Plenarprotokoll 19/75

Deutscher

Stenografischer Bericht

75. Sitzung

Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Tagesordnungspunkt 19: neten (Kleinsaara). 8759 A Antrag der Abgeordneten , Dr. , Dr. , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Tagesordnungspunkt 18: Verstärktes Vorgehen gegen Linksextremis- mus zum Schutz der Demokratie Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Drucksache 19/7040. 8773 B desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung Georgiens, der De- Martin Hess (AfD) . 8773 B mokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Dr. (CDU/CSU). 8782 A Republik als sichere Herkunftsstaaten (FDP) . 8783 B Drucksachen 19/5314, 19/6538 . 8759 B Uli Grötsch (SPD). 8784 B Horst Seehofer, Bundesminister BMI. 8759 B Dr. André Hahn (DIE LINKE). 8786 A (AfD). 8760 B Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8788 A Helge Lindh (SPD). 8761 B (CDU/CSU). 8789 B (FDP). 8763 D Armin-Paulus Hampel (AfD). 8790 A (DIE LINKE). 8764 D Linda Teuteberg (FDP). 8790 C (BÜNDNIS 90/ Jan Ralf Nolte (AfD). 8791 C DIE GRÜNEN). 8766 A Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU). 8791 D (CDU/CSU). 8767 D Helge Lindh (SPD). 8793 A Dr. (AfD). 8769 B Martin Hess (AfD) . 8794 C (CDU/CSU). 8770 A Helge Lindh (SPD). 8794 D (FDP). 8771 A (CDU/CSU). 8795 B

Josef Oster (CDU/CSU). 8771 D Tagesordnungspunkt 20: Namentliche Abstimmungen. 8772 D, 8773 A a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Förderung von Schu- Ergebnisse. 8775 C, 8778 D len in benachteiligten sozialen Lagen II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

und mit besonderen Aufgaben der Inte- Tagesordnungspunkt 16: gration Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/7027. 8796 B , Matthias W. Birkwald, weiterer b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Wohnkostenlücke schließen – Kosten der Deutschland 2018 – und Stellungnahme Unterkunft existenzsichernd gestalten der Bundesregierung Drucksache 19/6526. 8809 C Drucksache 19/6930. 8796 B c) Antrag der Abgeordneten Dr. Götz in Verbindung mit Frömming, Nicole Höchst, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Bildungsgerechtigkeit Zusatztagesordnungspunkt 10: wiederherstellen – Leistungsgedanken stärken Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/7041. 8796 C , Johannes Vogel (Olpe), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: d) Antrag der Abgeordneten Birke Bull-­ Rechtssicherheit für die Kommunen und Bischoff, Dr. , Jobcenter – Berechnung der Kosten der der Fraktion DIE LINKE: Für eine ge- Unterkunft in der Grundsicherung verein- meinsame Bildungsstrategie zum Abbau fachen sozialer Ungleichheit Drucksache 19/7030. 8809 C Drucksache 19/7026. 8796 C Katja Kipping (DIE LINKE) . 8809 D e) Antrag der Abgeordneten , , Beate Walter-Rosenheimer, (CDU/CSU). 8811 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Katja Kipping (DIE LINKE) . 8812 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nationaler Bildungsbericht 2018 – Zeit für einen (AfD) . 8813 A bildungspolitischen Aufbruch (Wetzlar) (SPD) . 8813 D Drucksache 19/4632. 8796 D Pascal Kober (FDP) . 8815 B Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ Zusatztagesordnungspunkt 9: DIE GRÜNEN). 8816 B Antrag der Abgeordneten , Katja (CDU/CSU). 8817 C Suding, Dr. (Rhein-Ne­ ckar), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Matthias W. Birkwald (DIE LINKE). 8818 A der FDP: Chancengerechtigkeit ernst neh- Jörg Schneider (AfD). 8819 C men – Leistungsfähigkeit des Bildungssys- tems voranbringen Dr. (SPD). 8820 B Drucksache 19/7031. 8796 D (FDP). 8821 C Dr. (CDU/CSU). 8797 A (CDU/CSU). 8822 B Dr. Götz Frömming (AfD) . 8798 B (SPD) . 8799 B Tagesordnungspunkt 22: Nicola Beer (FDP) . 8800 B Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE). 8801 A SPD: Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken – Gutes Leben und Arbeiten auf Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/ dem Land gewährleisten DIE GRÜNEN). 8802 B Drucksache 19/7028. 8823 D , Bundesministerin BMBF. 8803 B

Dr. Marc Jongen (AfD). 8804 C in Verbindung mit Marja-Liisa Völlers (SPD). 8806 A Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) Zusatztagesordnungspunkt 11: (FDP). 8806 D Antrag der Abgeordneten , (CDU/CSU) . 8807 C , Dr. , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: (SPD). 8808 C Smart Farming – Flächendeckende Breit- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019 III

bandversorgung für eine innovative Land- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ wirtschaft in Deutschland DIE GRÜNEN: Ein Forschungsrahmenpro- Drucksache 19/7029. 8823 D gramm im Kampf gegen die Klimakrise Drucksache 19/5816. (CDU/CSU). 8824 A 8840 D (AfD). 8825 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8841 A (SPD). 8826 B Dr. (CDU/CSU). 8842 A Frank Sitta (FDP). 8827 B Nicole Höchst (AfD). 8843 C (DIE LINKE) . 8828 A René Röspel (SPD). 8845 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8829 A Dr. Lukas Köhler (FDP). 8846 D Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU). 8830 A (DIE LINKE) . 8847 D (SPD). 8831 C Dr. (CDU/CSU) . 8848 D (SPD). 8849 D Zusatztagesordnungspunkt 12: Nächste Sitzung . 8850 D Antrag der Abgeordneten Dr. Gero Clemens Hocker, Frank Sitta, Carina Konrad, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ein- haltung von Tierschutzrecht wirksam und Anlage 1 effizient kontrollieren Entschuldigte Abgeordnete. 8851 A Drucksache 19/6285. 8832 D Dr. Gero Clemens Hocker (FDP). 8832 D Anlage 2 (CDU/CSU) . 8833 C Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung Dr. Gero Clemens Hocker (FDP). 8834 A über den von der Bundesregierung eingebrach- (AfD). 8835 B ten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung Ge- orgiens, der Demokratischen Volksrepublik (SPD)...... 8836 B Algerien, des Königreichs Marokko und der Dr . (DIE LINKE). 8837 C Tunesischen Republik als sichere Herkunfts- staaten (BÜNDNIS 90/ (Tagesordnungspunkt 18). 8851 C DIE GRÜNEN). 8838 C (SPD). 8851 D (CDU/CSU). 8839 D Johann Saathoff (SPD). 8852 B

Tagesordnungspunkt 17: Anlage 3 Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, , , weiterer Ab- Amtliche Mitteilungen. 8852 C

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(A) (C)

75. Sitzung

Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Artikel 16a Absatz 3 des Grundgesetzes, aber auch das Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte europäische Recht in den Artikeln 36 und 37 der Richtli- nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. nie 2013/32/EU. Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich dem Sichere Herkunftsstaaten sind jene, bei denen von Kollegen Volkmar Vogel sehr herzlich zu seinem heuti- vornherein sehr geringe Erfolgsaussichten auf Aner- gen 60. Geburtstag. Alle guten Wünsche! kennung von Asylanträgen bestehen. Ich will Ihnen die Anerkennungsquoten dieser vier Staaten im Jahre 2018 (Beifall) noch einmal zur Kenntnis bringen: Algerien 1,2 Prozent, Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 18 auf: Marokko 2,3 Prozent, Tunesien 1,9 Prozent und Georgi- en 0,3 Prozent. Das heißt: Über 97 Prozent der Asylan- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- träge aus diesen Ländern haben von vornherein nur eine regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- sehr, sehr geringe Erfolgsaussicht. Deshalb ist es richtig zes zur Einstufung Georgiens, der Demokrati- (B) und notwendig, diese vier Länder als sichere Herkunfts- (D) schen Volksrepublik Algerien, des Königreichs staaten einzustufen. Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der AfD) Drucksache 19/5314 Diese Einstufung beschleunigt die Asylverfahren. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Sie ist auch ein Beitrag dazu, den Aufenthalt nach einer ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Ablehnung schneller zu beenden. Zuletzt hat der Deut- Drucksache 19/6538 sche Bundestag die Westbalkanstaaten als sichere Her- kunftsstaaten eingestuft. Das war ein großer Erfolg. Der Es liegt hierzu auch ein Entschließungsantrag der missbräuchliche Asylanspruch wurde deutlich zurück- Fraktion der FDP vor. Wir werden über den Gesetzent- gedrängt, und ich füge hinzu: Es ist nicht eine einzige wurf und über den Entschließungsantrag später nament- soziale Härte deshalb entstanden. Das ist der vernünftige lich abstimmen. Ausgleich zwischen der humanitären Verantwortung und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dem Zurückdrängen missbräuchlicher Inanspruchnahme die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Das ist man- des Asylrechts. gels Widerspruchs so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort ordneten der SPD) dem Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Das wird auch in diesem Fall so sein; denn der in- Horst Seehofer. dividuelle Anspruch auf Asyl bleibt erhalten. Das heißt: (Beifall bei der CDU/CSU) Im Einzelfall kann der Asylantrag natürlich weiterhin ge- stellt werden. Deshalb bleibt auch das Ganze rechtsstaat- Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau lich einwandfrei. Man kann nicht davon reden, dass im und Heimat: Einzelfall das Asylrecht von Menschen aus diesen Staa- ten in Deutschland nicht mehr beansprucht werden kann. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute sollen die Staaten Georgien, die Das heißt: Wir sind neben der schnelleren Antragsbear- Demokratische Volksrepublik Algerien, das Königreich beitung und der schnelleren Beendigung des Aufenthalts Marokko und die Tunesische Republik als sichere Her- auch noch verstärkt in der Lage, uns auf die wirklich be- kunftsstaaten im Asylrecht eingestuft werden. Diese rechtigten Asylanträge und auf die Schutzbedürftigen zu Möglichkeit gibt uns das nationale Verfassungsrecht in konzentrieren. Das ist eigentlich der tiefere Sinn dessen, 8760 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Bundesminister Horst Seehofer (A) was wir heute vorhaben, nämlich diese Staaten als siche- Auch dazu habe ich mir bereits an diesem Pult und im (C) re Herkunftsstaaten einzustufen; denn dann können wir Ausschuss den Mund fusselig geredet. Ich erkläre es Ih- mehr Zeit, mehr Konzentration und mehr Aufwand für nen aber gern noch einmal. die Bearbeitung der Anträge der wirklich Schutzbedürf- Vollkommen unstrittig ist, dass durch dieses Gesetz tigen und auch für die Integration der wirklich Schutzbe- die Möglichkeit eröffnet wird, Asylverfahren recht flott dürftigen in unsere Gesellschaft verwenden. abzuschließen, und zwar mit einer Ablehnung als offen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sichtlich unbegründet gemäß § 29a Asylgesetz. Dann, ordneten der SPD) ja dann ist nämlich auch schon Schluss. Ein abgelehn- ter Asylantrag bedeutet eben nicht eine gleichzeitige Dies ist ein Teil unserer gesamten Migrationspolitik. Ausreise oder Abschiebung. Es ist geradezu naiv und Dazu gehört auch, dass wir vor Weihnachten als Bun- grundlegend falsch, hier einen Vergleich mit den Bal­ deskabinett noch ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz im kanstaaten herzuleiten. Natürlich ist die Zahl der Asylan- Entwurf beschlossen haben. Dieser Zusammenhang ist träge deutlich spürbar zurückgegangen, als diese Länder deshalb wichtig, weil wir mit diesem Fachkräfteeinwan- in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen derungsgesetz eine legale Möglichkeit der Zuwanderung wurden. Aber – und das ist das Wesentliche – dort gab in die Bundesrepublik Deutschland zur Deckung des Ar- es im Bereich der Rückführung vollkommen andere beitskräftebedarfs eröffnen. Voraussetzungen: die Bereitschaft der Balkanländer, ihre Landsleute wieder zurückzunehmen, entsprechen- (Beifall des Abg. Dr. de Rückübernahmeabkommen, geklärte Identitäten der [SPD]) Asylantragssteller, volle Flieger bei der Abschiebung Und weil wir diese Möglichkeit eröffnen, ist es auch und diverse Rückkehrprogramme. All das existiert – mit durchaus gerechtfertigt, Asylgesuche, bei denen Ausnahme Georgiens – bei den Maghreb-Staaten nicht. asylfremde Begründungen angegeben werden, zu unter- (Beifall bei der AfD) binden. Dass dieser Zustand so ist, wie er nun mal ist, hat ganz Also: Ein Ja zu diesem Gesetzentwurf kann ich nur allein die Regierungskoalition zu verantworten. Wer drei empfehlen. Das Gesetz wird viele Probleme, übrigens Monate braucht, um den tunesischen Behörden ein klei- auch die Probleme, die die Länder und die Kommunen nes Zettelchen mit dem Versprechen abzuringen, den in unserem Lande haben, lösen. Auf der anderen Seite Leibwächter von Osama Bin Laden nicht zu foltern, so- steht die Eröffnung eines legalen Zuwanderungsweges dass dieser nicht wieder nach Deutschland zurückgeholt für Fachkräfte, die wir ohne Zweifel in der deutschen werden muss, zeigt doch auf ganzer Linie die erschre- (B) Volkswirtschaft brauchen. ckende Inkompetenz und Unfähigkeit der verantwortli- (D) chen Entscheidungsträger, Ich danke den Vertretern der Koalition für die Unter- stützung bei diesem Gesetzentwurf und bitte das Parla- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer­ ment, ihn schlussendlich auch anzunehmen. [CDU/CSU]: Wir machen wenigstens was! Sie quatschen nur!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) vor allem im SPD-geführten Außenministerium. Tatsache ist doch, dass die Antragsteller aus Tunesi- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: en, Marokko und Algerien auch nach einer Ablehnung in Deutschland bleiben, weil sie aus den bekannten Grün- Lars Herrmann, AfD, ist der nächste Redner. den nicht abgeschoben werden können, und genießen (Beifall bei der AfD) somit weiterhin die Rundum-sorglos-Alimentierungen staatlicher Transferleistungen. Lars Herrmann (AfD): ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach Quatsch!) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Um es nicht zu spannend zu machen: Die Frakti- Man wechselt im Zweifel vom Asylbewerberleistungs- on der AfD wird dem Gesetzentwurf, die Urlaubsländer gesetz ins Sozialgesetzbuch XII. Selbst diejenigen, die Marokko, Algerien, Tunesien sowie Georgien als sichere unter erheblichem Aufwand und immensem Einsatz von Herkunftsstaaten einzustufen, zustimmen. Mitteln und Ressourcen doch aus Versehen abgeschoben werden, sind innerhalb kürzester Zeit wieder hier – und (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das dann geht der Spaß von vorne los. war zu befürchten!) (Beifall bei der AfD) Die Maßnahme ist längst überfällig und dringend ge- boten; ich habe das an dieser Stelle bereits schon mehr- Der Bundesregierung ist das alles sehr wohl bekannt. mals betont. Allerdings ist die Antragsbegründung un- Sie forciert aber nicht etwa die nationale Kraftanstren- vollständig, und das erhoffte Ziel – so viel kann ich Ihnen gung zur Rückführung, sondern verfolgt vielmehr die bereits jetzt schon versichern – wird leider nur im Ansatz Doktrin „Spurwechsel“ oder besser ausgedrückt: Aus erreicht werden. illegal machen wir schnell legal. So werden geradezu inflationär Duldungen ausgestellt, aus vollziehbar Aus- (Beifall bei der AfD) reisepflichtigen werden plötzlich dringend benötigte Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8761

Lars Herrmann (A) Fachkräfte. Und zufällig präsentiert Arbeitsminister Heil führen würden, nein, wir bewegen uns auf einer Rechts- (C) dann auch noch ein passendes Fachkräfteeinwanderungs- grundlage, die seit weit über zwei Jahrzehnten Tatsache gesetz, in diesem Land ist. (Dr. Eva Högl [SPD]: Absolut richtig!) Gerade als jemand, der es sich damals nicht leicht ge- in dem genau dieser Personenkreis künftig eine Duldung macht hat und der mit sich gerungen hat, kann ich in die- gegen eine offizielle Aufenthaltserlaubnis tauschen kann. sem Fall guten Gewissens und mit großer Nüchternheit den heutigen Gesetzentwurf unterstützen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im Ergebnis werden all die noblen Ziele in Ihrem Ge- der CDU/CSU) setzentwurf nicht erfüllt werden: Entlastung der Länder und Kommunen, Entlastung des Bundesamtes für Migra- Ich tue das nicht hurrapatriotisch oder besonders laut, tion und Flüchtlinge, Entlastung der Ausländerbehörden sondern mit der Nüchternheit, die uns, glaube ich, in Fra- und Verwaltungsgerichte, Bereitstellung von Wohnungen gen von Asyl und Migration endlich einmal sehr, sehr gut und damit das Freimachen der Kapazitäten für tatsäch- täte. lich schutzbedürftige Asylsuchende. All dies wird nicht eintreten, solange keine konsequente Rückführungspo- (Beifall bei der SPD – Jürgen Braun [AfD]: litik betrieben wird, dafür entsprechende Abkommen Das ist neu bei Ihnen! Das haben Sie noch nie geschlossen werden und natürlich ein effektiver Grenz- geschafft!) schutz gewährleistet wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich einzelne (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Punkte dieses Gesetzentwurfes und auch des Antrages der FDP durchgehen werde, verweise ich grundsätzlich Schlussendlich – das ist mein letzter Satz, Herr Prä- darauf, dass es völlig verkürzt wäre, jetzt davon auszu- sident – bezweifle ich ernsthaft, dass dieses Gesetz die gehen, dass wir allein durch die heutige Entscheidung erforderliche Mehrheit im Bundesrat bekommen wird, Ordnung in Fragen der Migration bringen werden. Wir da die Länderregierungen unter rot-grüner Beteiligung wissen auch nicht, wie der Bundesrat entscheiden wird; ihre Zustimmung verweigern werden. Die ganze Arbeit das darf aber unsere heutige Entscheidung nicht präjudi- für die Tonne! zieren. Der Gesetzentwurf, um den es heute geht, ist viel- Vielen Dank. mehr Teil eines umfassenden Ansatzes der Einwande- rungs- und Asylpolitik. Es ist äußerst sinnvoll, in diesem (Beifall bei der AfD) Zusammenhang auch Fragen des Einwanderungsgeset- (B) zes zu betrachten. Denn für mich – und das ist für mich (D) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: das stärkste Argument für den heutigen Gesetzentwurf – Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Helge Lindh, ist es nicht sinnvoll, Menschen Perspektiven in Aussicht SPD. zu stellen, die aber realistisch nicht existieren. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Helge Lindh (SPD): Ich habe gestern mit großem Nachdruck im Rahmen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Debatte über Seenotrettung begründet, dass ich es Herr Präsident, ich schlage Ihnen einen Deal vor: Viel- als zynisch erachte, gegen Seenotrettung zu argumentie- leicht könnten wir einen Teil meiner Redezeit für den ren, weil diese Rettung falsche Anreize für Flucht setzen nächsten Tagesordnungspunkt, bei dem ich wieder reden würde. Wir können doch nicht ernsthaft sagen, dass wir muss, nutzen. Menschen ertrinken lassen, damit sich andere nicht auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – den Weg begeben. [FDP]: Oder gar nicht!) Sehr wohl berechtigt und auch humanitär ist es aber Aber wie ich Sie kenne, werden Sie das selbstverständ- aus meiner Sicht und auch aus Sicht meiner Fraktion, lich nicht machen. dass wir deutlich das Signal setzen: Menschen aus Ge- Sehr geehrte Damen und Herren, wir alle, die wir hier orgien, Menschen aus den Maghreb-Staaten haben in versammelt sind, wissen, dass die Grundlage dessen, wo- vielen Fällen – nicht in jedem Einzelfall, aber in vielen rüber wir heute beraten, damals hoch kontrovers und eine Fällen – keinerlei Aussicht auf Anerkennung als Asylbe- der meistdiskutierten Entscheidungen der Migrationspo- werber. Es wäre falsch und wäre auch nicht besonders litik in den 90er-Jahren war. Im Rahmen des Asylkom- verantwortungsbewusst, ihnen die Hoffnung zu machen, promisses wurde damals auch das Institut der sicheren dass sie es hier doch irgendwie schaffen könnten, und ih- Herkunftsstaaten eingeführt. Ich selber – ich war zu der nen als Perspektive Dauerduldung, Kettenduldung oder Zeit Schüler – kann bekunden, dass ich dies damals sehr Sonstiges in Aussicht zu stellen. kritisch verfolgt habe und große Bedenken hatte. Auch (Beifall bei der SPD) meine Partei hatte es sich mit dieser Entscheidung kei- neswegs leicht gemacht. Aber die Entscheidung wurde so Nein, für diejenigen ist der Weg über Arbeitseinwande- getroffen und ist Teil unserer Verfassung. Es ist also kei- rung eine realistische Perspektive, und auch nicht für neswegs so, dass wir jetzt etwas vollkommen Neues ein- alle, sondern nur für Einzelne unter ihnen. 8762 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Helge Lindh (A) Zur Ehrlichkeit in der Migrationspolitik, die wir so steht. Das Parlament hat diesen Punkt untergebracht, und (C) dringend brauchen, genauso dringend wie Nüchternheit, das ist wichtig und richtig. gehört, dies zu betonen und eben nicht falsche Hoffnun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen zu wecken. der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) An dieser Stelle verweise ich rückblickend auf die letz- ten Debatten und auf die Diskussion im Ausschuss. Eini- Wir dürfen Menschen eben nicht die Aussicht geben, ges, was zu diesem Punkt verbreitet wurde, ist schlicht dass sie, wenn sie all dies unternehmen – teilweise ge- unwahr oder beruht auf Unwissen. Zum Beispiel wurde hen ganze Familienvermögen drauf, es werden schwerste hier im Parlament oder auch im Ausschuss behauptet, Strapazen auf sich genommen –, hier als Asylberechtigte wir hätten die Idee der unabhängigen Rechtsberatung für Anerkennung finden. Wenn sie das dann nicht erleben alle aufgegeben und würden nur eine schmale spezielle können, erzeugt das Enttäuschung, erzeugt das Frustrati- Rechtsberatung für vulnerable Gruppen einführen. Das on und ist sicher für die Integration nicht förderlich. ist schlicht unwahr. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU) Wer in den Koalitionsvertrag schaut, findet dort sowohl die Forderung nach einer unabhängigen Rechtsberatung Was enthält dieser Gesetzentwurf? Das Institut siche- im Asylverfahren – dies verfechten wir weiterhin und rer Herkunftsstaaten bedeutet, dass Verfahren durch das sind gerade dabei, das auszuverhandeln, auch im Zusam- Gelten einer Vermutungsregelung beschleunigt werden. menhang mit den AnKER-Zentren –, als auch die Forde- Vermutungsregelung bedeutet, dass wir davon ausge- rung nach einer speziellen Rechtsberatung für vulnerab- hen – das kann und muss man so deutlich aussprechen –, le Gruppen bei der Frage der sicheren Herkunftsländer. dass die Anträge im Regelfall offensichtlich unbegründet Beides ist also der Fall. Keineswegs wird Täuschung sind. Ja, das bedeutet eine Umkehr der Beweislast in die- betrieben und versucht, das eine gegen das andere auszu- sem Verfahren und keine Erleichterung für Asylantrag- tauschen. Das soll hier auch deutlich benannt werden. Ich steller . Auch das muss man so formulieren. Es ist eine würde Sie auch bitten, solche falschen Annahmen und Erschwerung, aber wir haben uns hier bewusst für eine Unwahrheiten nicht weiter zu verbreiten. Erschwerung entschieden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gleichwohl aber hat jede und jeder Einzelne die Mög- der CDU/CSU) lichkeit, in einer regulären Anhörung diese Regelvermu- In diesem Zusammenhang wurde hier in Debatten da- (B) tung zu widerlegen. Es ist eben nicht so – das kann nicht (D) deutlich genug betont werden –, dass der Asylanspruch rauf verwiesen, dass die Art und Weise, wie wir und auch eines jeden aus den Maghreb-Ländern oder aus Georgien ich damit umgehen würden, Menschenrechtsverletzun- abgewehrt werden soll. Das widerlegen auch die Zahlen. gen in diesen Ländern ignorierte, skandalös wäre, einem Schauen wir uns die Zahlen für den Westbalkan an: Nach die Schamesröte ins Gesicht treiben würde und dass man Einführung des Instituts der sicheren Herkunftsstaaten nicht die richtigen Lehren aus der deutschen Geschichte für diese Länder ist die Zahl der Anerkennungen nicht ziehe. zurückgegangen, sie ist zum Teil sogar gestiegen. Ich rate Ich respektiere vollkommen, auch wissend um die also dringend dazu, diese beiden Fragen nicht zu verrech- Diskussionen, die wir vor Jahrzehnten selber in meiner nen. Der individuelle Anspruch auf Asyl wird durch die Partei geführt haben, auch aufgrund von den Vorbehal- Erklärung zu sicheren Herkunftsstaaten eben nicht auf- ten, die es immer noch bei nicht wenigen gibt, dass man gehoben. Es ist äußerst wichtig, dies festzustellen. eine andere Meinung hat, dass man das Prinzip der si- cheren Herkunftsstaaten grundsätzlich ablehnt. Das kann (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) man machen. Was ich aber kritisiere, ist, dass man das von einer Position der Selbstgerechtigkeit heraus macht Noch ein Weiteres. Weil eben in den betreffenden und meint, die Position der Befürworter einer Einstufung Ländern Menschenrechtsverletzungen vorkommen, weil als sichere Herkunftsstaaten sei ethisch nicht zu vertreten es Fälle von Folter gibt, weil – auch das ist der Fall – oder ethisch minderwertig. Dagegen verwehre ich mich Homosexualität nicht anerkannt wird, sondern diskrimi- eindeutig und ganz klar. nierend behandelt wird, muss es für Einzelne die Mög- lichkeit geben, hier Asyl zu finden, hier Anerkennung zu (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- finden. wie bei Abgeordneten der FDP) Auch unsere Position ist mindestens genauso moralisch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und ethisch zu vertreten. Wir müssen es aushalten, dass es in dieser Frage fundamentale Differenzen gibt. Gerade deswegen hat unsere Fraktion gehalten, was wir von der SPD versprochen haben und was auch im Koa- Es kommt aber noch ein Weiteres hinzu; denn mit einer litionsvertrag steht. Darin haben wir gefordert, dass es aus meiner Sicht klugen Stichtagsregelung für die Fragen eine spezielle Rechtsberatung für sogenannte vulnerable der Beschäftigung und der Ausbildung ermöglicht dieser Gruppen geben muss. Wenn Sie in den Gesetzentwurf Gesetzentwurf denjenigen, die aus den genannten Län- schauen, dann sehen Sie, dass dieser Anspruch nicht nur dern hier sind und nicht anerkannt sind – ich betone: die in der Begründung enthalten ist, sondern im Gesetzestext nicht anerkannt sind –, dass sie, wenn sie schon beschäf- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8763

Helge Lindh (A) tigt sind, weiter beschäftigt werden können, dass sie auch In Zusammenschau mit der gesamten Migrationspoli- (C) künftig Einstellungsverhältnisse eingehen können oder tik und mit einem klugen Einwanderungsgesetz braucht dass sie bis zu diesem Stichtag, wenn sie schon einen es aber auch – das muss man ebenfalls sagen, der Hinweis Ausbildungsvertrag unterschrieben haben, diese Ausbil- ist ja richtig – ein Rückkehrabkommen; denn es nützt dung antreten können. Das ist doch klug und vernünftig. selbstverständlich nichts, wenn wir deutlich machen, dass Menschen, die hier nicht anerkannt werden, zurück- Wir setzen damit ein Zeichen für diejenigen, die sich geführt werden sollen, diese Rückführung praktisch aber schon integriert haben, dass sie hierbleiben können, auch nicht erfolgen kann. Deshalb müssen wir auch da liefern wenn sie nicht asylberechtigt sind. Gleichzeitig wird und dafür sorgen, dass dies möglich ist. Wir müssen mit nicht die falsche Hoffnung geweckt und auch nicht der diesen Ländern Abkommen auf Augenhöhe schließen, Anreiz für andere gesetzt, hierherzukommen, um dann die für diese Länder ein Anreiz sind, entsprechend zu diese Regelungen in Anspruch zu nehmen. Das nenne ich handeln, Papiere auszustellen und die Menschen wieder in diesem Rahmen eine intelligente und verantwortungs- zurückzunehmen. volle Gesetzgebung. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieses Gesamtpaket ist Ausdruck eines humanitären Pragmatismus, den wir in diesem Land brauchen, um Sehr geehrte Damen und Herren, es ist wichtig – ich nicht mehr auf dem Rücken von Flüchtlingen und Ein- habe es schon betont –, dass diejenigen, die einen An- wanderern unsere grundsätzlichen Debatten und Kontro- spruch auf Asyl haben, diese Möglichkeit erhalten. Des- versen auszutragen, sondern um wieder in der Lage zu halb wird es auch darauf ankommen – das erwarte ich sein, über Migration sachlich, nüchtern und überlegt zu vom BAMF, ich habe auch Vertrauen in das BAMF –, sprechen und gleichzeitig das Asylrecht zu verteidigen. dass die Rechtsberatung entsprechend umgesetzt wird. Das ist mit diesem Gesetzentwurf möglich. Deshalb plä- Da verweise ich die Kritiker auf ihr eigenes Reden. Wie- diere ich für Ihre Zustimmung. derholt habe ich hier im Parlament und im Ausschuss er- Vielen Dank. lebt, wie etwa in der Debatte über das BAMF in Bremen darauf hingewiesen wurde, dass man nicht die Arbeit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF infrage der CDU/CSU) stellen würde, dass sie sehr gute Arbeit leisteten. Wenn wir aber dieses Vertrauen haben: Warum sollten wir ih- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nen unterstellen, dass sie in Fragen der Beratung oder bei Jetzt hat das Wort die Kollegin Linda Teuteberg, FDP. (B) den Verfahren für Menschen aus sicheren Herkunftslän- (D) dern eben nicht sachlich, vernünftig und begründet agie- (Beifall bei der FDP) ren würden und bewusst darauf aus wären, eine solche Beratung zu verhindern? Ich denke, wir sollten das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht unterstellen und Linda Teuteberg (FDP): Vertrauen in die Arbeit des BAMF haben. Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute in diesem Haus endlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgiens als der CDU/CSU und der FDP) sichere Herkunftsstaaten beschließen, ist erst einmal eine gute Nachricht. Wenn ich mir das Handeln der Koalition Ich habe erwähnt, dass wir unter Abwägung verschie- in den letzten Monaten allerdings anschaue, befürchte dener Gründe der Meinung sind, dass es verantwortbar ich, dass CDU/CSU und SPD nicht die Kraft haben wer- ist, bei den genannten Ländern davon auszugehen, dass den, dies gegen die Blockade der Grünen im Bundesrat sie sichere Herkunftsstaaten seien, weil eben – ich weiß, durchzusetzen; dass das umstritten und keineswegs konsensual ist, gera- de bei der Opposition – in diesen Ländern Verfolgung, (Beifall bei der FDP – Marian Wendt [CDU/ Bedrohung und menschenunwürdige Behandlung nicht CSU]: Ihr auch nicht!) generell, systematisch und durchgängig erfolgt. Gleich- denn wie sich vor allem die Union bei diesem Thema von wohl sind es keine Länder, die unserem Standard von den Grünen am Nasenring durch die Arena führen lässt, Menschenrechten genügen. Aber wenn wir tatsächlich ist ein trauriges Schauspiel. nur dann von sicheren Herkunftsstaaten ausgehen könn- ten, wenn genau dieser Standard erreicht wird, würde das Kollege Lindh hat hier gerade über Selbstgerechtig- ganze Prinzip nicht funktionieren. Es wäre widersinnig. keit mancher in der Debatte gesprochen. Ich finde die Wandlungsfähigkeit der Argumentation bei den grünen (Zuruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜND- Kollegen beeindruckend; NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Deshalb ist es auch ein Ausdruck von Ehrlichkeit, dass der AfD) wir nicht diesen Maßstab anlegen und vernünftigerweise anlegen können. denn sie wechselt sich ab, je nach Situation und Publi- kum. Erst lehnen Sie das Institut der sicheren Herkunfts- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der staaten prinzipiell ab. Wenn Sie aber merken, dass das CDU/CSU) beim Publikum nicht so gut ankommt und wenigstens ein 8764 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Linda Teuteberg (A) Mindestmaß an Ordnung und Steuerung von Migration Sie haben im Oktober auch gesagt, Sie könnten unse- (C) gefragt ist, rem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil Sie noch wei- tere Länder in die Liste aufnehmen wollen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stim- dann stellen Sie in Abrede, dass bei einzelnen Ländern men Sie unserem heute zu, und alles ist gut! die Kriterien erfüllt sind. Das ist doch einfach!)

Wenn auch das nicht hilft, kommt die dritte Variante, Das Gegenteil haben Sie getan. Kein einziger weiterer dann nämlich lenken Sie auf andere ebenfalls wichtige Staat wird derzeit auf eine Einstufung geprüft. Entweder Aspekte der Steuerung von Migration ab, nämlich auf haben Sie da uns belogen, oder Sie wurden von Ihrer ei- Rücknahmeabkommen und die tatsächliche Durchset- genen Regierung belogen. zung der Abschiebung am Ende des Verfahrens. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ralph (Zuruf der Abg. Luise Amtsberg [BÜND- Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir aber haben Ihnen genau deshalb heute einen Ent- schließungsantrag vorgelegt, um Ihnen einen Weg aufzu- Aber hier gilt, liebe Kollegen: Es gibt nichts Gutes, außer zeigen, wie in einem geregelten Verfahren die Einstufung man tut es. weiterer sicherer Herkunftsstaaten geprüft werden kann, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sehr etwa solche, die eine Anerkennungsquote von regelmä- richtig!) ßig unter 5 Prozent aufweisen. In einem ersten Schritt könnten so mindestens 14 Länder auf eine weitere Ein- Dass es noch weitere Baustellen gibt, an denen wir ent- stufung hin geprüft werden; ein Angebot der freidemo- schlossen handeln müssen, ist kein Grund, vernünftige kratischen Serviceopposition zur Umsetzung Ihres Koa- Maßnahmen abzulehnen. litionsvertrages, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP – Luise Amtsberg der CDU/CSU und des Abg. Lars Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreiben [AfD]) Sie das auf!) Die Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgiens Was dabei deutlich wird, ist ein Geschäftsmodell, näm- ist doch nur ein Minimalziel, gemessen an Ihrem eigenen lich erst mal kreativ in der Ablehnung zu sein, um sich Regierungsprogramm. Wir müssen das Instrument der (B) anschließend die Zustimmung umso teurer abkaufen zu sicheren Herkunftsstaaten insgesamt besser und konse- (D) lassen. quenter nutzen, um einerseits die Verfahren zu beschleu- nigen, um Ämter und Gerichte zu entlasten. Aber auch, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten um unsere knappen Mittel auf diejenigen konzentrieren der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ zu können, die tatsächlich unserer Hilfe bedürfen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Und die Union? Ich muss leider auch sagen: Die Uni- on macht das mit. Im Oktober letzten Jahres haben Sie, Darum meine Aufforderung an Sie, liebe Kolleginnen liebe Kollegen der Union, gerade unseren Gesetzentwurf und Kollegen der Koalition: Stimmen Sie heute nicht nur mit dem fadenscheinigen Argument abgelehnt, Sie woll- diesem Gesetzentwurf, sondern auch unserem Entschlie- ten weitere Staaten als sichere Herkunftsstaaten einstu- ßungsantrag zu. Kämpfen Sie im Sinne eines vernünfti- fen. gen und breiten Migrationskonsenses endlich dafür, dass das Gesetz auch durchgesetzt wird und eine weitere Ein- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Geor- stufung sicherer Herkunftsstaaten stattfindet. Wir Freie gien!) Demokraten werden das auf jeden Fall tun. Tatsächlich wollten Sie Ihren grünen Wunschpartner in Vielen Dank. Hessen schonen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Im Ausschuss und hier im Plenum haben Sie erklärt, Sie könnten unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen, Ulla Jelpke, Die Linke, ist die nächste Rednerin. weil Sie erst die Mehrheit im Bundesrat sicherstellen (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Filiz müssten. Das Gegenteil haben Sie getan. Nach der Wahl Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) hat die Union in Hessen einem Koalitionsvertrag zuge- stimmt, der die weitere Blockade im Bundesrat nur wahr- scheinlicher macht. Schwarz-Grün war Ihnen wichtiger Ulla Jelpke (DIE LINKE): als Ihr Versprechen an die Wähler. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Maghreb-Staaten und Georgien sollen als sichere Her- (Beifall bei der FDP – Widerspruch beim kunftsstaaten eingestuft werden, und ich sage hier ganz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) klar: Viele Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisatio- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8765

Ulla Jelpke (A) nen haben den Bundestag aufgefordert, diesem Gesetz- Algerien gehen Männer, die minderjährige Frauen ver- (C) entwurf heute nicht zuzustimmen, gewaltigen, straffrei aus, wenn sie ihre Opfer heiraten. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, in den Maghreb-Staaten werden nicht nur die Rechte der eigenen Staatsbürger und zwar weil sie dies zu Recht als einen Angriff auf den verletzt. Vielmehr werden dort auch die Rechte Schutz- humanitären Schutzgedanken des Asylrechts verstehen. suchender aus anderen Ländern mit Füßen getreten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Algerien zum Beispiel missachtet ganz offensicht- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – lich den Grundsatz der Nichtzurückweisung. Algerische Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das Behörden haben in den letzten Monaten subsaharische ist doch Quatsch! Eine sehr eindimensionale Flüchtlinge in die Wüste abgeschoben. Im Rahmen ei- Sichtweise!) ner skrupellosen Massenabschiebung schickten sie auch Wenn nämlich pauschal angenommen wird, dass in Frauen und Kinder in die Wüste, teilweise bei Tempera- einem Land keine Verfolgung stattfindet bzw. dass dieje- turen von weit über 40 Grad Celsius. Vor allem ältere, nigen, die hier einen Asylantrag stellen, einen unbegrün- kranke und körperlich geschwächte Menschen werden deten Asylantrag stellen, dann kann eine unvoreingenom- so qualvoll dem Tod ausgeliefert. Nach Angaben der mene Prüfung dieser Asylgesuche nicht stattfinden. Das Internationalen Organisation für Migration hat sich dies wissen Sie ganz genau, und das haben Sie hier heute auch seit 2017 sogar noch verschärft. begründet. Deswegen sagen wir hier auch heute wieder: Die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückwei- Jeder einzelne Geflüchtete muss ein Recht auf ein faires sung ist übrigens auch ein wichtiger Bestandteil des EU- Asylverfahren haben. Rechts (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, besonders verwerflich ist und der Genfer Flüchtlingskonvention. In diesem Zu- es, wenn Länder als sicher eingestuft werden, obwohl sammenhang muss man einfach sagen: Dass die Bundes- in diesen tatsächlich gravierende Menschenrechtsverlet- regierung in dieser Angelegenheit EU-Recht bzw. Ver- zungen stattfinden. fassungsrecht einfach negiert, ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Das ist bei den drei Maghreb-Staaten heute wieder rotz- In Georgien gibt es zwar ein verfassungsrechtlich ver- (D) frech verharmlost worden. So haben Sie beispielsweise ankertes Folterverbot, aber Amnesty International belegt, von einer Diskriminierung von Schwulen und Lesben dass dort Folter und Misshandlung stattfinden. Auch die gesprochen, nicht aber von einer Strafverfolgung. ungelösten territorialen Konflikte in Abchasien und Süd- Die Repressionen, die es in diesen Staaten auch gegen ossetien sprechen klar gegen die Einstufung als sicher für Oppositionelle und Angehörige ethnischer und sexueller Georgien. Minderheiten gibt, sind meines Erachtens gravierend. (Beifall bei der LINKEN) Die Strafverfolgung kann bis zu drei Jahre lang statt- finden. Das ist wirklich eine Verfolgung, so wie es im Wer behauptet, in Georgien finde praktisch keine asyl- Asylrecht als Asylgrund steht, und muss deshalb ernst relevante Verfolgung statt, betreibt eine Weißwäscherei genommen werden. schlimmster und brutaler Menschenrechtsverletzungen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Meine Damen und Herren, zahlreiche Gesetzesver- NIS 90/DIE GRÜNEN) schärfungen in den letzten Jahren gegen Asylsuchende insbesondere aus sicheren Ländern zeigen, dass vor allen Zur Lage in Marokko hat die Bundesregierung 2017 Dingen mit Restriktionen gearbeitet wird. Beim Asyl- auf Anfrage meiner Fraktion erklärt, dass die homophob recht wird mit zweierlei Maß gemessen: Für sie gelten geprägten Strafvorschriften – Zitat – „in der Praxis weni- besonders schwerwiegende Regelungen. Sie sitzen in ger gegen Einzelpersonen, als vielmehr zur Verhinderung Aufnahmelagern – Stichwort: AnKER – sie unterliegen der Gründung von Organisationen herangezogen“ wer- einer Residenzpflicht, außerdem einem uneingeschränk- den, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten ten Arbeits- und Ausbildungsverbot, und für sie gilt eine einsetzen. Im Klartext heißt das: Wenn sich Schwule und Wiedereinreisesperre in der gesamten EU, wenn ihr An- Lesben nicht damit abfinden, ihre sexuelle Orientierung trag abgelehnt wurde. Sie werden also nach Strich und geheim zu halten, sondern aktiv für die Verbesserung Faden schikaniert. Eine solche Schlechterstellung ist ein ihrer Lage im Land eintreten, ist ihre Verfolgung nach Zweiklassenasylrecht, und das kann man so nicht hin- Ansicht der Bundesregierung hinnehmbar. Das ist Zynis- nehmen. mus pur. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss möchte ich sagen: Jeder einzelne Asyl- Man muss hier auch immer wieder betonen: Auch die antrag muss unvoreingenommen und fair geprüft wer- Lage der Frauen in diesen Ländern ist katastrophal. In den, also ohne jegliche Einschränkung, ohne böswillige 8766 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Ulla Jelpke (A) Unterstellung. Hier halten wir es ganz eindeutig mit den Heute Morgen hat die „Tagesschau“ auf ihrer Web- (C) Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, die seite geschrieben, dass die Union um die Zustimmung ganz klar Nein zu diesem Gesetzentwurf sagen. der Grünen werbe. Ich bin über diese Formulierung ir- gendwie gestolpert: Die Union wirbt um unsere Zustim- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- mung. – Wo denn? Wo werben Sie um unsere Zustim- NIS 90/DIE GRÜNEN) mung? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Luise Amtsberg, Sie haben sich keines unserer Argumente angenom- Bündnis 90/Die Grünen. men. Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, auch nur eines zu entkräften, Bedenken zu begegnen oder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bestimmte Fragen zu beantworten. Ich mache das gerne – es ist ja immer besser, wenn man das plastisch macht – an Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ein paar Beispielen fest. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese De- Die Grünen in der Landesregierung in Baden-Würt- batte ist wieder einmal ein Lehrstück für Populismus. temberg haben gesagt, sie ziehen eine Einstufung die- Den Aufschlag hat Frau Teuteberg gerade eben gemacht ser Länder – auch das ist wieder sehr vielfältig, Frau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Teuteberg – in Erwägung, wenn es ein Schutzkonzept für Zurufe von der FDP: Oh!) besonders vulnerable Gruppen gebe. Okay. Das haben Sie bis heute nicht geliefert. Ist es Ihnen ernst mit der – das können Sie ab –, als sie sich darüber echauffier- Sache, oder nicht? Diese Frage stelle ich mir. te, dass die CDU in Hessen auf ihren Wunschpartner, die Grünen, Rücksicht nimmt. Die FDP hat dasselbe in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schleswig-Holstein getan. Da haben wir gemeinsam ver- Okay, Sie wollen – das wurde auch angesprochen – handelt, eine spezielle Rechtsberatung für besonders Schutzbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dürftige einführen. Mal abgesehen davon, dass es eigent- lich Kernbestandteil des Asylverfahrens ist, genau diese und uns auf eine Enthaltung im Bundesrat geeinigt. So ist Schutzbedürftigkeit herauszufinden: Dass diese Maß- das nun einmal in einem so vielfältigen Land bei einem nahme nur ein Feigenblatt ist, hat sogar Baden-Württem- so komplexen Thema. berg sofort gesehen.

(B) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir (D) NEN]: Das haben sie vergessen!) erklären Ihnen dieses Konzept gleich!) Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Denn was hilft es, eine besondere Schutzbedürftigkeit festzustellen, wenn Sie auf der anderen Seite nicht be- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- reit sind, diese Menschen auch aus dem beschleunigten SES 90/DIE GRÜNEN) Verfahren für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten Ja, es ist ein Lehrstück für Populismus; denn das Ein- herauszunehmen? zige, was die Union hier versucht, ist, Profit aus einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sache zu schlagen. Sie sagt nämlich, dass es schwieriger sei, zu erklären, warum die Länder nicht sicher sind, statt Das ist doch komplett durchsichtig. zu erklären, warum sie sicher sind. Sie haben es da ein Aber am schlimmsten bei dieser Debatte finde ich per- bisschen leichter. Wir hingegen müssen die Komplexität sönlich, dass Sie den Menschen in Deutschland wirklich der Debatte darstellen, und das ist nicht so einfach; denn vorgaukeln, dass die Einstufung dieser vier Länder das die Länder sind sehr unterschiedlich. Potenzial hat, Probleme, die wir in der Asylpolitik durch- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn aus haben, zu lösen. mehr Argumente dafür als dagegen sprechen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben Sie es schwerer! Das stimmt!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber – und das dürfen Sie sich als Information zu den Ich finde das wirklich schmutzig. Denn wir reden hier Grünen gleich merken; vielleicht brauchen Sie diese ir- über einen verschwindend geringen Anteil der Schutz- gendwann – nur weil etwas schwer zu erklären ist, heißt suchenden in Deutschland; um das noch zu unterlegen. das nicht, dass wir den einfachen Weg gehen und aus Die Zahl der aus diesen Ländern beim BAMF noch an- Angst vor Diffamierung unser Fähnchen nach dem Wind hängigen Asylverfahren hat sich seit 2016 um 85 Prozent richten. Darauf können Sie sich verlassen, reduziert. Die Zahl der Abschiebungen hat sich verzehn- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) facht – auch ohne Einstufung. Also, hören Sie doch bitte auf, diese Frage zur Schicksalsfrage hochzuspielen. und dass Sie das nach fünf Jahren Debatte zu diesem Thema noch immer nicht gelernt haben, betrübt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Grosse-­ ( [CDU/CSU]: Wer hat nichts ge- Brömer [CDU/CSU]: Man muss nicht mehr lernt? Das ist die Frage!) abschieben, wenn man sie eingestuft hat!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8767

Luise Amtsberg (A) Das wird doch der Sache überhaupt nicht gerecht. nicht nur das nicht erreicht, was Sie sich gerne wün- (C) schen, sondern auch noch falsch ist. Fluchtursachen, da Sie dürfen von mir zu Recht fordern, eine Antwort auf sind wir nämlich bei dem Thema „sichere Herkunfts- die Frage zu geben, wo eigentlich die Handlungsfelder in staaten“. Wenn Sie wollen, dass weniger Menschen aus der Asylpolitik sind – sprechen wir es doch mal ehrlich diesen Ländern herkommen und Schutz beantragen, wa- aus –: erstens, natürlich im Asylverfahren selbst. Wenn rum um alles in der Welt nutzen Sie nicht Ihr politisches die Gerichte überlastet sind, weil sie nicht mehr hinter- Gewicht und koppeln die Einstufung dieser Länder an herkommen, die fehlerhaften Entscheidungen des BAMF Bedingungen? Sie sagen es ja selbst: Die Regierungen in zu korrigieren, dann, würde ich sagen, lasst uns doch ge- Tunesien und Marokko wollen, dass ihre Länder einge- meinsam die Strukturen beim BAMF verbessern. stuft werden. Aber Sie machen sich noch nicht mal mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Mühe, das an irgendwelche menschenrechtlichen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Konditionen zu koppeln, irgendetwas für die Menschen vor Ort zu erreichen. Wie soll ich denn glauben, dass Sie Aber das wollen Sie ja auch nicht. es mit dem Thema ernst meinen? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch schon auf dem Weg!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vor zwei Tagen haben Sie im Innenausschuss dagegenge- stimmt, als die Grünen einen Austausch mit Experten zur So viel zur Behauptung „Es wird um uns geworben“. Ich Verbesserung der Qualität beim BAMF beantragt haben. sehe das nicht. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Alles Ich kann deswegen allen Menschen außerhalb des Nebelkerzen!) Parlaments nur versichern, dass die grüne Bundestags- fraktion bei diesem Thema nicht einlenkt. Das hat viele Da haben Sie geschlossen dagegengestimmt. Warum? Gründe. Ich habe versucht, einen Bruchteil davon darzu- Aus Faulheit, weil beim BAMF alles tutti ist? stellen. Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Wir finden es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einfach falsch. Ich verstehe es wirklich nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gut, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mehr dass Sie es angesprochen haben! – Weitere Personal, bessere Strukturen, das ist alles auf Zurufe von der CDU/CSU) dem Weg!) – Ich wusste, dass Sie das aufregt. Ich hatte ein bisschen (B) Punkt zwei: Abschiebungen. Sie finden, es wird zu Sorge, dass Sie bei meiner Rede nicht wach werden; aber (D) wenig abgeschoben. Ihre Antwort darauf ist, immer wie- es ist anscheinend doch gelungen. der zu fordern, das Ausweisungsrecht weiter zu verschär- fen. Stattdessen sollten Sie zur Kenntnis zu nehmen, dass Mein Fazit. Die Einstufung löst kein Problem. Sie wir ein Vollzugsproblem haben. Dabei wird es dann ist eine sinnlose und in diesem Fall übrigens auch noch immer ganz leise um die Innenminister in den Ländern, verfassungsrechtlich nicht mal gedeckte Ersatzhandlung, weil sie nämlich wissen, dass das – mehr Personal, mehr die davon ablenken soll, dass die Große Koalition an so Strukturen aufbauen – mit Geld zu tun hat. Da wird es vielen Baustellen völlig ideenlos und handlungsunfähig dann sehr leise. ist. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Vielen Dank. SES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-­ Brömer [CDU/CSU]: Spricht alles für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sicheren Herkunftsländer! Gar nicht erst ein- reisen!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Abgesehen davon: Seit 13 Jahren regiert die Union in Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Thorsten Frei, diesem Bereich. Vielleicht machen Sie den Leuten ein- CDU/CSU. fach nicht weiter vor, dass es einfache Lösungen gibt, (Beifall bei der CDU/CSU) sondern geben Sie zu, dass es vielleicht ein bisschen komplizierter ist. Thorsten Frei (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Punkt drei: Integration. Wie wollen Sie denn dafür sor- diskutieren heute ein Gesetz und beschließen es nach- gen, dass Menschen in unserem Alltag ankommen, wenn her, das wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode Sie noch immer große Gruppen von Sprachkursen aus- mit Mehrheit hier im Bundestag verabschiedet haben. schließen, wenn Sie den Übergang in den Arbeitsmarkt Es ging um die Einstufung von Algerien, Marokko und nicht organisiert bekommen oder wenn Sie Menschen in Tunesien als sichere Herkunftsstaaten. Auf Initiative der AnKER-Zentren vom Rest Deutschlands isolieren? Das Grünen hat der Bundesrat das Inkrafttreten dieses Geset- verstehe ich auch nicht. zes blockiert. Punkt vier: Fluchtursachen. Das ist im Übrigen, Frau Liebe Frau Amtsberg, nachdem ich Ihre Rede hier Teuteberg, unser Hauptargument, warum dieses Gesetz gehört habe, kann ich im Grunde genommen nur sagen, 8768 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Thorsten Frei (A) dass Sie all das bestätigt haben, was die Frau Teuteberg mit einem solchen gesinnungsethischen Handeln ohne (C) Ihnen vorgehalten hat. Rücksicht auf die Konsequenzen zerstören Sie gerade das, was Sie letztlich vorgeben erhalten zu wollen, näm- (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der lich dass Deutschland ein sicherer Zufluchtsort für dieje- FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nigen ist, die Schutz suchen vor Verfolgung, vor Terror NEN) und vor Krieg. Es war schon beeindruckend, das mitzuerleben. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist doch tatsächlich so, dass die Grünen im Grunde NEN]: Das wissen Sie vor dem Asylverfah- genommen aus dogmatischen, aus ideologischen, auch ren?) aus populistischen Gründen die Wahrheit nicht sehen wollen. Insofern geht es genau darum, die Akzeptanz für dieses (Beifall des Abg. Benjamin Strasser [FDP]) liberale Asylrecht auch in der Zukunft zu erhalten. Ich finde, das wird ganz besonders deutlich, wenn man Ich sage Ihnen, wie wir es schaffen: Wir schaffen es sich nicht nur die Prozentzahlen, sondern auch die abso- dadurch, dass wir in einem zügigen, aber sorgfältigen luten Zahlen anschaut. Nehmen Sie die Zahlen für diese Verfahren prüfen, wer schutzberechtigt ist und wer nicht. Länder aus dem vergangenen Jahr. Da ist bis November Wenn wir das Ergebnis haben, dann müssen diejenigen über 9 355 Anträge entschieden worden – 9 355. Ein Asyl zurückgeführt werden, die eben nicht schutzbedürftig nach Artikel 16a des Grundgesetzes haben acht Personen und schutzberechtigt sind. Das ist konsequentes Handeln. bekommen; das sind 0,08 Prozent. Dafür ist das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten das richtige Mittel der Wahl. Sie sind es, die das verhindern. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wenn man alle Möglichkeiten des Flüchtlingsschutzes ordneten der FDP – Michael Grosse-Brömer dazurechnet, dann waren es 188 Personen. Der Herr Bun- [CDU/CSU]: Die Linken auch!) desinnenminister hat es in seiner Rede dargestellt: Das sind gerade mal 2 Prozent. Es ist doch tatsächlich so, Frau Amtsberg, dass Sie in Ihrer Rede die Nebelkerzen geworfen haben, von de- In einer solchen Situation muss man doch darauf re- nen Frau Teuteberg gesprochen hat. Sie haben über al- agieren. Es ist evident, dass die Mehrzahl der Menschen, les Mögliche geredet. Nur, wenn es noch Probleme gibt, die aus diesen Ländern zu uns kommen, aus ökonomi- dann wollen wir sie Stück für Stück lösen. Aber lassen (B) schen Gründen hierherkommt, und darauf müssen wir Sie uns doch mal den ersten Schritt gehen. Das ist der (D) reagieren. wichtigste Schritt, um zu einer markanten Verbesserung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der zu kommen. Wir haben es ja tatsächlich gesehen. Schau- AfD und der FDP – Matthias W. Birkwald en Sie sich an, wie es bei der Einstufung der Westbal­ [DIE LINKE]: Und am Sonntag erzählen Sie kanstaaten als sichere Herkunftsstaaten war. Da sind die wieder was vom demografischen Wandel! Un- Zahlen um etwa 75 Prozent und mehr zurückgegangen, glaublich!) ohne dass die absolute Zahl der Schutzbedürftigen tat- sächlich gesunken wäre. Wir reagieren in einem Maße, wie es absolut vertretbar ist; denn die Einzelfallprüfung wird gerade nicht in Ab- (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rede gestellt. NEN]: Da sind die Zahlen schon vorher run- tergegangen!) Sie haben ein mangelndes Schutzkonzept angespro- chen, Frau Amtsberg. Das ist doch ein Argument dafür, dass man die Ressour- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE cen schonen kann, ohne dass man die Schutzrechte für GRÜNEN]: Gar kein Schutzkonzept! – Britta die Betroffenen einschränkt. Es ist also ein Mittel, das in Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: jeder Hinsicht wirkt. Dieses Argument sollte man doch Welches denn?) anerkennen. Es ist doch gerade so, dass wir mit dem Gesetzentwurf, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der heute beraten wird, ein zusätzliches Schutzinstru- der FDP – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- ment für die besonders vulnerablen Gruppen zur Verfü- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss sich schon gung haben. Das kommt zu dem hinzu, was beim BAMF damit beschäftigen!) passiert. Deshalb ist es etwas, was die Situation verbes- sert. Wir haben da durchaus den Wunsch und auch die Ich will noch auf einen Punkt hinweisen, den ich auch Erwartung, dass die Grünen ihre Opposition gegen dieses wichtig finde. Es war so, dass kurz vor Weihnachten Ihre Konzept tatsächlich aufgeben. Bundesvorsitzende Baerbock sich dazu geäußert hat, dass man dringend diejenigen Asylbewerber, die hier (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht schutzberechtigt und kriminell sind, zügig wieder ordneten der AfD und der FDP) abschieben sollte. Jetzt hätten Sie die Möglichkeit, dafür Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie sollten sich etwas zu tun. Wenn ich mir die Maghreb-Länder – Alge- auch über die Konsequenzen Gedanken machen; denn rien, Tunesien, Marokko – anschaue, stelle ich fest, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8769

Thorsten Frei (A) aus ihnen etwa 2,4 Prozent der Asylbewerber in Deutsch- Die Einstufung Georgiens, Algeriens, Tunesiens und (C) land kommen. Marokkos als sichere Herkunftsländer ist überfällig und sollte schon längst vollzogen sein – nach vier Jahren der (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Debatte darüber. Immerhin haben alle vier Länder die NEN]: Was machen Sie da für eine Gleichset- wichtigsten internationalen Abkommen zur Wahrung zung?) elementarer Menschenrechte unterzeichnet. Wenn Sie sich dann mal den Anteil bei den Tatver- Nach Aussage des Auswärtigen Amtes und nach Re- dächtigen anschauen, stellen Sie fest, dass der nicht bei cherchen unabhängiger Menschenrechtsorganisationen 2,4 Prozent, sondern bei 13 Prozent liegt. Deshalb wäre gibt es in keinem dieser vier Länder so etwas wie syste- dieser Gesetzentwurf in der Tat ein gutes Mittel, schnell matische Verfolgung, Folter, unmenschliche Behandlung und zügig zu Ergebnissen zu kommen. oder brutale Strafen. Stattdessen können in diesen vier (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- Ländern politische Parteien und soziale Bewegungen in wie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) relativer Freiheit agieren. In allen vier Ländern existiert eine breite Palette gesellschaftlicher Organisationen und Für uns geht es insbesondere darum, die Ressourcen NGOs, was ja auch nicht gerade für systematische politi- zu konzentrieren. Wir sind davon überzeugt, dass ein sche Verfolgung spricht. schnelles Verfahren auch ein sorgfältiges Verfahren sein Sicher ist im Detail überall noch manches verbesse- kann. rungswürdig, aber es geht nicht an, diese vier Länder mit (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ihrer sehr unterschiedlichen Geschichte und ihren zum NEN]: Dann tun Sie doch was zur Verfahrens- Teil noch bis in die letzten Jahrzehnte reichenden frem- verbesserung!) den Machtansprüchen an einem europäischen Niveau der Menschen- und Bürgerrechte zu messen. Für dieses Mit dem Konzept der sicheren Herkunftsstaaten haben europäische Niveau haben wir in Europa immerhin Jahr- wir alles, was wir brauchen: Wir haben ein Verfahren – hunderte gebraucht. von einem Monat –, wir haben eine Klagefrist von ei- ner Woche, ohne dass die Klage aufschiebende Wirkung (Beifall bei der AfD) hat, wir haben eine Rückführungspflicht innerhalb einer Es gibt in allen vier Ländern auch Einschränkungen Woche. Damit haben wir genau die Instrumente, die wir der politischen Bestrebungen, die für Außenstehende benötigen, um effektiv zu handeln. nicht leicht zu verstehen sind. Das ist immer dann der Fall, wenn solche Bestrebungen an die Substanz des Ich bin davon überzeugt, dass das genau das richtige Staates gehen. Solche roten Linien wird man respektie- Mittel ist, um unser Asylrecht in der jetzigen Form zu (B) ren müssen. In Georgien beispielsweise dürfte eine Be- (D) erhalten, um Akzeptanz zu schaffen, und dass damit die- wegung für den notfalls gewaltsamen Wiederanschluss jenigen, die bei uns Zuflucht suchen, auch die Chance an Russland kaum geduldet werden. In Marokko werden haben, in unsere Gesellschaft integriert zu werden. Wir alle denkbaren politischen Richtungen geduldet, sofern konzentrieren die Kräfte also auf diejenigen, die ganz be- sie nicht die Monarchie infrage stellen. Ohne die Monar- sonders schutzbedürftig sind. chie würde dieses Land ebenso im Chaos versinken wie Mit diesem Gesetzentwurf gehen wir diesen Schritt. der Irak oder Libyen. Deswegen rufe ich Sie ein weiteres Mal auf: Unterstüt- Es kommt hinzu, dass wiederum alle vier Länder zen Sie ihn heute und vor allen Dingen bei der Abstim- entweder Mitglieder der Europäischen Union wer- mung im Bundesrat. den wollen – so wie Georgien – oder – wie im Fall der Herzlichen Dank. Maghreb-Staaten – mit der EU in engstmöglicher wirt- schaftlicher und politischer Verbindung stehen möch- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- ten. Auch als Assoziierte oder im Rahmen der European wie bei Abgeordneten der SPD) Neighbourhood Policy ist die Annäherung an bestimmte europäische Standards die Voraussetzung für wirtschaft- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: liche Kooperation. Das gilt im Bereich der Menschen- rechte, aber auch im Arbeits-, Umwelt- und Verbrau- Dr. Lothar Maier, AfD, ist der nächste Redner. cherschutz. Schon allein von daher ist es unangemessen, (Beifall bei der AfD) diesen vier Ländern fortwährend Belehrungen und Zen- suren erteilen zu wollen. Dr. Lothar Maier (AfD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Bei einigen in diesem Haus zeigt sich manchmal die ren! Lieber Herr Kollege Frei, man kommt ja aus dem alte deutsche Neigung, der Welt vorschreiben zu wollen, Staunen darüber nicht heraus, dass Sie in dieser Frage die wie sie sich zu organisieren habe – mit wechselnden po- meisten der Positionen, die wir hier seit langem vertre- litischen Vorzeichen, aber gleichbleibendem Hochmut. ten, endlich übernommen haben. Bleiben Sie dabei! Die richtige Einstufung dieser Länder liegt im Interes- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer se sowohl der Bundesrepublik als auch der vier Länder. [CDU/CSU]: Die haben wir schon vertreten, Weiterhin mit grotesk überzeichneten Darstellungen der als die AfD noch gar nicht gegründet war!) angeblich schrecklichen Verhältnisse in diesen Ländern – 8770 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Dr. Lothar Maier (A) zuletzt haben wir es von Frau Jelpke gehört – verhindern Ihre Parteivorsitzende, Frau Baerbock, hat in der (C) zu wollen, dass sie richtig eingestuft werden, ist nicht nur friedvollen Vorweihnachtszeit ein knallhartes Interview verantwortungslos gegenüber unserem eigenen Land, ge- gegeben. Da konnte man lesen: „Baerbock will Straftäter genüber Deutschland, sondern es ist auch beleidigend ge- schnell abschieben“. Da traut man ja seinen Augen nicht. genüber diesen vier Partnerländern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der AfD) Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir wollen sie gar nicht reinlassen!) Aus diesen Gründen – der Kollege Lars Herrmann hat es schon gesagt – unterstützen wir den Gesetzentwurf für Weiter wird die Kollegin Baerbock zitiert: „Was wir … die Einstufung dieser vier Länder. brauchen, sind schnellere Verfahren.“ Genau, wir brau- chen schnellere Verfahren. Wir bieten Ihnen das heute Ich danke Ihnen. hier mit diesem Gesetzentwurf der Koalition an. Stim- (Beifall bei der AfD) men Sie zu! (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: NEN]: Für 6 000 Leute! Super!) Nächster Redner ist der Kollege Alexander Throm, Dann haben wir schnellere Verfahren, kürzere Fristen CDU/CSU. und entsprechende Priorisierungen. Machen Sie aus Ih- ren Ankündigungen Taten! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Alexander Throm (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Ein letztes Zitat der Frau Baerbock kann ich Ihnen Kollegen! Wir haben im nationalen Recht leider nur sehr nicht ersparen: wenige Stellschrauben, mit denen wir den Asylmiss- (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- brauch eindämmen oder gar verhindern können. Die Ein- NEN]: Müssen Sie auch gar nicht!) stufung von Ländern als sichere Herkunftsländer ist eine dieser Stellschrauben. Zu diesem Recht gehört auch, dass jene, die keinen Anspruch haben zu bleiben, in ihre Länder zurück- Wir haben schon gehört: Die Anerkennungsquoten müssen. für Menschen aus den betreffenden vier Ländern sind äußerst gering. Auf Basis des Jahres 2018 beträgt sie Abschiebungen seien ein „schmerzhaftes Thema“ für die (B) 0,3 Prozent für Georgien und 2,3 Prozent für Marokko. Grünen. (D) Umgekehrt bedeutet dies, dass zwischen 97,7 Prozent (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und 99,7 Prozent derer, die nach Deutschland kommen NEN]: Wir haben nie gegen die Rechtslage in und Asyl beantragen, einen Asylmissbrauch begehen. irgendeiner Form agiert! Sie haben offenbar Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie heben nie zugehört!) hier die schützende Hand über die falsche Personengrup- pe. Das können wir nicht akzeptieren. Seien Sie versichert: Abschiebungen sind nicht nur für die Grünen ein schmerzhaftes Thema. Das gilt für fast (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- alle Fraktionen hier im Bundestag und ganz genauso für ordneten der FDP und des Abg. Burkhard die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Aus- Lischka [SPD]) länderbehörden, im BAMF oder bei der Bundespolizei, Selbstverständlich senden wir ein Signal an die Her- die sich damit beschäftigen müssen. Sie haben keinen kunftsländer; das haben wir bei den früheren Ausweisun- moralischen Alleinstellungsanspruch auf das Gute in die- gen sicherer Herkunftsländer ebenfalls gesehen. ser Welt. Jetzt wird gesagt, es wäre ein unfaires Verfahren – so (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Wortwahl. Nur: Es gibt weiterhin eine individuelle neten der FDP und des Abg. Burkhard Lischka Anhörung, eine individuelle Bescheidung, ein individu- [SPD] – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE elles Verfahren und bei Bedarf ein individuelles Rechts- GRÜNEN]: Es ist gut, dass Sie das so darstel- mittel. Ich kann wirklich nicht erkennen, wo hier ein un- len! Das haben wir nie so gesagt!) faires Verfahren stattfinden soll. Darüber hinaus schaffen Es geht heute bei dieser und anderen Entscheidungen wir mit diesem Gesetzentwurf für die sogenannten vulne- zur Steuerung und Ordnung der Migration auch darum, rablen Gruppen noch die Grundlage für eine gesonderte dass wir die Akzeptanz für unser Asylsystem in der Be- Rechtsberatung. völkerung aufrechterhalten für diejenigen, die tatsäch- Ich habe wirklich versucht, die Argumente der Grü- lich Schutz und Hilfe bedürfen und bekommen sollen. nen nachzuvollziehen; es ist mir nicht gelungen. Es ist in Diese Akzeptanz ist in Gefahr. Sie ist deshalb in Gefahr, der Tat heute eine Debatte, Frau Kollegin Amtsberg, aus weil sich viele Menschen in unserer Bevölkerung ausge- Ideologie. An diesen Positionen merkt man auch wieder: nutzt fühlen, wenn viele Asylbewerber kommen, auf die Die alten Fundis in den Grünen leben nach wie vor. Kommunen verteilt werden, entsprechende Sozialleis- tungen erhalten, teilweise zu den Gruppen gehören – das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) betrifft gerade Menschen aus diesen vier Ländern – die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8771

Alexander Throm (A) besonders häufig straffällig werden, und kein Anspruch wenn wir sagen: Wir wollen sie auch auf andere Länder (C) auf Asyl besteht. Deswegen tragen Sie, liebe Kollegin- übertragen. nen und Kollegen der Grünen, auch eine Verantwortung dafür, dass diese Akzeptanz nicht weiter gefährdet wird, Frau Kollegin Amtsberg, Sie haben davon gespro- sondern wieder aufgebaut werden kann, damit Partei- chen, dass wir auch viele andere Maßnahmen ergreifen en mit rechtsextremen Positionen wie die AfD nicht im müssen – da spricht gar nichts dagegen –, nur lenken Sie Bundestag und in den Parlamenten sitzen. Werden Sie davon ab, dass wir auch bei den sicheren Herkunftslän- dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gerecht – dern, bei Anlage § 29a des Asylgesetzes, weitere Maß- wenn schon nicht heute im Bundestag, dann wenigstens nahmen ergreifen müssen. im Bundesrat. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herzlichen Dank NEN]: Bei den anderen Sachen passiert doch nichts!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vielem, was Sie gesagt haben, stimme ich zu; aber Sie lenken ab. Wir müssen das eine tun, ohne das andere zu Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: lassen. Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae, FDP. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Deswegen werben wir dafür, dem heutigen Antrag zuzustimmen, und fügen dem Regierungsentwurf einen Entschließungsantrag bei, für den ich ausdrücklich bei Stephan Thomae (FDP): Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kol- tion, werben möchte. Wenn wir sagen, dieser Pfad ist legen! Der heute zu beschließende Antrag ist nicht das richtig und erprobt, dann muss man diese Praxis auch Ende des Asylrechtes, der Antrag ist nicht das Ende des fortschreiben und bei Ländern, bei denen wir über Jahre Flüchtlingsschutzes, den wir in diesem Land gewähren. hinweg feststellen, dass die Anerkennungsquoten deut- Er ist der Einstieg in eine pragmatischere Praxis der Ge- lich unter 5 Prozent liegen, prüfen, ob auch sie nach dem währung von Asyl und des Flüchtlingsschutzes. Es geht Lagebericht des Auswärtigen Amtes die Voraussetzun- gar nicht darum, dass wir den Schutz von Menschen, die gen erfüllen, in die Liste der sicheren Herkunftsländer wirklich schutzbedürftig sind, reduzieren oder schmälern aufgenommen zu werden. Wohlgemerkt: Das ist kein Au- wollen, sondern es kommt darauf an – ich finde, der Kol- tomatismus. Es ist nicht so, dass automatisch Länder, bei (B) lege Lindh hat das sehr gut herausgearbeitet –, klarzu- denen die Anerkennungsquote seit mehreren Jahren unter (D) machen, wer gute Chancen hat, in unserem Land Schutz 5 Prozent liegt, als sicher eingestuft werden. Aber es ist und Asyl zu erhalten, und bei wem das nicht der Fall ist. Anlass dafür, eine solche Prüfung dann durchzuführen. Denn ansonsten laufen wir Gefahr, dass sich Menschen in Gefahr begeben, das Familienvermögen opfern, den (Beifall bei Abgeordneten der FDP) lebensgefährlichen Weg durch Wüste und Meer antreten, nur um dann nach kurzer Zeit feststellen zu müssen, dass Ich komme zum Schluss. Wir werden heute als sie keine Chance haben, hier dauerhaft Schutz und Asyl FDP-Fraktion dem Regierungsentwurf zustimmen und zu erhalten. wollen bei Ihnen dafür werben, dass Sie dem Entschlie- ßungsantrag der FDP Ihre Zustimmung erteilen. Wir (Beifall bei der FDP) fordern die Grünen ausdrücklich auf, ihre Haltung zu überdenken und dann im Bundesrat den Entwurf, den wir Die Zahlen, die auch der Minister genannt hat, spre- heute beschließen werden, nicht weiter zu blockieren. chen für sich, und es ist ein Zeichen der Verantwortlich- keit, entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen. Es Vielen Dank. ist nicht so, dass wir generell den Schutz entziehen. Frau Jelpke, Sie haben von einem Zwei-Klassen-Asylrecht ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sprochen. Ja, der Rechtsstaat ist manchmal auch hart; er der CDU/CSU) legt starke Regeln auf. Wer aus einem solchen sicheren Herkunftsland stammt, hat kürzere Fristen zu gewärtigen; Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: aber er hat ja auch die Möglichkeit, einen Antrag nach § 80 Absatz 5 VwGO auf Herstellung der aufschieben- Letzter Redner in dieser Debatte, für den ich genauso den Wirkung zu stellen. Dann bekommt er ein Verfahren, viel Aufmerksamkeit erbitte, ist der Kollege Josef Oster, in dem er alle Zeit der Welt hat, darzulegen, weshalb er CDU/CSU. individuell verfolgt wird, auch wenn er aus einem Land (Beifall bei der CDU/CSU) stammt, das wir als sicher einstufen. Es handelt sich also nicht um eine Verkürzung dieser Rechte. Josef Oster (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU]) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Thema sichere Herkunftsstaa- Es ist eine bewährte, erprobte Praxis, die wir bereits auf ten ist ja eigentlich alles klar; die Zahlen und Fakten sind viele Länder anwenden. Daher ist es nur konsequent, eindeutig. Dass wir aber dennoch heute zum wiederhol- 8772 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Josef Oster (A) ten Male hier darüber diskutieren müssen, verdanken wir viele Migranten auf den gefährlichen Weg über das Mit- (C) den Grünen. Das ist hier schon deutlich gemacht worden. telmeer, leider oft mit tödlichen Folgen. Ich will, dass das aufhört; auch deshalb bin ich für diesen Gesetzentwurf. (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist gelebte Demokratie!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit Ihrer Blockadehaltung im Bundesrat, verehrte Frau Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hin- Amtsberg, haben die Grünen das Gesetz schon einmal tergrund appelliere ich insbesondere an die Grünen: Ge- verhindert, und sie verhindern damit bis heute schnellere ben Sie endlich Ihre weltfremde Blockadehaltung auf! Asylverfahren in Deutschland. Das ist die Botschaft die- Leisten Sie einen Beitrag zu vernünftigen Asylverfahren ses Tages. in Deutschland! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ordneten der FDP) NEN]: Seit 13 Jahren stellen Sie den Innen- Damit erweisen Sie unserem Staat, unserer Bevölkerung minister!) und letztlich auch den Migranten, die sich mit falschen Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen, für die Hoffnungen auf den Weg nach Deutschland machen, ei- Menschen, die wirklich in Not sind, und für eine dauer- nen Bärendienst. hafte Akzeptanz des Asylrechts in Deutschland werben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vielen Dank. ordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Um es nochmals deutlich zu sagen: Niemandem wird neten der FDP – Britta Haßelmann [BÜND- das Recht auf ein faires Asylverfahren genommen. Das NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten mal etwas kann man nicht oft genug betonen, da Grüne und Linke tun!) hier im Hause ja so gerne das Gegenteil behaupten. Für mich ist aber klar: Wir brauchen konsequente und schnel- le Asylverfahren. Wenn uns das nicht gelingt, dann wird Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: es keinen gesellschaftlichen Konsens in Sachen Migrati- Damit schließe ich die Aussprache. on und Integration in Deutschland geben. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einstu- ordneten der FDP) fung Georgiens, der Demokratischen Volksrepublik Al- Wir haben eine Verantwortung für Menschen, die gerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen (B) in ihrer Heimat verfolgt werden und die um ihr Leben Republik als sichere Herkunftsstaaten. (D) fürchten müssen. Das Asylrecht gehört zu den Wesens- Es liegen mir zwei schriftliche Erklärungen zur Ab- merkmalen unseres Landes. Das Asylrecht hat aber nur stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deut- dann eine gute Zukunft, wenn es mit gesellschaftlicher schen Bundestages vor.1) Akzeptanz einhergeht. Und diese Akzeptanz ist eben in Gefahr, wenn wir dem massenhaften Missbrauch des Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt in sei- Asylrechts tatenlos zusehen. ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/6538, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 19/5314 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bit- Massenhafter Missbrauch?) te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- Wenn wir uns viel zu oft um aussichtslose Fälle küm- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer mern müssen, dann schaden wir damit denjenigen, die stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Ge- tatsächlich verfolgt werden. Schon alleine deshalb ist un- setzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von ser Gesetzentwurf gut und auch vernünftig. CDU/CSU, SPD, FDP, AfD gegen die Stimmen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgenommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Po- Dritte Beratung pulismus!) und Schlussabstimmung. Die Fraktion der FDP hat na- Es geht aber auch um das Vertrauen in die Handlungs- mentliche Abstimmung verlangt. Ich will an dieser Stelle fähigkeit unseres Staates. Wenn Asylverfahren endlos darauf hinweisen, dass wir im Anschluss an diese Ab- dauern und Ablehnungen keine schnellen Konsequenzen stimmung eine weitere namentliche Abstimmung über haben, dann leidet dieses Vertrauen, und das dürfen wir den Entschließungsantrag haben. Außerdem möchte ich nicht zulassen. darauf hinweisen, dass wir auch heute, wie bereits ange- kündigt, bei den folgenden beiden namentlichen Abstim- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – mungen nur Plätze an vier Urnen besetzen. Jetzt bitte ich Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehen NEN]: 13 Jahre CDU-Innenpolitik! 13 Jahre!) Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen be- Wir senden aktuell weiterhin das Signal aus, dass nahezu setzt? – Jetzt sind alle Plätze an den Urnen besetzt. Damit jeder eine Chance auf Asyl in Deutschland hat. Das hat eröffne ich die Abstimmung. gerade in den Staaten Nordafrikas fatale Auswirkungen. Angelockt von falschen Hoffnungen, machen sich viel zu 1) Anlage 2 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8773

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben jetzt alle oder Islamismus, scharf verurteilt. (C) Kolleginnen und Kollegen die Gelegenheit gehabt, an der Abstimmung teilzunehmen? – Das ist der Fall. Dann (Beifall bei der AfD) schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe- Wir müssen aber konstatieren, dass gegen Rechtsextre- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- mismus in geeigneter Weise vorgegangen wird und auch nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt dem islamistischen Extremismus mit einer gewissen gegeben.1) Entschlossenheit begegnet wird, auch wenn hier noch entsprechender Optimierungsbedarf besteht. Einzig der Wir kommen jetzt unmittelbar zur Abstimmung über Linksextremismus wird vom Staat kaum bekämpft. Des- den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf der halb ist dieser Antrag erforderlich. Denn Linksextremis- Drucksache 19/7065. Auch hierzu hat die Fraktion der mus – daran kann und darf kein Zweifel bestehen – ist FDP namentliche Abstimmung verlangt. Ich gehe davon eine massive Bedrohung für unsere Demokratie, für un- aus, dass die Plätze an den Urnen besetzt sind. – Das ist sere Gesellschaft und für unsere Sicherheitsorgane. der Fall. Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf (Beifall bei der AfD) Drucksache 19/7065. Die Zahl der Gewalttaten mit linksextremistischem Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es noch einen Hintergrund ist 2017 um 37,2 Prozent gestiegen. Die Kollegen, der nicht die Gelegenheit hatte, an der Ab- Taten richteten sich zu 69 Prozent gegen Polizei- und stimmung teilzunehmen? – Das ist offensichtlich nicht Sicherheitsbehörden. Wir alle erinnern uns noch an die der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die bürgerkriegsähnlichen Szenen beim G‑20-Gipfel in Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung Hamburg. Linksextremisten zogen marodierend durch zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstimmung wird die Straßen. In blinder Zerstörungswut setzten sie Fahr- später bekannt gegeben.2) zeuge und Barrikaden in Brand. Sie schlugen Fenster- scheiben ein, plünderten hemmungslos Geschäfte und Jetzt bitte ich all diejenigen, die an der Debatte teil- griffen mit Pflastersteinen und mit von Präzisionsschleu- nehmen wollen, Platz zu nehmen, und all diejenigen, die dern abgeschossenen Stahlkugeln Sicherheitskräfte an. an der Debatte nicht teilnehmen wollen, die Gespräche In ihrer Menschenverachtung gingen die Linksextremis- woanders zu führen. ten so weit, dass sie Polizeikräfte mit voller Absicht in Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages- Hinterhalte lockten, um sie dort mit Gehwegplatten und ordnungspunkt 19 auf: Molotowcocktails anzugreifen. Nur durch den Einsatz von Spezialkräften und die Verlegung aller bundesweit (B) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin verfügbaren Polizeikräfte nach Hamburg konnte die (D) Hess, Dr. Bernd Baumann, Dr. Gottfried Curio, Lage bewältigt werden. 231 Polizeibeamte wurden da- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD mals verletzt. Verstärktes Vorgehen gegen Linksextremis- Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird Zeit, mus zum Schutz der Demokratie dass wir die Dinge wieder beim Namen nennen. Als Po- lizist und Politiker sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Drucksache 19/7040 Das ist kein Linksextremismus mehr, das ist Linksterro- Überweisungsvorschlag: rismus. Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Beifall bei der AfD) Liebe links-grün-rote Kollegen – das richte ich auch an Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Teile der Medien –: Wer mit Steinen, Zwillen und Ei- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe dazu senstangen gegen Polizeibeamte vorgeht, ist kein Akti- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. vist, das ist und bleibt ein Gewaltverbrecher. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem (Beifall bei der AfD) Kollegen Martin Hess, AfD. Dass sich Linke, Grüne, SPD angesichts solcher Fak- (Beifall bei der AfD) ten nach wie vor weigern, die erschreckende Dimension linker Gewalt überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, ja sie Martin Hess (AfD): sogar verharmlosen, relativieren und leugnen, dass die Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Regierung immer noch außerstande ist, effektive Maß- und Herren! Gestatten Sie mir eine Bemerkung, bevor nahmen gegen den Linksextremismus zu ergreifen, ist – ich auf den eigentlichen Antrag eingehe. Die AfD hat man muss es so deutlich sagen – eine Bankrotterklärung schon immer jegliche Form von Extremismus, egal ob dieses Parlaments. links, rechts (Beifall bei der AfD) (Lachen bei der LINKEN – Benjamin Frau Präsidentin Pau, Frau Ministerin Barley und Strasser [FDP]: Das sieht man ja jetzt!) die Kolleginnen und Kollegen Högl, Göring-Eckardt, Hofreiter, Özdemir, Riexinger, Kipping haben mit der In- 1) Ergebnis Seite 8775 C terventionistischen Linken zusammen einen Aufruf un- 2) Ergebnis Seite 8778 D terzeichnet, der sich gegen unsere demokratisch gewähl- 8774 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Martin Hess (A) te Partei richtet. Dabei ist die Interventionistische Linke Cem Özdemir sagte vor der Bundestagswahl: (C) für die Gewaltausbrüche beim G‑20-Gipfel mit verant- wortlich. Laut Bundesregierung spielt sie auch eine maß- In einer Woche könnte es sein, dass erstmals Nazis gebliche Rolle bei den Ausschreitungen im Hambacher wieder in den Deutschen Bundestag einziehen. Ist Forst, wo Polizeibeamte massiv mit Steinen, Flaschen das kein Anlass zu sagen, … wir wollen alles dafür und Fäkalien angegriffen wurden. Nur zur Erinnerung: tun, dass diese Brut in diesem Land nichts zu sagen Die Lage war dort so ernst, dass sich ein Kollege nur mit hat? einem Warnschuss retten konnte. Die Interventionisti- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sche Linke ist daher unbestreitbar eine verfassungsfeind- SES 90/DIE GRÜNEN) liche Organisation. Mit einer verfassungsfeindlichen Or- ganisation kooperiert man nicht, die verbietet man, und Ich möchte daran erinnern: Als Bundestagspräsident zwar sofort. Schäuble am 11. September letzten Jahres dazu aufrief, linksextreme Gewalt ebenso abzulehnen wie rechtsex- (Beifall bei der AfD) tremistische, verweigerten Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Linken, der SPD und den Die Unfähigkeit der Bundesregierung bei der Be- Grünen, diesem demokratischen Minimalkonsens den kämpfung des Linksextremismus führt zu immer häufi- Applaus. Das zeigt doch ganz eindeutig, wo die wahren geren und schwereren Angriffen auf die Organe unseres Demokratiefeinde in diesem Parlament sitzen, nämlich Staates. Ich nenne hier exemplarisch ein paar Beispiele. links. Im April 2018 greifen Linksterroristen vor dem be- (Beifall bei der AfD) setzten Haus in der Rigaer Straße in Berlin wiederholt Polizeiwagen mit Steinen an. Auf Indymedia rufen sie Die Büroleiterin von , Angela zu weiteren Steinwürfen auf, und sie schreiben dort – ich ­Marquardt, schrieb am 7. September 2018 im SPD-Org- zitiere –: an „Vorwärts“: „Im Kampf gegen rechts braucht die SPD auch die Antifa.“ In Ihrem Kampf gegen rechts – wohl- Die durch die Stadt streifenden Schweine sind für gemerkt nicht gegen Rechtsextremismus, sondern gegen uns nichts weiter als verachtenswerte Subjekte, rechts, eine völlig legitime demokratische Strömung – denen wir … ihre Streifenfahrt zur Gefahr werden haben Sie keinerlei Skrupel, mit Gruppierungen zu ko- lassen. operieren, die vom Verfassungsschutz dem gewaltorien- Im August 2018 stürmen Linksterroristen die Berliner tierten Linksextremismus zugeordnet werden. Das zeigt Senatsjustizverwaltung und bedrohen dort einen Refe- uns doch ganz eindeutig, dass es Ihnen gar nicht um den ratsleiter. Schutz unserer Demokratie geht, sondern nur um den pri- (B) mitiven Erhalt Ihrer Macht (D) Im Dezember 2018 verüben Linksterroristen einen Brandanschlag auf den 5. Strafsenat des BGH in Leipzig. ( [SPD]: Unfug!) Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, dieser mas- und Ihrer finanziellen Mittel, meine sehr verehrten Da- siven linksextremistischen Gefahr für unsere Demokratie men und Herren. und unsere Gesellschaft effektive Maßnahmen entgegen- (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald zusetzen. Sie schafft es nicht einmal, die Internetplatt- [DIE LINKE]: Sie leben echt in einer Paral- form dauerhaft abzuschalten, auf der die Terroristen ihre lelwelt!) Bekennerschreiben veröffentlichen. Durch einen simplen Wechsel der Webdomain umgehen diese Linksextremis- Die Saat Ihrer verbalen Angriffe auf unsere Partei geht ten das Verbot des Innenministers und verbreiten weiter auf. Ein Sprengstoffanschlag gegen ein AfD-Bürgerbüro ihre staatsfeindliche und menschenverachtende Propa- in Döbeln forderte nur deshalb keine Verletzten oder so- ganda, zuletzt sogar ein Sabotagehandbuch, in dem An- gar Toten, weil keine Menschen in der Nähe waren. leitungen zu Zerstörungen von Eigentum und zur Zer- störung der Existenz von AfD-Mitgliedern abgegeben (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie werden bis hin – das muss man sich einmal vorstellen – viele Anschläge gab es auf Flüchtlinge im ver- zum mörderischen Abwurf schwerer Steine von Auto- gangenen Jahr?) bahnbrücken. Und vor wenigen Tagen wurde unser Abgeordneter Frank Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss Magnitz bei einem Angriff schwer am Kopf verletzt. Von endlich Schluss sein. Wir müssen diese Staats- und Men- dieser Stelle aus, lieber Frank, wünsche ich dir – ich hof- schenfeinde mit aller Konsequenz und mit aller Härte be- fe, nicht nur im Namen meiner Fraktion – gute Besserung kämpfen und dürfen nicht, und schnelle Genesung. (Beifall des Abg. Leif-Erik Holm [AfD]) (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) wie einige Politiker aus dem linken Spektrum, diese linksextreme Gewalt mit aggressiver Rhetorik befeuern. Der Kollege Magnitz ist aber beileibe kein Einzelfall. SPD-Vize Ralf Stegner schrieb am 8. Mai 2016 auf Twit- Unser Fraktionsvorsitzender in Rheinland-Pfalz, Uwe ter: Junge, erlitt im August 2016 durch Schläge und Tritte ins Gesicht einen Jochbeinbruch. Der Abgeordnete Kay Fakt bleibt, man muss Positionen und Personal der Gottschalk wurde beim Bundesparteitag in Hannover at- Rechtspopulisten attackieren … tackiert und schwer an der Hand verletzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8775

Martin Hess (A) Unsere Häuser werden beschädigt, unsere Autos ver- Das müssen wir verhindern. Die Zeit des Redens ist de- (C) brannt, unsere Büros demoliert. Damit soll der demokra- finitiv vorbei. Jetzt muss endlich gehandelt werden. Ich tische Diskurs in diesem Land eingeengt werden, und appelliere daher an Sie, unserem Antrag zuzustimmen. damit wird die Meinungsfreiheit, immerhin einer der zentralen Grundpfeiler unserer Demokratie, massiv an- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Das gegriffen. können Sie vergessen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kopfschütteln, Kopfschütteln, (Beifall bei der AfD) Kopfschütteln!) Jeder überzeugte und aufrechte Demokrat steht daher in der Pflicht, sich diesen linksextremistischen Angriffen entschlossen entgegenzustellen. Beweisen Sie, dass Sie Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: es ernst meinen mit der wehrhaften Demokratie. Zeigen Ich teile jetzt zunächst das von den Schriftführerinnen Sie, dass Sie sich auch für die Freiheit von Meinungen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli- einsetzen, die Ihrer eigenen Meinung widersprechen und chen Abstimmung über den von der Bundesregierung vielleicht auch schwer erträglich sein mögen. Aber genau eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung das zeichnet eben einen wahren Demokraten aus. Georgiens, der Demokratischen Volksrepublik Algerien, (Beifall bei der AfD) des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten, Drucksachen 19/5314 und Wenn Sie weiterhin zulassen, dass Linksextremisten 19/6538, mit: 651 Stimmen wurden abgegeben. Mit Ja und Linksterroristen unsere Demokratie und unsere Ge- haben gestimmt 509, mit Nein haben gestimmt 138, es sellschaft gefährden, dann geht jeder weitere Anschlag, gab 4 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit ange- jeder weitere Verletzte und – was Gott verhüten möge – jeder künftige Tote auf Ihr Konto. nommen. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD sowie bei Abgeordneten NEN]: Unverschämtheit!) der CDU/CSU und der SPD)

Endgültiges Ergebnis Silvia Breher Astrid Grotelüschen Torbjörn Kartes Abgegebene Stimmen: 651; Markus Grübel davon Dr. Stefan Kaufmann (B) ja: 509 (D) nein: 138 Dr. Monika Grütters enthalten: 4 Gitta Connemann Fritz Güntzler Michael Kießling Dr . Ja CDU/CSU Marie-Luise Dött Jürgen Hardt Dr. Michael von Abercron Hansjörg Durz Carsten Körber Norbert Maria Altenkamp Hermann Färber Dr. Alexander Krauß Thomas Heilmann Dr. Günter Krings Axel E. Fischer (Karlsruhe- (Chemnitz) Rüdiger Kruse Peter Aumer Land) Michael Kuffer Thomas Bareiß Thorsten Frei Dr. Roy Kühne Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers (Hof) Dr. Ulrich Lange Dr . André Berghegger Hans-Joachim Fuchtel Dr. Ingo Gädechens Alexander Hoffmann Dr . Alois Gerig Dr. Dr. Dr. Hans-Jürgen Irmer Ursula Groden-Kranich Dr. Hermann Gröhe Dr. Michael Brand (Fulda) Klaus-Dieter Gröhler Dr. Michael Grosse-Brömer Anja Karliczek Nikolas Löbel 8776 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Christian Schmidt (Fürth) Annette Widmann-Mauz (C) Dr. Jan-Marco Luczak Bettina Margarethe Nadine Schön Wiesmann Oliver Kaczmarek Klaus-Peter Willsch Johannes Kahrs Dr. Klaus-Peter Schulze Elisabeth Winkelmeier- Dr . Thomas de Maizière Becker (Weil am Dr . Rhein) Hans-Georg von der Marwitz Dr. (Altötting) SPD Christian Lange (Backnang) Dr. Dr . Dr. Ingrid Arndt-Brauer Helge Lindh Björn Simon Dr. Mathias Middelberg Burkhard Lischka Kirsten Lühmann Karsten Möring Dr. Katrin Staffler Dr. Matthias Bartke Dr . Wolfgang Stefinger Dr. Axel Müller Sören Bartol Sepp Müller (Heidelberg) Carsten Müller Susanne Mittag (Braunschweig) Martin Burkert Stefan Müller (Erlangen) Dr. Dr. (Rostock) Siemtje Möller Christian Frhr. von Stetten Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Dr . Georg Nüßlein Michelle Müntefering (B) Dr. Rolf Mützenich (D) Yasmin Fahimi Florian Oßner Dr. Josef Oster Ulli Nissen Dr. Dr . Dr. Dr . Hermann-Josef Tebroke Mahmut Özdemir (Duisburg) Hans-Jürgen Thies Christian Petry Dr. Alexander Throm Dr . Dietlind Tiemann Sigmar Gabriel Dr. Christoph Ploß (Minden) Dr. Dr . Volker Ullrich Angelika Glöckner Timon Gremmels Sönke Rix Alois Rainer Michael Groß Dr. Martin Rosemann Volkmar Vogel (Kleinsaara) Uli Grötsch René Röspel Dr. Rita Hagl-Kehl Michael Roth (Heringen) Johannes Röring Dr. Johann David Wadephul Bernd Rützel Dr. Norbert Röttgen Johann Saathoff (Peine) Axel Schäfer (Bochum) Erwin Rüddel Albert H. Weiler Dr. (Hamburg) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr . Dr. Barbara Hendricks Dr. Dr . Wolfgang Schäuble Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Gabriele Hiller-Ohm (Aachen) (Erfurt) Marian Wendt Dr. Eva Högl Dr. Kai Whittaker Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8777

(A) Dr. Manja Schüle Dr. FDP Dr. (C) Dr . h. c. Christian Sauter (Spandau) Udo Theodor Hemmelgarn Christine Aschenberg- Frank Schäffler Dugnus Dr . Lars Herrmann Frank Sitta Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hess Nicola Beer Dr. Nicole Höchst Dr. Jens Brandenburg Bettina Stark-Watzinger Martina Stamm-Fibich (Rhein-Neckar) Dr. Marie-Agnes Strack- Sonja Amalie Steffen Dr. Zimmermann Leif-Erik Holm (Südpfalz) Benjamin Strasser Dr. Carl-Julius Cronenberg Linda Teuteberg Britta Katharina Dassler Stephan Thomae Markus Töns Norbert Kleinwächter Bijan Djir-Sarai Carsten Träger Christian Dürr Dr . Dr . Jörn König Marja-Liisa Völlers Steffen Kotré Dr. Johannes Vogel (Olpe) Dirk Vöpel Dr. Rainer Kraft Daniel Föst Rüdiger Lucassen Katrin Helling-Plahr Dr. Lothar Maier Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dr . Birgit Malsack- Winkemann Fraktionslos Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Jens Zimmermann Manuel Höferlin Dr. Christoph Hoffmann Hansjörg Müller Nein (B) (D) AfD Volker Münz SPD Dr. Bernd Baumann Sebastian Münzenmaier Jan Ralf Nolte Dr. Dr. Dr . Dr. Jürgen Braun Dr. Bärbel Kofler Marcus Bühl Tobias Matthias Peterka Pascal Kober Matthias Büttner Paul Viktor Podolay Dr. Lukas Köhler Jürgen Pohl Carina Konrad Susann Rüthrich Konstantin Kuhle Martin Erwin Renner Dagmar Schmidt (Wetzlar) Dr. Gottfried Curio Ulrike Schielke-Ziesing Alexander Graf Lambsdorff Dr. DIE LINKE Dr. Jörg Schneider Peter Felser Doris Achelwilm (Heilbronn) Gökay Akbulut Dr . Lorenz Gösta Beutin Dr. Götz Frömming Till Mansmann Matthias W. Birkwald Dr. Dr. Dr . Jürgen Martens Heidrun Bluhm Dr . René Springer Dr . Alexander Müller Dr . Frank Müller-Rosentritt Birke Bull-Bischoff Dr. Jörg Cezanne Armin-Paulus Hampel Dr . (Lausitz) Sevim Dağdelen Mariana Iris Harder-Kühnel Dr . Christian Wirth Verena Hartmann Uwe Witt Dr. 8778 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Anke Domscheit-Berg Tobias Pflüger Katharina Dröge Cem Özdemir (C) Eva-Maria Schreiber Filiz Polat Dr. Petra Sitte Kai Gehring Tabea Rößner Helin Claudia Roth (Augsburg) Katrin Göring-Eckardt Dr. Dr . André Hahn Corinna Rüffer Heike Hänsel Dr . Kirsten Tackmann Matthias Höhn Britta Haßelmann Dr. Bettina Hoffmann Dr. Ulla Jelpke Dr . Stefan Schmidt Andreas Wagner Kordula Schulz-Asche Dr . Dr . Wolfgang Strengmann- Katja Kipping Dr. Kirsten Kappert-Gonther Kuhn Margit Stumpp Sabine Zimmermann Markus Tressel Caren Lay (Zwickau) Sven-Christian Kindler Jürgen Trittin Dr . Ralph Lenkert Stephan Kühn (Dresden) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Christian Kühn (Tübingen) Beate Walter-Rosenheimer Renate Künast Dr. Gesine Lötzsch Luise Amtsberg Markus Kurth Fraktionslos Lisa Badum Sven Lehmann Cornelia Möhring Annalena Baerbock Marco Bülow Dr . Norbert Müller (Potsdam) Dr. Dr. Irene Mihalic Enthalten Zaklin Nastic Canan Bayram Claudia Müller SPD (B) Dr . Alexander S. Neu Dr. Beate Müller-Gemmeke (D) Dr . Dr. Dr. Karl-Heinz Brunner Sören Pellmann Ekin Deligöz Katja Dörner Friedrich Ostendorff

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Hinsichtlich der Abstimmung über den Entschlie- – Ich appelliere noch einmal an die Männer, mehr Haus- ßungsantrag der Abgeordneten Linda Teuteberg, Stephan arbeit zu leisten. – Thomae, Grigorios Aggelidis und weiterer Abgeordneter der Fraktion der FDP zur dritten Beratung des Gesetzent- (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und wurfs der Bundesregierung – den Titel und die Druck- Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE sachennummern lese ich jetzt nicht noch einmal vor – GRÜNEN]) haben die Schriftführer bzw. die Schriftführerinnen und Aber jetzt kommen wir zum von den Schriftführerinnen Schriftführer auch ein Ergebnis ermittelt. und Schriftführern ermittelten Ergebnis: abgegebene (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Stimmen 645. Mit Ja haben gestimmt 150, mit Nein ha- SES 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: ben gestimmt 495. Der Entschließungsantrag ist damit Sehr gut!) abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Ja Peter Boehringer Tino Chrupalla Abgegebene Stimmen: 645; Stephan Brandner Joana Cotar AfD davon Jürgen Braun Dr. Gottfried Curio ja: 150 Dr. Bernd Baumann Marcus Bühl Siegbert Droese nein: 495 Marc Bernhard Matthias Büttner Dr. Michael Espendiller enthalten: 0 Andreas Bleck Petr Bystron Peter Felser Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8779

(A) Dietmar Friedhoff Detlev Spangenberg Till Mansmann Dr. Reinhard Brandl (C) Dr . Anton Friesen Dr. Dirk Spaniel Dr . Jürgen Martens Michael Brand (Fulda) Dr. Götz Frömming René Springer Christoph Meyer Dr. Helge Braun Dr. Alexander Gauland Dr . Alice Weidel Alexander Müller Silvia Breher Dr . Axel Gehrke Dr . Harald Weyel Frank Müller-Rosentritt Sebastian Brehm Albrecht Glaser Wolfgang Wiehle Dr. Martin Neumann Heike Brehmer Franziska Gminder Dr . Heiko Wildberg (Lausitz) Ralph Brinkhaus Wilhelm von Gottberg Dr . Christian Wirth Hagen Reinhold Dr. Carsten Brodesser Armin-Paulus Hampel Uwe Witt Bernd Reuther Gitta Connemann Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Stefan Ruppert Astrid Damerow Verena Hartmann FDP Dr . h. c. Thomas Sattelberger Alexander Dobrindt Dr. Roland Hartwig Grigorios Aggelidis Christian Sauter Michael Donth Jochen Haug Renata Alt Frank Schäffler Marie-Luise Dött Martin Hebner Christine Aschenberg- Dr . Wieland Schinnenburg Hansjörg Durz Udo Theodor Hemmelgarn Dugnus Frank Sitta Thomas Erndl Waldemar Herdt Nicole Bauer Judith Skudelny Hermann Färber Lars Herrmann Jens Beeck Dr. Hermann Otto Solms Uwe Feiler Martin Hess Nicola Beer Bettina Stark-Watzinger Enak Ferlemann Karsten Hilse Dr. Jens Brandenburg Benjamin Strasser Axel E. Fischer (Karlsruhe- Nicole Höchst (Rhein-Neckar) Katja Suding Land) Martin Hohmann Mario Brandenburg Linda Teuteberg Thorsten Frei Dr. Bruno Hollnagel (Südpfalz) Stephan Thomae Dr. Hans-Peter Friedrich Leif-Erik Holm Carl-Julius Cronenberg Manfred Todtenhausen (Hof) Johannes Huber Britta Katharina Dassler Dr . Florian Toncar Michael Frieser Bijan Djir-Sarai Dr . Andrew Ullmann Hans-Joachim Fuchtel Jens Kestner Christian Dürr Gerald Ullrich Ingo Gädechens Stefan Keuter Hartmut Ebbing Johannes Vogel (Olpe) Dr . Thomas Gebhart Norbert Kleinwächter Dr. Marcus Faber Sandra Weeser Alois Gerig (B) Enrico Komning Daniel Föst Nicole Westig Eberhard Gienger (D) Jörn König Otto Fricke Katharina Willkomm Eckhard Gnodtke Steffen Kotré Katrin Helling-Plahr Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Dr. Rainer Kraft Markus Herbrand Fraktionslos Rüdiger Lucassen Torsten Herbst Klaus-Dieter Gröhler Uwe Kamann Jens Maier Katja Hessel Michael Grosse-Brömer Dr . Birgit Malsack- Dr. Gero Clemens Hocker Astrid Grotelüschen Winkemann Manuel Höferlin Nein Markus Grübel Corinna Miazga Dr. Christoph Hoffmann Manfred Grund CDU/CSU Andreas Mrosek Reinhard Houben Oliver Grundmann Hansjörg Müller Ulla Ihnen Dr. Michael von Abercron Monika Grütters Volker Münz Olaf In der Beek Stephan Albani Fritz Güntzler Sebastian Münzenmaier Gyde Jensen Norbert Maria Altenkamp Olav Gutting Christoph Neumann Dr. Christian Jung Peter Altmaier Christian Haase Jan Ralf Nolte Karsten Klein Philipp Amthor Florian Hahn Ulrich Oehme Dr. Marcel Klinge Artur Auernhammer Jürgen Hardt Gerold Otten Daniela Kluckert Peter Aumer Matthias Hauer Frank Pasemann Pascal Kober Thomas Bareiß Mark Hauptmann Tobias Matthias Peterka Dr. Lukas Köhler Norbert Barthle Dr. Matthias Heider Paul Viktor Podolay Carina Konrad Maik Beermann Mechthild Heil Jürgen Pohl Wolfgang Kubicki Veronika Bellmann Thomas Heilmann Stephan Protschka Konstantin Kuhle Dr . André Berghegger Frank Heinrich (Chemnitz) Martin Erwin Renner Alexander Kulitz Melanie Bernstein Rudolf Henke Ulrike Schielke-Ziesing Alexander Graf Lambsdorff Peter Beyer Michael Hennrich Dr. Robby Schlund Christian Lindner Marc Biadacz Marc Henrichmann Jörg Schneider Michael Georg Link Steffen Bilger Ansgar Heveling Thomas Seitz (Heilbronn) Peter Bleser Dr. Heribert Hirte Martin Sichert Oliver Luksic Norbert Brackmann Christian Hirte 8780 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Alexander Hoffmann Marlene Mortler Frank Steffel Doris Barnett (C) Karl Holmeier Elisabeth Motschmann Dr . Wolfgang Stefinger Dr. Matthias Bartke Dr. Hendrik Hoppenstedt Axel Müller Albert Stegemann Sören Bartol Erich Irlstorfer Sepp Müller Andreas Steier Lothar Binding (Heidelberg) Hans-Jürgen Irmer Carsten Müller Sebastian Steineke Leni Breymaier Thomas Jarzombek (Braunschweig) Johannes Steiniger Dr. Karl-Heinz Brunner Stefan Müller (Erlangen) Peter Stein (Rostock) Katrin Budde Ingmar Jung Dr. Andreas Nick Christian Frhr. von Stetten Martin Burkert Alois Karl Petra Nicolaisen Dieter Stier Dr. Lars Castellucci Anja Karliczek Michaela Noll Gero Storjohann Bernhard Daldrup Torbjörn Kartes Dr . Georg Nüßlein Stephan Stracke Dr. Karamba Diaby Volker Kauder Wilfried Oellers Max Straubinger Esther Dilcher Dr. Stefan Kaufmann Florian Oßner Karin Strenz Sabine Dittmar Ronja Kemmer Josef Oster Dr . Peter Tauber Dr . Wiebke Esdar Roderich Kiesewetter Henning Otte Dr . Hermann-Josef Tebroke Saskia Esken Michael Kießling Sylvia Pantel Hans-Jürgen Thies Yasmin Fahimi Dr . Georg Kippels Martin Patzelt Alexander Throm Dr. Johannes Fechner Volkmar Klein Dr. Joachim Pfeiffer Dr . Dietlind Tiemann Dr. Fritz Felgentreu Axel Knoerig Stephan Pilsinger Antje Tillmann Dr. Edgar Franke Dr. Christoph Ploß Jens Koeppen Markus Uhl Ulrich Freese Eckhard Pols Markus Koob Dr . Volker Ullrich Dagmar Freitag Carsten Körber Thomas Rachel Sigmar Gabriel Arnold Vaatz Alexander Krauß Kerstin Radomski Michael Gerdes Oswin Veith Gunther Krichbaum Alexander Radwan Martin Gerster Kerstin Vieregge Dr. Günter Krings Alois Rainer Angelika Glöckner Volkmar Vogel (Kleinsaara) Rüdiger Kruse Eckhardt Rehberg Timon Gremmels Christoph de Vries Dr. Roy Kühne Lothar Riebsamen Kerstin Griese Kees de Vries Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Josef Rief Michael Groß Dr. Johann David Wadephul (B) Katharina Landgraf Johannes Röring Uli Grötsch (D) Marco Wanderwitz Ulrich Lange Dr. Norbert Röttgen Bettina Hagedorn Kai Wegner Dr. Silke Launert Stefan Rouenhoff Rita Hagl-Kehl Albert H. Weiler Jens Lehmann Erwin Rüddel Metin Hakverdi Marcus Weinberg (Hamburg) Paul Lehrieder Stefan Sauer Sebastian Hartmann Dr . Anja Weisgerber Dr. Katja Leikert Anita Schäfer (Saalstadt) Dirk Heidenblut Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Andreas Lenz Dr . Wolfgang Schäuble Hubertus Heil (Peine) Sabine Weiss (Wesel I) Antje Lezius Andreas Scheuer Gabriela Heinrich Ingo Wellenreuther Andrea Lindholz Jana Schimke Wolfgang Hellmich Marian Wendt Dr. Carsten Linnemann Tankred Schipanski Dr. Barbara Hendricks Kai Whittaker Patricia Lips Dr. Claudia Schmidtke Gustav Herzog Annette Widmann-Mauz Nikolas Löbel Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Hiller-Ohm Bettina Margarethe Bernhard Loos Patrick Schnieder Thomas Hitschler Wiesmann Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Dr. Eva Högl Elisabeth Winkelmeier- Daniela Ludwig Felix Schreiner Frank Junge Becker Karin Maag Dr. Klaus-Peter Schulze Josip Juratovic Oliver Wittke Yvonne Magwas Uwe Schummer Thomas Jurk Emmi Zeulner Dr . Thomas de Maizière Armin Schuster (Weil am Oliver Kaczmarek Paul Ziemiak Gisela Manderla Rhein) Johannes Kahrs Dr. Matthias Zimmer Dr . Astrid Mannes Torsten Schweiger Elisabeth Kaiser Hans-Georg von der Marwitz Detlef Seif Ralf Kapschack SPD Andreas Mattfeldt Johannes Selle Gabriele Katzmarek Stephan Mayer (Altötting) Reinhold Sendker Niels Annen Cansel Kiziltepe Dr . Angela Merkel Dr. Patrick Sensburg Ingrid Arndt-Brauer Arno Klare Jan Metzler Thomas Silberhorn Heike Baehrens Lars Klingbeil Dr. Mathias Middelberg Björn Simon Ulrike Bahr Dr. Bärbel Kofler Dietrich Monstadt Tino Sorge Nezahat Baradari Elvan Korkmaz Karsten Möring Katrin Staffler Dr. Katarina Barley Anette Kramme Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8781

(A) Christine Lambrecht Martin Schulz Jan Korte Kai Gehring (C) Christian Lange (Backnang) Swen Schulz (Spandau) Jutta Krellmann Stefan Gelbhaar Dr. Karl Lauterbach Stefan Schwartze Caren Lay Katrin Göring-Eckardt Helge Lindh Andreas Schwarz Sabine Leidig Erhard Grundl Burkhard Lischka Rita Schwarzelühr-Sutter Ralph Lenkert Anja Hajduk Kirsten Lühmann Rainer Spiering Michael Leutert Britta Haßelmann Caren Marks Svenja Stadler Stefan Liebich Dr. Bettina Hoffmann Katja Mast Martina Stamm-Fibich Dr. Gesine Lötzsch Dr . Anton Hofreiter Christoph Matschie Sonja Amalie Steffen Thomas Lutze Ottmar von Holtz Hilde Mattheis Mathias Stein Pascal Meiser Dieter Janecek Dr. Matthias Miersch Claudia Tausend Cornelia Möhring Dr. Kirsten Kappert-Gonther Klaus Mindrup Michael Thews Niema Movassat Uwe Kekeritz Susanne Mittag Markus Töns Norbert Müller (Potsdam) Katja Keul Falko Mohrs Carsten Träger Zaklin Nastic Sven-Christian Kindler Claudia Moll Ute Vogt Dr . Alexander S. Neu Oliver Krischer Siemtje Möller Marja-Liisa Völlers Thomas Nord Stephan Kühn (Dresden) Bettina Müller Dirk Vöpel Petra Pau Christian Kühn (Tübingen) Detlef Müller (Chemnitz) Gabi Weber Sören Pellmann Renate Künast Michelle Müntefering Bernd Westphal Victor Perli Markus Kurth Dr. Rolf Mützenich Dirk Wiese Tobias Pflüger Monika Lazar Dietmar Nietan Gülistan Yüksel Bernd Riexinger Sven Lehmann Ulli Nissen Dagmar Ziegler Eva-Maria Schreiber Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Thomas Oppermann Stefan Zierke Dr. Petra Sitte Dr. Irene Mihalic Josephine Ortleb Dr. Jens Zimmermann Helin Evrim Sommer Mahmut Özdemir (Duisburg) Kersten Steinke Claudia Müller Friedrich Straetmanns Beate Müller-Gemmeke Christian Petry DIE LINKE Sabine Poschmann Dr . Kirsten Tackmann Ingrid Nestle Florian Post Doris Achelwilm Jessica Tatti Dr. Konstantin von Notz Gökay Akbulut (B) Achim Post (Minden) Alexander Ulrich Omid Nouripour (D) Dr. Sascha Raabe Kathrin Vogler Friedrich Ostendorff Martin Rabanus Lorenz Gösta Beutin Andreas Wagner Cem Özdemir Andreas Rimkus Matthias W. Birkwald Harald Weinberg Lisa Paus Sönke Rix Heidrun Bluhm Hubertus Zdebel Filiz Polat Dennis Rohde Michel Brandt Pia Zimmermann Tabea Rößner Dr. Martin Rosemann Christine Buchholz Sabine Zimmermann Claudia Roth (Augsburg) René Röspel Birke Bull-Bischoff (Zwickau) Dr. Manuela Rottmann Dr. Ernst Dieter Rossmann Jörg Cezanne Corinna Rüffer Michael Roth (Heringen) Sevim Dağdelen BÜNDNIS 90/ Manuel Sarrazin Susann Rüthrich Fabio De Masi DIE GRÜNEN Ulle Schauws Bernd Rützel Dr. Diether Dehm Luise Amtsberg Dr. Frithjof Schmidt Sarah Ryglewski Anke Domscheit-Berg Kerstin Andreae Stefan Schmidt Johann Saathoff Klaus Ernst Lisa Badum Kordula Schulz-Asche Axel Schäfer (Bochum) Susanne Ferschl Annalena Baerbock Dr . Wolfgang Strengmann- Dr. Nina Scheer Brigitte Freihold Margarete Bause Kuhn Marianne Schieder Sylvia Gabelmann Dr. Danyal Bayaz Margit Stumpp Dr. Nils Schmid Nicole Gohlke Canan Bayram Markus Tressel Uwe Schmidt Dr . André Hahn Dr. Franziska Brantner Jürgen Trittin Ulla Schmidt (Aachen) Heike Hänsel Agnieszka Brugger Dr . Julia Verlinden Dagmar Schmidt (Wetzlar) Matthias Höhn Dr . Anna Christmann Daniela Wagner Carsten Schneider (Erfurt) Andrej Hunko Ekin Deligöz Beate Walter-Rosenheimer Johannes Schraps Ulla Jelpke Katja Dörner Gerhard Zickenheiner Michael Schrodi Kerstin Kassner Katharina Dröge Dr. Manja Schüle Dr . Achim Kessler Harald Ebner Fraktionslos Ursula Schulte Katja Kipping Matthias Gastel Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 8782 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Damit setzen wir die Aussprache über den Antrag der tremismus irgendwie Verständnis haben. Wir lehnen alles (C) AfD fort. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Mathias gleichermaßen ab. Middelberg, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sieht ja nicht jeder so!) (CDU/CSU): Dr. Mathias Middelberg Politische Straftaten sind immer eine ganz schwierige Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Sache, weil sich die Täter durch ihre Ideologie – manch- Kollegen! Wir sollten in der Debatte wieder etwas dif- mal auch vorgeschobene Ideologie – in besonderer Weise ferenzierter werden. Aber es stimmt: Die linksextreme gerechtfertigt fühlen und weil im Unterschied zur All- Gewalt und die politisch motivierte Kriminalität von tagskriminalität nicht nur die jeweiligen Opfer betroffen links in Deutschland machen uns Sorgen. Die Zahlen sind, sondern häufig ganze Gruppen von Personen in der für 2017 im Verhältnis zu denen für 2016 zeigen, dass Gesellschaft, die sich aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit, das Gesamtstraftataufkommen politisch motivierter Kri- ethnischen Herkunft, Religion oder sexuellen Orientie- minalität von links um 3,9 Prozent gewachsen ist. Bei rung durch solche Straftaten bedroht fühlen und letzten den politisch motivierten Gewalttaten, also Tötungs- und Endes auch Angst entwickeln. Deswegen gefährden Körperverletzungsdelikten, haben wir einen Anstieg um solche politisch motivierten Straftaten unsere freiheit- 15,6 Prozent zu verzeichnen; Ereignisse wie G 20 sind lich-demokratische Grundordnung insgesamt, und des- angesprochen worden. Es gibt also einen Anstieg auch wegen stellen wir uns diesen Straftaten mit besonderer linksextremistischer Gewalt. Dem müssen wir uns stel- Härte und mit besonderer Konsequenz. len; aber dem stellen wir uns auch sehr konsequent. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wir handeln aber nicht nur gegen links, sondern gegen Burkhard Lischka [SPD]) alle Formen des Extremismus. Ganz gleich, ob er von links, von rechts oder religiös motiviert ist: Wir verurtei- Das zeigt, dass wir am Ende nicht differenzieren dür- len alle Formen des Extremismus gleichermaßen fen. Es war richtig, dass wir über Chemnitz, über die Straftaten, die es dort gegeben hat, die Ausfälle, nicht nur (Zuruf von der AfD: Wir auch!) die Hitlergrüße, sondern auch andere Dinge – ob es jetzt und gehen gegen all diese Formen vor. Hetzjagden waren, spielt keine Rolle –, hier im Haus klar und deutlich gesprochen haben. Die Durchsetzung des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Rechts und das Gewaltmonopol dieses Staates sind nicht ordneten der SPD, der AfD und der FDP) (B) relativierbar, ganz gleich, aus welcher Richtung die Be- (D) drohung kommt, ob von links oder von rechts. Schon seit 2012 gibt es das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum, die Kommunikations- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und plattform für Polizei und Nachrichtendienste auf Bundes- der SPD) und auf Länderebene. Wir steigern den Personalbestand beim Bundeskriminalamt. Das beinhaltet auch den Per- Ich habe mich gefreut – das sage ich Ihnen ganz deut- sonalaufwuchs im Bereich der „PMK-links“ um 54 Stel- lich –, dass die Leute, die da den Hitlergruß gezeigt ha- len. Und wir haben mit dem Verbot der Internetplattform ben, zwei Wochen später vor dem Richtertisch standen. linksunten.indymedia.org gehandelt. Wir haben bisher Es ist richtig so, dass unser Rechtsstaat schnell reagiert. noch keine veritablen Erkenntnisse darüber, dass die Be- treiber der neuen Plattformen, die ähnliche Namen füh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ren, mit den Betreibern der verbotenen Plattform iden- ordneten der FDP) tisch sind und dieses Vereinsverbot umgangen wird; aber wir beobachten die Szene weiter sehr aufmerksam. Im Aber ich sage auch ganz klar in alle Richtungen dieses Übrigen ist die Bundeszentrale für politische Bildung im Hauses: Wenn Steine oder Flaschen geworfen werden Vorfeld tätig. Das alles ist auch richtig so. oder sonst wie Gewalt angewandt wird, darf es überhaupt keine Rolle spielen, ob sich das gegen einen Flüchtling, Ich will aber klarstellen: Es gibt nicht nur Extremis- gegen einen Polizeibeamten – wie bei G 20 – oder ge- mus von links, sondern genauso auch Extremismus von gen irgendwelche Politiker, ob von links oder von rechts, politisch rechts oder mit religiös-ideologisch motivier- von der AfD oder von sonst wem, richtet. Das alles sind tem Hintergrund. Die Straftaten von der rechten Seite miese und fiese Straftaten, die dringend und hart verfolgt sind zuletzt um 13 Prozent zurückgegangen. Ihre Zahl gehören. ist aber insgesamt höher als die von linksextremistischer Seite. Die Zahl der Straftaten mit religiös-ideologischem (Beifall der CDU/CSU, der SPD, der AfD und Hintergrund ist um fast 53 Prozent gestiegen. Insgesamt der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜND- ist ihre Zahl noch kleiner, aber die Steigerung macht uns NISSES 90/DIE GRÜNEN) besondere Sorgen. Es darf keine Unterschiede geben. Genauso klar, wie Dies alles ist kein schöner Befund. Jede extremisti- wir über Chemnitz gesprochen haben, müssen wir auch sche Straftat ist eine zu viel. Kein Extremismus – um das über G 20 und die Taten im Hambacher Forst sprechen. klar und deutlich zu sagen – ist besser oder schlechter als Zwillenschüsse auf Polizeibeamte, das Werfen von Mo- ein anderer, und man muss auch für keine Form von Ex- lotowcocktails, Brandstiftungen und Fäkalienwürfe auf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8783

Dr. Mathias Middelberg (A) Polizisten sind keine Aktivitäten von Aktivisten, sondern haben diese Menschen Respekt und auch unseren Schutz (C) Straftaten, die verfolgt gehören. verdient. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ab- (Beifall bei der FDP und der AfD sowie des solut!) Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]) Wir verfolgen unseren konsequenten Kurs weiter, ge- Wir erleben aber leider – das ärgert mich besonders –, gen rechts wie gegen links. Zahlenmäßig gibt es da übri- dass es Vertreterinnen und Vertreter demokratischer Par- gens gar keinen Unterschied. Laut Verfassungsschutzbe- teien in unserem Land gibt, die linksextreme Gewalt richt gibt es in Deutschland 24 000 Rechtsextreme und bewusst oder unbewusst relativieren oder gar verharm- 28 000 Linksextreme. Bei den Rechtsextremen ist der losen. Wenn der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag Anteil gewaltorientierter etwas höher, bei den Linksex- von Schleswig-Holstein, Herr Ralf Stegner, nach den tremen etwas geringer. Aber im Grunde macht es wenig G‑20-Randalen in Hamburg ernsthaft erklärt – ich zitie- Unterschied. Gegen beide Gruppierungen und auch ge- re –: „Ideologisch gesehen ist die Verherrlichung von Ge- gen religiös motivierte Gruppierungen werden wir weiter walt eher rechte Gesinnung. Schwarzer Block und Hooli- konsequent vorgehen, mit der Stärkung unseres Rechts- gans sind Kriminelle – keine Linken!“, dann verharmlost staats, mit einer wehrhaften Demokratie und mit dem das linksextreme Gewalt in unserem Land. Pakt für den Rechtsstaat, den wir hier im Haus in seinen (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der einzelnen Schritten regelmäßig beraten. Diesen Kurs – AfD) gegen links, gegen rechts und gegen religiös Motivier- te – werden wir konsequent fortsetzen. Wenn Polizistinnen und Polizisten im Hambacher Forst von Autonomen mit Steinen, Molotowcocktails und Fä- Herzlichen Dank. kalien beworfen werden, dann ist das kein kreativer Pro- test, sondern linksextreme Gewalt in unserem Land. Ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- erwarte von Demokratinnen und Demokraten, dass sie ordneten der SPD) dazu nicht schweigen oder das nur floskelhaft bedauern, sondern dass sie entschieden widersprechen. Das erwarte Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ich gerade auch von den linken demokratischen Parteien in unserem Land. Nächster Redner ist der Kollege Benjamin Strasser, FDP. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so- wie bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der FDP) (B) Denn eines ist klar – das haben wir vorhin wieder er- (D) lebt –: Verharmlosung und Relativierung nützen nur ei- Benjamin Strasser (FDP): ner Partei in diesem Hohen Haus, und die sitzt hier am Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und rechten Rand. Kollegen! Wir haben zweifelsohne ein Problem mit Damit wären wir dann auch bei der AfD. Das, was Linksextremismus in Deutschland. Besonders besorgt Sie hier abgezogen haben, ist doch sehr bemerkenswert. mich, dass wir es laut Verfassungsschutzbericht mit einer Ihr vermeintlicher Kampf gegen den Linksextremismus steigenden Anzahl gewaltbereiter Linksextremisten zu dient eigentlich nur dazu, Ihre eigenen Probleme mit tun haben. Das kann jeden Demokraten und jede Demo- Rechtsextremen in Ihrer Partei, mit den braunen Flecken, kratin in diesem Land nicht kaltlassen, vor allem, weil es in Deutschland zu kaschieren und die Scheinwerfer ent- ein jahrelanger Trend ist, den wir beobachtet haben. sprechend auf den Linksextremismus zu werfen. Wir als Freie Demokraten haben in unserer (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schwarz-gelben Regierungszeit reagiert und die Mittel der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und für Maßnahmen im Kampf gegen Linksextremismus ent- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sprechend erhöht. Umso bedauerlicher ist es, Herr Kolle- ge Middelberg, dass es Ihre Fraktion, die Union, gemein- Sie stellen einen wohlfeilen Antrag gegen Linksextre- sam mit der SPD war, die ab dem Jahr 2013 diese Mittel mismus ins Schaufenster, und Björn Höcke bzw. die wieder zurückgefahren hat. Das waren verlorene Jahre Junge Alternative dekoriert Ihren Laden so braun, dass im Kampf gegen Linksextremismus. jetzt der Verfassungsschutz tätig werden muss. (Beifall bei der FDP und der AfD) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können auch Im Auftrag!) nicht die Augen davor verschließen, wenn Linksextreme Aber die Spitze der Scheinheiligkeit sind die inhaltli- in diesem Land Gewalt zunehmend nicht nur gegen Sa- chen Forderungen in Ihrem Antrag. Am letzten Montag chen, sondern auch gegen Menschen und insbesondere durften wir erleben, dass Sie wahrheitswidrig behaupten, die Polizei- und Einsatzkräfte in unserem Land verüben. die anderen demokratischen Parteien hätten Einfluss auf Sie sind es nämlich, die die Knochen für unsere offene die Entscheidung über die Beobachtung durch den Ver- Gesellschaft hinhalten. Sie sind es, die dafür sorgen, dass fassungsschutz genommen. in Deutschland nicht das Gesetz der Straße, sondern das Gesetz des Staates zur Anwendung kommt. Deswegen (Lachen bei der AfD) 8784 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Benjamin Strasser (A) Frau Weidel behauptete sogar, Herr Maaßen sei nur des- Eines will ich auch klarstellen – hören auch Sie gerne (C) wegen abgelöst worden. Drei Tage später stellen Sie ei- zu, Herr Strasser –: Es war diese Koalition und es waren nen Antrag, in dem Sie die Bundesregierung auffordern, SPD-Familienministerinnen, die die Mittel im Kampf ein Vereinsverbot zu erlassen. Damit wollen nun Sie über gegen politischen Extremismus seit 2013 Jahr für Jahr den Deutschen Bundestag politischen Einfluss auf die aufgestockt haben. Entscheidung der Bundesregierung nehmen, nur weil Ih- nen das nicht passt. (Beifall bei der SPD – Benjamin Strasser [FDP]: Sie haben doch die Extremismusklau- (Jürgen Braun [AfD]: Das ist parteipolitisch sel abgeschafft! Das waren doch Sie!) beeinflusst und nichts anderes!) Was gilt denn jetzt, Frau Weidel? Soll man nur einschrei- Die Mittel im Kampf gegen den politischen Extremismus ten, wenn es Ihnen politisch opportun ist? Oder sollen sind heute so hoch, unsere Sicherheitsbehörden nach Recht und Gesetz ent- (Jürgen Braun [AfD]: Sie bezahlen Extremis- scheiden? Ich habe Vertrauen in unsere Sicherheitsbehör- mus!) den, dass sie genau das tun. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD wie sie es in der Geschichte des Landes noch nie waren. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Merken Sie sich das! Vielleicht haben Sie sich in der Vor- bereitung auf Ihre Rede auch verlesen. Im Endeffekt – ich komme zum Schluss, Herr Präsi- dent – wird der Kampf gegen Extremismus nicht nur von Natürlich – das ist völlig unstrittig – ist jede Form des Sicherheitsbehörden geführt, sondern von allen Demo- Extremismus zu verurteilen. kratinnen und Demokraten in diesem Land. Deswegen liegt es auch an uns Parlamentariern, entsprechend zu (Jürgen Braun [AfD]: Sie sind für Extremis- handeln. Populismus und Extremismus leben von Proble- mus und nicht gegen Extremismus!) men. Es liegt an uns, diese Probleme zu lösen und diesen Aber ich sage schon seit vielen Jahren und sage es Ihnen Leuten hier im Parlament den Nährboden zu entziehen. gerne heute noch einmal: Ein Vergleich von Linksextre- Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. mismus und Rechtsextremismus verbietet sich gerade in unserem Land. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – La- (B) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: chen bei der AfD – Jürgen Braun [AfD]: Sie (D) Uli Grötsch, SPD, ist der nächste Redner. sind ein Verfassungsfeind!) (Beifall bei der SPD) Es gibt in Deutschland drastisch viel mehr gewaltorien- tierte Rechtsextreme als Linksextreme. Uli Grötsch (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie sind Kollegen! Etwas irritierend ist es schon, dass die AfD ein Verfassungsfeind, nichts anderes! – Ge- gerade in dieser Woche einen Antrag in den Deutschen genruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Bundestag einbringt, mit dem sie vorgibt, die Demokra- LINKE]: Gut zuhören jetzt!) tie schützen zu wollen. Warum das nicht nur vom Zeit- punkt her schräg ist, sondern warum dieser Antrag zum Wir hatten im Jahr 2017 trotz der hohen Zahlen durch Schutz der Demokratie genauso ungeeignet ist wie die den G‑20-Gipfel in Hamburg dreimal mehr Straftaten, ganze Partei oder Fraktion zum Schutz der Demokratie, die politisch rechtsextrem motiviert waren, als linksex- will ich Ihnen aber gern kurz darstellen. trem motivierte. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Es wird immer bes- (Jürgen Braun [AfD]: Der linksradikale Kreis ser!) der SPD spricht gerade hier!) Denen den Schutz unserer Demokratie zu überlassen, die dieses Land so, wie es ist, und das friedliche Zusam- Natürlich ist jeder Tote einer zu viel. Natürlich ist jede menleben in unserem Land ablehnen, wäre so, als würde Straftat eine zu viel. Aber ich nenne Ihnen gerne einmal man einem Einbrecher den Schlüssel zu seiner Wohnung die Zahlen: Seit 1990 hat der Linksextremismus tragi- überlassen. scherweise vier Menschenleben gekostet. Im gleichen Zeitraum hat der Rechtsextremismus 194 Menschenle- (Hansjörg Müller [AfD]: Stuss!) ben gekostet, sehr geehrte Damen und Herren. Das ist ein Ich sage Ihnen: Sie können uns, einer Partei, die von Punkt, der hier Erwähnung finden sollte. Kommunisten genauso verfolgt wurde wie von Rechts- Wenn wir über Zahlen und die Entwicklung von Zah- extremisten, ganz bestimmt nichts über Extremismusprä- len reden, wird 2016 sogar noch deutlicher, wo die Pro- vention erzählen, sehr geehrte Damen und Herren von bleme des politischen Extremismus in unserem Land lie- der AfD. gen. 2016 hatten wir nämlich viermal so viele Straftaten, (Beifall bei der SPD) die mit rechtsextremistischem Hintergrund begangen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8785

Uli Grötsch (A) wurden, wie wir Straftaten hatten, die linksextremistisch Aber ich kann Sie beruhigen, sehr geehrte Damen und (C) motiviert waren. Herren von der AfD. Auch den Linksextremismus haben unsere Sicherheitsbehörden auf dem Schirm. Ich erinne- (Jürgen Braun [AfD]: Afghanen, die den Hit- re an das rigorose Vorgehen gegen die Randalierer beim lergruß zeigen!) G‑20-Gipfel in Hamburg und an die hohen Strafen der Ihr Vergleich ist vor allem deshalb brandgefährlich, Gerichte, die folgten. Was Sie mit „verstärktem Vorge- weil er schwerste Verbrechen relativiert, die Rechtsex- hen“ in Ihrem vorliegenden Antrag konkret meinen, las- treme in diesem Land verübt haben, Stichwort „Natio- sen Sie im Ungewissen. Sie sind eben nur kurz darauf nalsozialistischer Untergrund“. Ich denke auch, ganz ak- eingegangen, Herr Hess. Hoffentlich meinen Sie nicht so tuell, an die NSU-Opferanwältin Seda Basay-Yildiz, die etwas wie den Einsatz vom November 2018 in der Ri- Drohbriefe von einem sogenannten NSU 2.0 erhalten hat, gaer Straße in Berlin, wo die Polizei mit 560 Mann, mit in den offenbar sogar Polizeibeamte verstrickt sind. Das einem Hubschrauber und Spezialkräften nach 4 Tatver- sind die Probleme, mit denen wir uns im Zusammenhang dächtigen gesucht hat. Wenn Sie das mit entschlossenem mit dem politischen Extremismus zuallererst befassen Handeln meinen, dann sollten Sie dringend noch einmal müssen. in sich gehen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Es geht Ihnen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht darum, gegen Demokratiefeinde vorzugehen und unsere Demokratie zu schützen; denn Sie lehnen unser Um es klar zu sagen: Die wahre Gefahr in unserem Land, so wie es ist – das haben Sie zuletzt auf Ihrem Eu- Land kommt immer noch von rechts. Deshalb darf ropaparteitag wieder deutlich gemacht –, einfach ab. Sie Linksextremismus niemals mit Rechtsextremismus auf selbst sind die Feinde der Demokratie. eine Stufe gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was?) Herr Kollege, der Kollege Hess würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Es ist schon immer schändlich – es ist auch am heuti- gen Tage schändlich –, den Versuch zu unternehmen, Uli Grötsch (SPD): den Scheinwerfer von rechts nach links zu drehen, weil so rechts die Dunkelheit entsteht, die wohl den Begriff Es gibt in Ihrer Fraktion nur einen, von dem ich eine „Dunkeldeutschland“ vor ein paar Jahren geprägt hat. Zwischenfrage zulasse. Sie sind es nicht, Herr Hess. – (B) Wir werden weiterhin unser Augenmerk auf den Rechts- Ich lasse die Frage nicht zu, Herr Präsident. (D) extremismus richten, auch wenn es Sie womöglich schmerzt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Dr. Alice Weidel [AfD]: Was sind das für Dr. Alexander Gauland [AfD]: Können wir billige Plattitüden, die Sie da von sich geben! mal wissen, wer das ist? – Jürgen Braun Das ist doch peinlich!) [AfD]: Die SPD missachtet die Regeln des Parlaments, niemand sonst!) Um es ganz deutlich zu sagen: Nichts rechtfertigt Ge- walt gegen Politiker. Auch ich wünsche Ihrem Kollegen Ich komme zum Schluss. Ich habe Verständnis dafür, baldige Genesung und verurteile den Angriff. dass Sie derzeit sehr nervös sind – das hat man auch im Innenausschuss in dieser Woche gesehen –, weil Sie das (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Bundesamt für Verfassungsschutz als Prüffall einstuft. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ach, hören Sie doch Aber wie verzweifelt müssen Sie sein, dass Sie Angriffe auf! – Jürgen Braun [AfD]: Sie sind unkol- auf Kollegen Ihrer Fraktion ausschmücken müssen? Von legial und linksradikal, Herr Grötsch! Nichts wegen „mit Kantholz geschlagen“, von wegen „am Bo- weiter! – Hansjörg Müller [AfD]: Gucken Sie den noch nachgetreten“! Wir haben das Video doch alle doch mal in den Spiegel!) gesehen. Sie haben bewusst gelogen, weil Sie als Opfer – Bleiben Sie ruhig! – Auf über 440 Seiten hat das BfV linker Gewalt dastehen wollten. mit den Landesverfassungsschutzämtern Material zu- (Dr. Helge Braun [CDU/CSU]: Lenken Sie sammengetragen, das verfassungsfeindliche Tendenzen nicht ab von der linksextremen Gewalt!) belegt. Wir haben jetzt schwarz auf weiß, dass Sie die Feinde der Demokratie sind. Seien Sie sich sicher: In der Das ist doch der Antrieb, der dahintersteckt. Die Mär- nächsten Zeit kommt es bei Ihnen auf jedes Wort an, das tyrerkrone verdienen Sie ganz bestimmt nicht. Was da Sie sagen oder schreiben. Wir sind wachsam, seien Sie getan wurde, ist einfach nur schändlich. sich dessen gewahr. Und: Wir sind mehr! (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Unverschämtheit! – Jürgen (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Braun [AfD]: Das ist Heuchelei!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 8786 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Gebäude von Medien und Parteibüros in ganz Deutsch- (C) Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. André land an. Eine Mitarbeiterin der Tageszeitung „taz“ wurde Hahn, Die Linke. von Rechtsextremisten bedrängt und verletzt. Der Staats- schutz ermittelt wegen Hausfriedensbruch und gefährli- (Beifall bei der LINKEN) cher Körperverletzung. Diese Angriffe auf Journalisten und Zeitungsredaktionen sind absolut inakzeptabel. So Dr. André Hahn (DIE LINKE): etwas darf es nicht geben. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem schon etwas Kurioses, wenn eine Partei das Thema Ex- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- tremismus auf die Tagesordnung setzt, die wegen unüber- geordneten der CDU/CSU) sehbarer rechtsextremistischer Tendenzen inzwischen selbst vom wahrlich nicht linksorientierten Bundesamt Ich füge hinzu: Ich habe von der AfD dazu kein einziges für Verfassungsschutz als Prüffall eingestuft wird. Wort der Kritik gehört. Mit Ihren teils offen rassistischen Äußerungen, mit nationalistischen und geschichtsrelati- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem vierenden Aussagen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann man wohl (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) so sagen! – Jürgen Braun [AfD]: Herr Hahn, Ihrer Mitglieder und Funktionäre und mit immer neuen Sie haben es eher mit der Stasi! Reden Sie mal Grenzüberschreitungen versuchen Sie, die Grenzen des- über die Stasi!) sen, was in diesem Land gesagt und getan werden darf, Die AfD verfolgt mit ihrem vorliegenden Antrag er- Stück für Stück nach rechts zu verschieben. Und ich füge kennbar zwei Ziele. Zum einen will sie von ihren eigenen hinzu: Vor allem die Unionsfraktion darf sich nicht dazu rechtsextremistischen Strömungen und Führungsperso- verleiten lassen, diesen Wettbewerb mitzumachen. Sie nen ablenken. kann und wird ihn nicht gewinnen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Getrof- Die AfD sät Hass gegen Minderheiten, sie hetzt gegen fene Hunde!) Andersaussehende und Andersliebende. Zum anderen will sie jene diskreditieren und von staatli- (Jürgen Braun [AfD]: Sie träumen von der Na- cher Förderung abschneiden, die sich gegen Rassismus, tionalen Front! Sie wollen die Nationale Front Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus mit fried- zurück!) (B) lichen Mitteln zur Wehr setzen. Das werden wir Ihnen (D) nicht durchgehen lassen. Das ist übrigens ein Grund, warum Menschen vor Par- teitagen der AfD demonstrieren wie am letzten Sams- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- tag. Trotz teils heftigem Regen waren es in Riesa fast NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- 1 500 Menschen. ten der SPD) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Die übergroße Mehrheit der Menschen in unserem Land neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN steht für Toleranz, Weltoffenheit und ein friedfertiges Eu- und der Abg. Susann Rüthrich [SPD] – La- ropa für alle, und das ist auch gut so. chen bei Abgeordneten der AfD) Für meine Fraktion will ich ganz eindeutig erklären: Auch dort wurden linke Krawalle von Ihnen geradezu Die Linke ist gegen jede Form von Gewalt, herbeigeredet. Es gab ein riesiges Polizeiaufgebot. Inner- (Lachen bei der AfD) städtischen Händlern wurde von offizieller Seite sogar geraten, ihre Läden zu schließen. Die Demo ging letzt- egal, von wem sie ausgeht, und egal, gegen wen sie ge- lich mitten durch die Fußgängerzone, eine Einkaufsstra- richtet ist. ße, wo die meisten Geschäfte zum Glück geöffnet waren. (Beifall bei der LINKEN) Passiert ist nichts, absolut gar nichts! Sozialdemokraten, Grüne, Linke, Kirchenleute und Antifaschisten haben Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinanderset- völlig friedlich demonstriert. zung und darf es auch nie werden. Gleichwohl insze- niert sich die AfD gerne als Opfer linker Gewalt, und das (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kommt nicht von ungefähr; denn dieser Opfermythos ist neten der SPD) geradezu sinnstiftend für diese Partei. Er ist von zentra- Doch halt: Einen Zwischenfall gab es. Vor dem Ta- ler Bedeutung für ihr Selbstverständnis und insbesondere gungsort der AfD, wo die Reden der Gegendemonstran- für ihre Selbstdarstellung. ten stattfinden sollten, kamen plötzlich zwei schwarz ge- Meine Damen und Herren, reden wir doch einmal über kleidete Gestalten hinzu. das Verhältnis der AfD zum Extremismus. Am Montag (Jürgen Braun [AfD]: Das waren Ihre Provo- dieser Woche griffen Mitglieder der sogenannten Iden- kateure!) titären Bewegung, die der AfD-Bundestagsabgeordnete Bystron gern als „Vorfeldorganisation der AfD“ bezeich- Einer hob die Hand zum Hitlergruß, ein anderer soll ein net, in einer bundesweit konzertierten Aktion zahlreiche T ‑Shirt mit Hakenkreuz unter der Jacke getragen haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8787

Dr. André Hahn (A) Dass das einige Demonstranten empörte, ist nachvoll- gen fast 10 Prozent aller AfD-Abgeordneten bundesweit (C) ziehbar. strafrechtliche Ermittlungen gab oder gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!) Die Polizei bekam die Situation aber schnell in den Griff. Da geht es etwa um Körperverletzung, um Volksverhet- (Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]) zung oder um Beleidigung. Meine Damen und Herren, – Ja, auch wenn Sie es nicht gerne hören wollen: Nicht wir können wirklich von Glück reden, dass die Krimina- linke Extremisten haben dort provoziert, sondern Leute litätsrate in der Bevölkerung nicht annähernd so hoch ist direkt aus dem Umfeld Ihres AfD-Parteitages. wie die in der AfD. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ach, hören Sie doch (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der auf!) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Aber dazu kam von Ihnen kein Wort der Kritik. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der war gut, André!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Reden wir schließlich über Menschen, die alltäglich GRÜNEN) Hetze und Gewalt befürchten oder erleben müssen. Im Jahr 2018 gab es über 100 Übergriffe auf Flüchtlings- Wir als Linke haben uns hingegen sofort und entschie- unterkünfte und fast 1 500 Angriffe auf Asylsuchende den vom Angriff auf den AfD-Abgeordneten Magnitz außerhalb ihrer Unterkünfte. distanziert. (Jürgen Braun [AfD]: Es spricht die Sozialis- (Abg. Jan Ralf Nolte [AfD] meldet sich zu tische Einheitspartei Deutschlands!) einer Zwischenfrage) Es sind nicht zuletzt die AfD und ihre Hilfstruppen, die dafür mitverantwortlich sind. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Hahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Dr. Alice Weidel [AfD]: Natürlich!) Und es ist leider auch Innenminister Seehofer, der mit Dr. André Hahn (DIE LINKE): höchst fragwürdigen Äußerungen der AfD in die Hände (B) Nein, das möchte ich jetzt nicht. spielt. (D) (Zuruf von der AfD: Lügen Sie weiter!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben uns klar distanziert vom Angriff auf Ihren Wer beim Thema Asyl ständig eine neue Sau durchs Dorf Abgeordneten, der durch nichts zu rechtfertigen ist. treibt, wer die Migration zur „Mutter aller Probleme“ er- klärt, der trägt zu einer weiteren Spaltung unserer Gesell- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schaft bei. Damit muss Schluss sein! neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Ist Ihnen das eigentlich nicht peinlich, Ich füge aber hinzu: Es ist schwer hinnehmbar, wie die was Sie von sich geben? Das ist doch unglaub- AfD diesen Vorfall massiv für ihre politischen Zwecke lich peinlich!) ausschlachtet. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aller- dings!) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Es ist gut, dass Sie zum Schluss kommen!) Da war von einem Mordanschlag die Rede, obwohl die Videoaufnahmen zeigten, was tatsächlich passiert ist. Herz statt Hetze, das sollte unser aller Motto sein. Des- halb werden wir als Linke weiterhin konsequent jeden (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE], an die gewaltfreien Widerstand gegen die Politik der AfD un- AfD gewandt: Gelogen, dass sich die Balken terstützen. biegen, habt ihr!) Herzlichen Dank. Parteichef Meuthen sprach von Linksterror, obwohl bis zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht klar ist, ob die Tat über- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alice Weidel haupt politisch motiviert war. [AfD]: Natürlich! Das sehen wir!) (Jürgen Braun [AfD]: Das ist eindeutig! – Hansjörg Müller [AfD]: Es gibt ein Bekenner- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schreiben!) Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. Reden wir doch mal über das Verhältnis der AfD zum Rechtsstaat. Ich erlaube mir den Hinweis, dass es ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 8788 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann sieht man nämlich, dass Landfriedensbruch, das (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen hauptsächliche Deliktfeld von Linksextremisten in der und Kollegen! Die AfD hat wieder einmal tief in die PMK-Statistik als Gewalttat bewertet wird, aber Bedro- Zahlenkiste gegriffen und sich dabei genau das heraus- hung und Nötigung zum Beispiel nicht. Aber in diesem gepickt, was ihr am besten in den Kram passt. Heraus- Deliktbereich gibt es ein deutliches Übergewicht von gekommen ist ein Antrag, ein wildes Sammelsurium aus rechtsmotivierten Taten. Aber Differenzierungen – das einzelnen Vorgängen, jeder Menge Polemik und Halb- habe ich inzwischen verstanden – sind ja nicht so Ihr wahrheiten. Das alles hat mit einem ernsthaften Ringen Ding. Sie haben es ja eher mit Gesamtzahlen. In diesem um die beste politische Lösung nicht das Geringste zu Zusammenhang habe ich noch etwas für Sie: In Ihrem tun. Ihnen geht es hier um pure Stimmungsmache. Antrag nennen Sie die Steigerung von 3 229 auf 6 393 erfasste Straftaten im Bereich Linksextremismus zwi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen 2012 und 2017. Aber was Sie nicht sagen, ist, dass sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Rechtsextreme jährlich 20 000 Straftaten verüben. Im Jahr 2016 waren es sogar 22 471. Ja, wo bleibt denn da Dabei bestreitet niemand, dass wir es mit einer viel die Einordnung? zu hohen Zahl an politisch motivierten Straf- und Ge- walttaten zu tun hatten. Damit haben wir uns auch hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Parlament schon intensiv beschäftigt; wenn ich an die und bei der LINKEN sowie des Abg. Uli Debatten über Chemnitz oder die Blockupy-Proteste in Grötsch [SPD]) Frankfurt in der letzten Wahlperiode erinnern darf. Aber Ihre Darstellung, wir hätten es nahezu ausschließlich mit Ganz zu schweigen von den politisch motivierten Tö- einer linksextremistischen Bedrohung zu tun, ist völlig tungsdelikten. Da schweigen Sie ganz laut, und Sie wis- absurd und entbehrt jeder Grundlage. sen auch ganz genau, warum. Uli Grötsch hat es vorhin angesprochen: Jedes Opfer ist eines zu viel. Darin sind (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir uns hier hoffentlich alle einig. Wenn man sich aber sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die unterschiedlichen Phänomenbereiche in den letzten Jahrzehnten anschaut, dann wird klar, dass das hochrele- Allein schon Ihre Ausgangsfeststellung im Antrag – vant ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. „zunehmende Gewalt durch Linksextremisten“ – ist schlichtweg falsch. Wenn Sie schon Zahlen aus der Po- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lizeilichen Kriminalstatistik anführen, dann wäre es gut, sowie bei Abgeordneten der SPD) wenn Sie da einmal etwas genauer hingeschaut hätten. Gerade von Ihnen, Herr Hess – Sie sind Polizeibeam- In den offiziellen Zahlen sind die zehn Mordopfer des (B) ter –, hätte ich etwas mehr Sachkenntnis im Umgang mit NSU noch nicht einmal aufgeführt, weil sie eben falsch (D) der Polizeilichen Kriminalstatistik erwartet. eingeordnet worden sind. Auch die neun Todesopfer des Münchner Amoklaufs werden bis heute nicht als Opfer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, eines rechtsmotivierten Täters eingestuft, obwohl sogar bei der SPD und der LINKEN) ein Gutachten, das die Stadt München dafür eigens in Aber ich helfe Ihnen da gerne weiter. Auftrag gegeben hat, den rechtsmotivierten Hintergrund glasklar belegt. Allzu oft wird ein rechtsextremistisches Der Höhepunkt linkextremer Gewalttaten war das oder ein rechtsmotiviertes Tatmotiv von den Behörden Jahr 2015 – das schreiben Sie ja auch in Ihrem Antrag –; in irgendeiner Art und Weise wegdefiniert oder die Tat aber diese Zahl von 2 246 Taten wurde danach, selbst irgendwelchen verwirrten Einzeltätern zugeschrieben. im Jahr 2017, dem Jahr des G-20-Gipfels in Hamburg, Das erleben wir aktuell zum Beispiel beim Attentäter von nicht mehr erreicht. Wenn man genauer in die Zahlen zu Bottrop. den Gewalttaten schaut, dann kommt man zu weiteren Differenzierungen, die Ihr Antrag im Übrigen nicht im Nein, meine Damen und Herren, wir müssen uns Entferntesten widerspiegelt. So gibt es vor allem in den keine Sorgen machen – das zeigt auch ein Blick in die Jahren 2016 und 2017 jeweils deutlich mehr Körperver- Geschichte –, dass sich unsere Sicherheitsbehörden zu letzungen aus dem Bereich politisch motivierte Krimina- wenig mit dem Linksextremismus, aber dafür zu intensiv lität rechts als links. 2016 gab es 916 Körperverletzungen mit dem Rechtsextremismus befassen. durch linksmotivierte, aber 1 393 durch rechtsmotivier- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- te Täter. 2017 hatten wir 661 Körperverletzungen links, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) aber 961 rechts. Und die Zahlen für 2018, die wir Grünen mit Stand Oktober abgefragt hatten, bestätigen diesen Auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht weist Trend. Da hatten wir nämlich 224 Körperverletzungen 22 linksextreme Gruppierungen aus; im Bereich Rechts- links, aber 557 rechts. extremismus werden gerade einmal 10 beobachtet. Da- ran wird schon sehr deutlich, wo sehr genau hingeschaut Sie sehen also, dass es nicht besonders aussagekräf- wird und wo vielleicht eher nicht. tig ist, einfach nur die Gesamtzahl gegeneinander auf- zurechnen. Man muss sich schon wirklich die Details Also, ersparen Sie uns bitte Ihre dilettantischen, auf anschauen. gefährlichem Halbwissen basierenden Anträge! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8789

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: Linksextremismus vor. Ihnen gelten Respekt und Aner- (C) Frau Mihalic, gestatten Sie eine Zwischenfrage? kennung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Linksextremismus ist eine Plage, die es nicht nur Ich gestatte keine Zwischenfrage. Ich komme nämlich verbal zu verurteilen, sondern mit jedem rechtsstaatlichen jetzt zum Schluss. Mittel zu bekämpfen gilt. Er greift die freiheitlich-demo- (Zurufe von der AfD: Oh!) kratische Grundordnung und somit unser Gemeinwesen an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz registriert die Wir dürfen uns natürlich nicht damit zufriedengeben. Ausweitung der Ziele, der Handlungsfelder des Linksex- Wir müssen alles tun, um jede extremistische Gewalt in tremismus und auch die Steigerung der Zahl der Aktiven die Schranken zu weisen. Das tun wir selbstverständlich im linksextremistischen Milieu. Das linksextremistische am besten, indem wir versuchen, mit unseren politischen Personenpotenzial ist 2017 um knapp 4 Prozent auf ins- Entscheidungen das gesellschaftliche Klima positiv zu gesamt 29 500 Personen angewachsen. Der Zuwachs an beeinflussen. gewaltorientierten Linksextremisten betrug dabei 6 Pro- zent. Körperverletzungen, Brandstiftungen, Sachbeschä- (Lachen bei der AfD) digungen, Blockaden, Landfriedensbruch, Angriffe auf Polizeibeamte – das sind nur einige der gefährlichen Dazu gehört eben Zusammenhalt statt Spaltung und To- Aktivitäten von links. Die Täter: Antiglobalisten, Anti- leranz, statt Ausgrenzung. Darum muss es hier gehen. faschisten, Antikapitalisten, selbsternannte Antirassisten, Ganz herzlichen Dank. alle möglichen Splittergruppen, trotzkistische Sekten, kurzum: gewaltbereite Antidemokraten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Und wir? Wir müssen regelmäßig vor diesen Gefahren gewarnt werden und dagegen vorgehen. Das ist ein Ver- dienst des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das sich Vizepräsident Thomas Oppermann: engagiert dem Kampf gegen links stellt. Und es ist ein Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der Verdienst der CDU/CSU-Fraktion, die dies auch ohne die CDU/CSU ist der Abgeordnete Marian Wendt. AfD in all den Jahren immer wieder thematisiert hat und hier im Plenum vorgetragen hat. Dem neuen Präsidenten (Beifall bei der CDU/CSU) Haldenwang wünsche ich für seine neue Aufgabe alles (B) Gute. Wir werden gemeinsam den Kampf gegen Extre- (D) Marian Wendt (CDU/CSU): misten fortsetzen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat Kollegen! Es ist fast rührend: Die Lieblingsbeschäfti- auch in letzter Zeit bereits viel getan, um linksextremisti- gung der AfD, die Wiedergabe der Kremlpropaganda, sche Aktivitäten im Internet und in den sozialen Medien musste der vermeintlichen Sorge um Extremismus wei- zu bekämpfen. So wurde unter Thomas de Maizière die chen. Die AfD hat zu diesem TOP ein Russland-Pamphlet Website linksunten.indymedia bereits im August 2017 durch einen diffusen Text zum Linksextremismus ersetzt. verboten. Das muss weitergehen; wir unterstützen diesen Das Ziel ist klar: Die AfD lässt keine Gelegenheit aus, Weg. um sich zum Opfer zu stilisieren. Dabei ist sie selbst ein „Prüffall“ für den Verfassungsschutz. Jens Maier, (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der der selbsternannte „kleine Höcke“, wurde aus meiner AfD: Das ist doch gelogen!) Sicht zu Recht wegen rassistischer Beleidigung auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 15 000 Euro verurteilt. Ich Ich sage auch: Für ein konsequentes Vorgehen gegen denke, die Demokratie und der Rechtsstaat müssen nicht linksextremistische Webseiten sind auch die Länder mit- nur vor linken Gewalttätern, sondern vor allem auch vor verantwortlich. Hier braucht es, koordiniert durch den der AfD geschützt werden, liebe Kolleginnen und Kol- Bund, eine noch stärkere Zusammenarbeit, um dieser legen. Plage, wie gesagt, Herr zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Meine Damen und Herren, die Bekämpfung des ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Linksextremismus ist ein zentrales Anliegen der Uni- DIE GRÜNEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Das on. So konnten wir im Koalitionsvertrag unsere genuine haben Sie aber schön gesagt!) Forderung nach nachhaltiger Absicherung von qualitativ guten Programmen zur Demokratieförderung und Ex­ Der Antrag spekuliert darauf, Bund und Länder wür- tremismusprävention sowie den Ausbau unserer erfolg- den den Linksextremismus vernachlässigen. Ein ganz reichen Programme, unter anderem gegen diese Art von frisches Beispiel, warum das nicht stimmt: Vor weni- Extremismus, verankern. gen Tagen wurde die Durchsuchung des Black Triangle in Leipzig durchgeführt. Dies ist einzig und allein dem Engagement der sächsischen sowie der Bundespolizei zu Vizepräsident Thomas Oppermann: verdanken. De facto wurde damit das Objekt geräumt. Herr Wendt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Wir gehen konsequent mit unseren Einsatzkräften gegen Kollegen Hampel? 8790 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Marian Wendt (CDU/CSU): mobilisiert links und umgekehrt; so entsteht Extremis- (C) Immer zu. mus. Eine starke Mitte hingegen, die heute nur die Uni- onsfamilie darstellt, Armin-Paulus Hampel (AfD): (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der FDP Herr Kollege Wendt, stimmen Sie mir zu, dass Sie die und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Seite linksunten.indymedia und andere ähnliche Seiten Benjamin Strasser [FDP]: Das ist der Witz mit dem gleichen Inhalt heute nach wie vor im Internet des Tages, Herr Kollege! – Dr. Irene Mihalic finden? – Nummer eins. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau mein Und: Können Sie mir sagen, warum Sie seit Jahren Humor!) in der Regierungsverantwortung nichts gegen diese Seite ist einzig und allein in der Lage, den Links- und Rechts- unternommen haben, obwohl dort zu Terroranschlägen extremismus politisch zu neutralisieren. Lassen Sie uns aufgerufen wurde, Mordaufrufe erfolgt sind und selbst deshalb den Antrag der AfD ablehnen und vielmehr die gegen Ihren Parteifreund in der Berliner CDU Mordhetze Politik der Bundesregierung in der Bekämpfung des betrieben worden ist? Können Sie mir sagen, warum Sie Linksextremismus unterstützen. überhaupt so viele Jahre gebraucht haben, um da einen Staatsanwalt aktiv werden zu lassen? Stimmen Sie mir Vielen Dank. zu, dass die Seiten nach wie vor im Internet zu lesen und zu empfangen sind? (Beifall bei der CDU/CSU)

Marian Wendt (CDU/CSU): Vizepräsident Thomas Oppermann: Herr Hampel, Thomas de Maizière hat die Seite Als Nächste spricht für die Fraktion der FDP die Kol- linksunten.indymedia im letzten Jahr verboten, sie ist legin Linda Teuteberg. von deutschen Servern gelöscht. In einem Rechtsstaat, den unser Land nun einmal darstellt, können wir nicht (Beifall bei der FDP – Dr. Irene Mihalic auf die Server in anderen Ländern zugreifen. Wir können [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau dies durch Kooperation machen; da sind wir dabei. Wir Teuteberg ist auch nicht in der Mitte!) können aber nicht, wie Ihnen das vielleicht vorschwebt, die Kavallerie schicken oder einfach einmarschieren und Linda Teuteberg (FDP): die Server kaputtmachen. Wir handeln als Rechtsstaat. Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen (Christoph de Vries [CDU/CSU]: Da kom- und Kollegen! Es ist richtig und notwendig, Linksextre- (B) (D) men die Russen zu Hilfe!) mismus in Deutschland zu bekämpfen. Es gibt ein Pro- Das mag Ihnen nicht schmecken; aber so funktioniert blem mit linker Gewalt, mit extremistischen Strukturen das in unserem Land. Diesen Weg, den rechtsstaatlichen und Organisationen in den sogenannten alternativen Weg, werden wir konsequent weitergehen. Dort, wo die- Milieus. Da ist nichts aufgebauscht, wie Frau Schwesig se Dinge im Ausland lagern, werden wir Entsprechendes mal meinte, man muss nur hinsehen. Der demokratische tun. Sie können vielleicht Herrn Putin fragen, ob er zu Rechtsstaat darf auf keinem Auge blind sein – nicht auf dieser Kooperation bereit ist. dem rechten und auch nicht auf dem linken. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Alice Weidel [AfD]: Was ist das für eine der CDU/CSU) unfassbar dumme Antwort!) Für Parteien ist dieser Anspruch zwar wünschenswert, Ich glaube, sehr viele Server, die unsere Sicherheit be- aber nicht verpflichtend. Anders kann man sich nicht er- drohen, stehen in diesem Land. Dann wäre uns sehr ge- klären, dass die AfD sich einerseits über linken Extremis- holfen. – Vielen Dank. mus beschwert, aber gleichzeitig über rechte Netzwerke und extremistische Äußerungen in den eigenen Reihen (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- großzügig hinwegsieht. NIS 90/DIE GRÜNEN) Damit bin ich bei einem weiteren Punkt: Es hilft nicht, (Beifall bei der FDP – Zuruf von der AfD: nur nach Verboten zu suchen. Nein, wir müssen auch Stimmt doch gar nicht!) weiterhin die Befugnisse der Sicherheitsbehörden stär- Allerdings würde ich mir wünschen, dass auch von der ken. Es braucht Quellen-TKÜ, es braucht Onlinedurch- linken Seite des Hauses genauso auf extremistische Ent- suchungen, es braucht Verantwortung von Internet- und wicklungen in der linken Szene geblickt wird Mobilfunkprovidern, um die Ermittlungen gegen Links- und Rechtsextremisten weiter zu unterstützen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Aber ich sage grundsätzlich an uns alle gerichtet auch: der CDU/CSU) Das probate Mittel gegen links, ja gegen jede Art von und man sich nicht wie bei den Krawallen in Hamburg Extremismus ist die Stärkung der Mitte. Der Rechtspo- noch als Schutzmacht vor linke Gewalttäter stellt. Ich er- pulismus der AfD hilft hier nicht; er ist sogar schädlich. innere da an bürgerkriegsähnliche Szenen in Hamburg. Rechtsgerichtete Parolen und eine vermeintlich konser- vative Hetze feuern die Linksextremisten nur an. Rechts (Beifall des Abg. Hansjörg Müller [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8791

Linda Teuteberg (A) Wer hier auf dem linken Auge blind ist, der verliert auch Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) an Glaubwürdigkeit, wenn er zu Recht rechten Extremis- Bitte sehr. mus kritisiert.

(Beifall bei der FDP) Jan Ralf Nolte (AfD): Es gibt keine ethische Überlegenheit einer Variante Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Bemerkung des gewaltbereiten Extremismus gegenüber einer ande- zulassen. – Sie haben viel Richtiges über Linksextremis- ren. Wer über die rechtsextremen Entwicklungen reden mus gesagt, aber auch Falsches über die AfD. Auf der will, der darf über Linksextremismus nicht schweigen. Seite des Verfassungsschutzes kann man nachlesen, dass Dazu muss man sich zum Beispiel nur die Nähe der „Ro- in die Bewertung unserer Partei auch der Umstand mit ten Hilfe“ vor allem zur Linkspartei anschauen, einer Or- eingeflossen ist, dass wir uns von klar extremistischen ganisation, die Linksextreme vor Gericht gegen die Auf- Personen und Personenzusammenschlüssen distanzieren. lage unterstützt, dass diese im Anschluss ihren militanten Kampf gegen unsere Republik fortsetzen und nicht mit (Konstantin Kuhle [FDP]: Sein Mitarbei- den Behörden kooperieren. Aus gutem Grund wird in- ter ist doch bei der Identitären Bewegung! – zwischen auch ein Verbot der „Roten Hilfe“ geprüft. Die Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Behörden sind hier eben nicht einäugig, einige parteipo- GRÜNEN]: Ihr Mitarbeiter ist bei den Iden- litische Akteure schon. titären! Sie können mal ruhig sein! – Weite- rer Zuruf: Sie sind ein schlechter Kronzeuge, (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Elisabeth Herr Kollege!) Motschmann [CDU/CSU]) Haben Sie das nicht gewusst, oder haben Sie das hier mit Es gibt wahrlich viele Dinge, die bei unseren Sicher- Absicht weggelassen? heits- und Nachrichtendiensten besser funktionieren könnten. Darüber sprechen wir mit bedauerlicher Re- gelmäßigkeit im Innenausschuss und in manchen Unter- Linda Teuteberg (FDP): suchungsausschüssen. Aber ein Ungleichgewicht in der Herr Kollege, jeder von uns kann hier seine Auffas- Aufmerksamkeit gegenüber Links- oder Rechtsextremis- sung zum Ausdruck bringen – Sie Ihre, ich meine. mus kann ich da nicht erkennen. Dass Linke und Rechte wechselseitig genau das beklagen, sich also Extremisten Vielen Dank. aller Farben ungerecht behandelt fühlen, bestätigt eher, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dass manches doch richtig gemacht wird. der CDU/CSU) (B) (D) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Thomas Oppermann: Allerdings: Vor aller Diskussion um Prüfungen oder gar Vielen Dank. – Als Nächster redet Hans-Jürgen Irmer Verbote als Ultima Ratio des Rechtsstaats steht unsere für die Fraktion der CDU/CSU. Verantwortung – mein Kollege Benjamin Strasser hat das betont – dafür, wie wir diskutieren und handeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Zwei Grundsätze sind dabei wichtig: Gegen Antide- mokraten zu sein, macht einen selbst noch nicht zum De- Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): mokraten; dazu gehört mehr. Hochverehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur DNA der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehört es – das gilt für ten der CDU/CSU – Armin-Paulus Hampel jeden einzelnen Abgeordneten im Hessischen Landtag, [AfD]: Sehr kluger Satz!) aber auch in allen anderen bundesdeutschen Landta- Und: Das Gewaltmonopol des Staates und die Durchset- gen –, Extremismus, gleich welcher Art, zu bekämpfen. zung des Rechts sind nicht relativierbar – ohne Wenn und (Zuruf von der LINKEN: Roland Koch!) Aber. Ob Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamis- Vielen Dank. mus: spielt überhaupt keine Rolle. Extremismus ist per (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten se immer schlecht, und deshalb muss er konsequent be- der CDU/CSU) kämpft werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsident Thomas Oppermann: ordneten der SPD und der FDP) Frau Teuteberg – jetzt ist es eigentlich zu spät –, ge- statten Sie eine Zwischenbemerkung von Herrn Nolte Meine Damen und Herren, was in unserer Gesell- von der AfD? schaft leider – zumindest partiell – fehlt, ist der antitota- litäre Grundkonsens, wonach gegen Extremisten jedwe- der Farbe mit derselben Konsequenz und nach denselben Linda Teuteberg (FDP): Maßstäben vorzugehen ist. Es ist für die weitere Ent- Ja, klar. wicklung der Demokratie ein gefährliches Spiel, wenn 8792 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Hans-Jürgen Irmer (A) eine Spielart des Extremismus unter Artenschutz gestellt „Hütte“ abgefackelt wird und er vor seiner vernichteten (C) und verharmlost wird. Existenz steht? Ausgerechnet von denen, die angeblich den kleinen Mann vertreten, die gegen das Großkapital, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Globalisierung und die Weltpolitik sind. Nein, mei- der AfD) ne Damen und Herren, so weit reicht der Verstand dieser Lieber Kollege Grötsch, bei aller großen Wertschät- Leute nicht. zung persönlicher Art: Wenn Sie sagen, der Linksextre- mismus sei im Prinzip weniger gefährlich als der Rechts- (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie extremismus, dann ist das schon eine Art Relativierung, bei Abgeordneten der FDP – Canan Bayram die ich nicht akzeptieren kann. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie jetzt Ihren Koalitionspartner?) (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP) Ich habe mir im Umfeld dieser Demonstrationen Dem Opfer ist es völlig egal, ob es aus rechtsradikalen einmal einige aufgetauchte Flugblätter angeschaut und oder linksradikalen Motiven heraus attackiert worden ist. möchte vier, fünf Sätze aus diesen Flugblättern zitie- ren, die zeigen, wie enthemmt diese Menschen auf der Im Übrigen, Kollege Hahn, ist es ja bezeichnend, dass linksradikalen, linksextremistischen Seite sind. Ich zitie- Sie zwar zum Rechtsextremismus etwas gesagt haben – re erstens: „Die Bullen sind Schweine.“ Zweitens: „Ein was im Grunde genommen per se richtig ist –; aber Sie Dutzend Lanzen könnten eine Demospitze erfolgreich haben zum Thema Linksextremismus bezeichnenderwei- vor anstürmenden Polizisten schützen.“ Drittens: „Völ- se nichts gesagt. Leider ist das Thema Linksextremismus lig unterrepräsentiert sind derzeit die Zwillen … Schüsse ein beredtes, aktuelles Thema. Ich nehme das Thema direkt auf die Cops dürften psychologisch wertvoll sein, „Hambacher Forst“, ich nehme das Thema „G 20 Ham- da diese erhebliche Schmerzen verursachen …“ Viertens: burg“, und ich nehme auch das Thema „EZB Frankfurt“. „Jeder physische Angriff auf Staat und Kapital, und sei Meine Damen und Herren, wenn Sie dort persönlich als es nur das Anspucken eines Bullen, ist ein kleiner Riss in Familie betroffen sind, weil eine Tochter bei dieser De- monstration als Polizeibeamtin im Einsatz war, dann der demokratischen Unterdrückungskultur.“ werden Sie manches anders bewerten als theoretisch (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von außen betrachtet. Dann schauen Sie den ganzen Tag NEN]: Wo ist denn das her? Das habe ich noch Fernsehen, um zu sehen: Was passiert denn möglicher- nicht gesehen!) weise mit den Polizeibeamten, mit dem eigenen Kind? Was passiert mit den Hilfskräften, die Menschen zu Hil- (B) Und das Letzte: „Besonders gut und effektiv können wir (D) fe rufen mussten, weil sie von linken Störern attackiert uns für die Zukunft Seile vorstellen, um unsere Demos worden sind: als Feuerwehrkameraden, als Hilfsorgani- zu schützen.“ sation der weißen Hilfsdienste und anderes mehr? Das geht nicht! (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Man muss sich auch einmal anschauen, welches Waf- NEN]: Sagen Sie mal die Quelle!) fenarsenal dort zur Verfügung stand – ich will Ihnen nur einige Beispiele nennen –: Rohrbomben, Stromfallen, Genau das ist im Übrigen in Frankfurt passiert. umgesägte Strommasten, Sprengsätze, Molotowcock- tails, Leuchtraketen, Eisenstangen, Zwillen, Steine, Dann, meine Damen und Herren, kommt eine Gullys, Flaschen, Hakenkrallen, Böller. Dazu kommt: SED-Nachfolgepolitikerin wie Katja Kipping und erklärt das Zerstechen von Reifen, Lösen von Radmuttern, Ab- am Beispiel Hamburg, wir hätten dort eine marodierende fackeln von Autos. Meine Damen und Herren, hat sich Polizei. Und Frau Kollegin Mihalic spricht davon, dass jemand von diesen Hirnlosen einmal Gedanken darüber die Hamburger Polizei zur Eskalation erheblich beigetra- gemacht, dass in jeder Uniform ein Mensch steckt, ein gen habe. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich vor die Familienvater, eine Mutter, Polizei stellen und ihr Dank und Anerkennung für ihre geleistete Arbeit aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der Menschen, die nichts anderes machen, als für die Si- FDP) cherheit und Freiheit in diesem Staat einzutreten, für un- sere Freiheit, für unsere Sicherheit? Das hätte Ihre Arbeit sein sollen, und nicht, die Arbeit in letzter Konsequenz zu desavouieren. Ich möchte im Hat sich jemand einfach mal Gedanken darüber ge- Namen dieses Hauses, zumindest im Namen meiner macht, was aus einem schwerverletzten Polizeibeam- Fraktion, allen Polizeibeamten herzlich Dank und An- ten wird, der in jungen Jahren aus Verletzungsgründen erkennung sagen für das, was sie jeden Tag für unsere den Dienst quittieren und mit einer reduzierten Pension Sicherheit leisten. auskommen muss? Hat sich jemand Gedanken darüber gemacht, was es für eine vierköpfige Familie bedeutet, Herzlichen Dank. wenn ihr mühsam erarbeitetes Auto abgefackelt wird? Hat sich jemand Gedanken darüber gemacht, was es für (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD so- den Besitzer eines kleinen Ladens bedeutet, wenn seine wie bei Abgeordneten der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8793

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: Wenn es gegen andere gerichtet wäre, würde Sie das The- (C) ma überhaupt nicht interessieren. Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kol- lege Helge Lindh. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Abg. Martin Hess [AfD] meldet sich zu einer Zwi- (Beifall bei der SPD) schenfrage)

Helge Lindh (SPD): Vizepräsident Thomas Oppermann: Herr Lindh, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischenbemerkung eines Kollegen von der AfD? Sie gaben mir mit Ihrer Rede gerade das Stichwort. Sie sprachen über die Situation von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Am 24. Dezember 2018, also ausge- Helge Lindh (SPD): rechnet am Heiligen Abend, rief in meiner Stadt – Wup- Jetzt nicht. Vielleicht im Fortlaufenden noch, aber ich pertal – die rechtsextremistische Partei „Die Rechte“ zu möchte in meinem Fluss weiterkommen. einer Demonstration auf. Thema der Demonstration war (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der unverhohlen eine Attacke seitens der Rechten gegen die CDU/CSU und der LINKEN) Polizei, die angeblich bei Demonstrationen der Partei „Die Rechte“ zu scharf vorgegangen sei und deren De- Sehr geehrte Damen und Herren, Geißel der Instru- monstrationsrecht unterbunden hätte. Wer war denn bei mentalisierung – die haben Sie gar nicht erfunden – ist, der Gegendemonstration versammelt? Ich war da. Viele dass man das eine mit dem anderen verrechnet: Links- Mitglieder des mittigen bis linken Spektrums waren da. extremismus mit Rechtsextremismus mit Fundamenta- Aber Politikerinnen und Politiker der AfD waren nicht lismus. Die AfD hat doch immer erklärt, sie wolle sich gegenwärtig. Wenn es Ihnen so wichtig wäre, sich für die gegen die Altparteien und gegen solche, in Ihrem Jargon Polizei einzusetzen und gegen Extremismus zu kämpfen, wahrscheinlich: Umtriebe wenden. Was Sie machen, ist hätten Sie in erster Reihe an diesem Tag stehen müssen, aber zutiefst altparteiisch, weil Sie klassische und nicht erst recht am 24. Dezember. Aber niemand von Ihnen die schönsten Spiele der Politik spielen und selber das war da. Niemand. eine gegen das andere ausspielen wollen. Gerade das ist doch dumm, und Sie machen damit das Beste für Poli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- tikverdrossenheit und das Wenigste, um Demokratie in KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- diesem Land zu stärken. NEN) (B) (Beifall bei der SPD) (D) Deshalb, glaube ich, ist es jetzt Zeit, hier einmal ganz Instrumentalisierung ist aber auch deshalb das Stich- nüchtern und aufklärend zu wirken. Ich nenne drei Stich- wort, weil Ihr Antrag genau zu einem Zeitpunkt kommt, worte. Das erste Stichwort ist Instrumentalisierung, das an dem bekannt wird, dass gegen die AfD ein Prüfpro- zweite, wenn die Zeit es noch zulässt, Statistikspiele, und zess beim Bundesamt für Verfassungsschutz eingeleitet das dritte ist das Klima, denn Extremismus wird aus ei- wird und dass die Junge Alternative, die JA, und auch die nem Klima hervorgebracht. Strömung Der Flügel als Verdachtsfall eingeschätzt wer- den. Das ist eine komische zeitliche Inzidenz, würde ich Zum ersten Stichwort, der Instrumentalisierung: Sie sagen; sehr auffallend. Dabei sollten Sie eigentlich dem erwähnten vorhin, dass einige Politikerinnen und Politi- Präsidenten des Bundesamtes dankbar sein; denn er hat ker, unter anderem auch meine Kollegin Högl, einen Auf- Ihnen den Gefallen getan, sehr differenziert und sehr auf- ruf gegen die AfD unterzeichnet hätten. Ich muss sagen, klärend zu sagen, dass Sie erst einmal Prüffall sind und dass mich das stolz macht. noch nicht Verdachtsfall. Aber es kann noch schlimmer kommen, befürchte ich. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Denn das steht in bester Tradition der Sozialdemokra- tischen Partei, die sich immer, auch unter größten Be- Des Weiteren weise ich, wenn Sie hier so deut- schwernissen, gegen Populismus und gegen Extremis- lich von Linksextremismus sprechen, auch darauf hin, mus gewandt hat. dass unlängst die Landtagsabgeordneten Beckamp und ­Tillschneider bei der Identitären Bewegung in Halle auf- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) getreten sind und darüber diskutiert haben, wie sich denn die AfD vorm Verfassungsschutz schützen könne. Das Sie, Herr Hess, haben das aber eben damit begründet, sind alles seltsame Vorgänge, wenn man sich doch so ge- dass das ein Aufruf war, der gegen Ihre Partei gerichtet gen Linksextremismus einsetzen will. ist, und da sind wir beim Thema Instrumentalisierung. Es (Beifall bei Abgeordneten der SPD) geht doch gar nicht um Extremismus. Es interessiert Sie Extremismus – auch Linksextremismus – nur, wenn es Dann finde ich in Ihrem Antrag auch noch folgende gegen Sie geht, wenn es gegen Sie gerichtet ist. Bemerkung: Sie fordern unter 3. eine Kommission aus Sicherheitsexperten und Linksextremismusforschern, die (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Weil unsere Leu- dafür sorgen soll, dass so einer – ich zitiere – zunehmen- te zusammengeschlagen werden!) den Salonfähigkeit von Linksextremismus entgegenge- 8794 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Helge Lindh (A) wirkt werden kann. Weiter steht da, die Bundesregierung sierenden Rechtsextremismus im Umfeld der AfD be- (C) solle Maßnahmen zur erhöhten medialen Aufklärung kämpfen. Das wäre die richtige Tat. ergreifen und ein starkes Demokratieverständnis wieder Vielen Dank. fester in der Mitte der Gesellschaft verankern. Jetzt frage ich mich: Wenn wir dieselben Forderungen Sie betref- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fend erhoben hätten, was meinen Sie, was Sie für einen der CDU/CSU und der LINKEN) Aufruhr veranstaltet hätten? (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Bevor ich dem letzten Redner in dieser Zum Zweiten frage ich: Was ist das für ein Demokra- Debatte das Wort gebe, lasse ich eine Kurzintervention tiebild? Sie berufen sich doch darauf, dass Sie die Stim- des Abgeordneten Martin Hess von der AfD zu. me des Volkes und der Bevölkerung seien. Und jetzt un- terstellen Sie derselben Bevölkerung, sie sei nicht scharf genug gegen den Linksextremismus und brauche ein Martin Hess (AfD): stärkeres Demokratieverständnis. Das ist unpatriotisch. Vielen Dank, Herr Präsident. – Kollege Lindh, zu- Ich kann das nicht nachvollziehen. nächst mal finde ich es bemerkenswert, dass sich ein Mitglied Ihrer Partei und ehemaliger Polizeibeamter hier (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf vorne hinstellt und allen Ernstes den Linksextremismus von der AfD: Da klatscht ja selbst bei Ihrer ei- verharmlost. genen Partei kaum einer!) (Ulli Nissen [SPD]: Unfug!) Des Weiteren – das gehört auch zum Bereich Instru- mentalisierung, und damit komme ich jetzt zur Statis- Die Polizisten in diesem Land, ihre Angehörigen, werden tikfrage – weisen Sie in Ihren Forderungen darauf hin, wissen, wie sie das zu bewerten haben. dass wir einen explodierenden Linksextremismus hätten. (Beifall bei der AfD – Uli Grötsch [SPD]: Wenn wir aber in die Zahlen gehen, sehen wir: Das Spiel Wissen wir auch!) gibt dies gar nicht her, sondern es ist differenziert. Die Zahl der rechten Taten ist sehr hoch – da haben Sie in Im Übrigen bin ich doch sehr erstaunt, dass die CDU der Tat recht –, weil sehr viele davon Propagandadelikte hier nicht entsprechend interveniert. Ich finde es schon sind, die es so auf der linken Seite nicht gibt. Die Zahl der befremdlich, mit welchen Leuten Sie hier eine Regie- linken Taten ist – und das erwähnen Sie nicht – besonders rungskoalition machen. hoch durch den einmaligen Faktor des Landfriedens- (Ulli Nissen [SPD]: Was für ein Quatsch!) (B) bruchs angesichts des G‑20-Gipfels. Auch diese Tatsache (D) muss man erwähnen. Herr Lindh, Sie haben uns unterstellt, es ginge uns um uns selbst. Nein, es geht uns nicht um uns selbst. Links­ (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das machen die terroristen legen in stetiger Regelmäßigkeit deutsche In- jedes Jahr am 1. Mai!) nenstädte in Schutt und Asche. Wenn man beides ausblendet und sich zum Beispiel (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der die Zahlen zu Körperverletzungen ansieht, dann stellt LINKEN) man fest, dass es im Jahr 2017 – das sind Zahlen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sich berufend auf Davon betroffen sind nicht nur Polizeibeamte, sondern das BKA – 904 rechtsextremistisch und 499 linksex­ davon betroffen sind auch und vor allem unbeteiligte tremistisch motivierte Körperverletzungen gab. Das ist Bürger; Beispiele sind vorhin schon vonseiten der CDU zumindest nicht Ausweis dessen, dass der Linksextre- genannt worden. mismus ein wesentlich größeres Problem als der Rechts- Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen und auch zu extremismus war. verstehen, dass Linksextremismus genau aufgrund dieser Tatsache eine massive Gefahr für unsere Demokratie, für (Beifall bei Abgeordneten der SPD) das Zusammenleben in unserer Gesellschaft darstellt und Deshalb rate ich allen hier: Beenden wir diese Spiele dass es uns bei diesem Antrag eben nicht um uns selbst des Gegeneinanderausspielens von Linksextremismus geht? und Rechtsextremismus! Es geht auch nicht darum, wer (Beifall bei der AfD) Aufrufe gegen welche Partei formuliert und dass man sich deswegen plötzlich gegen Extremismus wehrt. Ex- tremismus ist keine linke, keine sozialdemokratische, Helge Lindh (SPD): keine grüne, keine liberale, keine christdemokratische, Herr Hess, zuhören hilft manchmal der Erkenntnisfin- keine alternativ-deutsche Frage, sondern eine Frage des dung. Selbstverständnisses dieses Landes und dieser Demokra- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der tie. Wenn es Ihnen wirklich um die Demokratie in diesem Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜND- Land gehen würde, dann würden Sie nicht tagtäglich für NIS 90/DIE GRÜNEN]) ein Klima sorgen, durch das jede Form von Extremismus in diesem Land gefördert wird, sondern Sie würden in Ich habe eben in den sechs Minuten meiner Rede dafür einem Akt des Patriotismus für unser aller Vaterland in plädiert – bei Ihnen offensichtlich nicht erfolgreich –, Ihren eigenen Reihen aufräumen und endlich den gras- dass wir dieses Spiel beenden: Linksextremismus böser Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8795

Helge Lindh (A) als Rechtsextremismus. All das ist mir völlig fremd. Ich dieser Satz, der die unverbrüchliche Grundlage unserer (C) habe Berge von Bedrohungen von rechtsextremistischer gesellschaftlichen und politischen Ordnung bildet, ge- Seite bekommen, einige auch von linksextremistischer sagt werden muss, so lange sind wir in der Bekämpfung Seite – das ist so, wenn man innenpolitisch und migrati- des Extremismus letztlich nicht erfolgreich gewesen. Es onspolitisch tätig ist –, bleibt die Aufgabe von uns – und mit „uns“ meine ich nicht nur die Kräfte der politischen Mitte, sondern alle (Zuruf von der AfD: Schon wieder verharm- Bürgerinnen und Bürger –, diese Werte in unserem Land losen!) zu verteidigen. aber die von links haben mir wenigstens nicht mit Auf- hängen und Kopfabschlagen gedroht. Das ist immerhin Die Zahlen machen leider sehr deutlich, dass wir hier ein zivilisatorischer Unterschied. Ich selber aber halte noch einen Weg zu gehen haben. Die Anzahl politisch dieses Gegeneinanderverrechnen einfach für dumm und motivierter Gewalttaten ist in den letzten zehn Jahren unklug. um annähernd ein Viertel angestiegen. Die Fallzahlen im linksextremistischen Bereich stiegen im letzten Jahr- Wenn Sie, wie Sie das einmal gemacht haben, in ei- zehnt um 45 Prozent an. Das ist ein Trend, der uns zum nem Änderungsantrag zum Haushalt die Streichung der Handeln zwingt. Und es darf hier – man kann es nicht oft Mittel des Bundesamtes für Verfassungsschutz, eine Re- genug wiederholen – definitiv keine Unterscheidung in duzierung auf null, fordern, weil Sie nicht in Gremien der politischen Betrachtung der verschiedenen Richtun- entsprechend berücksichtigt wurden, dann haben Sie da- gen des Extremismus geben. Ich sage es noch mal ganz mit leider gezeigt, dass es Ihnen um Sie geht. Mir aber deutlich: Gewalt ist Gewalt. geht es nicht um mich, sondern darum, dass dieses Land demokratischer wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der AfD) Ich würde mich freuen, wenn Sie mich demnächst unterstützen würden, dass migrantische oder geflüchtete Um der Entwicklung in den kommenden Jahren mit Familien, die ich betreue, nicht mehr von Anhängern der Blick auf das Gesagte entschieden entgegenzuwirken, Identitären Bewegung und anderen Drohanrufe bekom- muss deshalb endlich Schluss damit sein, Gewalt dadurch men würden. Wenn wir uns da einig sind, haben wir ei- zu relativieren, dass auf ihre Motive Bezug genommen nen großen Fortschritt in diesem Land. Ich lade Sie herz- wird. Damit wird Gewalt insgesamt verharmlost! Bei lich ein, mich auf diesem Weg zu unterstützen. manchen Äußerungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat man den Eindruck, dass die Grenze zwischen Angriff (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und Verteidigung der Demokratie von einigen gehörig der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- falsch gezogen wird. (B) NISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) Ich bin – das sage ich Ihnen ganz ehrlich – zurück- Vizepräsident Thomas Oppermann: haltend mit Äußerungen zum Fall Magnitz. Zu viele In- Letzter Redner in der Debatte ist nunmehr der Abge- formationen haben sich im Nachhinein als falsch heraus- ordnete Michael Kuffer für die Fraktion der CDU/CSU. gestellt. Aber eines sage ich Ihnen auf jeden Fall: Der Satz – ich zitiere – „Dass #Magnitz zusammengelatzt (Beifall bei der CDU/CSU) wurde ist übrigens die konsequente Durchführung von #NazisRaus“ Michael Kuffer (CDU/CSU): (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich kann GRÜNEN]: Von wem ist er denn?) an dieses Zwiegespräch nahtlos anknüpfen. Beide Pole des Extremismus haben nicht nur eine polizeiliche Di- ist an Dummheit und Gefährlichkeit nicht zu überbieten. mension, sondern leider auch eine gesellschaftliche Ver- wurzelung, die – das muss ich hinzufügen – leider auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und in diesem Parlament und auch in dieser Debatte sichtbar der AfD) wird. Gerade in dieser gesellschaftlichen Dimension liegt die eigentliche Herausforderung. Ich sage mit Blick auf Und dass er von einer Journalistin gesagt worden ist, ist den Linksextremismus: Das Toxische am Linksextremis- an Zynismus nicht zu überbieten, liebe Kolleginnen und mus, das Toxische an einzelnen Wortmeldungen zur Aus- Kollegen. einandersetzung mit diesem Phänomen ist die Annah- (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD – me, es gäbe gute und es gäbe schlechte Gewalt. Es gibt Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie wissen aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, keine moralische aber, dass sie Morddrohungen bekommen hat? Rechtfertigung für Gewalt im Rechtsstaat. Dazu sagen Sie nichts! Das ist unglaublich!) (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD) Ich sage Ihnen jetzt was mit Blick auf die Angriffe auf Das gilt für jede Form des Extremismus, sei er poli- Polizisten, aber auch auf Feuerwehrleute und Rettungs- tisch – gleich, ob links- oder rechtsextremistisch – oder kräfte: Wer diejenigen angreift, die in diesem Land Tag auch religiös motiviert. Gewalt hat keine Rechtfertigung, für Tag fürs Gemeinwesen, für unser aller Sache persön- und sie darf niemals als Mittel der politischen Ausei- lich den Kopf hinhalten, der greift uns alle an und un- nandersetzung, aber auch niemals als Mittel jedweder terminiert die Stützpfeiler dieser Gesellschaft. Denn wer anderen Auseinandersetzung akzeptiert werden. Solange einen Stein auf einen Polizisten wirft, trifft nicht „den 8796 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Michael Kuffer (A) Staat“, er trifft einen Menschen, und er trifft damit uns c) Beratung des Antrags der Abgeordne- (C) alle. ten Dr. Götz Frömming, Nicole Höchst, Dr. Marc Jongen, weiterer Abgeordneter (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der und der Fraktion der AfD FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Bildungsgerechtigkeit wiederherstellen – Deshalb bitte ich zum Schluss alle Demokraten, sich Leistungsgedanken stärken das Folgende bewusst zu machen: Je größer die Unter- schiede politisch werden, desto stärker muss unser ge- Drucksache 19/7041 meinsames Bewusstsein als Demokraten werden, die Überweisungsvorschlag: gemeinsame Suche nach dem Besten, nach der richtigen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Lösung in den Vordergrund zu stellen. Diese Absicht, lie- abschätzung (f) be Kolleginnen und Kollegen, sollten wir auch unserem Ausschuss für Arbeit und Soziales politischen Gegner niemals absprechen. Denn das macht Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Unterscheidung zum Extremismus und zu den radi- Ausschuss Digitale Agenda kalen Kräften aus. d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich danke Ihnen. Birke Bull-Bischoff, Dr. Petra Sitte, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Fraktion DIE LINKE wie bei Abgeordneten der FDP) Für eine gemeinsame Bildungsstrategie zum Abbau sozialer Ungleichheit Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht Drucksache 19/7026 vor. Ich schließe die Aussprache. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf abschätzung (f) Drucksache 19/7040 an die in der Tagesordnung auf- Ausschuss für Arbeit und Soziales geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wie ich sehe, einverstanden. Dann ist die Überweisung Haushaltsausschuss so beschlossen. e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 e Margit Stumpp, Kai Gehring, Beate Walter-­ sowie Zusatzpunkt 9 auf: Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und (B) der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) 20 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Nationaler Bildungsbericht 2018 – Zeit für einen bildungspolitischen Aufbruch Gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Förderung von Schulen in Drucksache 19/4632 benachteiligten sozialen Lagen und mit Überweisungsvorschlag: besonderen Aufgaben der Integration Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) Drucksache 19/7027 Ausschuss für Arbeit und Soziales Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Ausschuss Digitale Agenda abschätzung (f) Haushaltsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicola Haushaltsausschuss Beer, Katja Suding, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abgeordneter und der b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Fraktion der FDP desregierung Chancengerechtigkeit ernst nehmen – Leis- Nationaler Bildungsbericht – Bildung in tungsfähigkeit des Bildungssystems voran- Deutschland 2018 bringen und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 19/7031 Drucksache 19/6930 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- schätzung (f) abschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Ausschuss Digitale Agenda die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich Haushaltsausschuss keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8797

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich Sie, den kunft machen. Verschiedene Formen von Lernschwächen (C) Personalwechsel möglichst zügig zu vollziehen. und Problemen bei der Alphabetisierung werden noch immer unterschätzt. Bildung darf dabei nicht allein den So, wenn nunmehr alle einen Platz gefunden haben, Lehrerinnen und Lehrern aufgebürdet werden. Es ist aus eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat als erste Redne- meiner Sicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die rin Dr. Dietlind Tiemann für die Fraktion der CDU/CSU. Bereiche Ehrenamt, Sport und Kultur haben aus meiner (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sicht eine Mitverantwortung für den Bildungserfolg bei der SPD) Kindern und Jugendlichen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): Die Hauptaufgabe aber liegt selbstverständlich – das dür- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! fen wir an keiner Stelle unterschätzen – in den Familien; Die Leitlinien der Bildungspolitik der CDU/CSU-Bun- denn der Wille zum Lernen und zum sozialen Aufstieg destagsfraktion zielen darauf ab, dass alle Schülerinnen muss an dieser Stelle entfacht und natürlich gefördert und Schüler unabhängig von Herkunft, Geschlecht und werden. sozialem Status so zu fördern sind, dass ein bestmögli- cher Lern- und Bildungserfolg gesichert ist, insbesondere (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch unter dem erklärten Ziel: Schaffung gleichwertiger Leider ist auch aktuellen Studien zufolge die Reali- Lebensverhältnisse. tät eine andere. Exemplarisch wurde für das Land Berlin Zu Beginn des letzten Jahres haben wir mit der Initi- festgestellt, dass die besonders geforderten Schulen die ative zur Förderung besonders leistungsstarker Schüle- höchsten Anteile sogenannter Quereinsteiger beim Lehr- rinnen und Schüler ein, wie ich denke, hervorragendes personal zu verzeichnen haben. An Berliner Grundschu- Programm auf den Weg gebracht, um für Kinder und len etwa verfügten zu Beginn des Schuljahres 2018/19 Jugendliche noch mehr Möglichkeiten zu schaffen, ihr nur ein Achtel der neueingestellten Lehrerinnen und Leh- Potenzial auszuschöpfen. rer über den Studienabschluss Lehramt. Anders ausge- drückt: Bei über 1 200 Einstellungen war nur jede achte Soziale Herkunft und Lebensort haben allerdings noch eine studierte Grundschullehrkraft. immer einen zu großen Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern. Schulen in benachteiligten sozialen Lagen, Vergleichen wir das mit Schulen mit einer Schüler- aus meiner Sicht etwas missverständlich als „Brenn- schaft aus finanziell bessergestellten Verhältnissen, stel- punktschulen“ bezeichnet, sehen sich vor großen Heraus- len wir fest: Es unterrichten doppelt so viele Quer- und forderungen. Wir alle haben konkrete Bilder aus unseren Seiteneinsteiger an Schulen in sozial benachteiligten (B) Wahlkreisen und aus den Berichterstattungen der Medien Lagen. Dabei müssten gerade hier die Bestausgebildeten (D) vor Augen, wenn wir über diese Schulen sprechen. Wir zum Einsatz kommen. Stattdessen – ich glaube, auch das denken an Einrichtungen mit einer steigenden Zahl ver- wissen Sie alle – muss von den Lehrkräften, die fachlich haltensauffälliger, von Schulversagen bedrohter Kinder ausgebildet sind, noch viel Zeit für die Einarbeitung der und Jugendlicher, meist aus bildungsfernen Haushalten. Neuen aufgewandt werden – ein zusätzlicher Aufwand. Wir denken an Aggressionen gegenüber Mitschülern, Der vorliegende Antrag, den wir als Unionsfraktion aber auch Lehrpersonal sowie an mangelhafte Ausstat- des Deutschen Bundestages in enger und vertrauensvol- tung und das bauliche Erscheinungsbild der Schulen. ler Abstimmung mit der SPD-Bundestagsfraktion – Kol- Vielerorts verstärken die gewachsenen Herausfor- legin Völlers, ich danke ganz herzlich für die Zusam- derungen der Integration die bereits angespannte Lage. menarbeit an der Stelle – vorlegen, stellt einen wichtigen Eine geregelte Beschulung und die vorrangige Vermitt- Schritt dar, um allen Schülerinnen und Schülern gleich- lung von Lerninhalten können vielfach nicht vorgenom- wertige Chancen zu ermöglichen. Es gilt, die Länder an men werden. Diese Zustände sind zum Teil der hetero- der Stelle zu unterstützen. Sie sind bereits mit eigenen genen sozialen Zusammensetzung einiger Stadtteile und Initiativen auf dem Weg. Wir haben unter den im Grund- sogar ganzer Gebiete unserer Städte und Gemeinden ge- gesetz verankerten Möglichkeiten auch die Chance, hier schuldet. hilfreich zur Seite zu stehen. Schulen in diesen beschriebenen sozial benachteilig- Dazu fordern wir die Bundesregierung auf, zügig – ten Lagen benötigen daher unsere besondere Aufmerk- das heißt, spätestens bis zum Ende des vierten Quar- samkeit und natürlich auch Unterstützung, nicht nur von tals 2019 – eine Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung Länderseite, sondern auch durch den Bund; denn – das abzuschließen, um soziale Ungleichheiten für benach- werde ich nicht müde zu sagen – die Bildung unserer teiligte Schülerinnen und Schüler zu reduzieren, um Kinder, aber natürlich auch der Heranwachsenden und Lernrückstände aufzuholen und diesbezüglich dann die Erwachsenen in unserem Land gehört zu einer der wich- Nachholebedarfe zu decken. Ich setze darauf, dass auch tigsten Aufgaben, der wir uns tagtäglich zu stellen haben. die Einbeziehung von Kommunen, die natürlich die nied- rigsten staatlichen Ebenen sind, erfolgt. Als Anschubfi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nanzierung in diesem Kalenderjahr sehen wir 2 Millio- ordneten der SPD und der FDP) nen Euro aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor. Wir können und wir dürfen es uns nicht leisten, hier Abstriche zu machen, sondern müssen unsere Gesell- Die Förderinitiative soll eine Laufzeit von immer- schaft mit klugen und nachhaltigen Ideen fit für die Zu- hin zehn Jahren haben und sich in zwei Stufen teilen: 8798 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Dr. Dietlind Tiemann (A) in eine Erprobungsphase mit bis zu 300 Schulen und in die Krabbelgruppe im Kinderarten als Bildungseinrich- (C) eine zweite Phase, in der dann die Ergebnisse mit ent- tung zählt. sprechender wissenschaftlicher Unterstützung umgesetzt (Oliver Kaczmarek [SPD]: Logisch! – Birke werden; die erste Phase mit 5 Millionen Euro Bundesmit- Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Was ist denn das teln und die zweite dann mit jeweils 7,5 Millionen Euro. in Ihren Augen?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun sollte man annehmen, dass mit dieser quantita- Der Evaluierungsprozess – das ist auch hier deutlich zu tiven Expansion auch die Bildungsqualität, also der tat- machen –, der danach zu erfolgen hat, soll dabei Eingang sächliche Bildungsstand, zunimmt. Allerdings scheint finden und die Entscheidungen für die nächste Phase ent- das Gegenteil der Fall zu sein. Beim letzten weltweiten sprechend begleiten. PISA-Vergleich von 2016 hat sich Deutschland ver- schlechtert, nicht verbessert. Mir ist besonders wichtig, zu betonen, dass es hier um Zu Recht weist der Bildungsforscher Rainer Bölling alle Schulformen geht. Es geht sowohl um Berufsschulen darauf hin, dass unsere gestiegenen Abiturquoten mit als auch um Schulen in freier Trägerschaft. Sie alle sind einer allgemeinen Absenkung des Niveaus erkauft sind. förderfähig. Ich denke, in der Modellphase liegt die Aus- Rund 30 Prozent aller Studienanfänger brechen dann wahl der Einrichtungen an erster Stelle bei den Ländern, auch ihr Studium ohne Abschluss ab; Bildungsbericht wie es die Hoheit auch vorsieht, wobei in der zweiten Seite 10. Deshalb fordert die AfD-Fraktion erneut eine Phase dann eine große Breite an Schulen entsprechend bessere Berufsorientierung und Eingangstests an den einzubeziehen sind. Universitäten. Wir mögen in unserer föderalen Bildungspolitik einen (Beifall bei der AfD) Flickenteppich haben. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir als Bundespolitikerinnen und Bundespolitiker Meine Damen und Herren, Wissen und Bildung sind unsere Möglichkeiten der Unterstützung ausschöpfen. die wichtigsten Treibstoffe, um den Motor unserer Volks- Kein Kind, kein Jugendlicher und keine Jugendliche darf wirtschaft am Laufen zu halten und unseren Wohlstand aufgrund seiner oder ihrer Herkunft, des Wohnortes oder langfristig zu sichern. Wissen und Bildung existieren der sozialen Rahmenbedingungen bildungsseitig benach- aber nicht im luftleeren Raum, sondern sind immer an teiligt bleiben. Deshalb bitte ich Sie um die Unterstüt- Menschen gebunden. Deshalb dürfen wir, wenn wir über zung für diesen Antrag. die Zukunftsperspektiven unseres Bildungssystems re- den, das demografische und soziale Problem nicht aus- Vielen Dank. blenden. (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Durch Zuwanderung, so wie sie bisher organisiert ist oder vielmehr nicht organisiert ist, verschärft sich das de- mografische Problem, werden die sozialen Probleme im Vizepräsident Thomas Oppermann: Land größer, nicht kleiner und unser ohnehin angespann- Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete tes Bildungssystem an den Rand des Kollapses gebracht. Dr. Götz Frömming für die Fraktion der AfD. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der AfD) Warum ist das so? Weil wir eben keine Zuwanderung aus den PISA-Siegerländern haben, also nicht aus Singa- Dr. Götz Frömming (AfD): pur, Japan oder Finnland, dafür aber de facto aus Syrien, Irak und Afghanistan. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einigen Tagen machte eine junge Leh- Der nationale Bildungsbericht hält für die Zuzugs- rerin aus Nordrhein-Westfalen bundesweit Schlagzeilen, jahre von 2014 bis 2016 erschreckende Zahlen bereit: als sie über das Magazin „Der Spiegel“ mitteilen ließ, nur 69 Prozent der Migranten ab 15 Jahren aus diesen Län- noch gute Noten zu vergeben und jedem ihrer Schüler zu dern haben keinen Berufsabschluss und natürlich auch einer Studienberechtigung zu verhelfen; sie wolle nicht keinen höheren Bildungsabschluss. Für die Gruppe der mehr dafür verantwortlich sein, mit schlechten Noten Schutz- und Asylsuchenden sieht es noch schlechter aus. benachteiligte Schüler um ihre Bildungschancen zu brin- Zwar haben 11 Prozent von ihnen einen Hochschulab- gen. Der Applaus des linken Feuilletons war ihr sicher. schluss, aber 76 Prozent verfügen über gar keine Ausbil- dung; Bildungsbericht Seite 56. Meine Damen und Herren, das, was uns hier als eine besonders hochentwickelte Form von Bildungsgerech- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tigkeit verkauft werden soll, ist in Wahrheit das genaue NEN]: Wenn es so wäre, was täten Sie dann?) Gegenteil: Wenn alle Abitur haben, dann hat keiner mehr Meine Damen und Herren, wir müssen endlich damit Abitur. anfangen, klar zwischen Zuwanderung und Asyl zu diffe- renzieren. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir unser Der nationale Bildungsbericht wartet mit beein- Bildungssystem und unseren Sozialstaat über kurz oder druckenden Zahlen auf, die die Bildungsexpansion in lang zugrunde richten. Damit wäre niemandem gedient. Deutschland beschreiben. So befanden sich im Erhe- bungsjahr 2016 über 17 Millionen Menschen in irgend- (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- welchen Bildungsmaßnahmen, wobei neuerdings auch NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hin zum Feudalstaat Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8799

Dr. Götz Frömming (A) mit der AfD! Sie wollen ein Bildungskasten- sich bessere Qualität, auch in der Ganztagsbetreuung. (C) system!) Deswegen ist es richtig, dass wir uns vorgenommen ha- ben – und wir werden das auch in dieser Wahlperiode Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie- schaffen –, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ßend noch etwas sagen zur Initiative der Koalition zu in der Grundschule bis 2025 vorzubereiten und umzu- den Brennpunktschulen. Ich habe selbst lange an diesen setzen. Das ist ein anspruchsvolles Ziel, aber es ist ein Schulen gearbeitet. Das ist eine richtige Initiative. Al- absolut notwendiges und bildungspolitisch wie gesell- lerdings kurieren Sie an dieser Stelle natürlich nur die schaftlich sinnvolles Ziel. Wir wollen das in dieser Wahl- Symp ­tome. An die Ursachen gehen Sie nicht heran. Es ist periode klarmachen und bitten die Bundesregierung, da uns noch nicht gelungen, die Kinder der Gastarbeiter aus entsprechende Initiativen vorzubereiten. den 60er/70er-Jahren und die Kinder der Bürgerkriegs- flüchtlinge, die aus dem Libanon in den 80er-Jahren zu (Beifall bei der SPD) uns gekommen sind, ordentlich zu integrieren. Sie ma- chen allen Praktikern vor Ort bis heute die größten Pro- Gehen wir noch einen Schritt weiter: Alle jungen bleme, und durch Frau Merkels Einwanderungspolitik Menschen, die eine Berufsausbildung abschließen, haben seit 2015 werden sich diese Probleme jetzt noch massiv mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sie werden seltener verschärfen. arbeitslos. Allerdings sehen wir auch, dass viele Arbeits- agenturbezirke auf der einen Seite zu wenige Ausbil- (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dungsplätze ausweisen, dass auf der anderen Seite Stel- NEN]: So ein Unsinn!) len unbesetzt bleiben, dass es Passungsprobleme gibt. Meine Damen und Herren, mit diesem Antrag neh- Das zeigt: Wir brauchen eine echte, eine materiell nach- men Sie zwar den Putzlappen in die Hand, weil Sie auch vollziehbare Wertschätzung für die berufliche Bildung, merken, dass Ihnen der Keller voll Wasser läuft, aber Sie und deswegen arbeiten wir als Koalition zusammen mit sollten vielleicht mal auf die Idee kommen, eine Treppe der Regierung auch mit Hochdruck an der Novelle des nach oben zu gehen und den Wasserhahn zuzudrehen. Berufsbildungsgesetzes. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich will einmal sagen: Natürlich will die SPD eine Mindestausbildungsvergütung, die sich an Tarifstruktu- (Beifall bei der AfD) ren orientiert, die jungen Menschen eine Wertschätzung für ihre Arbeit gibt. Ich will aber genauso sagen, dass für Vizepräsident Thomas Oppermann: uns ganz klar ist – und das haben wir in der Koalition Nächster Redner in der Debatte ist der Abgeordnete auch miteinander vereinbart –: Am 1. Januar 2020 wird Oliver Kaczmarek für die Fraktion der SPD. die Mindestausbildungsvergütung in Kraft treten, und (B) das ist ein Erfolg und ein gutes Signal, (D) (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Oliver Kaczmarek (SPD): das wir als Koalition an alle Auszubildenden senden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir de- Schauen wir auf die andere Seite: Es gibt eine nach- battieren heute den nationalen Bildungsbericht, und der haltig hohe Nachfrage nach Studienplätzen. Allerdings liefert uns zuverlässig alle zwei Jahre einen Überblick sehen wir, dass die Betreuungsrelationen sich nicht ver- über die Leistungsfähigkeit unseres Bildungswesens und bessert haben, dass die Abbruchquote auf einem unver- Anregungen für die politische Debatte. Er gibt Anlass, ändert hohen Niveau bleibt. Deshalb glauben wir, dass zu überprüfen, ob das, was wir uns vorgenommen haben, das, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen tatsächlich auch in die richtige Richtung geht. Das will haben, was in diesen Wochen und Monaten verhandelt ich tun und einmal durch die Bildungsinstitutionen ge- wird, nämlich die dauerhafte Verstetigung des Hoch- hen. schulpakts, ein großes bildungspolitisches Bekenntnis Der nationale Bildungsbericht hat den Befund mehr- des Bundes ist, weil es eben Planbarkeit und Verlässlich- fach aufgeführt: Der Ausbaubedarf in der frühkindlichen keit für die Hochschulen schafft. Es ist gut, dass wir das Bildung – ich war ein bisschen überrascht, dass die AfD machen, und es gibt den Hochschulen auch Sicherheit. das offensichtlich nicht mehr als Bildung ansieht – ist Wir haben aber auch Erwartungen. Wir wollen, dass ungebrochen. Wenn wir etwas tun wollen, wenn wir nicht in Zukunft mit der Sicherheit eines verstetigten Hoch- akzeptieren wollen, dass Geburt und Herkunft weiterhin schulpaktes im Hintergrund und mit der Sicherheit von in Deutschland entscheidend sind für den Bildungserfolg verstetigten Mitteln eben auch dafür gesorgt wird, dass von Kindern, dann müssen wir genau dort investieren, wir a) investieren in die Qualität der Lehre – das ist im also in die frühe Bildung, und genau das tun wir. Das Gu- Interesse der Studierenden; die wollen das, und die brau- te-Kita-Gesetz, das wir hier schon verabschiedet haben, chen das –, aber auch b) investieren und die Sicherheit hat den richtigen Impuls gesetzt und der frühkindlichen schaffen für verlässliche und stabile Arbeitsverhältnisse. Bildung einen hohen Stellenwert gegeben; das war gut. Das muss beim Hochschulpakt zusammenkommen: gute (Beifall bei der SPD) Qualität der Lehre und stabile Arbeitsverhältnisse an den Hochschulen. Deswegen machen wir das, und das ist ein Gehen wir einen Schritt weiter: Etwa die Hälfte aller guter Schritt. Kinder in der Grundschule besuchen heute Ganztagsan- gebote. Der Bedarf ist steigend. Die Eltern wünschen (Beifall bei der SPD) 8800 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Oliver Kaczmarek (A) Ich möchte zum Schluss auch noch einmal zu spre- vember letzten Jahres ja groß ein solches Programm der (C) chen kommen darauf, was uns helfen kann bei vielen Bundesregierung angekündigt und seine Segnungen ge- Herausforderungen in der Bildungspolitik, nämlich die priesen hat. Aber es mag der neue Stil der Bundesregie- Grundgesetzänderung, die wir vor wenigen Wochen mit rung sein, bei „Brigitte“ auf dem Sofa oder in Talkshows großer Mehrheit im Parlament beschlossen haben. Da anzukündigen, statt hier im Parlament zu diskutieren. Ich wird uns ja viel entgegengehalten. Frau Ministerin, Sie bin deswegen den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, waren ja in Düsseldorf bei der CDU-Landtagsfraktion. dass sie mit ihrem Antrag nun diese Bundesregierung vor Herr Laschet und auch Herr Kretschmann behaupten, wir sich hertreiben. würden jetzt Einheitsschulpolitik aus Berlin vorgeben (Beifall bei der FDP) und diktieren wollen. Das sind nun wirklich die ideolo- gischen Schützengräben der 60er-Jahre, in denen sich da Doch anders als Frau Bundesministerin Karliczek bei einige befinden. Ich hoffe, Sie konnten das in Düsseldorf „Markus Lanz“ glauben machen wollte, geht es in diesem klarstellen. Antrag, Frau Kollegin Dr. Tiemann, ja nicht darum, dass Geld vom Bund in Brennpunktschulen fließt, zum Bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten spiel für mehr Lehrer, für mehr Ganztag – das ist gerade des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erwähnt worden – oder für mehr Schulsozialarbeit. Dazu Man muss doch deutlich machen: Was wollen wir müssten Sie Ihren Ministerpräsidenten die Grundgesetz- eigentlich mit dieser Grundgesetzänderung gemeinsam änderung verkaufen, die wir hier gemeinsam in diesem erreichen? Deswegen sage ich: Ja, wir brauchen eine Bundestag bereits beschlossen haben. Nein, wenn man Grundgesetzänderung für den DigitalPakt, aber wir ma- genau hinschaut, sieht man: Es geht in diesem Antrag chen diese Grundgesetzänderung nicht alleine wegen des darum, dass Geld in Forschung über Brennpunktschulen DigitalPakts, sondern weil wir dafür sorgen wollen, dass fließt. Das ist gut – verstehen Sie mich nicht falsch –; unabhängig von der finanziellen Ausstattung eines Bun- aber es wird die Situation keines einzigen Kindes, das deslandes oder einer Regierungskonstellation in einem heute in eine unserer Schulen geht, unmittelbar verän- Bundesland oder in einer Kommune junge Menschen die dern. Ich bin der festen Überzeugung: Wir können nicht Gelegenheit haben, Bildungsangebote überall im Land noch einmal zehn Jahre warten. Deutschland muss jetzt in gleicher Qualität und Anzahl in Anspruch zu nehmen. handeln – vor Ort und konkret. Wir wollen überall mithelfen, dass die Schulen auf den (Beifall bei der FDP) modernen, auf den neuen Stand der Dinge gebracht wer- den. Darum machen wir diese Grundgesetzänderung. Der Bundesbildungsbericht ist alarmierend. Obwohl die Bildungsbeteiligung steigt, sind Bildungschancen un- Ich will auch sagen: Wir werden darüber diskutieren, gerecht verteilt. Unser Bildungssystem reproduziert so- (B) wie Anteile von Finanzierungen festgelegt werden; da- ziale Hierarchien, statt sie abzubauen. Damit verzichten (D) für ist der Vermittlungsausschuss da. Wir werden auch wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf das Potenzial über den Umfang von Berichten diskutieren. Aber eines von unglaublich vielen Mädchen und Jungen. Das kön- ist auch klar aus der Sicht des Bundestags: Die unver- nen wir uns nicht länger leisten. bindliche Weitergabe von Steuermitteln, wie sie Herr Laschet offensichtlich im Kopf hat, sozusagen im Gott- (Beifall bei der FDP) vertrauen darauf, dass die Bundesländer das dann schon Bildung muss endlich erste Priorität bei den Investitio- an der richtigen Stelle einsetzen werden, ist für den Bun- nen haben, und zwar über alle Ebenen: Bund, Länder und destag nicht akzeptabel. Wir wollen, dass die Mittel, die Kommunen. Und wir brauchen eine abgestimmte Stra- der Bund gibt, zusätzlich verwendet werden. Deshalb, tegie, eine Bildungsoffensive, die sicherstellt, dass die meine Damen und Herren, lassen Sie uns an der Stelle Maßnahmen aller Ebenen und aller Beteiligten, inklusive die Chance auf einen neuen, auf einen kooperativen Bil- der privaten Beteiligten, sinnvoll ineinandergreifen, sich dungsföderalismus nicht vertun. verstärken und endlich bessere Ergebnisse herbeiführen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir müssen als Gesellschaft – dafür werde ich immer lei- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ denschaftlich kämpfen – alles daransetzen, dass sozialer DIE GRÜNEN) Aufstieg durch Bildung für jede und jeden in unserem Land wieder möglich wird. Wir Freidemokraten haben Vizepräsident Thomas Oppermann: Ihnen dazu eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht. Das Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion umzusetzen, das braucht mehr Mut: der FDP die Kollegin Nicola Beer. Erstens: mehr Mut, früher anzusetzen. Frühkindliche (Beifall bei der FDP) Bildung muss für jedes Kind sichergestellt werden. Was wir an dieser Stelle versäumen, das können wir nachher Nicola Beer (FDP): nur noch unfassbar schwerer aufholen. Frühkindliche Bildung ist der Schlüssel. Sie erfolgt am besten durch Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- und mit den Eltern. Aber wo das nicht klappt, da müssen gen! Ich finde es bezeichnend, dass die Bundesregierung Kita und Krippe der Lernort sein, der Chancengerechtig- es nicht schafft, selbst ein Programm zu Brennpunktschu- keit in unserem Land herstellt. len vorzulegen, und das, obwohl Frau Bundesministerin Karliczek in der Talkshow bei Markus Lanz am 1. No- (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8801

Nicola Beer (A) Zweitens: mehr Mut, den Fachleuten vor Ort zu ver- schwierigen sozialen Verhältnissen profitieren deut- (C) trauen. Eigenverantwortung bei Organisation, Budget lich weniger, zum Beispiel von frühkindlicher Bildung. und Personal ist der Schlüssel dafür, dass wirklich jedes Selbstverständlich ist die Arbeit in sogenannten Krabbel- Kind individuell gefördert und gefordert wird. gruppen in Kitas Bildung – das ist mittlerweile eine Bin- senweisheit –, und zwar Bildung von Anfang an. Drittens: mehr Mut, Kitas und Schulen nach einem Sozialindex unterschiedlich auszustatten, nicht indem (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- man den einen etwas nimmt, sondern indem man zusätz- neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- lich in die Kinder investiert, die noch nicht auf der Son- SES 90/DIE GRÜNEN) nenseite des Lebens stehen. Die Benachteiligung beginnt mit der Anwesenheit. Letztendlich fordere ich mehr Mut durch weniger Bü- Sehr viel weniger Kinder von Eltern mit gerade einmal rokratie, durch Bündelung und Pauschalisierung, zum Hauptschulabschluss als Kinder von Akademikerinnen Beispiel durch das Kinderchancengeld, Bildungsgut- und Akademikern besuchen eine Kita. Aber das betrifft scheine, elternunabhängiges BAföG, durch den Einsatz auch den pädagogischen Alltag; das habe ich selbst er- modernster digitaler Möglichkeiten und auch durch die forscht. In der Tat, solche Kinder werden weniger mo- Unterstützung privater Investitionen in die Zukunft, zum tiviert, werden weniger wertgeschätzt und deshalb oft Beispiel durch Bildungssparen, um bessere Ergebnisse, unterschätzt und weniger gefördert. Deshalb ist es ein mehr Qualität und mehr Leistungsfähigkeit zu erreichen. Fehler, nicht in Qualität zu investieren. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht sozialer Auf- (Beifall bei der LINKEN) stieg. Das sind wir den Kindern und ihren Eltern schul- dig. Pädagoginnen und Pädagogen brauchen Zeit, Geld und Möglichkeiten, um die eigene pädagogische Arbeit zu (Beifall bei der FDP) reflektieren, besser zu machen, selber besser zu werden.

Vizepräsident Thomas Oppermann: Meine Damen und Herren, wir haben ein Schulsys- tem, das obendrein benachteiligte Kinder abhängt. Wir Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion enthalten diesen Kindern akzeptable Schulabschlüsse Die Linke die Kollegin Birke Bull-Bischoff. vor, und der Erfahrungsaustausch mit Gleichaltrigen, (Beifall bei der LINKEN) von dem sie tatsächlich profitieren könnten, kann schon allein deshalb nicht stattfinden, weil die Kinder nicht ge- Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): meinsam lernen. Sogenannte schulbildungsferne Kinder Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr bleiben in Sondersystemen unter sich. Ihnen wird zu we- (B) Präsident! Deutschland ist kein Bildungsland – jedenfalls nig zugetraut. Wir erfinden immer neue Sondersysteme – (D) nicht, wenn man sich die Realitäten anschaut, jedenfalls Bildungsgutscheine, Schulen für dieses und Maßnahmen nicht, wenn man einen internationalen Vergleich zieht, für jenes –, anstatt miteinander an dieser Stelle wirklich jedenfalls nicht gemessen an dem, was nötig wäre, vor das Gemeinsame – den Wettbewerb um beste Leistun- allem gemessen an dem, was möglich wäre. Genau das gen – zu fördern. ist das Problem, oder, exakter formuliert, das sind die (Beifall bei der LINKEN) Probleme. Deshalb reicht es nach meiner Auffassung nicht, liebe (Beifall bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen von der FDP, allgemein die Stärkung der frühkindlichen Bildung zu fordern; da bin Zum Ersten. Wir geben nach wie vor viel zu wenig ich ja total bei Ihnen. Nein, wir müssen im Blick haben: Geld in den Bereich der Bildung. In Studien der Arbeit- Kinder müssen in ihrer Unterschiedlichkeit unterschied- geberschaft, der Gewerkschaften, der Kreditanstalt für lich gefördert werden, nicht in Sondersystemen – ich Wiederaufbau werden wir darauf hingewiesen, dass es sage es noch einmal –, sondern im gemeinsamen Lernen einen riesigen Investitionsstau in Deutschland gibt. Kitas mit vielfältigen Formen der Unterstützung, der Assis- können nicht saniert werden. Schulen sieht man das Ver- tenz. Wir brauchen gute pädagogische Profis, die auch fallsdatum förmlich an. Sehr verehrte Kolleginnen und diese sozialen Ungleichheiten im Blick haben. Kollegen, das ist Mist; um es einmal klar zu sagen. (Beifall bei der LINKEN) Aber Geld allein reicht auch nicht. Ebenso fehlt es uns an Personal, und das wirklich dramatisch. Es feh- Wenn Knappheit herrscht oder ein System nicht funk- len Lehrkräfte, es fehlen Schulsozialarbeiterinnen und tioniert, trifft es meistens die Gruppe der sogenannten -sozialarbeiter – seit gefühlt ewigen Zeiten versuchen sozial Benachteiligten; denn das Geld fließt in erster wir, die Schulsozialarbeit verbindlich im SGB VIII zu Linie in Exzellenzinitiativen anstatt in Basisförderung, verankern –, und es fehlen Erzieherinnen und Erzieher. in Lernmittelfreiheit. Wir haben viel zu wenig Geld für Ich glaube, es gibt mittlerweile kaum ein Problem, das Alphabetisierung und Grundbildung und viel zu wenig so anschlussfähig ist an das, was Menschen tagtäglich in Geld für soziale Unterstützungssysteme. ihrem Alltag sehen und spüren. Das Problem ist einfach: Zum Dritten – das hängt mit dem eben Gesagten zu- Im Angebot sind immer wieder nur Tropfen auf heiße sammen –: Ich glaube, dass wir in Deutschland ein ge- Steine. störtes Verhältnis zu Vielfalt haben, zumindest im Bil- Zum Zweiten – das finde ich fast fataler –: Deutsch- dungssystem. Wir haben einfach keinen produktiven land ist ein geteiltes Bildungsland. Gerade Kinder aus Umgang damit, wie man aus Unterschiedlichkeit, aus 8802 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Birke Bull-Bischoff (A) Vielfalt, aus Diversität und erst recht aus Inklusion wun- kann nicht schnell genug langsam werden. Dabei brennt (C) derbare, exzellente Bildungsangebote stricken kann. im Bildungsbereich die Hütte. (Beifall bei der LINKEN) Der Bundesbildungsbericht ist eine klare Aufforde- rung an die Regierung, endlich mehr in die Zukunft jun- Was wäre zu tun? Wir brauchen eine wirkliche Bil- ger Menschen zu investieren. Das 7‑Prozent-Ziel für In- dungsoffensive, und – da beißt die Maus keinen Faden vestitionen in die Bildung ist noch immer nicht erreicht. ab – das hat in allererster Linie mit Geld zu tun. Wir ha- Das trifft gerade Kinder aus bildungsfernen Familien und ben in unserem Antrag dazu eine ganze Reihe von Mög- von Alleinerziehenden besonders hart. Während die Bil- lichkeiten vorgeschlagen. Aber darüber hinaus brauchen dungsbeteiligung weiter steigt, herrscht in Sachen Chan- wir auch eine Umverteilung der Mittel. Denn, meine Da- cengerechtigkeit Stillstand. Das ist unverantwortlich. men und Herren, die Weltspitze werden wir nicht errei- chen, solange wir uns nicht um diejenigen bemühen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich abgehängt fühlen und die es auch sind. Je nachdem, welche Begründung Ihnen am liebsten ist, muss man sa- Noch immer wächst jedes vierte Kind in Deutschland gen: volkswirtschaftlich gesehen: Wir können auf kein in sogenannten bildungsbezogenen Risikolagen auf. Ge- Talent verzichten. rade Kinder aus finanzschwachen Familien mit Migrati- onshintergrund und von Alleinerziehenden bleiben zu oft (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai vom Aufstieg durch Bildung ausgeschlossen. Sie werden Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) häufiger krank, leben unzufriedener und verdienen als Demokratisch gesehen: Menschen, die sich abgehängt Erwachsene weniger. Solange Herkunft derart gravie- fühlen, sind leichte Beute für braune Rattenfänger. Und rend über Zukunftschancen entscheidet, ist etwas gehörig humanistisch gesehen, meine Damen und Herren – das faul in dieser Bildungsrepublik. ist mir selbst am nächsten –: Alle Menschen müssen die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Chance haben, sich optimal zu entwickeln. Denn: Bil- dung ist aus unserer Sicht ein Menschenrecht – nicht Die Bundesregierung muss sich endlich an die Arbeit mehr und nicht weniger. machen. Alle jungen Menschen – von der Kita über die allgemeinbildenden Schulen und die Berufsschule bis (Beifall bei der LINKEN) zur Hochschule – haben ein Recht auf gleiche Chancen und gute Lebensperspektiven, unabhängig von ihrer Her- Vizepräsident Thomas Oppermann: kunft. Damit die soziale und regionale Schere geschlos- Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Margit Stumpp sen und alle Potenziale gefördert werden können, muss (B) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. der Bund nicht nur mehr Geld in die Hand nehmen, son- (D) dern auch die Grundlage für einen modernen Bildungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) föderalismus schaffen. Der DigitalPakt zeigt, wie verquer die Finanzie- Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rungslage ist, und vor allem, dass die Zeit drängt. Alle Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Beteiligten – Bund und Länder – sind gefordert, im Ver- nen und Kollegen! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen mittlungsausschuss des Bundesrates konstruktiv zu ver- und Herren! Der nationale Bildungsbericht 2018 wurde handeln und zügig zu einer Lösung zu kommen. im vergangenen Mai veröffentlicht. Eigentlich erwartet man dann von der zuständigen Ministerin eine zügige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sorgfältige Analyse und ein fundiertes Handlungs- sowie der Abg. Birke Bull-Bischoff [DIE konzept. Geschlagene acht Monate später stellen wir LINKE]) fest: Außer Sonntagsreden nichts gewesen. Das zeigt, Die Kommunen und die Schulen warten inzwischen seit wie wichtig es dieser Regierung ist, die Bildung zu über zwei Jahren. Das Thema „Digitalisierung in Schu- verbessern und endlich ihre Hausaufgaben zu machen. len“ brennt, nicht primär aus technischen Gründen; Tech- Freundlich ausgedrückt: eher unwichtig. nik folgt der Pädagogik, und pädagogische Qualität brau- Den Koalitionsfraktionen scheint es inzwischen auch chen wir in einer modernen und diversen Gesellschaft aufgegangen zu sein. Sie legen immerhin einen Antrag mehr denn je. zur Förderung von Schulen in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integration vor, Die zunehmende Vielfalt in deutschen Kitas und der detaillierte Anforderungen für die konkrete Ausge- Klassenzimmern fordert Lehrkräfte oft über ihre Kom- staltung formuliert. Die Koalition übernimmt damit den petenzen hinaus. Deswegen brauchen wir neben der Job der zuständigen Ministerin, die bisher nicht geliefert Digitalisierung im Klassenzimmer den Ausbau von hat. Das ist schon bemerkenswert. Ganztagsschulen und eine ausreichende Anzahl von Fachkräften und interdisziplinären Teams. Gleichzeitig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist der Fachkräftemarkt leergefegt. Das heißt: Das Wer- ben und Ausbilden für diese sinnstiftende Tätigkeit wird Immerhin hat die Ministerin Ihren Antrag registriert, eine weitere Daueraufgabe bleiben. Auch hier darf der und irgendjemand hat das Signal verstanden. So interpre- Bund die Länder nicht im Regen stehen lassen. tiere ich das heutige „SWR Tagesgespräch“. Ansonsten scheint im Ministerium der Geist vorzuherrschen: Man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8803

Margit Stumpp (A) Ein inklusives und durchlässiges Bildungssystem zu leben – und manchmal sogar über sich hinauszuwach- (C) braucht Kapazität und Qualität. Jedes Kind muss davon sen. Chancengerechtigkeit besteht dann, wenn jeder die profitieren können. Nur so stabilisieren wir eine demo- Möglichkeit dazu bekommt. kratische und weltoffene Gesellschaft. Umso beschä- Der Bildungsbericht 2018 zeigt uns, dass wir bei den mender ist es, dass der Bund laut Antrag lediglich Mittel Themen „Bildung“ und „Chancengerechtigkeit“ vie- zur Evaluierung der Schulen in benachteiligten Quartie- le Erfolge aufzuzeigen haben: Immer mehr Menschen ren bereitstellen soll. bilden sich weiter. Die Deutschen streben nach besserer Obwohl Milliardeninvestitionen notwendig sind, um Bildung. Immer mehr Auszubildende werden von den aus Schulen in benachteiligten Lagen Leuchttürme der Unternehmen übernommen. Bund und Länder haben die Bildungsgerechtigkeit und -integration zu machen, ver- Investitionen in die Bildung in den letzten Jahren weiter stecken Sie sich wieder hinter dem Kooperationsverbot. gesteigert. – Auf diese guten Entwicklungen können wir, So verhindern Sie, dass der Bund über die wissenschaft- glaube ich, sehr stolz sein. liche Begleitung hinaus Schülerinnen und Schüler, Lehr- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. kräfte und Eltern vor Ort in schwierigen sozialen Lagen Oliver Kaczmarek [SPD]) unterstützt. Diese Aufgabe soll wieder einmal zur Gänze an den Ländern und Kommunen hängen bleiben. Deswe- Der Bildungsbericht macht mich sehr zuversichtlich. Er gen noch einmal unser Appell: Handeln Sie klug, dann beleuchtet die ganze Vielfalt unseres Bildungswesens, kommen Sie auch in dieser Beziehung mit der Änderung und diese Vielfalt ist die Stärke Deutschlands. von Artikel 104c des Grundgesetzes weiter. Auch und gerade unsere beiden Wege in den Beruf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – machen dieses Land stark. Sie bieten jedem jungen Men- Oliver Kaczmarek [SPD]: Sagen Sie das Herrn schen einen für ihn passenden Weg in den Beruf. Kretschmann!) (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Über 2 Mil- Den kleinen Schritten der Koalition stellen wir unsere lionen schaffen es nicht!) Forderungen nach einem Aufholprogramm für Schulen Wer praktisch starten will, macht eine Ausbildung. Wer in benachteiligten Regionen in Höhe von 500 Millionen theoretisch in den Beruf starten will, nimmt ein Studi- Euro jährlich sowie einem Ganztagsprogramm inklusi- um auf. Wer beides will, macht ein duales Studium. Wir ve Schulsozialarbeit für allgemeinbildende und berufli- sollten alle Wege gleich wertschätzen; denn Deutschland che Schulen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro jährlich braucht Auszubildende und Studierende. Und Deutsch- entgegen. Das ist dringend notwendig, finanzierbar und land bietet beste berufliche und akademische Bildung. umsetzbar. (B) Mein Ministerium macht deshalb 2019 zum Jahr der (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Berufsbildung. Immer mehr Arbeitsplätze bleiben unbe- SES 90/DIE GRÜNEN) setzt. Gerade beruflich qualifizierte Arbeitskräfte werden Wann gedenken Sie zu handeln? Machen Sie aus Ihren gesucht. Aktuell gibt es rund 50 000 unbesetzte Ausbil- Versprechungen und Sonntagsreden endlich wirksame dungsstellen. Der Mangel an qualifizierten Menschen Politik. Wenn nicht jetzt, wann dann? darf nicht zur Wachstumsbremse werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Was werden wir tun? Wir modernisieren das Gesetz sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zur beruflichen Bildung. Wir führen eine Mindestausbil- dungsvergütung ein. Und wir machen die hohe Qualität unseres Meisters sichtbar durch international anerkannte Vizepräsident Thomas Oppermann: und verständliche Berufsbezeichnungen, wie beispiels- Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Bundesministe- weise den Berufsbachelor. Darüber hinaus starten wir rin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek. einen Innovationswettbewerb für die berufliche Bildung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Unternehmen, überbetriebliche Berufsbildungsstätten, ordneten der SPD) Bildungszentren und Berufsschulen sowie Hochschulen möchte ich aufrufen, gemeinsam neue, innovative Aus- und Weiterbildungsformate zu entwickeln und zu erpro- Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und ben. Forschung: Sehr geehrter Herr Bundestagsvizepräsident! Liebe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen ordneten der SPD) und Herren! Liebe Frau Stumpp, vielleicht sprechen Sie Doch auch nach der Erstausbildung geht es weiter. einmal mit Ihrem Ministerpräsidenten in Baden-Würt- Wir merken doch alle, wie schnell sich unsere Arbeits- temberg und klären das, was Sie hier gerade alles von welt aktuell verändert. Viele neue Arbeitsplätze mit an- sich gegeben haben, als Erstes mit ihm. deren, höheren Anforderungen entstehen. Sich neuen (Beifall des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD]) Anforderungen stellen zu können, dafür möchten wir die Menschen fit machen. Deswegen entwickeln wir gerade Bildung versetzt Menschen in die Lage, am gesell- mit den zuständigen Partnern eine sogenannte Nationa- schaftlichen Leben teilzunehmen. Gute Bildung hilft den le Weiterbildungsstrategie: damit wir auch morgen noch Menschen, sich zu entwickeln, sich auszuprobieren, sich gut aufgestellt und für den internationalen Wettbewerb zu engagieren, politisch interessierter, ja, sogar gesünder gerüstet sind. 8804 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Bundesministerin Anja Karliczek (A) Gut gerüstet sind wir auch, wenn wir die Mitte der dination zwischen Bund, Ländern und Kommunen (C) Gesellschaft stärken, also Familien mit Kindern in der zu entwickeln sind. Die übergreifenden ... Anforde- Ausbildung oder im Studium. Allein für Verbesserungen rungen müssen sich auch in den Kooperationsstruk- beim Aufstiegs-BAföG stellen wir zusätzlich 350 Millio- turen abbilden, um dem gemeinsamen Interesse an nen Euro in dieser Legislaturperiode bereit. angemessenen Lösungen gerecht zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Das ist mehr denn je seit Bestehen des Gesetzes. Mit ordneten der SPD) unserer BAföG-Reform erhöhen wir außerdem die Sie hören, es ist an uns alle gerichtet: an die Bundesregie- BAföG-Leistungen, die Einkommensfreibeträge und die rung, den Bundestag und natürlich auch an die Bundes- Wohnpauschale. Damit schaffen wir die Trendumkehr: länder. Denn nur gemeinsam kriegen wir das hin. Wenn Mehr Familien mit Kindern profitieren, die das tun, was Sie alle ein genauso großes Interesse an echten Lösungen wichtig ist: sich bilden und auf ein selbstbestimmtes Le- für gute Bildung für unsere Kinder haben, dann sind wir ben vorbereiten. auf einem guten Weg. Auch innerhalb unseres Schulsystems weist uns der Bildungsbericht noch Aufgaben zu – Aufgaben, an denen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wir arbeiten. Mit unserer Initiative Brennpunktschulen, ordneten der SPD) die wir aktuell mit den Ländern verhandeln, kümmern wir uns gezielt um Kinder aus sozial schwierigen Lagen. Vizepräsident Thomas Oppermann: Denn natürlich sollen alle Kinder in Deutschland die Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Marc Jongen gleichen Chancen auf Bildung und ein gutes Leben ha- für die Fraktion der AfD. ben, unabhängig von ihrer Herkunft; denn jedes Kind ist uns wichtig. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Dr. Marc Jongen (AfD): Ein weiterer, dem Bericht und auch mir sehr wichti- Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Liebe Lehrerin- ger Punkt ist die Digitalisierung. Ich stehe für die digitale nen und Lehrer! Liebe Eltern da draußen! Bildung und damit für den Mut zur Zukunft. Die Digita- lisierung wird uns in den nächsten Jahren in fast all un- Sie sind noch Kinder, gerade mal zwischen sechs seren Lebensbereichen beeinflussen. Das BMBF will die und zwölf Jahre alt. Aber sie sind schon so brutal, (B) Menschen genau darauf vorbereiten: von der Schule über dass kaum ein Lehrer bei einem Konflikt noch da- (D) die beruflichen und akademischen Ausbildungen bis hin zwischengehen mag. In der Schöneberger Spree- zur Weiterbildung von Berufstätigen. Deshalb habe ich wald-Grundschule … sah die Schulleitung nur gleich nach meinem Amtsantritt mein Ministerium um- noch einen Ausweg: einen eigenen Wachschutz! strukturiert, sodass sich jetzt jeder Bereich auch mit dem … 99 Prozent der Schüler haben einen Migrations- Thema Digitalisierung beschäftigt. hintergrund, 93 Prozent erhalten Transferleistungen. Die digitale Technik wird besonders von unserer jun- (Yasmin Fahimi [SPD]: Das ging ja schnell! – gen Generation selbstverständlich genutzt: ein Vorteil für Dr. Karamba Diaby [SPD]: Langweilig! – die Wissensvermittlung in heterogenen Schülergruppen; Niema Movassat [DIE LINKE]: Machen Sie denn sie ermöglicht individuell gestalteten Unterricht. nicht mal halt vor Kindern in Ihrem Rassis- Mein großes Ziel ist es deshalb, den DigitalPakt jetzt zü- mus?) gig auf den Weg zu bringen. 5 Milliarden Euro für digi- tale Schulen dürfen nicht in Kompetenzstreitigkeiten un- Das ist aus der „Berliner Zeitung“ vom 1. März 2018. So tergehen. Dafür haben die Menschen, die Eltern, ja, auch viel zum verschwiegenen Hintergrund des Antrags von unsere Wähler zu Recht kein Verständnis. CDU/CSU und SPD, der „Schulen in benachteiligten so- zialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integrati- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) on“ tatkräftig fördern will. Wir müssen eine Einigung finden; das sind wir unseren (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kindern und Jugendlichen schuldig. Ich will moderne Schauen Sie sich mal den Rütli-Campus an, Schulen in Deutschland sehen – besser heute als morgen. wie geil der geworden ist!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dass niemand anderer als Sie selbst für diese Miss- Vieles ist – das zeigt der Bildungsbericht – auf einem stände an unseren Schulen verantwortlich ist, nämlich guten Weg, und einiges muss sich noch verbessern. Da- durch Ihre verantwortungslose Politik der ungeregelten für sollten wir den letzten und vielleicht wichtigsten Rat Masseneinwanderung, verschweigen Sie natürlich. des Bildungsberichts beherzigen. Ich zitiere aus dem Bil- dungsbericht: (Beifall bei der AfD) In Anbetracht der bestehenden Verantwortlichkeiten 5 Millionen Euro Steuergeld jährlich, später 7,5 Millio- im Bildungsbereich stellt sich die Frage, wie neue nen wollen Sie über zehn Jahre aufwenden, um soziale Formen der Zusammenarbeit und Handlungskoor- Ungleichheiten und Lernrückstände der benachteiligten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8805

Dr. Marc Jongen (A) Schüler zu reduzieren, von den Ländern soll noch einmal kleinen Dosen an Sie in der CDU verabreicht, sodass Sie (C) dieselbe Summe dazukommen. es nicht richtig mitbekommen haben. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der AfD) Mensch, sonst haben Sie das im zweiten Satz gesagt! Jetzt erst im vierten!) Jetzt ist aller konservative Geist aus Ihrer Partei gewi- chen; das zeigt dieser Antrag. Das wird einer der unzähligen Haushaltsposten, in denen die horrenden Kosten der desaströsen Migrationspolitik Natürlich ist eine möglichst gute Ausbildung wichtig versteckt werden, mit dem einzigen Effekt, dass aus der für die Integration von Migranten. Aber die Integrations- Bildungsnation Deutschland ein Betreuungsgebiet für forschung weist auch klar darauf hin, dass alle Bemühun- Schwer- bis Unbeschulbare aus aller Welt gemacht wird, gen für die Katz sind, wenn die Kinder mit Migrations- und zwar hintergrund die einheimischen an Zahl weit übersteigen, (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE wie das in vielen Orten Deutschlands schon längst der LINKE]: Niemand ist unbeschulbar! Es Fall ist. kommt auf die Mittel an! Unglaublich!) (Dagmar Ziegler [SPD]: So ein Quatsch!) auf dem Rücken der Einheimischen und der gut integrier- ten Einwanderer. Ich zitiere aus dem Berliner „Tagesspiegel“ die Zeugen- aussage eines Opfers der immer mehr um sich greifenden (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutschenfeindlichkeit: NEN]: So menschenverachtend!) Ich gehe in die siebte Klasse auf ein Gymnasium in Sie sind nämlich die Leidtragenden dieser rapiden Ni- Schöneberg. Dort werde ich ausgegrenzt, weil ich veauabsenkung an unseren Schulen, die Sie zu verant- Deutscher bin und Schweinefleisch esse. Es wird worten haben. auf Türkisch und Arabisch über mich gelästert. Auf (Niema Movassat [DIE LINKE]: So men- Deutsch werde ich als Hurensohn oder gefickte schenverachtend! Unglaublich!) Hure beschimpft. Das wollen Sie natürlich alles nicht hören. Sie bringen – So viel zum Thema Rassismus, werter Kollege. – es ja auch fertig, in Ihrem Antrag mit keinem Wort zu erwähnen, dass die „bildungsfernen Haushalte“ in Ihrem (Beifall bei der AfD) Antrag zum allergrößten Teil Migrationshintergrund ha- Außerdem werde ich ab und zu geschlagen und ge- ben. (B) treten. Wenn ich anderen Jungen zu nahe komme, (D) (Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Das ist beschimpfen sie mich als schwul und treten mich. doch Unsinn! – Margit Stumpp [BÜND- Mädchen werden in meiner Klasse als Schlampen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht auch bezeichnet, wenn sie schulterfreie Shirts tragen … einen Migrationshintergrund?) Das Schulamt und die Schule helfen mir nicht. Der nationale Bildungsbericht spricht aber eine sehr Und die viel zu lange hier Regierenden helfen diesem eindeutige Sprache: Während im Jahr 2016 in Deutsch- Jungen auch nicht, so wenig wie den Zehntausenden ähn- land 5 Prozent der Schüler ohne Migrationshintergrund lich gelagerten Fällen in ganz Deutschland. unter das Bildungsrisiko eines geringqualifizierten Elternhauses fielen, waren es unter den Schülern mit Die AfD lehnt Ihren Antrag ab und fordert Sie auf: Migrationshintergrund 24,7 Prozent. Stärken Sie mit uns stattdessen den Leistungsgedanken in den Schulen, und hören Sie auf, an den Symptomen (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Beschämend!) herumzudoktern. Jetzt schreiben Sie in Ihrem Antrag: Vielen Dank. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und Aufgabe, allen Kindern mehr Chancen durch (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE gute Schulen zu eröffnen. LINKE]: Kein Satz zur Lösung! Nur Hetze! Unglaublich! – Oliver Kaczmarek [SPD]: Mit Liebe Kollegen, man kann nicht alles auf die Ge- Rechtsradikalen muss man darüber gar nicht sellschaft schieben. Es ist auch eine Aufgabe der El- reden! – Gegenruf des Abg. Karsten Hilse ternhäuser, für Bildung und Bildungsbereitschaft ihres [AfD]: Leistungsgedanke ist bei Ihnen nicht Nachwuchses zu sorgen. Und es ist eine Bringschuld angekommen! Leistungsgedanke ist für Sie der Migranten, diese Bildungsbereitschaft vorzuweisen, ein Fremdwort!) wenn sie bei uns leben wollen. Deutschland kann nicht die Weltförderschule werden. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der AfD – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Sie können doch auswandern!) Nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Ab- geordnete Marja-Liisa Völlers. Ein solcher Glaube an Gesellschaft und Sozialklemp- nertum ist natürlich klassisch linke Denke, die hat Frau (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Merkel vielleicht damals in der DDR aufgesogen und in der CDU/CSU) 8806 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Marja-Liisa Völlers (SPD): Schulhalbjahr des Schuljahres 2019/2020 starten kann. (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und An dieser Stelle geht noch einmal ein herzlicher Dank Kollegen! Wer kennt sie nicht, die Hilferufe von Schu- an die Kollegin Tiemann von der Unionsfraktion für die len, die absolut am Limit sind? Insbesondere in unseren gute und konstruktive Zusammenarbeit. Städten gibt es sie, und das nicht zu knapp. Wir wollen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diesen Schulen helfen, die oft unter dem Label „Brenn- der CDU/CSU) punktschule“ laufen. Ich kann dieses stigmatisierende, negative Wort überhaupt nicht leiden und auch nicht Sehr geehrte Damen und Herren, die soziale Herkunft mehr hören. Wir wollen aus diesen Schulen eine Erfolgs- und der Ort, an dem man lebt, haben in unserem Land geschichte machen. Sie sollen Chancenschulen werden. nach wie vor einen viel zu großen Einfluss auf den Bil- dungserfolg von Kindern und Jugendlichen. Das zeigen (Beifall bei der SPD) die internationalen Vergleichsstudien PISA und IGLU Dieses Thema ist uns Sozialdemokratinnen und Sozial- genauso wie der aktuelle Bildungsbericht, den wir heu- demokraten eine Herzensangelegenheit und hat deshalb te im Deutschen Bundestag debattieren. Die sozialen auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Ange- Ungleichheiten sind in Deutschland unverändert stark sichts des Problemdrucks ist Tatkraft und zügiges Han- ausgeprägt, und die Schulen in benachteiligten sozialen deln gefordert. Deshalb freue ich mich, dass wir als Re- Quartieren stehen dabei vor besonders großen Heraus- gierungsfraktionen heute unseren gemeinsamen Antrag forderungen. Genau um diese Kinder und Jugendlichen einbringen. wollen und müssen wir uns kümmern. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Kein Kind in diesem Land darf zurückgelassen werden. Eines steht fest: Wir dürfen diese Schulen, ihre Lehr- Das ist nicht nur ein ursozialdemokratisches Anliegen, kräfte und Schülerinnen und Schüler nicht alleinlassen. sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – Sie brauchen unsere Unterstützung; sie brauchen eine ganz, ganz sicher. bessere Unterstützung. Deshalb nehmen wir sie mit der neuen Initiative zur Förderung von Schulen in benach- (Beifall bei der SPD) teiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns da- der Integration ganz besonders in den Blick. Liebe Kol- ran messen lassen, ob wir für alle einen gerechten Zugang leginnen und Kollegen, in vielen Bundesländern gibt es zu Bildung und gleiche Aufstiegschancen hinbekommen. bereits Programme genau dafür. Das zeigt, dass dieses Das ist das, was über den Erfolg unseres Bildungssys- Thema den Ländern völlig unabhängig davon, welche tems entscheidet und was von herausragender Bedeutung (B) (D) Farbe die jeweilige Landesregierung gerade hat, unter für die Zukunft unseres Landes ist. den Nägeln brennt. Wir alle sind uns aber einig, dass es noch größerer Anstrengungen bedarf, um das Problem in (Beifall bei der SPD) den Griff zu bekommen; da reicht es nicht, nur darüber Mit der neuen Bund-Länder-Initiative zur Förderung der zu reden. Chancenschulen kommen wir diesem Ziel wieder ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Stückchen näher. Gehen wir es gemeinsam an! Wir orientieren uns – so steht es auch im Koalitions- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vertrag – bei der Ausgestaltung an der Initiative „Leis- der CDU/CSU) tung macht Schule“. Das ist die Bund-Länder-Initiative zur Förderung leistungsstarker und potenziell besonders Vizepräsident Thomas Oppermann: leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler. Analog dazu Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion soll auch die neue Initiative für alle Schulformen über der FDP der Abgeordnete Jens Brandenburg. zehn Jahre laufen, aus zwei Phasen bestehen und, wenn die Länder genauso viel zur Finanzierung wie der Bund (Beifall bei der FDP) beitragen, ein Volumen von 125 Millionen Euro haben. Die Aufgabenteilung ist auch klar: Der Bund sorgt für Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (FDP): die Förderung der begleitenden Forschung sowie deren Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bil- Auswertung – etwas anderes lässt das Grundgesetz auch dung befähigt den Einzelnen zu einem selbstbestimmten, nicht zu, meine lieben Kolleginnen und Kollegen –, und zu einem aufgeklärten Leben. Diese große Aufgabe endet die Länder sorgen für die Auswahl, Begleitung und För- ja nicht mit dem Abschluss der Schule oder der Ausbil- derung der teilnehmenden Schulen. dung; sie stellt sich ein Leben lang. Das gilt in Zeiten (Beifall bei der SPD) wie diesen, in denen wir die Jobs von morgen noch gar nicht kennen, in denen sich auch im privaten Umfeld Weil uns das Thema so wichtig ist und wir wollen, durch technologische Neuerungen immer schneller im- dass es möglichst schnell losgeht, wurden im Bundes- mer mehr ändert, umso mehr. Deshalb brauchen wir ein haushalt 2019 schon 2 Millionen Euro als Anschubfi- zweites, ein neues Bildungssystem für das ganze Leben. nanzierung bereitgestellt. Das Geld soll zum Beispiel für (Beifall bei der FDP) eine bald stattfindende Fachkonferenz eingesetzt werden. Unser Ziel als Abgeordnete ist es, dass alles dafür getan Lebenslanges Lernen muss man sich leisten können. wird, dass die Initiative dann spätestens zum zweiten Allzu oft scheitert das an hohen Kurs- bzw. Teilnahme- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8807

Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) (A) gebühren oder auch an der Finanzierung der Auszeit, die Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) man sich für diese Bildung nehmen will. Wie soll denn Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Abgeordnete zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter, die ihre Fa- Katrin Staffler für die Fraktion der CDU/CSU. milie ernähren muss, eine dreimonatige Weiterbildung finanzieren, wenn sie dafür auf ihr Gehalt verzichten (Beifall bei der CDU/CSU) muss? Ermöglichen wir es also allen Menschen, in ihre Zukunft zu investieren, Katrin Staffler (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben es heute schon in dem einen oder anderen Rede- der LINKEN) beitrag gehört: Eine der zentralen Entwicklungen, die durch steuerliche Anreize, einen Teil des eigenen Ein- der nationale Bildungsbericht aufzeigt, ist der anhalten- kommens für Bildungszwecke zur Seite zu legen, und de Trend zu höher qualifizierenden Abschlüssen und die durch ein neues Midlife-BAföG, das Menschen mit klei- ungebrochen hohe Nachfrage nach einem Studium. In nem und mittlerem Einkommen ermöglicht, an Bildung meinen Augen stellt diese positive Entwicklung gleich- teilzuhaben. Der Zugang zu solchen Angeboten darf zeitig auch eine Herausforderung dar. Ich möchte gerne nicht vom jeweiligen Geldbeutel abhängen. erklären, warum das so ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dass auf der einen Seite immer mehr junge Menschen der LINKEN) in Deutschland ein Studium anfangen können und das auch wollen, ist grundsätzlich ein positives Signal, und Verschenken wir auch nicht die großen Potenziale zwar genau deswegen, weil es ein Zeichen dafür ist, dass unserer Bildungseinrichtungen. Lebenslanges Lernen wir in Deutschland eine vielfältige und attraktive Hoch- findet ja nicht nur an Volkshochschulen und in den Be- schullandschaft besitzen. Es ist auch ein Zeichen dafür, trieben statt. Öffnen wir also insbesondere unsere allge- dass die Hochschulen trotz der immer weiter steigenden meinbildenden und die beruflichen Schulen sowie die Studentenzahlen eine großartige Expansionsleistung Hochschulen für Angebote des lebenslangen Lernens. vollziehen und in den vergangenen Jahren auch schon Das erfordert neue Konzepte, neue Ansätze, eine neue vollzogen haben – nicht zuletzt mit der Hilfe des Bundes Art der Finanzierung, eine moderne Infrastruktur in allen in Form des Hochschulpaktes. Bildungseinrichtungen, eine große Offenheit für innova- Aber wie es so ist: Bei positiven Entwicklungen gibt tive Konzepte wie E‑Learning oder Flipped Classrooms. es fast immer auch Herausforderungen, eine Kehrseite. Und das erfordert auch einen neuen rechtlichen Rahmen, Diese Kehrseite wird mir immer dann besonders deutlich der die Hochschulen dieses Landes nicht länger in das vor Augen geführt, wenn ich, wie in den vergangenen (B) enge Korsett der Kapazitätsverordnungen zwängt. (D) Monaten sehr oft, in meinem Wahlkreis unterwegs bin (Beifall bei der FDP) und zahlreiche Betriebe besuche. Warum? Weil in den Gesprächen vor Ort eines sehr deutlich wird: Es fehlt uns Gute Bildung muss man auch finden können. Kaum ganz dringend an Auszubildenden. Allein die Metzge- ein Markt ist für den Endverbraucher ja so unübersicht- reibetriebe in meinem Wahlkreis haben im neuen Aus- lich wie der Weiterbildungsmarkt. Stellen wir unseren bildungsjahr nur ein Drittel – ein Drittel! – aller Ausbil- Bürgerinnen und Bürgern also ein zentrales Portal zur dungsplätze besetzen können. Und was für die Metzger Verfügung, das all diese Informationen und Angebote gilt, gilt auch für viele, viele andere Betriebe. Diese Be- bündelt, individuelle Empfehlungen für den nächsten triebe arbeiten mittlerweile an ihren Kapazitätsgrenzen, Schritt auf Basis bisheriger Qualifikation gibt und eine weil über die Hälfte aller offenen Ausbildungsstellen bis gute Übersicht bietet, die zeigt, was man an Leistungen August nicht besetzt werden konnten. bisher erbracht und an Qualifikationen erworben hat. Zeit ist kostbar. Machen wir es den Menschen also möglichst Wenn ich unterwegs bin und in den Betrieben nach einfach, die nächsten Angebote zu finden! dem Grund frage, dann höre ich von jedem Einzelnen immer das Gleiche, nämlich, dass sich die jungen Men- (Beifall bei der FDP) schen immer öfter für ein Studium entscheiden. Die Un- ternehmer sagen mir, eine Ausbildung ist in ihren Augen Sie sehen, es gibt viel zu tun. Wo ist da die Bildungs- für junge Menschen schlichtweg nicht mehr attraktiv, ministerin Frau Karliczek? Sie sind heute hier. Von Ihnen und das gilt insbesondere für diejenigen, die Abitur ha- hat man aber während Ihrer Amtszeit in der Debatte bis- ben. Nicht selten erzählen mir die Ausbildungsbetriebe her noch keinen wirklichen Impuls gehört. auch, dass ihnen überhaupt keine andere Möglichkeit (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- mehr bleibt, als sich aus der Ausbildung zurückzuziehen. SES 90/DIE GRÜNEN) Genau diese Entwicklung attestiert uns auch der nationa- le Bildungsbericht, und er warnt zudem davor, dass wir Sie überlassen es Ihrem Kollegen Hubertus Heil, in der Ausbildungsinfrastrukturen verlieren. Debatte zum lebenslangen Lernen Impulse zu setzen. Starten Sie doch seitens des Bildungsministeriums end- Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, vor allem lich eine große Offensive für weltbeste Bildung, ein Le- die Klein- und Kleinstbetriebe bilden unser Rückgrat für ben lang! die duale Ausbildung. Und genau diese Ausbildung ist wiederum entscheidend für die Innovationskraft unseres (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Mittelstandes. Die Frage ist also: Wie können wir die der SPD) berufliche Bildung so stärken, dass wir einerseits mehr 8808 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Katrin Staffler (A) junge Menschen für eine betriebliche Ausbildung begeis- Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) tern und gleichzeitig auch mehr Unternehmen, also vor Vielen Dank. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist allem die Klein- und Kleinstbetriebe, für die Ausbildung die Kollegin Yasmin Fahimi für die Fraktion der SPD. gewinnen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich habe mir die Anträge der Oppositionsparteien an- der CDU/CSU) geschaut. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wirklich kon- krete Ansätze habe ich darin nicht gefunden. Ich kann Yasmin Fahimi (SPD): Ihnen aber sagen, wo Sie eine Antwort auf die Frage fin- Herr Präsident! Sehr geehrtes Haus! Liebe Gäste auf den können: Werfen Sie einmal einen Blick in den Koa- den Tribünen! Ja, die berufliche Bildung ist eine tragen- litionsvertrag. de Säule unseres Bildungssystems. Darüber gibt es große (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Einigkeit hier im Haus, aber im Übrigen auch bei den ordneten der SPD) Arbeitgebern und Gewerkschaften. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir Wenn man sich aber trotzdem einmal anschaut, wie vereinbart, dass wir die Berufsorientierung an den allge- sich die Zahl der Ausbildungsbetriebe in Deutschland meinbildenden Schulen in den Sekundarstufen, also auch entwickelt hat, dann müssen wir leider feststellen, dass an den Gymnasien, weiter stärken werden. Damit geben es da einen Rückgang gibt – und das in Zeiten des Fach- wir jungen Menschen bereits in der Schule eine wertvolle kräftemangels. Ich frage also: Wie ist das eigentlich Orientierungshilfe an die Hand. möglich? Was sind die Gründe? Gibt der Bildungsbericht dazu Hinweise? Ja, er gibt einen Hinweis, zum Beispiel Mit Programmen wie Jobstarter unterstützen wir auch beim Blick auf die Kleinstbetriebe, gerade im ländlichen die Ausbildungsbetriebe, damit sie für die vielfältigen Raum. Dort fühlen sich viele alleingelassen, vielleicht Herausforderungen in diesem Bereich für die Zukunft überfordert. Es ist für uns in der Tat eine Herausforde- gewappnet sind. rung, die Ausbildungsinfrastrukturen, die Möglichkeit Damit finanzielle Hürden für den beruflichen Aufstieg zur Mobilität für die Auszubildenden durch Mobilitäts- abgebaut werden, werden wir das Aufstiegs-BAföG wei- hilfen und Azubi-Tickets in den Kommunen zu verbes- ter ausbauen. sern, aber auch die Berufsschulen darauf auszurichten, dass Blockunterricht möglich ist, und für entsprechende Und nicht zuletzt werden wir innovative Qualifizie- Übernachtungsmöglichkeiten in der Umgebung zu sor- rungswege, wie zum Beispiel die höhere Berufsbildung, gen. stärken, die hochschulisches und berufsbildendes Lernen Mich beschleicht aber das Gefühl, dass das nicht das zusammenführen sollen. (B) alleinige Problem ist. Wenn man sich das nämlich genau- (D) An dieser Stelle möchte ich auch eine ganz bestimmte er anschaut, dann stellt man fest, dass der Rückgang von Initiative erwähnen. Wir starten in diesem Jahr den Inno- Ausbildungsbetrieben quer durch alle Unternehmensgrö- vationswettbewerb für die berufliche Bildung, mit dem ßen zu verzeichnen ist, also auch Großbetriebe betrifft. wir die Bildungschancen aller jungen Erwachsenen mit- Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Wenn wir hilfe von neuen und exzellenten Berufsbildungskonzep- die berufliche Bildung mit Blick auf den Fachkräfteman- ten verbessern werden. Ich möchte an dieser Stelle einen gel so herausragend benennen, dann geht es nicht, dass Dank an die Ministerin und an den Kollegen Stephan sich Großunternehmen jahrzehntelanger gesellschaftli- Albani sagen, die sich für diese, wie ich finde, großartige cher Verabredungen in dieser Art und Weise entziehen. Initiative eingesetzt haben. Das ist nicht akzeptabel. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe eine vielfältige und, wie ich finde, zahlreiche Palette an Maßnahmen aufgezählt. Ich persönlich bin zu- Es gibt aber auch den Vorwurf: Na ja, es gibt nicht versichtlich, dass wir damit den ersten Schritt schaffen, ausreichend qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber. dass wir nicht nur die jungen Menschen für die beruf- Müssen sie nicht erst noch nachgeschult bzw. vorberei- liche Ausbildung begeistern können, sondern dass wir tet werden? – Deswegen zitiere ich schlicht und ergrei- auch die Betriebe in der beruflichen Ausbildung behalten fend einen Satz aus dem Bildungsbericht, der mit diesem können. Aberglauben aufräumt. Da heißt es nämlich: Liebe Kolleginnen und Kollegen, der nationale Bil- Die verallgemeinerte Annahme, dass Jugendliche, dungsbericht und auch die Debatte, die wir heute füh- die zunächst eine Alternative im Übergangssektor ren, haben uns gezeigt: Ja, wir müssen weiter intensiv besuchen, auch niedrigere Kompetenzen aufweisen, arbeiten. Wir müssen unser Bildungswesen über alle ein- kann nicht bestätigt werden. zelnen Bestandteile hinweg verbessern. Lassen Sie uns (Beifall bei Abgeordneten der SPD) deswegen gemeinsam mit dem nötigen Ehrgeiz und mit Tatendrang in das neue Jahr starten! Genau dies tun wir. Also hören Sie auf mit diesem Vorwurf. Das sind vorge- schobene Probleme. Nicht klagen, sondern klotzen! Vielen Dank. Bildung ist etwas wert. Es muss uns die Mühe wert (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sein, sich die Zeit zu nehmen und eben auch die Bereit- ordneten der SPD) schaft zu haben, Wissen zu teilen und zu vermitteln. Es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8809

Yasmin Fahimi (A) ist kein Meister vom Himmel gefallen und damit eben Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatz- (C) auch keine Fachkraft von morgen. punkt 10 auf: Bildung ist etwas wert. Sie muss uns mindestens eine 16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Ausbildungsvergütung wert sein, Kipping, Caren Lay, Matthias W. Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!) Wohnkostenlücke schließen – Kosten der Un- eine Mindestausbildungsvergütung, wie sie die SPD ge- terkunft existenzsichernd gestalten fordert hat, Drucksache 19/6526 (Beifall bei der SPD) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales und zwar eine Ausbildungsvergütung als echten An- spruch und in einer angemessenen Höhe. Was kann eine ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Pascal angemessene Höhe sein? Das Bildungsministerium hat Kober, Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), einen Vorschlag vorgelegt, bei dem die Auszubildenden weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP am Ende des Tages weniger in der Tasche behalten wür- Rechtssicherheit für die Kommunen und Job- den, als ein Schüler an BAföG bekommen kann. center – Berechnung der Kosten der Unter- Frau Karliczek, ich bitte Sie, Ihren Vorschlag noch kunft in der Grundsicherung vereinfachen einmal zu überdenken. Der BAföG-Schülersatz liegt Drucksache 19/7030 derzeit bei 504 Euro. Wenn wir Auszubildende mindes- tens gleichstellen wollen, haben sie Anspruch auf einen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Mindestausbildungsbetrag von 634 Euro brutto, weil sie Haushaltsausschuss nämlich noch Sozialversicherungsbeiträge zahlen müs- sen. Für die Aussprache sind interfraktionell 60 Minuten vereinbart worden. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. (Zuruf von der LINKEN: Das ist auch gut Dann ist das so beschlossen. so!) Wenn Sie Platz genommen haben – der notwendige Wenn wir uns politisch nicht angreifbar machen wollen, Expertenaustausch –, eröffne ich die Aussprache und er- dass wir diese Höhe willkürlich setzten, dann müssen wir teile das Wort als erster Rednerin Katja Kipping für die uns am Tarifvertragssystem orientieren und nicht an ei- Fraktion Die Linke. ner Sozialleistung wie dem Schüler-BAföG. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Katja Kipping (DIE LINKE): GRÜNEN) Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Steigende Solange Auszubildende weniger kosten als eine 450-Eu- Mieten belasten sowohl den Krankenpfleger, die Lehre- ro-Kraft, so lange können wir den Missbrauch auf dem rin, die arme Rentnerin als auch Menschen in Hartz IV. Ausbildungsmarkt nicht ausschließen. Deswegen müs- Wir Linke setzen uns deshalb für bezahlbares Wohnen sen wir die Attraktivität von Ausbildung auch dadurch ein und fordern ganz konkret einen wirklichen Mietende- sicherstellen, dass wir eine ordentliche und nachvollzieh- ckel, mehr bezahlbaren Wohnraum, und wir unterstützen bare Mindestausbildungsvergütung einführen. das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Bildung ist uns etwas wert, und eine Mindestausbil- (Beifall bei der LINKEN) dungsvergütung hat unsere Jugend verdient. Im heute vorliegenden Antrag geht es vor allem um die Übernahme der Wohnkosten von Hartz‑IV-Betroffe- Vielen Dank. nen und armen Rentnern und Rentnerinnen. Die müssen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten endlich existenzsichernd ausgestaltet werden; der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Rich- tig!) denn Wohnen ist ein Grundrecht. Hartz‑IV-Betroffene – und dazu gehören auch Aufstockende in Teilzeit oder Alleinerziehende – bekommen vom Jobcenter nur die Vizepräsident Thomas Oppermann: angeblich angemessenen Wohnkosten ersetzt. Was als Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht angemessen gilt, wird jeweils vor Ort, in den Städten und vor. Ich schließe die Aussprache. Landkreisen, festgelegt. Oft gibt es aber gar nicht genü- gend Wohnraum zu den angeblich angemessenen Unter- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf kunftskosten, oder diese Wohnungen konzentrieren sich den Drucksachen 19/7027, 19/6930, 19/7041, 19/7026, alle in einigen wenigen Stadtteilen. 19/4632 und 19/7031 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie, Wir als Linke haben es mit einer Anfrage ans Licht soweit erkennbar, einverstanden. Dann sind diese Über- gebracht: Es gibt eine große Lücke zwischen dem, was weisungen so beschlossen. Hartz‑IV-Betroffenen an Wohnkosten gezahlt wird, 8810 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Katja Kipping (A) und dem, was tatsächlich an Wohnkosten anfällt. Im So weit sind wir schon: Die UN ist wegen der (C) Jahr 2017 lag diese Differenz bei 560 Millionen Euro. Hartz‑IV-Praxis in Deutschland besorgt. Es ist höchste Fast jedem fünften Haushalt werden nicht die vollen Zeit, diesen Missstand zu beheben. Wohnkosten anerkannt. Das bedeutet im Durchschnitt (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- eine Lücke von 80 Euro pro Monat und Haushalt. Diese neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Differenz bezeichnen wir als Wohnkostenlücke, und die- se Wohnkostenlücke muss die Regierung schließen. Wir unterbreiten verschiedene Standards zur Berech- nung, und wir haben dafür drei Quellen: erstens das Wis- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sen aus dem Alltag – wir haben nämlich mit Betroffenen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geredet –, zweitens die guten Regelungen, die Die Lin- ke in Berlin mit den AV Wohnen umgesetzt hat, drittens Die Menschen reagieren nun sehr unterschiedlich Standards, die bereits in der Rechtsprechung der Sozial- auf dieses Problem. Die einen sehen sich gezwungen, gerichte entwickelt wurden, aber leider nicht immer an- ihr vertrautes Wohnumfeld zu verlassen. Das befördert gewandt werden, was unnötige Klagen verursacht. Diese die Konzentration von ärmeren Menschen in einzelnen Standards sind sehr komplex. Ich möchte zwei Maßnah- Stadtteilen. Die jetzige Regelung befördert damit, dass men ansprechen, die sehr konkreter Natur sind. in den Kitas und Grundschulen, die ja eher wohnortnah organisiert sind, die Kinder der Armen und die Kinder Wir sagen erstens: Im ersten Jahr Hartz IV sollten die tatsächlich anfallenden Wohnkosten in voller Höhe über- der Reicheren eher unter sich bleiben. Diese Spaltung der nommen werden. Gesellschaft ist Gift für den Zusammenhalt, diese Spal- tung ist Gift für die Demokratie, und hier besteht Hand- (Beifall des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE lungsbedarf. LINKE])

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Denn wir finden: Wer in Hartz IV fällt, soll sich auf die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Suche nach einem neuen Job konzentrieren und sich nicht durch die Suche nach einer neuen Wohnung verun- Hinzu kommt: Im vertrauten Wohnumfeld helfen sich sichern lassen. die Menschen gegenseitig. Befreundete Eltern holen (Beifall bei der LINKEN) das Kind mal aus der Grundschule mit ab, die Nachbarn schauen aufeinander. Das vertraute Wohnumfeld zu ver- Zweitens meinen wir: Die Mitgliedsbeiträge für Mie- lassen, bedeutet eben auch, dass man diese Netzwerke, tervereine sollten vom Jobcenter übernommen werden. die im Alltag so wichtig sind, verliert. Für Alleinerzie- Die Mietervertretung hätte damit zum einen mehr Un- (B) (D) hende, für ältere Menschen, für Menschen mit Behinde- terstützung, die Betroffenen wären außerdem wehrhafter, rungen ist das eine besondere Härte. und drittens könnte die öffentliche Hand am Ende sogar noch Geld sparen; denn wenn die Heizkosten- und die Andere wiederum sparen sich dann diese Differenz Nebenkostenabrechnungen noch einmal gegengeprüft vom Munde ab, und das von einem ohnehin viel zu nied- werden, fallen sie in der Regel auch geringer aus. Kurz- rigen Hartz‑IV-Regelsatz. Ich erinnere noch mal daran: um: Das ist eine klassische Win-win-Situation. Lassen im Durchschnitt 80 Euro pro Monat und Haushalt. Das Sie uns damit einfach anfangen! sind rund ein Fünftel des Hartz‑IV-Satzes, was man sich (Beifall bei der LINKEN) vom Munde absparen muss. Aus aktuellem Anlass noch einige Worte zum Agie- Unser Ziel lautet deshalb: Die Regelungen zur Ange- ren der Regierung bei den Verhandlungen zu den messenheit der Wohnkosten bei Hartz IV und anderen Hartz‑IV-Sanktionen in Karlsruhe: Das zuständige Sozi- Grundsicherungen müssen anders ausgestaltet werden. alministerium setzt doch tatsächlich auf Schönreden und Wir wollen, dass es keine Zwangsumzüge mehr gibt, Verteidigen der Sanktionspraxis. und wir meinen: Niemand darf sich die Wohnkosten vom (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Dafür Munde absparen müssen. werden die auch bezahlt! – Gegenruf des Abg. Karsten Hilse [AfD]: Fürs Schönreden?) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man möchte Ihnen zurufen: Mensch, Hubertus Heil, nut- ze doch dieses Verfahren als Chance für eine längst über- Dass die angemessenen Wohnkosten so niedrig an- fällige Kurskorrektur! Hartz IV, das war die Existenznot- gesetzt sind, wird auch von der UN, den Vereinten Na- peitsche von Gerhard Schröder, und diese Peitsche muss tionen, kritisiert. Hierzu heißt es in den abschließenden jetzt weg. Bemerkungen zum sechsten Staatenbericht: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Besonders besorgt ist der Ausschuss über die sehr neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) niedrigen Grenzen für die Übernahme von Wohn- Hartz-IV-Sanktionen stehen nicht nur für soziale Här- kosten in der sozialen Grundsicherung, die bei te gegenüber den Armen; sie stehen doch auch für eine vielen Familien … zum Sparen bei anderen grund- Art Masochismus der SPD gegenüber sich selbst. Liebe legenden Ausgaben geführt hat … oder in einigen SPD, ihr müsst doch merken, wie viel Vertrauen euch das Fällen sogar zu Obdachlosigkeit. Festhalten an Hartz IV kostet. Ich finde, SM-Praktiken Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8811

Katja Kipping (A) haben in der Sozialpolitik nichts zu suchen. Also lasst sollen, das zu erreichen. – Da merkt man schon, wie groß (C) uns Hartz IV überwinden! Weg mit den Sanktionen, her die Spannbreite ist mit guter Arbeit und her mit einem garantierten Schutz (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir gehen aller vor Armut! halt in die Tiefe! – Gegenruf des Abg. Kai Vielen Dank. Whittaker [CDU/CSU]: Leider nicht, Frau Kipping! Das ist eher an der Oberfläche! – Ge- (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. genruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]: Birkwald [DIE LINKE]: Eine sehr gute Ge- Dann würde ich empfehlen, noch einmal den burtstagsrede! Herzlichen Glückwunsch!) Antrag zu lesen!) und wie wichtig es ist, dass wir in unserem Land eine

Vizepräsident Thomas Oppermann: Regierung haben, für die Maß und Mitte eine wesentli- Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete che Leitlinie ihrer Arbeit ist. Für uns ist Maß und Mitte Peter Aumer für die Fraktion der CDU/CSU. wesentlich. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Frau Kipping, es ist nicht so, dass wir gewartet haben, bis Die Linke dieses Thema auf die Tagesordnung Peter Aumer (CDU/CSU): gebracht hat. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kollegen! Wir beraten ein Thema, das jedem hier in die- sem Hause ein wichtiges Anliegen ist. Insofern ist die Er- Wir haben die Wohnkostenlücke in den letzten sechs Jah- mittlung der existenzsichernden Bedarfe bei den Kosten ren bereits um 19 Prozent verringert. Das gehört auch zur für Unterkunft und Heizung bei Bedarfsgemeinschaften Wahrheit, und das sollte man vielleicht auch ansprechen. nach dem SGB ein sehr wichtiges und wesentliches The- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Aus lauter ma. Angst!) Wenn man die Anträge, vor allem den Antrag der Lin- – Nicht aus Angst, sondern einfach im Sinne von Wahr- ken, sehr geehrte Frau Kipping, anliest, dann erkennt heit und Klarheit und aus der Erkenntnis heraus, dass das man, dass er – so wie es in Ihrer Rede gerade angeklun- Thema für Menschen, die in unserem Land am Existenz- gen ist – auch eine Abrechnung mit dem Hartz‑IV-Sys- minimum leben müssen, wichtig ist. tem ist. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wer es (Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, logisch!) glaubt!) (B) (D) Ich glaube, wenn man sich in den letzten Jahren intensiv Eine bundeseinheitliche Regelung würde sicherlich mit Hartz IV auseinandergesetzt hat, dann kann und muss nicht zu mehr Gerechtigkeit beitragen, meine sehr geehr- man klar feststellen, dass der Wohlstand, den wir heute in ten Damen und Herren der Linken. Wir sind Verfechter unserem Land haben – wir haben so wenige Arbeitslose des Subsidiaritätsprinzips. wie nie zuvor –, auch ganz wesentlich auf den Ansatz des (Karsten Hilse [AfD]: Oje!) Forderns und Förderns zurückzuführen ist. Dieser Ansatz ist für uns als CDU/CSU ganz wichtig und essenziell. Ich glaube, es ist auch wichtig, dass man vor Ort Lösun- gen findet. Das kann man vor allem in den Kommunen Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein wichti- tun. Ich bin auch in einem kommunalen Gremium, das ges Thema ist, wie gesagt, die Gerechtigkeit in unserem sich um diese Dinge kümmert, und ich glaube, dass es da Land. Wenn man die beiden Anträge, die zur Beratung gut angesiedelt ist. vorliegen, liest, sieht man deutlich, wie schwierig und komplex dieses Thema ist und wie wenig hilfreich Ideo- Je höher die Mietkostenübernahme ist, desto stärker logie bei der Suche nach einer guten, verlässlichen und wirkt es sich langfristig auf das Mietniveau aus. Ich glau- angemessenen Lösung in diesem Bereich ist. be, wir müssen auch an die Menschen denken, die nicht Hartz IV beziehen, aber trotzdem ein Einkommen haben, (Zurufe von der LINKEN) bei dem sie ganz genau schauen müssen, wie man über Die FDP will mit ihrem Antrag die Gesetzeslage kom- die Runden kommt und – gerade in den Ballungsräu- plettieren und vereinfachen, will Pauschalierungen ein- men – davon leben kann. führen, Bürokratie abbauen und dadurch die Lage der Zum Schluss noch eine Feststellung: Es ist auch unse- Leistungserbringer verbessern. rem Einsatz zu verdanken, dass wir eine jährliche Steige- (Zuruf von der FDP: So ist es!) rung um fast 1 Milliarde Euro bei diesem Thema haben. Das ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt, der hier ange- Mehr Klarheit durch Konkretisierung – das ist der Inhalt sprochen werden muss. des Antrags. Ich habe mir den Antrag der Linken sehr genau durch- Die Linke will bundesweit eine einheitliche Lösung gelesen. Darin steht irgendwo, dass der Diskussionsstand schaffen, will Diskriminierungen am Wohnungsmarkt in einem Gremium, das von der Bundesregierung mit abschaffen, will nicht mit Sozialleistungen überhöhte den Ländern gebildet worden ist, nicht bekannt sei und Mieten subventionieren und findet 30 Maßnahmen – man hier ein Geheimgremium habe, das sich über die- wenn man alle Punkte in Ihrem Antrag zählt –, die helfen ses Thema Gedanken macht. Ich habe einmal im Internet 8812 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Peter Aumer (A) gegoogelt und sofort gefunden, wie transparent diese Ar- Katja Kipping (DIE LINKE): (C) beitsgemeinschaft arbeitet. Vielen Dank für die Möglichkeit. – Es dient ja der Transparenz, wenn wir deutlich machen, wo wir Unter- Hier erarbeitet man verlässliche Lösungen für die schiede haben. Nicht hilfreich ist aber, wenn man dabei Menschen. Ich glaube, dass das BMAS da einen sehr gu- Sachen unterstellt. ten Auftrag für eine Untersuchung erteilt hat, die durch- geführt worden ist und viele Lösungen aufzeigt, die jetzt Bei Ihnen ist offensichtlich fälschlicherweise ange- in dieser Kommission auch erarbeitet werden. Das Gut- kommen, dass wir uns nicht um das Thema „mehr be- achten müssen wir dann natürlich politisch werten und in zahlbarer Wohnraum“ kümmern würden. So haben Sie ganz konkrete Gesetzesvorhaben umsetzen. es hier vertreten. Ich möchte Ihnen deshalb noch einmal den Beginn meiner Rede in Erinnerung rufen. Da habe Schauen wir uns beispielsweise die Stellungnahme ich gesagt: Wir setzen uns für mehr bezahlbares Wohnen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrts- ein, und das heißt unter anderem für mehr bezahlbaren pflege an, die am 31. Mai 2018 veröffentlicht worden Wohnraum. – Im Antrag ist diesem Thema auch ein gan- ist. Darin stellt die Freie Wohlfahrtspflege ganz klar fest, zer Punkt gewidmet. dass sie erstens die Bestrebungen der Bundesregierung Neben mir sitzt die Kollegin Caren Lay, die sich seit begrüßt, die Regelungen zu den Kosten der Unterkunft vielen Jahren für eine aktive Mieterinnen- und Mieter- und für Heizung zu reformieren. Sie stellt zweitens zwei bewegung starkmacht. Insofern haben wir uns schon vor wesentliche Ziele in den Mittelpunkt. Das erste Ziel be- Jahren, als bei der Regierung noch nichts passiert ist, da- trifft die Rechtssicherheit und die Verfahrenssicherheit. für eingesetzt, dass es mehr bezahlbaren Wohnraum gibt. Es ist wichtig, dass man transparente und praktikable Re- gelungen einführt. Würden Sie also zur Kenntnis nehmen, dass wir in der Frage von bezahlbarem Wohnraum keinen Nachhilfeun- Sie sprechen sich, meine lieben Kollegen der FDP, terricht brauchen? klar gegen Pauschalierungen aus, aus meiner Sicht auch richtigerweise, weil in einem Land wie Deutschland mit Danke. seiner Vielfältigkeit Pauschalen nicht die richtige Ant- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der wort wären. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien CDU/CSU: Brauchen Sie doch!) Wohlfahrtspflege, meine sehr geehrten Damen und Her- ren der Linken, spricht sich ebenfalls gegen die von Ih- nen angedachte Pauschalierung aus und sagt: Es ist ganz Peter Aumer (CDU/CSU): wichtig, dass man bei den Kosten der Unterkunft auch Ich nehme das sehr gerne zur Kenntnis, Frau Kipping. (B) eine angemessene Begrenzung einführt. Das ist auch ein gemeinsames Ziel. Nur: Wenn man sich (D) den Antrag anschaut, findet man darin nur zwei oder drei (Katja Kipping [DIE LINKE]: Es geht um die Zeilen zu diesem Thema. Alles andere bezieht sich auf Standards, wie es gerechnet wird!) andere Themen.

Das ist auch ganz wesentlich. Aufgrund der Bedeutung des Themas „Schaffen von Wohnraum“ ist – das muss man einfach sagen – der ent- Der zweite Punkt, auf den von der Bundesarbeitsge- scheidende Punkt, dass wir hier die Impulse setzen; denn meinschaft hingewiesen wird, ist die tatsächliche Ver- dann können auch die anderen Punkte, die Hauptziele fügbarkeit von Wohnraum. Auf dieses Thema sind Sie in Ihres Antrags sind, gut behandelt werden. Das ist unsere Ihrer Rede und auch im Antrag gar nicht eingegangen. Stoßrichtung. Das wollte ich noch einmal ansprechen. Ich weiß, wie (Katja Kipping [DIE LINKE]: Nein, nein, das schwierig es ist, zu Lösungen zu kommen. Vor einiger stimmt nicht!) Zeit ist jemand zu mir in meine Bürgersprechstunde ge- Wir haben uns in diesem Haus der Grundherausforde- kommen, der ein eigenes Haus besitzt und berichtet hat, rung anzunehmen, dass wir den Menschen genügend wie schwierig es ist, die notwendigen Mittel für die Kos- Wohnraum zur Verfügung stellen. Da besteht in allen ten der Heizung zu bekommen. Bereichen des Landes Knappheit. Hier ist es notwendig, Ich kann also jeden einzelnen Fall nachvollziehen. Es dass wir unsere Hausaufgaben erledigen. Wir haben als ist sicherlich eine Gerechtigkeitsfrage. Hier müssen wir CSU beispielsweise das Baukindergeld eingebracht, um nachsteuern. Die Bundesregierung hat das auch in Auf- für junge Familien die Möglichkeit zu eröffnen, Wohn- trag gegeben. Deswegen bin ich froh darüber, dass hier raum zu schaffen. gehandelt wird und dass wir nicht auf die Linken warten müssen, sondern uns schon seit vielen Jahren, seit min- destens sechs Jahren, dem Thema gewidmet haben. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Aumer, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Zu spät!) kung der Kollegin Kipping? Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten erst abwarten, bis diese Bundesarbeitsgemeinschaft mit den Ländern – und zwar sehr schnell; das müsste auch (CDU/CSU): Peter Aumer die Aufforderung an das BMAS sein – Vorschläge erar- Ja, sehr gerne. beitet hat, die man dann auch hier im Parlament disku- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8813

Peter Aumer (A) tieren kann. Dann kann man hoffentlich eine Lösung fin- tatsächlichen Lebensverhältnisse und der Angemessen- (C) den, wie jeder Mensch in unserem Land gut leben kann. heit der Kosten reduziert werden. Das Berechnungsver- Ich hoffe, dass wir hier dann eine gemeinsame Antwort fahren zur Ermittlung von Pauschalbeträgen und Kos- finden. tenobergrenzen soll konkret vorgegeben werden, und zwar so, dass es einfach zu handhaben ist und die Be- Danke. rechnungen vor Gericht Bestand haben. Schließlich sol- (Beifall bei der CDU/CSU) len die so ermittelten Kosten für Unterkunft und Heizung kostendeckend sein und auch besonderen Einzelfällen gerecht werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir fortfahren, Kollegin Kipping, hat mich Das hört sich erst einmal sehr gut an. Die Frage ist der Vizepräsidentenkollege Oppermann gebeten, etwas allerdings, ob die FDP in dieser Sache jetzt bereits ein nachzuholen, was er versäumt hat, nämlich Ihnen zu Ih- Patentrezept gefunden hat und uns im Ausschuss verrät, rem heutigen Geburtstag zu gratulieren. wie sie das konkret umsetzen will. Es ist sicher eine He- rausforderung, Pauschalierungen so zu gestalten, dass sie (Beifall) auch besonderen Einzelfällen gerecht werden. Bei den Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abge- Kosten für die Unterkunft mag das einfacher sein als bei ordnete Uwe Witt für die AfD-Fraktion. den Kosten für die Heizung. Denn sie sind von der Art der Heizung und von der Wärmedämmung der Räume (Beifall bei der AfD) abhängig. Wenn man von Vergleichsräumen für die Berechnung (AfD): Uwe Witt der Pauschalbeträge und Kostengrenzen spricht, muss Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! man berücksichtigen, dass sich der Wohnungsmarkt dy- Werte Gäste des Hohen Hauses! Ich werde zu dem Antrag namisch entwickelt. Die Beträge müssen daher auch re- der FDP Stellung nehmen, mein Kollege Jörg Schneider gelmäßig dynamisch angepasst werden. später dann zu dem Antrag der Linken. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen gemeinsam an einer Die Grundsicherung für Arbeitsuchende oder Hartz IV Lösung zu arbeiten. Daher stimmt die AfD der Überwei- ist in Deutschland für alle, die damit zu tun haben und sung des Antrags der FDP in den Ausschuss zu. betroffen sind, problematisch: für die 6 Millionen Leis- tungsbezieher, die dafür nur am Rande des Existenzmini- Vielen Dank. mums leben können, für 95 000 Mitarbeiter in den Job- (Beifall bei der AfD) (B) centern und Arbeitsagenturen und für die Sozialgerichte, (D) bei denen sich bis Ende letzten Jahres 173 000 Klagen angesammelt haben, davon allein 30 000 Klagen gegen Vizepräsidentin Petra Pau: Bescheide, die die Kosten für Unterkunft und Heizung Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die betreffen, aber letztlich – lassen Sie uns das nicht ver- SPD-Fraktion. gessen – natürlich auch für die Steuerzahler, die das alles (Beifall bei der SPD) bezahlen müssen.

Die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Hei- Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): zung ist unabhängig von der Regelleistung. Laut § 22 Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- SGB II werden diese in der tatsächlichen Höhe übernom- legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wohnen ist in men, aber nur, wenn sie angemessen sind. Allerdings gibt Deutschland ein Grundrecht. Das Wohnen gehört zu den es in den Jobcentern teilweise Probleme bei der Berech- existenziellen Gütern, es ist Teil der Daseinsvorsorge, nung der Angemessenheitsgrenzen im Hinblick auf die und deswegen tragen wir eine besondere Verantwortung, Rechtssicherheit. In § 22 SGB II ist nicht klar geregelt, Menschen gutes Wohnen zu ermöglichen. wie Angemessenheitsgrenzen zu berechnen sind. Dazu kommt, dass die Berechnung hochkomplex ist. Das kos- Aber Wohnen hat neben der materiellen auch eine tet nicht nur die Mitarbeiter in den Jobcentern einen Teil emotionale Seite. Die eigene Wohnung, die eigenen vier ihrer Arbeitszeit, den sie besser verwenden könnten, um Wände, seien sie gekauft oder gemietet, geben Schutz die Betroffenen zu beraten, sondern produziert auch, wie und Sicherheit, Heimat und im wahrsten Sinne des Wor- eingangs erwähnt, eine Flut von Klagen. Wenn wir daran tes ein Zuhause. etwas ändern können, sollten wir das tun. (Beifall bei der SPD) Schauen wir uns daher den Antrag der FDP etwas ge- nauer an. Die FDP will mehr Rechtssicherheit herstellen. Nicht ohne Grund hängen viele Menschen an ihrem Sie will die bestehende Gesetzeslage konkretisieren und Elternhaus oder der Elternwohnung, obwohl sie dort vereinfachen, um Kommunen und Jobcenter, aber auch schon lange nicht mehr leben. Für junge Familien ist Sozialgerichte zu entlasten. eine neue Wohnung oft auch der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Und gerade in einer Welt, in der die Wie soll das funktionieren? Bundesländern und Kom- Anforderungen an die Einzelnen immer größer werden, munen soll es einfacher gemacht werden, Pauschalie- in der Weltläufigkeit, Flexibilität und Anpassungsfähig- rungen für Unterkunft und Heizung einzuführen und zu keit an eine sich immer schneller drehende Welt erwartet handhaben. Damit soll der Aufwand für Prüfungen der werden, ist es umso wichtiger, Sicherheit für die exis- 8814 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) tenziellen Güter, für die Dinge der Daseinsvorsorge zu tümerin hat selbstverständlich das Recht, in seiner oder (C) gewährleisten. ihrer Wohnung zu wohnen. Zu häufig wird der Eigen- bedarf aber nur vorgetäuscht, damit die Wohnungen im (Beifall bei der SPD) Anschluss teurer vermietet oder verkauft werden können. Eine Wohnung zu haben, zu behalten oder eine passende Dem müssen wir ein Ende bereiten. Wohnung finden zu können, gibt die notwendige Sicher- heit und Freiheit, sich um andere Dinge, um die wirklich (Beifall bei der SPD) wichtigen Dinge im Leben kümmern zu können. Wohnen ist eine soziale Frage, die viele Menschen be- Bezahlbares Wohnen ist die vielleicht drängendste po- trifft. Das Thema „bezahlbares Wohnen“ wird für Men- litische Frage unserer Zeit. Sie ist eine soziale Frage für schen im Hartz‑IV-Bezug oder in der Sozialhilfe dann ein fast alle: Problem, wenn eine Lücke zwischen den realen Kosten ihrer Wohnung und den als angemessen betrachteten (Beifall bei der SPD) Leistungen, die Jobcenter und Sozialämter zahlen, ent- für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen und selbst steht. Das ist dann die sogenannte Wohnkostenlücke. höherer Einkommen, wenn Kinder da sind oder vielleicht Sie von den Linken schreiben selber in Ihrem Antrag, nur ein Partner arbeitet, wenn Mutter oder Vater alleiner- dass die Wohnkostenlücke seit 2011 kleiner wird. Ich ziehend sind. Wohnungssorgen begleiten einen Großteil glaube, dass sie von daher nicht das drängendste Problem der Menschen in Deutschland, und das nicht nur in den in wohnungspolitischen Fragen ist und vieles sich bei or- Ballungsräumen. dentlichem sozialem Wohnungsbau und einer Entspan- 30 Prozent des Einkommens für die Wohnung auszu- nung auf dem Wohnungsmarkt erledigen würde. Aber geben, das wird gerade noch als akzeptabel betrachtet, trotzdem ist auch das ein wichtiges Thema. Herr Aumer um vom Rest gut leben zu können. Wenn der deutsch- hat es angesprochen: Die Bundesregierung hat sich des landweite Durchschnitt bereits bei 27,2 Prozent liegt, Themas angenommen. Haushalte mit einem Einkommen schon 30 Prozent be- Sie haben vielfältige Vorschläge gemacht, die Lücke zahlen, Alleinerziehende 32 Prozent und arme Haushalte zu schließen. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob alle 39 Prozent, dann sieht man: Die Not ist groß. Vorschläge wirklich zum Ziel führen. Etliche Vorschläge Und das erleben die Menschen täglich. Es fehlen Woh- sind bereits geltendes Recht, vom Bundessozialgericht nungen für Studierende, für Singles, für Alleinstehende. ausgelegt und in der Praxis angewandt. Die Heizkosten Es fehlen Wohnungen für große Familien, barrierefreie werden in tatsächlicher Höhe übernommen, und auch Wohnungen für alte Menschen und Menschen mit Behin- Beiträge für Mietervereinigungen werden schon heu- (B) derungen. Es fehlen Wohnungen für Menschen, die auf te von den Jobcentern bezahlt. Auch andere Vorschläge (D) dem Wohnungsmarkt oft auch noch Vorurteilen und Dis- sind bereits in der Diskussion, zum Beispiel die Abschaf- kriminierungen ausgesetzt sind: Menschen mit Migrati- fung der Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft. Wir onshintergrund, Menschen mit vielen Kindern oder im erwarten hier ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sozialleistungsbezug. Es fehlen bezahlbare Wohnungen. Ich komme später noch auf dieses Thema zu sprechen. Das Angebot passt nicht zum Bedarf. Wir machen uns auf den Weg, das zu ändern, und haben deswegen viele Wiederum andere Vorschläge erscheinen so nicht gute Maßnahmen beschlossen. sinnvoll, weil sie die Einzelfallorientierung erschweren und weil sie schon ausprobiert wurden. So ist zum Bei- (Beifall bei der SPD) spiel aktuell eine Pauschale, wie die FDP sie vorschlägt, Wir stärken den sozialen Wohnungsbau mit 5 Milliar- möglich; sie wird jedoch in der Praxis nicht umgesetzt, den Euro des Bundes bis 2021. Wir unterstützen Fami- insbesondere da das Bundessozialgericht entschieden lien mit dem Baukindergeld. Wir fördern den Mietwoh- hat, dass für eine Satzung für eine solche Pauschale die nungsneubau. Der Bund geht mit gutem Beispiel voran gleichen Anforderungen gelten. Das macht es nicht ein- und schafft Wohnungen für seine Bedienstete. Ich hoffe, facher. dass sich Länder und Unternehmen ein Beispiel daran Wenn ich in meinem Jobcenter vor Ort in Wetzlar fra- nehmen. ge, woher die Wohnkostenlücke kommt, dann ist die Ant- (Beifall bei der SPD) wort, dass es viele verschiedene Gründe gibt. Meistens ist der Grund, dass die Menschen eine zu große Wohnung Wir stärken die Mieterinnen und Mieter, wir erhöhen das bewohnen und deswegen eine unangemessen hohe Miete Wohngeld, und wir erleichtern das Bauen. zahlen, die Wohnung aber nicht verlassen wollen. Das ist Aus Sicht der SPD gibt es aber weiteren Handlungs- oft der Fall, wenn die Kinder ausgezogen sind. Andere bedarf über den Koalitionsvertrag hinaus. Dort, wo die zahlen lieber einen eigenen Beitrag dazu und bleiben da- Lage es erforderlich macht, benötigen wir einen Mie- für im Zentrum wohnen; denn sie wollen nicht so gerne tenstopp. Das bedeutet, dass Mieten dort, wo der Woh- aufs Land ziehen, was ich nicht verstehen kann. nungsmarkt besonders angespannt ist, fünf Jahre lang nur (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) in der Höhe der Inflationsrate steigen dürfen. Aber was für einen Menschen mit geringem Einkommen (Beifall bei der SPD) Realität ist, muss auch für Menschen, die von Sozialleis- Es ist auch erforderlich, die Rechte der Mieterinnen und tungen leben, zumutbar sein. Wir brauchen ein besseres Mieter weiter zu stärken. Der Eigentümer oder die Eigen- Wohnungsangebot für alle. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8815

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) Ich möchte zwei Punkte hervorheben, dir mir in die- teil am Berufsleben. Das ist zunächst einmal eine gute (C) sem Zusammenhang besonders wichtig sind. Das eine – Nachricht. ich habe es schon angesprochen – ist das Thema Sanktio- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hat nen. Ich bin nicht dafür, sämtliche Mitwirkungspflichten aber nichts mit Hartz IV zu tun!) für Menschen, die von Sozialleistungen leben, abzu- schaffen. Es kann aber nicht sein, dass in das elementare Aber Hartz IV könnte noch besser sein. Dringend Grundrecht Wohnen eingegriffen wird. Sanktionen in die müssen wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kosten der Unterkunft müssen abgeschafft werden. Jobcentern und in den Kommunen von unnötiger Büro- kratie entlasten. Bürokratie schafft keine Chancen. Es (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie muss wieder mehr Zeit für die Menschen da sein. Mit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE unserem vorliegenden Antrag beabsichtigen wir eine GRÜNEN) Vereinfachung bei der Berechnung von Kosten der Un- Das andere ist zutiefst eine Gerechtigkeitsfrage. Wer terkunft und Heizung. vorübergehend auf den Bezug von Grundsicherung ange- (Beifall bei der FDP) wiesen ist, weil er oder sie den Arbeitsplatz verloren hat, muss sich trotzdem seiner Wohnung sicher sein können. Derzeit ersticken die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Aktuell ist es möglich, dass Menschen nach sechs Mona- ter der Jobcenter und Kommunen geradezu an unnötiger ten Leistungsbezug ihre Wohnung aufgeben müssen. Das Bürokratie. führt zu Verunsicherung und zu Ängsten. Diesen Zeit- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE raum müssen wir deshalb deutlich verlängern, damit den GRÜNEN]: Wegen der Sanktionen!) Menschen die Sorge um die Wohnung genommen wird und sie statt auf Wohnungssuche auf Arbeitsplatzsuche Fast 1 Milliarde Euro aus den Mitteln für die Förderung gehen können. von Langzeitarbeitslosen geht in die Bürokratie. Das ist zu viel. Ein Bereich, der zu besonders viel Bürokratie in (Beifall bei der SPD) den Jobcentern führt, ist die Berechnung von angemesse- nen Kosten der Unterkunft und Heizung. Das müssen wir Genauso wie gilt, dass niemand wegen seiner Kinder ändern. Hier müssen wir zu Vereinfachungen kommen. arm werden darf, so gilt das auch für die Wohnkosten. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag die Reform Das Gesetz, wie es bisher formuliert ist, fordert von des Wohngeldes beschlossen. Zusammen mit den verbes- den Jobcentern, dass konkret bestimmt wird, welche serten Leistungen für Kinder und Familien, dem sozialen Kosten für Unterkunft und Heizung angemessen sind; Arbeitsmarkt, der Stabilisierung des Rentenniveaus, der aber es konkretisiert nicht, wie diese Angemessenheits- (B) Abschaffung des Soli für alle außer den Reichen und der grenze bestimmt werden soll. Allein dass gegenwärtig (D) Entlastung der Geringverdienenden bei den Sozialbeiträ- 30 000 unentschiedene Klagen bei den Sozialgerichten gen macht das soziale Deutschland mit uns einen großen vorliegen, bezogen auf die Unterkunftskosten, zeigt, dass Schritt nach vorn. die bestehenden Regelungen keine rechtssichere Anwen- dung ermöglichen. In diesem Sinne: Glück auf! (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas LINKE]) Heilmann [CDU/CSU]) Und durch die vielen Klagen in der Vergangenheit und die gerichtlichen Entscheidungen ist es nicht leichter Vizepräsidentin Petra Pau: geworden, diese Angemessenheit zu bestimmen; denn Für die FDP-Fraktion hat nun Pascal Kober das Wort. die vielen Entscheidungen müssen auch in den Jobcen- tern berücksichtigt werden. Das kostet Zeit und schafft (Beifall bei der FDP) Rechtsunsicherheit. Ein Gesetz muss aber Handlungs- sicherheit bei seiner Anwendung gewähren. Sonst ist es Pascal Kober (FDP): ein schlechtes Gesetz und muss von uns, vom Deutschen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Bundestag, verändert werden. Das ist das, was wir von- Kollegen! Seit der Einführung von Hartz IV wird sehr seiten der FDP wollen. kontrovers über Hartz IV gestritten. Einige diffamie- (Beifall bei der FDP) ren Hartz IV als Synonym für den sozialen Zerfall in Deutschland, aber nichts ist falscher als das. Wir sagen, Deshalb fordern wir Arbeitsminister Hubertus Heil dass sich das Grundprinzip von Hartz IV – Fördern und auf, zusammen mit den Ländern und Kommunen endlich Fordern – bewährt hat und dass sich die Erfolge sehen Regelungen zu finden, die das Verfahren der Berechnung lassen können. der Unterkunftskosten vereinheitlichen und vereinfachen und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Job- (Beifall bei der FDP) centern auch wirklich anwendbar machen. Zwischen 2006 und 2018 hat sich die Zahl der Arbeits- Dazu gehört natürlich die Möglichkeit einer Pauscha- losen im Hartz‑IV-System mehr als halbiert. 1,5 Millio- lierung. Diese sollte, lieber Kollege Aumer, natürlich nen Menschen von vormals 3 Millionen Menschen haben nicht deutschlandweit einheitlich sein; aber zumindest in den Wiedereinstieg in Arbeit geschafft. Sie haben Chan- Regionen oder Stadtteilen wären Pauschalierungen zur cen ergreifen können, und das ist gut. Sie haben wieder Vereinfachung möglich. Das sollten wir versuchen. Pau- 8816 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Pascal Kober (A) schalierungen würden Jobcenter und die Sozialgerichte Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Staat, der die (C) von unnötiger Bürokratie entlasten, und das sollte unser Würde des Menschen achten muss, der versagt an der Ziel sein. Stelle, wo er Wohnungslosigkeit nicht verhindert, son- dern Wohnungslosigkeit mit seinen Gesetzen herbei- Es muss auch festgelegt werden können, welche Da- führt. Und das kann nicht sein! tenquellen die Jobcenter und die Kommunen nutzen dürfen und nutzen sollen, um beispielsweise festzule- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen, welche Mieten angemessen sind und welche Woh- sowie bei Abgeordneten der SPD und der nungsgrößen angemessen sind. Es muss auch festgelegt LINKEN) werden – das muss unser Ziel sein –, zu welchem Anteil In dieser Woche hat das Bundesverfassungsgericht die Mieten aus bereits laufenden Mietverträgen und zu sich intensiv mit der Frage des Existenzminimums in welchem Anteil Mieten aus neu geschlossenen Mietver- der Grundsicherung auseinandergesetzt. Ich bin sehr ge- trägen in die Berechnungen einbezogen werden sollen. spannt auf das Urteil. Wenn die Bundesregierung verant- Oder denken Sie an die große Unklarheit, die die Abgren- wortlich handeln will, dann lässt sie sich nicht von einem zung von Stadtvierteln und Wohnvierteln, den sogenann- Gericht zwingen, sondern dann legt sie jetzt selber einen ten Vergleichsräumen, derzeit bedeutet. Da könnten wir Gesetzentwurf vor, der mindestens die Sanktionen auf durch klarere Vorgaben zu Vereinfachungen kommen, Kosten für Unterkunft und Heizung abschafft. Es geht die Bürokratie abbauen würden. um existenzielle Notlagen, in die Menschen getrieben Wir brauchen Verfahren, die anwendbar sind, die werden, und das ist eines Sozialstaates unwürdig, liebe Rechtssicherheit schaffen und die es vor allen Dingen Kolleginnen und Kollegen. ermöglichen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den Jobcentern wieder mehr Zeit für die Menschen und bei der LINKEN) haben, für Beratung, für Betreuung, um Unterstützung beim Wiedereinstieg in Arbeit zu bieten. Das ist unser In den öffentlichen Debatten zu Hartz IV wird oft über- Ziel. Das wollen wir erreichen. sehen, dass das Existenzminimum, also das, worauf jeder Mensch ein Anrecht hat, neben dem Geld zum Lebens- (Beifall bei der FDP) unterhalt erst mit einem Dach über dem Kopf gesichert ist. Und hier haben wir in der Tat ein großes Problem: Das SGB II sagt, dass die Kosten dafür in angemessener Vizepräsidentin Petra Pau: Höhe übernommen werden müssen. „Angemessenheit“ Das Wort hat der Kollege Sven Lehmann für die Frak- ist aber erstens ein unbestimmter Rechtsbegriff. Und tion Bündnis 90/Die Grünen. zweitens hat der Gesetzgeber die Verantwortung für die (B) Sicherstellung dieses Existenzminimums letztlich an die (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kommunen delegiert, das aber in einem völlig unsiche- ren Rechtsrahmen. Die Kommunen sind nämlich aufge- Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fordert, die Angemessenheitsgrenze selber festzulegen. Gerade in den Ballungsräumen ist die Situation auf dem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohnungsmarkt sehr angespannt – das wissen alle –, die Ja, Wohnen ist ein Menschenrecht. Ein Dach über dem Haushaltssituation der Städte und Gemeinden aber eben Kopf zu haben, einen Schutzraum, ein vertrautes Umfeld, auch. ist etwas, das jedem Menschen zustehen sollte. Wohnen wird aber in der Tat für immer mehr Menschen mit kei- Was passiert nun? Der Mangel an bezahlbarem Wohn- nem oder mit geringem Einkommen zur Existenzfrage. raum und die zu niedrigen Angemessenheitsgrenzen füh- Deswegen bin ich sehr froh über die Debatte heute. Ich ren dazu, dass Menschen in Hartz IV immer öfter ihre beginne mit zwei Beispielen aus dem Leben. Wohnung mithilfe ihres Regelsatzes finanzieren müssen. Das heißt im Klartext: Wenn die Wohnkosten nicht voll- Ein junger Mann aus Dresden hat eine Ausbildung ständig getragen werden, müssen Menschen bei Lebens- zum Dachdecker wegen Höhenangst abgebrochen. Nach mitteln sparen, bei Körperpflege sparen oder bei anderen einer ersten Sanktion durch das Jobcenter hat er die Auf- Mitteln des täglichen Bedarfs. Das betrifft mittlerweile lage, eine Helfertätigkeit anzunehmen, abgelehnt, da er jede fünfte Bedarfsgemeinschaft. Einem Fünftel aller lieber eine andere Ausbildung beginnen wollte. Nach Bedarfsgemeinschaften wird so das Existenzminimum einer Spirale von Sanktionen wohnt er mittlerweile in entzogen, und das ist ein sozialpolitischer Skandal, liebe der Obdachlosenunterkunft und lebt von Lebensmittel- Kolleginnen und Kollegen. gutscheinen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beispiel zwei, über das kürzlich „Panorama“ berichtet und bei der LINKEN) hat: Ein ehemaliger Fitnessstudiobesitzer erlitt eine Er- Was also müssen wir tun? Erstens. Wir brauchen na- schöpfungsdepression. Immerhin konnte er sich mithilfe türlich mehr bezahlbaren Wohnraum. Jedes Jahr gibt es eines Minijobs noch einigermaßen über Wasser halten, weniger Sozialwohnungen. Das ist eine dramatische Ent- hat aber dann Termine beim Jobcenter versäumt, sodass wicklung. Im selben Zeitraum sind die Kosten der Unter- auch seine Grundsicherung bis hin zur Totalsanktion kunft aber massiv explodiert. gekürzt wurde. Danach hat er hohe Mietschulden ange- häuft, und ihm wurde schließlich fristlos von seinem Ver- (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Die sind doch mieter gekündigt. nicht explodiert, Herr Kollege!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8817

Sven Lehmann (A) Das zeigt die gesamten Verfehlungen der Wohnungspo- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (C) litik der letzten Jahrzehnte auf. Während der Staat sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus der Verantwortung für mehr bezahlbaren Wohnraum sowie bei Abgeordneten der LINKEN) immer mehr zurückgezogen hat, mussten die Städte und Gemeinden immer mehr Geld ausgeben, um Wohnen überhaupt noch zu ermöglichen. Genau diesen Trend Vizepräsidentin Petra Pau: müssen wir endlich stoppen, liebe Kolleginnen und Kol- Das Wort hat der Kollege Thomas Heilmann für die legen. CDU/CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht, Herr Kollege! Wir geben doch jetzt Thomas Heilmann (CDU/CSU): extra 2 Milliarden mehr aus für den sozialen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Wohnungsbau!) Zuschauer im Saal und an den digitalen Endgeräten! Frau – Entschuldigung, aber Sie wissen doch genau, dass der Kipping, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich Bund zwar seinen Anteil erhöht hat, aber die Kosten für kann Ihnen aber trotzdem den Hinweis nicht ersparen, Unterkunft trotzdem explodiert sind. Das ist das, was ich dass Ihr Antrag zwar die eine oder andere richtige For- gesagt habe. derung enthält, aber im Übrigen eine gute Gelegenheit bietet, über die skandalöse Wohnungspolitik der Linken (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Die sind nicht zu reden. explodiert! Nein, sind sie nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie müssen mal in die Zahlen schauen. Im harmlosen Teil Ihres Antrags fordern Sie eine Rei- Zweite Maßnahme: Das Wohngeld muss gestärkt wer- he von Maßnahmen, die ohnehin schon geltendes Recht den. Das Wohngeld ist eine sehr wichtige Leistung; denn sind. Das geben Sie auch zu. Allerdings geben Sie das es kann als Zuschuss zu den Mietkosten verhindern, dass nur für die Berechnungsmethoden zu. Für die, die nicht Menschen wegen zu niedrigem Einkommen überhaupt so im Thema stehen, sage ich: Es gibt in Deutschland – in den Bezug der Grundsicherung fallen. Diese Leistung zu Recht – nicht mehr die Möglichkeit, Wohnungen ohne wird aber noch zu wenig in Anspruch genommen. Von Bad oder mit Ofenheizungen in die Berechnung einzu- daher ist es grundfalsch, dass die Große Koalition im beziehen. Das hat die Rechtsprechung, wie Sie richtiger- Haushalt für 2019 die Mittel dafür gekürzt hat. Schaffen weise sagen, veranlasst. Das gilt. Sie endlich eine Dynamisierung des Wohngeldes, sodass (B) weniger Menschen auf Grundsicherung angewiesen sind, In Wirklichkeit geht man aber viel weiter. Wenn Sie (D) liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koali- zum Beispiel die vom Berliner Senat erlassene AV Woh- tion. nen lesen, stellen Sie fest, dass längst gilt, dass die Kos- ten für die Mieterberatung übernommen werden, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unwirtschaftliche Umzüge ausgeschlossen werden und Drittens. Die Kosten der Unterkunft müssen in vol- die Übernahme von Mietkautionen längst gängige Praxis ler Höhe erstattet werden. Die Angemessenheitsgrenzen ist. Diese AV Wohnen, aus der Sie zitiert haben, ist von müssen sich deutlich stärker an den Entwicklungen auf der rot-schwarzen Regierung erlassen worden. Ich war den Wohnungsmärkten orientieren und zum Beispiel damals Teil des Senates, wie Sie vielleicht wissen. Angebotsmieten berücksichtigen. Die sogenannten Es ist uns gelungen – und zwar im bestehenden Rechts- schlüssigen Konzepte müssen gerade in Regionen mit system; dafür brauchen Sie keine Gesetzesänderungen –, Wohnungsmangel häufiger aktualisiert werden. Ich den- die Zahl der Klagen von Hartz-IV-Empfängern in Berlin ke, wir kommen auch da um eine Gesetzesänderung im zu halbieren, und zwar nicht, indem wir das Klagen er- SGB II nicht herum. schwert haben, sondern indem wir die Leute so behandelt Viertens. Sanktionen auf die Kosten für Unterkunft haben, dass sie erst gar nicht mehr klagen müssen. Das ist und Heizung – das ist jetzt schon öfter gesagt worden – doch das, was man eigentlich erreichen muss, und keine müssen endlich abgeschafft werden. komplizierte Gesetzesänderung, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD und der die dann alles pauschal für ganz Deutschland regelt, statt LINKEN) es regionsspezifisch zu regeln. In Berlin sind wir also den umgekehrten Weg dessen gegangen, den Sie vorschla- Wir dürfen einfach nicht zulassen, dass Menschen in Ob- gen. Wir haben nicht alles zum Einzelfall erklärt, sondern dachlosigkeit oder Wohnungslosigkeit getrieben werden wir haben das mit Pauschalierungen gemacht. und auf der Straße landen. Es ist übrigens auch für die Gesellschaft viel, viel teurer, Wohnungslosigkeit wieder Jetzt kommen wir zum ärgerlichen Teil Ihres Antra- zu überwinden – durch Notschlafstellen, durch Kälte- ges. Sie sehen nämlich alles immer nur unter der Hartz- hilfen, durch Beratungsstellen –, als Wohnungslosigkeit IV-Brille; aber bezahlbare Wohnungen fehlen eben auch überhaupt erst entstehen zu lassen. für Normalverdiener oder jedenfalls für Geringverdiener. Ich hoffe, dass wir Wohnen als ein Menschenrecht (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das habe ich endlich ernst nehmen und für alle verwirklichen. ja am Anfang gesagt!) 8818 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Ihr Weltbild ist aus meiner Sicht aber noch in einer (C) Kollege Heilmann, gestatten Sie eine Frage oder Be- weiteren Hinsicht falsch, und darauf will ich hinweisen. merkung des Kollegen Birkwald? Wir haben natürlich eine bedauerliche Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum. Wir weigern uns aber, Menschen (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das kann länger im Hartz‑IV-Bezug grundsätzlich besserzustellen als Ge- werden!) ringverdiener. Und Ihre These, dass Hartz‑IV-Empfänger stärker als Geringverdiener diskriminiert werden, stimmt Thomas Heilmann (CDU/CSU): nicht. Ich habe extra im Vorfeld dieser Rede noch mal Ja. drei Jobcenter und vier Wohnungsbaugesellschaften in Berlin – private und öffentliche – angerufen: In dem Mo- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): ment, in dem sie die Kostenübernahmeerklärung durch das Jobcenter vorlegen, sind sie willkommene Gering- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr verdiener bei Vermietern; das ist ganz anders als etwa Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. bei Flüchtlingen. Insofern stimmt es einfach nicht, dass Sie haben eben behauptet, die Ausführungsvorschrift die Hartz‑IV-Bezieher bei der Wohnungssuche stärker Wohnen, kurz: AV Wohnen, sei von Schwarz-Rot einge- benachteiligt sind als andere Geringverdiener. Der ganze führt worden. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Tenor Ihres Antrages stimmt da aus meiner Sicht nicht. dass das in doppelter Hinsicht eine Falschinformation war? Die erste AV Wohnen wurde bereits im Jahr 2005 Jetzt kommt der Teil, der wirklich ganz besonders eingeführt. Ich weiß das so genau, weil ich in der Zeit ärgerlich ist – Sie haben es ja selber erwähnt, Frau persönlicher Referent der damaligen dafür zuständigen Kipping –: Sie schlagen nun – im Übrigen auch noch Senatorin für Soziales, Frau Dr. Heidi Knake-Werner, und verfassungswidrige – Massenenteignungen von Woh- an der Erarbeitung mit beteiligt war. Die neue AV Woh- nungsbauunternehmen vor. Die lösen das Problem nicht, nen ist von der jetzigen Sozialsenatorin Elke Breitenbach sondern kosten zweistellige Milliardenbeträge. eingeführt worden. Sind Sie bereit, Ihre Fehlinformation (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Ver- zu korrigieren? fassungswidrig“? Gucken Sie mal in Arti- (Beifall bei der LINKEN) kel 14 Grundgesetz rein!) – Ich komme gleich noch mal darauf zurück. – Stattdes- Thomas Heilmann (CDU/CSU): sen wollen Sie Milliarden aufwenden, um bestehende Wenn Sie es ganz genau wissen wollen, Herr Birkwald: Wohnungen – da entsteht ja deswegen keine Wohnung Es gibt in der Tat eine AV von 2005. Aber es hat in der mehr – aus privater in staatliche Hand zu überführen. Das (B) Zeit, in der ich Senator gewesen bin, zwei Reformen der ist im Ergebnis nicht sozial, sondern scheinsozial. (D) AV Wohnen der rot-schwarzen Regierung gegeben, Ich möchte gerne für diejenigen, die die Berliner Ver- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die waren hältnisse nicht so genau kennen, den Skandal in Ihrem aber nicht so gut!) Antrag nochmals skizzieren; denn Sie wollen ja jetzt auch noch, dass die KdU im Wesentlichen vom Bund die genau dazu geführt haben, dass die Anzahl der Kla- bezahlt werden und damit die Quittung für die verfehlte gen halbiert worden ist. Wohnungsbaupolitik in Berlin dem Bund und dem Bund Ja, es gibt seit kurzem eine weitere Reform des jetzi- der Steuerzahler auferlegt werden soll. gen rot-rot-grünen Senates. Aber die Dinge, die ich ge- Ihre linke Bausenatorin richtet eine wohnungspolitische rade vorgelesen habe, sind in der Zeit von Rot-Schwarz Katastrophe in Berlin an. Ich kann es Ihnen nicht erspa- eingeführt worden, und darauf bin ich eingegangen. An- ren, die Versäumnisse mal darzustellen. gesichts von sieben Minuten Redezeit habe ich allerdings nicht die ganze Historie von AV Wohnen genannt. Aber: (Caren Lay [DIE LINKE]: Unverschämt ist Den Kern, das, was Sie fordern, hat auch Rot-Schwarz das, was Sie da sagen! – Katja Kipping [DIE in Berlin gefordert. Der wesentliche Punkt ist, dass die LINKE]: Die Deutsche Wohnen hat die Kata- Länder das jetzt schon können und dass es gemäß dem strophe angerichtet!) Subsidiaritätsprinzip gut ist, dass die Länder das machen, spezifisch im Hinblick auf ihre jeweiligen Verhältnisse – Nein, Frau Kipping. vor Ort – und es funktioniert ja auch. Die Zahl der Baustarts – das ist ja das, was wirklich (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ma- zählt – steigt nicht etwa, obwohl die Nachfrage nach chen ja nicht alle Länder! Deswegen müssen oben geht, sondern sinkt. wir ja helfen!) Die Anzahl der neugebauten Sozialwohnungen ist ver- – Dann müssen Sie das in den Länderparlamenten debat- schwindend gering. Die Linke schmückt sich mit Zahlen tieren, aber doch nicht hier. Wenn die Länder das kön- aus dem Jahre 2017, die natürlich die Vorgängerregie- nen – das ist nun mal der Föderalismus –, dann brauchen rung zu verantworten hat. wir dafür aus meiner Sicht keine Gesetzesänderung im Die Ziele der landeseigenen Wohnungsbaugesell- Bund. schaften haben Sie 20 Prozent niedriger angesetzt als (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Es geht um Ihre Vorgängerregierung, und auch diese niedrigeren Zie- eine einheitliche Regelung!) le verfehlen Sie. Wenn man das von heute an hochrech- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8819

Thomas Heilmann (Berlin) (A) net, hätten Sie nur die Hälfte dessen erzielt, was vorher Ihre Enteignungsforderungen spalten die Gesellschaft. (C) erzielt worden ist. Damit begeben Sie sich leider auf das Niveau der AfD. Ehrlich gesagt: Bitte überarbeiten Sie Ihren Antrag, da- (Zuruf der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) mit man Ihnen diesen Vorwurf nicht weiter machen muss. Die Vorstände der landeseigenen Wohnungsbaugesell- schaften haben vor gut zwölf Monaten einen Brandbrief Vielen Dank. an Frau Lompscher geschrieben. Damit haben sie ihren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Job riskiert, weil Frau Lompscher ja letztlich ihre Vor- neten der FDP – Katja Kipping [DIE LINKE]: gesetzte ist. Einige Vorstände haben inzwischen entnervt Armut spaltet die Gesellschaft, nicht die Op- das Handtuch geworfen. position!) Im Ernst-Thälmann-Park, am Pankower Tor, auf der Fischerinsel – wahrscheinlich alles Hochburgen der Vizepräsidentin Petra Pau: Linkspartei – werden wichtige Entwicklungsvorhaben verzögert und Tausende von Wohnungen in Berlin nicht Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Schneider für die gebaut. Ja, selbst Dachgeschossausbauten wollen Sie AfD-Fraktion. nicht, weil Sie nicht wollen, dass Bäume beschnitten (Beifall bei der AfD) werden.

Ganz zum Schluss: Raten Sie mal, wie viele Grund- Jörg Schneider (AfD): stücke gemeinnützige Genossenschaften zum Bau von Wohnungen in Berlin bekommen haben? Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Auch wenn wir näher beim (Katja Mast [SPD]: Wir sind jetzt hier nicht Antrag der FDP stehen – der trotz Pauschalisierung auch im Berliner Senat, sondern im Bundestag! – stark auf Eigenverantwortung setzt –, enthält auch der Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das ist hier der linke Antrag – natürlich allein schon aufgrund der Viel- Bundestag!) zahl der Punkte – einige Punkte, die wir durchaus richtig Drei; drei Grundstücke in einem ganzen Jahr! finden. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Drei Grundstü- (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ach was!) cke! Schämen Sie sich!) Ihre Forderung, dass während des ersten Jahres des Private Wohnungsbaugesellschaften haben kein einziges Leistungsbezuges die Wohnung beibehalten werden darf, Grundstück bekommen. ist richtig. Während des ersten Jahres des Leistungsbezu- (B) ges ist eine Arbeitslosigkeit noch nicht verfestigt; da be- (D) Das hat aber einen Zusammenhang: Die Linke betreibt steht durchaus die Chance, am Arbeitsmarkt erfolgreich in Berlin eine immer schlimmer werdende Verknappung wieder einen Job zu finden. Diese Menschen sollten wir von Wohnraum mit desaströsen Langfristschäden. Und nicht dadurch daran hindern, einen Job zu finden, dass Sie sagen jetzt: Der Bund soll das Problem mit Geld lö- wir sie zwingen, eine Wohnung zu suchen. Hier ist die sen. – Meine Damen und Herren, so wird das nicht wei- Beibehaltung der Wohnung sicherlich eine vernünftige tergehen. Motivation. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) Auch Ihre Vorschläge zur Berechnung der Heizkosten unter Berücksichtigung von Gebäudequalität, Witterung Sie, Frau Kipping, sagen, Wohnen sei ein Grundrecht. und Lebensbedingungen des Betroffenen erscheinen uns Das stimmt schon. Aber Frau Lompscher sorgt in Berlin richtig. Ich denke, sie entsprechen aber durchaus dem, dafür, dass das immer schwieriger zu realisieren wird. was in den Jobcentern schon gemacht wird. Nur: Es Und ich finde, auch das gehört hier zum Thema dazu. müsste hier eine gesetzliche Präzisierung stattfinden, um (Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist doch jetzt tatsächlich die Vielzahl derartiger Prozesse vor Sozialge- unverschämt und unseriös, was Sie hier ma- richten zu minimieren. chen! – Pascal Kober [FDP]: Die Linke löst Wo wir nicht ganz Ihrer Einschätzung folgen können, die Probleme, die sie selbst geschaffen hat!) ist Ihr Vorschlag: Wenn ein halbes Jahr lang eine ange- Der Irrsinn hat bei Ihnen insofern ja auch System, als messene Wohnung gesucht wurde, weil die bestehende Sie nach dem Parteitagsbeschluss in Berlin jetzt diese Wohnung vielleicht zu groß ist, aber keine gefunden Wohnungsbauunternehmen vergesellschaften wollen. wurde, dann ist festzustellen, dass eine Wohnung nicht Selbst der dem linken Flügel der Grünen angehörende zu finden ist. Ich denke, hier muss den Jobcentern schon Daniel Wesener hat kommentiert: „Bei allem Verständnis etwas mehr Ermessensspielraum eingeräumt werden. für die Nöte der Mieter sollte man seriös bleiben.“ Recht Wenn es in neun von zehn vergleichbaren Fällen bei- hat er. Das, was Sie betreiben, ist unseriös, populistisch spielsweise möglich war, eine Wohnung zu finden, dann und im Ergebnis unsozial. kann man dem einen, der dort nicht erfolgreich eine neue Wohnung gesucht hat, durchaus schon unterstellen, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. er vielleicht nicht ganz so intensiv gesucht hat. Ich glau- Pascal Kober [FDP] – Katja Kipping [DIE be, Sie begegnen dem hier mit etwas zu viel Wohlwollen. LINKE]: Es gibt aber Mehrheiten dafür in Berlin!) (Beifall bei der AfD) 8820 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Jörg Schneider (A) Wo wir Ihnen überhaupt nicht zustimmen können, ist deutsche Haushalte knapp die Hälfte ihres Budgets für (C) Ihre Forderung, dass die Wohnkosten für Asylsuchende Lebensmittel aus. Heute sind das die Mieten – vor allem vollkommen von den Kommunen weggenommen wer- in Großstädten. den sollen. Ich denke, wir haben heute schon die Situa- tion, dass Kommunen in einer Vielzahl von Fällen recht Bundesweit sind fast die Hälfte der Menschen Mieter. leichtfertig Duldungen aussprechen. Die einzige finanzi- In Großstädten sind das aber deutlich mehr. In meinem elle Verantwortung, die ihnen daraus erwächst, ist eben Wahlkreis Hamburg-Altona sind nicht die Hälfte der die Übernahme der Wohnkosten. Die Kommunen jetzt Menschen Mieter, es sind knapp 80 Prozent. auch noch von dieser Verantwortung zu entbinden, ist (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Leider!) unserer Meinung nach ein Schritt in die falsche Richtung. Man sieht: Ein Großteil der Bevölkerung ist von hohen (Beifall bei der AfD) Mieten betroffen. Aber natürlich – das ist richtig – trifft Dann gibt es die Sonderregelung für unter 25-Jährige. es besonders Hartz‑IV-Empfänger. Wer noch nicht 25 Jahre alt ist, der ist noch nicht berech- Meine Damen und Herren, die Analyse ist so schwer tigt, eine eigene Wohnung zu haben, der sollte bei seinen nicht. Der Wohnraum in Metropolen ist teuer, weil es zu Eltern wohnen. Sie sagen, diese Sonderregelung soll ab- wenig davon gibt. Bezeichnend ist aber, was die Linken geschafft werden, und begründen dies mit Ihrem Men- nun für Gegenmaßnahmen vorschlagen: Der Staat muss schenbild vom eigenverantwortlichen Bürger. Mal ganz mehr Kosten übernehmen – vor allem der Bund –, und er im Ernst gesprochen: Wenn einer Anfang 20 ist, keiner muss die Parameter so verändern, dass eine höhere Kos- Beschäftigung nachgeht und meint, diese Gesellschaft tenübernahme möglich ist. Ich will überhaupt nicht in müsse ihm nicht nur den Lebensunterhalt finanzieren, Abrede stellen, dass einige Ihrer Forderungen berechtigt sondern auch noch eine Wohnung spendieren, dann ent- sind. Vieles ist ja auch schon bestehende Rechtslage, wie spricht das nicht unserem Bild von einem eigenverant- Frau Schmidt eben deutlich gemacht hat. Aber wenn die wortlichen Bürger. Analyse ist, der Wohnraum ist zu teuer, weil es zu we- (Beifall bei der AfD – Sven Lehmann [BÜND- nig davon gibt, dann gibt es doch vor allem eine zentrale NIS 90/DIE GRÜNEN]: Spendieren? Das ist Forderung, um das zu ändern: mehr Wohnraum schaffen. Grundrecht! Gucken Sie mal ins Gesetz! – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU) GRÜNEN]: Sie wollen die Partei der kleinen Leute sein? Erbärmlich!) Frau Kipping – herzlichen Glückwunsch zum Ge- burtstag –, ich habe nach Ihrer Intervention zur Rede von Insofern beruhigt mich dann Ihr Antrag doch wieder ein (B) Herrn Aumer in Ihrem Antrag nachgeschaut: Sie schrei- (D) Stück. Ich glaube, Sie haben doch immer mal wieder et- ben nichts über den Wohnungsbau; da ist keine einzige was zu sehr denjenigen im Blick, der morgens um 6 Uhr Forderung. von der Party kommt oder sich morgens um 6 Uhr schon den ersten Joint rollt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE CDU/CSU und des Abg. Pascal Kober [FDP]) GRÜNEN]: Was ist das für ein Menschen- Dabei ist die Förderung von Wohnungsbau die Antwort, bild?) um die von Ihnen beklagte sogenannte Wohnkostenlücke Wir stehen eher hinten dem, der um 6 Uhr morgens auf- nachhaltig zu schließen. steht, um zur Arbeit zu gehen, und ich glaube, der ist Das ist auch die Antwort, die die Große Koalition in auch bei uns am besten aufgehoben, bei der Alternative ihrem Koalitionsvertrag gibt. Was haben wir gemacht? für Deutschland. Wir haben das Baukindergeld eingeführt. Ich danke Ihnen. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der AfD – Sven Lehmann [BÜND- Wir haben die Mittel für Sozialwohnungen für dieses NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll die Partei Jahr um 500 Millionen Euro aufgestockt. der kleinen Leute sein? Ich lach mich tot!) (Kai Whittaker [CDU/CSU]: So ist es!) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir stellen für 2020 und 2021 mindestens 2 Milliarden Dr. Matthias Bartke spricht nun für die SPD-Fraktion. Euro für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Und: (Beifall bei der SPD) Wir mobilisieren in dieser Wahlperiode insgesamt 5 Mil- liarden Euro für Wohnungsbau.

Dr. Matthias Bartke (SPD): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heribert Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wird mehr preiswer- Prantl schrieb zur Jahreswende in der „Süddeutschen ter Wohnraum geschaffen, und so wird der Druck auf die Zeitung“: „Die Mietpreise sind heute das, was früher die Mietpreise gemindert. Brotpreise waren.“ Ich finde, das trifft es ganz gut. Heute bestimmen die Mietpreise ganz maßgeblich das finan- Ganz vorne bei der Schaffung von Sozialwohnungen zielle Auskommen der Menschen. Vor 50 Jahren gaben liegt übrigens meine Heimatstadt Hamburg. In Hamburg Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8821

Dr. Matthias Bartke (A) muss jedes Bauvorhaben ein Drittel Sozialwohnungen gilt nach wie vor: Die SPD ist strikt gegen Kürzungen (C) aufweisen. von Kosten der Unterkunft bei Hartz‑IV-Empfängern. (Beifall bei der SPD – Katja Mast [SPD]: Ich danke Ihnen. Und wie ist es in Nordrhein-Westfalen?) (Beifall bei der SPD) Aber meine Damen und Herren, natürlich ist es ein Problem, dass Jobcenter in jeder fünften Bedarfsgemein- Vizepräsidentin Petra Pau: schaft nicht die vollen Wohnkosten übernehmen. Warum Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Till ist das so? Die Wohnung ist zu groß, und die Leistungs- Mansmann. bezieher zahlen deswegen eine so hohe Miete, dass sie nicht übernommen werden kann. Oder die Kosten der (Beifall bei der FDP) Miete sind trotz angemessener Wohnungsgröße zu hoch. Denn eins ist doch auch klar: Sozialleistungen dürfen Till Mansmann (FDP): nicht überhöhte Mieten subventionieren. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- (Beifall bei der SPD) nen und Kollegen! Liebe Kollegen von der Linken, ich will mit den Gemeinsamkeiten, die wir haben, beginnen. Fest steht: Vor einer Absenkung der Leistungen des § 22 SGB II führt in seiner derzeitigen Fassung zu ei- Jobcenters auf die angemessenen Mietkosten erfolgen ner in so vielen Fällen unklaren Rechtslage, dass rund immer ein Hinweis und eine Entscheidung im Einzel- 30 000 Bestandsklagen zum Jahresende 2018 anhängig fall. Die Möglichkeit der Ermessensentscheidung gibt es waren. Das ist ein sowohl für die Behörden als auch für schon heute und muss nicht erst durch den Antrag der die betroffenen Leistungsempfänger untragbarer Zu- Linken eingeführt werden. stand, den wir beenden müssen, auch weil es sich bei den Kosten für das Wohnen in der Tat um einen Teil des not- (Beifall bei der SPD) wendigen Existenzminimums handelt. Aber, liebe Kol- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie leginnen und Kollegen, da hören die Gemeinsamkeiten fordern eine Konkretisierung des Begriffs der Angemes- dann auch schon auf. senheit der Kosten der Unterkunft. Vor allem wollen Sie In Ihrem Antrag, liebe Kollegen von der Linken, stärker auf Pauschalen setzen, um die Bürokratie zu ent- kommen Sie auf der Basis der gleichen Ausgangslage lasten. Aber ich sage Ihnen: Pauschal ist auch nicht im- zu einem geradezu gegenteiligen Schluss. Sie meinen, mer die Lösung. Der Mietmarkt ist ein regionaler Markt. wenn die zerklüftete Landschaft der Lösungen, die in Die Verfügbarkeit von Wohnraum, die Nachfrage und die den einzelnen Kommunen gefunden werden, problema- (B) Höhe der Mieten sind von Ort zu Ort unterschiedlich. tisch ist, dann ist eine noch weitergehende Zerklüftung (D) (Pascal Kober [FDP]: Das ist doch klar!) die Lösung. Auf acht Seiten breiten Sie in bemerkens- werter Detailtreue aus, wie man Ihrer Meinung nach eine Auch wenn wir als Bundestag die Angemessenheit ge- Einzelfallgerechtigkeit in wirklich jedem Fall herstellen nauer definieren, muss sie doch vor Ort immer ausbuch- könnte, die doch im Prinzip gerade der Kern des Pro- stabiert werden. blems ist. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist doch Was wären die Folgen? Noch mehr Rechtsunschär- klar!) fen. In vielen der hier aufgeführten Punkte ist übrigens schwer zu identifizieren, was denn daran neu sein soll; Es ist daher richtig, dass jede Kommune ihr eigenes Kollege Heilmann hat das auch schon erwähnt. Sie er- schlüssiges Konzept zur Berechnung entwickeln kann. tränken das in einer Menge von Regelungen, die bereits Meine Damen und Herren, am Ende noch ein Wort gültig sind und schon längst angewendet werden. zur Anhörung des Bundesverfassungsgerichts zu den (Katja Kipping [DIE LINKE]: Eben nicht Hartz‑IV-Sanktionen Anfang der Woche. Ich weiß nicht, flächendeckend!) ob eine Kürzung der Kosten der Unterkunft verfassungs- widrig ist. Das muss das Gericht entscheiden. Als Jurist Es wird den Betroffenen nur wenig nützen, wenn Ihre bin ich immer äußerst vorsichtig mit vorschnellen Be- neuen Vorschriften dazu führen, dass weitere Prozesse wertungen, ob etwas verfassungswidrig ist oder nicht. geführt werden müssen, um die neuen, von Ihnen deut- lich weiter gezogenen Grenzen rechtlich auszutesten und (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schö- über weitere Urteile auszugestalten. nen Gruß an Herrn Aumer!) Aber nicht nur systematisch, auch inhaltlich gibt es Als Sozialdemokrat sage ich Ihnen aber: Ein Staat, der hier vieles, was einfach in die falsche Richtung geht. bedürftige Menschen wissentlich in die Obdachlosigkeit Sie wollen, dass in Orten mit angespanntem Wohnungs- stößt, handelt ohne jedes Maß. markt – auch hier entstehen im Hinblick auf die Definition (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Anspannung ja neue Rechtsunbestimmtheiten – auch DIE GRÜNEN) Wohnungen mittleren Standards bei den Berechnungen berücksichtigt werden sollen. Das würde nun sicher in Meine Damen und Herren, die unterschiedliche Be- mehr als nur in Einzelfällen dazu führen, dass Menschen, wertung von Sanktionen bei Hartz IV ist wohl der sozi- die Transferleistungen beziehen, bessergestellt würden alpolitische Dissens innerhalb der Großen Koalition. Es als viele, die Vollzeit zu Mindestlohnbedingungen ar- 8822 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Till Mansmann (A) beiten; Herr Dr. Bartke hat auf diesen Umstand bereits Jetzt könnte man fragen, ob es hier wirklich ein Pro- (C) hingewiesen. Den Lohnabstand auf diese Weise zu unter- blem gibt. Ich habe mir die Zahlen der Bundesagentur laufen, halten wir im Moment für wenig sinnvoll. für Arbeit geben lassen. Da gibt es eine schöne Statistik über Wohn- und Mietkostenzuschüsse. Es handelt sich Es ist doch viel sinnvoller, Behörden und Gerichte hier um Tabelle 2b, falls es den Herrn Kollegen Birkwald zu entlasten, indem mit einer sinnvollen Pauschalierung genau interessiert. Dort steht, wie groß die Deckungslü- ein konkreter Rahmen geschaffen wird, in dem dann die cke pro Bedarfsgemeinschaft ist. Sie betrug im Jahr 2015 betroffenen Menschen auch durchaus mehr Gestaltungs- 16,94 Euro pro Monat. Heute sind es 16,15 Euro. Sie ist spielraum haben, um ihr Leben in Eigenverantwortung also gesunken. zu gestalten. Denn es ist durchaus zu erwarten, dass auch unsere Pauschalierungen, die ausdrücklich auch beson- (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Im Durch- ders Einzelfällen gerecht werden sollen, insgesamt die schnitt!) Betroffenen sogar besserstellen und trotzdem unter dem Das geben Sie in Ihrem Antrag sogar zu. Sie schreiben, Strich weniger kosten, weil der Administrationsaufwand dass die Wohnkostenlücke abnimmt. Das Problem kann und der Aufwand in den Gerichten deutlich niedriger also nicht so groß sein. sind. Bei Ihrem Weg wäre eine doppelte Kostenexplosi- on zu erwarten, die – und in Ihrem Antrag sieht man, dass (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Für Sie die Gefahr selbst auch sehen – am Ende ein Treiber Hartz-IV-Betroffene ist das viel Geld!) für steigende Mietpreise gerade wieder im unteren Seg- Das eigentliche Problem ist – das wurde hier mehrfach ment sein könnte. angedeutet –, dass die Anzahl der Sozialwohnungen in Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns auf diesem Land zu gering ist. 1990 hatten wir fast 3 Mil- die entsprechenden Diskussionen im Ausschuss. lionen Sozialwohnungen. In diesem Jahr wird die Zahl wahrscheinlich auf knapp 1 Million sinken. (Beifall bei der FDP) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das gemacht? Wer ist

Vizepräsidentin Petra Pau: schuld daran?) Kai Whittaker hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Hieraus ergibt sich der eigentliche Auftrag, den wir als Politik haben. Diesen Auftrag haben wir als Bund aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht mehr. Wir haben das an die Länder abgegeben, weil die Länder das wollten. (CDU/CSU): (B) Kai Whittaker (Caren Lay [DIE LINKE]: Nicht wir! Sie (D) Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Manche meinen ja: waren das!) Politik ist die Kunst, viel zu reden und nichts zu sagen, und hinterher weiß keiner, worum es genau geht. Da- Wir haben Geld dafür gegeben. Kollege Bartke hat rich- mit hier diese Gefahr nicht besteht, möchte ich in klarer tigerweise gesagt: Wir werden allein in dieser Legisla- Sprache übersetzen, was in Ihrem Antrag steht. turperiode 2,5 Milliarden Euro zusätzlich geben, damit die Länder den sozialen Wohnungsbau voranbringen. Ich (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Gut, dass kann Ihnen nur sagen: Auf geht’s! Machen Sie es in Ber- wir Sie haben!) lin und Thüringen! Zuallererst fordern Sie mehr Mietgeld für jeden Qua- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang dratmeter. Sie fordern mehr Wohnraum pro Person. Sie Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fordern höhere Wohnstandards. Sie fordern die vollstän- NEN]: Wer hat denn in den 80ern regiert?) dige Übernahme aller Nebenkosten, und Sie fordern eine eigene Wohnung für jeden 18-Jährigen. Das und noch Sie machen weitere Fehler. Indem Sie mehr Zuschüs- viele andere Forderungen sind in Ihrem Antrag enthalten. se geben, erhöhen Sie de facto die Nachfrage. Wenn ich Da frage ich mich, warum Sie nicht gleich hineinschrei- mehr Geld im Portemonnaie habe, dann habe ich eher ben, dass Wohnen für Hartz‑IV-Empfänger komplett kos- die Chance, Wohnungen nachzufragen, die es auf dem tenlos sein soll. Das wäre konsequenter. Markt gibt. Sie erhöhen damit den Wohnungsdruck nicht nur für die Hartz‑IV-Empfänger, sondern auch für die- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ jenigen, die – knapp über Hartz IV – von ihrer eigenen DIE GRÜNEN]: Mein Gott! – Matthias W. Hände Arbeit leben können. Das ist sozial ungerecht. Sie Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht noch schaffen auch keinen Anreiz zum Haushalten. Wenn der nicht einmal Ihre Fraktion!) Staat sämtliche Nebenkosten übernimmt, selbst wenn der Betreffende bei offenem Fenster heizt, dann muss ich Sie Das alles erinnert mich ein bisschen an den Film „Isch fragen, in welcher Welt Sie leben. kandidiere!“ von Hape Kerkeling, der mit dem Spruch angetreten ist: Ich finde, es ist von allem zu wenig. Ich (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE finde, es müsste mehr. – Das ist die Politik, die Sie be- GRÜNEN]: Wie kann man nur so undifferen- treiben. ziert reden!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gestern haben wir an gleicher Stelle über das Thema Katja Kipping [DIE LINKE]: Nur für die Ar- Nachhaltigkeit gesprochen. Einer Ihrer Kollegen hat ge- men und Mittleren, nicht für die Reichen!) sagt, wir müssten sinnvoll mit Energie umgehen. Gleich- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8823

Kai Whittaker (A) zeitig sagen Sie: Wir zahlen alles, egal wie geheizt und genau, wie diese aussehen sollen. Wollen Sie das bundes- (C) gewirtschaftet wird. einheitlich festlegen? Wollen Sie das für die Kommunen festlegen? Sie wollen auch, dass in Zukunft die Wohnkosten von Sozialwohnungen vom Bund komplett übernommen wer- (Pascal Kober [FDP]: Natürlich nicht!) den. Das ist nichts anderes als eine Gelddruckmaschine für die Länder. Wenn ich Ministerpräsident wäre, würde Sie sagen auch nicht, wie hoch die Obergrenzen sein ich sofort Sozialwohnungen bauen, sie für 15 Euro den sollen. Sie definieren den Angemessenheitsbegriff nicht Quadratmeter vermieten und mir dann das Geld direkt exakt. Aber genau das sind die kniffligen Fragen, an de- vom Bund überweisen lassen. Das ist die Politik, die Sie ren Beantwortung wir seit Jahren herumdoktern und für machen. die wir noch keine Lösung gefunden haben. Da wäre Ihr Input richtig. Ich freue mich auf die Diskussionen im Sie versuchen – das ist der Hauptunterschied zu uns –, Ausschuss. aus Hartz IV ein Einzelfallrecht zu machen. Das wollen wir nicht. Die Idee von Hartz IV war, zu vereinfachen (Beifall bei der CDU/CSU) und zu pauschalieren, und gut ist. (Caren Lay [DIE LINKE]: Zulasten der Be- Vizepräsidentin Petra Pau: troffenen!) Ich schließe die Aussprache. Die Idee war, den Menschen einfach, unbürokratisch Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen und schnell zu helfen, und nicht, erst nach langwierigen auf den Drucksachen 19/6526 und 19/7030 an die in der Prüfverfahren zu schauen, worauf die Betreffenden ein Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Anrecht haben. Das ist der Unterschied. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sind die Überweisungen so beschlossen. Katja Kipping [DIE LINKE]: Das war die Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie den Zu- Theorie! Die Praxis ist es aber nicht!) satzpunkt 11 auf: Im Kern Ihres Antrags geht es eigentlich darum, 22. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Hartz IV zu einem Recht weiterzuentwickeln, von dem CSU und SPD man sein Leben komplett und für immer bestreiten kann. Auch das war nicht die Idee von Hartz IV. Die Idee von Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken – Hartz IV war, für einen kurzen Zeitraum den Menschen Gutes Leben und Arbeiten auf dem Land ge- zu helfen, während sie arbeitslos sind, um sie anschlie- währleisten (B) ßend wieder in Arbeit zu bringen, aber nicht, ihnen (D) 40 Jahre ein Leben in Hartz IV zu ermöglichen. Das wol- Drucksache 19/7028 len wir nicht. Wir haben in der Großen Koalition vor we- Überweisungsvorschlag: nigen Wochen das Teilhabechancengesetz verabschiedet, Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) um genau dieses Problem zu bekämpfen. Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda Es ärgert mich, dass Sie immer auf die große Solida- ritätsmasche setzen. Sie schaffen es ja noch nicht einmal ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Carina in Ihrer eigenen Fraktion, solidarisch mit Ihrer Fraktions- Konrad, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Hocker, vorsitzenden zu sein. Bevor Sie das nicht hinbekommen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sollten Sie sich nicht zum großen Solidaritätsapostel auf- schwingen. Smart Farming – Flächendeckende Breit- bandversorgung für eine innovative Land- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Welche Rolle wirtschaft in Deutschland haben Sie denn bei der Wahl des Fraktionsvor- sitzenden Ihrer Partei gespielt?) Drucksache 19/7029 Ich möchte noch kurz auf die FDP eingehen. Ich fin- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) de es schön, dass Sie das Thema Pauschalierung anspre- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) chen. Das ist ein Thema, über das wir hier schon lange Ausschuss für Wirtschaft und Energie diskutieren. Die FDP hat es nicht gebraucht, um uns zu Ausschuss Digitale Agenda dieser Erkenntnis zu bringen. Federführung strittig (Pascal Kober [FDP]: Doch!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Aber Ihr Antrag liest sich, als ob er nachts an der Theke nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. geschrieben worden wäre; Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen zügig (Caren Lay [DIE LINKE]: Jetzt werden Sie abzuschließen und Unterhaltungen außerhalb des Saals mal nicht frech!) zu führen oder zumindest in einer Lautstärke, die uns hier denn er enthält eigentlich nur ungenaue Bestimmungen. nicht behindert. Diese Bitte richtet sich insbesondere an Sie wollen mehr Pauschalierungen. Aber Sie sagen nicht die CDU/CSU-Fraktion. 8824 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin wird vom Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-An- (C) Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. halt kritisiert. Zu Recht: Ein klares Bekenntnis zu unse- ren ländlichen Regionen sieht anders aus. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU): Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gutes Leben und Arbeiten auf dem Land, darum geht es heu- Für kleine und mittelständische Betriebe auf dem te; denn die ländlichen Regionen, die Menschen dort Land steht an Nummer eins der Wunschliste die Infra- liegen uns gerade in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion struktur: analog und digital, Straße und Glasfaser. Hier besonders am Herzen. Für uns sind sie kein Anhängsel hat der Bund vorgelegt. Noch nie wurde so viel in Ver- von Ballungszentren, keine Museumslandschaften, keine kehrswege investiert. Projektionsfläche für Landromantik. Für uns sind ländli- che Räume Kraftzentren, das Fundament unseres Landes. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die werden allesamt abgebaut!) (Beifall bei der CDU/CSU) Mehr als die Hälfte der Menschen lebt dort. Es ist Und wir bekämpfen die digitale Spaltung. Insgesamt ge- die Heimat des Mittelstandes. Nirgendwo gibt es mehr hen annähernd 5 Milliarden Euro in den Breitbandaus- Ehrenamt. Dort ist auch die grüne Lunge unseres Lan- bau. Zuständig sind dafür eigentlich Länder und Kom- des. Allerdings gibt es auch Schattenseiten: der Bus, der munen. Diese müssen nun auch nachziehen. nur zweimal am Tag fährt, die Post, die nicht jeden Tag kommt, das Fehlen von Hebammen oder ein Handynetz Ein Wort zur Landwirtschaft. Heute ist die Grüne Wo- mit Löchern, so groß wie im Schweizer Käse. Mit die- che in Berlin eröffnet worden, die weltgrößte Messe für sen Problemen haben fast alle auf dem Land zu kämp- Ernährung, Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Garten- fen. Aber damit endet die Vergleichbarkeit häufig schon; bau. Der Wirtschaftsmotor Nummer eins auf dem Land denn es gibt nicht das Land. ist nach wie vor die Land- und Forstwirtschaft. Die Be- sucher der Grünen Woche werden eines erleben: In der Da gibt es Erfolgsregionen wie meine Heimat, das Brust des heutigen Landwirts schlagen zwei Herzen, ei- Emsland, nes für das Leben mit und in der Natur und eines als mit- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) telständischer Hightechunternehmer. Die Bauernregel ist schon lange dem Computer gewichen. Manchem Bürger früher Armenhaus, heute bundesweit Zugpferd: Vollbe- fällt diese Erkenntnis schwer, manchem Politiker übri- (B) schäftigung, Rekordsteuereinnahmen, so gut wie schul- (D) denfrei. Dann gibt es Regionen wie die Eifel, deren gens auch. Überall soll Innovation gelebt werden, aber Einwohner genauso anpacken wollen, aber von der Lan- bitte nicht in der Landwirtschaft. Jedem sein Smartgerät, desregierung Rheinland-Pfalz ins Abseits gestellt werden aber die Bäuerin soll noch mit dem Futtereimer über den mit dem kommunalen Finanzausgleich. Hof tänzeln. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Es gibt auch (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke ganz viel Eifel in Nordrhein-Westfalen!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja In Rheinland-Pfalz ist der Bürger in der Stadt mehr wert ein Frauenbild!) als der Bürger auf dem Land. So wird Stillstand zemen- Das kann nicht funktionieren. Mit digitalen Anwendun- tiert. gen können Ressourcen geschont und dabei die Effizienz (Beifall bei der CDU/CSU) gesteigert werden. Davon profitieren Verbraucher, Tiere, Umwelt und übrigens auch die Menschen auf den Höfen. Die Verhältnisse in ländlichen Regionen sind also nicht gottgegeben. Die Politik kann Weichen stellen. Ge- Wir haben darauf als Bund reagiert. Unsere Landwirt- nau darum geht es in dem Antrag, den Ihnen heute die schaftsministerin Julia Klöckner stellt 60 Millionen Euro Koalition von CDU/CSU und SPD gemeinsam vorlegt. zur Verfügung: für digitale Experimentierfelder auf dem Wir wissen: Der Erfolg einer Region steht und fällt mit Land, für die Förderung von Start-ups, eine Masterplatt- ihrer Wirtschaftskraft. Die Menschen wollen nicht nur form für Open Data. Mit Land.Digital werden digitale schöner leben, sie wollen auch arbeiten, und Kommunen Initiativen auf dem Land gefördert; denn wir, die CDU/ brauchen die Steuereinnahmen. CSU-Bundestagsfraktion, wissen: Investitionen in das Dazu kann der Bund, also der Staat, mit dezentra- Land sind Investitionen in die Zukunft. len Behördenstandorten selbst beitragen. Es gibt gute Beispiele. Aktuell hat unsere Bundesministerin Julia (Beifall bei der CDU/CSU) Klöckner ein neues Kompetenzzentrum in Gülzow ge- schaffen. Das ist ein starkes Bekenntnis zum ländlichen Deshalb kämpfen wir als Mitglieder der Großen Ko- Raum. Dezentrale Behördenansiedlungen dürfen aber alition auch für eine Mobilfunkabdeckung in Stadt und kein Feigenblatt sein, wie zum Beispiel in Dessau. Dort Land. Dafür brauchen wir 2G, 3G, 4G und perspektivisch ist der Hauptsitz des Umweltbundesamts. Hausspitze und 5G im ganzen Land. Die Bundesnetzagentur hat auf un- Co bevorzugen aber offenbar den Nebenstandort in Ber- seren Druck hin vor der Versteigerung der Frequenzen lin. Da wird dann ab und zu in die Provinz gependelt. Das nachgebessert. Aber ich sage auch sehr kritisch: Das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8825

Gitta Connemann (A) reicht noch nicht. Zum Beispiel muss lokales Roaming Warum? In der Stadt gibt es Arbeit, Kitas, Schulen, (C) ermöglicht werden. Unis, Ärzte, tolle Restaurants, Kultur, Internet und den ÖPNV; all das, was im ländlichen Raum Mangelware (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu sein scheint. So konzentriert sich alles auf die Städte. NEN]: Da klatschen nicht mal die eigenen Diese stehen nicht selten vor dem Kollaps. Die Mieten Leute!) explodieren, die Straßen, Busse und Bahnen sowie die Dies gehört zur Lebensqualität auf dem Land dazu, wie Arztpraxen sind völlig überfüllt. Die Lage spitzt sich zu. erreichbare Schulen, eine gute Versorgung mit Ärzten, Doch diese Entwicklung kommt nicht von heute auf Therapeuten und Hebammen, Nahversorgung und gute morgen, wie es die Koalitionsfraktionen mit ihrem Jetzt- Möglichkeiten für unsere Familien. wird-alles-gut-Antrag suggerieren wollen. Diese Ent- Auch hier hat der Bund vorgelegt. Es ist gerade in wicklung der Landflucht kommt schon seit mindestens der letzten Debatte deutlich geworden, wie viel Geld die 29 Jahren und ist, um es nur beiläufig zu erwähnen, der Große Koalition hier investiert hat, um Wohnraum zu Politik von CDU, CSU und SPD geschuldet. Das sind schaffen. Mit dem Baukindergeld ermöglichen wir gera- die Antragsteller. Gerade in den ländlichen Räumen der de Familien, ihren Traum vom Eigenheim auf dem Land neuen Bundesländer ist das so. Meine Oma sagte schon zu verwirklichen. vor 20 Jahren: Die Jugend geht, und wir Alten machen hier das Licht aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Die DDR war ohne Zweifel ein Unrechtsstaat, der sei- Für die Landärzte von morgen können die Länder spezi- ne Bevölkerung drangsalierte, bevormundete und ausspi- elle Studienplätze reservieren und, und, und. onierte; ein Staat, für den Umweltschutz ein Fremdwort war, in dem es an allem mangelte, nur an einem nicht: Zur Lebensqualität auf dem Land gehört aber auch das an Infrastruktur. Selbst in Dörfern gab es Bahnanschluss. Ehrenamt. Über 30 Millionen Ehrenamtler machen unser Busse fuhren mehrmals täglich. Ärzte, Einkaufsmög- Land jeden Tag ein Stück besser. Besonders in ländlichen lichkeiten, Sparkassen, Schulen und Arbeitsplätze waren Regionen ist ohne Ehrenamt kein Staat zu machen. Aber vorhanden. Ehrenamtler sind keine Berufsprofis. Deshalb sind Ge- setze, die für ein Gewerbe gelten, im Ehrenamt fehl am Und nach der Wende – damals, als alles, was mit Platz. Es muss zwischen dem Selbstgebackenen beim dem Wenigen, was da war, mühsam aufgebaut worden Kirchenbasar und dem Kuchen aus der Konditorei un- war, den Stempel „Nichts mehr wert“ bekam? Entweder terschieden werden, zwischen dem Public Viewing bei wurde stillgelegt, wie zum Beispiel unzählige unserer der Weltmeisterschaft im Behindertenheim und vor dem Bahnhöfe. Allein in Sachsen sind über 700 Kilometer (B) Brandenburger Tor. Der Schlüssel dazu ist eine Entbüro- Bahnstrecke stillgelegt worden. Ganze Regionen haben (D) kratisierungsinitiative für Freiwillige Feuerwehren, Chö- dadurch bis heute den Anschluss verloren. Oder es wur- re, Sportvereine und Hospizinitiativen. de, wie der Sachse sagt, alles für ’nen Appel und ’n Ei verscherbelt, natürlich nicht an Einheimische. Die We- (Beifall bei der CDU/CSU) nigsten waren ja damals aufgrund von Entwertung und Wir haben hier Handlungsspielräume. Deshalb ist Arbeitslosigkeit kreditwürdig. die Arbeit unserer Kommission „Gleichwertige Lebens- (Beifall bei der AfD) verhältnisse“ auch so wichtig. Sie weist die Richtung, wo nachgebessert werden muss. Eines ist für uns klar: Wie ein Tsunami rollte die Treuhand flächendeckend Deutschland wird auf seiner Erfolgsspur nur bleiben, über das Land und hinterließ ein Bild der Zerstörung und wenn gutes Leben und Arbeiten auf dem Land weiter des Ödlands. Damals wurde eine regelrechte Landflucht möglich sein werden. Dafür stehen wir. eingeleitet, immer der Arbeit nach: gen Westen, gen Ös- terreich oder der Schweiz. Heute flüchten die Jungen in Vielen Dank. die Ballungszentren. (Beifall bei der CDU/CSU) Die AfD begrüßt dennoch den Antrag von CDU/CSU und SPD; denn er entspricht unserem Grundsatzpro- Vizepräsidentin Petra Pau: gramm. Ich zitiere: Das Wort hat die Abgeordnete Verena Hartmann für Die AfD will die ländlichen Regionen stärken ... Zu die AfD-Fraktion. einem lebenswerten ländlichen Raum zählen für uns eine intakte bäuerliche Landwirtschaft, eine funkti- (Beifall bei der AfD) onsfähige mittelständische Wirtschaft und eine aus- reichende Infrastruktur. Verena Hartmann (AfD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer! Das Problem mit der Stadt und dem Diese umfasst alle für die Daseinsvorsorge notwen- Land: Die Städte scheinen hochattraktiv zu sein. Auch digen Einrichtungen wie Schulen, medizinische wenn manche Familien lieber auf dem Land leben wür- Versorgung und Breitband-Kommunikation. Nur den, saubere Luft hätten, weniger Hektik und viel Grün durch zielgerichtete Investitionen und eine kluge für die Kinder, kommt das dennoch oft nicht für sie in- Ansiedlungspolitik lässt sich für junge Familien im frage. ländlichen Raum eine Perspektive schaffen und die 8826 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Verena Hartmann (A) derzeit negative demografische Entwicklung um- sei es in Bezug auf die Infrastruktur, Fachkräfte, Arbeits- (C) kehren. kräfte, junge Leute, die wir für die Berufsfelder suchen. Diese Herausforderungen werden in diesem Antrag auch Kommt Ihnen das bekannt vor? Das klingt ganz nach artikuliert. dem Antrag von CDU/CSU und SPD, doch unser Pro- gramm existiert schon eine ganze Weile länger. Aber wie Aber es zeigt sich eines in den ländlichen Räumen: man so schön sagt: Die Kopie ist immer noch die ehr- Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt sind oft- lichste Form der Schmeichelei. mals größer. Das erlebt man zum Beispiel bei der Or- ganisation von Großereignissen, wo angepackt wird, wo (Beifall bei der AfD – Johann Saathoff nicht lange geredet wird. Wir haben zum Beispiel in der [SPD]: Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst, was?) kommenden Woche die Rennrodelweltmeisterschaft. Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit der Wiederbe- Wir haben in diesem Jahr den Deutschen Wandertag. Wir lebung des ländlichen Raums – und keiner würde sich haben den Internationalen Hansetag mit 100 000 Besu- mehr darüber freuen als wir –, dann braucht es schon ei- chern. Was wir dabei erleben, ist, dass es funktioniert, nen Defibrillator mit Starkstromanschluss. und zwar reibungslos. Das ist etwas, glaube ich, was ländliche Räume auszeichnet. (Heiterkeit bei der AfD) Es ist auch ein gutes Signal, dass im Rahmen der Grü- Die angesetzten 220 Millionen Euro werden für all das nen Woche das Zukunftsforum Ländliche Räume unter nicht ausreichen, wenn man die 126 Milliarden Euro dem Titel „Ländliche Entwicklung – Gemeinsame Auf- sieht, die dem als Investitionsstau in Krankenhäusern, gabe für Staat und Gesellschaft“ stattfindet. Es ist auch Schulen und Kitas etc. jährlich gegenüberstehen. So blie- ein wichtiges Zeichen, dass diese Veranstaltung von be es, wie es zunächst scheint, ein Tropfen auf den heißen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet wird. Stein. Wir, die AfD, hoffen inständig, dass das am Ende nicht wieder nur heiße Luft wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Es ist ebenfalls richtig – und wir begrüßen das als (Beifall bei der AfD) Koalitionsfraktionen ausdrücklich –, dass das Landwirt- schaftsministerium das Bundesprogramm „Ländliche Vizepräsidentin Petra Pau: Entwicklung“ auf 70 Millionen Euro aufgestockt hat. Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Dirk Dieses Programm gibt Möglichkeiten, zum Beispiel Wiese das Wort. durch ein Projekt „Land(auf)Schwung“ bei mir vor Ort, wo sich der Herausforderungen der medizinischen Ver- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sorgung angenommen wird, der Vorsorge, der Pflege, (D) der CDU/CSU) aber auch der Barrierefreiheit im ländlichen Raum oder der Frage: Wie kriegen wir eigentlich die ärztliche Ver- Dirk Wiese (SPD): sorgung hin? Denn die Apotheke vor Ort wird vor einer Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und großen Herausforderung stehen, wenn der Arzt im Ort Kollegen! Am gestrigen Abend ist die Grüne Woche er- seine Praxis schließt und kein Rezept mehr ausstellt. Die- öffnet worden. Ich glaube, die Grüne Woche ist wieder se Fragen werden mit solchen Programmen des BMEL einmal eine gute Möglichkeit, um deutlich zu machen, angegangen, auch Fragen der Fachkräftegewinnung, der dass Landwirtinnen und Landwirte, bäuerliche Familien Fachkräftesicherung. Übrigens, dieses Programm, das dafür sorgen, dass ländliche Räume lebenswert sind, lie- dem ländlichen Raum hilft, ländliche Räume stärkt, will benswert sind und intakt bleiben. Dafür muss man an die- Ihre Fraktion abschaffen, und genau das ist Politik gegen ser Stelle einfach einmal ein großes Dankeschön sagen. den ländlichen Raum. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem FDP) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber wir haben auch ein paar Punkte, bei denen wir Aber ich will eines deutlich machen – und das soll gemeinsam etwas machen müssen. Ich würde mir zum auch dieser heutige Antrag tun –: Ländliche Räume sind Beispiel wünschen, dass das Bundesverkehrsministerium mehr als Landwirtschaft. Ländliche Räume sind vielsei- endlich das Konzept für die 5G-Modellregionen in den tig. Wir haben ländliche Räume, die wirtschaftlich pro- ländlichen Räumen vorstellt. Dazu liegt noch nichts vor. sperierend sind, die wirtschaftlich erfolgreich sind. Wir Dabei kann das eine Chance sein. haben allerdings auch ländliche Räume, die vor großen Herausforderungen stehen, die strukturschwach sind. In- Ich möchte auch, dass wir es endlich hinbekommen, sofern kann man nicht einfach sagen, dass es den ländli- dass der Abfluss der GAK-Mittel – das steht für „Ge- chen Raum gibt. Ich glaube, dieser Herausforderung, vor meinschaftsaufgabe der Agrarstruktur und des Küsten- der wir stehen, stellt sich dieser Antrag. schutzes“ – in den Ländern funktioniert. Es kann nicht sein, dass Nordrhein-Westfalen die Mittel nicht abruft Dass wir wirtschaftlich erfolgreiche ländliche Regio- und damit Mittel für den ländlichen Raum liegen lässt. nen haben, zeigt sich an meiner Heimatregion im Sauer- Darauf müssen wir als Bundesregierung und als Bundes- land in Südwestfalen. Wir sind mittlerweile das industri- tag den Finger legen. elle Herz von Nordrhein-Westfalen, aber wir stehen vor den gleichen Herausforderungen wie andere Regionen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8827

Dirk Wiese (A) Wir müssen es auch hinbekommen, dass LEADER wichtig das Ziel auch ist: Der Zweck heiligt nicht immer (C) Möglichkeiten schafft und sich die Leute nicht wegen der die Mittel. Bürokratie von LEADER abwenden. (Beifall bei der FDP) Ein letzter Punkt, der uns und auch der CDU/ CSU-Fraktion wichtig ist. Auch Sie, Frau Connemann, Sie gefährden auf diese Art und Weise die Rechtssi- haben betont, wie wichtig dieser Antrag ist. Unter III. 4. cherheit des Verfahrens noch weiter. Neun Klagen wur- steht: Wir wollen auf die Länderebene einwirken, um die den schon eingereicht. Aber wenn Sie so weitermachen, öffentliche Nahverkehrsanbindung im ländlichen Raum dann schaffen Sie es auch noch, die Unternehmen zum zu erhalten und auszubauen und auch Strecken zu reakti- vollständigen Rückzug aus der Versteigerung zu treiben, vieren. – Das ist wichtig. Und jetzt tun Sie mir alle einen und würden somit jegliche Aussichten auf einen 5G-Leit- Gefallen: Rufen Sie bitte den CDU-Stadtverband in Sun- markt in Deutschland endgültig begraben. dern im Sauerland an. Die sind die Einzigen, die sich der Das hier geforderte verpflichtende lokale Roaming Reaktivierung einer örtlichen Bahnstrecke widersetzen. mag ja charmant in den Ohren der Planwirtschaftler klin- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) gen, dreht aber an den völlig falschen Stellschrauben. Durch verpflichtendes lokales Roaming werden die Mo- Rufen Sie die am Wochenende an. Dann können Sie, lie- bilfunkbetreiber teilweise enteignet, sie müssen anderen be CDU, unseren Antrag Anbietern Zugang zu ihrer Infrastruktur gewähren. Mit (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Maßnahme, meine sehr verehrten Damen und Her- NEN]: Da kenne ich auch noch Beispiele, wo ren, nehmen Sie jeglichen Anreiz zum Ausbau der digi- die Schwarzen auf der Bremse stehen! Sehr talen Infrastruktur. gut!) (Beifall bei der FDP – Oliver Krischer wirklich mit Leben füllen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch völliger Quatsch!) Vielen Dank. Außerdem soll nun eine staatliche Infrastrukturge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sellschaft gegründet werden, also quasi eine staatliche der CDU/CSU) Baufirma. Wie gut der Staat allerdings mit Bauprojek- ten zurechtkommt, das wissen nicht nur die Berliner und Vizepräsidentin Petra Pau: Hamburger aus leidlicher Erfahrung. Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Frank Sitta (Zuruf von der AfD: Stuttgart!) (B) das Wort. (D) Es ist schon einigermaßen unfassbar, dass die selbst- (Beifall bei der FDP) ernannten Helden der Marktwirtschaft aus der Union so etwas tatsächlich befürworten. Wie gut, dass Ludwig Frank Sitta (FDP): ­Erhard dies nicht mehr mit ansehen muss! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Als Serviceopposition haben wir schon im Herbst ein Kollegen! Wir sind heute Zeugen eines außerordentlich Gesamtkonzept ausgearbeitet; denn es muss Schluss sein bemerkenswerten Vorgangs. Acht Wochen nach der Ent- mit dieser digitalen Stückwerkpolitik. Es macht wenig scheidung zu den Regeln der 5G-Frequenzvergabe for- Sinn, Mobilfunk und Breitbandausbau getrennt vonei- dern die Koalitionsfraktionen die eigene Regierung auf, nander zu betrachten. Unser Antrag „Smart Farming“ endlich ein Gesamtkonzept für den Mobilfunkausbau zu hilft Ihnen hier gern. Wir brauchen Gigabit-Gutscheine entwickeln. Ich frage Sie, liebe Koalitionsfraktionen: Ist für KMUs und Landwirtschaftsbetriebe, die nachfra- das ernst gemeint? Was hat die Bundesregierung denn Ih- georientiert den Ausbau beschleunigen. Wir regen an, rer Meinung nach in den letzten Monaten gemacht? frühzeitig die Lizenzen der 4G-Frequenzen unter harten Seit Wochen hören wir von Vertretern der Regierungs- Ausbauauflagen zu verlängern. So stellen wir gleichzei- koalition eine Eingriffsfantasie nach der anderen in das tig Versorgungssicherheit und Wettbewerb im Mobilfunk unabhängige Verfahren der Bundesnetzagentur. Ihr An- sicher. trag dokumentiert jetzt vorbildlich, dass es bisher keiner- Deutschland muss moderner werden, und das in allen lei Gesamtkonzept für den Mobilfunkausbau zu geben Wirtschafts- und Gesellschafsbereichen. Wir brauchen scheint. Sollte es noch eines Beweises für das Totalver- hierfür eine kluge Digitalstrategie. Die Freien Demo- sagen der Digitalpolitik der Großen Koalition bedurft ha- kraten nennen dieses digitale Deutschland „Smart Ger- ben, dann liefert ihn dieser Antrag überaus eindrucksvoll. many“. Und im Gegensatz zur Flickschusterei der Koali- (Beifall bei der FDP) tion gelten hier übergreifende Leitlinien, die die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in Einklang Sie versuchen mit diesem achtseitigen Antrag, der bringen. Es ist damit also das glatte Gegenteil Ihrer kon- ganz unverdächtig im grünen Mantel zur Grünen Woche zeptlosen Panik, die mich an das Beispiel mit dem Huhn daherkommt, jetzt holterdiepolter auch die Mobilfunk- in Lebensgefahr aus der Verhaltensforschung erinnert, versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen, die Ih- das, statt sich in Sicherheit zu bringen, anfängt, nach nen in der Vergangenheit scheinbar recht wenig bedeutet Körnern zu picken, die es gar nicht gibt. hat. Dass Sie dabei ganz nebenbei in das unabhängige Vergabeverfahren eingreifen, kümmert Sie nicht. So (Heiterkeit bei der FDP) 8828 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Frank Sitta (A) Ich komme zum Schluss. Eines fällt erneut auf: Die stellt. Aber wir sind da grundsätzlich anderer Meinung. (C) Sozialdemokratisierung der Union schreitet voran. Nach Ich finde, dass das, was die Regierung hier vorgelegt hat, politisch festgelegtem Mindestlohn und der wahltakti- eher halbherzig ist. Sie wollen ja nur dort das lokale Da- schen Senkung des Rentenalters folgen jetzt eine staat- tenroaming einführen, wo sich die Netzbetreiber nicht liche Infrastrukturgesellschaft und die Enteignung der einig werden. Ich finde, wir sollten gesetzlich vorschrei- Investitionen der Betreiber von Mobilfunkmasten. Was ben, dass sie sich gegenseitig ihre Netze zur Verfügung das alles noch mit sozialer Marktwirtschaft zu tun hat, zu stellen haben. das müssen glücklicherweise Sie Ihren Wählern erklären. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Danke schön. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Dann wären wir ganz schnell dabei, die weißen Flecken zu beseitigen. Vizepräsidentin Petra Pau: Was in Ihrem Antrag komplett fehlt, ist zum Beispiel Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm für die das Thema „Kultur im ländlichen Raum“. Ich habe aber Fraktion Die Linke, gesehen, dass Sie dazu in der nächsten Sitzungswoche einen separaten Antrag vorlegen. Ich hätte allerdings ger- (Beifall bei der LINKEN) ne schon einmal gelesen, was die Tendenz ist, in welche welche sich entschlossen hat, an ihrem heutigen Geburts- Richtung Sie gehen wollen; aber die 14 Tage bis dahin tag, zu dem ich ihr herzlich gratuliere, hier an der Debatte halte ich aus. teilzunehmen. Sicherheit im ländlichen Raum oder ÖPNV? Die- (Beifall) se Frage kommt in diesem Antrag gar nicht vor; das ist leider eine komplette Fehlanzeige. Ich hoffe aber, dass Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Sie ähnlich wie mit der Kultur im ländlichen Raum dann Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auch an dieser Stelle gegebenenfalls mit Einzelanträgen Zunächst herzlichen Dank für die Glückwünsche und nachziehen und wir uns dazu hier in diesem Hause ver- auch für den Beifall anlässlich meines heutigen Geburts- ständigen können. tags. Ich fühle mich heute an diesem meinem Geburtstag Auch die Fragen, ob ein Schulkind viele Kilometer doppelt geehrt, einen Antrag der Koalition zu bespre- zur nächsten Grundschule zurücklegen muss und ob ein chen, der ein politisches Herzensthema meinerseits be- Bus auch nach der Schule noch in die Regionen fährt, handelt. Die Entwicklung der ländlichen Räume ist für sind sehr entscheidend für die Wahl der Menschen, sich (B) mich – das wissen die, die mich kennen – ein wichtiges in den ländlichen Raum zu begeben oder dort zu bleiben. (D) Anliegen, um in Deutschland gleiche Lebensbedingun- Auch dazu fehlen bisher Aussagen von Ihnen, und die gen tatsächlich zu gewährleisten. fordern wir ein. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist Landessache!) Insofern herzlichen Dank für die Freude, die Sie mir da- mit machen, am heutigen Tage mit Ihnen gemeinsam da- Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Tipp: Sie rüber zu diskutieren. behandeln in Ihrem Antrag das Thema Landarztstipendi- um. Das hört sich ja sehr interessant an, und ein solches Der Antrag ist für uns im Gegensatz zur FDP – das Stipendium könnte auch eine Lösung des Problems des will ich hier deutlich zum Ausdruck bringen – ein erster Ärztemangels sein. Aber wenn wir diese Lösung wollen, Leitfaden für die Menschen in den ländlichen Räumen, dann müssen wir acht bis zehn Jahre warten, bis näm- um zu erleben und zu sehen, was die Regierung in die- lich die Stipendiaten von heute dem ländlichen Raum zur sem Bereich vorhat. Mindestens in der Analyse kommen Verfügung stehen. Wir finden, dass wir Landärzte jetzt wir zu gleichen Erkenntnissen. Sie wissen, wir haben im brauchen, dass wir die Apotheken auf dem Land erhal- Dezember mit der Drucksache 19/3164 unseren Antrag ten sollten und dass wir auch Hebammen im ländlichen zur Entwicklung der ländlichen Räume vorgelegt, und Raum halten müssen. Dieses Problem lösen wir aber nur mindestens in der Analyse sind wir sehr eng beieinan- dann, wenn wir die Bedarfsplanung grundlegend über- der . Bei den Lösungen ist das nicht immer so; aber dazu arbeiten, die Vergütung von privaten und gesetzlichen komme ich jetzt in meiner Rede. Leistungen einheitlich gestalten und vor allem eine soli- Sie legen also ein ambitioniertes Programm für Ihre darische Grundgesundheitsversicherung einführen. Regierung vor. Ich will deutlich sagen – auch Herr Sitta (Beifall bei der LINKEN) hat das eben angesprochen –: Manchmal hat man so das Gefühl und den Eindruck, dass einige der Kolleginnen Da müssen Sie noch nachlegen. und Kollegen aus der Regierungskoalition zumindest Ich möchte auch noch einen kleinen Änderungsan- mit dem Tempo der Regierung nicht ganz so zufrieden trag ankündigen, den wir im Beratungsverfahren zu Ih- sind und aus diesem Grunde diesen Antrag tatsächlich als rem Antrag einbringen wollen. Sie schreiben nämlich, Tempomacher hier zur Diskussion stellen. dass die Wettbewerbsfähigkeit, das Ziel, Arbeitsplätze Es gibt aber auch einige Punkte, die wir sehr kritisch zu erhalten und Wirtschaft im ländlichen Raum zu er- sehen. Das gilt besonders für das Thema 5G-Ausbau. möglichen, dem Klimaschutz vorangestellt werden solle. Auch das hat Herr Sitta bereits sehr ausführlich darge- Wir sind der Auffassung, dass wir an dieser Stelle Kli- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8829

Heidrun Bluhm (A) maschutz und wirtschaftliche Entwicklung nicht einan- richtig. Beschlossen haben Sie in der letzten Wahlperiode (C) der entgegenstellen dürfen, sondern in Einklang bringen aber Vectoring auf Kupferbasis, liebe Kolleginnen und müssen. Kollegen. Sie sprechen an dieser Stelle mit gespaltener Zunge. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, am Ende meiner Rede darf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ich als Geburtstagskind vielleicht noch einen Wunsch Das hätten Sie in der vergangenen Wahlperiode mit Ihrer äußern. Ich wünsche mir, dass die Koalitionsfraktionen großen Mehrheit längst auf die Schiene setzen können; vielleicht doch ein bisschen Zeit finden, unseren Antrag die Digitalisierung ist ja nicht gestern vom Himmel ge- zu lesen; denn darin sind für viele Probleme, für die Sie fallen. Fragen Sie die Leute in den vielen Dörfern doch noch keine Lösung anbieten, unsere Lösungsvorschläge. einmal, was da angekommen ist. Insofern stellen Sie sich Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen. mit diesem Antrag auch ein Arbeitszeugnis für die letzten Herzlichen Dank. fünf Jahre Ihrer Arbeit aus. (Beifall bei der LINKEN) Eine gute digitale Anbindung ist nicht nur eine Be- quemlichkeitsfrage; sie ist auch eine Frage der wirt- Vizepräsidentin Petra Pau: schaftlichen Prosperität. Industrie und Mittelstand müs- Das Wort hat der Kollege Markus Tressel für die Frak- sen auch im ländlichen Raum wettbewerbsfähig bleiben, tion Bündnis 90/Die Grünen. und neue Arbeitsmodelle müssen auch in ländlichen Re- gionen funktionieren, von der Landwirtschaft ganz zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schweigen.

Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dazu gehört aber auch, liebe Kolleginnen und Kolle- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gen, dass man den Menschen in den betroffenen Regio- Was brauchen wir denn für ein „Gutes Leben und Ar- nen die richtigen Signale gibt. Da schreiben Sie in Ihrem beiten auf dem Land“, wie es in der Überschrift Ihres Antrag auf der einen Seite über ambitionierte Ziele beim Antrages heißt? Wir brauchen lebendige Ortskerne, gute Breitbandausbau, und auf der anderen Seite rumpelt Ihre soziale, kulturelle und medizinische Angebote, zukunfts- Forschungsministerin mit Milchkannendebatten durch fähige Modelle für Wohnen und Arbeit, eine wirklich die Gegend und verunsichert die Leute. Das geht nicht gute digitale Anbindung, und wir brauchen neue Mobi- zusammen; das muss man an dieser Stelle auch einmal litätskonzepte. Das ist das, was die Menschen in länd- klar und deutlich sagen. (B) lichen und auch strukturschwachen Regionen erwarten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ko- alition, beschreiben Sie in Ihrem Antrag die bekannten Das ist genau das, was die ländlichen Räume und die Probleme richtig, mit denen die Menschen da tagtäglich Menschen dort nicht brauchen. Sie brauchen ein klares konfrontiert sind. Aber Sie schreiben ja auch, was zu tun Bekenntnis zur Zukunftsfähigkeit ihrer Regionen und in ist, um die Situation zu verbessern. Das zeigt doch klar: der Folge dann auch konkretes Handeln. Was sie nicht Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern wir hatten brauchen, ist Abwertungsrhetorik à la Milchkanne. Das ein echtes Umsetzungsdefizit in der jüngeren Vergangen- hilft nicht, das schadet am Ende. heit. Es gibt neben der Digitalisierung auch weitere The- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) menfelder, an die wir ranmüssen. Wir müssen unsere Die Probleme sind bekannt, die Lösungen zu einem Ortskerne wieder stark machen und da auch die Länder großen Teil auch, und jetzt muss endlich gehandelt wer- in die Pflicht nehmen, und wir müssen hochkomplexe den. Das ist es, was wir und die Menschen da draußen Fördersysteme einfacher gestalten. Das Geld muss end- von dieser Koalition erwarten. Tun Sie doch endlich das, lich dorthin, wo es auch gebraucht wird – über Modell- was Sie hier einfordern. Wir könnten schon viel weiter projekte hinaus. Wir brauchen regionale Impulsprozesse, sein, wenn Sie das nicht immer nur aufschreiben, son- und deshalb müssen wir endlich ernsthaft auch über eine dern auch mal umsetzen würden. dritte Gemeinschaftsaufgabe zur regionalen Daseins- vorsorge diskutieren, die so etwas mitfinanzieren kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der von Ihnen gelobte Sonderrahmenplan ist ein erster Liebe Frau Connemann, Sie haben hier eben für Büro- Schritt – das will ich gerne zugestehen –; aber er wird es kratieabbau beim Ehrenamt geworben. Wer regiert denn am Ende alleine nicht rausreißen. in diesem Land schon viele, viele Jahre? Warum haben Sie es denn in den vergangenen Jahren nicht gemacht? Insofern ist diese Debatte nicht nur eine Debatte über Infrastruktur. Unsere Gesellschaft befindet sich ja (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) im Wandel hin zu einer Wissensgesellschaft, und das wird auch regionale Wirtschaftskreisläufe in den Regio- Das ist eine Frage, die Sie sich an dieser Stelle stellen nen verändern. Deswegen müssen wir in dieser Debatte lassen müssen. zwingend auch über Bildungsgerechtigkeit, Forschung In Ihrem Antrag geht es ja viel um die Bedeutung der und Entwicklung sprechen. Dazu habe ich in Ihrem An- Digitalisierung für die ländlichen Räume. Sie fordern ei- trag leider zu wenig bis gar nichts gefunden. Das finde nen zügigen Breitbandausbau auf Glasfaserbasis. Das ist ich außerordentlich bedauerlich. 8830 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Markus Tressel (A) Abschließend und zusammenfassend: Um gesell- So weit die Theorie. Aber wie sieht es in der politischen (C) schaftlichen Zusammenhalt und ein gutes Leben auf Praxis aus? Welche Möglichkeiten hat Politik abseits von dem Dorf, in den ländlichen Regionen sicherzustellen, Sonntagsreden? Die „Land-Milliarde“ weist in die rich- muss die Große Koalition endlich auch ihren Willen zur tige Richtung: Zusätzliche 1,5 Milliarden Euro will die Umsetzung zeigen. Mit Antragstellen alleine ändert sie Bundesregierung über den Agrarhaushalt konkret in die nichts. Fangen Sie endlich an! Dann kann es auch was ländlichen Räume investieren. Allein in dieser Legisla- werden. Aber Sie müssen auch wirklich was machen und turperiode wollen wir 625 Millionen Euro mehr für die nicht nur schöne Anträge schreiben. Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ ausgeben. Darin enthalten sind Herzlichen Dank. überwiegend Gelder für den Sonderrahmenplan „Förde- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung der ländlichen Entwicklung“. Da ich seit Jahren im Vorstand der LEADER-Region Oderland arbeite, weiß ich, wie segensreich diese Investitionen sein können. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat Hans-Georg von der Marwitz für die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. CDU/CSU-Fraktion. Dirk Wiese [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU) Allerdings müssen wir dem bürokratischen Überbau, der sich dort in den letzten Jahren mehr und mehr entwickelt Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): hat, wirklich zu Leibe rücken. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir ha- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ben heute schon einiges gehört, und eigentlich kämpfen ordneten der SPD und der Abg. Dr. Kirsten wir alle miteinander an der gleichen Front. Aber es gibt Tackmann [DIE LINKE]) halt ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Den Ansatz, die Agrarförderung zu einer Strukturför- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wohl wahr!) derung auszubauen, gilt es weiter zu verfolgen. Auf- grund der dramatischen Transformationsprozesse in der Der ländliche Raum – das wissen wir – ist das Rückgrat Landwirtschaft müssen wir auch im europäischen Kon- des Landes. Ländliche Regionen, von den Friesischen In- text einen Paradigmenwechsel einläuten. Der Grundsatz seln über die Altmark bis ins Alpenvorland, bilden einen muss lauten: öffentliches Geld für gesellschaftlichen und wunderbaren Korridor. Unter dem Schlagwort „Heimat“ strukturellen Mehrwert im ländlichen Raum. diskutieren wir seit Jahren über die Möglichkeit, den Zu- (B) sammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken und neu (Beifall bei der SPD sowie der Abg. (D) zu beleben. Angesichts der rapiden Veränderungen un- Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]) serer Zeit rückt der ländliche Raum und damit die Frage nach dessen Zukunft immer wieder in den Mittelpunkt Der Koalitionsantrag führt uns die ganze Komplexität aller Debatten. Oft ist von „abgehängten Regionen“ die einer Förderpolitik für den ländlichen Raum vor Augen Rede; von „prosperierenden Regionen“ haben wir heu- und zeichnet ein ausgewogenes Bild, das konkret auf die te gehört. Weltweit erleben wir eine Spaltung zwischen Bedürfnisse der Menschen in den Dörfern und Gemein- den vermeintlich städtischen Eliten und den Menschen, den abzielt. die der neuen Zeit nicht trauen oder sich missverstanden fühlen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Dr. Alexander Gauland Der Umbau der Gesellschaft auf dem Rücken der [AfD]) Landbevölkerung findet mit uns nicht statt. Vielmehr steht die Union für Chancengleichheit zwischen Stadt In Deutschland steht die Berliner Republik über die und Land. Geld für Infrastruktur, Förderung von KMUs Parteigrenzen hinweg oft in der Kritik. Realitätsferne sowie Breitbandausbau, all diese Maßnahmen sind zen- und Abgehobenheit gehören dabei noch zu den harm- tral, wenn es lebenswerte ländliche Räume geben soll loseren Vorwürfen. Die Union als Volkspartei steht vor und geben muss. der Herausforderung, diesen Konflikt politisch zu lösen. Nach unserem Verständnis geht die neue gesellschaftli- (Beifall bei der CDU/CSU) che Frage einher mit der Suche nach Halt, nach Rück- zugsmöglichkeit, aber auch nach Substanz. Die Frage Meine Damen und Herren, über die Digitalisierung nach der Zukunft des ländlichen Raums ist damit zen- haben wir heute schon sehr viel gehört. Darauf möch- tral verknüpft. Deshalb freue ich mich, dass wir heute im te ich nicht näher eingehen. 5G funktioniert nur, wenn Kontext der Grünen Woche das Thema so prominent im die Netzverbindung steht. Vielleicht eine Bemerkung am Plenum diskutieren. Der Run aufs Land ist ungebrochen, Rande: Wenn ich nach Berlin fahre, habe ich bei 75 Mi- vor allem im Umfeld der Metropolen. Das spüren wir nuten Fahrzeit 50 Minuten Pause. Das ist mal ganz schön, im Berliner Umfeld sehr stark. Dieser Entwicklung gilt dann hat man wenigstens Ruhe und kann sich ausruhen; es Rechnung zu tragen; sie ist zu gestalten. Mobilität ist aber arbeiten lässt sich so nicht. – Liebe Kollegen, ihr dabei das Schlagwort – das haben wir heute schon mehr- habt ja recht: Das ist ein riesiges Problem, das wir in den fach gehört –, sowohl bei der Digitalisierung als auch bei letzten Jahren vor uns hergeschoben haben. Aber man der Infrastruktur. kann das nicht nur auf den Bund herunterbrechen. Es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8831

Hans-Georg von der Marwitz (A) ist eine Gemeinschaftsaufgabe, eine Aufgabe von Bund, Herzlichen Dank. (C) Ländern und Kreisen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ordneten der SPD und der AfD und des Abg. NEN], auf die Regierungsbank zeigend: Wir Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]) schon mal gar nicht! Das Problem ist da!) Und Sie wissen, wie schwierig die freie Vergabe der Fre- Vizepräsidentin Petra Pau: quenzen ist. Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. Meine Damen und Herren, wir arbeiten hier alle ge- meinsam an einem Konzept, das uns letztlich in die Zu- (Beifall bei der SPD) kunft führt. Daran möchte ich in erster Linie versuchen weiterzuarbeiten. Also, es bringt nichts, immer nur mit Johann Saathoff (SPD): dem Finger auf andere zu zeigen. Machen wir es in den Ländern, machen wir es in den Kommunen selbst, wenn Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! es der Bund alleine nicht schafft. Gestern ist die Grüne Woche eröffnet worden, die Leis- tungsschau der Landwirtschaft, eine Messe für Essen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Trinken – keine Frage –, aber auch eine Messe, bei der man sich zusammensetzt und miteinander überlegt: Wie Den Frust, der uns in den Dörfern und im Land im- können sich ländliche Räume besser entwickeln? Welche mer wieder entgegenschlägt, weil wir nicht entsprechend Perspektiven können wir ihnen eröffnen? handeln, müssen wir uns auf Kreisebene – ich sitze im Kreistag –, auf Landesebene und auf Bundesebene oft Die ländlichen Räume, liebe Kolleginnen und Kolle- genug anhören. Ja, jetzt gilt es – das sage ich an uns alle gen, sind längst keine jammernden Bedürftigenzentren in diesem Haus gerichtet –, zu handeln. Wenn wir es oder Zuwendungsempfänger mehr, die meinen, sie müss- nicht schaffen, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu ten Mittel bekommen. Ich glaube, dass man mit Fug und sorgen, drohen uns gespaltene Lebenswelten. Die gesell- Recht sagen kann, dass die ländlichen Räume mit ihrem schaftlichen und politischen Gefahren, die daraus folgen Potenzial die Zukunft für die gesamte Bundesrepublik werden, haben wir alle vor Augen. Deutschland darstellen. Diese Zukunft muss gestaltet werden, und das wollen wir unter anderem mit dem vor- Doch die finanzielle Unterfütterung ist nur die eine liegenden Antrag machen. Seite der Medaille. Auch an dieser Stelle ist der Antrag (B) reichlich konkret. Wir benötigen eine neue Wertschät- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) zung für das Landleben. Im ländlichen Raum und in der CDU/CSU) unserer Kulturlandschaft engagieren sich Hunderttau- In Ostfriesland würde man sagen: „Du musst an Toe- sende aus Verbundenheit zu ihrer Heimat und ihren Wur- kunft mehr Bliedskupp hebben as an froher Tieden“, also: zeln. Das sind unter anderem Nebenerwerbslandwirte, Du musst an der Zukunft mehr Freude haben als an der Kleinstwaldbesitzer, Imker und Jäger, die sich nach Fei- Vergangenheit. – Die SPD war schon immer eine Partei, erabend mit Hingabe und Einsatzbereitschaft um Felder die Zukunft aktiv gestalten wollte, statt nur abzuwarten. und Wälder kümmern. Damals wie heute gilt für uns als SPD-Fraktion: Wir sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. eine Zukunftspartei. Dirk Wiese [SPD]) (Beifall bei der SPD) Ein Umstand, den man nicht hoch genug würdigen kann! Was braucht der ländliche Raum für die Gestaltung Diese Menschen gilt es zu unterstützen, politisch und der Zukunft? Dazu möchte ich ein paar Gedanken äu- ideell. ßern. Wir wollen nicht darüber reden, wie viele Förder- mittel aus welchem Topf wo hingehen, obwohl das in den Vizepräsidentin Petra Pau: letzten fünf Jahren aus meiner Sicht eigentlich eine be- eindruckende Bilanz gewesen ist; wir haben da eine gute Herr Kollege von der Marwitz, achten Sie bitte auf Entwicklung zu verzeichnen. Was wir in den ländlichen die Zeit. Räumen brauchen, ist Infrastruktur: Wir brauchen Stra- ßen, Schienen, Wasserstraßen. Und als Kind der Küste Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): darf ich an dieser Stelle wohl sagen: Wir brauchen unbe- dingt auch Investitionen in gute Hafeninfrastruktur. Ich danke vielmals. – An dieser Stelle will ich darauf hinweisen, dass vor allem sie unter den Folgen des Dür- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) resommers leiden und nicht alleingelassen werden. Was wir darüber hinaus brauchen, ist ein Breitbandan- Wertschätzung und Finanzierung, Imagepolitik und schluss. Dabei geht es nicht nur um die Lebensqualität in Strukturförderung – nur durch das gezielte Zusammen- ländlichen Räumen, aber natürlich auch, sondern darum, spiel von harter Förderpolitik und ideeller Schwerpunkt- dass eine Start-up-Szene auch da arbeiten kann, wo es setzung kann wieder frei – ausnahmsweise nach Willy schön ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in einer Brandt – zusammenwachsen, was zusammen gehört. kreativen Start-up-Szene unbedingt im Großstadtmief 8832 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Johann Saathoff (A) unterwegs sein will, wenn man auch mit Blick auf den Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Deich wunderbar arbeiten könnte. Ich schließe die Aussprache. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf NEN]: Jetzt macht doch nicht die Großstädte Drucksache 19/7028 an die in der Tagesordnung aufge- auch noch schlecht!) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Und wir brauchen eine Mobilfunkversorgung. Ich kann verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung den Menschen im ländlichen Raum einfach nicht erklä- so beschlossen. ren, warum man in Berlin mehrere Anbieter gleichzeitig Zusatzpunkt 11. Der Antrag der Fraktion der FDP auf hat, während man in Ostfriesland streckenweise über- Drucksache 19/7029 soll ebenfalls an die in der Tages- haupt keinen Anbieter hat. Daran müssen wir arbeiten. ordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Den Menschen muss transparent gemacht werden, dass Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der wir dafür eine Lösung finden. CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Aus- schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, die Frakti- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten on der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für der CDU/CSU) Ernährung und Landwirtschaft. Wir brauchen endlich bessere Rahmenbedingungen Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- für den öffentlichen Personennahverkehr. Da müssen vorschlag der Fraktion der FDP, also Federführung wir alle miteinander an einem Strang ziehen, auf kom- beim Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Wer munaler Ebene, auf Länder- und auf Bundesebene. Auch stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt bei der medizinischen Versorgung müssen wir an einem dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvor- Strang ziehen. Die Botschaft, dass es eine Medizin-App schlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und gebe und man eigentlich keinen Arzt brauche, kommt im der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der übrigen Frak- ländlichen Raum nicht wirklich gut an. tionen abgelehnt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungs- ten der CDU/CSU und des Abg. Stephan vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Fe- Protschka [AfD]) derführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Die Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, fol- Infrastruktur. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- gen ihrem Arbeitsplatz. Deswegen brauchen wir mehr schlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Breitband. Wir brauchen auch eine Förderung des Hand- Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koaliti- (B) werks; denn wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur onsfraktionen und der AfD-Fraktion gegen die Stimmen (D) landwirtschaftliche Grundprodukte produzieren, sondern der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Frak- auch die Veredelung vornehmen können. Das erst bringt tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wertschöpfung und führt zur Schaffung von Arbeitsplät- Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: zen und zu Entwicklung im ländlichen Raum. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gero (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Clemens Hocker, Frank Sitta, Carina Konrad, der CDU/CSU) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Im ländlichen Raum gibt es enorme Standortvorteile: Einhaltung von Tierschutzrecht wirksam und gesunde Umwelt, weiter Blick. Die Menschen machen effizient kontrollieren ja nicht umsonst Urlaub bei uns; sie würden auch ger- ne bei uns arbeiten, ohne Frage. Wir haben vernünftige Drucksache 19/6285 Menschen, wir haben eine tolle Sprache, und wir haben Überweisungsvorschlag: vor allem grüne Energie im Überfluss. Industrie folgt Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Energie; das zeigt die Geschichte. Die Industrie muss bis Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz 2050 einen Großteil ihrer Emissionen vermeiden. Grüner Haushaltsausschuss Strom ist dafür entscheidend. Ich glaube, dass das einer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für der zentralen Standortfaktoren der Zukunft für die ländli- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- chen Räume sein wird. nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Politik für die ländlichen Räume ist mehr als nur Po- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege litik für die Landwirtschaft. Wir Sozialdemokraten ver- Dr. Gero Hocker für die FDP-Fraktion. stehen unsere Politik für die ländlichen Räume als Poli- tik für alle Menschen, die in ländlichen Räumen leben, (Beifall bei der FDP) also auch, aber nicht nur für die Bauern. Indem wir die Bedürfnisse und Potenziale klar benennen, schaffen wir Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): eine Grundlage für die Zukunft der ländlichen Räume, an Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und der wir gemeinsam arbeiten wollen. Herren! In jeder Gesellschaft gibt es Kriminalität, in je- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. dem Berufsstand gibt es schwarze Schafe. In Deutsch- land, wie in jedem anderen Land auch, werden Steuern (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hinterzogen, teilweise schwere Gewaltverbrechen be- der CDU/CSU) gangen, Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht eingehal- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8833

Dr. Gero Clemens Hocker (A) ten. Aber niemand in diesem Hohen Hause würde akzep- führt werden müssen, wie das die Bundesregierung, wie (C) tieren, dass diese Straftaten von anderen aufgeklärt und es die Kollegin Klöckner vor einigen Monaten gefordert verfolgt werden als durch Justiz, Polizei und die Straf- hat. Vielmehr ist unsere Überzeugung, dass das ein ganz verfolgungsbehörden. Das muss aber bitte sehr auch für wichtiges Element ist, um die Erosion des Vertrauens in Nutztierhalter gelten. Wir haben in den letzten Jahren die rechtsstaatlichen Institutionen in unserem Lande auf- immer häufiger die Situation, dass privatwirtschaftliche zuhalten und ihr entgegenzuwirken. Deswegen lade ich Organisationen, die durch niemanden befugt, ermächtigt Sie herzlich ein, diesen Antrag wohlwollend zu beglei- oder autorisiert sind, glauben, hier rechtsstaatliche Mittel ten. anwenden zu dürfen. Das können wir nicht akzeptieren. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Ich als Freidemokrat sage ganz freimütig, weil uns ja Vizepräsidentin Petra Pau: häufig und gerne vorgeworfen wird, wir würden gerne alles privatisieren: Das geht in diesem Bereich nicht. Es Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin kann nicht sein, dass hier eine Privatisierung des Rechts ­Silvia Breher das Wort. erfolgt. Das dürfen wir als Deutscher Bundestag nicht (Beifall bei der CDU/CSU) akzeptieren. (Beifall bei der FDP – Steffi Lemke [BÜND- Silvia Breher (CDU/CSU): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo passiert das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen denn?) und Kollegen! Sie haben Ihren Antrag schon im Inter- Was passiert, wenn sich Unbefugte Zutritt zu land- net angekündigt mit den Worten: Tierrechtsaktivisten die wirtschaftlichen Betrieben verschaffen, haben wir vor Geschäftsgrundlage entziehen, staatliche Tierschutzkon- wenigen Tagen an einem sehr tragischen Beispiel zur trollen stärken. – Das liest sich erst einmal ganz schön, Kenntnis nehmen müssen, als sich Unbefugte in Vre- und ja: „Rechtsaktivisten die Geschäftsgrundlage entzie- den in Nordrhein-Westfalen Zutritt zu einem landwirt- hen“, da sind wir dabei, „staatliche Tierschutzkontrollen schaftlichen Betrieb verschafft und dort – aus welchen stärken“, da sind wir auch dabei. Aber irgendwo habe Gründen auch immer – die Stromversorgung in dem ich das schon einmal gelesen. Der Antrag, den Sie hier Schweinemastbetrieb unterbrochen haben, woraufhin die eingereicht haben – das haben Sie gerade ansatzweise Frischluftzufuhr nicht mehr funktioniert hat und 900 Tie- ausgeführt –, bezieht sich auf ein Urteil des OLG Naum- re einen sinnlosen Tod gestorben sind. Es ist Aufgabe burg, in dem Tierrechtler vom Vorwurf des Hausfriedens- (B) des Staates und es muss Aufgabe des Staates bleiben, die bruchs freigesprochen worden sind mit der Begründung, (D) Tierschutzstandards und die Tierschutzgesetzgebung, die das Tierwohl stelle ein notstandsfähiges Rechtsgut dar. wir verabschieden, zu kontrollieren. Das darf niemandes Jetzt schließen Sie daraus, dass mehr staatliche Kontrol- anderen Aufgabe werden. len dieses Urteil verhindert hätten. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Nein! AfD sowie des Abg. Johann Saathoff [SPD]) Wieso das denn?) Aus dieser Überzeugung ist der vorliegende Antrag Also: Erstens. Ich kann nicht wirklich glauben, dass entstanden. Wir fordern die effiziente Verzahnung von die FDP mehr staatliche Kontrollen fordert; privatwirtschaftlicher und öffentlicher Kontrolle. Wir (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Nein! Wir möchten gerne die Veterinärbehörden mit mehr Personal auch nicht!) ausstatten. Wir möchten gerne bilaterale Verwaltungsver- einbarungen zwischen dem Bund und den 16 Bundeslän- das an sich ist schon bemerkenswert. dern treffen, damit bundesweit nicht nur dieselben Tier- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU schutzgesetzgebungen herrschen, sondern die Kontrolle sowie des Abg. Stephan Protschka [AfD] – auch nach denselben Standards erfolgt. Das ist uns über Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Effizienter 140 Millionen Euro wert. Wir sind der festen Überzeu- werden!) gung, dass wir unsere Behörden mit entsprechenden fi- nanziellen und personellen Mitteln in die Lage versetzen Zweitens liegen Sie mit Ihrer Schlussfolgerung, die Sie müssen, die vielfältigen Aufgaben, die wir von ihnen ver- hier gerade ausgeführt haben, dass mehr Kontrollen dazu langen und die sie in unserem Namen auszuüben haben, führen, dass Tierrechtler kein Recht mehr haben, in Ställe auch erfüllen können. Deswegen ist uns dieser Antrag so einzubrechen, schlichtweg falsch. Das ergibt sich auch wichtig. nicht aus dem Urteil des OLG. Vielleicht hätten Sie es lesen sollen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es geht uns schon lange nicht mehr allein um die Fra- ge – das sage ich ganz ausdrücklich –, wie viel Sachscha- Nicht fehlende Kontrollen haben zu diesem Urteil ge- den entsteht, wenn eine Stalltür aufgehebelt wird, und es führt. Das Veterinäramt hat sogar mehrfach kontrolliert geht auch nicht mehr in erster Linie um die Frage, ob der und diese Mängel mehrfach festgestellt, aber nicht re- Straftatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt ist, wenn agiert. Am Ende ist es nur deshalb zum Freispruch ge- so etwas passiert, oder andere Straftatbestände einge- kommen, weil dem Veterinäramt eine Vertuschung der 8834 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Silvia Breher (A) tierrechtswidrigen Zustände unterstellt worden ist. Das „Stärken“ – so haben Sie es ausgeführt – bedeutet mehr (C) Verhalten des Veterinäramtes ist überhaupt nicht zu billi- Kontrollen. gen; aber mehr staatliche Kontrollen hätten diese Verur- teilung nicht verhindern können. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Na ja!) (Beifall des Abg. Albert Stegemann [CDU/ Unsere Fraktion ist der Meinung, dass Verstöße gegen CSU]) den Tierschutz geahndet werden müssen. Am Ende gilt An dieser Stelle möchte ich für unsere Fraktion noch aber auch für Ställe: Ein Einbruch bleibt ein Einbruch, einmal ganz deutlich betonen: Verstöße gegen den Tier- und ein Hausfriedensbruch bleibt ein Hausfriedensbruch. schutz gehören aufgedeckt und zum Wohl der Tiere auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geahndet. Die Kontrolle und Überwachung des Tierschutzes ob- liegt dem Staat und nicht privaten Initiativen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegin Breher, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- kung des Kollegen Hocker? Liebe Kollegen von der FDP, genauer gesagt obliegt die Überwachung den Bundesländern und nicht der Bundes- regierung. Das Verschieben der Verantwortung ist ein- (CDU/CSU): Silvia Breher fach, aber definitiv der falsche Weg. Die Verantwortung Ja. muss an der richtigen Stelle wahrgenommen werden. Ich komme noch einmal auf Ihren Antrag zurück. Sie Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): fordern verbindliche Kontrollintervalle. Jeder Betrieb Vielen Dank, Frau Kollegin Breher, dass ich die Zwi- soll demnach alle drei Jahre kontrolliert werden. Das schenfrage stellen darf. – Sie haben eben gesagt, dass wir wären nach meiner Rechnung 33,33 Prozent der Betrie- mehr Kontrollen fordern bzw. einführen wollen. Sind Sie be in einem Jahr. Wenn man dafür 140 Millionen Euro bereit, mit mir festzustellen, dass dieser Antrag formu- vorsieht, ergibt das umgerechnet 2 000 neue Veterinäre liert, dass die existierenden Strukturen effizienter gestal- bundesweit. tet werden müssen und die verschiedenen Kontrollregime (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Alles!) effizienter aufeinander abgestimmt werden müssen, und dass das Wesen des Antrags ist? Dass das erforderlich ist, Ich hoffe, Sie haben das einmal nachgerechnet. Wenn sehen wir ja daran, dass es in den vergangenen Monaten ich jetzt mit 14 600 Veterinären 6,4 Prozent der landwirt- (B) in Bad Iburg und in Oldenburg massive Verstöße gegen schaftlichen Schweinehaltungen überprüfen kann, kann (D) staatliche Gesetze gegeben hat. ich zukünftig mit weiteren 2 000 genau 0,9 Prozent Be- triebe mehr überwachen. Das ist weit weg von 33,33 Pro- (Marianne Schieder [SPD]: Sie haben gerade zent. Ihre Rechnung geht also leider nicht auf. geredet! Das muss doch reichen!) (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Nach der Sind Sie bereit, mit mir gemeinsam zur Kenntnis zu neh- dritten Zahl schaltet jeder ab!) men, dass die Effizienz gesteigert werden muss, oder hal- ten Sie das für falsch? Auch wenn Ihr Antrag wirklich nett gemeint ist, kommt er doch zu spät; denn irgendwo habe ich das auch schon einmal gelesen. Erstens haben die Länder, die Sie Silvia Breher (CDU/CSU): ja hier in die Verantwortung nehmen wollen, ihre Haus- Herr Kollege Hocker, es wäre schön, wenn Sie Ihren arbeiten längst gemacht. In der Agrarministerkonferenz eigenen Antrag lesen würden. Darin steht: Wir wollen ist Ende September ein Beschluss exakt zur – aufge- die Anzahl der Kontrollen von aktuell 6,789 Prozent auf passt! – „Stärkung der amtlichen Tierschutzkontrollen“ 33 Prozent pro Jahr erhöhen und dafür 2 000 Veterinäre gefasst worden. Die Länder haben diesen Beschluss also vorsehen – darauf komme ich gleich zu sprechen – bzw. schon gefasst. Dort steht: Besser, schlanker und effizien- umgerechnet 140 Millionen Euro mehr in den Haushalt ter sollen die Kontrollen werden – mit einer integrierten einstellen. – Die anderen Verstöße, die Sie benannt ha- Risikobewertung, einer stärkeren Vernetzung der Daten- ben, haben nichts mit Ställen zu tun. quellen und einer Berücksichtigung privater Zertifizie- rungssysteme. Die Länder sind längst aktiv und brauchen (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Effizienz!) Ihre Aufforderung nicht. Da geht es um Kontrollen in den Schlachthöfen, in de- Zweitens haben auch wir in diesem Hohen Haus be- nen es Auffälligkeiten gab. Das hat aber nichts mit Ihrem reits am 29. November des vergangenen Jahres unseren Antrag zu tun. Entschließungsantrag zum Tierschutzgesetz verabschie- det. Vielleicht können Sie sich erinnern: Sie haben sich Ihr Antrag ist – das habe ich zitiert – bei Facebook enthalten. Wir müssen die Bundesregierung nicht mehr angekündigt worden: Tierrechtsaktivisten die Geschäfts- auffordern, etwas zu tun. Wir haben sie am 29. Novem- grundlage entziehen, staatliche Tierschutzkontrollen ber aufgefordert, stärken. in Zusammenarbeit mit Tierärzten, Tierhaltern, Wis- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ja!) senschaftlern und Vertretern von Fachverbänden Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8835

Silvia Breher (A) zu prüfen, ob und inwiefern vorliegende Daten im liert werden – wie in Bayern –, dann ist dieses Defizit (C) Zuge der Digitalisierung zur Verbesserung der Tier- offensichtlich; darüber brauchen wir gar nicht zu reden. gesundheit genutzt werden können. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE Die landwirtschaftlichen Betriebe werden eben nicht nur GRÜNEN]: Das ist ein Skandal!) vom Veterinäramt nach dem Tierschutzgesetz kontrol- liert, sondern auch von unzähligen weiteren privaten Ini- Es kann auch nicht sein, dass wir immer wieder nur von tiativen. Es geht also nicht um noch mehr Kontrollen, so Straftätern, die in die Ställe einbrechen, darauf hingewie- wie Sie es wollen, sondern um eine bessere Qualität und sen werden. Da bin ich bei Ihnen: Das lehnen auch wir eine andere Art der Kontrolle. Das ist zukunftsgerichtet. strikt ab. Dagegen müssen wir vorgehen. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ja, genau (Beifall bei der AfD) das steht da drin!) Aber wir reden heute wieder nur über die Symptome Aber wissen Sie, Herr Kollege Hocker, was mich an einer falschen Agrarpolitik; das muss uns auch klar sein. Ihrem Antrag wirklich ärgert? Was haben sich unsere Bauern in den vergangenen Jah- ren nicht alle angestrengt! Sie haben sämtliche Prozes- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Jetzt bin se optimiert, den Kuhstall digitalisiert, mit homogenen ich gespannt!) Futtermischungen das Letzte aus den Hochleistungs- kühen herausgeholt, um dann auf dem eingebrochenen Wie kommen Sie zu der pauschalen Unterstellung, dass Milchmarkt keinen anständigen Preis mehr für die Milch soziale Notlagen in den Familien der Betriebsinhaber zu bekommen. Gleichzeitig soll und muss es den Tieren dazu führen, dass diese gegen Tierschutzgesetze und de- natürlich gut gehen. Das ist ein Wahnsinnskraftakt. Ir- ren Auflagen verstoßen? gendwann ist dann mal auch bei unseren Landwirten das Ende der Fahnenstange erreicht. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Aber ge- nauso ist es, Frau Kollegin! Die tun das nicht Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, aus bösem Willen! Sie tun das, weil sie krank DLG, schreibt jetzt Bücher mit dem Titel „Landwirt- geworden sind!) schaft 2030“, Vision 2030, und kommt zu der Erkenntnis, dass es da noch den Verbraucher gibt, der eine artgerech- Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein. te Tierhaltung will. Der Verbraucher will, dass der Tier- (Beifall bei der CDU/CSU) schutz eingehalten wird. Eine riesige Schere tut sich auf zwischen unseren Betrieben auf der einen Seite und den (B) Lieber Herr Kollege Hocker, gut gemeint ist eben Verbrauchern auf der anderen Seite, die in Zukunft noch (D) noch lange nicht gut gemacht. mehr auf diese Dinge achten werden. Es ist also richtig: Wir müssen auf die Einhaltung der bestehenden Gesetze (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ja! Setzen, dringen, und wir müssen kontrollieren. sechs!) Jetzt aber, liebe Kollegen von der FDP, reflexartig zu „Denken wir neu“ geht für uns ein bisschen anders. fordern, wie Sie es in Ihrem Antrag getan haben – und Vielen Dank. diese Forderung kommt auch von Amtstierärzten und Landespolitikern –, noch mehr staatliches Personal, noch (Beifall bei der CDU/CSU) mehr Beamte einzustellen, kann doch nicht die Lösung sein. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der AfD) Das Wort hat der Abgeordnete Peter Felser für die Es ist die klassische Falle. In einer Krise noch mehr vom AfD-Fraktion. Gleichen zu fordern, hat noch kein marodes Unterneh- (Beifall bei der AfD) men gerettet, sondern oft eher zur Insolvenz geführt. Konkret fordern Sie 140 Millionen Euro vom Bund Peter Felser (AfD): für die Länder für etwa 2 000 zusätzliche Amtstierärz- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! te. Liebe Kollegen von der FDP, es gibt eigentlich ei- Liebe Gäste! Heute geht es um Tierschutz. Es ist gut, nen echten liberalen, marktwirtschaftlichen Ausweg aus dass wir darüber debattieren. Es ist gut, dass wir über dieser Krise, und die Landwirtschaft hat es uns vorge- die Einhaltung des Tierschutzes in der Nutztierhaltung macht. Ein landwirtschaftlicher Markt, der weitgehend in Deutschland sprechen. Recht und Gesetz – nicht nur aus eigener Kraft großes Vertrauen der Verbraucher und auf dem Papier – einzuhalten, da sind wir grundsätzlich ein funktionierendes Kontrollsystem mit hoher Trans- dabei, wobei es schon interessant wird, wie wir zu den parenz aufgebaut hat, ist der Biomarkt. Wir reden jetzt zusätzlichen Beamten stehen. nicht über Öko ja oder nein, Bio ja oder nein. Mir geht es um das Kontrollsystem innerhalb des Ökomarktes. Bei Dass es Defizite beim Tierschutz gibt, ist offenkundig. Biobauern ist gesetzlich vorgeschrieben, jedes Jahr zu Das zeigen nicht nur die Videos im Fernsehen, die immer kontrollieren und nicht nur alle 3 oder 48 Jahre. Und sie wieder für großes Echo sorgen. Wenn manche Betriebe bezahlen ihre Kontrollen auch selbst, weil sie am Markt nach Auskunft der Regierung nur alle 48 Jahre kontrol- anständige Preise bekommen. Ein 40, 50 Hektar großer 8836 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Peter Felser (A) Betrieb mit Tierhaltung, Gemüseanbau, Direktvermark- Betrieb wurden folglich Mängel festgestellt: nicht immer (C) tung muss im Jahr ungefähr 800 Euro zahlen. große, eine ganze Bandbreite, mal mehr, mal weniger. Aber gerechtigkeitshalber: Auch in Bayern wurden in Es ist richtig, dass Sie im Antrag auch die Bürokratie jedem dritten schweinehaltenden Betrieb Mängel festge- beachten. Mit weniger Bürokratie wird es so aber nichts. stellt. Dass natürlich Länder wie Bremen und Berlin ge- Tierwohllabel – darüber diskutieren wir gerade auch auf ringere Zahlen aufweisen, ist nachvollziehbar. Betroffen der Grünen Woche –, andere Label, andere Kontrollsys- sind aber nicht nur Tierhaltungsbetriebe, sondern auch teme des Lebensmittelhandels werden die Situation oh- Tiertransporte und Schlachtung. Es werden also andau- nehin in wenigen Jahren komplett verändern. Es werden ernd Mängel festgestellt. Das hat wenig damit zu tun, ob viele nichtstaatliche Kontrolleure in den Betrieben sein. es sich um große oder kleine Betriebe handelt. Es wäre also wirklich kurzsichtig, das bisherige ineffizi- ente System mit neuen Beamtenstellen zusätzlich aufzu- Die FDP fordert im vorliegenden Antrag, verbindliche blähen. Kontrollintervalle für alle Tierhaltungsbetriebe einzu- Was gar nicht geht – wir haben es gerade gehört, liebe führen. Alle drei Jahre soll der Betrieb in Augenschein Freunde; darüber müssen wir noch im Ausschuss reden –, genommen werden und nicht im Schnitt alle 20 Jahre. ist, dass wir den Tierschutz davon abhängig machen, ob Das ist grundsätzlich eine gute Idee. Allerdings weiß es dem Betrieb gerade gut oder schlecht geht. Tierschutz- auch die FDP, dass diese Forderung ganz gepflegt an der gesetze sind einzuhalten, egal wie es dem Betrieb gerade Realität vorbeiführt. Sie sind doch auch gelegentlich vor geht. Ort. Es gibt vielfältige Ursachen für diesen Zustand. Es liegt nicht daran, dass die Veterinäre nicht kontrollieren (Beifall bei der AfD) wollen – meistens jedenfalls –, sondern es herrscht schon länger ein Nachwuchsproblem, auch bei Tierärzten im Es ist auch hier Zeit für eine Wende. Liebe Kollegin- Nutztierbereich. Es gibt zwar immer mehr junge Vete- nen und Kollegen, lassen Sie uns im Ausschuss weiter rinäre und Veterinärinnen, aber die spezialisieren sich darüber debattieren. nicht mehr auf Rind und Schwein, sondern auf Hund und Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Katze. Der ohnehin schon schwierige Vollzug des Tier- schutzrechts wird also noch kniffliger. Mal bekommen (Beifall bei der AfD) auch Veterinäre keine Rückendeckung durch vorgesetzte Behördenleiter – das gibt es auch –, mal werden Stel- Vizepräsidentin Petra Pau: len nicht besetzt. Auch in diesen Bereichen nehmen die Das Wort hat die Kollegin Susanne Mittag für die Übergriffe auf die kontrollierenden Veterinäre zu; also SPD-Fraktion. ist es nicht unbedingt beliebt. Kommunen müssen also (B) mehr Geld in Stellen investieren, damit mehr kontrolliert (D) (Beifall bei der SPD) werden kann.

Susanne Mittag (SPD): Um unabhängiges Handeln zu gewährleisten, wie auch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- in anderen staatlichen Kontrollbereichen, ist – das fin- nen und Kollegen! Morgen werden wieder Zehntausend den wir von der SPD – ein Rotationsprinzip erforderlich. Menschen auf den Straßen Berlins erwartet. Unter dem Richtig ist, dass im Rahmen einer Bund-Länder-Verein- Motto „Wir haben es satt!“ demonstrieren sie gegen die barung die Verbesserungen abgestimmt werden können Folgen der Intensivtierhaltung. Sie demonstrieren nach- und auch werden. Wenn wir hier mehr Stellen beschlie- vollziehbar gegen ein ungerechtes Fördersystem aus ßen, dann muss der Bund sie auch bezahlen. Das weiß Brüssel, das Tier- und Umweltschutz kaum berücksich- auch die FDP. Das nennt man Konnexität. tigt, obwohl es in den letzten Jahren immer wichtiger Interessant ist doch, dass ausgerechnet die FDP eine geworden ist. Sie demonstrieren gegen ein Festhalten Dauerfinanzierung vom Bund von bis zu 140 Millionen am Gestern, obwohl viele Menschen, insbesondere vie- Euro jährlich vorschlägt, obwohl ich den Eindruck habe, le junge Landwirte, schon längst in der Zukunft sind. dass Sie doch eher den Rückzug staatlichen Handelns be- Aber sie demonstrieren auch gegen einen Staat, der nicht sonders im Wirtschaftsbereich präferieren und gerne auf gesetzesmäßige Tierhaltung und sich daraus ergebende Eigenkontrolle setzen. Dann würde mich einmal interes- Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nicht angemessen sieren, wo Sie das Geld abziehen; denn wenn ich einen kontrolliert und bestraft. Finanzierungsvorschlag mache, dann kann ich auch wis- Es ist die eine Sache, über gesetzliche Standards in sen, wie ich das Geld investiere. Nur so ist es glaubwür- der Tierhaltung zu diskutieren. Die andere Sache ist – da- dig. rüber wird aber nicht diskutiert, das muss es aber offen- (Beifall bei der SPD – Frank Sitta [FDP]: bar –, dass diese Gesetze auch eingehalten und durchge- 19 Milliarden Euro im Haushalt eingespart! setzt werden. Ja, das ist ein Durchsetzungsproblem. Die Wir haben das Doppelte eingespart! – Dr. Gero Mängel in diesem Bereich sind aber sehr unterschiedlich Clemens Hocker [FDP]: Guckt doch einmal gelagert, je nach Tierhaltungszahlen in den verschiede- auf die Zahlen!) nen Bundesländern. Ein Beispiel: 2017 wurden in Nie- dersachsen 877 schweinehaltende Betriebe kontrolliert; Ganz entspannt: Neben den Kontrollen spielt aber auch Zahlen für 2018 liegen noch nicht vor. Bei 297 Betrieben die Durchsetzung von Gesetzen und eine einigermaßen wurden Mängel und Verstöße gegen das Tierschutzrecht beeindruckende Sanktionierung bei Gesetzesverstößen gefunden. Es wird also kontrolliert. Bei jedem dritten eine große Rolle. Ähnlich wie bei Kontrollbehörden sind Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8837

Susanne Mittag (A) auch Gerichte und Staatsanwaltschaften gelegentlich mit Wir müssen also zeitgleich an mehreren Baustellen ar- (C) diesem Thema überfordert, beiten und nicht nur an einer. Straf- und ordnungsrechtli- che Verbesserungen sind ganz klar Bundesaufgabe. Aus- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Sehr rich- bildung, Stellenaufbau und -besetzung sowie Stärkung tig!) des Berufsstandes sind Landessache. Die Intensivierung sei es aufgrund von Personalmangel oder weil die nöti- und Effizienzsteigerung der Kontrollen sind am Ende ge Expertise fehlt. Weil das Agrar- und Tierschutzrecht unser aller Aufgaben. Mit einer zielgerichteten Auswer- über die Jahre immer komplizierter geworden ist, steht tung der Tiergesundheitsdaten aller Betriebe kann man am Ende oftmals die Einstellung des Verfahrens und hat das ein bisschen befeuern und Stellen einsparen. Wir ha- sich für das Tierwohl nichts verbessert. ben schon mehrere Möglichkeiten zur Verbesserung. Das wollen wir anlässlich dieses Antrages im Ausschuss, und Das bundeseigene Thünen-Institut hat bereits 2015 zwar zielorientiert, diskutieren. Vorschläge vorgelegt, wie die Zusammenarbeit von Vete- rinärämtern und Justiz gestaltet werden kann. Es ist auch Danke schön. für Veterinäre wichtig, dass ihr Handeln positive und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nachhaltige Folgen hat; denn es soll sich ja auch für sie der CDU/CSU) etwas verbessern. Ob das Landwirtschaftsministerium diese Studie zur Kenntnis genommen hat, kann ich nicht sagen, aber dort wird aufgeschlüsselt, wie die Arbeit ver- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: bessert werden sollte. So müssen vermehrt Schwerpunkt- Herzlichen Dank, Frau Kollegin Mittag. – Als Nächs- staatsanwaltschaften geschaffen werden – tes für die Fraktion Die Linke die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) ein Vorbild kann Oldenburg sein, da gibt es nämlich schon eine –, die sich gezielt mit Tierschutzstraffällen (DIE LINKE): auseinandersetzen. Das ist für das eine oder andere Ver- Dr. Kirsten Tackmann fahren immer sehr hilfreich gewesen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der Antrag der FDP heißt „Einhaltung von Auch eine Erhöhung des Strafrahmens und eine Posi- Tierschutzrecht wirksam und effizient kontrollieren“. tionierung des Tierschutzrechts im Strafgesetzbuch wer- Wer will das nicht? Natürlich sind häufige Kontrollen den genannt. Es wird bei einigen im Saal nicht unbedingt sinnvoll. Wenn Probleme schneller aufgedeckt und kor- auf Gegenliebe stoßen, aber es ist notwendig, damit Tier- rigiert werden, nutzt das den Tieren. Kontrollen können (B) schutz endlich nachhaltig ernst genommen wird auch die sie betreuenden Menschen sensibilisieren oder (D) gegebenenfalls auch disziplinieren. Ob der Bund jetzt (Beifall bei der SPD) den Ländern dafür grundgesetzkonform Geld geben und nicht nur Wirtschaftsinteressen und Alterhergebrach- kann, da habe ich so meine Zweifel. tem unterliegt. Das wäre weiterhin nicht zukunftsträch- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Hat er bei tig. der Bildung auch!) Unbetrachtet bleiben in dem Antrag die digitalen Mög- Aber darüber können wir reden. Auch über eine Ombuds- lichkeiten, um Tierwohl besser kontrollieren zu können. stelle für notleidende Bauernfamilien, die Tierschutz­ Wir von der SPD haben einen Vorschlag. Den haben wir auflagen nicht erfüllen können, können wir gerne reden. schon im Entschließungsantrag zur vierten Änderung des Tierschutzgesetzes eingebracht. Da heißt es, wie schon Nur, mein Blick als Tierärztin auf die Realität zeigt: von Frau Breher zitiert worden ist: Das sind nur kleine und nicht einmal die wichtigs- ten Schritte, zumal die Frage ist, wo die zusätzlichen … in Zusammenarbeit mit Tierärzten, Tierhaltern, Amtstierärztinnen und -tierärzte herkommen sollen; es Wissenschaftlern und Vertretern von Fachverbän- wurde gerade angesprochen. Wir haben nämlich auch den zu prüfen, ob und inwiefern vorliegende Daten in der Tierärzteschaft eine Fachkräftelücke, und die im Zuge der Digitalisierung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen machen Tierschutzkontrollen jetzt Tiergesundheit genutzt werden können. wirklich nicht zum Traumjob. Alle Tiergesundheitsdaten liegen schon vor. Sie müs- Die Kontrollierenden stehen oft völlig allein zwischen sen nur zusammengeführt, vernetzt und ausgewertet allen Fronten. Vor sich haben sie die Tierhalterin, der das werden. Dann finden Kontrollen gezielter und effizienter Geld für den besseren Tierschutz fehlt, weil sie selbst statt. Von dieser Möglichkeit ist unser Koalitionspartner nicht anständig bezahlt wird. Im Rücken haben sie die leider bislang nicht so sehr überzeugt gewesen. Tierrechtlerin, die Dinge erwartet, die nicht im Gesetz (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Immer die stehen und deswegen nicht durchsetzbar sind. An ihrer gleiche Leier!) Seite sollten eigentlich Gesetzgeber, Staatsanwaltschaft und Richterschaft stehen; aber da steht eben oftmals nie- Ich habe Ihre Rede mit Begeisterung gehört, und offen- mand. So macht der Job nicht nur wenig Spaß, sondern sichtlich scheint eine vergrößerte Zugeständnisbereit- ist auch gefährlich geworden. Es gab tödliche Angriffe schaft vorhanden zu sein. Ich freue mich auf die nächste auf Kontrollierende, wie zum Beispiel im Havelland, und Verhandlung. es gab auch Selbstmorde wegen Überforderung und weil 8838 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Dr. Kirsten Tackmann (A) der Druck zu groß geworden ist. Insofern sage ich den zu halten, die man für eine gesunde Ernährung und eine (C) vielen, die trotzdem tagtäglich vor Ort ihren Job machen, regionale Versorgung vor Ort wirklich braucht. an dieser Stelle einmal Danke. Ich freue mich auf die Diskussionen mit Ihnen im (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Ausschuss. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU, der AfD und der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- FDP) neten der SPD und der Abg. Sylvia Kotting-­ Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Leider ist die Situation nicht neu. Das weiß man, wenn man einmal mit Kontrollierenden redet. Ich war zum Bei- spiel am Mittwoch beim Neujahrsempfang des Bundes- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: verbands Praktizierender Tierärzte. Auch da habe ich sehr Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster für die viele Geschichten gehört. Man kann es auch nachlesen: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Friedrich Die Studie des Thünen-Instituts aus dem Jahr 2015 ist Ostendorff. hier schon erwähnt worden. Wir hatten damals gemein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sam mit der SPD ein Berichterstattergespräch initiiert, in dem die entsprechenden Befunde bestätigt wurden. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Als Probleme werden benannt, dass viele Tierschutz- NEN): verfahren eingestellt werden, dass sie sehr lange dauern Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr und dass die Strafen viel zu gering sind. Aber Kontrollen Hocker, ich bin erstaunt. Als Bauernsohn bin ich damit ohne Konsequenzen machen Gesetze wohlfeil, und sie aufgewachsen, Recht und Gesetz zu achten. Gerade Li- erhöhen den Frust in den Behörden. Als Gründe werden berale waren bisher in meiner Wahrnehmung Hüter der wenig Interesse und auch wenig Fachkenntnisse in der Rechtsnormen. Staatsanwaltschaft und auch in der Richterschaft be- nannt. Die hohe Arbeitsbelastung in den Veterinärbehör- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: den führt zu Fehlern in Gutachten und Stellungnahmen. Nee! – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das Mehr Kontrollen bedeuten also noch lange nicht besseren waren wir! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das Tierschutz. Deswegen müssen wir da mehr tun. haben Sie richtig wahrgenommen!) In der Thünen-Studie wurden Vorschläge gemacht – Viele große liberale Rechtspolitiker waren prägend für ich will sie hier noch einmal hervorheben –: Fortbildung die Bundesrepublik. Ihr Rechtsverständnis, Herr Hocker, (B) von Juristen, und zwar sowohl hinsichtlich der gesetzli- erschließt sich mir nicht. (D) chen Regelungen als auch hinsichtlich der Frage, wel- che Bedürfnisse und welches Schmerzempfinden ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tier zum Beispiel hat. Auch die Konzentration von Tier- Jetzt zur Kontrolle im Bereich Tierschutz. Ja, wir Bau- schutzstraffällen bei Schwerpunktstaatsanwaltschaften ern und Bäuerinnen nutzen unsere Tiere. Die Rahmen- und Schwerpunktrichterschaften ist ein sinnvoller Weg. bedingungen festzulegen und zu kontrollieren, obliegt (Beifall bei der LINKEN) staatlichen Organen. Hier – nur hier! – liegt unsere Zu- ständigkeit, Herr Hocker. Die Tierschutzgesetze aus dem Nebenstrafrecht ins Straf- gesetzbuch zu holen und höhere Strafen vorzusehen, das Wird der Tierschutz, der im Grundgesetz verankert ist, sind Vorschläge, über die wir auch dringend reden müs- ausreichend umgesetzt? Wir sagen: Nein. Sind geltende sen. Gesetze ausreichend, um dem Verfassungsrang des Tier- schutzes gerecht zu werden? Nein. Übernimmt die zu- (Beifall bei der LINKEN) ständige Ministerin hier Verantwortung? Auch hier sagen Ergänzend möchte ich hier auf ein paar Regelungs- wir: Nein. defizite hinweisen. Zum Beispiel sind in der Tier- Es ist schwach, Herr Hocker, wenn Politik nur dazu da schutz-Nutztierhaltungsverordnung nicht alle Tierarten ist, der Branche zu gefallen enthalten, zum Beispiel keine Rinder, Schafe und Ziegen. Jähe Wendungen, wie zum Beispiel bei der Ferkelkas- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: „Der Bran- tration, erschüttern das Vertrauen in uns als Gesetzgeber. che zu gefallen“? Es wurde ja gerade gesagt, Notwendige Änderungen, wie zum Beispiel beim Kas- dass wir zusätzliche Kontrollen einführen tenstand, müssen schneller kommen. Unsinnige Regeln, wollen!) wie zum Beispiel für Herdenschutzhunde, müssen zügig geändert werden und nicht erst Jahre später; – und hier billigen Populismus zu betreiben. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das ist ja immer noch offen. Wir brauchen nach meiner Es ist aber auch schwach, wenn sich das BMEL nur da- Überzeugung auch eine integrierte tierärztliche Betreu- rauf fokussiert, Freiwilligkeit auszuhandeln und Ab- ung von Nutztierbeständen. sichtserklärungen abzugeben. So macht es sich überflüs- sig. Es gibt noch eine Möglichkeit, den Kontrollbedarf bei Nutztieren zu reduzieren, nämlich einfach nur die Tiere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8839

Friedrich Ostendorff (A) Hier verkommt das Ministerium in der Tat zum Sprach- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) rohr anderer Interessen. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Aktuelle Berichte im „Spiegel“ und in der ARD ha- ben uns doch gerade wieder einmal vor Augen geführt, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- was alles im Argen liegt. Ich glaube, es wird für uns alle Friedrich Ostendorff NEN): Zeit, den Rücken gerade zu machen. Alle Insider unter uns hier im Saal wissen doch, dass Missstände gerade Moment. Ich bin sofort fertig. in Großtierhaltungsanlagen keine Einzelfälle sind. Das Ausmaß der Missstände zeigt doch immer wieder, dass wir als Politik gehalten sind, unsere Tiere besser zu schüt- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zen – jedoch nicht, weil wir durchgeknallte, überemotio- Das finde ich auch. nale Tierfreunde sind, sondern weil es das Grundgesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, von uns verlangt. Es hat (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Nach der Verfassungsrang. Rede sind wir alle fertig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir brauchen dringend bessere Gesetze. Wir brauchen natürlich bessere Kontrollen. Wir brauchen wirksame Sie schützen diejenigen, die ihre Tiere anständig hal- Sanktionen. All das haben Vorredner schon gesagt. Dem ten. Das Engagement für Tierschutz dürfen wir nicht gibt es nichts hinzuzufügen. weiter als Angriff auf uns Bauern betrachten, wie es so oft in den Reihen der Unionskollegen getan wird, son- Das Tierschutzgesetz muss überarbeitet werden, damit dern wir müssen sagen: Es ist ein Zukunftsargument, mit es seinen Namen auch verdient. Existierende Haltungs- dem wir Verbraucherinnen und Verbraucher für unser vorgaben, vor allem hinsichtlich der Betreuung, sind zu Anliegen gewinnen. verbessern. Ich habe gelernt – das war natürlich nicht ge- gendert –: Das Auge des Herrn mästet das Vieh. – Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bedeutete: im Sinne des guten, verantwortlichen Hirten. Für ein 110 Kilogramm schweres Schwein einen Drei- viertelquadratmeter Platz – das ist doch nicht angemes- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sen, das können wir doch niemandem draußen erklären. Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich bitte wirklich alle Redner darum, sorgsam darauf zu achten: Ich gebe zehn (B) Erschreckend sind auch die Auswüchse, die gerade (D) Sekunden vor Schluss immer ein Lichtzeichen, dass es jetzt wieder durch eine Studie von Professor Sundrum dem Ende zugehen soll. Wenn ich Sie auffordere, zum deutlich geworden sind: Über 13 Millionen Schweine Ende zu kommen, bitte ich, das wirklich zu beachten. von rund 70 Millionen Schweinen pro Jahr erreichen die Das ist das Recht des Parlamentes ausweislich der Ge- Schlachtstätte überhaupt nicht, weil sie vorher verenden. schäftsordnung. Wir wollen uns doch an Recht und Ge- Ställe müssen offen und tiergerecht gestaltet wer- setz halten, Herr Kollege. den. Alle Tiere brauchen mehr Platz. Sie brauchen mehr Auslauf, Licht und Beschäftigung. Auffällig gewordene Als nächster und abschließender Redner hat der Kol- Betriebe müssen deutlich häufiger und vor allen Dingen lege Alois Gerig, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ohne Vorankündigung kontrolliert werden. Der Aus- tausch zwischen den Behörden muss verbessert werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Alle tierschutzrelevanten Daten eines Betriebes müssen gebündelt werden. Schlachthofbefunde und Befunde aus Alois Gerig (CDU/CSU): Tierverwertungsanlagen müssen besser ausgewertet wer- den. Sehr geehrter Herr Präsident! Ich bemühe mich, in der Zeit zu bleiben. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- (Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE ne sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schön, dass LINKE]) wir anlässlich der Grünen Woche gleich drei Debatten aus dem Agrarbereich hier im Deutschen Bundestag füh- Dann können wir eine risikoorientierte Kontrolle zukünf- ren können. Das stärkt ein Stück weit die Branche und tig besser verankern. wertschätzt sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lieber Kollege Ostendorff, mit einer solchen Rede Der Kollege hat schon darauf hingewiesen: Es geht fallen Sie Ihrem eigenen Berufsstand in großen Teilen in überhaupt nicht, dass nur alle paar Jahrzehnte kontrol- den Rücken, wenn ich das einmal sagen darf. liert wird. Es geht erst recht nicht, dass die Ergebnisse dann womöglich im Kreishaus in einer Schublade ver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- schwinden. Sie müssen ausgewertet, sie müssen bewertet ten der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff werden. Bessere Gesetzgebung und die Verbesserung der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war Kontrollen schaden der Branche nicht. Ganz im Gegen- denn jetzt schon wieder falsch? Jetzt hast du teil: Sie nützen ihr. nicht aufgepasst!) 8840 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Alois Gerig (A) Ja, hohe Tierschutzstandards, meine Damen und Her- Ich möchte noch ganz kurz die Gelegenheit nutzen, an- (C) ren, wollen wir alle. Das wollen insbesondere unsere lässlich der Grünen Woche, bei der das weltweite Who’s Landwirte. Who der Agrarbranche in Berlin versammelt ist, ein gro- ßes Dankeschön an unsere Bäuerinnen und Bauern zu (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- richten, die an 365 Tagen im Jahr mit Herzblut arbeiten, NEN]: Dann macht mal!) ihre Tiere lieben – auch das unterstreiche ich – und die Ja, wir sind auch alle einer Meinung: Schwarze Schafe Weltbevölkerung mit hochwertigen Mitteln zum Leben gilt es zu erkennen, zu benennen und auch zu eliminie- versorgen. Die Branche braucht mehr Wertschätzung – ren. darum geht es; ich habe es schon einmal angesprochen – aus der Bevölkerung, aber auch Wertschätzung aus der Der Antrag der FDP hat durchaus einige positive As- Politik, und das unbedingt auch in ökonomischer, finan- pekte. Er hat aber auch viele negative Ansätze, weshalb zieller Hinsicht. Sonst wird der Strukturwandel rasant wir ihn ablehnen müssen, zum Beispiel die Forderung weitergehen. nach 140 Millionen Euro Bundesmitteln für Kontroll- maßnahmen. Originär zuständig für Kontrollen in Stal- Wenn wir das berücksichtigen, ist mir bei allen globa- lungen sind die Bundesländer. Sie wollen diese Zustän- len Herausforderungen, die wir haben, um die Zukunft digkeit auch überhaupt nicht abgeben. Wie die Kollegin der Ernährung unserer Weltbevölkerung nicht bange. Breher schon gesagt hat, hat die Agrarministerkonferenz beschlossen, dort Maßnahmen zu ergreifen, um diesem Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren – nicht zufriedenstellenden Zustand entgegenzuwirken. ich komme zum Schluss meiner Rede –, spenden Sie Ih- Deswegen ist es richtig, dass wir hier auch Forderungen ren hoffentlich kräftigen Applaus jetzt nicht mir, sondern nach mehr, nach besserer Kontrolle artikulieren – aber unseren Landwirten bitte dort, wo die Zuständigkeit ist. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der AfD und Ja, ich bin auch dafür, dass die Kontrollen aus freiwil- der FDP – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: ligen Systemen, die ja immer mehr werden – QS, Initiati- „Applaus erschlichen“ nennt man das!) ve Tierwohl –, unter Beachtung des Datenschutzes – das aus Anlass der Grünen Woche, um ein Dankeschön zu wird nicht immer einfach sein – vernetzt werden. Dass sagen. – Ich bin am Ende. das in Arbeit befindliche Tierwohllabel nach seiner – davon bin ich überzeugt – erfolgreichen Einführung ein Danke. Ansteigen auch solcher freiwilligen Kontrollen nach sich ziehen wird, ist gut für die Verbraucher und gut für die (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der Landwirtschaft, weil es auch dazu dient, gegenseitiges FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (B) Vertrauen zu fördern und die Akzeptanz zu stärken. (D) Das Tierwohllabel muss natürlich ökonomischer An- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: reiz für die Landwirtschaft sein. Dann ist man dort in der Herr Kollege Gerig, herzlichen Dank. Ihre Mühe hat Lage und bereit – auch das will ich deutlich sagen –, zu- sich wirklich gelohnt. Sie waren punktgenau. Den Ab- sätzliche, höhere Standards im Stall und auf der Weide schluss Ihrer Rede werde ich mir merken. Wenn man viel zu schaffen. An den Bauern scheitert dieses Label ganz Beifall bekommen will, ist es immer gut, den anderen zu sicher nicht. danken. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit sind wir am Ende der Aussprache, liebe Kolle- Da kommen die Verbraucher mit in die Pflicht, dass sie ginnen und Kollegen. bitte schön ins richtige Regal greifen. Alle Verbraucher Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf müssen lernen, dass sie es sehr wohl selbst in der Hand Drucksache 19/6285 an die in der Tagesordnung aufge- haben, mehr für Tierschutz zu machen. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (Beifall bei der CDU/CSU) verstanden? – Ich sehe und höre, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich komme zu einem zweiten Thema, das sich aus dem Antrag ergibt. Illegale Stalleinbrüche sind in keiner Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Weise zu tolerieren. Diese Selbstjustiz durch radikale Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Tierschützer aus oft fadenscheinigen Gründen, um bei- Gehring, Lisa Badum, Annalena Baerbock, wei- spielsweise Spendengelder zu generieren, ist nicht ak- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- zeptabel. Das muss strafrechtlich verfolgt werden. Die NIS 90/DIE GRÜNEN Skrupellosigkeit – das wurde heute schon gesagt – der Aktivitäten gipfelt aktuell darin, dass man schon in meh- Ein Forschungsrahmenprogramm im Kampf reren Stallungen Strom- und Alarmanlagen gekappt hat gegen die Klimakrise und Tiere dort qualvoll sterben mussten. Solche Krimi- nellen müssen ermittelt werden und mit aller Härte des Drucksache 19/5816 Gesetzes verfolgt und bestraft werden. Da darf die Justiz Überweisungsvorschlag: nicht nachlassen. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) (Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der Ausschuss für Inneres und Heimat FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8841

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wir Grünen im Bundestag werben dafür, Klima- (C) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre auch forschung zur Top-Priorität der Forschungsagenda der hier keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bundesregierung zu machen – durch ein Forschungsrah- menprogramm gegen die Klimakrise. Dafür fordern wir Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- 100 Millionen Euro mehr pro Jahr, um noch bestehende ner dem Kollegen Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, Wissenslücken auch zu schließen. Damit wollen wir die das Wort. Kapazität von Klimaforschung erhöhen und die Vernet- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zung über Disziplingrenzen hinweg weiter stärken. Un- ser Vorstoß ist eine Investition in die Existenz unseres Planeten. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Fridays for Future“: Eingangs ein ganz dickes Danke- schön an all die Engagierten, die heute Flagge für mehr Denn Sie haben sicher von den Kipppunkten gehört, nach Klimaschutz in der Republik gezeigt haben! Das macht denen die Erdüberhitzung sich vermutlich unkontrollier- Mut. bar beschleunigt. Dazu gehören das Auftauen der Per- mafrostböden und das Wegschmelzen des Grönlandeises. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Um dessen Folgen noch präziser vorherzusagen, müssen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) physikalische, biologische und chemische Daten noch besser zusammengebracht werden. Dafür sind modernste Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Der Hightech-Forschungsinfrastrukturen und internationale Klimawandel ist menschengemacht. Die Verfeuerung Wissenschaftskooperationen unerlässlich. Das kostet, fossiler Brennstoffe ist massiv klimaschädlich: kleine und das muss uns mehr wert sein. Gase, große Wirkung. Um den Treibhauseffekt und die Klimakrise zu bremsen, müssen wir die CO2-Emissionen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN drastisch senken. Sonst setzt die Zivilisation ihre Zukunft und bei der LINKEN) aufs Spiel. Auch die Geistes- und Sozialwissenschaften gehören (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stärker mit ins Klimaforschungsboot; denn längst heizt sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die Klimakrise weltweit bewaffnete Konflikte an, ver- Diese gesicherten Erkenntnisse verdanken wir bishe- knappt Ressourcen und löst Fluchtursachen aus. Das zu riger exzellenter Klimaforschung. Danke daher an alle, ignorieren, wäre absolut unverantwortlich. Auch deshalb (B) die forschen, ob im Labor, auf den Forschungsschiffen braucht die Klimaforschung mehr Mittel. (D) in Ozeanen und Polargebieten oder bei der Klimadaten- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auswertung an den Hochleistungsrechnern! Sie alle leis- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ten wertvolle Arbeit für unser Land und die Zukunft der der SPD und der FDP) Menschheit. Unser Appell richtet sich an die Regierungsfraktionen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und an Forschungsministerin Karliczek – vielleicht kön- sowie bei Abgeordneten der SPD und der nen Sie das weiterleiten, Herr Staatssekretär –, aber auch LINKEN) an Heimatminister Seehofer. Denn Katastrophenschützer Aber es braucht noch mehr Erkenntnisse der Klima- vor Ort schauen längst mit Sorge auf Extremwetter- und forschung, weiteres Wissen über Wirkungsweisen und drohende Klimawandelrisiken. Doch die systematische Klimafolgen. Deswegen fordern wir Grünen im Bundes- Erforschung der Folgen für die zivile Sicherheit im Land tag eine weitere schnelle und beherzte Stärkung der Kli- ist eher eine Leerstelle. maforschung in Deutschland. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ja!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dabei muss dieses Wissen dringend hinein in die Katas- Welche konkreten Folgen hat die globale Erdüberhitzung trophenschutzpläne; denn Klimaschutz ist auch Heimat- ganz lokal, sei es in Hamburg, in Essen oder im Allgäu? schutz. Wie stark werden einzelne Regionen bei Dürreperioden oder Überschwemmungen betroffen sein? Welche Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werfungen bei Artenvielfalt und Landwirtschaft verur- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sacht ein globaler Temperaturanstieg von über 1,5 Grad? Und sind die Infrastrukturen in unseren Städten und un- Klimaforschung zeigt uns, worauf wir uns unweiger- seren Dörfern robust genug? Welche neuen Gesundheits- lich einstellen müssen. Sie zeigt uns auch, was wir noch gefahren drohen durch die Klimakrise? Das sind keine retten können. Jedes Zehntelgrad Temperaturanstieg, das Fragen für Panikmache, sondern Forschungsfragen, de- wir verhindern können, schützt unsere Lebensgrundla- ren Beantwortung überlebenswichtig ist. gen, bewahrt die Vielfalt unserer Natur und Tierwelt und rettet ganz konkret Menschenleben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Packen wir es also an! Deutsche Klimaforschung ist der SPD) jetzt schon weltweit hoch anerkannt. Sie ist aktive Zu- 8842 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Kai Gehring (A) kunftsvorsorge. Geben wir ihr einen weiteren Schub. Das Es handelt sich um mehr als 25 Schiffe. Die Bundesma- (C) sind wir unseren Enkeln und unserem Planeten schuldig. rine wäre stolz, wenn sie so eine seegängige und funkti- onsfähige Flotte zur Verfügung hätte, meine Damen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herren. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: neten der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Als Nächster DIE GRÜNEN]: Wer hat denn den Schlamas- der Kollege Dr. Michael von Abercron, CDU/CSU-Frak- sel mit der „Gorch Fock“ zu verantworten?) tion, Schleswig-Holstein. Darüber hinaus ist es so, dass wir sogar Neuzugänge in diesem Jahr erwarten können: dieses Jahr ein neues (Beifall bei der CDU/CSU) Schiff und nächstes Jahr vielleicht die „Polarstern 2“. Darauf können wir sehr stolz sein. Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): Sehr verehrter, hochgeschätzter Herr Präsident! Meine Die Schiffe – und das ist ganz besonders wichtig – sind sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste auf den verknüpft und arbeiten zusammen in einer Leitstelle. In Tribünen! Goethe hat einmal gesagt: Ihrem Antrag kommen die Begriffe „Verknüpfung“ und „Bündelung“ standardmäßig vor. Das Beispiel, dass die Der Mensch muss bei dem Glauben verharren, daß Schiffe zusammenarbeiten und von der Leitstelle geführt das Unbegreifliche begreiflich sei; er würde sonst werden, zeigt, dass das alles hervorragend funktioniert. nicht forschen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieser Satz lässt sich ohne Weiteres sehr gut auf den An- Ich finde es gut, wenn die Forscher zusam- trag der Grünen übertragen. Denn wir müssen erforschen menarbeiten und nicht die Schiffe!) und ergründen, was die Grünen eigentlich genau meinen. Sie führen – das ist in Ihrem Antrag außergewöhnlich (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gut formuliert – biologische, chemische, geologische, NEN]: Das hat Ihnen der Kollege doch gerade ozeanografische, meteorologische, geophysikalische und erzählt!) glaziologische Langzeitmessungen durch. Dabei geht es nicht nur um die Sprache; es wird politisch (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verklärt von der Klimakrise und der globalen Überhit- NEN]: Sie haben „klimatologisch“ verges- zung gesprochen. Überhitzt scheint hier vor allem die sen!) Rhetorik, die nur parteipolitisch nützen soll. (B) Das tun sie heute schon. (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die durchgängige Forderung in Ihrem Antrag Sie sollten mehr Klimaforschungsergebnisse nach einem Ausbau der internationalen Zusammenarbeit lesen!) ist längst beschlossene Sache. Ich will nur auf die große, spektakuläre Reise hinweisen, die die „Polarstern“ dieses Wollen Sie uns wirklich glauben machen, dass gerade Jahr durchführen wird. Sie wird sich nämlich im Eis ein- die Forscher in unserem Land zum Thema Klimawandel frieren lassen. 600 Menschen aus 27 Ländern sind daran nicht hervorragende Arbeit geleistet haben und global beteiligt. unterwegs sind? (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN]: Ja, super Sache!) Haben Sie meiner Rede nicht gelauscht?) „Wo ist da ein Mangel an internationaler Zusammenar- Wollen Sie uns wirklich weismachen, dass diese weltweit beit?“, kann ich da nur fragen, meine Damen und Herren. anerkannte Arbeit nicht auch finanztechnisch hervorra- Nun zu einem ganz besonderen Satz, der uns allen gend unterlegt ist? Ich will dazu nur drei Zahlen aus dem unseren Forscherdrang abverlangt. Ich will ihn mit der Bereich des BMBF erwähnen: Titel „Klimaforschung Genehmigung des Präsidenten zitieren – Zitat aus Ihrem und System Erde“: 157 Millionen Euro, „Küsten-, Mee- Antrag –: res- und Polarforschung“: 57 Millionen Euro, „Klimafor- schung, Biodiversität und Globalisierte Lebensräume“: Mit diesem Rahmenprogramm sollen … die sozial- 111 Millionen Euro. Und das ist noch nicht alles. Im psychologische, verhaltensökonomische und kom- Grunde genommen kommen viele andere Bereiche mit munikationswissenschaftliche Forschung zur Kli- entsprechenden Institutionen hinzu, von denen der Ein- makrise gestärkt werden, also Ansätze sowohl zur satz der Schiffe unterstützt wird. Es handelt sich also um Vermittlung der Erkenntnisse der Klimaforschung eine riesige Summe. Die Details kann ich gar nicht alle in Politik und Gesellschaft als auch zur Erkenntnis- aufzählen. gewinnung aus der Gesellschaft für die Klimafor- schung. Wir halten uns eine eigene hochseefähige Flotte durch Helmholtz-Gemeinschaft, Alfred-Wegener-Institut, (Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜND- GEOMAR, DFG, Projektträger Jülich usw. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dies sollte den Wissenstransfer im Bereich der Bil- NEN]: Stellen Sie das jetzt infrage?) dungsmaßnahmen mit einschließen … Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8843

Dr. Michael von Abercron (A) Haben Sie das verstanden? Herzlichen Dank. (C) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- NEN]: Ja!) ordneten der SPD) Ich in Teilen, aber der arme Forscher, der das machen soll, der tut mir jetzt schon leid. Dafür braucht man in der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Tat sehr viel Geld, und es kommt dabei nichts raus. Das Herr Kollege von Abercron, herzlichen Dank für die könnte Ihr Antrag bewirken. Zeit, die Sie eingespart haben. – Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD) (Beifall bei der AfD) – Danke schön. Nicole Höchst (AfD): Es gibt diverse andere Bereiche, in denen wir in der Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Werte Kollegen! Klimaforschung aktiv sind. Ich kann sie gar nicht alle Sehr verehrte Gäste! „Ein Forschungsrahmenprogramm erwähnen. Da sind zum Beispiel die Hightech-Strategie im Kampf gegen die Klimakrise“, so betiteln die Grünen „Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Energie“ sowie die ihren Antrag, damit die von ihnen finanzierten Wissen- Deutsche Anpassungsstrategie, wo wir schon lange ak- schaftler gleich wissen, in welche Richtung die so steuer- tiv sind. Trotzdem bleibt aufgrund der multifaktoriellen finanzierte Forschungsreise gehen muss. Zusammenhänge ein riesiger Forschungsbedarf. Das will Als Erstes reden wir mal nicht von einer Klimakrise – ich gerne zubilligen. denn so etwas gibt es gar nicht –, (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜND- NEN]: Ach so! Jetzt doch?) NIS 90/DIE GRÜNEN]) In vielen Bereichen zeichnet sich aber schon jetzt sondern von periodisch wiederkehrendem Klimawandel, mehr ein Umsetzungsproblem als ein Erkenntnisproblem wie er über die Erdzeitalter hinweg dokumentiert ist. ab. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Klimaleugnerin!) NEN]: Die ganze Regierung hat permanent ein Umsetzungsproblem!) Die Behauptung einer menschengemachten Erderhitzung (B) ist genauso wenig beweisbar wie die, dass es Feinstaub- (D) Denken Sie zum Beispiel an die Folgen von Extremwet- tote durch Dieselmotoren gibt. terlagen oder an Fragen des Küstenschutzes. (Beifall bei der AfD) Wenn dieser nicht gerade herausragende Antrag es jetzt ins Plenum geschafft hat, hat das auch einen Vor- Mit Ihrem Antrag wollen Sie nur Ihrem Klima-Voo- teil. Wenn wir die 14 Punkte, die Sie aufgeführt haben, doo weitere 100 Millionen Euro in den Rachen werfen. durchgehen und abgleichen, dann werden wir feststellen, Ein vernunftbegabtes Wesen wird bei so hochkomplexen was wir schon alles Tolles machen. Wir stehen hinter den Themen wie dem Klimawandel zunächst eine der wich- finanziellen Anstrengungen, die zur Erforschung des Kli- tigsten Fragen stellen: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn mawandels und zur Anpassung notwendig sind. Wir leh- der Klimawandel nicht hauptsächlich durch die Men- nen aber die willkürlichen Forderungen nach mehr Geld schen verursacht wäre? Das ist nicht nur eine Frage von ab, geht es dabei doch wohl eher um die Klimapflege in Klimaskeptikern oder Klimaleugnern, der grünen Parteiprogrammatik, meine Damen und Her- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren. NEN]: Doch!) Angesichts der großen Anstrengungen unserer For- sondern eine wissenschaftliche Frage. scher auf ihren Reisen in die Antarktis oder an ferne Orte dieser Welt, die mit erheblichen persönlichen Einschrän- (Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE kungen verbunden sind, ist es dringend geboten – das hat GRÜNEN]: Lesen bildet! – Matthias Gastel mein Vorredner Gott sei Dank auch schon gemacht –, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie inte- dass wir ihnen unseren großen Dank und unsere Aner- ressieren sich doch gar nicht für die Wissen- kennung aussprechen. Wir können sehr stolz auf das sein, schaft! Sie ignorieren die Wissenschaft! – Kai was diese Menschen tun. Seien wir stolz darauf, was un- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler draußen können 100 Prozent der Klimaforscher beant- in der Welt leisten. worten!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Versuch der Beantwortung führt unweigerlich zur NEN]: Ich möchte den Stolz mehren!) Gretchenfrage: Ist die Aussage, der Klimawandel sei hauptsächlich menschengemacht, denn wahr? Bislang ist Ich hoffe, dass wir die Möglichkeit haben, das auch in das eine These, nicht mehr und nicht weniger, genauso Zukunft zu tun. Die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, gültig wie die These, dass der Klimawandel nicht men- sind gut angelegt. schengemacht sei. 8844 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Nicole Höchst (A) Aus Ihrer These blinden Aktionismus abzuleiten mit der gegenüber Hans Rosling das Geheimnis seines Er- (C) dem Gedanken, der Mensch könnte das Klima retten, ist folges verriet, wie er zum ersten Fast-Klimamilliardär genauso emotional moralisierend wie absurd. Und selbst wurde: Wir müssen Furcht erzeugen. wenn es eine Klimarettung in einer ungeheuerlichen weltweiten menschlichen Kraftanstrengung gäbe, wie (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Wer erzeugt Sie das unterstellen, frage ich Sie: Ist ein Staat, der es denn die Furcht in diesem Land?) nicht fertigbringt, einen Hauptstadtflughafen zu bauen, Nanu, das ist doch das Geschäftsmodell der Grünen! wirklich in der Lage, das Weltklima zu retten? Aber nicht mit uns! Wir lehnen Ihren Antrag ab. Wir (Marianne Schieder [SPD]: Oh Gott! – Timon fordern stattdessen das Hohe Haus auf, zum Wohle der Gremmels [SPD]: Da ist der nicht gebaute Bürger das gesamte Klimaschutzprogramm sofort wegen Flughafen die beste Klimarettung! ) erwiesener Nutz- und Wirkungslosigkeit einzustellen. Ich persönlich halte das für eine Art völlig unangemesse- (Beifall bei der AfD) nen German Größenwahn. Werte Kollegen, Umwelt- und Naturschutz ist doch in (Beifall bei der AfD) unser aller Interesse. Wer sind die größten Gewinner des hier beantragten (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: fröhlichen zweckgebundenen Forschungsgeldverteilens? Sie propagieren gerade den Weltuntergang! – Die Grünen und diese Klimaforschungsinstitute. Warum? Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Letztere sind die größten Gewinner bei der Zuteilung der Sie wissen ja gar nicht, was das ist, nach Ihrer Forschungsgelder. Sie müssen nur den Schneefall im Rede hier!) Winter als Katastrophe des Klimawandels bezeichnen Allerdings sehen Umwelt- und Naturschutz anders aus und – schwups – erhalten sie neue Forschungsgelder zur als grüne Politik und deren Maßnahmen. Die Zahl der Produktion von weiteren hochwillkommenen Ergebnis- Beispiele ist Legion. Offensichtlich bedurfte es der AfD, sen, um das endlich so offen und unverblümt aufzuzeigen. (Marianne Schieder [SPD]: Ja, Gott im Him- Wir von der AfD begrüßen es ausdrücklich, wenn mehr mel!) Geld in Wissenschaft und Forschung gesteckt wird. Selbstverständlich wünschen wir uns auch den Erhalt un- die Sie von den Grünen sodann alarmistisch, ökopopulis- seres wunderbaren Planeten. tisch und freiheitseinschränkend ausschlachten. (Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der AfD) (B) GRÜNEN]: Sie haben aber das Gegenteil be- (D) Nun zu den anderen Gewinnern dieser steuerfinanzier- antragt! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE ten parteipolitischen Marketingstrategie: den Grünen. GRÜNEN]: Sie haben das Gegenteil beantragt im Ausschuss! Sie lügen schon wieder! Sie (Marianne Schieder [SPD]: Schämen Sie sich wollen die Klimaforschung auf null setzen!) eigentlich nicht für so viel Unsinn?) Und ja, dazu dürfen Forschung und Wissenschaft nicht Wenn nur noch ein Fünftel der Deutschen glauben, dass ruhen. Stärken wir die Freiheit von Forschung und Leh- es wichtig ist, etwas für den Klimaschutz zu tun, re! Kultivieren wir deren Unabhängigkeit von Politik und (Timon Gremmels [SPD]: Keine Glaubens- Ideologie! frage!) (Beifall bei der AfD) dann gehen bei Ihnen alle Alarmglocken an. Dann muss dringend Steuerzahlergeld mit vollen Händen ausgege- Ja, intensivieren wir die Forschung! Machen wir sie ben werden, um weitere wissenschaftliche Alarmmel- transparent! Nehmen wir die Menschen mit! Fördern wir dungen zu generieren, damit die Panik, diese Angst vor die Forschung, die sich selbst immer wieder hinterfragt, der Klimakatastrophenhölle, ja nicht aufhört. Im Mittel- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alter haben die armen Sünder sogenannte Ablassscheine NEN]: Gott sei Dank ist heute Freitag! – Kai gekauft, um nicht in die Hölle zu kommen. Heute wählen Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sie die Grünen, um dem Umweltsünderfegefeuer zu ent- lügen wie gedruckt! Die Forschungsmittel gehen. wollen Sie auf null setzen!) (Beifall bei der AfD – Lachen bei Abgeord- die international ausgerichtet und die streitbar ist! neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marianne Schieder [SPD]: Huiuiui!) Vielen Dank. Zudem ist mit dem Klimawandel natürlich ein riesi- (Beifall bei der AfD) ges Geschäft zu machen, ganz klar, nach dem Vorbild des großen Rattenfängers Al Gore, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Liebe Kolleginnen und NEN]: Da hilft auch kein Bildungsprogramm Kollegen, ich wollte die Rednerin in ihrer Rede nicht un- mehr! Dagegen kommt auch keine Bildung terbrechen. Ich möchte aber trotzdem darauf hinweisen: an! – Weitere Zurufe) Zwischenrufe sind zulässig und auch erwünscht in einer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8845

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) lebhaften Debatte. Aber wenn Zwischenrufe zu einem Die Fragen, die von Kai richtigerweise gestellt wor- (C) Massenphänomen werden, den sind, sind ja auch wichtig: Wie gehen wir vor Ort mit dem immer global diskutierten Klimawandel um? (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir sehen ja, dass die Zahl der Extremwetterereignisse NEN]: Das hat auch mit der Rede zu tun!) zunimmt. können sie weder vom Protokoll wahrgenommen wer- (Jürgen Braun [AfD]: Schnee im Winter! den, noch dient das der Debatte. Also bitte ich darum, Wahnsinn! Schnee im Winter gab es nie!) den Redner anzuhören, selbst wenn es dem einen oder anderen schwerfällt. Auch wer mit offenen Augen durch den Wald geht, wird (Marianne Schieder [SPD]: Das ist nicht aus- feststellen, dass sich da in den letzten Jahren viel verän- zuhalten!) dert hat. Ich habe im Sauerland in einem April noch nie einen so trockenen Wald erlebt wie letztes Jahr. Das ist Das ist ja der Sinn unserer parlamentarischen Debatte nicht besser geworden. hier. (Jürgen Braun [AfD]: Vor tausend Jahren gab (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: es das auch schon mal!) Dann müssten wir ja Zwischenfragen stellen!) Auch wenn man in dieser Jahreszeit durch den Wald Noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir geht, stellt man, wie ich finde, fest: Der Waldzustand ist haben eine gemeinsame Geschäftsordnung. An die soll- nicht besser geworden. ten wir uns halten, und zwar gegenüber jedermann. Die Meinungsfreiheit im deutschen Parlament ist ein hohes Die Frage ist tatsächlich: Wie wirkt sich das vor Ort Gut. Die sollte man bewahren. Ich verstehe die Erregung aus? Die Forderung, regionale und sektorale Aspekte mancher . Aber noch einmal: Bei einer solchen Vielzahl stärker zu berücksichtigen, ist richtig. Das gibt es aber von Zwischenrufen können sie nicht wahrgenommen schon. Wenn man den ersten Fortschrittsbericht zur Deut- werden. Damit verlieren sie ihren Sinn. Sie sind nur noch schen Anpassungsstrategie liest – er ist beim Umweltmi- eine negative Geräuschkulisse. nisterium abrufbar –, sieht man zum Beispiel eine Karte der Bundesrepublik Deutschland, auf der regionenscharf (Beifall bei Abgeordneten der AfD) eingezeichnet ist: Wie wird sich eigentlich das Klima Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächstes hat für verändern, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern? die SPD-Fraktion der Kollege René Röspel das Wort. Die Ostseeurlauber merken ja schon, dass man dort mitt- lerweile Urlaub wie in Spanien machen kann. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: (B) Jetzt wird es besser!) (Jürgen Braun [AfD]: Ja! Das weiß man ganz (D) genau! Die verbrennen alle an der Ostsee!) René Röspel (SPD): Wird es zunehmend Versteppungstendenzen geben? Was Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- bedeutet das für die Landwirtschaft? Was bedeutet es für ren! Es ist schon eine seltene Gabe, glaube ich, andere andere Regionen, wenn sich das Klima vor Ort verän- Menschen am helllichten Tag in eine Geisterbahn zu ver- dert? setzen. Einen Beitrag haben inter- und transdisziplinäre For- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LIN- schungsverbünde, die in dem Antrag auch gefordert KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden, geleistet, zum Beispiel der Helmholtz-Verbund sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Regionale Klimaänderungen, kurz REKLIM. Er befasst der FDP) sich über verschiedene Institute hinweg mit der Frage: Was bedeuten Klimaveränderungen vor Ort? Es gibt seit Vielleicht kann man das kommerzialisieren. einigen Jahren auch – die Forschungspolitiker haben das Ich danke ganz herzlich für diesen Antrag. Ich freue mal bei einem Frühstück vorgestellt bekommen – das mich immer, wenn man über Forschung reden kann. Der Climate Service Center Germany, das GERICS, das aus- Klimawandel ist tatsächlich ein weltweit wissenschaft- drücklich Ansprechpartner für Entscheidungsträger in lich unumstrittener Fakt, über den wir, glaube ich, nicht Politik, Wirtschaft und Kommunen ist. Die Kommunen lange zu diskutieren brauchen. stehen natürlich vor der Frage: Können wir Abwasserka- näle noch bauen wie in den 80er- oder 70er-Jahren, wo (Jürgen Braun [AfD]: Mister 70er weiß alles man die Regenmengen kannte? Da war das Jahrhundert- genau! Zurück in die 70er mit René Röspel!) hochwasser das Ereignis, das man als Maß nahm. Das hat Beides gehört zusammen. Deswegen will ich den Grü- sich deutlich verändert. nen ganz herzlich dafür danken, dass wir heute noch ein- (Jürgen Braun [AfD]: In den 70ern kennen Sie mal darüber diskutieren. Das haben wir vor zwei Jahren sich aus! Da sind Sie auch stehen geblieben, im Zusammenhang mit einem ziemlich ähnlichen Antrag Herr Röspel!) schon mal gemacht. Ich finde den Antrag in vielen Punk- ten gut; ich glaube, auch weil die meisten Punkte in der Das sind die Ansprechpartner für die Frage: Worauf muss Breite vermutlich unumstritten sind. Ich habe aber schon man sich tatsächlich praktisch einstellen, um solchen vor zwei oder drei Jahren gesagt – ich weiß nicht mehr Veränderungen entgegenwirken und damit vernünftig genau –, dass viele dieser Punkte schon erledigt sind. umgehen zu können? 8846 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

René Röspel (A) Langzeitmessungen wurden auch gefordert. Sie fin- Es gibt zwei Möglichkeiten, wie das enden kann: Die (C) den statt von Helgoland bis zur Zugspitze. An beiden Or- erste Variante ist, dass in 20 Jahren tatsächlich nichts ten kann man sich das anschauen. Es macht Spaß, da mal kommt. – Okay, dann ist es so gelaufen. Die zweite Vari- hinzufahren. Man lernt viel dabei. ante ist, dass der Klimawandel mit voller Härte einsetzt und die junge Generation, von der einige hier auf der Tri- Einen Stich muss ich machen: Während der Jamai- büne sitzen, das ausbaden muss, was wir heute versäumt ka-Verhandlungen habe ich nichts gehört von einer deut- haben. schen Allianz für Meeresforschung. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NEN]: Doch!) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben sie in den Koalitionsvertrag geschrieben und beginnen, das umzusetzen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Deswegen sage ich: Viele Forderungen sind grund- sätzlich richtig, aber in Teilen schon erledigt oder auf den René Röspel (SPD): Weg gebracht. Deswegen ist unser Kurs richtig, heute dem Klima- Ausdrücklich will ich sagen: Wir haben es ja auch wandel mit moderner Technologie, mit zukunftsorien- schon mal erleben müssen, in der Opposition zu sein. tierter Energienutzung zu begegnen und das Beste dafür Regieren macht übrigens viel mehr Spaß, zu tun, dass diese Generation eine Chance hat. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. NEN]: Das sieht man euch an!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- wenn es auch schwieriger ist. Wir als SPD haben in der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Opposition unsere politischen Forderungen immer so Jürgen Braun [AfD]: Sie schüren einfach nur formuliert, dass man sie auch umsetzen kann, wenn man Ängste, Herr Röspel! – Gegenruf des Abg. in eine Regierungssituation kommt. Ich finde es gut, das René Röspel [SPD]: Ja, ja, ist ja gut! – Gegen- in der Politik so zu tun. Deswegen muss ich den Antrag ruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]: Angstma- wegen eines Punktes wirklich ablehnen: Ihr fordert mal cher! Nix weiter! Und dann noch primitiv! – eben 600 Millionen Euro für Klimaforschung für die Gegenruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]: nächsten drei Jahre. – Abgesehen davon, dass der Betrag Na, na, na! – Gegenruf des Abg. René Röspel (B) überhaupt nicht abfließen könnte, ist er, wie ich glaube, [SPD]: Was Paul über andere sagt, sagt mehr (D) auch unangemessen hoch. Wenn ich das Geld wirklich über Paul als über die anderen! – Gegenruf des hätte – wir müssen das immer auch mit anderen Berei- Abg. Jürgen Braun [AfD]: Ja, der Junglehrer!) chen abwägen –, würde ich die Hälfte davon lieber in die Energieforschung oder die konkrete Umsetzung von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Klimaschutzmaßnahmen stecken; denn an dieser Stelle Herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort sind wir. Wir werden weiterhin richtig Klimaforschung der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion. machen. Die Erhöhung der Mittel in den letzten Jahren hat ja dazu beigetragen, dass Deutschland jetzt – das (Beifall bei der FDP) steht richtigerweise in dem Antrag – ein Spitzenstandort für Klimawissenschaft ist, weltweit anerkannt. Dr. Lukas Köhler (FDP): (Jürgen Braun [AfD]: Und für Genderwissen- Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Prä- schaften! Genderwissenschaften sind auch sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versu- ganz wichtig für die Zukunft!) che mal, zum Thema zurückzukommen. Herr Dr. von Wir werden das so ausbauen, dass es vernünftig ist. Wir Abercron, Sie haben Goethe zitiert. Mit Erlaubnis des sind aber längst an dem Punkt, an dem wir auch handeln Präsidenten würde ich Kant zitieren, allerdings nicht in müssen. Ihre Richtung, sondern in Richtung der AfD: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Damit will ich mich ausdrücklich an die junge Gene- ration richten, unter anderem an die jungen Menschen (Dr. Roland Hartwig [AfD]: Wie arrogant!) auf der Tribüne: Es gibt zwei Politikmodelle, die ich grob Ich glaube, das wäre ein ratsames Element in Ihrer Po- unterscheiden möchte: Das eine Modell ist das Modell litik. Sie zitieren ja gerne die Oregon-Petition, eine Pe- derer, die man Klimaleugner nennt; wir haben ja gerade tition, die unterzeichnet wurde von den Spice Girls und die Rede von Frau Höchst gehört. Die sagen: Das ist alles Mickey Mouse. nicht schlimm, das wird nicht kommen, und deswegen brauchen wir heute nichts zu tun. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Sie sind auch gar (Jürgen Braun [AfD]: Und Sie wissen genau, nicht arrogant heute!) was kommt! Sie sind der Wahrsager! Sie wis- sen es genau! Sie hören zwar gar nicht zu, aber Meine Damen und Herren, ich denke, wir sollten zum macht ja nichts!) Thema zurückkommen und uns mit der Frage der Klima- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8847

Dr. Lukas Köhler (A) forschung auseinandersetzen. Ich glaube, dass das hier ihrer Zukunft auch die Möglichkeit haben, nicht nur eine (C) der zentrale Teil sein sollte. gesunde Umwelt vorzufinden, sondern auch die finanzi- ellen Mittel zur eigenen Lebensgestaltung besitzen. Ich Ja, ich freue mich darüber, dass die Grünen so einen glaube, dass das das Ziel sein muss. Antrag eingebracht haben. Ich habe ähnliche Anträge schon früher mal gelesen. Ich halte das, was Sie da ma- Was Sie aber – und das fehlt mir leider in diesem An- chen, für sehr konsistent. Ich freue mich darüber, dass trag – auch nicht ganz mitbedenken, ist die Frage: Wie Sie aus der aktuellen Emotionalität der Debatte zu einer gehen wir denn mit den Maßnahmen zur Bekämpfung sachlichen und fachlichen Form des Diskutierens und des Klimawandels um? Wo stecken wir da das Geld rein? Debattierens, nämlich dem Wissenschaftlichen, zurück- Was mir fehlt, sind Forschungen im Bereich der Techno- kommen wollen. Ich freue mich, dass Sie da ein wenig logieoffenheit, der Innovation, der Zukunftsgerichtetheit, mit Ihrer Tradition brechen. sind Forschungsfragen im Bereich des Geoengineerings, Der Antrag ist gut – in seinem Ziel. sind Forschungsfragen, die aufgegriffen werden müssen, wenn wir über die Kernfusion sprechen. Das sind weite (Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE Felder, die wir diskutieren können und die wir diskutie- GRÜNEN]: Warum?) ren sollten. Das Ziel, Klimawissenschaft und Klimaforschung zu (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stärken, müssen wir erreichen. NEN]: Technikfolgenabschätzung!) (Jürgen Braun [AfD]: Also die grüne FDP! Das sind auch Punkte, wie sie zum Beispiel im Nichts mehr liberal, sondern grün! Grüne ­IPCC-Sonderbericht „1,5 °C“ aufgegriffen werden in Be- Ideologie in der FDP!) zug auf die Speicherung und Nutzung von CO2. Das sind Ich glaube, es würde selbst der AfD guttun, zu sagen: Wir zentrale Punkte, die wir heute angehen müssen, damit müssen den wissenschaftlichen Diskurs aufgreifen und wir sie bei einer Initiative Net-Zero für 2050 auch um- auf Basis von Fakten und Informationen vorgehen – und gesetzt bekommen, und die fehlen mir völlig in diesem nicht mit Meinungs- und Stimmungsmache, wie Sie von Antrag. Er ist leider – wie vor zwei Jahren – immer noch rechts das gerne tun. auf einem veralteten Stand. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wenn wir diese Punkte aufgreifen und umsetzen – da unterstützen wir Sie gerne, liebe Grüne, und da unter- Wir müssen an dieser Stelle, glaube ich, aber festhal- stützen wir gemeinsam sicherlich gerne die Bundesre- ten, dass solch eine Forschung auch Evaluation bedeutet. gierung darin, noch ein wenig kräftiger und strategisch (B) Bei der Evaluation von Maßnahmen – das haben Sie in besser aufgestellt vorzugehen –, dann können wir es (D) Ihrem Antrag aufgegriffen – müssen wir allerdings auch schaffen, wirklich etwas für die Zukunft zu tun, wirklich offen für die Ergebnisse sein. Wenn eine Evaluation den Klimawandel einzudämmen, uns die Zeit zu geben, zeigt, dass Klimamaßnahmen nicht wirklich zum Kli- die Anpassungsmaßnahmen laufen zu lassen. Ich glaube, maschutz beitragen, dann müssen Sie sie abschaffen. Ich dann haben wir am Ende des Tages auch etwas für unsere freue mich darüber, eine Evaluation der CO2-Grenzwerte Kinder und Kindeskinder erreicht. aufzurufen und umzusetzen. Wir müssen aber auch Maß- nahmen der Bundesregierung evaluieren und uns mal Vielen herzlichen Dank. darüber unterhalten, ob Klimakinos und Strickkurse in (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Steglitz wirklich dem Klimaschutz helfen. Dr. ­Hermann-Josef Tebroke [CDU/CSU]) (Beifall bei der FDP – René Röspel [SPD]: Das war jetzt auch Mickey Mouse!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: – Das waren zwei Haushaltsposten, die Sie aufgeführt Herzlichen Dank, Herr Dr. Köhler. – Das war punkt- haben, wirklich; das können Sie nachlesen. Sie lachen; genau. es ist auch ein bisschen traurig. Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Ralph Meine Damen und Herren, wo wir gerade beim Haus- Lenkert, Die Linke. halt sind: Die Punkte, die Sie aufgeführt haben, sind rich- tig; da sind viele gute Sachen drin. Aber bei Ihrem Haus- (Beifall bei der LINKEN) haltsplan und den 50 Millionen Euro, die Sie da aufrufen, frage ich mich: Wo sind die anderen 150 Millionen Euro Ralph Lenkert (DIE LINKE): pro Jahr, die Sie laut Antrag dazustecken wollen? Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen (Marianne Schieder [SPD]: Erst mal stricken und Kollegen! Also wenn die AfD von „Furcht säen“ und lernen! Das wäre gut!) „Angst schüren“ redet, spricht der Fachmann, und wenn Frau Höchst sich darüber beschwert, ist es so, wie wenn Ich würde mich freuen, wenn wir über Generationen- der Einbrecher schreit: Haltet den Dieb! gerechtigkeit nicht nur unter Gesichtspunkten des Klima- schutzes, sondern auch unter den Gesichtspunkten einer (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gesunden Haushaltsführung sprechen würden, damit die neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Generation, damit die Kinder, die auf den Rängen sitzen GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Das war und die Sie gerade richtigerweise angesprochen haben, in sehr lustig! Da sind wir begeistert!) 8848 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Ralph Lenkert (A) Aber jetzt zum Thema: 100 Millionen Euro mehr für und anderer Partikel, mit Theorien zur Wolkenentwick- (C) Forschung gegen die Klimakrise – statt 4 Milliarden lung und zum Datenaustausch. Dieses Programm ist Euro für die Rüstung auszugeben. Wir würden dieses Grundlagenforschung für Klimaforschung. Es ist mir Geld ebenfalls gern verwenden, und zwar – wie die Grü- nicht verständlich, weshalb die Entscheidung, dass die nen – für die Optimierung von Klimamodellen, damit die Mittel für dieses Programm freigegeben werden, die im Kommunen wissen, wie sie sich in Zukunft vorbereiten Juli letzten Jahres fallen sollte, auch im September 2018 müssen: investieren in Mess- und Beobachtungsstatio- nicht gefallen ist und warum sie auch heute noch nicht nen, in den Datentransfer, damit die Prognosen der Kli- gefallen ist. Herr Staatssekretär Rachel, sehen Sie in Ih- maentwicklung besser werden, damit wir Wetter besser rem Ministerium nach! Treiben Sie die Beamten an! Wir bestimmen und Unwetter besser voraussagen können. brauchen dieses Programm. Leiten Sie es in die Wege, Wir würden das Geld gern einsetzen zur Erforschung damit wir alle bei der Klimaforschung vorankommen! von Katastrophenszenarien, damit Behörden unsere In- Warum? Das kann jeder selbst sehen, der sich das letzte frastruktur sicherer gestalten und bessere Notfallpläne Jahr und die Entwicklung beim Wetter angeguckt hat. erstellen können, ja, für Sozial-, Kommunikations- und Verhaltensforschung und eben auch dafür, dass im Falle Ich hoffe, wir werden gemeinsam eine Zukunft gestal- von notwendigen Evakuierungen die Menschen mit den ten – für unsere Kinder, für unsere Enkel, für ein gutes richtigen Maßnahmen betreut werden können. All dies Leben auch in Zukunft mit einem schwachen Klimawan- ist notwendig. Wir würden das Geld selbstverständlich del. auch für Friedensforschung und zivile Konfliktforschung Vielen Dank. verwenden. Die ist notwendig, damit wachsende Klima- krisen nicht in Kriege umschlagen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Dafür 100 Millionen Euro mehr einzusetzen, ist ein neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) guter Anfang und eine Überlebensfrage für uns alle, auch für unsere Enkel. Deswegen ist der Antrag der Grünen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: richtig und wichtig, und deshalb unterstützt Die Linke Herzlichen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Als Nächs- diese Forderungen. tes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Wolfgang (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Stefinger. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, der Klimawandel trifft alle Menschen, unsere Enkel insbesondere, aber auch alle (CDU/CSU): (B) Politiker – uns Linke, die Grünen, die SPDler –, die wir Dr. Wolfgang Stefinger (D) massiv versuchen, den Klimawandel aufzuhalten. Aber Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und auch die rechten Klimazweifler von da drüben werden Kollegen! Unbestritten gehört der Klimawandel zu den unter den Folgen leiden. Die gelbe FDP, die im Zwei- größten Herausforderungen für die Menschheit. Viele felsfalle Wachstumschancen der Wirtschaft über Kli- Auswirkungen sind bereits heute sichtbar und auch spür- maschutz stellt, wird ebenfalls betroffen sein. Auch die bar: Überschwemmungen, Stürme, Hitzewellen, Dürren, schwarzen Ignoranten in der Union, die, selbst wenn sie Waldbrände, Gletscherschmelzen, der Meeresspiegel Katholiken sind, die Worte des Papstes ignorieren, wer- steigt, und es gibt mehr Extremwetterlagen. den unter den Klimaveränderungen leiden. Um den Klimawandel erfassen und wirksame Maß- (Albert Stegemann [CDU/CSU]: Was war nahmen zum Klimaschutz ergreifen zu können, brauchen denn das jetzt?) wir selbstverständlich die Klimaforschung und damit Wissensgrundlagen und Innovationen. Deshalb, liebe Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Klimawandel Kolleginnen und Kollegen, sind auch die Themen Nach- ist im Gange. Der Zug ist schon abgefahren. Wir können haltigkeit, Klima und Energie zentrale Themenfelder in die Veränderungen nicht mehr aufhalten. Aber vielleicht unserer Hightech-Strategie. Auch beim Thema „Künstli- schaffen wir es noch, auf den Zug aufzuspringen, und che Intelligenz“ nehmen wir den Umwelt-, Ressourcen- vielleicht schaffen wir es noch, die Auswirkungen zu re- und Klimaschutz in den Blick; denn mit der Hilfe von duzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erwarte Simulationen und Modellbildungen können präzisere von allen – okay, von fast allen –, dass wir gemeinsam Angaben und Aussagen über den Klimawandel ermög- dafür kämpfen, dass die Forschung zu Klimaprojekten licht werden. Es gibt eine Reihe von Forschungspro- vorangetrieben wird, und dass wir uns gemeinsam den grammen zu diesem Thema; es läuft schon eine ganze Veränderungen entgegenstellen. Menge. Aktuell haben wir 580 Millionen Euro im For- (Beifall bei der LINKEN) schungshaushalt – ein Aufwuchs von 30 Prozent im Ver- gleich zum letzten Jahr. Dem Bildungs- und Forschungsministerium liegt ein Antrag zu Forschungsinfrastrukturen vor, eingereicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, solide Wissens- von dem Forschungszentrum Jülich, vom KIT, vom grundlagen sind unbestritten wichtig; solide Forschung TROPOS-Institut in Leipzig und vom Deutschen Wet- ist wichtig. In vielen Bereichen, meine ich, geht es um terdienst. Es geht um den Aufbau von Messstationen für die Umsetzung von Maßnahmen, um den Klimawandel das Programm ACTRIS. Das Programm ACTRIS befasst aufzuhalten. Hier sind wir alle gefordert. Aber wir wis- sich mit der Ausbreitung organischer Oxide, Stickoxide sen auch, dass nationale Maßnahmen alleine nicht aus- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Januar 2019 8849

Dr. Wolfgang Stefinger (A) reichen. Es braucht eine weltweite Kraftanstrengung und Unsere Innovationen sind gefragt, gerade bei der (C) vor allem ein Bewusstsein dafür. umwelt- und klimafreundlichen Energiegewinnung. So entstehen bereits einige Projekte, beispielweise ein So- (Beifall bei der CDU/CSU) larkraftwerk in Marokko, das in Zukunft 1,3 Millionen Denn Fakt ist: Die reichsten 10 Prozent der Welt sind Menschen mit Strom versorgen soll. für 50 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – die Leidtragenden sind überwiegend die Menschen in Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Hört! Hört!) den Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Afrika ist ein Kontinent, der Durch unsere Partnerschaftsprogramme in der For- teils eine starke Versteppung und viele Dürren erlebt, was schung, aber auch in der Entwicklungszusammenarbeit dazu führt, dass die Bauern ihre Felder nicht mehr be- arbeiten wir gemeinsam mit diesen Ländern an Möglich- wirtschaften können oder von deren Ertrag nicht mehr le- keiten der Anpassung an den Klimawandel, am Umgang ben können. Die Frage des Wassers wird in den nächsten mit seinen Folgen, aber auch an einer nachhaltigen Ener- Jahren eine entscheidende Frage in diesen Ländern sein. gieversorgung und einer nachhaltigen Landwirtschaft. Daher ist es wichtig, dass wir bei der Klimaforschung Deutschland ist in vielen Bereichen der Klima- und Kli- auch in Afrika aktiv sind. mafolgenforschung Vorreiter, Deutschland ist innovativ und bietet viele technische Lösungen an, und Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- land fördert bereits in erheblichem Umfang exzellente ordneten der SPD und der Abg. Steffi Lemke Forschung in den Bereichen Klima und Umwelt. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir von der CDU/CSU sorgen dafür, dass das so Das Bundesministerium für Bildung und Forschung bleibt. Lassen Sie uns im Ausschuss über Ihren Antrag hat eine Afrika-Strategie aufgelegt. Wir stärken die Zu- diskutieren. sammenarbeit in der Forschung gemeinsam mit den Wis- senschaftlern vor Ort in Afrika und wollen die Bereiche Danke schön. Energie, Nachhaltigkeit, Wasser, Bioökonomie und Er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nährungssicherung beleuchten. Hierfür stehen 300 Mil- ordneten der SPD) lionen Euro bereit. Wir unterstützen zwei regionale Kompetenzzentren Vizepräsident Wolfgang Kubicki: für den Klimawandel und das Landmanagement in west- Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als vorletzter und südafrikanischen Staaten, und wir wollen dort ge- Redner des heutigen Tages erhält der Kollege Timon meinsame Handlungsmöglichkeiten entwickeln und mit ­Gremmels, SPD-Fraktion, das Wort. (B) den Menschen vor Ort gemeinsam an einer nachhaltigen (D) Entwicklung ihrer Heimat arbeiten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wieso erzähle ich Ihnen das, wenn es um einen Antrag zur Klimaforschung Timon Gremmels (SPD): in Deutschland geht? Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Weil Sie eine ren! Ich hatte das Vergnügen und die Ehre, an der inter- so lange Redezeit haben! – Steffi Lemke nationalen Klimakonferenz in Kattowitz teilzunehmen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um den rie- Im Vorfeld dieser Klimakonferenz hat der Weltklimarat – sengroßen Bedarf aufzuzeigen!) IPCC – einen Sonderbericht zur globalen Erderwärmung vorgelegt. 1,5 Grad: Das ist das Maximum, was wir ge- Ich tue das, weil sich die Klimafrage nicht alleine bei uns rade noch vertragen. in Deutschland und Europa entscheiden wird, sondern vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern. 91 Autoren aus 40 Ländern haben an dem Bericht mit- Gerade deshalb sind die Afrika-Strategie des Bildungs- gearbeitet. Mehr als 6 000 Einzelstudien wurden dafür ministeriums, aber auch der Marshallplan und die An- eingesetzt, und die Ergebnisse dieser Studie haben Ein- strengungen des Entwicklungsministeriums so wichtig. gang in den Schlussbericht der Weltklimakonferenz ge- funden. Ich glaube, das zeigt deutlich, wie wichtig und Um das zu verdeutlichen: In Afrika gibt es derzeit bedeutend Klimaforschung auch für internationale Be- 600 Millionen Haushalte, die keine einzige Steckdo- schlüsse, für internationale Abkommen und für die Kon- se haben. Wenn diese Haushalte in den nächsten 10 bis ferenzergebnisse von Kattowitz ist. 20 Jahren jeweils auch nur eine einzige Steckdose be- kommen sollen und sich die Staaten entscheiden, den (Beifall bei der SPD) Energiehunger mit den im Land vorhandenen Rohstoffen Wir müssen diesen Klimawandel aufhalten. zu decken – überwiegend Kohle –, dann müsste Afrika 1 000 neue Kohlekraftwerke bauen. Würde dies pas- Es war ja auch ein Kollege von der AfD in Katto- sieren, brauchen wir uns über das 1,5- bis 2‑Grad-Ziel witz dabei. Wir hatten als Delegation des Deutschen beim Klima nicht mehr zu unterhalten. Deshalb ist die- Bundestages echt gute Gespräche – auch mit internati- se Zusammenarbeit mit Afrika eine große Chance, aber onalen Klimaforschern –, aber ich musste mich, ehrlich auch eine Herausforderung für uns. Es besteht eine große gesagt, fremdschämen dafür, dass wir viel Zeit darauf Chance für unsere Wirtschaft in Afrika, aber wir haben verschwendet haben, Ihre Ideologie da zu diskutieren. auch eine Verantwortung. Wir haben keinen einzigen Wissenschaftler getroffen, 8850 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

Timon Gremmels (A) der diese Thesen unterstützt hat. Auch das muss an dieser Ich glaube, dass wir eher ein Umsetzungsproblem (C) Stelle einmal klar gesagt werden. denn ein Erkenntnisproblem haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Wir dürfen die einzelnen Forschungsprojekte aber nicht voneinander trennen. Wir müssen Klimaforschung und Energieforschung zusammensehen, und deswegen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hat die SPD im 7. Energieforschungsprogramm „Inno- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage? vationen für die Energiewende“ insgesamt 7 Milliarden Euro für den Zeitraum 2018 bis 2022 bereitgestellt, und Timon Gremmels (SPD): das ist auch gut so. Nein; wir wollen alle unseren Zug bekommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das sind fast 60 Prozent mehr als beim letzten Programm. Das zeigt auch, dass die SPD dafür sorgt, dass FONA und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die Energieforschungsprogramme besser miteinander Das ist kein Argument. verzahnt werden, um hier Synergien zu erzeugen. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Er muss nach Die Klimaforschung ist genauso wie die Energiefor- Hause!) schung bei uns in guten Händen, und jetzt wünsche ich Ihnen und uns allen eine schöne, klimaschonende Heim- Timon Gremmels (SPD): reise in die Wahlkreise. Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen, dass wir Danke schön. in Deutschland sehr gut aufgestellt sind. Insbesondere das IPK in Potsdam – im Wahlkreis meiner geschätzten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollegin Dr. Manja Schüle – leistet eine hervorragende der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Arbeit. DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich glaube, dass wir auf die Ergebnisse, die dort hervor- Herr Kollege Gremmels, herzlichen Dank für Ihre be- gebracht werden, stolz sein können. Die Bundesrepublik wegenden Worte. – Damit schließe ich die Aussprache. Deutschland – die Bundesregierung und der Bundestag (B) (D) hier mit seinen Haushaltsplänen – unterstützt die For- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf schung in Deutschland, finanziert sie mit und baut sie Drucksache 19/5816 an die in der Tagesordnung aufge- aus. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Meine sehr verehrten Damen und Herren von den so beschlossen. Grünen, wenn Sie sich anschauen, was wir damals, als es hier eine rot-grüne Koalition gegeben hat, in dem Be- Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. reich Klimaforschung auf den Weg gebracht haben, Ich bedanke mich bei Ihnen dafür, dass ich endlich (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ewig her! – Steffi mal eine Sitzung noch bei Tageslicht schließen kann. Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist lange her!) NEN]: Das kommt im Sommer öfter vor!) dann sehen Sie, dass wir es 2005 waren – damals hat- Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise, ein entspanntes ten wir mit Edelgard Bulmahn noch eine richtige For- Wochenende und ein Wiedersehen. schungsministerin –, die mit dem Programm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA)“ – angetreten Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- sind, um Klimaforschung zu finanzieren. 1,5 Milliarden tages auf Mittwoch, den 30. Januar 2019, 13 Uhr, ein. Euro sind in der aktuellen Legislaturperiode von 2015 bis Die Sitzung ist geschlossen. 2019 dafür vorgesehen. Insofern: Wir tun etwas für die Klimaforschung in Deutschland. (Schluss: 16.07 Uhr) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019 8851

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bas, Bärbel SPD Rupprecht, Albert CDU/CSU

Behrens (Börde), Manfred CDU/CSU Schiefner, Udo SPD

Bernstiel, Christoph CDU/CSU Schulz, Jimmy FDP Busen, Karlheinz FDP Seestern-Pauly, Matthias FDP De Ridder, Dr. Daniela SPD Storch, Beatrix von AfD Frohnmaier, Markus AfD Theurer, Michael FDP Gerster, Martin SPD Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE Gottberg, Wilhelm von AfD *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Held, Marcus SPD

Herdt, Waldemar AfD Anlage 2 Kemmerich, Thomas L. FDP Erklärungen nach § 31 GO (B) zu der Abstimmung über den von der Bundesre- (D) Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur DIE GRÜNEN Einstufung Georgiens, der Demokratischen Volks- republik Algerien, des Königreichs Marokko und Kolbe, Daniela* SPD der Tunesischen Republik als sichere Herkunfts- staaten Lämmel, Andreas G. CDU/CSU (Tagesordnungspunkt 18) Lay, Caren DIE LINKE Christian Petry (SPD): Durch den vorliegenden Lechte, Ulrich FDP Gesetzentwurf werden Georgien, Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten im Sinne von Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU Artikel 16a Absatz 3 GG sowie Artikel 37 der Richtli- nie 2013/32/EU bestimmt. Das Prinzip der Ausweitung Maas, Heiko SPD der Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsstaaten sehe ich grundsätzlich kritisch. Das deutsche Asylrecht Magnitz, Frank AfD beruht auf einem individuellen Anspruch auf eine asyl- rechtliche Einzelfallprüfung. Für mich ist es wichtig, zu Meister, Dr. Michael CDU/CSU betonen, dass dieses Grundrecht auch weiterhin gilt.

Mieruch, Mario fraktionslos Der Gesetzentwurf begründet die Ausweitung der si- cheren Herkunftsstaaten damit, dass die Anerkennungs- Mindrup, Klaus SPD quote von Asylanträgen in den genannten Ländern sehr niedrig sei. Und dennoch gibt es in Georgien, Algerien, Müller-Böhm, Roman FDP Marokko und Tunesien immer wieder Berichte darüber, dass Menschenrechtsaktivisten, Oppositionspolitiker und Nahles, Andrea SPD andere Personen, die sich kritisch zur Politik der jewei- ligen Regierung äußern, erheblich in ihrer Arbeit beein- Pronold, Florian SPD trächtigt werden. Besonders schwierig ist die Situation in den genannten Ländern für homosexuelle Menschen. In Remmers, Ingrid DIE LINKE allen drei Maghreb-Staaten wird Homosexualität straf- rechtlich verfolgt; in vielen Fällen findet dabei eine mit Reusch, Roman Johannes AfD den Menschenrechten nicht vereinbare Verfolgung von 8852 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) staatlicher Seite statt. Im eigentlichen Sinne widerspricht Regierungskoalition haben im Koalitionsvertrag für die (C) eine erhebliche Ausweitung der sicheren Herkunftslän- 19. Periode beschlossen, dass Algerien, Marokko und der dessen ursprünglichen Sinn. Tunesien sowie weitere Staaten mit einer regelmäßigen Anerkennungsquote unter 5 Prozent zum Zwecke der In diesem Zusammenhang begrüße ich es, dass sich Verfahrensbeschleunigung zu sicheren Herkunftsstaaten die SPD-Bundestagsfraktion in den parlamentarischen bestimmt werden. Verhandlungen zu dem Gesetz mit ihrem Vorschlag durchgesetzt hat, eine spezielle Rechtsberatung für vul- Tatsache ist, dass wir Asylverfahren weiter beschleu- nerable Gruppen beim BAMF zu implementieren. nigen müssen. Es ist in unser aller Interesse, dass mög- lichst schnell klar ist, wer tatsächlich eine Bleibeper- Der Gesetzentwurf ist Teil eines politischen Kompro- spektive hat. Das ist ein bedeutsamer Baustein für eine misses zwischen den regierungstragenden Parteien. Er erfolgreiche Integration. Der vorliegende Gesetzentwurf darf damit nicht als Solitär angesehen werden, der beste- soll dabei helfen, für alle Beteiligten schneller Klarheit hende Probleme im deutschen Asylrecht umgehend löst. zu schaffen und das Recht auf Asyl und die Erwerbs- Hierzu wird das vom Bundeskabinett bereits beschlos- migration klarer voneinander zu trennen. Vor diesem sene Einwanderungsgesetz den weitaus wichtigeren Teil Hintergrund werde ich dem vorliegenden Gesetzentwurf beitragen. Darüber hinaus erwarte ich von der Bundesre- trotz grundsätzlicher Bedenken zustimmen. gierung, dass sie ihre Bemühungen um ein funktionieren- des europäisches Asylsystem intensiviert. Das grundsätzliche Ziel des Gesetzentwurfes, schnel- Anlage 3 ler Rechtssicherheit herzustellen, unterstütze ich aus- drücklich. Damit sollen geflüchtete Menschen, die in Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung der Bundesrepublik bleiben werden, schneller integriert werden können. Das Gesamtkonzept der sicheren Her- Der Bundesrat hat in seiner 973. Sitzung am 14. De- kunftsstaaten sehe ich hingegen aus den von mir genann- zember 2018 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen ten Erwägungen kritisch. zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: Aus meiner Sicht sind Resettlement-Programme mit Starthilfen und bilaterale Rücknahmeverträge mit den – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushalts- betroffenen Staaten der bessere Weg. Wir müssen uns da- plans für das Haushaltsjahr 2019 (Haushaltsge- bei aber bewusst sein, dass dafür erhebliche finanzielle setz 2019) Mittel nötig sein werden. – Zehntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches (B) Da ich die Koalitionsvereinbarung insgesamt mittra- Sozialgesetzbuch - Schaffung neuer Teilhabechan- (D) ge, stimme ich dem vorliegenden Gesetzentwurf trotz cen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen grundsätzlicher Bedenken zu. und sozialen Arbeitsmarkt (Teilhabechancenge- setz – 10. SGB II-ÄndG) Johann Saathoff (SPD): Die Ausweitung der Ein- – Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizie- stufung von Ländern als sichere Herkunftsstaaten sehe rung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversi- ich grundsätzlich als problematisch an. Unser Asylrecht cherung (Qualifizierungschancengesetz) beruht auf dem individuellen Grundrecht auf Asyl, das Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung eine Einzelfallprüfung zwingend verlangt. Ich lege gro- gefasst: ßen Wert darauf, dass dieses Grundrecht in jedem Ein- zelfall erhalten bleibt und zu einer individuellen Prüfung Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die im Gesetz jedes einzelnen Schicksals führt, wenn Gründe für eine vorgesehene Ausweitung und Verbesserung der Qualifi- Verfolgung im Herkunftsland vorgetragen werden. Auch zierungsmöglichkeiten für Beschäftigte einen wichtigen wenn die Anerkennungsquote bei den hier genannten Schritt zur aktiven Gestaltung des Wandels in der Ar- Ländern niedrig ist, verdient jeder Einzelfall Beachtung. beitswelt darstellen. Mit ihnen werden die Fachkräfte- basis und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Arbeits- Statt einer Ausweitung des Systems der „sicheren marktes im digitalen Strukturwandel gestärkt. Herkunftsstaaten“ brauchen wir eine europäische Flücht- lingspolitik, die die Flüchtlinge auf die europäischen Gleichwohl betont der Bundesrat, dass weiterhin die Länder verteilt. Ich erkenne an, dass dies das Bemühen Notwendigkeit besteht, finanzielle und gesetzliche Hür- der Bundesregierung ist. Weiterhin brauchen wir – gera- den für die Erlangung einer beruflichen Qualifikation, de um das Asylrecht in seiner Bedeutung zu erhalten und insbesondere für Menschen in einer schwierigen Berufs- zu stärken – andere, legale Wege, wie Menschen zu uns und Lebenssituation, abzubauen und diesen dadurch nach Deutschland kommen können. Das Fachkräfteein- wieder Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu wanderungsgesetz ist da ein wichtiger erster Schritt. eröffnen. Ich betone ausdrücklich, dass die Bundesregierung Insbesondere für Langzeitarbeitslose und Langzeit- alle zwei Jahre einen Bericht vorlegen muss, ob für die leistungsbeziehende stellt die Teilnahme an einer mehr- Voraussetzungen zur Einstufung als sicherer Herkunfts- jährigen, abschlussbezogenen Weiterbildung hohe An- staat weiter vorliegen. Das ermöglicht auch, Staaten forderungen an Motivation und Durchhaltevermögen, wieder von dieser Liste zu nehmen. Diese Überprüfung zumal diese mit laufenden ungedeckten finanziellen halte ich für sinnvoll und wichtig. Die Fraktionen der Mehraufwänden verbunden ist, die von den Teilneh- Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019 8853

(A) menden aus dem Regelsatz getragen werden müssen. steuerverteilung zugunsten der Länder im Jahr 2019 vor- (C) Die Schaffung zusätzlicher materieller Anreize, wie bei- zusehen. spielsweise einer anrechnungsfreien, monatlichen Ent- schädigung für die Mehraufwände der Teilnehmenden an – Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens „Di- einer berufsabschlussorientierten Weiterbildung, würde gitale Infrastruktur“ (Digitalinfrastrukturfondsge- eine dringend benötigte Abhilfe bedeuten. setz – DIFG) – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2341 Ferner sind die bestehenden Anforderungen an eine des Europäischen Parlaments und des Rates vom Umschulung trotz ergänzender Unterstützungsleistungen 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten und die für viele Langzeitarbeitslose und Langzeitleistungsemp- Beaufsichtigung von Einrichtungen der betriebli- fänger immer noch sehr hoch. Insbesondere die geltende chen Altersversorgung (EbAV) (Neufassung) Verkürzung der Umschulungsdauer auf zwei Drittel der Ausbildungsdauer stellt ein Hemmnis für die Aufnah- – Fünftes Gesetz zur Änderung des Elften Buches So- me einer Umschulung dar. Der Bundesrat ist überzeugt, zialgesetzbuch – Beitragssatzanpassung dass es Regelungen bedarf, nach denen in begründeten – Gesetz zur Förderung der Freizügigkeit von Einzelfällen erwerbsfähige Leistungsberechtigte eine EU-Bürgerinnen und -Bürgern sowie zur Neure- betriebliche Umschulungsmaßnahme in der vollen Aus- gelung verschiedener Aspekte des Internationalen bildungszeit durchlaufen können, sofern dies aus in der Adoptionsrechts Person liegenden Gründen erforderlich ist. – Gesetz zum Internationalen Güterrecht und zur – Erstes Gesetz zur Änderung des Fleischgesetzes Änderung von Vorschriften des Internationalen – Gesetz zur Änderung des Rindfleischetikettie- Privatrechts rungsgesetzes und milchrechtlicher Bestimmun- – Gesetz zur Ergänzung der Regelungen über die gen sowie zur Aufhebung der Rindfleischetikettie- zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur An- rungs-Strafverordnung passung der Regelungen über die Modernisierung – Gesetz zur Neuordnung des Tierzuchtrechts der Mietsache (Mietrechtsanpassungsgesetz – ­MietAnpG) – Viertes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgeset- – Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einfüh- zes rung des Rechts auf Eheschließung für Personen – Gesetz zur Anpassung von Finanzmarktgesetzen gleichen Geschlechts an die Verordnung (EU) 2017/2402 und an die (B) – Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten (D) durch die Verordnung (EU) 2017/2401 geänderte auf Anwesenheit in der Verhandlung Verordnung (EU) Nr. 575/2013 – Gesetz zur Anpassung der Rechtsgrundlagen für – Gesetz zur fortgesetzten Beteiligung des Bundes an die Fortentwicklung des Europäischen Emissions- den Integrationskosten der Länder und Kommu- handels nen und zur Regelung der Folgen der Abfinanzie- rung des Fonds „Deutsche Einheit“ – Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energi- en-Gesetzes, des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung des Energiewirtschaftsgesetzes und weiterer ener- gefasst: gierechtlicher Vorschriften Der Bundesrat erinnert an die Zusage der Bundesre- Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gierung, dass die Verpflichtung der Länder, zur Abfinan- gefasst: zierung des Fonds „Deutsche Einheit“ beizutragen, mit 1. Der Bundesrat bedauert, dass mit dem vorliegen- dessen vollständiger Tilgung entfällt. Auf der Grundlage den Energiesammelgesetz einmal mehr eine Chance der im Bundeshaushaltsplan für das Jahr 2018 veran- verpasst wurde, energiepolitische Perspektiven auf- schlagten Zinsausgaben ist dieser Zeitpunkt wahrschein- zuzeigen, die über aktuell notwendige Anpassungen lich bereits am 8. Dezember 2018 eingetreten. Bei der hinausreichen. Umsetzung der Zusage des Bundes geht der Bundesrat daher davon aus, dass auch der für das Jahr 2018 den 2. Er verweist auf seine umfangreiche Stellungnahme Ländern anteilig zustehende Betrag in Höhe von voraus- zu BR-Drucksache 563/18 vom 23. November 2018 sichtlich 140 Millionen Euro den Ländern zur Verfügung und stellt fest, dass ein weiteres Aufschieben wich- gestellt wird. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung tiger energiepolitischer Weichenstellungen den öko- deshalb auf, entsprechend der Vorgehensweise bei der nomischen wie ökologischen Herausforderungen in nachträglichen Spitzabrechnung der Bundesbeteiligung keiner Weise gerecht wird, vor denen Deutschland

an den Integrationskosten der Länder und Kommu- angesichts seines unvermindert hohen CO2-Aussto- nen auch bezüglich der Folgen der Abfinanzierung des ßes steht. Mit dem in der Stellungnahme geforderten Fonds „Deutsche Einheit“ nach Kenntnis des genauen verlässlichen Pfad zur Erreichung der Energie- und Volltilgungszeitpunktes eine nachträgliche, taggenaue Klimaschutzziele würde Unternehmen Planungssi- Abrechnung der Kompensationsleistungen der Länder cherheit gegeben und die Akzeptanz für die Ener- für das Jahr 2018 und eine entsprechende nachträgliche giewende gestärkt anstatt Bürgerinnen und Bürger lastengerechte Zuordnung durch Änderung der Umsatz- sowie Unternehmen weiter zu verunsichern. 8854 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) 3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, bei 13. Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass das (C) künftigen energiepolitischen Vorhaben die Länder­ Angebot von Mieterstrom und die Einspeisung von expertise bei der Umsetzung der Energiepolitik an- Überschussstrom zu einer Gewerbesteuerpflicht für gemessen zu berücksichtigen, zeitnah tragfähige Vermieterinnen und Vermieter führen, und die dafür Lösungen und ein im Hinblick auf die 2030er-Ziele notwendigen Änderungen der rechtlichen Rahmen- schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln. bedingungen zu schaffen; 4. Der Bundesrat begrüßt das Bestreben der Bundesre- 14. durch Aufnahme von Bagatellgrenzen und Er- gierung, die bedarfsgesteuerte Nachtkennzeichnung leichterungen bei messtechnischen Anforderungen technologieoffen zu gestalten und dabei die hohen kurzfristige Anpassungen der energierechtlichen Standards für die Sicherheit des Luftverkehrs im Regelungen vorzunehmen und damit bürokratische Verfahren zur Änderung der Allgemeinen Verwal- Hemmnisse insbesondere bei Mieterstrommodellen tungsvorschrift zur Kennzeichnung von Luftfahrt- zu beseitigen. hindernissen (AVV) zu bewahren. – Gesetz zur ergänzenden Regelung der statistischen 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Län- Verwendung von Verwaltungsdaten und zur Rege- der frühzeitig in die Klärung der offenen technischen lung der Übermittlung von Einzelangaben zu mul- Fragen einzubeziehen, und fordert dazu die Bundes- tinationalen Unternehmensgruppen an statistische regierung auf, zu prüfen, inwieweit die Aktivierung Stellen der bedarfsgesteuerten Nachtkennzeichnung von – Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Windenergieanlagen durch den Transponder des Teilhabe in der Kindertagesbetreuung Luftfahrzeugs allen betroffenen Luftraumnutzern möglich ist. Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung gefasst: Der Bundesrat stellt fest, Der Bundesrat hält die bundesweite Unterstützung der 6. dass die Mieterstromförderung bisher nur unzurei- Länder und Kommunen beim Ausbau des Angebots und chend zu einem Ausbau der Photovoltaik beigetra- bei der Steigerung der Qualität von Kinderbetreuungs- gen hat, da hohe bürokratische und messtechnische einrichtungen und dem Angebot an Kindertagespflege Anforderungen sowie steuerrechtliche Fragen we- sowie zusätzlich bei der Entlastung von Eltern bei den sentliche Hemmnisse darstellen; Gebühren für ein wichtiges Anliegen, bei dem nicht alle 7. dass das Heben von Potenzialen beim Ausbau von Länder aus eigener Kraft alle notwendigen Ziele errei- chen können. Der Bundesrat begrüßt die Bereitschaft des (B) Photovoltaik-Gebäudeanlagen und ein stärkerer (D) Ausbau von Mieterstromprojekten für die Zielerrei- Bundes, Mittel zur Verfügung zu stellen und dabei die chung von einem Anteil von 65 Prozent erneuerbare unterschiedlichen Ausgangslagen flexibel zu berücksich- Energien am Stromverbrauch bis 2030 erforderlich tigen. ist, da so ein Ausbau flächenschonend, anwohner- Allerdings bleibt das Gesetz hinter den Erwartungen freundlich und netzdienlich erfolgen kann; an eine dauerhafte finanzielle Sicherheit der Beteiligung des Bundes an diesen Kosten zurück. Für nachhaltige 8. dass es Anpassungen der bundesrechtlichen Vorga- Verbesserungen in den verschiedenen Handlungsfeldern ben bedarf, um Mieterstromprojekte weiter zu stär- ist eine langfristige finanzielle Unterstützung des Bun- ken und zügig in die Umsetzung zu bringen. des erforderlich. Die aktuell vorgesehene befristete Un- Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, ein wei- terstützung bis zum Jahr 2022 wird diesem Erfordernis teres Gesetzgebungsverfahren im Jahr 2019 anzustoßen nicht gerecht. Insofern bemängelt der Bundesrat, dass und darin das Gesetz eine Verstetigung zwar nicht ausschließt; aber auch nicht ausdrücklich vorsieht. Die Qualitäts- 9. den Rechtsrahmen dahingehend zu ändern, dass entwicklung von und Teilhabe an Kindertagesbetreuung auch Mieterstromanlagen mit einer installierten in dem Gesetz ist – auch angesichts der Regelungen im Leistung von bis zu 250 Kilowatt die Einspeisever- SGB VIII – als Daueraufgabe angelegt. gütung erhalten können, sofern der überwiegende Anteil des jährlich erzeugten Stroms innerhalb des Um die zügige Umsetzung des Gesetzes zur Verbes- Mieterstromobjekts­ verbraucht wird; serung der Situation in den Kindertageseinrichtungen im Interesse der betroffenen Eltern und Kinder zu ermög- 10. den Rechtsrahmen dahingehend zu ändern, dass der lichen, hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuss Mieterstromzuschlag auch Anlagen mit einer instal- nicht angerufen. Gleichzeitig fordert der Bundesrat die lierten Leistung von bis zu 250 Kilowatt gewährt Bundesregierung auf, die Bundesbeteiligung spätestens wird; im Zusammenhang mit der Evaluation im Jahr 2020 zu verstetigen, um die dauerhafte Erreichung der mit dem 11. den Rechtsrahmen dahingehend zu ändern, dass Gesetz verfolgten Ziele nicht zu gefährden. auch Mieterstromanlagen der Mieterstromzuschlag gewährt wird, die nicht auf Wohngebäuden, sondern – Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister auf Gebäuden jeder Art errichtet sind; einzutragenden Angaben 12. den Förderdeckel für die Mieterstromförderung bei – Viertes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsge- Erreichen von 500 MW pro Jahr zu streichen; setzes Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019 8855

(A) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitge- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (C) teilt, dass sie den Antrag Stromstau auflösen anstatt er- Drucksache 19/2623 Nr. A.8 neuerbare Energien zu bremsen auf Drucksache 19/2109 Ratsdokument 7732/18 zurückzieht. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Finanzausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Drucksache 19/5999 Nr. A.3 einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen Ratsdokument 13433/18 absehen: Finanzausschuss Haushaltsausschuss Drucksache 19/4344 Nr. A.28 – Unterrichtung durch die Bundesregierung ERH 18/2018 Drucksache 19/4656 Nr. A.2 Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Ratsdokument 10873/18 Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für Drucksache 19/4656 Nr. A.3 das Jahr 2020 (12. Existenzminimumbericht) Ratsdokument 11796/18 Drucksache 19/5665 Nr. A.2 Drucksachen 19/5400, 19/5993 Nr. 1 Ratsdokument 12861/18 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Wirtschaft und Energie Bericht über die Wirkung der kalten Progression im Verlauf des Einkommensteuertarifs für die Jahre 2018 Drucksache 19/910 Nr. A.67 und 2019 Ratsdokument 12202/17 Drucksache 19/910 Nr. A.70 (Dritter Steuerprogressionsbericht) Ratsdokument 12941/17 Drucksachen 19/5450, 19/5993 Nr. 2 Drucksache 19/910 Nr. A.71 Ratsdokument 12977/17 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/910 Nr. A.73 Ratsdokument 13286/17 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/910 Nr. A.81 Ratsdokument 15950/17 Bundesbericht Energieforschung 2018 Drucksache 19/910 Nr. A.82 Ratsdokument 15965/17 Forschungsförderung für die Energiewende Drucksache 19/1252 Nr. C.35 (B) Ratsdokument 8765/17 (D) Drucksachen 19/3375, 19/4325 Nr. 1.6 Drucksache 19/5665 Nr. A.3 EP P8_TA-PROV(2018)0378 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/6537 Nr. A.4 Siebtes Energieforschungsprogramm der Bundes- EP P8_TA-PROV(2018)0451 regierung – Innovationen für die Energiewende Drucksachen 19/4518, 19/4944 Nr. 3 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 19/2623 Nr. A.21 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben EP P8_TA-PROV(2018)0197 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Drucksache 19/3112 Nr. A.27 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer EP P8_TA-PROV(2018)0211 Beratung abgesehen hat. Drucksache 19/3112 Nr. A.28 EP P8_TA-PROV(2018)0221 Drucksache 19/3112 Nr. A.29 EP P8_TA-PROV(2018)0222 Ausschuss für Inneres und Heimat Drucksache 19/3112 Nr. A.30 Drucksache 19/2623 Nr. A.4 Ratsdokument 9556/18 Ratsdokument 8160/18 Drucksache 19/3112 Nr. A.31 Ratsdokument 9627/18 Drucksache 19/2623 Nr. A.5 Drucksache 19/3318 Nr. A.7 Ratsdokument 8175/18 Ratsdokument 9317/18 Drucksache 19/2623 Nr. A.6 Drucksache 19/5665 Nr. A.7 Ratsdokument 8342/18 Ratsdokument 13228/18 Drucksache 19/2623 Nr. A.7 Drucksache 19/5999 Nr. A.10 Ratsdokument 8411/18 EP P8_TA-PROV(2018)0416 Drucksache 19/4344 Nr. A.14 Drucksache 19/5999 Nr. A.11 EP P8_TA-PROV(2018)0417 Ratsdokument 10206/18 Drucksache 19/4344 Nr. A.16 Ratsdokument 11271/18 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/4978 Nr. A.7 Drucksache 19/1780 Nr. A.24 Ratsdokument 12143/18 Ratsdokument 7411/18 Drucksache 19/4978 Nr. A.8 Drucksache 19/2233 Nr. A.24 Ratsdokument 12146/18 Ratsdokument 7295/18 8856 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019

(A) Verteidigungsausschuss Drucksache 19/5999 Nr. A.15 (C) Drucksache 19/4978 Nr. A.15 Ratsdokument 13596/18 EP P8_TA-PROV(2018)0341 Drucksache 19/5999 Nr. A.16 Drucksache 19/5665 Nr. A.8 Ratsdokument 13696/18 EuB-BReg 71/2018 Drucksache 19/6537 Nr. A.6 Drucksache 19/5999 Nr. A.12 Ratsdokument 13808/18 EuB-BReg 81/2018 Drucksache 19/5999 Nr. A.13 EuB-BReg 82/2018 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Drucksache 19/5665 Nr. A.9 Sicherheit EP P8_TA-PROV(2018)0375 Drucksache 19/5999 Nr. A.14 Drucksache 19/5665 Nr. A.11 EP P8_TA-PROV(2018)0430 EP P8_TA-PROV(2018)0377

(B) (D) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 75 Sitzung Berlin, Freitag, den 18 Januar 2019 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333