der Parteitag habe bestätigt, Ressourcen und den Schutz der Um- für die nächsten fünf Jahre vor. Sie tat so Zhang Zhijun, dass es für China kei- welt auszurichten. Der Anteil regene- das so ruhig, nüchtern und unspekta- nen anderen Weg gibt, weder den Weg rierbarer Energien ist stark zu erhöhen kulär, wie man es von ihr seit fünf Jah- in den Kapitalismus noch den Weg zu- und der Ausstoß von Schadstoffen ef- ren gewohnt ist. Die Zeichen in China rück zum Modell sowjetischer Prägung. fektiver zu kontrollieren. stehen auf Kontinuität. 2012 wird die Der Parteitag nahm eine nüchterne Zwei wichtige theoretische Neue- »fünfte Führungsgeneration« den Staf- Analyse der Lage vor, die folgende Pro- rungen der KP Chinas der letzten Jahre, felstab übernehmen. Laut Statut sind bleme ergab: die mit dem Namen Hu Jintao verbun- einem Generalsekretär nur zwei Wahl- ■ ■ Bei insgesamt gutem Wirtschafts- den werden, sind das »wissenschaft- perioden gestattet. wachstum sind die Produktivität und liche Entwicklungskonzept« und das Neues war auf diesem Parteitag die Fähigkeit zur selbstständigen In- Konzept von der »harmonischen Gesell- durchaus zu beobachten. Das zeigte novation nicht ausreichend. Die öko- schaft«. Grundgedanke des »wissen- sich schon bei seinem Umgang mit der logischen Kosten des Wachstums sind schaftlichen Entwicklungskonzepts« Öffentlichkeit. Die bisher typische Ge- insgesamt zu hoch. Die Wirtschaft ist es, Entwicklung, also weiterhin Wirt- heimhaltung wurde beträchtlich ge- wächst zu stark extensiv. schaftswachstum, als Hauptaufgabe lockert. Der Tagungstermin, sonst ge- ■ ■ Das Lebensniveau ist für große der Gegenwart zu begreifen, dabei je- heime Verschlusssache, war seit Län- Teile der Bevölkerung gestiegen, aber doch die Bedürfnisse des Menschen in gerem bekannt. Vorab wurden zur Be- die Einkommensunterschiede wachsen den Mittelpunkt zu stellen. Angestrebt schlussfassung anstehende Probleme weiter an. Der Anteil der Menschen, die wird eine umfassende, proportionale in den Medien diskutiert. Am Vormittag noch in Armut leben oder niedrige Ein- und nachhaltige Entwicklung. Das Kon- des 15. Oktobers meldete sich der BBC- kommen haben, ist zu groß. zept von der »harmonischen Gesell- Korrespondent verdutzt aus dem Ta- ■ ■ Die ländlichen Gebiete bleiben schaft« bedeutet, dass die verschie- gungssaal, zu dem die Presse während bei der Entwicklung zurück, die Ent- denen Bereiche der Gesellschaft sich in der Rede des Generalsekretärs erstmals wicklungsunterschiede zwischen den einem harmonischen Verhältnis zuein- Zutritt hatte. Ebenfalls erstmalig stellte Regionen sind im Wachsen begriffen. ander entwickeln und zugleich harmo- sich die frischgebackene Führungsspit- ■ ■ Die Fortschritte beim Aufbau von nische Beziehungen zwischen den Mit- ze nach Abschluss des Parteitages auf Demokratie und Rechtsordnung ent- gliedern der Gesellschaft angestrebt einer Pressekonferenz den Journalis- sprechen noch nicht den objektiven Er- werden. »Wissenschaftliches Entwick- ten. Teilnehmer sind in den letzten Wo- fordernissen. lungskonzept« und »harmonische Ge- chen ausgeschwärmt, um Partnerpar- ■ ■ Die internationale Konkurrenz sellschaft« wurden als Leitlinien neu teien in aller Welt aus erster Hand über auf dem Gebiet von Wirtschaft, Wis- ins Statut der KP Chinas geschrieben. die Ergebnisse zu informieren. Lothar senschaft und Technik verschärft sich; Um die Partei, die ihren Führungs- Bisky wurde vom stellvertretenden Lei- dieser Druck auf China wird noch lan- anspruch bekräftigt, für die neuen An- ter der Internationalen Abteilung des ge anhalten. forderungen fi t zu machen, stellte der ZK Zhang Zhijun besucht. Er wird auch Zu den Hauptaufgaben heißt es: Parteitag die Signale auf mehr Trans- eine Delegation leiten, die auf Einla- ■ ■ In der Wirtschaft geht es um eine parenz und innerparteiliche Demo- dung am bevorstehenden 2. Kongress Veränderung des Entwicklungsmodus’ kratie. Das meint zum Beispiel brei-

INTERNATIONAL DISPUT November 2007 040 tere politische Debatten, eine Begren- spiel dafür, dass man hier inzwischen tet werden. Der beträchtlichen Umwäl- zung der Möglichkeit, als Delegierte/r ohne Ansehen der Person auch gegen zung des obersten Führungspersonals gewählt zu werden, auf zwei Wahl- hochrangige Rechtsverletzer vorgeht. der Partei ist in den letzten Jahren ein perioden oder die versuchsweise Be- Die KP Chinas verzeichnet ein anhal- analoger Vorgang in den Provinzen vor- handlung von Parteitagen der unteren tendes Mitgliederwachstum, wobei der ausgegangen, der zahlreiche jünge- Ebenen und deren Delegierter als »ar- größte Anteil der neuen Mitglieder aus re, gut ausgebildete, mit Erfahrungen beitende Körperschaften«, das heißt Kreisen der Studenten und der neuen im In- und Ausland ausgestattete Per- jährliche Tagungen und permanente Mittelschichten kommen soll. sonen in leitende Stellungen brachte. Kontrolle der hauptamtlichen Partei- Bei der Wahl der Führungsgremien Die bereits auf dem 16. Parteitag komitees und ihrer Funktionäre durch der Partei haben die Delegierten Kon- 2002 durch die Führung um Hu Jintao die gewählten Gremien. Interessant: tinuität mit beträchtlichen Verände- vorgenommene Schwerpunktverlage- Für diese Praxis der PDS bzw. der LIN- rungen verbunden. Das Zentralkomi- rung von Wachstum auf soziale und KEN haben sich Studiengruppen der KP tee mit 204 Mitgliedern und 167 Kandi- ökologische Nachhaltigkeit, die vom Chinas bei Besuchen stets besonders daten wurde zu ca. 50 Prozent erneuert. 17. Kongress bestätigt wurde, kann in interessiert. Dies ist nur ein Beleg von Das Politbüro, das aus 25 Personen be- einer so riesigen Partei wie der KP Chi- vielen, dass in China die Erfahrungen steht, erhielt neun neue Mitglieder und nas nicht unumstritten sein. Wenn es linker Parteien in der Welt wachsende sein Ständiger Ausschuss, neun Per- die von scharfäugigen China-Watchern Beachtung fi nden. sonen an der Zahl, vier neue Mitglieder. stets behauptete Auseinandersetzung Stark betont wurde auch der ver- Unter Letzteren sind der bisherige 1. zwischen »Wirtschaftsliberalen« und stärkte Kampf gegen die Korruption, Sekretär des Parteikomitees Shanghai, »linken Reformern« wirklich gibt, dann weiterhin geradezu eine Lebensfrage Xi Jinping, und der bisherige 1. Sekretär hat sie mit dem 17. Parteitag ein Ergeb- für die KP Chinas als regierende Partei. des Parteikomitees der wichtigen nord- nis hervorgebracht, das sich mit seiner Der Fall des abgesetzten und gegen- ostchinesischen Industrieprovinz Liao- nüchternen, sachlichen Einschätzung wärtig strafrechtlich verfolgten ehema- ning, Li Keqiang, beide Anfang fünfzig, und seiner bei allen offen angespro- ligen 1. Sekretärs des Shanghaier Par- in denen heiße Anwärter für die »fünf- chenen Problemen insgesamt optimisti- teikomitees Chen Liangyu ist ein Bei- te Führungsgeneration« Chinas vermu- schen Orientierung sehen lassen kann. Anzeige

410 DISPUT November 2007 Andrej Hermlin, der King of Swing aus Ost- Eisler hat sich auch mit dem Begriff der Volkstümlichkeit in berlin, liebt Autos aus den 30igern, die der Musik auseinandergesetzt. »Der Wunsch nach Volkstüm- Kunst und den Lebensstil dieser Zeit und lichkeit in der Musik wird oft missverstanden, ja er setzt sich tourt mit seiner Band seit 1987 durch die auch einem gewissen Misstrauen aus. Versteht man doch Welt mit Gute-Laune-Evergreens von Good- unter Volkstümlichkeit im allgemeinen eine gewisse Naivi- man, Miller und Dorisy. Sein Handwerk hat tät, eine gewisse Gefühlsseeligkeit, eine durch nichts be- er an der Musikhochschule Hanns Eisler ge- rechtigte Spielfreude, auch Sitten und Gebräuchen, wie sie lernt. Sein politisches Interesse verdankt er (unserem modernen Leben) unserer Zeit nicht leicht entspre- seinem Elternhaus. chen.« Im Haus der Eltern lebt er jetzt mit sei- Deine Musik, ist sie volkstümlich, trifft sie auf ein Mas- ner Frau Joyce aus Kenia und seinen beiden Kindern. Wir sit- senpublikum? Diente sie nicht auch dazu, in der amerika- zen im getreuen Ambiente der 30iger Jahre, zwischen uns nischen Realität der 40iger Jahre instrumentalisiert zu wer- ein Fernsprechapparat von 1938, und reden über Hanns Eis- den und Soldaten »beschwingt« in den Krieg marschieren ler und Afrika. zu lassen? Ich fange mit dem Schluss an: Es ist richtig, dass Swingmu- Hanns Eisler 1 hat seine Gedanken über Musik in vielen Ge- sik in den 40iger Jahren auch zur Truppenbetreuung einge- sprächen geäußert: »Musikhören verlangt mindestens soviel setzt wurde, aber ohne diese amerikanischen Soldaten wür- Übung wie Schlittschuhlaufen ... Es ist immer davon die Re- den wir uns heute hier nicht unterhalten, denn mein Vater 2 de, dass Musik Emotionen freisetze oder befriedige. Der ei- hätte ohne sie nicht überlebt, auch nicht ohne die Russen, gentliche Inhalt der Musik scheint nichts anderes zu sein als Franzosen und Engländer, aber eben auch nicht ohne die die abstrakte Opposition zur Öde und Versteinerung des All- amerikanischen Einheiten, die Europa mit befreiten. tag.« Was denkst Du darüber? Das heißt, wenn Glenn Miller oder Artie Shaw oder ande- Also zunächst einmal bin ich ein miserabler Schlittschuhläu- re Truppenbetreuung machten für die amerikanischen Solda- fer. Eisler hat Recht. Für mich ist es auf jeden Fall eine Flucht ten, so stärkten sie damit den Kampfgeist einer Armee, die aus der Realität gewesen über viele Jahre. Eine Realität, die Hitler bekämpfte und verhinderte, dass alle europäischen recht grau und eintönig war, vor allen Dingen aber nichts zu Juden vernicht wurden von den Faschisten. Vor diesem Hin- tun hatte mit den Dingen, die ich liebte, nämlich der Mu- tergrund sehe ich darin nichts Verwerfl iches, im Gegenteil. sik der 30iger Jahre. Ich konnte, wenn ich sie hörte, hinein- Es ist richtig, natürlich ist unsere Musik eine volkstüm- tauchen in eine Zeit, die längst vergangen schien, die nie liche Musik im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wurde näm- mehr zurückkommen sollte. Ich konnte natürlich nicht ah- lich vom Volk für das Volk gemacht. Es waren keine elitären nen, dass es ein Swingrevival geben würde, dass ich Augen- Zirkel von Musikern, die sich zusammenfanden, um eine Mu- zeuge und Ohrenzeuge dieses Swingrevival werden würde sik zu spielen, die niemand verstand. Nein, es waren ein- und sogar nach Amerika reisen würde, um es zu sehen und fache Jungs und Mädchen, junge Leute, die sich in diese zu erleben. Aber vor dieser Zeit war ich ein isoliertes Kind mit Musik verliebten, das war ihr Lebensgefühl, sie spielten ih- einer Vorliebe für eine Musik, die kaum jemand hörte, und re Musik für sich selbst und für ein Massenpublikum. Die wenn ich sie hörte, tauchte ich ein in eine surreale Welt. Swingmusik in den 30iger Jahren war eine Massenmusik,

KULTUR DISPUT November 2007 042 Mindestens die Hälfte mit dem Herzen

Er trifft Eisler und liebt Afrika. Im Gespräch mit dem Musiker Andrej Hermlin

© Uwe Hauth (2) nicht nur in Amerika übrigens, sondern auch weit darüber Beispiel die Filme ansehen, die Astaire gemacht hat, kann hinaus, selbst in der Sowjetunion und in Deutschland gab man sicherlich über den Plot des Films streiten. Aber die Mu- es solche Bands. sik von Erwin Gollin, Irving Berlin, Jerome Kern oder George Gershwin ist über jeden Verdacht erhaben. Das ist großartige Eisler bezeichnet den Geschmack des unerfahrenen Hörers Musik, und sie hat Bestand. Bis heute sind das Klassiker. als Gefahr für schnelle und leichte Korruption. »Die gefähr- lichste Korruption ist die kommerzialisierte Unterhaltungs- Hanns Eisler sagt, er ziehe den Sozialismus vor, sehe aber musik, vor allem die amerikanische, die imstande ist, Völ- auch Vorteile »in der vogelfreien Wirtschaft« für Künstler. ker ganzer Kontinente zu Musikanalphabeten zu machen. Der Was würdest Du vorziehen, um künstlerisch arbeiten zu kön- ungebildete Hörer ist wehrlos der Schundproduktion der Ver- nen, frei und unabhängig, aber auch, um davon eine Fami- gnügungsindustrie ausgeliefert.« lie ernähren zu können? Wie stehst Du zum Thema Kommerz und Geschmacksma- Ich bin als Musiker im Wesentlichen jetzt im Westen soziali- nipulation in der Musikindustrie? siert. Ich habe zwar mit meiner Band in der DDR begonnen, Es ist immer eine Frage, von welcher Zeit man spricht. Gene- aber das waren nur die letzten, sagen wir drei Jahre ihrer rell würde ich hier Hans Eisler nicht folgen wollen. Ich habe Existenz. Alles, was wir uns aufgebaut haben, haben wir uns mal darüber eifrig mit meinem Vater diskutiert, der mir das unter kapitalistischen Verhältnissen aufgebaut. Ich glaube, sogar im Eisler-Originalton vorspielte. Die kommerzielle Mu- dass ein Staat immer daran gemessen wird, was er für die sikproduktion ist nicht per se etwas Schädliches, und umge- Schwächsten in der Gesellschaft tut, und auch daran, was er kehrt ist es nicht richtig zu sagen, jene Musik, die besonders für die Kunst und die Kultur zu geben bereit ist. Ich bin da- wenig kommerzialisiert, besonders wenig erfolgreich ist, ist von überzeugt, dass das Staatswesen, in dem wir momen- automatisch eine besonders gute Musik. Es gibt das eine tan leben, hier zu wenig tut, dass es anders Prioritäten set- und das andere, es gibt nie nur schwarz und weiß. Wir ha- zen könnte, wäre aber zu bedenken. Im Sozialismus, den ben im Augenblick natürlich eine Musikindustrie, die wenig wir erlebt haben, den ich selbst vielleicht gar nicht als Sozi- Kreativität zulässt, die tatsächlich Musik am Fließband her- alismus bezeichnen würde, existierte zwar eine große Förde- stellt, größtenteils gar nicht mal von Musikern gespielt, son- rung von Kunst und Kultur für alle, aber gleichzeitig auch ei- dern von Maschinen sozusagen fast im Alleingang produziert ne große Gängelung. und von Menschen höchstens noch zusammengefügt. Aber Ich will mir da kein Urteil anmaßen, sondern nur von mir selbst hier gibt es hochinteressante Dinge, die sich ereignen. selbst sprechen. Ich komme recht gut ohne Förderungen Ich würde auch die moderne Popmusik nicht schlichtweg für und staatliche Hilfsmaßnahmen aus. Ich fi nde auch, dass schlecht, miserabel oder primitiv erklären. Unterhaltungsmusik der Art, wie wir sie spielen, nicht wirk- Was den Swing betrifft: Hier fanden sich großartige Mu- lich förderungswürdig ist. Wenn man von staatlicher Förde- siker, Komponisten, Arrangeure, Texter, Sänger zusammen, rung spricht, sollte diese vor allen Dingen klassischer Musik um eine Musik entstehen zu lassen, die sicherlich die Spitze zukommen, sollte sie Bildhauern und Malern helfen und si- von Popmusik darstellt im 20igsten Jahrhundert. Dass Hol- cherlich auch Theatern und Kunstprojekten, die sich selbst lywood und der Broadway diese Musik verwendet haben, ist nicht tragen können. Wir können, Gott sei Dank, für uns sel- richtig, aber auch nichts Verwerfl iches. Wenn wir uns zum ber sorgen.

43 0 DISPUT November 2007 mentation, die ich zur spätnächtlicher Stunde gesehen ha- Eisler wurde einmal gefragt, wie äußert sich Dummheit in der be und in der es um Venezuela ging, um Chávez und den Musik? Was antwortest Du auf diese Frage? Versuch der Reaktion, ihn zu stürzen im Jahre 2002. Das hat Dummheit fi ndet sich dort, wo man, und hier zitiere ich sinn- mich aufgerüttelt und vor allen Dingen auch erschüttert, weil gemäß Brecht, dem Glück nachrennt, und das Glück rennt ich den Grad der Manipulation, der ich ausgesetzt war und einem hinterher. Also wenn man Musik spielt nur zum Zwe- der ich auch manchmal erlegen bin, unterschätzt hatte. Die- cke des Geldverdienens und dabei versucht, einen Massen- ser Film hat mir die Augen geöffnet. Das fi el zusammen mit geschmack zu erfühlen, zu erahnen und ihn zu bedienen. meinen ersten intensiveren Reisen nach Kenia. Und es gibt Das ist in Wahrheit genau andersherum, man muss sich in natürlich sehr viele Parallelen zwischen dem, was in Latein- eine bestimmte Art von Musik verlieben, an sie glauben, sie amerika war, nicht mehr ist, und dem, was in Kenia leider im- mit Leidenschaft und Herz propagieren, versuchen, sie so mer noch besteht. gut wie möglich zu spielen, und dann hat man vielleicht ei- Ich habe mich verwandelt, ich bin nicht mehr einfach nur ne Grundlage für Erfolg. Es ist keine Garantie, aber die Min- ein Tourist, ein Reisender, ich fühle mich als Beteiligter. Das, destvoraussetzung für, ich sage mal, einen ehrbaren Erfolg. was ich gesehen habe und sehe an Gemeinheit und Unge- Übrigens ist das eine Haltung, die sich erweitern ließe auf rechtigkeit, an extremen sozialen Kontrasten, produziert von Ökonomie und Politik in gleichem Maße. Wir haben eine Po- einem ungeschminkten Kapitalismus, kann man nur ertra- litik in Deutschland im Augenblick, die weitestgehend ver- gen, wenn man blind ist und taub. Und ich bin weder das sucht, einen Massengeschmack zu bedienen, es fi nden sich eine noch das andere. Also versuche ich mich zu engagie- in den Parteien selten Figuren, die eine Idee, eine Vision von ren, zum einen dort, wo ich lebe, im Dorf Thumaita: Wir ha- einer Gesellschaft haben und versuchen, die zu vermitteln; ben dort Licht installiert, das ist das erste beleuchtete Dorf Kenias. Wir haben dort eine Müllabfuhr eingeführt, wir un- terstützen die Schule, wir haben einen Spielplatz eingerich- tet. Das ist aber natürlich eine bescheidene und isolierte Hil- ■ ■ Nächstes Konzert: Kenia Orange. Andrej Hermlin fe für einen kleinen Ort in Kenia. Ich glaube, dass man Ke- and his Swing Dance Orchestra, Dirk Zöllner, nia nur verändern kann, wie im Übrigen andere Länder auch, Bernhard Mayo & Horizon M. Solidaritätskonzert für ein wenn man sozusagen in die große Politik eingreift. Es ist si- anderes Kenia. 21. November, Berlin, Kulturbrauerei, cherlich nicht meine Absicht, das zu tun. Aber es gibt dort im 18.30 Uhr, 12 Euro. www.swingdanceorchestra.de Augenblick eine hochinteressante, spannende Entwicklung, es gibt die Orange Democratic Movement, angeführt von Rai- la Odinga, den ich den Nelson Mandela Kenias nenne. Das ist eine politische Bewegung, die zu den Präsidentschafts- stattdessen versucht man sozusagen, das Gras wachsen zu und Parlamentswahlen im Dezember antritt. Die ODM steht hören und dann einfach zu transportieren, was an Stamm- für soziale Gerechtigkeit, für bessere Bildung, für einen har- tischen gesprochen wird. Das ist nicht mein Verständnis von ten Kampf gegen die Korruption. Politik und auch nicht mein Verständnis von Musik. Meine Frau und ich unterstützen sie nach Kräften im Land selbst und natürlich auch außerhalb, indem wir versuchen, Eisler sagt, seit 2.000 Jahren wissen wir, wenn Musiker zu die Situation in Kenia bekannt zu machen. Viele Deutsche denken anfangen, gibt es große Schwierigkeiten auf dem fahren dorthin in den Urlaub, aber sie wissen nicht, was Gebiet der Musik. »Wir tun immer so, als ob wir die Welt ver- wirklich in diesem Land vor sich geht. Natürlich werden sich ändern könnten. Leider ist es umgekehrt: die Welt verändert viele Leute fragen, ob es berechtigt ist, dass ein Deutscher, uns.« – Wie nachdenklich bist Du? der in Berlin lebt, sich in die politischen Verhältnisse ein- Ich bin sehr nachdenklich, hatte ich doch das Glück, in mischt. Ich glaube jedoch, dass ich in gewissem Maße ein einem Elternhaus groß zu werden, in dem viel gedacht und Recht dazu habe. Ich habe nicht nur eine kenianische Frau viel gesprochen wurde. Ich glaube im Übrigen, dass Musi- und zwei sozusagen gemischte Kinder, ich habe dort ein ker, die in ihrer Musik anfangen, zu mathematisch zu wer- Haus und verbringe inzwischen ein Drittel des Jahres in Ke- den, unter Umständen, zumindest in meiner Musik, nichts nia. Wir helfen dort nach Kräften, und zwar ganz alleine, das Gutes hervorbringen. In meiner Musik, also in der Swingmu- ist kein Fonds und keine Stiftung, sondern eine rein private sik, wird mindestens die Hälfte mit dem Herzen und mit dem Initiative. Ich glaube, wenn ich das alles zusammennehme, Bauch getan. Was aber das andere Leben angeht, das au- habe ich ein Recht, etwas zu sagen zu dem, was sich dort ab- ßermusikalische Leben, das hat es bei mir immer gegeben, spielt. Die Reaktionen, die ich in Kenia bekomme von Freun- und das wird es immer geben. Musik ist wichtig für mich, den, von Menschen im Dorf, es sind viele hundert Leute, bis aber nicht alleinbeherrschend, das heißt, für mich gibt es hin zu Leuten, die ich auf der Straße kennenlerne und mit noch ein Leben außerhalb des Swings. Ich habe mich immer denen ich diskutiere, diese Reaktionen bestärken mich. Ich für Geschichte und Politik interessiert und habe meine Lei- versuche, nicht belehrend aufzutreten, nicht mit dem Gefühl, denschaften dort. Sie sind in den letzten Jahren, auch durch die Weisheit gepachtet zu haben. Das ist ein Dialog, ich höre meine Bekanntschaft mit Kenia, eher stärker geworden als zu, sie hören zu, man lernt aus den Erfahrungen, und hin und schwächer, das heißt es gibt für mich ein Leben, das außer- wieder fragt man mich nach einer Beurteilung oder einem halb der Musik stattfi ndet – ein politisches Leben. Vorschlag. Ich habe nicht die Absicht, wieder still und leise zu werden. Diese Zeit ist vorbei! Amerikanische Musik spielen, mit einer afrikanischen Frau leben, in Berlin-Pankow. Du bist angekommen, quasi ein Gespräch: Gert Gampe Weltbürger, Vielfl ieger und wandelndes Designermodell. (Hermlin lacht laut.) Das wäre eine irreführende Beschrei- bung, denn Du bist ein streitbarer und engagierter Einmi- 1 Hanns Eisler, Musik und Politik, Schriften 1948–1962, scher und Macher und ein politischer Mensch. DVfM, 1982 In den letzten Jahren hat sich mein Leben tatsächlich ver- 2 Stephan Hermlin (1915–1997), Schriftsteller und ändert. Merkwürdigerweise begann es mit einer BBC-Doku- Übersetzer, musste 1936 emigrieren

KUNST DISPUT November 2007 044 BRIEFE

nachdenken Die Forderung nach 420 Euro ALG-II- ohne Sozialismus keineswegs sicherer, Regelsatz bei einem Mindestlohn von im Gegenteil. Betr.: DISPUT Nr. 10/2007. Gespräch mit 8,50 Euro ist ja noch nachvollziehbar, Letztlich ist auch die Führung der Helga Zimmermann aber wirbt DIE LINKE nicht für einen SED, so ablehnend sie sonst Gor- Mindestlohn von acht Euro? batschow gegenüberstand, diesem Die SPD-Vorsitzende unserer Stadtver- Es ist ja schön und richtig, dass in Denkmodell gefolgt: In dem Gemein- ordnetenversammlung sagte mir vor der LINKEN über eine Grundsicherung samen Papier von SED und SPD »Der Jahren: »Herr Müller, Sie haben eine diskutiert wird, die mit der Hartz-IV-Lo- Streit der Ideologien ...« vom August komische Fraktion. Bei Abstimmun- gik bricht, doch dann sollte es logisch 1987 bestätigten sich beide Seiten gen votieren Einzelne dafür, dagegen und nachvollziehbar erklärt werden »strukturelle Friedensfähigkeit«. Wohl oder sie enthalten sich der Stimme.« und auch die oben gestellten Fragen lediglich ein Wunschtraum, wie nicht Daran dachte ich, als ich das Gespräch beantworten. zuletzt die zahllosen Auslandseinsätze las. Ich habe gelernt und fand das im- DIE LINKE sollte sich weniger auf der Bundeswehr heutzutage beweisen. mer wieder bestätigt: Will man etwas bundesdeutsche »Science-Fiction-The- Es wäre zu wünschen, dass der Ar- erreichen, muss geschlossen gehan- men« konzentrieren (die aktuell wä- tikel auch in der Parteiführung der LIN- delt werden, im Falle einer Verhinde- ren, wenn die Partei im Bundestag und KEN und in deren Historischer Kommis- rung ebenso. Bundesrat die absolute Mehrheit hätte) sion zur Kenntnis genommen und ver- Unsere Fraktionsvorsitzende zog und mehr auf Lösungen, die hier und standen wird. Geschichte ist das Ergeb- den Schluss: Für mich gibt es keine Ent- heute im real existierenden Kapitalis- nis der Handlung konkreter Menschen haltung mehr, entweder dafür oder da- mus umsetzbar wären und Verbesse- in einer konkreten Zeit und unter kon- gegen! Ich habe nie das Wort Fraktions- rungen für Mensch und Umwelt bringen kreten Umständen. Und Geschichte be- zwang gebraucht, den es in anderen würden. Dann wäre es auch einfacher, darf keiner Entschuldigung. Fraktionen gibt, sondern nur vom ein- »Nicht-LINKEN« (und sich selber) Posi- W. Ehrig, Berlin heitlichen Handeln gesprochen. Nun tionen der LINKEN zu erklären. komme niemand mit dem Totschlagar- Dennis Klingenberg, Bremen gument »Das hatten wir doch schon«. kümmern Bestimmte Weisheiten bleiben weise. 1989/90 sind viele »Kinder mit dem lesen Ich komme mit einem heiklen Thema, Bade ausgeschüttet worden«. Holen und zwar den Misshandlungen von Kin- wir sie wieder ins Bad zurück. Betr.: DISPUT Nr. 10/2007 »Verzicht auf dern. Es wird viel darüber geredet, und Zur Abstimmung nach »Auffassung«, Borniertheit« von Stefan Bollinger der Fall Kevin in Bremen ist nur die Spit- manche sagen auch nach »Gewissen« ze des Eisberges. Die Ankündigungsmi- – ich erwidere: »Und wenn kein Gewis- Herzlichen Dank Stefan Bollinger, herz- nisterin – sie nennt sich auch Familien- sen vorhanden ist?« Also, die Fraktion lichen Dank DISPUT für einen der be- ministerin – hat weiter nichts als wer- in Stendal – und andere auch – soll- merkenswertesten und interessantes- bewirksame Auftritte. Ich fordere für te darüber konstruktiv-selbstkritisch ten Artikel, die in diesen Wochen aus Kinder bis zur Volljährigkeit einen so- nachdenken im Sinne des gemein- Anlass des 90. Jahrestages der Okto- genannten TÜV. Den kann jeder Kinder- samen Zieles. berrevolution in Russland in den Medi- oder Hausarzt machen, da braucht man Manfred Müller, Königs Wusterhausen en erschienen sind! keine große Bürokratie, das kann die Zu ergänzen wäre, dass die von Ste- Familienkasse überwachen. Wer das fan Bollinger zu Recht als »positivis- Kind nicht beim Arzt vorführt, bekommt bezahlen tisch« und »eklektizistisch« bezeich- kein Kindergeld. Denn es ist allemal bil- nete Herangehensweise an die Analy- liger, ein Kind alle zwei Jahre zum Arzt Betr.: DISPUT Nr. 10/2007 »Grundsiche- se historischer Prozesse nicht erst mit zu schicken als ins Krankenhaus. rung, aber wie?« von Katja Kipping dem Herbst 1989 bestimmend wur- Meinen Vorschlag habe ich den de, sondern bereits einige Jahre zuvor, großen Parteien geschrieben, aber kei- Wenn alle Bedürftigen 800 Euro plus beispielsweise bei Gorbatschow, fest- ne Antwort erhalten. Kinder, Alte und Kranken- und Rentenversicherung zustellen war: Mit seinen Thesen von sozial Schwache können nicht weglau- und bei Bedarf einen Zuschuss zu den den angeblich höherrangigen »allge- fen. Das Auto ist den meisten wichtiger Wohnkosten bekommen würden, hät- meinmenschlichen Interessen« kündi- als ein Kind, und das muss alle zwei te zum Beispiel eine vierköpfi ge Fami- gte Gorbatschow de facto das Ende des Jahre zum TÜV. Ich hoffe, dass die LIN- lie über 3.200 Euro im Monat zur Ver- Sozialismus als Beitrag zur Friedenssi- KEN es einmal zu einem Thema machen fügung. Wer würde dann noch freiwillig cherung an. und sich um die Schwächsten der Ge- den ganzen Tag arbeiten wollen? Und Allerdings: Kein westlicher Staats- sellschaft kümmern. Wer denn sonst? wie soll das bezahlt werden? Soll das mann wäre auch nur im Traum auf die Rolf Döding, Delmenhorst alles auch durch Steuererhöhungen für Idee gekommen, sein Gesellschafts- Reiche und Groß-Konzerne fi nanziert system für den »Weltfrieden« zu op- [email protected] werden? fern. Und der Frieden ist heutzutage

45 0 DISPUT November 2007 BÜCHER

Vom ganz »privaten« benen und oft in Gedankenfetzen en- gang mit der Geschichte und der Ge- denden Roman, wie es sein sollte. genwart trägt durchaus Loriotsche Zü- Leben Hauptperson ist die 17-jährige Clau- ge. Deutlich auch in diesem Buch, in dia. Man lernt sie zunächst in ihrem Jar- dem er ein Jahr als Schrebergärtner be- gon mitten im Abi-Stress kennen. Man schreibt. Schon die beschriebene Be- erfährt von ihren Vorlieben, ihrem Frust, schaffung einer Parzelle in der Klein- vom Zerwürfnis mit den Eltern, von der gartenkolonie »Glückliche Hütten« Wie sich gesellschaftliches Leben selbst heimlichen Liebe zum Englischlehrer, geht nicht ohne Schmunzeln beim Le- in ganz unerwarteten Zusammenhän- von ihren Eitelkeiten und Gedanken ser ab. Die inzwischen gesamtdeut- gen bemerkbar macht, ist durchaus in zur Klimakatastrophe und vieles All- schen Regeln, die im Bundesgartenge- den Romanen jüngerer Autoren zu ent- tägliche mehr. Und da ist ihr Großva- setz vorgeschrieben sind, mögen etwas decken. Gelesen von Ingrid Feix ter Konstantin, ein Altkommunist, der zutiefst Deutsch-Bürokratisches sein, mit Elektrowaren Millionär geworden wenn man, wie in Kaminers Fall, sich ist und seiner Lieblingsenkelin mit sei- Gartennachbarn wie die vielköpfige ürzlich, zur Frankfurter Buchmes- nen politischen Sätzen und Stalin-Bro- Familie Krause oder den Nadelbaum- se, wurde der Deutsche Buchpreis schüren helfen will, sich über die Zu- anarchisten Günther Grass dazu denkt, K2007 an Julia Franck für ihren Ro- mutungen des Imperialismus und die werden sie auch absurd. Letztlich aber man »Die Mittagsfrau« verliehen. Das ist allgemein herrschende Bildungsmisere geht es zwischen Rasenpfl ege, Rhabar- ein Buch, in dem es um die Suche nach hinwegzusetzen. Dass Claudia, die sich berernte, Nachbarschaftshilfe und der eigenen Familiengeschichten im gesell- besonders für Physik interessiert, auch Romanrecherche zur Entstehung des schaftlichen Umfeld des 20. Jahrhun- Gespräche mit einem gottähnlichen Schrebergartens im Allgemeinen im- derts mit seinen zerstörerischen Kriegen Wesen über all die wilden Gedanken, mer um die spezielle Spezies Mensch, geht. Sehr anschaulich und einfühlsam die sie umtreiben, führt, geht im zwei- die auf solchen Parzellen vom Frühjahr ten Teil des Romans total in eine Sci- ence-Fiction-Geschichte über. Mit Großvater Konstantin landet sie Wladimir Kaminer in Alaska zur Erkundung eines Geheim- Mein Leben Dietmar Dath projekts des US-Militärs, das angeblich im Schrebergarten Waffenwetter das Nordlicht erforscht, aber durch die Zeichnungen von Vitali Roman Manipulation des Wetters Einfl uss auf Konstantinov Suhrkamp Verlag die Welt ausüben will. Das geheime Manhattan Verlag 291 Seiten HAARP-Zentrum entpuppt sich als glo- 224 Seiten

17,80 Euro © Repro bale Waffe, sich der Hirnströme der 17,95 Euro © Repro Menschen zu bedienen … wird da von menschlichen Schicksalen Haarsträubende Visionen, die bis zum Herbst ihre freie Zeit verbringt. unter konkreten gesellschaftlichen Um- schließlich wieder in die Realität des Nicht nur wegen des Ausfl ugs in den ständen erzählt. Julia Franck, 1970 gebo- Alltags von Claudia münden. Doch wer kaukasischen Garten von Onkel Georgij ren, gehört zu einer Generation von Au- glaubt, es handele sich hier um die ver- Iwanowitsch, bei dem es auch Begeg- toren, die sich nicht nur der eigenen Fa- spinnerte Konstruktion eines Autors, nungen mit der großen Politik gibt, ist miliengeschichte stellen, sondern auch sieht nur die Oberfläche dieses Ro- das Weltgeschehen bei Kaminer stets im besonderen Maße diese in den ge- mans, in dem intelligent und intellek- präsent. Anspielungen auf große und sellschaftlichen Zusammenhängen be- tuell über die Beschaffenheit unserer kleine Zeitereignisse fl ießen dem Au- trachten. Welt nachgedacht wird. tor ständig in die Formulierungen. Und Auch Dietmar Dath ist Jahrgang wenn er über Fischstäbchen als Lie- 1970. Vermutlich kann der in Rhein- besersatz der Eltern zu ihren Kindern felden geborene Journalist, Übersetzer odenständiger ist die Gartenwelt, sowie darüber, dass Großeltern in der und Schriftsteller, der in Freiburg natur- die der in Moskau geborene und Leistungsgesellschaft der Familie nicht und geisteswissenschaftliche Fächer Bseit 1990 in Berlin lebende Wla- mehr zur Verfügung stehen, philoso- studiert hat und bis vor Kurzem Feuille- dimir Kaminer schreibend entdeckt. phiert, ist das zwar unterhaltsam, aber tonredakteur bei der Frankfurter Allge- Mit seinen humorvoll-naiven Alltags- nicht nur witzig zu lesen. Kaminer bleibt meinen Zeitung war, auf keine so auf- betrachtungen über das Leben in sei- sich und seiner Weltbetrachtung selbst regende eigene Familiengeschichte zu- ner neuen Wahlheimat hat der Autor im Schrebergarten treu. Zum Schluss rückgreifen, wie Julia Franck. Dennoch der »Russendisko« sich schnell eine heißt es: »Die Sonne ist nur ein Mor- geht es in seinem gerade erschienenen große Leserschar erobert. Wahrschein- genstern, erinnerte ich mich. Die Erde Roman »Waffenwetter« um familiäre lich hat er damit viel mehr für das Ver- ein Schrebergarten, und wir sind ihre Beziehungen, in denen gesellschaft- ständnis zwischen Russen und Deut- Freunde, die Gartenfreunde, die sich liche Umstände stets präsent sind. schen getan, als jedes Kommunique zwischen den nassen Rhabarberblät- Nichts ist in diesem nur klein geschrie- das könnte. Der selbstironische Um- tern einquartiert haben …«

DISPUT November 2007 046 ie Idee, Brenn- und Treibstoffe biete für die lukrative Produktion von aus Mais, Soja oder Getreide zu »Treibstoffpfl anzen« abzuholzen. Dgewinnen, hatte – trotz ethischer Für den UNO-Sonderberichterstatter Bedenken – auch mich anfangs faszi- für das Recht auf Nahrung, Jean Zieg- niert. Der Bedarf an fossilen Energie- ler, ist die Herstellung von Biokraft- trägern könnte damit drastisch sinken, stoffen daher ein »Verbrechen gegen bei der Nutzung der pfl anzlichen »Kraft- die Menschheit«. Sicher ist diese Ein- pakete« würde sogar noch die Umwelt schätzung sehr drastisch, zumal die deutlich entlastet. Inzwischen sehe ich beschriebenen Vorteile von Biokraft- diese Entwicklung sehr kritisch. Denn stoff auch dann zum Tragen kämen, vor allem die Erzeugung von Biosprit & wenn nicht hochwertige Nahrungs- Co. könnte Hunger und Unterentwick- pfl anzen, sondern biologische Abfäl- lung sowie die Spaltung der Welt in ei- le verwertet würden. Hier müssen nach nen armen Süden und einen reichen meiner Meinung die Forschungen in- Norden, der nun auch noch seine Ener- tensiviert werden. Jean Ziegler, der seit gie- und Klimaprobleme auf Kosten der Jahrzehnten Armut und Unterentwick- Entwicklungsländer lösen will, noch lung ins Licht der Öffentlichkeit bringt, verstärken. hat mit seinem Bericht vor wenigen Ta- Biokraftstoffe sind nicht erst seit ei- gen in New York aber erneut deutlich nigen Wochen, als die Medien began- gemacht, dass das Hungerproblem ei- nen, ausführlicher über diese »Alter- ne der größten Herausforderungen un- native« zu berichten, serer Zeit bleibt. Über 800 Millionen ein Thema. Die Argu- Menschen auf der Welt leiden Hunger, Das saubere mentation klingt ver- 100.000 sterben am Nahrungsmangel nünftig: Im Gegen- oder dessen Folgen – täglich. Und über Gewissen und der satz zu Öl, Gas oder zwölf Millionen Hungernde kommen je- Hunger Kohle wachsen die des Jahr hinzu. Rohstoffe für Bio- Dabei sind es natürlich nicht nur die kraftstoffe im wahrs- Energiepläne im Norden, die die Lage ten Sinne des Wortes verschärfen. Kriege und Unruhen, die Von André Brie stetig nach. Bei ihrer zudem Millionen Menschen zu Flücht- Verbrennung geben lingen machen, und die Herrschaft au- © Stefan Richter sie nur soviel Kohlendioxid ab, wie sie tokratischer Despoten gehören eben- während ihrer Wachstumsperiode auf- so dazu wie Korruption, falsche und genommen haben. Eine teure, aufwen- zu kurzzeitig gedachte Entwicklungs- dige und wiederum energieintensive strategien. Nicht zuletzt auch der feh- Erschließung der Quellen entfällt. Da lende Wille im Norden, der Dritten Welt wäre es doch nur zu begrüßen, dass al- mehr als nur Brosamen zukommen zu lein in Deutschland bis 2020 die Bei- lassen. mischung von Biosprit zum normalen Das ist leider auch in der EU der Kraftstoff auf 20 Volumenprozent stei- Fall. Natürlich gibt es eine ganze Rei- gen soll. In den USA sollen bis zum sel- he von richtigen und wichtigen Initi- ben Jahr sogar 15 Prozent des Kraft- ativen, um die Armuts- (oder Reich- stoffs aus Pfl anzen kommen. tums-)grenze zwischen Nord und Süd Das ist aber nur die eine Seite. Die zu überwinden. Positive Ansätze wer- andere: Der saubere Biosprit, der unser den aber durch Versuche konterkariert, Gewissen im Norden beruhigt, stammt die Entwicklungsländer in postkoloni- aus Nahrungsmitteln, die dem größten aler Abhängigkeit zu halten und sie als Teil der Menschheit fehlen. Für eine 50- Rohstofflieferanten und Absatzmärk- Liter-Benzintankfüllung eines Autos te zu missbrauchen. So belegt gerade werden 200 Kilogramm Mais benötigt. die Handelspolitik EU-Europas, dass Damit könnte ein Mensch ein Jahr lang es nach wie vor nicht darum geht, die ernährt werden. Länder des Südens als gleichberech- Zu Beginn dieses Jahres gab es in tigte Partner anzuerkennen. Zwar hat Mexiko Unruhen, weil sich der Preis für die Europäische Kommission die der- Mais, die Basis der traditionellen Tor- zeit laufenden Verhandlungen über die tilla-Fladen, fast verdoppelt hatte. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen Hauptursache der »Tortilla-Krise« lag in mit Dritte-Welt-Staaten auch auf Druck der immens gewachsenen Mais-Nach- progressiver Kräfte im Europaparla- frage in den USA – für die Kraftstoffpro- ment inzwischen auf den Gütermarkt duktion. beschränkt. Das Ziel der EU bleibt aber Hinzu kommt der enorme Verbrauch weiter, »gleichberechtigten« und um- landwirtschaftlicher Flächen, die für fassenden Marktzugang für beide Sei- die »Energiepflanzen« benötigt wer- ten zu sichern. Wer dabei Gewinner den. Schon planen clevere Unterneh- und Verlierer sein wird, ist klar. »Alle men, in Entwicklungsländern Regen- Gründe für Hunger sind von Menschen waldareale und geschützte Feuchtge- verursacht.« Zitat Jean Ziegler.

470 DISPUT November 2007 NOVEMBERKOLUMNE Auslese

Käthe Kollwitz

Die Tagebücher 1909–1943

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