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27 MITTEILUNGEN DER GESELLSCHAFT FÜR GEGENWARTSKUNST UND KIRCHE Artheon

Nummer 27 April 2009

Beat Wyss Olympiade ist unser Missionskonzept INHALT überholt worden. Zur Lage der Kunst heutea Beat Wyss 1 Finanzakrobaten und ihnen zugewandte Zur Lage der Kunst heute Die Leitwissenschaften heute sind, er- Politiker kommen da schon einmal ins Wolfgang Ullrich stens, die Hirnforschung, die den Ort träumen: Wie entwicklungsfähig würde Und das soll Kunst sein? 7 untersucht, wo Arbeit delegiert wird; doch unser Wirtschaftssystem, wenn die zweitens, die Genforschung, welche die Mindestlöhne auf der einen Seite Rich- Daniel Spanke Entwicklungspatente der Natur knackt, tung null, die Managergehälter auf der Der Pluralismus der Bilder in um sie für die Pharmakonzerne zu priva- andern Seite Richtung unendlich tendier- der Kirche 13 tisieren; drittens, die Reproduktionsbio- ten. Der Weg würde frei zur neoliberalen logie, welche die Natur im Auftrag der Sklavenhaltergesellschaft, gesteuert Karl-Josef Kuschel Agroindustrie zur beschleunigten Arbeit von Kartellen, die einmal weltweit nach Cordoba Juli 2000 20 überlistet. Im Übrigen gilt das Motto des Vorbild eines chinesischen Politbüros Ausstellungen 25 Informationszeitalters: User, lade es dir funktionieren: Das wäre weder David selber runter. Und merke: Der Tatbestand Ricardo, Adam Smith noch Karl Marx in Literatur 30 einer Raubkopie liegt erst vor, wenn man ihren übelsten Träumen vorgekommen. dabei erwischt wird. Kataloge 63 Die Frage lautet nun: Wie kann sich das Und schon sind wir beim Vorbild China, Kunstsystem in dieser globalen Entwick- Artheon-Kunstpreis 2008 114 das mit der uns lieb gewordenen Vor- lung behaupten? Die Antwort ist optimi- stellung aufräumt, dass unser kapitalisti- stisch: Überraschend gut. Eine gewisse Franziska Stoellger tranformationen – übergänge – sches Gesellschaftssystem ein Produkt Branchenspezifik bleibt allerdings zu gestalten 121 europäischer Aufklärung sei. Veraltet ist beachten. Es gibt Gattungen, denen es wohl unsere Auffassung vom Dienstweg zunehmend schwer fallen wird, mit der Jörg Mertin des Fortschritts, wie ihn die Französische neoliberalen Idee vom return of invest- Susanne Tunn: Skulpuraler Revolution vorgezeichnet habe: Säkulari- ment gleichzuziehen; es sind die Gat- Bau der Kapelle im Johannes sierung, Erklärung der Menschenrechte, tungen, die von der höfischen Tradition Wesling Klinikum Minden Demokratie. geprägt wurden. Ihr Charaktermerkmal: (2004 - 2008) 122 Das chinesische Erfolgsrezept ist effizi- hohe Investitionskosten ohne die gering- enter: Die Raubkopie des Finanzkapita- ste Aussicht auf Deckung, geschweige Personen/Nachrichten 124 lismus wird direkt an die Mandarine der denn auf erzielbaren Mehrwert. Es sind Veranstaltungen – Termine 127 kommunistischen Regulierungsmafia Gattungen, mit denen einst der fürstli- übertragen. Der ganze Umweg, den sich che Auftraggeber oder die patrizische Impressum 128 die abendländischen Langnasen gemacht Kommune ihre Großzügigkeit zur Schau haben: koloniale Welteroberung mit stellten: Mit Oper, Theater, aber auch mit aufgeklärter Weltverbesserung zu kombi- Musik, so sie nicht über Reproduktions- nieren – auf den Baustellen der Pekinger medien verwertbar zu machen ist.

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Denn Reproduzierbarkeit allein bringt und Christlicher Seefahrt im 30jährigen den unlernbaren Beruf des Künstlers noch nicht die Rendite. Etwa bei Film Krieg. Die bildende Kunst hat gegen- erlernen zu können. Im Gegensatz zu und Literatur kommt es zu Reibungs- über allen anderen Gattungen gerade ihre allen bürgerlichen Erwerbsformen bietet verlusten durch nationale Sprachen und Nicht-Reproduzierbarkeit zum Vorteil. das Künstlertum die Aussicht, sich aus regional abweichende Mentalitäten. Um es mit Adorno zu sagen: ein Werk dem Nichts in die Talk Shows beamen Erfolgreich ist der mainstream zwischen der Bildenden Kunst ist absolute Ware, zu können. Das Künstler-Werden-Wollen Hollywood und Bollywood, die sich die ein Fetisch, der mit Geld aufgewogen ist der etwas anspruchsvollere Weg, dem Absatzmärkte entlang des weltökono- wird, weil er ein unverwechselbares Ori- sozialen Wunschtraum nachzugehen: mischen Wendekreises zwischen dem ginal darstellt. Wie knacke ich den Jackpot? Die Kunst- reichen Nordwesten und dem armen akademie gibt Nachhilfestunden für das Südosten aufteilen. Das neoliberale Mu- Meine kurze Lektion zur Lage der Kunst Glück, vielleicht Millionär zu werden. sterland Schweiz surft gegenwärtig auf heute übernimmt die seit Karl Marx klas- Der gegenwärtige Kunstboom ist ein einer Erfolgswelle, ausgelöst von der sisch gewordene Aufteilung des ökono- Symptom für das Ende des Industriezeit- Filmindustrie aus Mumbai. Das Urlaubs- mischen Feldes in die Sektoren Produkti- alters. Kultur nistet mit Vorliebe in den gebiet am Vierwaldstättersee wurde zur on, Zirkulation und Konsumtion. Meine industriellen Brachen: in Lofts, stillge- Ursprungslandschaft indischer Folklore Leitthese lautet: legten Fabriken, verwaisten Gewerbezo- gekürt. Der Sagenstoff des Mahabarata nen. Überall, wo nicht mehr gearbeitet findet auf der Klevenalp ihre mythologi- Alle wissenschaftlichen, gesellschaftli- wird, ist jetzt Kunst. Die Jugend, die sche Bühne. Die exotischen Schmacht- chen und kulturellen Problemstellungen sonst vielleicht arbeitslos wäre, wird mit streifen sind gekrönt von den Gipfeln der Gegenwart lassen sich in einer Frage Förderprogrammen in kreativen Wohl- der Voralpen - mit dem ökonomisch zusammenfassen: Wie ist maximaler Pro- fühlräumen geparkt. Der Kunstboom rea- willkommenen Rückkoppelungseffekt, fit unter Umgehung von Arbeit möglich? giert auf eine Gesellschaft, in der Arbeit dass die Innerschweiz seit einigen Jahren immer weniger wert ist. Das Glückspiel überflutet wird von wohlhabenden In- Zur Produktion. ist zum Sozialmodell geworden. dern, welche die Bergbahnen des Titlis, Der Künstler: Vom Handwerker, über des Urirotstocks, der Schrattenflue be- den Broker zum Lottospieler Der Kunstboom ist ein Phänomen der fahren, um ihren singfreudigen Filmhel- postindustriellen Gesellschaft. Joseph den nahe zu sein. Zugleich beschert die Der anhaltende Boom auf dem Kunst- Beuys hat diese Tatsache noch roman- Schweizerreise den indischen Touristen markt verführt dazu, über Preisrekorde tisch verklärt, wenn er sagte: „Jeder den postkolonialen Triumph, jetzt eine zu berichten statt über das Heer der Mensch ist ein Künstler“. Diese Bot- Region besetzen zu können, die in vikto- Künstler, die keinen Erfolg haben. Seit schaft hat sich heute banalisiert zur rianischer Zeit den Engländern vorbehal- Jahrzehnten schwillt die Zahl der jungen Casting-Show, wo der Superstar gesucht ten war. Leute an, die Künstler werden wollen wird – nur so zum Spaß. Diese Entwick- und dabei bürgerliche Berufe ausschla- lung begleitet den Zerfall der bürger- So macht Kultur Spaß, wenn sie die gen. Dahinter steht ein gesellschaftlicher lichen Gesellschaft und dessen Werte- Filmindustrie in Mumbai, den elektro- Wandel. Die Studenten, die sich für system, das der Soziologe Max Weber nischen Schwarzhandel von Tonträgern Kunst entscheiden, tun dies in einer Ge- „protestantische Ethik“ genannt hatte. und die Unterwaldner Bergbahnlobby sellschaft, für die Autorennfahrer, Ten- Das gesellschaftliche Vorbild ist neben gleichermaßen beglückt. Solche joint nisspieler und der Skandaladel als Vor- dem Lottomillionär der erfolgreiche Fi- ventures sollen Schule machen. bilder durch die Klatschpresse geistern. nanzinvestor, jemand, dem es einfach so Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen einen zweistelligen Millionenbetrag ins Doch wir kommen vom Thema ab. Ich stammend, ist die Wahrscheinlichkeit, Konto hageln kann. Der in den Medien spreche hier als Branchenberater in Sa- sich diesen Vorbildern der Gesellschaft gefeierte Gewinner nährt die Illusion, chen bildender Kunst. Ihnen habe ich auch nur entfernt anzunähern, unwahr- dass das Glück auch einmal mich selber die gute Nachricht, dass es hier geradezu scheinlich. Zwischen mir und Paris Hil- treffen könnte. Es ist kein Zufall, dass boomt. Der Erfolg liegt in der Tatsache, ton wird als trennende Schranke immer die Figur der Fortuna und die des Künst- dass massenhafte Reproduzierbarkeit im der Fernsehschirm stehen, der mich bei lers im Humanismus gleichzeitig entste- Kulturbereich gerade nicht das alleinige Talk Shows unerbittlich aufs Sofa zu hen. Der Maler Giotto wurde zum Vor- Kriterium der Mehrwertschöpfung ist. Im hause verweist. bild für alle, die es vom Schafhirten zum Gegenteil: Der elektronische Fortschritt berühmten und vermögenden Künstler im Kopieren von visueller und akusti- Es sei denn, ich habe Glück, und ich schaffen möchten. scher Ware hat sich im CD-Geschäft werde reich. Zwar gibt es keine staat- geradezu ruinös entfaltet. In Fragen lichen Schulen, die Tennisprofis oder Es gibt Hochzeiten in der Kunstgeschich- des copy rights ist eine Verwilderung Autorennfahrer ausbilden. Doch es gibt te, zu denen etwa das 16. Jahrhundert eingetreten, welche die Grenzen ebenso öffentliche Kunstakademien. Hier besteht gehört, als Florenz von einer Republik verwischt hat wie zwischen Seeräuberei die staatlich subventionierte Möglichkeit, zum absolutistischen Staat von Medicis

2 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Hans Weigand, Rückkehr zum Planet der Affen in Los Angeles II, 2008, Mischtechnik auf Leinwand, 190 x 250 cm Courtesy Hans Weigand, Gallery Arndt & Partner Berlin/Zurich

Gnaden umgekrempelt wurde. In solchen Sammler neuen Typs. Es gibt eine Kom- ein Künstler: Er ist kreativ. In Schillers Umbruchsituationen, wo alte Tugenden plizenschaft zwischen diesen Akteuren. Glocke heißt es noch: Das Werk lobe den verschwinden, können Künstler das gro- Sammler und Künstler spiegeln sich Meister. Hier spielt die kleinbürgerliche ße Los ziehen, wenn es ihnen gelingt, ineinander, ihr Erfolg hat dieselben Ur- Vorstellung vom Künstler als einem sich rechtzeitig auf die Seite der Gewin- sachen. Ihr Reichtum gründet nicht auf Schöpfer gediegener Gegenstände. Das ner zu schlagen. Arbeit, sondern auf kreativen Entschei- gilt heute so wenig, als es den guten alten dungen. Kapitalisten noch gibt, der in seiner klei- Zur Zirkulation: nen Villa mitten im Fabrikgelände wohnt Von der Börse zum Potlatsch-Prinzip Die Wahlverwandtschaft zwischen poli- und seiner Belegschaft in rigoroser Dis- tisch-ökonomischer und künstlerischer ziplin ein Vorbild war. Der erfolgreiche Die heutige Umbruchphase ist bestimmt Potenz findet sich bereits im 16. Jahr- Künstler schafft kein Werk, sondern er durch die globale Durchsetzungskraft des hundert, als Baldassare Castiglione den trifft Entscheidungen, wählt die richtige Finanzkapitals bei zunehmender Ent- „Hofmann“ schrieb. Fürst und Künstler ästhetische Strategie, mit dem guten In- wertung von Arbeit. Das Kunstsystem erscheinen als Dioskurenpaar, das sich stinkt eines Fondsmanagers vergleichbar. bietet eine Alternative zur Arbeit an, die gegenseitig hochschaukelt in der In- jetzt nicht mehr als Tugend, sondern szenierung ihrer Souveränität. Dieser Aus diesen nachbürgerlichen Kreisen als schlecht bezahlte Fron erlebt wird. Modus kehrt heute wieder im erfolgrei- rekrutiert sich auch der Sammler neuen Und hier trifft sich der Künstler mit dem chen Freiberufler, der dasselbe tut wie Typs: Er will nicht nur gute Werke sehen,

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 3 sondern er will mit dem Künstler auch wett, was sie an Neuheit mit den Jahren weil dauernd das Stroh auf den teuren verkehren. Die Kunstszene bietet ein verlor. Teppich rieselt. permanentes Partycatering: von der Art Wertsteigerung war einmal die alte, Basel zu Miami Beach und retour, deren gut bürgerliche Strategie. Sie erfordert Gewiss gibt es noch Sammler alter Schu- flüchtige, glamouröse Auftritte in Gala Geduld, Akkumulation, Triebverzicht le, die ihre Strategien gestalten wie der oder Vanity Fair verewigt werden. Der – mithin altbürgerliche Tugenden. Die- Banker, der seinem Verwaltungsrat und Vorstand eines Bankkonzerns mag noch se Wirtschaftslogik funktioniert schon den Aktionären Rechenschaft schuldig so vermögend sein, sein ganzer Reichtum deshalb nicht mehr, weil junge Künstler bleibt. Doch dem Sammler neuen Typs bringt ihn kaum ins Rampenlicht, es sei heute schon sehr früh astronomische geht es nicht mehr um Spekulation, jener denn, er gerate in eine Schmiergeldaffäre Preise erzielen. Man steigt auf hohem alten, bürgerlichen Art, auf lange Sicht oder werde sozialpolitisch auffällig. Viel Niveau ein und kann auch einbrechen. Werte anzuhäufen und zu vermehren. lohnender ist es da, kulturell auffällig zu Der Ehrgeiz des Sammlers liegt nicht in Der Sammler neuen Typs ist der Souve- werden: als Kunstsammler. der Gewinnsucht, sondern im Status, bei rän seiner Kunst. Auch ein Lamborghini diesem Poker mithalten zu können. wird einmal zu Schrott gefahren. Der In diesem Zusammenhang ist mit dem Kunstmarkt ist Spektakel der Geldver- Vorurteil aufzuräumen, wonach der Im Kunstbesitz ist etwas vom Glanz nichtung, das Sammeln etwas für Leute, Sammler sich die Kunstwerke in der fürstlicher Souveränität zurückgekehrt. die soviel Geld haben, dass sie es los- Hoffnung auf Preissteigerung erwerbe Prestigegewinn durch Wertvernichtung werden wollen. Denn Geld bekommt erst wie ein Aktienpaket. Im Zentrum des beherrscht den Kunstmarkt. Doch der Sexappeal, wenn es in sinnlich verwan- Sammelns heute geht es um den Akt des Mechanismus selber ist so alt wie der delter Form sich vorführt: als Luxus. Kaufens: den Sexappeal, den verströmt, Wille, sich vom Rest der Gesellschaft zu In der Kunst wird die mutwillige Ver- wer ohne mit einer Wimper zu zucken unterscheiden. Die souveräne Gabe ist nichtung von Werten in Form von zwanzig Millionen für einen Jeff Koons als anthropologische Konstante in jeder Opfern und öffentlich dargebrachten hinblättert. Den Kunstzeitschriften und Kultur zu finden. Die Panegyriker am Geschenken sichtbar. Feuilletons gibt das Diskussionsfutter für französischen Hof nannten es largesse, Der Sammler, welcher der Öffentlich- mehrere Nummern. die Indianer in Kanada nannten es Pot- keit seine Schätze stiftet, gleicht dem latsch. Der rituelle Tausch von Kunst ist Indianerhäuptling, der sich durch das Die inzwischen veraltete Ansicht von ein Akt, den wir auf der ganzen Welt alle Verschenken seiner Güter erhaben erklärt Kunst als Kapitalanlage entsprach dem sofort verstehen. über den Kreislauf von Nehmen und gründerzeitlichen Kapitalismus. Die Geben, wie ihn die blanke Notdurft des Galeristen glichen jenen Wertpapierbesit- Kann es sein, dass die Kunst die Theorie Lebens diktiert. zern, die ihren Aktien durch alle Höhen nicht mehr braucht? Alle Anzeichen spre- und Tiefen die Treue hielten. chen dafür. Der Betrieb strotzt wie noch Ich kann zusammenfassen: Das Kunst- Die Regel des alten Kunstmarkts beruhte nie, obwohl – oder besser: gerade weil er werk als sichtbare Gabe, dargereicht im auf der Philosophie des immerwähren- nicht mehr auf theoretische Begründung symbolischen Tausch des Potlatsch, hat den Fortschritts an Wertzuwachs. Der angewiesen ist. die unmittelbare Evidenz einer archa- Künstler, eingebunden in dieses System, Die Kunst hat Laufen gelernt wie Zara- ischen Opferhandlung. hatte eine übersichtliche Rennstrecke zu thustra, jetzt will sie nicht mehr ge- Der Künstler ist Medienstar und Produ- fahren. Wichtig war eine erfolgreiche stoßen werden – von der schreibenden zent von Warenfetischen. Sein Auftritt Ausgangsposition beim Massenausbruch Zunft am wenigsten. Das alleinige verbindet mediale Allgegenwart in Fern- aus der Akademie. Es galt, eine mög- Regulativ der Formschöpfung ist der sehen, Internet und Regenbogenpresse lichst nachhaltige Neuheit hinzulegen Markt, der dem Werk die Stichworte mit der uralten, singulären Realpräsenz und diese Linie dann durch alle Überhol- und die Maßstäbe setzt. auratischer Werke. So vollführt die manöver möglichst klar zu halten. Keine Es geht weder um Stilfragen noch um Starkunst heute eine betörende Zangen- Experimente, keine neuen Neuheiten! Sie politische Theorie. Es ist jetzt wie bei bewegung von Hybridität und Ursprüng- würden die Marktchancen nur schmälern. Media Markt: Hier spricht der Preis. lichkeit. Und die Parties. Und wer eingeladen Der erfolgreiche Kurs eines Künstlers war: exakt jene Nachrichten also, die in Wen wundert es da, wenn vor allem die bestand darin, seine Neuheit wie eine Kunstzeitschriften fehlen, wo bei einem Literaten mit aktueller Kunst nichts mehr Standarte im Gewimmel der Konkur- Abonnentenstamm von 6000 treuen, am Hut haben. Der Neid ist ihnen nicht renzschlacht aufrecht zu halten. Das fachlich geschulten Lesern ums Überle- zu verdenken, denn selbst wenn sie mit Neue, das sein Werk verkörperte, sollte ben gekämpft wird. Die Kunstzeitschrift Event-Lesungen den Starkünstler ko- durch Wiederholung zum künstlerischen neuen Typs heißen Vanity Fair, Gala, die pieren, bringen sie es unterm Strich als Markenzeichen werden. Bunte. Hier kann man lesen, für wie teu- intellektuelle Hungerleider auf keinen Die mit jeder Ausstellung bestätigte Po- er Silvester Stallone seinen Anselm Kie- grünen Zweig und müssen von der Ge- sition machte durch Wiedererkennbarkeit fer gekauft hat, und dass er sich ärgert, sellschaft durchgefüttert werden in Form

4 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Hans Weigand, Dirty Surfing IX, 2008, Mischtechnik auf Leinwand, 160 x 190 cm. Courtesy Hans Weigand, Gallery Arndt & Partner Berlin/Zurich von Stipendien und Preisen, die ihnen die und Impressionisten aus den Beständen wundertätigen Königen. Und so strömten Öffentlichkeit mildtätig zukommen lässt. des MoMa New York ziehen immer. Das an Pfingsten und Ostern Tausende seiner Konsumtion: scheinbar so säkulare Publikum folgt ärmsten Untertanen durch den Palast, um Vom Museum des Volkes zum privaten dem Muster der Wallfahrt. Es sucht den von ihrem Herrscher berührt und geheilt Schaulager für Habenichtse heiligen Fetisch und kommt als Pilger zu werden. nicht ohne Devotionalien aus dem Muse- Durch dieselbe Grande Galerie pilgern Nicht nur das Sammeln, auch der Kunst- umsshop nach hause. heute die Museums-Besucher. Der Segen konsum hat mit dem Potlatsch-Prinzip der Handauflegung, der Glaube an die heute einen archaischen Auftritt ange- Nehmen Sie den Louvre, zum Beispiel. wundertätige Kraft magischer Real- nommen. Den Kunstobjekten kommt In der Grossen Galerie, wo sich heute präsenz ist auf den Kunstfetisch der Status von Reliquien zu. Man sucht die staatlichen Kunstschätze Frankreichs über gesprungen. ihre magische Nähe. Man will sich von befinden, hat Ludwig XIV an hohen ihnen anstrahlen lassen. Man strömt zu Feiertagen durch Handauflegung die Dank seines neu-archaischen Charakters den Blockbuster-Ereignissen, so wie man Skrofulösen geheilt. Der moderne, ab- ist Kunstkonsum heute massentauglich. früher nach Jerusalem gepilgert war, oder solutistische Monarch stand zugleich Gewiss hat Kunst seit der Romantik nach Maria Laach. Ägyptische Mumien in der langen Reihe von Frankreichs einen religiösen Zug.

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 5 Doch die vergeistigte Kunstreligion des Leitwährung des globalisierten Kapita- sind, vom Standpunkt des Markts gese- Bildungsbürgers ist dem handfesten, lismus geworden. Diese Entwicklung hen, gefrorenes Kapital, Golddukaten volkstümlichen Spektakel von Bettel- entspricht dem Reliquienhandel im euro- im Schatzkästlein des kulturellen Wa- mönchspredigten gewichen. Auch dar- päischen Mittelalter, der die Ausbreitung rentauschs. Natürlich gründet der Preis aus erklärt sich, weshalb Kunstwerke und Festigung der christlichen Kirche im der Marktheroen auf musealen Weihen. heute so teuer sein müssen. Ein sakraler Westen begleitete. Rohstoffquelle war Ein Werk muss mit Diskurswährung Fetisch soll wie ein Wunder vom Markt- damals, neben dem Heiligen Land, die gedeckt sein; ohne museale und kunst- himmel fallen. Wenn so ein Objekt nur Stadt Byzanz, deren Schätze gnaden- kritische Bonität kommt Kunst nicht 100 000 Euro kostet, kann kein Mensch los ausgebeutet wurden. Der kulturelle über die Subsistenzwirtschaft zwischen daran glauben. Kannibalismus, die Mechanismen von Wohnzimmer und Zahnarztpraxis hin- Gewalt und Verschiebung, haben hier aus. Und doch bleibt die Tatsache, dass Zum wundertätigen Reliquiencharakter einen religiösen Vorläufer. Auch da gab zuviel Museumsware das handelbare der Kunst gehört auch soziales Engage- es Streit, ob es statthaft sei, die Gebei- Material blockiert. Bezeichnend für ei- ment. Kunsthallen haben die Funktion ne eines Märtyrers zu zerstückeln und nen Zeitgeist, der jedem Kanon und dem von Klöstern der Bettelorden angenom- an verschiedenen Orten zur Verehrung Endlager-Gedanken abhold ist, sind die men. In Stuttgart ist mit dem Hospitalhof auszustellen. Die wenig pietätvolle, aber Sammlerleihgaben, die auf Zeit den Mu- gar eine institutionelle Kontinuität gege- ökonomisch höchst interessante Lösung seen überlassen werden. Damit wird die ben. Kunsthallen lassen sich heute, wie der Vervielfältigung von Reliquien setzte Option auf einen Wiedereintritt ins Wert- ihre mittelalterlichen Vorbilder, gern an sich durch. schöpfungsgeschäft offen gelassen. Die Stadträndern und in Vierteln der Armut mittelfristige Einlage privater Sammler- nieder. Wie die Beginen und Franziska- Die Parallele von Reliquie und Kunst ware funktioniert wie ein Geldmarktkon- ner, wirken die Kunstvereine in urbanen gewinnt Brisanz, da man in den Werken to mit guten Zinsbedingungen. Das öf- Problemzonen helfend und heilend. In der Klassischen Moderne in der Tat fentliche Interesse überträgt sich in Form dieser Form hat Kunst eine besänftigen- Märtyrer einer bewegten Zeitgeschichte von Wertsteigerung auf das ausgeliehene de, zivilisierende Kraft, und zu dieser sehen kann. Die Klassische Moderne Werk, das dann mit Zinsgewinn wieder Mission gehört auch ein sozial enga- erzielt gegenwärtig die höchsten Preise; abgezogen werden kann. gierter Diskurs. Kunst bietet das offene es ist also kein Wunder, dass es dem Mikrofon im Gespräch über Zustand der Kunstmarkt nicht gefallen kann, so viel Noch flexibler ist die Konvertierbarkeit Welt, wo alle mitreden dürfen. Herrschen von dieser hochpreisigen Mangelware zwischen Ware und Geld natürlich in der in allen anderen Disziplinen: der Ökono- in öffentlichen Museen eingefroren zu Form des so genannten Sammlermuse- mie, der Soziologie, der Politikwissen- sehen. Seit einigen Jahren schreckt die ums; es dient als Durchlauferhitzer der schaft, die Experten und die Ideologen, öffentlichen Museen die Diskussion in Wertsteigerung, während an öffentlichen so können unter dem Schutzmantel von Sachen der Zwangsverkäufe. Keine Fra- Museen die eingelagerten Werte kaum Kunstwerken alle als irgendwie Betroffe- ge ist, dass Kunstwerke, die während der noch wahrgenommen werden, da sie hier ne immer mitreden. Nazizeit den verfolgten Besitzer abge- einer undefinierten Ewigkeit im Besitz presst wurden, umgehend wieder zurück des „Volkes“ entgegendämmern. Kultu- Und so wie die Klöster einst von reichen zu geben sind. Doch inzwischen hat sich relles Erbe hat kaum noch Sexappeal in Adligen gestiftet wurden, geht auch heu- ein findiges Netzwerk von Auktionären einer Welt des Umbruchs, wo der Kanon te die Welt des reichen Sammlers und die und Anwälten gesponnen, die darauf entgleitet. Umso eindrücklicher wirken engagierte Pflege in der Kunstgemeinde aus sind, öffentliches Museumsgut unter die Sammlermuseen, die dem Besucher Hand in Hand. Die Sammler lassen ihre politisch korrekten Vorwänden auf pri- Reichtum und Großzügigkeit vormachen: wertvollen Reliquien ausstellen; diese vate Sammler umzuverteilen. Mögliche Du darfst gucken und siehe, das alles erweisen, wie ein Schweißtuch der Vero- Märtyrer der Zeitgeschichte werden so gehört mir. nika oder Josefs Hosen, ihre Wundertä- zu Geiseln des Kunsthandels gemacht. tigigkeit und sei es nur das Wunder, dass Der Ausstellungsbesucher ist gnädig ein- wir alle in Pfingstzungen über Gott und Ein Grund für den Rückzug der öffentli- geladen, einem Schaugelage beizuwoh- die Welt kommunizieren. Es gibt heute chen Hand aus der Sammeltätigkeit von nen. Er wird durch das Mediengetöse in eigentlich nur noch politisch engagierte Gegenwartskunst liegt in deren hohen die Ausstellungen gelockt und nimmt mit Kunst, die dem Publikum Problemzonen- Preisen. Das öffentliche Museum hat einer Mischung aus Faszination und Neid massage anbietet: Sei es zum Irakkrieg, sich recht eigentlich zum Antagonisten an dem Spektakel Teil. Faszination und dem Abholzen des Amazonas oder zur des Kunstmarkts entwickelt. Dafür gibt Neid kennzeichnet die Gemütslage unse- Kinderpornografie. Immer findet sich ein es zwei Gründe: Erstens können die rer Mediengesellschaft. Wir sind Zeugen Thema, worüber die Kunstwelt den Gut- staatlichen Habenichtse einfach nicht vom Umbau der republikanischen Struk- menschen in uns anspricht. mehr mitbieten. Der zweite Grund hängt turen des bürgerlichen Staates in einen direkt mit dem neuen Potlatsch-Prinzip neuen Absolutismus der Superreichen, Museale Kunst ist zur symbolischen zusammen: Permanente Sammlungen vergleichbar der Machtübernahme in

6 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Florenz durch die Medici. Jeder Aus- auf dem der materielle Wert von Samm- Das mittelalterliche Wertsystem war stellungsbesucher leistet ehrenamtliche lungen beruhte. Selbst Kunst als Kapital- einst symbolisch gedeckt gewesen durch Arbeit zur Preissteigerung von Kunst. anlage baut auf der Stetigkeit einer Kunst den Besitz und die Verehrung von Re- Du bezahlst Eintritt und steuerst zugleich als kulturellem Wert: Diese besteht in liquien. Diese symbolische Währung einen Wert steigernden Beitrag durch der Annahme einer „Ars perennis“, einer ist in der Reformationszeit in Zweifel Aufmerksamkeit bei. Es ist wie bei Ikea: ewigen Kunstpflege, die im Aufbau von gezogen worden und kann inzwischen Im Museum bist du Kunde und Mitarbei- Kenntnis und Erinnerung die Basis der keiner DNA-Analyse mehr standhalten. ter zugleich. Wertschöpfung bildet. Der Kunstmarkt Das Schicksal wird auch die Kunst einst muss im Interesse einer stabilen Preispo- treffen, wenn sich herausstellt, dass ihr Wir sind Zeugen einer Privatisierung litik in die produktiven Institutionen der Wertsystem sich über einer Blase auf- des Kunstbesitzes. Dabei wird Funktion Kunst investieren. In diesem Fall bedeu- bläht, unter der kein verbindlicher Glau- des öffentlichen Museums als Noten- tet dies: Investieren in die Werkstätten be mehr waltet. bank des Kunstsystems übersehen. Es ist des Diskurses: die Akademien, die Mu- höchst fraglich, welche Instanz nach der seen, die Universitäten. Die Kunsthistori- Abwicklung des öffentlichen Museums ker, jene schlecht bis gar nicht bezahlten a) Der Beitrag geht auf Überlegungen zurück, die für die Deckung der Kunstpreise bürgen Heinzelmännchen und -weibchen des Beat Wyss beim Salon am 14.07.2008 im Hospi- talhof Stuttgart vorgetragen hat. Wir danken Beat könnte. Nach aller bisherigen Erfahrung Kunstmarkts, sind ein Symptom für eine Wyss für die Abdruckerlaubnis. war es der gesellschaftliche Glaube an Goldgräberpolitik, die das kulturelle einen verbindlichen Kanon der Kultur, Erbe abholzt wie Regenwald.

Wolfgang Ullrich sein könnte oder als was sie zumindest was es auch erst erlaubte, Skulpturen angesehen wird: Die Undefinierbarkeit afrikanischer Stämme mit demselben Und das soll Kunst sein?a ist eines ihrer Definitionsmerkmale. Da- Ernst zu betrachten wie ein barockes bei muss man wissen, dass diese Frage Deckengemälde, und einen Naiven wie Was ist Kunst? – Diese Frage gestellt zu nicht immer so heikel war. Lange Zeit Henri Rousseau als ebenbürtig mit den bekommen oder auch nur zu lesen, dürfte war sie vielmehr ähnlich einfach zu be- akademischen Malern seiner Zeit einzu- bei manchem zu körperlichen Reaktio- antworten wie heute die Frage „Was ist schätzen. nen, einem Aufstöhnen, Augenverdrehen ein Computer?“ oder „Was ist Design?“. Doch nicht erst jetzt wurde es schwer, oder nervösen Lachen führen, bei fast Kunst kam nämlich wirklich einmal von noch zu bestimmen, was denn Kunst sei. allen aber zumindest gewisses Unbeha- Können – und meinte daher die Anwen- Vielmehr war der Paradigmenwechsel gen auslösen. Und wer sie stellt, muss dung einer Summe technischer Fähig- vom Können zum Wollen – von etwas damit rechnen, für naiv gehalten und und Fertigkeiten sowie von Know-how, konkret Fasslichem zu etwas vage In- brüsk abgewiesen zu werden. Warum das auf Lernen und Üben beruhte. Künst- nerlichem – bereits der Reflex einer viel aber verstört diese Frage? Was macht sie ler war, wer seinen Werkstoff souverän älteren Definitions-Scheu gegenüber der offenbar schwieriger oder unangenehmer beherrschte, wer es schaffte, für ein The- Kunst. Diese Scheu tauchte bereits im als mutmaßlich ganz ähnliche Fragen? ma eine angemessene Gestalt zu finden, 17. Jahrhundert auf, und war zuerst am – Was ist Gerechtigkeit? Was ist Liebe? und wer nach Möglichkeit auch noch den ehesten eine Scheu aus Höflichkeit. So Was ist Sport? – Auch hier fällt eine De- Geschmack seiner Zeitgenossen traf. begann man damit, der Kunst ein Kom- finition schwer oder ist so, dass alle da- Erst am Anfang des 20. Jahrhunderts sah pliment zu machen, das sonst am ehesten mit zufrieden wären, nicht möglich; den- man die Kunstgeschichte weniger als hübsche Frauen zu hören bekommen hat- noch hält man es für reizvoll, ja für eine eine „Geschichte des Könnens“ denn als ten: Wie ein Kavalier, manchmal auch in schöne intellektuelle Herausforderung, eine „Geschichte des Wollens“, wie es gewisser Übertreibung, die ‚unbeschreib- sich dem Definitionsspiel zumindest zu Wilhelm Worringer in seiner berühmten liche‘ Schönheit einer Dame lobte und stellen. Im Fall der Kunst jedoch besteht Doktorarbeit mit dem Titel „Abstraktion sich schwer beeindruckt davon zeigte, ja der Verdacht, dies sei von Grund auf und Einfühlung“ (1908) formulierte. Nun ein begeistertes „je ne sais quoi“ ausrief, unangemessen, gar ein frivoler und et- achtete man vor allem darauf, was für wurde auf einmal die Freude über ein was unappetitlicher Akt. Nur die Fragen eine Welterfahrung sich in einem Kunst- Kunsterlebnis mit demselben Ausdruck nach Gott und nach dem Glück dürften werk ausdrückte und wie authentisch quittiert. zur Ausschüttung von ungefähr genauso das war. Lieber ehrlich als professionell, „Je ne sais quoi“, wörtlich zu überset- vielen Stresshormonen führen. hieß die Devise. Zugleich befreite man zen mit „Ich weiß nicht, was“, wurde in Die Reaktionen auf die Frage nach der die Kunst damit von der Erwartung, ähn- der französischen Literatur schon seit Kunst geben natürlich ihrerseits schon lich der Technik oder Wissenschaft eine dem Beginn des 16. Jahrhunderts als ziemlich gut Auskunft darüber, was sie Fortschrittsgeschichte bieten zu müssen, feste dafür verwendet, wenn es

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 7 jemandem in einem positiven Sinne die Sprache verschlagen hatte. Pierre de Marivaux dürfte einer der ersten gewesen sein, der das „je ne sais quoi“ auf die Kunst anwendete. Er personifizierte es sogar und ließ es in seinem „Cabinet du philosophe“ (1734) leibhaftig auftreten. Dort stellte es sich folgendermaßen vor: „Ich bin das Je-ne-sais-quoi, das die beiden Geschlechter betrifft: Hier das Je-ne-sais-quoi, das in der Architektur gefällt, dort das Je-ne-sais-quoi, das in der Malerei gefällt – in allem, was eine Geschmackssache sein kann. Suchen Sie mich nicht unter einer bestimmten Form, ich tauche unter tausend auf und habe keine feste: Deshalb sieht man mich, ohne mich zu erkennen, ohne mich fas- sen oder definieren zu können...“ Das „je ne sais quoi“ entzieht sich also, lässt sich nur erfahren und ist überall dort anzutreffen, wo es um – für Ma- rivaux offenbar tausend – Fragen von Geschmack und Gefühl geht. Jedes Feld, auf dem das „je ne sais quoi“ auftauch- te, war aber zugleich eine Provokation für die Rationalisten, die den Anspruch hatten, möglichst alles auf Formeln zu bringen und restlos zu erklären. Dass es in das Zentrum weitreichender philoso- phischer Auseinandersetzungen geriet, begünstigte dann jedoch nur die weitere Karriere des „je ne sais quoi“, und je stärker der Rationalismus an Autorität verlor, desto selbstverständlicher konnte es sich behaupten. Es wurde nun mehr und mehr auch normativ verstanden; alles Unregelmäßige, das von geometri- schen Grundformen abwich, galt bereits als Ausdruck eines „je ne sais quoi“ und damit als besonders schön, was die Stil- Ralph Künzler, „macht hoch die Tür“, Ausstellung Hospitalkirche Stuttgart 2008 ideale sowohl des Rokoko als auch des Englischen Gartens zu erklären hilft. Desweiteren kam es zu einer Einengung Geistesgeschichte ja schon manches gewonnen wurden. Nur zum Mysterium im Sprachgebrauch: Das „je ne sais mit einer harmlosen Übertreibung, die geworden, vermeintlich nicht einmal quoi“ wurde nun primär auf das Schöne dann aber irgendwann, da sie offenbar mehr von der Sprache zu erreichen, bo- von Kunst und Natur bezogen, zugleich die Phantasie anregte, ernst genommen ten Natur und Kunst Schutz vor dem Zu- aber mit mehr Emphase aufgeladen. wurde.) griff profaner Mächte und Institutionen Jetzt war es nicht mehr Galanterie, wenn Natur und Kunst avancierten in der – dem Staat, der sich industrialisierenden jemand vor einem Kunstwerk bekannte, zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu Wirtschaft und Arbeitswelt –, denen im von einem „je ne sais quoi“ getroffen zu den beiden Instanzen, die man zu etwas Zeitalter des erblühenden Bildungsbür- sein; es lag darin vielmehr ein Wunsch möglichst Alltagsfernem – Anderem, gertums viele zumindest für jeweils eini- nach Überwältigung und einem superlati- üblichen Kategorien Entzogenem – ver- ge Stunden und erfüllte Augenblicke zu vischen Erlebnis, nach einem Ausnahme- klärte und die damit als verheißungsvolle entkommen suchten. zustand, der sich jeglicher Fasslichkeit Fluchträume für alle Träume von einem Der Kunst wurde oft noch mehr zuge- verweigert. (Auch sonst begann in der besseren und entfremdungsfreien Leben traut als der Natur, vielleicht weckte sie

8 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 aber auch stärker den Ehrgeiz zahlreicher Philosophen und Theoretiker, die dazu beitrugen, dass die Undefinierbarkeit spätestens seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wesentlicher Bestandteil ihres Begriffs wurde (anders als im Fall der Natur). Dabei bedienten sich nicht wenige einer Strategie, die das Mittelal- ter in Bezug auf Gott entwickelt hatte: Da man nicht nur bestimmte Eigenschaff- ten zuschreiben wollte, was ja auf eine Definition hinausgelaufen wäre, äußerte man sich lieber ex negativo oder sprach, noch häufiger, in Paradoxien. Um das Besondere der Kunst – ihren überwäl- tigend-geheimnisvollen Charakter – zu beschreiben, unterstellte man ihr also jeweils (zumindest) zwei gegensätzliche (und üblicherweise gleichstarke) Qualitä- ten. So hieß es etwa, in der Kunst fänden Notwendigkeit und Freiheit zusammen, sie versetze den Rezipienten zugleich in Ruhe und Bewegung oder in ihr komme es zu einem Widerstreit zwischen auflö- senden und formbildenden Tendenzen. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, ja bis in die Gegenwart stößt man immer wieder auf derartige Konstruktionen eines ‚Sowohl-Als-auch‘ und ‚Zugleich‘, und schon 1817 war im „Conversati- ons-Lexicon oder enzyclopädischen Handbuch für gebildete Stände“ zu lesen, dass sich in der Kunst „alle streitenden Gegensätze vereinen“. Die Definitions-Scheu hat den Kunstbe- griff also selbst tiefgreifend formatiert und ihm überhaupt erst seinen modernen und dann für mehr als zwei Jahrhunderte nicht mehr ernsthaft veränderten Charak- ter verliehen. Alle anderen, oft durchaus konkreten Erwartungen, die an die Kunst Ruprecht von Kaufmann, Keiner da!, 2008, Papiermache, Wachs, Textilien, A cryllack, 180 x 40 x 40 cm, gerichtet wurden, standen unter dem Ausstellung Hospitalkirche Stuttgart 2008 Bann des Paradoxie-Zwangs; auch heute noch würde das Publikum nichts so sehr Ein anderer legt einige Gegenstände in nerseits mit einem signalhaft roten Kleid enttäuschen wie eine sich eindeutig und eine Vitrine, die ganz unterschiedlicher und ebenso kräftigem Lippenstift auf, definierbar gebende Kunst. Keine Aus- Herkunft, Wertigkeit und Faktur sind und bleibt aber sonst den gesamten Abend stellung, kein Katalog, kein Auftreten sich daher zu keinem klaren Gesamtbild über stumm; ihre gleichfalls roten Haare eines Künstlers, wo nicht mit Codes des zusammenfügen, sondern den Betrachter machen sie erst recht zu einer enigmati- Unzugänglichen und der Inszenierung nur zu immer neuen Hypothesen veran- schen Gestalt in der Tradition von Hexen einer ‚coincidentia oppositorum‘ ge- lassen. und Zauberinnen. arbeitet würde. Da nennt ein Künstler Im Text über einen weiteren Künstler Mit solchen Beispielen – genauso na- ein Gemälde, auf dem gelbe und rote wird hervorgehoben, wie großartig die- türlich aus anderen Künsten als den bil- Streifen zu sehen sind, „Erinnerung an ser das Rationale und das Emotionale denden – ließen sich viele Seiten füllen. Martin Heidegger“ und läßt sein Publi- verbinde und damit beide Gehirnhälften Dabei wären die meisten ähnlich wenig kum rätseln, wie beides, Bild und Titel, ‚zugleich‘ stimuliere. Und bei einer ausgefallen wie ehedem eine Rocaille miteinander zusammenhängen könnten. Vernissage tritt die Künstlerin zwar ei- oder ein als Serpentine angelegter Weg.

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 9 Gabriela Oberkofler, Die Ahnengalerie, 2008, Installation: Taberhof in Flaas

Sollte damit Unregelmäßigkeit und ein zweckfrei zu sein. Allerdings: Auch Magie zu erzeugen, wie sie der Kunst „je ne sais quoi“ erreicht werden, geht es wenn das einzelne Werk ohne vorab seit mehr als zwei Jahrhunderten zu einer heute ganz ähnlich darum, eine Aura von festgelegte Funktion entstehen mag, ist Erfolgsgarantie verholfen hat. So ist erst- Vieldeutigkeit und Paradoxie entstehen die Kunst insgesamt durchaus in die mals seit langem wieder eine Verschie- zu lassen. Die Definitions-Scheu gegen- Gesellschaft eingebunden und vermag bung innerhalb dessen zu beobachten, über der Kunst hat somit nicht nur deren genauso Bedürfnisse zu befriedigen wie was mit dem Attribut des Undefinierba- Begriff stark beeinflusst, sondern prägt von vornherein kommerziellen Zwecken ren (eines „je ne sais quoi“) belegbar ist, genauso maßgeblich ihr Aussehen sowie unterworfene Formen der Gestaltung. Sie und die Kunst droht ihr – immerhin lange die Modi ihrer Präsentation. Eine umfas- fungiert als Statussymbol oder, bei Un- bestehendes – Alleinstellungsmerkmal sende Rhetorik proklamiert, ja beschwört ternehmen, als prestigeträchtige Image- tatsächlich zu verlieren. andauernd und in zahllosen Varianten Maßnahme; für sie zahlt man, um sich Es ist vor allem der Starkult, der in- ihre Undefinierbarkeit; insofern zumin- unterhalten, stimulieren oder tatsächlich zwischen ebenfalls vermehrt mit Codes dest ist die Kunst von makelloser Bere- die Illusion einer Gegenwelt vermitteln arbeitet, welche eine Einheit des Gegen- chenbarkeit. zu lassen, und manchem Reichen dient sätzlichen suggerieren sollen. Ein Star Kaum auszudenken, wie sich eine Kunst sie nicht zuletzt als alternative Geldan- wie Madonna hat im Lauf von rund zwei ausnähme, die sich so wenig gegen eine lage. Jahrzehnten immer mehr Rollenmuster Definition sträubte wie der Bildjournalis- Nein, die Kunst steht gewiss nicht außer- adaptiert; jedem Versuch, sie zu definie- mus, die Werbung oder Kaufhausmusik. halb der Welt der Zwecke und Interessen; ren, entweicht sie, indem sie auf jeweils Dann verlöre sie wohl sogar ihre ‚dif- im Gegenteil ist sie sogar – dank ihrer eine weitere Identität verweisen kann. ferentia specifica‘ und hätte höchstens Undefinierbarkeit – so interessant, dass Diese Wandlungsfähigkeit imponiert noch die Möglichkeit, sich (was oft pas- mittlerweile bereits in anderen Bereichen natürlich auch, ja wirkt vielleicht sogar siert) darauf zu berufen, im Unterschied ausprobiert wird, auf Figuren des Para- unheimlich. Schließlich entsteht der Ein- zu anderen Bereichen des Ästhetischen doxen zurückzugreifen, um eine ähnliche druck, einer solchen Person könne man

10 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 sich gar nie wirklich annähern, hinter beginnt man, die Vorzüge des Paradoxa- dem sie nun schon so lange das Außerge- jeder Rolle komme nur eine neue Rolle len – eines „je ne sais quoi“ – zu erken- wöhnliche sein und als Asyl für diejeni- zum Vorschein. Zugleich aber fasziniert nen und Images von Marken komplexer gen fungieren sollte, die eines geordne- die Vitalität und Eleganz, mit der ein aufzubauen oder Designbotschaften ten Lebens überdrüssig waren, wirklich solches Wechselspiel betrieben wird. von Waren mehrschichtig zu codieren. an eine exzentrische Position gelangt ist: Bei anderen Stars ist es weniger eine Ak- Das dadurch erhoffte Surplus an Magie Wer sich über Jahrhunderte hinweg einer kumulation zahlreicher Rollen als viel- erleichtert die internationale oder gar Definition widersetzt, um ein Mysterium mehr die Inszenierung eines Gegensat- globale Vermarktung eines Labels, ist sie zu sein, das vor jeder Profanisierung zes, was ein ähnliches „je ne sais quoi“ doch ein transkulturell begehrtes Gut. Es geschützt ist, muss auch einen Verlust an provoziert. David Beckham etwa vereint gibt also bereits Autos, die außen klar Macht und Aufmerksamkeit akzeptieren. den robust-coolen Sportler und den sen- und nüchtern, im Inneren aber verspielt Zum Ausnahmezustand erhoben, gab die siblen Familienvater in sich und ist so und üppig angelegt sind; andere vereinen Kunst jeglichen Kompetenzanspruch für zur Ikone der Metrosexuellen geworden, aggressive Züge mit Formen, die dem das alltägliche Leben auf; für das Ex- die weibliche und männliche Attribute Kindchenschema entsprechen. Jeweils klusive zuständig, wurde sie schließlich gleichermaßen besitzen und ausleben. geht es nicht nur darum, mehrere mitein- selbst mehr und mehr ausgeschlossen. Auch solch konträre Eigenschaften ge- ander konkurrierende Kundenwünsche Dies trifft freilich nicht für alle Sparten nügen schon, um eine Person als ebenso in einem Produkt zu erfüllen, ja die gleichermaßen zu; so reicht die Literatur fremd wie vertraut zu empfinden, ja um legendäre eierlegende Wollmilchsau zu noch weiter in die Mitte der Gesellschaft sich einmal mühelos mit ihr identifizie- erfinden, sondern mindestens so wichtig als die bildende Kunst, vermutlich weil ren zu können, im nächsten Moment aber ist auch hier die Magie und Erotik des- sie sich auch nie so stark exponiert und ehrfurchtsvoll davor zurückzuschrecken. sen, was sich nicht mehr auf einen klaren als das radikal Andere präsentiert hat wie Diese Mischung von Sich-Entziehen und Begriff bringen lässt und das Wesen der etwa die Strömungen der Avantgarde, Überwältigen, von der viele Stars leben, alten Artemis wieder aufleben lässt. Das deren Beschwörung eskapistischer und könnte man auch als artemisische Kon- heutige Zeitalter nach ihr zu benennen, umstürzlerischer Sehnsüchte noch bis in stellation bezeichnen. Es war nämlich die wäre also gewiss keine falsche Wahl. die jüngste Vergangenheit das Selbstbild Göttin Artemis, der die Griechen einen Gegenwärtig mag die Kunst noch inso- jedes Malers oder Bildhauers bestimmt derart paradoxen Charakter unterstellten, fern im Vorteil sein, als ihr das „je ne sais hat. Hier ist die Kunst mittlerweile in einerseits schroff-distanziert zu wirken quoi“ ganz selbstverständlich abgenom- eine so starke Randlage geraten, dass und andererseits doch durch besondere men wird, während die anderen Berei- ihre jeweils neuen Werke und aktuellen Präsenz und Nähe aufzufallen. Diese che, die danach streben, sich gelegentlich Protagonisten nicht einmal mehr zum Verbindung konträrer Eigenschaften mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, bildungsbürgerlichen Pflichtprogramm machte nicht zuletzt die Erotik der Ar- eine Paradoxie ja lediglich kalkuliert gehören. temis aus – dies wohlgemerkt weniger – marketingorientiert – zu inszenieren. Ein Künstler ist somit als Prinz ohne eine Erotik, die in körperlichen Reizen Diese sei nicht ‚echt‘ und besitze sozusa- Reich zu verstehen, wird zwar ‚an sich‘ bestand, als eine des Verhaltens sowie gen keine ontologische Verankerung, da bewundert und ehrfürchtig behandelt, ja der Erscheinungsweise. Autos oder Männer im Unterschied zur genießt (als Urbild des Artemisischen) Damit personalisiert sich das „je ne sais Kunst nicht ‚per se‘ widersprüchlich in einen selten exquisiten Ruf, hat aber quoi“ wieder, nachdem es über mehr als sich seien. Tatsächlich ist dieser Einwand wenig zu melden und nicht einmal viel zwei Jahrhunderte hinweg primär in der nicht berechtigt. Im Gegenteil könnte Resonanz. Er ist vergleichbar einem heu- Kunst gesucht worden war. Ausgehend man den Künstlern vorhalten, sich allein tigen Vertreter des Hochadels, der zwar von den Stars strahlt das Artemisische nach dem Begriff der Kunst zu richten noch in den bunten Blättern auftaucht mittlerweile sogar auf die Charakteri- und diesen damit nur immer wieder zu und sich als etwas Besonderes fühlen deale für Frauen und Männer insgesamt kopieren; der Imageberater eines Stars darf, jedoch auch immer wieder merkt, aus. Ein Blick in Magazine oder auf oder ein Produktdesigner, der erstmals dass er eigentlich in einer ganz eigenen Werbeanzeigen genügt, um zu bemerken, mit den Bedingungen eines „je ne sais Welt lebt, die auf die Welt der großen dass von Männern seit einigen Jahren quoi“ experimentiere, sei im Vergleich Mehrheit der Menschen keinen Einfluss etwa vermehrt erwartet wird, gleicher- dazu viel origineller und innovativer, besitzt. Ein solches Leben mag nobel maßen stark und einfühlsam zu sein. betrete Neuland und liefere nicht bloß sein, befriedigend ist es hingegen kaum. Ähnlich sollen Frauen selbstbewusst einen weiteren Abklatsch. Vielmehr ist nur schwer mit der Diskre- und doch zugleich sanft auftreten. Das Genau genommen leiden somit die panz zwischen dem hohem gesellschaft- Nur-Männliche oder Allein-Weibliche Kunst wie auch die neuen Bereiche des lichen Status und der relativen Ohnmacht reizt hingegen kaum noch, ja ein Surplus Paradoxalen jeweils unter einer Glaub- umzugehen. an Erotik verheißt gerade alles, was auf würdigkeitslücke; (Begriffs)hörigkeit im Daraus folgen fast zwangsläufig Macht- einer Verbindung von Gegensätzlichem einen und Künstlichkeit im anderen Fall phantasien; sie finden sich entsprechend basiert. beeinträchtigen ihre Autorität. Die Kunst oft in Texten und Äußerungen von Auch in der Marken- und Produktwelt hat zudem das Problem, dass sie, nach- Künstlern. Wie sich schon Kandinsky

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 11 darüber freute, als das Publikum seine auch im 19. Jahrhundert noch die mei- Wünsche zu projizieren. Bilder bespuckte, da er die Aggression sten Akademien in der direkten Nähe Die Scheu, Kunst zu definieren, sowie als Beleg dafür nahm, dass er Macht über zu Höfen gegründet, doch drückte der der Widerwille ihrer Repräsentanten ge- die Menschen besaß („Die Zeiten waren mittlerweile etablierte Genie-Begriff genüber dem Eindeutigen haben sich also schwierig, aber heroisch“), so reden sich bereits eine zu tiefe Feindschaft gegen- tief und umfassend darauf ausgewirkt, Künstler bis heute gerne ein, doch etwas über allem Konventionellen aus, um die wie aussah und in welchem Rahmen zu sagen zu haben. Nicht wenige, die Kunst länger als Unterhaltungsspektakel, auftrat, was als Kunst wahrgenommen sich sonst durchaus unangepasst-kritisch als Vergnügen der Mächtigen ansehen werden sollte. Ihre vermeintliche Un- geben, suchen etwa die Nähe zu Größen zu können. Als naturhaft-wildes Ereignis definierbarkeit hat die Kunst gar stärker aus Wirtschaft und Politik und überneh- besaß das Genie vielmehr eine destruk- definiert als alles andere. Sie hat ihren men sogar selbst noch deren Körperspra- tive Dimension und war zudem die Erfolg garantiert – und auch die Grund- che und Alphatier-Gebaren. Sie genießen Instanz, aus der sich das Anderssein der lage für ihre Außenseiterposition gelegt. es dann, in zwei Welten zugleich zuhause Kunst, ihre Unergründlichkeit, ableiten Jedes Mal, wenn die Frage „Was ist zu sein, die Aura der Macht mit dem ließ. Kunst?“ wieder gestellt wurde, war das Ethos des Oppositionellen in sich ver- In manchen Phasen – der Frühromantik ein willkommener Anlass, um das damit binden zu können – und damit natürlich oder der Avantgarde – mochte die Kunst verbundene definitorische Ansinnen laut auch eine weitere Paradoxie vorzuleben sich ziemlich weit von allem distanzie- zurückzuweisen, ja um einmal mehr zu und einmal mehr als etwas undefinierbar ren, was nach Establishment roch, verlor bekräftigen, dass die Kunst ganz anders Besonderes gelten zu dürfen. aber den Bezug zur etablierten Macht sei als anderes, nämlich schlechthin Vielleicht ist der Gegensatz von Macht- nie ganz und konnte so weiterhin jene nicht zu fassen und ein großes „je ne sais gestik und Oppositionsgeist sogar ei- paradoxe Doppelstellung einnehmen. quoi“. Und der Angstschweiß, den diese ner der interessantesten innerhalb der Durch Institutionen, neben den Akade- Frage immer wieder auslöste, diente Kunst; einer der ältesten ist er ohnehin mien insbesondere die Museen, bestand dabei als einer der stärksten Belege für und stammt bereits aus der Zeit, als der auch dann unmittelbare Verbindung zur die Magie der Kunst. Kunst ein „je ne sais quoi“ attestiert staatlichen Hoheit, als die Künstler selbst wurde. Kam diese Wendung noch aus – und ebenso ihre Werke – vom Pathos der höfischen Welt, der die Kunst ja an- des Oppositionellen lebten. Vor allem a) Der Aufsatz geht auf den überarbeiteten gleichna- gehörte, so passte letztere, erst einmal jedoch gaben es die Mächtigen selbst nie migen Vortrag von Wolfgang Ullrich am 13.11.2008 im Hospitalhof Stuttgart zurück. Wir danken zum geheimnisvoll Anderen geworden, auf, in die Kunst – gerade angelockt von Wolfgang Ullrich für die Überarbeitung und die nicht mehr wirklich dazu. Zwar wurden deren artemisischem Wesen – unerfüllte Abdruckerlaubnis.

12 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Daniel Spanke Jungfrau Maria und der Heiligen zur Verehrung durch die Gläubigen aufzu- Der Pluralismus der Bilder in der Kirchea stellen sind. Sie zeigen gleichsam die liturgische Teilnahme der „Gemeinschaft Wer heute eine Kirche betritt, sieht „Die sakralen Gebäude und die zum Got- der Heiligen“, die im Glaubensbekennt- sich zumeist einer Vielzahl von Aus- tesdienst gehörenden Dinge haben [...] nis bekannt und im eucharistischen stattungsobjekten konfrontiert, die sehr wahrhaft würdig und schön zu sein, Zei- Hochgebet verkündet wird, an. Über unterschiedliche Bedeutung, Funktion chen und Symbole höherer Wirklichkeit. die Gestaltung der Bilder wird nichts und vor allem bildliche Tradition haben. weiter gesagt, als dass die „Schönheit Kirche meint im Deutschen immer ein Daher sucht die Kirche stets die vortreff- und die Würde der Bilder zu beachten“ Doppeltes: das Gebäude des Gotteshau- liche Unterstützung der Künste und lässt sei. g Darin entspricht die „Grundord- ses und die Institution „Kirche“ als Volk die künstlerischen Ausdrucksformen aller nung des römischen Messbuches“ dem Gottes, das den mystischen Leib Christi Völker und Regionen zu. So wie sie sich „Katechismus der katholischen Kirche“ mit Haupt und Gliedern bildet. Beides ist bemüht, die Kunstwerke und Kunstschät- der im Unterschied zu allen anderen voneinander nicht zu trennen. ze, die aus vergangenen Jahrhunderten Ausstattungsstücken der Kirche, auch Die 2007 von der Deutschen Bischofs- erhalten sind, zu bewahren und, sofern nicht dem Altar, ebenfalls ausschließlich konferenz vorab publizierte Übersetzung nötig, neuen Erfordernissen anzupassen, den heiligen Bildern ein eigenes Kapitel der 2002 neuaufgelegten „Grundordnung geht ihr Streben auch dahin, Neues und einräumt.h Dort wird gesprochen vom des römischen Messbuches“ hält fest, der jeweiligen Zeit Entsprechendes zu heiligen Bild, „der liturgischen Ikone“, dass „dem Volk Gottes, das sich zur Mes- fördern. die auch in den Bildern der Gottesmutter se versammelt, [...] eine gemeinschaft- und der Heiligen in erster Linie Christus, liche und hierarchische Grundordnung Deshalb ist bei der Beauftragung von der in ihnen verherrlicht wird, darstellt. [eignet]. Darum hat die Gesamtanlage Künstlern und bei der Auswahl der Das heilige Bild, die liturgische Ikone, des sakralen Gebäudes so zu sein, dass Kunstwerke, die für die Kirchen zugelas- ist vor allem Christus-Ikone. Es wird das sie gewissermaßen das Bild der versam- sen werden sollen, auf echte künstleri- 2. Konzil von Nizäa, das 787 stattfand, melten Gemeinschaft darstellt.“b Das sche Qualität zu achten, die den Glauben zitiert, nach dem die Ikonemalerei eine Verhältnis von Kirchenbau und Kirche und die Frömmigkeit nährt, übereinstim- bewahrte kirchliche Tradition sei, die die als Gemeinschaft der Gläubigen wird mend mit der wahren Bedeutung und gleiche Botschaft im Bild wie auch das also als Abbildung beschrieben. Wie dem Ziel der Darstellung.“c Evangelium mit den Worten der Schrift diese Abbildung beschaffen ist und wiedergibt, nämlich die Menschwerdung welches, gerade im Hinblick auf Kunst So soll der Altar künstlerisch gestal- des Wortes Gottes. nicht unproblematische Bildverständnis tet seind und die Kirche lässt wie für ihr zugrunde liegt, wird uns noch näher den Bau von Gotteshäusern „auch für Vom Pluralismus der Bilder in der Kirche beschäftigen. alle sakralen Geräte die künstlerische ist in den beiden normativen kirchlichen Weil wir es im Falle eines Kirchengebäu- Ausdrucksform jedweder Region zu.“e Texten der „Grundordnung“ und des des also mit einem hoch determinierten Bemerkenswerterweise wird in dem Ka- „Katechismus“ nur sehr eingeschränkt Raum zu tun haben, der alles, was er pitel, das eigens „den heiligen Bildern“ die Rede. Dem Katechismus gemäß sol- beinhaltet, im des christlichen gewidmet ist, der Künstler oder die len, sehr allgemein gehalten, die Bischö- Glaubens erscheinen lässt, erscheint es künstlerische Gestaltung gar nicht mehr fe alte und neue sakrale Kunst in allen sinnvoll, sich zunächst einmal die Festle- erwähnt.f Gerade hier hätte man doch er- ihren Formen förderni. Auch nach der gungen der Kirche selbst hinsichtlich der warten können, dass vom Bild als einem „Grundordnung“ ist Altes zu bewahren Kirche als gestalteter und gestaltender vorzüglichen Medium künstlerischen und „Neues und der Zeit Entsprechendes Raum zu verdeutlichen. Dass hier aus- Ausdrucks gesprochen wird. Stattdessen zu fördern“,j Vielfalt scheint aber vor schließlich von der katholischen Kirche scheint „künstlerische Gestaltung“ vor allem darin gesehen zu werden, dass die die Rede ist, hat weniger mit einer geisti- allem im Bereich der Architektur oder Kirche die künstlerischen Ausdrucksfor- gen Enge des Verfassers oder einer Vor- des angewandten Designs von liturgi- men aller Völker und Regionen zulässt. liebe zu tun, als vielmehr damit, dass die schem Gerät, wie Kelch, Patene, Hosti- k Das klingt so, als ob es sich bei Kunst Verlautbarungen der katholischen Kirche enbüchse, Monstranz u.s.w. erwartet zu noch um eine Art Volkskunst handeln mit einer Normativität formuliert sind, werden. könnte, eine aus ethnischen Traditionen mit der sich bildwissenschaftlich leicht heraus sich gleichsam natürlich ergeben- arbeiten lässt. In Bezug auf Bilder wird vielmehr er- de Gestaltungsstilistik. In der schon zitierten neugefassten klärt, dass die Kirche in der irdischen Die Wirklichkeit dessen, was als zeitge- „Grundordnung des römischen Messbu- Liturgie vorauskostend an der himmli- nossische Kunst in Museen ausgestellt ches“ ist über die Gestaltung der Kirche schen teilnimmt und dass deshalb „nach oder im Kunstmarkt gehandelt wird, und ihre Ausstattung Folgendens zu ältester Tradition“ in den Gottesdienst- lässt sich durch dieses Verständnis von lesen: räumen Bilder des Herrn, der seligen Kunst wenig fassen. Obwohl es immer

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 13 Thom Barth, Quader OTT“, 2008, Montagefolien über Lattengrerüst, 350 x 350 x 850 cm, Schlosskirche Friedrichshafen courtesy: Galerie Bernd Lutze, Friedrichshafen wieder auch in der Epoche der Moderne dass die Kirche die Tradition der Ikonen- Abbild irgendeines Tiers [...].“ (Dt 4, zu vielbeachteten, hochgeschätzten oder malerei bewahrt hat, wird nicht deutlich, 15-17). Alle bilderfreundliche Theologie zumindest heißdiskutierten Kunstwerken dass dieses Konzil einen Bürgerkrieg zu beruft sich hingegen darauf, dass mit der in Kirchen gekommen ist, erinnert sei beenden suchte, der genau diese Traditi- Menschwerdung Christi, sich eine neue nur als ein jüngstes Beispiel etwa Kir- on bestritt. Bilder-Ökonomie eröffnet hätte: da Gott chenfester für das Zürcher Großmünster Alle Bilderfeindlichkeit innerhalb des in Jesus Christus Mensch, anschaubar von Sigmar Polke, für den Kölner Dom Christentums kann sich auf jenes mäch- und damit auch abbildbar geworden sei, von Gerhard Richter oder für den Naum- tige Bilderverbot im Dekalog des Alten „kann“, wie der Hl. Johannes von Da- burger Dom von Neo Rauch, scheint die Testamentes berufen, dass in der Rede maskus sagt und auch der Katechismus Kirche in offiziellen Dokumenten für des Mose im Buch Deuteronomium der katholischen Kirche zitiert, „ich von Bilder ein vormodernes, ja vorneuzeitli- weiter erläutert wird: „Nehmt euch um dem, was ich von Gott gesehen habe, ein ches Paradigma von Bildern zu vertreten, eures Lebens willen ich Acht! Denn Bild machen [...] Wir schauen mit ent- das der „Katechismus der katholischen eine Gestalt habt ihr an dem Tag, als der hülltem Angesicht die Herrlichkeit des Kirche“ auch deutlich benennt: nämlich Herr am Horeb mitten aus dem Feuer zu Herrn.“l die Ikone. euch sprach, nicht gesehen. Lauft nicht Auf die Einzelheiten des Bilderstreites in euer Verderben und macht euch kein und der theologischen Argumentation Wenn sich das 2. Konzil von Nizäa 787 Gottesbildnis, das irgendetwas darstellt, kann hier nicht weiter eingegangen und sehr viel später der „Katechismus keine Statue, kein Abbild eines männ- werden. Festzuhalten ist jedoch, dass der katholischen Kirche“ darauf beruft, lichen oder weiblichen Wesens, kein die Kirche sowohl orthodoxer als auch

14 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Einen Künstler braucht es für dieses Bild gerade nicht, es entsteht gleichsam aus einer Eigenschaft von Christus selbst, von sich Bilder geben zu können. Die komplizierten Vorstellungen antiker Sehtheorie, nach der alle Dinge dauernd aus ihrer Oberfläche Bildchen aussenden, die das Auge aufnimmt, und die theo- logischen Überlegungen zur Natur des Bildes, das verschieden vom Darzustel- lenden nur die Ausprägung, das Griechi- sche benutzt den Begriff charakter, des Darzustellenden zeige, können hier nur gestreift werden. Der Hl. Theodor, Abt des Studionklosters in Konstantinopel, beschreibt diesen Abprägungsvorgang mit dem des Siegelns: So wie ein Siegelstempel in jeder belie- bigen Materie abgedrückt werden könne, so präge sich das Bild Christi in jede sei- ner Ikone ein, seien sie nun aus Metall, aus Farbe auf Holz oder aus sonst einem Material. Das Bild Christi gibt es als Teil seiner Person also immer schon vor jeder konkreten Bildwerdung. Im Bildträger verbindet es sich aber nicht mit dessen Materie, sondern gehöre vielmehr wei- terhin zur Person Christi. Deshalb ist in der Ikone Christi die Person Christi, bzw. seine Ausprägung, gegenwärtig und kann verehrt werden.m Entscheidend zum Verständnis des Bild- paradigmas Ikone ist seine quasi schrift- liche Verfasstheit, seine „Logoszentriert- heit“, wie man theologisch formulieren könnte. Das Bild wird gerade nicht durch unmittelbare Anschauung oder Auffas- sung und Erlebnis des Malers gewonnen, sondern durch einen fast mechanisti- schen „Formulierungsvorgang“, wie man Ruprecht von Kaufmann, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, 2003, sagen könnte. Öl auf Acryl und Leinwand und Skulptur, 180 x 200 cm. Ausstellung Hospitalkirche Stuttgart 2008 Grundlage dieses Formulierungsvorgan- ges ist die Ikonografie. Ikonografie ist ein Katalog von identifizierenden Attributen katholischer Prägung ein einziges Bil- seit dem 6. Jahrhundert überliefert wird, und Beizeichen, etwa dem Schlüssel, derverständnis pflegen: das des Bildes habe der König von Edessa, Abgar mit der Petrus in Bildern beigegeben wird, als Ikone und dieses Bilderverständnis Namen, Christus mit der Bitte einen aber auch von körperlichen Merkmalen. oder Bildparadigma unterscheidet sich Brief geschickt, zu ihm nach Edessa zu Theodor Studites führt dazu aus: „Man von dem des Kunstwerkes erheblich und kommen, um ihn von einer Krankheit zu malt Petrus dank jener bestimmten entscheidend. Für dieses Verständnis des heilen. Eigenschaften, die er zusätzlich zur all- Bildes als Ikone kann eine Legende be- Statt selbst zu kommen, sendet Christus gemeinen Definition [des Menschseins] sonders musterhaft gelten: die Legende König Abgar von Edessa ein Bild, das besitzt, zum Beispiel die krumme Nase, vom „nicht-von-Menschenhand gemach- aus einem Tuch besteht, in das er sein das gekräuselte Haar, die wohlgefällige ten Bild Jesu Christi“. Antlitz abgedrückt habe und dieser Ab- Hautfarbe, die schönen Augen und was Dieser Legende nach, die in der grie- druck des Antlitzes Christi sei wunderba- es sonst noch an besonderen Kennzei- chischsprachigen Christenheit spätestens rerweise dort sichtbar geblieben. chen seines Aussehens gibt, durch die er

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 15 Ausstellung „solunallets“, Nov 08/Febr 09, , St. Matthäus-Kirche, Berlin Wolfgang Laib, Reishäuser (2007/08); Courtesy Galerie Andre Buchmann, Berlin sich besonders von den [...] anderen der diese ikonografischen Bilder, die per- man es im Stadtmauer mit einem Stein Spezies unterscheidet.“n sonale Identität aus der Übereinkunft davor eingemauert. Auf diesen Stein, das Man wird bemerken, dass Petrus-Ikonen und Tradition von bildlichen Zeichen so genannte Keramidion, habe sich das sich durchaus deutlich voneinander auch herstellen. Das Bild war dabei nicht die Bild weiterübertragen. Die Kraft Christi in den Zügen des Gesichtes unterschei- Erfindung des Künstlers, sondern eher auf das Bild hin, macht bei einem einzel- den. Dennoch gibt es Merkmale, die zu eine Eigenschaft des Darzustellenden nen Exemplar nicht halt, sondern pflanzt einer Ikone Petri dazugehören, wie etwa selbst, die sich durch den fachgerecht sich prinzipiell unerschöpflich für eine das kurze gekräuselte Haar oder der kur- und gut ausführenden Maler gleichsam Vielzahl von Bildern fort. Ikonografie ze Bart. in das bearbeitete Material einprägt. Die rechnet stets mit einer Vielzahl von Bil- Auch Ikonen Jesu Christi unterschei- Kunstfertigkeit des Ikonenmalers gilt der dern, deren personale Identität garantiert den sich untereinander erheblich, allen Wiederholung eines Bildformulars, einer werden muss. gemeinsam ist aber, dass sie Jesus mit Ikonografie, die unabhängig von ausge- Diese Garantie erfolgt im Falle der mittelgescheiteltem, langem, welligem führten Bildern bestimmte Gestaltungs- Ikone auch nicht nur durch bildliche Haar, schmalen Gesichtszügen und etwas merkmale definiert. Zeichen, sondern zusätzlich und sehr längerem Bart wiedergeben. In diesem Sinn ist das Bild der Ikone konkret durch eine Ikonenaufschrift, die Aus der Addition solcher ikonografischer allerdings „nicht-von-Menschenhand- den Namen der Person, die in der Ikone Züge wird keinesfalls das „naturgetreue“, gemacht“, wie es vom Abgarbild, dem sichtbar wird, nennt. Wie bei einem Text „spiegelbildliche“ Abbild einer Person, Mandylion, heißt, weil es aus dem Wort die Art und Weise der Ausführung, des dennoch aber ein Bild, das eine Person stammt und sich vom Wort her fort- Schriftbildes nicht entscheidend für den durch „Zeichen des Gesichtes“ mit gro- pflanzt. Es ist nur konsequent, dass es Schriftsinn ist, ist bei einer Ikone die Art ßer Identitätssicherheit wiedergibt. vom Mandylion heißt, es habe sich selbst und Weise ihrer bildlichen Ausführung Das gesamte europäische Mittelalter, kopiert: als Edessa von den feindlichen nicht entscheidend für ihre personale in Ost wie in West, war geprägt durch Truppen der Perser belagert wird, habe Identität.

16 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Das Bildparadigma Ikone ist also gerade für die Kunst des Bildes – ihr künstleri- sches, jeweiliges Gemachtsein, die bild- lichen Bedingungen des Materials, die Individualität künstlerischen Ausdrucks usw. – im Grunde blind. Günter Lange vermutet, dass überhaupt erst die sprachliche Bestimmung der Iko- ne und damit die Ausblendung der genu- in bildlichen Qualitäten die Legitimation des Bildes im Bilderstreit ermöglicht habe. Der Preis eines Konsenses auf dem 2. Konzil von Nizäa sei gleichsam eine Art ins Bild aufgenommener Ikonoklas- mus gewesen. Es darf keinesfalls von der künstlerischen Qualität, gleichsam ex opus bonum, abhängen, ob das Bild die verehrungswürdige Person zeigen kann oder nicht. Das Bild wird dem Zugriff des Malers entzogen und indem es sprachlich kodi- fiziert wird, gleichsam bildlich neutrali- siert und standardisiert. In seinen berühmten Vorlesungen über die Ästhetik bemerkte schon Georg Friedrich Hegel, dass „die am meisten religiös verehrten [wunderthätigen Bil- der], künstlerisch betrachtet, gerade die allerschlechtesten sind.“o In der Tat kön- nen auch qualitativ weniger hochwertige Bilder sehr wohl große sakrale Vereh- rung genießen. Ein Bespiel dafür mag das Gnadenbild von Maria Weißenstein in Südtirol sein, das der Legende nach Mitte des 16. Jahr- hunderts von einem Bauern, Leonard Weißensteiner, im Wald gefunden sein soll. Die wohl spätgotische Pieta stammt vielleicht aus Nottingham, das damals ein Zentrum für die zahlenmäßig große Herstellung solcher Figürchen aus wei- ßem Stein war. Von dort wurden große Mengen nach ganz Europa exportiert. Vermutlich hat sich die Figur längere Timo Nasseri, Muqarnas (2007); courtesy Sammlung Alexander Ochs, Berlin Zeit im Freien befunden, bevor Weißen- Ausstellung „solunallets“, Nov08/Febr 09, St. Matthäus-Kirche, Berlin steiner sie auffand. Dies würde ihre star- ke Verschleifung erklären. Es handelt sich um eine relativ grobe, gestellt wurde, die in der Ausführung „Katechismus der katholischen Kirche“ schlichte Statuette. Über der Auffin- ganz anders, nämlich aus Holz und in betonen allerdings allenthalben die dungsstelle hat noch Weißensteiner selbst einer anderen Formensprache, gestaltet Schönheit und Würde der zu gestalten- eine bescheidene Kapelle errichtet um ist, ikonografisch aber das Urbild genau den Ausstattung der Kirche.p die später ein barocker Neubau herumge- nachbildet. Dies entspricht ganz genau Im Katechismus ist der Schönheit der baut wurde. dem traditionellen kirchlichen Verständ- Kunst sogar ein besonderer Abschnitt, In den Hochaltar des Neubaus wurde die nis des Bildes als Ikone. Die oben zitier- „Wahrheit, Schönheit und sakrale Kunst“ Originalstatue eingefügt, während nun ten kirchlichen Texte der „Grundordnung gewidmet.q Dort wird die Kunst als eine in die Auffindungskapelle eine Kopie des römischen Messbuches“ und des dem Menschen eigentümliche Aus-

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 17 drucksform erklärt, die aus einem freien etwa, in Sammlungen und nicht zuletzt Auf den unteren Tafeln ist die Anbetung Überströmen des inneren Reichtums, den in den Galerien und Messen für Kunst. des Lammes, die Schlussszene der Apo- er von Gott erfährt, besteht. Die Schön- Wenn die Kirche auf ihrem Verständnis kalypse des Johannes und der Einzug heit der Kunst entspreche der Wahrheit der Bilder als Ikonen beharrt, scheint sie der Auserwählten nach dem Jüngsten der Schöpfung als von Gott gemacht ihre Bilderkompetenz für Kunstwerke Gerichtt in das Neue Jerusalem darge- und der Liebe zu ihr. Insofern hätten also verloren zu haben. stellt. Das Altarbild zeigt also genau das, die Schöpfung Gottes, die Welt und die Die Kirche scheint Kunst und Künstler wovon auch die „Grundordnung des rö- vom Menschen gemachte Kunst eine immer noch in jenem vor neuzeitlichen mischen Messbuches“ von 2002 spricht: Parallele. Kunst und vor allem sakrale Sinne zu verstehen, nach dem auch dass wir im Gottesdienst vorauskostend Kunst könne deshalb den Menschen das schon Mose Künstler und Handwerker an der himmlischen Liturgie teilnehmen. transzendente Mysterium Gottes erahnen beauftragt hatte, die Ausstattung für das Das Bild ist also gleichsam eine Art Seh- lassen und führe ihn in Anbetung, Gebet Heiligtum der Stiftshütte anzufertigen: instrument, eine Brille, durch die die und Liebe zu Gott. Im wahren Kunst- „Bezalel und Oholiab und alle kunstver- himmlische Wahrheit des irdischen Ge- werk scheine also die Heiligkeit der ständigen Männer, denen der Herr Weis- schehens am Altar sichtbar wird. Schöpfung auf. heit und Klugheit zum Entwerfen und In der Tat haben Hubert und Jan van Deshalb ist es bedeutsam, dass dieses Ausführen der ganzen Arbeiten für den Eyck ein Meisterwerk der Kunst ge- Kapitel in die Erläuterungen des Kate- Dienst am Heiligtum gegeben hat, sollen schaffen. Auf einer Inschrift auf einer chismus zu den Zehn Geboten eingeglie- alles tun, was der Herr angeordnet hat.“ Rahmenleiste des Bildes wird dies sogar dert ist und zwar genauer zum achten (Ex 36,1). beurkundet: „Maler Hubert van Eyck, Gebot: „Du sollst nicht falsch gegen dei- Dabei ging es um die genaue Ausführung einen größeren gab es nicht, hat dies nen Nächsten aussagen“ (Ex 20,16). Der nach den Angaben, die Gott selbst auf Werk begonnen und sein Bruder Johan- Künstler wird also in der Verantwortung dem Sinai Mose für sein Heiligtum ge- nes, der zweite in dieser Kunst, hat im des richtigen Aussagens gegenüber sei- macht hat. „Mose besichtigte das ganze Auftrag von Jodocus Vijd die schwere nem Nächsten gestellt. Unschöne Kunst Werk: Sie hatten es gemacht, wie der Aufgabe vollendet.“ Solche Inschriften wäre also gleichsam eine Lüge, eigent- Herr es befohlen hatte.“ (Ex 39,43). Das waren auch vorher nicht unüblich, doch lich ein Widerspruch in sich. Die Kirche ist das höchste Lob. begleitet das Lob der Maler eine Ent- wird also zum ästhetisch perfekten Ort wicklung ein, die die Bilder beziehungs- erklärt. Das Verständnis des Bildes als Es hat tiefgreifende historische Gründe, weise ihre Wahrnehmung entscheidend Ikone hilft dabei, die ästhetisch durchaus Gründe in der Geschichte der Bilder, verändern wird. unperfekte Wirklichkeit vieler Bildwer- die zusammenhängt mit grundsätzlichen 1521 lässt sich Albrecht Dürer den Gen- ke in Kirchen zu überblenden, denn die Umwälzungen im Verhältnis des Men- ter Altar gegen eine Besichtigungsge- Einhaltung einer Ikonografie lässt sich schen zu seiner Welt, dass dem Bildpara- bühr zeigen. Er beschreibt es als „eine relativ leicht einfordern und feststellen, digma Ikone ein neues, das der Kunst im überköstliche, hochverständige Malerei“. künstlerische Qualität jedoch nur sehr neuzeitlichen Sinne hinzugefügt wurde. Schon zuvor hat der Nürnberger Huma- schwer. So beklagt der österreichische Führen wir uns noch einmal die ikonen- nist Hieronymus Münzer das Werk 1495 Künstler Walter Pichler etwa in drasti- gemäße Aufgabe eines Altarretabels vor als „große und kostbare Malerei, gemalt schen Worten, dass die zeitgenössische Augen. mit künstlerischem Ingenium“ gerühmt. Kirche ein „ästhetischer Graus“ sei, ihre Wir sehen den sogenannten Genter Altar Die Betrachtung des Genter Altars gilt Räume seien vollgestopft mit „minder- der Brüder Hubert und Jan van Eyck, ein nicht mehr so sehr dem Sichtbarwerden wertigem, zutiefst ungeistigem Zeug“.r Auftragswerk, eine fromme Stiftung des einer himmlischen Wirklichkeit, sondern Und der Kurator für die Kunst des 20. Jodocus Vijd und der Elisabeth Borluut der Art und Weise der Malerei selbst, Jahrhunderts am Westfälischen Landes- für ihre Kapelle in der Kirche St. Bavo, die Hubert und Jan van Eyck so groß- museum Münster, Erich Franz, bekennt die 1432 als der Altar geweiht wurde, artig und einmalig verwirklicht haben. nur etwas gemäßigter: „Es macht einen noch St. Johannes hieß. Die Festtagssei- Die Bewunderung für die Malerei selbst traurig und wütend – vom ausgedürr- te mit aufgeklappten Flügeln zeigt die schiebt sich vor ihre ikonische Bedeu- ten und verharmlosten Barlach-Stil der himmlische Hierarchie, die sogenannte tung. Erst recht werden Kirchen in der Madonnen- und Heiligenfiguren zu den Deesis mit Christus als König in der Epoche der Moderne auch Stationen der knallig und künstlerisch platten Farbfen- Mitte mit Maria und Johannes zur Seite. Bildungstour, sie werden touristische stern und von den romanisch gestylten Diese Anordnung, Maria und Johannes Sehenswürdigkeiten oft ersten Ranges, Kreuzwegstationen und nierentischge- an der Seite von Jesus wiederholt die wenn ihre Ausstattung im Zuge der Sä- schwungenen Sakramentshäuschen und Szene unter dem Kreuz nun aber ins kularisation nicht gleich in die Sammlun- Taufsteinen bis zu den kunstgewerblich himmlische gewandelt. gen und Museen gewandert ist. interessant gemachten Kruzifixen.“s Im Bilde sehen wir am Altar jetzt schon, Als Adolph von Menzel 1873 sein Ge- Kunst scheint also weitestgehend an- was wir erst nach unserer Auferstehung mälde „Blick in die Pfarrkirche St. Peter derswo als in den Kirchen stattzufinden: von Angesicht zu Angesicht schauen in Wien“ malt , ist dieser Blick, wie der in den Museen und Ausstellungshallen werden. Dürers nicht unbedingt ein gläubiger, der

18 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 dort die Gegenwart Gottes erwartet, son- mit der Materie, in der es ausgeführt ist, als amoralisch und obszön. Die Pointe dern vor allem ein ästhetischer, der das eingegangen. Für die Kirche ist dieser der Kritik besteht darin, Michelangelo außergewöhnliche Kunstereignis dieses Vorgang der Kunstwerdung der Bilder vorzuwerfen, er habe um der Vollkom- barocken Gesamtkunstwerkes genießt in der Tat ein problematischer Vorgang. menheit seiner Kunst willen, und er war und, davon überquellend, in einem eige- Der Pluralismus der Bilder in der Kirche ein Meister des menschlichen, vor allem nen Werk wiedergibt. besteht also vor allem in dem Zugleich männlichen Aktes, vernachlässigt, was Das zeigt auch seine Malweise, die im- verschiedener Bildparadigmen: einerseits der Glaube gefordert hätte, seine Kunst pressionistisch getupft das Zauberhafte das Bild als Ikone, das verlässlich die also höher gestellt als die Aufgabe die der flüchtigen Seherscheinung einzu- Aufgaben erfüllt, die ihm in langen und von der Kirche verkündete Wahrheit zu fangen versucht. Es ist Menzels ganz äußerst schwierigen Auseinandersetzun- zeigen. Der Vernichtung ist Michelange- subjektives Seherlebnis, das er in seinem gen zuerkannt worden sind – nämlich los Weltgericht nur durch den Kompro- Werk wiedergibt. Als Bilderfindung ist wegen der Menschwerdung Christi eine miss entgangen, das Kunstwerk durch dieses Bild sein geistiges Eigentum, et- himmlische Wahrheit, die reale Gemein- die Übermalung der Geschlechtsteile was das kein Ikonenmaler von der von schaft der Heiligen, sichtbar zu machen. mit Tüchern zu entstellen. Diese große ihm gemalten Ikone sagen könnte. Das Anderseits konnte die Kirche nicht Differenz zwischen Kunst und kirchli- Bild als Kunstwerk ist unauflöslich an verkennen, dass eine neue Sichtweise chem Bildverständnis konnte die Kirche die Person des Künstlers gebunden. Eine auf Bilder und auch neuartige Bilder bis heute nur selten, in der Moderne gar neue Sicht legt sich über alle Bilder. So selbst hinzugekommen sind, die sich nur nicht mehr überwinden. Sie hat in ihren wird Stephan Lochners berühmter „Al- schwer in den Kontext der Kirche als ir- offiziellen Texten kaum ein positives tar der Stadtpatrone“ im Kölner Dom dische Vorwegnahme himmlischer Wirk- Verständnis des Bildes als Kunstwerk oft Stephan-Lochner-Altar genannt und lichkeit einfügen lässt. Das Kunstwerk entwickelt, verdeckt hinter dem Begriff seine Festtagsseite, außer in der Passi- lässt sich nicht als Erfüllung einer gege- Kunst vielmehr das der Ikone. onszeit, ständig offen gezeigt. Kirchlich benen Aufgabe würdigen und ihre Über- und nach ikonischem Bildverständnis ist erfüllung geht eigene Wege. Das musste Kirchen sind ästhetisch unperfekte Orte dieses Werk gar nichts Besonderes: es die Kirche an einem ganz zentralen Ort geworden. Dennoch sind sie Orte, an zeigt, was es zeigen soll: die Anwesen- der katholischen Christenheit erfahren, denen das Heilige erlebt werden kann, heit der himmlischen Hierarchie bei der als nämlich Papst Clemens VII. 1532 Mi- weil die Liturgie, die dort gefeiert wird, irdischen Messfeier. Künstlerisch aber ist chelangelos Buonarroti mit einem Fresko eben nicht aus einer perfekten Veran- es exzeptionell und diese „künstlerische des Weltgerichtes für die Ostwand der staltung heraus Gottes Gegenwart ver- Übererfüllung“, dieser „künstlerische Sixtinischen Kapelle beauftragte. Schon mittelt, sondern aus dem Willen Gottes Überschuss“ ist es, der die Bilder in der vor der Einweihung an Allerheiligen selbst, gegenwärtig sein zu wollen. Wer frühen Neuzeit aus dem ikonischen Bild- 1541 waren kritische Stimmen laut ge- daran nicht glaubt, den kann keine noch verständnis heraushebt und zu Kunstwer- worden. Michelangelo hatte die theologi- so gut gemachte Liturgie überzeugen, ken werden lässt. sche Beratung Pietro Aretinos abgelehnt, weil es nicht um anschauliche Evidenz Also gerade die „echte künstlerische weil er von inhaltlichen Vorgaben frei geht. Auch durch Bilder ist sie nicht Qualität“, die auch die „Grundordnung sein wollte. Sein bartloser, athletisch herzustellen. Der Glaube ist keine Sache des römischen Messbuches“ einfordert, wirkender Christus im Zentrum des der Überzeugung, sondern eine Gnade. ist es, die die Bilder zu Kunstwerken Gerichtes erfüllt nur noch sehr lose die Auch die Kunst ist kein Ort ästhetischen verändert. Denn diese Qualität ist immer Vorgaben der Ikonografie. Statt der über- Heils mehr. Die „nicht mehr schönen eine Plusqualität, eine Überqualität und lieferten Darstellung, die die Identität Künste“ aber eröffnen eine ganz andere nicht bloß die Erfüllung einer ikonografi- Christi sichern soll, schuf Michelangelo Chance, die auch für die Kirche fruchtbar schen Aufgabe. Und diese Übererfüllung das Bild eines antiken Helden, dem werden kann: die der Mitmenschlichkeit geht auf das persönliche Konto des zum die Wundmale nur noch wie marginale im Scheitern am Ideal, im Scheitern an Künstler werdenden Malers als sein gei- Zeichen angeheftet sind. Statt dem über- der Perfektion, in der Realität im post- stiges Eigentum. Dazu kommt, dass das lieferten Urbild nachzueifern, immerhin paradisischen Zustand tatsächlich leben Kunstwerk durch die Einmaligkeit einer wurde nur wenige hundert Meter von der zu müssen. Als Beispiel mag dafür ein künstlerischen Leistung zum „Original“ Sixtina entfernt das Schweißtuch der Hl. Werk des 2002 verstorbenen Künstlers wird. Menzels Bild lässt sich in keinem Veronika in St. Peter aufbewahrt, jener Emil Schumacher gelten, das im heute anderen Material als eben in solcher Ma- westeuropäischen Variante des „nicht- evangelischen Kaiserdom in Frankfurt lerei denken. Es lässt sich nicht in eine von-Menschenhand-gemachten Christus- am Main hängt: Hiob, gemalt 1973. Die Ikonografie überführen und als solche Bildes“, schuf Michelangelo etwas völlig schrundige Oberfläche ist alles andere gleichwertig wiederholen. Wir sind uns neues: ein strahlendes, dem Apoll von als eine Idylle, ein Vorauskosten himmli- hier im Raum alle bewusst, dass die Ab- Belvedere nachempfundenes Christus- scher Seligkeit. bildung dieses Werkes den Anblick des bild und setzte damit eigenmächtig neue Originals nicht ersetzen kann. Das Bild ästhetische Maßstäbe. Kardinal Carafa Natürlich ist es bedeutsam, dass Schu- ist gleichsam eine unauflösliche Einheit bezeichnete die Darstellungen insgesamt macher das Bild Hiob genannt hat. Hiob

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 19 ist in der Bibel die Gestalt menschlicher Kunstwerk gehört der irdischen Sphäre einzelnen in der Realität der Welt jedes Duldsamkeit im Leiden schlechthin. an, im himmlischen Jerusalem wird es Mal neu geglaubt werden. Ikonen stellen Bis aufs äußerste erniedrigt und geprüft solche Werke, wird es Kunst in diesem dieses Heil direkt vor Augen. Kunstwer- bleibt Hiob Gott doch treu und wird am Sinne vielleicht nicht mehr geben. Aber ke können einen Weg zeigen, an dieses Ende von ihm gesegnet. Schumachers gerade weil es der irdischen Sphäre an- Heil auch angesichts der Welt in der wir Werk erfüllt keinerlei Ikonografie, es ist gehört, kann die Hoffnung auf Erlösung leben, zu glauben. keine Ikone Hiobs. Es gibt höchstens glaubwürdiger machen. Auch Christus eine Art Parallelität zwischen der Hiobs- hat die Welt als scheiternder Mensch geschichte und dem was wir in diesem erlöst. Aus dem unidealen „Dreck der a) Dies ist die überarbeitete und gekürzte Version Bild sehen. Eine aufgerissene, geradezu Farbe“, aus dem Scheitern und dem Ge- eines Vortragen, den der Verfasser am 13. Oktober 2008 auf den Reichenauer Künstlertagen gehalten gequälte Bildoberfläche, herabfließende genteil des Schönen vielleicht sogar des hat. graue Farbe, die wie ausgeschüttet anmu- würdigen Bildes, erhebt sich die Mög- b) Grundordnung des römischen Messbuchs. tet. Und dieses Bild ist nicht nur schreck- lichkeit und Aussicht auf letztendliches Hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonfe- lich oder gar deprimierend, sondern es Gelungensein. Und das heißt theologisch renz. Bonn 2007, S. 128. c) Ebd., S. 126-127. gibt Größe darin. Ein Bogen spannt sich nichts anders als heil sein. Eine Ikone, d) Ebd. S. 132. gegen das Herablaufen der Farbe nach die ja von diesem Scheitern gerade nicht e) Ebd. S. 142. oben und was vielleicht noch wichtiger ausgeht, sondern immer das Heile direkt f) Ebd. Kap. „Die Heiligen Bilder“, S. 139-140. ist, alle Elemente des Bildes werden von vor Augen stellt, kann das so nicht zei- g) Ebd. S. 140. h) Eccelsia Catholica: Katechismus der katholi- Schumacher in die Einheit einer Kom- gen. Insofern kann moderne Kunst etwas schen Kirche. Taschenbuchausgabe, München u.a. position eingebracht. Das bedeutet, dass über den Kreuzweg des Menschen sicht- 1993, S. 328-329, §§ 1159-1162. kein Element, von seinem Platz verrückt bar machen, das zu den Kernaussagen i) Ebd. S. 628, § 2503 oder gar entfernt werden kann, ohne die der frohen Botschaft gehört. Hiob von j) Grundordnung, wie Anm. 1, S. 127. k) Ebd. Bildeinheit zu gefährden. In der Tat ist Emil Schumacher hängt im Frankfurter l) Johannes v. Damaskus, imag 1,16, zitiert n. es eine gefährdete Bildeinheit, mühsam Kaiserdom St. Bartholomäus. So gibt Katechismus (wie Anm. 7), S. 328, § 1159. errungen aus und mit den Eigenschaften es viele Beispiele für wichtige moderne m) Theodor Studites, PG 99, 504 D - 505 A. Vgl. der widerspenstigen materiellen Wirk- Kunstwerke in Kirchen, erinnert sei nur Spanke 2004, S. 53. n) PG 99, 405 AB. Zu gesamten Zusammenhang lichkeit. Ein wesentliches Merkmal mo- an das Kreuzbild von Arnulf Rainer in s. vom Verfasser: Porträt – Ikone – Kunst. Mün- derner Kunst ist gerade ihr Verzicht auf der Konkathedrale des Bistums Rotten- chen 2004. handwerkliche Perfektion, auf Könner- burg-Stuttgart St. Eberhard. Eine Sprache o) Georg Friedrich Hegel: Vorlesungen über die schaft im herkömmlichen Sinne. hat die Kirche aber ganz offensichtlich Ästhetik. In: Ders.: Sämtliche Schriften. Jubiläums- ausgabe. Stuttgart 1939, Bd. 14, S, 78. für diese Chance, die sich ihr in und aus p) Grundordnung, wie Anm.1, S. 126, 129, 140 et Und dennoch: Es gibt eine Ausgeglichen- der Epoche der Moderne bietet, näm- passim. heit aller Elemente in dem Bild, die die lich gerade im Scheitern ästhetischer q) Katechismus, wie Anm. 7, S. 627-628, Tatsache des Gequälten übersteigt. Es Perfektion gerade das Christliche des §§ 2500-2503. r) Zitiert nach Rainer Beck u.a. (Hrsg.): Die Kunst wird in dem Bild eine ganz reale Erlö- Trotzdem Gelingens von Heil aufzuzei- und die Kirchen. Der Streit um die Bilder heute. sungbedürftigkeit, eine Erlösungssehn- gen, nicht gefunden. Das Heil ist nicht München 1984, S. 198. sucht und auch eine Erlösungsfähigkeit ja selbstverständlich und von vornherein s) Erich Franz, in: Kat. Gegenbilder. Münster unmittelbar anschaulich. Ein solches ausgemacht, sondern muss für jeden 1993, S. 4.

Karl-Josef Kuschel schönsten in der Welt des Islam. Sie gilt halbes Jahrtausend dauert dieser Zustand. als ein Wunderwerk der Baukunst. Riesi- Cordoba Juli 2000a ge Ausmaße. Von Kalif Abdurrahman I. Ich hatte mehr Kirche erwartet und bin schon 786 begonnen, als in Mitteleuropa überrascht, wie viel Moschee ich sehe. Eine Stadt im Tal. Erster Eindruck, wenn Karl der Große herrscht. In den beiden Die hohen Außenwände mit den Zin- man aus Richtung Sevilla sich Córdoba Jahrhunderten danach zweimal in glei- nen, die Ornamentik an den zahlreichen nähert. Bergkulisse, langgestreckt. Viel chem Stil erweitert, organisch, ästhe- Toren: unverwechselbar islamisch, mau- Grün durch den Fluss Guadalquivir. Die tisch vollkommen. Nach dem Sieg der risch. Und selbst unter dem Staub wird Stadt leuchtet im Morgenlicht. Contraluz. Christen über die Mauren 1236 zunächst die alte Schönheit noch sichtbar. Gegenlicht. unangetastet gelassen, wurde diese Mo- schee auf dem Höhepunkt der Recon- Ich will zunächst den Gesamteindruck, Endlich die Begegnung, so lange her- quista, ab 1489, kurz vor der Eroberung widerstehe deshalb der Versuchung, den beigesehnt. Córdoba, La Mezquita, die Granadas, durch brutale Eingriffe in eine Innenhof zu betreten, wozu eine offene uralte Moschee, eine der größten und christliche Kathedrale verwandelt. Ein Pforte einlädt. Ich gehe die paar Schritte

20 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 zum Fluss, zum alten Römertor, zur Rö- mich abweisen zu lassen. Habe ich die des Karrees unterbrochen sind durch merbrücke. Die Stadt im Rücken, gehe ganze Reise auf mich genommen, um im eine schlitzartige Öffnung, so dass man ich ans andere Ufer und drehe mich um. letzten Moment ausgesperrt zu werden? von der Seite wenigstens den Hochaltar Das so oft auf Bildern gesehene, Sehn- „Catolico, Catolico“ sage ich ihm ins Ge- erkennen kann. Einen Einblick in das süchte erzeugende Panorama der Stadt. sicht und deute auf mich selbst. Ich wolle ganze Karree hat man von dieser Stelle Römerbrücke, Römertor, darüber die in die Messe, Katholik, der ich bin. Da nicht. Wie durch einen Sehschlitz sieht Moschee, der riesige Turm, das frühere stößt er ein neues Wort hervor: „Orde- man nur ein Stück des Altarraums. Die Minarett. nación, Ordenación“. Und ich begreife: Gegenseite mit dem massiven Chorge- Ausgerechnet heute findet in La Mezqui- stühl bleibt von hier aus unsichtbar. Man sieht auf den ersten Blick die archi- ta eine Priesterweihe statt. Die Szene mit tektonische Asymmetrie. Aus dem Dach dem Bischof vor der Mauer erklärt sich Um dieses Sehdefizit für die Mess-Be- der Moschee erhebt sich kreuzförmig ein mir jetzt. Aber auch das schreckt mich sucher auszugleichen, hat man vor der Kirchenschiff, spielt sich als Kathedrale nicht ab. Ich dränge mit einer Gruppe Klappstuhlreihe eine Projektionswand auf. Doch die Moschee ist stark. Sie von Menschen hinein. aufgebaut. Wir Katholiken sehen in die- scheint unbeeindruckt, schluckt selbst ser „Kathedrale“ unseren Gottesdienst im noch diese Aufstülpung nach oben. Das Dunkel. Und überall die Bögen, Dop- Fernsehen. Das Kapellenkarree ist nur ist zu wenig Kathedrale, um wahr zu pelbögen, Halbbögen. Gänge eröffnend, für Kleriker reserviert. Alle anderen sind sein. Schluchten andeutend, eine geheimnis- ausgesperrt aus dem „Allerheiligsten“. volle Tiefe des Raumes suggerierend. Obwohl der Altar zum Greifen nahe ist, Langsame Annäherung. Ich zwinge Wenn etwas Licht von oben hereinfällt, starren wir auf eine Leinwand. Ich sehe mich zum Zeitlupenschritt. Ich sauge die sieht man die rote und weiße Musterung durch den Sehschlitz „unser“ Allerheilig- Bilder ein, auf die ich so lange gewartet der Bögen, die abwechselnden Lagen stes. Nur ein paar Schritte trennen mich habe: Fluss, Brücke, Tor, La Mezquita, von rotem Back- und weißem Kalkstein. von ihm. Aber was sich dort abspielt, das Minarett und links davon der Alcazar Erkennt man, dass die schlanken Mar- sehe ich im Fernsehen, als käme es aus der christlichen Könige. morsäulen mal blau, mal rosa schim- einer anderen Welt. mern. Entdeckt man, wie kunstvoll die Als ich die Moscheemauer auf der Suche Kapitelle gearbeitet sind. Ein Wald aus Plötzlich Orgelgebraus. Im noch hei- nach der offenen Pforte entlanglaufe, tausend Säulen. len Teil der Moschee sitzend, Bögen kommt mir eine Gruppe junger spani- und Aber-Bögen über mir, Säulenspa- scher Kleriker entgegen. Zehn bis fünf- Beglücktes Schweigen. Der Blick saugt liere neben mir, bin ich Zeuge eines zehn. Schwarz mit römischem Kragen. sich an den Doppelbögen fest, Tiefen Aufmarsches von Priestern in grünen Heiter, bester offensichtlich. ermessend. Nur schauen, schauen. Bö- liturgischen Gewändern. Es mögen Ein Bischof mitten unter ihnen. In vol- gen, die nochmals Bögen erzeugen, neue etwa hundert sein. Ich zähle sie nicht. lem violetten Ornat mit liturgischem Bögen freigeben, Aber-Bögen neben sich Langsam füllen sie das Karree. Am Ende Kleid. Er hat einen Arm um einen jungen zulassen. Reihen, Schluchten, Gänge. der schier unendlichen vier Kleriker gelegt, dessen Kopf auf seine Was für ein Raum ... Weihekandidaten, erkennbar am noch Schultern gezogen. Auch er sichtlich fehlenden Messgewand über der Albe gelockert, lachend, dröhnend. Nach ein paar Schritten wieder ein und der schräg über die Brust geschlage- Wärter. Er muss das Herumwandern der nen Stola. Dann der Bischof mit seinem Endlich der Eingang in den Innenhof. Touristen verhindern. Er weist mir einen Gefolge. Ich erkenne ihn wieder. Es ist Reinigungsbrunnen, jetzt ungenutzt, seit mit Seilen abgesperrten Bereich zu, wo derselbe Mann, der soeben noch vor Jahrhunderten dahindämmernd. Heu- Dutzende von hölzernen Klappstühlen der Mauer mit jungen Priestern Scherze te fließt hier kein Wasser mehr. Heute warten. Jetzt erkenne ich: Der Bögen- trieb. wäscht sich hier niemand mehr rituell. wald wird durchschnitten von riesigen Die Brunnen schlafen. Denn Christen schwarzen Wänden. Sie bilden ein fen- Weihrauch jetzt allüberall. Es muss viel müssen sich nicht so reinigen wie Mus- sterloses monumentales Karree, einen geräuchert werden, damit der riesige lime, wenn sie ihr Gotteshaus betreten. Raum im Raum. Ich habe das christliche Raum gefüllt wird und man auch außer- Weihwasserbecken statt Wasserbrunnen. „Allerheiligste“ vor mir. Mitten in die halb des Allerheiligsten ein wenig Duft Moschee gehauen. Die dunklen Wän- in die Nase bekommt. Triumph der Sinne Am Eingang zum Innern der Moschee de sparen einen Sonderraum aus. Die jetzt: Orgel, Weihrauch, Prozession, mas- dichtes Gedränge. Ein Wärter hält die Säulen waren dafür gefällt worden wie sive Präsenz des andalusischen Klerus Menschen auf. Und ich höre immer wie- Bäume, um Platz zu schaffen für einen in Grün. Ein Chor intoniert Gregoriani- der das Wort „Missa“, „Missa“. Heute, christlichen Kultraum mit Hochaltar und sches. am Sonntagmorgen, finden hier Gottes- Chorgestühl. Ich schaue nach oben auf die Bögen und dienste statt; eine Besichtigung ist nicht Als ich auf einem Klappstuhl Platz neh- Doppelbögen der uralten Moschee, und möglich. Doch ich denke nicht daran, me, erkenne ich, dass die Längswände mir wird unheimlich. Das liturgische

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 21 Zeremoniell ist mir vertraut, jetzt aber ist die Fürstin Marie von Thurn und Taxis Gelehrten der Menschheitsgeschichte es mir fremd wie ein Stück vom Mond. schreibt er: „Diese Moschee; aber es ist ausgesehen hat, der ein Leben über den Auf die Projektionswand geworfen, ein Kummer, ein Gram, eine Beschä- Büchern verbrachte. Alt geworden, aber übertragen aus einem Raum nebenan, mung, was man daraus gemacht hat, gespannt noch wie eine Sehne. Zur Dis- der zu einer anderen Welt geworden ist. diese in das strähnige Innere hineinver- putation einladend, zum Wettbewerb der Weit weg. Der Hochaltar wird beräu- filzten Kirchen, man möchte sie auskäm- Ideen. Keine andere Macht als die des chert, der Bischof wird beräuchert, die men wie Knoten aus schönem Haar. Wie Geistes strahlt er aus. Kleriker werden beräuchert. Immer noch große Brocken sind die Kapellen der Gregorianisches. Aus allen Nischen der Dunkelheit im Halse steckengeblieben, Lange blicke ich ihm ins Gesicht, ihm, alten Moschee starren stumm unbenutzte die darauf angelegt war, Gott fortwäh- der unter muslimischer Inquisition ge- Kapellen. rend mild zu verschlucken wie Saft einer nauso litt wie viele Theologen des Mit- Frucht, die zergeht. Auch jetzt war’s rein telalters unter der christlichen. Dessen Beklemmung kommt auf. Was haben unerträglich, die Orgel und das Respon- Schriften verbrannt wurden von musli- Christen aus diesem Raum gemacht? dieren der Chorherren in diesem Raum mischen Fanatikern. Der fliehen musste Ich sitze in einer Kirche, die Moschee zu hören (qui est comme le moule d’une aus Córdoba, als die Philosophie und geblieben ist. In einer Moschee, die montagne de Silence). mit ihr das Vertrauen in die menschliche gewaltsam zur Kirche wurde. Bin ausge- Das Christentum, dachte man unwill- Vernunft den Theologen und Religions- sperrt von der Klerikern meiner eigenen kürlich, schneidet Gott beständig an wie juristen plötzlich als anstößig gilt. Er, Kirche, die ich in Videoübertragung eine schöne Torte, Allah aber ist ganz, dem die westliche Welt nichts weniger sehe. Alles beginnt sich in mir zu sträu- Allah ist heil.“b als die Vermittlung der großen griechi- ben gegen den Kahlschlag an dieser schen Philosophie verdankt, Aristoteles Moschee, gegen die Aufstülpung nach Man mag dies für eine emotionale Über- vor allem. Thomas von Aquin hat Ari- oben, um eine Kathedrale zu simulieren. reaktion halten, und unmöglich kann ich stoteles durch Averroes kennengelernt. Christen haben sich hier hineingedrängt wie Rilke das Christentum gegen den Er, der die Potentiale der menschlichen im Namen ihres Gottes. Verdrängt haben Islam ausspielen, auch in Córdoba nicht. Vernunft ausschöpfte, ohne die Vernunft sie all die, die einst hier gebetet haben. Aber jetzt, auf meinem Klappstuhl vor zu verabsolutieren. Geboren in Córdoba, Sie beten zu „ihrem“ Gott mit dem Rük- der Projektionsleinwand, kann ich Rilkes gestorben in Marrakesch, unter dem ken zu den anderen. Seit einem halben Wutausbruch besser verstehen. Überall, Schutz von muslimischen Herrschern, Jahrtausend. wo eine Religion sich rücksichtslos auf die ihm das Leben retteten vor den eige- Kosten einer anderen durchsetzt, ist dies nen Extremisten. Alle haben es so getrieben. Im Namen Verrat an Gott. Der gewaltsame Triumph „ihres“ Gottes haben zuvor Muslime in einer Religion über eine andere ist deren Und auch die zweite Statue will ich se- Córdoba die ursprünglich hier erbaute dämonische Fratze, nicht Ausdruck ihrer hen, gewidmet seinem jüdischen Bruder westgotische Kathedrale von San Vin- göttlichen Wahrheit. Ob La Mezquita in im Geist: Rabbi Mosche ben Maimon. cente dem Erdboden gleich gemacht und Córdoba, ob Hagia Sophia in Istanbul, Auch er ein Sohn der Stadt Córdoba, 14 ihre Gebetsstätte errichtet. Säulen und ein Hindu-Tempel in Indien ... Jahre nach Averroes geboren, 1135. Nur Kapitelle aus der christlichen Periode wenige Minuten entfernt steht sein Denk- sind noch erinnerlich, sind verarbeitet, Ich halte es nicht mehr aus. Ich suche mal. Im Judenviertel. In der Nähe der jetzt muslimisch funktionalisiert. Alle etwas anderes in dieser Stadt, einen an- alten Synagoge. Beide Statuen sind äs- haben es so getrieben. Eine Religion hat deren Geist, eine andere religiöse Kultur. thetisch bewusst gleich konzipiert. Auch die andere verdrängt nach dem Motto: Ich suche und finde das Denkmal für Ibn Maimonides in sitzender Haltung. Auch Du verehrst Gott auf deine Art, ich auf Rushd, bekannt im Westen unter seinem er trägt ein Buch in der Hand. Auch sein Seine. Im Namen Gottes hat man die lateinischen Namen Averroes, einem der Gesicht ist ganz in Gedanken versunken, anderen ausgelöscht, ersetzt. größten Philosophen, Juristen, Ärzte der asketisch hager. Spitzbart. Auch er ein islamischen Welt. Sohn der Stadt Cór- Mann tiefer Geistigkeit, das spürt man Doch hier in Córdoba ist alles besonders doba, 1126 hier geboren. sofort. Er ist ja auch einer der größten empörend. Der christliche Kahlschlag Seine Statue steht seit kurzem vor der Denker der jüdischen Welt, verehrt verletzt schon das Gefühl für Schönheit, Stadtmauer. Ich suche sie auf. Als ich bis heute als überragender Philosoph, Symmetrie und Rhythmus. Selten hat sie erblicke, schlägt sie mich in Bann. Rechtsgelehrter und Arzt. Aber auch er sich religiöse Rücksichtslosigkeit so Der Philosoph in sitzender Haltung, wurde vertrieben aus Córdoba durch schamlos dokumentiert. Ich erinnere den Oberkörper hat er vorgebeugt, in muslimische Unduldsamkeit. Am Ende mich plötzlich an einen Brief Rainer der linken Hand trägt er ein Buch, auf findet er Schutz bei einem weisen mus- Maria Rilkes. Als er im Dezember 1912 das linke Knie gestützt. Sein Gesicht ist limischen Regenten, Saladin, Herrscher auf seiner Spanien-Reise die Mezquita hager, fast asketisch. Spitzbart. Eine Art von Fustat, das heute Kairo heißt. besucht, überfällt ihn wie nur selten Turban bedeckt den Kopf. Man kann ein Gefühl aggressiver Verachtung. An sich vorstellen, dass so einer der größten Auch dieser jüdische Gelehrte, geboren

22 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Gottes Schönheit erfahren, Gottes Leich- tigkeit, Gottes Rhythmus. Als ich das Gebäude wieder betrete, strömen Menschen heraus. Sie haben drei Stunden eines sakralen Schauspiels hinter sich. Fröhlichkeit, Umarmungen, Küsse. Priester mischen sich unter die Menschen. Wieder Umarmungen, wieder Küsse. Im Innern immer noch Orgelspiel. Endlich aber die Freiheit der Bewegung. Kein Wächter hält mich mehr auf. Jetzt spüre ich die gewaltigen Dimensionen dieses Waldes aus Säulen. Jetzt erst ent- decke ich: Die farbigen Doppelbögen geben dem Bau eine atemberaubende Leichtigkeit.

Am Hochaltar herrscht noch Hochbe- trieb. Die vier Neupriester stehen oben, und die Stufen zu ihnen hinauf warten Hunderte von Menschen. Wer einen Neupriester erreicht, küsst ihm zuerst die hingehaltenen offenen Hände. Dann auch hier Umarmungen, Küsse. So geht man vom einen zum andern, von Gna- de zu Gnade. Die Neupriester lachen. Halten bereitwillig ihre Hände hin. Die Menschen tauchen in sie ein. Als sie den Kopf erheben, lachen sie ihrerseits. Um- armung, Küsse. Hunderte drängen sich jetzt in die Riesenkapelle hinein. Das Priesterkarree ist voll von gnadensüchti- gem Volk.

Während ich den Ausgang suche, sehe ich drei Juden auf den Klappstühlen sitzen. Ihre Kippah macht sie erkennt- lich. Ältere Männer. Sie sitzen da mit dem Rücken zum Hochaltar. Es schein sie kein bisschen zu interessieren, was Enrique Asensi, Cortenstahl und Granit. Courtesy Galerie Rieker, Heilbronn, 2008 dort hinten geschieht. Ihre Rücken sind krumm, weit vornüber gebeugt. Sie sitzen. Weiter nichts. Ruhen sich aus. in Córdoba, vertrieben aus Córdoba, auf den Plätzen disputieren können, der Plastiktüten sind neben die Stühlchen gestorben in Kairo, ist ein Brückenbauer, gelehrte Jude, der gelehrte Muslim. Und gestellt. Offensichtlich Reisende wie offen für Christentum und Islam, ist ein ein christlicher Gelehrter hätte sich ein- ich. Sie sehen müde aus, starren auf den Mann von Disputation und Argumentati- gebracht, hätte mitdisputiert auf Augehö- Boden, froh, endlich Ruhe gefunden zu on. Ich stelle mir die beiden Söhne Cór- he. Welch ein trialogisches Miteinander haben, endlich zu sitzen, endlich ange- dobas vor, wie sie miteinander Zwiespra- schon damals … kommen zu sein. che halten: Averroes und Maimonides. Gekannt haben sie sich. Ihre Schriften Am frühen Nachmittag gehe ich noch Sie scheinen die Stille des Raums zu haben sie gegenseitig zur Kenntnis ge- einmal zu La Mezquita zurück. Ich will genießen, wie ich sie genieße. Die Prä- nommen. Mehr als einen Ferndialog aber sie endlich ganz durchwandern, will in senz Gottes zu atmen, wie ich sie atme. haben sie nicht geführt. Seltsam zu den- der Tiefe ihres Raumes, im Wechselspiel Juden, zurückgekehrt nach Córdoba, im ken: Beide hätten ihr Leben in Frieden von Hell und Dunkel, Gottes Tiefe erah- Gotteshaus der Muslime Ruhe suchend. in Córdoba verbringen und miteinander nen. Will in den Bögen und Aberbögen Söhne des Maimonides. Was mögen ihre

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 23 Familien hinter sich haben? Auf welche Ich setze mich zu den Söhnen des Mai- dem Dach der Moschee, bilden wir vier, Geschichte mögen sie zurückblicken monides, die zurückgekehrt sind in eine die drei Juden und ich, einen perfekten können? Stadt, aus der ihre Vorfahren brutal ver- Halbmond. trieben wurden. In eine Stadt, die einst Ich werde mich zu ihnen setzen, den- eine blühende jüdische Gemeinde hatte. a) Der abgedruckte Text entspricht dem um die ke ich. Ich will so sitzen wie sie, mit Jahrhunderte lang, bis christliche Un- Einleitung gekürzten Schlusskapitel von Karl- Josef Kuschels Buch „Juden-Christen-Muslime. dem Rücken zum Betrieb. Die Augen duldsamkeit die Juden vertrieb oder zur Herkunft und Zukunft“, Patmos-Verlag, Düssel- schließen, die letzten Weihrauchspuren Konversion zwang. dorf, 2007. Wir danken Karl-Josef Kuschel für schnuppern. die Erlaubnis, das Kapitel abzudrucken.

Nichts als Gottes Tiefe spüren, aus der Die drei Juden bilden einen Halbkreis b) Zum Beleg des Zitates und zu Einzelheiten des Islam-Bildes Rilkes: K.-J. Kuschel, „Gott von Dunkelheit die Ruhe saugen, die Energie mit ihren Stühlen. Ich betrachte unsere Mohammed her fühlen, Rilkes Islam-Erfahrung des Raumes wahrnehmen, die Schwin- Reihe, taste sie ab. Die Juden bemerken und ihre Bedeutung für den religionstheologi- gungen eines Raumes spüren, der so viel mich gar nicht. Sind gedankenversunken. schen Diskurs der Zukunft“, in: „Die Welt ist in gesehen hat, so viele Gebete erlebt, so Wo mögen sie sein? Bei Banalem? Bei die Hände der Menschen gefallen“. Rilke und das moderne Selbstverständnis. Im Auftrag der viele Gottesdienste erfahren. Positive En- ihrer Geschichte? Bei ihrer Familie? Und Rilke Gesellschaft hrsg. von R. Schweikert, ergien, negative Energien. wie ich uns vier so sitzen sehe, unter Frankfurt/M., 2002, S. 67-94

24 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Ausstellungen „Bonhoeffer in Harlem“ 25.04. – 12.07.2009 John Young Spiegel geheimer Wünsche- Di-So 12-18 Uhr Stillleben aus fünf Jahrhunderten Backnang Matthäikirchplatz, 25.07. – 11.10.2009 Galerie der Stadt Backnang 10785 Berlin-Tiergarten Pop, Polit und Pin ups. 16.05. – 16.08.2009 Tel. 030/2621202, Fax 030/2651597 Pop Art Grafik aus der Sammlung Beck Hans Pfrommer Geschäftsstelle Stiftung St. Matthäus: 24.10.2009 – 10.01.2010 26.09 – 15.11.2009 Charlottenstr. 53/54, 10117 Berlin-Mitte Es werde Dunkel! Nachtdarstellung in Thomas Kitzinger Tel. 030/2035-5311, Fax-5350 der zeitgenössischen Kunst Di-Do 17-19 Uhr, Fr+ Sa 17-20 Uhr, Di-So 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, So 14-19 Uhr Kirche am Hohenzollernplatz während der Ausstellung „Spiegel gehei- Stiftshof 8, 71522 Backnang 27.05. – 04.09.2009 mer Wünsche; Di-Fr 14-18 Uhr, Do 14- Tel. 07191/340-700 Stefan Eisermann 20 Uhr, Sa, So und Feiertage Fax: 07191/340-757 Di, Do, Fr 14-18 Uhr, Mi, Sa 11-13 Uhr 11-18 Uhr während der übrigen Ausstel- Nassauische Straße 66/67 lungen Baden-Baden 10717 Berlin Hauptstr. 60-64, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden 74321 Bietigheim-Bissingen bis 12.07.2009 Guardini Galerie Tel. 07142/74-483, Fax 07142/74-446 7 x 14 Jubiläumsausstellung 06.05. – 03.07.2009 www.bietigheim-bissingen.de 25.07. – 11.10.2009 Wilmar Koenig, Fotografie Entre deux actes. Loge de comédienne Di-Fr 14-19 Uhr Böblingen 24.10.2009 – 31.01.2010 Askanischer Platz 4, 10963 Berlin Städtische Galerie Böblingen Georg Baselitz Tel. 030/21735814 bis 14.06.2009 Di-So 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr www.guardini.de faltenreich, Eine Gruppenausstellung Lichtentaler Allee 8a zum Thema Figur und Hülle 76530 Baden-Baden Kunstraum Kreuzberg/Bethanien Mi-Fr 15-18 Uhr, Sa 13-18 Uhr, Tel. 07221/300763 09.05. – 21.06.2009 So 11-17 Uhr www.kunsthalle-baden-baden.de Souvenirs. Artists in Residence Zehntscheuer Pfarrgasse 2, at Glogau-AIR 71032 Böblingen Museum Frieder Burda 04.07. – 16.08.2009 Tel. 07031/669-475 14.06.2009 Istanbul-Off-Spaces – Unabhängige Von Dürer bis Tizian Kunsträume im Dialog Bregenz Von Rubens bis Velázquez tägl. 12-19 Uhr Kunsthaus Bregenz 26.06. -11.10.2009 Mariannenplatz 2, 10997 Berlin 25.04. – 21.06.2009 Der Blaue Reiter Tel. 030/90298-1455 Lothar Baumgarten Die große Sommerausstellung www.kunstraumkreuzberg.de 13.07. – 04.10.2009 24.10.2009 – 31.01.2010 Antony Gormley Georg Baselitz, Retrospektive Haus am Waldsee 24.10.2009 – 17.01.2010 Lichtentaler Allee 8b, 08.05. – 09.08.2009 Tony Oursler 76530 Baden-Baden Ernst Wilhelm Nay und die Farbe Di-So 10-18 Uhr, Do – 21 Uhr Tel. 07221/398980 Bilder der 60er Jahre Karl-Tizian-Platz, A 6900 Bregenz Fax 07221/3989830 täglich 11-18 Uhr Tel. 0043/5574/485940 Argentinische Allee 30, 14163 Berlin www.kunsthaus-bregenz.at Bad Boll www.hausamwaldsee.de Evangelische Akademie Burgos 26.04. – 26.07.2009 Bern Centro de Arte Caja de Burgos Kunst in der Akademie - Gruppenaus- Schweizerische Nationalbibliothek bis 17.05.2009 stellung 10.10. – 12.12.2009 Martin Assig, Die Beute, Mo-Sa 9-18 Uhr, So 9-14 Uhr Ulrich Meister, Grafische + Papier-Ar- Arbeiten 1995-2008 Akademieweg 11, 73087 Bad Boll beiten (s. auch Museum Allerheiligen Di-Fr 12-14 u. 17.30-20 Uhr Tel. 07164/790 Schaffhausen) Sa 11.30-14.30 Uhr u. 17.30-21 Uhr www.ev-akademie-boll.de Hallwylstr. 15, CH 3003 Bern So und Feiertage 11.30 -14.30 Uhr Tel. 0041/31/328911; www.nb.admin.ch Saldaña s/n, € 09003 Burgos Berlin www.cabdeburgos.com St. Matthäus-Kirche im Kulturforum Bietigheim-Bissingen 13.04. – 02.08.2009 Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen Dresden

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 25 Dreikönigskirche Di, Fr-So 10-18 Uhr, Mi/Do 10-21 Uhr Notation. 30.04. – 07.06.2009 Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt/ Main Kalkül und Form in den Künsten Jürgen Seidel, Morgenlicht und Abendrot Tel. 069/605098-0, www.staedelmuseum. Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr, Mo, Collagen, Objekte, Malerei de Di geschlossen 22.06. – 26.07.2009 Lorenzstr. 19, 76135 Karlsruhe Bärbel Kuntsche, Arbeiten auf Papier Hannover www.zkm.de Mo-Fr 9-18 Uhr, Sa 10-18 Uhr, S0 10-16 St. Petri-Kirche Uhr 12.06. – 21.06.2009 Kassel Bau der Bartning-„Notkirche“ Kunsthalle Fridericianum Kreuzkirche Infos: Gemeindebüro, bis 21.06.2009 23.04. – 14.06.2009 Am Lindenhofe 19, 30519 Hannover Rirkrit Tiravanija, Michael Vogler, Tel. 051175905977 Less Oil More Courage Sehnsucht nach Schönheit, Fotografie Mi – So 11-18 Uhr tägl. 10-18 Uhr Heilbronn Freidrichsplatz 18, 34117 Kassel Infos: Haus der Kirche, Städtische Museen Heilbronn Tel. 03561/7072720 Hauptstr. 23, 01097 Dresden bis 21.06.2009 www.fridericianum-kassel.de Tel. 0351/8124371 100.000 Jahre Sex. Über Liebe, Fruchtbarkeit und Wollust Konstanz Emden Di-Fr 10-13 Uhr+14-17 Uhr, Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz Kunsthalle Emden Sa/So 11-17 Uhr 25.04. – 30.08.2009 bis 21.06.2009 Deutschhofstr. 6-8, 74072 Heilbronn Idylle auf Zeit. Malerferien am Untersee. Fundació „la Caixa“ Tel. 07131/562295 1880-1914 zeitgenössische Kunst in Spanien Fax 07131/ 563194 12.09. – 15.11.2009 27.06. – 27.09.2009 Glück. Kunst & Co. Sammlung Henri Nannen und Otto van Karlsruhe Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So und Feiertag de Loo Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 10-17 Uhr Di-Fr 10-17 Uhr, Sa,So und an Feierta- 16.05. – 23.08.2009 Wessenbergstr. 43, 78462 Konstanz gen, 11-17 Uhr Neuerwerbungen des Graphischen Tel. 07531/900921 o. 900376 Hinter dem Rahmen 13, 26721 Emden Kabinetts seit 1995 Fax 07531/900608 Info-Tel.: 04921/97500, 12.09. – 15.11.2009 www.kunsthalle-emden.de Scheibenrisse aus dem Graphischen Kunstverein Konstanz e.V. Kabinett 16.05. – 19.07.2009 Frankfurt Di-Fr 10-17 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr wandundboden, Schirn Kunsthalle Frankfurt Hans-Thoma-Str. 2-6, 76133 Karlsruhe Willi Siber und Hanns Schimansky bis 03.05.2009 Tel. 0721/9263859 01.08. – 27.09.2009 Darwin. Kunst und die Suche nach den Schwindelnde Höhe, Zhou Jin Hua Ursprüngen Städtische Galerie Karlsruhe 10.10. – 06.12.2009 14.05. – 26.07.2009 bis 07.06.2009 Martin Dammann, Malerei – Zeichnung Aleksandra Mir, Triumph bildschön. Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So und Feiertag 29.05. – 30.08.2009 Schönheitskult in der aktuellen Kunst 10-17 Uhr The Making of Art bis 12.07.2009 Wessenbergstr. 39/41, 78462 Konstanz 08.10.2009 – 10.01.2010 Sabine Funke, diafan, varying colours Tel. 07531/22351, László Moholy-Nagy Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr www.kunstverein-konstanz.de Di,Fr-So 10-19Uhr, Mi,Do, 10-22 Uhr Lorenzstr. 27, Lichthof 10, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main 76135 Karlsruhe Krems Tel. 069/299882-0, www.schirn.de Tel. 0721/133-4401/4444 Kunsthalle Krems www.staedtische-galerie.de bis 14.06.2009 Städel Museum Edgar Honetschläger, Edopolis bis 07.06.2009 ZKM / Museum für Neue Kunst bis 12.07.2009 Graphische Sammlung bis 28.06.2009 Otto Dix, Michelangelo, Banquet nodes and networks. Zwischen Paradies und Untergang Zeichnungen und Zuschreibungen Interaktionen in der aktuellen digitalen 28.06. – 18.10.2009 01.04. – 26.07.2009 Kultur Spaniens IRWIN Caravaggio in Holland. 26.07. – 26.10.2009 Musik und Genre bei Caravaggio und ZKM / Medienmuseum Sehnsucht nach dem Abbild. den Utrechter Caravaggisten bis 26.07.2009 Das Portrait im Wandel der Zeit

26 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 täglich 10-17 Uhr Fotografien & Videos 1961-2008 (Eine Ausstellung der Sparkasse Passau) Franz-Zeller-Platz 3, A 3500 Krems bis 17.05.2009 Di-So 10-18 Uhr Tel. 0043/2732/098010-177 Gerhard Richter, Abstrakte Bilder Bräugasse 17, 94032 Passau www.kunsthalle.at bis 01.06.2009 Tel. 0851/3838790, www.mmk-passau.de Maison Martin Margleia 20, Leipzig The Exhibition Recklinghausen Galerie Eigen + Art 07.06. – 06.09.2009 Kunsthalle Recklinghausen bis 09.05.2009 Thomas Schütte 05.05. – 12.07.2009 Maix Mayer tägl. 10-20 Uhr, Do 10-22 Uhr Kunstausstellung der Ruhrfestspiele 09 Di-Sa 11-16 Uhr Prinzregentenstr. 1, 80538 München 19.07. – 06.09.2009 Spinnereistr. 7, Halle 5, 04179 Leipzig Tel. 089/21127-113, www.hausderkunst. Martin Dammann, Gemälde, Aquarelle, Tel. 0341/9607886, www.eigen-art.com de Fotos Di-So, feiertags 11-18 Uhr Ludwigshafen Münster Große Perdekamp-Str. 25-27, Wilhelm-Hack-Museum Akademie Franz Hitze Haus 45657 Recklinghausen 16.05. – 16.08.2009 bis 03.05.2009 Tel. 02361/50-1935, www.kunst-re.de Anton Henning, Antonym Klaus Möllers, Malerei, Zeichnung und Skulptur 1990- Das Ziel ist im Weg. Malerei Remagen-Rolandseck 2008 05.05. – 30.07.2009 Arp Museum 29.05. – 02.08.2009 Heinrich Gillis Görtz 01.05. – 30.08.2009 simply the best, Hauptwerke der Samm- Druckgraphik/die Mappenwerke Jonathan Meese, Erzstaat Atlantisis lung Mo-Sa 8-20 Uhr, So 9-14 Uhr Di-So 11-18 Uhr 11.09. – 1.11.2009 Kardinal-von-Galen-Ring 50, Hans-Arp-Allee 1, Danica Dakić, Role-Taking, Role-Mak- 48149 Münster 53424 Remagen-Rolandseck ing Tel. 0251/9818-0, Tel. 02228/94250 Di, Mi, Fr 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, www.franz-hitze-haus.de Sa, So 10-18 Uhr Riehen/Basel Berliner Str. 23, 67059 Ludwigshafen Nürnberg Fondation Beyeler Tel. 0621/5043045, www.wilhelmhack. Kunsthalle Nürnberg bis 24.05.2009 museum bis 24.05.2009 Bildwelten, Afrika, Ozeanien und die Anne-Mie van Kerckhoven, Moderne Rudolf-Scharpf-Galerie Nothing more natural 31.05. – 11.10.2009 11.11.2009 – 10.01.2010 18.06. – 23.08.2009 Giacometti Francisco Sierra, The Universe André Butzer, Viele Tote im Heimatland 01.11.2009 – 24.01.2010 Di-Sa 15-19 Ihr, So 13-18 Uhr Fanta, Sprite, H-Milch, Micky und Do- Jenny Holzer Hemshofstr. 54, 67063 Ludwigshafen nald ! Gemälde 1999-2009 tägl. 10-18 Uhr, Mi. 10-20 Uhr Tel. 0621/5291968 17.09. – 15.11.2009 Baselstr. 101, CH 4125 Riehen/Basel El Dorado. Internationale Gruppenaus- Tel. 0041/61/64597-00, www.beyeler. München stellung aus Anlass des Internationalen com Deutsche Gesellschaft für christliche Nürnberger Menschenrechtspreises Kunst e.V. Di-So 10-18 Uhr, Mi – 20 Uhr Schaffhausen bis 29.05.2009 Lorenzer Str. 32, 90402 Nürnberg Museum zu Allerheiligen Schaffhausen Werner Mally, Lichte Weite. Arbeiten im Tel. 0911/2312853, www.kunsthalle. 11.10. – 29.11.2009 sakralen und profanen Bereich nuernberg.de Ulrich Meister, Neue Arbeiten 19.06. – 07.08.2009 Malerei, Text-Objekte Bauherr Kirche, Passau Di-So 11-17 Uhr Ausstellung zum 85. Geburtstag des Ar- Museum Moderner Kunst - Wörlen Baumgartenstr. 6, CH 8200 Schaffhausen chitekten Karljosef Schattner 13.06. – 09.08.2009 Tel. 0041752/6330777 Mo-Fr 14-18 Uhr Otto Dix – Zum 40. Todestag www.allerheiligen.ch Wittelsbacherplatz 2/Eing. Finkenstr. 14.08. – 03.10.2009 80333 München Alfred Hrdlicka und die Religion Schwäbisch Gmünd Tel. 089/282548, www.dgfck.de bis 13.09.2009 Museum im Prediger Georg Philipp Wörlen zum 55. Todestag, 15.05. – 13.09.2009 Haus der Kunst Malerei Kunst aus einhundert Jahren 1909-2009 bis 17.05.2009 18.09. – 08.11.2009 Highlights der Daimler Kunst Sammlung William Eggleston, Democratic camera, 10 Jahre kunstpreis „Junge Kunst“ Galerie im Prediger

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 27 Subversive Praktiken. CADA, No +, 1983. Courtesy: Lotty Rosenfeld

09.10. – 29.11.2009 Tel. 0711/47040-0, www.staatsgalerie.de Tel. 07117216-2188 Birgitta Weimer, Constructing nature Kunst-Raum-Akademie www.kunstmuseum-stuttgart.de Di, Mi, Fr 14-17 Uhr, Do 14-19 Uhr, bis 17.05.2009 Sa/So 11-17 Uhr Werden und Vergehen Württembergischer Kunstverein Johannisplatz 3, 73525 Schwäb. Gmünd Drei künstlerische Positionen zum The- 30.05. – 02.08.2009 Tel. 07171/6034130, Fax: 6034129 ma Vergänglichkeit Subversive Praktiken. werktags 9-16 Uhr, Sa/So auf Anfrage Kunst unter Bedingungen politischer Stuttgart Akademie der Diözese Rottenburg-Stutt- Repression, 60er – 80er Jahre. Staatsgalerie Stuttgart gart Südamerika, Europa bis 01.06.2009 Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim 12.09. – 15.11.2009 Die Staatsgalerie – Die Sammlung. Paracelsusstr. 91, 70599 Stuttgart Peggy Buth, Desire in Representation Neue Räume. Neue Präsentation Tel. 0711/451034-600 Multimediale Installation bis 07.06.2009 Di, Do-So 11-18 Uhr, Mi 11-20 Uhr Deutsches Informel Kunstmuseum Schlossplatz 2, 70173 Stuttgart bis 05.07.2009 bi 14.06.2009 Tel. 0711/223370, www.wkv-stuttgart.de Wiener Aktionismus Drei. Das Triptychon in der Moderne 27.06. – 11.10.2009 11.07. – 01.11.2009 Hospitalhof Stuttgart Das „Olga-Album“ Kaleidoskop. Hoelzel in der Avantgarde bis 24.05.2009 Mi, Fr-Sa 10-18 Uhr, Di, Do 10-20 Uhr 25.07. – 04.10.2009 Transzendenz Inc. Mo geschlossen, 10-18 Uhr, Ben Willikens. Licht und Dunkel 18.09. - 18.10.2009 Do bis 21 Uhr Di-So 10-18 Uhr, Mi und Fr bis 21 Uhr Gabriela Oberkofler, Blut im Schuh. Konrad-Adenauer-Str. 30-32 Kleiner Schlossplatz 1, 70173 Stuttgart ZEICHNUNG, InStallation 70173 Stuttgart

28 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Siggi Hofer, gott ist aus gold. Installation Goethe-Nationalmuseum, Neues Muse- Mi-So 11-18 Uhr, Di 11-20 Uhr 06.11. – 06.12.2009 um Weimar Hollerplatz 1, 38440 Wolfsburg Rudolf Reiber, Cold Comfort bis 05.07.2009 Tel. 056361/2669-0 Mo-Fr 14-17.00 Uhr, So- und an Feierta- Das Bauhaus kommt aus Weimar www.kunstmuseum-wolfsburg.de gen 11.00-12.30 Uhr Di-So 10-18 Uhr Gymnasiumstr. 36, (Büchsenstraße) www.das-bauhaus-kommt.de Zürich 70174 Stuttgart migros museum für Gegenwartskunst Tel. 0711/2068-132, –150 Wiesbaden 16.05. -1 6.08.2009 www.hospitalhof.de Kulturkirchort Dreifaltigkeit Karla Black / Christoph Ruckhäberle 10.05. – 28.05.2009 29.08. -08.11.2009 Ulm „Schätze! Kirchen des 20. Jahrhunderts“ Shana Moulton / Paper Rad / Ryan Ulmer Museum Info: Kirche und Kultur, Roncalli-Haus, Trecartin bis 17.05.2009 Friedrichstr. 26-28, 65185 Wiesbaden Deterioration, they said Kosmos und Marionette: Tel. 0611/174-124, Fax -122 Di, Mi, Fr 12-18 Uhr, Do - 20 Uhr, Sa/So Paul Klee und die Romantik 11-17 Uhr 14.06. – 23.08.2009 Wolfsburg Limmatstr. 270, CH 8005 Zürich Traum der Wüste: Kunstmuseum Wolfsburg Tel. 0041/44/277-2050, www.migrosmu- Kunst der australischen Aborigines bis 24.05.2009 seum.ch Die Donald Kahn Sammlung Auf der Spitze des Eisbergs. 05.09. – 15.11.2009 Neue Fotografie aus Finnland Daros Exhibitions Jörg Eberhard, Wandmalerei 16.05. – 13.09.2009 Löwenbräu-Areal Di-So 11-17 Uhr Jubiläumsausstellung. Gegen den Strich! bis 07.09.2008 Marktplatz 9, 89073 Ulm 15 Jahre Sammlung Kunstmuseum Face to Face, The Daros Collections Tel. 07317161-4330, www.museum.ulm. Wolfsburg Teil 2 de 20.06. – 25.10.2009 Do-So 12-18 Uhr Grenzgänge. Limmatstr. 268, 8005 Zürich/ Schweiz Weimar Junge Künstler auf der Suche nach der Tel 0041/44/44770-00, Fax: -10 Bauhaus-Museum, Schiller-Museum, Moderne im 21. Jahrhundert

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 29 Neue Literatur Wolfgang Ullrich „die sinnlich-anschauliche Wiedergabe Gesucht: Kunst! eines Gegenstandes oder Ereignisses der Phantombild eines Jokers unmittelbaren Gegenwart, der Erinne- Gottfried Boehm Wagenbachs Taschenbuch 577, Verlag rung oder der schöpferischen Phantasie. Wie Bilder Sinn erzeugen Klaus Wagenbach, Berlin, 2007 ISBN Wird das Abgebildete als maßstäbliches Die Macht des Zeigens 978-3-8031-2577-4, 299 S., 65 s/w Ab- Vor-Bild aufgefasst, erhebt sich die Frage Berlin University Press 2007, ISBN 978- bildungen, Broschur, Format 19 x 12 cm, des richtigen Verhältnisses (Überein- 3-940432-00-I, 282 S., 240 s/w- und l70 € 14,90 stimmung), die in Bezug z.B. auf die Farbabbildungen, Hardcover gebunden bildende Kunst oft aus einem verengten mit Schutzumschlag und Lesebändchen, Kunst ist für Wolfgang Ullrich in der Bildverständnis her verstanden wird. Format 21,4 x 13,8 cm, € 29,90 späten Moderne immer geldähnlicher Das Bild veranschaulicht eine geistige geworden und bleibt dabei doch oft hö- Sinnbedeutung “. Unter dem Stichwort Mit dem Iconic Turn, der digitalen Re- herwertig konvertierbar. Sie realisiert Kunst wird ein knapper Überblick über volution und der gewachsenen Bedeu- ihren Wert gerade dann, wenn in ihr die Entwicklung des Begriffs von Platon tung der bildgebenden Verfahren in den etwas gesucht wird, was eigentlich nicht bis zu Heidegger und Adorno gegeben. Wissenschaften rücken die Bilder ins machbar, beschreibbar, ausdeutbar und Alexander Gottlieb Baumgarten wird Zentrum des Nachdenkens von Kunst, bezahlbar ist. Darüber wird Kunst zum als der Begründer der Ästhetik als phi- Wissenschaft und Gesellschaft. Sie erlau- im gesteigerten Sinn metamorphotischen losophischer Disziplin ausgewiesen, bei ben einen eigenständigen Zugriff auf die Joker, der sich bestens den Bedürfnissen dem das „Ästhetische“ als eigenständige Welt schlechthin, werden universal. Sie und Erwartungen der jeweiligen Rezi- Möglichkeit der sinnlichen Erscheinung büßen damit aber auch ihre Selbstver- pienten anpassen kann. Kunst wird mit und Erkenntnis neben das „Logische“ ständlichkeit ein. allem kompatibel und damit zugleich tritt. Unter dem Stichwort „Wille“ ver- Es wird fraglich und fragwürdig „was hypodekorativ. Ullrich lädt in kritisch- misst man die von der Hirnforschung Bilder eigentlich sind, was sie ausmacht, aufklärerischer Absicht zu einem Blick ausgelöste neuere Diskussion um den wie sie aussehen sollen, wie sie sich hinter die Kulissen des marktförmig ge- unfreien Willen. Auch bei den Lite- begründen und in welche Funktionen sie wordenen Kunstbetriebs ein, in dem alles raturhinweisen zum Stichwort fehlen treten...(Damit) wird die wissenschaft- zu Kunst werden kann, was entsprechend Autoren wie Wolf Singer und Gerhard liche Frage nach dem Bild aktuell… bezahlt wird, so u.a. auch die Versteine- Roth. Dankbar ist man dagegen für die Es dämmert die Einsicht, dass Bilder rungen oder Überreste eines Mammuts. knapp gehaltenen Literaturangaben zum … eine Macht (sind), imstande, unsere „Wer genügend Geld einsetzt, kann philosophischen Studium und für die Zugänge zur Welt vorzuentwerfen und somit aus allem Kunst, aus allem eine Übersichtstafeln zu den Hauptlinien der damit zu entscheiden, wie wir sie se- Provokation, aus allem ein Rätsel, aus Philosophie von den Vorsokratikern bis hen, schließlich: was die Welt ‚ist’. Wer allem einen Joker machen. Daher bringt zur Hermeneutik, Strukturphänomenolo- sie anders anzuschauen vermag, ist ihr die Behauptung, alles könne heutzutage gie und zum Konstruktivismus. gewiss so nahe wie derjenige, der seine Kunst sein, eine plutokratische Logik (ham) Begriffe verändert… Die Helligkeit der zum Ausdruck. Und gerade deshalb ist Vernunft reicht jedenfalls weiter als das auch zu bezweifeln, ob die Kunst als Wort… Sie reicht… bis dorthin, wo sich Joker und Innovationsereignis, als Ort Michael N. Ebertz / Richard Faber (Hg.) etwas als das zeigt, was es ist. Es wäre der Überraschungen und des Unvorher- Engel unter uns deshalb sehr viel näher liegend, den Sinn gesehenen ein Ort seliger Freiheit ist.“ Soziologische und theologische Minia- auf das Zeigen denn auf das Sagen zu (Wolfgang Ullrich) turen stützen“ (Gottfried Boehm). (ham) Verlag Königshausen & Neumann Die Aufsätze des Bandes widmen sich GmbH, Würzburg, 2008, ISBN 978- u.a. den deiktischen Wurzeln des Bil- 3-8260-3850-1, 208 S., 16 s/w-Abbil- des und dem ikonoklastischen Angriff Alois Halder dungen und 5 Tabellen und Schaltafeln, auf das etablierte Spektrum formaler Philosophisches Wörterbuch Format 23,5 x 15,5 cm, € 29,80 und inhaltlicher Unterschiede, „der das Mitbegründet von Max Müller. Überar- Bild…sehr oft auf einen einzigen Kon- beitete Neuausgabe. Wim Wenders wollte ursprünglich große trast zurückführt, Bildbau, Figuration, Herder spektrum Band 5967 Teile seines Films „Der Himmel über Erzählung etc. einem Akt der Entdiffe- Herder Verlag, Freiburg i.B., Neuausgabe Berlin“ auf dem Brandenburger Tor dre- renzierung unterwirft, den eine Entgren- 2008, ISBN 978-3-451-05967-4, 488 S., hen und trug sein Vorhaben im Filmmi- zung auch des Sinnes begleitet. Diese Broschur, Format 20,5 x 13,4 cm, nisterium der DDR vor. Als ihn der Mi- Reduktion des Bildes auf eine letzte oder € 19,95 nister fragte, ob Engel nicht unsichtbar erste Möglichkeit nennen wir einen iko- wären, bejahte Wenders. Dann „können noklastischen Akt.“ (Gottfried Boehm). Unter Bild versteht das 1958 erstmals die sich ja überall … rumtreiben …(und) (ham) erschienene philosophische Wörterbuch auch durch die Mauer gehen?“ Nach

30 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 einem extremen Lachanfall entschied Essay von Michael Glasmeieer Füße waschen, einen Kuchen backen, der Funktionär: „Völlig ausgeschlossen Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2007, ein zartes Kalb schlachten, den Kuchen, …. Sie werden überhaupt nirgendwo in ISBN 978-3-7757-2049-6, 128 S. 53 Butter, Milch und Teile von seinem Kalb Ost-Berlin drehen mit ihren unsichtbaren Farbabbildungen, Format 24,5 x 30,8 auftragen und bewirtet die Gäste. Beim Engeln. Die kommen mir nicht über die cm, Hardcover gebunden mit Schutzum- Essen sagt man ihm, dass ihm übers Jahr Grenze“ (Nach K. Jaspers/N. Rother schlag, € 39,80 (D)/sFR 69,00 ein Sohn geboren wird. Seine Frau Sarah „Flügelschlag“). Es ist nicht überliefert, lacht, denn sie ist alt und sie kann keine ob und gegebenenfalls welche Engel vor Peter Bialobrzeski ist u.a. durch seine Kinder mehr bekommen. Als sie wie ver- und nach dem Fall der Mauer über die vielfach ausgezeichneten fotografischen heißen schwanger wird, wird klar, dass 1989 aufgehobene innerdeutsche Grenze Erkundungen der asiatischen Megacitys Abraham mit Göttern gespeist hat. gekommen sind. Aber die Allgegen- ‚Neon Tigers’ und durch seinen Foto- Ob das Mahl den Ansprüchen der Deut- wart der Engel spricht dafür, dass sie es band ‚Heimat’ bekannt geworden. In schen Akademie für Kulinaristik genügt geschafft haben. „ Denn Engel scheint seinem neuen Projekt stellt er die Rand- hätte, muss offen bleiben. es inzwischen überall zu geben: neben zonen ausufernder Städte und darunter Einmal im Jahr treffen sich deren Mit- uns, vor uns, hinter uns, in uns, bei uns, auch Großprojekte wie die Autostadt in glieder in Stuttgart, um den interna- zwischen uns, eben ‚unter uns’, selten Wolfsburg vor. In der ‚Blauen Stunde’ im tionalen Eckart Witzigmann-Preis zu noch über uns – und immer öfters au- Übergang von Tag zu Nacht gewinnen verleihen. Am Vorabend lädt der Patron ßerhalb von Sakralgebäuden“ (Michael selbst ausufernde Slums vor postmoder- des Restaurants im ‚Hotel Victoria’ in N. Ebertz/Richard Faber). Der Band nen Wohntürmen und Neusiedlungen vor Bad Mergentheim Otto Geisel, Preisge- sensibilisiert für die Säkularisierung der frei geräumten Brachen einen eigenen, ber, Preisträger, Laudatoren und deren überkommenen Engelsvorstellungen und gebrochen-romantischen Reiz. Wenn Freunde zum Essen in seine ‚Vinothek’ zeigt darüber hinaus ihren Deutungs- man sich allerdings vorstellt, dass in den ein. Alle kommen: „Eckart Witzigmann, wandel und Bedeutungsboom und die Brachen vor kurzem noch zehntausende Dieter Müller, Harald Wohlfahrt, Marc mit Engeln betriebenen Auratisierungen von Menschen gelebt haben könnten, Haeberlin, Herbert Hintner, Roland und Sakralisierungen auf. Unter den 27 verliert die Oberfläche ihren Glanz. Die Trettl“ und natürlich auch Ferran Adrià Beiträgern stellt Gerhard Schmidtchen Fotografie verlässt die Dokumentation aus Roses in Katalonien, der zurzeit als sozialpsychologische Betrachtungen zu und wird zur Chiffre für verlorene Wel- einer der verrücktesten und aufregend- guten und bösen Engeln an Hand der ten. Dass Bialobrzeski in seinem Werk sten Köche der Welt gilt. Ferran Adrià Kirchenväter an. Volkhard Krech fragt, auf die Zuordnung der Fotografien zu hat vor der letzten documenta in Kassel ob Schutzengel Versicherungsagenten Städten verzichtet, stürzt den Leser in die Schlagzeilen beherrscht, als ihn Ro- sind. Thomas Ruster stellt Swedenborgs Verlegenheit, wenn er wissen möchte, ger M. Buergel als einen der ersten an Gesellschaft der Engel vor und Stefan welche Arbeiten in Abu Dhabi, Kalkutta, der documenta 11 beteiligten Künstler Huber entwickelt Aspekte einer Sozio- Georgetown oder Kuala Lumpur aufge- bekannt gegeben hat. Kochen ist dem- logie des Teufels. In Winfried Gebhards nommen worden sind. nach zur Kunst geworden. Auch das in Grundzügen entwickelter Soziologie (ham) Kochen folgt selbst gewählten Gesetzen des „sündigen Engels“ wird klar, warum und zelebriert diese in großer Selbstver- es keine nackte Engel geben darf. „Die ständlichkeit. Figur des in ‚Dessous’ auftretenden ‚sün- Eckart Witzigmann Dass zu den Preisträgern 2007 neben digen Engels’ erscheint …. als das Spie- Götterspeisung den Köchen Hiroyuki Hiramatsu, Harald gelbild einer Gesellschaft, die alles will, Küche, Keller, Kunst in genussvoller Wohlfahrt und Jonnie Boer auch der Tän- weil sie glaubt, alles zu können und sich Verbundenheit zer, Schauspieler, Regisseur, Schriftstel- dieses Anspruchs doch nicht ganz sicher Hrsg. von Eckart Witzigmann mit Texten ler, Objektkünstler und Gastrosoph Da- ist. In der Figur des Dessous tragenden und anderem von Wolfgang Bornheim, niel Spoerri gehört, unterstreicht die in ‚sündigen Engels’ schimmert eine letzte Philipp Maußhardt und Daniel Spoerri der Akademie für Kulinaristik gesuchte Ahnung von Eindeutigkeit und Unver- Edition K, Kunst und Kulinaristik in und gefundene Verbindung von Kochen, fügbarkeit durch. Nackte Engel gibt es Partnerschaft mit dem Hampp Verlag, Kunst und Lebensart. Daniel Spoerri ist nicht und darf es auch nicht geben. Wenn Stuttgart, 2007, ISBN 978-3-936682- seit den 1960ern als Erfinder der Eat Art das letzte Höschen fällt, dann fallen auch 27-4, 96 S., zahlreiche Farbabbildungen, bekannt geworden, die er selber keines- die Flügel. Engel dürfen heute zwar Hardcover gebunden mit Schutzum- falls mit der 3-Sterne-Küche vergleichen sexy sein, aber noch lange nicht vulgär.“ schlag, Format 24,5 x 24,5 cm, € 24,90 will. Aber auch er lädt zu Tisch, deckt (Winfried Gebhardt) und gestaltet ihn und lässt darauf ein von (ham) Als Abraham im Hain Mamre nach ei- ihm ersonnenes Mahl servieren. „Die ner Gotteserscheinung auf der Höhe des Gäste essen. Der Meister beobachtet Tages, als die Hitze am größten war, drei und an einem bestimmten Punkt stimmt Peter Bialobrzeski Männer vor seinem Hause sieht, lädt er es für ihn. Im Jeu de Paume mussten in Lost in Transition sie an seinen Tisch. Er lässt ihnen die diesem Augenblick die Gäste aufstehen,

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 31 alles liegen und stehen lassen. Die Tisch- Siesta hält. Oder den Straßenkoch, der seits gelegenen Heiligtum, das nur zum platten wurden weg getragen - zur Fixie- bis in den späten Abend hinein Essbares individuellen Beten aufgesucht wird, rung und Konservierung…. Der fixierte aus seiner provisorischen Küche ange- steht das stadtnahe Sanktuarium, der Tisch hing am nächsten Morgen bereits boten hat, nach dem langen Tag müde Wallfahrtsort, der als Hochzeitskirche in der ….. Ausstellung. In den Essti- geworden ist und jetzt herzhaft gähnt. geschätzt wird und das in tiefen Schluch- schen treffen sich … zwei Grundideen Aber dieses dörfliche Shanghai mit ten verborgene Heiligtum. der Kunst Spoerris: Die Fixierung des seinen Fußgängern und Fahrradfahrern Der aus dem Literaturstudium, dem Augenblicks und der Lauf der Dinge…“ muss dem anonymen, schnellen und coo- Besuch der Wallfahrtsorte und dem (Wolfgang Henze). Der in hohem Ton len Shanghai mit seinen Wohnsilos nach Gespräch mit Wallfahrtspriestern und geschriebene Band verbindet Porträts der und nach Platz machen: Ein Handwerker anderen zuständigen Personen entstan- Akteure mit Spoerri-Bildern, Rezepten – oder ist es der ehemalige Besitzer? dene Text wird von Bildern der prote- aus dem Hotel Victoria, der Vorstellung – raucht zwischen den Trümmern eines stantischen Deutsch-Schweizerin Bar- der bei der „Götterspeisung“ servierten Abbruchhauses eine letzte Zigarette. Im bara Graf Horka und dem katholischen Weine und Essays u.a. über den Koch Hintergrund wird ein weiteres Wohnsilo Westschweizer Nicolas Repond begleitet, und die Kunst (Martin Wurzer-Berger) hochgezogen. der von Kindesbeinen an mit dem Wall- und über Daniel Spoerri und seine Freun- (ham) fahrtswesen vertraut ist. Unter anderen de (Jürgen Knubben). wird das Nordschweizer Mariastein als Sarah nannte ihren im Hain Mamre an- Kloster auf dem Felsen der Gnade vor- gekündigten Sohn Isaak, weil ihr Gott Paul Hugger gestellt; er ist zu einem Wallfahrtsort der ein Lachen zugerichtet hat; „denn wer es Zwischen Himmel und Erde Tamilen geworden ist. hören wird, wird über mich lachen“ (1. Wallfahrtsorte der Schweiz In Hornussen, einem typischen Straßen- Mose 21,6). Die Tonlage der Publikation, Fotografien von Barbara Graf Horka und dorf an der alten Passroute über den Böz- die die Spitzenköche zu Göttern erhebt Nicolas Repond berg, hat sich die grenzüberschreitende und die servierten Speisen und Getränke Benteli Verlag Bern und Sulgen, 2007, Wallfahrt nach Todtmoos erhalten; sie zu Performances verklärt, verträgt kein ISBN 978-3-7165-1467-2, 240 S. zahl- ist schon in den Anfängen des 17. Jahr- Lachen und schon gar keine Kritik. Des- reiche S/W-Abbildungen, Leinen gebun- hunderts als Fricktaler Wallfahrt nach halb tut es gut, dass nicht nur Eckart Wit- den mit Schutzumschlag, Format 30,7 x Todtmoos sicher belegt. Der Ablauf zigmann, sondern auch Ralf Wohlfahrt, 24,7 cm, € 49,80 ist genau reglementiert. Die Wallfahrt Jonni Boer und Hiruyuki Hiramatsu in beginnt am Montag vor Pfingsten früh- ihren Fotoporträts zumindest ein Lächeln Für den Volkskundler sind Wallfahrten morgens um fünf Uhr mit einer Pilger- auf den Lippen tragen. rationale Antworten auf Irrationales, auf messe in Hornussen und führt in einem (ham) Ereignisse, Gefahren, Nöte und Ängste, Gebets-, Schweige- und Freimarsch nach denen Menschen hilflos gegenüber ste- dem Grenzübertritt bei Laufenburg und hen und die außer ihrer Einflussmöglich- einer Mittagsrast in Segeten durch den Lies Maculan keiten liegen. Freiwald zur Kapelle. „Um 16.45 Uhr Shanghai „Da geht es um Krankheiten, Umwelt- beginnen alle Glocken von Todtmoos zu Mit einem Text von Chen Danyan katastrophen, potentielle Gefahren läuten. Der Pilgerzug nähert sich dem Christian Brandstätter Verlag Wien, wie Unfälle, wirtschaftliche Nöte usw. Dorf. Einer der … Wallfahrtspriester 2008, ISBN 978-3-85033-154-8, 160 S., Wallfahrten sind so Ausdruck unserer … zieht im Chorhemd, mit drei Mini- 200 s/w- und Farbabbildungen, Hardco- Hilflosigkeit, des Vertrauens aber auch stranten, Kreuz und Fahnen den Pilgern ver gebunden mit Schutzumschlag, For- in höhere Mächte und nicht zuletzt des entgegen. Beim Dorfeingang treffen die mat 28 x 24,5 cm, € 36,00/sFR 61,00 Dankes für erhaltene Gnaden. Rational beiden Züge aufeinander. … Der letzte, sind diese Antworten, weil sie innerhalb steile Anstieg zum Heiligtum hinauf … Das neue Shanghai boomt, pulsiert und des jeweiligen religiösen Systems durch- macht den Pilgern zu schaffen. Aber verändert sich täglich. Aber es gibt in aus logisch sind“ (Paul Hugger). dann ist es erreicht; todmüde, jedoch der 17 Millionen-Stadt auch noch das Hugger verzichtet in seiner eindrückli- glücklich zieht man in die Kirche ein. alte dörfliche Shanghai. Der 1977 in chen Monographie auf eine lexikalische Der Kirchenchor von Todtmoos singt, Wien geborene Fotografin Lies Maculan Übersicht über das Schweizer Wallfahrts- der Wallfahrtspriester sagt ein paar Worte gelingt es, das dörfliche Shanghai wie wesen und seine Orte. Statt der sattsam zur Begrüßung … und entlässt die Pilger ein vertrautes Gesicht zu porträtieren. bekannten führt er „Heilige Orte“ vor, bis abends acht Uhr … Abends ist die Man meint, man müsste die junge Frau die einer breiten Öffentlichkeit weni- Kirche hell erleuchtet … Die Pilger sin- im rosa Schlafanzug kennen, die am ger vertraut sind, aber gerade in ihrer gen Marienlieder … Die Nachtruhe ist Morgen ihre Wäsche auf über die Straße Schlichtheit Wesentliches sagen. kurz. Um 7 Uhr morgens ist bereits gro- gespannten Seilen aufhängt. Und den Der Band führt in die Eigenart des jewei- ßer Pilgergottesdienst, ein Amt, konzele- Vater, der mit seinem Sohn in den Armen ligen Wallfahrtsortes ein und schildert briert von den anwesenden Geistlichen.“ neben seinem Kiosk in der Mittagszeit das lokale Geschehen. Neben dem ab- (Peter Hugger).

32 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Weiter vorgestellt werden u.a. die Wall- Broschur, Format 28,2 x 19,7 cm, Akteure Kunst- und Marktwerte entste- fahrt zum Großen St. Bernhard, die Wall- € 39,90 hen. Dass Kunst- und Marktwerte erheb- fahrt zur L’Ermitage de Longeborgne lich differieren können, ist dabei für die und zur Madonna del Sasso, Locarno. Die mit dem Stichwort „Josefinismus“ Kunsthistorikerin ausgemacht. In Muse- (ham) verbundene Säkularisierung von Kir- umsausstellungen veredelte Sammlungen chengut in Österreich wurde bisher vor und Auktionsrekorde bei Versteigerungen allem unter theologischer und histori- tragen nicht unerheblich zur Wertsteige- Klaus Feßmann scher Perspektive bearbeitet. Eine umfas- rung der dort gezeigten und angebotenen KlangSteine sende Aufarbeitung der architektonisch Positionen bei. Begegnung mit dem ewigen Gedächtnis überlieferten profanierten Sakralbauten Die unterschiedliche Rolle der Aktivisten der Erde in Österreich stand bis dato noch aus. wird u.a. an der Arbeit der GaleristInnen Mit einem Vorwort von Masaru Emoto Jessica Wehdorn hat diese Forschungs- Max Hetzler, Gerd Harry Lybke und Südwest Verlag, München, 2008, ISBN lücke mit ihrer 2005 von der Technischen Nicole Hackert, an der Tätigkeit der 978-3-517-08392-6, 128 S., zahlr. s/w- Universität Wien angenommenen Disser- SammlerInnen Ingvild Goetz, Harald und Farbabbildungen, Broschur mit tation geschlossen. Falckenberg und Friedrich Christian Klappumschlag und einer eingelegten Die vorliegende Studie der jetzt interna- Flick, an den Werken der Künstler Beat Audio-CD, Format 23,4 x 17,2 cm, tional in der Denkmalpflege tätigen Ar- Streuli, Thomas Florschuetz und Franz € 19,95 chitektin baut auf ihrer Dissertation auf. West und an der Leistung der Kuratoren Sie erfasst 71 profan genützte Kirchen und Museumsleiter Ulrich Obrist und Für Klaus Feßmann, seit 1997 ordentli- in Österreich, analysiert die baulichen Udo Kittelmann deutlich gemacht. cher Professor am Mozarteum Salzburg, Interventionen aus denkmalpflegerischer, Für Kittelmann steht das Museum „im- hat sich durch einen Hinweis auf die gestalterischer, funktioneller und wirt- mer im Dienst der Künstler und des Klangsteine des Bildhauers Elmar Dau- schaftlicher Sicht und vergleicht die Ent- Publikums“. Schon bevor der Immobili- cher eine neue Welt erschlossen. „Für wicklung u.a. mit umgenützten Kirchen enmakler Dieter Bock im Juli 2005 500 mich, der das Wasser, den Wind, die in Deutschland. Werke zeitgenössischer Kunst aus dem Wolken und, wenn es sein sollte, auch Für Wehdorn ist die Umwidmung einer Museum für Moderne Kunst in Frankfurt den Stein auf dem Klavier spielen konn- Kirche für profane Zwecke nur dann abgezogen hat, hatte Kittelmann damit te, der Musik bisher aber nur mit dem sinnvoll, wenn sie die Erhaltung eines begonnen, „über Sponsoren,… Werke für Konzertsaal assoziiert hatte, öffnete sich Kirchengebäudes begünstigt. Ihre Orien- das Museum anzukaufen. Kapitale Ar- plötzlich etwas ganz Neues: die Natur“ tierungshilfen (Leitlinien) für Personen, beiten von inzwischen heiß gehandelten (Klaus Feßmann). die als Eigentümer, Nutzer oder Aus- Künstlern wie Gregor Schneider, Francis Für eine geplante Uraufführung woll- führende mit der Erhaltung dieser Bau- Alÿs oder Aernout Mik konnte er auf te er sich einen Klangstein von Elmar denkmale betraut sind, diskutiert diesen diese Weise früh und damit kostengün- Daucher ausleihen. Der war aber leider Grundsatz auch unter dem Aspekt des stig erwerben, da er über Insiderwissen einige Wochen zuvor verstorben. Die Städtebaus, der Denkmalpflege und der über bevorstehende Projekte der Künstler Uraufführung musste ohne den - Wirtschaftlichkeit. verfügt… Was an der Börse geahndet stein stattfinden. Wochen später konnte (ham) würde, ist hier völlig legal“ (Katja Blom- er dann doch auf einem der Steine von berg). Daucher spielen. (ham) Seither lässt ihn die den Steinen abgerun- Katja Blomberg gene Klangwelt nicht mehr los. Er sucht Wie Kunstwerte entstehen und findet „klingende“ Steine, bearbeitet Das Geschäft mit der Kunst Lebendige Seelsorge 59. Jahrgang sie und bringt sie in geduldigem Einspie- Murmann Verlag, Hamburg, 2008, 3. 3/2008 len zum Klingen. aktualisierte und veränderte Neuausgabe, Kunst und Kirche Der Band versucht eine Zwischenbilanz ISBN 978-3-86774-006-7, 222 S., zwei Hrsg. von Erich Garhammer mit Beiträ- nach eineinhalb Jahrzehnten Forschungs- s/w- und 19 Farbabbildungen, Klappbro- gen u.a. von Josef Meyer zu Schlochtern, arbeit. schur, Format 22 x 15 cm, € 22,-- (D) / Reinhard Hoeps und Wolfgang Frühwald (ham) 22,60 (A) / SFR 39,-- Echter Verlag, 2008, ISSN 0343-4591, 72 S., ca. zehn s/w-Abbildungen, Bro- Katja Blomberg, Kunsthistorikerin, Jour- schur, Format 24,8 x 17 cm, € 6,40 Jessica Wehdorn nalistin und seit 2005 künstlerische Lei- Kirchenbauten profan genutzt terin des Hauses am Waldsee in Berlin, Das Reiner Kunze zum 75. Geburtstag Der Baubestand in Österreich zeichnet in Portraits von derzeit wichti- gewidmete Heft gibt teil an der noch StudienVerlag Innsbruck, 2006, ISBN 3- gen Galerien, Auktionshäusern, Samm- nicht ausgestandenen Debatte um die 7065-4378-8, 261 S., zahlreiche Farbab- lerInnen, KuratorInnen und Museen Bedeutung des „und“ zwischen Kunst bildungen, Schaubilder und Graphiken, nach, wie im Netzwerk der wichtigsten und Kirche. Josef Meyer zu Schlochtern

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 33 interpretiert dieses „und“ als Auffor- Köln konsequent fortgesetzt. in Sankt Peter die noch größere Heraus- derung zum produktiven Dialog zwi- Mennekes Abschied von der zur Kunst- forderung als die Kunst, die Architektur schen Glaube und Kunst um das nicht Station Sankt Peter ausgebauten Kölner und auch die Predigt“ (Friedhelm Men- Mach- und Herstellbare von Kunst und Kirche Ende Juni 2008 gibt Anlass, die nekes). Religion. Reinhard Hoeps setzt dagegen mediale Engführung zumindest um die Dass Mennekes als sich orthodox verste- auf Bilder, die zur eigenen theologischen Aspekte Kinder, Kirchenmusik, Kir- hender Jesuit auf die sonst vor allem vom Erkenntnisquelle werden. Replik und Ge- chenraum und Priesterrolle zwischen Protestantismus hoch gehaltene Freiheit genreplik zeigen, dass noch keine Ver- Bindung und Freiheit zu erweitern. zum eigenen Weg setzt und das heilige ständigung über den Bildbegriff und die Im Gespräch mit Brigitta Lentz wird der Liturgie durch die Künste und theologische Bewertung von temporären deutlich, warum Mennekes erste Liebe nicht durch Entmythologisierungspro- Ausstellungen im kirchlichen Kontext nicht der Gegenwartskunst, sondern gramme für Zeitgenossen erschließen erreicht ist. den Kindern gilt und warum er in Sankt will, macht einen Teil seiner Faszination Aufmerken lässt der Hinweis von Wolff- Peter auf die Spannung zwischen Kunst, aus. Dass er aber den Kern des Prote- gang Frühwald auf den Mehrwert des Spiritualität, Architektur und Musik als stantismus verfehlt, wenn er unterstellt, Glaubens gegenüber der Kunst. Wenn, Augenblicksereignis gesetzt hat. „In St. dass dieser den leeren Raum der Kirche so Frühwald, das Schöne möglicherwei- Peter verstehen wir Musik auch während zum Lehrraum gemacht hat „in dem die se nur schön, weil vergänglich ist und der heiligen Messe als Augenblicksereig- Menschen beispielhafte Instruktionen „wenn es vielleicht sogar entsteht aus der nis, als spontane Kreation. … Die Musik bekommen“, darf mit gutem Grund Trauer um die Vergänglichkeit und die weitet den sakralen Raum in den inneren behauptet werden. Nach Mennekes ist Hinfälligkeit des Menschen, dann gibt es Raum der Menschen hinein, die ihn es „das größte Missgeschick, das die wohl einen Mehrwert des Glaubens ge- betreten. Sie vertieft die sinnliche Erfah- Reformation zu verantworten hat, dass genüber der Kunst… Die Kunst schenkt rung und lädt den Raum mit persönlichen sie den leeren Raum der alten heiligen Dauer im Gedächtnis der Menschen, der Ahnungen und transzendentalen Empfin- Kirche zum Schulraum verkommen ließ. Glaube Dauer im Gedächtnis Gottes. dungen auf… Die Musik ruft den Raum Die Kirchenbänke vermitteln diesen Ein- Und diese Dauer… ist unabhängig von atmosphärisch zu seiner Spiritualität druck. Religionsunterricht hat wenig mit Menschenbrauch und Menschengeden- wach. Darin liegt ein gradueller Unter- dem Evangelium – und schon gar nichts ken“ (Wolfgang Frühwald). schied zur Kunst… Musik ist radikaler mit dem Sakrament zu tun… Da haben Ein Bericht von den Kunstprojekten in als Kunst. Sie raubt mir auch die Freiheit die Orthodoxen mehr begriffen und die der Wiener Jesuitenkirche, ein Gespräch zur Abwehr… Das Sehen ist stärker auf Muslime zumal“ (Friedhelm Mennekes). mit Karl Josef Maßen, dem Pfarrer der meine Initiative angewiesen. Das Hören Für Protestanten geht es im Kirchenraum Kunst-Kirche Pax-Christi in Krefeld und dagegen bricht meine Passivität, ob ich aber nicht um Bänke und Religionsunter- der Reiner Kunze gewidmete Text „das will oder nicht…. Deshalb ist die Musik richt, sondern um die viva vox evangelii, wort abgeschwiegen dem tod“ von Erich Garhammer ergänzen das Heft. (ham)

Zwischen Freiheit und Bindung Friedhelm Mennekes im Gespräch mit Brigitta Lentz über Kirche und Kunst Wienand Verlag, Köln, 2008, ISBN 978- 3-87909-959-7, 176 S., 27 s/w-Abbildun- gen, Broschur, Format 20,5 x 12,5 cm, € 10,-- / SFR 19,--

Wer den 1940 in Bottrop geborenen Friedhelm Mennekes nur aus der Kunst- berichterstattung kennt, stellt sich einen Jesuitenpater vor, der sich seit seiner Pfarrstelle St. Markus in der Arbeiter- gemeinde Frankfurt-Nied ersten Aus- stellungen von Gegenwartskunst in der Kirche widmet. Die Ausstellungstätigkeit wird zuerst in der Kunst-Station im Frankfurter Hauptbahnhof und dann ab 1987 in der Jesuitenkirche Sankt Peter in Haraguchi-Installation, 2008, Kunststation Sankt Peter, Köln

34 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Haraguchi-Installation, 2008, Kunststation Sankt Peter, Köln das lebendig zugesprochene Wort Gottes. als dritter Sohn von Julia und Ondrej Schulz-Hoffmann). Dass Andy Warhol Dass man Mennekes unbestreitbare Warhola am 06.08.1928 in Pittsburgh wenigstens einmal in der Woche zum Verdienste um die gewachsene Bedeu- geborenen Andy Warhol fasst Leben, katholischen Gottesdienst gegangen ist, tung von autonomer Kunst im Raum der Werk und Wirkung des Pop-Papstes auf ist wenig bekannt. Sein Einfluss auf Pop- Kirche gleichwohl auch als Protestant kurzweilige, prägnante und zugleich Art-Künstler wie Jeff Koons ist vielfach schätzen kann, steht auf einem anderen einfühlsame Weise zusammen. 1980 beschrieben worden. Seine Spätwirkung Blatt. schafft es Warhol, Papst Johannes Paul auf die fotografische Praxis von Jonathan (ham) II. zu treffen. Der Römer streckt ihm Meese ist noch nicht erfasst. Wer immer die Linke zur Begrüßung entgegen und Jonathan Meese begegnet, wird auch von deutet mit seiner rechten Hand eine Se- diesem fotografiert. Annette Spohn gensgeste an. Warhol reicht seine Rechte (ham) Andy Warhol zum Gruß und fotografiert im Gegen- Leben Werk Wirkung zug mit seiner Sofortbildkamera in der Suhrkamp BasisBiographie 27, Linken. Seine als Auftragsarbeit für den Mathilde ter Heijne Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M., 2008, Kunsthändler Alexandre Iolas entstan- If it’s me, it’s not me ISBN 978-3-518-18227-7, 154 S., zahlr. denen insgesamt über 100 Paraphrasen Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2008, s/w- und Farbabbildungen, Broschur, zu Leonardo da Vincis ‚Letztem Abend- ISBN 978-3-7757-2250-6, 144 S., Format 19 x 11,8 cm, € 8,90 mahl’ begreift Warhol als Möglichkeit 59 s/w- und 145 Farbabbildungen, Hard- der Reflektion über die eng gesteckten cover gebunden, Format 30 x 23,9 cm, Annette Spohns Basisbiographie des Grenzen zeitgenössischer Kunst (Carla € 35,--/SFR 59,--

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 35 Das, wie bei Cantz erwartbar, herausra- der heutige Kirchenbau auch von Eduar- Begegnung ein Dialog entsteht, der den gend gestaltete und gedruckte Künstler- do Chillidas Projekt eines Felsenraumes Künstlern und den Besuchern die Augen buch stellt Arbeiten der 1969 in Straß- im Berg Tindaya auf Fuerteventura, über sich selbst, ihr Werk und ihr Leben burg geborenen Mathilde ter Heijne aus Spanien, von James Turrells Tunneln und öffnet“. Für Meisner erscheint es zentral, den Jahren 1999 bis 2007 wie ‚Mathilde, Kammern im und am Krater des Vulkans dass Kolumba im Schatten des Domes Mathilde’, 1999, Single screen video, Roden in Arizona, USA und von Gerhard steht und wie mit einem schützenden DV, 5 min, ‚No Depression in Heaven’, Merz’ strahlendem Pavillon im Haupt- Mantel die so genannte Kapelle der Ma- 2006, Single sceen video (16:9), HDV, güterbahnhof von Hannover inspirieren donna in den Trümmern umhüllt. 4min und ‚Nahash and Asherah’, 2007, lassen könnte, kann nur unterstrichen Für Joachim M. Plotzek und die Kura- Sound sculpture, Painted bronze, Latex, werden. torInnen von Kolumba soll das Haus in den Kontext der Frage nach der Rolle Dorothea Baumanns und Christina Nie- dagegen eine Heimat für die Kunst wer- von Frauen in matriarchalen und postpa- derstätters Beitrag zur Akustik und Eva- den. Die BesucherInnen sind eingeladen, triarchalen Gesellschaften und erläutert Maria Kreuz’ Beitrag zum Licht in Sa- in eine Atmosphäre „vergleichbar der darüber hinaus ter Heijnes Arbeitsansätze kralbauten unterstreichen die Bedeutung unendlichen Welt des oft so weit zurück- und Konzept. unverwechselbarer Atmosphären. liegenden kindlichen Spiels“ einzutau- In Gesprächen u.a. mit Ulrike Münter, Unter Entwurfsaspekten hilfreich ist chen, in der sich phantasievolles und Maggie Tappert und Heide Göttner- Stegers Vorgabe, Lagepläne und Grund- schöpferisches Denken und vertraute und Abendroth wird auch deutlich, dass sich risse um zumindest zwei die Sakral- unvertraute Bilder mit Selbstverständ- der in vielen Arbeiten ter Heijnes allprä- bauten typisierenden Architekturfoto- lichkeit einstellen. Das Museum wird sente Tod ihrer Frage nach den radikalen grafien und die wesentlichen Angaben darüber zum Ort spielerisch-kreativer Alternativen Leben und Liebe verdankt. zu Architekten, Bauherren, Datum der Auseinandersetzung mit Sichtweisen (ham) Fertigstellung, Konfession, Grundfläche, menschlichen Selbstverständnisses in Sitzplätze und eine Beschreibung der individuellen Bildfindungen. Damit Bauaufgabe zu ergänzen. gleicht es eher einer Wunderkammer der Rudolf Stegers (ham) Bilder erfindenden Phantasie als einer Entwurfsatlas Sakralbau an aufklärerischen Prinzipien orientier- Birkhäuser Verlag, Basel, 2008, ISBN ten Sammlung. Der mit dem Neubau 978-3-7643-6684-1, 247 S., zahlr. s/w- Auswahl eins beauftragte Architekt sollte Räume mit und Farbabbildungen, Lagepläne, Grund- Kolumba differenzierten und voneinander unter- risse und Tabellen, Hardcover gebunden, Werkhefte und Bücher des Kunstmuse- schiedenen Atmosphären schaffen. Den Format 33,5 x 24,5 cm, SFR 89,90 ums des Erzbistums Köln, Band 28, Aus- KuratorInnen stellt sich die Aufgabe, im wahlkatalog I Museum die Orte zu finden, an denen die Der von Rudolf Stegers herausgegebene Hrsg. von Joachim M. Plotzek, Katharina Kunstwerke ihre ‚größtmögliche reale Entwurfsatlas Sakralbau stellt 69 Kir- Winnekes, Stefan Kraus, Ulrike Surmann Gegenwärtigkeit’ entfalten. chen, Synagogen, Moscheen, Krema- und Marc Steinmann zur Einweihung des Peter Zumthor hat seine Aufgabe glän- torien und Aussegnungshallen aus der Neubaus am 14. September 2007 zend gelöst. Seine 16 Ausstellungsräume ganzen Welt und darunter allein zwölf Kolumba, Köln, 2007, ISBN 978-3- besitzen im Hinblick auf einfallendes Kirchen aus Deutschland unter dem Ge- 931326-56-X, 576 S., zahlr. s/w- und Tageslicht, Größe, Proportionen und sichtspunkt des Entwerfens neuer Got- Farbabbildungen, Leinen gebunden mit Durchwegung unterschiedlichste Quali- tesdienstgebäude vor. Neben den funk- Schutzumschlag, Format 27,5 x 22 cm, täten. Gemeinsam ist ihnen die reduzierte tionalen Aspekten, steht die Frage nach € 35,-- Materialität. Die KuratorInnen üben den spezifischen Atmosphären, in denen noch. Sie setzen bei der Eröffnungsaus- sich das Heilige der drei abrahamitischen Die Leitung des Hauses setzt bei der stellung nicht wie das neue Museum Religionen manifestiert. Während in Beschreibung der Funktion des Kunst- für moderne und zeitgenössische Kunst der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg museums durchaus andere Akzente als Bozen auf größtmögliche Fülle, sondern der Kirchenbau in Deutschland keine Erzbischof Joachim Kardinal Meisner. auf größtmögliche Leere. Sie gönnen seltene Aufgabe war, werden heute eher Für Meisner ist Kolumba „ein Haus der dem Einzelwerk so viel Raum, dass sich Moscheen gebaut. Die Überblicksartikel Begegnung zwischen gegenwärtiger wohlmeinende BesucherInnen zum Ver- zur Geschichte und Gegenwart des Kir- Kunst und heutigen Künstlern einer- gleich mit Kleinstportionen auf übergro- chen-, Synagogen- und Moscheenbaus seits und der ewig jungen Botschaft des ßen Tellern in Drei-Sterne-Restaurants von Rudolf Stegers, Roman Hollenstein Evangeliums andererseits. Christliche herausgefordert sehen und darüber die und Negar Hakim arbeiten auf knappem Kunst selbst ist schon Gestalt geworde- Überwältigung durch die reale Gegen- Raum wesentliche Stationen und Über- nes Evangelium. Und sie hilft auch, in wart der Kunst (George Steiner) ver- gänge heraus und schlagen die Brücke der säkularen Kunst die Botschaft Gottes passen. Auch die Entscheidung, auf die zu den Fragestellungen des 21. Jahrhun- vom Menschen und seiner Welt zu erken- Selbstwirksamkeit der Kunst zu setzen derts. Rudolf Stegers Hinweis, dass sich nen und zu enthüllen, so dass aus dieser und nicht auf Namensschilder, Titel und

36 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Information ist gewöhnungsbedürftig. Gegenwart Gottes in der Eucharistie der neuen Musik lernen kann. Sie führt auch dazu, dass das Aufsichts- wird die Liturgie für Hans Maier zu (ham) personal jede Unterhaltung zwischen einem starken Impuls für die Künste. mehr als vier oder fünf Personen unter- Mit der Anerkennung der Pluriformität bindet, weil es zu den Normalöffnungs- und der Eigengesetzlichkeit der Kultur Gregory Crewdson zeiten keine „Führungen“ geben darf. der Moderne müsste für Hans Maier ein Beneath the Roses Aber weder das einsame Zwiegespräch Gespräch zwischen der Kirche und den Werke 2003-2007 zwischen BetrachterIn und Kunstwerk Künsten möglich und für beide Seiten Mit einem Text von Russell Banks noch der mit dem Eintritt in das Museum fruchtbar sein. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2008, erworbene Kurzführer können das wei- Seine vier Guardini-Lectures an der ISBN 978-3-7757-2173-8, 140 S., 121 terführende kunsthistorische Wissen und Humboldt-Universität Berlin im Mai Farb- und sieben s/w-Abbildungen, Aufklärung ersetzen. Im Auswahl eins- 2000 zur Liturgie als Kunstimpuls, zu Hardcover gebunden mit Schutzum- Katalog ist man schon weiter: Er führt Bibel, Wort und Ton, zum Bilderstreit schlag, Format 29,8 x 41,6 cm, € 49,80 nicht nur in das Selbstverständnis von und zum Bilderfrieden und zur Frage, ob (D), CHF 88,-- Kolumba, die Historie der Vorgängerkir- das Christentum schön sein kann, fassen chen und die Besonderheiten des Neu- die aus der Sicht Maiers wesentlichen Der 1962 in New York geborene Foto- baus ein, sondern auch in zentrale Werke Themenfelder zusammen. graf und Yale-Professor gilt nach viel der Sammlung wie die ‚Pfingsdorfer (ham) beachteten Ausstellungen in den USA, Muttergottes’, um 1170, Joseph Beuys’ Europa und Japan als einer der Stars der ‚ohne Titel’, 1971, Munitions- zeitgenössischen Fotokunstszene. Seine kiste mit ‚Kreuz mit Sonne’ (1947/48), Kirche und Musik sorgfältig und bis ins kleinste Detail ge- ‚Fichtenstamm und Berglampe’ (1953) Praktische Theologie planten Produktionen erinnern in ihrem und Heinz Brelohs Terrakottagruppe der Zeitschrift für Praxis in Kirche, Gesell- Aufwand an Opern- und Filmproduk- badenden Bildhauer von 1991. schaft und Kultur, 43. Jg. 2008, Heft 2 tionen und können als Inszenierungen (ham) Hrsg. von Peter Bubmann und Kristian der Dramen der menschlichen Psyche Fechtner gelesen werden. So richtig glücklich Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, erscheint aber auf den 144,8 x 223,5 cm Hans Maier 2008, ISSN 0938-5320, kartoniert, großen Bildtableaus ohne Titel nicht ein- Die Kirchen und die Künste € 25,95 mal der Pyromane, der dem brennenden Guardini-Lectures Haus neben dem verlassenen Bahngleis Schnell + Steiner, Regensburg, 2008, Das vorliegende Heft lädt zum Nachden- zusieht und auch nicht das Paar, dass sich ISBN 978-3-7954-2052-9, 80 S. Hardco- ken über Musik in der Kirche ein und neben dem heruntergekommenen Stau- ver gebunden, 20 x 12,4 cm, € 12,90 macht Musik zum Gegenstand praktisch- wehr liebt: Das Feuer, die Darsteller und theologischer Theorie. die Liebe sind nur Teil der Aufführung. Jacob Burckhardt hielt die Künste für Unter den sieben Hauptartikeln denkt Pe- (ham) „eine wundersam zudringliche Verbün- ter Bubmann unter dem Titel „Pluralität dete der Religion“, die sich auch nicht der Lebensstile und Unvereinbarkeit des unter befremdlichsten Umständen aus Musikgeschmacks?“ über den Nutzen Luc Chessex dem Tempel weisen lässt. Für Hans Mai- und Nachteil milieu- und lebensorien- Around the World er ist sie dagegen wie schon bei Romano tierter volkskirchlicher Angebote nach. Lutz-Verlag, Ava-Buch 2000, CH Af- Guardini uranfänglich mit dem Innersten „Entweder wird sich Volkskirche in Mi- foltern, 188 S., annähernd 300 Duplex- der als Spiel vor Gott betriebenen Litur- lieu- und Lebensstilgemeinden auftren- Abbildungen, Hardcover gebunden mit gie verbunden. „Liturgie trägt in ihrem nen…Oder man verstärkt die Versuche, Schutzumschlag, Format 26,5 x 42,6 cm, Ursprung selbst künstlerische Züge“ die verschiedenen Milieus einerseits in € 54,-- (Hans Maier). ihrer Eigenständigkeit zu pflegen und zu Als geistliches Drama mit Sprech-, Ge- fördern, andererseits kulturelle Lernpro- Arbeiten des 1936 in Lausanne gebore- sangs- und Handlungsrollen gibt sie den zesse zwischen den Milieus zu initiieren nen, international arbeitenden Fotografen in ihr teils schon enthaltenen, teils neu und ein Minimum geteilter Religionskul- wurden u.a. in Kuba, Lausanne, London, einströmenden Künsten Sprache, Ge- tur zu vermitteln. Ziel wäre die gegen- Paris und Zürich gezeigt. 1990 erfüllt er sang, Architektur, Malerei und Skulptur seitige Verständigung oder wenigstens sich mit 53 Jahren einen Jugendtraum mit ihren „Regieanweisungen“ einen das gegenseitige Aushalten…“(Peter und reist in Anlehnung an den Film ‚In Rahmen vor, der sie zum Ausloten von Bubmann). Anne Steinmeier macht unter 80 Tagen um die Welt’ acht Jahre um Spielräumen anreizt und das Abgleiten dem Stichwort „Konzerttheologie“ die die Welt. Seine Schwarzweißfotogra- in das Sekundäre, die Anmerkung und Bedeutung der Musik für die Gebildeten fien stehen in der Tradition der Anteil den Kommentar verhindert. In ihrer unter den Religionsgenießern stark und nehmenden Dokumentarfotografie. Sie Sorge für eine würdige Feier der realen Ute Baierlein fragt, was die Predigt von „sind von großer Achtung, ja Liebe für

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 37 die fotografierten Menschen geprägt; nie Zwischen 1996 und 2003 entsteht auf wichtigsten immateriellen Vermögens- missbraucht er sie für egoistische Zwek- dem Grundriss der 1923 von Emil Fah- werte dar. Mit 67,39 Milliarden US-Dol- ke. Trotzdem beobachtet er unerbittlich renkamp gebauten Fabrik das Theater- lar (2004) führt Coca-Cola das Ranking und beschönigt nichts. Er hebt das nor- haus Stuttgart. Bei diesen multilogisch der international wertvollsten Marken an, malerweise unvereinbare Gegensatzpaar angelegten Projekten wird der Architekt was etwa der Hälfte des gesamten Unter- Achtung vor- und Unerbittlichkeit gegen- zu einer Art Hebamme, der bei der Ge- nehmenswerts entspricht. Die Kommuni- über den fotografierten Menschen auf“ burt eines Bauwerks die Kräfte steuert, kation des Markenlogos von Coca-Cola (Hans-Rudolf Lutz). „die nach Ausdruck verlangen… Es ist ist nach seiner Einführung über Jahr- (ham) fast so, als ob die Form des Gebäudes zehnte im Wesentlichen gleich geblieben. bereits vom Standort und den Menschen Im Kern empfehlen die im vorliegenden vorgegeben sei und der Architekt sie Band versammelten Markentheoretike- Peter Blundell Jones einfach nur finden müsse“ (Peter Blun- rInnen Museen analoge Markenstrategi- Peter Hübner dell Jones). en. „Tue alles dafür, dass dein Museum Bauen als ein sozialer Prozeß (ham) zur Marke wird und kommuniziere diese Edition Axel Menges, Stuttgart/London, Marke dann so, dass sie sich in den 2007, ISBN 978-3-932565-02-1, 358 Köpfen der Zielgruppe verhakt und nicht S., zahlr. s/w- und Farbabbildungen, Meise mehr vergessen wird“. Man könnte auch Werkverzeichnis, Leinen gebunden mit Nr. 5, März 2008 sagen „Never change a winning horse“. Schutzumschlag, Format 30,6 x 28,6 cm, Verlag Heckler und Koch, Berlin, 2008, (ham) € 78,-- 138 S., zahlr. s/w-Abbildungen, Bro- schur, Format 29,5 x 21 cm Eigentlich hätte der 1939 in Kappeln in Gabriele Thuller Schleswig geborene Peter Hübner das Die Künstlerassoziation und -redaktion Kitsch elterliche Schuhmachergeschäft über- um André Butzer, Thomas Groetz, Tho- Balsam für Herz und Seele nehmen sollen und wurde von diesen mas Winkler, Ulrich Wulff, Laura Tonke, Belser Verlag, Stuttgart, 2007, ISBN deshalb auch aus dem Gymnasium ge- Maja Körner, DJ Ute leistet sich die 978-3-7630-2493-3, 144 S. ca. 150 nommen. Auf eine klassische Schuhma- halbjährlich erscheinende, verrückt-in- Farbabbildungen, Hardcover gebunden, cherlehre folgten Arbeiten in der Schrei- formative Zeitschrift Meise und lässt u.a. Format 25,3 x 20,4 cm, € 19,95 (D) nerei, im Möbelbau, das Abendabitur und über einen Aufenthalt in Moskau (Robert /20,60 (A)/SFR 36,90 der Beginn des Architekturstudiums an Ohrt) und die faschistische Architektur der TH Stuttgart. 1978 wird er ebendort im Eur-Viertel in Rom berichten (Con- Wer Kitsch als billigen Tand, naiven Professor, nachdem er sich nach seinem stanza Madricardo). Ein selbstbezügli- Krimskrams, Rückstand infantiler Tag- Diplom auf wieder verwendbare modu- cher Einblick macht mit der Entwick- träume, luxuriösen Pomp und teuflisches lare Bausysteme aus Glasfaserpolyester lungsgeschichte des Covers der vorlie- Blendwerk oder als Zeichen schlechten verlegt und damit 1975 auch sein eigenes genden Ausgabe bekannt. Im Kampf um Geschmacks sieht, wird mit Gartenzwer- Haus gebaut hatte. „Morgens kommen die immer knapper werdende Ressource gen im Vorgarten, Herz-Schmerz-Roma- die Häuser, abends die Gäste“. Aufmerksamkeit wird die Zeitschrift nen im Bücherschrank und Plastik-Chri- Mit dem zusammen mit seinen Studenten zum Markenfaktor im System Kunst. stussen auf dem Privataltar nichts zu tun vom Entwurf bis zur Realisierung auf (ham) haben wollen. Wer aber mit Burghard dem Campus in Stuttgart-Vaihingen ent- Schmidt annimmt, dass Kitsch zu jedem wickelten Studentenheim „Bauhäusle“ Menschen gehört und Kitsch für den kommt für Peter Hübner eine neue Keh- Das Museum als Marke kürzesten Weg zur Versöhnung mit den re. Ab jetzt wendet er sich dem von den Branding als strategisches Management- Lebensumständen hält, wird „die Kitsch- künftigen Bewohnern mit entwickelten instrument für Museen Objekte als notwendige Ingredienzien und nach Möglichkeit selbst realisier- Hrsg. von Hartmut John und Bernd Gün- eines schönen Lebens und als Alltagsäs- ten Bauen zu. Auf das Jugendhaus in ter im Auftrag des Landschaftsverbands thetik unserer Zeit anerkennen“ (Gabrie- Stuttgart-Wangen (1983/84) folgen mit Rheinland mit Texten u.a. von Birger le Thuller). den Nutzern entwickelte und realisierte P. Priddat, Karen van den Berg, Anja Gabriele Thuller geht noch einen Schritt Bauten u.a. in Herrenberg, Feuerbach, Dauschek, Otmar Böhmer und den Her- weiter und spricht in Anlehnung an Karl Stammheim und Möglingen. Zwischen ausgebern Marx von Kitsch als dem Seufzer der be- 1996 und 1999 wird in Stuttgart-Stamm- Transcript Verlag, Bielefeld, 2008, ISBN drängten Kreatur und dem Gemüt einer heim die ‚Arche’ weitgehend im Eigen- 978-3-89942-568-0, 192 S., Klappbro- herzlosen Welt. „ Was das Herz rührt und bau und zu einem Viertel der normalen schur, zahlr. Farbabbildungen, Format was unsere Sinne reizt, ist Balsam fürs Kosten realisiert, die von der örtlichen 23,9 x 17,9 cm, € 29,80 Herz und für die Seele“ (Gabriele Thul- Kirchengemeinde als Gottesdienstraum ler). Ihr weiter Begriff macht es notwen- und auch für Begegnungen genutzt wird. Marken stellen heute die mit Abstand dig, bei ihrem Durchgang durch Themen

38 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 wie Kitsch und Religion, Kitsch und Po- Handeln und Vollbringen einen über- Kollegen wie Barnett Newman, Kunst- litik und Kitsch und Kunst Zusatzbestim- geordneten Horizont unterstellt. Die kritikern wie Edward Alden Jewell und mungen einzuführen. So spricht Thuller unterstellte Sinnhaftigkeit von Lebens- Ausstellungsmachern wie Katharine Kuh in ihrem Kapitel über das Verhältnis von vollzügen braucht Artikulation von Sinn, korrespondiert. Dazu kommen Texte zum Kitsch und Religion von der Verbindung den Vorschein situationsübergreifender Unterrichten von Kunst und zur Kunst von religiösen Gefühlen mit sinnlichem Sinnhorizonte und die Benennung von als Kommunikation. Begehren als konstitutivem Element des Freiheitspotentialen, die sinnhaftes Han- Dass Rothko sich ein Leben lang gegen religiösen Kitschs im 19. Jahrhundert. deln vom Nachvollzug vorgeschriebener die Unterstellung wehrt, ein abstrakter Der Weg von Tizians „Büßender Madon- Bedingungsabläufe unterscheidet. „Dass Künstler zu sein, überrascht bei der na“ über Guido Reni bis zu Francesco im Medium sinnvollen und sinnbedürfti- inzwischen selbstverständlichen Zu- Hayezs nackter und stark erotisierender gen Lebens über den Sinn von Sinn und ordnung seines Werks zum abstrakten Darstellung der Maria unterstreicht diese damit über letzten Sinn kommuniziert Expressionismus: „Ich habe viele Jahre Entwicklung eindrücklich. und reflektiert wird, macht Religion aus.“ in New York gemalt, während hier auch Die Beliebtheit des Schutzengelmotivs (Dietrich Korsch/Lars Charbonnier). Die die Abstrakten gearbeitet haben. Abstrak- bringt sie mit dem Bedürfnis nach Si- Theologie, verstanden als Hermeneutik te Kunst hat mich nie interessiert, ich cherheit, Geborgenheit und der Sehn- alltäglicher Religionskultur, hat am Fluss habe immer realistisch gemalt. Meine sucht nach einer verzauberten Welt des Lebens teil und beschreibt und re- neuesten Bilder sind realistisch. Als ich zusammen. flektiert es kritisch. dachte, dass Symbole am besten geeignet Die in der Kitsch-Art praktizierte Ver- Der jeweils erste Beiträger knüpft an seien, die Bedeutung zu vermitteln, habe söhnung von Kitsch und Kunst sieht sie die alltäglichen Phänomene an und un- ich sie benutzt. Als ich dachte, Figu- durch Marcel Duchamps ‚Ready-Mades’ tersucht sie in historischer und systema- ren seien es, habe ich Figuren benutzt“ und die das Triviale überhöhende Pop- tischer Perspektive. Der jeweils zweite (Mark Rothko im Interview mit William Art vorbereitet. nimmt seinen Ausgang bei den Phäno- Seitz am 22. Januar 1952). „Mein einzi- In der Postmoderne wird Kitsch als Zitat menen. So entstehen Skizzen zu einer ges Interesse besteht darin, grundlegende und Stilmittel hoffähig. Jeff Koons, der Alltagsdogmatik, deren Zirkelstruktur menschliche Gefühle auszudrücken Kitsch-Künstler schlechthin, schafft es Martin Kumlehn so umschreibt: „Die – Tragik, Extase, Untergang und so nicht nur, sich mit „Ilona on top“ beim Hermeneutik gelebter Religion vollzieht weiter – und die Tatsache, dass viele Geschlechtsverkehr zu präsentieren und sich stets in der Deutungssphäre eines Menschen in Tränen ausbrechen, wenn Luftballon-Hunde in Edelstahl aufzu- religiösen Lebens. sie meine Bilder sehen, zeigt doch, dass blasen. Er verwandelt auch Leonardo da In diesem Sinne ist dann ‚Religion’ als ich diese menschlichen Gefühle vermittle Vincis „Anna Selbdritt“ in das zwischen eine spezifische Weise der Wahrnehmung …Die Menschen, die beim Anblick mei- Skulptur und Malerei changierende Spie- zu verstehen, die den Phänomenen ihre ner Bilder in Tränen ausbrechen, haben gel-Objekt „Christ and the lamb“. Religionshaftigkeit im Grunde überhaupt die gleiche religiöse Erfahrung, die ich (ham) erst zuschreibt, indem sie in ihnen be- hatte, als ich sie malte“ (Mark Rothko im stimmte Aussagen und Inhalte wiederer- Gespräch mit Selden Rodman von 1956). kennt, die ihr im Rahmen ihres eigenen Als Mystiker will er nicht verstanden Dietrich Korsch / Lars Charbonnier (Hg.) Interpretationskontextes bereits vertraut werden, vielleicht aber als Prophet, der Der verborgene Sinn sind“ (Martin Kumlehn). das Leiden malt. Am 25. Februar 1970 Religiöse Dimensionen des Alltags (ham) wählt er nach einer längeren Zeit der Wilhelm Gräb zum 21. August 2008 Krankheit und der Einnahme von Medi- Vandenhoeck & Ruprecht, , Göttingen, kamenten, die ihn geschwächt haben, den 2008, ISBN 978-3-525-57001-2, 413 S. Mark Rothko Freitod. Hardcover gebunden, Format 21,8 x 16,5 Schriften 1934 - 1969 (ham) cm, € 39,90 Essays / Briefe / Interviews Hrsg. von Miguel López-Remiro. Der Sammelband gratuliert Wilhelm Deutsch von Tarek Goldmann Niklas Luhmann Gräb mit einem bunten Strauß von 35 Verlag Kurt Liebig, Schmieheim, 2008, Schriften zu Kunst und Literatur Beiträgen zur Sinndimension alltäglicher ISBN 978-3-938715-03-1, 205 S., ca. Hrsg. Niels Werber Handlungen wie dem Aufstehen, dem sieben s/w-Abbildungen, Broschur, suhrkamp-taschenbuch wissenschaft, Gang zum Fitnessstudio, dem Umzug, Format 21,5 x 16,5 cm, € 19,90/SFR 1872, Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2008, dem Schlafengehen, dem Ausfüllen von 48,50 ISBN 978-3-518-29472-7, 490 S., Bro- Antragsformularen und dem Aufsetzen schur, Format 17,7 x 10,8 cm, € 16,-- von Todesanzeigen zum 60. Geburtstag. Mark Rothko hat seine Malerei nicht Unter Sinn verstehen die Herausgeber nur im Spiegel der Kunsttheorien von Niklas Luhmann war 1974 von dem Bie- die Struktur, die jeder Alltagshandlung Friedrich Nietzsche und Sören Kierge- lefelder Literaturwissenschaftler Sieg- im riskanten Übergang von Wollen, gard reflektiert, sondern zeitlebens mit fried R. Schmidt zusammen mit Künst-

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 39 lern wie Jochen Gerz und Timm Ulrichs, Wenn Eltern ihrem Kind beim Spielen 978-3-518-29425-3, 370 S., ca. 14 s/w Philosophen wie Gunter Gebauer und zusehen und ihm ermutigende Blicke zu- und 14 Farbabbildungen, Broschur, For- Ernst Oldemeyer, den Kunsttheoretikern werfen, wird es sich an Aufgaben wagen, mat 17,7 x 10,8 cm, € 14,-- Max Imdahl und anderen zu einem in- die es sich bisher nicht zugetraut hat. terdisziplinären Kolloquium zum The- Wenn das Kind dagegen den warnenden Der transdisziplinär angelegte Band ma „Gibt es heute noch eine sinnvolle Blick der Eltern als „Treib es nicht auf diskutiert den Status der Farben, den Verwendung des Begriffs ‚schön’?“ die Spitze!“ interpretiert, wird es seinen Ort und die neuronalen Grundlagen nach Karlsruhe eingeladen worden. Explorationsdrang einschränken und sich ihrer Wahrnehmung und unser Spre- Bei der Mehrzahl der Beiträge gaben an den vorgegebenen Rahmen halten. chen über ihre Wahrnehmung. Er geht rezeptionsästhetische Ansätze die Ar- Für Eva Schürmann belegen die ethische auf eine Vortragsreihe der Münchener gumentationslinien vor. Der Begriff der Bedeutung interaktiven Sehens und rezi- Ludwig-Maximilians-Universität im Schönheit wurde entweder neu definiert proken Sichtbarseins und das Spektrum Wintersemester 2004/2005 zurück und oder wanderte „von der Substanz eines des ästhetischen oder kontemplativen widmet sich, ausgehend von Descartes, Werks ins ästhetische Erleben eines Sub- Schauens hinreichend, „dass Sehen im ersten Teil historischen Positionen jekts“ (Niels Werber). Luhmanns Referat nicht angemessen konzeptualisiert wird, wie denen von Goethe, Kant, Helmholtz zur „Kodierbarkeit der Kunst“ behaup- wenn man es entweder realistisch oder und Wittgenstein. Der zweite Teil disku- tete dagegen die Autonomie der Kunst, konstruktivistisch interpretiert. Die vor- tiert aktuelle Fragen aus der zeitgenös- die Einheit der Differenz von Künstler liegende Untersuchung …(lässt sich) von sischen philosophischen Theorie über und Betrachter und bestand darauf, die der Annahme leiten …, dass Sehen eine Farben, so die Frage, wie unsere Rede Kommunikationsregeln von Kunst in …performative Praxis epistemischer, über Sprache funktioniert und was unsere Analogie zu den Codes von Macht und ethischer und ästhetischer Welterschlie- Farbbegriffe bedeuten. Der dritte Teil Geld zu beschreiben. Kunst wird mit ßung (ist)… Visuelles Wahrnehmen ist, erörtert den aktuellen neuwissenschaftli- Politik, Recht oder Wissenschaft als so die These, eine performative Praxis, chen Forschungsstand des Farbensehens. gesellschaftliches Teilsystem begrif- die als solche eine ähnlich welterschlie- Rainer Mausfeld fasst das gewonnene fen, das Kontingenz als binär codierte, ßende Funktion hat wie das Sprechen“ theoretische Bild wie folgt zusammen: funktionsspezifische Kommunikation (Eva Schürmann). „’Farbe’ stellt im visuellen System kein von schön und hässlich kommuniziert. Der Betrachter von Kunstwerken ist mit Attribut eines einheitlichen Typs dar, Luhmanns Fragestellung und auch seine Sehangeboten konfrontiert, in denen sondern kommt mit unterschiedlichen Beiträge zur Diskussion bleiben in Karls- sichtbare und unsichtbare Welten in den Codierungseigenschaften als Parameter ruhe randständig. Seine 1995 vorgelegte Blicken und Werken der Künstler auf- in mindestens zwei unterschiedlichen „Kunst der Gesellschaft“ wird dagegen scheinen, die mit den Routinen eines auf Basiskonzepten vor, nämlich in Basis- weltweit rezipiert und diskutiert. Bescheid Wissen und Verfügen zielenden konzepten für ‚Beleuchtung’ und solchen Der vorliegende Band dokumentiert Sehens brechen. Wie beim Sprechen für ‚Oberfläche’. Folglich ist ‚Farbe’ kein Luhmanns Karlsruher Beitrag ebenso und Erzählen wird das Sehen von Kunst homogenes Attribut und insbesondere wie Ausschnitte aus der Diskussion und zur Kunst des Anderssehens. Zugespitzt nicht dreidimensional codierbar. Auch ist weitere 18 Schriften zu Kunst und Lite- wird dieses Anderssehen noch einmal ‚Farbe’ kein autonomes Attribut, d.h. die ratur. Einige der Beiträge werden zum im Blick, der uns anschaut: „ce que nous Eigenschaften dieses Attributs können ersten Mal veröffentlicht. Niels Werbers voyons, ce qui nous regarde“ (G.Didi- nicht unabhängig von anderen Attributen glänzend geschriebenes Nachwort fasst Huberman). Gary Hills Videoinstallation in der Struktur des jeweiligen Basiskon- die Weiterentwicklung von Luhmanns ’Viewer’, 1996, zeigt 17 Menschen zeptes untersucht werden …Das Attribut Kunsttheorie verständlich zusammen und lebensgroß vor einem schwarzen Hinter- ‚Farbe’ ist vielmehr Teil des internen erleichtert den Ein- und Aufstieg in die grund. Fast bewegungslos nehmen die ‚Formats’, durch den das Wahrneh- Höhen der Luhmannschen Abstraktion. Betrachter den Betrachtenden den Blick. mungssystem auf der Grundlage seiner (ham) Man ist als Betrachter angesehen und biologisch vorgegebenen Basiskonzepte irritiert. seine Welt zergliedert. Farbe ist gleich- (ham) sam eine Form unserer Wahrnehmung“. Eva Schürmann (ham) Sehen als Praxis Ethisch-ästhetische Studien zum Verhält- Farben nis von Sicht und Einsicht Betrachtungen aus Philosophie und Na- Georg Bollenbeck suhrkamp taschenbuch wissenschaft, turwissenschaften Eine Geschichte der Kulturkritik 1890, Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2008, Hrsg. von Jakob Steinbrenner und Stefan Von Rousseau bis Günther Anders ISBN 978-3-518-29490-1, 274 S., 8 Glasauer becksche reihe 1768, Verlag C.H. Beck, Farb- und 6 s/w-Abbildungen, Broschur, suhrkamp taschenbuch wissenschaft München, 2007, ISBN 978-3-406-54796- Format 17,7 x 10,8 cm, € 11,-- 1825 6, 320 S., Broschur, Format 19 x 12,4 Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2007, ISBN cm, SFR 26,90 / € 15,40

40 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Kulturkritisches Denken reicht bis in die in der Hektik der Tagesaktualitäten einer Lehre als Verlagsbuchhändler unter die Antike zurück. Aber erst in der Aus- untergehen. anderem bei Klaus Wagenbach gearbeitet einandersetzung mit dem Vernunft- und (ham) hat, nicht aber, dass er seinen Entschluss, Fortschrittsglauben der Aufklärung wird Maler zu werden, nach einer Reise zu Kulturkritik zum normativ aufgeladenen den mexikanischen Muralisten und dem Reflexionsmodus, der die Gewinne und Lothar Baumgarten Besuch einer Ausstellung von Clyfford Verluste der Moderne, ihre Wertungs- Air Still gefasst hat. „Der zündende Gedanke und Ordnungsschemata, ihre Haltungen Hrsg. Freundeskreis Museum Kurhaus kam im Januar 1976 in der Still-Aus- und ihre Denkmuster so in den Blick und Koekkoek-Haus Kleve e.V. stellung: Es musste doch eine Mischung nimmt, dass die Einsichten verarbeitet Schriftenreihe Kurhaus Kleve Nr. 30, geben aus der Malerei der mexikanischen und neues Wissen produziert werden Kurhaus Kleve/Richter Verlag, Düs- Muralisten, also von Größe und Ausbrei- können. Wichtige Stationen auf diesem seldorf, ISBN 3-933807-46-8, 152 S., tung, und der Malerei des Abstrakten Weg sind Rousseau, Schiller, Nietzsche, zahlreiche s/w-Fotos, Klappenbroschur Expressionismus eines Clyfford Still. Es Spengler, Arnold Gehlen, Hans Freyer in kaschierter Kassette, Kassettenformat musste doch spannend sein, Abstraktion und Günther Anders. 20,8 x 15,4 cm, € 28,50 und Gegenstand auf ein und demselben Auch wenn heute „die großen kulturkri- Bild unterzubringen…“ (Bernd Zimmer). tischen Werke nicht mehr geschrieben Lothar Baumgartens 1983/84 entstan- Wenig bekannt dürfte auch sein, dass er werden, so zirkulieren doch im gesell- dene poetische Bilderzählung über die die erste Zeit als Maler mit Buch- und schaftlichen Selbstverständigungsdiskurs von ihren Kaminen geprägten privaten Zeitschriftengestaltung und mit Aushilfs- weiterhin Individuierungsansprüche Dachlandschaften von Venedig kann arbeiten als Koch im Restaurant Exil gegen die Zumutungen der Moderne als auch als Hommage an die um das Jahr abgesichert hat. 1979 wurde ihm dann ‚stahlhartes Gehäuse’…. Aufgenommen 1271 gegründete Gilde der Maurer gele- angeboten, für 60.000 Mark im Jahr als wird die Botschaft … auch von jenen sen werden: Zur Erlangung der Meister- Chefkoch zu arbeiten. Das ihm im Fe- ‚ortlosen Diskursen’ (Jürgen Habermas), würde war jeweils die Errichtung eines bruar 1979 zugesprochene Schmidt-Rott- in denen Begriffe wie etwa ‚Biopolitik’, vollständigen Schornsteins obligatorisch. luff-Stipendium erleichtert ihm die Ab- ‚Verdinglichung’, ‚Macht’, ‚Logozen- „Es sind fantastische Bauwerke im sage und die Weiterentwicklung seiner trismus’ oder ‚Simulation’ zirkulieren; Miniaturformat…“ (Lothar Baumgarten). Malerei. Seine feste Absicht, nach dem Begriffe, die, eingebettet in intentional- (ham) Villa Massimo-Stipendium und einem wehrhafte Welterklärungen, eine Univer- verlängerten Rom-Aufenthalt über Bar- salkritik an der Moderne artikulieren“ celona nach New York weiter zu ziehen, (Georg Bollenbeck). Walter Grasskamp wurde durch die Schwangerschaft seiner (ham) Gespräch mit Bernd Zimmer Frau verhindert. Aus Barcelona und New Prestel Verlag, München, 2008, ISBN York wurde das oberbayerische Polling. 978-3-7913-4130-9, 160 S., 35 Farb- und Der Früh-, Vor- und Zeitgeschichte von Werner Spies 100 s/w-Abbildungen, Klappenbroschur, Polling ist auch der 2,35 x 18,50 große Mit Skalpell und Farbmaschine Format 21 x 15,5 cm, € 19,80 Linolschnitt gewidmet, den Zimmer in Porträts von Max Ernst bis Gerhard den Boden der ehemaligen Klosterwirt- Richter Auch wer Bernd Zimmer als Mitbe- schaft von Polling geschnitten und dann Edition Akzente, Carl Hanser Verlag, gründer der später legendären Galerie abgezogen hat. Im Zentrum steht Kaiser München, 2008, ISBN 978-3-446-23073- am Moritzplatz, Berlin, sein 1977 aus- Heinrich II., der in Polling dem aus Rom 6, 195 S., Klappbroschur, Format 20 x gestelltes Monumentalgemälde „Flut“, heimkehrenden Trauerzug des in Italien 12,1 cm, € 17,90 seine zusammen mit Rainer Fetting, verstorbenen Kaiser Otto III. die Reichs- Helmut Middendorf und Salomé 1980 im insignien abfordert. Walter Grasskamp Werner Spies, Jahrgang 1937, hat die Haus am Waldsee Berlin ausgerichtete lebt im nur drei Kilometer entfernten Entwicklung der internationalen und den Gruppenausstellung „Heftige Malerei“ oberbayerischen Weilheim. Aufstieg der deutschen Kunst über Jahre und die Weiterentwicklung seiner Land- (ham) hinweg professionell, aus Leidenschaft schaftsmalerei bis hin zur Serie seiner und in der direkten Begegnung mit Cosmos-Bilder kennt, erfährt aus sei- Hauptakteuren wie Gerhard Richter und nen Gesprächen mit Walter Grasskamp Susanne Hausammann Neo Rauch beobachtet. Seine zwischen bisher noch nicht bekannte und für die Von Gott reden, heißt: 1999 und 2007 in der Frankfurter Allge- Entwicklung seines Werks wesentliche in Bildern reden meinen Zeitung veröffentlichten glänzen- Details: Die 14 Kapitel des Bandes sind Mythologien und begriffliche Spekula- den Porträts von Künstlern wie Francis an Zimmers biographische Stationen tionen im frühchristlichen und byzanti- Bacon, Georg Baselitz und Sophie Calle angelehnt und spiegeln nicht zuletzt die nischen Weltbild und die Botschaft des schürfen in der Tiefe und zeigen Zusam- Zahl der Stationen des Kreuzwegs. So Fünften Ökumenischen Konzils von 553 menhänge von Person und Werk auf, war bisher bekannt, dass Zimmer nach V&R unipress, Göttingen, 2007, ISBN

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 41 978-3-89971-349-7, 133 S., Hardcover, Doxa (Glorie, Herrlichkeit) als Angeld die Geschichten hinein, probiert sie an gebunden, Format 24,6 x 17,1 cm, künftiger Vergöttlichung schon in die- und probiert sich selbst mit ihnen aus. € 34,--(D)/€ 35,-- (A)/SFR 60,-- sem Leben erfahrbar und erstrebbar … Gantenbein probiert Geschichten im Denn auch wenn man anerkennt, dass Konjunktiv aus; der vorliegende Band Rudolf Bultmann hat 1925 in seinem unsere Begriffe Gott nicht zu umfassen diskutiert, ob Geschichten die Wirklich- Aufsatz „Welchen Sinn hat es, von Gott imstande sind und wir bezüglich Seines keit nur spiegeln oder ob Wirklichkeit zu reden?“ das Dilemma jeder mensch- Wesens nur sagen können, was Er nicht nur in der Brechung von Geschichten lichen Rede von Gott auf den Punkt ge- ist, erschöpft sich gemäß der Sicht der zugänglich ist. bracht, wenn er schreibt: „Versteht man neuchalkedonischen Theologie des Kon- Peter Müller erörtert unter anderem die unter ‚von Gott’ reden, über Gott’ reden, zils von 553 die Gotteserkenntnis doch Frage, ob Sprache Wirklichkeit konstitu- so hat solches Reden überhaupt keinen nicht in dieser Einsicht. Vielmehr wird iert, weiter die Entwicklung des Begriffs Sinn… Denn wo überhaupt der Gedanke das menschliche Bemühen um die ratio- ‚Metapher’ und die Verbindung von ‚Gott’ gedacht ist, besagt er, dass Gott nal-logische Annäherung an Gott … von Metapher und Erfahrung, Kreativität und … die Alles bestimmende Wirklichkeit Gott selbst dadurch ergänzt, dass Er sich Interaktion. „Wenn die Metapher Un- sei“. Gott kann also nicht zum Objekt unserer Erfahrung mitteilt, wann und wo vereinbares so zusammenfügt, dass eine menschlichen Denkens werden. Gleich- Er will, wobei wir voraussetzen dürfen, bisher nicht bekannte Perspektive eröff- wohl hat man so etwas wie Erfahrung dass Er, der die Wahrheit ist, Sich nicht net wird, dann gehören Interaktion und mit Gott und muss deshalb auch über widerspricht“ (Susanne Hausammann). Kommunikation zu ihren Merkmalen. diese Erfahrungen in menschlichen Wor- Begriffliche Spekulationen und Mytholo- Die traditionelle substitionstheoretische ten reden können. gien werden dabei ihrer wörtlichen Ver- Auffassung … kann deshalb nur einen Für Susanne Hausammann spiegelt sich bindlichkeit und Autorität entkleidet und Teilbereich metaphorischer Rede abdek- das von Bultmann beschriebene Dilem- zu Metaphern, Bildern und Gleichnissen ken. Wichtiger wird die Interaktion zwi- ma schon in der Entwicklung ab, die dem zurückgestuft, die zwar Orientierung schen bisher verschiedenen Sinnbezirken Fünften Ökumenischen Konzil von 553 ermöglichen, aber nicht beanspruchen der Sprache und Erfahrungsbereiche. Sie unter Kaiser Justinian vorausgegangen können, das göttliche Wesen und Wirken hat eine erhellende und eine kommuni- ist. Im zweiten bis sechsten Jahrhundert vollständig und adäquat zu erfassen. Von kative Funktion“ (Peter Müller). Hans- prallen einerseits eine fundamentalisti- Gott zu reden, heißt also weiter: in Bil- Joachim Werner diskutiert die Bedeutung sche Schriftgläubigkeit und Gesetzlich- dern reden. von Bildern und Gleichnissen für die keit aufeinander, die an der griechischen (ham) Philosophie; Claus Günzler plädiert da- Philosophie geschulte Mönchsväter und für, die Platonferne einer methodenorien- Kirchenlehrer des vierten Jahrhunderts tierten Akutpädagogik durch eine Neube- als ‚Anthropomorphismus’ tadelten, weil Peter Müller (Herausgeber) schäftigung mit Platons Höhlengleichnis damit Gott und das Göttliche vermensch- Geschichten sind ein Kleid der Wirk- zu überwinden. licht und verweltlicht wird;andererseits lichkeit Joachim Kettel untersucht Erzählungs- ein symbolisches Schriftverständnis, Gleichnisse in Theologie, Philosophie, formen, die unter anderem im Werk der das in den Augen anderer die Gefahr Literatur und Kunst deutsch-amerikanischen Künstlerin Kiki in sich schließt, die göttliche Botschaft Hodos – Wege bildungsbezogener Ethik- Smith zu finden sind. „Ihre bildhaueri- willkürlich umzuinterpretieren und forschung in Philosophie und Theologie, schen Arbeiten beschäftigen sich im Re- heidnischen Mythologisierungen sowie Band 5 kurs auf die Erzählformen Märchen und philosophischen Spekulationen zu verfal- Hrsg. vom Institut für Philosophie, Theo- Mythos vornehmlich mit Verwandlungs- len (Susanne Hausammann). Das Fünfte logie und Hodegetik der Pädagogischen motiven und Materialisationsprozessen. Ökomenische Konzil führt das Konzil Hochschule Karlsruhe Hierbei artikulieren sie im Wesentlichen von Chalkedon entgegen der dominie- Peter Land – Europäischer Verlang der zwei Körperkonzepte in Übergangssi- renden Auffassung insofern weiter, als es Wissenschaften, Frankfurt/Main, Berlin, tuationen des Traumatisch-Realen oder das „wahrer Gott“ in der Frömmigkeit, Vern, Brüssel, New York, Oxford, Wien, des Fantastisch-Magischen. Die Arbeiten in der personalen Begegnung mit dem 2007, ISBN 978-3-631-55790-7,149 S., zeigen sich als ein Fließen zwischen dem Göttlichen greifbar werden lässt. „Mit 8 s/w-Abbildungen, 3 Grafiken, Bro- körperlich Realen und dem bezeichneten dieser Frömmigkeit, die in der Begeg- schur, Format 21 x 14,8 cm, € 29,80 Körper als Bereich kultureller Repräsen- nung mit Christus Gott selbst nahe zu (D)/€ 30,70 (A)/SFR 44,-- tation“ (Joachim Kettel). kommen suchte, verband sich ferner (ham) auch eine andere Gotteslehre als sie der Der Titel ‚Geschichten sind ein Kleid westlich-chalkedonensische Glaube der Wirklichkeit’ variiert einen Satz aus voraussetzte. Bei allem Festhalten an Max Frischs Roman „Mein Name sei Das Jahrhundert der Bilder der Unfassbarkeit, Unbegreifbarkeit Gantenbein“. Dort sagt der Protagonist 1949 bis heute und Unendlichkeit Gottes … wurde von sich selbst: „Ich probiere Geschich- Hrsg. von Gerhard Paul eine gnadenhafte Schau der göttlichen ten an wie Kleider“, dann schlüpft er in Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen,

42 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 2008, ISBN 978-3-525-30012-1, 798 S., ein Zimmer vermieten?“ mit dem unter- nicht drin. So wird dem Bettler, der mit ca. 500 s/w- und Farbabbildungen, Hard- legten Bild von Albrecht Dürers Mutter offener Hand um einen Groschen bettelt, cover gebunden mit Lesebändchen und und die Aufnahme des von der RAF beschieden „Heute nicht“ (2007, In- Schutzumschlag, Format 26,3 x 20 cm, entführten Hanns Martin Schleyer vom stallation, Text, Digitalprints, variabel). € 39,90 (D)/€ 41,10 (A)/SFR 69,- 6.9.1977. Aus dem Zeitraum 2000 bis Eine üppige 45-Jährige stellt auf dem heute bleiben unter anderem die Bilder Liebeslager fest „dass es niemanden gibt, Der auf zwei Bände angelegte Bildatlas von der Zerstörung der Twin Towers am der zu mir passt“ (‚Ich habe erfahren’, des 20. und beginnenden 21. Jahrhun- 11. September 2001 und der 2005 von 2007). Eine andere Frau sucht nach ei- derts legt die europaweit erste Bildge- der dänischen Zeitung Jyllands Posten nem Mann, der sie versorgt. Samstags schichte vor. Der vorliegende Teilband ausgelöste Karikaturenstreit in Erinne- trinkt sie durch (‚Heute nicht….’, 2007). erlaubt und ermöglicht eine Wiederbe- rung. Der von Sabine Schiffer und Xenia In ihren Abschiedsbriefen spielt Birgit gegnung mit den wesentlichen Bildern, Gleißner differenziert nachgezeichnete Brenner in Version 1 die Variante „Gebt die die Zeit zwischen 1949 und heute Streit um die Mohammed-Karikaturen Euch keine Schuld“ durch. In Version 4 geprägt haben. Die Auswahl verdankt hält im Ergebnis unter anderem fest, dass lässt sie den Protagonisten feststellen: sich einem weiten Bildbegriff, „der im sowohl die Bilder als auch die Reaktio- „Ihr seid von meiner Gegenwart befreit“. Einzelfall neben zweidimensionalen auch nen auf ihre Veröffentlichung bestehende In Version 9 spricht er davon, dass er dreidimensionale Bilder in Gestalt von Vorurteile gegen den jeweils anderen gehen muss. „Es ist nicht böse gemeint. Skulpturen, Denkmälern und architekto- Kulturkreis bestätigt haben, dass die Vom Himmel aus will ich alles wieder nischen Symbolen“ ebenso einschließt Schnelligkeit heutiger Mediensysteme gutmachen“. Ironie oder Sarkasmus fin- wie unterschiedliche Bildgattungen polarisierende Tendenzen verstärken und det Brenner uninteressant. „Zynismus – von der Karikatur über die Fotografie dass die westliche Berichterstattung der kann interessant sein, kann einem aber bis hin zum Film-, zum Fernseh- und Vielschichtigkeit der Diskussionen und auch auf die Nerven gehen. Zyniker ohne zum digitalen Bild-Gemälde sowie Bild- Reaktionen in Ländern mit mehrheitlich Selbstironie ertrage ich überhaupt nicht“ träger – von der Lithografie über die islamischer Bevölkerung alles andere als (Birgit Brenner). Ihren Studenten an der Bildpostkarten, das Plakat usw. (Gerhard gerecht geworden ist. Diese Feststel- Kunstakademie Stuttgart empfiehlt sie Paul). Der Band unterscheidet zwischen lung unterstreicht die Forderung, dass Tempo. „Kunst ist ein Konkurrenzge- Medienikonen, Schlagbildern, Schlüssel- die Realgeschichte des 20. Jahrhunderts schäft … Die Armutsquote in der Kunst bildern, Bildclustern und den postmoder- um ihre Bildgeschichte erweitert werden ist extrem hoch. Es gibt keine Garantie, nen virtuellen Bildwelten des Internet. muss. „Eine Geschichte des 20. Jahrhun- damit jemals sein Leben zu finanzieren. Der Bilder-Kanon versteht sich als eine derts erscheint daher nur als interdiszipli- Dementsprechend musst du eine Beses- Momentaufnahme des kollektiven Bild- när ausgerichtete Visual History denkbar, senheit mitbringen, sonst ist es besser, gedächtnisses zu Beginn des neuen Jahr- zu der alle Disziplinen einen Beitrag zu gar nicht damit anzufangen …“ (Birgit tausends. Schließlich zeichnet der Bild- leisten vermögen“ (Gerhard Paul), also Brenner) Auf die Frage, ob es atlas auch die Geschichte der in diesem auch Disziplinen wie die Kunstgeschich- in ihrer Biografie gibt, in denen sie die Zeitraum gestaltenden Bildmedien und te, die Medienwissenschaft, die Kom- Entscheidung getroffen hat, Kunst zu Bildpraxen nach. Zu den das Jahrzehnt munikationswissenschaft, die moderne machen, erzählt sie von ihrer Großtante, 1949 bis 1959 prägenden Bildern ge- Ethnologie, die Theaterwissenschaft, die die Malerin war und von der Scheidung hören unter anderem die Bilder von der Soziologie und die Politikwissenschaft. ihrer Eltern. „Als ich fünf Jahre alt war, Unterzeichnung des Grundgesetzes und (ham) ließen sich meine Eltern scheiden, ich der Wahl des ersten Bundespräsiden- blieb bei meiner Mutter und begann, ten, das Bild von der Doppelhelix und Bilder an meinen Vater zu malen … Im das Siegtor von Helmut Rahn zum 3:2 Kunstwerkstatt Birgit Brenner Kunstunterricht bin ich den Lehrern nicht beim Fußball-Weltmeisterschafts-Finale „Mehr Glück ist nicht drin“ als übermäßig erfolgreich aufgefallen. Es Deutschland gegen Ungarn am 4.7.1954 Hrsg. von Marion Taube und Christina dauerte noch ein paar Jahre, bis ich nach in Bern. Dem Zeitraum 1960 bis 1969 Bylow dem Ende meiner ersten Liebe wieder werden die Che- und Mao-Ikonen ebenso Prestel Verlag, München, Berlin, Lon- obsessiv zu malen begann. Der Schmerz zugerechnet wie Thomas Hesterbergs don, New York, 2008, ISBN 978-3-7913- hatte plötzlich ein Ventil“ (Birgit Bren- kollektiver Rückenakt von der Kommune 3950-4, 74 S., 65 Abbildungen, davon ner). 1 vom Juni 1967 und die Eddie Adams- 50 in Farbe, Pappband, Format 26 x 22,5 (ham) Fotografie von der Erschießung eines cm, € 39,95 (D)/SFR 68,-- Gefangenen am 1.2.1968 in Saigon. Zum Zeitraum 1970 bis 1979 gehört So richtig wohl fühlt man sich vor Bir- Kunstjahr 2008 Willy Brandts Kniefall am Denkmal git Brenners Installationen, Fotografien Die Zeitschrift, die Bilanz zieht des Ghettoaufstands am 7.12.1970 in und Prints nicht. Immer muss man mit Nr. 8 Warschau, Klaus Staecks Grafik, Plakat Abstrichen, größeren und kleineren Ka- Hrsg. von Wolfgang Henze, Ingeborg und Postkarte „Würden Sie dieser Frau tastrophen rechnen. Mehr ist im Leben Henze-Ketterer, Gabriele Lindinger,

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 43 Karlheinz Schmid für ihn wesentlichen Kunstereignisse der auch der Darstellungs- und Ausdrucks- Verlang Lindinger + Schmid, Regens- letzten 12 Monate, nachrichtenswerte formen der Pornographie bedienen. Aber burg 2008, ISBN 978-3-929970-72-2, Ärgernisse wie die Zensur, der sich der Pornographie ist nicht schon aus sich 320 S. Broschur, zahlreiche s/w- und inzwischen weltweit agierende umtrie- selber heraus Kunst. Farbabbildungen, Format 34 x 24,1 cm, bige Schwabe Michael Schultz in China (ham) € 32,-- ausgesetzt sah, Ausstellungsgroßereig- nisse wie die Manifesta im Trentino, Wer sich im weltweit florierenden und den Künstler des Jahres Olafur Eliasson Olaf Probst völlig unüberschaubar gewordenen Sy- und weiteres Berichtenswertes aus den Soll und Haben stem Kunst zutraut, jährlich neue Trends Feldern Markt, Museen, Sammler, Archi- Ein indexikalischer Zwischenbericht und Tendenzen auszumachen, begibt sich tektur, Mode und Design. Der vorliegen- Teil 1: Soll, reihe mono / stereo / Bd. 2 auf ein riskantes Feld. Denn für die je- de und die Vorgänger-Bände sind jetzt gutleut verlag, Frankfurt/M., 2008, ISBN weils angesagten Trends und Moden gibt schon zum unverzichtbaren Dokument 978-3-936826-52-4, 204 S., zahlr. s/w- es immer auch Gegenmoden und Gegen- geworden, auch wenn bisher der euro- Abbildungen, Broschur mit zum Schutz- trends. Auch die lassen sich belegen. zentrisch-westliche Blick dominiert. umschlag gefalteten Plakat, Format 24 x Wie dem auch sei: Jörg Restorff macht (ham) 17 cm, € 20,-- für 2008 einen Hang zum Voyeurismus Teil 2: Haben, reihe mono / stereo / Bd. 2 aus: „Nackt, (schein-)tot oder Kind: Das gutleut verlag, Frankfurt/M., 2007, ISBN sind die drei favorisierten Optionen, mit Marc Weis und Martin de Mattia (Hg.) 978-3-936826-53-1, 192 S., zahlr. s/w- denen Künstler den auf normwidrige Pie Bible Abbildungen, Broschur mit zum Schutz- Bilder erpichten Voyeur im Betrachter Institut für moderne Kunst, Nürnberg, umschlag gefalteten Plakat, Format 24 x wecken“. 2008, ISBN 978-3-938821-81-7 17 cm, € 20,-- Restorff sieht seine These unter anderem ca. 350 S., 57 Künstlerbeiträge, zahlrei- Beide Bände zusammen im Schuber mit durch Gregory Crewdsons Tableau ei- che s/w- und Farbabbildungen, Hardco- allen auf ein Plakat gedruckten Abbil- nes Schuljungens bestätigt, der auf dem ver, gebunden mit Lesebändchen, Format dungen und Werken und einer Legende, Schulweg gebannt auf eine nackte Frau 20,5 x 15 cm, € 39,-- gutleut verlag, Frankfurt/M., 2008, ISBN in der geöffneten Tür eines Wohnwagens 978-3-936826-51-7, € 39,-- starrt. Weiter durch Loretta Luxs Fotose- Der Titel „Pie Bible“ bleibt uneindeutig rien und nicht zuletzt auch durch Marina und irritierend. Er spielt mit dem eng- Für Aurelius Augustinus stehen Zeichen Abramovics Serie von Kindersoldaten. lischen pie und der Vorstellung von der für Sachen, die außer ihrer sinnenfältigen Dorothee Baer-Bogenschütz macht da- Bibel als einer Sammlung von Büchern. Erscheinung aus ihrer Natur heraus auch gegen einen „Run auf die Installations- Pie steht unter anderem für die Pastete, noch andere Gedanken nahe legen. So kunst“ aus und Wolfgang Ullrich erklärt die Obsttorte und die Elster. Printers- lassen Spuren auf Tiere und Rauch auf Jeff Koons’ für 23 Millionen Dollar ver- pie bedeutet Wirrwar, Durcheinander, Feuer schließen. steigertes „Multiple Hanging Heart“ und Verwirrung. Und „to have a finger in the Aus Olaf Probsts doppelbändigem Werk Damien Hirsts diamantenbesetzten To- pie“ heißt „die Hand im Spiel haben“. ‚Soll und Haben’ könnte vielleicht auf tenkopf „For the Love of God“ zu Ikonen Laut Verlagswerbung wurden Künstler ein Werk über Buchhaltung und die des Kapitalismus und zu Sinnbildern für gebeten, erste wichtige Erfahrungen in dort übliche Unterscheidung zwischen der Macht des Geldes. Liebe und Sexualität in Zeichnungen, Sach- und Zeitbuch geschlossen werden. Für Friedhelm Mennekes kehren die Beschreibungen, Collagen und Erlebnis- Im Sachbuch werden die Ausgaben und Geistlichen in der Kunst in einer ge- berichten festzuhalten. Einnahmen eines Jahres systematisch wissen Regelmäßigkeit wieder: Auf die Die Ergebnisse sind in die bibliophil aus- nach Sach- und Themengebiet geordnet, französischen Dominikaner-Patres Cou- gestattete „Pie Bible“ eingeflossen. Sie im Zeitbuch nach ihrem Anfall innerhalb turier und Regamey folgte in St. Stephan, erinnert in Aufbau und Machart an ein eines Jahres. Wer Sach- und Zeitbuch ne- Wien, Monsignore Mauer und dann nicht mehr ganz harmloses Poesiealbum. beneinander liest, kann jederzeit Rechen- er selber, zunächst von 1979 an in der Nach dem Wunsch der Herausgeber soll schaft über den Stand seiner jeweiligen Frankfurter Pfarrei St. Markus und seit die Pie Bible ausdrücklich im Verborge- Finanzen ablegen. 1987 in der Kölner Kirche St. Peter. Die nen aufbewahrt werden. Um Rechenschaft geht es auch in Olaf evangelischen Hauptakteure verschweigt Die Beiträge unter anderem von Emanu- Probsts Doppelwerk. „….Soll und Haben er. In der später „Kunststation St. Peter elle Antille, Birgit Brenner, Jeanne Faust, fasst wesentliche Seiten und Betrachtun- genannten Kirche waren nicht mehr „Il- Michael Kalmbach, vom Atelier van gen meines Werks der letzten 25 Jahre lustration oder Repräsentation … gefragt, Lieshout, von Jonathan Meese, Gert und zusammen. Es liegt nun gegliedert nach sondern voraussetzungslose Begegnung Uwe Tobias und von Ralf Ziervogel spie- zeitlichem Einsetzen von 19 Verfahren in der künstlerischen Intervention im len mit den offenen Grenzen von Kunst, vor. sakralen Raum“. Der Band, der Bilanz Sexualität und Pornografie. Andere Bei- Diese Verfahren entsprechen den Formen zieht, dokumentiert darüber hinaus die träge überschreiten sie. Kunst kann sich meiner Gesten von links nach rechts,

44 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 zwischen vorn und hinten, schnell und er u.a. seine Zeichnungen lagert. Seine verbinden. Was man soll, hat man“ (Olaf langsam, oben und unten“ (Olaf Probst). Grauwerte wie der für seine Ausstellung Probst im Spätherbst 2008 an den Autor). Der Untertitel ‚Ein indexikalischer im Hospitalhof Stuttgart 1997 geschaffe- (ham) Zwischenbericht’ legt nahe, Probsts ne Grauwert ‚t.o. O.T.’ entstehen aus der Werkverständnis in der Nahe der von computergenerierten tendenziell unend- Charles Sanders Peirce begründeten und lichen Aneinanderreihung von ‚t.o.O.T.’ Kennen Sie Fräulein Hoffnung? von Rosalind Krauss und anderen weiter und erzeugen Tapeten, aus denen einheit- Predigten über Glaube, Hoffnung, Liebe entwickelten Zeichentheorie anzusie- lich graue Farbräume geschaffen werden. und nicht nur diese drei deln und mit Michel Foucault nach den Erst wer sich durch die nicht bedruckten Hrsg. von Petra Bahr und Christhard-Ge- rätselhaften und dynamischen Kräften Ränder dieser Tapeten irritieren lässt org Neubert unterhalb der Oberfläche der scheinbar und die nur scheinbar einheitliche graue Stiftung St. Matthäus und Kulturbüro der klaren und in sich logisch einander zuge- Tapete aus allernächster Nähe anschaut, EKD, Berlin, 2008, ISBN 3-9809943-3- ordneten Zeichen zu fragen. hat die Chance, die Arbeit als Kunstwerk 3, 72 S., 17 s/w- und Farbabbildungen, Das von Probst seit seinem Studium in zu dechiffrieren. Bedeutung entsteht Format 21,6 x 21 cm, € 12,-- den 1980er Jahren an der Stuttgarter in dieser Arbeit tatsächlich durch die Akademie der Bildenden Künste und an schiere materielle Präsenz der aneinander Nach einer Reihe zum 400sten Geburts- der Pariser Sorbonne entwickelte künst- gereihten Zeichen ‚t.o.O.T.’ Aber schon tag von Paul Gerhardt widmen die Stif- lerische Zeichensystem kann als Teilhabe das bei Kunstwerken verwendete Kürzel tung St. Matthäus und das Kulturbüro an der unendlichen Weiterverweisung ‚o.T.’ und seine Umkehrung deutet an, der EKD Wolfgang Hinrich Wichern von vorgängigen und noch kommenden dass auch dieser Grauwert nicht in seiner neun Predigten. Wichern wäre 2008 200 Zeichensystemen, als Teilhabe an der materiellen Präsenz aufgeht. Als Verweis Jahre alt geworden. Er gilt als Vater der Semiose verstanden werden. Die Fra- auf die im Kunstsystem übliche Abkür- modernen Diakonie. Predigerinnen und ge ist aber, wie die Zeichen bei Probst zung von Arbeiten ohne Titel verweist er Prediger wie Wolfgang Huber, Ellen tatsächlich verstanden werden sollen. auf die symbolische Kommunikation im Ueberschär und Christoph Markschies Für Charles Sanders Peirce verweist System Kunst. reflektieren eigene Zugänge zu Tugenden das ‚icon’ auf die Ähnlichkeit zwischen Olaf Probsts 1996 aus Schrottteilen für wie Mäßigung, Demut und denken Wi- Zeichen und Referent. Der ‚index’ beruht Artheon und die Evangelische Akademie cherns Antwort auf die soziale Frage ins auf einer Zeigefunktion und das ‚sym- in Tutzing geschaffene Wortskulptur 21. Jahrhundert eigenständig weiter. Ar- bol’ ist auf eine Konvention oder Regel ‚Teile von Schönem’ weist in dieselbe beiten aus der Ausstellung „Kunst trotz(t) zurückzuführen. Rosalind Krauss schlägt Richtung. Sie spielt mit aus Schleifpro- Armut“ schlagen eine Brücke zur künst- vor, unter Indexikalität eine Bedeutungs- zessen aus Schrottteilen gewonnenen lerischen Beschäftigung mit dem Thema produktion zu verstehen, die mit schierer Buchstaben, deren semantisch sinnvoller und öffnen den Band für alle Sinne. physikalischer Präsenz arbeitet. „Im Kombination und dem Verweis auf den (ham) Unterschied zu Symbolen stellen Indexe seit der Antike ununterbrochen fortge- ihre Bedeutung über die Achse einer setzten Diskurs um das Schöne. Diese physikalischen Beziehung zu ihren Re- Arbeit hätte zwar auch von einem an- Gisela Greve ferenten her. Sie sind Markierungen oder deren Autor entwickelt werden können; Bilder deuten Spuren einer bestimmten Ursache, und sie lebt aber in der für Tutzing gefunde- Psychoanalytische Perspektiven auf die diese Ursache ist das Ding, auf das sie nen Gestalt von der Autorenschaft des Bildende Kunst verweisen, das Objekt, das sie bezeich- Künstlers und dem ihm zur Verfügung Vandernhoeck & Ruprecht, Göttingen, nen. Zur Kategorie des Index würden stehenden Material. Deshalb erscheint 2009, ISBN 978-3-525-45182-3, 171 wir physische Spuren (Fußspuren z.B.), es sinnvoll, Olaf Probsts künstlerischen S., 4 s/w- und 30 Farbabbildungen, Bro- medizinische Symptome… rechnen. Umgang mit Zeichen als den Versuch zu schur, Format 20,4 x 12,1 cm, € 19,90 Schatten können ebenfalls als indexika- sehen, die materiellen, sozialen und kul- lische Zeichen von Objekten gelten…“ turellen Subtexte in eine bedeutungsge- Die Psychoanalytikerin Gisela Greve (Rosalind Krauss, Anmerkungen zum nerierende Form und Gestalt zu bringen, ist davon überzeugt, dass sich mit dem Index, 1977). die den Autor auch noch in der scheinbar professionellen Instrumentarium der Für die mit der schieren physikalischen rein materiellen Präsenz des Abdrucks Psychoanalyse neue Zugänge zu Kunst- Präsenz operierende Bedeutungsproduk- und der Spur erkennen lässt. Die Spur werken aller Epochen erschließen lassen. tion in Olaf Probsts Werk würde etwa die verweist auf das Tier, Rauch auf Feuer Sie kann sich dabei auf Sigmund Freud Produktion seiner Boxen sprechen, die er und Olaf Probsts ‚Soll und Haben’ auf berufen, der in seiner Arbeit „Der Mo- aus Druckplatten u.a. für seine Grauwer- den Autor und seine Existenz. So gese- ses des Michelangelo“ von 1914 nahe te und Bücher herstellt. Die Boxen sind hen verbindet Probst bei seinem Umgang legt, dass auch die (unbewusste) Absicht für ihn Teil seines skulpturalen Werks mit Zeichen vormoderne, moderne und des Künstlers wie jede andere Tatsache und dienen ihm darüber hinaus als her- postmoderne ästhetische und hermeneuti- des seelischen Lebens erfasst und be- metisch abschließbare Räume, in denen sche Traditionen. „Was man hat, soll man schrieben werden kann. Für Greve ist es

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 45 selbstverständlich, dass Psychoanalyti- kannt. Überraschend ist aber dann der Der Kalender wird über das Jahr 2009 ker zuerst auf die bewusst erfassbaren Vorschlag, mit den Instrumenten der hinaus in Gebrauch bleiben. Elemente eines Kunstwerks eingehen, Psychoanalyse unter die von Andy War- (ham) bevor sie in die Tiefe unbewusster hol immer neu betonten Oberflächen zu Anteile eintauchen. Deshalb eröffnet blicken. Bekanntlich hat Warhol empfoh- sich für sie ein erster Zugriff auf die len, man brauche nur auf die Oberfläche Marc Jongen (Hg.) Kunstwerke über deren Formalelemente, seiner Gemälde und seiner Person zu Der göttliche Kapitalismus also über ihre Materialien, ihre Kom- sehen, wenn man etwas über ihn wissen Wilhelm Fink Verlag, München, 2007, positionen, ihre Farbgebung usw. Ein wolle. „Das bin ich, dahinter versteckt ISBN 978-3-7705-4368-7, 61 Seiten, zweiter Zugang arbeitet mit der Analyse nichts“. Greve macht in und hinter diesen kartoniert, Format 21,5 x 13,5, € 9,90 von Gegenübertragungsreaktionen der Oberflächen paradoxe Verschränkungen Betrachter. Ein dritter Zugang fragt nach (Anonymität-Individualität, Gefühllo- Der schmale Band protokolliert ein Ge- den biographischen Hintergründen der sigkeit-Emotionalität und Zeitlosigkeit- spräch über Geld, Konsum, Kunst und schöpferischen Ideen der Künstler und Vergänglichkeit) aus und deutet sie als Zerstörung mit Boris Groys, Jochen Hö- damit nach den unbewussten Anteilen Tarnung einer abgründigen Wirklichkeit. risch, Thomas Macho, Peter Sloterdijk im Werk. Das noch im 19. Jahrhundert Warhols „schöpferischer Kraft könnte es und Peter Weibel. Marc Jongen postuliert von Christian August Semler in der gelungen sein, mit der Oberfläche einer in seiner Einführung den Kapitalismus Deutung von nichtmenschlichem Anteil widersprüchlichen Realität in seinen Bil- als religiöses Phänomen, für den drei der Natur hoch geschätzte träumerische dern eine darunter liegende unheimliche wesentliche Eigenschaften gelten: Er ist Ahnungsvermögen, die Reverie hat für innere Wirklichkeit mit einem schwer eine reine Kultreligion ohne theoretische Greve eine Verwandtschaft mit der Fä- aushaltbaren Grauen vor dem Nichts, Rechtfertigung, er ist permanent und er higkeit von Müttern, sich träumerisch in vor Verschwinden und Tod in Schach zu „wirkt nicht erlösend oder versöhnend, die Gefühlswelten ihrer Kleinkinder hin- halten“ (Gisela Greve). sondern verschuldend und letztlich auch einzuversetzen. Deshalb schlägt Greve (ham) zerstörend“. Sloterdijk beschwört in sei- als vierten Zugang die Reverie vor. Sie nem Statement einen „demokratischen macht es dem Betrachter möglich, etwa Autoritarismus“, der sich, von Singapur „ein Landschaftsbild oder zum Beispiel Kalender für das Jahr 2009 ausgehend, immer weiter ausbreitet und auch ein Abendrot in der Natur (als) Feste und Feiertage der Religionen der der „holistische und autoritäre Denk- sinnerfüllt zu erleben“ (Greve). Die skiz- Welt formen an die Stelle des Liberalismus zierten Zugänge erlauben es, Arbeiten Hrsg. von Josef Peter Jeschke und Hans- setzt“. unter anderem von Jan Vermeer, Caspar Joachim Simm Boris Groys beschreibt sarkastisch eine David Friedrich, Adolf Menzel, Claude Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag Gesellschaft, die durch eingebildeten Monet, Joseph Beuys und Andy Warhol Frankfurt/M./Leipzig, 2008, ISBN 978- Geldmangel strukturiert und paralysiert psychoanalytisch, aber in transdisziplinä- 3-458-71015-8, 248 S., zahlr. Farbabbil- ist. Thomas Macho spricht von einer rer Absicht zu deuten. Dass Themen wie dungen, Leineneinband, Lesebändchen, „Kulturalisierung des Kapitalismus“, der Zerstörung, Schmerz, Depression und Format 21,5 x 13 cm, € 16,80 ständige Unsicherheit und in der Be- ihre Bewältigung bei Joseph Beuys einen völkerung den Wunsch nach autoritären biografischen Hintergrund hatten, dürfte Das hervorragend gestaltete und ausge- Strukturen erzeugt. Peter Weibel erkennt allgemein bekannt sein. „Für Beuys wa- stattete Buch ist mehr Wochen-Brevier eine „Krise der Konsumption“ und Jo- ren Leben und Werk … nicht zu trennen. als Kalender für den täglichen Gebrauch. chen Hörisch verbündet sich mit dem Analog der wahrscheinlich unbewussten Für jede Woche wird ein besonderer Satanischen des Kapitalismus, um daraus Abwehrleistung war es auch auf der be- Fest- oder Gedenktag aus einer Religion Gutes zu schaffen. wussten Ebene immer derselbe Impuls, hervorgehoben und durch Bild und Text Das Büchlein ist leider zu schmal, um der Josef Beuys nicht zur Ruhe kommen charakterisiert. Im Tageskalender wird an das Thema auch nur annähernd hinrei- ließ: Er wollte die Welt verbessern und die anstehenden Feiertage der Religionen chend zu behandeln und dient allenfalls erneuern … Meines Erachtens schöpfte erinnert. So ist der christliche Gründon- als Appetithäppchen für eine vertiefende er seine Energie aus der Abwehrkraft nerstag 2009 zugleich der erste Tag des Beschäftigung. Vor allem die allzu kurze der Verzweiflung. Damit hat er sich jüdischen Passahfests, der Geburtstag Thematisierung von möglichen Utopien verausgabt“ (Gisela Greve). Dass sich des hinduistischen Affengottes Hanu- endet in der deprimierenden Einsicht des Caspar David Friedrichs „Kreidefelsen man-Jayanti und der Neujahrstag des vollständigen, alternativlosen Sieges des auf Rügen“ mit dem Tod seiner Mutter, Theravada-Buddhismus. In der Kar- und Kapitalismus, der nur durch eine Kata- zweier Schwestern und dem Tod seines Pessachwoche erinnert eine Miniatur aus strophe biblischen Ausmaßes abgelöst jüngeren Bruders verbinden lassen – der in der British Library London auf- werden kann. letzterer hat ihn beim Schlittschuhlaufen bewahrten Ashkenazi Haggada aus dem (Michael Reuter) vor dem Ertrinken gerettet und ist dann 15. Jahrhundert an die Zwangsarbeit der selber ertrunken – ist schon weniger be- Juden in Ägypten.

46 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Peter Friedl eine Bereicherung und „sehr, sehr oft ein „Bastionen verlogener Bürgerlichkeit“ Working at Copan großartiger visueller Genuss“ sei. gefallen. Sternberg Press, Berlin, 2007, ISBN Seine Erfahrungen im Auktionswesen Das eigentliche Problem des Buches ist 978-1-933128-37-5, englisch/spanisch, befördern schlichte, wahre Einsichten sein Beharren auf veralterte und stellen- 256 Seiten mit acht s/w-Abb., kartoniert, über die zeitliche Abhängigkeit von weise arg schwülstige Ansprüche an die Format 21 x 14 cm, € 20,-- kunsthistorischen Qualitäts- (und damit Kunst: „Sprengkraft“, „Freiheit“, „ (...) Preis)findungen. wir spüren, dass die Kunst von Wahrheit Der österreichische Künstler Peter Friedl Es ging und geht immer nur um den handelt“, „Tabus verletzten“, „Es musste betätigt sich als Archäologe einer Zu- Ruhm eines Künstlers, geändert haben sein!“ Der Autor „spürt“ und „meint“ kunft, die noch nicht eingetreten ist. Aus- sich durch die Jahrhunderte nur die Unglaubliches und behauptet, dass „mitt- gehend von einer kurzen Beschreibung Methoden zu Erlangung desselben. lerweile praktisch überhaupt niemand der Maya-Ruinen von Copán schlägt er Unverwechselbar und einmalig soll es mehr Verständigungsschwierigkeiten“ in Volte zu dem in den frühen 50er Jah- sein, Landschaften lassen sich besser mit der Kunst von Jackson Pollock habe. ren entstandenen Apartmenthaus „Edifì- verkaufen als Porträts, der Besitzer will „In Wahrheit begeistern sich Millionen cio Copan“ des brasilianischen Architek- mit dem Bild renommieren, zum Sofa für zeitgenössische Kunst“ fabuliert ten Oscar Niemeyer. soll es passen und einen Namen soll der Ressler und verweist auf die banalen Etwa 5000 Menschen leben heute in dem Künstler haben. Wenn es öfters mal in Kunst-Events von Christo und Jeanne- riesigen Komplex und bevor dieser in einer Ausstellung hing, umso besser. Ob Claude. ferner Zukunft ebenfalls zur Ruine wird Bockwurst oder Gemälde, ein Markt ist Und dabei hat es so nett angefangen... und im Dschungel verschwindet, führte ein Markt. Das Kapitel „Kunst=Kapital“ (Michael Reuter) Friedl Gespräche mit Angestellten des ist mit Abstand das Beste. Hauses. Klemptner, Elektriker, Sekre- Gleich im folgenden Kapitel tärinnen und Manager geben Auskunft „Kunst=Macht“ ist es mit der Nüchtern- Christian Saehrendt/Steen T.Kittl über ihre Tätigkeit und berichten über die heit vorbei. Ressler beschreibt Bilder Das kann ich auch! organisatorischen Strukturen, die ein so als Wahrheitserzeuger und Waffen, die Gebrauchsanweisung für moderne Kunst großes Objekt gegen das ständig hinein- jedoch in letzter Zeit ihre Schärfe ein- DuMont Literatur und Kunst Verlag, drängende Chaos schützen. zubüßen scheinen, weil die verblödeten Köln, 2007, ISBN 978-3-8321-7759-1, Seine Recherchen hätte Peter Friedl Massen keine geistigen Ansprüche mehr 248 Seiten mit 51 Abb., Klappbroschur, besser zu einem Zeitschriftenartikel an die Bilderflut haben. Format 21 x 13, € 14,90 verdichten sollen. Für eine vollwertige „Vor die Wahl gestellt, greifen die mei- Buchveröffentlichung reicht die Fakten- sten Menschen nach dem, was anstren- Was denn nun?! Auf der einen Seite lage nicht aus. gungsfrei, friktionsfrei, frustrationsfrei zieht sich die Überzeugung von Marcel (Michael Reuter) zu haben ist“. Kein Bildungsbürgertum Duchamp – „Die Betrachter machen weit und breit, intellektuelle Gähnung die Kunst“ – als roter Faden durch das grundlos. Hier setzt Ressler an und respektlose Buch. Auf der anderen Seite Otto Hans Ressler verbeißt sich in einen vage verorteten, haben sich diese Betrachter, nach Ansicht Der Wert der Kunst schöngeistigen Grundklang menschlicher der Autoren Saehrendt und Kittl, damit BöhlauVerlag Wien, Wien, 2007, ISBN Existenz, der dem betäubten Couch-Kre- abzufinden, dass alles Kunst ist, was im 978-3-205-77669-7, 248 Seiten., gebun- tins leider verlustig gegangen ist. Wir institutionellen Rahmen ausgestellt wird. den, Format 24 x 16cm, € 24,80 brauchen die Kunst „weil sie uns fühlen „Das kann ich auch!“ widmet sich mit lässt, wozu wir imstande wären (...) Die Humor und Sarkasmus dem kryptischen Der Autor des Buches wurde 1948 in Bestimmung unserer Art ist die Kunst. Geplapper von Kunstkritikern, seziert Österreich geboren und ist seit 1993 Das Ziel der Evolution ist die Schön- den erfolgreichen Aufbau von Künstlern Geschäftsführer eines Auktionshauses, heit.“ Oha! als Marke und demaskiert den gemeinen das auf österreichische Kunst der letzten Dass die Kunst zur geistigen Überwäl- Vernissage-Hopper als eifrigen, aber zwei Jahrhunderte spezialisiert ist. So tigung immer seltener in der Lage ist, häufig recht uninformierten Worthülsen- weit, so angenehm unaufgeregt. Mal lastet der Autor nicht etwa der Kunst an, bastler. keine zeitgeistige Auseinandersetzung die stets todesmutig in unbekanntes Ter- Das anekdotenreiche Buch, mit einem mit dem delirierenden Kunstmarkt, son- rain vorstürme, um die Menschheit mit Hauch zu viel Polemik, ist ein erster der gleich zu Beginn viele Fragen nach „Verstörungen“ zu beglücken, „um die Weg für den verunsicherten, potenziellen dem woher und wohin der Kunst und des Wahrnehmungsfähigkeit zu vergrößern“, Kunstfreund, der sich bisher von den Künstlers. Dass die Weltformel auch in sondern der Unterhaltungsindustrie, die esoterischen Hohepriestern der Zunft diesem Buch nicht gefunden wird, stellt alles Neue sofort mit „Gier, Aggressivität verschrecken ließ. Er soll aus der „Un- Ressler bereits auf der zehnten Seite fest und Destruktion“ annektiere. Besonders tertanenposition“ gegenüber einem Werk und beschreibt den Umgang mit Kunst humorig wirkt die Behauptung des Au- befreit werden und auf Augenhöhe mit eher als ein „Vergnügen“, das immer tors, durch die Kunst seien bereits die Galeristen und Künstlern verkehren. Die

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 47 Kunst als Angebot zur intellektuellen Die „mäandernden Diskurse“ des Autors eines riesigen Medienspektakels“. Außer Auseinandersetzung. machen die Lektüre anstrengend, da einigen Negativbeispielen mag sich der Dass zwischen einem provokanten: „Ist jeder Gedanke nur als Sprungbrett zur Autor aber nicht zu Aussagen über eine doch alles Mist hier!“ und einer diffe- nächsten Karteikarte im Zettelkasten zeitgemäße und wertige Kunst hinreißen renzierten Auseinandersetzung mit aus- dient. Es bleibt der Eindruck versierter lassen. Am konkretesten wird noch sein gestellten Kunstwerken ein langer Lern- aber konstruierter Thesenbildung. protestantischer Arbeitsethos: Wenn prozess und eine große Neugier liegen, (Michael Reuter) schon Kunst, dann mit absoluter Hinga- wissen die Autoren. Beim Thema „Was be. macht gute Kunst aus und wie trennt (Michael Reuter) man die Spreu vom Weizen“ werden sie Wolfgang Ullrich schnell wortkarg und verweisen auf le- Tiefer hängen benslanges Lernen und mehrere tausend Über den Umgang mit der Kunst Corona Unger (Hg.) Jahre Kunstgeschichte. Da gefriert das Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2003, Paula Modersohn-Becker Lachen auf den Lippen und die Aussage ISBN 978-3-8031-2479-1, 189 Seiten, „Kunst ist doch das Allerschönste“ von Roger M. Buergel, dass zeitgenössi- kartoniert, Format 19 x 12, € 11,90 Briefe einer jungen Künstlerin sche Kunst Hingabe brauche, „jahrelange Insel Verlag, Frankfurt a.M. und Leipzig, Hingabe“, fällt aus des Betrachters Hirn Diese bereits 1993 erstmals erschienene 2007, ISBN 978-3-458-19299-2, 117 auf die vor ihm liegende Fernbedienung. Sammlung von Essays des 1967 gebo- Seiten mit 36 Abb., gebunden, Format Wie wenig der Umgang mit moderner renen Kunstwissenschaftlers Wolfgang 18,5 x 12cm, € 12,80 Kunst in den Köpfen der werktätigen Ullrich werkelt an der Zertrümmerung Massen verankert ist, trotz aller Schlag- lieb gewonnener Denkmodelle einer der „Ich bin glücklich, glücklich, glücklich.“ zeilen über Kunsthype, Auktionsrekorden bedeutendsten und lukrativsten Ersatz- schrieb Paula Modersohn-Becker ihren und dem Gerede über eine zukünftige religion unserer Zeit: der Kunst. Zurzeit Eltern im August 1897 nach Fertig- Gesellschaft, die sich nur noch über ihre erleben die Länder des sagenhaften stellung ihres ersten Pleinairporträts in kulturellen Leistungen definiert, zeigt das Wohlstands einen ungleichen Graben- Worpswede. total verunglückte Interview von Stefan krieg zwischen dem mafiösen Vieleck So eine starke Berufung möchte wohl Raab mit den Buchautoren. (http://tvto- aus Künstlern, Kunsthandel, Feuilleton, jeder in sich verspüren. Der kleine Band tal.prosieben.de/components/videoplay- Sammlern und Kuratoren, und einer klei- aus der Insel-Bücherei versammelt di- er/1058/1058-00-06-index.html) nen Schar von Kunsttheoretikern, denen verse Briefe der jung gestorbenen Ma- (Michael Reuter) das quasi-religiöse Getue zur Verkaufs- lerin. Die begeisterten Schilderungen förderung bemalter Leinwände ein Graus ihres voranschreitenden künstlerischen ist. Freilich gilt es für letztere, sich nicht Schaffens, ihre schwülstige Wortwahl, Ludwig Seyfarth dem „Das kann ich auch“ der Banausen ihr familiärer Konservatismus und ihre Unsichtbare Sammlungen anzubiedern, sondern in ihren Texten in Deutschtümelei sind von unfreiwilliger Kunst nach der Postmoderne den Ruinen alter Denkstrukturen eine Komik und kontrastieren stark mit ihrem Philo Fine Arts, Hamburg, 2008, ISBN neue, befreite und emanzipierte Kunst zu emanzipatorischen Wunsch nach beruf- 978-3-86572-641-4, 275 Seiten mit 43 suchen. Ullrichs Lieblingsruinen sind die licher Eigenständigkeit und persönlicher s/w-Abb., gebunden, Format 16,5 x 10,5 „Kunstbetrachtung als Frage der Moral“, Freiheit. cm, € 18,-- also die Unterwerfung des Betrachters Modersohn-Becker saß am Anfang des unter die nicht hinterfragbare Autorität 20. Jahrhunderts zwischen allen Stühlen. Das Buch enthält eine Sammlung von eines Werkes, der „Künstler als Revo- Ihre Sehnsucht „etwas zu sein“ wurde Texten des 1960 geborenen Kunstkriti- lutionär“, der aus innerer Berufung der von ihrer Umgebung stirnrunzelnd tole- kers Ludwig Seyfarth, der letztes Jahr Gesellschaft neue Wege in eine bessere riert aber nie wirklich akzeptiert. den mit 5000 € dotierten „Preis für Zukunft weisen zu können glaubt und (Michael Reuter) Kunstkritik“ erhielt. Eine bunte Mischung die vermeintlich singuläre und vom aus Themen wie „Über Berührungspunk- profanen gesellschaftlichen Miteinander te von Kunst und Kriminologie“, „Was abgehobene Kunst, die sich radikal und Ursula Voß malt Eberhard Havekost“ oder „Selbst- kompromisslos durchzusetzen vermag. Der Katzenkönig der Kinder bezüglichkeiten und Paradoxien in der Alles über die Jahrhunderte ausgeformte Balthus und Rainer Maria Rilke Kunst Nicola Torkes“. Die Laudatio Fehlkonstruktionen, die für das Heute Insel Verlag, Frankfurt a.M. und Leipzig, zum Kritikerpreis hebt seine intensive nicht mehr taugen, ja schädlich für ei- 2008, ISBN 978-3-485-19305-0, 126 Recherchearbeit und die „anregenden nen verantwortlichen Umgang mit der Seiten mit 14 Abb., gebunden, Format kunsthistorischen Referenzen“ hervor. Kunst sind. Ullrich freut sich daher über 18,5 x 12, € 12,80 Eva Schmidt spricht in ihrem Nachwort das vermeintliche „Ende der Überforde- von einer „fluktuierende(n) Kompilation rung“ des Kunstbetrachters und verortet Ein poetischer, detailversessener und in- der Bezüge“. die Künstler als „ein Modul innerhalb einander verschlungener Gedankenstrom,

48 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 der Personen, Sprachen, Orte und Zeiten Bildhauerin Susanne Tunn (Alfhausen/ geglaubt werden kann. Um an diesem traumwandlerisch zu einem literarischen Osnabrück) über ihre Krankenhauska- höheren Wissen teilhaben zu können, Wirbel verbindet, in dem sich Fiktion pelle im Neubau des Johannes Wesling muss ein Opfer der eigenen kritischen und Realität nur schwer trennen lassen. Klinikums Minden. Fähigkeiten dargebracht werden. Solche Die Autorin Ursula Voß konstruiert aus Die Abbildungen geben sowohl die er- Strategien findet der Verfasser auch in den künstlerischen und privaten Bezie- sten Skizzen aus dem Arbeitsbuch von anderen Bereichen, die nicht der Kunst hungen zwischen Balthus und Rilke ein Susanne Tunn als auch das Ergebnis aus angehören, an zwei Beispielen sei dies transzendente, von Kunst, Poesie und unterschiedlichen Perspektiven wieder, wiedergegeben: Im Bereich der Massen- einer irreal künstlerisch verfeinerten und machen so den vierjährigen Ent- medien werde eine Niveauabsenkung mit Lebensart ihrer Protagonisten durchdrun- wicklungsprozess dieser konsequent als dem Argument begründet, dass die Zu- gene Melange, die „zu einem Jenseits- Arbeit einer zeitgenössischen Künstlerin schauer diese Absenkung wollten, denn des-Wirklichen führt: dahin wo Kindheit konzipierten und realisierten Kapelle die Quoten belegen dies. Hier werde der sich abspielt“. deutlich, die sich in die Tradition der Markt als eine alles beherrschende Macht Ein Zitat, mit dem Voß die geheimnis- Künstlerkapellen seit dem 20. Jahrhun- angebetet, dem alle Opfer des Verstandes vollen Bilder von Balthus beschreibt, dert einordnen lässt. Es handelt sich um zu erbringen seien. das aber ebenso auf ihren eigenen Stil intensive, ins Bildmedium gebrachte Dasselbe beobachtet der Verfasser auch zutrifft. Die Verklärung und Wiederver- Studien über das verwendete Material im Bereich der Wissenschaft und stellt zauberung der Welt durch die Kraft der Holz und Stein. es anhand der Bologna-Kriterien für die schönen Künste. Eine gedanklich reiche Das Buch enthält ferner erläuternde Tex- Universitäten dar, an deren Versprechen aber auch beklemmend enge Welt, in der te von Jan Hoet, künstlerischer Leiter auf weltweite Zukunftsfähigkeit alle alles mit allem verwoben scheint. MARTa Herford und Jörg Mertin, ev. glaubten. (Michael Reuter) Theologe am Klinikum Minden. Durch die Verfehlung der versprochenen (Jörg Mertin) Ziele ist es sogar soweit gekommen, dass die Universitäten nicht einmal mehr Die Bibel in der Kunst in der Lage seien, ihre jetzige Situation Gemälde, Zeichnungen, Grafiken Christian Bauer angemessen zu analysieren. Die Strategie DVD ROM. Directmedia Publishing Sacrificium intellectus des sacrificium intellectus hat wieder GmbH, Berlin, 2005. ISBN 978-3- Das Opfer des Verstandes in der Kunst gesiegt. Dass man darauf aber nicht 936122-32-9, € 19,95 von , Botho hereinfallen muss – auch im Bereich der Strauß und Anselm Kiefer Religion nicht –, dafür führt er überra- Die DVD umfasst mehr als 2800 Dar- Wilhelm Fink Verlag, München, 2008, schenderweise Papst Benedikt XVI. an, stellungen biblischer Stoffe und Motive 221 S., € 29,90 der in seiner Regensburger Rede über vom frühen Mittelalter bis zum Beginn Glaube, Vernunft und Universität zumin- des 20. Jahrhunderts. Die Bilder lassen In seiner hiermit vorgelegten Disserta- dest für den Verfasser glaubhaft darlegt, sich nach verschiedenen Kriterien durch- tion stellt der Verfasser anhand von drei dass der christliche Glaubensanspruch suchen. Die Qualität der Abbildungen Künstlern – Karlheinz Stockhausen für darin bestehe, dass Vernunft und Glauben ist mittelprächtig bis grottenschlecht, die die Musik, Botho Strauß für die Literatur eine Einheit bilden. Denn die Vernünftig- Informationen spärlich, die Program- und Anselm Kiefer für die Malerei – dar, keit gehört zum Wesen Gottes. moberfläche spartanisch einfach. Wer wie diese Künstler durch ihre Kunst bzw. Da der Verfasser das sacrificium intel- sich im Thema auskennt, wird die DVD durch das, was sie selbst zu ihren Kunst- lectus in Medien, Politik, Gesellschaft, nicht brauchen, wer neu im Thema ist, werken sagen, von den Rezipienten ein Wirtschaft (Börse) und Künsten alltäg- wird keinen Nutzen aus ihr ziehen kön- sacrificium intellectus verlangen, weil, so lich gefordert sieht, sei zu erkennen, dass nen. You get what you pay for. seine Meinung, ihre Kunst dem Verstand weite Teile der Menschheit den Kontakt (Michael Reuter) und seiner ihm eigentümlichen Tätigkeit zur vernünftigen Seite des Glaubens ver- nicht zugänglich sei. loren haben. Ihre Kunstwerke könnten nur bewundert, Das mag wohl recht sein – oder ist es Susanne Tunn aber nicht verstanden werden. Erst durch nicht vielmehr so, dass viele den Kontakt Kapelle (Chapel) 2004-2008 das Bewundern könne man teilhaben zum Glauben an sich verloren haben? Artbook Verlag, Kirchberg (Österreich), an dem, was das Kunstwerk zum Aus- –, trotzdem wünscht der Rezensent dem 2008, druck bringe. Mit dieser Struktur des Verfasser, dass er hier nicht an den Fal- ISBN 987-3-9502570-2-1 sacrificium intellectus wird eine Welt schen geraten ist, wenn er glaubt, der 56 Seiten, gebunden, 27 Farbabbildun- von Ja-Sagern generiert, die jene Perso- Papst fordere trotz seiner Ausführungen gen, zwei Texte, Format 16x21 cm, nen benötigen, um glauben zu machen, kein sacrificium intellectus! € 14,00 höheres Wissen im göttlichen Auftrag Der Verfasser sieht die von ihm ange- vermitteln zu sollen, das dem Verstand führten Künstler als Medien des sacrifi- Das bibliophile Buch ist der Katalog der nicht zugänglich ist, sondern das nur cium intellectus. Es ist ihr Genie, das sie

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 49 zu Medien göttlicher Botschaft macht. Symbole und Allegorien, wie es deut- Denn Kritik könnte eine Nichtakzeptanz Entsprechend auktoriale Positionen neh- lich bei den Werken ‚Ausgießung’ und nach sich ziehen. men sie ein. ‚Auszug aus Ägypten’ zu erkennen ist. Für mich aber bleibt die Frage, ob hier Stockhausen gilt als der Erfinder der Er fordert von seinem Publikum, dass nicht eine Verstehenstotalität vorausge- Punktuellen Musik, der Aleatorik, der es seinen eigenen Vorgaben zu seinen setzt wird, die sich in der Lage sieht, al- Moment-Form, ist ein Pionier der Seri- Kunstwerken folgt, ohne dass es eine les zu verstehen und zu erklären, um erst ellen Musik, der Elektronischen Musik eigene Verstandestätigkeit bemühen dann „richtige“ Kunst erkennbar zu ma- und des Raumklangs und wird als ein soll; selbst die Kunstwissenschaftler und chen, die der Betrachter vor sich hat. Auf Ausnahmekünstler angesehen. Stockhau- Kunsthistoriker werden darauf verpflich- der anderen Seite gibt man dem Verfasser sens Aussagen zu seiner Musik sammeln tet, dem Künstler gegenüber loyal zu gerne recht, wenn man daran denkt, wie sich bisher in zehn Bänden mit dem Titel sein, um Kiefers Sinnstiftungsversuche so genannte Kunstliebhaber in gläubiger ‚Texte zur Musik’. Besonders an Stock- zu preisen. Der Verfasser beschimpft Hingabe und anbetungshaften Posen hausens Oper ‚Licht’ wird deutlich, dass sie als Messdiener einer kunstreligiösen sich gegenüber Kunstwerk und Künstler er sich als Vermittler göttlicher Botschaf- Weiheveranstaltung. Kiefer selbst als verhalten, dass es nur noch peinlich ist. ten sieht, ja, die Emanationslehre heran- Künstlerprophet beruft sich ihnen ge- Am Schluss steht aber doch die Frage zieht, um seine künstlerische Mission zu genüber auf eine höhere, transzendente im Raum, ob Wissenschaft – sei es die bekräftigen. Autorität. So kommt es zu einer gegen- Philosophie, sei es die Kunstwissenschaft Er greift hier auf jüdisch-christlich-gno- seitigen Beschwörung, einer einseitigen etc. – in der Lage ist, die Bedeutung stisch-neuplatonisches Geistesgut zu- Unterordnung und Anpassung, die der eines Kunstwerkes für die Gegenwart rück. Der Verfasser analysiert die Äuße- Verfasser als sacrificium intellectus be- „wissenschaftlich“ festzustellen. Da wird rungen Stockhausens dahingehend, dass zeichnet. der Verfasser angesichts seiner Aufdek- er Stockhausen als einen Gottesknecht in Das abschließende Kapitel seines Buches kung des sacrificium-intellectus-Strategie Anlehnung an alttestamentliche Vorbilder überschreibt der Verfasser mit dem Titel wohl auch mit einem „Nein“ antworten sieht, der sich nicht verstanden fühlt und ’Das Opfer des Verstandes auf den Al- müssen, denn davon ist in seinem Buch entsprechende Selbstrechtfertigungen tären der Kunst’. Hier legt er dar, welche nicht die Rede. Aber darüber reden jene, äußert, um Kritik abzuwehren. Erkenntnisse er aus seiner Untersuchung die sich mit Kunstwerken befassen: der Stockhausen formuliert es recht scharf, gewinnt, und lässt erkennen, was er als Künstler und der Kunstbetrachter! Sie wenn er sagt, dass die Menschen nach Autor will. sind sich offenbar einig, dass hier kunst- Glauben schreien, dass sie religiös be- Er will einen noch nicht erkannten religiöse Kräfte bestärkt werden. Um dürftig sind. Doch diese Erleuchtung, Mechanismus zur Durchsetzung von das zu verstehen (!), so wird geraten, diese Umkehr komme nicht vom Ver- anerkannten Kunstwerken aufzeigen, ja, müsse man die Kirchenväter lesen, denn stand, ja, man könne auf den Verstand er will entlarven. Und er ergründet die hier werde die Einheit von Glaube und ganz verzichten, um das zu erfassen, um allgemeine Zustimmung zu den Werken Vernunft thematisiert – womit wir wie- was es bei den göttlichen Mitteilungen von Stockhausen, Strauß und Kiefer mit der beim zu Beginn des Buches zitierten eigentlich geht. der Theorie, dass hier das Künstler-Genie Papst wären. Denn auch die hier behan- Der Verfasser sieht in Bothos Strauß in Zusammenhang mit einer romanti- delten Künstler verstehen sich als solche, Werk ‚Paare, Passanten’ das sacrificium schen Kunst-Religion durch bewusste die mit dem Höchsten und Absoluten in intellectus in der Weise gegeben, dass Opferung des Verstandes auf allgemeine unmittelbarem Kontakt stehen und sich Strauß seine Personen sehr produktiv Akzeptanz zielt. Dass das den Künstlern dem Publikum als auserwähle Gestalten werden lässt. Aber dadurch wird das ja auch gelingt, liegt offen auf der Hand, präsentieren. Denken verhindert. Es soll und darf sich sie setzen ihre Kunstwerke durch und (Jörg Neijenhuis) nichts mehr entwickeln. gelten als anerkannt, was der Verfasser Sehr deutlich wird diese Struktur in als Ergebnis dieses sacrificium-intel- Strauß’ Essay ‚Anschwellender Bocksge- lectus-Mechanismus intepretiert. Er Thomas Nisslmüller sang’. Strauß argumentiert intellektuell bemängelt, dass sich die Künstler nicht Homo audiens anti-intellektuell und bedient sich roman- ausreichend dem Denken, Reflektieren Der Hörakt des Glaubens und die akusti- tischer Vorstellungen. Er stellt sich als und auch Kritisieren stellen. sche Rezeption im Predigtgeschehen Außenseiter dar, als Verweigerer, was Dem Kritisieren versuchen Künstler sich V&R unipress, Göttingen, 2008, 464 S., der Verfasser als sacrificium intellectus offenbar zu entziehen, weil sie sich nicht ISBN 978-3899714210, Format 16,6 x interpretiert, da Strauß öffentlich mitteilt, verstanden sehen, und kritisieren wieder- 24,6 cm, gebunden, € 62,-- dass er bestimmte Dinge gar nicht wissen um die Kritiker. Aber eigentlich fürchten will. Vielmehr erkennt er Transzendentes sie sich vor der Wirkungslosigkeit, der Die Absicht dieser Habilitationsschrift ist im Immanenten, sehnt sich nach Mythos religiösen Wirkungslosigkeit ihrer Wer- es, die Wirkung des gepredigten Wortes und Einsamkeit und genießt es mit fro- ke, die sie mit dem Mantel des Sowieso- aus der Innenperspektive des Höraktes hem Herzen töricht zu sein. nicht-verstehen-Könnens meinen schüt- zu bedenken, der Predigtwirkung nach- In Anselm Kiefers Werk verweben sich zen zu müssen. zugehen und den Sinn des Hörens am

50 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Beispiel der Predigt zu reflektieren. Es Kristian Fechtner macht neu darauf das beispielsweise dem gegenwärtig in wird also der Mensch als Hörender in aufmerksam, dass sich das christliche, der Gesellschaft vorherrschenden rein den Mittelpunkt gestellt, aber auch die- kulturelle und individuelle Leben im ökonomischen und numerischen Zeit- ses Sinnesorgan im Kontext der anderen Rhythmus des Jahresablaufes und des verständnis entgegensteht. Im Horizont Sinnesorgane behandelt. Gleichwohl Festkalenders vollzieht. In der Literatur des Kirchenjahres gewinnen die Zeiten würdigt der Verfasser das Hören als ein zum Kirchenjahr ist das mit Ausnahme „einen besonderen Charakter, Übergänge Eckdatum des menschlichen Lebens und von Einzelstudien seither noch nicht werden begangen, unterschiedliche Le- des Christen überhaupt. Er spricht gar hinreichend bedacht worden. bensenergien werden in verschiedenen von der Inszenierungsgewalt des Hörens. Daher geht es ihm nicht vorrangig um Zeiten angeregt und freigesetzt“ (149). Damit wird auf das Predigtgeschehen re- die historische Herkunft und biblische Fechtner unternimmt einen entdeckungs- flektiert und als eine „Kunst des Hörens“ Grundierung der kirchlichen Traditionen, reichen Erkundungsgang durch das im in Worte gefasst. sondern um die gegenwärtige Bedeut- Vier-Felder-Schema angelegten Kirchen- Das als Hörspiel aufgefasste Geschehen samkeit des Kirchenjahres unter den jahr: Weihnachten, Ostern, Pfingsten, wird anhand des Lesens von biblischen Bedingungen der Spätmoderne. Fechtner Späte Zeit. Dabei konstatiert er eine Texten erfasst und zu einer Raum-Welt verwendet nicht nur praktisch-theologi- produktiv und situativ zu nutzende Span- des inneren Klanges aufgebaut, indem sche, sondern auch kulturanthropologi- nung zwischen dem Kirchenjahr der Got- z.B. das Hören als Simulation, Fiktion, sche, kulturwissenschaftliche und zeit- tesdienstbücher und dem gelebten Kir- Phantasiereise, gar als bildhauerische symbolische Einsichten. Dabei entstehen chenjahr, das sich in der „gegenwärtigen Tätigkeit, als autopoietisches System sehr lesenswerte und erhellende Miniatu- kirchlichen und kulturellen, individuellen beschrieben wird. ren, die einzelne Kirchenjahrsereignisse und familiären Lebenspraxis vielfältig, Dann wird eine Kartographie des Hörens auf dem Hintergrund von biblisch-theo- selektiv und mehrdeutig“ gestaltet (57). gar als Catwalk (gleichsam als Laufsteg) logischen Motiven in den Kontext der Das Weihnachtsfest wird klassisch als in 95 Modi angeboten, von denen zehn modernen Kultur und der gesellschaftli- gefühlvolle Familienreligion begangen genannt sein sollen: szenisches Hören, chen Entwicklung stellen. und ist „zugleich Ausdruck eines öffent- innovatives Hören, Bild-Hören, erregtes Der Autor berücksichtigt den Lebenszy- lichen Christentums und ein Element des Hören, Beschleunigungshören, Design- klus, das Festivitäts- und Zeitempfinden gesellschaftlichen Lebens“ (63). Empi- Hören, anteilnehmendes Hören, Galerie- und das Gegenüber von festlichem und risch dicht werden beschrieben: die Ver- Hören, transversales Hören, indifferentes alltäglichem Geschehen sowie die Ereig- weihnachtung des Advents, die Konzen- Hören. Anschließend werden die erreich- niskultur der Gegenwart, die so völlig tration auf den Heiligen Abend, Weih- ten Erkenntnisse mit der gegenwärtigen neu nicht ist. Schon immer wurde das nachten als Kindheitsroman und die kul- Homiletikdiskussion in Verbindung Kirchenjahr als „Teil der populären Kul- tur- und zivilreligiösen Transformationen gebracht. So kommt der Verfasser vom tur“ wie auch als „Ausdruck kirchlicher des Weihnachtsfestes. Die Deutung des Hören auf das Gehörte: In der Hörver- Praxis“ begriffen (56). Jahreswechsels anhand der Kultsendung arbeitung erarbeitet sich der Hörende Die Mehrheit richtet sich nach ersterem, „Dinner for one“ ist durchaus mit einer Wirklichkeit, gar Wahrheit. die Minderheit nach letzterem. Es wäre gewissen Leichtigkeit zu lesen, es muß Denn der Mensch tritt als weltvertex- einmal interessant, diese Mengenlehre nicht immer alles so bedeutungsschwer tende Instanz in Kontakt mit Gott und aus kirchlicher Binnensicht mit dem von im Kirchenjahr traktiert werden. zwar auf Augenhöhe. In diesem Hörspiel Paulus verhandelten Problem der Schwa- Gleichwohl gelingt es Fechtner auch konkretisiert sich Wahrheit, die Wirklich- chen und der Starken in eine praktisch- hierbei, kulturelle Bestände zu erheben keit stiftet. Der Verfasser fasst also das theologische Verbindung zu bringen. und fruchtbar für das Verständnis des Hören nicht als einen passiven Vorgang Fechtner nimmt den von Peter Cornehl Kirchenjahrereignisses zu machen. auf, sondern als ein Handeln. In der In- formulierten Tatbestand auf (47), daß in Die Sequenz Karneval – Passion – Ostern nenwelt des handelnden Hörers entsteht der Regel die „jahreszyklische Teilnahme ist für evangelische Kalendarien sicher- demnach eine Bühnenwelt, auf der sich an den Gottesdiensten“ kombiniert ist lich gewöhnungsbedürftig. das Gehörte abspielt und die den Verfas- mit der „lebenszyklischen Inanspruch- Mit Recht insistiert Fechtner: „Karfreitag ser veranlasst, eine auditive oder sono- nahme“ der Kasualien (Taufe, Konfirma- läßt sich nicht in ein verharmlosendes sphärische Anthropologie zu fordern. tion, Beerdigung). Dieses Teilnahmever- Frühlingsfest integrieren, es steht für die (Jörg Neijenhuis) halten ist nach Fechtner nicht defizitär, Konfrontation mit dem Leiden, für die sondern als eigenständige, legitime Form Gewaltsamkeit des Todes, für Abbruch, des spätmodernen Christentums zu wer- Schmerz und verhindertes Leben“ (106). Kristian Fechtner ten. Damit entspricht Fechtner dem aktu- Der Ostergedanke wird von Fechtner fol- Im Rhythmus des Kirchenjahres ellen Trend in der praktischen Theologie. gerichtig im Fokus des Übergangs vom Vom Sinn der Feste und Zeiten Jedoch betreibt der Verfasser keine Affir- Tod ins Leben begriffen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh mation um der Affirmation willen, son- Es fehlt allerdings das Ziel der Aufer- 2007, 184 S., ISBN 978-3-579-08022-2; dern hebt verschiedentlich das kritische stehung: die Erhöhung Jesu zur Rechten € 17,95 Sinnpotential des Kirchenjahres hervor, Gottes, die im Akt der Auferstehung

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 51 vollzogen und im NT nicht gerade selten zeigt sich nicht nur in der mangelnden rein archivarischen Kirchenjahrdarstel- thematisiert wird. Hierzu wäre von der Akzeptanz im partizipatorischen Verhal- lungen und ist uneingeschränkt für all Glaubenswelt der Orthodoxie sicherlich ten, sondern ebenso in der theologisch diejenigen zu empfehlen, denen das Kir- viel zu lernen. völlig unreflektierten Rede von Pfingsten chenjahr bereits am Herzen liegt oder die Ein Streifzug durch die populäre Reli- als Geburtstag der Kirche. Immerhin las- sich dafür zu interessieren beginnen. giösität erfolgt, indem von Fechtner die sen sich bei Fechtner wenigstens Ansätze (Jörg-Michael Bohnet) Rezeption von Ostern in Bild am Sonn- erkennen, Pfingsten theologisch und tag analysiert wird. Letztlich kommt es liturgisch vom ursprünglichen Sinngehalt Fechtner angesichts der Osterbräuche her zu bestimmen. Arnold Angenendt darauf an, dass sie transparent auf den Die späte Zeit des Kirchenjahres wird Toleranz und Gewalt christlichen Sinnhorizont sind. Dass markiert durch die immer häufiger got- Das Christentum zwischen Bibel und Popularisierung nicht Anbiederung zu tesdienstlich begangene Einschulung, Schwert bedeuten hat, macht der Verfasser an Erntedank als Familiengottesdienst, Aschendorff, Münster, 4. Aufl., 2008, einem Beispiel deutlich: „Es könnte sein, Reformationstag, Buß- und Bettag, To- ISBN 978-3-402-00215-5, 799 S., daß die Osternachtfeier das Ereignis, das tensonntag. € 24,80 gefeiert wird, heute Menschen tatsäch- Während der Reformationstag angesichts lich gerade deshalb näher bringt, weil der Konkurrenz von Halloween aufge- Mission als Zwangsbekehrung, Hexen- sie in ihrer Form anspruchsvoll fremd wertet und wieder frequentiert wird (Lu- verfolgung, Kreuzzüge und Inquisition bleibt“ (109). therfilm, Church Night), leidet der Buß- sind in der aktuellen Diskussion über Pfingsten gehört in die Urlaubszeit, der und Bettag an weiterer Auszehrung. Es religiöse Gewalt beliebte Schlagwörter, Mutter- und Vatertag wird zelebriert, ist sympathisch, wenn Fechtner festhält, um die Gewaltbereitschaft und man- der Pfingstmarkt inszeniert. Himmelfahrt dass Buße bis auf weiteres „eine offene gelnde Toleranz des Christentums zu ist ein verklingendes Fest. Was bleibt Frage“ bleibt. Das gilt in unserer Ge- betonen. Angenendt geht dieses Thema am spezifisch pfingstlichen Gehalt des sellschaft ja nicht nur im Blick auf den geschichtswissenschaftlich an und unter- Kirchenjahres eigentlich noch übrig? Kirchenjahrkalender. Der Totensonntag sucht in einzelnen, sehr umfangreichen Daß in der Pfingstzeit das Christentum wird als kirchlich zeitgenössische Trau- Kapiteln, Religionszwang, Schwertmis- „gleichsam (religions-)mündig“ wird er- und Erinnerungskultur beschrieben, sion, Inquisition, Kreuzzüge, Juden- (113), ist eine merkwürdig blasse Ant- in welcher die „individuelle Trauer einen feindschaft und Sexualfeindlichkeit. Der wort, deren Abstraktion umso mehr auf- gemeinschaftlichen Resonanzraum“ Autor fördert in der Auseinandersetzung fällt, als Fechtner den Heiligen Geist als (142) bekommt. mit den Quellen und der Fachliteratur „göttliche Lebenskraft“ definiert, „die in Sicher hätte dabei die Sinnperspektive Erstaunliches zu Tage. Mit gängigen Vor- der Gemeinschaft Jesu Christi wirksam des Ewigkeitssonntages und die Hoff- urteilen wird begründet und faktenori- … und spürbar wird und über sie hinaus- nung auf Auferstehung mehr Berücksich- entiert aufgeräumt, die dem Christentum strahlt“. tigung finden können. millionenfach Gewaltverbrechen und In- Eben das möchte man gerade zu Pfing- Die letzten Seiten seines Buches widmet toleranz unterstellen, um die Aufklärung sten nicht nur erläutert bekommen, son- Fechtner sehr ansprechenden Gedanken in einem umso helleren Licht erscheinen dern auch erleben: „In dieser Kraft er- zur fremden Heimat Kirchenjahr: „Das zu lassen. Totgeschwiegen wird dabei neuert sich menschliches Leben, brechen Kirchenjahr bildet im Unterwegs des die Guillotine und die Aussendung von Menschen ins Leben auf“ (114). Wie Jahreslaufs Wegstationen und Durch- Totenkopfkommandos (!) in der französi- konkretisiert sich das im gottesdienstlich gangsorte, an denen man dann und wann schen Revolutionszeit, die Massenmord gefeierten Pfingstfest? Dies ist das Pro- verweilt. Dazwischen liegen Wegstrek- begangen haben. blem, das auch Fechtner sieht. „Anders ken. Manche dieser Orte werden nur von Dem Historiker kommt es nicht darauf als zu Weihnachten oder Ostern findet wenigen angesteuert und befinden sich an, einfach Opferzahlen miteinander zu sich heute kaum noch traditionelles, aber abseits der Route, andere sind populäre verrechnen oder die Inquisition schön- ebenso wenig modernes Pfingstbrauch- Anlaufstellen, allesamt sind sie Unterbre- zureden. Ein Beispiel: Die römische tum“ (115; vgl. auch 116f). Der Verfasser chungen des übrigen Lebens. Einkehren Inquisition, die insbesondere wegen den verweist auf den Zuwachs an spirituel- kann man da und dort, man bleibt aber Verurteilungen von Giordano Bruno und lem Interesse. Weiter stellt er fest, dass Gast“ (154). Galileo Galilei berühmt-berüchtigt ist, gerade in der nachpfingstlichen Zeit In den Anmerkungen und in der Aus- hat sich zwischen 1542 und 1761 wegen vermehrt Kasualien nachgefragt sind und wahlbibliographie sind viele und auch direkter Glaubensvergehen insgesamt die Urlauber sich für religiöse Themen aktuelle Literaturangaben zu finden. 97 Hingerichtete zuschulden kommen öffnen können. Fechtner hat ein sehr wichtiges Buch lassen. Gleichwohl bleibt Pfingsten eine Pro- zum Kirchenjahr geschrieben, das auch Dieses Thema ist konfessionsneutral blemzone in der Abfolge des Kirchen- zeitdiagnostischen Wert hat und an- zu betrachten, denn in der Reformati- jahres, die auch durch den Event des schlussfähig zur modernen Lebenswelt onsgeschichte sieht es nicht viel anders Kirchentages nicht aufgelöst ist. Das ist. Es unterscheidet sich wohltuend von aus. In Zürich sollen von 1526 bis 1745

52 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 insgesamt 84 Hinrichtungen von Gottes- Dialog der Religionen hierzulande christ- werden erläutert, sowie „Shintoismus“, lästerern vollzogen worden sein, denen licherseits die Naivität aufzugeben und „Tibetische Religion“, „Voodoo“ und auch teilweise andere Verbrechen ange- sich der Wirklichkeit zu stellen. „Inkulturation“. Die Religionsstifter Mu- lastet worden sind. So ist im Grunde der (Jörg-Michael Bohnet) hammad, Buddha und Zarathustra sind Einzelfall im Institutionengeflecht und vertreten. Exegetische Artikel sind breit im Kontext der herrschenden Rechtsmei- gestreut (z.B. Jahwe, Paradies, Vaterun- nung sowie zeitgenössischer Anschau- Taschenlexikon ser). Wer eben mal einen Vortrag oder ungen zu untersuchen. Angenendt stellt Religion und Theologie einen Exkurs zu Abraham, Mose, Petrus Vergleiche mit staatlichen Gerichtsbar- Hrsg. von Friedrich Wilhelm Horn und und Paulus halten soll, kann die Artikel keiten an, die brutaler vorgegangen sind. Friederike Nüssel; fünfte, völlig neu als Aufriss verwenden. Der Beitrag über Der Kommentar lautet: „Die Inquisition bearb. und erw. Aufl. (Redaktion Tina „Jesus Christus“ von Jens Schröter ist war nicht das, als was sie gemeinhin gilt, Bruns) ganz hervorragend. Im Artikel „Predigt“ verfuhr in Wirklichkeit rechtsbewußter Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen von Birgit Weyel wird mit Recht von und weniger grausam als die sonstige 2008, 3 Bände, 1 Registerband, 1464 S., der Kanzelrede „mehr Anschaulichkeit Justiz. Es wäre historische Voreingenom- ISBN 978-3-525-50124-5, € 79,-- und Konkretheit, Verständlichkeit und menheit, solches nicht anerkennen zu Bildhaftigkeit“ gefordert (S. 943). Das wollen. Theologisch indes muß die Ant- Dieses Taschenlexikon (TRT) ist ein Kirchenjahr ist präsent und die Themen wort anders ausfallen: Wie konnte sich Erfolgsmodell. 1971 erschien es in der der Praktischen Theologie. Von der in einer Kirche, die auf Gewaltlosigkeit 1. Aufl., 37 Jahre später nun schon in der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht verpflichtet sein wollte, sich zudem als 5. Aufl., die völlig neu bearbeitet ist. Die spannen sich die traditionellen dogmati- von Gottes Geist geleitet sah und sieht, drei Textbände mit insgesamt 500 Arti- schen Topoi. Protestantische, katholische … solches ereignen“ (293f)? keln sind höchst informativ und gerade und orthodoxe Themenfelder werden Im Zusammenhang der Hexen- und in ihrer komprimierten Diktion gut les- umschritten. Kirchen-, theologie- sowie Hexerverfolgungen stellt der Verfasser bar. Im Vorwort heißt es: Das TRT „dient kulturgeschichtliche Epochen sind dar- heraus, daß es zu Progromen in der Be- der Grundinformation über alle zentralen gestellt. Prägende Theologen – Augustin, völkerung gekommen ist und vor allem Themen im Bereich von Religion und Karl Barth, Thomas von Aquin, bis hin die staatlichen Behörden das Hexertum Theologie, die in Schule und Unterricht, zu Huldreich Zwingli – werden gebüh- als justiziables Verbrechen behandelt im Studium der Theologie, der Religi- rend berücksichtigt. Auch ethisch aktu- haben: „Zauberei galt allgemein als teuf- onswissenschaft oder der Judaistik, in der elle Themen wie „Armut“ und „Gerech- lisch, wegen des Teufelspaktes als Glau- Erwachsenenbildung“. Mehr als hundert tigkeit“ sind besprochen. Institutionen bensaufkündigung, wurde aber kirchen- Autorinnen und Autoren, die zumeist im tauchen auf (Lutherischer Weltbund). offiziell nicht mit dem Tode geahndet, akademischen Lehrbetrieb tätig sind oder Termini der Judaistik werden bündig allerdings nicht deswegen, weil man die es waren, haben die Basisinformationen erläutert (Midrasch, Mischna, Halacha, Todesstrafe grundsätzlich für bedenklich verfasst. Viele der Lexikographen sind Zionismus). gehalten hätte, sondern weil man bei im betreffenden Themenbereich mit einer Das Lexem „Serafim“ gehört allerdings Hexerei den erforderlichen juristischen oder sogar mehreren Veröffentlichungen nicht in das TRT, sondern in das Bibel- Erweis für unmöglich hielt“ (317). bereits hervorgetreten und haben eine lexikon. Sondergemeinschaften sind Wer in Zukunft über Gewalt und To- hohe Sachkompetenz (z.B. Albrecht beschrieben: Adventisten, Mormonen, leranz im Christentum sachinformiert Beutel „Aufklärung“, Ulrich Heckel „Se- Freimaurer, Christliche Wissenschaft. mitdiskutieren will, muss sich mit die- gen“, Wolfgang Zwickel „Tempel“, Kok- Es fehlen die Zeugen Jehovas und die sem Buch beschäftigt haben, das strek- ku von Struckrad „Astrologie“). Manche Volksmission. Das ist einigermaßen kenweise bedrückend zu lesen und mit Autoren wie Marco Frenschkowski kurios, weil jedem zum Thema Sekten Empathie verfasst worden ist. Die Ar- („Vision“) und Christine Axt-Piscalar spontan die Zeugen Jehovas einfallen, gumentation zeichnet sich auch dadurch („Sünde“) haben über dasselbe Stichwort worüber aber man meist nichts Präzises aus, dass der Autor nicht nur an Belegen Artikel in den großen und umfangreichen weiß. Die Volksmission entwickelt sich aus der Quellenüberlieferung und der Lexika verfasst (Religion in Geschichte verstärkt zu einem Konkurrenten der Darstellung von Forschungsliteratur in- und Gegenwart, Theologische Realenzy- Volkskirchen, über den man einfach Be- teressiert ist, sondern immer wieder den klopädie). Das bürgt für erstklassig kom- scheid wissen sollte. biblischen, kulturellen, interreligiösen primierte Qualität. Es ist erfreulich, dass das Lexem Him- Horizont aufsucht und hermeneutisch-ge- Die Nutzer finden moderne Stichwörter mel auftaucht, wenn auch nur in der schichtliche Überlegungen zur Freiheits-, (Lebensqualität, Genethik, Genderfor- Zusammenstellung „Himmel und Hölle“. Toleranz- und Gewaltthematik anstellt. schung, Sterbehilfe, Globalisierung). Das ist eine lexikographische Fehlent- Dieser Themenkomplex wird künftig Fachrichtungen werden vorgestellt (Re- scheidung, wie bereits der erste Absatz noch massiver eine Rolle spielen. Die ligionspädagogik, -philosophie, -psy- dieses lesenswerten Artikels von Gudrun profunde Aufklärung durch Angenendt chologie, -soziologie). Religionswissen- Guttenberger deutlich macht. In der verhilft außerdem dazu, im notwendigen schaftliche Begriffe wie „Animismus“ volkskirchlich-aufgeklärten Predigtkultur

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 53 werden Engel und Teufel oftmals totge- aktuelle Überblicksmonographie, ein diese Marginalisierung des Schönen An- schwiegen. So muss man sich über deren kompakter Aufsatz oder ein Aufsatzband. lass zur Sorge. Existenz anderweitig informieren; im Das genügt in der Summe. Verweise auf Hinter der Inflation des Schönheitsbe- Lexikon wird der Leser trefflich von Hei- andere Lexika-Artikel sind nicht notwen- griffs sieht er ein Verstummen vor der ke Omerzu und Peter Busch über diese dig. Gelegentlich machen die Literatu- Schönheit. Das Schicksal des Schönen biblischen Gestalten in Kenntnis gesetzt. rangaben keinen plausiblen Eindruck. Im wird ihm zur Gretchenfrage einer philo- Die Apokalyptik findet derzeit in Feuil- Artikel „Jüngstes Gericht“ ist ein einzi- sophischen Ästhetik. Dabei meint Pöltner letons und nicht nur im Wirtschaftsteil ger Aufsatz genannt, der aus dem Jahre weniger die theoretische Diskussion der Zeitungen viel Aufmerksamkeit. Was 1980 stammt. Ist seither exegetisch, um die Themen, wie sich die Kunst zur gibt es hierzu eigentlich in den Kirchen dogmatisch und mentalitätsgeschichtlich Philosophie oder die Naturschönheit zur zu hören? Substantielles im biblischen nichts Wesentliches beigetragen worden? Kunstschönheit verhält. Primär geht es Horizont steht im Eintrag „Apokalyptik“ Das Register könnte nutzbarer gemacht um die Beantwortung von zwei Grund- von Christfried Böttrich: „Für Jesus und werden, wenn die Seitenzahlen, die auf fragen, die einer philosophischen Ästhe- die frühe Christenheit ist apokalyptisches den Titeleintrag des Lexems hinweisen, tik heute aufgegeben sind. Diese Grund- Denken die prägende Form der Escha- fett gedruckt sind. Vielleicht wäre an fragen lauten: „Was heißt es, eine Erfah- tologie“ (S. 65). Das ist eine goldrich- manchen Stellen etwas weniger Fachter- rung mit dem Schönen zu machen? Was tige Feststellung angesichts kirchlicher minologie glücklicher gewesen. gibt diese Erfahrung zu denken?“ (S.20). Verdrängungsmechanismen und der Insgesamt bekommen die Nutzer viel Den Weg der Darstellung wählt Pöltner irreführenden Behauptung, Apokalyptik Substanz in den Artikeln geboten, die zunächst über einen ausführlichen ge- und Eschatologie seien grundverschie- sich über weite lexikographische Land- schichtlichen Teil von zwölf Kapiteln. den. Auch die Philosophie kommt nicht schaften erstrecken und sich rasch er- Seinen eigenen Neuansatz skizziert er zu kurz (Idealismus, Immanenz, Tran- schließen lassen. anschließend in zwei kurzen Kapiteln. szendenz, Identität). Mustergültig in der Dieses Lexikon gehört in die Handbi- Diese Aufteilung verwundert zunächst in konzentrierten Form ist etwa der kleine bliothek von Theologie- und Judaistik- ihrer Gewichtung. Pöltner aber versteht Artikel „Gesangbuch“ von Christa Reich, studenten, angehenden Religionswissen- den Durchgang durch die philosophi- der trotz der Kürze sehr anschaulich schaftlern, Pfarrern und Religionslehrern sche Geschichte als Aufarbeitung des bleibt. der Oberstufe. Auch in der Erwachsenen- Problemfeldes. Ästhetik beginnt für ihn Es finden sich immer wieder Beiträge, bildung lässt es sich bestens gebrauchen. nicht erst als Disziplin der neuzeitlichen die auf dem neuesten Stand der For- Der Rezensent machte die Probe aufs Subjektivitätsphilosophie, sondern be- schung sind. Beispielsweise sieht Rein- Exempel. Das TRT hat mit Erfolg be- inhaltet in seiner weiteren Bedeutung hard von Bendemann im Artikel über standen. alle geschichtlich auftretenden Formen „Römische Religion“ es für überholt (Jörg-Michael Bohnet) des Nachdenkens über das Schöne und an, wenn immer noch behauptet wird, die Kunst. Dabei hat Pöltner im Blick, dass diese „sich vorrangig im Befolgen dass es sich bei diesem Buch um einen ritueller Verpflichtungen und in rechtli- Günther Pöltner Grundkurs handelt. cher Bestimmung erschöpft“ und „kaum Philosophische Ästhetik Die einzelnen Darstellungen sind gut Merkmale primärer religiöser Erfahrung“ Grundkurs Philosophie Band 16 lesbar. Mit ausführlichen Zitaten ver- (S. 1041) aufgewiesen habe. Das Gegen- Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2008, mittelt er dem Leser ein Gespür für den teil ist der Fall und die herangezogene ISBN 978-3-17-016976-0, 268 S., 24,- € ursprünglichen philosophischen Gedan- Literatur belegt dieses. kengang. Der Übersetzung ist jeweils das In den exegetischen Büros des Neuen Te- Das Schöne liegt im Trend. Wer das Original beigefügt, wobei man auf eine staments hat sich das längst nicht überall Stichwort „Schönheit“ in eine der Such- Transkribierung des Griechischen wohl herumgesprochen. Umso rätselhafter ist maschinen des Internets eingibt, dem besser verzichtet hätte. die Frage, weshalb im wogenden Feld leuchten auf dem Bildschirm unzählige Pöltner setzt mit Platon ein. Von ihm ge- der Mittelmeerreligionen die christliche Angebote der Schönheitschirurgie ent- winnt er den Gedanken des Schönen als Religion so rasant aufblühen konnte. gegen. Facelifting, Fettabsaugen sind maßbestimmende Einheit. Dennoch ist Angesichts des real existierenden Chri- Signale eines Mainstreams, der sich dem anzufragen, ob sich nicht gerade für die stentums in weiten Teilen Deutschlands Kult der Schönheit ergeben hat. Andere Erkundung des ursprünglicheren Phäno- und anderswo ist diese Frage sicherlich Schönheitsverehrer verlegen ihr Praxis- mens des Schönen ein Ansatz im proto- nicht nur historisch von Interesse. feld lieber auf den Bereich des Schöner philosophischen Denken, etwa bei Pin- Mit weiterführenden Literaturverweisen Wohnens oder schließen sich in gemein- dar, stärker angeboten hätte. Denn schon sind die Beiträge teilweise reich unter- schaftlichen Anstrengungen zusammen, bei diesem spätarchaischen Dichter aus füttert. Die Literaturangaben sollten auf um ein Dorf schöner werden zu lassen. Theben wird das ephemere Dasein durch dem knapp bemessenen Raum jedoch Der Wiener Philosoph Günther Pöltner ein durchbrechendes Erstrahlen des Gött- einheitlichen Maßstäben genügen. kann allerdings darin keine Renaissance lichen zu einer nachdrücklichen Erfah- Ein Klassiker, ein Standardwerk, eine der Schönheit erkennen. Eher gibt ihm rung des Positiven gewendet, – ein Zug,

54 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 der sich im Erfahrungsbegriffs Pöltners Erfahrungen von den Alltagserfahrungen Margarete Luise-Goecke-Seischab, wieder finden wird. abgrenzt. Solche sind ein „Widerfahr- Frieder Harz Es folgen kurze Darstellungen des Schö- nis“, sie „durchkreuzen“ den Erfahrungs- Der Kirchenatlas nen bei Aristoles und Plotin. Ausführli- horizont. Daran anschließend leitet Pölt- Räume entdecken, Stile erkennen, Sym- cher widmet sich Pöltner Augustin und ner etymologisch „schön“ von „schauen“ bole und Bilder verstehen nimmt von ihm das Schöne als ein selbst- her. Schönheit ist für ihn keine objektive Kösel Verlag, München 2008, ISBN ergreifendes Staunenswertes auf (stupor Eigenschaft, noch wird sie im Subjekt 978-3-466-36788-7, 368 S., über 550 adprehendit me). Thomas von Aquin konstituiert. Zeichnungen und Fotos, Broschur mit schließt die Philosophen des Mittelalters Daher ist das Schöne für Pöltner im Klappumschlag, Format 24 x 16,5 cm, ab, der die Erkenntnis des Schönen in Grunde gar kein ästhetisches Phäno- € 19,95 die Einsicht in das Gegenwärtigsein von men. Schönheit ist kein Zustand, der im etwas Gegenwärtigen fasst. Ein Sprung Subjekt oder im Objekt zu verorten ist. Was der Titel verspricht, das hält dieses geht mit einem kurzen Reflex auf die Schönheit geschieht im Vollzug einer Buch. Ein Überblick über die Baustile florentinische Renaissance hin zu Hut- „energetischen Identität“, eines Zwi- und Epochen des Kirchenbaus und der cheson, Berkely und Baumgarten, der schen, in dem Subjekt und Objekt über- dazugehörigen Ausstattungsstücke geben Subjektivierung und ästhetischen Deu- haupt erst unterscheidbar werden und in Hilfe und Orientierung allen, die sich tung des Schönen. Die Darstellungen der dem Schönheit zur Geltung kommt als für Kirchen und deren Ausstattung inter- transzendentalphilosophischen Ästhetik eine Präsenzerfahrung, der Mitgegenwart essieren und über kein abgeschlossenes des Schönen bei Kant, Schiller, Schelling von Sein. Die angemessene Reaktion auf Studium der Kunstgeschichte verfügen. und Hegel konzentrieren sich auf die die Erfahrung von Schönheit ist Antwort, So ist dieses Buch auf der einen Seite Themen des Verhältnisses von transzen- Sammlung, ergriffenes Staunen. eine lesenswerte Lektüre, mit deren Hilfe dentalem Subjekt zum transzendentalen Der Anspruch, den Pöltner an seinen man mehr über den Stil einer Epoche Objekt, von Naturschönem zum Kunst- Neuansatz stellt, ist hoch. Er soll den erfahren kann und es ist zugleich vor Ort schönen, von Schönheit und Wahrheit. Subjekt-Objekt-Dualismus überwinden, eine Hilfe, um Dinge genau bestimmen Wegweisend für Pöltners eigenen Weg die Unterscheidung von Sinnlichkeit und zu können.Dabei sind die vielen Zeich- sind seine Pointierungen zur Philosophie Intellekt aufheben, die Trennung von nungen und die verständlichen Beschrei- der Kunst bei Schelling, nach dem sich Sein und Wahrheit beantworten. Der be- bungen für interessierte Laien eine wahre das Absolute als unendliche Affirma- grenzte Raum dieser Darstellung hat zur Fundgrube und ein echter Lesespaß, weil tion „affirmierend, als affirmiert und Folge, dass Pöltner Begriffe setzt, ohne man ständig das Gefühl des Wissensge- als Affirmieren, d.i. als Indifferenz von auf sie hin zu führen. Das gilt für den winns hat. beidem“ (143) begreift. Kunst ist somit Erfahrungsbegriff, das gilt insbesondere Klar wird dabei auch, dass es sich bei „die Darstellung der Indifferenz als sol- für die Kennzeichnung einer ursprüngli- Kirchenräumen um Gotteshäuser und cher“ (145), die der Idee der Schönheit chen Erfahrung. Man wird hierfür auf die nicht nur um Kunstwerke aus Stein und entspricht. früheren Arbeiten Pöltners zurückgreifen Glas handelt. Ein besonderes Lob ver- Spürbar als Gegenbild und mit kritischer müssen über Schelling und vor allem dient auch die gute Zusammenfassung Distanz folgen Abschnitte über Rosen- über Heidegger, der erstaunlich knapp und gelungene grafische Gliederung der kranz, Schopenhauer und Nietzsche, und in einer Einzeldarstellung gar nicht einzelnen Kapitel. die zu dem Fazit führen, dass durch den zur Geltung kommt, obwohl die Bezü- Kurz und gut, ein Buch das Lust auf ästhetischen Nihilismus eine Reduktion ge zu Heideggers Deutung der wahren Kirchenräume und Ausstattungsstücke des Seins auf das Faktische erfolgt und Kunstwerke als Epiphanie des Seins klar macht. Und, ein Buch, das einen mit Schönheit sich seitdem in einer Distan- vernehmbar sind. Auch ist die Diskussi- seiner Lust auf Neuentdeckungen auch zierung von Wirklichkeit konstruiert. Das on nicht zu Ende geführt, ob nicht durch nicht alleine lässt, sondern mit Reisetipps Schöne wird dadurch reduziert auf eine die Voransetzung der Erfahrung vor das versorgt. psychologische Bewusstseinstatsache sich entbergende Sein des Schönen doch Hier wäre wohl der einzige kritische oder eine Erregung von Gefühlszustän- noch ein Verbleiben in einer Subjektivi- Punkt dieses Werkes. Die Beschreibun- den. tätsimmanenz geschieht. gen sind zu kurz und vielleicht hätte Zum Abschluss seines geschichtlichen Es der gute Ertrag des Buches von man einige Seiten sparen können, wenn Durchgangs akzentuiert Pöltner bei Ad- Günther Pöltner, dass es pointiert in die man einfach parallel eine Internetseite orno das Erscheinen von einem „Mehr“ Fragestellungen einer Philosophischen geschaltet hätte ... und schon wäre das im Naturschönen, das durch das Kunst- Ästhetik einführt und ein solides Nach- Buch noch leichter als Reisegepäck zum werk nachgeahmt, sich jedoch einer be- schlagewerk bietet. Darüber hinaus regt Mitnehmen geeignet. Dennoch, diesem grifflichen Bestimmung entzieht. Pöltners eigener Ansatz neue Fragen an Buch kann man nur wünschen, dass es Für seine Neuformulierung einer philo- und motiviert, sich mit Hilfe dieses Bu- vielen Menschen den Zugang zu Kirchen sophischen Ästhetik nimmt Pöltner die ches für ein Studium der Originaltexte erleichtert. hohen und intensiven Erfahrungen zum gewinnen zu lassen. (Achim Meindel) Ausgangspunkt, die er als ursprüngliche (Heiko Naß)

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 55 Jorinde Gustavs oder „Kreuzwegtüchern“ ein. Verzerrte – 1928 begründet von Kirchen- und Mu- Original. Bilder aus Leben und Kunst oder in Teilen ausgerissene Stücke mit seumsleuten in der Kunststadt Dresden Statements in life and art Namensaufdrucken spiegeln individuelle, und in Nachkriegszeiten von der Evan- weiw publishers: Stralsund/Amsterdam, biblische, historische Situationen und gelischen Kirche der Union in Berlin 2008, 112 S. mit Abb.s/w und farbig, zumal Frauen-Personen wie in der Akti- wiederbegründet, war ein herausragender Leinen D/E, € 38,-- on „Moses Schwester“. Ort der Begegnung unabhängiger Geister Das Spiel zwischen Text und Textil in DDR- wie Nachwendezeiten. Dies Der Titel, anspruchsvoll, zeigt den nimmt Verse von Rilke, von Ingeborg zuletzt mit seiner Galerie DOMizil im Kampf um künstlerischen Freiraum und Bachmann („Bleibt endlich alles beim Berliner Dom, Spreeseite, eine Treppe. Unabhängigkeit an – und seinen Erfolg, Alten“ – dies auf einem Taufkissen) Dieser Kunstdienst ist seit Sylvester von dem dieses Buch zeugt. „Unser Hof und von Elfriede Jelinek ebenso auf wie 2005 abgewickelt. Des langjährigen in Grünhufe wurde mit seinen Sommer- doppeldeutige Sinnsprüche, die so als Leiters (bis 1995) Heinz Hoffmann – R. festen in den 70/80er Jahren ein Treff „Deckchen“ auf den gedeckten Tisch i. P. – ist an anderer Stelle dieses Heftes von Künstlern, Freunden und Geschwi- des Lebens kommen. Das Um- und gedacht. Mit ihm, dem Theologen, und sterfamilien. In diesem idyllischen, ar- Anspielen überlieferter Zeugnisse hei- dem Team in diesem ungewöhnlichen beitsreichen und alternativen Landleben misch-häuslicher Kultur und Tradition Unternehmen arbeitete zusammen, auch praktizierten wir ein langatmig lächeln- steht neben den Dokumenten der Wahr- das ungewöhnlich genug in den kirch- des Aussteigen aus dem politischen Ge- nehmung fremder Kulturen („Wir sind lichen Angestelltenregistern, ein Poet. horsam zur DDR-Politik“ (S. 8). Hierin Reisende – Möglich, daß wir den Hafen Man nannte ihn - bekennender Christ, ist dies Buch ein exemplarisches Doku- erreichen“), in Texten gedruckt auf Spit- Sozialist, Pazifist, somit durch alle Raster ment für die sich der kulturpolitischen zendeckchen, Schürzen und Kleidungs- fallend – in DDR-Zeiten den Psalmisten Regulierung entziehende Kunstszene, stücken: art is life, life is art. des Nordens. Nicht zu Unrecht. Seine die in Formen, Inhalten und Materialien Sprache ist genährt von der biblischen. ins Freie aufbricht. Charakteristisch ist Kirche und Kunst bei alledem – doppelt Und die liest er nicht nur in Luther- für Jorinde Gustavs der auch frauenpo- ist die Künstlerin in diese Stränge verwo- Deutsch sondern im Psalmen-Hebräisch. litisch bewusste Umgang mit Textilien ben (und hat sie der Tochter weitergege- Seine Sprache, früh auch geschliffen für – absichtlich „gebrauchten“ mit ihren ben, die nun Kunstbücher und Buchkunst Kinderbücher wie die sagenumwobene, Lebensspuren, der sie zur „Nähmaschi- macht): ein Großvater war Pfarrer an der Kinder und Schulklassen begeisternde nengrafik“ führte. Leipziger Nikolaikirche, und mütterli- „Emma, die Kuh“, nährt sich an Dich- cherseits geerbt sind Stoffstücke mit dem tern, die Hochsprachlichkeit und All- Die Elementares wie Intimes gleicherma- Emblem SvC - Schnorr von Carolsfeld. tagserfahrung auf einen Ton zu stimmen ßen mit sich transportierenden benähten Jorinde Gustavs hat aus ihrem Erbe vie- vermögen. Das mag Heinrich Heine wie Laken werden zum Träger von Spuren les Neue entwickelt. Nur eines davon Wilhelm Busch sein, Gottfried Benn religiöser wie politischer Ikonographie. ist der Beitrag zu einer völligen neuen oder Johannes Bobrowski man denke Sie werden ins Öffentliche gezogen wie Art einer dem Leben abgerungenen auch an Robert Gernhardt. Und auch die eines Tagungshauses oder konflikt- Paramentik. Man staunt jedes Mal über einer Variante des Deutschen, ost- wie trächtiger Orten unter freiem Himmel. die Kraft und nicht selten den Glanz des westlich zumeist vergessen (doch jetzt Diese Manifeste der Unaufteilbarkeit Alt-Neu und der Nähmaschinen-Schrift. in New York wieder entdeckt), gehört menschlicher Erfahrung in schizophren Altgroßvater Schnorr könnte den Kopf seine Entdecker- und Übersetzerliebe, geschiedene Bereiche erlebte ich erst- aber nicht nur schütteln. dem Jiddischen. Das Vorgängerheft in mals in der Vorwendezeit aufgehängt (Manfred Richter) der Reihe Kunstdienst Libelli, die nun quer über dem Saal im Haus der Kirche den Kunstdienst überlebt, enthält seine in Berlin (West, wie wir politisch korrekt Übertragung von Israil Berkovici: „Wie benannt waren). Jürgen Rennert der Onkel Avrom Brot gegessen hat“. Es Darunter fand eine denkwürdige und Hiobs Botschaft ist die reine Andacht, wie Onkel Avrom uns Wessis nachhaltig in Erinnerung Das seltsame biblische Buch im Familienkreise das Brot anschnitt, nur gebliebene Aktion mit der Performance- Reihe Kunstdienst Libelli beim Verlag mit dem Messer, auf Brosamen achtend. Künstlerin-Tochter Svea mit den Alltags- hentrich&hentrich, Teetz, 2008, ISBN Auch dieses, im zierlichen Quadratfor- materialien Waschschüssel, Wasser und 978-3-938485-71-2, 24 S., zehn farbige mat, gemeinsam mit Hannelore Teutsch, Mehl, statt. Bildern von Hannelore Teutsch, Bro- der langjährigen Maler-Kollegin im Ver- Die Stralsunderin hatte bereits beim schur mit Fadenheftung im bibliophilen lag Volk und Welt, zusammen gestaltet. Kunstdienst in der „Hauptstadt“ eine da- Quadratformat, € 10,80 mals von UIrike Wiegand betreute Perso- Nun „Hiobs Botschaft“. Biblisch vor- nalausstellung. Anregungen von Joseph Der Kunstdienst, die Avantgardebewe- ausgegangen waren die Weihnachtsge- Beuys flossen wie in Spuren von Blut gung aus dem evangelischen Raum, die schichte in Versen, und so auch „Noachs in die Entwicklung von „Heilstüchern“ sich der künstlerischen Moderne öffnete Kasten“ zu Texten nach Genesis 6-9.

56 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Hier hatte Agathe Böttcher elf Farb- gewickelt“?) wie am Ostermorgen („Et Hugenottenprediger im Nachbarland, be- collagen hinzu gegeben, die Dresdener resurrexit …“ in schwarz – als wäre noch ginnend ab Elsass wissen da feinere Stof- Künstlerin, die so früh die Tränen der Karfreitag). Ja, geht mensch unserer Tage fe zu verwenden, ein feineres Schwarz, vom Menschen getretenen Schöpfung zur Kirche (evangelisch) und hat zufäl- immerhin (mit leichtem Seidenglanz) zum Thema gemacht hatte. Es war dort lig Augen im Kopf: dann ist ganzjährig schimmert da, das der Gemeinde ja politisch so unerwünscht wie beim Ver- Karfreitag. Und immer ist „Amt“. Immer Sonntag um Sonntag vor Augen gestellt lag des Rauhen Hauses die Erinnerung tragen wir Amt(skleidung). Und immer wird (ob nun Vorder- oder Rückseite ..). an die in der Weihnachtsgeschichte dieselbe. Amt auf Preußisch-Deutsch. bezeugten Fehlhandlungen des Staates Das ist weder „officium“ noch „ministe- Kaum und selten primär wissen wir Pfar- gegen den „neugeborenen König der rium“, sondern staatlich gedachtes Amt, rer uns als Liturgen – dabei gibt es bei Juden“. Nun aber Hiob: die Fehlhand- wie von staatsorts angeordnet um 1811 Calvin, man gedenke es dieses Jahr, wie lungen – wessen? Hiobs etwa ? Nein, das und nachgemacht in allen deutschen bei Luther eine Teilhabe der Ordination wissen wir doch. Er war ein Gerechter. Landen, ob uniert oder lutherisch, und am dreifachen Amt des Christus: neben Aber war- ist Gott ein Gerechter? Das ist as noich exportiert in unsere Missions- Prophet und König der Priester. Predi- hier die Frage. Und zu dieser Frage gibt Kirchen. Nur reformiert hatte man ja eine gen wir doch nicht nur, sondern leiten es eine eigene Hiobs’ Botschaft. Um die genuine Geschichte damit: den Talar auch, und vor allem, im Gottesdienst, mühen sich – mit Hintersinn und Mutter- der Prediger im Désert kannte man da beten, bitten und loben wir – ausübend witz – die Verse, die zwischen Hiob, dem schon seit der Verfolgung und Vertreibung das priesterliche Amt. Und warum nicht eigensinnig Gerechten, seiner hier durch- der Evangelischen in Frankreich (also unterscheiden bei dem, was wir tun: ob aus aufsässigen Frau, der unfrömmelnd in außerordentlichen Notsituationen), wir das Wort reichen oder das Sakra- Gerechten, seinen frommen, um Gerech- und sodann von den in protestantischen ment. Und man fragt bei uns nur: predigt te zu sein allzu geschwätzigen Freunden Ländern (in Deutschland, Holland, er(sie) gut? Bei den Orthodoxen: singt er und Gott, dem Gerechten – ? – springen. England) eingewanderten Réfugiés. gut? Warum nicht beides fragen? Samt den zehn Bildoriginalen von Han- Friedrich Wilhelm III., verdienstvoll für nelore Teutsch mit ikonographischen die Union, wenn auch auf eigenwillige Ganz anders nun unsere Geistlichenkol- Erfindungen, die es wert sind. liturgische Weise (wofür der Vordenker legen zumeist sonst in der Ökumene, (Manfred Richter) der Union, Schleiermacher ihn tadeln und gewiss in den von den Reformato- musste), wollte Unübersichtlichkeiten ren hochgeschätzten Kirchen, die uns geordnet sehen: in der Kirche wie auch Kirchen im Abendland Zeugen sind der Nikodemus C. Schnabel OSB in der Synagoge, in der Justiz und an der Kirche des ersten Jahrtausends, noch Die liturgischen Gewänder und Uni. Was verband diese alle? Das Amt. ohne die bei uns zu kritisierenden Fehl- Insignien des Diakons, Presbyters und Also: alle diese höheren Staatsbeamten, entwicklungen einer Papstkirche des Bischofs in den Kirchen des zuständig für Religion, fürs Recht und zweiten. Sehen wir also nicht sogleich byzantinischen Ritus die Bildung auf Erden, gesteckt in einen nach Rom, sondern mit unserem Autor Gewidmet Katrin Rebiger zum Tag ihrer schwarzen Amts-Talar, der staatlichen (Ordo S.Benedicti – wo man freilich von Ordination 14.12.2008 Würde. Und mit denjenigen Staatsbe- Liturgie und von Liturgiereform was Echter Verlag, Würzburg, 2008, 164 S., amten verband das unsere Pfarrer, die versteht) – nach Byzanz. Genauerhin Broschur, € 25,- (D) Professoren waren. Seither (wenn nicht nach Jerusalem, gehört er doch zum schon seit Melanchthon) war auch des Konvent der Mariae-Entschlafenskirche Warum im Artheon-Bulletin zu solchem Pastors Ideal auf der Kanzel das eines (lat. Dormitio) daselbst. Die wiederum Thema eine Rezension? Antwort: Unse- Professors (unausweichlich zu merken die Nachbarschaft pflegt mit der uralten rer vermaledeiten Amts- und Schwarz- bis zu ertragen in der Länge und Breite orthodoxen Jerusalemstradition und -li- versessenheit in liturgicis wegen. Haben der protestantischen Predigt – auch bei turgie (die die byzantinische vor-prägte wir denn plötzlich keine Augen mehr, zu mir schlägt’s zuweilen durch, gebe ich – und letztlich unser aller Liturgien). sehen, wenn wir zum Gottesdienst ge- zu). Es stimmt eben, was Gottfried Kel- Und das tut dieser Konvent in ökumeni- hen? Nur noch schwarz – sonntags (Tag ler behauptet – Kleider machen Leute. schem Miteinander „rundum“: auch mit der Auferstehung Christi) wie werktags Und das Entschuldigungszeichen für den Altorientisch-Orthodoxen – alle an (wo der liebe Gott Licht um Licht, Far- die Schwärze, das kleine weiße Beff- der Grabeskirche zugange (die Armenier be um Farbe hat entstehen lassen). Am chen – sinnreich unterschiedlich offen mit altem Katholikat in der Stadt) und Taufstein (predigen und hören wir da oder zugenäht – pflegt im Vergleich zum mit der lutherischen deutsch-arabischen nicht von Geburt und Wiedergeburt) wie Synagogen-Kantor (man erinnere sich an Erlöserkirche im Muristan. am Grab (reden wir da nicht von ewigem Estrongo Nachama!) oder zum Richter Der Autor will uns in die Gewandord- Leben?). Auf der Kanzel (als Redner) noch extra kleinmütig auszufallen. nungen der byzantinisch-orthodoxen wie am Tisch des Herrn (statt als Diako- Der Talar ist zumeist Kunststoff, gewiss Kirchen einführen, und sie dann mit dem ne geschürzt). In der Christmette (liegt preiswert, und praktisch zum Knäueln römischen Ritus vergleichen (mit Sei- das Kind denn in schwarzen „Windeln im Talarköfferchen. Die Nachfahren der tenblicken z. T. auch zu altorientalischen

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 57 und evangelischen Ordnungen), um so und verschiedenen beteiligten Liturgen wenn hier möglicherweise wir selber die Parallelen wie die Differenzen her- sind zu beachten. Wie eintönig dagegen mehr als das Buch re-zensiert sind. Es auszustellen. allein unser Mono-Reden als Pfarrer: ob gelte aber nicht länger die allzu – im Predigt oder Gebet, ob Ansage (zumeist Wortsinne billige, s.o. – Rede: „reden wir Er bringt (seine Diplomarbeit verein- überflüssig!) oder Ansprache, ob Evange- vom Text, statt vom Textil!“. Wie denn fachend) seine Informationen in ein lienlesung oder Kollektenmitteilung – – sollen wir mit unserer Art Textil gegen übersichtliches Schema. Er geht jedem immer dieselbe Stimme, oft fast derselbe den Text an-reden? einzelnen Gewandstück nach (auch die Tonfall, immer dasselbe (Nicht)Bild. (Manfred Richter) Insignien werden berücksichtigt), die- se eingeordnet in die Reihenfolge des Ausgeführt werden in der Studie darüber dreifachen ordo im altkirchlichen, sich hinaus auch Fragen der Materialwahl Werner Mally seit dem 2./3. Jh. herausbildenden Amts- und der Ikonographie an den Gewändern Licht - Zeit - Schatten verständnis: Diakon, Presbyter, Bischof. – vom Verzicht bei den Trauergewändern Projekte im öffentlichen Raum Dabei geht er je in fünf Schritten vor: a) (rot !) über das „Vielkreuzmuster“ bis zu Hrsg. von Stefan Graupner, Pia Dornach- Gestalt und Verwendung; b) Bezeich- christologisch-mariologischen Themen er, Petra Giloy-Hirtz und Wolfgang Jean nung und Etymologie; c) Ursprung und (aber weit weniger üppig ausgebreitet Stock, mit Textbeiträgen von Christoph Entwicklung; d) das Pendant im römi- als in römischen Gewändern) . Der Far- Wiedemann, Joanne Wieland-Burston schen Ritus; e) symbolische Deutung. benkanon ist bei weitem nicht so festge- und den Hrsg. legt wie im Abendland und differiert. Die Deutscher Kunstverlag, München, 2008, Nun muss man keineswegs denken, hier Farbe des hl. Geistes ist eher grün (man ISBN 978-3-422-06818-6, 76 S., zahlrei- würde alles am Gewand als seit jeher erinnere sich an Rubljoffs Dreifaltigkeit), che sw- und Farbabbildungen, Hardco- heilig behauptet. Vielmehr werden die rot nur bei Märtyrern – und schwarz gilt ver, Format: 28,4 x 22 cm, € 24,90 generell weltlichen, alltagskulturellen generell nicht als liturgische Farbe. (Es Vorgänger betrachtet, und die Frage stellt ist eben pseudofeierliche Nicht-Farbe.) Die Sicht auf Werner Mallys freie nicht sich in der Regel nur dahingehend: seit Von Interesse sind, wenn auch vielfach ortsgebundene bildhauerische Arbeiten wann gibt es überhaupt, und seit wann künstlich, überladen und sekundär (dies eröffnet fast immer auch das Wahrneh- den exklusiven gottesdienstlichen Ge- kritisiert der Autor) die Deutungsgebete men von etwas Architektonischem. brauch. beim Ankleiden, wie sie von Symeon Es sind nicht einfach Skulpturen im So ist das Grundgewand das Sticharion dem Theologen oder anderen im Hoch- Raum, geschlossene und in die Di- (westlich: Albe) der im ganzen Römer- mittelalter aufgeführt sind. mensionen ausgedehnte raumgreifende reich üblichen Tunica, dem weißen All- Volumina. Sondern die Spannung zwi- tags-Haus- oder, mit der Toga überklei- Kleider machen Leute: Als wen wissen schen innen und außen auslotend, in det, Alltags-Untergewand, entwachsen. und fühlen wir uns als Pfarrer, um nur durchscheinendem Licht und Schatten- Nicht die Toga aber, sondern gewisser- von diesen zu reden? Diakone – so Sy- spiel der aufgeschnittenen, ineinander maßen der Wind- und Wettermantel – meon – gehören der Deutung der Engel- verschachtelten, aufgefächerten oder später lat. Pluviale – mauserte sich dann ordnung an, sie tun engel-ische Dienste, spiralig aufgerollten Flächen, gewinnen zum Priesterübergewand, dem Phelonion die Presbyter-Priester der der Christus- sie körperhafte Gestalt und bilden ihre (lat. Parallele die Casel, „Häuschen“). ordnung, wo es um die Selbsthingabe des eigene Innenräumlichkeit. Die Festigkeit Ohne ins Einzelne gehen zu können, sei Lebens geht. Und da sind Bedeutungen des Materials wird kenntlich gemacht noch auf die Stolen verwiesen (beim von Geburt bis Passion und Auferstehung und zugleich entwickeln sie doch eine Diakon das Orarion; beim Priester das im Spiel, je nach Situation. Wissen wir ins Immaterielle weisende Dynamik (vgl. daraus entwickelte und unterschiedlich aber nicht auch von einem drei-fachen z.B. das Katalogbuch zur Ausstellung der getragene Epitrachilion, beim Bischof, „Amt“ Christi ? Und tun Dienst in Wort Arbeiten in Holz: Werner Mally, Skulp- der im Übrigen als Gewand einen Sakkos und Sakrament „vice et loco Christi“? Ob turenmuseum Glaskasten Marl/Galerie trägt, kommt hinzu das Omophorion (lat. da die „Amtstracht“, die uns – mit ge- Seippel Köln, 2004). Die Publikation parallel das Pallium). Die christ-kai- ringen Lizenzen, die wir dann auch noch zu Werner Mallys großen Projekten im serlichen Hoheitsmerkmale sind längst nicht nutzen – vorgeschrieben ist, der so öffentlichen Raum, die in seinem Werk nicht die Hauptbeeinflussungsquelle. Sie ganz und gar passende Bekleidungsaus- zunehmend Bedeutung gewonnen ha- wirken sich besonders im Bischofsornat druck ist? Und für die Gemeinde, die das ben, lässt nun diese Charakteristik des aus, wobei zu unterscheiden ist der Pon- mit ansehen muss und doch den himmli- künstlerischen Ansatzes in besonders tifikalornat für den Gottesdienst, und der schen Gottesdienst auf Erden feiert – das eindrücklicher Weise augenscheinlich außerliturgisch gebrauchte Zeremonia- richtige, hochzeitliche Gewand? werden. lornat. Im mit Künsten gestalteten Gottesdien- Neben einer Einführung des Heraus- Unterschiedliche Verwendungen von straum und Gottesdienst ? Diese Fragen gebers und der gedruckten Wiedergabe Bekleidungsstücken bei verschiedenen müssen erlaubt sein. Und deswegen eine eines ausführlichen Gesprächs, das Pia liturgischen Handlungen oder Stationen Rezension auch dieses Buchs. Auch Dornacher und Stefan Graupner mit dem

58 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Künstler führten, werden insgesamt 11 im Andachtsraum der Sanitätsakademie Gewissensbildung einer Stadt dienen. Projekte vorgestellt, die teilweise in er- München („Befehlsfreie Zone“), jeweils Ein anderes Ergebnis sind die Prozesse sten Konzeptionen und Skizzen auf das integrativen Gesamtkonzeptionen, bei und Begegnungen, die durch das Projekt Jahr 1992 zurückgehend bis 2007 reali- der die liturgische Ausstattungsstücke angestoßen wurden und die mit Fertig- siert wurden. In jeweils kurzen, jedoch – einerseits autonome skulpturale Form- stellung des Bandes nicht abgeschlossen abgeschlossenen Einzelbeiträgen werden gebungen – doch selbst zum Teil des sind. Diese Prozesse zeugen von der sie von den oben genannten Autorinnen Ganzen werden. Kraft, die von den vom Herausgeber so und Autoren erläutert und kommentiert. Neben diesen Realisierungen dokumen- genannten Symbolkirchen immer noch tiert das Buch einige nicht ausgeführte ausgehen. Interdisziplinär und internatio- Das Buch zeigt nicht allein fertige Wettbewerbsbeiträge, Gleichwohl wird nal war dieses Forschungsprojekt ange- Kunstproduktionen, sondern widmet sich auch an ihnen – etwa „Restlicht“, das legt; Soziologinnen, Kunst- und Archi- gleichermaßen dem Werkprozess, lässt Modell der Gedenkstätte für die 1938 tekturgeschichtler sowie Theologinnen mit abgebildeten Vorzeichnungen, Mo- zerstörte Synagoge in Schwerte – die in- und Theologen aus Russland, Polen und dell- und Umraumfotos Einblicke in die tensive künstlerische Kontextanalyse und Deutschland arbeiteten drei Jahre lang Arbeitsweise und Entstehung zu: „Neben der konzentrierte Prozess der Gestaltfin- zusammen daran, den religiösen, kultu- der Recherche nach dem funktionalen dung nachvollziehbar. rellen und politischen Traditionen der Umfeld sind natürliches und künstliches Bei der editorischen Qualität des Buches Zeugnisse der Backsteingotik nachzuge- Licht, Zeit und Schatten in subtil ausdif- bleibt nur der Wunsch, dass absehbar hen und die Vision zu entwickeln, wie ferenzierter Gewichtung die essentiellen eine ähnliche Publikation, die sich ein- deren Kräfte für einen erweiterten euro- Faktoren, welche Werner Mally bei sei- mal speziell mit den Arbeiten von Wer- päischen Raum wirksam werden können. nen Projekten für den öffentlichen Raum ner Mally im kirchlichen Raum befasst, im Planungsstadium vor Ort in einer Art folgen kann. Die Geschichte jener sakralen roten ‚Feldforschung’ untersucht…“, schreibt (Reinhard Lambert Auer) Leuchttürme von Kiel, Lübeck, Wismar, Stefan Graupner, damit den Titel des Stralsund, Stettin und Danzig gewinnt Buches begründend, im einleitenden Vor- in diesem gehaltvollen Buch nicht nur wort. So ermittelte ortspezifische Wech- Wolfgang Grünenberg (Hrsg.) in den Texten Gestalt; ein reichhaltiges selwirkungen von Zeitabläufen, Lichtsi- Heilende Erinnerung Bildmaterial sorgt dafür, dass die Eu- tuationen und Materialwirkung werden Wie roter Bernstein: Backsteinkirchen phorie des Aufbaus, der Schmerz durch vom Künstler in die Modellentwicklung von Kiel bis Kaliningrad. Ihre Kraft in die Zerstörung und das Programm eines und schließlich in die subtile handwerkli- Zeiten religiöser und politischer Umbrü- Wiederaufbaus noch sinnfälliger wird. che Umsetzung der skulpturalen Formen che, So zeigt z.B. der Theologe Lennart Bernt eingetragen. „Die hermetische, voll- In Zusammenarbeit mit Alexander Höner St. Nikolai, Kiels protestantische „Ka- kommen abgeschirmte Immobilie ist ein Dölling und Galitz Verlag, München/ thedrale“, als einen durch den Lauf der Trugbild. Tatsächlich bewegen wir uns in Hamburg, 2008, 478 S., € 39, 80 Geschichte bis heute lebendigen liturgi- bewegten Räumen und Sphären. Wobei schen Raum. das Licht deren Grenze definiert...“ (der „Damit die erde hafte am himmel Künstler im abgedruckten Gespräch). schlugen die menschen kirchtürme in ihn Die Theologie in ihrer jeweiligen Zeit Am Ende sind es demnach nicht einfach sieben kupferne nägel, nicht aufzuwiegen wird wie ein Stein gewordener Text im „Kunst-am-Bau“-Objekte oder Platz- mit gold“ Kirchenraum sichtbar. Interessant erweist gestaltung durch die Setzung solitärer sich hier vor allem die Zeit des Wieder- Monumente – sondern was entsteht sind Der Silhouette von Lübeck gilt dieses aufbaus in den 1950er Jahren, als die erkundbare und begehbare Plastiken, Gedicht von Reiner Kunze. Der Initiator Vorschläge des Architekten Langmaack durch den sensiblen Umgang mit dem der Citykirchenbewegung, Wolfgang beim Propst Hans Asmussen ankamen, Licht geschaffene Raumsituationen, Grünberg, sieht darin wichtige Gesichts- jedoch bei dessen einstigen Weggenossen die einen Ort qualifizieren und in sei- seines Forschungsprojektes zum Karl Barth und Martin Niemöller auf ner Bedeutung erlebbar machen: etwa Ausdruck gebracht, dessen eines Ergeb- Widerstand stießen. den Garten einer Kindertagesstätte, nis dieses Buch ist: Kirchen als Orte, die Letztere sahen in der geplanten Aus- das Foyer einer Schule, Außenberei- der Sehnsucht Raum geben, die Häuser gestaltung des Chores und der damit che von Behörden und Kliniken. Von der Erinnerungen sind und Erwartungen verbundenen sakramentalen Aufwertung einer ganz besonderen Wirkung und neuer Gottesüberraschung. Die Nägel des Abendmahls einen Verstoß gegen Erfahrungsqualität sind dabei jedoch deuten auf das Kreuz, das Marterpfahl die „protestantische Nüchternheit“ und die atmosphärischen Verdichtungen, und Lebensbaum zugleich ist und die befürchteten eine Unterordnung des die Werner Mally in dem von ihm ge- Kirchen als Kainsmale zeigen. Wortes. Asmussen jedoch erstrebte eine stalteten Sakralräumen hervorbringt: in Diese Male sind Schutzzeichen, keine Erneuerung der Kirche durch den liturgi- der Kapelle des Klinikums München- Schandmale; sie repräsentieren Gericht schen Gottesdienst. Harlaching („Tag&NachtRaum“) oder und Gnade in einem und können der

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 59 2001 wurde die Nikolaikirche offiziell zu tierungsmarken, die zeigen, wie Europa der Wirklichkeit formvollendet auf die einer „offenen Citykirche“ erklärt; mitten bei aller Verschiedenheit zusammen- Leinwand, und man ist etwas überrascht, im Zentrum der Innenstadt Kiels gelegen, wachsen kann – indem sie Verborgenes dass – nach einer langen Hinführung will sie „Kirche für alle“ sein. Sie wurde und Verdrängtes repräsentieren, sowohl anhand von Hegels Entfremdungstheorie schließlich eine „Kirche für alles“, als in Lebensgeschichten wie auch in kollek- – das Ganze plötzlich mit einer kleinen man das 1,5 km entfernte Gemeindehaus tiver Historie und Heilungsperspektiven Dialogszene aus dem Film – Neos verkaufte und Kirchen- sowie Pfarrbüro für beides eröffnen. Initiationsszene – endet. Wo bleibt der in das Kirchengebäude selbst integrierte Darin erweist sich dieses schöne Buch Kuss von Trinity, mit dem sie den toten und die Stadt selbst die Parochie wurde. als kundiger Reiseführer, den man gerne Neo zurückholt, indem sie ihn auf seine „Der Kirchenraum spricht und ich bin immer wieder in die Hand nimmt, um ´reale´ Leiblichkeit verpflichtet, ihn, der sein Übersetzer“, zitiert der Verfasser den Stück für Stück zu lernen, wie einem gerade in der ´anderen´, der falschen, derzeit amtierenden Pfarrer. Symbole zu denken geben können. Welt, gestorben ist? Die Berührung Es bleibt zu wünschen, dass in diesem (Inge Kirsner) gegen die Fiktion setzt? überzeugenden und zukunftsweisenden Doch nehmen wir das einfach als kleinen Konzept einer „Kirche für alle und alles“ Spot, um die Vielfalt des Themas zu den Besuchenden jedoch auch eigene Jann E. Schlimme/Bert T. te Wildt/ eröffnen, denn es lohnt sich durchaus, Interpretationsmöglichkeiten zugestan- Hinderk M. Emrich weiterzulesen. Denn schon im nächsten den werden und das protestantische Scham und Berührung im Film Beitrag geht es anhand von „Die sieben „direkt zu Gott“ nicht einer neuerlichen Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen, Samurai“ (Akira Kurosawa, Japan 1954) Vermittlungsinstanz weichen muss. Das 2008, ISBN 978-3-525-40401-1, 141 S. um das „leibliche Sich-Verpflichten“. Priestertum aller Gläubigen darf nicht mit 16 Abbildungen, kartoniert, € 15,90 Letzteres tun die herrenlosen Samurai, nur in einem flexiblen neuen Altar, der also eigentlich „Ronin“, als sie von bei Bedarf in die Mitte gerückt wird, Im Kino gewesen. Geweint! Kafkas Bauern gebeten werden, sie gegen Ausdruck finden, wenn das ursprüngliche Tagebuchnotiz zeugt von der Erfahrung, räuberische Überfälle u schützen. langmaacksche Konzept der „sich hal- dass man sich im Kino berühren lässt, Schlimme zählt die Variationen dieses tenden Hände“ zumindest partiell aufge- zu Tränen rühren lässt, sich auch dem meistzitierten Films der Filmgeschichte nommen werden soll. Kitsch und der Gewalt mit einer Wollust auf, zu ergänzen wäre hier auch noch Auf andere Weise gewinnt die Vergegen- hingibt, für die man sich bei Tageslicht „Ronin“ von John Frankenheimer aus wärtigung der Geschichte in der Stetti- besehen schämen müsste. Das ist nur dem Jahr 1998. Kurosawas Film erzählt ner Kirche St. Jakobi Gestalt. Reingard durch den Fiktionsvertrag möglich, für vom Sich-Berühren zweier Wege – dem Wollmann-Braun zeigt die Geschichte den man an der Kinokasse bezahlt: es ist Wandern und der Sesshaftigkeit. Fleisch der kirchlichen Umnutzungen (katho- schließlich nur ein Film, man wird mit gewinnt diese Berührung in der kurzen lisch, protestantisch, dann wieder ka- Leib und Leben da herausgehalten. Dass Liebesgeschichte zwischen einem der tholisch) als hermeneutischen Schlüssel aber eine so höchst künstliche Veranstal- Samurai und einem Bauernmädchen. und geht vor allem der Geschichte einer tung wie der Film einen mitten ins Herz Auch hier gibt es nur eine kurze bestimmten Seitenkapelle (der Ehema- treffen kann, unwillkürlich, zeigt, dass er, Berührung – wie das ganze Buch von ligen Schumacherkapelle) nach, die in wie auch die Musik, subkutan arbeitet. Momentaufnahmen aus Filmen lebt. architektonischer und religiöser Hinsicht Da hilft nur die Analyse, will man we- Den besten Beitrag liefert te Wildt - sie dient dem Totengedenken - auffal- nigsten wissen, wie einem geschieht. mit Cronenbergs „Crash“ (Kanada lend ist. Eine weitergehende theologische Anhand einzelner Filmanalysen gehen 1996) in seiner kritisch-konstruktiven Perspektive bietet hier Johann Baptist die Ärzte und Psychotherapeuten Auseinandersetzung mit dem Thema, Metz, der in seiner „Memoria Passionis“ Schlimme, te Wildt und Emrich dem das erst mit Paul Haggis „L.A.Crash“ (Freiburg 2006) die Notwendigkeit des Phänomen „Scham und Berührung“ (USA 2005) seine cineastische Heimat Eingedenken fremden Leids anmahnt nach, so, dass es auch für Theologen und findet. Der neuere Film bringt das (Mt 25,40). Gottesleidenschaft als Mit- Filmkritikerinnen mit Gewinn zu lesen Thema das älteren auf den Punkt: in Leiden mit dem Anderen versteht Metz ist. seiner Anfangssequenz wird davon als „Compassion“ – das schützt vor zu Folgerichtig beginnt das Buch mit dem erzählt, dass in einer Stadt wie Los starker nationalistischer Ausrichtung des Hauptcharakteristikum des Mediums: Angeles, in der keiner zu Fuß geht, alle Totengedenkens. Seiner Fiktionalität und also dem sich berührungslos hinter Metall und In einer solchen Compassion sieht Woll- Jahrzehntfilm (Jahrhundertwerk kann Glas verschanzen: „Ich glaube, diese mann-Braun eine christliche Ressource man bei einem so jungen Medium wie Berührung fehlt uns so sehr, dass wir für Europa. Film noch nicht sagen) „Matrix“ (es wäre miteinander kollidieren müssen, um So werden die backsteingotischen Ba- der Jahrzehntfilm, gäbe es nicht „Pulp überhaupt etwas zu spüren!“ siliken und Hallenkirchen in den alten Fiction“). Dieser Film der Brüder Larry Cronenberg dekliniert in seinem „Crash“ Hansestädten, die wie eine rote Bern- und Andy Wachowksi aus dem Jahr 1999 alle Spielarten von Verkehr mit einer steinkette die Ostsee säumen, zu Orien- bringt das Problem der Konstruktion kalten Distanziertheit durch, die nur in

60 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 kurzen Momenten seine alte Faszination für die Magd, die wie alle in der durch Göttliches – das zeige sich so an der Verschmelzung von Biologie Hausgemeinschaft der Faszination des immer als ein würdevoller Prozess, und Technologie durchscheinen lässt. göttlichen Fremden sexuell erliegt. von dem nicht allein die Religion Was in „Die Fliege“ und „eXistenZ“ Dieser überwindet die Schamgrenzen, etwas verstünde, sondern auch eine sich zumindest partiell als befruchtend da er eine überpersonale liebende menschenwürdige Psychologie – wenn erweist, erscheint hier als destruktiv. Gestalt ist. „Die Berührung durch das Emrich seinen Beitrag mit diesen Worten Cronenberg schildert die Folgen Göttliche in „Teorema“ beschämt die beschließt, zeigt sich, wie auch in den einer „Krankheit zum Tode“, die eher von ihrer zerrissenen Welt verworfenen anderen Beiträgen, immer wieder, wie Langeweile als Verzweiflung ist und für Protagonisten zutiefst und führt ihnen sehr sich die Psychologie religiös (auch die es in diesem Film keine Genesung vor Augen, dass sie dem Leben bisher terminologisch) nährt und es hier immer und schon gar keine Erlösung gibt. das wichtigste schuldig blieben: sich wieder zu fruchtbaren Berührungen Erlösung gibt es dafür in „Teorema“ selbst.“ (S. 59). Selbstwerdung im kommt. (Pier Paolo Pasolini, 1968), zumindest Angesicht des Göttlichen und berührt (Inge Kirsner)

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 61 rosalie „HYPERION_Fragment“, Lichtinstallation, 2008, Kunststoff und RGB-Lichtquellen, ca. 92,5 x 27,9 m Copyright: rosalie

62 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Kataloge biblischen Sündenfall anders als in den Frage, was aus der eigenen Person wird, Göttinnengestalten des Hinduismus und wenn die Zeit und Welt vergeht. Deshalb in den Teufelsgestalten charismatischer erstaunt es, dass die vor allem über ihre All about Evil Kirchen in Südghana und Mephisto- Bildergeschichte ins kollektive Ge- Das Böse pheles zeigt ein anderes Gesicht als der dächtnis eingegangenen Versuchungen Hrsg. von Silke Seybold mit Beiträ- Teufel im Kasperletheater. Im Kapitel des heiligen Antonius auch noch nach gen u.a. von Wiebke Arndt, Werner mit dem Umgang mit dem Bösen widmet nahezu zweitausend Jahren faszinieren. Holzwarth, Dagmar Klar, Wolfgang Mey, sich u.a. Silke Seybold dem alltagsre- Möglicherweise verdankt sich diese Fas- Birgit Meyer, Bernd U. Schipper, Silke ligiösen Umgang mit Amuletten und zination der in der Antonius Rezeption Seybold und Viola Siebert Christin Kocher-Schmidt der Zauberei in abgespeicherten Grundfrage nach guten Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Papua Neuguinea. Dunja Brill fragt nach Möglichkeiten des Umgangs mit körper- lung vom 17.11.2007 – 18.05.2008 im dem Bösen in der Gothic-Subkultur. Die lichen und seelischen Traumata. Übersee-Museum Bremen mehr als 40 Einzelbeiträge fassen den Der vorliegende Katalog führt u.a. in Verlag Philipp von Zabern, Mainz am jeweiligen Sachstand kompetent zusam- Bischof Athanasius von Alexandriens Rhein, 2007, ISBN 978-3-8053-3780-9, men. Literaturhinweise erleichtern die ei- Antonius-Biographie ein und zeich- 212 S., 20 s/w- und 130 Farbabbildun- genständige Weiterarbeit und Vertiefung. net literarische, religions-geistes- und gen, Hardcover gebunden mit Schutz- Wer tiefer bohren möchte, wird zu den kunstgeschichtliche Rezeption der Figur umschlag, Formt 25,5 x 22,5 cm, € weiterführenden Publikationen greifen. des Heiligen Antonius nach (Michael 29,90 (D) /sFR 48,50 (Ausstellungs- und (ham) Philipp). Einführungspreis);danach € 34,90 (D) / Dietmar Lüdke untersucht die Antonius- sFR 55,50 Versuchungen in der mittelalterlichen Schrecken und Lust Bildkunst. Und Sabine Maria Schmidt Das Böse ist allgegenwärtig, fasziniert Die Versuchung des heiligen Antonius geht der Entstehungsgeschichte von Max und zeigt sich in unterschiedlichen Zei- von Hieronymus Bosch bis Max Ernst Ernst ‚Versuchung des Heiligen Antoni- ten und Kulturen in völlig unterschiedli- Publikation zur gleichnamigen Ausstel- us’ nach und der Katalogteiler würdigt chen Gesichtern. Die Beschäftigung mit lung im Bucerius Kunst Forum, Ham- die in aller Regel ganzseitig abgedruck- dem Bösen ist so alt wie die Menschheit burg, vom 09.02. – 18.05.2008, Hrsg. ten Artexponate der Ausstellung kultur- selbst und dokumentiert sich in den von Ortrud Westheider und Michael und kunsthistorisch das von Michael Totenbüchern des alten Ägypten eben- Philipp mit Beiträgen von Hans Richard Philipp erarbeitete Inventar der Versu- so wie in den Monstern der neuesten Brittnacher, Dietmar Lüdke, Michael chungen hilft Details wie den Fassreiter Computerspiele. Die Literatur über das Philipp und Sabine Maria Schmidt im Antonius-Stich von Pieter Bruegel d. Böse füllt Bibliotheken und hat nach den Hirmer Verlag, München, 2008, ISBN Ä. von 1556 verstehen: Demnach gilt das Theologen und Philosophen u.a. auch 978-3-7774-3945-7, 216 S., ca. 150 Fass als Sinnsymbol für Unmäßigkeit Biologen, Soziologen, Psychologen und Farbabbildungen, Hardcover gebunden und Trunksucht und kommt auch in Bru- Ethnologen beschäftigt. mit Schutzumschlag, Format 28,5 x 22,5 egels Gemälde ‚Kampf zwischen Kar- Es ist deshalb viel versprochen, wenn die cm, € 34,90 neval und Fasten’ vor, bei dem ein Fass Bremer Ausstellung alles über das Böse ein Spanferkel am Bratspieß hält. Eine in einem Haus zusammen bringen und Die Versuchungen des 21. Jahrhunderts achteinhalb Seiten umfassende Auswahl- in einem einzigen Buch dokumentieren sind nicht mehr die körperlichen und biographie und den überaus anregenden will. Sie greift dabei auf das Grund- seelischen Qualen, denen sich der alte und lesenswerten Katalog ab. konzept der 2004 im Tropenmuseum ägyptische Wüstenheilige Antonius aus- (ham) Amsterdam gezeigten Ausstellung „Het gesetzt sah, als er um 250 seinen ererb- Kwaad“ variiert und erweitert diese. ten Besitz an Arme verschenkt und in die Schwerpunkt ist die Frage nach dem me- Einsamkeit zurückgezogen hat, um ein Philip Taaffe taphysischen Bösen, seiner Entstehung, Leben in strenger Askese im Gebet und Das Leben der Formen seinen Ausformungen und den Möglich- im fortwährenden Bibelstudium zu füh- Werke 1980 – 2008 keiten des Umgangs mit ihm. ren. Dass er sich nach seinem Biografen Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Der etwas überinszenierte, aber her- Athanasius dem Teufel in verschiedenen lung vom 08.03. – 29.06.2008 im Kunst- vorragend ausgestattete und gedruckte Gestalten, prügelnden Dämonen und museum Wolfsburg Hrsg. vom Kunst- Katalog greift diese Gliederung auf. jungen Frauen ausgesetzt sah, würden museum Wolfburg mit Beiträgen von Bernd Schipper beginnt das erste Ka- heutige Gottesstreiter eher analytisch Brooks Adams, Holger Broeker, Markus pitel „Der Ursprung des Bösen“ mit oder sportlich nehmen und sehen, was Brüderlin und Kay Heymer der Feststellung, dass es „Das Böse“ in daraus wird. Heutige Versuchungen kon- Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2008, dieser Ausschließlichkeit nicht gibt. Was zentrieren sich eher auf Unsicherheiten ISBN 978-3-7757-2120-2, 240 S., ca. das Böse ist, wird je nach Religion und mit der eigenen Identität, mangelndem 275 Farbabbildungen und ca. 32 in Kultur anders bestimmt. Es zeigt sich im Selbstwert und religiös gesehen auf die Duplex, Hardcover gebunden mit

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 63 Schutzumschlag, Format 31,4 x 24,8 cm, der Kelten werden von ihm wie von Dirk Skreber ist einer größeren Öffent- € 32,-- (Museumsausgabe)/39,80 (Buch- einem Schamanen auf ihre heilende lichkeit als Preisträger der Freunde der handelsausgabe) Wirkung hin durchforscht. Wesentlich Nationalgalerie für Junge Kunst im Janu- ist ihm „der Vergleich der Funktionen ar 2000 bekannt geworden. Seine Male- Der 1955 in Elizabeth, New Jersey, von Formen in den verschiedenen Welt- rei reflektiert malerische Möglichkeiten geborene und heute in New York le- religionen: Im Islam, Christentum, Bud- nach dem Ende der Malerei und greift bende Philip Taaffe hat in den 1980er dhismus und … auch im Modernismus“ dabei auf die Op- und die Popart ebenso Jahren mit Werken der Appropriati- (Markus Brüderlin). zurück wie auf die massenmediale Ka- on, der Aneignung und Überformung Bei seinem Versuch, ein weltumspan- tastrophenberichterstattung. Im Verbund vorgefundener Bilder und Stile hohe nendes System der Ornamentik und mit seinen installativen Modellwelten Aufmerksamkeit erreicht. „Die ornamen- damit eine neue Verbindung zwischen gelingen ihm klaustrophobische Chiffren, talisierenden Aneignungen von Werken westlicher Aufklärung und östlicher die einem das Blut in den Adern gefrie- Barnett Newmans, Ellsworth Kellys oder Spiritualität zu finden, kommt Taaffe ren lassen, Chiffren für den Einbruch Bridget Reileys gingen weit über die auch zu einem neuen Verständnis seines des Unheimlichen und der Katastrophen: Wiedererfindung dieser individuellen Künstlertums. Wenn Wirbelstürme Häuser umknicken Stilkonzepte hinaus. Er verstand seine „So bin ich dazu gekommen, mich zum und Siedlungen überfluten, Autos sich rekapitulierende Aneignung ausgesuchter ersten Mal als sakramentaler Künstler bei Crashs um Baumstämme wickeln und Positionen der geometrischen Abstrakti- zu bekennen… Ich glaube, das Malen ist in Leitplanken bohren und Flugzeuge bei on als eine Art Rahmenhandlung, in die ein sakramentaler Akt … Dabei kommen Sprengstoffattentaten in der Luft aus- er den Beginn seiner eigenen Geschichte zutiefst persönliche Werte ins Spiel. Des- einander brechen, helfen auch keine von rituell einbauen konnte, um damit die halb hatte ich früher immer das Gefühl, Law-and-Order-Vorstellungen bewegte Geschichte der modernen Malerei fort- dass ich mich dazu nur in einer apopha- Superheros mehr. Aus Dirk Skreber ist zuschreiben: ‚Eine Geschichte erzählen tischen Manier äußern darf. Die apopha- der reflektierende Beobachter amerikani- und diese Bilder dabei als strukturieren- tische Philosophie sagt über die Dinge scher Obsessionen geworden, der seinen des Mittel verwenden oder mein eigenes nur aus, was sie nicht sind…. Mir kommt Finger als bohrende Frage in die Wunde Werk auf ihnen begründen und sehen, es vor, als ob ich diese Phase hinter mir des Betrachters legt, „die Frage nach der wie sich dadurch eine neue Phase des- habe. Ich möchte aussprechen, was ich Schmerzlichkeit selbst herbeigeführter sen ergibt, was Malerei bedeuten kann“ als meinen Wesensgrund empfinde, was oder mitverantworteter Katastrophen, (Markus Brüderlin/Philip Taaffe). mich am meisten interessiert. Ich suche nach den unterdrückten Ängsten vor Das Ornament wird für Taaffe zu einer in einem Kunstwerk, einem Gemälde ihrem Eintreten, den in allen Phasen die Art Weltsprache, die Formen aus ver- stets eine Heilkraft, die uns beschützen, Katastrophe begleitenden Gewissensbis- schiedensten Kulturen und Weltgegenden uns in dem bestärken kann, was wir sen sowie nach deren Überwindung in zusammenbringt. Taaffe entkleidet das an unserem Dasein in dieser Welt am Akten des Fanatismus. Letztlich funktio- Ornament seiner Funktion, „indem er meisten lieben. So etwas nennt man ein nieren diese Werke wie visuelle Bomben, es isoliert in seine Bilder aufnimmt und Sakrament. Eine Bejahung des Lebens“ die Dirk Skreber aus mehr oder weniger somit freistellt von dem Körper, den es (Philip Taaffe). explosiven Materialien zusammenbaut schmückt. Dies hat Konsequenzen. Denn (ham) und aussetzt, um dann dem Betrachter in seiner bloßen Form …wächst dem den Zünder in die Hand zu geben“ (Fritz Ornament eine neue Qualität zu… Die Emslander). dienende Ebene des Dekors, seine ‚be- Dirk Skreber „In Skrebers Transformationen von gleitende Wirkung’ kommt dabei erst gar Blutgeschwindigkeit popkulturellen Bildern (Cowboys oder nicht zum Vorschein. Vielmehr wird das Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Comic-Helden der 1960-er und 1970-er Ornament hier selbst wie eine Reliquie lung vom 09.02. – 13.04.2008 in der Jahre) oder politisch konnotierten Mo- behandelt, das heißt als der kostbare Teil, Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden und tiven (Medienbilder von Kriegsgesche- der für ein Ganzes innerhalb eines reli- vom 04.07. – 26.10. 2008 im Museum hen oder Terror) schleichen sich durch giösen und damit überzeitlichen Zusam- Franz Gertsch, Burgdorf gezielte formale Brüche Irritationen ein, menhangs steht“ (Holger Broeker). Hrsg. von Karola Grässlin, Fritz Ems- die den Betrachter im Zustand der Ver- Philip Taaffes Anleihen beim Formenvo- lander und Anita Shah mit Texten von unsicherung lassen und zugleich die Auf- kabular der mediterranen Antike in Nea- Rainer Werner Lucia, Christian Scheide- merksamkeit auf die Malerei selbst als pel, der islamischen und mozarabischen mann und den Herausgebern Gegenstand der bildlichen Auseinander- Ornamentik der nordafrikanischen Küste Verlag der Buchhandlung Walter König, setzung lenken. Skrebers Blick hinter die und des Mittleren Ostens, der Welt von Köln, 2008, ISBN 978-3-86560-396-8, Dinge hinterfragt unsere Wirklichkeitser- Byzanz, der asiatischen Erleuchtungs- 168 S. zahlreiche, zumeist farbige Abbil- fahrung. Mit ihrer ambivalenten Ästhe- ästhetik von Indien und Sri Lanka, der dungen, Broschur, Format 27 x 21,5 cm, tik, ihrer uneindeutigen Atmosphäre und Formwelt Japans, der präkolumbischen € 24,00 (Museumsausgabe) ihren teils ungewöhnlichen Techniken und indianischen Stammeskulturen und reflektieren seine Werke den Zugriff der

64 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Kunst auf eine durch die Medien gepräg- 11.04. – 18.05.2008 im Künstlerhaus Im Satellit III, dem Museum am Ostwall te Realität“ (Karola Grässlin). Der Kata- Dortmund, der Ev. Stadtkirche St. Petri, bewährt er sich als Spurensucher, Maler log schafft es, die in Skrebers Malereien dem Dortmunder Kunstverein und dem und Zeichner. und Installationen angespielte gefühlte Museum Ostwall (ham) Brüchigkeit der Existenz zu transportie- Hrsg. von Linda Opgen-Rhein mit Tex- ren. Das ist nicht wenig. ten u.a. von Christoph Kivelitz, Peter (ham) Schmieder, Kurt Wettengl und der Her- Nele Stecher ausgeberin Die Organisation der Liebe Künstlerhaus Dortmund/Verlag Das Publikation zur gleichnamigen Aus- Andrea Küster Wunderhorn, Heidelberg, 2008, ISBN stellung vom 22.02. – 20.04.2008 im In Gegenwart von stummen Musen 978-3-88423-312-2, 80 S., zahlr. s/w- Museum zu Allerheiligen/Kunstverein Katalog zu den Ausstellungen im Socio- und Farbabbildungen, Klappbroschur, Schaffhausen Cultureel & Congrescentrum Elzenveld Format 29,6 x 21 cm, € 15,-- Hrsg. und mit einem Text von Daniele St. Jorispand Antwerpen, bei Beck & Hardmeier Eggeling in Düsseldorf, im Stadtmuseum Die 1995 in Augenhöhe zur Stuttgarter Schaffhausen 2008, ISBN 978-3-907066- Siegburg und im Maternushaus Köln Weißenhofsiedlung gegründete Künstler- 69-0, 112 Seiten, 63 Farbabbildungen, Antwerpen/Düsseldorf, 2006, ISBN 3- gruppe „Die Weissenhofer“ strickt jetzt Hardcover gebunden, Format 23,5 x 16,5 98091173-3-9, 56 S., 10 S/W- und 16 schon an die eineinhalb Jahrzehnte kon- cm, SFr. 38,-- Farbabbildungen, Hardcover gebunden, sequent, erfolgreich, mit Augenaufschlag Format 29,5 x 23,8 cm, € 20,-- und mit trockenem Humor am Konstrukt Geschichten aus der eigenen Familie einer Künstlerlegende. Demnach sind werden herkömmlich am Esstisch erzählt Die 1945 in Kiel geborene Andrea die Brüder Bob, Carl und Keith Weis- und mit Schnappschüssen in Fotoalben Küster ist seit den ersten 90-er Jahren senhofer in ärmlichen Verhältnissen im nach dem Motto „So ist es gewesen“ do- durch ihre zwischen Figuration und Wallistal aufgewachsen und nach der kumentiert. Namens-, Orts- und Zeitan- Abstraktion angelegte Malerei mit Aus- Emigration nach Texas und dem Aufbau gaben belegen die historische Faktizität. stellungen u.a. im Hospitalhof Stuttgart einer Ranch nach Europa zurückgekehrt, Nele Stecher scheint in ihrem „Family bekannt geworden. Ihre Blumenstillleben um als Bruderschaft der anderen Art Portrait“, ihren „Family Stories“ und und herbstlichen Blatt-Folgen aus den gegenständliche Kunst mit assoziativ-er- ihrem „Report from Home“ genau dieser Jahren 2001 bis 2006 erscheinen reali- zählerischem Charakter im System Kunst Spur zu folgen, wenn sie die indexika- stisch und wie aus dem Leben gegriffen. stark zu machen: lische Seite familiärer Schnappschüsse „Ihre Bilder sprechen von Schönheit In Dortmund wird der Ausstellungsraum durch parallel erzählte Geschichten iko- und Lebensfreude, aber auch von der im Künstlerhaus zum Weissenhofer-Hei- nisch und symbolisch auflädt. Vergänglichkeit….“ (Ernest Van Buyn- matmuseum, das aus dem brennenden Auf den zweiten Blick merkt der Leser, der). Christiane Vielhaber wird durch Weissenhof gerettete Habseligkeiten wie dass sie auch üblicherweise unter der das „lineare Konzentrat“ von Küsters die Familienbibel, einen Rosenkranz, Decke gehaltene Familiengeheimnisse Zeichnungen, das „das gesamte plasti- eine Axt und eine Mundharmonika doku- weitererzählt, so die von ihrer Oma vä- sche Volumen … auf eine Umrisslinie mentiert. Eine illustrierte Zeittafel ver- terlicherseits, die bei der Verlobung ihrer reduziert, abstrahiert, stilisiert, … an folgt die Familiengeschichte bis ins Jahr Eltern den ganzen Tag im Wagen vor Matisse’ geniale Silhouetten von Blumen 1326 zurück und stellt ihr Daten aus der dem Haus sitzen muss, weil sie die Beine (und Frauen) und „Chillidas wahrhaft Zeit-, Kunst- und Kulturgeschichte und ihrer Mutter als fett bezeichnet hatte. Erst ‚faustisch’ geballter Handzeichnungen“ u.a. Marcel Duchamps Urinoir gegen- nach „einigen Stunden beruhigte sich erinnert. Küsters .Malereien überzeugen über. Was man im Orkus der Geschichte die Situation, und ihr wurde ein Stück Vielhaber durch ihre unerhörte stoffliche verloren hat, wird aus der Erinnerung Kuchen und eine Tasse Kaffee ans Auto Präsenz und „durch die textural außer- nachgemalt. gebracht“ (Nele Stecher). ordentlich differenzierte Beschaffenheit Im Satellit I, der Evang. Stadtkirche St. Beim dritten Blick fragt man sich, ob ihrer Haut’“ (Christiane Vielhaber). Man Petri, zeigt Matthias Beckmann seinen die Bilder die Geschichten aufladen oder kann auf Küsters großformatige Pastell- Zeichnungszyklus „Das goldene Wun- umgekehrt oder ob Bilder und Geschich- arbeiten gespannt sein, die sie im Herbst der“. Jörg Mandernach bespielt den ten neue Wirklichkeiten schaffen. Für 2008 vorstellen wird. Dortmunder Kunstverein, den Satellit II, Daniela Hardmeier reinszeniert Stechers (ham) mit Wandmalereien, Raumzeichnungen „Family Portrait“ Idealisierungen der und Arbeiten aus den Werkgruppen „Se- eigenen Herkunftsfamilie. In ihren „Fa- dimente“ und „Aus dem Zettelkasten“. mily Stories“ schlüpft die Künstlerin in Die Weissenhofer: Uwe Schäfer schließlich lädt dazu ein, unterschiedlichste familiäre Rollen und Satelliten in seinem Garten- und Meditationshaus macht dabei deutlich, dass sie sie niemals Publikation aus Anlass der gleichna- „Warten IV“ dem Gras, dem Kraut und ganz ausfüllen kann, weil sie Reinszenie- migen Ausstellungskooperation vom dem Gemüse beim Wachsen zuzusehen. rungen bleiben. In ihrem „Report from

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 65 Home“ oszilliert die Sprache der Texte Kooperationen sucht und dann erfolg- Hrsg. von Beatrixe Klein und Elke zwischen einer möglichst genau wieder- reich und produktiv ist, wenn sie genutzt Wirtz-Meinert zu der gleichnamig Aus- gegebenen Begebenheit und einem sehr wird: Von den Villa Romana-Preisträgern stellung vom 13.04. – 10.12.2008 im persönlichen Geständnis. „In allen Epi- und allen, die an der Produktion und Frauenmuseum Wiesbaden und beglei- soden werden tragikomische Momente Diskussion von Gegenwart in Kunst in- tend u.a. im Roncalli-Haus Wiesbaden. erzählt, in denen sich absurde, paradoxe teressiert sind“ (Angelika Stepken). Mit Texten u.a. von Kim Engels, Barbara Überlebensstrategien offenbaren, wenn Unter den zwölf PreisträgerInnen der Wieland, Gotthard Fuchs und Simone mittels der Idealisierung, des Betruges Jahre 2006, 2007 und 2008 sind sieben Husemann oder Selbstbetruges auf kuriose Weise, Frauen und fünf Männer ausgezeichnet Wiesbaden, 2008, ISBN 978-3-00- ehrlich und aufrichtig versucht wird, die worden; fünf StipendiatInnen haben an 0245275-5, 241 S., zahlr. Farbabbildun- Liebe optimal zu organisieren“ (Nele der Kunstakademie München studiert, gen, Klappbroschur, Format 24,4 x 21,5 Stecher). drei am Städel in Frankfurt und zwei cm, € 25,-- (ham) an der Hochschule für Gestaltung und Buchkunst in Leipzig. Drei Stipendiatin- Pioniere postpatriarchaler Gottesbilder nen waren Günther Förg-Meisterschü- wie die Matriarchatsforscherin Heide villa romana lerinnen. Für den Bereich Kirche und Göttner-Abendroth, der Theologe Kurt Preisträger 2006/2007 Kunst könnte u.a. die 1977 in Bukarest Lüthi und die radikale Feministin Mary Mit Texten von Angelika Stepken, Ni- geborene und in München lebende, - Daly haben schon vor 30 Jahren und kolai Vogel, Attila Tordai-S., Maurizio disziplinär arbeitende Olaf Metzel-Schü- mehr auf die weiblichen Seiten Gottes Martelli, Peter T. Lenhart und Vanessa lerin Andrea Faciu von Interesse sein. Sie hingewiesen. Ihre Anstöße sind in die Joan Müller tritt mit ihren „Menschenflaggen“ u.a. feministische Theologie eingeflossen und Verlag für moderne Kunst, Nürnberg für Tagträumer, Unberechenbarkeit, volle haben u.a. zu der die weiblichen Aspek- 2008, ISBN 978-3-940748-21-8, 106 Mägen und gegen verhungernde Seelen te Gottes berücksichtigenden „Bibel in S., zehn s/w- und 90 Farbabbildungen, ein. In ihrem Text „Die Welt dazwischen/ gerechter Sprache“ geführt. Klappbroschur, Format 27 x 18 cm, Gottheiten“ fragt sie, welche besonderen Der von Othmar Keel herausgegebene € 19,-- / SFR 35,-- Fähigkeiten ein Mensch braucht, „um in Band „Gott weiblich“ gibt dieser Seite direkten Kontakt mit den Gottheiten zu ein Gesicht. Er dokumentiert 154 alto- Freisteller treten“. rientalische Frauen- und Göttinnenidole Villa Romana Preisträger 2008-08-07 Weiter interessant sein könnte die 1970 und ordnet sie Kapiteln wie „’Segen der Dani Gal, Julia Schmidt, Asli Sungu, in Freising geborene Günther Förg- Brüste’ – die Göttin Aschera“, „Maat Clemens von Wedemeyer Meisterschülerin Barbara Kussinger. In – Frau Weisheit“, „Isis – ein Familien- Publikation zu gleichnamigen Ausstel- ihrer visionär-traumhaft-phantastischen drama“ und „Göttinnen und die Taube lung in der Kunsthalle der Deutschen Malerei besticht die brillante Farbigkeit. als Liebesbotin“ zu. Der Prolog greift die Bank in Berlin, das Deutsche Guggen- Eine Herausforderung wären die expe- Diskussion um die weiblichen Aspekte heim vom 26.04. – 22.06.2008 mit Tex- rimentellen Film- und Videoarbeiten des biblischen Gottes auf; der Epilog ten von Clemens Krümel, Bert Rebhandl, des 1954 in Göttingen geborenen Astrid deutet Konsequenzen für die Mariologie Angelika Stepken und René Zechlin Klein-Meisterschülers Clemens von We- an. Die Beziehung zwischen Göttinnen- Deutsche Bank AG, Frankfurt a. Main, demeyer. figuren und Marienbildern wird in „Sag 2008, ISBN 978-3-9811879-1-5, 112 (ham) an, wer ist doch diese…“ zum Hauptthe- S., vier s/w- und 72 Farbabbildungen, ma. Klappbroschur, Format 27 x 18 cm, Die hochprofessionelle Präsentation € 29,-- / SFR 50,-- Othmar Keel von Originalen in „Gott weiblich“ wird Gott weiblich in „Sag an…“ durch Reproduktionen, Der mit einem mehrmonatigen Aufent- Eine verborgene Seite des biblischen aus der altorientalischen, euro- halt in Florenz verbundene und seit 1905 Gottes päischen und lateinamerikanischen Kul- jährlich vergebene Villa Romana-Preis Katalog zur gleichnamigen Ausstellung turgeschichte und differenziert argumen- gilt als der älteste deutsche Kunstpreis. vom 04.05. – 03.08.2008 im Diözesan- tierende Essays mehr als wettgemacht. Mit der umfangreichen Sanierung der museum Rottenburg Ein in „Gott weiblich“ fehlendes Glossar Villa und dem Wechsel in der Leitung Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, und ein umfangreiches Literaturverzeich- des Hauses von Joachim Burmeister zu 2008, IBSN 978-3-579-08044-4, 144 S., nis laden zur weitergehenden Beschäfti- Angelika Stepken soll das Künstlerhaus zahlreiche Farbabbildungen, kartoniert, gung mit dem komplexen Thema ein. international als offenes Denk- und Format 27 x 21 cm, € 25,-- (D) / € 25,70 (ham) Handlungshaus positioniert werden. (A), SFR 43,90 Es „ist eine Werkstatt, die ihre Arbeits- felder und Projekte immer wieder neu Göttinnenfiguren und Marienbilder Erkundungen für die Präzisierung des veranschlagt und entwirft, die temporäre Sag an, wer ist doch diese… Gefühls für einen Aufstand

66 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 von Rolf Dieter Brinkmann unterschiedlich ausgestatteten Publika- Jonathan Meese Publikation zur Premiere am 16. August tionen zu seinen Auftritten und Ausstel- Totale Neutralität 2007 nach der Idee und dem Konzept lungen im Schloss Neuhardenburg, im Künstlerbuch zur Ausstellung >>Jona- von Jonathan Meese und Martin Wuttke Privatmuseum Essl und beim drei Mal 24 than Meese,. Marquis de Schnurrkuss mit Collagen von Jonathan Meese Stunden Foto-Shooting im Atelier Hön- „Milchmädch“ Meesie (Babybouncer) Stiftung Schloss Neuhardenberg in Zu- nemann deuten die Kosten an. Sie lassen Die ultracrossen Abenteuer von Lolly, sammenarbeit mit der Volksbühne am ahnen, warum Meese und die von ihm Polly, Süssesüssesüsses, Oktn de Pony, Rosa-Luxemburg-Platz Berlin 2007, ausgerufene Diktatur der Kunst nach- Nonnie-Darling, Stupsnäschen-Toni, Format 16,5 x 22 cm, € 5,-- haltiger im kollektiven Kunstgedächtnis Sweetsweetie, Hulla-Hulla-Flashy im bleiben werden als alle Unkenrufe seiner süssen rechtsfreien Raum von Baby- Gundling Meese Erzstaat Kritiker und Gegner. potentaten „Colonel d’on Hymyngys“, Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Wer wie Meese Kunst als „totale De- hau…<< vom 26.10. – 7.12.2007 im lung vom 12.08. – 18.11.2007 im Schloss mut“, „totales Spiel“ und „totale Neu- Kunstraum Innsbruck Neuhardenberg mit Texten von Carsten tralität“ begreift und sie als so selbst- Hrsg. von Stefan Bidner mit Texten von Ahrens, Bernd Kauffmann, Heiner Mül- verständlich ansieht „wie Stoffwechsel, Jonathan Meese ler, Martin Sabrow und Jonathan Meese Atmung, Verdauung“, ist vor Überheb- Kunstraum Innsbruck, Verlag der Buch- Stiftung Schloss Neuhardenberg/Verlag lichkeit gefeit. Er wird darüber zum handlung Walther König, Köln, 2008, der Buchhandlung Walter König, Köln, „protestantischen Ekstatiker“. „Redlich ISBN 978-3-86560-506-1, 140 S. zahl- 2007, 96 S., zahlr. s/w- und Farbabbil- ausgerastet, fleißig wild, sattsam ungesit- reiche Farbabbildungen, Hardcover ge- dungen, Klappbroschur, Format 23,4 x tet“ (Jonathan Meese, Fräulein Atlantis, bunden mit Video-DVD, Format 30,3 x 16,4 cm, € 24,80 20.09.07, Museum Essl, Manifest der 21,5 cm, € 39,80 Saaldemut; Hanno Rauterberg, Jonathan Jonathan Meese Meese, Die Zeit, Nr. 31, 24.07.08, S. 40). Jonathan Meese Fräulein Atlantis Dass Meeses „protestantische Ekstasen“ Babypropagandaddy’s Metabolismys Publikation zur gleichnamigen Ausstel- auch andere zu außergewöhnlichen Lei- (Fishyalarm in Antarktika on Bohrinsel lung vom 21.09.2007 – 03.02.2008 im stungen beflügeln, zeigen u.a. das für die „Moomin“) Essl Museum Kloster Neuburg Kloster Neuburger Ausstellung kompo- Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Hrsg. von der Edition Sammlung Essl nierte vielschichtige Klangenvirement lung vom 13.11.2008 – 241.2009 in der mit Texten von Karlheinz Essl, Karlheinz von Karlheinz Essl jun., die emotionale Galeri Bo Bjerggaard Kopenhagen Essl jun., Jonathan Meese, Robert Fleck Dichte der Fotostrecken von Peter Hön- Galeri Bo Bjerggard, Kopenhagen, 2008, und einem Gespräch zwischen Karlheinz nemann und nicht zuletzt auch die schau- ISBN 978-87-90857-58-5, 80 S. Bro- Essl und Jonathan Meese spielerische Brillanz von Martin Wuttke schur mit Rückstichheftung und Schutz- Kloster Neuburg/Wien, 2007, ISBN 978- im Schloss Neuhardenberg. umschlag, zahlreiche Farbabbildungen, 3-902001-38-2, 184 S., zahlr. Farbabbil- (ham) Format 19,4 x 18,8 cm, € 5,-- dungen, Klappbroschur, Format 30 x 24 cm, € 25,-- (Museumspreis)

Jonathan Meese/Peter Hönnemann 24 h Publikation zur gleichnamigen Ausstel- lung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg mit einem Gespräch zwischen Andreas Platthaus, Jonathan Meese und Peter Hönnemann Edition Braus im Wachter Verlag, Hei- delberg, 2007, ISBN 978-3-89904-293-1, 176 S., ca. 140 Farbabbildungen, Hard- cover, Format 33 x 24,5 cm, € 80,-- / SFR 135,--

Ohne seine Bereitschaft, immer neu in menschliche Abgründe zu blicken und an und über die Grenzen der eigenen Kraft hinaus zu gehen, wäre Jonathan Meese in den letzten zehn Jahren kaum in den Künstlerhimmel aufgestiegen. Die sehr Jonathan Meese, Fräulein Atlantis. Courtesy CFA, Berlin

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 67 Jonathan Meese ist in seinen jüngsten Babylon. Mythos und Wahrheit Der akribisch erarbeitete Katalog „Wahr- Ausstellungen und Katalogen dabei, die Publikation zur gleichnamigen Ausstel- heit“ dokumentiert an die 500 dieser Diktatur der Kunst und die Umwälzung lung des Staatlichen Museums zu Berlin, Objekte. Er fasst darüber hinaus die überkommener Herrschaftsverhältnisse des Musée du Louvre und der Réunion Forschungsgeschichte vom Gründungs- auszurufen. des musées nationaux, Paris sowie des mythos und den frühesten historischen Wenn die Kunst herrscht, wird alles Le- British Museum, London vom 26.06. Zeugnissen Babylons über das babylo- ben frei, leicht und unbeschwert. Unser – 05.10.2008 im Pergamonmuseum, Mu- nische Königtum, das Rechts- und Re- Leben wird dem von spielenden Kindern seumsinsel Berlin ligionssystem, die mit den Keilschriften gleichen. Meese denkt die Diktatur der Staatliche Museen zu Berlin/Hirmer verbundenen tradierbaren Wissenssyste- Kunst so natürlich wie die Verstoff- Verlag, 2008, ISBN 978-3-7774-5005-6, me, die Astrologie und die Mathematik wechselung von Nahrungsmitteln und so beide Bände zusammen € 55,-- (D), und nicht zuletzt auch die Babylonbilder attraktiv wie die Liebe: „Wenn die ‚Dik- SFR 93,-- der Bilder und die Idee und das Nachle- tatur der Kunst’ herrscht, wird das Land, ben des Turmbaus zu Babel in allgemein in dem alle Menschen und Lebewesen Katalogband: Wahrheit verständlicher Sprache zusammen. existieren(,) ‚Kunst’ heißen, die Ultra- Hrsg. von Joachim Marzahn und Gün- Man kann u.a. lernen, was historisch und regierung dieses Landes wird ‚Kunst’ ther Schauerte mit Beiträgen u.a. von theologisch hinter dem biblischen Bild genannt sein … Die Umgangsformen in Jaochim Marzahn, Beatrice André-Salvi- von der babylonischen Sprachverwir- der ‚Diktatur der Kunst’ werden sich aus- ni und Jonathan Taylor rung steht und wie die einst blühende, schließlich vom Stoffwechsel ableiten. 648 S., 424 Farbabbildungen, Hardcover multikulturelle und liberale Metropole Dieser ‚Stoffwechsel der Sache’ erzeugt gebunden, Format 28,6 x 25 cm Babylon an Bedeutung verlor. All diesen nichts als liebevollste ‚Neutralität’. Alles Erkenntnissen werden 648 Seiten gewid- Leben wird sich parallelisieren, wie tota- Katalogband: Mythos met. le Liebe“ (Jonathan Meese). Hrsg. von Moritz Wullen und Günther Mit 280 Seiten kommt der dem Mythos Meese weiß, dass er im Spannungsfeld Schauerte mit Beiträgen u.a. von Moritz Babylon gewidmete zweite Katalogband zahlreicher gescheiterter Versuche steht, Wullen, Horst Bredekamp, Bernd Wolf- deutlich schmaler daher. Allen Beteilig- Kunst und Gesellschaftsutopien mitein- gang Lindemann, Sébastien Allard und ten ist klar, dass die im Mythos-Band ander zu vermitteln. Gleichwohl sieht Michael Seymour getroffene Auswahl nur die oberste er sich an der Spitze einer neuen über 280 S., 70 s/w- und 140 Farbabbildun- Schicht des Mythos aufzeigen kann und alle bisherigen Ansätze hinausgehenden gen, Hardcover gebunden, Format 28,6 ein in zehn Jahren aufgelegter Band zum Bewegung: „Kein Künstler oder Mensch x 25 cm selben Thema ein völlig neues Bild erge- vor Jonathan Meese hat jemals uneinge- ben würde. schränkt die Diktatur der Kunst ausgeru- Die Erzählung vom Turmbau zu Babel Gleichwohl verblasst der archäologi- fen und staatsöffentlich propagiert. Diese gehört zu den Grundpfeilern der Reli- sche und historische Befund gegenüber extremste Ultravision ist der Schlüssel gionskultur und ist in den Bilderschatz, dem Mythos. „Bis heute ist der ‚Mythos der Zukunft und ein Garant für eine die Dichtung und das Liedgut der mor- Babylon’ stärker als die ‚Wahrheit Ba- totale Umwälzung (Berlin 1. Oktober gen- und abendländischen Geschichte bylon’… (Allen)… Verästelungen des 2007)“. eingegangen. Deshalb ist es mehr als Babylon-Mythos nachzuspüren ist ein Die angestrebte Umwälzung erscheint verständlich, dass dem Versuch, dem verlockendes Unternehmen. Es führt aber ihm spielerisch leicht: „Maul auf, Lolly Mythos Babel in gleich drei Großausstel- nie zu einem Ende. Indem grundsätzlich rein, Revolution raus“. Meeses in den lungen in ersten Häusern auf den Grund jeder Reproduktionsprozess auf jeden beiden Publikationen vorgestellten Col- zu gehen, allerhöchste Aufmerksamkeit anderen rekurrieren kann, wachsen die lagen, Montagen, Fotoübermalungen und gezollt wird. möglichen Verbindungen ins Unermes- Zeichnungen spiegeln diese Leichtigkeit. Wenn man, wie in Berlin, mit dem An- sliche. Ein Gesamtzoom auf dieses Netz- Solange aber das Spiel gleichsam in der spruch, Wahrheit und Mythos fein säu- werk geht über die Grenzen des Darstell- Cirkus-Manege („Manege frei!“) gespielt berlich trennen zu können, auftritt, wähnt baren weit hinaus… Mit einiger Sicher- wird und Kunst Kunst und alles andere man sich auf der sicheren Seite. Man heit lässt sich nur Folgendes behaupten: alles andere bleibt, wird die Kunst die kann ja auf 150 Jahre Forschungsge- Erstens, dass die Babylon-Mythen nur Welt zwar irritieren. Aber ansonsten schichte und neben dem Prunkstück der wenig mit den Sachverhalten des histo- bleibt alles beim alten. Was passiert, ständigen Sammlung, der Rekonstruktion rischen Babylon zu tun haben, und zwei- wenn die Diktatur der Kunst auf die des kleineren Vortors des Ischtar-Tores tens, dass die Realitäten, um die es geht, Welt ausgreift, bleibt offen. Aber das von Babylon, auf rund 800 weitere Ob- in erster Linie bedrohlicher Natur sind… ist derzeit noch nicht Jonathan Meeses jekte, so Herrscherstatuen, Keilschriften Poetisch formuliert: Im Spiegel des My- Problem. mit Ritual- und Gesetzestexten, Tonmo- thos erkennt sich die Zivilisation in ihrer (ham) del, Instrumente aus der medizinischen Fluchbeladenheit… Wir sind Babylon!“ Praxis, Handelsunterlagen und vieles (Moritz Wullen). andere mehr verweisen. Wenn aber wir Babylon sind, kann

68 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Wahrheit und Mythos schwerlich sau- € 14,-- (Museumsausgabe)/ € 16,-- Birgit Brenner trägt eine monumentale, ber getrennt bleiben. Auch darauf weist (Buchhandelsausgabe) 3 x 9 m große mediale Arbeit bei, auf der Wullen hin: „Der Wissenschaftler kann u.a. eine Katze mit einem Hund spielt sich nie sicher sein, ob er mit seinen Be- Die von den nach 1970 geborenen Ku- und in weißer Schreibschrift auf schwar- obachtungen noch außerhalb des Mythos ratorInnen konzipierten Ausstellungen zem Grund zu lesen ist „Another thirty, steht oder schon innerhalb des Netzwerks und die sie begleitende Publikation will forty years, if nothing goes wrong“, agiert. aufzeigen, dass das Alter nach heutigem „Switch the light out!“ und „Yes, in a Er arbeitet ja nicht anders als der My- Verständnis kein zeitlich eingrenzbarer minute“. thos. Indem er Textstellen zitiert und Bereich mehr ist, sich nicht mehr durch Von Peter Granser stammen Fotografien Bilder reproduziert, wird er zum Akteur durchgehende Handlungsmuster definie- von alten amerikanischen MitbürgerIn- in der Matrix. Das Ergebnis seiner Arbeit ren lässt und sich in seiner Vielgestal- nen aus seiner Serie „Sun City“ und von ist eine Super-Reproduktion, die – wie tigkeit auch nicht mehr durch mediale Grit Hachmeister eine Serie fotografi- jede andere Darstellung eines Babyloni- Konstruktionen wie Frank Schirrmachers scher Interieurs, in der sie scheinbar an schen Turms oder einer Nebukadnezar- Methusalem-Komplott und einen „Krieg ihrem Wohnzimmer eingenickte oder auf Figur – die Mentalität und die Kultur der Generationen“ beschreiben lässt. ihren Sofas schlafende ältere Menschen seiner Epoche widerspiegelt“ (Moritz „Eine Ausstellung kann… Ungewis- zeigt. Sie nennt ihre Serie „Frieda Krüger Wullen). sheiten…verdeutlichen,…Denkanstöße oder Puppen sterben nicht“. Die Serie Wullens nachdenkliche Einlassungen geben und neue Sichtweisen ermögli- zeigt Puppen, keine Menschen. zeichnen die Linie weiter, mit der der chen. Uns geht es darum, die Sprengkraft (ham) Kieler Philosoph Kurt Hübner 1985 aus dem Thema herauszuhalten und seine lebenslangen Forschungen zur Polarisierungen zu vermeiden“ (Simon Wissenschaftstheorie und zu Mythos Marschke). Emily Jacir und Religion zusammengefasst hat: Ei- Der Band vereinigt 30 Positionen von Katalog zu den gleichnamigen Aus- nerseits wird die Wirklichkeit im Lichte zwischen 1920 und 1980 geborenen stellungen vom 25.08. – 25.11.2007 wissenschaftlicher Erkenntnis entzaubert. KünstlerInnen. Zu den eindrücklichsten im Kunstmuseum St. Gallen und vom Andererseits wirkt der Mythos auch im Positionen gehören die schwarzweißen 16.12.2007 – 10.02.2008 in der Villa Zeitalter der Wissenschaften weiter und fotografischen Portraits des eigenen Merkel, Galerien der Stadt Esslingen behält seine eigene Wahrheit. alternden Körpers von John Coplands. Hrsg. von Roland Wäspe und Andreas Deshalb muss mit Hübner und Wullen nach der Irrationalität der Wissenschaft und nach der Rationalität des Mythos gefragt und die säuberliche Trennung von Wahrheit und Mythos auch bei For- schungsprojekten wie Babylon wenig- stens an einzelnen Stellen und zeichen- haft wieder aufgehoben werden. Gut, dass das wenigstens Moritz Wullen mit seinem Essay „Mythos Babylon“ tut! (ham)

Die Kunst des Alterns Publikation zu den Ausstellungen „Ein Leben lang“ vom 26.07. – 31.08.2008 in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin und „Wir sind immer für Euch da. Über das Versprechen der Ge- nerationen“ vom 10.05. – 13.07.2008 im Kunsthaus Dresden Mit Texten u.a. von Simon Marschke, Sabine Kampmann, Stephan Lessenich und Silvia Bovenschen Berlin, Dresden, 2008, ISBN 978-3- 938515-19-8, 160 S., zahlr. s/w- und Denkmal für 418 palästinensische Dörfer, die 1948 durch Israel zerstört, entvölkert und besetzt wurden, Farbabbildungen, Broschur mit Schutz- 2001, Flüchtlingszelt, Stickfaden, Tagebuch mit den Namen derer, welche die Schriftzüge stickten. umschlag, Format 23,5 x 16,5 cm, 260 x 300 x 455 cm. National Museum of Contemporary Art, EMST, Athens

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 69 Baur mit Texten von Murtaza Vali, Ada- Katalog zu den gleichnamigen Aus- an. Wer keine Gelegenheit hatte, die Aus- nia Shibli und den Herausgebern stellungen vom 16.03. – 24.08.2008 im stellungen in Krefeld und Nürnberg zu Verlag für moderne Kunst Nürnberg, Kunstmuseum Krefeld, Museum Haus besuchen und schöne Bücher liebt, wird 2008, ISBN 978-3-939738-57-2, 98 S., Esters und vom 18.09. – 16.11.2008 in den Katalog mit Begeisterung studieren zahlr. Farbabbildungen, Hardcover ge- der Kunsthalle Nürnberg und in die Sammlung seiner schönsten bunden, Format 28,6 x 22,5 cm, € 18,-- Hrsg. von Martin Hentschel und Ellen Bucher einreihen. (Museumsausgabe) Seifermann mit einem Essay von Martin (ham) Hentschel und einem Vorwort der Her- Die 1970 geborene und heute in New ausgeber York und Ramallah lebende Palästinen- Kunstmuseum Krefeld/Kunsthalle Nürn- Paloma Varga Weisz serin Emily Jacir zählt seit ihrer Aus- berg/Kerber Verlag, Bielefeld, 2008, Guilded Age – A Tale of to-day zeichnung mit dem Goldenen Löwen ISBN 978-3-86678-186-3, 168 S., zahlr. Künstlerbuch aus Anlass der Ausstellung der Biennale Venedig 2007 für die beste Farbabbildungen, Hardcover gebunden Paloma Varga Weisz ‘Bumped Body’ Arbeit eines Künstlers unter 40 Jahren zu mit Fadenheftung, Format 25,1 x 17,5 vom 26.03. – 18.05. 2008 in der Kunst- den international beachteten Künstlerin- cm, € 24,-- halle Wien project space nen im Nahen Osten. Hrsg. von Gerald Matt und Angela Stief Von den in Esslingen und St. Gallen Kiki Smith, 1954 als Tochter des Archi- mit einem Text von Angela Stief und gezeigten Werken der konzeptionell ar- tekten und Bildhauers Tony Smith und einem Gespräch zwischen Gerald Matt beitenden Künstlerin bleiben einmal die der Opernsängerin Jane Smith in Nürn- und Paloma Varga Weisz zu einem Wandblock vereinigten, mit berg geboren, zählt für Martin Hentschel Kunsthalle Wien/Verlag für moderne schwarzen Zeichen oder Zeichnungen und Ellen Seifermann seit geraumer Zeit Kunst Nürnberg, Nürnberg, 2008, ISBN übersäten Blätter in Erinnerung, die sie zu den profililiertesten KünstlerInnen in 978-3-940748-28-7, 48 S., ganzseitige „From Paris to Riyadh (Drawings for my den USA. Abbildungen, separater Textbeileger mit Mother)“ nennt. Jacir erinnert in diesen Ihr fast 30 Jahre umfassendes Øeuvre 8 S., Paperback, Format 26 x 19 cm, Zeichnungen an eine Praxis ihrer Mutter. setzt sich mit der conditio humana, dem € 22,--/SFR 39,-- Diese hat auf Flügen zwischen Paris und menschlichen Körper, seinem Inneren, Riyadh Vogue-Ausgaben mit schwarzer seinen Organen, seinen Körperflüssig- Für Angela Stief bedarf es zur Erschlie- Tusche so überarbeitet, dass die Zenso- keiten und seiner Fragilität und Vergäng- ßung des Werks der in Mannheim gebo- ren an nackter Haut keinen Anstoß mehr lichkeit auseinander. Ihre ortsspezifisch renen, in Düsseldorf lebenden und u.a. nehmen konnten. für die Ausstellungsräume in Krefeld durch ihre Teilnahme an der Biennale Ihre Zweikanal-Videoinstallation „Cros- und Nürnberg, konzipierte Arbeit „Her Venedig 2005 bekannt gewordenen sing Surda (a record of going to and Home“ umfasst u.a. Holz-, Bronze-, Alu- Künstlerin der Kontemplation und einer from work)” zeigt ihren täglichen Weg minium-, Glas-, Porzellan- und Papier- Atmosphäre der Stille, „damit die sub- von Ramallah zur Bir-Zeit-Universität skulpturen, Zeichnungen und Collagen tilen Gefühlswerte einer authentischen aus der Perspektive einer in ihrer Tasche auf großformatigen Nepalpapieren, Fo- Innerlichkeit, die Varga Weisz in ihrer verborgenen Kamera. Dieser Weg war tografie, Glasmalereien und Holzschnitte. Kunst zum Klingen bringt, voll zur Ent- der einzige noch offene Verbindungsweg Für Martin Hentschel lädt Kiki Smith mit faltung kommen“ (Angela Stief). zwischen Ramallah und etwa 30 palästi- ihrer Arbeit „Her Home“ zur Meditation Weisz konzentriert sich auf die mensch- nensischen Dörfern. über die Vergänglichkeit allen Lebens im liche Figur und ihre Verwandlungen. In ihrem „Memorial to 418 Palestinian Medium des Lebenslaufs einer inspirier- Ihren Köpfen und Figuren spürt man die Villages which were Destroyed, Depopu- ten Frau ein. Auseinandersetzung mit der handwerkli- lated and Occupied by Israel in 1948“ hat Diese Frau begegnet uns u.a. als vom chen Tradition der Holzbildhauerei und sie die Wände eines weißen Flüchtlings- Heiligen Geist und/oder der künstleri- der Herstellung von Körpern aus Stoffen zeltes mit den Namen von untergegan- schen Inspiration Heimgesuchte (An- ab. „Ausgehend von einem Teil der im genen Dörfern bestickt, an die sich noch nunciation, 2008, cast aluminum), als project space ausgestellten Arbeiten rund 150 Männern und Frauen u.a. aus die Liebe und/oder die Lebensaufgabe versammelt das Künstlerbuch ‚Gilded Palästina, den USA und Israel erinnern Suchende (Search, 2008, cast aluminum, Age’ Zeichnungen und Skulpturen… wie konnten. Die noch nicht vernähten Fäden white and yellow gold leaf), als Gratu- ‚Korbfrau’, ‚Mann mit Hut’, ‚Frau in im Inneren des Zeltes erinnern daran, lantin mit einem Blumenstrauß in der Hut’, ‚Geknickter Mann’, ‚Dandy’, ‚Bau- dass auf den Zeltwänden weitere Namen Hand (Singer, 2008, Cast aluminum) ern’, ‚Bettler’ genauso wie altes Bildma- ihren Platz finden können. und als Sterbende in einer zwölftteiligen terial, das… sie ausgehend von der losen (ham) Holzschnittserie. thematischen Fassung ‚Hut’ und ‚Korb’ Dem liebevoll und hochpräzise gestalte- für das Buch zusammenstellte“ (Angela ten Katalog merkt man die Handschrift Stief). Kiki Smith der Künstlerin bis hin zur Wahl des Vor- Der Titel „Gilded Age – A Tale of to- Her Home satzpapiers und der Umschlaggestaltung day“ verweist auf Mark Twains und

70 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Charles Dudley Warners satirischen Einblick in den gegenwärtigen Stand durch Atome, Korpuskeln und Wellen Roman von 1873. der Zeichnung, auch wenn man unter und vielleicht auch die Streng-Theorie (ham) den sechsundzwanzig Positionen die erinnern. inzwischen national und international (ham) beachteten Zeichner Thomas Müller, aus gezeichnet Christian Schwarzwald und Sam Szem- Die Zeichnungen des Giovanni Lan- Im Kraftfeld der Linie bek vermisst. franco Katalog zur gleichnamigen Ausstellung (ham) Publikation zur Ausstellung „Giovanni vom 01.06. – 28.09.2008 des Kunstver- Lanfranco (1582-1647). Seine Zeich- ein KISS im Schloss Untergröningen nungen in Düsseldorf“ vom 08.04. Hrsg. von Otto Rothfuß und Margarete Norbert Prangenberg – 05.06.2006 im museum kunst palast Rebmann mit Texten u.a. von den Her- Zeichnung 1978-2004 Düsseldorf ausgebern Katalog zu den Ausstellungen vom Hrsg. von der Stiftung museum kunst Kunstverein KISS, Kunst im Schloss 23.10.2004 – 23.01.2005 im Kaiser Wil- palast, Düsseldorf mit einer Einleitung Untergröningen, Abtsgmünd-Unter- helm Museum, Krefeld und vom 03.09. und Erläuterungen zu den Zeichnungen gröningen, 2008, 72 S., zahlr. s/w- und – 16.10.2005 in der Staatlichen Kunst- von Erich Schleier Farbabbildungen, Klappbroschur, halle Karlsruhe museum kunst palast, Düsseldorf, 2006, Format 24 x 16 cm, € 10,-- Hrsg. von Martin Hentschel und Klaus ISBN 3-422-066020-0, 192 S., zahlr. Schrenk mit Texten u.a. von Walter s/w- und Farbabbildungen, Klappbro- Aus der Linie, die Chaos und Ordnung, Grasskamp und Ralf Christofori schur, Format 27,1 x 22,2 cm, € 34,50 Himmel und Erde, Sommer und Winter, Krefelder Kunstmuseum, 2004, ISBN Tag und Nacht und auch System und 3-9378082-25-5, 144 S., zahlr. s/w- und Unter den großen öffentlichen Samm- Umwelt trennt, entsteht der Kosmos Farbabbildungen, Klappbroschur, Format lungen von Zeichnungen von Lanfranco der Zeichnung. Ab dem 18. Jahrhundert 30 x 24 cm, € 25,-- stehen die Düsseldorfer und Windsor behauptet sie ihre Eigenständigkeit. Im Castle-Konvolute mit je 48 Blättern nach Übergang zum 21. Jahrhundert hat sie Der Band dokumentiert mit rund 90 Neapel und Florenz an dritter Stelle. Die längst die Grenzen zum Film, zur Musik, Bleistiftzeichnungen, Aquarellen und 48 Düsseldorfer Zeichnungen lassen sich zum Schauspiel und zu den elektroni- Gouachen aus den Jahren 1978 bis 2004 mit einigen Ausnahmen als Vorstudien schen Medien überschritten. eine bis dahin kaum beachtete Facette im u. a. auf Werke wie „Die Geißelung In der von Otto Rothfuß und Margarete Werk des vor allem durch seine häufig Christi“ in S. Maria in Vallicella, Rom Rebmann kuratierten Ausstellung stehen als „Figur“ bezeichneten großformatigen und das Kuppelfresko von S. Andrea u.a. William Forsythe, William Ken- keramischen Vasen, Amphoren und Ge- della Valle in Rom beziehen. tridge, Olga Neuwirth und Anna Tretter fäße bekannten Künstlers. Eine Einführung in den Werdegang für diese Grenzüberschreitung, aber auch Auf seinen Zeichnungen scheint er die und die künstlerische Entwicklung des Óscar Muñoz. Letzterer zeichnet in sei- aus seinen Malereien bekannten schlan- Parmenser Malers des Barock in Rom nem Video „Re/trato“, 2003, mit Wasser ken Ovale, windschiefen Rauten und und Neapel, die Zeichnungen, die nicht immer neue Umrissportraits auf heiße, asymmetrischen Trichterformen ebenso als Vorstudien für ein bestimmtes Werk von der Sonne beschienene Steine, die vorwegzunehmen wie seine konzentri- identifiziert werden konnten und die ihre Konturen beim Abtrocknen in Kürze schen Kreise, Dreiecke, Ellipsen und zweifelhaften und abgelehnten Zuschrei- wieder verlieren. Ob der 1951 in Kolum- Vielecke. bungen komplettieren das kunsthistori- bien geborene Muñoz an Verschwundene Zwischen 1978 und 1987 dominieren ins sche Grundlagenwerk. oder an die menschliche Vergänglichkeit Blatt gesetzte Kreis-, Rechteck-, Qua- (ham) erinnert, bleibt offen. drat-, Dreieck- und Rautenformen, die er Der Stuttgarter Johannes Hewel steuert mit Bunt- und Bleistift ebenso umspielt mit den kleinformatigen Arbeiten aus wie mit dem Kugelschreiber, der Wachs- Michael Croissant seiner Serie „Mutti“ von 2005 klassische kreide, der Tusche und der Wasserfarbe. Figuren und Köpfe Kohlezeichnungen auf Papier bei. Der Zwischen 1989 und 2000 spielt sich der Publikation zur gleichnamigen Aus- mit vielen Stipendien ausgezeichnete Strich und damit die Vernetzung der For- stellung vom 02.08. – 21.09.2008 im Rolf Nikel verzichtet auf den Blei- und men in den Vordergrund. Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern Kohlestift ebenso wie auf den Pinsel und Zwischen 2001 und 2004 wechseln Hrsg. von Britta E. Buhlmann mit einem bemalt seine raumfüllenden Blätter mit sich linien- und formdominierte Blätter Essay von Bettina W. Ebbinghaus-Hofff- den bloßen Händen. Markus Strieder ab. Mit seiner größten im Katalog ab- mann schließlich setzt seine Linien mit gewalz- gebildeten Zeichnung, 2004, Bleistift, Museum Pfalzgalerie, Kaiserslautern, ten und geschmiedeten Stählen in den Wasserfarbe, Kohle, Tusche auf Papier, 2008, ISBN 3-89422-153-4, 24 S., 18 Raum. 180 x 300 cm, könnte Prangenberg an die s/w-Abbildungen, Broschur, Rückstich- Die Ausstellung gibt einen stringenten Diskussion um den Aufbau der Materie heftung, Format 21 x 14,8 cm, € 5,--

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 71 Das Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern Bea Emsbach ihrer Stile und Genres übergreifenden erinnert mit seiner Kabinettausstellung Haushaut künstlerischen Sprache gefunden. an den 80. Geburtstag des 1928 in Lan- Katalog und Begleitheft zur gleich- Motive aus der Alltags- und Volkskultur, dau/Pfalz geborenen ehemaligen Leiters namigen Ausstellung vom 21.03. aus Mythen, Märchen und Sagen stehen der Bildhauerklasse im Städel in Frank- – 01.08.2008 in der Kunstsammlung im neben Formulierungen des Konstruk- furt. Croissant hat sich ein Leben lang Stadtmuseum Jena mit einem Text von tivismus und des Suprematismus und in erster Linie mit dem menschlichen Erik Stephan verbinden sich auf ihren bis zu acht Körper befasst. Seine Figuren, Köpfe jena kultur, Kunstsammlung im Stadt- Meter großen Holzschnitten zu virtuos und Torsi sind ab den 1970er Jahren museum, Jena, 2008, ISBN 978-3- collagierten, farbenfrohen Bildteppichen. zunehmend von geometrisch-abstrakten 930128-88-4, 36 S., 31 Farbabbildungen, Daneben stehen Schreibmaschinenzeich- Formen bestimmt und konzentrieren sich Broschur, Faden- bzw. Rückstichheftung, nungen, Aquarelle und in aller Regel ab 1985 auf das Thema Kopf. Format 26,5 x 18,2 cm, € 10,-- kleinformatige Skulpturen. Ausstellung und Katalog machen auch Alle Gattungen nehmen aufeinander Arbeiten des 2002 in Haar-Gronsdorf Bea Emsbach greift in ihrer Haushaut- Bezug. Ausstellungen werden bis hin zur bei München verstorbenen Künstlers Serie von 2007 auf unlinierte Schulhefte Farbgebung der Wände als Gesamtkunst- zugänglich, die bisher noch nie in einem zurück und zeigt in ihren roten Zeich- werke inszeniert. Museum zu sehen waren. nungen auf gegilbtem Grund Männer, Zu jeder Ausstellung erscheint ein groß- (ham) Frauen und Hermaphroditen, die wie formatiges Plakat, das als eigenständige Schlangen ihre Haut abwerfen oder sich Arbeit in die jeweilige Ausstellung ein- in der Camouflage üben. Das Personal geht. Jan Wawrzyniak der Werkgruppe scheint wie C.G. Jung Matthia Löbke hat mit ihrer Einladung Gezeichnete Bilder auf der Suche nach dem Selbst; offen zur Ausstellung „Nichts brennt an, nichts Publikation zu den gleichnamigen Aus- bleibt, ob beim Häutungsprozess Animus kocht über“ 2007 in den Kunstverein stellungen vom 16.09. – 04.11.2007 und Anima integriert werden können Heilbronn einmal mehr ihr Gespür für in der Kunsthalle Erfurt, vom 02.08 oder nicht. Hochbegabungen bewiesen. Die Aus- – 21.09.2008 im Museum Pfalzga- Ihre Werkgruppen „Nährkleid“ und stellungen im Museum of Modern Art in lerie Kaiserslautern und vom 12.10. „Nistplatz“ knüpfen an ihre bisherige New York im selben Jahr und die Aus- – 30.11.2008 im Kunstmuseum Diesel- zeichnerische Auseinandersetzung mit stellung ein Jahr später im Kunstmuseum kraftwerk Cottbus hermetischen und naturwissenschaftli- Bonn bestätigen die Wahl. Hrsg. von H. L. Alexander von Bers- chen Traditionen an. Ihre jüngste Werk- Der im Katalog erarbeitete Überblick wordt-Wallrabe mit einem Essay von gruppe plastischer Figuren aus PVC stellt macht die Beobachtung der Weiterent- Karen van den Berg unter anderem eine verletzlich wirkende, wicklung des Werks der Zwillingsbrüder Erfurt/Kaiserslautern/Cottbus/Galerie m, vielbrüstige Artemis vor. zur Pflichtaufgabe. Bochum 2007, ISBN 978-3-9811884-0- (ham) (ham) 0, 68 S., 37 s/w-Abbildungen, Klappbro- schur, Format 29 x 23,4 cm, € 15,-- Gert & Uwe Tobias Uwe Kowski Der 1971 in Leipzig geborene und heute Publikation zu den Ausstellungen vom Gemälde und Aquarelle 2000-2008 in Halle lebende Zeichner Jan Wawrzyni- 23.03. – 20.05.2007 im Kunstverein Publikation zur Ausstellung Uwe Kow- ak konzentriert seine Bildmittel seit Ende Heilbronn und vom 05.03. – 12.05.2008 ski. Malerei 2001 bis 2008 vom 28.06. 2002 auf schwarze Kohlen auf grundier- im Kunstmuseum Bonn – 14.09.2008 in der Kunsthalle Emden ten Leinwänden. Er versteht diesen Pro- Hrsg. von Stefan Gronert und Matthia Hrsg. von Nils Ohlsen mit Texten von zess der radikalen Reduktion als notwen- Löbke mit Texten der Herausgeber und Ulf Küster und dem Herausgeber dige Filterung und eine Art Klausur. Interviews mit den Künstlern Kunsthalle Emden/Holzwarth Publica- Seine linear wie flächig auf die Leinwän- Snoeck Verlagsgesellschaft mbH, Köln, tions, 2008, ISBN 978-3-935567-47-3, de aufgebrachten Kohlen lassen perspek- 2008, ISBN 978-3-936859-76-8, 184 S., 188 S., zahlr. Farbabbildungen, Hard- tivisch nicht mehr ausrechenbare hybride zahlr. Farbabbildungen, Hardcover ge- cover gebunden mit Schutzumschlag, Bildräume zwischen Zeichnung und bunden, Format 29,5 x 24,3 cm, € 29,80 Format 32,5 x 30,5 cm, € 25,-- Malerei entstehen, die das Sehen irritie- ren und gewohnte Balancen außer Kraft Die 1973 auf einem Hof in Kronstadt/ Die präzise in den Bildraum gesetzten setzen. Für Karen van den Berg spiegeln Rumänien geborenen und 1985 nach Buchstaben, Schriftzüge und Wortfetzen sie damit. „…jenes Weltverhältnis …, für Rüsselsheim/Deutschland, ausgewander- in Malereien wie ‚Traum’, 2008, ‚Not’, das die Begriffe postutopisch und gefähr- ten Siebenbürger Sachsen Gert und Uwe 2007, ‚Irren’, 2006 und ‚Amok (Beten)’, det treffend zu sein scheinen…“ (Karen Tobias haben die Welt ihrer Vorfahren 2005, erinnern zwar auch an Uwe Kows- van den Berg). 1999 bei einer Studienfahrt durch die kis erste handwerkliche Ausbildung als (ham) Karpaten wieder entdeckt und dabei zu Schriftenmaler; sie übernehmen aber in

72 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 erster Linie strukturierende und kompo- inszenierte Fotografie des 1962 in Der viele zehntausende BesucherInnen sitorische Funktion. Budapest geborenen Gábor Gerhes. Ger- fassenden Megachurch steht das an eine Ab dem Jahr 2000 lässt „Kowski Kör- hes verbindet in seinen Kompositionen Scheune erinnernde ‚Creation Evidence’- per gegen Struktur und Raum gegen visuell umgesetzte Sprachbilder mit Museum gegenüber, dem Plakat ‚Never Fläche antreten. Dabei sucht er nicht grafischen Elementen. In seiner Arbeit Hillary’‚Jesus is the Answer’, dem jun- den Kontrast, sondern die Synthese der „Mann mit unterschiedlicher Religion gen Mann mit seinem Kreuz mit Rollen Elemente. Die Form wird nicht aus der zeigt zum Himmel“, 2004, Lambda- zwei ins mittlere Lebensalter gekom- vorherrschend leuchtenden und zum Teil Print, 122 x 171 cm, streckt ein etwa mene Pfadfinder, die die amerikanische pastellartigen Farbe errungen, sondern vierzigjähriger Mann im grauen Busines- Flagge durch eine verlassene Wohnsied- allein durch die unterschiedliche Dichte sanzug seine Linke einem im Himmel lung tragen. der locker gesetzten Farbkürzel gebildet schwebenden schwarzweißen Doppel- Über die von Barry Vacker in seinem re- … In den Jahren 2000 bis 2004 zeigen kreuz entgegen. ligionspolemischen Essay ausgemachten seine Gemälde eine grundsätzlich flä- In seiner Fotografie „Mann, der in sei- Parallelen zwischen Schöpfungsmythen chige Bildauffassung… Der Farbraum nem Glauben aufgehen möchte“, 2004, und JFK-Verschwörungstheorien sagen scheint sich nicht in die Tiefe des Bildes, Lambda-Print, 168 x 122 cm, sitzt ein Gransers Fotografien nichts. Deshalb sondern von der Bildoberfläche aus in Mann in schwarzer Badehose am Ufer kann man getrost davon ausgehen, dass den Raum des Betrachters auszudeh- eines Waldsees. Vor ihm schwebt ein sie der Vorstellungswelt des Texaners nen… Nach 2004 … (funktioniert das) nahezu bildgroßes Rechteck. entstammen. Bild zunehmend wie ein Fenster, das den Er sollte aufstehen und einen Kopfsprung (ham) Blick in einen Raum hinter der Leinwand riskieren. zulässt … Er will seine Kunst als Malerei Arion Gábor Kudász fotografiert nächtli- verstanden wissen, die sich mit Malerei che Stadtlandschaften, die sich durch at- Robert Häusser beschäftigt, nicht theoretisch, sondern im mosphärische Dichte auszeichnen. Lenke Das Moortagebuch Prozess der Bildentstehung“ (Nils Ol- Szialágyi dokumentiert das in Budapest Fotografien und Notizen sen). Der Katalog umfasst eine Vielzahl und überall in Ungarn im Untergrund Publikation zur gleichnamigen Ausstel- neuer Malereien und Aquarelle aus den blühende intellektuelle Leben und die lung vom 17.05.2008 – 30.04.2009 im Jahren 2000 bis 2008. Jugendszenen. Reiss-Engelhorn-Museum, Mannheim, (ham) (ham) Zeughaus C5 Hrsg. von Alfried Wieczorek und Claude W. Sui mit Texten von Robert Häusser Zeitgenössische Fotokunst aus Ungarn Peter Granser und den Herausgebern Publikation zu den gleichnamigen Aus- Signs Reiss-Engelhorn-Museen, Band 27/ stellungen vom 19.01. – 02.03.2008 im Publikation zu den gleichnamigen Aus- Verlag Schnell & Steiner, Regensburg, Neuen Berliner Kunstverein, vom 13.04. stellungen vom 01.02. – 22.03.2008 im 2008, ISBN 978-3-7954-2069-7, 72 S., – 04.05.2008 im Halleschen Kunstverein Museum of Contemporary Photography, 25 s/w-Abbildungen, eine vom Künst- und vom 06.07. – 31.08.2008 in der Ga- Chicago, vom 09.05. – 29.06.2008 im ler mit Arbeitsnotizen versehene Karte, lerie der Stadt Sindelfingen Kunstverein Ludwigsburg und vom Leinen gebunden, Format 25 x 22,4 cm, Hrsg. vom Neuen Berliner Kunstverein 15.03. – 03.05.2009 im Kunstverein Ulm € 29,90 mit Texten von Zsolt Petrányi und László Mit Texten von Karen Irvine und Barry Beke Vacker Von dem Klassiker der existentiellen Neuer Berliner Kunstverein/Edition Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2008, Fotografie der Nachkriegsjahre Robert Braus im Wachter Verlag, Heidelberg, ISBN 978-3-7757-2157-8, 132 S., 99 Häusser existiert nur ein Projekt, das sei- 2008, ISBN 978-3-89904-309-9, 150 S., Farbabbildungen, zwei Klapptafeln, Lei- ne fotografischen Aufnahmen mit schrift- zahlr. Farbabbildungen, Broschur, For- nen, Format 30,03 x 30,03 cm, € 39,80 / lichen Notizen verbindet, sein Moorta- mat 30 x 23,8 cm, € 19,-- CHF 69,-- gebuch. Es ist im Januar und Februar 1984 im Kontext des ihm verliehenen Für Zsolt Petrányi wird in der ungari- Der durch seine Fotoarbeiten zum Al- Kunstpreises der Stadt Nordhorn entstan- schen Gegenwartsfotografie nach wie vor tenparadies ‚Sun City’, zu Menschen den und lässt an seiner Suche nach dem die Schwarzweißtradition des klassischen mit Alzheimer und durch Ausstellungen richtigen Moment für seine Aufnahmen ungarischen Dokumentarismus gepflegt. in der Galerie 14-1 in Stuttgart und im teilhaben, der für ihn mit erlebtem Sehen Daneben stehen die Kunstfotografie mit Houston Museum of Fine Arts bekannt verbunden sein muss und der Vorstel- ihrem wieder erwachten Interesse an den gewordene Fotograf dokumentiert im lung, dass Form und Absicht zu einer tagebuchartigen Bildabfolgen und die vorliegenden Band die Stimmung im Einheit verschmelzen. Wenn Situationen postkonzeptionelle Fotografie. Amerika der auslaufenden Bush-Re- zu Bildern werden können, fühlt sich Katalog und Ausstellung stellen elf fo- gierung im Spiegel von Billboards, Ar- Häusser wie in einem Magnetfeld und er tografische Positionen vor, darunter die chitektur, Straßenszenen und Zeichen. muss nur noch auf den Auslöser drücken.

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 73 Dass diesem Moment der Ernte das Pflü- der Schatten schippert. „In Schöllham- Lange und Oliver Wick mit Beiträgen gen, das Säen und sehr viel Überlegung mers Installationen wird die Linie räum- u.a. von Gottfried Boehm, Jessica Ste- vorausgehen müssen, belegt nicht zuletzt lich, da sie nicht mehr einfach der planen wart und den Herausgebern die dem faszinierenden Band beigegebe- Fläche des Papierbogens folgt. Hirmer Verlag München, 2008, 219 S. ne Landkarte, auf der Häusser mögliche Zu den gezeichneten Linien kommen zahlreiche s/w und Farbabbildungen, Standorte und Tageszeiten für seine Auff- die Linien und Umrisse des sich von Hardcover gebunden, Format 28,5 x 28 nahmen festgehalten hat. der Wand weg und zur Wand hin ergie- cm, € 29,-- (Museumsausgabe), € 39,90 (ham) ßenden Papiers hinzu… Das Papier ist (Verlagsausgabe) verletzt, es wird destruiert, Papierbahnen durchdringen sich förmlich, sie überdek- Die gemeinsam mit der Kunsthalle der Martin G. Schmid ken sich, konkurrieren miteinander. Da Hypo-Kulturstiftung, München, erarbei- Ich will Deine Spezies sein! sind Auflösungserscheinungen, die selbst tete und wohl auf lange Zeit letzte große Publikation zur gleichnamigen Ausstel- wieder Anlass werden zu neuen Findun- Rothko-Ausstellung in Deutschland um- lung vom 03.05. – 21.06.2008 in der gen“ (Hans-Peter Miksch). fasst in der Hamburger Kunsthalle etwa Galerie K4 München Anders als bei Anna Oppermann fühlt 80 Gemälde und 40 Arbeiten auf Papier Galerie K4, München, 2008, 28 S., 15 man sich nicht an Kopfgeburten, sondern aus allen entscheidenden Phasen seines Farbabbildungen, Broschur, Rückstich- an bewusst/unbewusst inszenierte Mär- Schaffens. Dazu kommen drei noch nie heftung, Format 21 x 21 cm, € 5,-- chenlandschaften und an die Atmosphä- gezeigte Skizzenbücher. Der Hambur- re von über Jahrtausende gewachsene ger Caspar David Friedrich-Bestand Martin G. Schmid, 2002 bis 2004 Mei- Tropfsteinhöhlen auf der Schwäbischen und der eigens aus Berlin ausgeliehene sterschüler bei Bernhard J. Blume, nützt Alb erinnert. ‚Mönch am Meer’ gab Gelegenheit, Fehler von Bildbearbeitungsprogrammen (ham) Robert Rosenblums These zu überprü- für seine auf digitalen Farbausdrucken fen, dass Rothko das Erbe der Romantik erstellte Grundmatrix, überträgt diese auf angetreten habe. Rothkos Selbstbildnis Leinwand und bearbeitet sie malerisch Mark Rothko mit dunkler Brille von 1938 und seine weiter. Die so entstandenen, Abstraktion Retrospektive Gemälde und Aquarelle zur Figur des und Gegenständlichkeit vereinenden Publikation zu den gleichnamigen Aus- blinden Sehers Teiresias werden zu einer Bildwelten sensibilisieren für eine Welt, stellungen vom 7.2. – 27.4.2008 in der Art Brücke: Friedrich geht davon aus, in der sich Gegenstände in Atome und Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, dass man das leibliche Auge schließen Energie in auflöst und in der München und vom 16.5. – 24.8.2008 muss, um die für einen selber wichtigen die Wolken nach Tschernobyl Pilze, in der Hamburger Kunsthalle Bilder vor seinem geistigen Auge zu Hasen und Rehe atomar verseuchen: Hrsg. von Hubertus Gaßner, Christiane erkennen. Rothko sieht es als Aufgabe ‚fallin’fallout – Kernwild’, 2008, 140 x 451 cm, Öl, Acryl, Firniss, Tintenstrahl- UV-Farbe auf Leinwand. (ham)

Nadja Schöllhammer Styx Katalog zur Ausstellung ‚Styx – Nadja Schöllhammer in der kunst galerie fürth’ vom 24.05. – 22.06.2008 Hrsg. von Hans-Peter Miksch mit einem Text des Herausgebers kunst galerie fürth, 2008, ISBN 978-3- 9809378-7-0, 48 S., zahlr. Farbabbildun- gen, Broschur, Format 21,5 x 24 cm, € 7,--

Nadja Schöllhammers raumgreifende Papierinstallationen leben von der Le- bendigkeit ihrer Zeichnungen und ihren Rückgriff auf mythische Stoffe wie die Erzählung vom Fährmann, der die Toten mit seinem Boot über den Styx ins Reich Robert Häusser, Das Moortagebuch. Textauszug: 4. Februar

74 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 der Kunst an, „den Mythos in der Gegen- Künste München mension an Kunst und Religion angrenzt, wart neu zu begründen“ und ist darüber „… kein bestimmter Lehrplan, kein in der zweiten an die Wissenschaft und in selber zum blinden Seher geworden. Die gleichförmiger Mechanismus“ der dritten an „die artifizielle Bühne als Verbindung von Blindheit und Sehergabe Publikation zum 200-jährigen Bestehen einem Schauplatz des Gedächtnisses, an erlaubt es ihm, grundlegende mensch- der Akademie sowie der begleitenden dem sich die Welt in die Welten des Er- liche Emotionen, Ekstasen, Tragödien Ausstellungen ‚Die Kraftprobe’ vom innerns und des Vergessens verschiebt“ und Schicksale ins Bild zu bringen. Der 30.5. – 31.8.2008 im Haus der Kunst, (Bernhard Lypp). blinde Seher Teiresias vermag nicht nur München und ‚Architektur im Kreis der (ham) tragische Verstrickungen und Unglück Künste’ vom 15.2. – 18.5.2008 im Archi- vorauszusehen, sondern eben auch den tektur-Museum der TU München in der schönen Traum eines ungeteilten Glücks Pinakothek der Moderne Sigalit Landau in ewiger Vereinigung. Hrsg. von Nikolaus Gerhart, Walter The Dining Hall Die Tragödie steht vor allem für das Grasskamp und Florian Matzner Publikation zur gleichnamigen Aus- erhabene und das immer wieder zitierte Hirmer Verlag, München, 2008, ISBN stellung vom 18.11.2007 – 13.1.2008 „Drama“ in seiner Kunst, die Ekstase 978-3-7774-4205-1, 592 S.,zahlreiche in Kunst-Werke Berlin e.V. Hrsg. von aber für die Erfahrung des Schönen, d.h. s/w- und Farbabbildungen, Hardcover Gabriele Horn und Ruth Ronen mit Tex- für den Zustand des Außer-sich-Seins gebunden mit Schutzumschlag, Format ten unter anderem von Zvi Shir, Adi Efal beim Anblick überwältigender Schönheit. 30,6 x 25 cm, € 49,90 und Tom Trevor Die ab Ende 1946 scheinbar aus dem Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2008, Nichts entstehenden großformatigen, als Die schwergewichtige Publikation zeich- ISBN 978-3-7757-2104-2, 292 S., zahl- Fest aus Licht und Farben zu erlebenden net nicht weniger als die Geschichte der reiche s/w und Farbabbildungen, Hardco- abstrakten Gemälde schreibt Hubertus im 19. Jahrhundert unter Peter von Cor- ver, Format 24,9 x 18,7 cm, € 30,--/SFR Gaßner dem Einfluss des französischen nelius und Karl von Piloty zu Weltruhm 53,--/$ 45,-- Symbolisten und Coloristen Pierre Bon- aufgestiegene Akademie der Bildenden nard zu. Auf die bis 1949 vorherrschen- Künste München nach, ihre mit Studen- Die 1969 in Jerusalem geborene israeli- de, Bonnards Rahmenformen von Türen, ten wie Georgio de Chirico, Paul Klee sche Künstlerin ist durch ihre Beiträge Fenstern und Spiegeln aufgreifende und Wassily Kandinsky am Anfang des ‚Resident Alien I und II’ zur documenta Flächengliederung in den „Multiforms“ 20. Jahrhunderts versäumten Chancen, 10 und zur zeitgleichen 47. Biennale in folgt ab 1950 eine radikal vereinfachte arbeitet die Zeit des Nationalsozialismus Venedig bekannt geworden, die unter Rasterstruktur mit zwei oder drei annä- in Hauptzügen auf und skizziert den anderem an die Wüste von Juda und an hernd gleich breiten Formfeldern, die Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. bei der Flucht aus Thailand ins kältere beim Betrachter „Empfindungen von Eigene Kapital sind dem internationalen Europa erfrorene Arbeiter erinnern. Ihr Bewegung in den Farbflächen des Bild- Einfluss der Münchener Kunstakademie, Video ‚Barbed Hula’, 2000, DVD, 2’, gefüges zu erwecken“ vermögen, ein der Kunst im öffentlichen Raum, der loop, zeigt die nackte Künstlerin, die Schweben und Sinken einzelner Farb- Architektur, der angewandten Kunst eine Hula-Hoop-Reifen aus Stacheldraht flächen, ihr Steigen oder Sinken und das und den heutigen Klassen gewidmet, bei Sonnenuntergang auf einem Dach „Versinken des Blicks in der Tiefe des die Stars wie Michael Sailstorfer und im Industriegebiet von Tel Aviv und Farbraums und umgekehrt das Hervor- Andreas Hofer und Kronprinzen wie bei Sonnenaufgang am Strand zwischen treten eines farbigen Rechtecks, das sich Thomas Helbig hervorgebracht ha- Jaffa und Tel Aviv um den eigenen Kör- von seinem Bildträger abzulösen und vor ben. In den Katalog integriert sind die per kreisen lässt. Erst bei genauer Beob- diesem zu schweben scheint“ (Hubertus Exponate der Begleitausstellung ‚Die achtung zeigt sich, dass die Stacheln des Gaßner). Für Rothko werden diese Farb- Kraftprobe. 200 Jahre Kunstakademie Reifens nach außen weisen. Ihre Vi- formen zu eigenständigen Organismen München’, deren Haupttitel auf Franz deoinstallation ‚Eye Drum’, 2001, DVD, und Aufführende in einem Schauspiel von Defreggers gleichnamiges Gemälde 4’,. loop, hat die Besucher der kirchli- „in einem noch unbekannten Raum …“ von 1898 anspielt. Dazu kommen unter chen Begleitausstellung zur documenta (Mark Rothko). „Nicht als Bildmotiv, anderem auch Karl Schorns monumen- 12 im Eingangsbereich der Kasseler sondern als Sehender mit geschlossenen tale Menschenpyramide ‚Sintflut’, Karl Martins-Kirche empfangen. Sie trans- Augen verkörpert Theiresias den Künst- von Pilotys wieder entdecktes Gemälde formiert folgende Aussage des DJ Jew ler selbst, der ungegenständliche Bilder ‚Alexander der Große im Sterbebett’ und in eine poetische Bildfolge: „…ich bin malt, die ihm vor seinem inneren gei- Carl von Marrs mittelalterlicher Geißle- Schlafwandler, während ich gehe, dre- stigen Auge erschienen sind“ (Hubertus rumzug ‚Die Flagellanten’. Im Gespräch hen sich meine Augen in ihren Höhlen Gaßner). zwischen dem derzeitigen Leiter der wie die Trommel eines Betonmischers (ham) Akademie Nikolaus Gerhart und dem …Sand…Lieder in seinen Augen…“. Philosophen Bernhard Lypp erscheint die Die in den Berliner Kunstwerken vor- Akademie auch als symbolisch-imaginä- gestellte neue Arbeit „The Dining Hall“ 200 Jahre Akademie der Bildenden res System, das in seiner ersten Sinndi- steckt voller persönlicher Assoziationen

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 75 und Anspielungen auf den Holocaust Vertreibung der Palästinenser werden will allzu schnellen Urteile vermeiden und die jüngere Geschichte Israels. Sie erst bei jüngeren israelischen Historikern und lädt gerade deshalb zu einem lang- erinnert an Thomas Hobbes’ These, dass kontrovers besprechbar. Jetzt greift auch sameren, auch der sozialen Verhältnisse der Mensch dem Menschen zum Wolf eine neue Generation von Künstlern das berücksichtigten Blick ein. Sie ist von werden kann. Die mit Blechgeschirr und Thema auf. der Hoffnung getragen, dass vielleicht keimendem Saatgut bestückte Geschirr- Die Ausstellung respektiert die mit Israel die Kunst helfen könnte, „dem Kitsch, spülmaschine will neben Duschobjekten verbundenen komplexen Gefühlslagen, den Falschen moralisierenden Gefühlen, gesehen werden, die an Zyklon B in KZ- Gaskammern erinnern, neben Lampen- schirmen aus Stacheldraht, an denen sich Meersalz aus dem Toten Meer angelagert hat und neben einem Gasherd, aus dem zur Frühstücks-, Mittags- und Abendses- senszeit aus Klangfetzen und Geräuschen der Geschirrspülmaschine komponierte symphonische Sätze erklingen. Gehäu- tete, die mit ihren Köpfen in Kochtöpfen stecken, Kebab-Fleischportionen, die die Form von Brancusis unendlicher Säule annehmen und ein Gehäuteter, der zusammen mit einem Kebab-Spieß über dem Herdfeuer gebraten wird, lassen an Höllenvisionen denken. Dass in der Installation ein Heizstrahler das Wort ‚Love’ auf das Fleisch einbrennt, wirkt zynisch. Wo bleibt Gottes Gerechtig- keit, wenn ein Mensch für den anderen zum Wolf geworden ist? Sieht Landau vielleicht einen anderen Ausweg? Dass sie mit dem schwäbischen Theosophen Friedrich Christoph Oetinger die Leib- Miki Kratsman, Abu Dis. Fotografie , 110 x 170 cm. Doron Sebbag Art Collection, ORS Ltd., Tel Aviv lichkeit für das Ende der Wege Gottes hält, ist schwer vorstellbar. (ham)

Access to Israel 1 Israelische Gegenwartskunst Publikation zur gleichnamigen Ausstel- lung vom 16.5. – 31.8.2008 im Jüdischen Museum Frankfurt Hrsg. von Eva Atlan und Raphael Gross mit Texten von Sarit Shapira und den Herausgebern Jüdisches Museum Frankfurt / Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2008 ISBN 978-3-86560-463-7, 116 S., zahlreiche s/w und Farbabbildungen, Broschur, Format 24 x 20 cm, 1 DVD mit Interviews mit den 12 Künstlern der Ausstellung , € 15,--

Der Einfluss von Zionismus, Messianis- mus und Holocaust auf die Gründung des Staates Israel, ihr Verhältnis zu- Yehudit Sasportas, The First One after Venice, 2007. Tusche auf Papier, Diptychon, je 200 x 150 cm einander und die Langfristwirkung der Privatbesitz, Courtesy Sommer-Contemporary Art, Tel Aviv & Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

76 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 dem Verlangen nach schneller Gewiss- Christoph Steinmeyer Farbabbildungen, Broschur, Format 23,9 heit und Identifizierung zu entkommen“ The Long Goodbye x 24,2 cm, € 29,80 (Raphael Gross). Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Die für die Ausstellung ausgewählten lung vom 16.3. – 28.4.2008 im Kunst- Die von Alexander Tolnay und Rhana israelisch-jüdischen Künstler leben in Is- verein Heilbronn mit Texten von Michael Devenport kuratierte Ausstellung gibt rael oder haben sich seit geraumer Zeit in Althen und Joseph R. Wolin mit ihrer Auswahl von 14 Künstlern Europa und den Vereinigten Staaten nie- Kunstverein Heilbronn / Snoeck Ver- erstmals einen Überblick über die zeit- dergelassen. „Sie stammen aus Familien, lagsgesellschaft mbH, Köln, 2008, ISBN genössische Kunst des Pazifik. Dass alle die entweder nach der Shoa aus Europa 978-3-936859-80-5, 88 S., zahlr. s/w- Künstlerinnen und Künstler überwiegend oder in den 1960er Jahren aus Nordafri- und Farbabbildungen, Broschur, Format in Aotearoa/Neuseeland leben und arbei- ka und dem Mittleren Osten nach Israel 31,1 x 28 cm, € 29,80 (Museumsausga- ten, ist auf die historische, politische und immigrierten. In den 1990er Jahren tru- be) ökonomische Rolle des Landes zurück- gen diese Künstler dazu bei, dass sich zuführen und der pazifischen Migration ein revolutionärer Wandel innerhalb der Wenn Christoph Steinmeyers aus den geschuldet. In der Maori-Philosophie israelischen Kunstszene vollzog. Denn Fugen geratene, verschwimmende und geht man davon aus, dass es einen an- diese mit dem ‚israelischen Traum’ sich auflösende Interieurs, seine psyche- deren Ort gibt, in dem man leben kann, aufgewachsenen Künstler legten die kul- delischen Blumenstillleben und seine aus wenn ein Ort unbewohnbar geworden turellen, sozialen und politischen Wider- allen Fugen geratenen Filmdiven und ist. So ist Neuseeland geographisch, ge- sprüche zwischen den Gründungsmythen Models um 1960 gemalt worden wären, netisch und historisch mit den polynesi- und – utopien des Staates und der aktuel- würde man sie dem Umfeld von Flower schen Inseln verbunden. len Realität zum ersten Mal offen, griffen Power, Woodstock, „make love, not war“ Die Ausstellung reflektiert das Ma- dabei auch tabuisierte Themen der israe- und den Drogenexperimenten dieser ori- und pazifische Erbe im Spiegel der lischen Gesellschaft auf und beleuchteten Zeit zurechnen. Sie stammen aber aus internationalen Kunst, das Erleben der sie kritisch“ (Eva Atlan). den Jahren 2002 bis 2008 und sind mit Migration und das koloniale und spiri- So thematisiert der 1966 geborene Adi Vorlagen von alten Meistern, Kinofilmen tuelle Erbe. Edith Amituanai, geboren Nes in seinen inszenierten Fotografien und Modefotografie verbunden. Heutige 1980 in Oakland, fotografiert vorwiegend den Typus des neuen Juden: „Soldaten, Computertechnologien und Bildbear- ihre Familienangehörigen und deren die in der Bildsprache zionistische Pro- beitungsprogramme erlauben es dem Wohnungen, die von westlichen Einrich- paganda den nationalen Stolz verkörpern, Künstler, auf jede Art von Delirium zu tungsgegenständen wie Fernseher, Sofas werden durch pathetisch aufgeladene verzichten und doch vergleichbare Ef- und Sesseln dominiert sind. Gelegentlich Inszenierungen und die Anlehnung an fekte zu erzielen. Steinmeyer formt sein erinnert ein gewobener Handteppich an klassische Bildmotive aus dem kultu- Ausgangsmaterial so durchgreifend um, die eigene Tradition. rellen Bildkontext heraus in eine homo- „dass nur eine entfernte Erinnerung an Die Malerin Shane Cotton, geboren 1964 erotische Atmosphäre versetzt….“ (Adi das Original durchscheint. in Upper Hutt, Aotearoa, beschwört in Nes) Für Joseph R. Wolin vergegenwärtigen ihrer verstörend dunklen Bildwelt die Der 1959 in Argentinien geborene und Steinmeyers Malereien „die Unfassbar- Tradition der Kopfjäger ebenso wie die seit 1971 in Tel Aviv lebende Miki Krats- keit von Träumen, die Versäumnisse des einheimische Vogelwelt. Rachael Rak- man ist einer der wenigen israelischen Erinnerungsvermögens und die Ungewis- ena, geboren 1969 in Wellington, lässt Journalisten, die heute noch die Grenze sheiten des Sehens“ (Joseph R. Wolin). in ihrem Video ‚Pacific Washup’ 2003/4, überschreiten, aus dem Gaza-Streifen (ham) Single channel DVD with sound, 5’. und dem Westjordanland berichten 47’’, Menschen von Ebbe und Flut wie und die Folgen der Diskriminierung Treibgut an den Strand spülen, nach eini- der Palästinenser thematisieren. Seine Date Line ger Zeit aufstehen und ans rettende Ufer Farbfotografie ‚Abu Dis’, 2003, 110 Zeitgenössische Kunst des Pazifik laufen. x 170 cm, zeigt eine palästinensische Publikation zur gleichnamigen Aus- (ham). Frau neben der acht Meter hohen grau- stellung vom 8.9. – 21.10.2007 im en Betonmauer, auf die in roter Farbe Neuen Berliner Kunstverein, vom 26.1. die Worte ‚Ghetto Abu Dis’ gesprüht – 24.3.2008 in der Stadtgalerie Kiel und 12 Am Ring sind. Die in Berlin und Tel Aviv lebende vom 20.4. – 22.6. 2008 in der Galerie der Skulpturenparcours Wiesbaden 2008- Yehudit Sasportas kreiert mit in ihren Stadt Sindelfingen 09-15 Hrsg. vom Kulturamt der Landes- großformatigen Tuschezeichnungen, die Hrsg. von Alexander Tolnay mit Texten hauptstadt und der Interessengemein- auch an Caspar David Friedrich erinnern, von Rhana Devenport, Karen Stevenson schaft der Galerien in Wiesbaden zur ein „Archiv des Unbewussten“ (Yehudit und dem Herausgeber gleichnamigen Ausstellung im Sommer Sasportas). Neuer Berliner Kunstverein / Hatje Cantz 2008 (ham) Verlag, Ostfildern, 2007, ISBN 978-3- Wiesbaden, 2008, ISBN 3-9809559-5-8, 7757-2043-4, 144 Seiten, zahlreiche 68 S, zahlr. s/w- und Farbabbildungen,

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 77 Hardcover gebunden, Format 21,6 x 30,1 hat im Städel in Frankfurt studiert. Seine schwarzer Männer- oder Frauenakt dar, cm, € 24,-- Gewitterlandschaften und mit dunklen über dem die vom Täufer geteilten Was- Wolken verhangene Tuschemalereien serfluten zusammenschlagen. In seinem Kunst zählt mittlerweile im Wettbewerb auf Leinwand erinnern an die schwarzen an eine Bühne erinnernden Objekt ‚Tau- der Städte zu den allseits beachteten Bilder des leider viel zu früh verstorbe- fe’, 2007, verschiedene Materialien, 87 weichen Standortfaktoren und gibt im- nen Hans-Peter Taro Miyabe, die 1989 in x 100 x 45 cm, öffnet sich der Himmel mer wieder Anlass zu Kunstprojekten einer großen Einzelausstellung im Hospi- über dem Täufling und der Heilige Geist im öffentlichen Raum, so auch 2008 talhof Stuttgart vorgestellt worden sind. schmiert als zähe hellblaue Farbe auf den im 1. Ring in Wiesbaden. Unter den Auch Miyabe war Städelschüler und ist Getauften herab. ortsspezifischen Arbeiten fällt der 1953 heute zu Unrecht weitgehend vergessen. Helbigs Malereien und Zeichnungen geborene Engländer Steve Johnson mit Der herausragend ausgestattete Katalog kommen in freundlicheren Tönen daher. seiner Skulptur ‚Shrinking Cities’ auf, ist ein Muss. Zwar erinnern die abstrakten Komposi- der der wohlhabenden Stadt eine nicht (ham) tionen im ersten Moment noch entfernt gewollte Zukunft vorführt: Johnsons an ‚bad painting’. Aber dann merkt man Skulptur zeigt eine Bushaltestelle, an der sehr rasch, dass die ausgerutschten Pin- ein Mann auf einen Bus wartet, der nicht Thomas Helbig selstriche und Farbnasen auf Malereien mehr kommt. In der „Präzisionsfabrik“ homo homini lupus wie ‚Himmel’, 2007, Lack und Öl auf in leuchtendem Rot von Ursula Bertram Publikation zur Ausstellung ‚Thomas Holz, 245 x 195 cm, rotzig gesetzt und sind Freiwillige eingeladen, kurze Texte Helbig. Stern der Musen’ vom 4.4. – in ihrer ästhetischen Wirkung genau kal- auswendig vor einer Kamera aufzusagen. 25.5.2008 im Oldenburger Kunstverein. kuliert sind. Helbig weiß, was wie wirkt Wer das als Deutscher schafft, bekommt Hrsg. von Guido W. Baudach, Stefania und setzt auch seine helle Palette bewun- 5 €; Migranten erhalten 6 €. Die Präsen- Bortolami, Steve Hanson und Rüdiger dernswert gekonnt ein. tationen werden mit der Kamera aufge- Schöttle mit Texten von Zdenek Felix (ham) zeichnet und später ausgestrahlt. und Veit Loers und einem Vorwort von (ham) Gertrude Wagenfeld-Pleister Oldenburger Kunstverein / Hatje Cantz Jason Martin Verlag, Ostfildern, 2008, ISBN 978-3- For Gods Sake Back to Black 7757-2164-6, 208 S., 4 s/w und ca. 120 Katalog zu der gleichnamigen, von Udo Schwarz in der aktuellen Malerei Farbabbildungen, Leinen, gebunden, Kettelmann kuratierten Ausstellung vom Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Format32 x 25,3 cm, € 39,80 (D)/SFR 22.11.2007 – 27.1.2008 im Kunstverein lung vom 30.5. – 10.8. in der kestner- 69,-- Kreis Gütersloh, vom 9.2. – 27.4.2008 gesellschaft, Hannover, mit Texten u.a. im Mönchehaus Museum für Moderne Veit Görner, Lutz Hieber und Caroline Ekel gehört zu den am wenigsten be- Kunst Goslar und vom 15.3. – 19.4.2008 Käding herrschbaren Gefühlen und verdankt in der Galerie Thaddäus Ropak Salzburg kestnergesellschaft, Hannover/Keh- sich der im ‚Bauchgedächtnis’ gespei- sowie zu den Arbeiten von Jason Martin rer Verlag Heidelberg, 2008, ISBN cherten evolutionären Erinnerung, dass in der Apostelkirche Gütersloh und in 9-783868-280-104, 192 S., zahlreiche Verbranntes, Verdorbenes und Verwestes der Martinskirche Goslar. Mit einer Ein- Duo-Ton- und Farbabbildungen, Leinen dem eigenen Überleben wenig zuträg- führung von Udo Kittelmann und einem mit Prägedruck, Silberschnitt, gebunden, lich ist. Der 1967 in Rosenheim gebo- Gespräch zwischen Jason Martin und Format 32,5 x 24,5 cm, € 49,-- (Verlags- rene Thomas Helbig scheint bei seinen Udo Kittelmann ausgabe) Skulpturen mit eben diesem Gefühl zu Kunstverein Gütersloh/Mönchehaus Mu- spielen. Wer Helbigs aus Abfall, Schrott, seum für Moderne Kunst Goslar/Kerber Wer zu Ausstellungen in der kestnerge- Devotionalien und Kitsch geborenen Verlag, Bielefeld, 2007, ISBN 978-3- sellschaft Hannover eingeladen wird, hat angekohlten, verbrannten, beschädigten 86678-111-5, 84 S., zahlreiche Farbab- den Lackmustest für angesagte Kunst und in neue Zustände transformierten bildungen, Hardcover gebunden, Format bestanden. Skulpturen unvorbereitet gegenübertritt, 28,6 x 28,4 cm, € 39,-- Deshalb liest sich die Liste der bei ‚Back wird sich vielleicht von Brechreizen to Black’ gezeigten 21 Positionen wie überfallen sehen. Aber schon beim zwei- Wenn Udo Kittelmann aushäusige Aus- das Who is Who der jungen und jüngsten ten Blick kippt die Empfindung. Das stellungen kuratiert und dabei auch noch gegenwärtigen Malerei: Neben André Hässliche wird schön. So spielt Helbigs Arbeiten für sakrale Räume entstehen, Butzer, Andreas Hofer, Jonathan Meese, Skulptur ‚Homo Homini Lupus II’, 2007, ist dem Künstler alle Aufmerksamkeit Yehudit Sasportas und Thomas Zipp fal- mit Erinnerungen an angekohlte Tierka- gewiss. len unter anderem auf Rezi van Lankveld daver. Sein ‚Mädchen’, 2006, lässt den „Die Möglichkeit, im Zuge der Ausstel- und die von der Stuttgarter Deck-Galerie Kopf der Nofretete assoziieren. Seine lung ‚For Gods Sake’ erstmal Gemälde für aktuelle Kunst vertretenen Pat Ro- ‚Taufe’, 2006, verschiedene Materialien, für sakrale Räume schaffen zu können, senmeier und Philipp Haager. Letzterer 81 x 65 x 66 cm stellt sich als gebeugter hat Martin inspiriert, die spirituelle

78 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Dimension seines Werkes weiterzuent- Phil Sims Drei Farben – Rot wickeln. Entstanden sind hochverdich- Emotion of Color XV. Rohkunstbau ® tete Arbeiten“ wie ‚Evangelist’, 2007, Publikation zu den gleichnamigen Aus- Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Oel auf rostfreiem Stahl, 220 x 246 cm, stellungen vom 22.5.2005 – 12.2.2006 lung vom 17.7. – 5.10.2008 in der Villa ‚Angelico’, 2007, Öl auf Aluminium, im Lenbachhaus München und vom 19.2. Kellermann 187 x 157 cm, und ‚Ghost’, 2008, Öl auf – 9.4.2006 im Westfälischen Landesmu- Hrsg. von Arvid Boellert mit Texten un- Aluminium, 220 x 146 cm. „Das für die seum für Kunst und Kulturgeschichte ter anderem von José Manuel Barroso, Apostelkirche in Gütersloh geschaffene Münster. Hrsg. von Helmut Friedel mit Mark Gisbourne und Annette Pehnt Altargemälde“ mit seinem gekämmten, Texten unter anderem von Erich Franz XV. Rohkunstbau, Frankfurt (Oder)/Ver- plastisch wirkenden blutroten Farbauf- und dem Herausgeber lag Hans Schiler, Berlin, 2008, ISBN trag lässt sich im christlichen Kontext Städtische Galerie im Lenbachhaus 978-3-89930-232-5, 128 S., zahlreiche als Kreuz und als Zeichen der Erlösung, und Kunstbau, München, 2005, ISBN Farbabbildungen, Klappbroschur, Format aber auch als islamisches Ornament le- 3-88645-160-7, 112 Seiten, zahlreiche 21 x 28,4 cm; € 20,-- sen (Malte Christopher Boecker/Bettine Farbabbildungen, Leinen gebunden mit Rohrberg). Schutzumschlag, Format 28,6 x 23 cm, Die Farbe Rot steht nicht nur für Pfing- Nach Udo Kittelmann beschäftigt sich € 19,-- sten, den Heiligen Geist, das Feuer, den Martin wiederholt mit dem Bild als Teufel, das Rote Kreuz und den Roten Gegenstand der Andacht und mit dem Phil Sims, 1940 in Richmond, USA, Halbmond, sondern auch für die Rote Bildraum als Andachtsraum. Für Kit- geboren, untersucht seit Ende der Fahne, die sozialistische Internationale, telmann geht es in Martins Bilder nicht 1970er-Jahre die materielle Qualität der Kommunismus, Kollektivismus und Brü- nur „um die Evokation einer spirituellen Farbe auf ihre optische und emotionale derlichkeit. Haltung… Es geht um die Frage nach Wirkung. Letzteres macht sie für das alljährliche den kulturell und kontextbedingten „Zunächst einmal muss man viele europäische Kunst-Festival ‚Rohkunst- Lesbarkeiten eines Bildes, das keine Schichten aufbauen, um Farbintensität bau’ interessant. 60 Jahre nach der allge- gegenständlichen Anhaltspunkte liefert… zu erreichen. Meine Farben sind nicht meinen Erklärung der Menschenrechte Wenn Jason Martin ein Bild in einem opak. Ich suche ein bestimmtes Farblicht gibt die Farbe Rot der XV. Auflage von Andachtsraum ausstellt, so betritt er innen aus dem Bild heraus, und um diese Rohkunstbau den Titel und wird zum einen Kontext, dessen Kunst normaler- Wirkung zu erreichen, muss die Farbe Ausgang der in der Villa Kellermann am weise figurativ ist….In dieses Umfeld schrittweise entwickelt werden, solange, Heiligen See in Potsdam präsentierten gestellt, verändert sich der Bedeutungs- bis eine Ganzheit geschaffen ist. Das Ausstellung. und Deutungsraum eines abstrakten Bil- Bild ist fertig, wenn zwei Dinge zusam- Bettina Pousttchi mit ihrem Video ‚Ocu- des. Es wird …. auf eine andere Weise men kommen: Die Farbe ist voll entwik- laris’, 1999/2008, 2’ 43’’zeigt einen beeinflusst, als durch einen White Cube kelt und die Struktur ist so ausgearbeitet, roten Punkt, der sich allmählich als Blut- oder beispielsweise eine Moschee… dass sie die Farbe zu unterstützen ver- stropfen unter dem Mikroskop entpuppt. Doch dies …ist keine Einschränkung mag – die Farbe, die ebenso strukturiert Richard Hamiltons monochrome Offset- der Freiheit künstlerischen Ausdrucks, wie moduliert ist.“ (Phil Sims, 1996). Lithografie ‚Marcel Duchamp’ aus dem sondern ihr höchstes Potential“ (Udo Kit- Für Erich Franz sind Sims ‚paintings’ Jahr 1967 erinnert an kollektive Auf- telmann). „Ich glaube, dass es wesentlich gemalte Farbe und Objekt gewordene brüche der Blumenkinder, Parolen wie für das Verständnis von Malerei ist, zu Malerei. Sein 2002 zum ersten Mal ge- „Make love not war“ und die Studenten- begreifen, dass sie Figuration und Ab- zeigtes ‚Cologne Painting’ (Pieta Cycle) revolte. straktion in sich vereint“ (Jason Martin). markiert eine Wende hin „zu einer Ent- Jonathan Monks Installation ‚The Old Das für die Apostelkirche in Gütersloh wicklung aus der Farbe selbst. Er habe, Couple’ (German Version), 2008, zwei entwickelte Bild ohne Titel geht von der so bemerkte Sims … , eine emotionale Standuhren in hellem und dunklen Braun Form eines Kreuzes aus und verändert es Qualität angestrebt, wie sie Tizian beein- haben mit der Farbe Rot wenig, aber mit so, dass es einer geschwungenen Rhom- druckend in seiner Pieta … entwickelt dem Thema Brüderlichkeit alles zu tun: busform ähnelt, wie man es in der islami- habe – eine Emotionalität, die … vor Die beiden Standuhren wenden einander schen Architektur findet. allem aus der malerischen Behandlung ihr Gesicht in allernächstem Abstand zu. „Die Idee, diese beiden unterschiedlichen der Farbe entsteht …. In diesem Bild Sie ticken beinahe gleich, „aber eben nur Formen zu benützen, fand ich zuneh- verschmilzt tiefe Entrücktheit mit dem beinahe. mend interessant. Ob für einen Muslimen Nach-vorne-Wirken und Eindringen in Auch die Stundenschläge sind fast im oder Christen, Mann oder Frau, die den Raum … So kann die Intensität einer Takt und doch nicht ganz“. Abstraktion hat die Möglichkeit, symbo- Farbe, die an kein Objekt gebunden ist, (ham) lisch und zeichenhaft zu wirken.“ (Jason unmittelbar als Emotion empfunden wer- Martin). den … (Erich Franz). (ham) (ham) Muir Vidler Everything is true

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 79 Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Republik, der Slowakei, Ungarn, Slowe- im Ausstellungsraum frei. Die Bilder be- lung vom 10.5. – 10.8.2008 in der Gale- nien und Kroatien aus, lädt zehn Nomi- kommen einen Willen und bewegen sich rie der Stadt Backnang nierte zu Ausstellungen in den Haupt- frei im Ausstellungsraum. Beim Besuch Hrsg. von Martin Schick mit einem Ge- städten ein, stiftet Geldpreise von 3000,-- der Ausstellung kann man sie nicht mehr spräch zwischen Muir Vidler und Scott und 4000,-- EURO, organisiert seit 2007 finden. Sie haben offensichtlich das Wei- Athorne eine gemeinsame Ausstellung im Essl te gesucht. Der hektographierte Begleiter Galerie der Stadt Backnang, 2008, ISBN Museum und erarbeitet einen Katalog. bleibt. 978-3-9810738-4-3, 48 S., zahlreiche 2007 sind sieben weitere Künstler/innen (ham) Farbabbildungen, Broschur, Format 27 x mit Spezialeinladungen vertreten. Unter 20,5 cm, € 10,00 den Preisträgerinnen steuert Andrea Ka- linová die neunteilige Serie „Homeless Tobias Rehberger Der 1975 in Edinburgh geborene Muir –Re(a)lity, 2003-2006, Digital Prints, bei. 1993 bis 2008 Vidler zählt mit Bilderserien wie der Die Serie kombiniert Obdachlosenunter- Publikation zu den Ausstellungen To- zur israelischen Death-Metal-Szene, zu künfte in übertrieben leuchtenden Farben bias Rehberger, Die „Das-Kein-Henne- einem libyschen Schönheitswettbewerb mit blau-weißen Tourismussymbolen. Ei-Problem“-Wandmalerei vom 22.2. und zu Alltags-Rebellen zu den welt- Veronika Šramatyová legt eine Serie von – 25.5.2008 im Stedelijk Museum CS, weit gefragten Fotografen, die unter 23 Hauseingängen im kleinen Format Amsterdam und vom 28.6. – 21.9.2008 anderem im New York Times Magazin, vor. Die fotorealistisch gemalten Aqua- im Museum Ludwig, Köln. in der Time und in der Vogue veröffentli- relle lassen sich kaum von Farbfotogra- Dumont Buchverlag, Köln, ISBN 978-3- chen können. fien unterscheiden. Tonka Maleković 8321-9126-9, 260 S. zahlreiche Farbab- Seine Alltagsrebellen speien auch noch reißt in der Nachfolge der Decollagisten bildungen, Hardcover gebunden mit drei mit über 70 Jahren Feuer und zelebrie- Plakate ab, beschneidet die Abrisse auf Lesebändchen, Format 32,5 x 25,3 cm, ren ihr Schnitzelessen im Grandhotel. quadratische Formate und bringt sie in € 49,90 Vidlers Bilder stellen Klischees auf den 70x70x70 cm große Plexiglashauben ein. Kopf, lassen das Vertraute neu erschei- (ham) Herkömmlich nobilieren Retrospektiven nen und machen das Neue vertraut. Sie künstlerische Lebenswerke. Sie tragen leben von kulturellen Widersprüchen, drüber hinaus dazu bei, dass die Kunst- Atmosphären, die man nicht herstellen Einen Roland für einen Oliver werke des Geehrten von den Wänden kann und von der Prägnanz des Augen- Katalog im Farbmusterformat zur und aus den Lagern der Sammler in die blicks. Ausstellung der Klasse Tobias Rehber- Obhut der Museen wandern und damit Deshalb verwundert es nicht, dass die ger, Städelschule Frankfurt vom 31.5. auch in die Deutungshoheit der Kunst- Fotografie von drei rotzfrechen arabi- – 20.7.2008 im Kunstverein Wilhelmshö- geschichte. Für den 1966 in Esslingen schen Jungen im traditionellen Habit, die he Ettlingen geborenen weltläufigen Schwaben Tobias dem Fotografen den Stinkefinger zeigen, HfBK Städelschule Frankfurt/Kunstver- Rehberger kam die Anfrage nach einer zu Vidlers Lieblingsbildern gehört. ein Ettlingen, 2008, 32 S., Lochheftung, Retrospektive zu früh. Kaum 40 gewor- (ham) schützende Plastikseiten, Format 7 x 17 den – und mit 40 werden die Schwaben cm, € 8,-- gescheit – biegt er die Anfrage um und macht das, was er am besten kann: Er hat Essl Award 2007 Ohne den hektographierten Begleittext gelernt, dass er als Bildhauer besser mit for central and southeast Europe des Kunstvereins hätten auch fleißige den klassischen Fragestellungen als mit Katalog zu den gleichnamigen Ausstel- Ausstellungsbesucher die an den All- den klassischen Materialien umgehen lungen vom 5.12.2007 – 10.2.2008 im tagsbedingungen des Kunstbetriebs kann. Deshalb übersetzt er die Einladung Essl Museum, Klosterneuburg und vom orientierte Leitidee der Ausstellung nicht zu einer Retrospektive in die Frage, was 16.3. – 1.6.2008 im Kunstforum Ostdeut- begriffen: Jeder der 26 Studenten der Arbeiten in Ausstellungen überhaupt sche Galerie, Regensburg Klasse Rehberger sollte seine Arbeit ei- sind und machen: „Ich spiele mit dem Hrsg. von der Editionssammlung Essl genständig entwickeln. Ein Losverfahren Gedanken, was eine ‚Arbeit’ eigentlich mit Texten unter anderem von René ermittelte die derer, die mitein- ist: woher kommt sie und wohin geht Block, Nadja Zgonik und Daniel Fischer ander kooperieren sollten und ebenso die sie? ...Woher kommen die Arbeiten und Sammlung Essl Privatstiftung, Wien/ Reihenfolge des Aufbaus. Wenn die erste wie entwickeln sie sich? Das ist wie das Klosterneuburg, ISBN 978-3-902001-39- Gruppe ihre Arbeiten aufgebaut und das Problem mit der Henne und dem Ei … 9, 128 S., zahlreiche Farbabbildungen, Feld geräumt hatte, kam die zweite usw. Der Begriff ‚Wandgemälde’ aus dem Klappbroschur, Format 24 x 24 cm, Wenn man die skizzierte Vorgabe als Titel bezieht sich auf die Struktur der € 19,50 „Kommen und Gehen“ im System Kunst Ausstellung. Ich verwende dreidimensio- begreift, setzt Pedro Lagoa das Prinzip nale Objekte, um auf der Wand ein zwei- Der Essl Award zeichnet alle zwei Jahre am genialsten um: Lagoa malt drei Bil- dimensionales Bild zu erzeugen…, eine Kunststudenten aus der Tschechischen der auf drei weiße Mäuse und lässt diese vorhandene Arbeit (ist) immer Material

80 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 für eine zukünftige… Alle Skulpturen Nietzsche-Haus, Sils-Maria, mit einem ‚Discontinuity, paradox and precision’. in dem Raum werden aus verschiedenen Vorwort von Peter André Bloch und ei- Das Projekt ist auf die Zusammenarbeit Winkeln so beleuchtet, dass sie Schatten nem Gespräch mit Jürgen Partenheimer des Künstlers mit den zeitgenössischen an die Wand werfen. Es gibt auch eine Nietzsche-Haus, Sils-Maria/Schwabe Komponisten Kevin Volans angelegt. Es skizzierte, flüchtig auf den Schatten ba- Verlag, Basel, 2007, ISBN 978-3-7965- schließt sich an die von Richard Wagner sierende Wandzeichnung, die ich vor Ort 2401-1, 26 S. 21 Farbabbildungen, Lei- propagierte Idee des Gesamtkunstwerks gemacht habe. Mir gefällt der Gedanke, nen gebunden mit Schutzumschlag, For- an und unterstreicht Partenheimers Nähe dass etwas Solides, Ausgeklügeltes der mat 23,4 x 16,1 cm, € 17,50/SFR 25,-- zur Musik. Anfang von etwas Vagem und Unbe- „Ich habe oft auf meine Zeichnungen stimmten sein kann…“ (Tobias Rehber- Jürgen Partenheimer als Notierungen hingewiesen, die ei- ger). Mit der Frage nach dem Woher und Discontinuity, paradox und precision ner Partitur ähnlich sind. Musik ist ein Wohin der Arbeiten ist die Frage ver- Publikation zu den gleichnamigen Aus- wesentlicher Aspekt, da sie auf einer schränkt, was ein Kunstwerk überhaupt stellungen vom 2.4. – 18.5.2008 in der abstrakten Ebene des Denkens und ist und was es beispielsweise von einem Ikon Gallery, Birmingham und vom 21.8. Fühlens wahrgenommen wird … Ihre Werkzeug wie einen Hammer unterschei- – 9.11.2008 im Kunstmuseum Bonn ‚Grammatik’ ist präzise und dennoch ist det. Man könne, so Rehberger, ja auch mit Texten unter anderem von Michael eine Partitur auch ein Bild, nicht nur eine eine Bronzeskulptur von Giacometti Prince, Kevin Volans und Gesprächen Repräsentation von Klang, Melodie und als Hammer benutzen und mit ihr einen zwischen Jürgen Partenheimer und Kon- Rhythmus“ (Jürgen Partenheimer). Wenn Nagel in die Wand schlagen. Aber dazu stantinos Karachalios und mit Leymert Kunst in Kevin Volans ‚unhörbarer Mu- braucht man ja keine Giacometti-Skulp- Garcia dos Santos sik’, in Jürgen Partenheimers Notationen tur. Folglich müssen Objekte eine Art Ikon Gallery, Birmingham/Kunstmuseum und in ihrem synästhetischen Gemein- Werkzeug sein, „das etwas anderem zur Bonn, 2008, ISBN 978-1-904864-40- schaftsprojekt tatsächlich zur „spirituel- Existenz verhilft“ (Tobias Rehberger). 0, 160 S., zahlreiche Farbabbildungen, len Heimat“ (Jürgen Partenheimer) wer- Nach Rehberger-Skizzen angefertigte Hardcover gebunden mit Schutzum- den kann, erlaubt sie einen Augenblitz in Autos der Marken Mercedes, Porsche, schlag, Format 28,5 x 24 cm; die CD den „Brunnen der Ewigkeit“ (Friedrich Maserati und VW hatten zwar thailän- „Kevin Volans, The Partenheimer Pro- Nietzsche). Wie lange dieser Augenblitz dischen Handwerkern ebenso zu Arbeit ject“, 2008, ist teil der Publikation, währt, entscheidet sich an der Tiefe des und Brot verholfen wie die nach demsel- € 33,00 Brunnens und am Rezipienten. ben Strickmuster in Afrika gefertigten (ham) Designerstühle und das in Chiang Mai, Jürgen Partenheimer besitzt die Fähig- Thailand, an einem Teich inmitten eines keit, hoch sensibel auf Stimmungen und Parks installierte „Haus an Linsen mit Wirklichkeiten zu reagieren, sie mit Wein Architektur Spätzle“, 2000, verschiede Materialien, intuitiver Darstellungskraft in zeichen- Vom Keller zum Kult 850 x 300 x 400 cm. Wenn Rehberger haften Form-Farbkonstellationen bildhaft Publikation zur gleichnamigen Ausstel- aber in Amsterdam und Köln sein aus umzusetzen und darüber auch noch an- lung vom 22.9.2005 – 6.2.2006, rund 40 Werken aus den letzten 15 Jah- gemessen philosophisch zu reflektieren. Hrsg. vom Architekturzentrum Wien mit ren als zusammengeschlossenes 70 Meter Seine poetisch-lyrische und kreativ-phi- Texten unter anderem von Dietmar Stei- langes Werk vor einer Wand aufbaut und losophische Doppelbegabung hat ihm zu ner und Ralph Eue es mittels Licht, Schatten und Wandfarbe einem Gastaufenthalt im Nietzsche-Haus Architekturzentrum Wien/Hatje Cantz in ein ebenso langes Wandgemälde trans- in Sils-Maria verholfen und ihn zu einer Verlag, Ostfildern, 2005, ISBN 3-7757- formiert, spielt er vor allem und in erster Serie von Zeichnungen und Malereien 1687-4 (Erstauflage)/ISBN 978-3-7757- Linie sein „theoretisches Spiel“ mit der inspiriert, die in die Publikation ‚Meta- 2195-0 (3. Auflage), 2008, 222 S., 228 Kunst: „Es geht … um die Möglichkeit, physische Landschaft. Sils-Maria’ einge- Farbabbildungen, Hardcover gebunden Kunst zu machen, um ihre Umstände gangen sind. Der Titel spielt auf Fried- mit Schutzumschlag Format 27,1 x 21,2 und Bedingungen“ (Tobias Rehberger). rich Nietzsches „Artisten-Metaphysik“ cm, € 32,--(A)/€ 29,80 (D)/SFR 52,-- Für Lars Bang Larsen wird dieses Spiel an, nach der nicht die Religion, sondern zur Dekonstruktion der Teleologie der die Kunst die metaphysische Tätigkeit Spätestens seit der 1988 von Jean Dethier Retrospektive und zur „Vorschau in die und der größte Stimulus des Lebens ist. im Centre Georges Pompidou in Paris Schattenwelt“ (Lars Bang Larsen). Partenheimers Malerei ‚Methaphysischer kuratierten Ausstellung „Châteaux Bor- (ham) Realismus’ (Sils 1), 2006, spielt mit ver- deaux“ findet die Verbindung von Wein- fremdeten Leitersymbolen, an denen der bau und Architektur verstärkt öffentliche Künstler und der Betrachter den Auf- und Aufmerksamkeit. Die Publikation doku- Jürgen Partenheimer Überstieg in andere Realitäten erproben mentiert 70 aus dieser Verbindung heraus Metaphysische Landschaft. Sils-Maria können. Seine Malereien ‚Carmen (Sils gewachsene überregional beachtete Bau- Publikation zur gleichnamigen Aus- I und II), 2006, leiten über zum in Bir- ten unter anderem in Niederösterreich, stellung vom 20.7.2007 – 13.7.2008 im mingham und Bonn realisierten Projekt im Burgenland und in der Steiermark.

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 81 Die kongenial zur Produktion hochwer- eine Nachfrage im Vatikan, ob das als Daneben stehen ruhige, zurückgenom- tiger Weine entstandenen Neubauten von Codex Vaticanus Reginensis latinur 124 mene Arbeiten, die zur Besinnung einla- Kellereien, Präsentations- und Verkaufs- geführte Rhabanus-Maurus-Hauptwerk den. Ungewöhnlich, dass es der Katalog räumen wurden nicht mehr nur unter ‚De laudibus sanctae crucis’ ausgeliehen schafft, den Geschmack der Inszenierun- funktionalen, sondern in erster Linie und im Kontext weiterer Zeugnisse aus gen und die erlebte Körpererfahrung in unter Marketinggesichtspunkten geplant. karolingischer Zeit ausgestellt werden ein Buch zu transportieren. Dabei wurde die Architektur zu einer kann. Rhabanus Maurus wohl um 810 (ham) Funktion der Markenbildung und des entstandene Schrift verknüpft Dichtung, Kultmarketings. Bildsprache und theologischen Diskurs Anders als der schwäbische Winzerstar auf höchstem Niveau. Freiraum Rainer Schnaitmann greifen österreichi- Sie besteht aus einem von 28 Hanns Herpich. Ein Kunstprojekt in der sche Winzer in der Regel auf renommier- nach antikem Vorbild verfassten Figu- St. Egidienkirche, Nürnberg te österreichische Architekturbüros wie rengedichten, die das Lob des Heiligen Dokumentation des Projekts vom 3.6. gerner gernerplus zurück. Letzteres hat Kreuzes besingen. Die von Symbolen – 16.9.2006, hrsg. von Walter Zahner mit unter anderem Leo Hillingers Weingut wie dem Kreis und dem Dreieck und Texten unter anderem von Wolfgang Jean in Jois gebaut. Bei der Planung des Loi- gelegentlich auch figürlichen Darstel- Stock siums in Langenlois wurde man in New lungen überlagerten Schriftzeichen sind Katalog 117 der DG/Verlag für moderne York fündig und beauftragte Steven Holl so komponiert, dass sie unterschiedliche Kunst Nürnberg, 2007, ISBN 978-3- Architects mit den Plänen. Der Entwurf Sinnebenen anspielen und im Gesamtbild 932322-20-4 (DG), 72 S. zahlreiche4 von Zaha Hadid für den Neubau des kunstvolle, von einander unterschiede- Farb- und Duotonabbildungen, Format Weinguts Esterházy in Eisenstatt-Watten ne Kreuzformen ergeben. Ein Teil der 27,7 x 21,4 cm, € 24,-- war den Auftraggebern dann doch zu Kreuzgedichte wird erstmals ins Deut- teuer. Man kam deshalb auf den Entwurf sche übertragen. ‚De laudibus’ war 826 Hanns Herpichs textiler Kubus verdrängt des durch viele Weinarchitekturen ausge- als Geschenk für den Erzbischof an den für die Zeit der Ausstellung die Kir- wiesenen Büros von Anton Mayerhofer, Mainzer Dom gekommen und kehrte chenbänke aus dem Oval des barocken Wien, zurück. Für den in Fellbach le- nur für die Zeit der Ausstellung dorthin Kirchenschiffs. Der Raum im Raum lädt benden Schwaben Rainer Schnaitmann, zurück. Der gelehrte Katalog führt nicht zu liturgischen Experimenten, musikali- Fellbach, erübrigen sich vergleichbare nur in das Leben und Werk von Rhaba- schen Aufführungen und zum Spiel mit Alternativen: Sein erster Berufswunsch nus Maurus ein, sondern er macht auch Licht und Raum ein. Für Herpich wird war Architekt. Schnaitmann nahm den die Figurengedichte in Einzelinterpre- der Gewebekubus vom Kirchenraum Entwurf für seinen neuen Keller und sei- tationen zugänglich und stellt sie in den getragen: „Dom und Zelle als Einheit, ne neue Kelter in die eigene Hand. Zum Kontext weiterer Rhabanus-Werke. die es erlauben, die liturgischen Formen Glück für die Weinzähne ist er dann aber (ham) zu pflegen und kreativ zu erneuern“. doch Winzer geblieben. (ham) (ham) Bernhard Kahrmann Somewhere – Not Here Ceal Floyer Rhabanus Maurus Trilogie Construction Auf den Spuren eines karolingischen Katalog zur Ausstellung ‘Temporary Ha- Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Gelehrten piness’ vom 109.4. – 19.6.2005 im Mu- vom 3.6.-19.8.2007 im Kunstmuseum Publikation zur gleichnamigen Ausstel- seum Goch mit Texten von Holger Bunk, Krefeld/Museum Haus Esters, hrsg. von lung im Dommuseum Mainz, 2006, hrsg. Stefan Mann und Erik Schönenberg Sylvia Martin mit einem Essay von Ina von Hans-Jürgen Kotzur, verfasst von Museum Goch/Revolver. Archiv für Blom Winfried Wilhelmy aktuelle Kunst, Frankfurt/Main, 2005, Kunstmuseum Krefeld/Verlag für Mo- Unter Mitwirkung unter anderem von ISBN 3-86588-169-6, 64 S., zahlreiche derne Kunst Nürnberg, 2007, ISBN Mechthild Schulze-Dörrlamm und Alex- Farbabbildungen, Broschur, Format 25 , 978-3-939738-60-2, 96 S., zahlreiche andra König 18,7 cm, € 15,-- s/w- und Duotonabbildungen, Hardcover Verlag Philipp von Zabern, Mainz, 2006, mit Prägedruck, gebunden, Format 24 x ISBN 978-3-8053-3635-2, 120 S. zahl- Der 1973 geborene Medienkünstler 17 cm, € 24,-- reiche s/w- und Farbabbildungen, Hard- Bernhard Kahrmann denkt zweidimen- cover gebunden mit Schutzumschlag, sionale Bilder dreidimensional weiter Leere Ausstellungsräume irritieren jeden Format 25,6 x 23,7 cm, € 24,90 und bindet Besucher in seine komplexen Besucher. Aber wenn er beim Betreten Raum-Installationen aus Licht, Dia- und rhythmisches Klopfen hört, schrille Töne Der 1150. Todestag des „Lehrers Filmprojektion und herkömmlichen Bil- und etwas wie ein Wischen, weiß er, dass Deutschlands“ war für das Mainzer dern ein. Ein Teil seiner Installationen er in eine Klanginstallationen geraten ist. Dommuseum willkommener Anlass für inszeniert den medialen Overkill. Ceal Floyer hat für ihre Soundinstallation

82 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 ‚Construction’, 2006, fünf Laufsprecher, Favelas um Elemente von Avantgarde- Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt/Ga- fünf CDs, fünf CD-Spieler im Museum Architekturen und Cyprien Gaillard dient lerie Hans Mayer, Düsseldorf/Verlag der Haus Esters, 2007, einen Lautsprecher dem Denkmalschutz Ruinen von Hoch- Buchhandlung Walther König, Köln, in die Hauptwand der Halle von Haus häusern an. Cyprian Mureşan reinsze- 2008, ISBN 978-3-86560-431-6, 212 S. Esters und einen weiteren in die große niert Maurizio Cattelans ‚La nona ora’, 197 Farbabbildungen, Werkverzeichnis, Wand im früheren Kinderzimmer einge- 1999: Bei Mureşan streckt der Meteroit Leinen gebunden, Format 21,8 x 24,5 baut. nicht mehr Papst Johannes II., sondern cm, € 39,80 Das Klangmaterial, das der Besucher Teoctist I., den Patriarchen der rumäni- hört, ist beim Einrichten der Ausstellung schen Kirche nieder. Markus Oehlen hat sein seit den frühen entstanden. Der Katalog kann zwar die (ham) 1980er Jahren entwickeltes abstraktes leeren Räume zeigen und über die Ge- Werk aus der Linie geboren. Der retro- räusche schreiben. Aber hörbar machen spektiv angelegte Katalog gibt einen kann er sie nicht. Katastrophenalarm Überblick über Oehlens wichtigste (ham) Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Werkphasen und macht den Einfluss lung vom 29.3. – 18.5.2008 in der Neuen von Pop, Op und Surrealismus deutlich. Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, Seine jüngsten Arbeiten reflektieren die Fusion//Confusion 2008, ISBN 978-3-938515-17-4, 70 S., gewachsene Bedeutung naturwissen- Publikation zur gleichnamigen Ausstel- zahlreiche Farbabbildungen, Broschur schaftlich generierter Bildwelten. Wenn lung vom 11.1. – 30.3.2008 im Museum mit Rückstichheftung, Format 32 x man Harald Falckenberg folgt, liegt der Folkwang, Essen. Vorwort von Hartwig 24 cm; dazu Heft Nr. 4 der Zeitschrift Schwerpunkt seiner Arbeit im Bereich Fischer und nach dem Konzept und mit ‚Spector Cut + Paste’ im Zeitungsformat, der Medienkunst und in ihrer Ausein- Texten von Sabine Maria Schmidt 48 S. € 14,-- andersetzung mit den Grundlagen der Museum Folkwang, Essen, Verlag für Wahrnehmung und der Erkenntnis. moderne Kunst Nürnberg, 2008, ISBN Ausstellung und Katalog erinnern an die (ham) 978-3-940748-05-8, 142 S., zahlreiche Herkunft des Begriffs Katastrophe aus Farbabbildungen, Leinen gebunden, For- der griechischen Tragödie, verfolgen mat 24,4 x 17,7 cm, € 18,-- seine Karriere und gliedern die mit Ka- Group Therapy tastrophen verbundenen Phänomene in Publikation zur gleichnamigen Aus- Die Arbeiten der Ausstellung verbindet eine Art Typologie. stellung vom 16.9.2006 – 7.1.2007 im ihre Auseinandersetzung mit der Archi- Arbeiten wie Claudia Muchas Fotoserie Museion – Museum für moderne und tektur der Moderne und ihrer sich in den ‚Nach dem Sturm/Kyrill’ 2007/08 und zeitgenössische Kunst Bozen mit Texten 1990er-Jahren verflüchtigenden Utopie. Cornelia Hesse-Honeggers Zeichnungen unter anderem von Andreas Hapkemeyer, ‚Fusion’ benennt die Vorgehensweisen von Gen-geschädigten Wanzen und Tau- Letizia Ragaglia und Elisabeth Schle- der Künstler: „Sie eignen sich Formen, fliegen aus der Nachbarschaft von Atom- brügge Thesen und Konstruktionsprinzipien kraftwerken werden zum Menetekel und Museion, Bozen, 2006, 128 S., zahlrei- aus Kunst und Architektur durch Zitat, bestätigen die Einsicht, dass „nach der che Farbabbildungen, Klappenbroschur, Sampling, Kopie oder Verwandlung Katastrope“ immer „vor der Katastro- Format 24 x 16,7 cm, € 15,- an, verweigern bisweilen eine klare phe“ ist. Autorschaft, kommentieren kritisch Die Hoffnung, dass sich mit dem mit der Die von Letizia Ragaglia konzipierte oder ironisch, verschmelzen künstleri- Apollomission 1972 möglich geworde- Ausstellung präsentiert Arbeiten, die sche Gattungen, spielen mit Referen- nen Blick auf den blauen Planeten der von Künstlergruppen in multipler Au- zen“ (Hartwig Fischer/ Sabine Maria Umgang mit Katastrophen ins Positive torenschaft erarbeitet worden und auf Schmidt).So schafft Michael Beutler mit verändert hat, trügt: Marjolijn Dijk- die Interaktion mit dem Werk angelegt selbst konstruierten Maschinen architek- mans Kartographie von 348 an das Bild sind oder in eine Interaktion zwischen tonisch-skulpturale Interventionen, deren des blauen Planeten angelehnte Labels Menschen und Werken führen. Ein Teil Ausgangsmaterial er vor Ort aus Billig- zeigt, dass ‚Blue Marble’ längst beliebig der Arbeiten ist eigens für die Räume materialien herstellt. geworden und zum Marketing-Gag ver- erschaffen worden, in denen sie gezeigt Seine Essener Installation „Babel“ ist kommen ist. werden. Umberto Ecos Verständnis eines aus zwölftausend gewellten Buchbinder- (ham) „offenen Kunstwerks“ wird zur Refe- Graupappen hergestellt, die an gemeines renzadresse für die Vorstellung, dass Wellblech erinnern. Luca Buvolis Ein- Beteiligung die Auseinandersetzung mit Kanal-Video ‚Velocity Zero ((Aphasia)’ Markus Oehlen 1981 – 2008 Kunst dynamisieren kann. ‚gelitin’ (Flo- zitiert Teile des futuristischen Manifests Hrsg. von den Galerien Bärbel Grässlin rian Reither, Wolfgang Gantner, Tobias von Marinetti. Dionisio González er- und Hans Mayer unter anderem zur Aus- Urban und Ali Janka) bauen in ihrer In- weitert in seinen Panorama-Fotografien stellung Markus Oehlen in der Galerie stallation ‚Operation Rosa’ ein Operati- ‚Heliopolis I’, 2006, die Ansichten von Bärbel Grässlin, Frankfurt, 2008 onssaal nach, in dem Kinder Operationen

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 83 an Stofftieren nachspielen können. ‚Su- von Transvestiten aufgefallen. Sein 1981 seinen knallbunten präzise komponierten perflex’ (Bjørnsterne Christiansen, Jakob erschienenes Buch über die Hamburger Malereien eine grotesk-absurd-anarchi- Fenger und Rasmus Nielsen) entwickelt Prostituierte Domenica hat zahlreiche sche Welt, in der sich Erinnerungen an Projekte, in die sich Dritte einklinken Preise erhalten und ist in 15 Auflagen die Märchenwelt der sieben Zwerge, fan- können. erschienen. Seine Fotoarbeiten erschie- tastische Abenteuerreisen, die Sprache Für die Ausstellung im Museion wurde nen unter anderem im Stern, Spiegel, der Comics, diverse Filme, Rock, Pop in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler FAZ-Magazin, Fortune, Epoca und in und die Zuneigung zur vermeintlichen Bierbrauer Robert Widmann Bier herge- den Merianheften. Seine 1983 gegrün- Menschlichkeit der Delfine nebeneinan- stellt und unter dem Etikett ‚Free Beer’ dete Fotoagentur ‚Bilderberg’ wurde in der behaupten. Die Frage, ob Moritz tat- angeboten. Clegg & Guttmann variieren kürzester Zeit zu einer der bedeutendsten sächlich der Sohn von Cornelia Schleime für Bozen ihr schon in Graz, Mainz und Zusammenschlüsse der besten deutschen ist, kann mit „ja“ beantwortet werden. Hamburg gezeigtes Projekt der „public Fotojournalisten in Europa. Die Trilogie (ham) libraries“. Portraits-Domenica-Leningrad gibt zehn Kinder und Jugendliche können Bücher Jahre nach der Unterbrechung von Rei- aus dieser Bibliothek auf bestimmte Zeit sers Arbeit Gelegenheit zur Wiederbe- (himmelgrau) ausleihen und den Bücherbestand durch gegnung mit dem Werk des bedeutenden Rebekka Brunke Schenkungen erweitern. Fotografen. Seine vor weißen Hinter- Publikation zur Verleihung des Heinrich- (ham) gründen aufgenommenen Portraits von Vetter-Preises 2006 zur gleichnamigen Größen der Zeit- und Kulturgeschichte Ausstellung vom 14.2. – 11.3.2007 im wie Klaus Maria Brandauer, Nadine Mannheimer Kunstverein, hrsg. vom Andrej Reiser Gordimer, Andrej Tarkowski, Horst- Mannheimer Kunstverein, der Heinrich- Portraits 1979 – 1991 Eberhard Richter, Bernhard Minetti, Karl Vetter-Stiftung und der Galerie Schuster mit einem Vorwort von Alexander Boro- R. Popper und Oleg Popow fühlen sich Mannheim, 2007, ISBN 978-3-00- vsky und einem Text von Jürgen Serke in die jeweilige Persönlichkeit ein und 20698-6, 48 S., zahlreiche s/w und wirken vollkommen ungekünstelt. Seine Farbabbildungen, Broschur mit Rück- Andrej Reiser Fotogeschichte über das Leben von Do- stichheftung, Format 30 x 25 cm Domenica menica vermeidet jede Bloßstellung und mit einem Vorwort von Alexander Boro- jeden Anflug von Voyeurismus. Reiser Der der 1970 geborenen und in Mann- vsky und einem Text von Fee Zschocke zeigt sie als Mensch. Sein Stadtportrait heim lebenden HBK Braunschweig- und „Die letzten Tage von Leningrad“ von Glasgow School of Art-Absolventin Andrej Reiser 1990 dokumentiert den gelegentlich Rebekka Brunke gewidmete Katalog Leningrad 1990 chaotischen Übergang in die postsowje- vereinigt zwei Kataloge in einem. Der mit einem Vorwort von Alexander Boro- tische Ära und die Suche nach der neuen Katalog im kleineren Format präsentiert vsky und einem Text von Kirill Kobrín Rolle in Russland. Reisers Aufnahmen Brunkes Freihand-Malereien nach Kunst- dokumentieren eine nicht mehr rückhol- , Post- und Urlaubskarten, die Ludwig Publikationen zu den Ausstellungen im bare Zeit und gehören inzwischen zur Seyfarth an die augentäuscherische Still- Museum Ludwig im Staatlichen Russi- Fotogeschichte. lebenmalerei von Cornelius Gijsbrechts schen Museum St. Petersburg, 2005, in (ham) aus dem 17. Jahrhundert erinnern. Man der Galéria mesta Bratislavy – Mirba- könnte aber auch an das Werk der 1930 chov Palác, Bratislawa, 2006, im Saarl- in Lakewood, Ohio, geborenen und in ländischen Künstlerhaus, Saarbrücken, Moritz Schleime Paris lebenden Amerikanerin Sturte- 2006 und in der Galerie Falkenbrunnen, Publikation zur Ausstellung in der Wendt vant denken. Der größere Katalog zeigt Dresden, 2006 + Friedmann Galerie Berlin, 2007 Kohlezeichnungen, Ölmalereien und in Nacka Publishers, Prag / Saarländisches Hrsg. von Andreas Wendt und Mario ihrer Größe variable Folienschnitte, die Künstlerhaus, Saarbrücken, 2005, ISBN Friedmann mit einem Text von Christoph in Wandarbeiten übergehen können. Die 3-937046-28-3/ ISBN 3-937046-28-3/ Tannert und einem Gespräch zwischen Arbeiten überzeugen. ISBN 3-937046-28-3, 88/52/100 S., zahl- Felix Beck und Moritz Schleime (ham) reiche Duplex-Abbildungen, Broschur, Wend + Friedmann Galerie, 2007, Format 23,3 x 28 cm, alle drei Bände im ISBN978-3-940351-00-5, 40 S., zahl- Schuber € 35,--, Einzelpreis je € 15,-- reiche Farbabbildungen, Broschur, Markus Schinwald Rückstichheftung, Format 28,5 x 21 cm, Publikation zu den gleichnamigen Aus- Der 1949 in der Slowakei geborene An- € 12,-- stellungen vom 10.10.2007 – 27.01.2008 drej Reiser hat in der Folkwang-Schule im Augarten Contemporary des Belve- Essen bei Otto Steinert und Willy Fleck- Der 1978 in Berlin-Köpenick geborene dere Wien und vom 16.02. – 18.05.2008 haus Fotografie studiert und ist schon mit Werner Liebmann- und Hanns Schi- im migros museum für gegenwartskunst seiner Diplomarbeit über das Schicksal mansky-Meisterschüler erkundet mit Zürich

84 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Hsrg. von Agnes Husslein-Arco, Heike einem Gespräch zwischen Martin Hell- Vierecksaals des zum Schlossgarten hin Munder und Thomas Trummer mit einer mold und Cornelia Schleime geöffneten Württembergischen Kunstver- zusammen mit dem Künstler erarbeiteten Galerie Michael Schultz, Berlin/Kunst- eins Stuttgart. Dass die Erinnerung an die Enzyklopädie zu Schienwalds Kunst- halle Tübingen/ Prestel Verlag, München, Selbstmorde von Stammheim an diesem Kosmos 2008, ISBN 978-3-7913-4065-4, 144 S., prominenten Platz umstritten bleibt, zeigt Belvedere Wien/migros museum Zürich/ zahlr. Farbabbildungen, Hardcover ge- die mit weißer Wandfarbe halb überstri- JRP Ringier, Zürich, 2007, ISBN 978-3- bunden, Format 28,4 x 24,5 cm, € 39,95 chene Widmung „Stammheim“. Metzel 905829-22-8, 208 S., zahlr. Farbabbil- hat sich bei der Konzeption seines Eh- dungen, Leinen gebunden mit Schutzum- ‚Junges Gemüse’ hat Cornelia Schleime renkranzes u.a. auch vom Ornament des schlag und Lesebändchen, Format 24,5 x schon immer interessiert und so hat sie Dornenkranzes Jesu auf Jerg Ratgebs 20,5 cm, € 30,-- ihren Lauch und ihre Karotten in über- Herrenberger Altar von 1519 inspirieren schmalen Hochformaten unter anderem lassen, der heute als Spitzenstück der Markus Schinwald entführt in seiner an 1989 in New York City und acht Jahre Stuttgarter Staatsgalerie gilt. das wandlose Träger- und Legersystem später im Hospitalhof Stuttgart präsen- Eine Zeitlang scheint Metzel, wie seine des österreichisch-amerikanischen Ar- tiert. In der Hospitalkirche Stuttgart „Synthetisches Fragment’ überschriebene chitekten, Bühnenbildners und Künstlers kamen 1997 erste Bilder aus ihrer Serie Stammheim-Zeichnung von 1984, 41,5 x Friedrich Kiesler (1890-1965) angelehn- der Nonnen und Aquarelle mit frech in 29,5 cm, Bleistift und Tusche auf Papier, ten Inszenierung in abgründig-unter- die Welt blickenden, langzöpfigen Girlies zeigt, an das Schweißtuch der Veronika gründige Traum- und Wahnwelten, die hinzu. In der Berliner und Tübinger Aus- gedacht zu haben. Den Vorzug bekam das kollektive Unbewusste aufscheinen stellung bedrängt eines dieser langzöp- aber dann doch die Kranzform (Stamm- lassen. Seine mit Kleidern und Prothesen figen Ungeheuer den Papst: ‚Der Teufel heim, 1984, 43 x 35,5 cm, Pastellkreide bestückten Marionetten, seine Eingriffe im Nacken’, 2003, Tusche auf Bütten, auf Papier). in Gesichter und Körper, historische 57 x 76 cm. Der Papst reicht dem jungen Beide Zeichnungen bilden den chronolo- Gemälde und Stiche, seine scheinbar an Gemüse im Gegenzug die Oblate: ’Mund gischen Ausgangspunkt der Olaf-Metzel- orthopädische Notwendigkeiten angepas- auf, Augen zu’, 2003, Acryl, Schellack, Zeichnungsretrospektive, die u.a. auch sten Schuhe und sein neuer Film „Ten in Asphaltlack auf Leinen, 160 x 200 cm. Metzels Berliner Turm aus Absperrgit- Love“ spielen auf traumatisierendes Er- Den Hauptteil aber machen frech und tern vorwegnimmt, mit dem er als Bild- leben an und erscheinen multipel konno- furios gemalte Akte und Paare beim hauer bekannt geworden ist (‚13.4.1981’, tiert. Der Körper wird zum Medium des Liebesspiel aus. Alle Gemälde bestechen 1985-86, 135 x 74,5 cm, Bleistift, Filz- Unbehagens an der Kultur, dem weder durch ihre dem Miteinander von Acryl, stift, Aquarellfarbe und Tipp-Ex-fluid auf Prothesen noch neue Kleider aufhelfen Schel- und Asphaltlack abgerungenen rotem Millimeterpapier). Dazu kommen können. Oberflächen. Dennoch bleiben sie merk- freie Zeichnungen wie ‚Kopftuch’, 2005, Der bibliophil angelegte Katalog stellt würdig kalt, eben wie eine Liebesbezie- 39,8 x 29,8 cm, Kohle auf Fabrianokar- den Werken Kurzdefinitionen zu Begrif- hung, die man abgehakt, verdrängt oder ton, und ‚Turbokapitalismus’, 1999, 82 x fen wie Absorption, Automat, Begehren, schnell vergessen hat. 109 cm, Bleistift, Farbstift und Filzstift Fetisch, Gedächtnis, Marionette, Zufall (ham) auf Transparentpapier. Letztere kann man und Zwang gegenüber. In ihrer Gesamt- als Bildkommentare zu aktuellen politi- heit werden sie zu einer Art offenen En- schen Fragen lesen. zyklopädie des Schinwaldschen Kunst- Olaf Metzel (ham) Kosmos. In dieser Begriffsenzyklopädie Zeichnungen kann man sich wie in der Schinwald- Katalog zu den gleichnamigen Ausstel- Kieslerschen Ausstellungsarchitektur lungen vom 22.01.-23.04.2006 in der Bad Painting good art verlieren. Hamburger Kunsthalle und vom 22.07. Publikation zur gleichnamigen Ausstel- (ham) – 22.10.2006 in der Staatsgalerie Stutt- lung vom 06.06. – 12.10.2008 im Mu- gart Graphische Sammlung seum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Mit Texten u.a. von Michael Semff und Wien Cornelia Schleime Tobias Vogt Hrsg. von Eva Badura-Triska und Susan- Love Affairs Hamburger Kunsthalle/Staatsgalerie ne Neuburger mit Texten u.a. von Bern- Publikation zu den gleichnamigen Aus- Stuttgart/Verlag Silke Schreiber, Mün- hard Blistène, Christian Höller, Friedrich stellungen vom 26.04. – 27.05.2008 in chen, 2006, ISBN 3-88960-080-8, 143 Petzel und den Herausgeberinnen der Galerie Michael Schultz Berlin und S., 78 Farbabbildungen, Klappenbro- Museum Moderner Kunst Stiftung Lud- zur Ausstellung ‚Blind date’ vom 07.06. schur, Format 27,9 x 24,2 cm, € 39,-- wig Wien, DuMont Buchverlag, Köln, – 07.09.2008 in der Kunsthalle Tübingen (Buchhandelsausgabe) 2008, ISBN 978-3-90249-44-5, 256 S., Hrsg. von Christiane Bühling-Schulz zahlr. Farbabbildungen, Klappenbro- und Martin Hellmold mit Texten von 1984 lehnt Olaf Metzel seinen Stamm- schur, Format 27,9 x 22,1 cm, € 34,90 Manfred Bissinger, Martin Hellmold und heim-Ehrenkranz an die Außenwand des (Museumsausgabe)

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 85 Bad Painting gilt seit den späten 1970er- mit grauen Fonds, die sich an sein in der nis zwischen seiner Person, den Dingen Jahren und Marcia Tuckers Ausstellung Stuttgarter Gruppenshow ‚Kommando und der Natur anstrebt. im New Museum New York als Label Tilman Riemenschneider’ gezeigtes Gezeigt werden unter anderem Fotogra- oder als „brand“, mit dem deutsche Großformat ‚Ohne Titel’, 2008, anschlie- fien von Penones in Stahl abgeformter Künstler wie Werner Büttner, Albert ßen. In dieser Werkgruppe der grauen Hand, die er 1986 um einen Baum- Oehlen und Martin Kippenberger beacht- Bilder fühlt man sich wie auf einer Bra- stamm in den Seealpen gelegt hat und liche Markterfolge erzielen konnten. Im che, die mit der Zeit von Klatschmohn, die sich seither mit dem Baum zu einer Bad Painting werden die Malerei des 20. Löwenzahn und Wegerich besiedelt wird. hybriden Skulptur verbindet. Weiter Jahrhunderts und die Regeln ihrer Avant- Acht Tage später tauchen bei Patrick seine an archäologische Ausgrabungen garden mit den Mitteln der Malerei wie Painter in Santa Monica Riesenformate erinnernde Wiederherstellung früherer unkorrektem, schlechtem, hässlichem auf, die das gesamte bisherige Spektrum Wachstumsstadien von Bäumen, die er oder bösen Malen auf den Prüfstein des Butzerschen Bildvokabulars in sich aus zugesägten Vierkantbalken heraus- gestellt, kritisiert und destabilisiert, um vereinigen: Die Siemens-, Friedens-, schält und nicht zuletzt seine skulpturale neue malerische Möglichkeiten zu erpro- Schande- und Scream-Menschen, bunte Abformung einer Eiche ‚Der Schatten ben und gute Kunst zu schaffen. Kreise, Dreiecke, Rauten und Rechtecke, der Bronze’, 2002, Bronze, grüne Eiche. Für Susanne Neuburger ist Bad Painting in sich verschlungene, an Gedärm und Der Stamm der Skulptur ist zum Tor zwar Malerei, aber auch Projekt, Aktion Kabelsalat erinnernde Linien und neuer- geöffnet. Im geöffneten Tor wächst eine und Text. „Bad Painting ist kaum formal dings auch offen-bunte Malgründe, die kleine Eiche. Dazu kommen Zeichense- fassbar“, sich aber seines antiklassizie- an fruchtbare Gartenerde denken lassen, rien und das Großformat ‚Goldene Haut renden, antimodernistischen Ansatzes auf der alles paradiesisch gut wächst und auf Akaziendornen (Mund)’, 2001/02, bewusst. „Zwischen ‚Ernst und Spaß’ gedeiht. 3 x 12 m, auf dem tausende von Akazi- benannte Albert Oehlen das Bad Pain- (ham) endornen einen Mund formen. An zwei ting mit einer Art von Ironiefigur, die … dieser Dornen hat sich ein Goldblatt zwischen Distanz und Komplizenschaft verhakt; es erinnert an eine abgestreifte schwankt. Dabei steht die Komplizen- Guiseppe Penone Schlangenhaut. Die erste vollständige schaft zur Avantgarde einer Regression Katalog zur gleichnamigen Ausstellung deutschsprachige Ausgabe von Guiseppe gegenüber, die Rückschritte als Auswege vom 8.10.2006 – 25.2.2007 im Museum Penones Schriften zeigt den Autor als und Alternativen dem ‚zivilisatorisch’ Kurhaus Kleve poetisch-künstlerische Doppelbegabung. hoch elaborierten Modell der Malerei der Hrsg. vom Freundeskreis Museum Kur- Im Mittelpunkt steht das „symbiotische Moderne abverlangt“ (Susanne Neubur- haus und Koekkoek-Haus Kleve mit Miteinanderverwobensein der sich un- ger). Texten von Guido de Werd, Roland Mö- endlich entwickelnden Natur und der Ausstellung und Katalog untersuchen das nig und Annalisa Rimmaudo temporären Eingriffe, die der Mensch in Phänomen des 20. Jahrhunderts zwischen Schriftenreihe Museum Kurhaus Kle- ihr vornimmt“ (Guido de Werd). den 1920er und 1990er Jahren an Malern ve - Ewald Mataré-Sammlung Nr. 36, (ham) wie Francis Picabia, Giorgio de Chirico, ISBN 3-934935-33-8/978-3-34935-33, René Magritte, Asger Jorn, Julian Schna- 2006/2007, 240 S., zahlreiche s/w und bel und André Butzer. Für André Butzer, Farbabbildungen, Klappenbroschur, For- Max Klinger der sich u.a. auf die Münchener Gruppe mat 27 x 21,5 cm, € 29,50 Die druckgraphischen Folgen ‚Spur’ und an Asger Jorn, Georg Baselitz Publikation zur gleichnamigen Ausstel- und Albert Oehlen bezieht, ist Bad Pain- Guiseppe Penone lung vom 27.1. – 9.4.2007 in der Staat- ting zur historischen Denkfigur gewor- Die Augen umkehren lichen Kunsthalle Karlsruhe mit Texten den. Die Malerei geht weiter. Schriften 1968 – 2004 unter anderem von Anja Wenn, Sonja (ham) Schriftenreihe Museum Kurhaus Kleve Mißfeldt und einem Vorwort von Klaus – Ewald Mataré-Sammlung Nr. 37 mit Schrenk einem Nachwort von Guide de Werd Staatliche Kunsthalle Karlsruhe/Edition André Butzer Tropen Verlag / Museum Kurhaus Kleve, Braus, Heidelberg, 2007, ISBN 978-3- Publikation zur gleichnamigen Ausstel- 2006, ISBN 978-3-934935-34-1, 256 S., 925212-69-7, 184 S., Hardcover gebun- lung vom 13.09. – 25.10.2008 bei Patrick zahlreiche s/w und Duotonabbildungen, den, Format 30,5 x 24,5 cm; € 20,-- Painter Inc., Santa Monica, USA Format 19 x 14 cm, € 12,80 (Museums- (Museumsausgabe) 2008, 16 S., sechs Farbabbildungen, Bro- ausgabe)/€ 16,80 (Buchhandelsausgabe) schur, Rückstichheftung, Format 33,4 x Die Kunsthalle Karlsruhe hat den 150. 43 cm Der Katalog zur retrospektiv angelegten Geburtstag Max Klingers zum Anlass ge- Ausstellung zeichnet die Entwicklung nommen, seine druckgraphischen Folgen In seiner Innsbrucker Ausstellung vom des international einflussreichen Vertre- mit Ausnahme des Spätlings „Das Zelt“ 06.09. – 11.10.2008 in der Galerie Bernd ters der Arte Povera nach, der in seinen und Einzelblätter aus dem eigenen Be- Kugler zeigt André Butzer Malereien Arbeiten ein gleichberechtigtes Verhält- stand auszustellen und neu zu bewerten.

86 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 1920 hatte Julius Meier-Graefe darüber über das rein Dinghafte hinaus etwas Tyrannei gesellschaftlich definierter gespottet, dass es Kupferstich-Kabinette ganz Wesentliches, Wesenhaftes zu ver- Macht, wenn es an den äußersten Rand gäbe, die den ganzen Klinger besitzen. leihen… Aber die Aktualität Josephsons gesellschaftlicher Rotationen geschleu- „Verbrennt das Zeug, es ist Makulatur… liegt nicht nur in dem…Potential seiner dert worden ist“ (Andreas Vowinckel). Ein metaphysischer Schwindel, der uns Arbeiten … Ein zweiter Grund liegt in Unter den 16 ausgewählten Positionen abhält, an einen Anfang zu kommen“. ihrer buchstäblichen Zeitlosigkeit. Sie sticht der 1960 in Kajaani, Finnland, Klaus Schrenk ist froh, dass man diesem lassen sich nicht dem einen oder anderen geborene Foto- und Medienkünstler Veli Rat nicht gefolgt ist. Heute werden Klin- Jahrzehnt zuordnen und dort lokalisieren. Granö mit seiner Figur eines Straßen- gers Erfindungsreichtum, seine Vielsei- Vielmehr scheint gemessene Zeit diesem musikers und aggressiven Underdogs tigkeit, Intelligenz und seine Orginalität Werk fremd…“ (Udo Kittelmann). heraus, der sich mitten in Helslinki einen neu entdeckt. Seine Radierzyklen gehö- Die von Kittelmann unterstrichene Zeit- Spaß daraus macht, „die vorbei hasten- ren zu seinen „bedeutendsten Leistun- losigkeit könnte einer der Gründe dafür den Menschen auf einem Berg alter Mö- gen“ (Klaus Schrenk). Die vorzüglich sein, dass Columba, das Kunstmuseum bel mit aus Wohlstandmüll gefertigten erarbeitete Publikation begründet die der Erzdiözese Köln, eine von Joseph- Instrumenten und einfachen Volksliedern Neubewertung an den Originalen, macht sohns Liegende auf Dauer im Innenhof lautstark zu provozieren“ (Andreas Vo- mit den Vorbildern und der Nachwirkung ausstellt. winckel). Der 1961 in Tartu, Estonia ge- der graphischen Folgen bekannt und geht (ham) borene Jaan Toomik untersucht in seiner auch der Frage nach, warum Klinger sein dokumentarisch angelegten Videoarbeit Kunststudium in Karlsruhe begonnen ‚Invisible Pearls“, 2004, das Rollenbe- hat. border lives wusstsein und Selbstverständnis junger (ham) Zeitgenössische Kunst aus Helsinki, St. Gefangener. Der 1973 der in Oulu, Finn- Petersburg und Tallinn land geborene Vesa Ranta dokumentiert Publikation zu den gleichnamigen Aus- in seiner Fotoarbeit ‚Being Me’, 2005 Kesselhaus Josephsohn stellungen vom 15.3. – 1.6.2008 im – 2007, Frauen und Männer jeden Alters, Publikation in Verbindung mit der Aus- Ludwig Forum für Internationale Kunst, deren Schicksal sie zu gesellschaftlichen stellung von Hans Josephsohn im MMK Aachen, und vom 14.6. – 10.8.2008 in Außenseitern gemacht hat, so unter Museum für Moderne Kunst, Frankfurt, der Stadtgalerie Kiel anderem Kaisa, deren Beine amputiert vom 8.2. – 6.4.2008 Hrsg. vom Ludwig Forum mit Essays wurden, Maria, die den Glauben an ihre Hrsg. von Udo Kittelmann und Felix unter anderem von Maria Korosteleva, Schönheit verloren hat und das con- Lehner mit Texten unter anderem von Johannes Saar und Andreas Vowinckel tergangeschädigte Mädchen Teija. Für Udo Kittelmann, Ulrich Meinherz und Ludwig Forum, Aachen/Dumont Buch- Vowinckel wird deutlich, dass die fin- Fotografien von Katalin Deér. verlag, Köln, 2008 ISBN 978-3-8321- nischen Künstler „eine gewisse Distanz Verlag der Buchhandlung Walther König, 9103-0, 144 S., zahlreiche Farbabbildun- gegenüber sich selbst und gegenüber den Köln, 2008, 208 S., zahlreiche Farbab- gen, Klappbroschur, Format 23,2 x 16,6 Gegenständen erkennen lassen, die sie bildungen, Hardcover gebunden mit cm, € 19,90 (Museumsausgabe)/€ 29,90 künstlerisch bearbeiten. Die estnischen Schutzumschlag, Format 28,5 x 24,5 cm, (Buchhandelsausgabe) Künstler richten den Fokus eher auf den € 48,-- (Museumsausgabe) eigenen Körper und die eigenen Emp- Borderliner gelten als schwer gestörte findungen. Die Arbeiten der russischen Hans Josephsohns im Kesselhaus in St. Persönlichkeiten mit Erkrankungen vor Künstler lassen erkennen, dass sie dabei Gallen präsentierten Köpfe erinnern an allem aus dem Spektrum des schizo- sind, sich von der Hypothek jahrzehnte- Urzeitidole und entfernt auch an die phrenen und affektiven Formenkreises. langer Gängelung zu befreien und „aus Maori-Skulpturen auf den Osterinseln. Mit dem Begriff ‚border lives’ sollen der Kunst in den Alltag“ auszubrechen Seine ‚Liegende’ 1999/2001, o.T., 74 dagegen „Momente einer Auflösung (Andrej Fomenko). x 227 x 55 cm könnte auch als in die bisher gültiger Rahmenbedingungen des (ham) Horizontale gekippte monumentalisierte sozialen Lebens“ im globalen Kontext Version des dreißigtausend Jahre alten umschrieben werden. Die Ausstellung Löwenmenschen durchgehen, der auf der und die Publikation gehen von den Action Painting Schwäbischen Alb in der Hohenstein- Übergangsphänomenen der postkommu- Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Stade-Höhle gefunden worden ist. Seine nistischen Gesellschaft aus und zeigen lung vom 27.1. – 12.5. 2008 in der Fon- Reliefs spielen das ewig junge Drama der „an ausgewählten Beispielen den Weg dation Beyeler, Riehen/Basel, mit Texten Begegnungen der Geschlechter nach. Für in die Vereinzelung als den Verlust von unter anderem von Ulf Küster, Pepe Kar- Udo Kittelmann wurde die Begegnung verbindlichen Wertmaßstäben, die noch mel und Robert Fleck. mit einer der Halbfiguren Josephsohns identitätsstiftend sein könnten…Leben Fondation Beyeler, Basel/Hatje Cantz auf der Art Cologne 2001 zum Anlass, ist selbst dann auf der Suche nach selbst Verlag, Ostfildern, 2008, ISBN 978-3- auf den Künstler zuzugehen. „Joseph- bestimmter Freiheit und strebt selbst 905632-63-7, 204 S., 170 Farb- und 48 sohns war es gelungen, diesem Werk dann nach Unabhängigkeit von der s/w-Abbildungen, Klappenbroschur,

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 87 Format 30,4 x 24,6 cm, SFR 68,-- (Mu- tauchen weitere Frösche und ein Hund seumsausgabe)/€ 49,80 (D) Buchhan- am Kreuz auf, der formal Kippenbergers delsausgabe) gekreuzigten Frosch am Kreuz vorweg- nimmt. Die von Ulf Küster kuratierte Ausstel- Auf Ensors Bildern erscheinen die lung verabschiedet die Vorstellung von Geistlichkeit (die Religion) und die einem ‚kalten Krieg’ zwischen der in- Ärzteschaft (die Wissenschaft) als un- formellen Malerei in Europa und dem zertrennliches Duo. „Sie stürzten uns in abstrakten Expressionismus in Amerika, den Abgrund, Madame Wissenschaft, Sie in dem schließlich und endlich die ame- töten uns. rikanische Seite den Sieg errungen habe. Ihr schändlicher Baum der Wissenschaft Sie geht stattdessen von einer Gleich- wird uns im irdischen Paradies schon ursprünglichkeit der avantgardistischen jetzt zum Verhängnis, aber die Kunst Malerei in Europa, Amerika und auch erhöht uns, vergöttlicht uns, und wahr- in Japan in der Zeit nach dem Zweiten haftig kann ich sagen: … Religion und Weltkrieg aus. Das von Hans Hartung Jackson Pollock bei der Arbeit an ‚One: Number Wissenschaft, von Tränen und von Blut mit ‚agir sur la toile’ und von Harold Ro- 31, 1950‘. 1950 mit Lee Krasner im Hintergrund getränkte grausame Göttinnen“ (James senberg mit „Action Painting“ Gemeinte Copryright 2008, ProLitteris, Zürich Ensor). zielt auf eine wesentliche, direkte und Ensors Einsatz für die gequälte Krea- traditionelle Grenzen sprengende Kunst tur und sein ganzes Werk zeigen ihn ab. Angestrebt wurde die Kombination 26,8 x 23,2 cm, € 29,80 (Museumsaus- als Meister der Moderne, der bis heute aus spontaner Malgeste, unverfälschtem gabe/ € 39,80 Buchhandelsausgabe) zahlreiche Künstler beeinflusst. Anders Ausdruck des Selbst, Einfachheit des als die letzten Ensor-Ausstellungen in Materials und Radikalität der Durchfüh- In Bozen tobt seit der Eröffnung des Deutschland bezieht die Frankfurter Aus- rung. ‚Action Painting’ ist ein Ideal …“ neuen Museums für moderne und zeitge- stellung auch das Spätwerk ein. „Ensors (Ulf Küster). nössische Kunst ein Bilderstreit um den Werk ist voller unterschiedlicher Themen Die Ausstellung ordnet diesem Ideal dort ausgestellten Martin Kippenberger- und Stile, die im Ganzen jedoch stärker Werke von Künstlern wie Karel Appel, Frosch. Das 1990 geschaffene Werk trägt aufeinander bezogen sind, als es auf den Lynda Benglis, Jean Fautrier, Sam Fran- den Titel „Zuerst die Füße“. Es hat nach ersten Blick erscheint. Einen roten Faden cis, Hans Hartung, Eva Hesse, Gerhard Meinung der Kritiker „die religiösen bilden dabei der exzentrische Ensor…“ Hoehme, Asger Jorn, Franz Kline, Wil- Gefühle vieler Menschen verletzt, die (Ingrid Pfeiffer). lem de Kooning, Morris Louis, Ernst im Kreuz ein Symbol der Liebe Gottes An die Stelle einer chronologischen Wilhelm Nay, Kazuo Shiraga, Pierre und des Heils“ sehen. Der Streit hat auch Gliederung tritt eine thematische. So Soulages, Clyfford Still, Cy Twombly Papst Benedikt XVI erreicht und ihn zu stehen Selbstportraits von 1879, 1883 und Wols zu. Im Mittelpunkt steht eine einem Brief an den Präsidenten des Re- und 1936 nebeneinander. Der sterbende repräsentative Auswahl von Werken von gionalrates der Region Trentino-Südtirol, Christus von 1888 wird mit dem von Jackson Pollock, darunter ‚Out of the Franz Pahl, veranlasst. Die Kuratorin des 1931 konfrontiert. Dasselbe gilt für seine Web: Number 7, 1949, 122 x 244 cm, ‚Museions’ verweist auf Kippenbergers Stillleben und Landschaften. Ensor ist und „Search“ 1955, 146 x 228,6 cm, das Identifikation mit dem Gekreuzigten. also weit mehr als der „Maler der Mas- als Pollocks mutmaßlich letzte Malerei Kippenberger habe zum Zeitpunkt der ken“. Nach der Frankfurter Ausstellung gilt. Entstehung des Werks ein Alkohol- und gehört er nicht mehr in die zweite Hälfte (ham) Drogenentzug gemacht und sich in die- des 19., sondern an den Beginn des 20. ser Schaffensphase wie ein gekreuzigter Jahrhunderts. Er hat, wie er 1911 selbst- Frosch gefühlt. bewusst sagte, „alle modernen Bewegun- James Ensor Sie hätte auch auf James Ensor verwei- gen vorweggenommen“. Publikation zur gleichnamigen Ausstel- sen können, der in seiner Farbstiftzeich- (ham) lung vom 17.12.2005 – 19.03.2006 in der nung ‚Die Kreuzigung’ aus der ersten Schirn Kunsthalle Frankfurt Hälfte der 1880er Jahre auf den Titulus Hrsg. von Ingrid Pfeiffer und Max Hol- des mittleren Gekreuzigten ‚Ensor’ Erik van Lieshout lein mit einem Vorwort von Max Hollein schreibt. Auf der 1895 entstandenen Ra- This Can’t Go On (Stay with Me) und Essays u.a. von Ingrid Pfeiffer, Ru- dierung ‚Die Teufel Dzitts und Hihahox Publikation zu den gleichnamigen Aus- dolf Schmitz und Xavier Tricot geleiten Christus in die Hölle’ zappelt stellungen vom 25.11.2006 – 04.02.2007 Schirn Kunsthalle Frankfurt/Hatje Cantz ein kleiner Frosch mit einer klaffenden im Museum Boijmans van Beuningen, Verlag, Ostfildern, 2005, ISBN 3-7757- Bauchwunde an einem langen Spieß. In Rotterdam, vom 13.04. – 17.06.2007 1702-1, 332 S., 204 Farb- und div. s/w- Bildern wie ‚Souvenirs’, 1926, und ,Die im Kunsthaus Zürich und ‚Erik van Abbildungen, Klappbroschur, Format niederträchtigen Vivisekteure’‚ um 1930 Lieshout, Homeland Security’ von Mai

88 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 bis August 2007 am Museumsplatz der ihnen selbst kuratierten, retrospektiv an- wie Wildnis, die Niagarafälle, der ameri- Städtischen Galerie im Lenbachhaus, gelegten Ausstellung aus verschiedenen kanische Westen und die Entstehung der München Zeiten stammende, räumlich getrennte erhabenen Landschaft geordnet. Hrsg. von Rein Wolfs, Mirjam Varadinis, Werke und untersuchen ihre Gemeinsam- „Die Gemälde … sind weltweit als Mei- Susanne Gaensheimer mit Texten u.a. keiten, Unterschiede und Beziehungen. sterwerke… bekannt. Sie spiegeln die von Tom Morton und einem Gespräch Beide thematisieren die mediale Darstel- Besiedlung des Westens, die Anfänge des mit Erik van Lieshout. lung von Frauen in der Geschichte und Tourismus und die zunehmende Urbani- JRP/Ringier-Verlag, Zürich, 2006, ISBN Gegenwart. sierung und Industrialisierung wider, die 978-3-905770-38-4, 302 S., zahlr. s/w- Hoch eindrücklich Olowskas Malerei die Regionen um die wachsenden Städte und Farbabbildungen, Broschur mit ‚Nashville’, 2005, 220 x 150 cm, die an der Ostküste Amerikas kennzeichne- Schutzumschlag, Format 23,9 x 17 cm, eine junge Frau beim Striptease zeigt. ten. Die Künstler entdeckten spektakulä- € 32,-- Das Motiv geht auf ein Still aus Robert re Naturszenen wie die Niagarafälle, in Altmans gleichnamigem Film von 1975 denen der schiere Maßstab einen einzig- Die Publikation dokumentiert van Lies- zurück. Die Frau hatte sich an einer Ge- artigen, Ehrfurcht gebietenden Charakter houts Zeichnungen, die seine Filme sangseinlage versucht. Die missglückte. besaß, ganz anders als alles, was in Euro- begleiten und zu finanzieren helfen. Darauf wird sie ausgebuht und aufgefor- pa zu finden war“ (Sean Rainbird). Serien wie ‚2 November 2004’, 2004, dert, sich auszuziehen. (ham) und ‚Awakening’ von 2005, nehmen Für Olowska ist die Verbindung von tagespolitische Ereignisse wie die Mor- Fotografie in der Form des Stills und de an Theo van Gogh und Pim Fortuyn Malerei in ein und demselben Bild von Isaac Julien persönlich und verquicken sie mit der Bedeutung. True North eigenen offen gelegten Homosexualität. (ham) Fantôme Afrique ‚Fantasy me’, 2004, wird zu einem Lehr- Publikation zur gleichnamigen Ausstel- stück über die Macht von Männern über lung vom 23.06. – 20.08.2006 in der Frauen und umgekehrt, gesellschaftliche Neue Welt kestnergesellschaft, Hannover Integration und die Schwierigkeit, eine Die Erfindung der amerikanischen Ma- Hrsg. von Veit Görner und Eveline hilfreiche neue Sprache zwischen den lerei Bernasconi mit Texten u.a. von Mark Geschlechtern zu lernen. Auch wenn Katalog zu den gleichnamigen Aus- Nash und Lisa Bloom seine Arbeiten eine brutale, brüchige und stellungen vom 24.02. – 28.05.2007 im kestnergesellschaft, Hannover/Hatje kaputte Welt zeigen, will van Lieshout Bucerius Kunst Forum und vom 21.07. Cantz Verlag, Ostfildern, 2006, ISBN mit seinem Werk dennoch „Hoffnung – 21.10.2007 in der Staatsgalerie Stutt- 978-3-7757-1867-7, 100 S., zahlr. und Schönheit erzeugen… Toleranz ist gart Farbabbildungen, Hardcover, Format mein Lebensziel“ (Erik van Lieshout). Hrsg. von Elisabeth Mankin Kornhauser 30,4 x 30 cm, € 35,-- Das Künstlerbuch zeigt ihn als exzessi- mit Beiträgen u.a. von Winfried Fluck, ven Zeichner, der sich vor keiner Pein- Karsten Müller, Alan Wallach und der Der 1960 in London als Kind karibi- lichkeit scheut. Herausgeberin scher Immigranten geborene Film- und (ham) Bucerius Kunst Forum, Hamburg/Hirmer Videokünstler Isaac Julien strebt mit Verlag, München, 2007, ISBN 978-3- dem Set seiner filmisch-musikalischen 7774-3415-5, 240 S., zahlr. s/w- und Präsentationen ein Ganzkörpererlebnis Noël sur le balcon/ Hold the color Farbabbildungen, Hardcover gebunden an. „Diese Überwältigung ist aber nicht Paulina Olowska/Lucy McKenzie mit Schutzumschlag, Format 28,6 x 23 Selbstzweck, sondern gleichwertige Publikation zur gleichnamigen Ausstel- cm, € 24,80 Form… für die Inhalte seiner Arbeiten. lung vom 26.03. – 04.08.2007 in der Wo der Spielfilm einen Handlungsstrang Sammlung Götz, München Die ab der ersten Hälfte des 19. Jahr- braucht, die Dokumentation Fakten, Hrsg. von Ingvild Goetz, Jan Seewald hunderts bekannt gewordene ameri- kommt Julien mit Bildern aus… Isaac und Stephan Urbaschek mit Texten u.a. kanische Landschaftsmalerei wird im Julien entführt uns mit ‚True North’ und ‚ von Katharina Vossenkuhl und State- vorliegenden Katalog mit 73 Gemälden Fantôme Afrique’ in Episoden der Kultur ments der Künstlerinnen und Zeichnungen klassisch-kunsthisto- Afrikas, die überraschenderweise auch Kunstverlag Ingvild Goetz, München, risch aufgearbeitet. Die Arbeiten von am Nordpol ihre Spuren hinterlassen hat“ 2007, ISBN 978-3-939894-00-1, 144 S., Künstlern wie Thomas Cole, Frederic (Veit Görner). zahlr. Farbabbildungen, Hardcover ge- Edwin Church, Albert Bierstadt und John ‚True North’ – eine multiperspektivische bunden, Format 24,3 x 17 cm, € 24,80 William Casilear stammen aus dem 1844 Parabel über das Leben des afro-ameri- als erstem öffentlichen Kunstmuseum in kanischen Nordpolarforschers Matthew Die 1977 in Glasgow und 1976 in Dan- Amerika gegründeten Wadsworth Athe- Henson – und ‚Fantôme Afrique’ – ein zig geborenen Lucy McKenzie und neum Museum of Art in Hartford, Con- Kaleidoskop von Bildern über die indige- Paulina Olowska inszenieren in der von necticut, und sind nach Themenblöcken ne afrikanische Baukunst – transponieren

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 89 den postkolonialen Diskurs in eindrückli- Hrsg. von Alexander Tolnay mit Texten hunderts einen eigenständigen Akzent. che Bilderzählungen und werden zur Me- u.a. von Wolfgang Holler, Harry Leh- Für Ottersbach geht es „um die Moderne ditation über Möglichkeiten der Identität mann und Alexander Tolnay als Heilsgebilde, um die … Utopie der in der globalisierten Welt. Neuer Berliner Kunstverein/Galerie Kunst, die an die Idee des Fortschritts Dass eine dunkelhäutige Schönheit am EIGEN+ART/Hatje Cantz Verlag, Ost- und die Verbesserung von Mensch und Nordpol und vor dem Packeis stehen fildern, 2007, ISBN 978-3-7757-2042-7, Gesellschaft gebunden ist“ (Heribert C. könnte, lag bisher außerhalb des mittel- 144 S., 31 s/w- und 18 Farbabbildungen, Ottersbach). europäischen Blicks. Halbleinen, Format 33,2 x 24,9 cm, In seinen Bildern ist ihm die Architektur (ham) € 39,80 (D)/SFR 69,-- zum Symbol dieser Moderne geworden. Er weiß, dass wir genauso wenig aus der Der als Künstlerbuch angelegte und in Moderne wie aus der Geschichte ausstei- Tiefenschärfe den Blattgrößen der Originale gedruckte gen können. Gleichwohl riskieren seine Bilder vom Menschen aus den Fo- Band stellt Matthias Weischers 2007 Bilder einen Blick darüber hinaus und tosammlungen des Insitut d’art con- während seines Villa Massimo-Stipen- suchen Heilung: ‚Heilung’, 2007, Acryl temporain – Collection Rhône-Alpes, diums entstandenen Kohlezeichnungen, auf Leinwand, 170 x 120 cm. Villeurbanne/Lyon und des Musée d’art Aquarelle, Pastelle und Radierungen vor. (ham) moderne de Saint-Étienne Métropole In den ersten Monaten in Rom zeichnete Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Weischer in Schwarzweiß, später kam lung vom 13.05. – 02.07.2006 in der nach und nach die Farbe hinzu. „Mit Wolf Hamm Kunsthalle Baden-Baden einem treffsicheren System von Konturli- Auf Leben und Tod Hrsg. von Fritz Emslander mit Texten nien, Schraffuren und Helldunkeleffekten Katalog zur gleichnamigen Ausstellung u.a. von Jean-François Chevrier, Martine übersetzt (Weischer) die Parkansichten - vom 03.04.- 31.05.2008 bei Beck & Eg- Dancer und Dirk Teuber Pflanzen, Statuen und Gebäude - in dyna- geling, Düsseldorf Staatl. Kunsthalle Baden-Baden/Wienand mische Bildkompositionen… Mit seinen Mit einem Text von Kirsten Nordahl Verlag, Köln, 2006, ISBN 3-87909-890- Zeichnungen untersucht Weischer aber Beck & Eggeling Kunstverlag, Düssel- 5, 208 S., zwölf farbige, hundertfünfund- nicht nur die unmittelbare Wirklichkeit dorf, 2008, ISBN 978-3-930919-51-6, zwanzig s/w- und elf Duoton-Abbildun- der Gegenwart, sondern setzt sich (auch) 32 S., 36 Abbildungen, Broschur, Rück- gen, Klappenbroschur, Format 25 x 22 mit der Kunstgeschichte auseinander“ stichheftung, Format 28,1 x 21 cm, cm, € 29,90/ SFR 54,00 (Alexander Tolnay). € 10,-- (ham) Die von Fritz Emslander kuratierte Wolf Hamms farbintensive Hinter-Acryl- Ausstellung fokussiert die beiden franzö- Glas-Malereien lassen entfernt an eine sischen Sammlungen auf das Menschen- Heribert C. Ottersbach in die Bildsprache des 21. Jahrhunderts bild im 19. und 20. Jahrhundert und Fo- Erziehung zur Abstraktion transferierte, gespenstisch-fantastische tografInnen wie Cecil Beaton, Christian Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Hieronymus Bosch-Welt denken. „Be- Boltanski, William Eggleston, Walker lung vom 11.05. – 07.09.2008 in der elzebub“ ist zur gekrönten Chimäre aus Evans, Lee Friedlander, Nan Goldin, Mathildenhöhe Darmstadt Wolf, Schaf und Ziege geworden, die Helen Levitt, Sigmar Polke und Patrick Hrsg. von Ralf Beil mit Essays von Kai- über einen Wurm-Menschen triumphiert. Faigenbaum. Letzterem ist es gelungen, Uwe Hemken, Carola Kemme, dem Her- Ein grobmaschiges Gitter trennt die gif- Vertreter der italienischen Noblesse in ausgeber, einer Erzählung von Heribert tig-grüne Welt so gerade eben noch vom den Palazzi von Florenz, Rom und Nea- C. Ottersbach und Texten von Friedrich unheilschwangeren rot-gelb-schwarzen pel in der Tradition der französischen Nietzsche, Michel Foucault und Fernan- Inferno. Das Gitter hat ein Loch: ‚Beel- Schwarzweißfotografie von Eugene do Pessoa zebub’, 2008, Acryl hinter Acrylglas, Adget und Henri Cartier-Bresson zu Mathildenhöhe Darmstadt/Hatje Cantz 200 x 130 cm. porträtieren. Verlag, Ostfildern, 2008, ISBN 978-3- (ham) (ham) 7757-2175-2, 176 Seiten, 137 Farbabbil- dungen, Hardcover gebunden, Format 30 x 24 cm, € 35,-- (Museumsausgabe)/ Spuren des Geistigen / Traces du Sacré Matthias Weischer € 39,80 (Buchhandelsausgabe) Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Der Garten vom 19.9.2008 bis11.1.2009 im haus- Arbeiten auf Papier Die im Rahmen des Jubiläumspro- derkunst München mit Grußworten und Publikation zu den gleichnamigen Aus- gramms „100 Jahre Stadtkrone Darm- Texten unter anderem von Chris Dercon, stellungen vom 10.11. – 23.12.2007 im stadt“ in der ehemaligen Künstlerkolonie Angela Lampe und Jean de Loisy Neuen Berliner Kunstverein und vom gezeigte Ottersbach-Ausstellung setzt Prestel Verlag, München, Berlin, Lon- 27.01. – 09.03.2008 im Kloster Bentlage, mit ihrer fortschrittskritischen Thema- don, New York, 2008, ISBN 978-3-7913- Rheine tisierung der Architektur des 20. Jahr- 6218-2, 126 S., ca. 75 Farb- und drei

90 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 s/w-Abbildungen, Hardcover gebunden, wieder anders gesehen und verstanden 14 bisher geförderte Projekte, darunter Format 30,5 x 24,5 cm, € 25,-- werden. unter anderem Thomas Gatzemeiers Das schließt die religiöse Erfahrung nicht Altarwandgestaltung „Auferstehung“ in Anders als in Deutschland hat es in aus. Im Gegenteil. Sie macht diese Bil- der Marienkirche Crailsheim-Onolzheim Frankreich bislang in staatlichen Museen der stärker. Aber die religiöse Erfahrung aus dem Jahr 2002, Bernhard Hubers keine Auseinandersetzung mit dem Gei- gehört dem Feld des Betrachters, nicht Fenster für die Marienkirche Kuster- stigen in der Kunst gegeben. Hier setzt dem Feld der Darstellung an“ (Chris dingen, das mutmaßlich erste mediale die vom Centre Pompidou konzipierte Dercon). Dem Betrachter bleibt es dann Altarbild „Trinität“ von Andreas Bär für und vom hausderkunst übernommene auch überlassen, sich etwa über Andres die Friedenskirche Leinfelden-Oberai- Ausstellung und ihre Suche nach künst- Serranos „Piss Christ (Immersions)“, chen aus dem Jahr 2008 und die Gesamt- lerischen Antworten auf die metaphysi- 1987 oder Martin Kippenbergers „Was verglasung von Angelika Weingardt für schen Fragen an: „Diese säkulare Suche, ist der Unterschied zwischen Casanova die Regiswindiskirche Lauffen aus dem die uns in gewisser Weise aus der Kirche und Jesus: Der Gesichtsaudruck beim selben Jahr. hinaus und in uns selbst hinein führt, ist Nageln = Fred the Frog Rings the Bell“, Die Künstler waren gebeten, für die das Thema unserer Ausstellung“ (Angela 1990, zu erregen oder nicht. Bad Boller Ausstellung zum Jubiläum Lampe). Über vorangegangene Ausstel- In München bleibt der Protest anders freie Arbeiten zur Verfügung zu stellen. lungen zu vergleichbaren Themen geht als bei der im Museion in Bozen aus- Für Reinhard Lambert Auer erübrigt sie in soweit hinaus, als sie in Anlehnung gestellten Variante von Kippenbergers sich nach dem Vergleich von freien und an Kandinsky einen Bogen zwischen der Multiple aus. In Bozen hat man sich zwi- angewandten Arbeiten die bisherige ‚großen Abstraktion’ und der ‚großen schenzeitlich von der Leiterin des am 24. Frontstellung und Unterscheidung zwi- Realistik’ spannt, den zwei Linien, „die Mai 2008 eröffneten Museions Corinne schen dem Betriebssystem Kunst und der zu einem Fluchtpunkt hinführen: der Of- Diserens getrennt. Als Grund werden Kirche nach dem Motto „in der Kirche fenbarung des Geistigen“ (Angela Lam- Kostenüberschreitungen genannt; der das Design – außerhalb (oder vielmehr pe). Im Zentrum dieser ‚letzten Fragen’ Bilderstreit um Martin Kippenbergers im Museum und Ausstellungsbetrieb) die steht weniger die Ewigkeit als das Böse. Frosch habe keine Rolle gespielt. Kunst … Selbstverständlich …braucht „Der Glaube der Künstler ist der an die (ham) man in der Kirche eine Einrichtung, die Kunst als Mittel zur Korrektur der Welt, funktional … und zugleich angemessen ihr Einsatz für die Schaffung eines neuen gestaltet ist, darum ist die Forderung Menschen, der eschatologische Drang, Projekte. Kunsträume nach gutem Design keineswegs abwegig einer Zivilisation, die sie als korrumpiert 10 Jahre Stiftung Kirche und Kunst in … Trotzdem erschöpft sich künstleri- betrachten, einen neuen Anfang zu geben der Württembergischen Landeskirche sche Gestaltung … in der Kirche längst …Deshalb findet sich seine gleich zu Publikation zur gleichnamigen Ausstel- nicht mehr im allgemeinen Anspruch Anfang präsentierte Schreckensaura im lung vom 19.11.2008 – 4.2.2009 zum guter Formgebung. Zum einen werden Zentrum der Ausstellung wieder“ (Jean „Boller Bußtag der Künste“ in der Evan- die Spielräume – gemäß der Freiheit der de Loisy). gelischen Akademie Bad Boll Kunst – viel weiter ausgezogen und un- Ausstellung und Katalog beginnen mit Hrsg. von Reinhard Lambert Auer, Ul- verkrampft genutzt … Es geht bei künst- Francisco de Goyas 69. Blatt (‚…Nada. rich Gräf, Bernhard Huber für den Verein lerischer Gestaltung um eine Angemes- Ello dirà…’) aus seiner Serie „Los De- für Kirche und Kunst in der Evangeli- senheit und Schlüssigkeit für den Raum sastres de la Guerra“, 1810 – 1912. Goya schen Landeskirche in Württemberg … Gute Kunst im Kirchenraum ist daher hat mit dieser Serie auf die Schrecken Stiftung Kirche und Kunst in der Kontextarbeit – kein additives Möblieren der Französischen Revolution reagiert Württembergischen Landeskirche/Verein und Aufdekorieren …Der Qualitätsan- und einen leeren Himmel propagiert. für Kirche und Kunst, Stuttgart, 2008, spruch wäre damit auf beiden Seiten und Jannis Kounellis beansprucht in der Kon- ISBN 3-9810574-2-2, 96 S., zahlreiche es ließe sich als Ideal formulieren, dass sequenz für Künstler „…die Fähigkeit, s/w- und Farbabbildungen, Broschur, Funktionalität und ästhetisch überzeu- eine Erscheinung des Göttlichen herbei- Format 22 x 15,9 cm, € 5,-- gende, somit auch autonome künstleri- zurufen …, nämlich eines Säkular-Gött- sche Arbeit bei den Realisierungen in lichen, das in die Geschichte eingebettet Die 1998 auf Initiative des Vereins Kir- den Kirchenräumen zusammenzubringen ist …“ Chris Dercon sieht deshalb in che und Kunst durch die Landessynode sind“ (Reinhard Lambert Auer). den in Kapiteln wie ‚Götterdämmerung’, errichtete kirchliche Stiftung fördert zeit- (ham) ‚Synkretismus’, ‚Homo novus’ und ‚Pro- genössische Kunst im Kontext der Kir- fanierung’ gezeigten Arbeiten von Künst- che unter anderem durch Zuschüsse für lern wie Giorgio de Chirico, Damien die Realisierung von Ausstattungen, die Updating Germany Hirst, Paul Klee und Francis Bacon nicht Anstoßfinanzierung von Wettbewerben 100 Projekte für eine bessere Zukunft in erster Linie Glaubensüberzeugungen, und die finanzielle Unterstützung heraus- Publikation anlässlich des deutschen sondern Kulturgüter, „die sich immer ragender Ausstellungsprojekte. Der zum Beitrags zur 11. internationalen Architek- wieder anders zeigen und die immer Jubiläum erschienene Band dokumentiert tur-Ausstellung ‚Out there: Architecture

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 91 beyond building’ der Biennale Venedig Forschungszentrum der RWTH Aachen anderem von Paul Kaiser, Christoph Tan- vom 14.9. – 23.11.2008 und zu den soll durch eine markante, symbolische nert und Jörk Rothamel Folgeausstellungen vom 6.12.2008 – Form einen hohen Wiedererkennungs- Dumont Buchverlag, Köln, 2008, ISBN 22.2.2009 im Deutschen Architekturmu- wert erzielen und könnte zum nächsten 978-3-8321-9193-1, 142 S. zahlreiche seum, Frankfurt/Main und im Anschluss Meilenstein des umweltbewussten Bau- Farbabbildungen, Broschur im Schuber, im Architektforum Aedes Berlin. ens werden. Format 25,3 x 17,3 cm, € 19,90 Hrsg. von Friedrich von Borries und Im post-fossilen Zeitalter werden sich Matthias Böttger, raumtaktik, Berlin mit neben den Bauten auch die Landschaften Für den 1964 in Halle geborenen Moritz Texten von Sophie Lovell verändern. Das zeigen schon heute die Götze werden deutsche Ursprungsmy- Hatje Cantz Verlag Ostfildern, 2008, seit 1991 von Gert Hansen realisierten then und Geschichtskonstruktionen zum ISBN 978-3-7757-2262-9, 292 S., Erdhügelhäuser, die von Jörg Schlaich Ausgangspunkt von Bilderfolgen wie 210 s/w- und 105 Farbabbildungen, und Rudolf Bergermann vorangetriebe- dem „Bildersaal deutscher Geschichte“, Hardcover gebunden, Format 24 x 17 cm, nen solaren Aufwindkraftwerke und die von Mappenwerken u.a. zum Nibe- € 35,-- (D)/SFR 59,-- Pläne von Ingenhoven und Partner für lungenlied und von Paraphrasen von den neuen Hauptbahnhof in Stuttgart: überkommenen Monumentalmalereien „Updating Germany“ steht für die Frage, Nach dem Konzept sind keine fossilen wie Ferdinand Kellers „Kaiser Wilhelm wie sich eine nachhaltige Architektur Brennstoffe für Heizung, Kühlung und I. – der siegreiche Begründer des Deut- begreifen muss. Der deutsche Beitrag Lüftung erforderlich; die CO²-Emmis- schen Reiches“ und Willi Sittes „Mann für die Architektur-Biennale im Venedig sionen sind minimal. Algenfabriken am Schaltpult“. Seine Serie „Nationalga- im Jahre 2007 ist von der Überzeu- werden künftig so selbstverständlich sein lerie“ widmet sich Werken unter anderem gung getragen, dass sich ökologische wie Klimakleidung und das von Werner von Christian Daniel Rauch, Carl Ble- Gestaltungsspielräume dann eröffnen, Sobek vorangetriebene energieautarke, chen, Arnold Böcklin und Caspar David wenn Architektur ihre Bauaufgaben mit recyclingfähige und entmaterialisierte Friedrich, die im Friedrich H. Stüler-Bau Aufgaben des Sozialen, der Kultur, der Wohnhaus der Zukunft. in Berlin-Mitte versammelt sind. Technik, der Ökologie und der Wirt- Dass Flugdrachen die Energiekosten Seine „konzeptionelle Historienmalerei“ schaft zusammen denkt und sich neben von Industriefrachtern minimieren, ist (Paul Kaiser) löst diese Arbeiten aus Erhaltungs- und Vermeidungs- auch noch heute schon selbstverständlich. Dass man ihren historischen Sinnkontexten und Anpassungsstrategien leistet: „Dabei schon seit 2004 mit dem Grundwasser stellt sie in übernationale postmoderne wird davon ausgegangen, dass bestimmte des Münchner U-Bahn-Systems das Re- Zusammenhänge. Dabei jongliert Götze ökologische, ökonomische und soziale chenzentrum des Automobilherstellers als „erdabgewandter Artist … mit allem, Transformationen – ob Klimawandel, BMW kühlen kann, muss sich noch her- was ihm in den Sinn kommt … Jede Ressourcenverknappung oder Ökomigra- umsprechen. Bildserie ist eine dekorative Verdichtung tion – nicht mehr aufzuhalten sind und Gleiches gilt für die von Emotions von Zitaten, Übernahmen, Verweisen deshalb schon heute ein produktiver Um- GmbH entwickelte Carsharingsoftware, und Anspielungen … Das nationale Erbe gang mit diesen Entwicklungen gefunden die es ermöglicht, den Vorteil von mal spielfreudig soft und bunt, mal ehr- werden muss.“ Carsharing mit der Flexibilität von Taxis fürchtig entthronend, dann wieder me- Unter dem Gesichtspunkt der Nachhal- zu kombinieren. Ob sich Guerilla-Gär- lancholisch durch den Kakao zu ziehen tigkeit wird sich Architektur, die auf ten auf Brachflächen in Boomstädten ist … Götzes Lieblingsbeschäftigung“ starke Zeichenhaftigkeit, ‚Signatur buil- umsetzen lassen, wird sich zeigen. In (Christoph Tannert). dings’ und ‚Iconic architecture’ setzt, zur Dessau sind sie heute schon offizielles Der Band dokumentiert über die Serie ‚Econic architecture’ weiter entwickeln Programm: Die Stadt ermutigt ihre Bür- ‚Nationalgalerie’ hinaus unter anderem müssen, die die Ikonitizität zeitgenössi- ger, brach gefallene Stadträume in der auch Moritz Götzes Annäherung an den scher Architektur mit ökologischen Not- Größenordnung von 400 qm zu pachten mittelalterlichen Glasfensterzyklus ‚Der wendigkeiten zusammenbindet. Wenn und entweder einzeln oder gemeinschaft- Antichrist’ aus der Marienkirche Frank- man so will, haben Peter Hübner, Peter lich im urbanen Umfeld als Gärten oder furt/Oder, eine Auswahl von neueren Sülzer und die Studenten der Universität Grünflächen zu nutzen. Zeichnungen, architekturbezogenen Ar- Stuttgart die Zeichen der Zeit sehr recht- (ham) beiten, Emailarbeiten und sein verlegeri- zeitig erkannt, als sie 1980 das später sches Werk. „Bauhäusle“ genannte Studentenwohn- (ham) heim auf dem Universitätscampus im Moritz Götze Selbstbau errichteteten. Nationalgalerie Das Plusenergiehaus „Heliotrop“ von Künstler-Monografie und Katalog zu der Elke Krystufek Rolf Disch Architekten aus dem Jahr gleichnamigen Ausstellung in der Tam- Nein 1994 in Freiburg kann als zweites Vor- men Galerie, in der Galerie Gaulin & Publikation zur Ausstellung ‚Elke Kry- läuferbeispiel gelten. Der von Zaha Partner, Berlin und der Galerie Rothamel stufek: Für das Glück zuständig’ in Hadid geplante Neubau für das Energie- in Erfurt & Frankfurt mit Texten unter Kooperation mit dem steirischen herbst

92 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 2008 vom 5.10.2008 bis 11.1.2009, Ca- Farbabbildungen, Broschur mit Rück- Zu den Entdeckungen der Ausstellung mera Austria, Kunsthaus Graz stichheftung, Format 20,8 x 20,8 cm gehört neben dem 1976 in Schleswig Edition Camera Austria, Graz, 2008, geborenen Lutz Braun und dem 1960 in hrsg. von Christine Frisinghelli, ISBN Seit ihrer Ausstellung „Ich glaube wir Esslingen geborenen Matthias Dornfeld 978-3-900508-73-9, 189 S., 16 Farbab- sind Engel“ im Hospitalhof Stuttgart der 1967 in Belgrad geborene Djordje bildungen, Broschur, Fadenheftung, im Jahr 2006 hat Mara Wagenführ ihre Ozbolt. Format 20,3 x 13 cm, € 18,-- malerische Auseinandersetzung mit Para- Ozbolt zeigt unter anderem einen 50 x 40 dies- und Todesvorstellungen konsequent cm großen Christuskopf mit einer ange- In Zeichnungen, Malereien und Installa- weiter entwickelt. deuteten doppelsträngigen Dornenkrone, tionen integrierte Notate, Wortbilder und Nach wie vor dominieren ihre pastell- einem dritten Auge in der Stirn und Texte gehören zum gewohnten und er- farbene Palette und ihre gotisch flachen, einem schwarzen Prophetenbart: „Holy warteten Auftritt von Arbeiten von Elke mit Stickereien versetzten Bildräume. Ihr Trinity“, 2007, Acryl auf Leinwand. Er Krystufek. So schreibt sie in ihrer Wand- süßer Vogel Jugend, der sich als Toten- arbeitet „aus einer konzeptionellen Hal- zeichnung ‚Orange Penis’ im Ulmer kopf entpuppt, verstört: „Wenn ich ein tung heraus“ und stimmt seine jeweilige Museum 2008 unter einen aus zusam- Vöglein wär“, 2006, mixed media auf Handschrift auf die Inhalte der Malereien mengerollten Papieren und zwei Strichen Leinwand, 110 x 90 cm. ab. stilisierten Penis: „fataler Penisneid/von (ham) Matthias Dornfeld hält Anschluss an die kleinen Mädchen/ - fatal nämlich für/ „Gruppe Cobra, den Blauen Reiter und kleine Mädchen/weil die wenigen klei- die Art Brut“. In Lutz Brauns Gruppen- nen Männer glauben, dass Mädchen 5000 Jahre Moderne Kunst bild „Bruchi“ können wir Mitglieder diese Penisse/brauchen können,/während Painting, Smoking, Eating einer Gang dabei beobachten, wie sie Mädchen immer/selber aussuchen wol- Michael Bauer, Hanna-Mari Blencke, Diebesgut in einem Erdloch verstecken. len/ob sie grad diesen Penis/brauchen Lutz Braun, Georganne Deen, Matthias „Aus diesem kommt eine seltsam fahle, oder einen andern/oder keinen/oder eine/ Dornfeld, Nicole Eisenman, Stefan Ett- wieder zum Leben erweckte Figur ge- Vagina“. linger, Sebastian Hammwöhner, Richard krochen. Wahnsinnig raffiniert gemalt ist „NEIN“ ist das erste Buch mit Texten Hawkins, Djordje Ozbolt, Dana Schutz, deren Gesicht, fast ist man versucht, sich von Elke Krystufek und „NEIN“ ist Peter Stauss, Marcus Weber an Goya erinnert zu fühlen“ (Andreas der erste Text in diesem Buch. „Zu den Publikation zur gleichnamigen Ausstel- Baur). Wortklaubern. / Plötzlich steht NEIN lung vom 8.6. – 3.8.2008 in der Villa (ham) da. / Ich habe soviel für Dich getan. / Merkel und im Bahnwärterhaus, Galerie NEIN, stimmt nicht. / Ich habe Dich so der Stadt Esslingen am Neckar geliebt. / NEIN, besser nicht so. So nicht. Hrsg. von Andreas Baur für die Galerien Junge Kunst 2008 / Wir übernachten nicht zusammen. …“ der Stadt Esslingen mit Texten von An- Publikation zum 12. Förderpreis Junge Krystufek versteht sich als feministisch dreas Seltzer, Georg Baselitz, Hansjörg Kunst der der Saar Ferngas AG und den arbeitende Künstlerin, die die Verhält- Fröhlich, dem Herausgeber und einem Ausstellungen vom 3.10. – 23.11.2008 nisse und insbesondere die der Ge- Gespräch zwischen Markus Weber und im Museum Pfalzgalerie Kaiserslau- schlechter befragt und gegen den Strich Andreas Baur tern, vom 6.12.2008 – 18.1.2009 in bürstet. Dazu sind ihr auch Texte und Villa Merkel, Galerien der Stadt Esslin- der Stadtgalerie Saarbrücken, vom 7.2. Worte recht. Aber sie weiß, dass Texte gen / Verlag für Moderne Kunst, Nürn- – 15.3.2009 in der Galerie Schlassgoart und Worte nicht alles sind: „’Sprich nur berg, 2008, ISBN 978-3-940748-48-5, 96 Esch-sur-Alzette und vom 25.4. ein Wort, so wird meine Seele gesund’. S. zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, – 28.6.2009 im Kunstverein Ludwigsha- Dieses Zitat ist mir aus früheren Kirch- Broschur, Format 30 x 23,4 cm, € 16,-- fen. gängen noch ein bisschen vertraut. Ein (Museumsausgabe) Saarbrücken 2008, ISBN 3-89422-155- Wort reicht allerdings nicht. Auch die 0, 2008, 148 S., zahlreiche s/w- und Psychoanalyse reicht nicht. Wegen der Malerei wird es auch noch nach ihrem Farbabbildungen, Broschur, Format 28,5 Couchidee war mir dieses System immer immer wieder ausgerufenen Ende und x 24 cm, € 13,-- unsympatisch …Trotzdem interessiert nach der neuen Leipziger Schule ge- mich als Frau und als Künstlerin, wozu ben. Unter anderem darauf spielt der Für den 2008 zum zwölften Mal ausge- Sprache eine Frau ermächtigt …“ (Elke Katalogtitel an. Er zitiert einen Titel der schriebenen Förderpreis Junge Kunst Krystufek). 50er Jahre, zeigt aber 13 zeitgenössische der Saar Ferngas AG haben sich 1300 (ham) Positionen aus Europa und den USA. Im Künstlerinnen und Künstler beworben. weiteren Sinn gemeinsam ist der Bezug Die Preisträger werden unter den 25 von auf das Spätwerk von Philip Guston, die der Vorjury ausgewählten Künstlerinnen Mara Wagenführ Verbindung von Hoch- und Trivialkultur, und Künstler gekürt. Vertreten sind alle Malerei die hybride Bildorganisation und die Gattungen und Medien. Es fällt auf, dass Selbstverlag, Berlin, 2008, 28 S., 15 Lust an der Groteske. sich derzeit keine eindeutigen Trends,

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 93 Moden und Medienpräferenzen ausma- worden. In der Kategorie ‚Fine Arts’ fällt Spaß an der Arbeit wie beim Hobby sind chen lassen. Die zeitweise Dominanz der einmal die Arbeit ‚Protokoll’ von Chri- wichtige Eigenschaften für den Erfolg“ Fotografie und der Malerei ist vorbei. stian Lutz auf, die acht unterschiedliche (Klaus Grundwald, LPG-Vorsitzender). Gleichwohl gehört die Malerei des 1977 Inszenierungen von Macht vorführt, so „Mich freut, wenn unsere Bürger sich in Berlin geborenen und in Stuttgart unter anderem ein Essen im Grand Hôtel hier wohl fühlen und dafür selbst auch lebenden Jens Braun zu den stärksten Castagnola, Lugano, Suisse, am 26.4.04 etwas tun. Dann ist das wie in einem her- Positionen. Braun setzt unspektakuläre um 12h15. kömmlichen Familienleben, für das ich Motive wie eine blaue Socke, eine Wur- Christian Lutz hat für diese Arbeit den und andere stets bemüht sind, das Rechte zelbürste und eine geöffnete Niveadose ewc.selection-Award für die beste Arbeit zu tun“ (Jörg Bräunlich, Bürgermeister). ungewöhnlich sicher ins Bild und liefert des Jahres 2007 erhalten. Unter den fünf im vorliegenden Band damit malerische Meisterstücke ab. Katja Die zweite auffällige Arbeit ist die Arbeit kommentierten Projekten ist das Pro- Eckert erweitert das klassische Medium ‚Claude’ von Enrique Muñoz Garcia. Die jekt „Fünf Tage Bahnhof“ das einzige Zeichnung, indem sie den Computer acht Bilder zeigen den von Geschwüren großstädtische. Es zeigt individuell ein- und die Fotografie in ihr Werkkonzept übersäten Protagonisten beim täglichen gefangenen Stimmungen auf dem Leip- mit einbezieht. „Sie zeichnet mit einem Reinigungsritual im Bad. ziger Hauptbahnhof im Jahr 1990. Die Graphikprogramm, tut dies aber wieder- (ham) bevorzugte Farbe bleibt auch bei diesem um … per Hand und ohne fotografische Projekt schwarzweiß. Vorlage“ (Reinhard Spieler). Die auf (ham) Fotopapier ausbelichteten gezeichneten Fotografen Dateien erreichen lyrische Verdichtungen 1988 – 2008. Fünf Orte, fünf Tage, ein zwischen Traum und Wirklichkeit. In Thema Weltstars der Fotografie der Tradition minimalistischer Materi- Volker Döring, Christine Jörss-Munz- Die Preisträger der Hasselblad Founda- alskulpturen steht der Beitrag der 1986 linger, Jens Koch, Steve Ludwig, Volker tion in Tbilisi, Georgien, geborenen Anna Pöhl Publikation zur gleichnamigen Aus- Edzgveradze, die schon als 16jährige in Publikation zu den Ausstellungen vom stellung vom 3.10.2008 – 11.1.2009 im der Klasse Roob in Stuttgart und ab 2004 8.5. – 16.6.2008 in der Fotogalerie am Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim an der Kunstakademie Düsseldorf stu- Helsingforser Platz, Berlin und vom Hrsg. von Alfried Wiesczorek und Clau- diert. Bergbesteigungen der ganz neuen 18.1. – 25.9.2008 in der Sparkassenaka- de W. Sui mit Texten unter anderem von Art versucht die 1975 in Bozen gebore- demie Kiel Claude W. Sui und Stephanie Oeben ne Gabriela Oberkofler in ihrem Video Hrsg. von Stefan Raum Publikationen der Reiss-Engelhorn-Mu- „Gipfelstürmen“, 2007: Eine Baustelle, Verlag Ludwig, Kiel, 2008, ISBN 978-3- seen Band 29/Edition Braus, Heidelberg, ein Trümmerhaufen und die abgeschal- 937719-95-5, 184 S., zahlreiche s/w- und 2008, ISBN 978-3-927774-23-0, 280 teten Sprudler aus Bad Cannstatt werden Farbabbildungen, Hardcover gebunden, Seiten, zahlreiche s/w- und Farbabbil- zum Ersatz für die heimatlichen Berge, Format 20,5 x 30,3 cm, € 44,90 dungen, Hardcover gebunden, Format die sie im Dirndlkleid bezwingt und auf 30,5 x 24,4 cm, € 29,90 (Museumsaus- dem Gipfel bejodelt. Die Arbeiten der Fotografen Völker gabe) (ham) Döring, Jens Koch, Steve Ludwig, Vol- ker Pöhl und der Fotografin Christine Der Hasselblad-Award gilt als Nobel- Jörss-Munzlinger sind durch ihr Gespür preis der Fotografie. Er wird seit 1980 Swiss Photo Selection # 10 für die sich wandelnden Gefühlslagen mit Ausnahme des Jahres 1983 – dem Hrsg. von der 3view GmbH Jérôme Bi- der Vor- und Nachwendezeit verbunden. Todesjahr von Erna Hasselblad – jährlich schler, Lucia Degonad, Romano Zerbini, Seit 1988 arbeiten die Fotografen jähr- an einen Fotografen oder eine Fotografin Zürich lich einmal jeweils fünf Tage gemeinsam verliehen, deren Werk stilbildend war Schwabe AG, Basel/Muttenz, 2008, an einem Thema. So haben sie 1988 die und Einfluss auf die Fotogeschichte hat- ISBN 978-3-7965-2450-9, 192 S., zahl- Ostsee-Insel Hiddensee in der Nachsai- te. reiche Farbabbildungen, Broschur, son porträtiert. Im nachhinein wirken die „Die herausragende Leistung soll in et- € 19,-- Natur- und Landschaftsstudien mit ihrem was Neuem und Innovativem bestehen. „auffälligen Hang zur Grauheit“ wie der Dazu gehört die medizinisch-wissen- Der Ausstellungskatalog ewz.selection „Aufenthalt in einer Zwischenzeit“ (Ste- schaftliche Fotografie eines Lennart dokumentiert die Schweizer Fotografie fan Raum). Das Projekt ‚Fünf Tage LPG’ Nilsson, die Landschaftsfotografie eines im Jahr 2007 in den Kategorien Werbe- entstand 14 Tage nach der Wende in Ansel Adams, die Modefotografie eines fotografie, redaktionelle Fotografie, Fine einer Landwirtschaftlichen Produktions- Richard Avedon, Irving Penn oder Willi- Arts und Free. genossenschaft. Volker Döring porträtiert am…, die Street Photography eines Lee Die 18 Positionen sind von einer inter- nicht nur die Melkerinnen und Bauern Friedlander, die sozialdokumentarische nationalen Jury aus 411 Einsendungen bei ihrer Arbeit. Er bittet auch jeweils um Fotografie von Manuel Alvarez Bravo als die besten des Jahres ausgewählt einen Kommentar: „Zielstrebigkeit und …, Boris Mikhailov, David Goldblatt,

94 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Nan Goldin…, die künstlerische Fotogra- Leguane wie einen Kopfschmuck trägt. Zu den Reliefcollagen kommen Plastiken fie eines Robert Häusser, die experimen- (ham) aus beinahe 40 Jahren, so die heraus- telle Farbfotografie eines Ernst Haas oder ragende Werkgruppe ‚Strenge Köpfe William Eggleston, die seriell-konzep- (I-VII)’, 2007, Holz, Eisen, je ca. 30 x tionelle Fotografie von Hiroshi Sugimoto Franz Bernhard 33 x 11 cm, WV 454. Zu den jüngsten oder von Hilla und Bernd Becher, die in- Anthropomorphe Zeichen, Reliefcolla- Plastiken Bernhards gehört die Arbeit szenierte Fotografie eines Jeff Wall oder gen und Plastiken ‚Roter Kopf’, 2008, WV 465, bei dem einer Cindy Sherman… Die Ehrung der Publikation zu den Ausstellungen vom das Rot erstmals im Gesamtwerk Ver- Fotografen ehrt ihrerseits den Erfinder 6.12.2008 – 15.2.2009 im Museum wendung findet. „Es ist nicht im Sinne und industriellen Victor Hasselblad…“ Pfalzgalerie, Kaiserslautern und vom eines Farbanstrichs aufgebracht…, son- (Claude W. Sui). 30.5. – 16.8.2009 im Edwin Scharff Mu- dern als rotes Baumwachs Bestandteil Dem Kurator der Ausstellung Claude seum, Neu-Ulm des verwendeten Holzstücks… (und) W. Sui ist es gelungen, insgesamt ca. Hrsg. von Britta E. Buhlmann und Helga lässt… gegensätzliche Assoziationsmög- 250 Werke aller bisherigen Preisträger Gutbrod mit Texten unter anderem von lichkeiten zu… Gefühle wie Aggression, der Hasselblad-Foundation in der Ge- Annette Reich und Peter Anselm Riedl Wut, Zorn,… Schmerz sowie Schamge- samtschau ‚Weltstars der Fotografie’ Museum Pfalzgalerie, Kaiserslautern/Ed- fühl scheinen in diesem Kleinformat … zusammen zu bringen. Damit gelingt ihm win Scharff Museum, Neu-Ulm, 2008, ausdrucksstark konzentriert“ (Annette ein kompakter Überblick über zentrale ISBN 3-89422-159-3, 152 S., zahlreiche Reich). Positionen innerhalb des 20. und 21. s/w- und Farbabbildungen, Hardcover Der vorbildlich gestaltete und gedruckte Jahrhunderts. gebunden, Format 27,5 x 22,4 cm, Katalog würdigt das Lebenswerk des Der vorzüglich gestaltete Katalog be- € 22,-- vielfach geehrten Wahlpfälzers und führt ginnt mit den bahnbrechenden endosko- sein Werkverzeichnis der Skulpturen von pischen Aufnahmen Lennart Nilssons Vor 20 Jahren hat der Hospitalhof Stutt- 2004 bis 2008 fort. von der Entwicklung des menschlichen gart erstmals eine Serie der Großzeich- Körpers ab der Zellteilung. Er erinnert an nungen von Franz Bernhard vorgestellt. Sebastião Salgados Aufnahmen von Ta- Für Rainer Volp treten diese Großzeich- Paul Delvaux gelöhnern in der brasilianischen Goldmi- nungen eigenständig neben das plasti- Das Geheimnis der Frau ne Serra Pelada und holt den von Robert sche Werk, ohne ihre Verwandtschaft zur Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Häusser fotografierten verpackten Renn- Entwurfszeichnung zu verleugnen. Man in der Kunsthalle Bielefeld vom 22.10. wagen des Formel-Eins-Fahrers Jochen soll, so der Künstler, in diese Zeichnun- 2006 – 21.01. 2007 Rindt ins Bildgedächtnis zurück: „Der gen wie in eine Türe eintreten können Hg. von Thomas Kellein und Björn Eg- Wagen ist wie in ein Leichentuch gehüllt und wird dabei einer eigenständigen Welt ging. Mit Texten der Herausgeber und und ähnelt einem Katafalk oder Sarg“. begegnen. „Der Mensch ist Ausgangs- einem Gespräch mit Jan Hoet Rindt ist in diesem Rennwagen wenige punkt, Stimulans und Ziel meiner Arbeit. Kerber Verlag, Bielefeld, 2006, ISBN Wochen später tödlich verunglückt. Für Ich strebe kein naturgetreues Abbild an, 978-3-86678-031-6, 112 Seiten, 80 Abb., Sui stehen Häussers Fotografien „mit sondern etwas wie anthropomorphe Zei- gebunden, Format 17,5 x 24,5 cm, ihrer Statik und ihrer Aura dem magi- chen“ (Franz Bernhard, 1990). € 26,50. schen Realismus nahe. Wie psychische Die rechtzeitig zu seinem 75. Geburtstag Engramme treffen sie das ‚subjektive erarbeiteten Ausstellungen in Kaisers- Seltsamer Mensch, dieser Paul Delvaux. Wesentliche’. lautern und Neu-Ulm sparen Bernhards 1897 in Lüttich geboren, entzog er sich Die Inhalte sprechen oft von Melancholie umfangreiches zeichnerisches und druck- weitestgehend den Einflüssen der mo- und Einsamkeit und zeigen eine gedank- grafisches Werk aus. Dafür stellen sie dernen, revolutionären Malerei, um zu liche Verwandtschaft zu den Werken erstmals 24 von 28 Arbeiten aus seinen seiner recht einseitigen Thematik zu fin- von Malern wie Caspar David Friedrich, zwischen 1976 und 2005 geschaffenen den: der Frau, vorzugsweise der nackten, Edward Hopper und Giorgio de Chirico“ Werkgruppe der Relief-Collagen vor. statuenhaften Frau in antikisierender Re- (Claude W. Sui). Häusser lebt in Mann- „Ein Torso, selten eine Büste bzw. ein naissance-Stadtkulisse. Der Katalog ver- heim und hat seinen gesamten fotogra- Kopf, dominiert die jeweilige Darstel- sammelt Werke aus der Zeit von 1927 bis fischen und bibliografischen Nachlass lung. Haltungen wie Stehen, Sich-Nei- 1972 und sucht in der Lebensgeschichte mit über 60.000 Negativen, Bildern und gen, Lehnen, Sich-Beugen beziehungs- des Künstlers eine Erklärung für seine Dokumenten in das Robert-Häusser-Ar- weise Sich-Aufrichten, Liegen und malerische Fixierung auf die Dominanz chiv im Reiss-Engelhorn-Museum einge- Sitzen … sind Gegenstand der künstle- des Weiblichen. bracht. Jüngste Hasselblad-Preisträgerin rischen Auseinandersetzung… Obwohl Zwischen einer starken, klammernden ist die Mexikanerin Garciela Iturbide. die Körperbilder in ihrer Ausführung rau, Mutter und einem antriebsarmen, ängstli- Von ihr stammt das in Untersicht aufge- beinahe grob, wirken, geht von ihnen zu- chen Vater entwickelt der junge Delvaux nommene Porträt ‚Unsere Frau der Le- gleich etwas Zartes, geradezu Poetisches, ein gestörtes, übersensibles Verhältnis zu guane’. Es zeigt eine Einheimische, die aus“ (Annette Reich). Frauen. Sie sind für ihn unergründliche,

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 95 anbetungswürdige Gottheiten, die keine Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2007, Berührung dulden. Sich selber sieht der ISBN 978-3-7757-2003-8, nur englisch, Maler, etwa wenn er am Strand die be- 328 Seiten, 385 Abb., davon 378 farbig, gehrten Wesen in Skizzenheften festhält, gebunden, Format 27,6 x 22 cm, € 29,80 als ewigen Jüngling, als unschuldiges Kind. Ähnlich einem Eunuchen darf er Das ZKM in Karlsruhe zeigt sich gna- sich den Frauen nähern aber nur um den denlos und präsentiert seine dicke, Preis des nicht ausgelebten Geschlechts- inhaltlich anspruchsvolle Schwarte zur triebs. Dabei hatte Delvaux durchaus Ausstellung „between to deaths“ nur Freundinnen und war verheiratet. Leider in englischer Sprache. Die Kuratoren vermag der Katalog nichts über die Se- Ellen Blumenstein und Felix Ensslin xualität in seinen Beziehungen zu berich- beschreiben einen gesellschaftlichen ten. Die Ehe blieb kinderlos und war für Trend zur melancholischen, depressiven den Künstler nur eine Zweckehe, um sich Rückbesinnung und dem Rückzug ins besser der Malerei widmen zu können. Private, der sich in der zeitgenössischen Seine Malerei wurde geprägt von Gior- Kunst „als enigmatische Antwort auf gio de Chirico, dessen polyfokale ein immer schon traumatisches Leben“ Perspektive und traumwandlerische ablesen lässt. Die ausgestellten Arbeiten Atmosphäre er verwendete und vom Stil Le Squelette á la Coquille, 1944 junger Künstler wie Rita Ackermann, der gemalten Collage René Magrittes. Öl auf Hartfaserplatte, 122 x 100 cm, Erik van Lieshout oder Barnaby Furnas Der Katalog verortet Delvaux als einen Privatsamlung. Cporyright Paul Delvaux sollen über diesen lähmenden Zustand naiven Maler, einen Henri Rousseau des Foundation, St.-Idesbald-Koksijde, Belgien hinausweisen. 20. Jahrhunderts. Der Katalog folgt dem französischen (Michael Reuter) Psychoanalytiker Jacques Lacan in der auftauchen und verschwinden – niemals Annahme, dass wir in einer Zeit leben, fertig, sondern immer im Übergang und die uns außer Geld, Macht und Ruhm Rachel Harrison im Werden eines irreversibel sich verän- keine andere Lebenslegitimation zur Ver- if i did it dernden Denkprozesses begriffen“. fügung stellt. Er zitiert den Soziologen Katalog zur Ausstellung „Rachel Harri- Vor einiger Zeit schrieb ich über die jun- und Buchautor Alain Ehrenberg („Das son: Voyage of the Beagle“ im migros ge, 1976 in Tübingen geborene Künstle- erschöpfte Selbst“), der beschreibt, dass museum für Gegenwartskunst, Zürich rin Nelly Knatz, ihre flüchtigen, gebastelt die Melancholie in früheren Jahrhunder- vom 29.04. – 24.06.2007 und in der wirkenden Szenerien würden einen an- ten dem außergewöhnlichen Menschen, Kunsthalle Nürnberg vom 12.09. – genehm unverkrampften Gedankenfluss dem Genie, vorbehalten war, während 04.11. 2007 provozieren. Ähnliches lässt sich zu den sie heute ein Massenphänomen sei, weil Hg. von den Museen. Mit Texten von Arbeiten von Rachel Harrison sagen. jeder sich für etwas Besonderes halten Ellen Seifermann, Heike Munder und „Die Gegenstände fungieren als Zeichen müsse, um im System zu bestehen. John Kelsey mit divergierenden Bedeutungen, ver- Die Süddeutsche Zeitung begrüßt in Verlag JRP Ringier, Zürich, 2007, ISBN schiedenen Realitäten und rätselhaften ihrer Kritik den Ansatz „für eine Kunst 978-3-905770-56-8, 152 Seiten, 108 Beziehungen“, wie Ellen Seifermann jenseits der Sofa-Ermattung. Für eine Abb. in Farbe, Format 28,60 x 23,80 cm, schreibt. Kunst, die weh tut“, sieht allerdings auch Broschur mit Schutzumschlag, € 40,-- Obwohl der Katalog sich bemüht, die die Überforderung des Betrachters durch raumgreifenden Installationen von mög- den theoretischen Anspruch und das fak- Die Skulpturen von Rachel Harrison lichst vielen verschiedenen Seiten zu prä- tische Fehlen des geforderten „radikal (41) lassen sich nur schlecht beschrei- sentieren, bleiben die Arbeiten, aus der Anderen“. ben. Ein Universum aus offenen oder fotografischen Distanz betrachtet, leider Die Werke fügen sich nahtlos in den geschlossenen bunt bemalten Quadern, recht blutleer. Strom angesagter Jungkünstler, die welt- Pappkartons, leeren Dosen, kitschigen (Michael Reuter) weit die Auktionshäuser verstopfen. Au- Ölbildern vom Flohmarkt, alten Magazi- ßerdem sollte man meinen, es gäbe ge- nen, Starfotos, Schaufensterpuppen und nügend schreiende, klabauternde Kunst- Plastikmasken. Aufgeschichtete, dick between two deaths zampanos wie Meese oder Schlingensief, verklebte und übermalte Stelen tragen Katalog zur gleichnamigen Ausstellung die ohne Frage für sich den geforderten Titel wie „Fats Domino“, Jonny Deep“ im ZKM, Karlsruhe vom 12.05. 2007 künstlerischen Aufbruch beanspruchen oder „Claude Lévi-Strauss“. Heike Mun- – 19.08. 2007 würden. der schreibt in ihrem Beitrag, dass die Hg. von Ellen Blumenstein und Felix Trotz dieser Einwände stellt der Katalog Materialien kaleidoskopartige Facetten Ensslin. Mit Texten von u.a. Sonia Arri- die richtige Kernfrage: „Wie können bilden, „die je nach Drehung und Ansicht bas und Alain Ehrenbergder wir leben, ohne gleichgeschaltet oder

96 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 depressiv zu werden, wenn wir in einer in der Kunsthalle Nürnberg vom 14.02. zu einem zusätzlichen fundamentalen Gesellschaft leben, die Individualis- – 06.04.2008 Wert geworden. So tritt die Massenware mus, selbst motivierte Aktivität und Hg. von der Kunsthalle Nürnberg. Mit in eine Konkurrenz zur Kunst. Die Kunst Autonomie predigt aber uns gleichzeitig Texten von u.a. Julia Garimorth und Lio- kapituliert und wird selbst zur Ware. keine sichere Identität zuweist, an die nel Bovier Kunst- und Warenwelt verschwimmen. diese Anforderungen gerichtet werden Eigenverlag Paris-Musées, Paris, 2007, Die Kunst flüchtet weiter in die Nicht- könnten?“ Anders gefragt: Welches sind ISBN 978-2-7596-0022-9, 142 Seiten, Funktionalität, doch die Warenwelt holt unsere wirklichen Bedürfnisse und wie ca. 60 Farb- und 8 s/w-Abb., Format 27,7 auf und produziert ebenfalls immer mehr erkämpfen wir uns eine neue seelische x 19,8 cm, Klappbroschur, € 29,-- Dinge, die zwar noch eine Funktion Autonomie, die nicht in einem totgelau- haben, die aber objektiv keiner mehr fenen Individualismus verharrt? Objekte und Installationen zwischen braucht. Auf der anderen Seite generiert (Michael Reuter) Bauhausdesign, theoretischer Gesell- die Kunst einen Zusatznutzen als gelebte schaftsanalyse und schnöder Warenhaus- Individualität, als probates Mittel der Konsumwelt bietet der 1970 geborene Selbstdefinition des Einzelnen. Damit Ulrich Bernhardt Franzose Mathieu Mercier. Dem Katalog wird die Kunst zum Gebrauchsgegen- Asche und Schnee gelingt es, die Ausstellungssituation stand und das Kunstwerk definiert sich Katalog zur gleichnamigen Ausstellung angemessen wiederzugeben. Das Zusam- endgültig nicht mehr über seine formalen im Hospitalhof Stuttgart vom 09.11. menspiel der Arbeiten aus den Jahren Qualitäten, sondern ausschließlich durch – 09.12.2007 1993-2007 lässt sich auch aus der foto- die künstlerische Kontextualisierung. Hg. von Helmut A. Müller. Mit einem grafischen Distanz ästhetisch nachvoll- (Michael Reuter) Künstlergespräch ziehen. Eigenverlag, Stuttgart, 2007, ISBN 978- Viele Arbeiten sind in weiß gehalten und 3-934320-35-2, 32 Seiten, 23 Farb- und betonen im Raumkontext die wenigen Meret Oppenheim 4 s/w Abb., Format 24 x 16 cm, Bro- farbigen Objekte, wie die in aktuellen „mit ganz enorm wenig viel“ schur, € 7,50 Autofarben lackierten Stahlröhren, eine Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Die kleine Publikation präsentiert einen Serie von Baseball-Schutzmasken oder in der Städtischen Galerie Ravensburg Querschnitt der Arbeiten des 1942 in eine einzelne, bunt schillernde Seegurke, vom 21.10. 2007 – 20.01.2008 Hg. vom Tübingen geborenen Künstlers Ulrich die einsam in einem Aquarium dümpelt. Kunstmuseum Bern. Mit Texten von u.a. Bernhardt. Zu sehen sind Chronografien Um die Zuordnung von Text und ange- Werner Spiess und Isabel Schulz (Fotoserien, die mit Doppelbelichtungen sprochener Arbeit zu erleichtern, alle Verlag Hatje Cantz, Ostfildern, 2007, und Überblendungen arbeiten), Schwarz- Werke sind „ohne Titel“, werden diese ISBN 978-3-7757-1746-5, 360 Seiten, Weiß-Fotos, Reinstallationen und Vi- am unteren Rand durchnummeriert als 312 Abb., davon 243 farbig, Format deos. Das ausführliche Künstlergespräch kleines Piktogramm dargestellt. 27,60 x 23,00 cm, gebunden mit Schutz- zwischen Bernhardt und dem Heraus- Mercier geht es vor allem um die Wech- umschlag, € 49,80 geber dreht sich allumfassend um „die selwirkungen von Kunst/Design und ganze abendländische Geistes, Kultur-, Massenware. So stellt er einen profanen Manche Künstler sind ihr ganzes Leben Wissenschafts- und Technikgeschichte“, Gartenstuhl aus Plastik neben eine Nach- damit beschäftigt, die Erwartungshaltung inklusive der Geschichte der Religionen, bildung des bekannten Stuhls von Gerrit des Publikums zu unterwandern. So er- wie Helmut A. Müller resümiert und als Rietveld. Beide Stühle, der eine ein Kon- ging es auch der 1913 in Charlottenburg/ gute kulturprotestantische Tradition her- sumprodukt, der andere ein Kulturpro- Berlin geborenen Meret Oppenheim, ausstellt. dukt, verändern ihre Wertigkeit, wie Julia die 1936 eine mit Pelz bezogene Tasse Die Arbeiten wirken in ihrer Vielfalt et- Garimorth schreibt. Der Stuhl von Riet- kreierte und damit ein Schlüsselwerk was unkonzentriert, der Text bietet dafür veld verliert an Aura, der Stuhl aus dem des Surrealismus schuf. Seitdem lief sie tief gehende Interpretation, einen kleinen Supermarkt wird ein Stück weit ebenfalls diesem Erfolg hinterher oder vor ihm Schlagabtausch zum Themenkomplex zum Kunstwerk. Beide Objekte gehen davon. Der umfangreiche Katalog zur Monotheismus, Toleranz und den Kampf eine Beziehung ein, die eine gegenseitige Retrospektive ihrer Arbeiten beleuchtet der Kulturen, und Müller schenkt uns Bereicherung erzeugt. Die Werke von verschiedene Aspekte ihres Werkes, mit Blick auf den Protestantismus das Mathieu Mercier „gleiten dahin zwischen dass Jean-Christophe Ammann mit dem bemerkenswerte Bild der „Extase des abstraktem Modernismus und dessen Begriff „Diskontinuität des Erschei- aufrechten Ganges“. praktischer Anwendung im Design oder nungsbildes“ charakterisierte. Haupt- (Michael Reuter) den Bildenden Künsten und dem reinen themen sind Grenzen und Verbindungen Handwerk und dessen unfruchtbaren, zwischen Natur und Kultur, das Rollen- manchmal unnützen Erzeugnissen. verständnis von Mann und Frau und die Mathieu Mercier Wie Vincent Pécoil schreibt, ist der „äs- Gegenüberstellung von Tag und Nacht, Ohne Titel 1993 – 2007 thetische Wert“ in einem globalen, durch von Wirklichkeit und Traum. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Überproduktion gekennzeichneten Markt Werner Spiess widmet sich in seinem

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 97 Beitrag der besagten Arbeit „Das Früh- ergriffen hat, sieht sich die Kunst immer Gottfried Bechthold stück im Pelz“, „die sich in ihrer Legie- mal wieder der Frage ausgesetzt, welche Reine und gemischte Zustände rung aus Unbrauchbarkeit, Erotik und Lösungen sie denn anzubieten hätte und Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Abscheu schroff gegen die Erwartung ob sie nicht ihre Stimme erheben wolle. im Kunsthaus Bregenz vom 01.10. aufbäumt“. Er präsentiert überraschend Nein, sie will nicht und dümpelt lieber in – 19.11.2006 den pelzbezogenen „Winterzahnstocher“ ihrer selbstreferentiellen Suppe, die por- Hg. von Eckhard Schneider. Mit Texten des Münchner Kabarettisten Karl Valen- tionsweise aus wohlklingenden Katalog- von u.a. Robert Fleck und Josephine tin, um an diesem Objekt den Wandel beiträge gelöffelt wird oder von Midas Gabler vom Jux zur tieferen Bedeutung zu ver- persönlich während ungezählter Auktio- Bucher Verlag, Wien, 2006, ISBN 978-3- deutlichen. nen in pures Gold verwandelt wird. 902525-45-1, 160 Seiten, 60 Farbabbil- Die Texte besitzen inhaltliche Tiefe, blei- Mit dem Holzhammer schlagen nur noch dungen., Format 26 x 21 cm, Klappbro- ben aber seltsam distanziert. An keiner wenige Künstler auf ihr sanft schlum- schur, € 49,50 Stelle kommt eine emotionale Verbun- merndes Publikum ein, und so beschrän- denheit zum Vorschein. Selbst der Bei- ken sich auch die photographischen Bei- Katalogbuch zum Soloauftritt des 1947 trag von Lisa Wenger, einer Nichte von träge der Triennale auf ein „be curious!“. in Bregenz geborenen österreichischen Meret Oppenheim, kommt nicht über Ähnlich der Ausstellung „zwischen zwei Bildhauers und Konzeptkünstlers Gott- das blutleere Zitieren von Textstellen toden“ im ZKM (siehe Rezension im fried Bechtolds im Kunsthaus Bregenz. aus alten Briefen hinaus und bleibt ohne Heft) verspricht die präsentierte Kunst Vier Werkgruppen gibt es zu sehen. Das Zugang zum verunsicherten Wesen der vollmundig eine „positive Energie“, ei- Skulpturenensemble „Elf Elf“ besteht Künstlerin. Die Eindringlichkeit, mit der nen offenen und demokratischen Impuls, aus elf Betonabgüssen eines Porsches der sich Oppenheim in ihre Themen stürzte, der sich dem herrschenden Pessimismus 911er-Serie, die vor dem Guss durch eine die ewigen Experimente mit Materialien widersetzt. eng anliegende Tuchabdeckung verhüllt und Techniken und ihre symbolische, Die Textbeiträge im Katalog strahlen wurden. hermetisch geschlossene Bildsprache weniger Zuversicht aus. Sie beschreiben Die Fotoserie „Standbilder“ spielt mit machen es dem Betrachter schwer, einen die Entstehung einer Postdemokratie, die Medienrealität und der angeblichen Standpunkt zum Werk einzunehmen. nicht länger vom Wähler und deren Ab- Authentizität von Reisefotografie. Josef Helfenstein hat in seiner Dissertati- geordneten, sondern von Lobbygruppen Die„Ready Maids“ sind gefundene Ast- on zum Œuvre von der „Poesie des Dis- und Thinktanks gesteuert wird. Ameri- gabeln, die wie Unterkörper und Beine paraten“ gesprochen. Allerdings entsteht kanische Ölgier, fundamentalistischer von Frauen aussehen. „Kalt Warm“ ist im Ideengewitter kein Haltepunkt, Meret Terror und ungebremste Globalisierung eine athmosphärische Installation zweier Oppenheim bleibt in ihren Arbeiten un- verursacht Angst und Instabilität in einer Stahlkörper, die als Wärme- und Kälte- greifbar. Vielleicht auch das ein Grund, dauerüberwachten, verunsicherten Ge- objekte erfahrbar sind. warum sie nach wie vor untrennbar mit sellschaft. Die Publikation ist gut gestaltet, die Tex- ihrer Pelztasse verbunden bleibt. „Fear is Europe’s common denomina- te sind erschreckend formal bis schlicht (Michael Reuter) tor“, schreibt Hito Steyerl und gibt auch langweilig. Die durchaus interessanten der Kunst gleich einen Tritt, wenn er ihre und heiteren „Standbilder“ besitzen für Strategien mit der der Politik vergleicht: Sylvia Taraba eine „Lakonik, die einen Don´t Worry Be Curious “One must even say that, in contrast to haltlosen Zauber im Zwerchfell auslösen 4th Ars Baltica Triennial of the serene, composed, and conceptual- kann. Denn betrachtet man die Reisebil- Photographic Art ist way in witch contemporary politics der der Reihe nach, gerät man möglich- Katalog zur gleichnamigen Ausstellung organizes intense and even hysterical weise in einen Lachanfall.“ in der Staatsgalerie Kiel vom 30.03. emotions like fear, the corresponding art Humorfreier wurde selten über Humor – 28.05. 2007 strategies seem rough, clumsy, and dilet- geschrieben. Hg. von Dorothee Bienert. Mit Texten tante.” (Michael Reuter) u.a. von Hito Steyerl und Boris Kagar- Boris Kagarlitsky sieht uns am Ende litsky der Geschichte stehen, vor einem end- Revolver Books, Frankfurt/M., 2007, und gnadenlosen Rennen um Profit, in Lo Spirito del Lago Isola Bella ISBN 978-3-86588-387-2, englisch, der die Gesellschaft den Glauben an Die Versuchung des hl. Antonius 136 Seiten, 68 Farb- und 19 s/w-Abbil- sozialen Fortschritt längst verloren hat. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung dungen, Broschur mit Schutzumschlag, Den Künstlern bleibt die lustige oder auf der Isola Bella/Italien vom 06.07. Format 25 x19 cm, € 19,-- nachdenkliche Kommentierung medialer – 31.10.2003 und in den Museen im Bilder und sozialer Zustände. Zwin- Antonierhaus Memmingen vom In Zeiten allgemeinen Meckerns und gende, aufrüttelnde Kommentare zum 22.01.2006 – 21.01.2007 existenzieller Ängste, die, folgt man der Weltgeschehen sind weit und breit nicht Hg. von Hartmut Kraft. Mit Texten von Lektüre der vorliegenden Publikation, zu sehen. Hartmut Kraft, Andrea del Guercio und weite Teile der europäischen Gesellschaft (Michael Reuter) Birgit Kahle

98 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Salon-Verlag, Köln, 2003, ISBN 3- getrennt über die Welt verstreuten Tafeln bereits im Mittelalter startete, mit dem 89770-210-X, 88 Seiten, 77 Farbabb., hatte überraschende Ergebnisse. Tafeln, um 1410 entstandenen Andachtsbild „Pa- Format 21 x 29 cm, Pappband, € 20,-- die als zusammengehörig galten, wurden radiesgärtlein“, konzentriert sich „Garten durch moderne Techniken auseinanderdi- Eden“ auf die letzten 108 Jahre und Das Ausstellungsprojekt „ Il Spirito del vidiert, weil sie zum Beispiel ursprüng- bringt dabei erfreulich viel junge Kunst Lago“ auf der Isola Bella im italieni- lich als Flügel eines Triptychons dienten. in den Blick. schen Teil des Lago Maggiore wurde Auf der anderen Seite wurde vermeint- Von einer chronologischen Ordnung 1997 ins Leben gerufen. Wechselnde lichen Einzelstücken überraschend ein wurde abgesehen und so hängt in Bietig- internationale Künstler konzipieren Partner zur Seite gestellt. Der Katalog heim eine Urwaldlandschaft von Henri dort jedes Jahr Installationen zu einem fasst in einer Einleitung die Forschungs- Rousseau neben frivolen Bildern unse- Thema. 2003 stand der Heilige Antonius ergebnisse zusammen und stellt den 35 res Zeitgenossen Johannes Hüppi. Die im Mittelpunkt. Das Katalogbuch gibt Werken kurze Erläuterungen bei. Bestan- junge, 1976 geborene Stefanie Bühler eine kurze historische Einführung und den die Tafeln zu Beginn meist nur aus präsentiert ihre Skulptur „Urwald“ neben verdeutlicht, dass die Versuchung des zwei Heiligendarstellungen, so schlich einem Foto der etablierten Australierin Hl. Antonius in ihrer Grundthematik sich später der Stifter des Werkes in die Rosemary Laing. Die Mischung macht´s. der Spaltung der Welt und des Denkens rechte Bildhälfte, während häufig Maria Isabell Schenk-Weininger und Oliver wieder höchste Aktualität besitzt. Auch links mit dem Christuskind zu sehen ist. Kornhoff haben sich in Bietigheim nicht die drei Themen der Versuchung: Frauen, Die spätesten Werke sind verweltlicht. allzu sklavisch an die Vorgaben aus Em- Ungeheuer und Macht/Reichtum üben Die Heiligen wurden durch Familienmit- den gehalten. nach wie vor eine enorme Faszination glieder oder Freunde ersetzt. Die Ausstellung wurde an die Gegeben- auf Künstler aus. Die anmutigen Bilder und leichten Texte heiten und Möglichkeiten der Galerie Die Bebilderung der Installationen wird laden zum Schmökern ein. Die kunstge- angepasst. Einige der großen Namen wie begleitet von kurzen Erläuterungen und schichtlichen Erläuterungen hätten gerne Monet, Cézanne, Klee oder auch David stimmungsvollen Fotoimpressionen der etwas ausführlicher ausfallen können. Hockney fehlen zwar, dafür ist der Rous- Isola Bella. Die durchwachsene Qualität (Michael Reuter) seau eine Leihgabe aus dem Museum der Kunstwerke hat gegenüber der barok- Charlotte Zander im Schloss Bönnigheim ken Pracht des Palazzo Borromeo aller- und war in Emden nicht zu sehen. Durch dings einen schweren Stand. Garten Eden die Sachzwänge tritt die zeitgenössische (Michael Reuter) Der Garten in der Kunst seit 1900 Kunst verstärkt in den Fokus. Pünktlich Katalog zur gleichnamigen Ausstellung zum Beginn der Gartensaison wurden in der Kunsthalle Emden vom 01.12. über 100 Werke aus den Bereichen Ma- Anmut und Andacht 2007 – 30.03. 2008 und in der Städti- lerei, Skulptur, Fotografie, Videokunst Das Diptychon im Zeitalter von Jan schen Galerie Bietigheim-Bissingen vom und Installation präsentiert, geordnet in van Eyck, Hans Memling und Rogier 19.04. – 06.07.2008 sieben Kapiteln, beginnend mit „Vom van der Weyden Hg. von Nils Ohlsen. Mit Texten von u.a. Dschungel zum Paradies“ über „Archiv Publikation anlässlich der Ausstellungen Gabriele Uerscheln und Janos Frecot und Ordnung“ bis „Der Zaubergarten“. „Prayers and Portraits“ in der National DuMont Buchverlag, Köln, 2007, ISBN Es fällt auf, dass der Blick heutiger Gallery of Art, Washington, vom 12.11. 978-3-8321-9008-8, 32 Seiten, ca. 180 Künstler eher wohlgefällig auf der vom 2006 – 04.02. 2007 und „Vlaamse pri- Farb- und 40 s/w-Abb., Format 30 x 24,5 Menschen gestalteten Natur ruht. Die mitieven, de mooiste tweeluiken“ im cm, gebunden, € 39,90 Arbeit von Peter Fischli/David Weiss Koninkijk Museum, Antwerpen, vom „Projektion 3 (F) Flowers“ von 1998 03.03. – 27.05. 2007 Die Sehnsucht nach ein wenig grünem besteht aus 162 Farbdias von Pflanzen- Katalogzusammenstellung von Niko van Glück scheint groß zu sein. Nach der und Landschaftsimpressionen und wirkt Hout mit Dank an John Oliver Hand, Ausstellung „Gärten – Ordnung, Inspi- ebenso verspielt wie die liebevoll geba- Catherine A. Metzger und Ron Spronk ration, Glück“ Ende 2006 im Frank- stelte Arbeit „Im Geräteschuppen“ von Belser Verlag, Stuttgart, 2007, ISBN furter Städel Museum schob die frisch Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger oder die 978-3-7630-2473-5, 112 Seiten, 94 umgebaute und erweiterte Kunsthalle Installation „Laboratorium/Wintergarten“ Farbabb., gebunden, Format 24 x 28 cm, Emden gleich ein Jahr später die nächste von Klaus Fritze. € 29,90 Pflichtveranstaltung für Kleingarten- Die Bedrohung des Garten Eden durch freunde hinterher: „Garten Eden – Der Klimawandel und Umweltverschmut- „Anmut und Andacht“ ist die deutsche Garten in der Kunst seit 1900“. Danach zung wird von den Künstlern allenfalls Zusammenfassung zweier umfangreicher wanderte die Ausstellung, in einer etwas mittelbar angesprochen. Nur Luis Vidals wissenschaftlicher Publikationen zum veränderten und abgespeckten Version, Skulptur „Dangerous Garden I“ und das Thema der niederländischen Diptychen in die Städtischen Galerie Bietigheim- Video „Oasis“ von Ene-Liis Semper wa- im 15. und 16. Jahrhundert. Die For- Bissingen. gen sich einige Schritte aus dem Paradies schung an den zweiteiligen, aber häufig Während das Städel seinen Überblick heraus. Randi & Katrine aus Dänemark

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 99 zeigen eine Skulptur, die auf den ersten Ein extremes Werk, zusammengefasst verfolgen. Dennoch sollte man die Texte Blick wie ein aus Buchs geschnittener und reich bebildert in einem umfangrei- zumindest querlesen, sie geben einen Torbogen aussieht – bei näherer Betrach- chen Katalog. guten Einblick in die Situationen der Im- tung handelt es sich um grüne Styropor- (Michael Reuter) pressionisten in einem sich schnell ver- kügelchen. ändernden Paris, das von Baron Georges (Michael Reuter) Haussmann seit Mitte der 1850er-Jahre LichtKunst Markuskirche umgepflügt wurde. Die offene Neuge- Publikation zu zwei Lichtinstallationen staltung der Stadt mit breiten Boulevards Dieter Krieg in der Markuskirche Stuttgart und beeindruckenden Sichtachsen eröff- Fritten und Brillanten Hg. von Reinhard Lambert Auer und neten auch für die Pariser Künstler neue Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Berhard Huber. Mit Texten von Werner Perspektiven. Dabei fiel die Entstehung im Kunstmuseum Stuttgart vom 26.04. Sobek, Tobias Wall und Reinhard Lam- des modernen Paris zusammen mit der – 17.07. 2008 bert Auer. Bevorzugung von Bildern ländlicher Ab- Hg. von Marion Ackermann. Mit Texten Eigenverlag, Stuttgart, 2008, ISBN 3- geschiedenheit. Die „Schule von Barbi- von Daniel Spanke, Simone Schimpf und 9810574-1-4, 32 Seiten, 13 Farbabb., zon“ malte vor allem im Wald von Fon- Klaus Gerrit Friese Broschur mit Schutzumschlag, Format tainebleau, etwa 60 Kilometer von Paris Kerber Verlag, Bielefeld, 2008, ISBN 16 x 11 cm entfernt. Die Landschaftsmalerei galt den 978-3-86678-158-0, deutsch/englisch, Kritikern in Frankreich als größte Errun- 276 Seiten, mit 114 farbigen und 27 s/w- Kleines Booklet zur Turminstallation genschaft der zeitgenössischen französi- Abbildungen, gebunden, Format 29 x 23 von Nikolaus Koliusis und der Innenrau- schen Malerei. Renoir sah sich allerdings cm, € 39,95 minstallation von Chris Nägele. Der blau eher als Figurenmaler und Porträtist und leuchtende, waagerechte Lichtbalken im auch viele Kritiker und Malerkollegen Dicke Farbschichten auf riesigen Lein- Turm des Jugendstilbaus und die dreitei- konnten mit seinen Landschaften nichts wänden geschliert, banale Motive wie lige Arbeit im Innenraum aus Kreisen, anfangen. Die frühe Technik von Renoir Spiegeleier, Bücher und Duschvorhänge einer Spirale und freien Formen sind nett spiegelt seine Verbundenheit mit der in Serie gemalt und ins gigantisch Be- anzuschauen und stören wenig. Leider. Schule von Barbizon wieder. Den Maler deutungsvolle überhöht und wütende, Die hundertjährige, im Krieg nahezu Corot bezeichnete er als den größten hingeblaffte Sätze, die zu Malerei wer- unzerstörte Kirche des Architekten Hein- Landschaftsmaler, der jemals lebe. den. Der Maler und Rektor der Kunst- rich Dolmetsch hätte mehr künstleri- Auch die Verkaufmöglichkeiten für akademie Düsseldorf Markus Lüpertz schen Druck vertragen können. Künstler begannen sich zu wandeln. sagt im Audioguide zur ersten umfassen- (Michael Reuter) Neben dem offiziellen Pariser Salon den Retrospektive des 1995 gestorbenen etablierten sich kommerzielle Galerien Dieter Krieg: „Sie haben immer das und Auktionshäuser, die die wachsende Problem zwischen dem, was sie wollen Renoir kommerzielle Wertschätzung der Land- und dem, was sie können...und dieses Landschaften 1865 – 1883 schaftsmalerei widerspiegelten. Annähern dieser beiden Punkte, das be- Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Lesenswert sind die Texte zu den ein- schäftigt jeden Künstler, und das ist unter in The National Gallery, London vom zelnen Werken Renoirs. Biografische Umständen Krieg – nicht Dieter Krieg, 21.02. – 20.05. 2007 Hinweise, Erklärungen zu Malweise und sondern Krieg“. Hg. Kate Bell. Mit Texten von u.a. John Provenienz und eine umfangreiche Orts- „Hosn kaufn bis zum Tod“ hat der Künst- House und Simon Kelly und Zeittafel erschließen die Malerei ler in groben Buchstaben über fünf groß- Belser Verlag, Stuttgart, 2007, ISBN Renoirs lebhafter als Inventarlisten und formatige Gemälde mit Fischgrätmuster 978-7630-2482-7, 296 Seiten, 180 Rechnungsbücher. gepinselt. Fritten und Brillanten vereinigt Farbabb., gebunden, Format 28,5 x 24,5 (Michael Reuter) er in einem anderen Bild. Ein Grübler, cm, € 68,-- Partisan der Wertigkeiten, Kämpfer ge- gen die Endlichkeit? Wie malt man ein Katalogpublikationen über die Malerstars Robert Indiana Kartoffelstäbchen und warum eigentlich? des Impressionismus leiden gelegentlich The American Painter of Signs Im Gepäck die Literatur von Marcel unter der erdrückenden Vielfalt an kunst- Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Proust, James Joyce, Jean-Paul Sartre wissenschaftlichen Belegen. Akribisch im Museum Wiesbaden vom 22.01. oder Arno Schmidt, auf der Staffelei wird auch in den einleitenden Texten zu – 18.05. 2007 Bilder mit Kreuzen und Todesanzeigen, den Landschaftsbildern von Pierre-Augu- Hg. vom Museum. Mit Texten von Vol- manisch abgetippte Boulevard-Meldun- ste Renoir (1841-1919) verzeichnet, wer ker Rattemeyer und Annette Tietenberg gen aus BILD und EXPRESS. Bereits wann wo welches Bild in diesem oder Eigenverlag, Wiesbaden, 2007, ISBN verkaufte Werke, die er für zu gefällig jenem Salon präsentierte. Kunstgeschich- 978-3-89258-075-1, 86 Seiten, 57 Farb. hielt, erbat er von den Sammlern zurück te für Kunstgeschichtler, für den einfa- und zwei s7w-Abb., Klappbroschur, For- und vernichtete sie. chen Kunstfreund sehr anstrengend zu mat 28 x 24 cm, € 20,--

100 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Der Pop-Artist Robert Indiana, dessen magisch aufzuladen, sie zu Energieakku- Herman Waibel Wortbild „Love“ gleich nach Entstehung mulatoren zu machen. Je eindrücklicher Sein Werk im Kontext der Konkreten ein Eigenleben entwickelte und zum die Motive von Denise Green in den Kunst Symbol einer Lebenseinstellung wurde, malerischen Vordergrund drängen, desto Katalog zur gleichnamigen Ausstellung kommt nicht über den American Dream fahriger und unruhiger wirken die Bilder. in der Städtischen Galerie Ravensburg hinaus und kreist in seinen Bildfindun- Greens Stärke liegt in den Reduktionen, vom 19.03. – 22.05. 2005 gen beständig um sich selbst. Was seine in Formen, die vor einem Hintergrund Hg. von der Galerie. Mit Texten von u.a. Werke mit dem Heute verbindet bleibt aus kräftigen, manchmal zerfließenden Simone Zimmermann und Eugen Gom- unklar. Farben und Schraffuren schwimmen und ringer Annette Tietenberg versucht, die sich „offen für das Unbewusste“ sind. Eigenverlag, Ravensburg, 2005, ISBN 3- immer wiederholenden Darstellungen (Michael Reuter) 9809080-2-X, 102 Seiten, 36 Farb.- und des Alphabets, der Nationalsymbole und 2 s/w Abb., Broschur, Format 21 x 16 der Zahlen als eine Aufarbeitung der cm, € 14,50 Kindheitserinnerungen des Künstlers zu Speed up erklären. Als eine Reflexion über Zei- Grenzerfahrungen im Sport und in Konkrete Kunst könnte so schön sein, chen, die für Indiana Magie, Autorität der zeitgenössischen Kunst würde sie nicht durch den ausgedünste- und Orientierungshilfe bedeuteten. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung ten Theorieballast so schwer im Magen Leider präsentiert der Katalog keine Bil- im Sportmuseum Schweiz, Basel vom liegen. Allerdings erschließt sich auch der nach 9/11. Seine 2003 entstandenen 03.12. 2004 – 13.02. 2005 das Werk des 1925 in Ravensburg ge- Peace Paintings, die er als Antwort auf Hg. vom Museum. Mit Texten von u.a. borenen Hermann Waibels erst über die die Terroranschläge und die amerikani- Bernhard Marti und Verena Kuni eingehende Beschreibung seiner Tech- sche Vergeltung malte, verdeutlichen, Schwabe Verlag, Basel, 2004, ISBN 3- niken, mit denen er die farbigen, auf dass er mit der Technik von Gestern 7965-2124-X, 96 Seiten, 85 Farbabb., rechteckigen Formen basierenden Acryl- keine Antworten auf die Fragen der Ge- Broschur, Format 26 x 19,5 cm, € 24,-- glas-Reliefs durch das Licht ‚bespielen’ genwart findet. lässt. Seine wichtigsten Werkgruppen (Michael Reuter) Seit Beginn des frühen 20. Jahrhunderts „Lichtstrukturen“, „Lichtinstrumente“ entwickelt sich der Sport zu einem kom- und „Raumlichtfarben“ entstanden aus merziell ausgeschlachteten Massenspek- genauen Studien und Experimenten zu Denise Green takel. Seit einigen Jahrzehnten verzeich- Lichtwirkungen und Materialeigen- Katalog zur gleichnamigen Ausstellung net auch die Kunst einen steilen Aufstieg schaften. Entstanden sind tiefräumliche im Museum Kurhaus Kleve vom 28.05. in der Gunst exkursionswütiger Tages- Objekte, deren Erscheinungsbild sich – 03.09. 2006 touristen und superreicher Oligarchen, je nach Lichtintensität und –einfall Hg. vom Freundeskreis Museum Kur- die nicht wissen, wohin mit dem Geld. verändert. Leider können die Bilder im haus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. Mit Das Sportmuseum in Basel führte 2004 Katalog diese Wirkung nicht annähernd einem Text von Roland Mönig Kerber beide Bereiche zusammen. Der Katalog wiedergeben. Verlag, Bielefeld, 2006, ISBN 3-938025- untersucht Übereinstimmungen und Bre- Waibels Arbeiten werden in den Dialog 99-9, 96 Seiten, 64 Farb- und 15 s/w-Ab- chungen in den Bereichen Wettstreit, un- mit anderen richtungsweisenden Werken bildungen, Broschur, Format 27 x 20,5 bedingtem Siegeswillen und Leistungs- gestellt, die alle aus dem Museum für cm, € 29,80 zwang auf der einen, sowie Entschleuni- Konkrete Kunst Ingolstadt stammen. gung, Stillstand und Kontemplation auf (Michael Reuter) Das malerische Werk der in New York der anderen Seite. Gabriele Kleins Essay lebenden und 1946 in Melbourne, Au- „Beschleunigung und Geschwindigkeit“ stralien geborenen Künstlerin entwickel- beschreibt den allgegenwärtigen hyper- Robert Rauschenberg te sich über die Jahre langsam und grad- aktiven Körper des 20. Jahrhunderts als Selected Works 1974-1999 linig zwischen Abstraktion und Figura- die Antwort des im Alltag zur Passivität Katalog zur gleichnamigen Ausstellung tion. Ausgehend von quadratischen For- verurteilten Körpers. Er „unterwirft sich in der Galerie Michael Schultz, Berlin, maten und beeinflusst von vielen Reisen in selbstaufopfernder, selbstkontrollie- vom 28.04. – 10.06. 2007 und Kulturen versucht Green mit einem render Weise (...) dem Leistungspara- Hg. von der Galerie. Mit einem Text von immer wiederkehrenden Formenvokabu- digma der Moderne, bei dem das reine Jürgen Schilling lar aus Vasen, Fächern, architektonischen Durchhalten in der vorgegebenen Zeit, Eigenverlag, Berlin, 2007, ISBN 3- Formen und Stühlen, ihre Bilder für eine aber auch das Tempo von entscheidender 939983-06-3, 120 Seiten, 18 Farbabb., neue Sinngebung zu öffnen. Sie sieht in Bedeutung sind“. Zwölf junge Künstle- Broschur, Format 24,5 x 24 cm, € 30.-- ihren Arbeiten „Gefäße, die Emotionen rInnen versuchen, diese „Bewegungs- und Ideen aufnehmen können“. konzepte der Moderne“ auszuloten und Im Mai 2008 ist Robert Rauschenberg Dabei wurde sie auch von Joseph Beuys kritisch zu hinterfragen. im Alter von 82 Jahren verstorben. Der beeinflusst, der versuchte, Materialien (Michael Reuter) Katalog der Galerie Michael Schultz aus

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 101 dem Jahre 2007 besteht zur Hälfte aus Buntstiften gezeichnet, die anderen Katalog zur gleichnamigen Ausstellung einer Auflistung seiner vielen Gruppen- Bildteile sind mit wenigen, ungemisch- in der galerie Beck & Eggeling, Düssel- und Einzelausstellungen. Ehre, wem ten Farben strukturlos ausgemalt. Die dorf, vom 20.05. – 02.08. 2008 Ehre gebührt, denn Rauschenberg war Maserung des Holzes dient Lucander Hg. von der Galerie. Mit einem Text von der letzte lebende große US-Künstler als kompositorisches Element, teilweise Antonia Lehmann-Tolkmitt der Pop-Art. Berühmt geworden durch zog er seine noch feuchten Arbeiten über Beck & Eggeling Kunstverlag, 2008, seine Assemblagen wandte er sich in den den Atelierboden, um die Oberfläche zu ISBN 3-930919-52-4, 68 Seiten, 64 60er-Jahren dem Theater und dem Ballett zerkratzen und einen allzu glatten Look Farbabb., gebunden, Format 28,5 x 22 zu, betätigte sich als Kostümdesigner, der Bilder zu vermeiden. Ein paar Jahre cm, € 19,-- Bühnenbildner und Choreograph. Später später haben seine Arbeiten einen Hang gab er zweidimensionalen Bildtypen den ins sozialkritische, die neuesten Arbeiten Filigrane Strukturen und Architekturen Vorzug, experimentierte mit Siebdruck bestehen aus zweiteiligen Aquarellen. aus Acrylfarbe (!) zeigt der 1974 in der und einer Transfertechnik, die es ihm Seine Arbeiten kreisen um die Themen Ukraine geborene Aleksey Alekseevich ermöglichte, Texte und Reproduktionen Lüge und Wahrheit, Schein und Wirk- Potupin, aka Aljoscha, in der Galerie seitenverkehrt auf Leinwand zu übertra- lichkeit oder Original und Kopie. Die Beck & Eggeling. Die Arbeiten erinnern gen. Kritik am modernen, oberflächlichen an transparente Bakterien, plastinierte Der Katalog zeigt große Arbeiten, über- Lifestyle wirkt aus der Distanz schon Nervenstränge und Blutbahnen oder an wiegend auf Aluminium und Stahl, aus sehr angestaubt. Die Dyptichen sind Korallen, Schwämme und kristalline den Jahren 1974-1999. Unspektakuläre noch nicht ausgereift, zeigen aber einen Feststoffe. Bildcollagen, die etwas redundant daher- neuen malerischen Weg auf, der etwas Aljosha hat für seine Werke den Begriff kommen und wohl eher der Finanzierung differenzierter zu sein scheint. „Bioism“ geprägt. Er betrachtet jedes seiner vielfältigen sozialen und politi- (Michael Reuter) Objekt als lebendiges Wesen und träumt schen Aktivitäten dienten. von einer Welt, in der Künstler mit le- (Michael Reuter) bender Materie arbeiten können, um 24|7 - Die 24 Stunden des Tages immer neue Lebensformen zu erschaffen. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung „Art museums of the future could turn Robert Lucander in der Galerie arteversum, Düsseldorf, into zoological gardens.“ Als Einzelstük- Cocktail International vom 12.09. – 03.11. 2007 ke sind seine Objekte von ätherischer Katalog zur gleichnamigen Ausstel- Hg. von arteversum. Mit einem Texten Schönheit, in der Häufung sehen sie sich lung im Kunstmuseum Mülheim an der von Reinhard Gröne sehr ähnlich. Nachwuchs-Schöpfer Al- Ruhr vom 14.05. – 23.07. 2006 und im Eigenverlag, Düsseldorf, 2007, ohne joscha sollte noch am Formenreichtum Museum Baden, Solingen, vom 10.09. ISBN, 68 Seiten, 46 Farbabb., Broschur, arbeiten – aber Gott hat in den sieben Ta- – 29.10. 2006 Format 21 x 25,5 cm, ohne Preisangabe gen auch nicht alles perfekt hingekriegt. Hg. von Oliver Zybok. Mit Texten von (Michael Reuter) Beate Ermacora, Harald Falckenberg und Reinhard Gröne hat in seiner 750 qm Oliver Zybok großen Galerie vierundzwanzig Künst- Verlag Hatje Cantz, Ostfildern, 2006, ler zusammengebracht, die versuchen, Georg Baselitz ISBN 978-3-7757-1756-4, 104 Seiten, jeweils „ihre“ Stunde des Tages künstle- Top 101 farbige Abb., gebunden, Format 30,5 risch umzusetzen. Herausgekommen ist Katalog zur gleichnamigen Ausstellung x 24,5 cm, € 24,-- ein Mischmasch aus Malerei, Installation in der Kunsthalle Würth, Schwäbisch und Fotografie, das den Betrachter kalt Hall, vom 27.09. 2008 – 22.03. 2009 Der finnische Maler, Jahrgang 1962 und lässt. Hg. von C. Sylvia Weber. Absolvent der Hochschule der Künste in Die Ausstellung erscheint als verkrampf- Mit Texten von Werner Spiess und Peter- Berlin bei Professor Marwan, zeigt in der ter Versuch, einer Auswahl lokaler Klaus Schuster vorliegenden Publikation einen ersten Künstler einen Auftritt zu verschaffen. Swiridoff Verlag, Künzelsau, 2008, Überblick über sein Werk. Die Motive, Wogegen nichts einzuwenden ist, aller- ISBN 978-3-89929-147-6, 175 Seiten, vor allem lachende Gesichter und die dings können die einzelnen Positionen durchgehend farbig illustriert, gebunden, Mimik und Gestik von Partygängern, nicht vom thematischen Rahmen profitie- Format 32 x 24 cm, € 40,-- entnimmt er Plattencover, Zeitschriften ren, sondern werden gewaltsam in einen oder Groschenromanen. Die ewige, sinn- Kontext gezwängt, der die Werke nicht Als Kurator in eigener Sache agiert Ge- los gute Laune, die seine um 2000 auf trägt. org Baselitz (*1938) in der Kunsthalle Holz gemalten Protagonisten ausstrahlen, (Michael Reuter) Würth und bastelte aus den rund fünfzig hat etwas Absurdes und Skurriles an sich. Werken des Baselitz-Blocks der Samm- Die Menschen sind nur fragmentarisch lung Würth und diversen Leihgaben eine dargestellt. Aljoscha Ausstellung mit dem unbescheidenen Die Körperpartien sind mit Blei- und objects – drawings – paintings Titel „Georg Baselitz ↑ Top“. Schön ist

102 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 sie geworden. Fast zu schön, um wahr- aussichtslos, aber künstlerisch maßlos Michael Schwarz spricht von „unter- haftig zu sein. gegen die Zeit. schiedlichen Kontexten mit Ableitungen Werner Spiess (*1937) attestiert im Ka- Baselitz hat sich in einer Überzeitlich- und Anspielungen auf das eigene Werk, talog den neuen Arbeiten „eine heitere keit, in einem gesellschaftlichen Son- aber auch mit Bezügen auf zeitgenössi- Revision der eigenen Vergangenheit“ derstatus, in einem milden Alterswerk sche Diskurse über Künstlerarchive und und Peter-Klaus Schuster (*1943) fin- eingemauert. Die traurige Gewissheit künstlerisches Sammeln.“ det in den kopfstehenden Bildern die zerronnener Zeit, die Melancholie, die Neben den Ausstellungsansichten ergänzt „instabilen Weltläufe“ reflektiert. So viele alternde Künstler heimsucht, ist bei der Katalog Fotos aus dem Garten und begeistert sich die gesetzten Herren die ihm nicht zu finden. Oder sie überträgt dem eigentlichen Atelier des Künstlers, Bälle zuspielen, so merkwürdig fremd sich nicht in seine Bilder. deren kreatives Chaos allemal interessan- muss sich die junge Generation fühlen. Wer das letzte Viertel des Lebens nur als ter wirken als die aufgeräumte Reflexion Denn obwohl Baselitz gerne darauf demografisches Horrorszenario denken über Arbeitsraum und Produktionspro- verweist, dass Künstler asozial und er möchte, wird in Schwäbisch Hall ent- zess im Pavillon. selbst immer noch ein Knochen sei, wirkt täuscht werden. Das Alter präsentiert sich (Michael Reuter) sein Alterswerk doch vom Wohlstand hier mit einer souveränen, selbstgewissen weich gespült. Der Künstler lebt seinen Geste. Und warum eigentlich nicht? Mythos und produziert in der „Remix“- (Michael Reuter) Walt Disneys wunderbare Welt Serie Wiederholungen früherer Gemälde. und ihre Wurzeln in der europäischen Die erdige Schwere vergangener Zeiten Kunst tauscht er gegen luftig-leichte Pastell- Johannes Brus Katalog zur gleichnamigen Ausstellung farben. Die Dämonen seiner wütenden Die ganze Eisberg in der Kunsthalle der Hypo-Kultur- Vergangenheit stehen unter Liquid X. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung stiftung, München, vom 19.09. 2008 Auf einigen Bildern erscheint eine Git- im Arp Museum Bahnhof Rolandseck – 25.01. 2009 terstruktur, die den Bildraum vierteilt. vom 29.09. 2007 – 28.09. 2008 Hg. von Hg. von Bruno Girveau und Roger Die- Ein Hakenkreuz? Sein Skandalbild von Klaus Gallwitz. Mit Texten von Klaus deren. Mit Texten von u.a. Pierre Lam- 1962/63 „Die große Nacht im Eimer“ Gallwitz und Michael Schwarz bert und Robin Allan zeigt einen onanierenden Jungen und Richter Verlag, Düsseldorf, 2007. ISBN Hirmer Verlag, München, 2008, ISBN wurde damals von der Polizei beschlag- 978-3-937572-76-5, 96 S. m. 45 Farb- u. 978-3-7774-4375-1, , 304 Seiten, 137 nahmt. Im Remix zeichnet er die Figur 10 s/w-Abb., gebunden, Format 30 x Tafeln, davon 101 in Farbe, 117 Abbil- als kleinen Hitler und legt noch einen 23,3 cm, € 28,-- dungen in Farbe und 44 in schwarz-weiß, Totenschädel daneben – und keine Sau Format 28 x 24 cm, € 39,90 interessiert es. Der Bildhauer Johannes Brus wurde Das vereinte Europa in den Köpfen 1942 in Gelsenkirchen geboren und Originalzeichnungen, Malereien und der nachgewachsenen Generation lässt studierte von 1964 bis 1971 an der Figurenmodellen des frühen Disney Stu- nationalstaatliche Gedanken langsam Kunstakademie in Düsseldorf bei Karl dios (1928-1967) werden mit Gemälden verblassen. Sicher, die stete Erinnerung Bobek, dessen Konflikte mit dem charis- und Skulpturen der deutschen Romantik, ist wichtig: Aber wie stark kann eine matischen Joseph Beuys ihn sicherlich des französischen Symbolismus und der Ermahnung wirken, die aus der wohligen geprägt haben. Viktorianischen Malerei verglichen. Es Wärme des Baselitzschen Anwesens am Als der „Düsseldorfer Akademiestreit“ zeigt sich, dass Disney, der für den Her- Ammersee, einer von Herzog & de Meu- eskalierte und Beuys schließlich 1972 ausgeber Bruno Girveau „zu den bedeu- ron gestalteten Residenz, die auf einem aus dem Lehrdienst entlassen wurde, tendsten Persönlichkeiten der Filmkunst Glassockel über der Erde zu schweben hatte Brus sein Studium bereits been- und im weitesten Sinne der Kunst des scheint, verbreitet wird. det. Seit 1986 hat er den Lehrstuhl für 20. Jahrhunderts gehört“, zahlreiche Vor- Die Welt von Georg Baselitz ist eine Bildhauerei an der Kunsthochschule in bilder aus der Kunstgeschichte für den schöne Utopie bar jeder Entbehrung und Braunschweig inne, nennt ein sehr schö- visuellen Look seiner Zeichentrickfilme der Lohn für harte Arbeit und fortge- nes Atelier im ehemaligen Wasserwerk aufgegriffen hat. setzten gesellschaftlichen Ungehorsam. Ruhrtalstraße in Essen sein Eigen und ist Dabei konnte er sich auf das Können Sie ist eine bittere Utopie, weil sie sich der bildhauerischen Ästhetik Karl Bo- zahlreicher Mitarbeiter verlassen, die künstlerisch nur im Vergangenen verge- beks näher als der von Beuys. häufig an europäischen Kunsthoch- wissert. Werner Spieß zieht in seinem Seine Ausstellung im Pavillon des Arp schulen ausgebildet worden waren. Sie Katalogbeitrag eine Linie zum alternden Museum Bahnhof Rolandseck ist einer emigrierten nach Amerika, brachten ihr Picasso, der ebenfalls im Alterswerk Ateliersituation nachempfunden, wo technisches Wissen und die ästhetische seine Bilder neu interpretierte. Picasso fertige Werke und Arbeitsmaterialien Tradition ihrer Herkunftsländer mit und wurde jedoch immer wütender, weil er scheinbar willkürlich versammelt sind. schufen so einen eigenwilligen Kosmos, spürte, dass seine Kräfte und vor allem Gründungsdirektor Klaus Gallwitz sieht „ein dichtes Geflecht aus Jugendstil, Art seine Libido nachließen. Er kämpfte eine „Manifestation der Bildhauerei“, Déco und der Akademiemalerei des 19.

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 103 Jahrhunderts sowie der Buchillustration den monopolistischen Energieriesen von Operationen und Vernarbungen. Obwohl und der Kinematografie zu Anfang des Oliver Harvey und Dominik Gerwald . sich in ihren Arbeiten weibliche Befind- 20. Jahrhunderts“, wie Robin Allen in Mit der Freiheit wird es vorbei ein, wenn lichkeiten spiegeln, legt die Künstlerin seinem Beitrag zu den europäischen die Eleven in den Agenturen sitzen. Jetzt keinen Wert auf einen Genderdiskurs. Wurzeln Disneys schreibt. Dabei stützen darf noch jeder, wie er möchte und da „Das Weibliche ist mir egal. Darum geht sie sich nicht nur auf das Genie Disneys, macht das Zuschauen Spaß. es mir nie. Stoffe sind für mich interes- sondern auf eine umfangreiche Biblio- (Michael Reuter) sant, weil sie uns permanent umgeben. thek, Filmvorführungen, fortlaufende Wenn ich eine menschliche Figur male Schulungen innerhalb des Studios und und sie dann ausschneide, dann ist die- nicht zuletzt auf die damalige „Stim- „jetzt“ ser Mensch absolut begrenzt durch sich mung intensiver Kreativität und großen Katalog zur gleichnamigen Ausstellung selbst. Selbstbewusstseins“. in der Galerie beck & eggeling vom Wenn ich mich in der Welt bewege, bin Die Ausstellung in München konzentriert 13.04. – 27.05. 2007. Hg. von der Gale- ich ebenfalls total begrenzt. Auf der sich auf die abendfüllenden Zeichen- rie. Mit einem Text von Bettina Schob. anderen Seite bin ich auch mit meiner trickfilme von „Schneewittchen und die BeckEggeling Kunstverlag, Düsseldorf, Umgebung verknüpft, in sie vernäht. sieben Zwerge“ bis zum „Dschungel- 2007, ISBN 3-930919-45-1, 32 Seiten, Wenn ich die einzelnen Elemente eines buch“, die alle unter der persönlichen 26 Farbabbildungen, Broschur, Format Bildes zusammennähe, nehme ich mir Leitung von Walt Disney entstanden. 29 x 23 cm, € 9,-- also Teile der Realität und verbinde sie Sieben der acht ersten Filme beruhen auf in einen neuen Zusammenhang. Ich bin europäischen Märchen und Fabeln. Kleine Bilderbroschur mit 24 zeitge- dabei auch aggressiv, wie ein Chirurg, Neben den wunderbaren Abbildungen nössischen Künstlern, die mit je einem der hier und dort noch ein Stück Fett gibt es verschiedene Texte zur Geschich- Werk angetreten sind, einen von Michael wegschneidet oder Wunden vernäht. Die te und den Arbeitsbedingungen des Stu- Haas kuratierten Ausschnitt überwiegend Narben der vernähten Körperteile, das dios und zu visuellen, literarischen, ar- malerischer Positionen zu geben. Die ständige Wegnehmen und Hinzufügen chitektonischen und musikalischen Ein- interpretierte Welt scheint wenig erstre- von Stoffmaterial und Klebebändern: flüssen. Die Inhalte überschneiden sich benswert. Überwiegend einsame, see- Das ist die menschliche Realität, die sich gelegentlich und die endlosen Aufzählun- lisch verkrüppelte Figuren, die in einer in den Bildern wieder findet.“ gen von Mitarbeitern und künstlerischen medienverseuchten, fragmentierten Welt- (Michael Reuter) Vorbildern wirken etwas ermüdend, aber kloake vor sich hin vegetieren. Immerhin sonst ... ein echter Prachtband! kann sich der Betrachter an prominenten (Michael Reuter) Namen wie Jonathan Meese, Daniel Christiane Möbus Richter und Kiki Smith erfreuen. Ich plä- Chausseestraße diere aber weiterhin für die Renaissance Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Energie impressionistischer Blumensträuße. im Neuen Berliner Kunstverein vom Katalog zur gleichnamigen Ausstellung (Michael Reuter) 08.03. – 13.04. 2008 im Foyer der EnBW, Stuttgart, vom Hg. vom Kunstverein. Mit Texten von 29.05 – 12.09.2008 Alexander Tolnay, Knut Ebeling und Hg. von der EnBW Isabell Kamp Erich Franz Eigenverlag, Stuttgart, 2008, ISBN 978- It would be easier to lie Deutscher Kunstverlag München Berlin, 3-934510-31-9, 70 Seiten, 150 Farbabb., Katalog zur gleichnamigen Ausstellung 2008, ISBN 978-3-422-06702, 112 S., Broschur, Format 27 x 21 cm, € 22,-- im Hospitalhof Stuttgart, vom 19.09. 250 Farb- und 6 s/w- Abbildungen, Bro- – 19.10. 2008 schur, Format 29 x 23 cm, € 19,80 150 Din A1 Entwürfe im Hochformat Hg. von Helmut A. Müller und Isabell zum Thema Energie zeigen die Studen- Kamp. Mit einem Text von Helmut A. Der Rückentext zu den Arbeiten von ten des Studiengangs Kommunikations- Müller Christiane Möbus liest sich wie ein design an der Staatlichen Akademie der Eigenverlag, Stuttgart, 2008, ISBN 978- Wörterbuch der Kunstplatitüden: Möbus Bildenden Künste Stuttgart. 3-934320-39-0, 46 Seiten, 19 Farb- und gehöre zu den wichtigsten Künstlern Inhaltliche Vorgaben gab es nicht und 7 s/w-Abb., Broschur, Format 28 x 22 der Gegenwart, ihr Werk erweitere den so präsentieren sich die Studenten als cm, € 8,-- Kunstbegriff ebenso poetisch wie präzise ein bunter Haufen Zeitgenossen: vom („hochpräzise“ ist zurzeit auch sehr be- angepassten Spießer, über den linken Isabell Kamp verwendet collagenhafte liebt), dabei haftet ihren überraschenden, Technikfeind bis zum genialen Designer. Materialkombinationen für ihre Bilder. ungewohnten Werken etwas Flüchtiges, Verspielte Typografie mit Op Art Be- Klebebänder, Übermalungen, vernähte Improvisiertes an (der geneigte Leser zug von Martin Härtlein, monochromer Leinwand und applizierte Stoffe erin- störe sich hier nicht am präzise Impro- Minimalismus von Kim Hoss, witzige, nern an die sozialen Verflechtungen und visierten, sondern vertraue auf die Wir- politische, sarkastische Kommentare zu Verstrickungen des Lebens, aber auch an kungsmacht kunstbedingter Paradoxa),

104 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 und sie vertraut dem „Assoziationsver- Aber für Muche zählt nicht die „Politizi- Randständige, Irre, Spiritisten, Unange- mögen der Betrachter“. Umsonst! Das tät und Ikonizität“ des Motives als Aus- passte, Knackies: Die rohe, unverfälschte wissen natürlich auch die drei Textauto- wahlkriterium, sondern der Zufall. „Er Kunst von gesellschaftlichen Außensei- ren und unterziehen die Skulpturen der malt die Kontingenz des allmächtigen tern findet in der offiziellen Geschichts- 1947 in Celle geborenen Künstlerin einer Bilderreservoirs und die vorgängig ab- schreibung selten Anerkennung, übt eingehenden, und alle frei flottierenden solute Egalität aller Bilder in einer Welt, jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Assoziationen eines möglichen Betrach- die aus Bildern besteht“. Seine Bilder etablierte Kunst aus. ters im Keim erstickenden Analyse. wirken unterhaltsam, lassen den Betrach- Die vorliegenden Kataloge nähern sich Den Kern des Katalogs bildet ein Kon- ter aber unbefriedigt zurück. Sinnlose aus unterschiedlichen Richtungen dem volut verschiedener Kleidungsstücke, Bilderhaufen gibt es genug, die müssen Phänomen. „Die anderen Bilder“ ver- die Möbus mit Malerei, Stickereien, nicht immer und immer wieder auch sammelt Werke aus der Sammlung des Perlenschnüren und anderen Applika- noch abgemalt werden. Kunstprofessors, Malers und Fotografen tionen überarbeitete. Herrenoberbeklei- (Michael Reuter) Hartmut Neumann. „Wahnsinn sam- dung aus den 1950er oder Gehröcke meln“ ist ein lesenswerter Katalog mit aus den 1920er Jahren verwandeln sich Werken aus der Sammlung Dammann ohne den sie tragenden Menschen in Künstler in der Irre und vielfältigen Texten und Interviews „Platzhalter(n) von Präsenzen und ent- Katalog zur gleichnamigen Ausstellung zu den beiden Themenkomplexen „Kunst falten ein Spiel zwischen Anwesenheit in der Sammlung Prinzhorn, Heidelberg, sammeln“ und „Outsider Art“. Der Band und Abwesenheit, Erinnerung und Spur, vom 30.04. – 14.09. 2008 „Künstler in der Irre“ beschreibt Schick- Symbol und Zeichen.“ Unter Einbezie- Hg. von T. Röske, B. Brand-Claussen. sal und Werk von achtzehn professio- hung semantischer Diskurse und den Mit Texten von u.a. Sarah Debatin und nellen Künstlern, die wegen seelischer unvermeidlichen Unholy Brothers Deleu- Franz Engelmann Verletzungen in einer psychiatrischen ze, Barthes und Foucault gelingt es Knut Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg, Anstalt landeten. Ebeling nicht weniger als „fünf Zeitlich- 2008, ISBN 978-3-88423-306-1, 240 Die Ursprünge der Geschichte dieser keiten im vestimentären Werk von Seiten, mit 253 meist farb., teils ganzseit. Kunst reichen zurück in das 19. Jahr- Christiane Möbus zu unterscheiden.“ Abb., brosch., Format 29 x 23 cm, hundert. 1857 veröffentlichte der schot- Nicht schlecht für gepimpte Klamotten € 34,80 tische Arzt W. A. F. Browne das Buch aus dem letzten Jahrtausend. „Art in Madness“. Sieben Jahre später (Michael Reuter) untersuchte der italienische Arzt Cesare Die anderen Bilder Lombroso das Verhältnis von künst- Outsider und Verwandtes aus der lerischem Ausdruck und psychischer Jan Muche Sammlung Hartmut Neumann Disposition. Der deutsche Psychiater alles kann – nichts muss Katalog zur gleichnamigen Ausstellung und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn trug Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum der Stadt Ratingen vom an der Universitätsklinik Heidelberg in der galerie schultz contemporary ber- 03.12. 2006 – 14.01. 2007 ab 1919 in nur zwei Jahren eine riesige lin vom 26.04. – 07.6. 2008 Hg. vom Museum. Mit einem Text von Sammlung mit Arbeiten von 450 Patien- Hg. von der Galerie. Mit einem Text von Bettina Maassen ten zusammen. 1922 erschien sein Buch Dominikus Müller Eigenverlag, Ratingen, 2006, ISBN 3- „Die Bildnerei der Geisteskranken“. Es Eigenverlag, Berlin, 2008, ISBN 978- 926538-63-5, 88 Seiten, mit 145 farb., wurde die Bibel der Surrealisten um Max 3-939983-20-0, 74 Seiten, 36 Farbabb., teils ganzseit. Abb., gebunden., Format Ernst, der das Buch nach Paris brachte. gebunden, Format 26 x 25 cm, € 25,-- 28 x 24 cm, € 20,-- Fauvisten, Dadaisten, Expressionisten und Surrealisten suchten in der Kunst der Jan Muche (*1975) malt, was ihm der Wahnsinn sammeln Wilden, der Kinder und Geisteskranken mediale Bilder-Tsunamie in die Augen Outsider Art aus der Sammlung nach neuen Wegen jenseits der akade- spült. Zeitungsbilder, Textfragmente, Dammmann mischen Traditionen. 1921 widmete Dr. Slogans, Fundstücke aus dem Internet, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Walter Morgenthaler, der 1910 mit dem alles findet seinen Platz in der poppig- in der Sammlung Prinzhorn, Heidelberg, Aufbau eines kleinen Museums an der bunten Malerei, deren grelle Farbigkeit vom 25.05. – 24.09. 2006 „Irrenanstalt“ Waldau begonnen hatte, sich einer gelben Grundierung verdankt, Hg. von T. Röske, B. Brand-Claussen als Erster einem namentlich genannten die durch die Kombination von Tusche und G. Dammann. Mit Texten von u.a. Patienten eine Monografie: Adolf Wölfli. und Lasur immer wieder durchscheint. Wolfgang Ulrich und Charlotte Zander Sein Werk wurde explizit als Kunst be- Dominikus Müller beschreibt in seinem Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg, zeichnet. guten Text den Drang des Betrachters, 2006, ISBN 978-3-88423-265-1, 224 Jean Dubuffets Konzept der „Art Brut“ die gesehenen Bild- und Wortfragmente Seiten, mit 105 (72 farb., meist ganzseit.) kam um 1945 auf. Der französische in einen erzählerischen Kontext, in eine Abb., brosch., Format 27,5 x 20 cm, Künstler suchte und sammelte „Werke Geschichte einzubetten. € 29,90 von Leuten, die durch die Kunstkultur

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 105 keinen Schaden genommen haben, bei und den beschäftigungstherapeutischen Arbeiten nicht bezeichnen, der Leser denen – im Gegensatz zu den Intellek- Rahmen aufgehoben worden wären“. kann sie „stets als freie, autonome Kom- tuellen – der Nachahmungstrieb einen Dafür haben sich Bilderforen wie Flickr position“ lesen. geringen oder gar keinen Anteil hat, oder Myspace in den letzten Jahren zu (Michael Reuter) ihre Schöpfer folglich alles, Motive, kreativen Sammelbecken entwickelt. Werkstoffe, Techniken, Arbeitsweise, Alles, was noch nicht im Kunstbetrieb Rhythmus, persönliche Handschrift etc., angekommen ist, weil es zu schlecht, zu Otto Hans Ressler aus ihrem Inneren ableiten und nicht abartig oder zu avantgardistisch ist, trifft Der Wert der Kunst aus den Schablonen der klassischen und und vernetzt sich hier. Street Art, Pop- BöhlauVerlag Wien, Wien, 2007, ISBN modernen Kunst“. Nahezu die Hälfte Surrealismus, Lowbrow oder Tattookunst 978-3-205-77669-7, 248 S., gebunden, der zusammengetragenen Werke stammt sind die neuen Outsider des Marktes. Format 24 x 16 cm, € 24,80 von Patienten aus der Psychiatrie. Der (Michael Reuter) amerikanische Autor Roger Cardinal Der Autor des Buches wurde 1948 in übersetzte den Terminus „Art Brut“ 1972 Österreich geboren und ist seit 1993 mit „Outsider Art“. Der neue Begriff ver- Fabrizio Plessi Geschäftsführer eines Auktionshauses, selbstständigte sich und bezeichnet nun, Digital Islands 1970 – 1990 dass auf österreichische Kunst der letz- vor allem in den USA, auch die Naive Katalog zur gleichnamigen Ausstellung ten zwei Jahrhunderte spezialisiert ist. Kunst, zeitgenössische Volkskunst und im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigsha- So weit, so angenehm unaufgeregt. Mal die Kunst ethnischer Randgruppen. fen am Rhein, vom 22.10. 2006 – 25.02. keine zeitgeistige Auseinandersetzung Bis in die 1980er Jahre gab es erhebliche 2007 mit dem delirierenden Kunstmarkt, son- Berührungsängste des Kunstmarktes mit Hg. von Richard W. Gassen. Mit einem der gleich zu Beginn viele Fragen nach der Outsider Art. Mittlerweile findet man Text von Richard W. Gassen dem woher und wohin der Kunst und des themenspezifische Zeitschriften, Mes- Kehrer Verlag, Heidelberg, 2006, ISBN Künstlers. Dass die Weltformel auch in sen und Galerien, die sich dem Thema 978-3-939583-01-1, 222 Seiten, 155 diesem Buch nicht gefunden wird, stellt widmen, und die Preise für Bilder von Farb- und 98 S/W-Abbildungen, Bro- Ressler bereits auf der zehnten Seite fest August Walla, Adolf Wölfli oder Michel schur, Format 30 x 24 cm, € 22,-- und beschreibt den Umgang mit Kunst Nedjar, für die gruseligen Madonnen von eher als ein „Vergnügen“, das immer Hans Schärer oder die bunten Ölkrei- Die Ausstellung in Ludwigshafen präsen- eine Bereicherung und „sehr, sehr oft ein debilder von Aloïse Corbaz steigen und tiert das Frühwerk des 1940 geborenen großartiger visueller Genuss“ sei. steigen. italienischen Medien- und Videokünst- Seine Erfahrungen im Auktionswesen Die Membran ist durchlässig geworden. lers. Viele der gezeigten Arbeiten lagen befördern schlichte, wahre Einsichten Vor hundert Jahren wäre Jonathan Meese bisher nur als Entwürfe oder Skizzen vor. über die zeitliche Abhängigkeit von nicht an der Hamburger Kunstakademie Der „anrührend einfachen Bildsprache“ kunsthistorischen Qualitäts- (und damit sondern in der Waldau gelandet. Wer des Rost- und Wasserfetischisten Plessi Preis)findungen. einen Blick auf seine Großinstallationen widmet der Herausgeber und damalige Es ging und geht immer nur um den wirft und dann Fotos von August Wal- Leiter des Wilhelm-Hack-Museums, Ruhm eines Künstlers, geändert haben las Zimmer in Gugging sieht oder den Richard W. Gassen, einen umfangrei- sich durch die Jahrhunderte nur die genialen Weltentwurf der „Skt.Adolf- chen Text über „Digitale Inseln oder die Methoden zu Erlangung desselben. Riesen-Schöpfung“ eines Adolf Wölfli Archaik der Zukunft“. Das Urelement Unverwechselbar und einmalig soll es mit Meeses kruden Thesenpapieren und Wasser in Verbindung mit moderner Vi- sein, Landschaften lassen sich besser Sprachkapriolen vergleicht, wird lieber deotechnik und rostigen Eisenelementen verkaufen als Porträts, der Besitzer will gleich das Original kaufen wollen. durchläuft als roter Faden seit Jahrzehn- mit dem Bild renommieren, zum Sofa Die klassische „Irrenkunst“ scheint je- ten Plessis Werk. Das geballte Konvolut soll es passen und einen Namen soll der doch langsam auszusterben. Seit 1950 aus blauem Flimmern und Rauschen aus Künstler haben. Wenn es öfters mal in entsteht durch die Einrichtung von unzähligen Monitoren, die kunstvoll in einer Ausstellung hing, umso besser. Ob Malerwerkstätten wie dem 1981 eröff- Eimern, Kisten und Brunnen integriert Bockwurst oder Gemälde, ein Markt ist neten Haus der Künstler in Gugging sind, wirkt in seiner formalen Strenge ein Markt. Das Kapitel „Kunst=Kapital“ und verbesserte Behandlungsmethoden und Perfektion eher monoton. Interes- ist mit Abstand das Beste. immer mehr „Kunst“, aber immer weni- santer sind die vielen Zeichnungen des Gleich im folgenden Kapitel ger wirkliche Art Brut. Michel Thévoz, Künstlers, die eine ganz eigene Qualität „Kunst=Macht“ ist es mit der Nüchtern- Gründungsdirektor der „Collection de besitzen. Sie sind ähnlich durchkompo- heit vorbei. Ressler beschreibt Bilder L´Art Brut“ in Lausanne schrieb: „Es niert wie die Installationen, wirken aber als Wahrheitserzeuger und Waffen, die scheint, als ob die Voraussetzungen durch Plessis kräftigen Strich und den jedoch in letzter Zeit ihre Schärfe ein- künstlerischen Empfindungsvermögens, handschriftlichen Notizen, Maßangaben zubüßen scheinen, weil die verblödeten wie Spontanität, Spannungsreichtum und und technische Details verspielter und Massen keine geistigen Ansprüche mehr subversive Energie, durch die Betreuung lebendiger. Als Skizzen möchte man die an die Bilderflut haben. „Vor die Wahl

106 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 gestellt, greifen die meisten Menschen ISBN 9783716515471, Laufzeit 70:17 in der Nachkriegszeit im Spannungsfeld nach dem, was anstrengungsfrei, frik- min., stereo, € 19,-- zwischen dem deutschen Expressionis- tionsfrei, frustrationsfrei zu haben ist“. mus und dem amerikanischen Informel. Kein Bildungsbürgertum weit und breit, Zur Abwechslung mal kein Buch, son- Am Ende seines Lebens kehrte die Figu- intellektuelle Gähnung grundlos. Hier dern eine DVD mit zehn kurzen, un- ration wieder in seine Bilder zurück, in setzt Ressler an und verbeißt sich in terhaltsamen Experimentalfilmen. Der einem altersweisen Werk, das „frei war einen vage verorteten, schöngeistigen Rezensent erinnert sich bei dieser Gele- von Eitelkeit, von zorniger Selbstbe- Grundklang menschlicher Existenz, der genheit gerne an die einschläfernde Wir- hauptung und von Verzweiflung“ (Jens den betäubten Couch-Kretins leider kung der letzten, nächtlichen Vorstellung Christian Jensen). verlustig gegangen ist. Wir brauchen die auf dem European Media Art Festival in Die sehenswerten Gemälde, Radierungen Kunst „weil sie uns fühlen lässt, wozu Osnabrück. Jährlich im April bietet das und Papierarbeiten setzten in ihrer kon- wir imstande wären (...) Die Bestimmung Festival einen umfassenden Überblick zentrierten Offenheit einen Kontrapunkt unserer Art ist die Kunst. Das Ziel der über absolut nicht fernsehtaugliche For- gegen die Figurenschwemme zeitge- Evolution ist die Schönheit.“ Oha! mate und Videoinstallationen. nössischer Malerei. Auch im Spätwerk Dass die Kunst zur geistigen Überwäl- Daniel Burkhardt zeigt einen kunstvoll verbleiben seine Figuren im Ungefähren, tigung immer seltener in der Lage ist, ineinander verschachtelten Bewe- ähnlich der rituellen Malerei prähistori- lastet der Autor nicht etwa der Kunst an, gungsablauf, Joe King und Rosie Pedlow scher Höhlenzeichnungen. die stets todesmutig in unbekanntes Ter- lassen die Kamera langsam an einem Unklar bleibt, warum Ulrich Krempel in rain vorstürme, um die Menschheit mit Wohnwagen-Park vorbeigleiten, wobei seinem Text versucht, einige Bilder en „Verstörungen“ zu beglücken, „um die Lichtstimmung und Zeitlinie sich ständig détail, Bildstrich für Bildstrich zu doku- Wahrnehmungsfähigkeit zu vergrößern“, ändern und Benny Nemerofsky drehte mentieren, nur um am Schluss zum Er- sondern der Unterhaltungsindustrie, die eine „zuckersüße, vielstimmige Ode an gebnis zu kommen, dass die Linien uns alles Neue sofort mit „Gier, Aggressivität die USA mit einem klar homoerotischen „in die Lage versetzten, aus vielfältigen und Destruktion“ annektiere. Besonders Unterton“. In homöopathischen Dosen Anklängen an Form und Gegenstand eine humorig wirkt die Behauptung des Au- genossen, befreien die Filme den Seh- eigene, vieldeutige Sicht auf das Bild tors, durch die Kunst seien bereits die nerv von fernsehinduzierten Verkalkun- zu entwickeln“. Gerade die Offenheit „Bastionen verlogener Bürgerlichkeit“ gen. der Bilder macht ihren Reiz aus. Viel- gefallen. (Michael Reuter) leicht empfindet der post-post-moderne Das eigentliche Problem des Buches ist Mensch diesen schwankenden Grund als sein Beharren auf veralterte und stellen- visuelle Bedrohung, der durch intensi- weise arg schwülstige Ansprüche an die Emil Schumacher ve Bildbeschreibung verankert werden Kunst: „Sprengkraft“, „Freiheit“, „ (...) Der Erde näher als den Sternen. soll. Allzu lange sollte die Rückkehr der wir spüren, dass die Kunst von Wahrheit Malerei 1936 – 1999 Abstraktion nicht mehr auf sich warten handelt“, „Tabus verletzten“, „Es musste Katalog zur gleichnamigen Ausstellung lassen, denn die Fähigkeit der Menschen sein!“ Der Autor „spürt“ und „meint“ im Sprengel Museum Hannover vom zur eigenständigen visuellen Analyse Unglaubliches und behauptet, das „mitt- 18.02. – 06.05. 2007 verkümmert zusehens. lerweile praktisch überhaupt niemand Hg. von Ulrich Krempel und Volker Rat- (Michael Reuter) mehr Verständigungsschwierigkeiten“ temeyer. Mit Texten von Jens Christian mit der Kunst von Jackson Pollock habe. Jensen und Ulrich Krempel „In Wahrheit begeistern sich Millionen Hirmer Verlag, München, 2007, ISBN Antoni Tàpies für zeitgenössische Kunst“ fabuliert 978-3-7774-3585-5, 168 Seiten, zahl- Zeichen und Materie Ressler und verweist auf die banalen reiche Abb., Broschur, Format 28,5 x 24 Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Kunst-Events von Christo und Jeanne- cm, leider vergriffen im Museum Schloss Moyland, Bedburg- Claude. Hau vom 12.08. 2007 – 13.01. 2008 Und dabei hat es so nett angefangen... Muss ja nicht gleich eine seitenlange Hg. vom Museum. Mit Texten von Bar- (Michael Reuter) Eloge sein, aber ein kleiner, einleitender bara Catoir, F.J. van der Grinten und Text zu Leben und Werk des betreffen- Dirk Ufermann. Eigenverlag, Bedburg- den Künstlers sollte in jedem Katalog zu Hau, 2007, ISBN 978-3-935166-39-3, sag mal finden sein. 87 Seiten, mit 39 Farb- u. 9 SW-Abb., Art-Clips Narrativ Die vorliegende Publikation zur Ausstel- gebunden, Format 29 x 22 cm, € 25,-- DVD Video mit Booklet. Kuratiert von lung von Emil Schuhmacher (*1912) im Gerhard Johann Lischka, Alfred Rotert Sprengel Museum Hannover springt aber Der Katalog zeigt überwiegend große und Ralf Sausmikat sogleich in eine vertiefende Betrachtung Formate des katalanischen Künstlers ab Hg. vom European Media Art Festival, der abstrakten Arbeiten. 1986. Der Ort der Ausstellung, das Mu- von der Galerie Henze & Ketterer AG Über eine gegenständliche Frühzeit ent- seum Moyland mit seinem Bestand an und von der Benteli Verlags AG, 2007, wickelte sich die Malerei Schuhmachers mehreren Tausend Werken von Joseph

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 107 Beuys und dem Beuys Archiv, provoziert modellhafte Stoffarchitektur erfüllt den Besuchern gerne angenommen. Sie zu einer Gegenüberstellung der beiden Sammlerträume: Zusammengelegt passt drehen sich vergnügt kichernd in Stofff- Künstler. Barbara Catoir beschreibt in jede Skulptur in einen kleinen Koffer, spiralen ein, betasten Ballonseide und ihrem Text die auffälligen Parallelen in aufgebaut reichen seine ausgetüftelten schweres Leinen oder liegen verträumt der Materialität und der verwendeten Näharbeiten über drei Stockwerke. Ma- im 10-Meter-Vertikalstoffschlauch des Zeichen in beiden Werken, aber auch ximale Museumstauglichkeit kombiniert Hospitalkirchenturms. Die angereiste die unvereinbaren Persönlichkeiten. Der mit minimalen Lagerkosten. Der Ku- Sammlerschar bleibt lieber stehen und extrovertierte Beuys, „im Geniekult des schel-, Spiel- und Haptikfaktor wird von drängt zur Häppchenaufnahme im Café Neuplatonismus verhaftet“, und der in- trovertierte Tàpies, „ein erklärter Gegner des Personenkultes“. Nur ein einziges Bild der Ausstellung be- zieht sich tatsächlich auf den rheinischen Meister, dass 1986 entstandene „Bonjour Mr Beuys“, das für eine Ausstellung im Lenbachhaus kurz nach Beuys’ Tod ent- stand. Beide Künstler sahen in der aktiven gei- stigen Mitwirkung des Betrachters eine wesentliche Voraussetzung ihrer archa- ischen, metaphysischen Kunst, die mit einfachen Materialien eine wunderbare Magie zu erzeugen versteht. (Michael Reuter)

Vincent Tavenne Sender Äther Empfänger Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Hospitalhof, Stuttgart; im Institut Français, Stuttgart; in den Räumen für Kunst und Scholz, Stuttgart; im Rathaus Stuttgart; in der Speisemeisterei, Schloss Hohenheim, Stuttgart und in der Städi- schen Galerie Waldkraiburg Hg. von S. Benzing, T. Grässlin, N. Hagstotz, G. Scholz, H.A. Müller, Elke Keiper. Mit Texten von Hans-Jürgen Hafner und Xavier Zuber Eigenverlag, Stuttgart, 2008, ISBN 978- 3-00-025833-6, 79 Seiten, zahlreiche Farbabb., Klappbroschur, Format 32 x 23 cm, € 20,--

Was für ein Aufwand. Eine Ausstellung an fünf verschiedenen Orten in Stuttgart, Eröffnungen von 14-21 Uhr, der Katalog dokumentiert die Einzelausstellungen der letzten sieben Jahre und sogar das „Ver- nissage TV“ drehte einen Zweiteiler fürs Internet. Ney York, Paris, Stuttgart: the sky´s the limit. Alles für lustig-bunte Stoffinstallationen und einige Gouachen mit ebenso bunten Vincent Tavenne, Ohne Titel, 1999, Stoff, Holz, H 350 cm, Durchmesser 300 cm Globen des 1961 geborenen Franzo- Ausstellung Hospitalkirche Stuttgart, 2008. Copyright: Räume für Kunst und Scholz, Stephanie Benzing, sen Vincent Tavenne. Seine tragbare, Thomas Grässlin, Nanette Hagstotz, Gregor Scholz; Hospitalhof Sutttgart

108 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Scholz. New York, Paris, Stuttgart: the Entdeckung ist die 1963 in Seoul/Korea Mit Ironie lässt es sich einigermaßen gut sky is the limit. geborene Yee Sookyung, die mit Skulp- leben, auch weil man dann eigentlich (Michael Reuter) turen aus Keramikbruch und riesigen nicht wirklich Stellung beziehen muss. Zeichnungen in Zinnoberrot an den Start Man stellt das Bild einfach in die Welt geht. Die „Translated Vases“ erinnern und findet so vielleicht jemanden, dem Bettina van Haaren mit ihren vergoldeten Klebeverbin- es gefällt oder – besser noch – der sich Der vierte Gesang dungen an geäderte Körperorgane oder dagegen wehrt. Wobei letztere Reaktion Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Wucherungen. Dazu gibt es einen unver- besser wäre, weil man gezwungen ist, in der Galerie der Stadt Backnang vom ständlichen Text über die Welt des Selbst Stellung zu beziehen und so der Maler 29.09. – 19.11. 2006 und die Welt des „Anderen“, der darauf etwas mehr erfährt über sich und über die Hg. von der Galerie. Mit Texten von hinausläuft, dass die Künstlerin den Be- Welt. Martin Schick und Gunnar Schmidt ginn einer neuen Möglichkeit aufzeigt, So gesehen ist mir die Malerei von Bé- Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg, „den Konflikt zwischen Religion und nédicte sympathisch, auch wenn mein 2006, ISBN 978-3-88423-274-3, 60 Sei- Kunst beizulegen“. Vielleicht liegen die Umfeld sofort beginnt, die Zitate aufzu- ten, 56 Farbabb., gebunden, Format 29 x Dinge in Korea anders, hier im Abend- zählen. Schön für das Umfeld, wenn sie 24 cm, € 24,95 land ist der Konflikt bereits entschieden: so viel wissen, aber Wissen kann auch Die Kunst ist die Religion des gehobenen den Blick verstellen. Und was macht Die Malerei der 1961 in Krefeld gebo- Bildungsbürgertums und kämpft, wie die man am Ende, wenn man so viel oder renen Bettina van Haaren lässt sich nur anderen Konfessionen auch, mit galop- alles weiß?! schwer einordnen. Isolierte, fein ausge- pierendem Mitgliederschwund. (Siegfried Kaden) malte Gegenstände wie Kinderspielzeug, (Michael Reuter) Obst, Schüsseln, Kleidung, Birkenstäm- me oder Tennisbälle treffen im leeren, rot red rouge weißen Bildraum auf demontierte, nur in Bénédicte Peyrat Studien zu einer Farbe Umrissen grob angedeutete Selbstbild- Publikation zur Ausstellung vom 25.11. Publikation zur gleichnamigen Ausstel- nisse der Künstlerin. Arme und Beine – 23.12.2007 im Mannheimer Kunstver- lung vom 08.03. – 22.06.2008 in der sind teilweise vom Rumpf getrennt. ein zum Preis der Kuratoriums Residenzgalerie Salzburg Manchmal sind die Beine ausgemalt. Hrsg. vom Mannheimer Kunstverein mit Hrsg. von Gabriele Groschner mit Texten Wie die skizzenhaften Gesichter wirken Texten von Martin Statker und Markus u.a. von Tania Hölzl, Dorothea Kaan und sie seltsam alt, durchzogen von dunklen Lepper der Herausgeberin Adern. Ein pessimistischer Blick in die Verlag für moderne Kunst Nürnberg, Residenzgalerie Salzburg, 2008, ISBN Zukunft. Dazu viele Puppen und Puppen- 2007, ISBN 978-3-939738-99-2, 56 S., 978-3-901443-30-5, 124 S., zahlr. köpfe, vom Körper separierte Brüste und zahlr. Farbabbildungen, Hardcover ge- Farbabb., Broschur, 21 x 21 cm, € 7,-- ausgesparte Geschlechtsteile. „Spielen, bunden, Format 27,5 x 21 cm, € 24,-- genießen, nicht wissen – das könnte der Man hat viel über die Farbe „Blau“ ge- geheime Untergrund der Kunst Betti- Bénédicte Peyrat malt offne Knie. Es ist schrieben und über die Wahrnehmung na van Haarens sein“, schreibt Gunnar richtig, wie Martin Statker im Vorwort von Farbe. Nun wird hier über die Far- Schmidt. „Doch alles geht über in die des Katalogbuches vermerkt, dass hier be „Rot“ reflektiert. Das Ganze wirkt Abgeklärtheit der Seelenwundheit.“ aus dem reichhaltigen Depot der Kunst- etwas bemüht und hat etwas von einer (Michael Reuter) geschichte zitiert wird. Diese Malerei wissenschaftlichen Arbeit, die sich nicht lebt u.a. von Zitaten, freilich immer mit unbedingt in einer Ausstellung darstellen der Gefahr sich im Zitieren zu verlieren muss. Sich diesem Thema aus mehreren Yee Sookyung oder auch nicht. Da gibt es die Zitate, Richtungen (Disziplinen) anzunähern, Broken Whole aber auch einen hintergründigen Humor, ist interessant, rechtfertigt aber keine Katalog zur gleichnamigen Ausstellung der die Zitate Zitate sein lässt und einen Ausstellung, in der die Texte auf die in der Galerie Michael Schultz Berlin Bildwitz, besser, eine Ironie erkennen ausgestellten Objekte nur verweisen. vom 06.09. – 19.10. 2008 lässt. Hans Gercke hat vor Jahren im Heidel- Hg. von der Galerie. Mit einem Text von Diese Malerei ist eigentlich nichts Neu- berger Kunstverein eine Ausstellung zum In Hwang es, aber Innovationen lassen sich auch Thema „Blau“ gemacht. Hier gelang es Eigenverlag, Berlin, 2008, ISBN 3- kaum noch bewerkstelligen bei dieser Gercke, Stimmung zu erzeugen ohne 939983-23-1, 66 Seiten, 24 Abb., davon Flut von optischer Information, von guter schulmeisterlich über die Farbe Blau zu 23 farbig, Broschur, Format 21 x 24,5 und schlechter Kunst, der wir heute fast schwadronieren. Bei dieser Ausstellung cm, € 15,-- täglich begegnen. Freilich macht sich vermittelte sich Sinnlichkeit. Der Kata- dann auch Zynismus breit – Zeichen von log war dramaturgisch so gestaltet wie Wo kriegt Galerist Michael Schultz nur Hilflosigkeit. Man zitiert einfach, ohne die Ausstellung – interessant. immer die Künstler her? Seine neueste zu hinterfragen. (Siegfried Kaden)

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 109 Ugo Dossi – Reset Christiane Baumgartner“ handelt von Jahre in Aschaffenburg, die mit zweit- Katalog anlässlich der gleichnamigen der Integration der dritten Dimension im klassigen Eigenbestand der Cranach- Ausstellung im Felix-Nussbaum-Haus zweidimensionalen Bild und vergleicht werkstatt („Cranach im Exil“) oder aber, Osnabrück, vom 26.10.2007-13.01.2008 die Künstlerin mit Kollegen, von Claude obwohl fast keine Originalwerke von Mit einem Vorwort von Inge Jaehner Mellan im 17. Jahrhundert über Wolf Grünewald zu sehen waren („Das Rätsel sowie Texten von Manfred Schnecken- Vostell bis hin zu Gerhard Richter. Grünewald“), große Events zu insze- burger und Alla Chilova (Anna Siemon) nieren vermochten. In Karlsruhe und Verlag des Museums- und Kunstvereins Colmar gibt es dagegen viel originalen Osnabrück e.V. 2007, ISBN 978-3- Grünewald, allerdings zeigten die Aus- 926235-29-9, 89 S., zahlreiche Farb- Grünewald und seine Zeit stellungen – zumindest, was die Gemälde hochglanzabbildungen, Hardcover ge- Katalog zur gleichnamigen Ausstellung anbelangt – hauptsächlich, was man oh- bunden, Format 29,5 x 23,5 cm, € 15,-- in der Staatlichen Kunsthalle Karlruhe nehin im Hause hat. vom 8.12.2007 – 2.3.2008 Als Attraktion deklariert wurde das Zu- Der von Dossi gewählte Titel „Reset“, Hrsg. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe sammenbringen der vier Grisaille-Tafeln in der Computersprache für Neustart München/Berlin 2007, ISBN 978-3- des Helleraltars: zwei befinden sich in stehend, wird hier im biblischen Sinne 925212-71-0, 436 S. mit zahlreichen der Sammlung in Karlsruhe, zwei kamen für Ursprungszustand verwendet. Im Abbildungen, kartoniert, Format 24 X 30 vom Städel aus Frankfurt. Doch warum Interview mit Alla Chilova vergleicht cm, 39,90 € (Buchhandelsausgabe) holte man nicht auch die Kopie des ge- Ugo Dossi den Inhalt seines Werkes mit samten Altars (der im Original verloren einer Reise durch Zeit und Raum. Der Grünewald – Blicke auf ein Meister- ist) aus dem dortigen historischen Muse- für seine weitaus mehr als 38 Komplett- werk (regards sur un chef-d’oeuvre) um, die dann tatsächlich den Kontext der seiten Hochglanzabbildungen preiswerte Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Standflügel Grünewalds im Gegenüber Katalog gibt die inhaltliche wie auch im Musée d’Unterlinden Colmar vom zur Mitteltafel Dürers nachvollziehbar räumlich verblüffende Parallele zu der 8.12.2007 – 2.3.2008 gemacht hätten. Architektur des Felix-Nussbaum-Hauses Hrsg. Somogy éditions d’art Sensationell wäre es gewesen, wirklich gut wieder. Paris 2007, 280 S. mit zahlreichen Abbil- das relativ kleine Oeuvre - von Grüne- (Anna Siemon) dungen, kartoniert, Format: 24 x 32 cm wald sind, zählt man die Tafeln des Isen- 34,90, (Buchhandelsausgabe) heimer Altars einzeln, überhaupt nur un- gefähr 25 Gemälde erhalten - einmal in Christiane Baumgartner Die Bilder Grünewalds sind von seltener einer Gesamtschau zusammenzubringen, Katalog anlässlich der Ausstellungen des Eindrücklichkeit und seine Stellung in aber doch wohl des Wünschenswerten zu Mönchehaus Museum für moderne Kunst der Kunstgeschichte in ihrer herausra- viel. Dass die „Stuppacher Madonna“, Goslar vom 07.07.-23.09.2007 sowie des genden Einmaligkeit unbestritten. Diesen die neben der Aschaffenburger Grable- Städtischen Kunstmuseum Spendhaus Künstler mit einem erstmals kooperati- gung noch heute als einziges Bild Grüne- Reutlingen vom 12.07.-05.10.2008 ven – und zudem grenzüberschreitenden wald in einer Kirche aufgestellt ist, nicht von diesen auch herausgegeben, mit – Ausstellungsprojekt der beiden Museen, gezeigt werden konnte, mag verständlich Vorworten von Dr. Bettina Ruhrberg und die über den bedeutendsten Bestand an sein, bedauerlich ist es jedoch, dass sich Herbert Eichhorn sowie einem Text von Gründwalds Werken verfügen, wieder ins auch die musealen Sachwalter der Mün- Jasper Kettner, Bewusstsein einer größeren Öffentlich- chener „Erasmus-Mauritius-Tafel“ oder Altenburg 2007, ISBN 978-3-00- keit zu bringen, ist daher in der Intention der Tafel des „Maria-Schnee-Altares“ 021972-6, 55 Seiten, zahlreiche s/w- und unbenommen und sehr zu begrüßen. in Freiburg offensichtlich nicht zu einer Farbabbildungen, Broschur/Softcover Ausleihe entschließen konnten. mit Klappumschlag, Format 27 x 21 cm, Allein man fragte sich nach dem Anlass: In der Tat sensationell und von hoher € 15,-- warum gerade jetzt? Außer dass die Faszination war die große Zahl der aus- wichtige Phase der künstlerischen Wirk- gestellten Zeichnungen an beiden Orten. Der Katalog umfasst Werke der vergan- samkeit Grünewalds vor ca. 500 Jahren Namhafte Leihgeber waren hier wohl genen zehn Jahre der 1967 geborenen begann, sind doch die Hauptwerke – wie weitaus weniger zögerlich. Ein Schwer- Leipziger Künstlerin Christiane Baum- etwa der Isenheimer Altar – nur ungefähr punkt in Colmar lag bei den Vorstudien gartner. Auf sich teilweise nicht in ihrem und dann jedenfalls einige Jahre später zum Isenheimer Altar, in Karlsruhe wur- Grundmotiv differenzierenden men- zu datieren. den ein Großteil der berühmten anderen schenleeren Holzschnitten werden Fort- So lassen sich die Ausstellungen in die Blätter aus dem gleichermaßen schmalen bewegung und Landschaften dargestellt derzeit gerade auch andernorts werbe- zeichnerischen Oeuvre gezeigt, ergänzt und die Entstehungsphasen der Bildseri- wirksamen Präsentationen der „alten jeweils durch Hervorragendes aus der en werden sichtbar. Meister“ einreihen, man vergleiche etwa Hand von Grünewalds Zeitgenossen. Jasper Kettners Text „Holzschnitt in „Cranach der Ältere“ in Frankfurt – oder Beide Ausstellungen zusammen ge- Bewegung – Zeit in der Druckgrafik von gar die Ausstellungen der vergangenen nommen (noch mit dem Hinweis, dass

110 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 im Anschluss der Zeichnungsbestand Eine Ausstellung zum Thema Tanz ist et- Hg. Stadt Gelsenkirchen und andere noch einmal von März bis Juni 2008 im was Besonderes. Besonders in Kuba, wo edition 2006, Friedrichstr. 105 b, 10117 Berliner Kupferstichkabinett präsentiert die Musik und die Bewegung den Men- Berlin: 2008 (peter.appelt@edition2006. wurde) legt nahe, dass dieser intimere schen schon in die Wiege gelegt werden. de), 96 S., deutsche/englisch, s/w- und Teil der Kunst Grünewalds in solcher Jede Familie ist stolz darauf, wenn ihre Farbabbildungen, kartoniert, € 19,80 Vollständigkeit absehbar wohl für lange Tochter in eine Ballettschule geht. Alle Zeit kaum mehr zu sehen sein wird. kleinen Mädchen haben den Traum, eine Das Katalogbuch dokumentiert Momente große Balletttänzerin zu werden und so im Lebenswerk eines dem Ruhrgebiet Einige Anmerkungen zu den Publikatio- groß und so berühmt zu werden wie die entstammenden Künstlers. Als Steinmetz nen: Beide Kataloge bringen eine große Kubanerin Alicia Alonso. ausgebildet, studierte er an der HdK im Zahl guter Abbildungen und profunder Die Ausstellung „Imagines de la Danza“ ehem. West–Berlin mit Schwerpunkt Erläuterungen zu den Exponaten. Die konnte zum Internationalen Ballettfesti- Skulptur (Meisterschüler bei Prof. Alex- Aufsätze von insgesamt ca. 25 AutorIn- val leider nicht im Museo de la Danza ander Gonda). Sein Oeuvre reicht von nen behandeln ein breites Spektrum von stattfinden, sondern musste in die Natio- der gezeichneten Linie bis zur Kunst am Einzelfragen und Kontextbezügen. Der nalbibliothek ausgelagert werden, weil Bau und im öffentlichen Raum, von der innovative Ertrag für die Grünewaldfor- Hurrikan „Ike“ das Gebäude beschädigt Papierarbeit zur Objektgestaltung, von schung erscheint allerdings eher gering. hatte. der Lichtkunst zur Land Art. Und diese Man erfährt das Bekannte bzw. findet Die Ausstellung ist Alicia Alonso gewid- führte ihn zurück: es war in der Zeit der das wenig Bekannte zur Biographie ein met, eine Ikone des kubanischen Balletts. beginnenden Transformation des alten weiteres Mal bestätigt: Zülchs Identifi- Ausgerichtet und ausgewählt wurde die Industriereviers mit dem Auslaufen der kation des Malers mit „Mathis Gothart Schau von Pedro Simon, dem Ehemann Bergung von Kohle und Erzen in Gruben N(e)ithart“. Ob die Ausführungen zur von Alicia Alonso und dem Direktor des und Schächten. Hier und da, wo Mut Tätigkeit eines „Wasserkunstmachers“ Museums, von Colunga, dem Sub-Direk- war, auf kommunaler wie Künstler-Seite, – so im Karlsruher Katalog – erhellend tor und von dem kubanischen Kunstpro- begann nun Kunst davon Besitz zu er- für das Verständnis der Kunst Grünewald motor Angel Felipe Villar. greifen. sind, sei dahingestellt. Auch die neue Die Auswahl der Bilder und der Künstler Hypothese – im Colmarer Katalog – dass ist einfühlsam und individualistisch. Es Hier gewann er zusammen mit dem Kol- Grünewald seine Tafeln des Isenheimer geht um gute Malerei von künstlerischer legen H. Es Richter den ersten Preis im Altars in der Werkstatt des Bildhauers und handwerklicher Qualität. In der Aus- von der IBA-Emscherpark ausgeschrie- Nikolaus Hagenauer in Straßburg gemalt stellung sind in der Mehrzahl kleinere benen Wettbewerb für eine großflächi- haben könnte, nimmt sich doch eher be- Formate. ge Gestaltung der Halde Rungenberg, scheiden aus. Alle Künstler setzen sich mit dem The- Gelsenkirchen-Buer – ein langwieriges Ein wirkliches Verdienst – vornehmlich ma ‚Tanz’ auseinander. Im Gegensatz Vorhaben, und es gelang.: Ein in der der Ausstellung in Karlsruhe – ist die zu einer gleichzeitigem Ausstellung im Senke der Halde verwirklichtes „Schie- Erschließung des theologischen und Nationalmuseum – wo es viele Repro- nenplateau“ erinnert nun an die einstigen frömmigkeitsgeschichtlichen Kontextes, duktionen von namhaften, kubanischen Transportwege der Loren. Die zwei pyra- sowie der Traditionen christlicher Ikono- Künstlern gibt – was man vielleicht als midenartigen Spitzen der Halde wurden graphie, in der Grünewald Darstellungs- etwas respektlos bewerten sollte; finden mit einer gedoppelten „Lichtzeichen- weise steht. Hier wäre bei der Präsenta- wir hier in der Mehrzahl Originale. Landmarke“ bekrönt, die, noch von der tion ein Konzentrieren auf weniger Ver- Die Bilder sind poetisch, narrativ – die fernen Autobahnstrecke erkennbar, diese gleichsbeispiele für das breite Publikum große Stärke der Kubanischen Malerei. zu einer weiteren, nun Licht-Pyramide vielleicht hilfreich gewesen. Die Ausstellung selbst ist eher still, bie- zusammenführen und überhöhen. Wie Auf die kompetente Bearbeitung der Ma- dert sich nicht an durch Großformatiges, ihn die Härte von Gestein, aus der Tiefe terialfülle des gewichtigen Katalogbu- sich stilistisch Wiederholendes, sondern ins Tageslicht befördert, in vielen As- ches möchte man allerdings schwerlich hat etwas Originäres. semblagen beschäftigt, so auch dessen verzichten. Eine wirklich respektvolle Laudatio an potentielle Fruchtbarkeit im Kreislauf (Reinhard Lambert Auer) die große Künstlerin Alicia Alonso. Ihre von Industriearchäologie und botani- Person wird hier nicht als spektakuläres scher Revitalisierung einer Landschaft. Event lauthals gefeiert, sondern ihr wird Gleichsam in Modellbehältnissen zwi- Imagines de la Danza gehuldigt – mit Würde. schen Wasser und Stein herangezüchtete Mehrteiliges Leporello zur Ausstellung (Siegfried Kaden) Wachstumsstrukturen – kehren groß- „Imagines de la Danza‘‘ („Bilder vom flächig an den einst öden, jetzt sich mit Tanz“) vom 17.10. – 10.11.2007, Platz Moosen begrünenden Hängen zwischen der Revolution, Havanna, Cuba. Klaus Noculak neuen Spazierwegen zurück. Basaltstein, Format 12 x 7 cm, 24 Farbabbildungen Organische Geometrie – Skulpturen vom Künstler abgebaut in der Eifel, kehrt mit einem Text von Nelson Herrera. Zeichnungen. vielgestaltig im Innen wie Außen von

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 111 Wohn-, Begegnungs- und Forschungs- Im Palast des letzten Dogen von Vene- bringt: es ist der Zweifel. Der Zweifel zentren wieder. Das langjährige Projekt dig, umgeben von einer in die Ausstel- deckt die Klischees im Bereich der Reli- „Vegetatio“ (seit 1984 – da wusste wohl lung einbezogenen herrlichen Parkland- gion auf und stellt der Kunst umgekehrt selbst die Dokumenta noch nicht von schaft sind Werke von 28 Künstlerinnen Fragen und setzt ihr Grenzen. solchen Erkundungen?) spielt mit Ba- und Künstlern zu sehen mit Arbeiten ab Lohnenswert ist der Katalog mit einer saltlavastücken und hält in Glasschalen 1989 . ausführlichen Darstellung der ausgestell- Lavasande vom Stromboli und Holz als Vor der Barockvilla ist das Vanitas – ten Werke. Substrate für Pilze und Moose bereit. In Werk „Mind shut down“ von dem Inder (Ernst Wittekindt) „Oxydlinie“ (1987/2000) finden sich, Subodh Gupta aufgestellt, ein riesiger schwarz-metallisch gerahmt, Eisenspäne Totenkopf aus Küchenutensilien. In den in handgeschöpftem Papier Ausstellungsräumen wird das Thema Brus’s + Blake’s Jobs Die Außenprojekte sollen nicht die Ob- God & Goods präzisiert: Ist Religion für Katalog zur gleichnamigen Ausstellung jektstudien vergessen lassen, in denen uns nur noch eine Ware, die wie ein Bon- vom 18.10.2008 – 25.01.2009 in der Variationen der Konkreten Kunst als bon gelutscht wird(Felix Gonzalez-Tor- Neuen Galerie am Landesmuseum Joan- Einzelstücke im Raum oder als Raum res „Untitled“- Blue Placebo 1991) oder neum Graz mit Objekten durchgearbeitet werden. ist sie eine süchtig machende Droge, die Verlag Ritter, Klagenfurt, 2008, ISBN „Farbraum-Skulpturen“ entstehen dabei, uns abhängig macht wie den Kettenrau- 978-3-85415-432-7, 176 S., 162 Farbab- die in Form wie Farbgebung der Präzisi- cher von seiner Zigarette? Hat nicht un- bildungen., broschiert, € 35,-- on huldigen, minimalistisch beide. Dabei ser täglicher Warenkonsum eine Schall- kommt es zu immer neuen Versuchsan- mauer geschaffen, über die uns Religion Es ist das Verdienst des Ritter-Verlages ordnungen, auch in der Fläche, etwa mit nur noch wie eine Ware erreicht? in Klagenfurt, dass nach einer längeren „Eckskulpturen“ (Graphit auf Papier). Eindrücklich ist daher einerseits Sarah schweren Krankheitsphase und einem Man staunt, wie die Dreidimensionalität Lucas mit der Figur des Gekreuzigten, damit verbundenen Schaffensabbruch sich in die „Geometrie“ findet, gleichsam gesteckt aus Zigaretten („In Christ You wieder ein Werk von Günter Brus er- eine „freundliche Übernahme“. Erst recht Know It Ain’t Easy“, 2003), bei der das scheint und auf einer Ausstellung anläs- lebt sie sich hier aus im Raum: er selbst Bild des Gekreuzigten keine Ehrerbie- slich eines Symposiums zu seinem 70. wird zum Spieler. So ein Kommentar zu tung mehr auslöst und nur noch wie eine Geburtstag in der Neuen Galerie in Graz dem Projekt „Theater konkret“ (2006). Ware als klassische Ikonografie konsu- gezeigt werden kann. Auf Initiative von Dass sich Kirchengemeinden anmuten miert wird. Peter Weibel soll in Graz ein so genann- ließen, um eine Altargestaltung zu bitten Von Richard Prince finden sich Cowboy- tes „Bruseum“ als ständige öffentlich- (St. Bonifatius, Hagen/Westf.) – wen Darstellungen, die der Künstler aus der keitswirksame Ausstellungsstätte auf den kann es überraschen? bekannten amerikanischen Marlboro- Zi- Weg gebracht werden, die das Schaffen (Manfred Richter) garettenreklame mit ihren Freiheits- und des Künstlers, des „Vertreters der per- Zukunftssehnsüchten herausgenommen manenten Aufklärung“ (Brus über Brus) hat und ohne den kommerziellen Kontext umfangreich dokumentiert und präsen- God & Goods damit zu Bildern einer positiven Weiter- tiert. Spirituality and Mass Confusion entwicklung des religiösen Freiheitsbe- Katalog zur gleichnamigen Ausstellung wusstsein werden lässt. In seiner „Bild-Dichtung“ mit dem vom 20.04. – 28.09.2008 in der Villa Besonders eindrücklich ist Adel Abddes- doppeldeutigen Titel Brus’s + Blake’s Manin, Centro d’Arte Contemporana seneds 1996 entstandenes Video Joueur Jobs umkreist Brus in 162 Blättern Verlag Azienda Speziale Villa Manin, de flúte: ein alter, nackter Imam spielt ein mehr als achtzig zeichnerische Arbeiten Piazza Manin 10, Passariano, info@vil- religiöses Lied der Berber. Er findet im des englischen Naturmystikers, Poeten lamanincontemporanea.it Alter wieder, was ihm zuletzt bleibt und und bildenden Künstlers William Blake 149 S. in Italienisch und Englisch, zahl- was sich seit seiner Geburt in ihm einge- (1757-1827), die ihm faksimiliert in reiche Illustrationen nistet hat: die Melodie seiner Religion, Buchform vorlagen. Der Buchtitel ist ein seine Identität und seine Menschlichkeit. Hinweis auf das 1825 erschienene Spät- Im letzten Sommer gab es in Europa Im Park, an der Spitze eines alten Bau- werk Blakes: „The Book of Job“, – das zwei große Ausstellungen zu den Fragen mes, sieht man eine schwarz gekleidete Buch Hiob. Er überarbeitet die Vorlagen von Gegenwartskunst und Religion. Frau mit erhobenen, segnenden Händen in Mischtechnik mit Texten und Bildern In Paris wurde im Centre Pompidou in Lebensgröße(“Frau C.“ 2007 von und verwendet dabei zum ersten Mal „Traces du sacré“ gezeigt (danach in Maurizio Cattelan), die auf ihrer Him- Collagen. München als „Spuren des Geistigen“ bis melfahrt an den Grenzen unseres Schau- Die von Blake vorliegenden Zeichnun- 11.01.09) und in der Villa Manin nördlich vermögens stecken geblieben ist. gen zu biblischen und naturmystischen von Venedig „God & Goods“ mit dem In der Ausstellung ist zu erfahren, was Themen werden von Brus übermalt, Untertitel „Spiritualität und Massenkon- Gegenwartskunst und Religion heute neuvertextet und aktionistisch über- fusion“ gemeinsam haben und sie einander näher zeichnet. Im Spannungsverhältnis steht

112 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 die Auseinandersetzung zwischen dem zum Weltverständnis der Zweifel an die Rudolf Schwarzkogler, Hermann Nitsch religiösen Blake und dem agnostischen Existenz einer göttlichen Vernunft, so und Otto Mühl wurde Brus angezeigt, Brus. Den 21 Radierungen Blakes, die dass für ihn Blake mit seiner „katechis- verhaftet und zu sechs Monaten Arrest den duldenden und verzweifelten Hiob musgläubigen Wissenschaftsfeindlichke verurteilt. Jahre später steht der Aktio- in der Abgründigkeit der Welt zeigen, it“(so Brus) zu einem „philosophischen nismus in der Kunst hoch im Kurs, der setzt Brus heftigste Kritik entgegen. „I Reaktionär“(Brus) wird. „Staatsfeind“ und einst „meistgehasste look thro’it, not with it“ nicht mit dem Österreicher“ wird Staatspreisträger und Auge, sondern durch das Auge hindurch Was das Buch so interessant macht: Gün- findet internationale Anerkennung. Heute werden die Dinge in ihrer geistigen ter Brus ist Mitbegründer des Wiener Ak- rechnet er zu den wichtigsten österreichi- Dimension erkannt. In dieser Wahr- tionismus, ein manischer Farbstiftkünst- schen Künstlern nach 1945. nehmung der Welt weiß sich Brus mit ler, ein „Bild-Dichter“ von internationa- Nach 1970 beginnt Brus mit seinen Blake einig. Blake aber ist mit seiner lem Format. Der schüchterne Querkopf, Bilddichtungen. Bild- Dichtung heißt für Methode des Visionärs in den Augen den die österreichischen Tageszeitungen ihn: Wort und Bild, Zitat und Fantasie, von Brus der „Begründer des Fantasti- im Sommer 1968 zum „meistgehassten Traum und Wirklichkeit. Letztlich bleibt schen Irrationalismus“. Ihn verbindet Österreicher“ erklärten, hatte bei einer Bruns mit diesem Werk von 2008 nach mit Blake die gedankliche Einheit von umstrittenen Aktion am 7.Juni 1968 in wie vor ein Tabubrecher, der „die Mu- Schrift und Bild und die Besessenheit, der Universität Wien „Körperanalysen“ schel Schwermut in der Perle des Her- die „Bild - Dichtung“ als künstlerische gezeigt, die die Zeitungen anschließend zens“ trägt (so der Titel einer Zeichnung Gattung durchzusetzen. Aber Brus trennt als „Uni-Ferkeleien“ beschrieben. Mit von 1981). von Blake’s gedanklichen Abrissen anderen Aktionisten wie Oswald Wiener, (Ernst Wittekindt)

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 113 Juliane Stiegele, Moritzkirche Augsburg

Artheon-Kunstpreis 2008 und Architekten erstmals auch Auftrag- Der Artheon-Kunstpreis wird für eine Rückblick und Ausblick geber aus Kirche und Diakonie, einer- realisierte Arbeit verliehen und ist seits um auch weniger bekannte Projekte eine gemeinsame Auszeichnung für Nach gut zweijähriger Vorarbeit wurde im kirchlichen Raum würdigen zu kön- den Künstler/Architekten und seinen im April 2008 der fünfte Artheon-Kunst- nen, andererseits um damit eine größere Auftraggeber. Die Preisverleihung soll preis verliehen, wobei zum ersten Mal Verbreitung künstlerischer Initiativen an- grundsätzlich (und nach Maßgabe der eine Jury den Preis und hatte die Mög- zuregen. Damit möchte die Gesellschaft jeweiligen Möglichkeiten) am Ort der lichkeit – was ebenfalls neu ist – zusätzli- für Gegenwartskunst und Kirche nicht prämierten Arbeit erfolgen. che Anerkennungen auszusprechen. Mit zuletzt weitere kirchliche Bauherren und über 60 Einreichungen von Projekten Veranstalter ermutigen, sich mit zeitge- Die Einreichung und Auswahl erfolgte erreichte der Artheon-Preis schon im nössischer Kunst auseinanderzusetzen. in einem zweistufigen, offenen, nicht ersten Anlauf seiner Ausschreibung in Eingereicht werden konnten Projekte, die anonymen Teilnahmeverfahren. In der neuer Form das Ziel einer umfassenden in den letzten fünf Jahren realisiert oder zweiten Stufe des Verfahren wurden die Bestandsaufnahme aktueller künstleri- ausgelobt wurden, in folgenden Katego- in der ersten Stufe ausgewählten Orte, scher Arbeiten im kirchlichen Kontext. rien: Teilnehmer und Projekte – sofern nicht Aufgrund der hohen Qualität vieler - temporäre Aktionen und künstlerische schon während der Realisierung gesche- eingereichter Arbeiten vergab die Jury Interventionen hen – durch einen der Juroren besucht. neben dem Hauptpreis neun weitere An- - dauerhafte Installationen und künstleri- Die Preisträger erhalten einen Druck- erkennungen. sche Ausstattungen kostenzuschuss für eine Publikationa in Zielgruppen und Teilnahmeberechtigte - Umgestaltungen Höhe von 3.000 Euro und erhalten das des Kunstpreises waren neben Künstlern - Neubauten Recht, in ihren Publikationen und am

114 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Gebäude mit dem Artheon-Logo auf die Renovierung der Kirche vorangetrieben die Gemeinde eine von Werner Mally Auszeichnung hinzuweisen. werden könnte. gestaltete Bronzetafel „Artheon- Kunstpreis 2008 Kunstpreis 2008“, die am Eingang der Im Rahmen der Preisverleihung am 26. Die Anerkennungen des Artheon Kunst- Kirche angebracht werden wird. April 2008 in Augsburg wurden alle aus- preises 2008 gingen an folgende Projek- Die Ausschreibung des nächsten gezeichneten Arbeiten vorgestellt. Gast- te: Artheon-Kunstpreises soll nach den geber der Festveranstaltung war die Kir- Familienkirche Sonnborn derzeitigen Planungen entweder im che St. Moritz, der Ort, an dem das mit Ahad Architekten | Ev. Kirchengemeinde Jahr 2011 oder eventuell bereits zum dem Hauptpreis ausgezeichnete Kunst- Wuppertal-Sonnborn Ökumenischen Kirchentag 2010 in werk realisiert wurde, die Rauminstallati- Innenraumgestaltung Martinskirche München erfolgen. on void_ von Juliane Stiegele. Mit void_ Bernhard Huber | Ev. Kirchengemeinde (Marcus Nitschke) wurde der Innenraum der Augsburger Oberesslingen Kirche St. Moritz während der sechswö- Fliegende Kathedrale a) Die Publikation ‚Juliane Stiegele, Void’, ist im chigen Fastenzeit von Februar bis April Jan Kaeser und Martin Zimmermann März 2009 im Verlag für moderne Kunst Nürnberg unter der ISBN-Nr. 978-3-941185-18-0 erschienen. 2007 zu einer künstlerischen Installation, – mit Unterstützung des Kantons St. die die Tradition des „Bilderfastens“ neu Gallen formulierte und zur „ästhetischen Aske- Interdisziplinäres Jugendkirchenfestival; se“ einlud. 49 + 7 mal Deine Möglichkeiten. Palet- Vom Aschermittwoch bis Karsamstag ten in die Kirche! 2007 wurde der Kirchenraum von Kirchentrojaner | Gesamtkirche Stuttgart St. Moritz in Augsburg radikal – Projekt Jugendkirche, Pfarrerin Petra verändert: Die in Augsburg Dais lebende Künstlerin Juliane Stiegele Andachtsort für die Märtyrer des 20. entfernte unter aktiver Mitarbeit Jahrhunderts im Marienschiff der Basili- zahlreicher Gemeindemitglieder und ka St. Ursula mit Unterstützung ortsansässiger kister scheithauer gross architekten und Unternehmen alle optischen Fixpunkte stadtplaner GmbH | Kath. Kirchenge- aus dem Kirchenraum, so unter anderem meinde St. Ursula Köln die in den Kirchenraum eingebrachten St. Hedwig_24 Stunden Skulpturen, die Kirchenbänke und die Diana Obinja | Domgemeinde St. Hed- liturgischen Alltagsgegenstände. Die für wig Berlin den Sakralraum wesentlichen Elemente Marienbild wie die raumbildende Architektur, die Andrea Viebach | Pfarramt St. Maximili- Lichtführung, der Spielraum für die an Kolbe München liturgische Handlung und die Gemeinde Kunst in der Kirche (Ausstellungsreihe) fanden innerhalb der Installation „void_“ Johanneskirche Hanau einen neuen, überraschenden Fokus. Drei Altarbilder „Verankert“ war void_ zeitlich durch Klaus Zolondowski | Ev. Krankenhaus die Einordnung in der Fastenzeit und Oberhausen räumlich in der reinen, unverzierten Architektur des Kirchenschiffs. Die von Das Fest zur Preisverleihung begann der Gesellschaft für Gegenwartskunst mit einem ökumenischen Gottesdienst, und Kirche Artheon beauftragte Jury der gemeinsam von der Moritzkirche war von der Radikalität der Aktion und Artheon konzipiert wurde. Die und den sich daraus ergebenden Preisverleihung fand anschließend im außergewöhnlich sensiblen Perspektiven Großen Festsaal der Moritzkirche statt. auf einen Sakralraum beeindruckt. Im In ihrer Festrede hob Jutta Höcht-Stöhr neuen Wahrnehmen und in der Nutzung (Evang. Stadtakademie München) die des leeren Raums als Ort liturgischen exemplarische Bedeutung von _void Handelns eröffnen sich neue Chancen hervor. Besonders gewürdigt wurde für einen reflektierenden Blick auf den auch der Mut der Gemeinde zu diesem Glauben und seine Rituale. Darüber radikalen Eingriff in den Kirchenraum hinaus wird die Aktion von Juliane und die Begleitung des daraus Stiegele für die Gemeinde St. Moritz entstandenen Diskussionsprozesses in zum Ausgangspunkt und Anstoß für die der Augsburger Öffentlichkeit. Neben Frage, in welcher Form eine geplante dem Preis für Juliane Stiegele erhielt

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 115 Ökumenische Vesper St. Moritz war schon 1511 auf dem Heimweg von 6) Und nun kommt diese Gesellschaft Augsburg Samstag 26.4. 18h Rom im heute evangelischen Hl. Kreuz für Gegenwartskunst. Mit der sog. „mo- Manfred Richter gemeinsam mit Pfarrer (es musste nach Abriss wieder aufgebaut dernen“ Kunst also! Von der man doch Helmut Haug (der die Liturgie und Le- werden, doch umso schöner, und dafür weiß, wie windig sie ist. Die im klaren sungen in Abstimmung mit mir festlegte) gibt es das Hl. Kreuz nunmehr zweifach, Verdacht steht: – fremd! Unverständ- Lesungen Joh. 4,5-7.20-26 (Predigtbezug dicht nebeneinander). Dort fand ich dies lich! Die ja nun wirklich alles Mögliche insb. Joh. 4,24) und Verse aus Apk. 21 Einladungsblatt (gemeinsam mit kath. bedeuten kann – oder Unmögliches! Ja, (eingangs) Apk. 22 (abschließend, je zu St.Georg herausgegeben): „Ökumeni- eher nichts be-deutet. Oder das Nicht. Musik gesprochen) scher Impulsabend. Ich: Katholisch. Du: Was sie aber, genau genommen, zumeist Anmerkung: Die Predigt wurde frei ge- Evangelisch. Wir: Christen“. Wo in den doch nicht wirklich wagt. Und genau halten, die Passagen gerafft vorgetragen Fuggersälen derselbe Bruder Martinus das hatten wir hier: Kunst um das Nicht. vor Kardinal Cajetan 1518 stand, logie- Kunstvolle Leere. Eine leergefegte Kir- Gnade sei mit Euch und Friede von Gott rend bei Propst Frosch von den Karmeli- che – Bilder, Figuren, gar die Bänke: unserem Vater und unserem Herrn Jesus tern in St. Anna, der sich von da an „dem raus. Der heilige Ort – nackt. Christus – „im Heiligen Geist und in der Studium des Evangeliums widmete“, Wahrheit“ (Joh.4, 23f.)! wie es heißt. Und wo dann im Bischöfli- 7) Und das wird nun auch noch von der chen Palais Melanchthon vor Kaiser und „Gesellschaft für Gegenwartskunst“ Liebe ökumenische und kunstliebende Reich die schon immer ökumenisch ge- ausgezeichnet. Samt der Gemeinde Denn Gemeinde, meinte Augsburgische Confessio verlas die hatte ja mitgemacht, mit der Künst- hier zusammengekommen, z.T. von weit- – das Volk drängte sich an den Fenstern, lerin und ihren Zumutungen. Sicher mit her, in Augsburg: sie mitzuhören. einigem Zögern, anfangs. Aber dann: zog sie es durch, tapfer. Nun aber sieht A (Begrüßung) 4) Wir sind in der Stadt der Reformati- sie sich selber belohnt. Sie gewann eine 1) der alten Römerstadt – Augusta Vin- on und der Gegenreformation, die nach neue Ansicht und Einsicht in ihre eigene delicorum – und alten Sueven – Stadt! Kämpfen mit dem Westfälischen Frieden Kirche. Der fremde Blick der Künstlerin So alt wie Trier, über zweitausend Jahre. zur Stadtparität fand und dann, immer half ihr zu einem neuen eigenen Blick. Einer Stadt, die steht für das alte Europa neu vorn dran – wie im 16. so im 20. Jh. Dies wirkt bei ihr nach. wie kaum eine zweite. – die Ökumene vorantrieb: erstes „Öku- menisches Pfingsttreffen“ 1971 – lange 8) Und sie stellt fest, dass das „Neueste“ 2) Einer Stadt der Christen – von ältesten vor Berlin, wo es erst 2003, vor Mün- manchmal so neu gar nicht ist. Vielmehr Zeiten an. Einer Stadt der frühesten Mär- chen, wo es erst 2010 zu neuen ökumeni- das Älteste sein kann, das man verges- tyrer: der heiligen Afra, der man in der schen Kirchentagen kommen sollte. Und, sen hatte. Das „Bilderfasten“ der Augen Kapelle am Lechfeld und in der hochge- unvergessen, 1999, am Vorabend des – welche auch fasten sollen, und sie bauten St. Ulrich und Afra gedenkt – und neuen Jahrtausend, diesem seine unerle- sollen so leer werden in der Fastenzeit des heiligen Mauritius, Patron dieser digten ökumenischen Hausaufgaben ins wie der Magen – es ist ja uralte kirchliche Kirche – seit tausend Jahren, in denen Stammbuch schreibend, die große Stadt- Tradition. Heute und hier hieß dies nun man auch des Bischofs Bruno, wie dieses prozession aller Christen zur Unterzeich- „void_“. Wochenende, gedenkt, des kaiserlichen nung der Gemeinsamen Erklärung zum Prinzenerziehers. Der Stadt, in der die „Differenzierten Konsens“ in der Recht- ältesten Niederlassungen der Freunde des fertigungslehre, dem „Glaubensartikel, B (Kunst) hl. Franz nördlich der Alpen sich befin- mit dem die Kirche steht oder fällt“, wie 1) Was ist nicht alles Kunst?? In einem den – seiner in der nun evangelischen wir Evangelischen sagen. Wir wollen uns Prospekt unserer Gesellschaft zitierten Barfüsserkirche und seiner Freundinnen diese Übereinkunft von niemandem hin- wir Georg Picht, welcher sagte: „Kunst in Maria Stern, deren 750-Jahrgeden- terher zerreden lassen. ist nie fertig…sie ist nie etwas, was ken die Ausstellung derzeit nebenan im vorliegt“. Also eine Definition erstmal Zeughaus gewidmet ist. Und dann gab es 5) Aber in Augsburg, der Stadt der mit lauter Verneinung. Kunst ist nie plötzlich Kunst, sind wir zusammengekommen, abgeschlossen. Schon deswegen nicht, um Kunst zu feiern. Der Stadt mit, im weil sie auf den Betrachter rechnet, der 3) zweierlei Sorten Christenmenschen Hohen Dom, den ältesten Glasfenstern sie wahr-nimmt und re-agiert. Sie wird hier in Augsburg, der künftigen Stadt Deutschlands, der Stadt, die Elias Holl ge-macht. Sie wird ge-braucht. Sie wird eines Neben- und dann Miteinander, des- selber zum Kunstwerk machte. Die von auch gerne ent-rückt! Andererseits wurde sen Spuren, dessen Wunden und dessen der Kunst und dem Kunsthandwerk lebte der „Begriff der Kunst“ „erweitert“ ins Verheißungen man hier auf Schritt und und nun ihr Silber vom Zaren sich gerade Alltagsleben hinein. Und schon, weil sie Tritt begegnet. Hier, wo Streit und Frie- zurückholt. Zu schweigen der Stadt der von uns „mit-gemacht“ wird, ist sie im densschluss einander abwechselten. Wo beiden Mozart. Bert Brecht freilich habt Fluss, im „“ des Lebens. Luther, der Augustinermönch eingekehrt Ihr uns nach Berlin exportiert – danke!

116 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Kirchentrojaner, Jugendkirche Stuttgart, temporäre Installation

2) Unendlich verschiedene Theorien gibt 4) Dies Miteinander – gab es dies nicht 6) Aber: war die Kirche immer „contem- es, wie Kunst verstanden werden kann. schon immer? In allen Kulturzonen? porary“ ? War sie „Gegenwarts-Kirche“? Eines ist sicher: Kunst ist immer Geist in Man folge der Seidenstraße bis ins fern- Das darf füglich gefragt werden. Die Materie, es ist immer Materie in Geist. ste Asien und sieht sie begleitet von den Begegnung mit Gegenwartskunst mag Egal welche Form und egal welche Ma- Graffiti der Pilger (moderne Staudämme – das ist der Ansatz der heute so wich- terie: ob Stein und Erz, ob Farbe und versenken sie nun wieder) – und von den tigen Kultur-Kirchen – der Kirche auff- Blei, ob Mimik und tanzender Leib, ob Tempelbauten der Religionen. Und diese helfen zur Geistes-Gegenwart. Wie diese Erde, ob Luft – hörten wir nicht soeben, ebenso dicht am Handelsmarkt, wie weit freilich, das ist keine Einbahnstraße, den wie die Luft ins Schwingen gebracht draußen in Bergeshöhen und Einöden. Künsten an-regende Auf-gaben zu stellen wurde und so zum Sprechen? Durch die vermag. Auch das war schon immer so. Kehlen der Sänger mit Worten – ohne 5) Und in allen Epochen. Sie haben es Dabei gab es freilich immer ein Hin und Worte? Und gestern durch Fiddel, Flö- ja in Ihrer Kirche physisch präsent: die Her zwischen Bildverneinung (sie steht te und Harfe. Das Material geht in die romanische Ursprungskirche (vermutlich sogar am Anfang) und Bildbejahung. Form, die Form ins Material. Der Geist karg, ja leer wie hier vor kurzem!) – die Zwischen Be-, ja Über-Bilderung, der wird handgreiflich in der Kunst. Und wir dann gotisch nach oben gestreckt wurde dann wieder ein Bildersturm folgte, der wirken mit mit unserem Leibe, mit Auge – dann wieder barock gedrückt – dann Bilder ausräumte. und Ohr. vollends niedergebombt. Und dann mit Dominikus Böhm fast jugendstilartig 7) Gar bildeten sich konfessionelle Tra- 3) So erklärten wir in unseren neun The- – gleichsam mit rosa Heiligenscheinen ditionstypen heraus, so dass man Kirchen sen des Kölner Manifests, symboltrach- im neuen Gewölbe – neu durchbuchsta- geradezu an ihrem Verhältnis zum Bild tend geheftet an die Tür von Trinitatis biert. Alles an einem Ort und gleichsam unterscheiden mag: Könnte man der zum Reformationstag der Kirche(n)1998: in Gegenwart über- und ineinander Orthodoxie geradezu den Satz zuweisen „Religion und Kunst sind die primären geschichtet. „Art has always been con- „Das Wort ward Bild“ (Ikone) und (eu- Quellen der Kultur“. Darum ist es so temporary” steht zur Zeit in leuchtenden charistisches) „Drama“ – so scheint dem wichtig, dass es Zentren der Begegnung Lettern an Schinkels Altem Museum Protestanten katholisch zu gelten „Das beider gibt wie hier bei Ihnen in St. Mo- in Berlin – Sie erleben es hier in Ihrem Wort ward Amt“ („und Sakrament“) ritz, wo sich beide in gegenseitiger An- Böhm’schen „Raum der Sehnsucht“. Und und evangelisch „Das Wort ward Lehre“ regung aufwecken, reizen, vorantreiben dem Stiegel’schen „void_“ der „Gegen- („Wort und Sakrament“). Oder Bautypen: – der Moritzpunkt ist ein solcher richti- wartskunst“. orthodox quadratisch oder oktogonal, ger Powerpoint. katholisch die langgestreckte, gegliederte

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 117 Wegkirche und evangelisch-idealtypisch 4) Das Wort „Leere“ – durchaus kommt Und Jeremia klagt, dass Zion erschöpft die zentrierte Predigthörkirche. es vor in der Bibel. Schon in Vers 2: sei, „wie ein leeres Gefäß“ (51,34), der „die Erde war wüst und leer“ – worauf Kolosserbrief über „leere“ Worte (2,8, 8) Doch sprechen wir nicht neuerdings sich das Wunder der Schöpfung erhob. vgl. Eph.5,6). Andererseits preist Maria – wie jüngst von einem gemeinsamen Aber im Hiobbuch werden wir an deren im Magnificat das göttliche Muss, dass Projekt der Tübinger evangelischen Fa- Gefährdung durch die „Leere“ erinnert die „Reichen leer“ ausgehen. Und da kultät und der Römischen katholischen – denn „über sie“ ist die Schöpfung ge- entäußert sich Gott selber in Christus in Lateranuniversität zu hören war – von spannt (Hi. 26,7) Jesaja weiß, dass es wahrer Kenosis. Es kommt zum Grab. den Konfessionen als eigentümlichen der Mensch soweit bringen kann, dass Bis zum „leeren“! Grab. „Kulturen“, wolle man sie von innen her die Erde zurückkehrt zur Leere (24,1). verstehen und wechselseitig nachvollzie- hen ? Ja, das bedeutete dann auch, daß sie ein- ander berühren, ineinander übergehen könnten, kommunizieren und befruchten Denn Kulturen stehen in stetem Aus- tausch und verändern einander unent- wegt.

C Das Projekt der Leere 1) Aber bedeutet Kultur und zumal Kunst nicht Fülle? Denken wir die Fülle der Barockkirchen, hier in Augsburg wie anderswo. Fülle der Anschauung, der Gestalten und der Formen und Farben. Und das gar in den Gesamtkunstwerken, wo bildende Künste und Musik mit dem gesungenen oder gesprochenen Wort zusammenwirken. Auch Ihre Kirche hier hatte etwas davon. Ist es doch die Fülle der Heilsgeschichte, die sich hier darstel- len will in den Künsten. Und die Reprä- sentanz der Welt in der Kirche. Und dazu die der Überwelt. Des Himmels. Und der auf Erden. Die Kunst als Form und Ge- stalt jeder Welt.

2) Und nun das Projekt der Leere. Als ein Projekt der Kunst. Void_ Als ich davon hörte, musste ich zuerst an ein anderes Kunstprojekt denken: die Architektur von Daniel Libermann für das Jüdische Museum in Berlin. Es ist voll – ich sage bewusst “voll“ von „voids“. Er nennt sie so, die Auslassungen in seiner Architek- tur. Sie erinnern an die Vernichtungen des Holocaust, wort-los. Wie nach alle- dem ein Gedicht schreiben? fragte ein Philosoph.

3) Übrigens ist heute der Gedenktag von Tschernobyl, Anzeige neuerer Vernich- tungen von Mensch, Kultur und Natur, derer wir ohnmächtig zu gedenken ha- ben. Kirchentrojaner, Jugendkirche Stuttgart, temporäre Installation

118 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 5) So haben Sie, in der Fastenzeit, Ihre 8) Wie ja das Licht aufscheint gegen Fin- standhält. Darin, dass sie nicht bloß, Kirche leer gemacht. Er wurde so wieder sternis. So konnte die Künstlerin Ihnen geschlechtsrollengemäß, des Mannes der Raum der Sehnsucht. Sie haben sie sagen, sie habe der Kirche Leere hinzu- Dienerin zu sein bereit ist. Sondern Ge- freigesetzt von vielem, was Ihnen als gefügt. Die Kunst der Leere: Diese wird sprächspartnerin wird. Dass sie nachhakt, Gemeinde lieb war – den Figuren der immer zu tun haben. Sie ist noch lange bittend fordert und wissen will. So wird Apostel, wir sehen noch die Staubspuren nicht aus-geschöpft. sie zur Hebamme der Wahrheit. Ihrer ei- der Podeste an den Obergaden. Von den genen und der anderer. Und handelt dann Durchblicken auf die Seitengänge und mit neuer Einsicht. die dortigen Bilder. D Der Jakobsbrunnen (Joh. 4) Sie haben sie leer gemacht wie eine re- 1) Ans Aus-schöpfen erinnerte die hin- 5) Freilich ist Er, Jesus, erst recht der formierte Kirche. Ja, in der Passionszeit tergründige, die abgrundtiefe Geschichte Überraschende. Er nimmt ihre Antworten haben Sie sie vorausgreifend wie zum vom Brunnen, die wir gehört haben. Aus- und Fragen auf. Er deutet ihr die Wahr- Grab gemacht – einzig den Altarstein im schöpfen leert und birgt, schafft Leere, heit: die über das Geheimnis des Was- Blick, der ja selber zugleich auch Grab um Fülle heimzutragen. sers, das er zu geben hat, von dem man ist. Doch nun verstanden Sie das Grab nicht mehr dürstet – die über ihr Leben, wie das leere Grab – so scheint es mir 2) Die Fülle wird beschrieben als Wasser, die er ihr zu sagen hat und das er so – mit im Chor, weit in der Ferne, der ein- das Wasser als Leben, welches strömen wendet; und die Wahrheit vollends über zig belassenen Figur des Christus. Des soll. Wie Wasser nur frisch ist, wenn ihre (und seine! ererbte) Religion, die er Auferstandenen. es strömt, und wenn es frisch ist, ist es überbietet. lebenbringend, lebenermöglichend. Im 6) „Leere“. Sie erweckt ja den Schrecken, Griechischen des Neuen Testaments liegt 6) Denn das ist das Erstaunliche: dass er den abgrundtiefen. Den „horror vacui“. der Doppelsinn „strömend/lebendigma- zuerst ihre – der Samaritanerin – Reli- Aber es ist auch geistliche Weisung, sich chend“ in dem Wort. Nicht ist es nötig, gion und seine – die jüdische – einander darauf einzulassen. Ent-werden sollen der Taufe eigens zu gedenken, wenn die gegenüberstellt und dabei noch seine wir der Welt, fordern Mystiker (Meister Geschichte vom Wasser spricht, das ins (möchte man es nicht zumindest un-höf- Eckhart). Selbst im Alltagsleben müssen ewige Leben springt. Der Taufe gedach- lich nennen?) als die richtige bezeichnet: wir von Zeit zu Zeit uns ent-rümpeln. te das Evangelium schon eingangs, der die, wo man auf dem Berge Garizim an- Und das gilt für den Kopf zumal in Fa- Leser weiß es. betet, wie das nördliche, samaritanische stenzeiten. Judentum (seit die Assyrer vor 700 Jah- Auch unseren Theologen täte es gut, 3) Eine Frau steht im Mittelpunkt. Frau ren das Land besetzt hatten) gegen die zuweilen. Wir haben nämlich, zumal im – das steht biblisch, und gerade so hier: südliche, judäische, wo man in Jerusalem Abendland, vergessen, dass es neben für alles Menschliche: für das Ge-schöpf- anbetet, der Stadt, in die die Exulanten der Theologie des Behauptens, Sich-Be- liche, für „Frau Welt“, für Sünde, und einst zurückkehren durften. Und das mit hauptens und Rechtzuhabenmeinens (der zugleich für Weisheit. Für Einsicht. Für der Begründung: „das Heil kommt von kataphatischen, altkirchlich gesagt, asser- Umkehr. Sie steht damit zugleich für den Juden“. „Knallhart“, denn das wusste torischen, reformatorisch) eine Theologie die Kirche, die große Sünderin – und sie auch, dass das die Juden glaubten des Nicht-Behauptens, des auch-Sich- doch für die Kirche Christi: denn sie gibt – sie aber nicht. Nichtbehauptens, geben könnte. (Man ja das Wort weiter, das sie hört – nicht nannte sie die apophatische.) Nennen wir anders als die Schar der männlichen Jün- 7) Und dann kommt die äußerste Über- sie die Theologie des Abgrunds, denn sie ger, von der am Ende die Rede ist, samt raschung: dass weder das eine noch das ist vielleicht die tiefere. Gleichsam die ihrer Ungeduld. Sie ist hier Kirche in der andere endgültig gelten solle: Und also des „Abgrunds von oben“. In den hinein Sehnsucht nach Stillung des (Lebens- auch seine eigene zunächst eingenom- wir uns verlieren – müssen-dürfen. )Durstes nicht anders als dann die Jünger men Position stellt er in Frage. Weder in der Sehnsucht nach Stillung des (Le- – noch! Ein „void“! Eine Leere wird 7) Diese Theologie des „Abgrunds oben“ bens-)Hungers. hergestellt – dass Fülle werden kann. der sich uns, da wir dort sind, „unten“ öffnet, wird aufgerufen durch eine Kunst 4) Und sie ist Künstlerin – über der Lee- 8) Denn: „die Stunde kommt, und sie ist des void_. Schon Minimalismus ist zu- re, über dem Abgrund: Zumindest als Le- schon da, zu der die wahren Beter den weilen in der Kunst geistlicher Dinge benskünstlerin über Abgründen. Und als Vater anbeten werden im Geist und in der angezeigt. Er mag manchmal am ehesten Praktikerin, die fragt, wie denn zu schöp- Wahrheit; denn so will der Vater angebe- der Ausdruck maximaler Aussage sein. fen sei ohne Kelle. Und in der Kunst des tet werden“. „Gott ist Geist und alle, die Ich blicke auf Ihren einfachen Altarstein. Hörens und Fragens, des Gesprächs, das ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in Auch denke ich hier an einen ein-fachen sie mit Jesus führt. der Wahrheit anbeten“. Kreuzweg (Barnett Newmans). Noch radikaler ist das void_. 4) Denn sie überrascht – Ihn. Er ist der Überraschte, da sie ihm im Gespräch E Im Geist und in der Wahrheit anbeten

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 119 1) Wie sollen, wie können wir anbeten? und (zumal bei Johannes) der Geist, der Jerusalem, zwischen Konstantinopel, Weder so noch so, sondern im „Geist“. uns in alle Wahrheit hineinführt, unter- Rom, Wittenberg, Genf, und sagen wir Geist: das ist nicht die Rechtfertigung wegs uns in Bewegung versetzend. Und Kalkutta. An Orten und in Räumen der eines Bildungsbürgertums, dem alles so zur Klarheit weisend. Sehnsucht also, die alle sich auf „unseren Konkrete fern ist und das da meint, sich Vater Jakob“ wie die Samaritanerin be- in Höhen oder Tiefen einer Geistspekula- 4) Wie also sollen wir zum Vater beten? rufen, und jede noch auf einige weitere, tion ergehen zu können, bei Übergehung Ex profundis, „aus der Tiefe rufen wir, streng voreinander gehütete, ja einander der Leiden der Erde. Pfingstkirchen Herr, zu Dir“. entgegengestellte Extra-Kirchenväter nennt man die Kirchen der Armen in den Doch wie – mit welchen Worten? Da dazu. „Im Gotteslob gibt es keine Gren- Metropolen und Favelas der Welt – sie gilt: „der Geist hilft unserer Schwachheit ze“ schrieb mir ein Freund einst in das sind die am schnellsten wachsenden auf.“ Und Wahrheit ist erschreckend und „Gotteslob“, das er mir schenkte. Christengemeinden. Wahrheit ist befreiend. Und nur im Gei- ste Jesu vermögen wir wahrhaft „Vater 7) Aber schon soll alles beginnen. Es ist 2) Geist ist hebräisch ein weibliches unser“ zu rufen. ja die Stunde schon da, dass alles ge- Wort – er/sie steht der Frau nicht so fern, schehe „im Geist und in der Wahrheit“. wie wir vom Latenischen oder Deut- 5) Doch wenn uns die Worte versagen, Schon jetzt. Wie einst in der himmli- schen her meinen könnten – und umfasst stehen uns Künste bei. Die Worte der schen Stadt selber. Und da werden wir griechisch beides als Neutrum, als Kraft, Dichter, der Psalmisten, und der Ekstati- dann eine große Überraschung erleben, Wind und Atem, als Power und erneuerte ker. Aber auch die wortlosen Seufzer, sei sagt uns der Apokalyptiker, den wir noch Lebenskraft, als Pfingstgeist der Glau- es himmlischer oder irdischer Sprachlo- hören werden, der es in seiner Vision bensbe-geisterung.. sigkeiten. Das wortlose Stammeln oder gesehen hat: dass dort, in der himmli- die meditierenden Liturgie-Gesänge, schen Stadt, kein Tempel stehe – keine 3) Geist, das ist neutestamentlich der die Sprache der Räume, die Farben, die Synagoge, keine Moschee, keine Kirche. Seufzer der unerlösten Schöpfung, die Medien des Lichts, die Musiken – wir Sondern dort befindet sich – gewisserma- sich nach ihrer Befreiung sehnt (Paulus), stehen im Osterfestkreis am Ende der ßen – ein void_. Eine Leerstelle. sie ist die Befreiung des Fleisches aus Woche Cantate-Singet! und zugleich am Knechtschaften zum Leben. Geist, das ist Vorabend von Rogate-Betet! 8) Eine Leerstelle – für die Fülle: Dort der lebenspendende Atem des lebendigen ist Alpha und Omega. „Gott ist in ihrer Gottes, der aus dem Chaos die Schöp- 6) Und der Ort, wo wir dies tun, wir hör- Mitten“. – fung werden lässt und die neue Schöp- ten es in der anderen Lesung, das ist die Das wünsche ich Ihrer Gemeinde hier fung heraufführt. himmlische Stadt. Dies nun – und wenn – und uns allen. Amen. Er ist der Tröster der tumben Gemüter auch – auf Erden. Zwischen Garizim und

120 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Franziska Stoellger in der neuen Großgemeinde aber am Raum für Diskussionen war an diesem transformationen – übergänge – Rande liegt und für den sonntäglichen Vormittag knapp bemessen, doch gab gestalten Gottesdienst nicht mehr gebraucht wird? es zum Gespräch die Gelegenheit am Eindrücke vom 26. Kirchbautag in Da geht es nicht mehr um einen Umbau Nachmittag. In einzelnen Kirchen Dortmund vom 23.-26. Oktober 2008 oder eine funktionale Umwidmung wurden Workshops veranstaltet, wo sich (so viele Jugend-, Kultur- und andere die Gemeinden vorstellten, mit ihren „Transformationen – dieser Titel ist aber Kirchen werden nicht gebraucht, Problemen und ihren Lösungen und der nicht sonderlich originell!“ – das hörte auch keine kulturellen Orte), sondern Suche nach Zukunftskonzepten. ich auf dem Kirchbautag in Dortmund. um tiefgreifende, konzeptionelle Der Abend begann in der Marien-Kirche Als Mitglied des Gremiums, in dessen Veränderungen – um Transformation. mit der Preisverleihung der Stiftung Hand die Planung und Durchführung KiBa für innovative Gestaltungen von des Kirchbautages liegt, hörte ich diese Diese Probleme sind im Westen Kirchenbauten. In der Reinoldi-Kirche Bemerkung mit spitzen Ohren. Und ich Deutschlands im Ruhrgebiet schon schloss sich eine Tanz-Performance erinnerte mich an die Diskussionen bei seit Jahren in besonderem Maße zu an, choreographiert von Vera Sander. der Suche nach einem Thema und Titel verfolgen, weshalb Dortmund als Der von jeglicher Bestuhlung frei für den Kirchbautag. Drängend erschien Tagungszentrum gewählt wurde. Es geräumte religiöse Raum wurde dabei im uns der Finanzdruck, der schon jetzt sollte an verschiedenen Beispielen Zusammenspiel mit den Künsten offen auf den kirchlichen Gebäuden lastet gezeigt werden, wie Gemeinden für Transformationen. und der weiterhin zunehmen wird. Das und Kirchenkreise sich den Thema der knappen Kassen ist nicht neu, Herausforderungen stellen. Dabei war Am Samstagvormittag wurden die ganz im Gegenteil, aber es verschärft es uns wichtig, nicht in Wehklagen Vorträge in der im Jugendstil erbauten sich zusehends. In dieser Zuspitzung zu verfallen, sondern zu sehen, Immanuel-Kirche gehalten. Prof. Dr. liegt die Herausforderung, da es an wie mit Kreativität und enormem Thomas Erne, Leiter des Kirchbau- vielen Orten – gerade im Ruhrgebiet Durchhaltevermögen versucht wird, die Instituts Marburg, transformierte die – nicht mehr reicht, Gemeindehäuser zu Kirchengebäude zu erhalten und sinnvoll Zukunft der Kirche in die Virtualität verkaufen und die Gemeinderäume in zu nutzen. des Internets – um schließlich doch die Kirchen baulich zu integrieren. Denn zu zeigen, wie wichtig Kirchen als diese Lösungen sind meist nicht nur mit Um gleich zu Anfang einen Eindruck Orte der konkreten Gemeinschaft sind. erheblichen Kosten verbunden, sondern der örtlichen Gegebenheiten zu Der Architekt Florian Nagler stellte sie halten an parochialen Strukturen vermitteln, begann das Programm das von ihm gebaute ökumenische fest, die durch die Gemeindefusionen mit fünf verschiedenen Exkursionen Gemeindezentrum in München Riehm aufgelöst werden. Diese Fusionen im Großraum Dortmund zu vor und schließlich legte Prof. Arno sind schon schwierig, wenn sich zwei unterschiedlichsten Kirchen. Lederer (Stuttgart) ein Plädoyer Gemeinden zu einer zusammenfinden Anschließend fand die gottesdienstliche für den Erhalt aller bestehenden sollen. Solche Prozesse brauchen Eröffnung in der Reinoldi-Kirche Kirchen ein. Zwischendurch fand Zeit und gute Beratung, um von einer statt, die in den folgenden Tagen noch eine Preisverleihung für „Zwangsehe“ zu einer Partnerschaft mit immer wieder neu zu erleben war. Am Architekturstudierende statt, die an einem offenen Blick in die Zukunft zu Freitagvormittag wurden dort Vorträge einem im Rahmen der Universitäten wachsen. Zum Gelingen gehört auch, gehalten, in denen der Systematiker Hamburg, Karlsruhe und Stuttgart dass es für die Zukunft eine gewisse Prof. Dr. Dietrich Korsch (Marburg) ausgeschriebenen Wettbewerb für das Stabilität und Sicherheit gibt. Was im Duett mit der Kulturbeauftragten neu zu erschließende Gebiet Phoenix das heißt, wird besonders deutlich, der EKD, Dr. Petra Bahr (Berlin), teilgenommen hatten. Dahinter stand die wenn diese Notwendigkeiten nicht zur ‚Religion im Übergang’ sprach, Idee, die Zukunft der Kirche zu gestalten gegeben sind. Wenn nämlich eine Prof. Dr. Hanns Christof Brennecke mit der Generation, die ihre Zukunft ist. Fusion noch nicht abgeschlossen ist (Erlangen) einen kirchengeschichtlichen und die nächste schon wieder ansteht. Überblick über den Kirchbau gab, Am Nachmittag ging es in die Zeche In solchen Fällen überlagern sich die die Kunstgeschichtlerin Prof. Zollverein, wo die Ergebnisse aus Prozesse, wodurch sie unüberschaubarer Dr. Barbara Welzel (Dortmund) den Workshops in Kleingruppen und unplanbarer werden – und die über ‚Kirchengebäude als diskutiert wurden. So konnten sich die Kirchengebäude manchmal wie in Transformationsräume’ sprach und Teilnehmenden ins Spiel bringen und einer Moräne mitgerissen werden. Die ihr Thema zugleich am Beispiel kamen aus ihrer Rolle als Rezipienten Kirchengebäude verlieren vor den neuen der Reinoldi-Kirche anschaulich heraus. Es folgte eine Führung über das Horizonten ihren tradierten Ort und ihre machte und schließlich Prof. em. eindrückliche Zeche-Gelände, das zum ursprüngliche Bedeutung. – Was wird Dr. Bernhard Schäfers (Karlsruhe) Unesco-Weltkulturerbe gehört. Danach aus einem Kirchengebäude, das einst ‚Religiöse Gebäude als symbolische wurden die Dortmunder Denkanstöße das Zentrum einer Gemeinde bildete, Raumbesetzung’ nachzeichnete. Der verabschiedet. Eine Vorlage war vorab

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 121 erarbeitet und an die Teilnehmenden Jörg Mertin Video-, Fotografie- und Textilarbeiten verteilt worden mit der Bitte um Susanne Tunn: Skulpturaler Bau der vor. Sie hat zahlreiche immer ausgespro- Veränderungsvorschläge. Die wurden Kapelle im Johannes Wesling Klini- chen ortsbezogene Arbeiten vorgelegt, dann soweit diskutiert, wie es im kum Minden (2004-2008) z.B. ihr über 16 Jahre dauerndes Projekt Rahmen eines solch großen Plenums ‚5 Tische’ in Minden, Schweden, Spani- möglich ist. Am Abend gab es Musik, Im Rahmen des Neubaus des Johannes en, Schweiz und Rumänien. Sie erhielt und u.a. eine Projektpräsentation von Wesling Klinikums in Minden (eines den Preis des Westfälischen Friedens Jochen Gerz, die im Rahmen von Ruhr kommunalen Hauses der Maximalversor- 1998 für ihre Arbeit ‚Peace and Noise’ 2010 stattfinden wird. gung mit 864 Betten) ist zwischen 2004 und hat zahlreiche Ausstellungen gehabt Die Reinoldi-Kirche konnte und 2008 auch eine Krankenhauskapelle (so. in MARTa Herford und im Alf-Lech- im Abschlussgottesdienst am errichtet worden, für die der Bauherr und ner-Museum Ingolstadt). Seit 1992 lehrt Sonntagvormittag nochmals die beiden großen Kirchen gemeinsam sie an der Sommerakademie Salzburg anders erlebt werden, da in der verantwortlich zeichneten. Steinbildhauerei. Mitte des Hauptschiffes ein großer Neben der grundsätzlich ökumenischen Für die Kapelle in Minden war die Ko- Abendmahlstisch errichtet war, um Ausrichtung war bei dieser Kapelle auch operation mit dem Architekten Harald den herum sich die Stühle gruppierten. der kommunale Auftrag des Klinikums Klösges von TMK-Architekten zwingend So schloss diese Transformation den zu berücksichtigen, so dass ein Raum mit erforderlich. Dem Rat Jan Hoets, einen Kirchbautag ab. großer Offenheit zu schaffen war. Dem Solitär zu errichten, wurde entsprochen. Wunsch der Kirchen nach einem eige- Der erste Entwurf der Künstlerin, der Der Kirchbautag in Dortmund hat nen, nicht einem Multifunktionsraum, auch baulich den Doppelcharakter der Vielerlei geboten: das vielfältige stand der Bauherr von Anfang an positiv Nutzung abgebildet hätte, wurde vom Erleben von Kirchenräumen sowie gegenüber. Architekten abgelehnt, da er von der das Reflektieren über Kirchengebäude Eine entscheidende Weichenstellung er- Klinikästhetik zu weit entfernt war. und die bereits vollzogenen bzw. folgte auf kirchliche Initiative hin gleich Im Ergebnis baute der Architekt eine notwendigen und wünschenswerten zu Beginn: Die Errichtung der Kapelle Glashülle, die der Klinik entspricht, und Transformationsprozesse. Die Vorträge sollte nicht allein dem Krankenhausar- Susanne Tunn errichtete ihre Arbeit als werden in einer Publikation nachzulesen chitekten überlassen werden, sondern Innenraumkonzeption, die jedoch keine sein. Vieles erscheint in der gewählten wesentlich eine künstlerische Hand- Ausstattung der Glashülle ist, sondern Perspektive neu und regt zur Diskussion schrift tragen. Um dem auf dem Niveau eine vollkommen eigenständige formale an. Vor allem ermutigen sie, sich von den der zeitgenössischen Kunst entsprechen Raumskulptur. Die Glashülle ist lediglich finanziellen Problemen nicht erdrücken zu können, ließen sich die Kirchen von ein Schutz. Die bauherrenseitige Vorga- zu lassen, sondern für die Kirchen Jan Hoet, documenta-Chef 1992 und seit be, dass der Raum die Größe von 70 qm zu kämpfen. Gerade das konnte der 2004 künstlerischer Direktor des nahe nicht überschreiten dürfe, war eine starke Kirchbautag zeigen: wie viel Kreativität gelegenen Museums MARTa in Herford Limitation, die dadurch etwas gemildert die Krise immer wieder freisetzt. beraten. In diesen Beratungen kristal- wird, dass die Glashülle insgesamt eine Und mancher Besucher hat an den lisierten sich zwei Gedanken heraus. Grundfläche von etwa 120 qm aufweist. Schwierigkeiten im Ruhrgebiet gesehen, Erstens, dass die Kapelle wenn möglich Susanne Tunn arbeitete mit einem für welche Spielräume in der eigenen, nicht nur ein Raum innerhalb der Klinik, sie neuen Material, aber auf ihre Weise. oftmals weniger angespannten Situation sondern baulich ein Solitär sein sollte, Mit dem ihr eigenen Respekt vor dem gegeben sind. und zweitens, dass eine solche Kapelle Gewordenen nutzte sie von ihr entdeckte einen doppelten Zweck hat: einerseits ehemalige Dachbalken einer inzwischen Mag der Titel des Kirchbautages auch ein Raum der Ruhe, des Rückzugs und abgerissenen, 200 Jahre alten Reithalle nicht originell gewesen sein, aber er der Meditation zu sein, andererseits ein aus Verden/Aller für die äußere Begren- hat gezeigt, wie unausweichlich die Raum der Feier. Diese beiden Aspekte zung ihrer Skulptur. Die aus Kiefernholz Transformation der Kirchengebäude ist. sollten nicht ineinander aufgehen. Der in Bogen konstruierten Balken liegen doppelte Charakter sollte baulich oder jetzt auf der Seite, sind nach einem ein- auch im Nutzungskonzept zur Geltung fachen Schichtprinzip bis zu einer Höhe kommen. von fünf Meter aufeinander gestapelt und . Einer Empfehlung Jan Hoets folgend bilden einen ellipsoiden Raum, der den wurde die Bildhauerin Susanne Tunn Blickkontakt nach außen erlaubt. Ein mit der Konzeption und Realisierung Balken auf jeder Seite dient als Sitzbank, beauftragt. Susanne Tunn, geb. 1958 in so dass Besucher direkten körperlichen Detmold, lebt und arbeitet in Alfhausen/ Kontakt mit der Skulptur erhalten kön- Osnabrück, ist hauptsächlich Steinbild- nen. hauerin, arbeitet aber auch mit anderen Ein 200 Millionen Jahre alter Muschel- Materialien wie Beton, es liegen ferner kalkstein aus dem Würzburger Raum

122 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 dient als Altar. An der Bearbeitung dieses gut sichtbar nach dem Eintritt durch den usw.). Die grundsätzliche Offenheit ist Steins erkennt man schnell die Hand- Haupteingang. Das dürfte wegweisend somit weitgehend gewährleistet mit der schrift von Susanne Tunn. für zukünftige Kapellen sein: Zentral von den Kirchen gewünschten einschrän- Die Achtung vor dem Gewordenen zeigt gelegen und deutlich sichtbar. Zusätzlich kenden Verdeutlichung (durch den Kor- sich in der sparsamen Bearbeitung: lini- gestaltete der Architekt den Zugang zur pus), dass auch in der Grundgestalt die enförmige Einarbeitungen lassen etwas Kapelle als in sich versetzten Weg und christliche Grundausrichtung wahrnehm- vom Inneren des Steins erkennen, ohne den Innenhof durch einen Wasserumlauf bar sein solle. dieses zu entblößen, die Oberflächen um die Glashülle sehr ansprechend. Aus Die skulpturale Arbeit bildet in Material, sind großteils naturbelassen, der Stein der Kapellenskulptur heraus ist das Was- Form und Anordnung einen deutlichen wird nicht geschnitten, sondern wird ser zu sehen und vermittelt das Gefühl, Gegenpol zum Klinikum selbst, ist aber durch Wasser gelöst aus dem Steinbruch getrennt vom Klinikalltag zu sein, aber in als Gegenpol auch Bestandteil. So ent- genommen, so dass die nun fehlende Sichtweite zu bleiben. spricht die Arbeit dem mit einer Kapelle Umgebung immer als abwesend präsent Die Kapelle ist zugleich formale, nicht- gegebenen Thema eines Ortes der Ruhe, ist. Die Oberfläche des Steins weist reli- symbolische Raumskulptur und An- des Rückzugs, der inneren spirituellen efartige Erhöhungen aus, die prinzipiell dachtsraum. Sie ist ganz elementar und Vergewisserung im Kontext existentieller die in Schichten erfolgten Genese des konkret, bietet Raum für die Funktion, Krisen. Steins sichtbar machen, unmittelbar auch ohne in der Funktion aufzugehen. Als Dass ein ganzer Kapellenraum in sich aber an eine Weltkarte erinnern oder an einziges kirchliches Symbol wurde nach formal künstlerisch konzipiert wurde, Wasser. Auswahl der Künstlerin ein etwa 200 also weder Architektur noch Ausstattung Hier ist Susanne Tunn über ihre bisheri- Jahre alter verwitterter Christuskorpus an ist, sondern ein Kunstwerk, hat Vorbild- gen Steinarbeiten hinausgegangen. der Skulptur angebracht, eine naive Ar- charakter. Vergleichbar erscheint derzeit Über diese beiden skulpturalen Arbeiten beit aus dem sauerländischen Raum, die nur die ‚Kapelle des Nichts’ von Thierry hinaus war Susanne Tunn für Boden und sich gut in die Materialität und Einfach- de Cordier im Psychiatrischen Kranken- Beleuchtung verantwortlich, beides ist heit des Raumes einfügt. haus in Duffel/Belgien. ebenso einfach, elementar und konkret Der Doppelcharakter des Raums unter Zur Kapellen-Skulptur ist ein Buch er- wie die Skulpturen. So vermeidet die Be- Nutzungsgesichtspunkten sieht eine schienen, das neben einem Text von Jan leuchtung jede künstliche Inszenierung Grundgestalt in der Ruhefunktion vor Hoet auch zahlreiche Fotos sowie die der Skulptur. und die Möglichkeit, zu Messen und Dokumentation des gedanklichen Ent- Architekten- und Bauherrnseitig wur- Gottesdiensten den Raum der jeweiligen wicklungsprozesses enthält. de für eine prominente Platzierung der Konfession entsprechend zu ergänzen www.krankenhauskapelle-minden.de Kapelle gesorgt, im ersten Innenhof, (mit Kerzen, Blumen, Stühlen, Orgel

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 123 Personen / Nachrichten Im Sommer 2008 hat Friedhelm Men- Die Kunstmeile Krems wird seit Janu- nekes von der von ihm aufgebauten ar 2009 von Hans-Peter Wipplinger Kunststation St- Peter in Köln Abschied geführt; er ist 1968 in Oberösterreich Seit Oktober 2008 ist Michael Eissen- genommen. Sein Nachfolger ist der Jesu- geboren und hat ein Studium der Kunst- hauer Generaldirektor der Staatlichen it Werner Holter. geschichte, Theaterwissenschaft, Publizi- Museen zu Berlin; er ist Nachfolger von stik und Kommunikationswissenschaft in Peter-Klaus Schuster. Schuster wurde in Neue Leiterin der Waiblinger Stihl-Ga- Wien absolviert. den Ruhestand verabschiedet. lerie ist die 34-jährige Kunsthistorikerin Ingrid-Sibylle Hoffmann. Mit der künstlerischen Leitung der Neuer Direktor der Neuen und Alten 11. Triennale für Kleinplastik 2010 in Nationalgalerie ist der 49-jährige Udo Der Österreicher Robert Fleck, bisheri- Fellbach wurde die 1963 geborene Ul- Kittelmann, der ehemalige Biennale- ger Direktor der Hamburger Deichtorhal- rike Groos beauftragt. Die promovierte Venedig-Kurator und Chef des MMK in len, ist seit Januar 2009 neuer Intendant Kunsthistorikerin ist seit 2002 Direktorin Frankfurt am Main. der Bundeskunsthalle Bonn. der Kunsthalle Düsseldorf. Ulrike Groos ist zur künftigen Leiterin des Kunstmuse- Neue Direktorin des Museums für Mo- Im Spätherbst 2009 wird die derzeitige ums Stuttgart ernannt worden. derne Kunst MMK in Frankfurt/Main ist Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart, Susanne Gaensheime. Sie war vorher Marion Ackermann, die Leitung des Franz Bernhard, einer der bedeutend- Leiterin der Sammlung für Internationale K20, die Kunstsammlung Nordrhein- sten in Detuschland lebenden Bildhauer Gegenwartskunst und Kuratorin in der Westfalen, übernehmen. Das K20 war der Gegenwart, wurde im Januar 75 Städtischen Galerie im Lenbachhaus seit längerem aufgrund von Baumaßnah- Jahre alt. München. men geschlossen. Klaus Schrenk, seit 1995 Direktor der Der junge Kurator René Zechlin, geb. Daniel Birnbaum, Jahrgang 1963, Rek- Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe ist seit 1974 in Würzburg, hat im Frühjahr 2008 tor der Städelschule in Frankfurt, wird 1.3.09 Generaldirektor der Bayerischen im Kunstverein Hannover die Nachfolge die 53. Kunstbiennale Venedig 2009 Staatsgemälde-Sammlungen in Mün- von Stephan Berg angetreten. Stephan leiten. chen. Seine Nachfolgerin ist Pia Müller- Berg wurde Direktor des Kunstmuseums Tamm aus Düsseldorf. Bonn. Silvia Bächli, Professorin an der Staat- lichen Akademie der Bildenden Künste Laut Nr. 12/2008 der Kunstzeitschrift Gustav Kluge, Professor für Malerei Karlsruhe wird auf der 53. Internnationa- monopol war für André Butzer die Aus- an der Staatlichen Akademie der Künste len Kunstbiennale in Venedig 2009 den stellung „Kommando Tilman Riemen- in Karlsruhe ist im Frühjahr 2008 der Schweizer Pavillon gestalten. schneider. Europa 2008“ vom 11.1. bis Käthe-Kollwitz-Preis 2008 der Berliner 10.2.08 im Hospitalhof Stuttgart im Jahr Akademie der Künste verliehen worden. Im Juni 2012 startet die 13. Documenta die schönste Gruppenausstellung, die Kluge brachte im Januar 2009 zusammen unter der Leitung der 51-jährigen Ameri- sich Pfarrer, die internationale Presse und mit seiner Frau Petra und der Bildhaue- kanerin Carolyn Christov-Bakargiev. der liebe Gott vorstellen konnten. rin Kathrin Haaßengier im Hospitalhof Stuttgart die Performance ‚Vertauschte Dirk Schwarze, langjähriger Feuille- PD Dr. Johannes Stückelberger, Präsi- Zunge’ zur Aufführung. tonchef der Hessisch-Niedersächsischen dent der Schweizerischen ST. Lukasge- Allgemeinen und Vorsitzender des do- sellschaft für Kunst und Kirche, hat ab 1. Der mit 16.000 Euro dotierte Hans-Mol- cumenta-Forums, will das Werden der Februar 2009 eine ordentliche Professur fenter-Preis der Stadt Stuttgart ging im documenta 13 mit Interviews und Nach- am Graduate Institute of Art History an Sommer 2008 an die amerikanische Per- richten begleiten. Seine Beiträge, so ein der National Taiwan Normal University formance-Künstlerin Joan Jonas, geb. Vier-Augen-Interview mit der Leiterin, in Taipeh für vorerst ein Jahr angetreten. 1936 in New York. Joan Jonas lehrte von finden sich auf seiner Homepage: http:// 1995 bis 2000 an der Stuttgarter Kunst- dirkschwarze.net Eine hochkarätige Jury hilft Talent See- akademie. kers bei der Entdeckung der 1000 Krea- Seit September 2008 arbeitet die Kunst- tivsten im Jahr 2009. Infos unter www. Der Stuttgarter Bildhauer Camill Lebe- halle Fridericianum Kassel unter der talentseekrs.net. Der Wettbewerb bietet rer erhielt letztes Jahr den erstmals von künstlerischen Leitung von Rein Wolfs. zehn Kategorien an. der Kunststiftung Baden-Württemberg Wolfs war zuvor Ausstellungsdirektor vergebenen Peter-Hans-Hofschneider- des Museums Boijmans van Beuningen Im Rahmen der Eröffnung der Aus- Preis für Bildende Kunst in Höhe von in Rotterdam und Gründungsdirektor des stellung „Seit eh und jetzt“ im Ulmer 10.000 Euro. Migros Museums Zürich. Museum, hat der Künstlerbund Baden- Württemberg im Dezember 2008 den

124 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Erich-Heckel-Preis an Peter Jacobi aus einem freien Atelier und einem monatli- vorgesehen. So schwierig diese Nachbar- Wurmberg bei Pforzheim verliehen. chen Stipendium verbunden. schaft von Anfang an war, ein Ergebnis Im Sommer 2008 hat Peter Jacobi in Bei- blieb dem Dom aus den Auseinander- jing eine Skulptur „Open Construction“ Anselm Kiefer hat im Oktober 2008 setzungen: die in Bronze neu gestaltete h, 6 x 2, 6 x 14 m für die Olympia Skulp- als erster bildender Künstler den Frie- Domtür auf der Südseite, von Siegfried turenausstellung Beijing hergestellt. denspreis des Deutschen Buchhandels Krepp gestaltet unter Beratung von erhalten. Heinz Hoffmann und bis zur Ausführung Das Zentrum für Kunst und Medien- von diesem gegen heftige Widerstände technologie Karlsruhe feiert in 2009 Im Herbst 2008 wurde Ludger Schwar- bis zuletzt verteidigt. Denn, so meinte das 20-jährige Bestehen und das ZKM te, Professor für Ästhetik an der Zürcher er zu Recht, an dieser Stelle darf nicht Museum für Neue Kunst feiert 10-jäh- Hochschule der Künste, zum Präsidenten die pure Wiederherstellung des wilhel- riges Jubiläum. Über das Jahr 2009 ver- der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik minisch Alten das letzte Wort behalten. teilt werden Ausstellungen, Symposien, e.V. gewählt. Hier muss zeitgenössische Kunst das Aufführungen und Vorführungen diese Gedenken an Schuld, Gewalt, Konzen- beiden Jubiläen zelebrieren. Im Mai 2008 wurde in Berlin die As- trationslager, Krieg, Kriegsgefangene, sociation of Neuroesthetics (AON) Bombardements und Vertreibungen Hans-Jürgen Müller, einer der Grün- gegründet. Ziel ist, das Wissen und die wachhalten – alles das, was auch und dungsväter der Art Cologne, hat vor Methoden zeitgenössischer Künstler und bei Wilhelm II, höchst direkt mit einer fünfzig Jahren 22-jährig seine erste Ga- Neurowissenschaftler zusammenzufüh- einstigen Hof- und quasi Staatskirche lerie im Stuttgarter Westen eröffnet. Sein ren; künstlerische Arbeiten und neue zu tun hatte. Diese Tür ist nun auch zum in den Siebziger Jahren veröffentlichtes Ansätze in Forschung und Kunst sollen Erinnerungszeichen an die Kunstdienst- Buch „Kunst kommt nicht von Können“ entstehen. Sitz der AON ist Berlin. Tätigkeit Heinz Hoffmanns geworden. wurde ein Best- und Longseller. Dann www.association-of-neuroesthetics.org steigt er aus dem Kunstbetrieb aus. Ab Im westlichen Deutschland hat man wohl den Achtziger Jahren plant er das Kultur- Im ehemaligen romanischen Kirchen- nie ermessen, wie wichtig die Tätigkeit projekt Mariposa auf Teneriffa gemein- schiff der Klosterkirche Seebach Bad des Kunstdienstes unter seiner Leitung sam mit ca. 60 bildenden Künstlern und Dürkheim hat Madeleine Dietz ein in den späteren Jahren der DDR gewe- ca. 30 Kunsthandwerkern. Fertigstellung Kolumbarium „Bewahrt in Ewigkeit“ sen ist. Er war als kirchlicher zugleich 2007. geschaffen. Das nördliche Schiff ist in ein dritter Ort und Treffpunkt zwischen der Höhe der Vierung erhalten, ein ca. Staat, verfasster Kirche und einer auf- Die Museumsgesellschaft Ettlingen 60 qm umbauter, geschützter Raum, der regenden, ja zunehmend brodelnden e.V. hat im Sommer 2008 an Holger nach oben offen ist. In diesem Bereich Kunstszene. KünstlerInnen wie Beate Walter den Pamina-Kunstpreis für sei- sollen Urnen in der Erde bestattet wer- und Jürgen Böttcher/Strawalde oder ne Skulptur aus afrikanischem Granit, den; der Name der Verstorbenen wird auf Michael Morgner, seither weltberühmt, fränkischem Muschelkalk und Schweizer einem Stein in dem geosteten Triptychon früh hervorgetreten mit alternativen Zu- Sandstein verliehen. Holger Walter ist bewahrt. sammenkünften und unkonventionellen Artheon-Mitglied. Künstler-Plenairs im Sächsisch-Thüringi- Im Mai 2008 ist Robert Rauschenberg schen oder an der Ostsee gehören ebenso Winfried Baumann, Artheon-Mitglied im Alter von 82 Jahren in seinem Atelier dazu wie auch staatlich respektierte wie und Nürnberger Künstler, hat im Herbst auf Captiva Island gestorben. Nuria Quevedo, deren Familie einst der 2008 seine Aktion „Instant Housing“ im Francoverfolgung entkam. Weiter In- Kunstmuseum Stuttgart vorgestellt. Für geborg Hunzinger, die, im italienischen Obdachlose und Passanten gab es Ein- Heinz Hoffmann (geb. 1935) am Exil überlebend, das Skulpturenmahnmal topf aus der Housing-Küche. 30.10.2008 verstorben an der Berliner Rosenstraße schuf – dem Ein Nachruf von Manfred Richter erst filmisch bekannter gewordenen Ort Im Herbst 2008 wurde der Kunstpreis des Widerstands mit jüdischen Männern 2008 der Evangelisch-Lutherischen Kir- Mehr als zwanzig Jahre – von 1974 verheirateter Frauen. Oder Arno Mohr, che in Bayern an die Bildhauerin Meide – 1995 – hatte er den Kunstdienst der der bewundernswerte Zeichner und Büdel aus Nürnberg verliehen. Evangelischen Kirche geleitet. Zunächst Zeichen-Lehrer und Fritz Cremer, Vor- mit Sitz am Brandenburger Dom, dann sitzender des DDR-Künstlerverbands, Die Villa-Romana-Preisträger 2009 in der Auguststraße in Berlin und gleich der sich dennoch die Freiheit nahm, den sind Olivier Foulon, Kalin Lindena, Ben- nach der Wende, am Berliner Dom. Für Golgathaweg des Jesus von Nazareth, im jamin Yavuzsoy und Eske Schlüters. Der dessen Wiederherstellung war von An- Sinne Rosa Luxemburgs, als Geschichte Villa-Romana-Preis ist mit einem zehn- fang an, neben der Domgemeinde, der von sich aufbäumendem Widerstand und monatigen Arbeitsaufenthalt (Februar bis Gebrauch auch für den Kunstdienst wie als Befreiungsgeschichte darzustellen November) im Künstlerhaus in Florenz, für Teile der Theologischen Fakultät (Ruine des ehem. Franziskanerklosters).

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 125 Wie viel sonst sich bei a-theistischen, zumindest un-kirchlichen Künstlern ebenso wie bei kirchlich gebundenen der biblischen Erzählung verdankt, ist aus den von Heinz Hoffmann gemeinsam mit dem Dichterkollegen im Kunstdienst, Jürgen Rennert, herausgegebenen zwei Dokumentationsbänden zu erahnen: „Dialog mit der Bibel“ (Grafik, Malerei) und „Werk Deiner Hände“(Plastik). Und Franziska Schwarzbach, seit Jahrzehnten dem Kunstdienst verbunden, schuf nun die Luthermedaille der EKD. Dass auch der Kirche, bei aller Stüt- zung ihres Außenpostens, immer wieder nachzuhelfen war im Verständnis für Begegnung mit zeitgenössischer Kunst, wird kaum überraschen. Verbunden mit einer Analyse der Kunstpolitik der DDR und ihr parallelisiert ist dies gut nachzu- lesen in der Studie von Dorothea Körner „Zwischen allen Stühlen“ (hg. vom Kunstdienst der Ev. Kirche gemeinsam mit dem Institut für Vergleichende Staat- Kirche-Forschung bei hentrich&hentrich, Berlin 2005). Sie enthält ein Gespräch mit Heinz Hoffmann. Hier kann man seinen unverwechselbaren O-Ton nach- empfinden. Heinz Hoffmann, der Theologe, der sich seit seiner Dissertation über das Gesang- buch immer auch mit Liturgik befasst hat, war selber Künstler. Er zeichne- „Längster Altar der Welt“ am 5.7.2008 auf der Königstraße Stuttgart nach Konzept der Kirchentrojaner, te, musizierte und inszenierte, was er Stuttgart vielschichtig als „Kunst-Werk-Gottes- Dienst“ benannt hat. Sein Umgang mit Künstlern hatte etwas Kongeniales. Er war in ihren Ateliers zuhause. Er stand ihnen bei, in dem, worin sie sich unver- stellt ausdrückten. Und er vermittelte, eben dieses zu zeigen. Er ließ sie das Ihre machen und es so zum Eigenen Anderer werden. R. i. P.

Der Stuttgarter Maler und ehemalige Direktor der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Paul Uwe Dreyer, ist im November 2008 im Alter von 69 Jahren verstorben.

Johannes B. J. Hewel, Professor für Glasgestaltung und Malerei an der Staat- lichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ist im März 2009 im Alter von 61 Jahren verstorben.

126 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Veranstaltungen – Termine in Kooperation mit dem Institut für Kir- 11 Uhr Mitgliederversammlung in der chenbau, Marburg Guardini Galerie, Askanischer Platz 4, 10963 Berlin, Tel. 030/2173580 16. Mai 2009 19. bis 26. Juli 2009 www.guardini.de Wiesbaden 60 Jahre Deutschland im Spiegel von Studientag ART-fremd – Kunst zu Gast Literatur, Kunst und Film 21. Juni 2009 im Kirchenraum XXX. Sommerakademie in Hofgeismar Hannover Kulturkirchort: Schlösschen Schönburg Seminar Bilderzyklus Abendmahl Dreifaltigkeit Wiesbaden, 10-18 Uhr Gesundbrunnen 11, 34369 Hofgeismar Künstlergespräch Kerstin Henschel Kirche und Kultur Tel. 05671/881-0, Fax: - 154 Weitere Angebote: Haus kirchlicher Dr. Simone Husemann, Roncalli-Haus, www.akademie-hofgeismar.de Dienste, FG Kunst und Kultur, Tel. 0611/174-124, Archivstr. 2, 30169 Hannover [email protected] 20. Juni 2009 Tel. 0511/1241-432 Berlin www.kunstinfo.net 20. bis 24. Mai 2009 10-18 Uhr Guardini Galerie Bremen Liegt Babel in Berlin? Zwanzig Jahre 19. – 21. Februar 2010 32. Deutscher Evangelischer Kirchentag nach 1989: Was wissen Wissenschaft, Tutzing Kontakt: www.kirchentag.de Philosophie, Literatur über unsere Zeit? Spuren des Heiligen. Servicetelefon: 0421/43483-100 Triangel-Kolloquium Gibt es Einflüsse der Weltreligionen auf Bildsprachen der Gegenwartskunst? 5. bis 7. Juni 2009 26. Juni 2009 Kooperationstagung Evangelische Hofgeismar Jahrestagung Guardini-Stiftung in der Akademie Tutzing und Artheon Protestantischer Kirchenbau mit Zu- Akademie der Künste am Hanseatenweg Tel. Tutzing: 08158/251118 kunft? 27. Juni 2009 www.ev-akademie-tutzing.de

Artheon-Mitteilungen Nr. 27 127 128 Artheon-Mitteilungen Nr. 27 Herausgegeben von der Gesellschaft für Sehr geehrte, liebe Leserin, Gegenwartskunst und Kirche sehr geehrter, lieber Leser, - Artheon - e. V., Sitz in Frankfurt/ M.

Geschäftsstelle: Gerda Strecker, für den neuerdings am Schweizerischen Institut für Kulturwissenschaft Zürich Gymnasiumstr. 36, (Hospitalhof), lehrenden Beat Wyss ist museale Kunst zur symbolischen Leitwährung des 70174 Stuttgart, globalisierten Kapitalismus geworden. Zu Medienstars gewordene Künstler Tel. 0711/2068-132, Fax 0711/2068-327 produzieren Warenfetische. Sie verbinden ihre mediale Allgegenwart im Fernsehen, E-Mail [email protected] im Internet und in der Regenbogenpresse mit der uralten singulären Realpräsenz auratischer Werke. Für Wyss entspricht diese Entwicklung dem Reliquienhandel Redaktion: Helmut A. Müller (verantwortlich), Gerda Strecker im europäischen Mittelalter. Wyss eröffnet die Artheon-Mitteilungen mit seinem Manuskript: Anita Börzel, Anne Roller prononciert kritischen Essay zur Lage der Kunst heute. Druck: Georg Riederer KG Wolfgang Ullrich, Wyss ehemaliger Kollege am Institut für Kunstwissenschaft und Medientheorie, Karlsruhe, hält dagegen die Undefinierbarkeit der Kunst für eines Bildnachweis: ihres Definitionsmerkmale. Kunst ist nicht zu fassen und ein großes „je ne sais quoi“. Klaus Pfotenhauer, S. 8,9,15,126 Gabriela Oberkofler, S. 10 Der Angstschweiß, den die Frage nach Kunst immer wieder auslöst, gehört für Ullrich Thom Barth, S. 14 zu einem der stärksten Belege für die Magie der Kunst. Roland Köster, S. 34,35 Für Daniel Spanke besteht der Pluralismus der Bilder in der (katholischen) Kirche Wolf Dieter Gericke, S. 62 in dem Zugleich verschiedener Bildparadigmen. Einerseits erscheint das Bild in der Jan Bauer, S. 67 Kirche als Ikone und erfüllt die Aufgabe, die reale Gemeinschaft der Heiligen als courtesy Alexander and Bonin, New York, S. 69 himmlische Wahrheit sichtbar zu machen. Andererseits kommen mit dem Zeitalter Uwe Walter, S. 76 unten Bildrechte bei den Preisträgern, S. 114,117,118 der Kunst eine neue Sichtweise auf Bilder und neuartige Bilder selbst in die Kirche. Die nicht mehr schönen Künste können für die Kirche fruchtbar werden, wenn sie im Wir danken für die freundlichen Scheitern am Ideal und an der Perfektion zur Mitmenschlichkeit führen. Abdruckgenehmigungen. Sofern Rechtsinhaber Für Karl-Josef Kuschel wird die christlich überformte alte Moschee von Córdoba nicht ermittelt werden konnten, wird um die zum Ausgangspunkt einer Realutopie der Begegnung der abrahamitischen Religionen Geltendmachung von Honoraransprüchen Judentum, Christentum und Islam auf Augenhöhe. gebeten. Kuschel stimmt mit seinem Text auf unsere Kooperationstagung „Spuren des MitarbeiterInnen: Heiligen. Gibt es Einflüsse der Weltreligionen auf Bildsprachen der Gegenwart?“ Reinhard Lambert Auer, Stuttgart vom 19. bis 21. Februar 2010 in Tutzing ein. Wir laden schon heute ein und Jörg-Michael Bohnet, Machtolsheim freuen uns, wenn Sie dabei sein können. Siegfried Kaden, Havanna/Kuba Inge Kirsner, Stuttgart Karl-Josef Kuschel, Tübingen Noch ein Letztes: Bei unserer Mitgliederversammlung in der Spinnerei in Leipzig Achim Meindel, Schwäbisch Hall im September 2008 wurde ein neuer Vorstand gewählt. Wir danken den langjährigen Jörg Mertin, Minden Vorstandsmitgliedern Dekan i. R. Ernst Wittekindt, Pfr. Manfred Richter und Pfr. Helmut A. Müller, Stuttgart Wilhelm Schlatter für ihre Mitarbeit und begrüßen als neue Vorstandsmitglieder Heiko Naß, Kiel Prof. Dr. Rainer Goetz, Pfr. Marcus Keinath, Pfr. Martin Rüsch und Pastorin Jörg Neijenhuis, Heidelberg Franziska Stoellger. In den Vorstand kooptiert wurde zusätzlich Dr. Roswitha Marcus Nitschke, Berlin/Krems Michael Reuter, Stuttgart Terlinden. Dass die Arbeit im neuen Artheon-Vorstand spannend wird, zeigt sich Manfred Richter, Berlin schon jetzt. Wir nehmen die vor uns liegenden Herausforderungen gerne an. Anna Siemon, Stuttgart Daniel Spanke, Stuttgart Franziska Stoellger, Winsen/Luhe Mit freundlichen Grüßen Wolfgang Ullrich, Karlsruhe Ernst Wittekindt, Kassel Beat Wyss, Zürich Ihr

Mitglieder Vorstand Artheon: Pfr. Helmut A. Müller Helmut A. Müller Pfr. Christhard G. Neubert Dr. Stefan Graupner Marcus Nitschke Dr. Jörg Neijenhuis Prof. Dr. Rainer Goetz Pfr. Marcus Keinath Werner Mally Pfr. Martin Rüsch Pastorin Franziska Stoellger Pfrin. Eveline Valtink kooptiert: Dr. Roswitha Terlinden

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