Deutscher – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007 8707

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ghanistan weitergehen würde. Wer würde die vielen (C) Nein, kein letzter Punkt mehr, höchstens ein letzter hoffnungsvollen Ansätze, die es trotz der schlechten Satz. Nachrichten gibt, dann zu einem Erfolg führen? Wir ha- ben den Menschen in diesem Land unsere Hilfe zuge- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): sagt. Wir stehen gegenüber der frei gewählten afghani- schen Regierung im Wort. Wir wussten, dass es ein Dann ein letzter Satz. längerer Einsatz wird. Wenn wir den Einsatz der Bun- Wir haben keinen Grund, vor der Drogenproblematik deswehr jetzt beenden würden, statt zu unserer Verant- zu kapitulieren. Wenn wir die Unterstützung der Mullahs wortung zu stehen, wäre alles umsonst gewesen. Dann und der Stammesfürsten haben, wenn wir eine durch- hätten wir ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. dachte Wirtschaftspolitik betreiben, die den Bauern zu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gute kommt, und wenn wir unsere Anstrengungen in der der CDU/CSU) Sicherheitspolitik mit Blick auf die Polizeiausbildung er- höhen, werden wir auch dieses Problem langfristig lösen Jeder – so sagte neulich der afghanische Außenminis- können. ter Spanta, der auch bei uns im Verteidigungsausschuss zu Gast war –, der gedacht hat: „Fünf Jahre nach dem Vielen Dank. Fall der Taliban wird das Projekt endgültig ein Er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- folgsprojekt“, war sehr naiv. Dr. Spanta sagte dies auf neten der SPD) Deutsch. Er hat jahrzehntelang in Deutschland gelebt, nicht freiwillig, sondern im Exil als politisch Verfolgter. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ob er noch Mitglied des Bündnisses 90/Die Grünen ist, weiß ich nicht. Aber er ist ein mutiger Demokrat, der Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Bartels, SPD- jetzt die Chance hat, um den Aufbau der Demokratie in Fraktion. seiner Heimat zu kämpfen. Dabei kann er sich auf unsere Hilfe verlassen, auch auf die militärische Sicherheit, die Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): heute dazu noch notwendig ist. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch mir wäre es lieber, wenn wir nach fünf Jahren Stabilisie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rungseinsatz in Afghanistan heute so weit wären, die der CDU/CSU) Truppen zu reduzieren, statt sie verstärken zu müssen. Denn für Afghanistan gilt wie für viele andere Krisenre- So war es auf dem Balkan. Eine ganze Weile haben wir gionen: Ohne Sicherheit vor gewalttätigen Fanatikern dort starke Truppenkontingente bereithalten müssen. sind alle anderen Probleme erst recht nicht lösbar. (B) Heute sieht die Situation hinsichtlich der Truppenstärke (D) folgendermaßen aus: Mazedonien null, Bosnien deutlich Wir müssen Bedingungen schaffen, die die Arbeit der reduziert. Im Kosovo gibt es noch eine große Truppen- zivilen Kräfte ohne Bedrohung ermöglichen. Neue Hoff- stärke; aber perspektivisch gibt es eine Reduzierung. nung wird es nicht geben, solange sich weder die Helfer Eine Reduzierung muss das Ziel sein. Allerdings muss noch die Bevölkerung einigermaßen sicher fühlen kön- die Lage dies auch zulassen. Es muss das Ziel jedes Aus- nen. Wir haben als Teil der NATO mit unseren Partnern landseinsatzes der Bundeswehr sein, dass es später auch eine gemeinsame Verantwortung für ganz Afghanistan ohne Militär geht. übernommen. Es gibt keine getrennte Sicherheit im Nor- den und im Süden des Landes. Mit der Bereitstellung der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Recce-Tornados leisten wir einen Beitrag zur Stabilisie- der CDU/CSU) rung der Lage auch in den südlichen Landesteilen. Der Einsatz der Soldaten ist kein Selbstzweck. Um Ausdruck unseres umfassenden Politikansatzes sind ein sicheres Umfeld zu schaffen, das den Wiederaufbau dabei die sogenannten regionalen Wiederaufbauteams. des Staates, den Bau von Straßen, Schulen und Kranken- Sie setzen sich aus Soldaten der Bundeswehr zusammen, häusern erst ermöglicht, brauchen die Menschen in Af- die Seite an Seite mit Vertretern des Auswärtigen Amtes, ghanistan heute die Unterstützung durch die Soldaten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen- der NATO. Würden wir auf diese militärische Absiche- arbeit und Entwicklung sowie des Innenministeriums ar- rung verzichten, könnten wir auch unsere zivilen Hilfen beiten. Diesen Ansatz hat sich seit dem Rigaer Gipfel die einstellen. Das darf aber keine Alternative sein. Es bringt NATO zu eigen gemacht – einschließlich der USA. nichts, die zivile Hilfe gegen die militärische auszuspie- len. Wäre keine internationale Schutztruppe im Land, Auch wenn unsere amerikanischen Verbündeten in der dann würden sich die militanten Taliban-, Haqqani- und Presse gelegentlich mit Kritik an Deutschland zitiert Hezb-e-Islami-Gruppen gewiss nicht in Respekt und werden, wird unser Engagement durchaus auch in Hochachtung vor Mädchenschulen, öffentlichen Rund- Washington akzeptiert. General Eikenberry, bis zum ver- funkanstalten und Entwicklungsprojekten verbeugen, gangenen Jahr Oberbefehlshaber der US-Truppen in Af- sondern sie angreifen, vertreiben und zerstören wie vor ghanistan, lobte bei einer Kongressanhörung ausdrück- 2001. lich unseren Beitrag und bescheinigte den Deutschen – so berichtet es der Korrespondent der Zeitung „Die Welt“ –, Alle diejenigen, die jetzt darüber reden, dass es an der dass sie „sehr gute Arbeit“ leisteten. Das ist übrigens der Zeit sei, den Einsatz der Bundeswehr und der NATO zu gleiche General, den die „FAZ“ einige Monate zuvor mit beenden, müssen sich fragen lassen, wie es dann in Af- den Worten zitierte: Das effektivste Waffensystem, das 8708 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 86. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. März 2007

Dr. Hans-Peter Bartels (A) wir haben, ist der wirtschaftliche Wiederaufbau. – Das ist das, was im Hinblick auf die Entwicklung Afghanistans (C) richtig. aufgezeigt wird, zunutze machen und diese Debatte nicht mit der Auseinandersetzung über die Entsendung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von sechs Tornados beenden. Wir sollten über den Stra- der CDU/CSU) tegiewechsel sehr detailliert diskutieren. Trotzdem entsteht in unserer Öffentlichkeit manch- mal der Eindruck, Deutschland setze hauptsächlich auf (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie das Militär. Das liegt vielleicht auch an unserem Prinzip bei Abgeordneten der FDP) der Parlamentsarmee. Wir stimmen in diesem Hause ja Es ist nicht wahr, dass wir hier schwarz-weiß malen regelmäßig über die Verlängerung der Einsätze der Bun- würden. Die Konferenzen – von Bonn über Tokio bis deswehr ab, nicht jedoch über die zivile Aufbauhilfe. London, wo der Afghanistan-Compact veröffentlicht Dank der Beteiligung des Parlaments an den Entsende- wurde – dienten doch dazu, aufzuzeigen, was wir in der entscheidungen steht der militärische Teil unserer Politik Zukunft anders machen sollten, um dem abzuhelfen, was immer im Fokus des medialen Interesses. Da entsteht wir alle beklagen. leicht eine etwas verzerrte Wahrnehmung. (Unruhe) (Vorsitz: Präsident Dr. ) Ich fürchte, lieber Herr Fraktionsvorsitzender, dass Vielleicht sollten wir das umfangreiche zivile En- wir die Haushälter in diese Debatte einbeziehen müssen. gagement Deutschlands in den Krisenregionen gelegent- Egal ob die Entwicklungspolitiker oder die Außenpolitiker lich stärker in den Vordergrund stellen, um dieses Bild reden oder andere, es wird immer vergessen, dass in der zu korrigieren. Viele Projekte, viele engagierte Helfer Zukunft einer der Schwerpunkte sein muss, dass wir die finden nie den Weg in die Zeitungen und leisten doch im Haushaltsmittel aufstocken – nur das bringt den ent- Verborgenen Großartiges und riskieren ihr Leben. scheidenden Strategiewechsel, den wir hier brauchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der der CDU/CSU und der FDP) SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ Dass die Bundesregierung den Bundestag für den DIE GRÜNEN) Einsatz der Flugzeuge vom Aufklärungsgeschwader 51 aus Schleswig ausdrücklich um ein neues Mandat bittet, So gesehen sind die sechs Tornados ein guter Anlass, zu ist sehr zu begrüßen. Zu Beginn der Diskussion haben ja sagen: Wir verstärken die Sicherheit, wir klären auf, wir einige argumentiert, dass der Einsatz vom bisherigen schützen diejenigen, die dort helfen, und wir denken da- rüber nach, wie wir in der Zukunft die zivile Komponente (B) Bundestagsbeschluss voll gedeckt sei. Das sehe ich nicht (D) so. Wir nehmen heute quantitativ und qualitativ eine Er- nicht nur verbal, mit Lippenbekenntnissen hier im Plenum, weiterung des Mandats vor. Unser heutiges Votum ist verstärken können, sondern wie wir dazu kommen, dass auch ein Signal an die neue afghanische Demokratie, aus Planungen Realität wird. Frau Ministerin, Sie waren dass wir zu unserem Wort stehen und die Stabilisierung auf meiner Seite, als wir im Ausschuss darüber gesprochen des Landes so unterstützen, wie dies notwendig ist. haben. Es nützt uns wenig, wenn wir nur Planungen vor- legen. Denn wir wissen: Nur wer für Stabilität sorgt, Schönen Dank. kann Planungen auch umsetzen, kann den Menschen in Afghanistan deutlich machen, worauf es uns ankommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es genügt nicht, in jeder Debatte verbal zu beteuern, dass der CDU/CSU) man sich engagieren will – man muss es auch umsetzen.

Präsident Dr. Norbert Lammert: (Anhaltende Unruhe) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernd Schmidbauer für die CDU/CSU-Fraktion. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, noch einen Bernd Schmidbauer (CDU/CSU): Augenblick Platz zu nehmen, bevor wir dann nach Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Schluss der Aussprache in die Abstimmungen eintreten. Herren! Ein Wechselbad der Gefühle haben wir in dieser Debatte erlebt: von rhetorischer Abrüstung bis hin zu ( [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE kindergartengemäßen Protestaktionen derer, die nicht zu GRÜNEN]: Der Großen Koalition mangelt es verbessern sind an Disziplin!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich hatte mir das so gedacht, dass sich die Kollegen erst neten der SPD) hinsetzen und dann weitergeredet wird. Dafür halte ich die Uhr natürlich an. und von denen wohl auch im Ausschuss keine wesentlichen Beiträge zu erwarten sein werden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das gilt auch für den Vizekanzler!) Ich hatte mit dem Kollegen Meckel heute Morgen ein Gespräch. Er hat angeregt, dass wir das Material, das mit Verehrte Kollegen, es gibt noch einzelne Sitzplätze, die den Entschließungsanträgen vorliegt, in den Ausschüssen bis zum Erreichen des vereinbarten Endes der Debatte debattieren. Ich würde das befürworten. Wir sollten uns zur Verfügung stehen.