18.05.2017

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 18.05.2017

Geschäftszahl L521 2131837-1

Spruch L521 2131837-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2016, Zl. 1088904301-151437035, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 13.03.2017 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 23.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien am 27.09.2015 gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei XXXX in XXXX geboren und habe dort auch vor der Ausreise im Bezirk XXXX gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, sei verheiratet und habe drei Kinder . Er habe in Bagdad die Grundschule und anschließend die Mittelschule im Gesamtausmaß von neun Jahren besucht und zuletzt als Polizist gearbeitet.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak zu Beginn des Monats September 2015 legal von XXXX ausgehend im Luftweg in die Türkei verlassen zu haben. In weiterer Folge sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und in weiterer Folge mit der verschiedenen Verkehrsmitteln nach Österreich verbracht worden.

Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er habe in XXXX als Leibwächter des Direktors des Kriminaldienstes gearbeitet. Auf diesen sei ein Anschlag verübt worden. Der danach ernannte neue Direktor habe ihn an einen Ort versetzt, an dem terroristische Organisationen operieren würden. Von solchen Personen sei er bedroht worden, diese würden seinen Nehmen kennen.

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2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 30.05.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben und die arabische Sprache zu verstehen.

Zur Person befragt gab der Beschwerdeführer an, Moslem der schiitischen Glaubensrichtung zu sein. Seine Eltern wären bereits verstorben, er habe darüber hinaus sechs Brüder und fünf Schwestern. Ein Bruder sei im Jahr 2014 verstorben. Weitere Geschwister würden im Irak in XXXX und in XXXX sowie in Bagdad leben, andere im Ausland, etwa dem Iran, in Saudi Arabien oder in Dänemark. Seine Ehefrau und seine drei Kinder würden sich derzeit in der Umgebung von XXXX im Irak aufhalten. Der Kontakt sei unregelmäßig, da die Internetverbindung sehr schlecht sei.

In beruflicher Hinsicht habe er nach dem Schulbesuch seinen Militärdienst absolviert und anschließend in Jordanien gearbeitet. Nach der Rückkehr in den Irak im Jahr 2005 sei er als Polizist eingestellt worden und habe diesen Beruf bis zur Ausreise ausgeübt. Den Irak habe er am 01.09.2015 legal mit dem Flugzeug verlassen.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates gab der Beschwerdeführer zunächst nur an, er sei im Irak bedroht worden, da er Polizist gewesen sei.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, er sei nicht nur bedroht worden, ihm sei auch die Ermordung angekündigt worden. Erst infolge zahlreicher weiterer Nachfragen legte der Beschwerdeführer zusammengefasst dar, er habe als Leibwächter gearbeitet. Sein Vorgesetzter habe a, 02.04.2014 einen Anschlag überlebt, sei dabei aber angeschossen worden. Sein Nachfolger habe den Milizen angehört und ihn in die Nähe von ar-Ram?d? versetzt. Von welcher Miliz die Bedrohung gegen ihn ausgehen würde, wisse er nicht. Letztlich habe er im August 2015 einen Drohbrief vor seiner Haustüre gefunden. Er habe Anzeige erstattet, ihm sei indes mitgeteilt worden, dass er sich selbst um seine Probleme kümmern müsse. Sein Sohn habe auch Schwierigkeiten gehabt, ein unbekannter Motorradfahrer habe in mitnehmen wollen.

Im Gefolge seiner Einvernahme brachte der Beschwerdeführer zahlreiche Urkunden in arabischer Sprache in Vorlage, welche vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keiner Übersetzung zugeführt wurden.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) sowie unter Anwendung des § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 23.06.2017 erteilt (Spruchpunkt III).

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es könne nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer wegen seine Berufstätigkeit im Irak asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten hätte. Es werde jedoch festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung ferner Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 16-75 des angefochtenen Bescheides).

Beweiswürdigend erwog die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe ein höchst vages und unkonkretes Vorbringen dargelegt und dabei zunächst nur behauptet, wegen der Tätigkeit als Polizist bedroht worden zu sein. Befragt nach weiteren Fluchtgründen habe er bloß die anfänglich abstrakt aufgestellten Behauptungen rund um Bedrohungen wiederholt und keinerlei näheren Angaben erstattet. Hinsichtlich seines Tätigkeitsgebiets bei der Polizei habe der Beschwerdeführer widersprüchliche Angaben getätigt und insgesamt nachvollziehbare Bedrohung gegen Ihre Person nicht darlegen können. Jedoch ergebe sich eine Rückkehrgefährdung sich aus der in den Feststellungen genannten momentanen Lage im Irak.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dessen ungeachtet gehe www.ris.bka.gv.at Seite 2 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 die Behörde davon aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 23.06.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

5. Gegen Spruchpunkt I des dem Beschwerdeführer ausweislich des Rückscheines am 27.06.2016 durch Hinterlegung zugestellten Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der beigegebenen Rechtsberatung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchzuführen und den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuerkennen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach neuerlicher Erzählung des ausreisekausalen Sachverhaltes vor, die belangte Behörde habe verkannt, dass die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nur glaubhaft gemacht werden müsse und den angefochtenen Bescheid deshalb mit Rechtswidrigkeit belastet. Der Beschwerdeführer habe seine Asylgründe wahrheitsgemäß und umfassend dargelegt.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 05.08.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

7. Seitens des Bundesverwaltungsgerichts wurde zunächst die von der belangten Behörde rechtswidrig unterlassene Übersetzung der vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Bescheinigungsmittel veranlasst.

8. Am 13.03.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Seitens des Beschwerdeführers wurden ebenfalls länderkundliche Berichte sowie Ausdrucke medialer Berichterstattung im Internet über das Attentat auf seinen ehemaligen Vorgesetzten in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der schiitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte zuletzt im Stadtteil XXXX in einem Haus seiner Familie. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Töchter und einen Sohn.

Der Beschwerdeführer besuchte im Irak zwölf Jahre die Schule, ohne die Matura abzulegen. Nach dem Abgab von der Schule verrichtete der Beschwerdeführer den Militärdienst von 1996 bis 1999. Anschließend verrichtete er Gelegenheitsarbeiten, unter anderem in der Gastronomie, bis er im Jahr 2002 nach Jordanien übersiedelt und dort als Steinmetz tätig war. Im September 2005 kehrte der Beschwerdeführer in den Irak zurück und wurde als Wachmann und Personenschützer in die Polizei aufgenommen. Nähere Feststellungen zum Tätigkeitsbereich des Beschwerdeführers können nicht getroffen werden.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben. Ein Bruder des Beschwerdeführers kam im Jahr 2014 bei einem Anschlag unbekannter Täter ums Leben. Zwei weitere Brüder leben in XXXX , einer in XXXX , einer in Bagdad und einer im Iran. Von den fünf Schwestern des Beschwerdeführers leben zwei in XXXX , eine in Bagdad, eine weitere in Saudi Arabien und schließlich eine in XXXX . Die Brüder des Beschwerdeführers sind als Hilfsarbeiter tätig, sein Bruder XXXX , der in Bagdad lebt, als Polizist. Die Schwestern sind nicht erwerbstätig. www.ris.bka.gv.at Seite 3 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Die Ehefrau des Beschwerdeführers hält sich mit den gemeinsamen Kindern in der Näher der Stadt XXXX auf.

Am 01.09.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal von XXXX ausgehend in die Türkei. Anschließend gelangte der Beschwerdeführer schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 23.09.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Der Beschwerdeführer lebt derzeit in der Bundeshauptstadt Wien und bezieht dort Mindestsicherung. Er ist gesund und nicht in ärztlicher Behandlung.

1.3. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise Drohungen schiitischer Milizen ausgesetzt war oder Drohbriefe erhielt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise einer sonstigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Es kann schließlich nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer den Polizeidienst unbefugt verlassen hat, dass wieder den Beschwerdeführer im Irak ein Haftbefehl besteht oder er sonst behördlich gesucht würde, ebenso kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus seinem Stamm ausgeschlossen wurde.

1.4. Der Beschwerdeführer verfügt über irakische Ausweisdokumente (Staatsbürgerschaftsnachweis und Personalausweis) im Original.

1.5. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die letzten nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, gewann der ehemalige Premierminister Nouri al- Maliki. Da es auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen Maliki gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Es wird ihm unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitisch-feindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen wie dem IS beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015). Maliki‘s Nachfolger ist der ebenfalls schiitische Parteikollege Haidar al-Abadi (beide gehören der schiitischen Dawa- Partei an), der eine Mehrparteienkoalition anführt, und der mit dem Versprechen angetreten ist, das ethno- religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015). Allerdings gelang es Abadi bislang nicht, politische Verbündete für seine Reformpläne (insbesondere die Abschaffung des konfessionell-ethnischen Proporzes) zu finden. Er hat mit dem besonders Iran-freundlichen Ex-Premier Maliki (nunmehr Vorsitzender der Dawa-Partei) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen, von denen viele vom Iran aus gesteuert werden (s. Abschnitt 3.1.). Diese Milizen - eher lose an die irakische Armee angeschlossen - sind für Abadi einerseits unverzichtbar im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.1.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz von der sunnitischen Bevölkerung aber als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Die Sunniten fürchten das skrupellose Vorgehen dieser Milizen - einige betrachten den IS sogar als das geringere Übel und dulden die Extremisten daher in ihren Gebieten (ÖB Amman 5.2015). In der Tat unterscheiden sich einige der mit der Zentralregierung in Bagdad verbündeten schiitischen Milizen hinsichtlich ihres reaktionären Gesellschaftsbildes und ihrer Brutalität gegenüber Andersgläubigen kaum vom IS (Rohde 9.11.2015). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung), die auch mit der Badr-Miliz zusammengearbeitet hat, hat vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitische Bevölkerung die Augen verschlossen, und hat damit den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten angetrieben (Reuters 14.12.2015). Die aufgestaute Wut der Sunniten - auch darüber, dass sie niemanden mehr in der Regierung haben, der mit machvoller Stimme für sie sprechen könnte, trägt in Kombination mit dem Vorgehen der schiitischen Milizen dazu bei, dass sich viele Sunniten radikalisieren oder sich einfach aus Mangel an Alternativen unter die Kontrolle des IS begeben (Qantara 17.8.2015). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit www.ris.bka.gv.at Seite 4 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Dazu kommt der von Mukhtada al Sadr in Bagdad geführte Aufstand gegen den Reformstillstand, ein Spiegel früherer innerschiitischer Auseinandersetzungen gegen die Al Badr Gruppe. Das Parlament befindet sich in einem Zustand des Stillstands, Reformprojekte werden seit Monaten hintangestellt, die zentralen Minister für Verteidigung, des Inneren und der Finanzen wurden abgesetzt. Allerdings wurde am 25.8.2016 ein Gesetz verabschiedet, durch das die Möglichkeit einer Amnestie für Verurteilungen seit 2003 geschaffen wird. Ausgenommen sind bestimmte Verbrechen, darunter Terrorakte mit Todesfolge. Gleichzeitig spielen destabilisierende Faktoren eine gewichtige Rolle: Das ungelöste Verhältnis der Kurden zur Zentralregierung, die unsicheren Aussichten der sunnitischen Bevölkerung im Irak, die eingefrorene Wiederversöhnung, eine sehr belastete Menschenrechtslage sowie die Spannungen innerhalb der schiitischen, kurdischen und sunnitischen Bevölkerungsteile, gekoppelt mit der fiskalischen Krise bzw. den finanziellen Auswirkungen der niedrigen Erdöl-Einnahmen, belasten das Land schwer (ÖB Amman 12.2016).

Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).

Zwölf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 ist der Irak ein Staat ohne Gewaltmonopol, ohne Kontrolle über große Teile seines Territoriums oder seiner Grenzen, dessen Souveränität zunehmend vom Iran ausgehöhlt wird (Standard 4.12.2015). Nach 2003 ist der Irak (gemeinsam mit Syrien) zum Spiel- und Schlachtfeld konkurrierender regionaler und globaler Interessen zwischen Iran, Saudi-Arabien, der Türkei, den USA und neuerdings auch Russland geworden (Rohde 9.11.2015), wobei sich das Kräfteverhältnis der beiden wichtigsten Verbündeten der irakischen Regierung - die USA auf der einen Seite und der Iran auf der anderen - zunehmend zu Gunsten des Iran verschiebt. Der eher schwache Premierminister Abadi versucht es beiden Verbündeten recht zu machen: Damit die USA ihn aus der Luft unterstützen, muss er versuchen, die iranisch- assoziierten schiitischen Milizen vom Schlachtfeld fernzuhalten (Standard 4.12.2015).

Das politische Geschehen ist weiterhin von dem Kampf gegen den Islamischen Staat geprägt. In der zweiten Jahreshälfte 2014 wurde die Rückeroberung der IS-Gebiete durch die Zentralregierung in Angriff genommen. Die irakischen Regierungstruppen, verstärkt durch primär schiitische Milizen der Volksbefreiungskräfte (PMU) wurden bei den Kämpfen gegen den ISIS von kurdischen Peshmergas und der Internationalen Koalition unterstützt. Seither haben die irakischen Sicherheitskräfte ca. 60% der IS-Gebiete wieder befreit, darunter die Städte Tikrit, Ramadi, Hit, , Rutba und die Gegend Sinjar in der Provinz Ninive. Mit dem Zurückdrängen des Islamischen Staates geht im Sinne einer asymmetrischen Kampfführung eine verstärkte terroristische Aktivität, etwa in Bagdad, einher. Die politische Planung über die Kontrolle der Gebiete und eine Wiederversöhnung für den "Tag danach" ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Es gibt glaubwürdige Berichte über schwere Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen der irakischen Armee und ihrer Verbündeten, v.a. der PMU. Ihnen wird vorgeworfen, Massenerschießungen und Tötungen von Gefangenen und Festgenommenen ohne Gerichtsverfahren durchgeführt zu haben. PMU wurden der irakischen Armee gleichgestellt (ÖB Amman 12.2016).

Unter großem öffentlichem Druck und nach Demonstrationen tausender Menschen vor dem schwer bewachten Regierungsviertel in Bagdad hat Abadi Ende März 2016 angekündigt, sein altes Kabinett durch eine Regierung unabhängiger Technokraten zu ersetzen. Bisher waren alle Minister mit politischen Gruppen verbunden. Die neuen sollen nun laut Abadi auf Basis von Professionalität, Effizienz und Integrität ausgewählt werden (Spiegel 31.3.2016). Jedoch scheint das neue Kabinett zu zerbröckeln, bevor es überhaupt zur Abstimmung kommt. Die meisten Parteien stemmen sich gegen den drohenden Machtverlust (SK 8.4.2016).

Ende April 2016 stürmten zehntausende Demonstranten, überwiegend Anhänger des schiitischen Predigers Muktada al-Sadr, das Parlamentsgebäude in der Grünen Zone. Seine empörten Anhänger rissen danach, unbehelligt von den Sicherheitskräften, mehrere der gewaltigen Betonabsperrungen der Grünen Zone nieder. Abgeordnete verbarrikadierten sich im Kellergeschoss oder flohen in Panik. Einige wurden von der Menge verprügelt oder ihre Autos zerstört. Premierminister Haider rief den Notstand aus und forderte, die Protestierer zu bestrafen (Die Zeit, 1.5.2016). Um den 20.05.2016 drangen Protestierende, darunter Anhänger des schiitischen Predigers Moqtada al-Sadr, unter anderem ins Parlamentsgebäude und das Büro des Regierungschefs ein. Augenzeugen zufolge schossen Sicherheitskräfte auf die Demonstranten und setzten Tränengas ein. Dabei wurden vier Menschen getötet und 90 Personen verletzt (Standard 20.05.2016, 22.05.2016). Am 13.02.2017 kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Anhängern des schiitischen Predigers Moqtada al-Sadr und Sicherheitskräften in Bagdad, bei denen sieben Menschen getötet wurden. Als Reaktion schlugen mehrere aus nördlichen Stadtteilen abgefeuerte Katjuscha-Raketen im Inneren der stark gesicherten Grünen Zone ein (Standard 11.02.2017).

Die derzeitigen Anti-IS-Operationen sind zwar insofern erfolgreich, als sie den IS schwächen, gleichzeitig verschärfen sie aber die politische Instabilität. Die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen haben gemeinsam mit der Partei des Ex-Premiers Nouri al-Maliki dem amtierenden Premier Abadi gedroht, ein Misstrauensvotum www.ris.bka.gv.at Seite 5 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 gegen ihn auszusprechen. Abadi steht in Gefahr sein Amt zu verlieren, und muss Zugeständnisse gegenüber den Milizen machen. Abadi war es beispielsweise auch nicht möglich, die Milizen davon abzuhalten, ihre Operationen in Tal Afar wieder aufzunehmen (ISW 7.2.2017).

Zusätzlich dazu hat das irakische Parlament im November 2016 die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces/Hashd al-Shaabi) – jene Milizen, die wie die irakischen Sicherheitskräfte gegen den IS kämpfen – rechtlich der Armee gleichgestellt. [ ] Die meisten dieser Milizen sind schiitisch, etliche davon sind vom Iran abhängig, sind radikal und werden der Verbrechen an Sunniten beschuldigt. [ ] Diese rechtliche Gleichstellung ist ganz nach dem Geschmack von Expremier Nuri al-Maliki, der zurück an die Macht will und dessen neue politische Hausmacht die Milizen sind (Standard 28.11.2016).

Maliki gelingt es auch zunehmend mit Misstrauensanträgen gegenüber Abadis Ministern die Regierung zerbröckeln zu lassen. Der Verteidigungsminister und der Finanzminister wurden im Jahr 2016 bereits entlassen (Standard 23.9.2016). Über die Sommermonate 2016 wurden mit derartigen Methoden bereits fünf Minister erfolgreich abgesetzt (AA 7.2.2017).

Auch für die Region Kurdistan im Irak ist die Frage, ob Maliki zurück an die Macht kommt, von großer Bedeutung. Massoud Barzani, der Präsident der Kurdischen Regionalregierung [Amtszeit bereits abgelaufen - er befindet sich aber nach wie vor Amt], hat immer wieder mit Ankündigungen, die Unabhängigkeit Kurdistans erklären zu wollen, aufhorchen lassen. Falls Maliki zurückkehren würde, würde er dies in die Tat umsetzen, so Barzani (Ekurd Daily 23.1.2017).

Insbesondere auch im Süden des Irak regt sich verstärkter Widerstand gegen Malikis Vorhaben, an die Spitze der Macht zurückkehren zu wollen. Die Anhänger der Sadr-Bewegung wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein inner-schiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki- Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.12.2017). Am 11. Februar kam es in Bagdad allerdings zu schiitisch-schiitischen Zusammenstößen. Sicherheitskräfte der schiitisch dominierten Regierung schossen auf schiitische Demonstranten der regierungskritischen Sadr-Bewegung. Dabei wurden mindestens 6 Personen getötet, weitere hunderte wurden verletzt, außerdem wurden dabei Raketen in die "Green Zone" (ehemalige internationale Zone, in der sich viele Regierungs- und Botschaftsgebäude befinden) geschossen. Gerichtet war die Demonstration v.a. gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik. Die Sadr-Bewegung richtet sich zwar v.a. auch gegen eine Rückkehr Malikis, gerade diesem könnte jedoch der Aktivismus Sadrs nutzen, da er den amtierenden Premier Abadi zusätzlich schwächt (MEE 12.2.2017, vgl. Standard 13.2.2017).

Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage der Republik Irak

- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2015): Irak – Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 17.12.2015

- Österreichische Botschaft Amman (5.2015): Asylländerbericht Irak

- ÖB - Österreichische Botschaft Amman (12.2016): Asylländerbericht Irak

- Qantara (17.8.2015): Der Irak ist irreversibel gespalten, https://de.qantara.de/inhalt/der-aufstieg-des-is- und-der-zerfall-des-irak-der-irak-ist-irreversibel-gespalten, Zugriff 14.1.2016

- Rohde, Achim (9.11.2015): Konfliktporträt: Irak, veröffentlicht von BPB http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html, Zugriff14.1.2016

- Der Standard (4.12.2015): Der Irak wird zum Spielfeld für ein neues Match, http://derstandard.at/2000026971833/Der-Irak-wird-zum-Spielfeld-fuer-ein-neues-Match, Zugriff 14.1.2016 www.ris.bka.gv.at Seite 6 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

- Der Standard (5.11.2015): Iraks Premier Abadi fährt seinen Reformkarren an die Wand, http://derstandard.at/2000025096956/Iraks-Premier-Abadi-faehrt-seinen-Reformkarren-an-die-Wand , Zugriff 14.1.2016

- Der Standard (20.05.2016): Bagdad: Demonstranten stürmen Büro des Premierministers, http://derstandard.at/2000037366525/Demonstranten-stuermen-Gruene-Zone-in-Bagdad, Zugriff 06.06.2016

- Der Standard (22.05.2016): Mindestens vier Tote bei Sturm auf Bagdads "Grüne Zone", http://derstandard.at/2000037400412/Mindestens-vier-Tote-bei-Protesten-in-Bagdad, Zugriff 06.06.2016

- Der Standard (11.02.2016): Raketenangriffe auf Regierungsviertel in Bagdad nach Protesten, http://derstandard.at/2000052486921/Sieben-Tote-und-mehr-als-200-Verletzte-bei-Protesten-in, Zugriff 14.02.2016

- Al Arabiya (15.7.2014): parliament elects Salim Jabouri as speaker, http://english.alarabiya.net/en/News/middle-east/2014/07/15/Iraq-parliament-elects-Salim-al-Juburi-as-speaker- TV.html, Zugriff am 9.5.2016

- Reuters (14.12.2015): Torture by Iraqi militias: the report Washington did not want you to see, http://www.reuters.com/investigates/special-report/mideast-crisis-iraq-militias/, Zugriff 9.3.2016

- Der Spiegel (31.3.2016): Proteste im Irak: Regierungschef nominiert Technokraten-Kabinett, http://www.spiegel.de/politik/ausland/irak-regierungschef-haider-al-abadi-nominiert-technokraten- kabinett-a-1084907.html, Zugriff 6.4.2016

- ORF (30.01.2017): Irakisches Parlament bestätigt zwei neue Minister, http://orf.at/stories/2377416/, Zugriff am 14.02.2017

- Standard Kompakt (8.4.2016): Irak: Reformkabinett stolpert vor dem Start

- Die Zeit (1.5.2016): Die Regierung zerfällt, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-05/irak-bagdad- demonstration-parlament-gestuermt, Zugriff am 6.5.2016

2. Sicherheitslage

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 10. 5.2016).

Seit der US-Invasion in den Irak im Jahr 2003 ist ein starker Anstieg der Todeszahlen zu beobachten, der sich insbesondere ab dem Jahr 2012 noch einmal verstärkt. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Todeszahlen im Irak (in Dunkelrot) bis zum Jahr 2014.

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(VOH 17.11.2015)

Im Jahr 2014 war der Konflikt im Irak der zweit-tödlichste (nach Syrien) weltweit. Es wurden laut der österreichischen Botschaft in Amman 21.073 Todesopfer verzeichnet. Damit haben sich die Opferzahlen im Irak verglichen zu 2013 (9.742 Todesopfer) mehr als verdoppelt. Auch die Anschlagskriminalität im Irak erreichte, vor allem durch die Taten des IS, 2014 einen Höhepunkt. Die Anzahl der IrakerInnen, die 2014 Opfer von Anschlägen wurden, erreichte ein Ausmaß wie zuvor nur in den berüchtigten Bürgerkriegsjahren 2006/2007: über 12.000 tote und 23.000 verletzte ZivilistInnen (ÖB Amman 5.2015).

Die folgende Grafik zeigt die Anzahl der getöteten Zivilisten im Irak (inkl. Zivilpolizisten) für die Monate Jänner bis Dezember 2015 sowie die Anzahl der getöteten Iraker insgesamt. Demnach wurden im Jahr 2015 12.740 Iraker getötet, 7.515 davon waren Zivilisten (inklusive Zivilpolizei). 14.855 Zivilisten (inkl. Zivilpolizei) wurden verletzt. UNIRAQ wurde bei der Erfassung der Opferzahlen behindert, die Zahlen sollten daher als www.ris.bka.gv.at Seite 7 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Minimumangaben gesehen werden. Sofern man anhand dieser Zahlen auf die Sicherheitslage im Irak schließen kann, hat sich die diese im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr 2014 gebessert.

Iraqi Body Count dokumentierte für 2016 über 16.000 zivile Todesfälle durch Gewalt (hier nach Monaten aufgeschlüsselt: Jänner bis Dezember 2016):

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(Iraqi Body Count 13.2.2017).

Für den Monat Februar 2016 berichtet UNAMI, dass zumindest 670 Iraker getötet und 1.290 verletzt wurden. Darunter waren 410 getötete Zivilisten (einschließlich Bundespolizei, Sahwa Zivilschutz, Leibwächter, Polizei für den Schutz von Gebäuden und Anlagen, sowie Feuerwehr) und 1.050 verletzte. Die Provinz Bagdad war (im Monat Februar 2016) mit zumindest 277 getöteten Zivilisten dabei am stärksten betroffen, ebenfalls stark betroffen waren Diyala (40 getötete Zivilisten), Nineweh (42 getötete Zivilisten) und Kirkuk (29 getötete Zivilisten). Auf Grund der unübersichtlichen und volatilen Sicherheitslage können laut UNAMI die zu Anbar dokumentierten Zahlen (4 getötete und 126 verletzte Zivilisten) besonders stark von den tatsächlichen Zahlen abweichen (UNAMI 2.2016). Im März 2016 wurden nach der Zählung von Iraq Body Count (IBC) 1.073 Zivilpersonen getötet. Nach der UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI) gab es 575 zivile Todesopfer und 1.196 Verletzte im März 2016. Weiter wurden 544 Mitglieder der irakischen Armee, -Kämpfer und andere Verbündete (ohne Opferzahlen der Anbar-Operationen) getötet und 365 verletzt. Die am stärksten betroffene Provinz war im März abermals Bagdad mit 1.029 (259 Tote, 770 Verletzte) zivilen Opfern. In der Provinz Nineweh gab es 133 Tote und 89 Verletzte, in der Provinz Babil 65 Tote und 141 Verletzte, in der Provinz Kirkuk 34 Tote und 57 Verletzte, in der Provinz Diyala elf Tote und in der Provinz Salahuddin sechs Tote und einen Verletzten (Mindestzahlen) (BAMF 4.4.2016).

Die folgende Tabelle zeigt eine Aufgliederung nach Provinzen im Kontext der Einwohnerzahl im Zeitraum Juni 2014 bis September 2015:

Einwohnerzahl (Schätzung % der Verhältnis Einwohner zu Provinz Getötete 2011) Bevölkerung Getöteten Babil 1,820,673 836 0,05 2178 Baghdad 7,055,196 5208 0,07 1355 Basra 2,531,997 133 0,005 19038 Dohuk 1,128,745 1 0,000001 1.128.745 Erbil 1,612,692 36 0,002 44797 XXXX 1,066,567 54 0,005 19751 Missan 971,448 30 0,03 32382 Muthanna 719,069 15 0,002 47938 Najaf 1,285,484 13 0,001 98883 Qadisiyah 1,134,313 10 0,001 113431 Thi-Qar 1,836,181 29 0,002 63316 Sulayminyah 1,878,764 7 0,0004 268395 Wasit 1,210,591 24 0,002 50441

(Quelle: UK Home Office 4.2016)

Am 27.2.2016 kam es zu einem Doppel-Selbstmordanschlag im schiitisch dominierten Viertel Sadr City (Bagdad) mit 70 Todesopfern. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Doppelanschlag (Reuters 29.2.2016). Bei einem weiteren – ebenfalls vom IS verübten – Selbstmordanschlag am 6.3.2016 südlich der Stadt Bagdad starben 47 Menschen (National 6.3.2016).

Die am meisten gefährdeten Personengruppen sind neben religiösen und ethnischen Minderheiten auch Berufsgruppen wie Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, Mitglieder des Sicherheitsapparats, sogenannte "Kollaborateure", aber auch Mitarbeiter von Ministerien (AA 18.2.2016). www.ris.bka.gv.at Seite 8 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Insgesamt kann die Sicherheitslage im Irak im Jahr 2015 als weiterhin höchst instabil bezeichnet werden. Die Kampfhandlungen konzentrierten sich weitgehend auf die Provinzen Anbar, Ninewah und Salah al-Din. Die irakische Regierung und die KRG konzentrierten sich weiterhin darauf, territoriale Fortschritte gegen den IS zu machen (UN Security Council 26.10.2015).

Der Aufstieg der zahlreichen konfessionellen Milizen und sonstigen bewaffneten Organisationen und Gruppen geht insbesondere auf den Bürgerkrieg von 2005 bis 2007 zurück. Heute stehen sich v.a. der aus Al-Qaida hervorgegangene "Islamische Staat", die schiitischen Milizen und die kurdischen Peschmerga gegenüber. Die schiitischen Milizen in ihrer Gesamtheit werden als militärisch stärker als die irakische Armee eingeschätzt (Standard 18.11.2015), und einige davon machen sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig (RSF 18.4.2015, vgl. HRW 20.9.2015, vgl. Rohde 9.11.2016). Neben deren gewaltsamen Übergriffen auf Teile der sunnitischen Bevölkerung gibt es auch schiitische Milizen, die - ähnlich wie islamistische sunnitische Gruppen - gegen (nach deren Definition) "un-islamisches" Verhalten vorgehen und z.B. Bordelle, Nachtclubs oder Alkoholgeschäfte attackieren (Washington Post 21.1.2016). Die Peschmerga kämpfen zwar an der Seite der Zentralregierung, beschränken sich jedoch auf die Verteidigung der kurdischen Gebiete gegen den IS (Rohde 9.11.2015), gleichzeitig befinden sie sich aber auch in einem gespannten Verhältnis zu den schiitischen Milizen (Deutschlandfunk 5.12.2015). All diese Akteure sind mit externen Mächten liiert, allen voran Iran, Saudi- Arabien, Türkei oder den USA (Rohde 9.11.2015). Die USA sind mit einigen tausend US-Soldaten im Irak präsent und haben vor, ihre Präsenz mit weiteren Bodentruppen auszubauen. (Spiegel 2.12.2015, vgl. FAZ 24.10.2015, vgl. Focus 9.3.2016). Die von den USA angeführte Koalition gegen den IS hat im Irak seit Beginn ihrer Luftangriffe im August 2014 mehr als 6.800 Luftschläge durchgeführt (auf der folgenden Karte in blau dargestellt). Die Karte zeigt außerdem, welche Gebiete vom IS kontrolliert werden, bzw. in welchen Gebieten der IS die Möglichkeit hat, frei zu operieren – schraffiert dargestellt (BBC 29.2.2016):

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Quelle: BBC (29.2.2016)

Die folgende Karte zeigt, welche Gebiete im Irak von welchen militärischen Organisationen/Milizen kontrolliert werden:

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Quelle: ISW (09.03.2017)

Aus der nachstehenden Grafik gehen rezente sicherheitsrelevante Vorfälle im Irak hervor:

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Quelle: ISW (16.02.2017)

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Quelle: ISW (28.02.2017)

Neben den derzeit aufgrund der Mossul-Offensive besonders hohen zivilen Todeszahlen in der Provinz Ninewa sterben auch in Bagdad täglich mehrere Menschen durch Gewalt (insbesondere durch improvisierte Sprengsätze).

UNAMI, die UN-Mission für den Irak, veröffentlichte die folgenden Zahlen, die von Seiten der Staatendokumentation zu einer Grafik zusammengefasst wurden:

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(Quelle: Zahlen UNAMI 1.2.2017, Darstellung: Staatendokumentation)

www.ris.bka.gv.at Seite 9 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Bei dieser Statistik handelt es sich um absolute Mindestzahlen. UNAMI wurde bei der Verifizierung der Opfer behindert. Darüber hinaus starb eine unbekannte Zahl an Menschen auf Grund von indirekten Folgen des Konfliktes, wie das Fehlen von Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung, etc. Des Weiteren ist zu beachten, dass UNAMI nach Beginn der Offensive zur Rückeroberung Mossuls und anderer Gebiete in Ninewa zahlreiche Berichte von zivilen Todesopfern erhalten hat, die aufgrund der Lage nicht verifiziert werden konnten. UNAMI lieferte für den Monat Dez. 2016 keine Zahlen der getöteten Iraker insgesamt, sondern ausschließlich Zahlen für die zivilen Opfer. Bei jenen Monaten, die mit Stern versehen sind, ist die Zahl der in Anbar getöteten Zivilisten nicht enthalten ist.

Die Zahl der Zivilpersonen, die im Jänner 2017 im Irak getötet wurden, beträgt 382, die Zahl der Verletzten 908. Bagdad war, wie fast jeden Monat die am stärksten betroffene Provinz, Ninewa und Salahuddin waren ebenfalls besonders stark betroffen (UNAMI 1.2.2017).

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Seit August 2014 wurden im Irak von Seiten der US-geführten Koalition über 10.000 Luftschläge durchgeführt. Bis Februar 2016 waren es noch knapp 7.000 Luftschläge, die bis dahin durchgeführt worden waren (BBC 20.1.2017).

Die folgende Grafik zeigt die groben Kontrollgebiete der unterschiedlichen Akteure, wobei die Kategorie "Iraqi government" auch die Popular Mobilisation Forces (Volksmobilisierungseinheiten / Hashd al-Shaabi – bestehend aus fast ausschließlich schiitischen Milizen) umfasst:

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(BBC 20.1.2017)

2016 war für den Irak ein weiteres turbulentes Kriegsjahr. Die Terrormiliz Islamischer Staat büßte durch den Verlust wichtiger Städte (u.a. Ramadi Anfang 2016 und Falluja im Juni 2016) massiv an Territorium ein. [ ] Die derzeit laufende Offensive zur Rückeroberung Mossuls ist nach wie vor im Gange. Der IS, der noch knapp 4.000 Kämpfer in Mossul haben dürfte, wehrt sich mit Selbstmordkommandos, Scharfschützen, Drohnenbomben und chemischen Waffen, wie Chlor- und Senfgas (IFK 1.2017).

Die territoriale Zurückdrängung des IS hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegsführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017). Der IS führte im Irak im Jahr 2016 über ein Dutzend Selbstmordanschläge und Autobomben-Anschläge durch. Am 3. Juli 2016 kamen bei einem Autobomben- Anschlag in Bagdad über 200 Menschen ums Leben, hunderte weitere wurden verletzt. Der IS hält weiterhin ungefähr 3.200 jesidische Frauen und Kinder fest, die meisten davon werden in Syrien festgehalten (HRW 1.2017).

Laut UNAMI hat der IS seine Anschläge zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden verübt, und hat dabei vorwiegend auf Zivilisten, auch Frauen, Kinder und ältere Personen abgezielt (UNAMI 1.2.2017). Am 2.1.2017 fand beispielsweise in einer belebten Straße im schiitisch dominierten Viertel Sadr City in Bagdad ein größerer Autobombenanschlag statt, bei dem 35 Menschen starben und über 60 verletzt wurden (BBC 2.1.2017).

Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt das erneute Aufflammen von Aufständen von Seiten der Sunniten im Irak, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten der bereits/nach wie vor existierenden radikalen Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des ISW zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich. Die US-geführte Koalition gegen den IS habe sich zu sehr auf das Zurückdrängen des IS konzentriert und andere Organisationen vernachlässigt (ISW 7.2.2017).

Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung) sind im Irak von Gewalt betroffen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. www.ris.bka.gv.at Seite 10 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Gewalttaten bleiben oft straflos. Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubt es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa’ib Ahl al-Haq und der Kata’ib Hisbollah, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. (AA 7.2.2017).

Laut einer Untersuchung des in den USA ansässigen Instituts IHS Jane's habe der IS im Jahr 2015 in Syrien und Irak insgesamt mehr Land eingebüßt als erobert. Insgesamt soll die Miliz etwa 14 Prozent ihres Territoriums eingebüßt haben. Zu den Verlusten im Irak zählten die Stadt Tikrit und die Raffinerie von Baiji. Zudem haben die Extremisten die Kontrolle über einen Teil einer Schnellstraße zwischen Raqqa in Syrien und Mossul im Irak verloren, was logistische Schwierigkeiten mit sich bringe. Erobert hat der IS im Irak die Provinz Anbar, sowie deren Hauptstadt Ramadi [letztere wurde in der Zwischenzeit wieder zurückerobert] (Standard 22.12.2015).

Im November 2015 eroberten die irakisch-kurdischen Peschmerga gemeinsam mit Einheiten der türkisch- kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihres syrischen Ablegers YPG und mit Unterstützung durch amerikanische Luftschläge die Stadt Sinjar vom IS zurück (NZZ 13.11.2015). (In der Folge dessen kam es dort zwischenzeitlich zu Zusammenstößen zwischen jesidischen Kämpfern und Einheiten der KDP-Peschmerga (Ekurd 26.11.2015).

Den Kurden gelang es auch, den IS aus Dörfern in der Nähe von Kirkuk zu vertreiben (NTV 11.9.2015). Gleichzeitig benutzen die Kurden den Krieg gegen den IS aber auch, um in den ohnehin lange umstrittenen Gebieten kurdische Fakten zu schaffen (unter anderem auch mit der Übernahme der Stadt Kirkuk im Sommer 2014), Araber werden zum Teil vertrieben (20Minuten 8.2015, vgl. Deutschlandfunk 15.7.2015). Umgekehrt kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, wo Teile der sunnitischen Bevölkerung den vorrückenden Peshmerga in den Rücken fallen und mit dem IS zusammenarbeiten. Es herrscht Misstrauen auf beiden Seiten, bei den Kurden, sowie den Arabern (20 Minuten 8.2015).

Im Dezember 2015 gab Abadi die Rückeroberung der Stadt Ramadis bekannt, die im Mai in die Hände des IS gefallen war. Für die Armee ist der Sieg in Ramadi ein wichtiger und lang ersehnter Erfolg (Standard 29.12.2015). In dem ein Jahr andauernden Kampf gegen den IS in Ramadi, wurde die Stadt völlig zerstört (Haaretz 18.1.2016).

Stammeskämpfer haben die am 19.02.16 begonnenen Gefechte gegen den IS in Falluja eingestellt, nachdem der IS Angaben der Armee zufolge mehr als 100 Bewohner der Stadt als Geiseln gefangen genommen hatte. Angaben des Verwaltungschefs zufolge soll es sich um rund 60 Gefangene handeln. Die Stämme befürchteten, dass die Geiseln hingerichtet würden (BAMF 22.2.2016). Ende März 2016 begannen irakische Truppen (mit Unterstützung durch US-Luftangriffe) mit einer Großoffensive auf die vom IS besetzte Großstadt Mossul, der zweitgrößten Stadt Iraks, die nach wie vor vom IS gehalten wird (Standard 24.3.2016).

Die irakische Armee begann am 30.05.16 mit Unterstützung der US-Luftwaffe mit der Erstürmung von Fallujah. Hierzu rückten die Truppen Richtung Stadtzentrum vor. Eigenen Angaben zufolge konnten zunächst vier vom IS beherrschte Gebiete rund um die Stadt befreit werden. Am 31.05.16 startete der IS einen massiven Gegenangriff. Die UN befürchten, dass der IS 300 bis 400 Familien als menschliche Schutzschilde missbraucht. Zum Schutz der Zivilisten verlangsamte die irakische Armee ihr Vordringen. Am 04.06.16 gelang die Rückeroberung des Ortes Saqlawiyah im Nordwesten Fallujahs. Fallujah (Provinz Anbar) wird seit Januar 2014 vom IS kontrolliert und ist nach Mosul deren wichtigste Bastion. In der Stadt sind mehr als 50.000 Zivilisten eingeschlossen. Die Militäroffensive ist umstritten, weil starke schiitische Militärverbände daran beteiligt sind, in der Provinz aber vor allem Sunniten leben. Mitte Juni 2016 drangen Regierungstruppen und verbündete Milizen in Richtung Stadtzentrum vor, nachdem zunächst ein Vorstoß in den Außenbezirken zum Stocken gekommen war. Eigenen Angaben zufolge konnte am 07.06.16 aus dem Viertel Shuhada al-Thania (im Süden der Stadt) der IS verdrängt werden. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind derzeit etwa 90.000 Menschen in Fallujah eingeschlossen; bislang wurde von 50.000 ausgegangen. Nach Angaben von Human Rights Watch vom 09.06.16 liegen glaubwürdige Informationen vor, wonach Mitglieder der Polizei und bewaffneter Milizen nördlich von Fallujah mindestens 17 Männer eines sunnitischen Stammes erschossen hätten. Schiitische Milizen sollen auch Hunderte Sunniten aus dem Umland der Stadt gefangen genommen und schwer misshandelt haben. In Saqlawiyah, 10 km nordwestlich von Fallujah, fanden irakische Sicherheitskräfte ein Massengrab mit etwa 400 Toten, mutmaßlich Opfer des IS. Es soll sich hauptsächlich um irakische Soldaten handeln (BAMF 06.06.2016 und 13.06.2016).

Die irakischen Behörden kündigen an, angebliche Misshandlungen von ZivilistInnen durch Regierungstruppen zu untersuchen (HRW 09.06.2016). Einem Regierungssprecher zufolge wurden auf Anweisung von Premierminister Haidar al-Abadi mehrere Kämpfer festgenommen, welche verdächtigt werden, während der Offensive zur Rückeroberung von Falludscha von der Miliz Islamischer Staat Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Details hiezu sind indes nicht bekannt (RFE 13.06.2016).

www.ris.bka.gv.at Seite 11 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Am 17.10.2016 begannen ca. 30.000 kurdische Peschmerga-Kämpfer, irakische Sicherheitskräfte und Milizen verschiedenster religiöser Ausrichtung nach mehrwöchigem Aufmarsch eine Offensive zur Rückeroberung Mossuls. Die Stärke des Islamischen Staates in Mossul wird auf ca. 3.000-5.000 Kämpfer geschätzt.

Die folgende Karte zeigt die Ausgangssituation einschließlich der Frontbewegungen am 17.10.2016 (BBC 28.10.2016):

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Am 22.10.2016 wurde die mehrheitlich christliche Stadt Karakosch, die seit 2014 unter Kontrolle der Milizen des Islamischen Staates war, von irakischen Sicherheitskräften zurückerobert (RFE/RL 22.10.2016).

Am 25.10.2016 waren die Sicherheitskräfte im Osten der Stadt nur noch wenige Kilometer von Mossul entfernt, während es im Süden noch 30 Kilometer waren. Der Islamische Staat begeht nach UN-Erkenntnissen Gräueltaten an der Bevölkerung. Im Dorf Tulul Naser südlich von Mossul seien die Leichen von 70 Zivilisten gefunden worden. Auch sollen 50 frühere Polizisten nahe Mossul umgebracht worden sein. Nach UN- Informationen wurden im Dorf Safina südlich von Mossul 15 Zivilisten getötet und ihre Leichen in einen Fluss geworfen, um Angst und Schrecken zu verbreiten (Standard 25.10.2016).

Die folgenden Karten zeigen den Frontverlauf im März 2017 (Quelle: ISW 08.03.2017):

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In Bagdad ereignete sich um den Jahreswechsel eine neuerliche Terrorserie. Am 2.1.2017 wurden mindesten 32 Menschen bei der Explosion einer Autobombe im Stadtviertel Sadr City getötet (Spiegel Online 2.1.2017). Zuvor waren am 31.12.2016 bei drei Anschlägen in der irakischen Hauptstadt mindestens 29 Menschen getötet und mehr als 50 weitere verletzt worden. Bei einem weiteren Anschlag wurden vier Menschen getötet. Zu den Anschlägen bekannte sich der IS, eine Eine dem IS nahestehende Nachrichtenagentur meldete, Ziel der Angreifer seien schiitische Muslime gewesen (Standard 31.12.2016).

Quellen:

- AA - AUSWÄRTIGES AMT (10. 5.2016): Länderinformationen Irak, http://www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/Irak.html, Zugriff 10.5.2016

- AA – Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage der Republik Irak

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (22.2.2016): Gruppe 22 - Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes, http://www.ecoi.net/file_upload/4765_1456148840_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge- briefing-notes-22-02-2016-deutsch.pdf, Zugriff 9.3.2016

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (4.4.2016): Briefing Notes – Irak

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland): Briefing Notes vom 06.06.2016 http://www.ecoi.net/file_upload/4765_1465283918_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge- briefing-notes-06-06-2016-deutsch.pdf (Zugriff am 23. Juni 2016)

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland): Briefing Notes vom 13.06.2016 http://www.ecoi.net/file_upload/4765_1465826992_1-deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge- briefing-notes-13-06-2016-deutsch.pdf (Zugriff am 23. Juni 2016)

- BBC (29.2.2016): Battle for Iraq and Syria in maps, http://www.bbc.com/news/world-middle-east- 27838034, Zugriff 10.3.2016

www.ris.bka.gv.at Seite 12 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

- BBC (28.10.2016): Mosul battle: Iraqi troops 'ahead of schedule' in bid to retake city, 18. Oktober 2016 http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-37685964 (Zugriff am 28. Oktober 2016)

- CIA World Factbook 2014-2015, https://www.cia.gov/library/publications/resources/the-world- factbook/geos/iz.html, Zugriff 10.5.2016

- Deutschlandfunk (15.7.2015): Die fragwürdigen Methoden der Peschmerga, http://www.deutschlandfunk.de/kurden-im-nordirak-die-fragwuerdigen-methoden-der- peschmerga.724.de.html?dram:article_id=325533 , Zugriff 14.1.2016

- Deutschlandfunk (5.12.2015): Schiitische Milizen unter den Bodentruppen, http://www.deutschlandfunk.de/kampf-gegen-den-is-schiitische-milizen-unter- den.799.de.html?dram:article_id=338924 , Zugriff 14.1.2016

- Ekurd Daily (26.11.2015): Clashes erupted between Yazidi fighters and KDP Peshmerga in Iraq’s Sinjar, http://ekurd.net/clashes-yazidis-peshmerga-sinjar-2015-11-26, Zugriff 14.1.2016

- FAZ – Frankfurter Allgemeine (24.10.2015): Verteidigungsminister Carter rechnet mit weiteren Kampfeinsätzen, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/amerikanische-truppen-im-irak- verteidigungsminister-carter-rechnet-mit-weiteren-kampfeinsaetzen-13873630.html , Zugriff 14.1.2016

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- HRW – Human Rights Watch (20.9.2015): Ruinous Aftermath, Militias Abuses Following Iraq’s Recapture of Tikrit, , https://www.hrw.org/report/2015/09/20/ruinous-aftermath/militias-abuses- following-iraqs-recapture-tikrit, Zugriff 19.1.2016

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- ISW – Institute for the Study of War (9.2.2016): Iraq Control of Terrain Map: February 9th 2016, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iraq%20Blobby%20map%2009%20FEBRUARY% 202016.pdf , Zugriff 10.3.2016

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- Österreichische Botschaft Amman (5.2015): Asylländerbericht Irak

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty: Iraq Makes Arrests Over Rights Violations In Fallujah Operations, 13. Juni 2016, http://www.ecoi.net/local_link/325422/465264_de.html (Zugriff am 23. Juni 2016)

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (22.10.2016): Iraqi Forces Storm Christian Town Near Mosul, 22. Oktober 2016 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/local_link/331052/472243_de.html (Zugriff am 28. Oktober 2016)

- Reuters (29.2.2016): Twin suicide bombing kills 70 in Baghdad's deadliest attack this year, http://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-idUSKCN0W10EL, Zugriff 10.3.2016 www.ris.bka.gv.at Seite 13 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

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- Standard (13.2.2017): Schiiten gegen Schiiten im Irak, http://derstandard.at/2000052505984/Schiiten- gegen-Schiiten-im-Irak, Zugriff 13.2.2017

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2.1. Die wichtigsten im Irak operierenden militärischen Akteure und Milizen

Iraqi Security Forces (ISF)

Den ISF kommt nach dem Abzug der Streitkräfte der Koalition ab 2011 eine besonders gewichtige Rolle bei der Gewährleistung der Sicherheit im Irak zu. Die ISF haben drei Hauptzweige: die irakische Armee, die irakische Polizei und die National Police. Im Irak besteht kein verpflichtender Wehrdienst (ÖB Amman 12.2016).

Die ISF sind zum Teil infiltriert von schiitischen Arabern, während sunnitische Araber in den ISF unterrepräsentiert sind (ISW o.D.a). Teilweise wurden schiitische Milizen, die für ihr brutales Vorgehen gegen Sunniten bekannt sind (s. Abschnitt 8., sowie 8.2.), auch in die ISF integriert, was die Sunniten Iraks mit besonderer Sorge sehen. Die ISF verübten aber auch selbst Attacken auf zivile sunnitische Gebiete (ISW o.D.b). Darüber hinaus haben die ISF das Problem, dass es im Land schiitische Milizen gibt, die zusammengenommen sogar als militärisch stärker als die ISF eingeschätzt werden (Standard 18.9.2015).

Insbesondere im Sommer 2014 machten die ISF keine gute Figur und überließen dem IS kampflos große Gebiete des Landes - unter anderem die Stadt Mossul (Spiegel 15.6.2014). Zehntausende irakische Soldaten verließen im Juni 2014 ihre Posten und flüchteten. Viele aus Angst vor dem IS, viele meinten, sie hätten den Befehl dazu bekommen. Es fehlte unter anderem an einer starken Führung, sowie an fehlender Motivation, zweiteres wohl auch, weil sich viele nicht mit der Politik des damaligen Präsidenten Maliki identifizieren konnten. Die ursprünglich 400.000 Mann starke Armee, die mit US-Hilfe aufgebaut worden war, wird nunmehr auf 85.000 aktive Soldaten geschätzt. Das Verteidigungsministerium hatte die Zahl offenbar hochgespielt, man spricht in www.ris.bka.gv.at Seite 16 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 diesem Zusammenhang von "Geistersoldaten". Abadi gab im November 2014 zu, dass es 50.000 solcher Geistersoldaten gab (Global Security o.D.).

Schiitische Milizen

- Mahdi Armee (auch bekannt als Jaysh al-Mahdi - JAM): Die konfessionell geprägten Konflikte der Jahre 2006-2008 waren zum Teil angefacht von schiitischen Milizen, z.B. von Milizen wie der vom schiitischen Kleriker Moqtada Al Sadr aufgestellten Mahdi Armee, gegründet im Jahr 2004 um die militärische US-Präsenz im Irak zu bekämpfen (CRS 31.12.2015). Sadr beschloss 2008 die Miliz in eine friedliche Organisation umzuwandeln, behielt aber eine kleinere Truppe von Kämpfern. Darüber hinaus entstanden aus der Mahdi Army mehrere Splittergruppen (ISW 1.2009). Im Juni 2014 kam es zu einer Neugründung der Mahdi Armee durch Sadr unter dem neuen Namen The Peace Brigades, mit dem Ziel, den IS zu bekämpfen. Die Größe der Organisation wird (Stand Juni 2014) auf 10.000 bis 50.000 geschätzt (Stanford University 24.7.2015).

- Vom Iran trainierte Milizen (z.B.: Kata’ib und Asa’ib Ahl Al Haq): Ebenfalls von Sadr inspiriert, gründeten sich weitere schiitische Milizen, von denen sich einige später aus dem Kontrollbereich Sadrs herausbegaben und zunehmend unter die Kontrolle des Iran und des Kommandanten der iranischen Qods Forces, Maj. Gen. Qasem Soleimani, gelangten. Die beiden Milizen, die am stärksten von Soleimani ausgerüstet und beraten werden, sind Asa’ib Ahl al-Haq (AAH) und Kata’ib Hezbollah (Hezbollah Battalions). Zweitere wurde im Jahr 2009 von den USA als terroristische Organisation eingestuft (CRS 31.12.2015). Die Organisation Asaib Ahl al-Haq hat neben ihrem Hauptquartier in Bagdad, wo sie auch zwei politische Büros hat, weitere Büros in al-Khalis, Basra, Tal Afar, Hillah, and Najaf und unterhält darüber hinaus Kontakte zu Stammesführern in den Provinzen Thi-Qar, Muthanna, and Maysan. Der ehemalige Präsident Maliki setzte die Miliz in Anbar zum Teil anstelle von Polizisten ein (Stand August 2015) (Stanford University 13.8.2015). Die Organisation ist stark vernetzt mit der irakischen Regierung und der Polizei (insb. in Bagdad) (FIS 29.4.2015).

- Die Organisation Badr Miliz steht im Gegensatz dazu weder Sadr nahe, noch war sie in den Jahren 2003-2011 ein Gegenspieler der USA (CRS 31.12.2015). Sowohl die Bush-Regierung, als auch die Obama-Regierung haben mit der Badr-Miliz zusammengearbeitet (Reuters 14.12.2015). Die Badr Miliz war der bewaffnete Flügel des Islamic Supreme Council of Iraq, einer schiitischen Partei. Ihr Anführer Hadi al-Amiri ist einer der Hardliner, wenn es darum geht, schiitische Milizen dazu zu benutzen, um von Sunniten bewohnte Gebiete zurückzuerobern (CRS 31.12.2015).

- Schiitische Miliz-Soldaten, die sich nach der Offensive des IS 2014 formierten: Viele schlossen sich den sich gegen des IS richtenden Popular Mobilization Forces (PMF) an, denen auch einige Sunniten angehören (CRS 31.12.2015).

Die primär schiitischen Milizen sind formal in die irakische Sicherheitsarchitektur eingegliederten. De facto folgen sie oft parallelen Kommandostrukturen und Interessen. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den ISIS wird von Sunniten meist abgelehnt: sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden die Extremisten daher in ihren Gebieten. Berichte über Übergriffe der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premier Haidar al-Abadi - aber auch der höchsten geistlichen Instanz der Schiiten in Najaf, Ayatollah al-Sistani -, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB Amman 12.2016).

Sunnitische Milizen

- Islamischer Staat (IS): s. Abschnitte 1.2. und 2.

- Army of the Men of the Naqshbandi Order (Jaysh Rij?l a?-?ar?qa an-Naqshabandiya, abkekürzt: JRTN) und ehemalige Militärkommandanten unter Saddam Hussein: Einige der aufständischen Gruppen bestehen aus Mitarbeitern des ehemaligen Saddam-Regimes oder aus ehemaligen Mitgliedern des irakischen Militärs. Darunter finden sich die Gruppen , die Islamic Army of Iraq und v.a. die Naqshabandi Order (JRTN). Letztere ist hauptsächlich in der Provinz Ninewah aktiv und wird von den USA als terroristische Organisation eingestuft. Die JRTN sowie mit ihr verbundene andere ex-baathistische Gruppierungen sind nicht mit der IS-Ideologie einverstanden, unterstützen den IS zum Teil jedoch als eine Organisation, die sich gegen die irakische Regierung wendet (CRS 31.12.2015).

- Sunnitische Stammesführer / Fighters: www.ris.bka.gv.at Seite 17 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Ungefähr 100.000 irakische Sunniten sind bekannt als "Sons of Iraq" (auch "Awakening" oder "Sahwa" genannt). Es handelt sich um bewaffnete Männer, die während der Jahre 2003-2006 das US-Militär im Irak bekämpften, aber sich danach mit den US-Streitkräften gegen Al Qaida Iraq (den Vorläufer des IS) verbündeten. Ihnen wurde zugesagt, dass sie in die ISF integriert werden sollen, aber nur ein Teil wurde letztlich tatsächlich eingegliedert. Die übrigen wurden in Checkpoints eingesetzt, und erhielten ein geringes Gehalt, wurden aber nicht formell eingegliedert. Als Ergebnis dessen waren einige dieser Kämpfer desillusioniert und Berichten zufolge schlossen sich einige (Zahlen sind nicht bekannt) dem IS an (CRS 31.12.2015).

Kurdische Kämpfer

- Die KDP-Peschmerga sind der militärische Arm der Partei der Barzani-Familie im nordirakischen Kurdistan. KDP-Peschmerga und PUK-Peschmerga teilen sich die Kontrolle über das autonome Gebiet Kurdistan auf. Die KDP-Peschmerga sind in den Provinzen Dahuk und Erbil präsent. Darüber hinaus kontrollieren sie größere Gebiete (außerhalb der autonomen Region) im Norden der Provinz Ninewah.

- Die PUK-Peschmerga sind in den Provinzen Sulaymaniyah und Halabja präsent, und sie kontrollieren größere Gebiete (außerhalb der autonomen Region) im Nordosten der Provinz Kirkuk (ISW 25.11.2015).

Es gibt seit langem Bestrebungen zur Zusammenführung der KDP-Peschmerga und der PUK-Peschmerga zu einer einheitlichen Armee. Eine effektive und vollständige Vereinigung ist jedoch auf Grund der Konkurrenzsituation und des Misstrauens gegeneinander nicht erfolgt (CMEC 16.12.2015).

- Die türkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK, die von der Türkei als terroristische Organisation bekämpft wird, ist auch im Nordirak aktiv (insb. in den Qandil-Bergen), und betreibt dort einige Stützpunkte. Diese werden von den türkischen Streitkräften attackiert.

- Die syrische Partei PYD (Partei der Demokratischen Union) mit ihrem militärischen Arm YPG (Volksverteidigungseinheiten) gilt als der syrische Ableger der türkischen PKK (Standard 22.10.2015) und ist im Irak im Gebiet um Sinjar aktiv (ISW 25.11.2015).

Quellen:

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- CMEC – Carnegie Middle East Center (16.12.2015): Kurdistan’s Political Armies: The Challenge of Unifying the Peshmerga Forces, http://carnegie-mec.org/2015/12/16/kurdistan-s-political-armies- challenge-of-unifying-peshmerga-forces/in5p, Zugriff 18.1.2016

- Finnish Immigration Service (29.4.2015): SECURITY SITUATION IN BAGHDAD - THE SHIA MILITIAS, http://www.migri.fi/download/61225_Security_Situation_in_Baghdad_- _The_Shia_Militias_29.4.2015.pdf?01abe06266acd288 , Zugriff 20.10.2015

- ÖB - Österreichische Botschaft Amman (12.2016): Asylländerbericht Irak

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- ISW – Institute for the Study of War (25.11.2015): Iraq Control of Terrain Map: November 25, 2015, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iraq%20Blobby%20map%2025%20NOV%202015 _0.pdf , Zugriff 14.1.2016

www.ris.bka.gv.at Seite 18 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

- ISW – Institute for the Study of War (25.11.2015): Iraq Control of Terrain Map: November 25, 2015, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iraq%20Blobby%20map%2025%20NOV%202015 _0.pdf , Zugriff 14.1.2016

- ISW (1.2009): Jaysh al-Mahdi, http://www.understandingwar.org/jaysh-al-mahdi, Zugriff 15.1.2016

- Reuters (14.12.2015): Torture by Iraqi militias: the report Washington did not want you to see, http://www.reuters.com/investigates/special-report/mideast-crisis-iraq-militias/, Zugriff 9.3.2016

- Spiegel (15.6.2014): Deserteure im Irak: Eine Armee zerfällt http://www.spiegel.de/politik/ausland/irak- armee-auf-flucht-vor-isis-aus-mossul-nach-arbil-a-975299.html , Zugriff 14.1.2016

- Der Standard (22.10.2015): Erdogan: PKK, PYD, IS und Syriens Geheimdienst hinter Ankara-Anschlag - derstandard.at/2000024371447/Erdogan-PKK-PYD-IS-und-Syriens-Geheimdienst-hinter-Ankara- Anschlag, Zugriff 18.1.2016

- Der Standard (18.9.2015): Schiitische Milizen sollen aus Tikrit abziehen, www.derstandard.at/2000022440305/Schiitische-Milizen-sollen-aus-Tikrit-abziehen, Zugriff 14.1.2016

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- Stanford University (13.8.2015): Mapping Militant Organizations - Asa'ib Ahl al-Haq, http://web.stanford.edu/group/mappingmilitants/cgi-bin/groups/view/143#locations, Zugriff 25.3.2016

2.2. Bagdad

Bagdad ist fast täglich Schauplatz von Anschlägen und Gewaltakten. Bei vielen der verübten Anschläge sind religiöse oder politische Motive zu vermuten. Einer der tödlichsten Anschläge des Jahres 2015 fand am 13. August statt, bei dem eine Bombe auf einem Markt in der Gegend um Jameela im Osten Bagdads detonierte, zumindest 45 Zivilisten in den Tod riss und 72 weitere verletzte (UN Security Council 26.10.2015). Am 27.2.2016 kam es zu einem Doppel-Selbstmordanschlag im schiitisch dominierten Viertel Sadr City (Bagdad) mit 70 Todesopfern. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Doppelanschlag (Reuters 29.2.2016). Bei einem weiteren – ebenfalls vom IS verübten – Selbstmordanschlag am 6.3.2016 südlich der Stadt Bagdad starben 47 Menschen (NG 6.3.2016).

Es gab in Bagdad Entführungen und erzwungene Vertreibungen, die von bewaffneten - mit der Regierung verbundenen - Gruppen verübt wurden, sowie Zusammenstöße zwischen den ISF und nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, beziehungsweise zwischen bewaffneten schiitischen Gruppen selbst. Nach einer Stellungnahme, die von sunnitischen Lehrern herausgegeben wurde, haben Regierungstruppen und schiitische Milizen in vielen Vierteln Bagdads Sunniten gewaltsam vertrieben (UK Home Office 11.2015). Laut Human Rights Watch sprachen v.a. in den Provinzen Bagdad und Diyalah kriminelle Banden, die laut sunnitischen Opfern mit den irakischen Sicherheitskräften und den schiitischen Milizen verbunden sind, Drohungen aus und verübten Morde, die nicht untersucht wurden (HRW 27.1.2016). Die für Menschenrechtsverletzungen bekannte schiitische Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq hat in Bagdad großen Einfluss, insbesondere in den Vierteln/Bezirken Kadhimiya, Rusafa, Yarmouk, A’amel, 9 Nissan, Dora und Sha'ab. Zum Teil ist die Miliz in Bagdad einflussreicher als die örtliche Polizei. Übergriffe auf benachbarte sunnitische Viertel kommen vor (ISW 12.2012, vgl. FIS 29.4.2015).

Schätzungen des Jahres 2009 zufolge sind ca. 80 - 85% der Einwohner Bagdads der schiitischen Glaubensrichtung zugehörig (FIS 29.4.2015).

Die vielen nach Bagdad strömenden Binnenflüchtlinge verschärfen die Spannungen in Bagdad noch zusätzlich. Es kommt zu Vertreibungen von Binnenflüchtlingen, sowie zu Drohungen, Morden und Entführungen (UNAMI 13.6.2015). Iraks Hauptstadt ist in zunehmendem Maße religiös gespalten und in schiitische und sunnitische Viertel geteilt, wobei die schiitisch dominierten Viertel stark zunehmen. Gemischte Viertel gibt es immer weniger. Die folgenden Karten von 2003, 2010 und 2015 veranschaulichen dies:

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Quelle: National Geographic (o.D.)

www.ris.bka.gv.at Seite 19 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

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Quelle: Izady 2016

Im Jahr 2015 gab es in der Region Bagdad 12.909 Gewalt-Opfer unter der Zivilbevölkerung, davon kamen 3.736 Personen ums Leben und 9.173 wurden verletzt. Die Region Bagdad war diesbezüglich zahlenmäßig - verglichen mit den übrigen Provinzen Iraks - am stärksten betroffen. Dies gilt auch für die ersten beiden Monate des Jahres 2016, in denen in der Region Bagdad zumindest 576 Zivilisten getötet und 1.623 Zivilisten verletzt (UNIRAQ 1.-12.2015).

Der aktuellen Berichterstattung folgend gehen Anschläge in Bagdad in erster Linie von der terroristischen Gruppierung IS aus und richten sich im Wesentlichen gegen die schiitische Bevölkerung und staatliche Sicherheitskräfte. So wird im Jänner 2016 über die Explosion einer Autobombe und anschließende Gefechte nahe einem Einkaufzentrum mit zahlreichen Toten und Verletzten im schiitischen Osten berichtet (FAZ 11.1.2016). Am 13.11.15 wurden bei einem Selbstmordanschlag in Bagdad mindestens 18 Menschen getötet und weitere 41 verletzt. Bei der Beerdigung eines schiitischen Kämpfers im Südwesten der Hauptstadt hat der Täter einen Sprengstoffgürtel gezündet (BAMF 16.11.2015). Zuvor wurden bereits bei einem Selbstmordanschlag bei einer schiitischen Prozession im Norden von Bagdad sieben Menschen, darunter zwei Polizisten, getötet (Reuters 26.10.2015). Ein IS-Selbstmordattentäter tötete im April 2016 8 Personen in der Nähe einer schiitischen Moschee, Asaib-Ahl-al-Haq-Milizionäre hielten die Medien davon ab, Fotos oder Videos anzufertigen (Agence France-Presse, 12.09.2015).

Bei drei Bombenanschlägen im Großraum Bagdad Ende April 2016 wurden mindestens 25 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt worden. Die Anschläge fanden im Bezirk Saydiya der Hauptstadt sowie in Tarmiya im Norden und Khalisa im Süden davon statt. Zu den Angriffen bekannte sich zunächst niemand. In Saydiya starben 22 Menschen, als sich ein Selbstmordattentäter mit einem Wagen in die Luft sprengte. Bei den Opfern handelt es sich um schiitische Besucher einer religiösen Gedenkfeier. Die sunnitische Extremisten-Miliz Islamischer Staat (IS) verübte im April 2016 häufig Angriffe auf Schiiten in der Region. Am 30.4.2016 waren bei einem Anschlag in Bagdad 19 Menschen ums Leben gekommen (Standard 02.05.2016).

Ein Terroranschlag auf ein beliebtes Einkaufsviertel in Bagdad zu Beginn des Monats Juli 2016 forderte mindestens 213 Opfer. Mehr als 300 Menschen wurden verletzt (Berliner Zeitung 04.07.2016). Regierungschef Haider al-Abadi ordnete daraufhin die Ausrüstung der Sicherheitskräfte mit neuen Geräten zum Aufspüren von Sprengsätzen in Fahrzeugen an. Zudem dürfen in Bagdad an Kontrollstellen künftig keine Mobiltelefone mehr benutzt werden. Die Aufklärung aus der Luft soll verstärkt, die Koordination zwischen Sicherheitskräften in der Hauptstadt ausgeweitet und Kontrollposten neu organisiert werden. Zum Terroranschlag hatte sich die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat bekannt (Zeit Online 04.07.2016).

Quellen:

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- Institute for the Study of War (12.2012): MIDDLE EAST SECURITY REPORT 7, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/ResurgenceofAAH.pdf, Zugriff 20.10.2015

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Feb.2016 http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=5284:un-casualty-figures-for-iraq-for-the- month-of-february-2016&Itemid=633&lang=en

- FAZ – Frankfurter Allgemeine (11.1.2016): Mehr als dreißig Menschen sterben bei Anschlägen im Irak, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/geiselnahme-und-tote-in-einkaufszentrum-in- bagdad-14008764.html, Zugriff am 9.5.2016

- Reuters (26.10.2015), Bomb attack on Shi'ite pilgrims in Baghdad, http://news.trust.org/item/20151026123425-usojj/, Zugriff am 6.5.2016

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- Der Standard (02.05.2016): Viele Tote bei Anschlagsserie im Großraum Bagdad, http://derstandard.at/2000036145837/Viele-Tote-bei-Anschlagsserie-im-Grossraum-Bagdad, Zugriff am 6.5.2016

- Zeit Online (04.07.2016): Iraks Premier verändert Sicherheitskonzept, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-07/bagdad-irak-selbstmordanschlag-sicherheitskonzept- verbessern, Zugriff am 12.07.2016

2.3. Die mehrheitlich von Schiiten bewohnten südlichen Provinzen Iraks

Die südlichen Provinzen Iraks (Karbala, Babil, Wasit, Najaf, Qadissiya, Missan, Thi-Qar, Muthanna und Basrah) befinden sich unter der Kontrolle der irakischen Streitkräfte (ISF). Jedoch ist der Staat bei der Kontrolle stark auf mehrere schiitische Milizengruppen angewiesen, die in einigen Gebieten eigenmächtig agieren (IDMC 30.6.2015). Im überwiegend schiitischen Gebiet im Süden Iraks wurden im Jahr 2014 427 Personen getötet (schließt Zivilisten und Militärs ein)(UK Home Office 11.2015). Im Jahr 2015 wurden von Iraq Body Count in Basra 90 zivile Todesfälle durch Gewalt dokumentiert (Mindestzahlen), im [spärlich besiedelten Gebiet] Muthanna sechs, im [spärlich besiedelten Gebiet Najaf] einer, in Qadissiya einer, in Missan 27, in Wassit 11, in Thi-Qar 17 und in Babil ca 270 [in dieser Quelle fanden sich keine Angaben zur Provinz Karbala](IBC 2015). In diesen Provinzen (ausgenommen Babil, s.u.) gab es keine direkten Konfrontationen mit dem IS. Die Gewalt hat sich hier auf sporadische terroristische Angriffe beschränkt. Eine Ausnahme stellt die Provinz Babil dar, in der der IS versuchte, Bagdad vom Süden her anzugreifen (CEDOCA 29.5.2015). In der Provinz Babil kam es während des Jahres 2015 darüber hinaus vermehrt zu Morden und Entführungen durch schiitische Milizen (USDOS 14.10.2015).

Ein Papier des UNHCR, datiert mit Oktober 2014 besagt, dass sich der aktuelle Konflikt im Irak hauptsächlich auf die Provinzen im Zentral- und Nordirak konzentriert, dass aber auch die südlichen Provinzen mit sicherheitsrelevanten Vorfällen konfrontiert sind, einschließlich Bombenanschlägen, gezielte Entführungen, religiös motivierte Vergeltungsanschläge gegen Individuen (auch Mitgliedern politischer Parteien, religiösen und ethnischen Führungsfiguren, Regierungsangestellten und Fachkräften). Immer wieder finden Entführungen von www.ris.bka.gv.at Seite 22 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Sunniten statt (UK Home Office 11.2015). Dadurch, dass der irakische Staat Ende 2014 große Teile der Armee und der Polizei aus den südlichen Provinzen abgezogen hatte, verschlechterte sich die Sicherheitslage zuletzt in diesen Provinzen. Die Kriminalität steigt, es kommt vermehrt zu blutigen Zusammenstößen zwischen schiitischen Klans, zu Entführungen und Lösegelderpressungen. Der zunehmende Einfluss der schiitischen Milizen verschlimmert die Situation zusätzlich. Die Regierung hat im Jänner 2016 eine Armee-Division und eine Polizeitruppe in die südliche Stadt Basra geschickt, um die dortige Bevölkerung zu entwaffnen, und gegen die konkurrierenden, sich gegenseitig bekämpfenden schiitischen Klans vorzugehen (Reuters 15.1.2016, vgl. Al- Arabiya 9.1.2016, vgl. New Arab 7.1.2016). Die großen Stammesverbände in den Provinzen Basrah und Thi-Qar besitzen leichte und mittelschwere Waffen und bekämpfen sich in Abwesenheit von Rechtsstaatlichkeit gegenseitig (Al-Monitor 2.3.2016). Auch das Institute for the Study of War berichtete Anfang des Jahres 2016 von der zunehmenden Instabilität in Basra, die von den rivalisierenden schiitischen Gruppen (darunter auch die Organisation Asa’ib Ahl al-Haqq) nutzen, um an Einfluss zu gewinnen. Das Institut berichtete auch von der stark ansteigenden Kriminalität und Gewalt in Basra (ISW 11.1.2016).

In den südlichen Provinzen kommt es darüber hinaus häufig zu Protesten, die sich gegen Regierungskorruption, Mangel an öffentlichen Dienstleitungen, die häufigen Stromausfälle und die schlechte Wasserqualität richten. Dabei seien Berichten zufolge Demonstranten bedroht worden (UNAMI 19.1.2016).

Im Süden des Landes finden sich sunnitische Gemeinden eher nur vereinzelt und vorwiegend in spärlich besiedelten ländlichen Gebieten (Columbia University 2014). Diese in den südlichen Provinzen lebende sunnitische Minderheit ist immer wieder Mord, Entführungen und Bedrohungen ausgesetzt (USDOS 14.10.2015).

Anm.: Zu den Zugangsbeschränkungen für IDPs im Süden / in den Süden Iraks siehe Abschnitt 11.

Quellen:

- Al-Arabiya (9.1.2016): As Iraq fights ISIS, violence rises in Shiite south, http://english.alarabiya.net/en/perspective/features/2016/01/09/As-Iraq-fights-ISIS-violence-rises-in-Shiite- south.html, Zugriff 19.1.2016

- Al-Monitor (2.3.2016): Abadi outgunned in fight to disarm tribes (Autor: Omar al-

Jaffal), http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-basra-tribes-fightingdisarmament.html , Zugriff 18.3.2016

- CEDOCA-CGRS - Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons (Belgium), COI unit (29.5.2015): Iraq, Security Situation in South Iraq, 29. Mai 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1439461345_coi-focus-iraq-security-situation-insouth-iraq-0.pdf, Zugriff 18.3.2016

- Columbia University (2014): Iraq – Religious Composition, map by Dr. Michael Izady, http://gulf2000.columbia.edu/images/maps/Iraq_Religions_sm.png, Zugriff 25.3.2016

- IBC – Iraq Body Count (2015): Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 18.3.2016

- IDMC - Internal Displacement Monitoring Centre: Iraq (30.6.2015): IDPs caught between a rock and a hard place as displacement crisis deepens, 30. Juni 2015 http://www.internal-displacement.org/assets/library/Middle-East/Iraq/pdf/201506-meiraq-overview-en.pdf, Zugriff 18.3.2016

- ISW – Institute for the Study of War (11.1.2016): Iraq Situation Report: January 7 - 11, 2016, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iraq%20SITREP%202016-01-11_1.pdf , Zugriff 25.3.2016

- Reuters (15.1.2016): Iraqi force enters southern oil city to disarm tribal fighters, http://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-basra-idUSKCN0UT0YM, Zugriff 19.1.2016

- The New Arab (7.1.2016): Security deteriorates in Iraqi city of Basra, http://www.alaraby.co.uk/english/news/2016/1/7/security-deteriorates-in-basra, Zugriff 19.1.2016 www.ris.bka.gv.at Seite 23 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

- UK Home Office (11.2015): Country Information and Guidance Iraq: Security situation,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1448438071_iraq-cig-security-situation-nov-15.pdf, Zugriff 4.1.2016

- UNAMI - United Nations Assistance Mission for Iraq; OHCHR - UN Office of the High

Commissioner for Human Rights (19.1.2016): Report on the Protection of Civilians in the Armed Conflict in Iraq: 1 May – 31 October 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453277693_unamireport1may31october2015.pdf,Zugriff 18.3.2016

- USDOS - US Department of State (14.10.2015): 2014 Report on International Religious Freedom - Iraq, http://www.ecoi.net/local_link/313315/451579_de.html, Zugriff 18.3.2016

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Anm.: Dieser Abschnitt ist nur relevant für Gebiete, in denen das staatliche Rechtssystem greift. Dies ist in Teilen des Landes nicht oder nur eingeschränkt der Fall (in vom IS besetzten Gebieten, oder teilweise in einigen von schiitischen Milizen dominierten Gebieten).

Das Strafjustizwesen wies laut Amnesty International weiterhin gravierende Mängel auf. Der Justiz fehlte es an Unabhängigkeit. Die Verfahren waren systematisch unfair, insbesondere solche, in denen Anklage wegen terroristischer Straftaten erhoben wurde und die Todesstrafe verhängt werden konnte. Gerichte sprachen Angeklagte aufgrund von "Geständnissen" schuldig, die unter Folter erpresst worden waren, und die teilweise bereits vor Prozessbeginn von staatlichen Fernsehsendern ausgestrahlt wurden (AI 24.2.2016). Der irakische Staat verhängt Todesstrafen aufgrund von Geständnissen, die durch Folter erzwungen wurden (RFE/RL 5.11.2015). Rechtsanwälte, die Terrorismusverdächtige verteidigten, wurden von Sicherheitsbeamten bedroht und eingeschüchtert und von Milizen tätlich angegriffen. Der IS und andere bewaffnete Gruppen attackierten und töteten weiterhin Richter, Rechtsanwälte und Justizbedienstete. Im Juli 2015 verurteilte das Zentrale Irakische Strafgericht in Bagdad 24 mutmaßliche IS-Mitglieder zum Tode. Die Männer waren für schuldig befunden worden, im Juni 2014 mindestens 1.700 Militärkadetten des Militärstützpunkts Camp Speicher in der Nähe von Tikrit in der Provinz Salah al-Din getötet zu haben. Vier weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Die Gerichtsverhandlung dauerte nur wenige Stunden und stützte sich weitgehend auf "Geständnisse", die nach Angaben der Angeklagten während ihrer Untersuchungshaft unter Folter erpresst worden waren, sowie auf ein Video des Massakers, das der IS zuvor in Umlauf gebracht hatte. Die Angeklagten bestritten ihre Beteiligung an den Tötungen. Einige gaben an, zum Tatzeitpunkt nicht in Tikrit gewesen zu sein. Keiner der Angeklagten hatte einen Rechtsbeistand seiner Wahl. Alle wurden von Rechtsanwälten vertreten, die das Gericht ernannt hatte. Diese plädierten zwar für milde Urteile, stellten aber die Beweise oder die Zulässigkeit der "Geständnisse" nicht in Frage (AI 24.2.2016).

Laut Bericht des Auswärtigen Amtes findet die Verfolgung von Straftaten nur unzureichend statt. Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über eine sogenannte "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 18.02.2016).

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf, die der Deutschen Botschaft Bagdad durch das irakische Außenministerium per Verbalnote zwecks Überprüfung zugesandt wurden. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 07.02.2017).

Quellen:

- AA - AUSWÄRTIGES AMT (18.02.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1457944432_deutschland-auswaertiges-amt-

www.ris.bka.gv.at Seite 24 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

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- AA - AUSWÄRTIGES AMT (07.02.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand Dezember 2016), https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1457944432_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und- abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2015-18-02-2016.pdf, Zugriff 17.3.2016

- AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/local_link/319677/445031_en.html , Zugriff 10.3.2016

- Bertelsmann Foundation (2016): BTI 2016; Iraq Country Report,

http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Iraq.pdf, Zugriff 10.3.2016

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (5.11.2015): UN Rights Committee Urges Iraq To Reduce Use Of Death Penalty, http://www.ecoi.net/local_link/314405/452789_de.html, Zugriff 15.1.2016

4. Allgemeine Menschenrechtslage

Staatliche Stellen sind nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage oder bereit, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten. Derzeit ist es staatlichen Stellen zudem nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen sowie den Vereinten Nationen einher mit Repressionen, mitunter auch extralegalen Tötungen sowie Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession (AA 18.2.2016).

Auch laut Amnesty International sind sowohl Sicherheitskräfte der Regierung, regierungstreue Milizen, als auch die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat (IS) für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverstöße verantwortlich. Regierungstruppen waren für wahllose Angriffe auf Gebiete unter IS-Kontrolle verantwortlich und verübten außergerichtliche Hinrichtungen. Die Menschenrechtslage habe sich im Jahr 2015 weiter verschlechtert. Alle Konfliktparteien begingen Kriegsverbrechen sowie andere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und Menschenrechtsverstöße. Berichten zufolge setzten sowohl die "Einheiten der Volksmobilisierung" (al-Hashd al- Shaabi) (v.a. bestehend aus von der Regierung legitimierten schiitischen Milizen) als auch der "Islamische Staat" Kindersoldaten ein.

Im Juli und August 2015 beteiligten sich in Bagdad, Basra und anderen Städten tausende Menschen an Straßenprotesten gegen staatliche Korruption, Engpässe in der Strom- und Wasserversorgung und die Unfähigkeit der Behörden, grundlegende Versorgungsleistungen sicherzustellen. Mindestens fünf Personen wurden getötet, als die Sicherheitskräfte exzessive Gewalt einsetzten, um die Demonstrationen aufzulösen. In den darauffolgenden Wochen wurden mehrere Anführer der Proteste in Bagdad, Nassiriya und Basra von Unbekannten getötet. Der Innenminister behauptete, die Tötungen stünden nicht in Zusammenhang mit den Demonstrationen. Es blieb jedoch unklar, ob die Behörden die Vorfälle gründlich untersuchten.

Es kommt weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Im Zuge der Rückeroberung von Gebieten, die der IS im Jahr 2014 erobert hatte, kommt es auch zu Repressionen durch kurdische Peschmerga, durch schiitische und auch sunnitische Milizen insbesondere gegen Angehörige (anderer) sunnitischer Stämme, die der Kollaboration mit dem IS bezichtigt werden (AA 18.2.2016).

Journalisten mussten 2015 weiterhin unter extrem gefährlichen Bedingungen arbeiten. Sie waren Drohungen und tätlichen Angriffen durch Sicherheitskräfte ausgesetzt und mussten befürchten, vom IS und anderen bewaffneten Gruppen verschleppt und getötet zu werden. Im April 2015 erklärte der Innenminister, die negative Berichterstattung der Medien über die Sicherheitskräfte behindere den Kampf gegen den IS (AI 24.2.2016).

www.ris.bka.gv.at Seite 25 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Auf dem Weltpressefreiheitsindex 2014 belegt der Irak Platz 153 von 180 und liegt damit nur unwesentlich besser als am absoluten Tiefpunkt von Platz 158 im Jahr 2008. Zudem war der Irak im Jahr 2014 das viert- tödlichste Land für Journalisten – was insbesondere mit Gewaltakten an Journalisten durch den IS zusammenhängt (ÖB Amman 5.2015).

Abgesehen von Journalisten gibt es eine Reihe anderer Personengruppen, die besonders gefährdet sind: Besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen sind Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sowie sogenannte "Kollaborateure" sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten. Neben Autobomben kommen dabei häufig schallgedämpfte Waffen zum Einsatz. Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (meist Angehörige von Minderheiten), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, Friseure und medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Anschlägen. Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Baath-Partei Saddam Husseins ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet [oder im Dienst des IS – s. Abschnitt 2.2.], häufig auf Grund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Laut der UN-Mission haben viele von ihnen weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien (AA 18.2.2016).

Bei der Rückeroberung IS-kontrollierter Gebiete kam es weiterhin zu Exekutionen, Folter und Misshandlungen der örtlichen Bevölkerung durch schiitische Milizen der Popular Mobilisation Forces (HRW 1.2017).

Quellen:

- AA - AUSWÄRTIGES AMT (18.2.2016): Berlin, Gz.: 508-516.80/3 IRQ, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1457944432_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und- abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2015-18-02-2016.pdf, Zugriff 17.3.2016

- AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/local_link/319677/445031_en.html , Zugriff 10.3.2016

- ÖB - Österreichische Botschaft Amman (5.2015): Asylländerbericht Irak

4.1. Islamischer Staat

Der IS begeht im Irak massive Menschenrechtsverletzungen. Das Iraqi Observatory for Human Rights berichtet von 7.700 Exekutionen, die der IS im Irak durchgeführt haben soll. Ungefähr 2.100 davon fanden in der IS- Hochburg Mossul statt, 1.900 in der Provinz Anbar. 250 in der Provinz Diyala und 110 in der Provinz Kirkuk. Dabei sind bei diesen Zahlen weitere tausende Opfer des IS noch nicht berücksichtigt, die z.B. im Zuge von Selbstmordattentaten getötet wurden. Ebenfalls nicht in diesen Zahlen berücksichtigt sind die ungefähr 5.000 Jesiden, die im August 2014 in der Provinz Sinjar vom IS getötet wurden, während sie versuchten dem IS zu entkommen. Es kann vermutet werden, dass die Todeszahlen in Wahrheit noch wesentlich höher sind als die bereits sehr hohen hier dokumentierten Zahlen.

Der IS wendet besonders grausame Methoden der Folter und Exekution an, wie z.B. Steinigungen, Enthauptungen, Herunterwerfen von Gebäuden oder das Benutzen von Kindern, um die Exekution zu vollziehen (Ibitimes 24.9.2015). Exekutionen und Folter gegen "Ungläubige" finden in Öffentlichkeit statt, um den abschreckenden Effekt zu steigern. Menschenrechtsverletzungen durch den IS richten sich gegen alle Gruppen, die die Ideologie des IS ablehnen, darunter Christen, Jesiden, Sunniten und Schiiten (UN Security Council 29.1.2016).

Insbesondere die jesidische Bevölkerung ist von Genozid, Vergewaltigungen, Folterungen und Mord betroffen, wie das US Holocaust Memorial Museum in seinem Bericht schreibt. Große Zahlen von jesidischen Frauen und Kindern, die gekidnappt worden sind, werden als SklavInnen, zum Teil als Sex-SklavInnen gehalten oder verkauft (Agence France-Presse 13.11.2015). Auch andere ethnische und religiöse Minderheiten wie beispielsweise die Schabak und die Turkmenen sind von massiven Menschenrechtsverletzungen betroffen (ÖB Amman 5.2015). Christen, Jesiden, Turkmenen und Schabak sind von massiven Vertreibungen von Seiten des IS betroffen (FAZ 15.11.2015).

Es gibt in den vom IS kontrollierten Gebieten sehr strenge Verhaltens- und Kleidungsvorschriften. Frauen müssen sich komplett mit schwarzer Kleidung verhüllen, es gibt Berichte von Männern, die ausgepeitscht www.ris.bka.gv.at Seite 26 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 wurden, weil ihre Ehefrauen nicht vollständig verhüllt waren. Die Menschen in diesen Gebieten leben in ständiger Angst, für "Vergehen" bestraft zu werden (BBC 9.6.2015), wie z.B. den Besitz eines Mobiltelefons. Die Flucht aus Mossul wird durch Verminung verhindert, sodass die Stadt einer Art Gefängnis gleicht (Guardian 9.12.2015).

Mit der Genehmigung des IS dürfen Personen teilweise die vom IS kontrollierten Städte verlassen, in der Regel werden dann Besitztümer (z.B. das Auto) als Pfand verlangt, die eingezogen werden, falls der Ausreisende nicht mehr zurückkehrt (Daily Star 2.6.2015). In anderen Fällen wird auch die Herausgabe der Namen der Verwandten des Ausreisenden verlangt. Diese können dann im Falle des Fernbleibens inhaftiert werden (BID 2.1.2016).

Berichten des UNHCR zufolge sollen in Falluja (Provinz Anbar), rund 70 Kilometer westlich von Bagdad, mindestens 76 Menschen aufgrund mangelhafter Ernährung und fehlender Medikamente gestorben sein. 65 von ihnen hätten nicht mit den notwendigen Medikamenten versorgt werden können, elf seien durch verdorbene oder ungeeignete Nahrung vergiftet worden. UNHCR zufolge können aufgrund der IS-Kontrolle keine Helfer in die Stadt gelangen. Infolge der Blockade sind - medizinischen Kreisen zufolge - in den vergangenen Wochen rund 200 Menschen gestorben (BAMF 22.2.2016). Angaben aus Diplomatenkreisen zufolge hat der IS im Jahr 2015 Senfgas gegen kurdische Kämpfer südlich der kurdischen Stadt Erbil (Provinz Erbil) eingesetzt. Labortests von Proben, die kurdische Kämpfer im letzten August bei einem Gasangriff genommen hatten, sind allerdings noch nicht abgeschlossen (BAMF 22.2.2016).

Quellen:

Agence France-Presse (13.11.2015): IS committing genocide against in Iraq: report, http://reliefweb.int/report/iraq/committing-genocide-against-yazidis-iraq-report, Zugriff 15.1.2016

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (22.2.2016): Gruppe 22 - Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes, http://www.ecoi.net/file_upload/4765_1456148840_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge- briefing-notes-22-02-2016-deutsch.pdf, Zugriff 9.3.2016

- BID – Business Insider Deutschland (2.1.2016): It's 'hell': How ISIS prevents people from fleeing its 'caliphate', http://www.businessinsider.de/how-isis-controls-life-caliphate-raqqa-capital-2015- 12?r=US&IR=T, Zugriff 18.1.2016

- BBC (9.6.2015): Inside Mosul: What's life like under Islamic State?, http://www.bbc.com/news/world- middle-east-32831854 , Zugriff 15.1.2016

- Daily Star (2.6.2015): Life under Isis in Raqqa and Mosul: 'We're living in a giant prison', http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2015/Jun-02/300199-anxious-iraqi-men-brace-for-isis-beard- patrols-in-mosul.ashx, Zugriff 15.1.2016

- FAZ – Frankfurter Allgemeine (15.11.2015): Der Exodus aus dem Irak verlangsamt sich, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/fluechtlingsstrom-der-exodus-aus-dem-irak-verlangsamt- sich-13910780.html, Zugriff 15.1.2016

- Guardian (9.12.2015). http://www.theguardian.com/world/2015/dec/09/life-under-isis-raqqa-mosul-giant-prison-syria-iraq, Zugriff 15.1.2016

- Ibitimes – International Business Times (24.9.2015): Isis: Islamic State executed over 10,000 men, women and children in Syria and Iraq, http://www.ibtimes.co.uk/isis-terror-group-executed-over-10000-men-women-children-syria-iraq-1521094, Zugriff 15.1.2016

- Österreichische Botschaft Amman (5.2015): Asylländerbericht Irak

- UN Security Council (29.1.2016): Report of the Secretary-General on the threat posed by ISIL (Da’esh) to international peace and security and the range of United Nations efforts in support of Member States in countering the threat, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1455110196_n1602353.pdf, Zugriff 10.05.2016 www.ris.bka.gv.at Seite 27 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

4.2. Regierung, ISF, schiitische Milizen

Die laut Human Rights Watch außer Kontrolle geratenen schiitischen Milizen (HRW 20.9.2015) begehen breit angelegte und systematische Menschenrechtsverletzungen (AI 24.2.2016, HRW 27.1.2016). Es werden Zivilisten werden aus ihren Häusern vertrieben, gekidnappt, willkürlich verhaftet, gefoltert und in einigen Fällen in Massenexekutionen getötet. Insbesondere in jenen Gebieten, die die Milizen vom IS zurückerobern, wird die sunnitische Bevölkerung pauschal schikaniert. V.a. die Miliz Asa’ib Ahl Al Haqq ist hier besonders hervorzuheben (HRW 15.2.2015, vgl. BTI 2016). Von den schiitischen Milizen wurden ganze Dörfer systematisch zerstört, sie wurden geplündert, niedergebrannt, oder gesprengt (HRW 27.1.2016). Von April bis Dezember 2015 sind alleine in der Provinz Salah al-Din zumindest 718 Sunniten von Kämpfern schiitischer Milizen entführt worden (Reuters 14.12.2015). Es werden sogar Stimmen laut, die meinen, dass sich einige der schiitischen Milizen teilweise hinsichtlich ihres reaktionären Gesellschaftsbildes und ihrer Brutalität gegenüber Andersgläubigen, kritischen JournalistInnen und Menschen mit anderer sexueller Orientierung kaum vom IS unterscheiden (Rohde 9.11.2015). Auch die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) selbst verübten Attacken auf zivile sunnitische Gebiete (ISW o.D.).

Quellen:

AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/local_link/319677/445031_en.html , Zugriff 10.3.2016

- Bertelsmann Foundation (2016): BTI 2016; Iraq Country Report,

http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Iraq.pdf, Zugriff 10.3.2016

- Rohde, Achim (9.11.2015): Konfliktporträt: Irak, http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html, Zugriff14.1.2016

- HRW – Human Rights Watch (20.9.2015): Irak: Übergriffe durch Milizen schaden Kampf gegen ISIS, https://www.hrw.org/de/news/2015/09/20/irak-ubergriffe-durch-milizen-schaden-kampf-gegen-isis, Zigriff 15.1.2016

- HRW – Human Rights Watch (15.2.2015): Iraq: Militias Escalate Abuses, Possibly War Crimes, https://www.hrw.org/news/2015/02/15/iraq-militias-escalate-abuses-possibly-war-crimes, Zugriff 15.1.2016

- HRW - Human Rights Watch(27.1.2016): World Report 2016, https://www.ecoi.net/local_link/318408/443588_en.html, Zugriff 6.4.2016

- ISW – Institute for the Study of War (o.D.): Beyond The Islamic State: Iraq's Sunni Insurgency, http://www.understandingwar.org/report/beyond-islamic-state-iraqs-sunni-insurgency, Zugriff 15.1.2016

- Reuters (14.12.2015): Torture by Iraqi militias: the report Washington did not want you to see, http://www.reuters.com/investigates/special-report/mideast-crisis-iraq-militias/ , Zugriff 11.3.2016

5. Rückkehr

Eine freiwillige Rückkehr in den Irak aus dem österreichischen Bundesgebiet ist über Vermittlung entsprechender Rückkehrberatungseinrichtungen und nach erteilter Zustimmung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Unterstützung von IOM-Österreich möglich. IOM stellt im Gefolge der administrativen Abwicklung Flugtickets zur Verfügung und gewährt in Einzelfällen besonderer Hilfsbedürftigkeit auch finanzielle Überbrückungshilfe. Aktuell erfolgt eine solche Rückkehr in den Irak über die Flughäfen in Bagdad, Erbil, Basra und Najaf. Im Jahr 2015 haben ca. 150 Rückkehrer in den Irak diese Unterstützung in Anspruch genommen.

www.ris.bka.gv.at Seite 28 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Aktuelle Tendenzen zeigen, dass vor allem aus Deutschland, Belgien, Finnland und Österreich zunehmend mehr Iraker freiwillig in den Irak zurückkehren, darunter auch mit Ziel Bagdad: IOM unterstützt irakische Rückkehrer aus Belgien; am 01.02.2016 reisten 106 Iraker, davon 93 Männer, 13 Frauen und 17 Kinder nach Bagdad zurück. Sie finden Unterstützung durch IOM. Sie kam am Flughafen in Bagdad sicher an, wo sie von IOM Beschäftigten empfangen wurden. IOM koordiniert mit dem zuständigen irakischen Ministerium. Das Reintegrationsprogramm umfasst ua. die Unterkunft, Einrichtung, Jobsuche, Unterstützung bei der Gründung von Kleinstunternehmungen. 2015 erhielten mehr als 3000 zurückkehrende Iraker europaweit Unterstützung durch IOM. 2015 kehrten aus Belgien 1014 Iraker freiwillig zurück, vorwiegend nach Bagdad, einige auch nach Basra und Najaf. 2014 waren es nur 57 Personen (IOM Helps Iraqi Migrants Voluntarily Return Home from Belgium, 01.02.2016, http://www.iom.int/news/iom-helps-iraqi-migrants-voluntarily-return-home-belgium).

Von freiwilliger Rückkehr zeugen zahlreiche Medienberichte:

Rückkehr in den Irak; trotz aller Anschläge in Bagdad finden sie das Leben dort besser als in Europa, 29.01.2016

(http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/mittagsmagazin/sendung/irak-fluechtling-rueckkehr- 100.html)

100 Flüchtlinge freiwillig zurück in den Irak; Bericht über Abreise vom Flughafen Zaventem; Zitat: "Auch wenn die Menschen nach Bagdad zurückkehren, werden sie durch bestimmte Programme vor Ort unterstützt. Ihnen wird geholfen einen Betrieb aufzubauen, ihr Studium oder ihre Ausbildung zu beenden oder medizinische Kosten abzudecken", 01.02.2016.

(http://grenzecho.net/mobil/News.aspx?aid=1fa26124-14a6-443e-9c94-b093d3f8fdcb&mode=shortnews)

Geplatzter Traum von Deutschland; in Scharen kehren junge Iraker zurück in die Heimat, 02.02.2016.

(www.tagesschau.de/ausland/rückkehr-irak-101.html)

Frustrierende EU-Realität in Finnland: Flüchtlinge kehren zurück nach Irak.

(http://de.sputniknews.com/panorama/20151009/304825241/eu-fluechtlinge-unzufriedenheit-heimkehr.html)

Sicherheit, Arbeit und Wohlstand. Das hatten sich Merwan und seine Frau Alven von ihrer Flucht nach Deutschland erhofft. Doch auch nach einem Jahr lebt die Familie in einer Turnhalle. Desillusioniert wollen sie zurück in den Irak. (28.10.2016, http://www.dw.com/de/fl%C3%BCchtlinge-freiwillige-r%C3%BCckkehr/av- 36189182)

"47 Asylwerber - vor allem aus dem Irak und Russland - haben im letzten halben Jahr freiwillig Vorarlberg wieder verlassen. Die Motive: Heimweh, lange Asylverfahren. Auch die Trennung von ihren Familien fiel einigen zu schwer. (17.02.2016, http://vorarlberg.orf.at/news/stories/2758176)

Bundesweit haben heuer schon 3195 Migranten einen Antrag auf freiwillige Ausreise gestellt. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: negative Asylbescheide, falsche Erwartungen und Versprechen – oftmals geschürt von Schleppern – und keine Chance auf Familiennachzug. Einer von ihnen ist der fünffache Vater Muhssen Jurani (59) aus Basra im Irak. Vor zehn Monaten kam er in Linz an, jetzt kehrt er freiwillig in die Heimat zurück (11.08.2016, http://www.krone.at/oesterreich/fluechtling-ich-will-zurueck-zu-meiner-familie-freiwillige- rueckkehr-story-524192)

Von Anfang Jänner bis Ende Juni 2016 kehrten 926 Asylwerber freiwillig aus Österreich in den Irak zurück. Die meisten freiwilligen Rückkehrer in diesem Zeitpunkt sind somit irakische Asylwerber, gefolgt von 431 Afghanen und 414 Asylwerbern aus dem Iran (KURIER.at, 13.07.2016).

Zahlreiche Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2016 enden, da die Beschwerdeführer freiwillig in den Irak zurückkehren (vgl. L521 2118854-1, L521 2119525-1, L521 2131620-1, L502 2124924-1, L502 2115438-1, L504 2120413-1, L504 2120695-1, L504 2120535-1, L504 2120410-1, L504 2117392-1).

www.ris.bka.gv.at Seite 29 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Das Rückkehrprojekt Magnet, das zwischen Jänner 2012 und Juni 2013 u. a. eine Kooperation von IOM- Österreich mit dem Büro für Migration und Vertriebene sowie dem Ministerium für Arbeit und Soziales der kurdischen Autonomieregierung beinhaltete, unterstützte freiwillige Rückkehrer aus Österreich, wie auch aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden, bei der Re-Integration in den Arbeitsmarkt der kurdischen Autonomieregion. Das Nachfolgeprojekt Magnet II, welches im Juni 2014 gestartet wurde und seither in Kooperation zwischen der kurdischen Regionalregierung und den jeweiligen belgischen, finnischen, niederländischen, französischen und britischen Behörden umgesetzt wird, kann von Rückkehrern aus Österreich aktuell nicht in Anspruch genommen werden.

Im Rahmen des Rückkehrprogramms AVRR (Assisted Voluntary Return and Reintegration) von IOM kehrten im Jahr 2015 insgesamt über 3.000 ehemalige Asylwerber aus 14 verschiedenen europäischen Ländern freiwillig in den Irak, nach Bagdad, Erbil, Suleimanyia und Basra, zurück. Dies stellt eine Zunahme von ca. 200% gegenüber dem Jahr 2014 dar. IOM unterstützt die Rückkehrer neben der Organisation der Reise selbst mit Reintegrationsmaßnahmen wie Mikrokrediten, provisorischen Unterkünften, Arbeitssuche und wichtigen Gütern des täglichen Lebens und arbeitet dabei mit dem irakischen Migrationsministerium und dem Migrationsbüro der kurdischen Autonomieregierung zusammen.

Quelle:

- IOM Österreich: www.iomvienna.at; telefonische Auskünfte von IOM-Österreich an das BVwG, Außenstelle Linz am 22.10.2015

- IOM Iraq Mission: http://iomiraq.net/article/0/movement-and-assisted-migration (Zugriff am 9.5.2016)

- IOM Iraq Mission: IOM Helps Iraqi Migrants Voluntarily Return Home from Belgium, http://iomiraq.net/article/0/iom-helps-iraqi-migrants-voluntarily-return-home-belgium (Zugriff am 9.5.2016)

- IOM Iraq Mission: Iraq Mission Overview 2015, http://iomiraq.net/file/5703/download (Zugriff am 9.5.2016)

- KURIER.at: "Weiß nicht, ob ich je Asyl bekomme", http://kurier.at/chronik/oesterreich/weiss-nicht-ob- ich-je-asyl-bekomme/209.431.467, Zugriff am 14.07.2016

Die irakische Verfassung garantiert in ihrem Art. 44 die innerstaatliche Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit jedes Staatsbürgers. Es stehen vor diesem Hintergrund Einzelbestimmungen für die Regulierung dieser Grundfreiheiten in Anwendung, so hinsichtlich der Vorlage bestimmter Identitätsdokumente sowie der persönlichen Aussage vor den jeweiligen örtlichen Behörden. Als die beiden wichtigsten Dokumente für den Verkehr mit den Behörden, neben der Registrierung etwa für die Zuteilung von Lebensmittelrationen oder die Ausstellung anderer Dokumente, dienen der Staatsbürgerschaftsnachweis sowie der Personalausweis (Identity Card), weitere maßgebliche Dokumente sind Wohnsitzbestätigungen (Meldenachweis), Lebensmittelrationskarten, Geburts- und Sterbeurkunden. Laut UNHCR werden die vier erstgenannten Dokumente in der Regel von örtlichen Niederlassungsbehörden im Parteienverkehr verlangt. In den drei autonomen kurdischen Provinzen des Nordiraks werden in Ermangelung dieser Dokumente auch Ersatzpapiere (sogen. Information Card) für den einmaligen Gebrauch verwendet. In Ermangelung der Vorlage entsprechender Identitätsdokumente kommt es zu Schwierigkeiten beim Passieren von Checkpoints und/oder der Registrierung durch die zuständigen Behörden sowie der Erlaubnis zur Niederlassung, was in der Folge zur Einschränkung des Bezugs staatlicher Leistungen führen kann. Die örtlichen Büros von IOM und deren Partnern setzen demgegenüber ausdrücklich nicht die Vorlage solcher Dokumente für die Gewährung ihrer Unterstützungsleistungen an IDP voraus. Erhebungen von IOM aus 2014 zufolge gaben nur ca. 10% aller IDP den Verlust solcher Dokumente verursacht durch die Umstände der internen Vertreibung an. Demgegenüber sind über 90% aller IDP von den jeweiligen örtlichen Behörden registriert worden.

Alle wesentlichen persönlichen Daten werden von den örtlichen Standesämtern in Personenstandsregistern festgehalten bzw. ergänzt. Diese sind grundsätzlich auch für die Neuausstellung verloren gegangener Personalausweise zuständig. Sofern der Zugang zu einem Personenstandsamt nicht möglich oder zu gefährlich ist, kann die Übertragung der entsprechenden Daten auf Antrag bei der örtlichen Niederlassung des Ministeriums für Vertriebene und Migranten, in der KRG beim örtlichen Büro der Behörde für Vertriebene und Migranten, zur jeweiligen Behörde des Aufenthaltsorts veranlasst werden, dies ist auch bei irakischen Botschaften möglich. Darüber hinaus bietet UNHCR Unterstützung bei der Erlangung neuer Identitäts- und andere Dokumente durch seine sogen. Protection and Reintegration Centers vor Ort an, so auch in Dohuk, Erbil und Suleymaniah. In Ermangelung der Möglichkeit persönlichen Erscheinens beim Personenstandsamt seiner Herkunftsregion ist es einer IDP auch möglich, die Neuausstellung von Identitätsdokumenten durch dort anwesende Verwandte oder www.ris.bka.gv.at Seite 30 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 andere Dritte unter Vorlage einer beglaubigten Vollmacht zu veranlassen. Als Mindestvoraussetzungen für die Neuausstellung solcher Dokumente genügen allfällige Kopien von elterlichen Dokumenten, Meldenachweise oder die Angabe der Nummer des "Familienbuches" am örtlichen Standesamt. Zuletzt existiert in Bagdad auch ein zentraler Mikrofilm-Speicher aller bisherigen Personenstandsdaten, sollte ein bestimmtes Personenstandsregister zerstört worden sein. Das Gesagte gilt sinngemäß auch für die Erlangung eines Staatsbürgerschaftsnachweises, der von der nationalen Staatsbürgerschaftsbehörde in Bagdad ausgestellt wird bzw. bei den örtlichen Zweigstellen in den jeweiligen Provinzen beantragt werden kann.

Quelle:

- British Home Office, COI on Internal relocation in Iraq vom 24.12.2014 in der Fassung der Aktualisierung vom 22.10.2015; https://www.gov.uk/government/publications/iraq-country- information-and-guidance)

1.6. Zur Miliz Saraya al-Salam werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die schiitische Miliz Saraya al-Salam existiert. Sie wird im Englischen entweder als Peace Brigades oder Peace Companies bezeichnet. Auch die Bezeichnung ihrer Vorgängerorganisation, der Mahdi Army, ist teils noch in Gebrauch. Eine Quelle schätzt die Zahl der Mitglieder von Saraya al-Salam auf 60.000, in anderen Quellen heißt es, dass die genaue Zahl der Kämpfer unbekannt ist. Die Miliz selbst gibt weitaus höhere Mitgliederzahlen an.

Die Vorgängerorganisation von Saraya al-Salam war die Mahdi Army, die 2003 vom schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr gegründet wurde. Die Mahdi Army hatte zum Ziel, sich der US-amerikanischen Okkupation des Irak zu widersetzen und war stark in konfessionell motivierte Gewalt involviert. 2008 wurde die Mahdi Army aufgelöst.

Die Miliz Saraya al-Salam wurde im Juni 2014 von Muqtada al-Sadr als Antwort auf die Gebietsgewinne des Islamischen Staats im Irak gegründet. Ziel der Miliz ist der Kampf gegen den Islamischen Staat. Saraya al-Salam ist laut einer Quelle Teil der Hashd al-Sha‘abi (engl. Popular Mobilization Forces, dt. Volksmobilisierungseinheiten).

Saraya al-Salam hat komplexe Verbindungen zum Iran, die laut manchen Quellen enger, laut anderen wiederum nicht so eng ausfallen bzw. Veränderungen unterliegen. Teilweise kooperiert Saraya al-Salam (als Teil der PMF) mit der irakischen Armee. Am 26.11.2016 wurde vom irakischen Parlament ein Gesetz beschlossen, welches die Milizen der Volksmobilisierungseinheiten mit der irakischen Armee gleichstellt. Dies betrifft unter anderem auch Saraya al-Salam. Einige der Quellen attestieren Saraya al-Salam einen eher nationalistischen Charakter. Die Miliz vollzog demnach einen ideologischen Wandel; die Mahdi Army sei eher konfessionell geprägt gewesen, während die Saraya al-Salam nationalistisch geprägt sei, was unter anderem zu Streit mit anderen Milizen führt.

Einzelquellen:

UK Home Office, das britische Innenministerium, berichtet im August 2016, die schiitischen Milizen seien unorganisiert und undiszipliniert; sie seien anfällig für Konfrontationen untereinander sowie mit der irakischen Regierung. Es gab 2015 Zusammenstöße zwischen Saraya al-Salam und AAH [Anm.: Asaib Ahl al-Haq] in Bagdad und 2016 in al-Muqdadi. Die Miliz Saraya al-Khorasani stieß mit der Polizei in Balad, Diyala zusammen. Die schiitischen Milizen im Irak lassen sich in drei Blöcke einteilen. Der erste und einflussreichste Block sind die pro-iranischen Milizen, die vom iranischen Regime installiert wurden. Der zweite Block sind pro- Sistani Milizen, die Hashd al-Sistani, die aus Liwa Ali al-Akbar, Furqat Imam Ali al-Qitaliyah und Furqat al- Abbas al-Qitaliyah bestehen. Der dritte Block setzt sich aus Anhängern des schiitischen Geistlichen Muqtada al- Sadr und Milizen, die den irakischen Obersten islamischen Rat, der von Ammar al-Hakim geführt wird, unterstützen, zusammen. Dies sind zwei mächtige schiitische Fraktionen mit komplexen Verbindungen zum Iran. Trotz ihrer Rivalitäten werden sie als eine Gruppe kategorisiert, weil sie lose Verbindungen zur irakischen Bundesregierung haben. Solche pro-Hakim Milizen schließen Saraya Ansar al-Aqeeda, Liwa al-Muntathar und Saraya Ashura ein, während die wichtigste pro-Sadr Miliz Saraya al-Salam ist. Die Anführer beider Fraktionen haben gesagt, ihre Truppen würden den Instruktionen der Irakischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen den IS folgen.

UK Home Office (8.2016): Country Information and Guidance Iraq: Sunni (Arab) Muslims, www.ris.bka.gv.at Seite 31 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/545942/CIG_Iraq_Sunnis.pdf, Zugriff 30.11.2016

In einem Bericht der finnischen Migrationsbehörde aus dem Jahr 2015 heißt es, dass die bewaffnete Gruppierung, die von Imam Muqtada al-Sadr angeführt wird und früher Mahdi Army gennant wurde, aktuell unter dem Namen Saraya al-Salam/Peace Brigades bekannt ist. Die Gruppe nahm den neuen Namen 2014 an. Oft wird die Gruppe deshalb auch noch als Mahdi Army bezeichnet. Es gibt auch neuere Berichte, die die Gruppe als Mahdi Army bezeichnen. Muqtada al-Sadr löste die Mahdi Army im Jahr 2008 auf.

Im Jahr 2014 organisierte Saraya al-Salam Paraden im schiitischen Bezirk Sadr City als Machtdemonstration. Es wird geschätzt, dass 30.000 bis 50.000 Mitglieder der Mahdi Army an diesen Paraden teilnahmen, die meisten in Uniform und mit Waffen. Diese Truppen sind wieder aktiv, aber ihre offizielle Aufgabe ist es, schiitische Moscheen und Wohngebiete vom IS zu schützen. Laut Truppenführern arbeiten sie unter der Kontrolle der Regierung und den Befehlen der irakischen Armee entsprechend.

Finnish Immigration Service (29.4.2015): Security Situation in Baghdad – The Shia Militias, http://www.migri.fi/download/61225_Security_Situation_in_Baghdad_- _The_Shia_Militias_29.4.2015.pdf?01abe06266acd288, Zugriff 30.11.2016

Im selben Bericht heißt es, dass die Intention Sadrs die Beteiligung an der Verteidigung war, als er die Peace Brigades ins Leben rief. Trotzdem war die Gruppe immer mehr in offensive Kämpfe verwickelt. Die Mahdi Army/Peace Brigades sind in Sadr City sehr mächtig. Sie installieren eigene illegale Checkpoints in Sadr City und können sogar Regierungstruppen den Zutritt verweigern. Muqtada al-Sadr setzt sich kürzlich für die Prävention von Gewalt ein. Er hat das Gefühl, die schiitischen Milizen gefährden die Einheit und Autorität der irakischen Armee.

Im Jänner 2015 hielt al-Sadr gemeinsam mit dem irakischen Verteidigungsminister Khaled Al-Obeidi eine Pressekonferenz ab, in der er ankündigte, seine Truppen der irakischen Armee zur Verfügung zu stellen. Nichtsdestotrotz kooperiert die Miliz, wie andere schiitische Milizen auch, mit dem Iran. Die Mahdi Army hat engere und nationalistischere Verbindungen mit dem Iran als andere militante religiöse Gruppen.

Die Mahdi Army, oder aktuell die Peace Brigades, bestehen aus 60.000 Kämpfern. Im Februar 2015 setzte Muqtada al-Sadr die Einsätze seiner bewaffneten Gruppierungen, der Peace Brigades und der Promised Day Brigades, aus, nachdem Qassim al-Janabi, ein bekannter Anführer eines sunnitischen Stammes, tot aufgefunden wurde. Eine unbekannte schiitische Miliz wurde für seinen Tod verantwortlich gemacht, was Aufsehen unter sunnitischen Politikern verursachte. Laut al-Sadr diente das Aussetzen der Einsätze dazu, guten Willen zu demonstrieren. Al-Sadr sagte außerdem, dass die Gewalt gegen Schiiten keine Angriffe auf andere rechtfertige, und dass die Menschen zusammenarbeiten sollten um Gewalt vorzubeugen. Im Juni 2014 hatte die Mahdi Army laut Radio Liberty/Radio Free Europe 6.000 bis 10.000 Kämpfer.

Finnish Immigration Service (29.4.2015): Security Situation in Baghdad – The Shia Militias, http://www.migri.fi/download/61225_Security_Situation_in_Baghdad_- _The_Shia_Militias_29.4.2015.pdf?01abe06266acd288, Zugriff 30.11.2016

Tracking Terrorism, ein Online-Informationsportal, welches unter anderem Informationen zum Thema Terrorismus zur Verfügung stellt, berichtet über Saraya al-Salam Folgendes: Die Miliz Saraya al-Salam wurde im Juni 2014 von Muqtada al-Sadr als Antwort auf die Gebietsgewinne des Islamischen Staats im Irak gegründet. Saraya al-Salam ist eine Splittergruppe der Mahdi Army, die 2003 gegründet wurde um sich der US- amerikanischen Okkupation des Irak zu widersetzen, welche aber seit 2007 großteils inaktiv war, seitdem sie stark in konfessionell motivierte Gewalt verwickelt war.

Tracking Terrorism (n.a.): Saraya al-Salam, http://www.trackingterrorism.org/group/saraya-al-salam, Zugriff 30.11.2016

Asharq al-Awsat ist eine pan-arabische internationale Zeitung mit Hauptsitz in London und Verbindungen zum saudischen Königshaus. Am 3.3.2015 berichtet Asharq al-Awsat, dass nicht alle Milizen mit schiitischer Mehrheit vom Iran unterstützt werden. Saraya al-Salam sei eine davon und operiere im Auftrag von Muqtada al- Sadr, einem schiitischen Anführer, der gemeinsam mit sunnitischen Stämmen gegen die US-Besatzung gekämpft habe. Sinan Adnan vom Institute for the Study of War (US-amerikanischer Think Tank) meinte, man müsse unterscheiden zwischen Milizen, die absolute Loyalität Teheran gegenüber zeigen, und denen mit nationalistischem Charakter, wie Saraya al-Salam und die schiitischen Freiwilligen, die dem Aufruf von www.ris.bka.gv.at Seite 32 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Großayatollah Al-Sistani gefolgt waren, nachdem klar geworden war, dass der IS eine existentielle Bedrohung für die schiitisch geführte irakische Regierung darstellt.

Asharq al-Awsat (3.3.2015): Thran‘s Political and Military Hegemony Over Baghdad, http://english.aawsat.com/2015/03/article55341960/tehrans-political-and-military-hegemony-over-baghdad, Zugriff 30.11.2016

Die Jamestown Foundation ist ein Forschungsinstitut mit Sitz in Washington D.C., das 1984 gegründet wurde. Es beschäftigt sich mit den Gebieten China, Russland und Eurasien bzw. mit dem Thema des globalen Terrorismus. In einem Bericht vom 17.4.2015 heißt es, dass einige der wichtigsten Milizen bei den Hashd al- Sha‘abi (engl. Popular Mobilization Forces, dt. Volksmobilisierungseinheiten) die Badr Organisation, Saraya al- Salam, Asa‘ib Ahl al-Haq, Harakat Hezbollah al-Nujaba, Saraya Taleaa al-Khorasani und Kata’ib Imam Ali seien.

Jamestown Foundation (17.4.2015): A Short Profile of Iraq‘s Shi‘a Militias, Terrorism Monitor Volume 13 Issue 8, https://jamestown.org/program/a-short-profile-of-iraqs-shia-militias/, Zugriff 30.11.2016

Die Miliz Saraya al-Salam wurde im Juni 2014 von Muqtada al-Sadr, einem prominenten schiitischen Geistlichen und Anführer der Sadr-Bewegung, als Antwort auf die Gebietsgewinne des Islamischen Staats im Irak gegründet. Der Kern von Saraya al-Salam besteht aus ehemaligen Mitgliedern der Mahdi Army, die 2003 gegründet wurde um sich der US-amerikanischen Okkupation des Irak zu widersetzen, welche aber seit 2007 großteils inaktiv war, seitdem sie stark in konfessionell motivierte Gewalt verwickelt war. Die Gruppe gibt an, mehrere hunderttausende gut ausgerüstete Kämpfer zu haben, obwohl das unwahrscheinlich ist; die wirkliche Anzahl ist nicht bekannt.

In den letzten Monaten [Anm.: vor April 2015] kämpfe Saraya al-Salam in Samarra, Jurf al-Sakhar, Diyala und Tikrit gegen den IS, sowie in Babil im Süden von Bagdad. Muqtada al-Sadr hat schwankende Beziehungen zum Iran. Vor dem Abzug der US-Truppen wurde al-Sadr als enger Verbündeter des Iran gesehen, und seine Mahdi Army bekämpfte die irakischen Sicherheitskräfte. Jetzt propagiert al-Sadr nationalistische irakische Ideen, unterstützt die Sicherheitskräfte und steht der Einmischung des Iran in irakische Angelegenheiten kritisch gegenüber. Beispielsweise vertritt al-Sadr momentan eine "Irak-Zuerst"- Politik, ist dagegen, schiitische Kämpfer nach Syrien zu entsenden und trägt einen Konflikt mit der Mahdi-Army Splittergruppe "Asa’ib Ahl al- Haq" aus.

Muqtada erbte seine religiöse und politische Legitimität von seinem Vater Muhammad Sadiq al-Sadr, der ein Gegner Saddam Husseins war und von vielen Schiiten verehrt wird. Der politische Flügel Sadrs ist der Ahrar Block, der im irakischen Parlament 34 Sitze hat und der weniger konservativ als die anderen schiitischen Fraktionen eingeschätzt wird.

Jamestown Foundation (17.4.2015): A Short Profile of Iraq‘s Shi‘a Militias, Terrorism Monitor Volume 13 Issue 8, https://jamestown.org/program/a-short-profile-of-iraqs-shia-militias/, Zugriff 30.11.2016

IRIN News ist eine nicht profitorientierte Nachrichtenagentur mit Sitz in Genf, die sich auf Berichte von humanitären Krisen spezialisiert hat. Im Jänner 2015 wurde die Organisation unabhängig, nachdem sie fast 20 Jahre lang Teil der UNO (OCHA, United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) war. Am 13.7.2016 berichtet IRIN News über Saraya al-Salam, dass die Mahdi Army 2003 vom einflussreichen schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr gegründet wurde um sich der US-Invasion zu widersetzen. Nach einigen Jahren wurde sie aufgelöst und tauchte 2014 unter einem neuen Namen wieder auf. Kürzlich zog Sadr die Aufmerksamkeit auf sich, indem er tausende Unterstützer mobilisierte um gegen das durch konfessionelle Trennlinien paralysierte politische System zu demonstrieren; gegen Ende April brachen sie in die stark bewachte Green Zone und das Parlament ein. Die Gruppe zeichnet sich durch ihre nationalistischen Ideale aus, was zu Streit mit anderen, pro-iranischen Milizen führt. Einige Anführer der Sadr-Bewegung sind der Meinung, die Milizen sollten nach dem Kampf gegen den Islamischen Staat aufgelöst werden. Andere sehen sich wiederum gar nicht als Teil des Hashd-Systems [Anm.: Volksmobilisierungseinheiten, PMF].

IRIN News (13.7.2016): Who are Iraq's militias?, https://www.irinnews.org/analysis/2016/07/13/who-are-iraqs- militias, Zugriff 30.11.2016

Das Carnegie Middle East Center ist Teil des Carnegie Endowment for International Peace und ein unabhängiges Institut für Politikforschung mit Sitz in Beirut, Libanon. In einem Bericht aus dem Jahr 2014 heißt es, dass Sadr, www.ris.bka.gv.at Seite 33 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 als die sunnitische extremistische Gruppe Islamischer Staat immer mehr Einfluss in sunnitisch-arabischen Gebieten des Irak gewann, und sechs Jahr nach Auflösung der Mahdi Army, wieder eine aktive Miliz einsetzte. Der neue bewaffnete Arm der Sadr-Bewegung heißt Saraya al-Salam, Friedens-Kompanien. Die Sadr-Bewegung habe sich ideologisch gewandelt, was sich auch in dieser neuen Namensgebung (von einer Orientierung an schiitischer Theologie zu einem nicht-konfessionellen Beinamen) zeige.

Die Peace Companies sind offenkundig eine schiitische Einheit, die ihre eigene religiöse Konfession verteidigt, beispielsweise indem sie half, im August die Belagerung des turkmenisch-schiitischen Stadt Amerli durch den Islamischen Staat zu beenden. Aber im Gegensatz zu den Jahren der Gewalt 2006-2008 kämpfen die Peace Companies Seite an Seite mit sunnitischen Stämmen und Christen. Im November 2014 halfen Berichten zufolge 3.000 Kämpfer der Peace Companies dem Stamm Albu Nimr in Hit und Haditha, um den Islamischen Staat abzuwehren. Die Peace Companies waren außerdem bestrebt, ihre nationalistische Haltung zu zeigen, in dem sie Bilder von Kämpfern zeigte, die konfessionelle Flaggen entfernten, um eine irakische Flagge zu platzieren.

Carnegie – Middle East Center (20.11.2014): Rethinking Sadr: From Firebrand to Iraqi Statesman?, http://carnegie-mec.org/diwan/57279?lang=en, Zugriff 30.11.2016

In einigen nachfolgend zitierten Quellen wird die Möglichkeit benannt, dass Saraya al-Salam an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen sein kann bzw. sein könnte. Es wird davor gewarnt, dass Saraya al-Salam in Bezug auf Gewalt in die Fußstapfen der Mahdi Army treten könnte. Amnesty International berichtet 2014 von der Entführung zweier Brüder an einem Checkpoint nördlich von Samarra durch Mitglieder der Miliz Saraya al-Salam. Amnesty International berichtet im Oktober 2014, der wachsende Einfluss schiitischer Milizen habe zu einer allgemeinen Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Atmosphäre der Gesetzlosigkeit beigetragen. Zu den schiitischen Milizen, von denen man glaubt, sie stecken hinter der Serie von Entführungen und Morden, gehört unter anderem auch die Mahdi Army [Anm.: ab 2014 Saraya al-Salam].

Im Winter 2015 nahmen die Peace Brigades an einer Offesive zur Rückeroberung der Region Jurf al-Sakhar teil und begannen, die Stadt Samarra in der irakischen Provinz Salah Al Din zu sichern. Während dieses Prozesses führten schiitische Milizen Angriffe gegen sunnitische Zivilisten durch und Al-Sadr entschloss sich, seine neu formierte Miliz aus Furcht vor Anschuldigungen der konfessionell motivierten Gewalt aus dem Kampf zurückzuziehen. Die Mahdi Army war stark an konfessionell motivierter Gewalt beteiligt, sowie auch an Gewalt gegen Homosexuelle. 2016 sprach sich Muqtada al-Sadr gegen solche Gewalt aus, was allgemein als positives Zeichen gesehen wird, auch wenn konkrete Handlungen erst folgen müssen um die Situation von LGBT- Personen zu verbessern.

Einzelquellen:

Amnesty International berichtet im Jahr 2014, dass zwei Brüder, der 46-jährige Sarhan, Taxifahrer, und der 32- jährige Raghi, Bauer und Vater von drei Buben, am Nachmittag des 12. Juli bei einem Checkpoint im Norden von Samarra entführt wurden, als sie und ihre Familien ihren Besitz von Tikrit, wo sie bis dahin lebten, nach Samarra brachten. Ein Verwandter, der mit ihnen unterwegs war, erzählte Amnesty International: "Wir zogen aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage nach Tikrit um. Wir hatten alle unsere Habseligkeiten und Dokumente in Sarhans Taxi. Am Checkpoint Jeilam wurden wir von bewaffneten Männern angehalten, die sagten, sie seien von Saraya al-Salam (Peace Brigade, ein Ableger der berüchtigten Miliz Mahdi Army, die lange Zeit in Entführungen und willkürliche Tötungen involviert war). Sie nahmen Sarhan und Raghi mit und sagten, sie würden sie bald wieder freilassen, aber wir warteten stundenlang am Checkpoint und sie ließen sie nicht frei. Dann brachten sie uns mit einem ihrer Fahrzeuge nach Samarra und sagten uns wieder, dass Sarhan und Raghi bald freigelassen würden, doch sie wurden nie freigelassen. Wir wissen nicht wo sie sind und was mit ihnen passiert ist; ob sie noch am Leben sind oder ermordet wurden. Ihr Auto ist auch verschwunden, mit all unseren Dokumenten und Ausweisen, also können wir nicht einmal beweisen, wer wir sind."

Amnesty International (2014): Absolute Impunity. Militia Rule in Iraq, https://www.amnesty.org.uk/sites/default/files/absolute_impunity_iraq_report.pdf, Zugriff 30.11.2016

Human Rights Watch berichtet am 18.8. 2016, dass die Organisation seit Beginn 2009 Entführungen, Exekutionen und Folter durch Milizen, auch von al-Sadrs Mahdi Army, an homosexuellen Männern und Männern, die für homosexuell gehalten wurden, dokumentierte. Diese Tötungen seien unvermindert weitergegangen. Joe Stork, Direktor der Abteilung Naher Osten, meinte: "Endlich verurteilt ein Anführer einer der Gruppen, deren Mitglieder ernste Misshandlungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen oder Transgender- Personen begangen haben, diese abscheulichen Angriffe. Wir hoffen, dass verändert das Verhalten der Nachfolger der Mahdi Army und anderen Reihen, und spornt die Regierung an, die für diese Verbrechen verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen". [ ] Al-Sadr sei weit davon entfernt, Menschenrechte für LGBT- www.ris.bka.gv.at Seite 34 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Personen voll anzunehmen, aber seine Aussage zeige, dass er verstehe, dass es wichtig sei die Missbräuche gegen sie zu beenden, meinte Stork. Die Aussage sei ein wichtiger Wandel in die richtige Richtung, der von konkreten Handlungen gefolgt werden sollte, um LGBT-Personen vor Gewalt zu schützen.

Human Rights Watch (18.8.2016): Iraq: Cleric‘s Call Against Anti-LGBT Violence, https://www.hrw.org/news/2016/08/18/iraq-clerics-call-against-anti-lgbt-violence, Zugriff 30.11.2016

Die US-amerikanische Onlinezeitung The Huffington Post, die verschiedensprachige Regionalausgaben hat und als liberal gilt, berichtet am 17.5.2016, dass die Mahdi Army eine Geschichte der Gewalt hat. Sadrs aktuelle Peace Brigadaes könnten sich von einer friedenserhaltenden Kraft die am Kampf gegen den IS teilnahm, zu einer söldnerhaften Miliz, die auf all jene abzielt, die politisch und religiös abweichen, also eine Reinkarnation der "schurkenhaften" (engl. rogue) Elemente der Mahdi Army, entwickeln. Im Winter 2015 nahmen die Peace Brigades an einer Offesive zur Rückeroberung der Region Jurf al-Sakhar teil und begannen, die Stadt Samarra in der irakischen Provinz Salah Al Din zu sichern. Während dieses Prozesses führten schiitische Milizen Angriffe gegen sunnitische Zivilisten aus und Al-Sadr entschloss sich, seine neu formierte Miliz aus Furcht vor Anschuldigungen der konfessionell motivierten Gewalt aus dem Kampf zurückzuziehen.

The Huffington Post (17.5.2016): Muqtada‘s Political Revival, http://www.huffingtonpost.com/sadok- benabdallah/muqtadas-political-reviva_b_9988610.html, Zugriff 30.11.2016

Human Rights Watch berichtete am 18.3.2015 Folgendes:

Human Rights Watch hat bei dieser Operation sind keine Morde an Zivilisten dokumentiert. Allerdings liegen zahlreiche Berichte über mutmaßliche Tötungen und andere Menschenrechtsverletzungen durch Milizionäre in vielen anderen Regionen des Iraks in den Jahren 2013 und 2014 vor. Die Medienberichte über Verstöße der Milizen während des Kampfes gegen ISIS nahmen Ende des Jahres 2014 bis Anfang 2015 dramatisch zu. Am 17. Februar verurteilte der schiitische Geistliche Muqtada al-Sadr die Menschenrechtsverletzungen der Milizen scharf und kündigte an, die Aktivitäten der zwei ihm unterstehenden Milizen Youm al-Mawoud und Saraya al- Salam einzufrieren, die auch am Kampf gegen ISIS beteiligt waren.

Human Rights Watch (18.3.2015): Irak: Milizen zerstören Dörfer und vertreiben Tausende, https://www.hrw.org/de/news/2015/03/18/irak-milizen-zerstoren-dorfer-und-vertreiben-tausende, Zugriff 30.11.2016

Amnesty International berichtet im Oktober 2014, der wachsende Einfluss schiitischer Milizen habe zu einer allgemeinen Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Atmosphäre der Gesetzlosigkeit beigetragen. Zu den schiitischen Milizen, von denen man glaubt, sie steckten hinter der Serie von Entführungen und Morden, gehören: Asa’ib Ahl al-Haq, the Badr Brigades, die Mahdi Army, und Kata’ib Hizbullah. Diese Milizen haben seit Juni weiter an Macht und Bedeutung gewonnen, nachdem die irakische Armee den Rückzug angetreten ist und fast ein Drittel des Landes den IS-Kämpfern überließ. Mitglieder der Milizen, einige zehntausend, tragen militärische Uniformen, aber sie operieren jenseits jedes Rechtsrahmens und ohne jegliche offizielle Kontrolle/Übersicht.

Amnesty International (14.10.2014): Iraq: Evidence of war crimes by government-backed Shi‘a militias, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2014/10/iraq-evidence-war-crimes-government-backed-shi-militias/, Zugriff 30.11.2016

Foreign Policy ist eine Zeitschrift aus den USA, die auch online erscheint und sich mit der Außenpolitik der USA, internationaler Politik, internationalen Beziehungen und Wirtschaft befasst. In einem Artikel vom 18.9.2014 heißt es, dass Saraya al-Salam, als sie gegründet wurde, laut Sadr eher in defensive Aktionen involviert sein sollte. Im letzten Monat hat die Gruppierung jedoch stark in offensive Aktionen investiert. Heute hat sie Einsätze im ganzen Irak, vom Schrein in der Stadt Samarra bis zum kürzlich befreiten Amerli, der Stadt Jurf al-Sakhr und Diyala im Osten. Die Größe von Saraya al-Salam, sowie die steigende Involviertheit in den Konflikt und der Hintergrund der Mahdi Army lassen vermuten, dass sich die Gruppe erneut an konfessionell motivierten Massenmorden beteiligen könnte.

Foreign Policy (18.9.2014): All the Ayatollah‘s Men. Iraq‘s Shiite militias are becoming as great a danger as the Islamic State, https://foreignpolicy.com/2014/09/18/all-the-ayatollahs-men/, Zugriff 30.11.2016

2. Beweiswürdigung:

www.ris.bka.gv.at Seite 35 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde einschließlich der im Verfahren in Vorlage gebrachten Ablichtungen arabischsprachiger Urkunden, welche im Rechtsmittelverfahren einer Übersetzung zugeführt wurden, ferner durch Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei in der vor dem erkennenden Gericht am 13.03.2017 durchgeführten mündlichen Verhandlung und schließlich durch Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht und der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sowie die in Vorlage gebrachte Berichterstattung über ein Attentat in XXXX am 02.04.2014 und die in beglaubigter Übersetzung in Vorlage gebrachte Anzeigebestätigung vom 22.08.2015.

2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der belangten Behörde, wobei anzumerken ist, dass seitens der belangten Behörde kein mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde. Vielmehr ist der belangten Behörde anzulasten, dass die seitens des Beschwerdeführers in Vorlage gebrachten Bescheinigungsmittel nicht übersetzt wurden. Eine Auseinandersetzung mit den in Vorlage gebrachten Urkunden bleibt die belangte Behörde aus diesem Grund auch gänzlich schuldig, was eine unzulässigen antizipierende Beweiswürdigung darstellt (VwGH 25.05.2016, Ra 2016/11/0038).

Darüber hinaus hat die belangte Behörde der angefochtenen Entscheidung keine aktuellen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat zugrunde gelegt, zumal die herangezogenen Quellen vorwiegen aus den Jahre 2013 und 2014 stammen.

Die vorstehend genannten gravierenden Verfahrensmängel wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes im Rechtsmittelverfahren saniert und musste deshalb auch eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt werden. Dessen ungeachtet ist – auch im Hinblick auf den in Rechtskraft erwachsenen Ausspruch über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten – evident, dass eine mängelfreie Durchführung des Verfahrens erster Instanz durch die belangte Behörde im gegenständlichen Fall nicht gegeben ist.

Der Beschwerdeführer beanstandete darüber hinaus noch die bei der Einvernahme erbrachten Übersetzungsleistungen in allgemeiner Weise. Entscheidungswesentliche Unrichtigkeiten der Niederschrift der Einvernahme am 30.05.2016 konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht konkret bezeichnen. Aus der Niederschrift geht im Übrigen hervor, dass der Beschwerdeführer selbst nach Rückübersetzung eine Korrektur anbrachte und weitere Korrekturen nicht begeht wurden (AS 65).

2.3. Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen persönliche und familiäre Lebensumstände im Herkunftsstaat ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht als glaubhaft erachteten Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht und der belangten Behörde sowie aus den im Original in Vorlage gebrachten irakischen Identitätsdokumenten (Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis), sie sind im Beschwerdeverfahren nicht strittig.

2.4. Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat sowie zur Rekrutierung von Kämpfern durch schiitische Milizen im Irak ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, welche in der mündlichen Verhandlung erörtert und dem Beschwerdeführer ausgehändigt wurden. Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer ist den in der mündlichen Verhandlung erörterten und ausgefolgten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Irak nicht entgegen getreten und hat seinerseits ergänzend Dokumente zur Miliz in Vorlage gebracht, welche in die Feststellungen übernommen wurden.

Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird (vgl. VwGH 2.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da der Beschwerdeführer jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen

www.ris.bka.gv.at Seite 36 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hatte, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit im Herkunftsstaat nicht geboten.

2.5. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, Zl. 92/03/0011; 1.10.1997, Zl. 96/09/0007).

Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Das Bundesverwaltungsgericht ist nicht an die verwaltungsbehördliche Beweiswürdigung gebunden. Hat die Verwaltungsbehörde bereits Feststellungen getroffen und geht das Verwaltungsgericht von diesen ab, so ist dies zulässig, wenn alle entsprechenden und maßgeblichen Beweise aufgenommen und in der Beweiswürdigung darlegt wird, weshalb das Verwaltungsgericht zu anderen Feststellungen gelangt ist (VwGH 01.03.2016, Ra 2015/11/0106).

2.6. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen. Im Einzelnen:

2.6.1. Bevor auf das Vorbringen zu den ausreisekausalen Vorfällen eingegangen wird, ist auf den Tätigkeitsbereich des Beschwerdeführers sowie den Umständen seines Ausscheidens aus dem Polizeidienst einzugehen.

Im Hinblick auf den Tätigkeitsbereich des Beschwerdeführers ist angesichts der in Vorlage gebrachten Lichtbilder sowie seines Dienstausweises und dem grundsätzlich nachvollziehbaren Vorbringen zum Lebenslauf und der beruflichen Entwicklung glaubhaft, dass der Beschwerdeführer der irakischen Polizei als einfacher Polizist angehörte. Dass er entgegen seinem Vorbringen vor der belangten Behörde (AS 53) keinen Rang bekleidete, ergibt sich insbesondere aus dem in Vorlage gebrachten Dienstausweis, zumal die darin verwendete englische Abkürzung für "Policeman" steht und der vom Beschwerdeführer behauptete Rang nicht angeführt ist. Die belangte Behörde hebt ferner zutreffend die massive Unkenntnis des Beschwerdeführers einerseits im Hinblick auf die von diesem angeblich vollzogenen gesetzlichen Bestimmungen sowie die organisatorische www.ris.bka.gv.at Seite 37 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Struktur des Innenministeriums und der dort handelnden maßgeblichen Personen – wie etwa den Namen des Innenministers – hervor. Andererseits äußerte sich der Beschwerdeführer selbst widersprüchlich, indem er sich zunächst gegenüber der belangten Behörde als Kriminalpolizist ausgab, der in den Bereichen Wirtschafts- und Suchtmittelkriminalität, Terrorismusbekämpfung und Verfassungsschutz gearbeitet habe. Nach eingehender Befragung musste der Beschwerdeführer schließlich eingestehen, er habe nur als Leibwächter für einen Leutnant namens XXXX gearbeitet, der ein aufrichtiger Mann gewesen sei. Seine Aufgabe sei es gewesen, Personen abzuholen und zu beschützen (AS 61).

Das Bundesverwaltungsgericht tritt diesbezüglich der Ansicht der belangten Behörde bei, dass sich schon das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Aufgabengebietes widersprüchlich und zunächst massiv übertrieben gestaltete, was der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers abträglich ist. In Anbetracht des letztlich zugestandenen Tätigkeitsgebietes ist darüber hinaus aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer sieben Anschläge mit Autobomben aufklären konnte und deshalb bedroht worden sei, zumal er auch weder angeben konnte, wer für die Autobomben verantwortlich gewesen sein soll, noch welcher Gruppe die Täter zuzurechnen gewesen wären (AS 55). Die dafür als Bescheinigungsmittel vorgelegten Dankschreiben stützen das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers im Übrigen nicht, da in diesen nur Allgemeinplätze und keine konkreten Verdienste des Beschwerdeführers angeführt sind.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht setzten sich die Wiedersprüche und Ungereimtheiten fort. Zunächst legte der Beschwerdeführer dar, sein Vorgesetzter sei Oberst gewesen und habe den Namen XXXX geführt und dass dieser die Kriminalpolizei in XXXX geleitet habe. Am 02.04.2014 sei dieser in seinem Beisein angegriffen worden, wobei der Beschwerdeführer diesbezüglich folgendes vorbrachte: "Mein Chef wurde am 02.04.2014 attackiert. Man hat auf ihn geschossen. Sie sind mit einem Auto und mit einem Motorrad gekommen und haben meinen Chef attackiert. Wir waren mit zwei Fahrzeugen unterwegs. Das Auto, wo XXXX gesessen ist, wurde alleine attackiert. Er wurde getroffen mit zwei Schüssen. Der Körper wurde an verschiedenen Stellen getroffen." Aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Medienberichten geht indes hervor, dass am 02.04.2014 ein misslungener Attentatsversuch auf Oberst XXXX in XXXX stattfand. Diese wurde während des Verlassens des Hauses morgens um 07:30 Uhr von drei unbekannten Bewaffneten attackiert, welche auf Motorrädern fuhren. Oberst XXXX wurde von drei Kugeln in verschiedenen Bereichen des Bauches getroffen und befand sich nach einer Operation im städtischen Krankenhaus in stabilem Zustand.

Das Bundesverwaltungsgericht sieht keinen Grund, an den Angaben in von vom Beschwerdeführer selbst in Vorlage gebrachten Quellen aus dem Irak zu zweifeln. Evident ist indes, dass der Beschwerdeführer weder den Namen, noch den Rang seines vermeintlichen vorgesetzten stringent darlegen konnte. Ferner weicht der vom Beschwerdeführer dargelegte Geschehnisverlauf maßgeblich von den Medienberichten ab – so gab es kein ein Auto der Angreifer, sondern nur Motorräder und außerdem wurde Oberst XXXX von drei Kugeln in verschiedenen Bereichen des Bauches getroffen und nicht von zwei Schüssen. Dass das Attentat während des Verlassens des Hauses geschah und nicht als er mit zwei Fahrzeugen unterwegs war, rundet das Bild ab. Das Verletzungsbild – Schüsse in den Bauchbereich – spricht im Übrigen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch dafür, dass das Attentat außerhalb eines Fahrzeuges erfolgte und nicht auf eine in einem Fahrzeug sitzende Person.

Bei diesem Ergebnis ist es jedoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer beim beschriebenen Attentat als Leibwächter anwesend war bzw. er überhaupt ständig als Leibwächter für Oberst XXXX eingesetzt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht geht vielmehr davon aus, dass der Beschwerdeführer zwar als Leibwächter oder Objektschützer bei der Polizei in einer Abteilung mit dem Namen "Kriminalitätsbekämpfung" tätig war, jedoch nicht als persönlicher Leibwächter von Oberst XXXX oder gar als Kriminalbeamter. Nähere Feststellungen zum Tätigkeitsbereich des Beschwerdeführers sind mangels eines glaubhaften Vorbringens schlicht nicht möglich.

2.6.2. Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die behauptete Bedrohung durch Kämpfer der Miliz Saraya al-Salam gestaltete sich indes sowohl in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht als auch im Verfahren erster Instanz vollkommen diffus und blieb insgesamt vage, ferner verwickelte sich der Beschwerdeführer in Wiedersprüche und war sein Vorbringen von maßgeblichen Ungereimtheiten gekennzeichnet. Die Handlungsstränge im Vorbringen des Beschwerdeführers sind dermaßen unzusammenhängend, dass eine verständliche Darstellung im Rahmen dieser Beweiswürdigung kaum möglich erscheint.

Als maßgebliche Ereignisse können im Vorbringen des Beschwerdeführers einerseits seine Versetzung und andererseits der Erhalt eines "Drohzettels" im August 2015 identifiziert werden, sodass darauf zuvorderst eingegangen wird.

www.ris.bka.gv.at Seite 38 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

2.6.2.1. Im Hinblick auf seine Versetzung bezog sich der Beschwerdeführer – nachdem er bereits vor der belangten Behörde klarstellen musste, dass nicht er selbst als Kriminalbeamter Personen inhaftiert hatte, sondern nur Vorgesetzte, für deren Schutz er zu sorgen hatte – vor der belangten Behörde und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht darauf, sein nach dem Attentat vom 02.04.2014 ernannter neuer Vorgesetzter XXXX habe ihn töten wollen. XXXX habe "zu den Milizen" gehört. Es wären auch andere Polizisten getötet worden, welche zuvor unter Oberst XXXX gearbeitet hätten. Da XXXX den Beschwerdeführer nicht selbst habe töten wollen, sei er in die Stadt XXXX (in der Verhandlungsschrift " XXXX ") versetzt worden. Er habe dort Autodiebstähle bekämpft und sich deshalb unter Kriminellen Feinde gemacht.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist zunächst von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer zwar den vagen Verdacht in den Raum stellte, sein neuer Vorgesetzter habe die Versetzung veranlasst, nur um ihn zu beseitigten. Objektive Anhaltspunkte dafür bestehen indes nicht. Der Beschwerdeführer konnte auch keinen konkreten Vorfall anführen, welcher ihm während seiner Zeit in XXXX – in der er seinem Vorbringen zufolge gewöhnlich seiner Polizeiarbeit nachging und Autodiebe verhaftete – wiederfahren wäre. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang angibt, dass Straftäter nach der Verhaftung gegen Geldstrafen oder Kaution entlassen worden wären und er und seine Arbeitskollegen bei der Polizei "seitens dieser Kriminellen bedroht und verfolgt" worden wären, ist dem entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer in der Folge – vom "Drohzettel" abgesehen – keine einzige ihn individuell betreffende Gefährdungs- oder Verfolgungssituation darlegen konnte. Ferner ist kein Zusammenhang mit Aktivitäten der Miliz Saraya al-Salam ersichtlich und handelt es sich – wenn Bedrohungen durch zuvor verhaftete Kriminelle tatsächlich aufgetreten sein sollten – lediglich um die Manifestation des der Tätigkeit als Polizist immanenten Risikos, mit Kriminellen konfrontiert zu sein.

Da sich in XXXX bis zur Ausreise des Beschwerdeführers im Sommer 2015 auch keine sicherheitsrelevanten Vorfälle ereigneten, die der Beschwerdeführer zu schildern im Stande gewesen wäre, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch in Zweifel zu ziehen, dass XXXX die Versetzung des Beschwerdeführers alleine mit dem Motiv verfolgte, dass dieser in XXXX zu Tode kommen solle. Ein plausibler Anlass dafür ist auch nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer gestand letztlich selbst zu, nur Personenschützer gewesen zu sein. Für allfällige Aktivitäten seiner vormaligen Vorgesetzten gegen die Miliz Saraya al-Salam traf ihn keine Verantwortung. Selbst wenn der neue Vorgesetzte XXXX Milizen näher gestanden sein soll, bestand doch objektiv kein Anlass, die Ermordung des Beschwerdeführers zu betreiben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer – sofern die Versetzung tatsächlich stattfand – deshalb versetzt wurde, weil sich sein neuer Vorgesetzter mit Personen seines Vertrauens umgeben wollte. Dafür spricht auch, dass aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Medienberichten über das Attentat am 02.04.2014 hervorgeht, dass das Attentat auf Oberst XXXX zur Destabilisierung der Sicherheitslage in der Stadt erfolgt sein soll und von Unbekannten verübt wurde. Wenn der Beschwerdeführer Kämpfer von schiitischen Milizen als Täter bezeichnet, handelt es sich dabei letztlich um eine bloße Vermutung des Beschwerdeführers, für die keine weiteren Anhaltspunkte bestehen. Das Bundesverwaltungsgericht weist ferner darauf hin, dass der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde noch keine bestimmte Miliz der Täterschaft bezichtigte bzw. als seine Bedroher identifizieren konnte, er jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sich sicher zeigte, dass es sich um die Miliz Saraya al-Salam handlen würde. Weshalb dies dem Beschwerdeführer nicht bereits bei seiner Einvernahme geläufig war, ist nicht nachvollziehbar.

In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass es der Beschwerdeführer im Verlauf der mündlichen Verhandlung für notwendig erachtete, sein Vorbringen zur Versetzung nach XXXX massiv zu steigern. Während er zunächst angab, dort Autodiebstähle bearbeitet zu haben, gab er gegen Ende der Befragung an, in diesem Ort wären tausende Leute getötet worden und hätten sich dort Kampfhandlungen mit den Milizen des Islamischen Staates ereignet. Ferner verortete der Beschwerdeführer den Ort seiner Versetzung nunmehr als die Stadt XXXX bzw. das Grenzgebiet "zwischen XXXX und XXXX ". Abgesehen davon, dass ein Grenzgebiet zwischen Rahmadi und Kirkuk nicht existiert und hunderte Kilometer zwischen diesen beiden Städten liegen, überrascht es, dass der Beschwerdeführer nunmehr in das Kampfgebiet zum Islamischen Staat versetzt worden sein will. Im Verfahren erster Instanz war davon keine Rede. Auch vor dem Bundesverwaltungsgericht präzisierte er sein Vorbringen in der Folge nicht etwa dahingehend, von Kampfhandlungen betroffen gewesen zu sein. Angesichts der offenkundigen Steigerung des Vorbringens ist jedenfalls nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer zum Zweck der Verwicklung in Kampfhandlungen mit den Milizen des Islamischen Staates an die Front versetzt wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht merkt im Übrigen an, dass auch zwischen XXXX und XXXX ca. 175 km Entfernung liegen und es sehr überrascht, dass der Beschwerdeführer einerseits weiterhin in XXXX gewohnt haben will und er andererseits in XXXX gearbeitet haben soll. Selbst an der Versetzung nach XXXX bestehen deshalb Zweifel, wobei näheres letztlich dahinstehen kann, der der Beschwerdeführer keine ihn betreffenden Übergriffe in XXXX substantiiert vorbrachte.

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Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes handelt es sich angesichts der aufgetretenen Widerspruche und Ungereimtheiten bereits beim vorstehend erörterten Vorbringen um ein auf die Erlangung von internationalem Schutz gerichtetes Konstrukt, welches zwar an ein tatsächlich eingetretenes Ereignis anknüpft, im Hinblick auf die individuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers jedoch nicht glaubhaft ist.

2.6.2.2. Als einzige tatsächlich ihn individuell ereilte Bedrohung schilderte der Beschwerdeführer die Auffindung eines Kuverts mit einem "Drohzettel" und einer Patrone am 22.08.2015 in seinem Garten. Er sei darin aufgefordert worden, seine Arbeit zu verlassen, widrigenfalls er getötet würde.

Bereits erwähnt wurde, dass der Beschwerdeführer im Verfahren erster Instanz noch nicht im Stande war, seine vermeintlichen Verfolger einer bestimmen Miliz konkret zuzuordnen. Auf Nachfrage konnte er auch im Verlauf seiner Einvernahme auch das genaue Datum des Erhalts des Drohbriefes nicht benennen. Maßgeblich ist jedoch außerdem, dass der Beschwerdeführer den Drohbrief selbst nicht in Vorlage bringen konnte, sodass sich das Vorbringen insoweit als nicht überprüfbar gestaltet. Zwar brachte der Beschwerdeführer eine von einem irakischen Gericht ausgestellte "Beschwerde-Bestätigung" in Vorlage, mittels dieser Urkunde wird jedoch ausschließlich der Wortlaut einer vom Beschwerdeführer selbst erstattete Aussage dokumentiert. Eigene Ermittlungsergebnisse der irakischen Polizei oder des Untersuchungsgerichtes zum angezeigten Vorfall sind nicht ersichtlich. Da die Urkunde somit lediglich den Standpunkt des Beschwerdeführers widergibt und ihr keine darüberhinausgehenden Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden entnommen werden können, ist sie für sich alleine nicht zum Beweis des vom Beschwerdeführer in den Raum gestellten Vorfalls geeignet.

Dazu treten zwei weitere maßgebliche Ungereimtheiten. Der Beschwerdeführer gab vor dem erkennenden Gericht nach Wahrheitserinnerung an, am 22.08.2015 in seinem Garten das Kuvert mit dem "Drohzettel" und der Patrone gefunden zu haben. Die von ihm vorgelegte "Beschwerde-Bestätigung" datiert ebenfalls auf den 22.08.2015, nur wird darin die Aussage getroffen, der Beschwerdeführer habe vor drei Tagen einen Drohbrief in seinem Garten gefunden (das wäre der 19.08.2015 gewesen). In der "Beschwerde-Bestätigung" bringt der Beschwerdeführer ferner zum Ausdruck, unbekannte vermummte und bewaffnete Täter hätten ihn in das Gesicht geschlagen. Abgesehen davon, dass dem letzteren Vorfall kein Datum zugeordnet wird und es sehr überrascht dass ein irakisches Gericht eine aus drei Sätzen bestehende Aussage, die vollkommen substanzlos und ohne nähere Details wiedergegeben wird, aufnimmt, ist evident, dass die Datumsangaben nicht kohärent sind. Ferner erwähnte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde einen Vorfall, bei dem er von Unbekannten geschlagen worden wäre, nicht. Erst in der Beschwerde gab der Beschwerdeführer – erneut ohne Angabe einer zeitlichen Einordnung – an, er sei am Weg zur Arbeit von zwei unbekannten attackiert worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederum erwähnte der Beschwerdeführer einen solchen Vorfall erst auf Nachfrage nach erlittenen körperlichen Übergriffen, ohne jedoch Details zu den Tätern oder dessen Motiven angeben zu können. Wesentlich ist jedoch, dass der Beschwerdeführer den Vorfall – wiederum auf erst auf mehrfache Nachfrage – in den Sommer des Jahres 2014 einordnete. In diesem Kontext kann das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehen, weshalb der Beschwerdeführer einen bereits ein Jahr zurückliegenden Vorfall erst im August 2015 zur Anzeige brachte und andererseits das irakische Gericht nicht einmal den Zeitpunkt des Vorfalls erhob.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist bereits in Anbetracht der vorgelegten "Beschwerde-Bestätigung" und der mangelnden Fähigkeit des Beschwerdeführers sowohl vor der belangten Behörde als auch vor dem erkennenden Gericht den zeitlichen Verlauf des Vorfalls schlüssig wiederzugeben, nicht von einer glaubhaften Darstellung des bezughabenden Vorfalls auszugehen. Ferner erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht, weshalb einerseits der Beschwerdeführer – der seinem eigenen Vorbringen zufolge bereits zuvor geschlagen (dazu gleich untern) und ständig bedroht wurde – einen Eingriff von nur geringer Intensität wie den Erhalt eines "Drohzettel" letztlich zum Anlass für das Verlassen des Irak nahm – und andererseits eine Miliz wie Saraya al-Salam dem Beschwerdeführer einen solchen "Drohzettel" zukommen lassen sollte, anstatt ihn sogleich unmittelbar persönlich und mit Waffengewalt unter Druck zu setzen.

Darüber hinaus kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers selbst wenn dieses für wahr gehalten werden sollte nicht entnommen werden, von dem der Drohbrief tatsächlich herrührte, zumal dieser nicht mehr vorhanden ist und auch in der "Beschwerde-Bestätigung" keine diesbezügliche Aussage getroffen wird. Der Beschwerdeführer gab selbst an, die Absender nicht zu kennen. Dass sich der Beschwerdeführer anderseits von der Miliz Saraya al- Salam als bedroht erachtet, überrascht in diesem Zusammenhang nur. Darüber hinaus bestand aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes kein nachvollziehbarer Grund, den Beschwerdeführer zu bedrohen. Der Beschwerdeführer gehört der schiitischen Bevölkerungsmehrheit an. Er war als Personenschützer in Ermittlungen nicht persönlich involviert und hatte zuletzt ausweislich seines Vorbringens die Aufgabe, Autodiebstähle aufzuklären. Ein nachvollziehbarer Grund, weshalb der Beschwerdeführer einer radikalen schiitischen Miliz wie Saraya al-Salam wie ein Dorn im Auge sein sollte, ist dem Bundesverwaltungsgericht letztlich nicht erkennbar.

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Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist zusammenfassend nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise Drohungen schiitischer Milizen und insbesondere der Miliz Saraya al-Salam ausgesetzt war oder einen Drohbrief erhalten hätte. Eine Gefährdung im Rückkehrfall seitens schiitischer Milizen aus diesem Grund ist dem folgend ebenfalls nicht erkennbar.

2.6.3. Das weitere, begleitende Vorbringen des Beschwerdeführers erweist sich ebenfalls als nicht glaubhaft:

Vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer zunächst an, sein Sohn sei auch bedroht worden (AS 57). Nach Befragung zu diesem Vorfall musste der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend abschwächen, dass ein Motoradfahrer seinen Sohn habe mitnehmen wollen. Sein Sohn habe ihm erzählt, der Motoradfahrer habe sich als vom Beschwerdeführer beauftragt dargestellt. Er habe seinen Sohn jedoch zuvor bereits erklärt, nicht mit Unbekannten zu sprechen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederholte der Beschwerdeführer den Vorfall bei der Darlegung seiner Ausreisegründe nicht mehr, auch in der Beschwerde wird ähnliches nicht erwähnt. Abgesehen davon, dass die Motive des Motoradfahrers im Dunkeln liegen, bleibt festzuhalten, dass dem Sohn des Beschwerdeführers ausweislich seines eigenen Vorbringens kein Unheil wiederfuhr. Wäre die Entführung seines Sohnes beabsichtigt gewesen, wäre diese wohl mit Gewaltanwendung leicht möglich gewesen, zumal davon auszugehen ist, dass der Motoradfahrer dem Sohn des Beschwerdeführers (geboten im Jahr 2009) körperlich überlegen war. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes folgt bereits aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dass der Vorfall betreffend seinen Sohn – sollte dieser tatsächlich geschehen sein – im gegebenen Zusammenhang bedeutungslos ist.

Im Hinblick auf die weiteren, angeblich ständig bestehenden Bedrohungen durch Milizen und Kriminelle – welche jedoch nicht "stark" gewesen sein sollen (AS 57) – konnte der Beschwerdeführer weder vor der belangten Behörde, noch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht eine konkrete Bedrohungssituation substantiiert darlegen.

Dass der Bruder des Beschwerdeführers als Soldat tätig war und im Jahr 2014 bei einem Anschlag getötet wurde, vermag eine den Beschwerdeführer individuell betreffende Bedrohungs- oder Gefährdungssituation nicht aufzuzeigen, zumal da die Täter ausweislich des Vorbringens des Beschwerdeführers unbekannt sind (AS 61). Da im Jahr 2014 die von Anhängern des Islamischen Staates ausgehende und gegen die schiitische Bevölkerungsmehrheit und Sicherheitskräfte gerichtete Anschlagskriminalität ihre Höhepunkt erreichte, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes indes auch nicht wahrscheinlich, dass der Bruder des Beschwerdeführers einem Attentat schiitischer Milizen zum Opfer fiel. Für einen auf den Beschwerdeführer gemünzten Racheakt spricht die Gesamtsituation jedenfalls nicht. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer eine ihn betreffende Verfolgung durch Anhänger des Islamischen Staates nicht substantiiert vorbrachte.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht brachte der Beschwerdeführer jedoch vor, sein Stamm habe entschieden, nichts mehr mit ihm zu tun haben zu wollen. Als Grund dafür nannte der Beschwerdeführer Druck seitens der Regierung und der Milizen, es habe auch eine gerichtliche Entscheidung gegeben (siehe dazu sogleich unten 2.6.4.). Seine Ehefrau und die Kinder hätten unterhauchen müssen und derzeit nichts zu essen. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes wird mit diesem Vorbringen zunächst kein unter dem Gesichtspunkt der Gewährung von internationalem Schutz bedeutsamer Sachverhalt aufgezeigt, ferner erachtet das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen als nicht glaubhaft. Einerseits leben die Geschwister des Beschwerdeführers an verschiedenen Orten im Irak und es erscheint kaum nachvollziehbar, dass Milizen und Behörden nun plötzlich nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides aufgrund der Person des Beschwerdeführers auf dessen Geschwister Druck ausüben sollten. Dies umso mehr, als ein plausibler Grund dafür in Anbetracht der vor- und nachstehenden Erwägungen nicht erkennbar ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat ferner aufgrund der Weise, wie das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vorgebracht und mit Lichtbildern unterlegt wurde, den Eindruck gewonnen, dass damit im Wesentlichen der Versuch einer Beeinflussung des Entscheidungsorgans auf emotionaler Ebene verbunden war. Da objektive Anhaltspunkte und Anlässe für den Sippenverstoß nicht bestehen, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass ein solcher nicht stattgefunden hat.

2.6.4. Schließlich können keine Feststellungen zu den Umständen seines Ausscheidens aus dem Polizeidienst getroffen werden. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer den Polizeidienst unbefugt verlassen hat und deshalb nun gesucht oder verurteilt worden wäre.

Zunächst fällt ins Gewicht, dass Bescheinigungsmittel für die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Verurteilung des Beschwerdeführers im Irak nicht in Vorlage gebracht wurden, sodass als Maßstab erneut lediglich das Vorbringen des Beschwerdeführers heranzuziehen ist.

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Diesbezüglich fällt zunächst auf, dass dieser im Verfahren erster Instanz gar nicht behauptete, den Polizeidienst unbefugt verlassen zu haben. Selbst in der Beschwerde wird entsprechendes nicht vorgebracht. Wenn der Beschwerdeführer daher nunmehr erst in der mündlichen Verhandlung vorbringt, er sei desertiert und deshalb verurteilt worden, handelt es sich um gesteigertes und schon deshalb nicht glaubhaftes Vorbringen.

Bei näherer Betrachtung des Vorbringens des Beschwerdeführers in dessen Einvernahme am 30.05.2016 offenbart sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes deutlich, dass der Beschwerdeführer seinen Dienst bei der Polizei regulär beendete. So gab der Beschwerdeführer zunächst an, er sei im Irak auf sein Gehalt von ca. EUR 1.300,00 angewiesen gewesen (AS 61). In weiterer Folge gestand er Geldprobleme vor der Ausreise zu, so hab er seine Kinder aus der Schule nehmen müssen, da er kein Geld gehabt habe (AS 63). Weiters dazu befragt gab der Beschwerdeführer an, er aber sehr viele Ausgaben gehabt und selbst nichts besessen. Das Bundesverwaltungsgericht geht in Anbetracht dessen davon aus, dass der Beschwerdeführer seinen Dienst bei der Polizei bereits einige Zeit vor der Ausreise beendete und den Einkommensentfall in der Folge nicht kompensieren konnte. Als Grund gab er selbst die schlechte Sicherheitslage im Irak sowie die Angst an, selbst auch einem Anschlag zum Opfer fallen zu können, wie dies seinem Bruder wiederfuhr (AS 61). Aufgrund dessen und zur Verbesserung der finanziellen Situation entschloss sich der Beschwerdeführer sodann im August 2015 zur Ausreise. Dass der Beschwerdeführer den Irak legal verlassen konnte und demzufolge bei der Ausreise nicht nach ihm gesucht wurde, rundet das Bild ab. Ausgehend davon ist auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitlich wegen unbefugter Abwesenheit vom Dienst verurteilt wurde. Ausgehend davon hat der Beschwerdeführer auch keine diesbezügliche Belangung im Rückkehrfall zu befürchten.

2.7. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist zusammenfassend angesichts der vorstehenden Argumentation nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise Drohungen schiitischer Milizen ausgesetzt war oder Drohbriefe erhielt.

Auch sonst kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise einer anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in den Irak einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

2.8. Da der Beschwerdeführer der schiitischen Bevölkerungsmehrheit und der Volkskruppe der Araber angehört, keine ihn betreffenden Schwierigkeiten aus religiösen Gründen substantiiert vorbrachte und auch jegliches politisches Engagement abstritt, war schließlich zur Feststellung zu gelangen, dass der Beschwerdeführer keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung angehört und in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

4.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, www.ris.bka.gv.at Seite 42 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017 wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233 mwN). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

4.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Im gegenständlichen Fall ist ausweislich der Feststellungen und der diesbezüglichen Beweiswürdigung nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine den Beschwerdeführer betreffende aktuelle, unmittelbare und konkrete Verfolgungsgefahr im Irak aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund gegeben.

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert. Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, Zl. 95/20/0329 mwN). Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen schließlich keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar.

Selbst für den Fall, dass der Beschwerdeführer – entgegen der vorstehend getroffenen Beweiswürdigung – tatsächlich gemäß § 5 des irakischen Strafgesetzbuches für die inneren Sicherheitskräfte Nr. 14/2008 verurteilt worden wäre, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht in den Raum gestellt wurde, kann darin keine zur Asylgewährung führende Verfolgungshandlung erblickt werden, zumal die dort vorgesehene Strafdrohung mit einer Haftstrafe von bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu einem Jahr, verhältnismäßig ist.

Eine wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung wird vom Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen (VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0718; 21.04.1993, Zlen. 92/01/1121, 1122). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auffassung auch in Fällen vertreten, in denen in den betroffenen Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben (vgl. VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0789, betreffend Somalia, und Zl. 92/01/0718, betreffend Äthiopien sowie vom 17.02.1993, Zl. 92/01/0784, betreffend die frühere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien). www.ris.bka.gv.at Seite 43 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt ferner in ständiger Rechtsprechung, dass die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa bei Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (VwGH 27.02.2017, Ra 2016/18/0203 mwN).

Hinweise darauf, dass das der Beschwerdeführer im Fall des weiteren Verbleibes an seiner Dienststelle an völkerrechtswidrigen Militäraktionen teilnehmen hätte müssen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Die getroffenen Feststellungen bieten ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen gezwungen werden könnte oder er wegen seiner politischen oder religiösen Überzeugungen desertiert wäre. Der allenfalls drohenden Sanktion fehlt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch nicht jede Verhältnismäßigkeit im Sinn der zitierten Rechtsprechung. Polizeieinheiten im Irak (irakische Polizei und die National Police [Bundespolizei]) sind wie die irakische Armee Teileinheiten der Iraqi Security Forces (ISF). Eine organisatorische Trennung zwischen Polizei und Armee, wie sie etwa in Österreich besteht, ist im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht gegeben. Ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak nehmen etwa Einheiten der irakischen Polizei an der Offensive in Mossul teil. Dass die irakische Rechtsordnung für die unbefugte Abwesenheit vom Polizeidienst daher eine Strafe von bis zu einem Jahr im Wiederholungsfall vorsieht, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes angesichts der Organisation der Iraqi Security Forces und der Sicherheitslage im Irak nicht unverhältnismäßig.

Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheids erweist sich demgemäß als rechtsrichtig, sodass der dagegen erhobenen Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen ist.

4.3. Wiewohl nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, sieht sich das Bundesverwaltungsgericht veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).

Nach der ständige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt es dabei grundsätzlich dem Beschwerdeführer, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, I. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, Zl. 2002/18/0279).

Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH www.ris.bka.gv.at Seite 44 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86).

Unter "real risk" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; RV 952 BlgNR XXII. GP 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09).

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu erst kürzlich festgehalten, dass bei einer allgemein prekären Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat erst dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad).

Die belangte Behörde gelangt im angefochtenen Bescheid zur Feststellung, dass im Entscheidungszeitpunkt eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte.

Abgesehen davon, dass es sich dabei nicht um eine Feststellung, sondern um einen Akt der rechtlichen Beurteilung handelt, setzt sich die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung nicht einmal im Ansatz mit einem allfälligen diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander, welches die erhebliche www.ris.bka.gv.at Seite 45 von 46 Bundesverwaltungsgericht 18.05.2017

Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen würde. Welchen Beweiswert die allgemeinen Feststellungen zur Lage im Irak in Bezug auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers im Rückkehrfall haben, bleibt ebenfalls im Dunkeln, zumal der Beschwerdeführer seinem eigenen Vorbringen zufolge über familiäre Anknüpfungspunkte und über Unterkunft in XXXX sowie über Familienangehörige in XXXX verfügt und er vor seiner Ausreise erwerbstätig war. Es verwundert außerdem, dass andere Regionaldirektionen der belangten Behörde die im Anlassfall herangezogenen allgemeinen Feststellungen zur Lage im Irak der Erlassung einer Rückkehrentscheidung als nicht hinderlich ansehen, sodass die diesbezügliche Entscheidungspraxis der belangten Behörde nur als widersprüchlich und im Lichte der vorstehend zitierten Anforderungen der Rechtsprechung bei der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht nachvollziehbar bezeichnet werden kann.

Schließlich vermeidet es die belangte Behörde, sich in ihrer rechtlichen Beurteilung darauf festzulegen, ob nun die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention und falls ja welcher dieser Bestimmungen erkannt werde oder aber die reale Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt wäre. Anstatt dessen wird lediglich wiederholt der Gesetzestext referiert, dies ohne erkennbare eigene Erwägungen der belangten Behörde. Aus welchen rechtlichen Erwägungen dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist letztlich auch nach mehrfachem Studium des angefochtenen Bescheides nicht nachzuvollziehen. Da Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids in Rechtskraft erwachsen ist, kann dieser Umstand indes vom Bundesverwaltungsgericht nicht aufgegriffen werden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff und zur Frage der Aktualität der Verfolgung abgeht.

Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.

European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2017:L521.2131837.1.00

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