1178 Deutscher – 19 Wahlperiode – 14 Sitzung Berlin, Donnerstag, den 22 Februar 2018

Dr. (A) ben. Hui, dachte ich: Die Bundesregierung entdeckt den der, dass man auch mit einem E‑Auto hervorragend im (C) ÖPNV. Na super. Stau stehen kann. In Halle hat Die Linke schon vor Jahren Konzepte (Beifall bei der LINKEN) dafür öfentlich zur Diskussion gestellt. Derzeit wird intensiv über eine Strategie zum „Mitteldeutschen Ver- Wer sagt – das ist ja hier schon mehrfach gesagt wor- kehrsverbund 2025“ diskutiert. Im Stadtrat von Halle den –, dass kostenloser ÖPNV nicht fnanzierbar wäre, wurden allein sechs Modelle vorgestellt, wie es gehen dem will ich erwidern, dass Autoverkehr und damit ver- könnte. Gespräche mit der Landesregierung und den bundene Infrastrukturkosten dreimal höher liegen. Gra- Landtagsfraktionen laufen. Aber alle wissen: Ohne bun- tis-ÖPNV ist also kein Einzelprojekt von irgendwelchen desgesetzliche Regelung wird es nicht gehen. Kommunalhelden. Das muss volkswirtschaftlich gedacht werden. Das alles ist unendlich mühsam. Es bedarf auf Bun- desebene endlich politischer Grundsatzentscheidungen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Nun schlagen Sie in dem besagten Brief auch Modell- städte vor. Toll, habe ich gedacht, Modellstädte, großar- Ich kann nur sagen: Wenn sich die Kanzlerin nur halb so tig – da müssten ja im Osten mindestens Dresden und oft mit Unterstützerinnen und Unterstützern des ÖPNV Halle dabei sein. Aber nichts da! Ostdeutschland? Mal getrofen hätte, wie sie es mit den Chefs der Automobil- wieder totale Fehlanzeige. Ich sage Ihnen: So, wie es in konzerne getan hat, wären wir deutlich weiter. Ostdeutschland nie blühende Landschaften gegeben hat, sind wir auch kein Luftkurort geworden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Dabei gibt es Vorbilder in der EU und in Deutschland. Tallin hat schon eine Rolle gespielt. Diese Stadt hat, so- Was meinen Sie denn, was ich deswegen für Kommen- zial motiviert, als einzige europäische Hauptstadt einen tare zu hören und zu lesen bekommen habe? In den letz- Gratisfahrschein eingeführt. ten 20 Jahren sind im Osten zuhauf Bahn- und Busver- bindungen gestrichen worden. Jetzt zeigt sich eben, wie ( [CDU/CSU]: Die haben es falsch das gewesen ist. Tausende sind aufs Auto ange- wieder abgeschaft!) wiesen. Und jetzt sagen Sie mir bitte nicht, Tallin sei ja nicht so (Beifall bei der LINKEN) groß. Tallin und Estland sind nicht annähernd so reich (B) wie Deutschland, und doch geht es. Es muss im wahrsten Sinne des Wortes – gerade auch (D) in Ostdeutschland – umgesteuert werden. Nutzen wir den (Beifall bei der LINKEN) politischen Druck, der sich jetzt aufbaut, für eine neue Mobilitätsidee – eine, die ökologisch, sozial und schließ- Sie können aber auch in Deutschland lernen. Das hat lich auch für alle Nutzerinnen und Nutzer verlässlich ist. auch vor kurzem eine Rolle gespielt. Templin, eine hüb- sche Stadt in der Uckermark, (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin : mit einem Bürgermeister der Linken, hat ÖPNV umge- Das Wort hat der Kollege Karsten Möring aus der stellt. Die Nutzerzahlen sind in dieser Zeit um ein Viel- CDU/CSU-Fraktion. faches gestiegen. Zunächst – stimmt – war alles gratis. Dann kam die Finanzkrise. Seitdem gibt es allerdings (Beifall bei der CDU/CSU) eine Art Jahreskarte à 44 Euro. Da sage ich: Das ist ein absolut akzeptabler Preis für eine Jahreskarte. Karsten Möring (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich in der Tagesordnung das Thema der Aktuellen Aber es bleibt ein hartes Stück Arbeit der Kommunalpo- Stunde gelesen habe, habe ich mich ein bisschen gewun- litik, die Subventionen zu sichern. Insellösungen, meine dert. Ich hätte ja verstanden, wenn man an dem Tag, an Damen und Herren, werden nicht reichen, um die Situa- dem wir – anlässlich der Revision von Urteilen der Ver- tion in Deutschland zu entspannen. Natürlich reicht auch waltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart – das Urteil Gratis-ÖPNV nicht – das ist doch völlig klar –; aber man des Bundesverwaltungsgerichts zu Fahrverboten erwar- könnte ja wenigstens mal entschlossen anfangen, statt teten, dies zum Thema gemacht hätte, vielleicht auch nur darüber nachzudenken. das möglicherweise drohende EU-Vertragsverletzungs- (Beifall bei der LINKEN) verfahren wegen der Überschreitung der Grenzwerte für Stickoxid. Aber das, was wir von der FDP zum Thema Die Bundesregierung sollte einsehen, dass es eines Mobilität vorgelegt bekommen haben, hat mich dann neuen, komplexen Mobilitätskonzeptes bedarf. Statt hier doch ein bisschen irritiert. Das gilt vor allen Dingen für im Bundestag intensiver darüber zu diskutieren, haben Herrn Luksic, der seine Rede damit eingeleitet hat, dass wir wertvolle Zeit mit Debatten um E-Autos, Kaufzu- wir nicht denken, sondern handeln sollen. Denn ich habe schüsse und dergleichen mehr verloren. Dabei weiß je- ein Flugblatt der FDP vor Augen, auf dem steht: „Mobi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Februar 2018 1179

Karsten Möring (A) lität neu denken.“ Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass Lassen Sie mich auf einen Punkt der sieben Punkten, (C) für die Bundesregierung Denkverbote verlangt werden. die in dem Brief der drei Bundesminister aufgelistet wor- den sind, eingehen, der da lautet: den Rechtsrahmen ver- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der ändern. Dahinter verbirgt sich die Überlegung, dass wir CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der die Kommunen in die Lage versetzen sollen, Regelungen SPD) für punktuelle, lokal wirksame Maßnahmen zu trefen, Was steht eigentlich in dem Brief? Frau Lühmann hat zum Beispiel eine Beeinfussung der Ausgestaltung, wie es vorhin schon einmal zitiert. Darin steht: Wir denken Taxen, Busse oder Ähnliches mehr fahren sollen. Das darüber nach. – zeigt: Bei vielen Punkten ist eine Ergänzung vorgenom- men worden, über die wir diskutieren können. Das ist ( [FDP]: Sie sollten mal schlicht und einfach sinnvoll. vordenken, nicht nachdenken!) Es wird gefordert: Die Autoindustrie soll für Nachrüs- Wir denken über sieben Punkte nach, aber auch über die tungen zahlen. Ja, es sieht so aus, als seien technische Dutzende von Punkten, die wir als Ergebnis der Diesel- Nachrüstungen möglich und sinnvoll; sicherlich nicht in gipfel I und II und der weiteren Gespräche auf die Tages- Bezug auf alle Fahrzeuge, weil die Nachrüstung bei ei- ordnung gesetzt haben. nigen Fahrzeugen möglicherweise deutlich zu teuer und damit wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Leider haben wir Von den Linken habe ich nichts anderes erwartet als eine ganz klare Rechtslage, die besagt: Die Autoindus­ einen Vorschlag, die Kosten des ÖPNV, der ja nicht kos- trie, mit Ausnahme der Nutzung von Betrugssoftware, tenlos ist, zu sozialisieren und ihn auf diese Weise zu be- hat sich an die EU-Rechtsvorgaben gehalten. Die Vor- zahlen. Das ist aber auch nicht das richtige Modell. gaben enthielten Lücken, die dazu geführt haben, dass wir heute in diesem Bereich Probleme haben. Allerdings Dann habe ich mich ein bisschen über Herrn Gelbhaar will ich auch sagen: Die Autoindustrie wäre gut beraten, gewundert. Herr Gelbhaar, der ÖPNV ist bezahlbar, und wenn sie, statt Hunderte von Millionen Euro in Image- da, wo er nicht bezahlbar ist, weil die Preissteigerungen kampagnen zu stecken, diese Mittel benutzen würde, um groß sind – die Preise werden ganz wesentlich von der sich an den Nachrüstungskosten zu beteiligen. Das wäre Lohnentwicklung bestimmt –, haben die Städte und zum meiner Ansicht nach eine lohnendere Investition. Teil die Länder zum Mittel der Sozialtickets gegrifen, zum Beispiel bei mir in Köln. Dass das Modell richtig (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. funktioniert, zeigt sich daran, dass wir jedes Jahr eine Arno Klare [SPD]) massive Zunahme der Fahrgastzahlen haben. Marktwirt- Ich will zum Schluss einen Blick auf die Situation (B) schaftlich ist es also ofensichtlich richtig, und sozial ab- in Köln werfen. Köln ist die belastetste Stadt in Nord- (D) gefedert ist es auch. rhein-Westfalen, ein Hotspot für Überschreitungswerte. Die Frage, was ein ticketfreier ÖPNV kostet und wie Es gibt aber auch Messpunkte, an denen wir die Grenz- diese Kosten gedeckt werden sollen, steht auf einem ganz werte unterschreiten. Das zeigt doch eines, nämlich dass anderen Blatt. Der VDV hat ausgerechnet, dass die deut- wir keine fächendeckenden Maßnahmen brauchen, son- schen Nahverkehrsunternehmen insgesamt rund 12 Mil- dern punktuell wirksame Maßnahmen. Die Punkte, die in liarden Euro durch Fahrgastbeförderung eingekommen der Diskussion sind, bieten hierfür genügend Möglich- haben. Angesichts dieser Summe, muss man nicht lange keiten. darüber nachdenken, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass das eine ziemlich irreale Summe ist. Aber es wird ja Vizepräsidentin Petra Pau: auch nicht ernsthaft darüber diskutiert, eine solche Maß- Kollege Möring, ich bitte darum, den Punkt zu setzen. nahme einzuführen. In der ganzen Diskussion ist folgender Punkt noch gar Karsten Möring (CDU/CSU): nicht zur Sprache gekommen. Es geht um die Erfahrung, Schießen wir nicht mit Schrot auf Punktziele. die wir in den letzten Jahren gemacht haben, nämlich Ich danke Ihnen. dass die durch Emissionen entstandenen Belastungswerte deutlich zurückgegangen sind. Alle Maßnahmen, die bis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- her ergrifen worden sind, haben also Wirkung gezeigt. ordneten der SPD) ( [CDU/CSU]: Richtig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Frage, die heute bei der Erörterung vor dem Bun- Das Wort hat die Abgeordnete für die desverwaltungsgericht eine Rolle gespielt hat, nämlich SPD-Fraktion. die Frage der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen in (Beifall bei der SPD) Bezug auf die gesundheitliche Beeinträchtigung der Bevölkerung durch Emissionen, wird auch noch einmal eine Rolle spielen, wenn wir über praktische Maßnah- Ulli Nissen (SPD): men in den Kommunen diskutieren. Wir arbeiten mit ei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und nem ganzen Bündel von Maßnahmen, die ich jetzt aber Kolleginnen! Eine Nachricht hat uns letzte Woche über- nicht wiederholen will. Meine Kollegen Jung und Klare rascht. Es hieß: Der Bund will kostenlosen Nahverkehr. haben das bereits thematisiert bzw. konkretisiert. Viele gingen davon aus, dass dies fächendeckend für