Das Bunmei-ittö-ki und das Shödan-cbiyö Zwei Lehrschriften des lchijo Kanera

Von Klaus-Albrecbt Pretzell (Hamburg)

1. Die Ashikaga-Shögune und die Kultur der Hofaristokratie

in der Muromachi-Zeit

Im 12. Jahre der Ära Bunmei (1480) verfaßte der Gelehrte Ichijö Kanera ltl zwei für den jungenAshikaga Yoshihisa1 bestimmte Erziehungsschriften: Das Bunmei-ittö-ki 121 und das Shödan-chiyö 131. Eine führende Persönlichkeit des Hofadels unterwies hier einen regierenden Shögun in der Kunst des Regie­ rens. Dieses Ereignis ist bezeichnend für eine Zeit, für die der Ausdruck Aristokrat (hier und stets im Sinne des japanischen kizoku 141 gebraucht) nicht mehr ausreicht, um die Angehörigen des höfischen Geburtsadels (kuge) von denen des Schwertadels (buke) zu unterscheiden.

Spätestens mit dem bemerkenswerten Interesse von Ashikaga Yoshimitsu 2 für die traditionelle Kultur des Hofadels beginnt bei den Shögunen eine Entwicklung, die rasch fortschreitet und schon in der Persönlichkeit von Ashikaga Yoshimasa 3 als abgeschlossen betrachtet werden darf: der Prozeß der Aristokratisierung des Schwertadels.

1 1465-1489, 9. Shögun des Ashikaga-Gesdlledlts und Sohn von Ashikaga Yoshi­ masa.- Als Yoshimasa im Jahre 1464 seinen Rücktritt als Shögun erwog und die Frage des Nadlfolgers aktuell wurde, sdllug der Kanryö Hosekawa Katsumoto den Jödo-Abt und jüngeren Bruder Yoshimasas, Ashikaga Yoshimi, vor. Dieser zögerte zunädlst, willigte aber schließlich doch ein. Weniger als ein Jahr später wurde Yoshihisa geboren. Seine Mutter, die ehrgeizige Hino Tomiko, versudlte nun mit allen Mitteln, die Position Yoshimis zu ersdlüttern und verbündete sidl mit Yamana Sözen, einem Antagonisten Hosekawa Katsumotos, um die Nachfolge Yoshihisas im Shögunat zu erzwingen. Im Jahre 1467 kam es zum Kampf, der zehn Jahre andauern und unter der Bezeidmung Onin-Wirren in die Gesdlidlte eingehen sollte. - Yoshihisa starb, als er seine Truppen gegen Sasaki Takayori, den Shugo-Daimyö von Omi, führte, der seiner allgemeinen Anordnung, die Stammländereien der Tem- pel und Sdlreine zurückzugeben, nicht gehordlt hatte. . . 2 1358-1408, 3. Shögun des Ashikaga-Gesdlledlts und Sohn von Yosh1aku~, 1368 zum Shögun proklamiert. Eine ausführlidle Studie über ihn s. Usui Nobuyosh1, Ashikaga Yoshimitsu, in: Jinbutsu-sösho, Bd. 38, Tökyö 1960. 3 • 1434-1490, 8. Shögun des Ashikaga-Gesdlledlts und Sohn von Ashikaga Yoshi­ non, 1449 zum Shögun proklamiert.

(4] JtitR.

161 Unter der Herrschaft der Ashikaga-Shögune erlebte Japan zwei große Kulturblüten. Das Zentrum und Wahrzeichen der ersten war der von Yoshimitsu erbaute Kinkaku-ji 4 auf dem Kitayama, die zweite erhielt ihren Namen nach dem im Jahre 1482 fertiggestellten Landsitz des Shöguns Ashikaga Yoshimasa, dem Higashiyama-dono 5 mit dem Ginkaku-ji. Der Kinkaku-ji zeugte eindrucksvoll von der Liebe seines Erbauers zu 6 Pracht und Luxus. Wie schon für den Hana-no-Gosho , die Residenz des Shöguns in dem Kyötoer Stadtteil Muromachi, hatte Yoshimitsu auch hier ungeheure Summen aufgewandt, um die Errichtung und Ausgestaltung dieses so prunkvollen Besitzes zu ermöglichen. Nachdem der Shögun zugunsten seines neunjährigen Sohnes YoshimochF abgedankt hatte (1395), zog er sich als Mönch hierher zurück und versammelte um sich Gelehrte aus den Kreisen der Hofadligen, Literaten und Dichter, Mönche der verschiedensten buddhisti­ schen Schulen und Künstler aller Richtungen. Seine finanzielle Großzügigkeit und seine Aufgeschlossenheit für alle Ausdrucksformen geistigen und künst• lerischen Lebens ermöglichten und förderten das Aufblühen einer mannig­ faltigen Kultur. Der Zen-Buddhismus, wie er von chinesischen und japanischen Mönchen aus dem China der Südlichen Sung-Dynastie (1127-1279) nach Japan gebracht worden war, zeigte schon zu Beginn der Nanboku-chö-Periode 8 eine gewisse Anfälligkeit für Elemente des esoterischen Buddhismus 9• Diese Elemente gewannen jetzt immer stärkeren Einfluß und trübten die reine Zen-Ober­ lieferung in zunehmendem Maße. So mancher Idealist fühlte sich in dieser

4 Goldener Pavillon, erbaut 1397 auf dem Kitayama, nord-nordwestlich von Kyöto, wurde nach dem Tode Ashikaga Yoshimitsus Zen-Kloster und erhielt den Namen Rokuon-ji (Rehgarten-Tempel); 1950 durch Brandstiftung zerstört, aber bereits 1955 wieder aufgebaut. Näheres s. PoNsONBY-FANE, Kyöto - The Old Capital 01 Japan (794-1869), Kyöto 1956, S. 203-207. 5 Ostberg-Palast, wurde 1490 nach dem Tode von Ashikaga Yoshimasa Zen-Kloster und erhielt den Namen Jishö-ji. Zu diesem Palast gehört der Ginkaku-ji, der berühm• te Silberne Pavillon. Näheres s. PoNSONBY-FANE, Kyöto, S. 203-207. 6 1378 von Ashikaga Yoshimitsu erbaut. Im Garten dieser Residenz wuchsen die verschiedensten Arten von Blumen für alle Jahreszeiten, die aus den Gärten der um­ wohnenden Hofadligen dorthin verpflanzt worden waren. 7 1386-1428, 4. Shögun des Ashikaga-Geschledlts und ältester Sohn des Ashikaga Yoshimitsu, übernahm das Shögunat nach dem Tode seines Vaters (1408), trat 1422 zugunsten seines Sohnes Yoshikazu zurück und wurde Priester unter dem Namen Kenzan Dösen. Nach dem Tode Yoshikazus (1425) übernahm er ein zweites Mal die Regierungsgeschäfte. 8 Periode, in der es einen nördlichen und einen südlichen Hof gab: 1337--1392. DieTennöder sogenannten südlichen Dynastie residierten in Yoshino und waren im Besitz der kaiserlichen Insignien. Die Tennö der nördlichen Dynastie in Kyöto wurden von den Ashikaga gestützt. Die Nanbokuchö-Periode, auch Yoshino-Periode genannt, war eine Zeit unablässiger Bürgerkriege. Näheres s. G. B. SANSOM, A History 0/ Japan- 1334-1615, London 1961, S. 59-119. 11 Es handelt sich hier um rituelle Praktiken und Zeremonien der esoterischen Schule des Buddhismus, die dem Zen eigentlich wesensfremd waren wie etwa das Gebet, die aber aufgrund besonderer religiöser Tendenzen einzelner Zen-Meister und der von ihnen gegründeten Zweigschulen (ha) und nicht zuletzt aufgrundder sich mehrenden Kontakte der Zen-Klöster mit der Gesellschaft des Hofadels in zunehmen­ dem Maße in den Zen-Buddhismus eindrangen. So entstand das Schlagwort ,kyö• zen-itchi'. Vgl. IMAEDA Aishin, Zenshü, in: Zusetsu Nihon bunkashi taikei, Bd. 7, Tökyö 1957, S. 151.

162 neuen Atmosphäre nicht wohl und flüchtete sich in die Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft. Chinesisches Schrifttum, Lyrik und Prosa, von japa­ 10 nischen Mönchen wie Chügan Engetsu 151, Zekkai Chüshin 11 (6) und anderen nach Japan eingeführt, wurde jetzt eifrig studiert, kommentiert und nach­ geahmt. Die Zen-Kunst erlebte eine Zeit hoher Blüte. Daneben behauptete sich die alte, von Kunst und Literatur geprägte japanische Tradition. Ihre Träger, der kaiserliche Hof und seine Aristokratie, hatten es verstanden, sie durch alle politischen Fährnisse hindurch zu bewahren. So war die Kultur der Kitayama-Periode bestimmt von einer Vielzahl künstlerischer, litera­ rischer und geistiger Richtungen, eine gegenseitige Beeinflussung konnte nicht ausbleiben und war nur natürlich.

Nachdem es dem Bakufu im Jahre 1392 gelungen war, die Einigung des Nördlichen und Südlichen Hofes herbeizuführen, verstärkte der Shögun Yoshimitsu seine Bemühungen, den kaiserlichen Hof zur politischen Bedeu­ 12 tungslosigkeit zu verdammen • Er demütigte und erniedrigte die Hofadligen, indem er ihnen immer wieder unwürdige Dienste abverlangte 13 und zeigte ihnen in unmißverständlicher Weise, daß sie seinem Willen untertan und von seiner Gnade abhängig waren. Auf der anderen Seite bekundete er ein außerordentlich starkes Interesse, in die höchsten Positionen und Rangstufen des Hofadels aufzusteigen. Besonders auffallend war sein Eifer, zur kaiser­ lichen Familie in verwandtschaftliche Beziehungen zu treten. Durch reich­ liche Geschenke hatte er sich die guten Dienste von Nijö Yoshimoto u und Konoe Michitsugu 15 171 gesichert, und so gab es keinen nennenswerten Wider­ stand, als er nach dem Tode der Witwe des GoEnyü Tennö vorschlug, seine eigene Gemahlin zu deren Nachfolgerin als Kaiserin-Witwe zu ernennen 16• Die Tatsache, daß ein militärisch überlegener Shögun, der über einen gut funktionierenden, wirksamen Regierungsapparat 17 gebietet, eine Frau aus

10 1300-1375, Begründer der Chügan-Zweigschule des Zen, nach seiner RückkP.hr aus China Abt des Kennin-ji. 11 1336-1405, Zen-Mönch, Schüler von Musö Kokushi. Großer Verehrer des japa­ nischen Zen-Mönchs Sesson Yübai. Ging selbst für längere Zeit in das China der Ming und machte nach seiner Rückkehr als ein in chinesischer Literatur und Poesie sehr bewanderter Dichtermönch von sich reden. 12 Vgl. SANSOM, History of Japan, S. 143. 13 WATANABE Yosuke, Ashikaga Yoshimitsu köin-setsu, in: Shigaku-zasshi, Bd. 37, Nr. 10 (1926), S. 910. 14 1320-1388, Großvater des Ichijö Kanera, berühmter Dichter und Gelehrter seiner Zeit, brachte es bis zum Kanpaku und Dajö-daijin. S. auch FuKUI Kyüzö, Nijö Yoshimoto, Tökyö 1943. 15 1333-1387, bedeutender Hofadliger, brachte es bis zum Kanpaku. 16 Vgl. WATANABE, Yoshimitsu, (Shigaku-zasshi, Bd. 37, S. 909 ff). 17 Diesen wirksamen Regierungsapparat hatte Hosokawa Yoriyuki (132~-92).' de~ kluge und fähige Shitsuji des Shöguns Yoshimitsu, aufgebaut. Er hatte d1e Da1myo in den Provinzen gezwungen, das Bakufu anzuerkennen. Seine Sparsamkeit und sein Widerwille gegen jede Verschwendung ließen ihn später bei Yoshimitsu in Ungnade fallen. Der gut durchdachte Regierungsapparat aber zeigte sich noch lange hohen Anforderungen gewad:lsen.

163 dem aristokratischen Hause der Hino 18 heiratet, sid:l zu hohen Hofämtern ernennen läßt, mit allen Mitteln nach engen persönlichen Beziehungen zur kaiserlichen Familie strebt und es schließlich fertigbringt, als Angehöriger des Schwertadels die zentrale Persönlichkeit einer Kulturepoche zu werden, zeigt uns, daß der kaiserliche Hof, trotz seiner politischen Machtlosigkeit, eine durch Tradition gestützte Autorität besaß, die auch Yoshimitsu nicht übersehen konnte. Um keinen Preis wollte dieser als Emporkömmling oder gar als Aufrührer gelten und mußte so stets darauf bedacht sein, zumindest den Schein eines Fortbestehens der traditionellen Ordnung zu wahren. 19 So kann man immer wieder feststellen, daß er sich vom Tennö zu einem Amt ernennen, in einen höheren Rang erheben, eine Würde verleihen, zu einer zeremoniellen Handlung autorisieren ließ. Auf diese Weise blieb dem kaiser­ lichen Hof wenigstens das formelle Recht, geistliche und weltliche Beamte zu ernennen und zu entlassen und die ordentlichen und außerordentlichen Zeremonien im Jahresverlauf- mit einigen Ausnahmen - weiterhin zu vollziehen. Damit war eine wichtige Voraussetzung für den Fortbestand der höfischen Tradition gegeben. Seine aristokratischen Ambitionen ließen Yoshimitsu wenig Zeit für die Regierungsgeschäfte. Gleichzeitig nahm die Macht der Territorialherren in der Provinz immer mehr zu. Hatten sie noch unter der Herrschaft des Shitsuji Hosokawa Yoriyuki das Shögunat anerkennen müssen, so wagten sie es doch bald wieder, selbstbewußt aufzutreten, und der Geist ihres Widerstandes gegen die Zentralregierung äußerte sich in kleinen und großen Eigenmächtig• keiten, vom geheimen Ungehorsam bis zum offenen Feldzug gegen die Hauptstadt 20• Die Niederlage einer mächtigen Familie beeindruckte die ande­ 21 ren bestenfalls für kurze Zeit, zumal Yoshimochi und Yoshikazu , die Nach­ folger von Ashikaga Yoshimitsu, das ,aristokratische' Leben genossen und wenig für die Befriedung des Landes taten. 22 Die Ernennung Ashikaga Yoshinoris zum Shögun erfolgte im Jahre 1428 • Dieser erkannte die Misere, in der sich das Land befand, und machte sich ent­ schlossen daran, den Ungehorsam und den Widerstand der Territorialherren mit Waffengewalt zu brechen. Dabei kannte er keine Rücksicht und schreckte

18 Hino Yasuko, auch Kitayarna-in genannt, ?-1419. 19 Vgl. hierzu ToYODA Takeshi, The Character of the Feudal Society in Japan, in: Annals of the Hitotsubashi Academy, Vol. VIII, No. 1, Oct. 1957, S. 31. ToYODA spricht von einer geistigen Autorität, die sich der Shögun quasi vorn Tennö entleh­ nen muß. Diese geistige Autorität wiederum ist begründet in der traditionellen religiös-kulturellen Hegemonie des Tennö. 20 Im Jahre 1391 unternahm Yarnana Mitsuyuki, Herr über elf Provinzen, einen Angriff auf Kyöto. Der Angriff wurde abgeschlagen, seine Armee vernichtet und seine Ländereien zum großen Teil anderen Daimyö verliehen. 21 1407-1425, 5. Shögun des Ashikaga-Geschlechts und Sohn Yoshimochis, wurde 1423 zum Shögun proklamiert, starb aber schon zwei Jahre später, wie es heißt, an den Folgen seines ausschweifenden Lebens. 22 Yoshinori (1394-1441), der jüngere Bruder des Shöguns Yoshimochi, wurde vom Bakufu in eben das Amt berufen, auf das sein Verwandter, der Kubö des Kantö• Gebietes Ashikaga Mochiuji (1398-1439) so sehr gehofft hatte. Dieser war dann auch der erste, der sich gegen ihn empörte.- Kubö bedeutet hier soviel wie Bevollmäch• tigter des Shöguns; vgl. SANSOM, History of Japan, S. 147 f.

164 nicht einmal davor zurück, die aufsässigen Priester des Iwashimizu Hachi­ 23 man-Sdlreines zu züchtigen • Wer seinem Willen zuwiderhandelte, wurde ohne Ansehen seines Ranges oder Standes verurteilt. Mit der gleichen Konsequenz verwirklichte Yoshinori seine Vorstellungen im zivilen und kulturellen Bereich. Er war wie ein Aristokrat erzogen wor­ den, in mönchischer Zucht aufgewachsen und hatte bereits sein Amt als Abt des Tendai-Klosters Seiren-in (in Awata) angetreten, als ihn der Ruf des Shögunats erreichte. Sein Geschmack war aristokratisch gebildet, und sein politischer Ratgeber war der aus dem Hause der Fujiwara stammende :tvlöndl Sanbö-in Manzai 24 181. Yoshinori respektierte die Würde des Hofes, seine Einrichtungen, Ämter und deren Träger, indem er die Uberlegenheit der älteren Tradition aner­ kannte 25• Mit der ihm eigenen Bestimmtheit sorgte er für die Festsetzung der Etikette, ließ alte, fast vergessene Zeremonien wieder einführen und förderte das kulturelle Leben in allen seinen Bereichen. Im Wesen dieser Kultur hatte sich seit Yoshimitsu manches gewandelt. Nach der Hochblüte war eine Zeit der Besinnung und inneren Sammlung ein­ getreten. Die einzelnen Künste waren Gegenstand theoretisch-kritischer Er­ örterungen geworden und hatten mit einer eigenen Grundidee auch größere Tiefe gewonnen. In den Zen-Klöstern hatte sich der Einfluß des esoterischen Buddhismus weiter verstärkt, und neues Ideengut aus der Philosophie der Nenbutsu-Schulen 26 drang ein. Die Folge war eine stärkere Differenzierung der einzelnen Zen-Auffassungen, die auch in der Kunst und Literatur sichtbar wurde. Aus dem Studium der chinesischen Kultur und Geisteswelt erwuchs bei den Zen-Mönchen eine immer stärkere Beschäftigung mit der eigenen japanischen Vergangenheit 27, und eine gegenseitige Beeinflussung konnte nicht ausbleiben. Hier setzte nun eine bemerkenswerte Entwicklung ein, die nicht unbedingt vorauszusehen war: Die immer stärker spürbar werdende

23 Vgl. SANSOM, History of Japan, S. 195.- Der Iwashimizu Otokoyama Hadliman­ gü ist ein berühmter, dem Ojin TennöundseinerMutterJingü-kögögeweihterSduein auf dem Hügel Otokoyama in Yawata, südlidl von Kyöto. 859 auf Wunsdl des Seiwa Tennö (56) von Tadlibana no Yoshimoto erbaut. Näheres s. PoNSONBY-FAN E, Studies in Shintö and Shrines, Kyöto 1957, S. 545 (Index). 24 1378-1435, vertrauter Ratgeber Yoshinoris, besaß großen Einfluß auf die Tagespolitik, wurde schon von den Shögunen Yoshimitsu und Yoshimodli tief vereh:t und ist der Verfasser des Manzai-jugö-nikki (Tagebuch des jugo Manzai).- (jugo, s. Jusangü, Anm. 60.) _ _ 25 NAGASHIMA Fukutarö, Ichijö Kanera, (Jinbutsu-sösho, Nr. 31, Tokyo 1959) , S. 9. 28 Vier buddhistische SChulen, deren Anhänger das Heil in der Anrufung de_s Namens von Amida Buddha sehen: Yüzü-nenbutsu-shü (gegr. 1123 von dem Tendal­ Priester Ryönin), Jödo-shü (gegr. 1175 von Genkü), Jödo-shin-shü (auch lkkö• shü oder Monto-shü, gegr. 1224 von Shinran Shönin) und Ji-shü (gegr. 1275 von Ippen Shönin). 7 '- Vgl. HAGA Köjirö, Higashiyama-bunka no kenkyü, Tökyö 1945 (kü~ftig: HBK) S. 88 und Higashiyama-bunka, Tökyö 1962 (künftig: HB) , S. 36. Das Genko-shakusho des KoKAN Shiren (9] (vgl. Anhang 6.2./32) ist ein Beispiel für diese Bewegung·

165 Tendenz zur Japonisierung. Die traditionelle japanische Adelskultur behaup­ tete sich gegenüber dem im chinesischen Geist wurzelnden Denken, das Generationen hindurch das Leben der Zen-Mönche bestimmt hatte. 28 Dies wiederum bedeutete eine Aufwertung des Ansehens, das der kaiserliche Hof und seine Aristokratie beim Schwertadel genoß. Yoshinoris Verständnis für die aristokratische Kultur war gewiß tiefer als das seines Vaters Yoshimitsu; dabei war er jedoch bestrebt, die Unterschi12de zwischen kaiserlicher Hofhaltung und kaiserlicher Regierung klar hervor­ zuheben und diese Bereiche wiederum scharf vom Bakufu und seinen Schwert­ adligen abzugrenzen. Ganz anders dachte Ashikaga Yoshimasa, der im Jahre 1449 das Shögunat übernahm. Mit seinem Namen verbindet sich eine der bedeutendsten Kultur­ epochen Japans, und der Ginkaku-ji, den er auf dem Higashiyama bei Kyöto erbauen ließ, wurde ihr Wahrzeichen. Yoshimasas Beziehungen zum kaiserlichen Hof und seinen Adligen waren freundschaftlich und gegründet auf das gemeinsame Interesse an der traditio­ nellen Adelskultur. Nach den Önin-Wirren 29 vertiefte sich dieses Interesse und wurde zur Sehnsucht nach einer glücklichen und glanzvollen Zeit: der japanischen Heian-Zeit (794-1192). Die Wirren hatten dem Shögunat seine ganze Machtlosigkeit, ja, Hilflosigkeit vor Augen geführt. Nach ihrem Ende bemächtigte sich der Adligen in Kyöto ein Gefühl der Leere, der Unsicherheit und der Furcht vor dem Neuen. Diese innere Haltung fand ihren Ausdruck auch im Bereich des kulturellen Lebens: in dem Verlust des Schöpferischen und in dem starken Einfluß der Jödo-Schule und ihrer Lehre vom Vertrauen auf die Fremdkraft des Buddha. Das Bemühen des Hof- und Schwertadels um eine Renaissance der Heian­ Zeit war gleichbedeutend mit einer außerordentlich starken Aufwertung des kaiserlichen Hofes. Ashikaga Yoshimasa war Aristokrat. Politisch unbegabt, widmete er seine ganze Kraft und seine Fähigkeiten den kulturellen und geistigen Fragen. Die Zügel der Regierung überließ er seiner Gemahlin Tomikol10 1, die ebenso wie die Gemahlinnen seines Vaters und Großvaters aus dem aristokratischen Hause der Hino stammte. Schon im Jahre 1473 dankte er zugunsten seines Sohnes Ashikaga Yoshihisa ab und führte ein Leben in Glanz und Dberfluß.

28 Die Abkehr von den eigentlichen Zen-Inhalten und die Intensivierung des Japanischen, besonders in der Dichtung, erreichte ihren Höhepunkt in der Higashi­ yama-Kulturperiode. Aber auch da blieb sie auf einen Teil der Zen-Mönche be­ schränkt. Noch gegen Ende der Kitayama-Kulturperiode ist das Interesse der Zen­ Mönche für die japanische Geschichte und ihre Zeugnisse sehr gering. Vgl. HAGA, HB, S. 48 und 38. 29 Zu den Önin-Wirren und ihrem Anlaß vergleiche außer den bekannten Ge­ schichtswerken in japanisCher und europäischen SpraChen (wie SANSOM, History of Japan, S. 217ft) den Artikel von SuzuKI Ryöichi, Önin-no-ran ni kansuru ikkö-satsu, in: Shigaku-zasshi, Bd. 50, S. 1047 ff. Außerdem das Onin-ki, Onin-ryakki und Onin­ bekki, in: Gunsho-ruijü (künftig GR) Bd. 20, Gassen-bu, (Tökyö 1952).

[10] smr'M.:r:

166 Auch Yoshihisa war Aristokrat. Er soll sehr klug gewesen sein und wäre wohl ein erfolgreicher Shögun geworden, wenn das ausschweifende Leben, in dem er seinem Vater nicht nachstand, nicht seine ohnehin schwache Ge­ sundheit ausgehöhlt und seinen frühen Tod herbeigeführt hätte. So läßt sich sagen, daß die Aristokratisierung des Bakufu, ursprünglich aus machtpolitischen Erwägungen heraus angestrebt, in ihrer Konsequenz zu einer der Hauptursachen für den Untergang des Ashikaga-Shögunats wurde. Auf der anderen Seite aber schuf sie die äußeren Voraussetzungen für zwei Kulturen, die für die Geschichte des japanischen Geistes von un­ schätzbarer Bedeutung sind.

2.1. Der Lebensweg des Ichijö Kanera

Im Zusammenhang mit den politischen Machtkämpfen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ging auch die Einheit des Hauses Fujiwara ver­ loren: Motozane 30 und Kanezane 31 , Söhne von Fujiwara Tadamichi32 und hervorragende Staatsmänner ihrer Zeit, gründeten unter neuem Namen die Häuser der Konoe und Kujö. Nur drei Generationen später entbrannte unter den Söhnen von Kujö Michiie 33 ein heftiger Streit um das Amt des Kanpaku 34

30 1143-66, berühmt für seine überaus schnelle Karriere: er wurde schon 1158 Kanpaku (bis 1165) und 1165 Sesshö (bis 1166}, erhielt posthum den Titel eines Dajö-daijin. 31 1149-1207, kam zur Zeit der Taira-Vorherrschaft, nämlich 1158, an den Hof, war ein scharfer Beobachter und sagte stets, was er wirklich dachte. Sein Tagebuch, das Gyokuyö P11 (später Gyokkai) P21 ist eine der verläßlichsten und wertvollsten historischen Quellen für die Zeit von 1163 bis 1200. Im Jahre 1196 trat Kanezane als Sesshö zurück und wurde 1202 Mönch unter dem Namen Enshö (1 31. 32 1097-1164, löste 1121 seinen Vater Fujiwara Tadazane als Kanpaku ab; 1123 Sesshö, 1128 Dajö-daijin, 1141 zum zweiten Male Kanpaku. - Tadamichi und sein vom Vater bevorzugter jüngerer Bruder Yorinaga lagen miteinander in permanentem Streit um den größeren Einfluß am kaiserlichen Hof. Dieser Kampf um die Macht gipfelte in den Wirren der Ära Högen (1156) und endete mit der Niederlage Yori­ nagas und des von ihm unterstützten Ex-Kaisers Sutoku. Der von T. begünstigte GoShirakawa wurde Tennö und der Einfluß Taira Kiyomoris nahm zu.- Fujiwara Tadamichi ist auch unter dem Namen Hosshö-ji no Kanpaku bekannt. Sein Tagebuch ist das Hosshö-ji-no-Kanpaku-ki 1141. Hosshö ist auch der Name einer Kalligraphie­ Schule, die von Tadamichi gegründet wurde. 33 1193-1252; als der Shögun Minamoto Sanetomo starb, war Michiie gerade Sadaijin. 1219 wandte sich der Shikken (s. Anm. 315) Höjö Yoshitoki mit der Bitte an M., in die Erhebung seines zweijährigen Sohnes Yoritsune zum Shögun einzu­ willigen. In den Jahren 1221 und 1235 wurde M. zum Sesshö und im Jahre 1228 zum Kanpaku ernannt.- M. erbaute den Töfuku-ji und auch den Kömyöbu-ji, sein Tage­ buch, das Gyoku-zui [151, ist eine wertvolle historische Quelle. 34 Das Amt des Kanpaku wurde für Fujiwara Mototsune geschaffen. War der Sesshö (s. Anm. 41) gewöhnlich Regent für den unmündigen Tennö, so wurde er nach dessen Mündigkeit Kanpaku, d. h. er regierte weiter für den Kaiser, im Auf­ trage des Kaisers und mehr und mehr an Stelle des Kaisers. Man könnte ihn als Staatschef bezeichnen.

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167 und die Würde des Sippenoberhauptes (uji-no-chöja). Die Folge war eine weitere Spaltung. So begründeten Sanetsune 35 und Yoshizane 36 die Zweig­ häuser der Ichijö und Nijö, während Norizane 37 den Namen des ursprüng• lichen Stammhauses, Kujö, beibehielt. Nun war es aber Sanetsune, der jüng• ste und liebste Sohn von Kujö Michiie, dem sein Vater die familiengeschicht­ lichen Dokumente zur weiteren Uberlieferung anvertraute, und die Ichijö er­ langten die kaiserliche Anerkennung als legitime Erben des Stammhauses Kujö. Etwa zur gleichen Zeit vollzog sich auch der Bruch im Hause der Kanoe, und Kanehira 38, Sohn des Kanoe Iezane 39, gründete eine neue Familie mit dem Hausnamen Takatsukasa. 40

Für diese fünf Häuser, Ichijö, Nijö, Kujö, Kanoe und Takatsukasa, gibt es die zusammenfassende Bezeichnung Regentenhäuser (sekke). Ihre Angehörigen galten in den Kreisen der Hofaristokratie als bevorrechtigte Adlige, deren Sippenoberhäuptern es aufgrund ihrer Abstammung vom Hause der Fuji­ wara vorbehalten war, die Ämter des Sesshö 41 und Kanpaku zu beset­ zen. Schon zu Beginn ihrer Laufbahn genossen die Söhne aus Regenten­ häusern gegenüber denen anderer Adelsfamilien etliche Vorteile, die geeig­ net waren, ihren Aufstieg in Rang und Amt zu beschleunigen 42•

Ichijö Kanera wurde im Jahre Öei 9 (1402), am 27. Tage des 5. Monats geboren. Sein Vater, der Kanpaku Ichijö Tsunetsugu 1191, war ein Sohn des großen Gelehrten Nijö Yoshimoto, seine Mutter eine Tochter des Professors

35 ?-1284, 1246 Kanpaku, danach Sesshö und 1265 zum zweiten Mal Kanpaku. Auch bekannt unter dem Namen Enmyö-ji Kanpaku 1161. 36 1216-70, zweiter Sohn Kujö Mid:üies, 1242 Kanpaku, 1244 Rücktritt als Sadaijin, 1246 Rücktritt als Kanpaku, 1261 wieder Kanpaku und Sippenoberhaupt- Als Nori­ zane (s. Anm. 37) starb, nahm der Vater Michiie dem Y. das Amt des Sadaijin und gab es seinem Lieblingssohn Sanetsune. Seitdem lebten die Brüder im Streit. Y. ist auch bekannt unter dem Namen Fuköon-in [171. 37 1210-35, 1. Sohn Kujö Michiies, war Sesshö und Sadaijin. 38 1228-1294, 1246 Sadaijin, brachte es bis zum Kanpaku (1254-61), Sesshö (1252) und Dajö-daijin (bis 1253); 1215 wieder Sesshö und 1278 wiederum Kanpaku. 39 1179-1242. 40 Mehr über diese Entwicklung findet sich bei NAGASHIMA Fukutarö, Ichijö Kanera, S. 52-54. Vgl. auch Anhang, 6.3. u Der Titel Sesshö, Regent, wurde ursprünglich für Shötoku Taishi geschaffen. Zur Zeit der Fujiwara-Herrschaft regierte der Sesshö im Namen des noch unmündi• gen Tenno. Die Bestimmung, daß die Sesshö und Kanpaku nadleinander aus jedem der fünf Regentenhäuser gewählt werden sollen, stammt von Höjö Sadatoki P81. In der Higashiyama-Kulturperiode hatten diese Ämter nur mehr nominellen Wert. Dennoch waren sie sehr begehrt und die Regentenhäuser intrigierten unablässig, um ihre Oberhäupter in diese Amter zu bringen. _ 42 Worin diese Vorteile im einzelnen bestanden, erklärt NAGASHIMA Fukutaro, Ichijö Kanera, S. 27 ff.

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168 für Literatur und Geschidlte Sugawara Hidenaga •a l20l. Im 11. Monat des Jahres Öei 19 (1412), am Tage seiner Einkleidung«, wurde der Elfjährige mit dem Wahren 5. Rang B in den Adelsstand erhoben. Zu dieser Zeit be­ kleidete sein Vater bereits zum dritten Male das Amt des Kanpaku •s, und Tsunesuke l211, als älterer Bruder Kaneras ein potentielles Hindernis in des­ sen Laufbahn, hatte schon ein Jahr zuvor, vermutlich aus gesundheitlichen Gründen, allseine Ämter aufgegeben.

Anderthalb Jahre später ist Kanera Außerplanmäßiger Mittlerer Rat•6 (gonchünagon) im Wahren 3. Rang, mit fünfzehn Jahren wird er Außerplan• mäßigerHoher Rat ( gondainagon), mitZwanzig Ministerdes Innern ( nai dai j in), mit Dreiundzwanzig Minister zur Rechten (udaijin); im 1. Monat des darauf­ folgenden Jahres erreicht er mit dem Folgenden 1. Rang die oberste Sprosse der aristokratischen Rangleiter. Ein rascher, wenn auch nicht ungewöhnlicher Aufstieg, gefördert vor allem durch einen ehrgeizigen Vater.

Im 8. Monat des Jahres Eikyö 1 (1429) übernahm Kanera die Amtspflichten eines Ministers zur Linken (sadaijin). Damit befand er sich in unmittelbarer Nähe der beiden begehrtesten Ämter. Nur noch ein Schritt, und er war Sesshö oder gar Kanpaku.

Als Kanera diesen Schritt tat, begann für ihn eine Zeit der Demütigungen und des Kampfes. Ehrgeizige Manipulationen seiner politischen Rivalen drängten Kanera im 8. Monat des Jahres Eikyö 4 (1432) in die Rolle des

u 1352-1421, Hofaristokrat und Waka-Dichter, war Sangi (einer der 8 nicht stimm­ berechtigten Räte des Dajökan) und Minister des Shikibu-shö (Ministerium für Zere­ monien). Ein Teil seiner Gedichte ist in das Shin-zoku-kokin-shii. aufgenommen worden. " Genpuku, das Fest der Einkleidung, stammt aus China. Die erste Aufzeidmung über diese Zeremonie in Japan findet sich im Shoku-Nihongi und berichtet über die Einkleidung eines Kronprinzen, des späteren Shömu Tennö, im Jahre Wado 7 (714). Die genpuku-Zeremonie, mit der Knaben die Volljährigkeit zuerkannt wurde, wurde bei Kaisern zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr, bei kaiserlichen Prinzen zwisdlen dem 11 und 17. und bei Beamtensöhnen zumeist um das 15. Lebensjahr vollzogen. Der Knabe legt dabei seinen Geburtsnamen ab und erhält von einem "Pate n~ (eboshi-oya) einen neuen, den sogenannten Kappennamen (eboshi-na). Die Kleidung erwachsener Männer wird ihm feierlich angelegt, ebenso eine Kopfbedeckung (eboshi), die er vorher nicht tragen durfte. Der zeremoniellen Handlung der Bekap­ pung (kakan) geht die des rihatsu voraus, bei der ihm die Haare zu einer anderen Frisur geschnitten werden.- s. auch Anm. 47. 45 Ichijö Tsunetsugu Kanpaku von 1394-98, von 1399-1408 und von 1410-1418. "' Uber die einzelnen Hofämter wie sie in der Muromachi-Zeit - zum Teil nur noch nominell- bestanden, geben CoATES u. IsHIZUKA in Hönen- The Buddhist Saint, Kyöto 1925, S. 109 ff einen guten Uberbli

[21) ~-

169 Sesshö und zwangen ihn bereits zwei Monate später zu seinem Rücktritt 47. Er hatte nicht einmal mehr Gelegenheit, bei der großen Neujahrszeremonie als Sesshö zu repräsentieren; die mit diesem Amt verknüpften Rechte wur­ den ihm nicht zugestanden. Diese Behandlung muß ihn tief geschmerzt haben, und es läßt sich denken, daß er mit Eifer daranging, seinen verletzten Ruf wiederherzustellen. Die wichtigsten Voraussetzungen dazu hatte er sich seit der Zeit seiner frühen Jugend erarbeitet. Im 15. Jahrhundert war der Bildungsstand eines Adligen der Maßstab, nadl dem er eingeschätzt wurde. Am Anfang der Erziehung stand das Stu­ dium der Staatsdinge (kuji) 48 [221, für den vornehmen Hofaristokraten eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit. ldüjö Kanera, als Enkel zweier her­ vorragender Gelehrter auch selbst mit besonderen geistigen Fähigkeiten und einer überdurchschnittlichen Energie begabt, widmete sich diesen Studien mit großer Hingabe und erzielte schon früh bemerkenswerte Erfolge: Bei dem aouma-no-sechi'e 49 im Jahre Öei 26 (1419) stellte der Shögun Ashikaga Yoshimochi den versammelten Adligen die Frage, weshalb die chinesischen Schriftzeichen für ,weißes Pferd' eigentlich a-wo-u-ma gelesen würden. Niemand wußte ihm eine Antwort zu geben. Auch im Palast des Ex-Kaisers konnte man sich den Grund für diese Lesung nicht erklären. Da fand Kanera die Lösung des Problems im Kanpyö-gyoki [231, dem Tagebuch des Ex-Kaisers Uda 50 und teilte sie dem Shögun mit. Die Bildung des Achtzehnjährigen rief damals allenthalben Erstaunen und Bewunderung hervor. Drei Jahre später (1422} vollendete Kanera sein Erstlingswerk, es trug den bedeutungsvollen Titel Kuji-kongen st [241.

47 Unter Berufung auf ein Glückverheißendes Beispiel (karei) aus dem Jahre 1387, wo Nijö Yoshimoto als Sesshö und Dajö-daijin und der Shögun Ashikaga Yoshimitsu als Sadaijin an der genpuku-Zeremonie für den jungen GoKomatsu Tennö beteiligt gewesen waren,- Yoshimoto hatte die zeremonielle Handlung der Bekappung und Yoshimitsu die des Haarabsdmeidens vorgenommen - trachteten nun auch der Enkel Nijö Mochimoto und der Sohn Ashikaga Yoshinori danach, in der bevorste­ henden genpuku-Zeremonie für GoHanazono Tennö (1433) die gleichen Ämter wie ihr Großvater bzw. Vater einzunehmen. Da Kanera zu diesem Zeitpunkt gerade Sadaijin war und dieses Amt für Yoshinori frei werden sollte, wurde er für kurze Zeit zum Sesshö ernannt. Vgl. NAGASHIMA Fukutarö, Ichijö Kanera, S. 32 ff. 48 Siehe 2.2 .. 48 Zeremonie und Bankett am 7. Tage des 1. Monats. An diesem Tage begab sich der Tennö in das Shishin-den (eine der wichtigsten Hallen im kaiserlichen Palast, vgl. PoNSONBY-FANE, Kyöto, S. 661 ff). Zuerst erklang die Musik der weißen Pferde, dann führten die Marschalke oder Stallmeister zur Rechten und zur Linken dreimal jeweils sieben weiße Pferde in den Hof südlich des Shishin-den und am Tennö vorbei. Man glaubte, wenn man an diesem Tage weiße Pferde zu Gesicht bekomme, bedeute das Vertreibung aller schädlichen Dünste für das ganze Jahr. 60 867-931, 59. Kaiser, regierte 887--897, favorisierte Sugawara Michizane, dankte zugunsten seines Sohnes Daigo Tennö ab und zog sich als Mönchskaiser in den Ninna-ji zurück. Er soll der erste Kaiser gewesen sein, der mit dem Titel Höö aus der Zurückgezogenheit weiterregiert hat (insei). 901 versuchte er mit allen Mitteln den Sturz Michizanes zu verhindern. 61 Die im Rahmen der Arbeit genannten Werke Kaneras werden im Anhang be­ sprochen.

[22J ~M

170 Kaneras Ansehen beim Shögun Y oshinori war anfangs nicht besonders groß, davon zeugt schon die demütigende Behandlung, die er als Sesshö über sich ergehen lassen mußte. Aber sein Arbeitseifer wurde dadurch nur gesteigert. Unermüdlich erweiterte und vertiefte er seine Kenntnisse. Dabei war er sich seiner Fähigkeiten durchaus bewußt und stellte sein Licht nicht unter den Scheffel. So erarbeitete er sich nach und nach einen festen Platz unter den Gelehrten des Hofadels. Sein Ansehen wuchs, immer häufiger wurde er als Autorität in Fragen der kuji zu Rate gezogen, mit dem Ver­ fassen von Vorworten beauftragt, bis ihm schließlich im Jahre 1438 eine Ehre widerfuhr, die ihn vor allen anderen als hervorragendsten Gelehrten auszeichnete: Er wurde dazu ausersehen, das Vorwort (jo) zu der eben fertiggestellten offiziellen Gedichtsammlung Shin-zoku-kokin-shü 52 zu schreiben, obgleich er an der Kompilation überhaupt nicht beteiligt gewesen war 53• Ichijö Kanera hatte sich durchgesetzt, die Zeit des Lernens fand ein Ende, die Zeit des Lebrens nahm ihren Anfang. Im 3. Monat des Jahres Eikyö 11 (1439) hielt Kanera seinem ältesten Sohn, dem gerade zum Außerplanmäßi• gen Mittleren Rat ernannten Ichijö Norifusa 54 [251, eine private Lektion über Themen aus dem Göshidai 55 , wahrscheinlich seine erste Vorlesung über einen Gegenstand der japanischen Klassik. Fünf Jahre später folgte dann die erste große Vorlesung über das Genji-monogatari. Man darf wohl annehmen, daß der durch seine Gelehrtentätigkeit so erfolg­ reiche Kanera nun auch versuchte, das Ziel seiner politischen Wünsche zu er­ reichen. Zunächst vergeblich: Als der regierende Kanpaku Nijö Mochimoto 56 im 11. Monat des Jahres Bun' an 2 (1445) starb, wurde Konoe Fusatsugu 57 1281 zu seinem Nachfolger bestimmt. In seiner bisherigen Laufbahn war Kanera dem gleichaltrigen Fusatsugu stets eine Stufe vorausgewesen 58, so kann man sich unschwer vorstellen, welche Wirkung diese Entscheidung auf ihn hatte.

52 ,Neue fortgesetzte Sammlung aus alter und neuer Zeit', die letzte der 21 offi­ ziellen Gedichtsammlungen. 20 Kapitel (maki), 1433 vom Tennö in Auftrag gegeben, 1439 vollendet, kompiliert von Asukai Masayo (1390-1452). 53 Im japanischen Altertum und Mittelalter war es üblich, daß der Kompilator einer Gedichtsammlung auch die Vorworte schrieb. Wurde ein anderer damit beauf­ tragt, so bedeutete dies eine ganz besondere Ehrung und Auszeichnung als Gelehr­ ter. Auch Nijö Yoshimoto, der Großvater Kaneras, hatte diese Auszeichnung erfah­ ren. Er verfaßte das Vorwort zur 20. offiziellen Gedichtsarnmlung, dem von Nijö Tametö und später Nijö Tameshige (1325-1385) kompilierten Shin-go-shüi-shü. 54 Ältester Sohn Ichijö Kaneras, geboren 1423, 1458 Kanpaku und Oberhaupt des Hauses Ichijö. Weiteres s. 2.1. u. 4.2.1.2 .. 55 Das Goshidai oder Goke-shidai ist ein Standardwerk über die Zeremonien und die Etikette am Hof der späteren Heian-Zeit. Es wurde von dem Gelehrten und Hof­ beamten Oe Masafusa [2&] (1041-1111) auf Wunsch des Kanpaku Fujiwara Mora­ michi [271 (1062-99) zusammengestellt. 56 1390--1445, politischer Rivale Ichijö Kaneras. 57 1402-1488, s. auch Anhang, 6.4 .. 58 Vgl. Schaubild: Die Karrieren Ichijö Kaneras und seiner politischen Rivalen, Anhang, 6.4 ..

[25] ~m [26) *tr~m (27] fmjji [28) mmPJ

171 Von jetzt an wird er seinen ganzen Einfluß geltend gemacht haben, um die für ihn unerträgliche Situation zu seinen Gunsten zu ändern. Diesmal mit Erfolg: Bereits zwei Monate nach dem Amtsantritt seines Rivalen Fusatsugu erreichte ihn die kaiserliche Ernennung zum Premierminister und Leiter des obersten Staatsrates (dajödaijin). Damit bekleidete Kanera das höchste Hof­ amt und stand noch über demKanpaku. AnderthalbJahre später, im 6. Monat des Jahres Bun'an 4 (1447), erzwang er mit Hilfe des Bakufu den Rücktritt 59 des Kanpaku und ließ sich selbst zu diesem Amt ernennen •

Drei Jahre vergingen, in denen Kanera als Oberhaupt des Hauses Ichijö die Ämter des Kanpaku und des Premierministers innehatte. Nach dieser Zeit trat er als Premier und im 4. Monat des Jahres Kyötoku 2 (1453) auch als Kanpaku zurück. Im 6. Monat desselben Jahres verlieh ihm derTennö Würde und Rechte eines Jusangü 60•

Unterdessen hatte der Gelehrte Kanera mit unverminderter Energie weitergearbeitet. Wichtige Schriften wie das Genji-monogatari-wahishö und das lse-monogatari-gukenshö entstanden als Ergebnisse seiner umfassenden Studien. Im Jahre 1461 hielt er seine zweite große Vorlesung über das Genji-monogatari.

Der Ausbruch der Önin-Wirren im Jahre 1467 (Önin 1) veranlaßte viele Adlige, Kyöto den Rücken zu kehren. Die Fujiwara wandten sich - mit wenigen Ausnahmen - nach Nara, wo ihnen ihre Söhne in den Klöstern und Tempeln des Köfuku-ji 61 , denen sie als Äbte und Oberpriester vor­ standen, eine Zufludlt bieten konnten.

511 Kanera hatte es fertiggebracht, das Wohlwollen der Witwe Yoshinoris, Hino Shigeko, zu gewinnen. Diese forderte nun mit aller Bestimmtheit den Rücktritt des Kanpaku Konoe Fusatsugu und drohte sogar mit gewaltsamer Entfernung aus diesem Amt. eo Ein Titel, der seinem Träger die gleichen Einkünfte garantierte, die den drei Kaiserinnen (sangü: köjö (regierende Kaiserin), kötaigö (Kaiserin-Mutter), taikö• taigö (Alt-Kaiserin-Mutter)) zustanden. Er wurde Prinzessinnen, verdienstvollen Hofdamen, Beamten, Ministern und Priestern verliehen. Zu Kaneras Lebzeiten nur noch Ehrentitel ohne Einkünfte. 61 Der einflußreichste und wohlhabendste Tempelkomplex in Nara, Haupt-Tempel der Hossö-Schule, 710 auf Veranlassung des Fujiwara no Fuhito (659-720) erbaut.­ Der Köfuku-ji ist der Familien-Tempel des Hauses Fujiwara. Anfangs schickten diese ihre Söhne dorthin, damit sie bei religiösen Feiern ein Amt bekleideten. Die Tempel des Köfuku-ji wiederum freuten sich, die Söhne so einflußreicher Aristokraten bei sich zu haben. Bald kam es soweit, daß die einzelnen Tempel-Klöster (monzeki [2111, s. Anm. 277) den Fujiwara ihre überschüssigen Kinder abnahmen. Nach der Spaltung des Hauses Fujiwara waren es die drei Häuser des Kujö-Zweiges, deren Söhne in die Klöster des Köfuku-ji eintraten. Von ihnen war es wieder das Haus Ichijö, das im Laufe der Zeit die engste Beziehung zum Köfuku-ji bekam. Vgl. NAGASHIMA Fukutarö, Ichijö Kanera, S. 81 u. 83.

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172 Die heftigen Kämpfe im Zentrum der Stadt und der Einmarsch der Truppen öuchi Masahiros 62 1301 im 8. Monat 63 ließen auch Kanera und seinen Sohn Norifusa an ihre Abreise denken. Sein Pflichtgefühl- er war im 5. Monat gerade zum zweiten Male Kanpaku geworden- und die verhältnismäßig ruhige Lage im südlichen Teil der Stadt mögen ihn bewogen haben, sich zu­ nächst zu seinem Sohn Genpö, dem Abt des Zuishin-in 64 [321, zu flüchten. Dieses Kloster gehörte zum Töji und lag in der Neunten Ostwest-Straße (kujö) von Kyöto. Einen Monat später mußte Kanera erfahren, daß sein Haus im Stadtteil Muromachi, zusammen mit der Bibliothek des Hauses Idlijö, ein Opfer der Flammen geworden war. Von den 700 Kapseln (gö}, die einst den Schriftenbestand der Tökabö 1341-Bibliothek ausgemadlt hatten, waren nur etwa 100 Kapseln gerettet worden. Ein knappes Jahr später, am 13. Tage des 8. Monats, ging auch der Kömyöbu-ji 65 in Flammen auf, und von den 100 Kapseln wertvoller familiengeschichtlicher Dokumente (densei-kiroku) des Hauses Ichijö, die man nach dem Brand der Tökabö-Bibliothek dort sicher aufbewahrt glaubte, verbrannten wiederum mehr als 30 Kapseln. 66

Zur gleichen Zeit wurde die Gegend um den Töji immer heftiger von den Unbilden des Krieges heimgesucht, so daß sich nun auch Kanera entschloß, die Hauptstadt endgültig zu verlassen. Sein Ziel war Nara.

In Nara wirkte sein Sohn Jinson 1351 als Oberpriester am Daijö-in 67, einem der Tempel-Klöster, die dem Köfuku-ji angeschlossen waren. Jinson hatte viel von dem Wesen und den Fähigkeiten seines Vaters. Er führte den Titel

62 ?-1495. Mächtiger kulturbeflissener Territorialherr. Kämpfte während der Onin-Wirren auf der Seite des Yamana Sözen. Weitere Einzelheiten s. 2.1. u. 4.2.1.2 .. 63 Vgl. Kyökaku-shiyöshö l31J, Datum: Onin 1, 8, 24, in Dai-Nihon-shiryö {künftig DNS), Teil 8, Bd. I unter Onin 1, 8, 25. 64 Zum Tö-ji gehöriges Tempelkloster, in dem jüngere Söhne des Hauses lchijö Oberpriester (juji) waren. Im Jahre 796 beauftragte Kanmu Tennö (737--806) den Dainagon und Leiter des Amtes für Tempelbau Fujiwara no Isebito mit der Errich­ tung des Tö-ji. Der fertige Tempel wurde im Jahre 823 dem Köbö Daishi {774-835, Gründer der Shingon-shü) von Saga Tennö {786-842) übergeben. Zu dieser Zeit er­ hielt er offiziell den neuen Namen Kyöö-gokoku-ji !381. Wurde während der Onin­ Wirren zerstört und erst unter Hideyoshi teilweise wieder aufgebaut. 65 Erbaut als Landsitz Fujiwara no Michiies (s. Anm. 33) östlich des Töfuku-ji im Bishamon-Tal, Yamashiro; wurde nach dem Tode Michiies ein Tempel, stand zu Kaneras Lebzeiten unter der Verwaltung (kanryö) des Hauses Ichijö. 66 Vgl. dazu Kaneras Vorwort zu Renga-Meister Sögis Chikurin-shö, in: Zoku­ gunsho-ruijü, Bd. 17, Renga-bu, {Tökyö 1912) S. 270: " ... wurden seit langem in der Tökabö-Bibliothek aufbewahrt. Dann brachen unerwartet die Onin-Wirren aus, und die Strohhütten wurden Ausgangspunkte für ein Feuerfeld, und nicht nur das, die Räuber und Diebe der Gegend schlichen umher, und beinahe 700 Kapseln Bücher• wurmnester (Bücher) wurden umhergestreut"-Vgl. ferner Daijö-in-nikki-mokuroku, Datum: Onin 2, 8, 14, in: DNS, Teil 8, Bd. II unter Önin 2, 8, 13. 67 Das Daijö-in gehörte zu denjenigen Tempelklöstern des Köfuku-ji, deren Ober­ priester und Äbte zu dieser Zeit grundsätzlich Söhne des Hauses Ichijö waren.

(30) *p:g i& SI.. (32] ~~t,~-­ t34J ~E~i1i (31) ~jl;f.l.~~ (33] ~.:E~~~ (35] **~~

173 Bischof (so ja) Bs und ist heute vor allem durch sein Tagebuch, das Daijo-in jisha zoji-ki 69 bekannt. Als Kanera am 19. Tage des 8. Monats in Nara ein­ traf, wurde er nicht nur von Jinson herzlich willkommen geheißen. Bereits seit einem Jahr lebten hier Shörin-ji-dono Nakamikado 70 1381, die Gemahlin Kaneras, und der Ex-Kanpaku Ichijö Norifusa. Der Außerplanmäßige Hohe Rat Ichijö Masafusa 1401, ein Enkel Kaneras, war kurze Zeit vor seinem Groß• vater nach Nara gekommen. Später folgte auch Genpö, der Abt des Zuishin-in Klosters in Kyöto. Am 27. Tage des 8. Monats zogen alle in den Jöju-in 11, den ständigen Wohnsitz Kaneras während seines Aufenthaltes in Nara. Bald darauf machte sich Norifusa auf den Weg nach Tosa 12, und Masafusa zog sich auf ein Landgut in Settsu zurück.

Im 12. Monat des Jahres Bunmei 1 (1469) erhielt Kanera einen Brief mit einem Gedicht von dem Ex-Kaiser GoHanazono (1419-1470). Darin wurde er gebeten, so schnell wie möglich in die Hauptstadt zurückzukehren. Kanera lehnte ab. Wie das Daijo-in nikki mokuroku 73 berichtet, waren schon zu Beginn des Jahres Önin 2 (1468) "die Untergebenen des Kanpaku in alle Himmelsrichtungen auseinandergeflohen" 74 • Der Tennö hatte in die Muro­ machi-Residenz des Shöguns umziehen müssen, die großen Hofzeremonien (chögi) wurden nicht mehr zelebriert, und die ganze Stadt war ein Schauplatz unablässiger Kämpfe. Dies alles mag zu seinem Entschluß, in Nara zu blei­ ben, beigetragen haben.

68 Einen guten Uberblidc über die Ränge der buddhistischen Hierarchie geben CoATES u. Ismzu.KA, Hönen, S. 126 f. 69 "Aufzeichnungen über verschiedene Dinge, die Tempel und Schreine des Daijö• in betreffend". SANSOM, History of Japan, S. 201 u. 421, bezeichnet dieses Werk als die wohl wichtigste Quelle für politische und wirtschaftliche Geschichte der Jahre von 1450 bis 1527. Die meisten Aufzeichnungen in diesem Werk stammen von der Hand Jinsons, aber außer ihm haben nodl zwei weitere Bischöfe seines Tempels Beiträge geleistet, nämlich Daijö-in Shökaku [36) und Daijö-in Kyöjin 1371. In der heutigen Ausgabe sollen- nach NAGASHIMA Fukutarö- die Beiträge Shökakus nicht enthalten sein. Näheres über den Ort der Aufbewahrung, die Beschreibung der ver­ schiedenen Ausgaben, die Geschichte des Daijö-in-Klosters und seine Beziehungen zu anderen Klöstern, über Daijö-in Jinson und seine Familie, über den historischen Ort, Bedeutung und Charakter des Werkes s. NAGASHIMA Fukutarö, Daijö-in-jisha-zöji-ki ni tsuite, in: Chüsei-shakai-no-kihon-közö, s. 441 ff. 70 Tochter des GonChünagon Nakamikado Nobutoshi [39] und erste Gemahlin Ichijö Kaneras, schenkte ihm fünfzehn Kinder, darunter Norifusa, Jinson und Genpö. 71 Der Jöjü-in war das Inkyo-jo 141 1 (Ort der Zurückgezogenheit) des Tempel­ klosters. 72 Vgl. Daijö-in jishi zöji-ki, Datum: Bunmei 12, 12, 7, in: DNS, Teil 8, Bd. II unter Onin 2, 9, 6. - In Tosa, im Distrikt Hata, besaßen die Ichijö privilegiertes Grund­ eigentum (Shöen). 73 "Verzeichnis der Tagebuchaufzeichnungen vom Daijö-in". 74 Vgl. Daijö-in-nikki-mokuroku, Datum: Onin 2, 1, 1, in: DNS, Teil 8, Bd. I unter Onin 1, 8, 25.

(36] ~jt (38] Jj\**:1f ~t:P 1ftn~~ (40] ~m (3?] ~~ (39] !§~ (41) ~@PJT

174 Die Wirren in Kyöto hatten viele bedeutende Persönlichkeiten des Hoch­ adels gezwungen, sich nach Nara in Sicherheit zu bringen. Aber das Leben, das sie hier führten, war in keiner Weise das Leben von Flüchtlingen. Durch ihre gastfreien Söhne aller wirtschaftlichen Sorgen enthoben, befreit von den Pflichten ihrer Ämter, hatten sie Muße genug, ihren Liebhabereien nach­ zugehen. Das kulturelle Leben der Hauptstadt fand hier seine Fortsetzung. Man vertrieb sich die Zeit mit Dichtung und Musik, machte Wallfahrten zu nahegelegenen Tempeln und freute sich an den Schönheiten, die die Jahres­ zeit zu bieten hatte.

Auch Kanera nahm teil an diesem Leben. Nachdem er im 7. Monat des Jahres Bunmei 2 (1470) seinen Rücktritt als Kanpaku eingereicht hatte, be­ nutzte er die neu gewonnene Freiheit, seine Studien mit unermüdlichem Fleiß voranzutreiben. Bald nach seiner Ankunft in Nara hatte er dafür ge­ sorgt, daß die aus den Flammen des Kömyöbu-ji geretteten familiengeschicht­ lichen Dokumente, im ganzen nur noch 62 Kapseln(= 30 Titel), dem Daijö-in zur Aufbewahrung übergeben wurden 75 • Sie bildeten nun zusammen mit seinen Lieblingsbüchern eine kleine Handbibliothek, die ihm bei seiner Arbeit gute Dienste leistete. Mit bewundernswürdiger Energie korrigierte und vollendete der nun schon Siebzigjährige bereits früher begonnene Schrif­ ten und fügte diesen neue hinzu. Sein bedeutendstes Werk aus dieser Periode ist wohl das Kachö-yozei 1421. Bereitwillig entsprach er den zahl­ reichen Bitten um ein Vorwort, eine Würdigung (san)1 6 1481 oder einen be­ lehrenden schriftlichen Beitrag und fand dabei immer noch Zeit, seine aller­ seits geschätzten Vorlesungen über Themen der Heian-Klassik zu halten. Das Interesse der Hofadligen, deren viele eigens seinetwegen nach Nara gekommen waren, hatte eine belebende Wirkung auf Kaneras Arbeit.

Nach seinem Rücktritt als Kanpaku im Jahre 1470 drangen Jinson und andere Mitglieder seiner Familie in Kanera, nun auch der Welt zu entsagen und Mönch zu werden. Vergeblich! Jize'in Myöchin 77 1441, das Oberhaupt der Saitö, hatte ihn nach Mino eingeladen, und Kanera wollte auf diese Reise nicht verzichten. So verließ er Nara im 9. Monat desselben Jahres und wandte

75 Vgl. Daijö-in jisha zöji-ki, Datum Onin 2, 10. (Sd:laltmonat), 24. Tag, in: DNS, Teil 8, Bd. II unter Onin 2, 8, 13. - Dort auch die Liste der Bücher, die dem Daijö-in zur Aufbewahrung übergeben wurden. 78 Schriftliche Würdigung oder Lobpreis im Gedicht- oder Prosastil, in der Muro­ mami-Zeit häufig auf Portraits. 77 1410-1480, Oberhaupt der Saitö, einer Familie, die als Shugo-Stellvertreter in Mino großen Einfluß ausübte und dem Hause der Toki, das dort eigentlich das Amt des Shugo innehatte, über den Kopf gewachsen war.- Myöd:lin war aber nid:lt nur ein guter Krieger, wie Oud:li Masahiro hatte aud:l er großes Interesse an der aristokratischen Kultur. Er war berühmt für seine Fähigkeiten im Dichten von Ketten­ gedichten (renga).

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115 sich zunächst nach Ise, um Kitabatake Noritomo 78 l451, dem kaiserlichen Statthalter (kokushi 19) dieser Provinz, einen Besuch abzustatten. Als er danach den Weg nach Mino einschlagen wollte, erfuhr er, daß die Saitö gerade zu einem Feldzug rüsteten. Unter diesen Umständen zog er es vor, nach Nara zurückzukehren. Erst drei Jahre später, im 5. Monat des Jahres Bunmei 5 (1473), brach Kanera ein zweites Mal nach Mino auf. Dort ange­ kommen, verbrachte er einige schöne Tage mit seinem Gastgeber, als ihn 80 die Kunde vom Tode Hosokawa Katsumotos , des Generals der östlichen Truppen in Kyöto, erreichte. Aus Furcht, die Kämpfe könnten nun auch in größerem Umfang auf die Provinzen übergreifen und seine Heimreise un­ möglich machen, rüstete er eilends zum Aufbruch und kam noch am 28. Tage desselben Monats in Nara an.

Bald nach seiner Rückkehr aus Mino, am 25. Tage des 6. Monats, faßte Kanera den Entsdlluß, der Welt zu entsagen. Der Zweiundsiebzigjährige begab sidl in den Daijö-in, um dort unter dem Namen Kakukeil461 in den geistlidlen Stand aufgenommen zu werden 81 .

Nach dem Tode der beiden Generale Hosokawa Katsumoto und Yamana Sözen 82 glätteten sich die Wogen des Kampfes in der Hauptstadt und ver­ ebbten sdlließlidl. Nicht so in der Provinz I Dennoch betrachtete man in Kyöto den Krieg als beendet, sobald Ouchi Masahiro in den Dienst des Bakufu zurückgekehrt und mit seinen Truppen auf dem Heimweg war.

78 1423(?)-1471, Kokushi von Ise, stammte ab von dem großen Fürsprecher der Süddynastie Kitabatake Chikafusa, dessen Nachkommen seit der Nanboku-chö• Periode von ihrem Schloß Tagi aus erfolgreich als Daimyö von Ise herrschten. Außer• dem gehörte auch der Distrikt Uda von Yamato zu ihrem Einflußbereich. Als Ab­ kömmlinge der Genji, der einzigen Sippe, die dort außer den Fujiwara einflußreich war, spielten sie auch am Köfuku-ji eine Rolle und verwalteten den Tömon-in. So waren sie über die Unternehmungen Kaneras während seines Aufenthaltes in Nara gut unterrichtet. 711 Seit der Taika-Reform kaiserliche Statthalter in den japanischen Provinzen. In ihren Händen lag die oberste Verwaltung der Provinz, die Red:ltsprechung und die militärische Betreuung. Außerdem vertraten sie die finanziellen Interessen des Staates. Später betrachteten die Kokushi ihre Provinz in zunehmendem Maße als persönliche Einnahmequelle, zogen sid:l in die Hauptstadt zurück und ließen die Verwaltungsarbeit in den Händen unterer Vertreter. Von Beginn der Ashikaga­ Zeit an war Kokushi nur noch eine immer seltener werdende Amtsbezeichnung ohne reale Befugnisse.- Vgl. auch KoNAKAMURA Kiyonori, Nihon-kanshoku-seido-enkaku­ shi, Tökyö 1935, S. 28, 32, 78;- s. auch Anm. 344. 80 1430-1473, war in seinem Leben dreimal Kanryö. Seine Gemahlin war die Tochter des Yamana Sözen, seines großen Gegners in den Onin-Wirren. Katsumoto diente dem Shögunat und hielt sich aus den Streitigkeiten der anderen Territorial­ herren weitgehend heraus. S. auch SANsoM, History of Japan, S. 219 ff. 81 Vgl. Kuge-honin [471, Datum: Bunmei 5, 6, 25, in: DNS, Teil 8, Bd. VI, gleiches Datum, dort auch noch weitere Belegstellen. 82 Yamana Mochitoyo, 1404-1473, bekannt unter seinem Priesternamen Sözen oder auch als der Rote Mönch. Ein sehr ehrgeiziger Territorialherr mit raschem jäh• zornigen Temperament. Während der Onin-Wirren Gegner des Hosokawa Katsumoto.

(46] )tyg

176 GoTsuchimikado Tennö (1452-1500) gratulierte dem Shögun Ashikaga Yoshimasa zu seinem Sieg, andere Adlige und Priester schlossen sieb an. Da erwogen auch die Aristokraten in Nara ihre Rückkehr in die Hauptstadt, und einer nach dem anderen machte sich auf, dem Shögun seine Glück• wünsche auszusprechen. Nur Kanera zögerte seinen Aufbruch immer weiter hinaus, und als er sich endlich im 12. Monat des Jahres Bunmei 9 (1477) doch 83 dazu entschloß , tat er dies mit der festen Absicht, nach seiner Aufwartung bei Yoshimasa unverzüglich nach Nara zu seinem Sohn Jinson zurückzu• kehren. lnfolge der starken sozialen Verschiebungen, deren Wurzeln bis in die Kamakura-Zeit (1192-1333) hinabreichten, war den meisten Aristokraten ihre wirtschaftliche Grundlage entzogen worden. Neu zu kriegerischer Macht gelangte Territorialherren hatten sich einen großen Teil ihrer Ländereien widerrechtlich angeeignet. Was sie an Abgaben aus den wenigen ihnen ver­ bliebenen Gebieten noch erwarten konnten, schmolz auf dem W ege in ihre Hände zu einem Nichts zusammen. Das Zoku-kyöun-shü 84 1481 berichtet uns mit einem Gedicht Ikkyüs 85 aus dem Jahre 1468 von der beklagenswerten Not und Armut Kaneras. Während der zehn Jahre in Nara sorgte vor allem Jinson für den Unterhalt der Familie, und Geldgeschenke von Verehrern seiner Gelehrsamkeit trugen dazu bei, die finanzielle Lage Kaneras erträg­ lich zu gestalten 86 • So ist es erklärlich, daß der Sechsundsiebzigjährige auch nach dem Ende der Önin-Wirren in Nara bleiben wollte. In Kyöto aber schätzte man sich glücklich, den großen Gelehrten endlich wieder bei sim zu haben. Hof- und Schwertadlige drangen in ihn, doch wenigstens den 87 Jahreswechsel in der Hauptstadt zu verleben •

Da Kanera sein Haus verloren hatte, mußte er einstweilen mit dem Myökan-in als Wohnung vorlieb nehmen. Der Shögun Yoshimasa aber ver­ sprach, die Rückgabe der Ichijö-Stammländereien zu veranlassen. Wenn-

83 Vgl. Jinson Daisöjö-ki, Datum: Bunmei 9, 12, 13. Tag und 17. Tag, in: DNS, Teil 8, Bd. IX unter Bunmei 9, 12, 17. 8' nFortgesetzte Sammlung der irren Wolke", eine Sammlung von Gedidlten im chinesischen Stil (shibunshü) des Ikkyü Söjun (s. Anm. 85). 85 1394-1481, berühmter Zen-Priester der Muromachi-Zeit, ist bekannt für seine Volksnähe. Ikkyü nannte sich selbst Sohn der irren Wolke {kyöun). Ausführlicher s. H. DuMoULIN, Zen-Geschichte und Gestalt - Bern 1959, S. 185 ff. u. ICHIKAWA H., lkkyü, in: Gendai bukkyö köza, V: Tökyö 1955, S. 178-184. 81 Dafür gibt es in den Tagebüchern mehrere Beispiele: 1. Daijö-in jisha zöji-ki, Datum: Bunmei 3, 2, 27, in: DNS, Teil 8, Bd. IV unter demselben Datum: "Der Shugo­ von Mino, Saitö Myöchin, macht Kanera ein Geldgeschenk von 2000 hiki und Beklei­ dung." 2. Jinson Daisöjö-ki, Datum: Bunmei 9, 12, 6, in: DNS, Teil 8, Bd. IX unter demselben Datum: "Die Studienfreunde des Köfuku-ji geben Geldgeschenke an Kanera (1000 hiki), Konoe Masaie (1000 hiki), Takatsukasa Masahira (500 hiki)." 3. Daijö-in jisha zöji-ki, Datum: Bunmei 10, 8, 10, in: DNS, Teil 8, Bd. X unter dem­ selben Datum: ,.Ouchi Masahiro schenkt Kanera 3000 hiki Geldes." 87 Vgl. Jinson Daisöjö-ki, Datum: Bunmei 9, 12, 22, in: DNS, Teil 8, Bd. IX unter Bunmei9, 12, 17.

177 gleich er dieses Versprechen nicht halten konnte, bewirkte er damit doch, daß sich der Aufenthalt Kaneras in der Hauptstadt immer mehr ausdehnte. Schließlich ließ Kanera auch seine Familie nachkommen und entschloß sich zu bleiben. Im 3. Monat des Jahres Bunmei 10 (1478} bezog Kanera ein klei­ nes Haus im Osten des Stadtteils Muromachi. Der Kanryö 88 Hatakeyama Masanaga 89 (49J hatte es ihm zum Geschenk gemacht. Das Stückc.hen Land, auf dem dieses Haus stand, war nicht größer als 25 tsubo (82,5 qm}: ein Symbol für die Armseligkeit der Verhältnisse, unter denen Kanera die letzten Jahre seines Lebens verbringen mußte. Seine Mittellosigkeit ging so weit, daß er im 12. Jahr der Ära Bunmei einer Einladung des Shöguns Y oshihisa zum Neujahrsempfang nicht Folge leisten konnte, weil es ihm an geeigneter Kleidung fehlte. Ungeachtet seiner wirtsc.haftlichen Misere galt Kanera in dieser Zeit als unbestrittene Autorität in allen Fragen, die die Aristokraten seiner Zeit bewegten. Seine Vorlesungen über das Genji-monogatari fanden überaus starken Anklang bei Hof- und Schwertadligen.

Zu dieser Zeit lag die eigentliche Macht des Shögunats, soweit man über• haupt davon sprechen konnte, in den Händen Hino Tomikos, der Gemahlin Ashikaga Yoshimasas. Sie sollte in den letzten Lebensjahren Kaneras eine große Rolle spielen. Gegen das Murren und die Einwände der anderen Hofaristokraten erklärte Kanera sich bereit, auch für Tomiko privat eine Vorlesung über das Genji-monogatari zu halten. In Tomikos Auftrag ver­ faßte er drei seiner bedeutendsten Schriften, in denen er den rechten Weg der Regierungsführung erörterte, unter ihnen das Bunmei-ittö-ki und das Shödan-chiyö.

Im 10. Monat des 12. Jahres Bunmei starb Kaneras Sohn Norifusa. Ein schwerer Schlag für den alten Mann, dessen bisher erstaunliche Gesundheit 90

88 Bevollmächtigter des Bakufu. Aus dem Amt des Shitsuji (s. Anm. 376) 1368 durch Hosekawa Yoriyuki geschaffen. Die drei Kanryö (sankan) sollten abwechselnd aus den Familien Shiba, Hatakeyama und Hosekawa kommen. Yoriyuki war der erste Kanryö von 1368 bis 1379, ihm folgte Shiba Yoshimasa, und diesem Hatakeya­ ma Motokuni, (1398). Danach wurde die Ordnung der Abwechslung nicht mehr strikt befolgt, blieb aber im Prinzip erhalten. 89 ?-1493, mehrfacher Kanryö, war von H. Mochikuni (1398-1455) adoptiert worden. Später wurde Mochikuni ein eigener Sohn geboren: Yoshinari; deshalb ver­ suchte er, seinen Adoptivsohn zu töten, was ihm mißlang. Masanaga floh und wurde später von Hosekawa Katsumoto in seinen Ansprüchen unterstützt. Im Jahre 1467 spielte der Streit zwischen Masanaga und Yoshinari eine bedeutende Rolle beim Ausbruch der Onin-Wirren.- S. auch SANSOM, History op Japan, S. 211, 228 u. 236f. 90 Noch dem Sechsundsiebzigjährigen wurde von einer Nebenfrau eine Tochter geboren- Kanera hatte 14 Söhne und 12 Töchter, die Mutter von 15 der insgesamt 26 Kinder war Shörin-ji-dono Nakamikado, drei weitere Frauen gebaren ihm je drei, vier und vier Kinder.- Mit 78 Jahren unternahm er eine Reise nach Echizen. Bis in die letzten Wochen vor seinem Tod hat er gearbeitet und Vorlesungen gehal­ ten, und daß er auch an seinem Todesmorgen nach mehreren Wochen schwerer Krankheit noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war (s. u. 2.1.), zeigt, wie stark sein Wille sein physisches Befinden beeinflussen konnte.

[49) ~ JJ ilj: ~

178 sich nun rasch verschlechterte. Am 26. Tage des 3. Monats im Jahre Bunmei 13 (1481) zog sich Kanera eine Erkältung zu. Er litt unter starken Husten­ anfällen und konnte keine Nahrung zu sich nehmen. Als Kanera schließheb am 2. Tage des 4. Monats seinen Tod herannahen fühlte, soll er seinen Sohn 91 50 Fuyura [ 1 zu sich gerufen und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte seine letzten Anordnungen getroffen haben. Ja, es heißt, der Oberpriester des Töfuku-ji 92 mit Namen Un'ei Shukei l58l habe an diesem Tage eine von Kanera selbst verfaßte Neuernennungsurkunde empfangen, und der Ster­ bende habe noch in Gegenwart des Kanryö Hatakeyama Masanaga eine Unterschrift unter ein Schriftstück geleistet. 98 Die Nachricht vom Tode Ichijö Kaneras rief bei Hof- und Schwertadligen Trauer und Bestürzung hervor, und Ashikaga Yoshimasa soll gesagt haben, nun gäbe es nichts mehr, was ihn auf dieser Welt noch hielte.

2.2 Der Gelehrte Als der kaiserliche Hof und seine Aristokratie unter dem Shögun Yoshi­ mitsu den letzten Rest ihres politischen Einflusses eingebüßt hatten, rich­ teten sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Ausübung der wenigen Rechte, die ihnen nodl verblieben waren: den Vollzug der kuji. Unter dem Begriff kuji verstand man damals die ganze Skala der Zeremonien religiöser und amtlicher Prägung. Sie waren der sichtbare Ausdruck dessen, was der Hof­ adel dem Schwertadel weiterhin voraus hatte: der Tradition. Im Bewußtsein dieser Tatsache bemühten sich die Adligen um die Wieder­ belebung der klassischen Ideale in den Zeremonien ihrer Gegenwart. So wurden die kuji und die damit zusammenhängende Etikette zum Haupt­ gegenstand aristokratischer Erziehung. Auch Ichijö Kanera, Sohn eines Kanpaku und Enkel zwei er hervorragender Gelehrter, widmete seine ersten Studien diesem Thema. Seinem scharfen Verstand und der eisernen Energie, mit der er diese Studien vorantrieb, ver­ 94 dankte er schon früh bemerkenswerte Erfolge •

81 1464-1514, Gelehrter und Staatsmann, wurde von seinem älteren Bruder Nori­ fusa als Sohn adoptiert und somit der Haupterbe (katoku) [511 des Hauses Ichijö. Als Kanera starb, war er mit 18 Jahren GonDainagon und Sadaijin. Fuyura wurde mehr­ fach Kanpaku und Daijö-daijin. Eine Tabelle seiner Lebensdaten findet sich bei FuKui Kyüzö, lchijö Kanera, Tökyö 1943, S. 278 ff. 112 1236 von Kujö Michiie als Sitz einer Zweigschule des Rinzai-Zen erbaut, liegt im Südosten von Kyöto. Zählte seit 1334 zu den Fünf Bergen (goz~n, s. Anm .. 27~). Wurde von den Häusern Kujö und Ichijö verwaltet, war aber m Wahrheit em kan-ji 1521 (staatlich verwalteter Tempel). Die Kontrolle der Kujö und lchijö konnte sich also nur auf einen Teil des Tempels beziehen. So standen alle Neben- und Zweigtempel außer dem Töfuku-ji selbst unter der alleinigen Kontrolle des Hauses Ichijö. S. auch NAGASHIMA Fukutarö, Ichijö Kanera, S. 183/ 184. 88 Vgl. die Tagebucheintragungen in DNS, Teil 8, Bd. XIII unter Bunmei 13, 4, 2. " Vgl. oben 2.1..

(50]~~ [51) *tl (52) '§ ~ (53) ~t5€ 1§ ll

179 Die Aufgaben eines Kuge-Gelehrten in der Muromachi-Zeit bestanden in der Hauptsache darin, die yüsoku-sho l541, klassische Schriften, die über die Zeremonien, die Sitten und Gepflogenheiten am Hofe der Heian-Zeit Aus­ kunft geben konnten, inhaltlich verfügbar zu machen. Das Ergebnis war in den meisten Fällen eine Schrift, die überwiegend aus Zitaten und ,Auszügen' (shö) bestand und nur wenig Kommentar des Verfassers enthielt. Als Titel wählte man häufig den Titel des kommentierten Werkes und fügte diesem lediglich das bezeichnende shö hinzu. Als Beispiel sei das von Ichijö Kanera verfaßte Göshidai-shö 1551 genannt 95. Die Isolierung des kaiserlichen Hofes von den Aufgaben der aktuellen Politik bewirkte außerdem eine Intensivierung des kulturellen Lebens. Die Folge war, daß nun auch vornehme Versammlungen unter kulturellem Vor­ zeichen, wie etwa die Zusammenkünfte der Adligen zur Pflege der Dicht­ kunst, in die regelmäßigen Zeremonien des Jahres (nenjü-gyöji) 96 aufgenom­ men wurden. Damit erfuhr der Begriff der kuji eine inhaltliche Ausweitung. Der Hof wurde wiederum zum Zentrum der traditionellen Adelskultur. Das steigende Interesse an den Klassikern der Heian-Zeit brachte unter anderem auch einen großen Aufschwung der Genji- und Ise-monogatari-ForsdJ.ung mit sich, in der Kaneras Name eine hervorragende Rolle spielte. Besondere Beachtung gebührt der Tatsache, daß Kanera den Wert des Genji- und lse-monogatari nicht allein in ihrer Bedeutung für die Dichtkunst sah. In dem Nachwort zu seinem Genji-monogatari-wahishö 1561 heißt es: "Das Genji-monogatari darf man keineswegs nur für ein Buch halten, in dem der Weg der Liebe dargestellt ist. Vom tiefen Sinngehalt der buddhistischen Lehre und des konfuzianistischen Schrifttums, bis hin zum Leben und Treiben bei Hofe, den Waka, den Melodien der Blas- und Saiteninstrumente, den

Farben der Kleider wird hier alles geschildert und nichts wird ausgelassen.97 u

Die kuji waren für Kanera nur der Ausgangspunkt, von dem er seine Studien zunächst auf das gesamte relevante Schrifttum der japanischen Klassik und des japanischen Altertums ausdehnte. Darauf beschäftigte er sich auch mit der chinesischen Literatur, wobei er dem neokonfuzianistischen Gedankengut besonderes Interesse entgegenbrachte. Nicht zuletzt widmete er seine Aufmerksamkeit den Uberlieferungen des Buddhismus. NAGASHIMA Fukutarö schreibt: "Kanera war weder ein Prophet noch ein Denker, er war ein Gelehrter, der nadJ. der historischen Methode arbei­ tete.98" Kann man Kanera auch kaum als Denker bezeichnen, so zeugen doch

95 Vgl. 2.1., Anm. 55; ferner Anhang, 6.2./8 .. 98 Die schriftlich festgelegten, im Laufe eines Jahres vom kaiserlichen Hof zu beachtenden ordentlichen Zeremonien. 97 S. Zoku-gunsho-ruijü, Bd. 18, Monogatari-bu, (Tökyö 1911), S. 1068/69. 118 Vgl. NAGASHIMA Fukutarö, Ichijö Kanera, S. 147.

1551 (56] fr]}'y~ [54) ~-- tilX~f'y

180 seine Werke von der Fähigkeit, sich auf der Basis seiner umfassenden Kennt­ nisse eine eigene Meinung zu bilden, einen persönlichen Standpunkt ein­ zunehmen. Bei den Zeitgenossen jedoch, deren Denken und Handeln fast ganz von den Ideen und Gepflogenheiten eines, wie sie meinten, glückliche• ren Zeitalters bestimmt war, zählte vor allem sein Wissen, von dem er denn auch gern und reichlich mitteilte.

3. Das Bunmei-ittö-ki und das Shödan-chiyö.

Das Bunmei-ittö-ki, die ,Sduift von dem unter einer Herrschaft geeinten Reich der Bunmei-Ära' und das Shödan-chiyö- ,Ein Holzfäller erörtert das Wesentliche einer [guten] Regierung' - sind im Jahre 1480, ein Jahr vor dem Tode ihres Verfassers Idlijö Kanera, als Lehrschriften für den jungen Shögun Ashikaga Yoshihisa entstanden.

Der Titel des Bunmei-ittö-ki enthält eine Prophezeiung, die dem Schluß des ersten Kapitels dieser Schrift entstammt. Der Titel des Shödan-chi yö wird in einem Nachwort Kaneras erklärt. Dort heißt es: "Audl ein Holzfäller erörtert den Weg der Könige. Dieser Aussprudl bedeutet, daß selbst ein gemeiner Holzfäller über die Regierung des Königs spridlt. Was ich hjer nun in acht Kapiteln ausgeführt habe, sind die elementaren Prinzipien, nach denen Ihr [der Shögun], im Vertrauen auf das schützende Walten des großen Bodhisattva Hachiman 99, das Land der Großen Acht Inseln (Öyashima) regieren sollt. Deshalb soll diese Schrift ,Ein Holzfäller erörtert das Wesent­ 10 liche einer Regierung' genannt werden. 0"

3.1. Datierung

Uber den Zeitpunkt der Entstehung des Bunmei-ittö-ki sind keine Einzel­ heiten bekannt. Einer Notiz im Zoku-honchö-tsugan 101 1571 zufolge muß es nach der Ernennung Ashikaga Yoshihisas zum Shögun (1473) geschrieben worden sein. Nagashima Fukutarö vermutet: Im Jahre 1480. Er argumentiert: "Im 12. Monat des Jahres Bunmei 11 (1479) erreidüe der Shögun Yoshihisa mit dem 15. Lebensjahr die Volljährigkeit. Aus diesem Anlaß wurde die

90 Hachiman Daibosatsu ehrende Bezeichnung für Hachiman-jin oder Yawata-no­ kami. In ihm wird Ojin Te'nnö (Thronbesteigung 201 [?]), der S?hn ~er Jingü-kög~ , als Kriegsgott oder ,Gott des Pfeil und Bogens' verehrt. "'!=-! 1st d1e . Clangottheit (ujigami) der Minamoto und damit auch der Ashikaga-Fam1he und wud als solche hauptsächlich im Iwashimizu-Otokoyama-Hachiman-gü (s. Anm. 23) verehrt.- Vgl. auch die ausführliche Studie von U. A. CASAL : Hachiman, der Kriegsgott Japans, MOAG, Bd. XLI, Teil D, Tökyö 1962. 100 Shödan-chiyö, in GR Bd. 27, Zatsu-bu, (Tökyö 1955), S. 205. 101 Vgl. DNS, Teil 8, Bd. XII, S. 469.

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181 Zeremonie des gohanhajime 102 zelebriert. Das gohanhajime ist die Zere­ monie, da das Siegel des neuen Shöguns bekanntgegeben wird . . . Nun heißt es im Bunmei-ittö-ki: ,Weil es bereits früher das gohanhajime gegeben hat ... ·. Daraus geht hervor, daß diese Schrift nach dem Ende des Jahres 103 Bunmei 11 (1479) verfaßt sein muß. " Wie noch genauer ausgeführt werden wird, ist das Bunmei-ittö-ki ein sehr knapper, systematischer Abriß der nach Kaneras Ansicht wichtigsten Vor­ aussetzungen für eine gute Regierungsführung. Es ist im Stil persönlicher als das Shödan-chiyö, leicht verständlich und nicht ohne einen eindringlich belehrenden Unterton: Ein Leitfaden zur ersten Information, bestimmt für den jungen Shögun, der gerade selbst das Ruder ergriffen hat, um das Schiff der Regierung (zumindest offiziell) auf eigene Verantwortung zu steuern. Aufgrund dieser Beobachtungen darf man die Entstehung des Bunmei-ittö-ki wohl in den ersten Wochen nach der gohanhajime-Zeremonie annehmen. Das Shödan-chiyö vollendete Kanera im 7. Monat des Jahres Bunmei 12 (1480). Wie er in einer Nachschrift berichtet, ließ er es zu diesem Zeitpunkt dem Shögun Yoshihisa durch den Leutnant der Torgarde zur Linken (saemon­ no-jö) Ise Jirö (Iio Sanetaka) [591 überreichen 104• Die Quellen bezeichnen den Shögun Y oshihisa übereinstimmend als Auftraggeber beider Lehrschriften, was offiziell sicherlich zutrifft. Aber zumindest im Falle des Bunmei-ittö-ki mödlte man annehmen, daß Hino Tomiko, die ehrgeizige und einflußreiche Mutter Y oshihisas, die sich schon mehrmals, besonders durch das Sayo-no­ nezame, von den didaktischen Fähigkeiten Kaneras überzeugen ko!lnte, die eigentliche Urheberin dieses Gedankens gewesen ist. Der bereits erwähnte besonders lehrhafte Charakter dieser Schrift ist ein weiterer Grund für die Vermutung, daß Kanera das Bunmei-ittö-ki als eine für den jungen Shögun bestimmte Erziehungsschrift im Auftrage Tomikos verfaßt hat.

3.2. Aufbau

Denkt man an die Bedeutung der Tradition für alle Bereiche des aristokra­ tischen Lebens in der Higashiyama-Kulturperiode, an die Gepflogenheit, sich in seinen Entscheidungen nach früheren Beispielen, Präzedenzfällen, zu rich­ ten oder an die wirklichkeitsflüchtige Sehnsucht der Aristokraten nach der glücklicheren, besseren Vergangenheit, so erscheint einem die innere Struk­ tur der Kapitel des Bunmei-ittö-ki und des Shödan-chiyö im Hinblick auf ihre

102 Zeremonie zu Beginn einer Shögunatsperiode, in der das Siegel (han, kuö) des neuen Shöguns bekanntgegeben wird. Der Shögun setzt hier sein Siegel unter Sduiftstücke, die Schenkungen des Shöguns an Tempel und Schreine oder Schlich­ tungen des Shöguns von Gebietsstreitigkeiten zwischen Tempeln oder Schreinen mit anderen Grundbesitzern beurkunden (mikyöjo) [5SJ. So erhält das Gohanhajime die Bedeutunq einer Besitzbestätigung. 103 S. NAGASHIMA Fukutarö, lchijö Kanera, S. 139/40. 104 Vgl. GR, Bd. 27, Zatsu-bu, S. 205.

[58) ~flff [59) ilj~

182 Thematik und die Absicht, die der Verfasser Kanera mit diesen Schriften verfolgte, unbedingt geeignet. Zahlreiche Beispiele und Zitate aus der japa­ nischen und chinesischen Geschichte und Literatur haben in diesen Kapiteln wichtige Funktionen zu erfüllen. Begründend, illustrierend und bekräftigend verleihen sie den Theorien Kaneras, zumindest in den Augen seiner Zeit­ genossen, Lebensnähe und (scheinbar) größere Gültigkeit. Außer in den mitt­ leren Kapiteln des Bunmei-ittö-ki, wo mit ziemlicher Regelmäßigkeit einlei­ tende Bemerkungen, Zitat oder Beispiel und Ausführung des Themas auf­ einanderfolgen, ist in diesen Schriften ein bestimmter, allen oder wenigstens mehreren Kapiteln gemeinsamer Aufbau nicht festzustellen. Es handelt sich um echte Erzeugnisse der zuihitsu-Literatur. Das Bunmei-ittö-ki besteht aus sechs Kapiteln, deren erstes und letztes eine Sonderstellung einnehmen. Die Uberschriften der Kapitel lauten: I. Der Shogun soll den großen Bodhisattva Hachiman im Gebet anrufen. II. Der Shogun soll der kindlichen Pietät besondere Beachtung schenken. III. Man soll die Redlichkeit hoch einschätzen. IV. Der Shogun soll sich mit Ernst für das Mitleid einsetzen. V. Der Shogun soll sich um die Künste mühen. VI. Der Shogun soll sich für den Weg der Regierung einsetzen.

Die Verehrung Hadlimans, der Clangottheit der Ashikaga, von dessen Beistand Wohl und Wehe des Shogunats abhängt, hält Kanera für die vor­ nehmste und wichtigste Pflicht des regierenden Shoguns. Davon zeugen die bevorzugte Stellung dieses Kapitels, dessen Schluß der Titel der Gesamt­ schrift Bunmei-ittö-ki entstammt, und die Betonung, die Kanera seiner Pro­ phezeiung vom geeinten Reich der Bunmei-Ära durch die abschließende An­ spielung auf einen Ausspruch des Konfuzius verleiht 105• Pietätvolles Verhalten, Redlichkeit in der Amtsführung und ein mitlei­ diges Herz sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Hilfe des Hachiman und d.en Gehorsam der Untergebenen. So widmet Kanera jeder dieser Tugenden ein besonderes Kapitel. Die Pflege der Künste, laut Uberschrift der Gegenstand des fünften Kapi­ tels, wird dort mit wenigen Sätzen abgehandelt. Das eigentliche Thema ist offenbar die Verbreitung von Freude und Frohsinn als wirksame Regie­ rungsmaßnahme, und es zeugt von Kaneras Sinn für Realitäten, daß er in diesem Zusammenhang dem Sake den größten Teil seiner Ausführungen widmet. Die Uberschrift des sechsten Kapitels spricht von der Beachtung des seidö, des Weges der Regierung. Hier klagt Kanera in erregtem, beinahe vorwurfs­ vollem Ton über eine Reihe von Mißständen, unter denen er offenbar per­ sönlich leidet. Zum erstenmal in dieser Schrift befaßt er sich mit den eigent­ lichen politischen Problemen seiner Zeit und mahnt, daß der Shogun sich un­ bedingt selbst um die Regierung kümmern soll. Auf den Begriff seidö geht Kanera so gut wie gar nicht ein.

105 s. Anm. 119.

183 Das Shödan-chiyö besteht aus acht Kapiteln. Diese Zahl findet sich wieder in den Namen Bachiman und Öyashima, die Kanera selbst in seiner nach­ träglichen Titelerklärung verwendet. Dies verleiht der ganzen Schrift etwas Grundsätzliches und Feierliches. Die Uberschriften der acht Kapitel lauten: I. Man soll die Götter verehren. II. Man soll die buddhistische Lehre hoch einschätzen. III. Das Handeln der Shugo 106 in den Provinzen soll in erster Linie von einer lauteren Gesinnung bestimmt sein. 107 IV. Für das Amt der Gerichts-Kommissare (bugyö ) soll man die rich­ tigen Leute auswählen. V. Seine persönliche Dienerschaft soll man auslesen. VI. Der Shögun soll die ashigaru auf immer verbieten. VII. Die Erfüllung von Regierungspflichten durch die Gemahlin des Für• sten. VIII. Ein Feudalherr des.Reiches [= Shögun] braucht unbedingt Macht.

Die Kapitel des Shödan-chiyö sind allgemein wesentlich länger als die des Bunmei-ittö-ki. Außerdem behandelt Kanera hier mehrere Themen, auf die er in den meisten Fällen ziemlich genau eingeht, unter einer Uberschrift. Dabei kommt es ihm allerdings immer darauf an, seine eigenen (bzw. oft auch übernommenen) Theorien zu stützen und ihnen den nötigen Nadldruck zu verleihen. Dies ist an der Auswahl der Zitate und Beispiele besonders deutlich erkennbar.10B

108 Shugo: Erstmalig von Minamoto Yoritomo auf Anordnung des GoShirakawa Tennö sowohl in den Shöen als auch in den Staatsländereien (in denen es ja schon einen Kokushi gab) eingesetzt. Sie standen im Range eines Kommandeurs der Truppen einer Provinz und hatten zugleich polizeiliche und kriminalrichterlidle Funktionen. Ihre Aufgabe war, das Leben, Hab und Gut der Bürger zu schützen und das Gebiet vor Unruhen zu bewahren. Bei der Gründung des Ashikaga-Shögunats wurden mehrere Shugo, die zugleich mächtige Daimyö waren, in hohe Ämter berufen. Dadurch wuchs ihr Einfluß außerordentlich. Zur Zeit der Abfassung des Shödan-chiyö neigten diese mächtigen Shugo-Daimyö immer stärker zum Unge­ horsam gegen das Bakufu. Durch eigenwillige Auslegung ihrer Rechte hatten sie ihre Macht erweitert und wollten nun eigener Herr im eigenen Lande sein. Im Ver­ lauf der Arbeit wird von der Rolle der Shugo in der Muromachi-Zeit des öfteren die Rede sein. Vgl. vor allem 4.2. bis 4.2.2 .. An dieser Stelle sei hervorgehoben, daß sich der Verfasser in Fragen der gesell­ schaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Struktur des mittelalterlichen Japan, soweit nicht anders angegeben, auf die bisher unveröffentlichte Dissertation von M. voN EucKEN mit dem Titel "Die Wandlung der sozialen Struktur des Ritterstandes in der Muromachi-Zeit• stützt. Diese Arbeit hat im Manuskript vorgelegen. 107 Bugyö: In der Muromachi-Zeit Regierungskommissare für die verschiedensten administrativen und juristischen Aufgaben, mit umfassenden oder auch sehr spezi­ ellen Amtsbefugnissen, je nach der Größe des Ressorts. Sie wurden zum Teil nur für eine begrenzte Zeit zur Bearbeitung einer bestimmten Angelegenheit ernannt.-::­ Im IV. Kapitel des Shödan-chiyö handelt es sich jedodl ausschließlich um Sosho­ bugyö, die Prozeß- oder Gerichtskommissare =Richter. 108 So beschränkt sich Kanera im VII. Kapitel des Shödan-chiyö auf die Nennung der chinesischen Kaiserinnen, ohne auch nur mit einem Wort auf das gewiß nicht beispielhafte Verhalten der Kaiserin Wu (vgl. Anm. 285) einzugehen.

184 Wie im Bunmei-ittö-ki nehmen auch in dieser Schrift die religiösen Erörte• rungen den ersten Platz ein (Kapitel I und li). Es folgt die Erörterung der sittlich-ethischen Forderungen, hier allerdings an den Beispielen gegenwärti• ger politischer Probleme (Kapitel III bis V). In den Kapiteln VI und VII bespricht Kanera zwei Sonderthemen der Tagespolitik, an denen er offenbar ein persönliches Interesse hat, denn sie fallen etwas aus dem Rahmen. Von der Bedeutung dieser Themen wird noch die Rede sein. 109 Kapitel VIII des Shödan-chiyö handelt vom richtigen Umgang mit der verliehenen Macht. Es weist starke inhaltliche Beziehungen zum ersten Kapitel des Bunmei-ittö• ki auf und hat außerdem einen zusammenfassend-abschließenden Charakter. Verglichen mit dem Bunmei-ittö-ki wirkt das Shodan-chiyö vollständiger und abgerundeter, was die Vermutung Nagashima Fukutarös, es sei nach dem Vorbild des chinesischen Jökan-seiyö 110 entstanden 111 , unterstützt.

3.3. Urteile

Ashikaga Yoshihisa, der Empfänger des Shödan-chiyö, hielt diese Schrift für sehr bedeutungsvoll 112• Sein Vater, Yoshimasa, urteilte: "Wahrlich, diese Vorschriften soll man stets befolgen.113 " Andererseits äußerte sich Daijö-in Jinson recht abfällig über die Arbeit seines Vaters: Diese Sache ist "genauso nutzlos, als wollte man einem Hund die Sutren auslegen" 114• Diese Ansicht wird, soweit dem Verfasser bekannt ist, von der Mehrzahl der Gelehrten, die sich mit dieser Schrift befaßt haben, geteilt. Eine Aussage über Bedeutung des Bunmei-itto-ki und Shödan-chiyö für ihre Zeit gehört zu den Ergebnissen der im 4. Kapitel folgenden Untersu­ chungen. Der Wert dieser Schriften für den Historiker kann schon hier an­ gedeutet werden: Ihr Verfasser, Ichijö Kanera, war zweifellos eine der bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Im Jahre 1402 als Sohn einer angesehenen aristokratischen Familie geboren, wurde er Zeuge der politi­ schen, sozialen und kulturellen Entwicklung des 15. Jahrhunderts, ja, stand selbst mitten in dieser Entwicklung. Wenn dieser Mann, fast achtzigjährig, mit einer reichen Lebenserfahrung und sicherlidl nicht ohne eine gewisse Eigensinnigkeit des Alters es als Angehöriger einer der vornehmsten Hofadelsfamilien unternimmt, einen

1011 Vgl. hierzu 4.1. Schluß u. 4.2.1.1.: Die ashigaru sowie Anm. 310, 312. 11° Chen-kuan cheng-yao (&OJ, 10 Kapitel, T'ang-Zeit, verfaßt v~n Wu-Ching. Es enthält Ansichten des T'ang T'ai Tsung über Fragen der Staatsfuhrung, geordnet unter 40 Themen. Galt später als Lehrbuch für Monarchen. 111 S. NAGASHIMA Fukutarö, lchijö Kanera, S. 141. 112 Vgl. GR, Bd. 27, Zatsu-bu, S. 205: Nachwort des Shöguns Yoshihisa zum Shödan-chiyö. 113 Vgl. GR, Bd. 27, Zatsu-bu, S. 205. 114 Vgl. DNS, Teil 8, Bd. XII, S. 462.

185 Shögun in richtiger Regierungsführung zu unterweisen, so ist das Ergebnis für sich schon beachtenswert. Ein Vergleich der im Bunmei-ittö-ki und Shödan-chiyö zum Ausdruck gebrachten Theorien Kaneras mit der tatsäch• lichen politischen Lage, dem Zeitgeist und mit seinem privaten Verhalten verspricht zudem wertvolle Aufschlüsse über Kaneras Persönlichkeit. So könnte diese Arbeit vielleicht einen Beitrag zum Verständnis der Higashiyama-Periode leisten.

3.4.1. Bunmei-ittö-ki

I. Der Shögun soll den großen Bodhisattva Hachiman im Gebet anrufen. Die Notwendigkeit solcher Gebete von Eurer Seite ergibt sich für Euch aus der folgenden Uberzeugung 115 : "Wiewohl ich gering und unwürdig bin, ist mir das Amt eines Sei-i-shögun 116 übertragen worden, und so verkörpere ich nun die Schutzgewalt des Staates. Es heißt, es sei mein karma, daß ich den Befehl erhalten habe, ganz Japan mit seinen sechsundsechzig Provinzen zu regieren, und doch verdanke ich dies der Liebe meiner Eltern, meines Vaters und meiner Mutter. Wollte ich nun das Reich regieren, ohne es in friedliche Zeiten zurück- 10 zuführen, so wäre es sinnlos für mich, dieses Amt überhaupt zu bekleiden. Daher bitte ich darum, daß mir der große Bodhisattva Hachiman nach seinem erhabenen Ratschluß Macht und Einfluß verleihen möge. Um diese Macht bete ich keinesfalls, damit ich leichter tun kann, was mir gerade in den Sinn kommt. Mehr als zehn Jahre lang uea habe ich jetzt miterlebt, wie angefan­ gen bei Hof- und Schwertadligen bis hin zu Mönchen und Laien, Männern und Frauen, ihr lebensnotwendiger Besitz 117 von anderen geraubt wurde, wie Sorge und Trauer, Schmerz und Leiden bei ihnen einzogen. Ein unsag­ liches Mitleid hat mich ergriffen, so daß ich, hätte ich nur die Macht, ent­ schlossen bin, das Richtige auf richtige Weise zu tun. Dahermeine flehentliche 20 Bitte, die Götter mögen sich meiner Sache annehmen. - Mache den Sinn der Shugo in den Provinzen wahrhaft friedlich und verleihe ihnen ein mitleidiges Herz! Wollen sie sich aber durchaus nicht bess~rn, so vergelte es ihnen mit der Strafe des Himmels I" Kehrte der Friede wieder ein, so wären alle Wün• sche dieser Welt befriedigt und noch die Nachweit würde von Euch als

115 Die Ubertragung des ersten Teilsatzes ist etwas problematisch. Wörtlich heißt es dort: "Was die Sache angeht, daß solche Gebete von Eurer Seite sein müssen ... " Mit diesen Worten leitet Kanera eine Begründung ein, die er als Gedanken des Shöguns niederschreibt, ihm quasi in den Mund legt. Damit kleidet er seine Beleh­ rung in eine höfliche Form. Er erlaubt sich gewissermaßen, den Shögun auf etwas aufmerksam zu machen, was für diesen ja eigentlich selbstverständlich sein sollte. 118 Auch Sei-i-tai-shogun: a) Oberbefehlshaber der Truppen, die zur Unterwer­ fung der Ainus eingesetzt wurden, b) später (und hier) Beamtentitel der Person, die die militärische Macht sowie die Führung der politischen Geschäfte in Händen hielt. - Ursprünglich hieß dieses Amt Sei-e-shi und war speziell für die Befriedung der Ainu zuständig, die Führung hatte ein sogenannter Taishogun (Generalissimus). Diese Funktion verlor es, als das Kamakura-Shögunat gegründet wurde. 1183 Kanera nimmt hier Bezug auf die Onin-Wirren (1467-77). 117 Issho-kenmei, ein (Lehns-)Gebiet, das für seinen Besitzer die einzige (Steuer-) Einnahmequelle war, und von dem er daher mit seiner ganzen Existenz abhing.

186 einem berühmten Shögun sprechen. In den· Erinnerungen der Menschen würde dieses Ereignis den vornehmsten Platz einnehmen. Doch möget Ihr daran denken, daß all dies in der Entscheidung des großen Bodhisattva Hachiman liegt und in diesem Gedanken jeden Tag am frühen Morgen Eure Hände mit Wasser reinigen, Euren Mund spülen und, nach Süden gewendet, mit aufrichtigem Herzen Euer Gebet sprechen. Wenn in dieser Welt wirklich 30 Götter wohnen, warum sollten sie Euch nicht erhören?! Ist nun der Inhalt Eurer tiefsten Gedanken der Welt nicht verborgen, so werden alle, die da.von erfahren, einmal den Willen der Götter fürchten und zum anderen ihre eigene kriegerische Machtentfaltung 118 zu gering achten. So wird sich aud1 der Sinn der Shugo ganz von selbst ändern, und das unter einer Herrschaft geeinte Reich der Bunmei-Ära wird erstehen. Das liegt klar auf der Hand 1111.

II. Der Shögun soll der kindlichen Pietät besondere Beachtung schenken. Jedermann, sei er von hohem oder niedrigem Stand, hat Vater und Muttet'. Die Liebe der Eltern ist als ein wichtiges Thema sowohl in Shakamunis buddhistischem Kanon als auch in den nichtbuddhistischen Schriften des Konfuzius erläutert. Im Buddhismus wird dazu erklärt: "Selbst wenn man täglich einmal, den Vater auf der linken und die Mutter auf der rechten Schulter tragend, um den Shumisen 120 herumginge, könnte man damit ihre Liebe schwerlich vergelten. u In der Lehre des Konfuzius heißt es: "Da man

118 Kanera prophezeit, daß die aufsässigen Provinzbeamten dann einsehen, daß sie mit ihrem militärischen Potential gegen das des Shöguns, der überdies mit dem Beistand des Kriegsgottes Harniman red:lnen kann, nichts ausrichten können und deshalb friedlid:l werden. 1111 Wörtlid:l: diese Sache ist wie ,auf die flache Hand zeigen'. Bedeutung: die Same ist sonnenklar. - Diese Formulierung Kaneras geht möglicherweise zurück auf eine Stelle im Lun-yü. Dort heißt es in Kapitel III, Dialog 11: "Jemand fragte nad:l nad:l der Bedeutung des großen Opfers (das dem Ahnherrn der Dynastie (!) dar­ gebracht wurde). Der Meister sprach: "ld:l kenne sie nicht! Wer um sie wüßte, der könnte ebenso leicht die Welt regieren, wie dies ansehen!" - dabei zeigte er auf seine Handfläd:le." (Vgl. LEGGE, Chinese Classics, Vol. I, 2nd. ed., rev., Oxford 1893, s. 158/59.) Der Titel des Bunmei-ittö-ki, der ,Sd:lrift von dem unter einer Herrschaft geeinten Reim der Bunmei-Ära', entstammt dem Schluß des ersten Kapitels dieser Schrift und verleiht diesem so ein besonderes Gewicht. Die Thematik des ersten Kapitels - die Bedeutung der Anrufung seiner Clangottheit (ujigami) für den Shögun und seinen politischen Erfolg - und die am Schluß geäußerte Uberzeugung, daß die Befolgung der erteilten Ratschläge die Einigung des Reimes unter der Herrsdlaft des Shöguns herbeiführt, weisen eine starke Beziehung zu der zitierten Stelle aus dem Lun-yü auf. Diese Beziehung wird nod:l verstärkt durch die Sdllußwendung Kaneras und gibt Grund zu der Annahme, daß Kanera sich hier der Autorität des Konfuzius be­ dient, um seinen eigenen Ausführungen besonderen Nad:ldruck zu verleihen. 120 Der Berg, der sid:l inmitten der als runde Scheibe vorgestellten, über den Höl• len liegenden Erde aus dem Ozean erhebt. Seine Höhe beträgt je 84000 yojanas ober­ halb und unterhalb des Wasserspiegels. Ihn umgeben, von sieben Meeren getrennt, die sieben Gebirgsringe. Jenseits des siebenten Gebirgsringes liegen die vier Kon­ tinente. Das Meer, das diese Kontinente umfließt, reicht bis zu dem Felsenwall Cakraväla, der die ganze shumisekai ringförmig umsd:lließt. Um den Shumisen kreisen Sonne, Mond und Gestirne. Auf dem Berg wohnen die verschiedenen Klassen von Göttern, deren unterste die ,Vier Majestäten' sind. Die Nordseite des Berges ist aus Gold, die Ostseite aus Silber, die Südseite aus Smaragd und die Westseite aus Kristall. Wenn Sonne und Mond ihn in ihrem Umlauf besdleinen, werfen die Wände die Strahlen zurück und färben den Himmel.

187 den ganzen Leib mit Haut und Haaren von den Eltern empfangen hat, ist 10 der Anfang allen pietätvollen Verhaltens, diesen vor allem Schaden zu bewahren.121 u Wenn also zum Beispiel mir als Sohn mein Körper von meinen Eltern zur Pflege anvertraut ist, so verlangt es der Weg der kindlichen Liebe, daß ich mich außerordentlich vorsehe und mich so benehme, daß mein Körper in keiner Weise verunstaltet wird. Befällt nämlich den Körper des Sohnes irgendeine Krankheit, so sorgen sich die Eltern und sind betrübt. Nimmt er sich deshalb gut in acht, dann verhindert er die Traurigkeit der Eltern und handelt damit als pietätvoller Sohn. Ferner: Begehen die Eltern einen Fehler, und der Sohn versäumt es, ihnen deswegen Vorstellungen zu machen, so dürfte auch das ein Vergehen gegen 20 die kindliche Pietät sein. Wann immer die Eltern etwas falsch machen, soll man sie unbedingt, ohne ihnen wehzutun 122, mit sanften Worten und freund­ licher Miene darauf hinweisen. Trifft sie das nicht, so soll man sie mit Tränen in den Augen bereden und sei es, daß man [schließlich sogar] so tut, als gerate man in Zorn, - man muß sie belehren, auf daß sie ihren Sinn ändern 122a. Das ist pietätvolles Verhalten. Nun, wenn wir selbst unseren Eltern keine Kindesliebe entgegenbringen, werden die eigenen Kinder uns dies auch durch Pietätlosigkeit vergelten. Dadurch müssen wir dann unser Verhalten am eigenen Leibe erfahren und bereuen. 30 Obwohl sich der Durchschnittsmensch im täglichen Leben nicht so fein und angemessen verhält, wie es in den buddhistischen und nichtbuddhistischen Schriften geschrieben steht, so dürfte doch ein jeder dieses döri gut ver­ stehen.

III. Man soll die Redlichkeit hoch einschätzen.

In der buddhistischen Lehre wird der Grundsatz ,shöjiki sha höben' 123

121 Zitat aus dem Hsiao-ching, Kapitel I (vgl. J. LEGGE, Sacred Books of the Bast, Vol. III, Oxford 1879, S. 466). 122 Der Sohn soll bei seinen Ermahnungen - zunächst jedenfalls - die augen­ blickliche Stimmung seiner Eltern berücksichtigen und feinfühlig mit ihnen umgehen. uza Gegen die andere Möglichkeit der Ubersetzung: " ... und selbst wenn sie so tun, als ob sie sich darüber ärgern, soll man sie belehren ... " spricht das ,sora'. Warum sollten die Eltern ,so tun als ob' sie sich ärgern?- Für die gewählte Uber­ setzung spricht außerdem die Steigerung in der Art und Weise der Zurechtweisung. 123 Dieses aus dem zweiten Kapitel, dem Höben-hon des Hoke-kyö stammende Zitat lautet vollständig: "Bei den Bodhisattvas ist es so, daß sie in ihrer Redlichkeit (shöjiki) die Hilfsmittel (höben) verwerfen und nur den absolut besten Weg (mu­ jödö) 1611 lehren." -Unter höben, auch sanjö (Sk. triyäna, die drei Fahrzeuge), sind hier Kunstgriffe oder Hilfsmittel zu verstehen, mit deren Hilfe auch Menschen mit geringerem religiösen Erkenntnisvermögen einen Teil des Weges zur Erleuchtung zurücklegen können. Das Lotos-Sutra verwirft sie und lehrt den mujödö, den absolut besten Weg,- auch das ,eine Fahrzeug', ichijö, Sk. ekayäna genannt- der direkt zur vollkommenen Erleuchtung führt. shöjiki bedeutet dann das Nichtabweichen, die Gradlinigkeit oder Unbeirrbarkeit. Etwa in diesem Sinne verwendet es auch Kanera.- Vgl. Anm. 125.

(61) 1ml::@

188 verkündet. Auch in dem ehrwürdigen Orakel des großen Bodhisattva Hachi­ man heißt es: ,In einem redlichen Haupte wohnen die Götter'a•. Redlichkeit (shi5jiki)125 bedeutet einfach: ein gerades, aufridltiges Herz haben. Ist das Herz verdorben, so ist mit Sidlerheit auch alles, was vom Körper ausgeht, verdorben. Audl bei der Beurteilung anderer sollt Ihr einen guten Mensdlen als solchen erkennen und ihn entspredlend belohnen, einen sdllechten aber sollt Ihr für schledlt halten und demgemäß bestrafen. So führt Ihr ein redlidles Regiment, das aus einem redlichen Herzen entspringt. 10 Das beste Gleidlnis für das redlidle Herz ist das Bild des Spiegels t 26: Tritt ein Mensdl, der schön von Angesicht ist, vor einen Spiegel, so ist auch sein Spiegelbild sdlön. Tritt ein häßlicher Mensch vor einen Spiegel, so wirft dieser ein häßlidles Spiegelbild zurück. So bezeidlnet man audl die Weisheit Buddhas mit dem bildhaften Aus­ druck ,große vollkommene Spiegel-Weisheit' 127, man vergleicht sie mit einem Spiegel, und auch das Wesen von kami dürfte einem Spiegel nach­ gestaltet sein 128•

IV. Der Shögun soll sich mit Ernst für das Mitleid (jihi) einsetzen.

Der eigentlidle Sinn des Wortes ji ist: Leiden tilgen. Das Wort hi bedeutet im Grunde: Freude gewähren 129• Daß Buddha in seinem erhabenen Herzen beschließt: "Um aller Kreatur willenwill idl das Leid tilgen und die Freude schenken", das ist die eigent­ lidle Bedeutung des Ausdrucks jihi. In den nichtbuddhistischen Schriften bezeidlnet man dieses mit jin 13°. Jin meint: die Menschen lieben.

1!4 Vgl. Jikkin-shö, in: Shintei zöhö kokushi taikei, Bd. 18, Tökyö 1932, S. 101: "Mata Hachiman Daibosatsu wa katajikenakumo shöjiki no mono no köbe ni yado­ ran to chikawasetamau. • Daraus geht hervor, daß mit kami aud:l bei Kanera Hachiman Daibosatsu selbst gemeint sein kann. 125 Shö = nicht nach rechts oder links abweichen, jiki = fest, aufrecht, unbeugsam. Der in der Ubersetzung mit ,verdorben' wiedergegebene japanisdle Ausdruck lautet yugamu, wörtlich: gebogen, verbogen. 128 Vgl. dazu H. BoHNER, Jinnö-shötö~ki- Buch von der wahren Gott-Kaiser-Herr­ schaitlinie, Tökyö 1935, Bd. I, S. 211: "Der Spiegel tut kein Ding hinzu; er hat kein Herz für sich, und so, indem er alle Phänomene hell macht, madlt er wo Recht ist und wo Unrecht ist, wo gut ist und wo böse, bis ins letzte offfenbar ... " m Daienkyö-chi: wörtlich: ,die große vollkommene Spiegelweisheit', (Sk. ädarsa• jiiänalfl). Eine der ,Vier Weisheiten' Buddhas (Sk. caträri-jiiänäni). Alle Dinge des Weltalls werden im Geist Buddhas gespiegelt. 128 Eine etwas eigenartige Ausdrucksweise.- Gemeint ist aber wohl dod:l, daß d~s Wesen von kami durch den Spiegel und seine Eigenschaften {s . Anm. 126) repra­ sentiert wird. Man darf wohl annehmen, daß mit kami die Sonnengottheit Amaterasu gemeint ist. 12 1l Diese Version, die Kanera vermutlich aus dem Gedächtnis zitierte, widerspricht der Version des von N.AGARJUNA verfaßten Daichidoron {Sk. Mahäpraj.iiäpäramitä• sästra). Dort heißt es: "Es ist die große Gnade (ji), die aller Kreatur Freude gewährt; es ist das große Mitleid (hi, Sk. karUI,lä}, das für alle Kreatur das Leid tilgt." 130 Jin, chinesischjenwird oft mit ,Menschenliebe' oder ,Wohlwollen' übersetzt.• Zur Auslegung dieses Begriffes in der chinesischen Philosophie vgl. FuNG yu-lan, History of Chinese Philosophy, Bd. I, Peiping 1937, S. 435 (Index) und Bd. II, .Pr~ceton 1953, S. 520-21, 601. - Ferner: A. FoRKE, Die Gedankenwelt des chineslsdten Kulturkreises, (Handbuch der Philosophie) Mündlen-Berlin 1927, S. 155 ff.

189 Äußerlich ist jin ein ganz anderer Begriff, dem Inhalt nach besteht jedoch 10 kein Unterschied zu dem Ausdruck jihi. Im allgemeinen sind wir selbst um Vögel und Tiere liebevoll besorgt, wenn wir sie zahm aufziehen. Um wieviel mehr ziemt es sich für einen gnädi• gen Fürsten, daß er für alle Menschen (ohne Ansehen der Person) sorgende Teilnahme empfindet. Seht, seit nunmehr über zehn Jahren verlassen große Teile des Volkes, seien sie hoch oder niedrig gestellt, ihr Heim und ihren Grundbesitz, und Unzählige leiden unter Hunger und Kälte. Die Ursache dafür, daß es Leute gibt, die sich auf so ungerechte und grausame Weise mit Gewalt in den Besitz von Domänen setzen, besteht doch wohl ausschließlich darin, daß 20 diese Leute kein mitleidiges Herz haben. Es ist wirklich schändlich, daß sie das Gesetz von Ursache und Wirkung 131 nicht erkennen.

V. Der Shögun soll sich um die Künste mühen.

Bogenschießen und Reiten werden in Eurer Familie ohnehin gepflegt, daher brauche ich hierzu nichts weiter zu sagen. Darüber hinaus sollen auch die anderen Künste, bis hin zur Dichtkunst und zum Fußballspiel 132 Euer In­ teresse finden. Der edle Herr Rokuon-in 133 bekleidete unter anderem auch das Amt eines Sechi' e-no-naiben 134, und sogar für das Musizieren und für die Sprach­ wissenschaft 135 hatte er viel übrig. Eine solche Vielseitigkeit zeugt von sei­ ner ungewöhnlich großen Liebe zu den Künsten. Zu gegebener Zeit sollt 10 auch Ihr alle möglichen Künste betreiben, um damit, wie auch der edle Herr Rokuon-in das getan hat, das Gefolge Eurer näheren Umgebung zu veran­ lassen, daß es sein Herz einmal von all den Sorgen und Nöten des Alltags freimacht. Auch der Reiswein, den man den Herrn der Freude ( kanhaku) 1621 nennt, ist ein Mittel, den Frohsinn zu fördern. Was sollte Euch deshalb daran hin­ dern, ihn jedermann zu gewähren? I Allerdings kann man in den ,Gesprächen'

131 Shuin-kanka, buddhistisdler Terminus. Wörtlidl: ,die Ursamen tun und die Wirkungen spüren', d. h., gute Taten sind die Ursache von Glück und Freude für den Täter, während böse Taten ihn in Leid und Not bringen. 132 Kemari: Eine Art japanisches Fußballspiel, von dem schon im Nihonshoki die Rede ist und das später zu den adligen Künsten gehörte. 133 Rokuon-in dono, Name des Ashikaga Yoshimitsu (s. Anm. 2). rokuon bedeutet Rehgarten. Nach der Oberlieferung hat Gautama Buddha seine erste Predigt in einem Garten gehalten, der reich an Rehen war. 134 Ein Jökei (vgl. Anm. 163), der bei den sechi'e (das sind Zusammenkünfte zu festgelegten hodlrangigen Zeremonien) am Südtor der inneren Palastumfriedung (shömei-mon) Dienst tat. 135 Shömyö: Sk. sabdavidyä. Eine der fünf indischen Wissensdlaften. Sie um.faßt Lautlehre (on'in), Grammatik (bunpö) und Interpretation (kunko).

(621 ~{s

190 des Konfuzius lesen: "Nur beim Wein hatte er kein bestimmtes Maß, aber er ließ es nicht soweit kommen, daß er durch ihn verwirrt wurde.136" Hinsichtlich der Menge des Weines gibt es für starke Trinker und für solche, die nur gelegentlich Wein trinken, keine gesonderten Vorschriften. 20 Daher heißt es: "es gab kein bestimmtes Maß". Wenn da steht: "er ließ es nicht soweit kommen, daß er durch ihn verwirrt wurde", so bedeutet das, daß man sich nicht so sehr betrinken soll, daß man die Gewalt über seine Sinne verliert. Am besten ist, Ihr erfreut Euch solange am Wein, wie Ihr Euch noch wirklich amüsiert und seine Freuden genießt; sobald Ihr dann merkt, daß Ihr und die anderen betrunken seid, gehe ein jeder auf dem schnellsten Wege ins Bett und schlafe ein. Andernfalls darf man sich wirklich nicht wundern, wenn man Fehler begeht. Sollten Eure Diener einmal unter Einfluß des Weines ihre Pflichten vernachlässigen, so stellt sie keinesfalls zur Rede, solange sie noch betrunken sind. Es wird Euch hier besonders hel- 30 fen, wenn Ihr zu dem Zeitpunkt, da sie wieder nüchtern und bei vollem Bewußtsein sind, zu ihnen sprecht: "Wißt ihr nicht mehr, wie ihr euch da und da benommen habt? Wahrhaftig, denkt daran und gebt acht, daß das in Zukunft nicht wieder vorkommt!"

VI. Der Shögun soll sich für den Weg der Regierung (seidö) einsetzen.

Zwar habe ich nun schon über manche Fragen gesprochen, aber das Wich­ tigste ist doch, daß man den Weg der Regierung in rechter Weise verfolgt. Die Herrschaften, die in jüngster Zeit die Stammländereien 137 der bud­ dhistischen und shintoistischen Tempel und Schreine gewaltsam usurpierten und die tatsächliche Herrschaft 138 in diesen Gebieten ausübten, waren er­ füllt von rücksichtsloser Gesinnung und kümmerten sich nicht um den Ruf, den sie in der Nachwelt haben würden und um die SChande, die sie ihrem Namen machten.

138 Vgl. Lun-yü, Buch X, Abschnitt 8, (LEGGE, Chinese Classics, Bd. I, S. 232). Be­ deutungsvoll ist das einschränkende ,nur'. Wein ist bestimmt, froh zu machen. Des­ halb soll man ruhig die Menge trinken, die man benötigt, um in dieses Stadium zu gelangen. 137 Honjo-ryö (63]: Besitzungen der honjo; honjo sind mächtige Adlige oder Tempel als private Eigentümer von Shöen, in denen sie ursprünglich verschiedene öffentlid:le Rechte sowie die Red:ltsprecb.ung innehatten. Sd:lon zu Beginn der Ashikaga-Zeit hatten sie sehr unter den räuberischen Obergriffen unbotmäßiger Vasallen zu leiden. Vgl. Kenmu-irai-tsuika, Artikel 43 u. 44, in: ARIGA Nagao (Hrsg.): Zötei Nihon kodai höshakugi, Tökyö 1908, S. 530 u. 531. Zum Begriff honjo vgl. Ism1 Ryösuke, Nihon hösei-shi gaisetsu, Tökyö 1960, S. 251. 138 Chigyö [641: Ein Begriff aus dem mittelalterlichen japanischen Zivilrecht. Be­ deutung: " ... die tatsächliche Herrschaft über ein Grundstück, die auf die Behaup­ tung der Inhaberschaft des dinglichen Rechts gestützt ist und dieses Recht vermuten läßt."- Vgl. W. RöHL, Okamoto Daihachi, in: NOAG 82/1957, S. 41.- S. auch Isnn Ryösuke, Nihon hösei-shi gaisetsu, S. 300 u. 302 ff.

[63) *§!~ 1641 ~fr

191 10 Dabei haben doch diese Familien Generationen hindurch wahrhaft treu und loyal ihren Dienst am Staate versehen. Dafür, daß sie nun plötzlich das Erbe ihrer Vorfahren derart entehren, findet man keine Worte. Was die Zeit ihres eigenen Lebens betrifft, so sollen sie tun, was sie nicht lassen können, aber daß es ihnen nicht in den Sinn kommt, an ihre Kinder und Enkel zu denken, ist das nicht äußerst kurzsichtig?! Daraus folgt, daß man den Weg der Regierung unter keinen Umständen unbeachtet beiseite lassen darftsD. Wenn in einem Fall, wo jemand einem gerichtlichen Entscheid nicht ge­ horcht, die Klagen des durch diesen Ungehorsam Betroffenen bei der höch- 20 sten Instanz kein Gehör finden, dann sieht das ganz so aus, als sei jenes 140 der Grund dafür. Wo der Shögun sich durch all diese Mißstände überhaupt nidlt beunruhigen läßt, da gibt es wohl keinen Unterschied mehr zwischen ,schuldig' und ,unschuldig' 141• Ferner bringt auch die [üble Gewohnheit der] ,Gelegenheitsnutzung' a 2 jene Leute auf den Plan, die, einzig auf ihren Vorteil bedacht, keine Skrupel haben, anderen Menschen Böses zuzufügen. Dergleichen sollte überhaupt niemals vorkommen I Die Zeremonie des gohanhajime hat ja nun bereits stattgefunden. Daher liegt es, falls sich jemand das yodatsu-Recht 143 anmaßen sollte, in Anbetracht 30 der Einfachheit des Falles nahe, daß Euer Stellvertreter 144 hierüber ent­ scheidet. Eine parteiische Entscheidung kommt nur vor, wenn der Shogun sich beim Siegeln des mikyöjo 145 auf die Angaben des zuständigen Kommissars (bugyö)

138 Weil nämlich sonst auch die kommenden Geschledlter unter dieser schlechten Regierung zu leiden hätten. 1 ~ Daß der Shögun den ,Weg der Regierung' unbeachtet beiseite läßt. 141 Gemeint ist: dann machen die dem Bakufu untergeordneten Beamten, was sie wollen, und parteiisch geführte Prozesse sind an der Tagesordnung. 142 Suteba hirowamu to mösu koto. Wörtlich: "Sagen: Wenn es fortgetan ist, will ich es aufheben." Das bedeutet, begierig auf die Gelegenheit warten, vakant gewor­ dene Gebiete für sich zu gewinnen. 143 Yodatsu-ken 1651: das Recht, Gebiete zu vergeben und wieder einzuziehen. 144 Go-daikan: Allgemeine Bezeichnung für die Vertreter des Shöguns, die in be­ stimmten Gebieten für eine bestimmte Zeit die Interessen der Zentralregierung ver­ traten. Unter diese Sammelbezeichnung fallen demnach auch der Rokuhara-tandai, der Kyüshü-tandai, die Kanryö u. a. In der Muromachi-Zeit verstärkte sich die Ten­ denz, daß auch Unterbeamte, vor allem Shugo und Jitö einen oder mehrere persön• liche Vertreter (daikan) ernannten, sie mit Vollmachten ausstatteten und einen Teil der ihnen unterstellten Gebiete verwalten ließen.- Vgl. auch lsHII Ryösuke, Nihon hösei-shi gaisetsu, S. 271 u. S. 272 Anm. 1. 145 In der Muromachi-Zeit gewöhnlich ein amtliches, mit Unterschrift und Siegel eines der drei Kanryö versehenes Dokument. Seit Ashikaga Yoshimitsu auch vom Shögun selbst gezeichnet und gesiegelt: gohan no mikyöjo. Trägt das Dokument kein Siegel, so nennt man es gosho no mikyöjo. Der Inhalt dieser mikyöjo ist sehr unter­ schiedlich. So kann es sich dabei um die Ernennung zu einem Amt, die Anerkennung eines Besitzrechts, die Bestätigung einer Schenkung oder auch um eine Empfehlung handeln. - Vgl. lsHu Ryösuke, Nihon hösei-shi gaisetsu, S. 271.

(65J A~ tl

192 verläßt. Deshalb tut er gut daran, selbst in Fällen, wo die buddhistischen Gebote verletzt worden sind, die Argumente beider Parteien zwei oder drei Kommissaren zur Beurteilung vorzulegen und danach der berechtigten Par­ tei das Streitobjekt zuzusprechen. Auch dieses Verfahren ist sehr einfach. Geschieht es, daß der Richter sich verhört oder etwas übersieht (und so 146 ein falsches Urteil fällt) und der davon Betroffene eine direkte Eingabe 147 macht, dann wird die Verhandlung wiederholt. Dieses Verfahren ist eben- 40 falls nicht neu, sondern seit alter Zeit üblich. Weil es sich bei den Pflichten des Shöguns um die Führung von Staats­ angelegenheiten handelt, ist auch eine Nachlässigkeit von nur ein oder zwei Tagen nicht gestattet. Sich ihrer gar völlig zu entledigen, ist sündhaft. Es ist vielmehr erforderlich, daß er sehr genau darüber nachdenkt.

Ich hätte noch vieles zu sagen, aber mein Pinsel ist begrenzt 148, und so habe ich mich hier auf die Hauptsachen beschränkt.

3.4.2. Shodan-chiyo

I. Man soll die Götter verehren.

Unser Land ist das Land der Götter. Nachdem sich der Himmel von der Erde getrennt hatte, folgten einander die sieben Generationen der Himmels­ götter und die fünf Generationen der Erdengötter und machten den Anfang mit den zehntausend Tätigkeiten. Auch ist jeder einzelne, ob Fürst oder Untertan, hoch oder niedrig, mit Sicherheit göttlicher Abkunft. Aus diesen Gründen betrachtet man das Jingi-kan 149 als das vornehmste aller Regle-

148 Für die Ubersetzung des Bunmei-ittö-ki und des Shödan-chiyö und für voll­ ständige Zitate aus diesen Schriften gilt: Einschaltungen in runden Klammern sind zusätzliche Erklärungen des Verfassers. 147 Osso [68): Die Reihenfolge des üblichen Rechtsweges nicht einhaltend, die unteren Stellen überschlagend, gleich bei einem höheren Amt Klage einreichen. - Ein in der Kamakura- und Muromachi-Zeit übliches Prozellverfahren (Prozeßrecht). Wenn sich das 1. Verfahren verzögert oder es wird dabei mit zweierlei Maß ge­ messen (Parteilichkeit), dann wendet sich der Ankläger (in der oben beschriebenen Weise) sofort an den Osso-bugyö, (ein Amt, das in dieser Zeit eigens zu diesem Zweck eingerichtet worden ist). 148 Gemeint ist: Beim Niederschreiben mit dem Pinsel gibt es Grenzen, man kann ja nicht alles schreiben. 1411 Seit Beginn des 8. Jahrhunderts das angesehenste Amt der kaiserlichen Regie­ rung. Das im Jahre 701 proklamierte taihö-ryö sah auch ein jingi-ryö vor, das sich mit allen die Verehrung der Shintö-Gottheiten betreffenden Fragen befaßte. Die Aus­ führung dieser Vorschriften lag seitdem in den Händen des Jingi-kan. Vgl. dazu die außerordentlich interessanten Einzelheiten über die personelle Besetzung dieses Amtes bei PoNSONBY-FANE, Studies in Shintö and Shrines, S. 58 f.

[66} ~~

193 150 rungsämter. Auch in den zeremoniellen Ratsversammlungen , wo man zu Beginn des Jahres oder bei der Amtsübernahme eines neuen Shöguns die 10 notwendigen Maßnahmen der Regierung beschließt, werden zuerst und mit besonderer Sorgfalt die Themen: ,Bau- und Ausbesserungsarbeiten an Tem­ peln und Schreinen' und ,Allgemeine und künstlerische Ausgestaltung der religiösen Feste' erledigt. Das alles geschieht so aus Ehrfurcht vor den Göt• tern. Die Feste im Verlauf eines Jahres beginnen mit dem toshigoi-no-matsu­ ri 151 , dem ,Bittgottesdienst für die gute Ernte' am 4. Tage des 2. Monats. Für dieses Fest werden Boten 152 beauftragt, den 3132 ,barmherzigen Gott­ heiten' 153 der Libelleninsel 154 Opfer darzubringen. Bei 737 dieser barmherzi­ gen Gottheiten werden diese Zeremonien vom Jingi-kan selbst geleitet, wäh- 20 rend die einzelnen Regierungen der über sechzig japanischen Provinzen, jede für sich, im Auftrage des Kaisers, den Opferdienst an den übrigen 2395 barm­ herzigen Gottheiten versehen. Es wird für das ganze Jahr um Abwendung allen Unheils und um Fruchtbarkeit des Landes gebetet. Daher trägt dieses Fest die Bezeichnung toshigoi-no-matsuri.

Ferner fällt das kinen-koku-no-höhei 155, das Fest der ,Opfer und Gebete um gutes Getreide für dieses Jahr' in diesen Monat. Zu diesem Fest werden besonders ernannte Boten an zweiundzwanzig Schreine geschickt, wo sie beten, daß das Land vor Uberschwemmung und Dürre und auch vor Sturm­ schäden bewahrt werden möge, und daß das Getreide voll zur Reife kommen 30 möge. Das Getreide ist das Leben des Volkes. Wer könnte da diese Sache leicht nehmen?!

15° Gijö-hajime und hyöjö-hajime. Bei gijö handelt es sich um zeremonielle Rats­ versammlungen der Hocharistokratie im Gijö-so oder Kiroku-jo !671, in denen über politische Maßnahmen entschieden wird. Vgl. Masukagami, in: WADA Hidematsu u.a. (Hrsg.): Chöshü Masukagami, 7. Aufl., Tökyö 1929, S. 584 u. Anm., S. 729 u. Anm., außerdem S. 529 u. Anm. auf Seite 531.- hyöjö ist die entsprechende Ratsversamm­ lung der Buke. Vgl. Masukagami, a. a . 0 ., S. 332 u. Anm. 151 Auch kinen-sai. toshi = Getreide. koi = Bitte, Gebet. 152 Mitegura no tsukai: Vom Jingi-kan oder den Provinzregierungen (kokushi) an die einzelnen Schreine entsandte Boten. Sie hatten die Aufgabe, den jeweiligen Schreingottheiten mitegura (musa, gohei), das sind gefaltete und beschriebene Papierstreifen, zum Opfer darzubringen. Die mitegura gehen auf die aonigite und shiranigite zurück, die einstmals mit dazu dienten, Amaterasu aus ihrer Felsenhöhle hervorzulock.en. Der Beschluß, daß die mitegura no tsukai (auch heishi genannt) zu abgelegenen Schreinen von den Kokushi der Provinzen ausgesandt werden sollen, stammt aus dem Jahr 798. Vgl. PoNSONnY-FANE, Studies in Shintö and Shrines, S. 60. 153 Die 3132 Buddhas oder Bodhisattvas, die zum Heil der Menschen für eine ge­ wisse Zeit als kami oder gongen- das sind Manifestationen Buddhas -in Japan erscheinen. Vgl. GENCHI Katö, The Theological System of Urabe no Kanetomo, in: Transactions and Proceedings oi the Japan Society London; Bd. XXVIII, 1931-32, S. 147; ferner W. Gu DERT, Japanische Religionsgeschichte, Tökyö 1935, S. 76f. 154 Akitsushima. Dieser alte Name für Japan soll auf Jinmu Tennö zurückgehen. Die Etymologie dieses Namens ist umstritten. Vgl. dazu Orikuchi Nobuo zensh-&, Bd. 9, Tökyö 1955, S. 186/87. 155 Dieses Fest wurde außerdem im 7. Monat gefeiert.

194 Von den zweiundzwanzig Schreinen sind vier, nämlich der Iwashimizu 156 (-Hachiman-gü), der Yoshida(-jinja) , der Gion(-no-yashiro) 157 und der Kitano(-jinja) 158 nicht im Götterregister des Engishiki 159 erwähnt: daher spricht man bei ihnen auch von shiki-gai-no-kami 160• Die Anzahl der Schreine war ursprünglich nicht bestimmt, nachdem man sie aber im 3. Jahre der Ära Chöreki (1039) im 8. Monat unter der Herrschaft des Ex-Kaisers GoSuzaku 161 auf zweiundzwanzig festgelegt hatte, hat sie sich weder erhöht noch ver­ mindert. In alter Zeit wurden diese Boten im Daigoku-den 162 in Gegenwart des Kaisers verabschiedet und von dort ausgesandt. Nun gibt es aber das 40 Daigoku-den nicht mehr, daher obliegt es dem Jingi-kan, die Zeremonien [der Aussendung] vorzunehmen. Danach begibt sich ein Jökei 163 orler Ben 164 zu den einzelnen Festen der Schreine, um dort die Zeremonien zu leiten. Ort und Zeit dieser Feste kann man aus den nenjü-gyöji ersehen.

Zu diesen Festen gehören auch das tsukinami-no-matsuri 165, das im 6. und

156 Gegründet zwisdlen 859 und 877. Geweiht den ,vier Gottheiten' des Kasuga­ Sdueines, den Clangottheiten des Hauses Fujiwara. Bis zu den Onin-Wirren west­ lich des Yoshidayama, Nähe Kyöto, gelegen. Später und noch heute auf dem Kagura­ Hügel im Nordosten Kyötos. 157 Auch Gion-sha oder Yasaka-jinja. Liegt im Osten Kyötos in dem Dorf Yasaka. Geweiht dem Susano'o. 158 Gegründet 836. Prächtig wieder aufgebaut 959 und Tenman-Tenjin (Sugawara Michizane) geweiht, um dessen Rachegeist (aramitama) zu besänftigen. 159 Großes japanisches Zeremonialwerk, im Jahre 927 vollendet. 10 Kapitel. Be­ richtet im Kanbun-Stil über die Zeremonien am kaiserlichen Hof und in den Provin­ zen und über die shintoistisch-religiöse Praxis der Engi-Periode, enthält u. a. auch eine Liste der Schreine und 27 Norito, die bei 17 verschiedenen Festen vorgetragen wurden. 160 Wörtlich: Götter außerhalb des (Engi-)shiki. Die ,Götter' stehen hier für die Tempel, die ihnen geweiht sind. 161 War der 69. Kaiser Japans und regierte von 1037-1045. Seine Gemahlin war Shoshi (Akiko), Tochter des Fujiwara no Michinaga (966-1027). 162 ,Großer StaatssaaL Der Teil des kaiserlichen Palastes, wo Krönungen und andere erstrangige Zeremonien abgehalten wurden. 1219 zusammen mit dem größ• ten Teil des kaiserlichen Palastes verbrannt. Wieder aufgebaut, wurde er 1227 zum zweiten Male und diesmal endgültig ein Opfer der Flammen.- Vgl. PoNSONBY-FANE, Kyoto, S. 35 ff; über die Nachbildung im Heian-jingü s. a. a. 0., S. 391. 163 Hier ein kaiserlidler Bote, der an den Provinzschreinen die Opferzeremonien zu leiten hatte. - Jökei sind im allgemeinen hohe kaiserliche Beamte, wie etwa Minister, Dainagon oder Chünagon, die bei bestimmten Anlässen eine begrenzte zeitlang zusätzliche Aufgaben zu erfüllen hatten. 164 Beamte des Obersten Staatsrats ( dajokan). Der Sadaiben (Direktor zur Linken) hatte, unterstützt von Chüben und Shöben (1. und 2. Vize-Direktor) die Aufsicht über die ersten vier Ministerien: Nakatsukasa-shö (das Mittelsministerium, das die Ver­ bindung zwisdlen dem Tennö und dem Dajökan herstellte). Shikibu-shö (Ministerium für Zeremonien), Jibu-shö (Ministerium für zivile Verwaltung, das sich mit Genea­ logien, Erbfolge, Begräbnisriten, Staatstrauer, posthumen Titeln, Musik, Priestern und Nonnen, Empfängen für Ausländer etc. befaßte) und Minbu-shö (Innenministe­ rium, dem das Post- und Steuerwesen, Kornspeicher, Volkszählung etc. unterstanden). Der Udaiben (Direktor zur Rechten) war für die übrigen vier Ministerien verant­ ~ortlich. Diese waren: Hyöbu-shö (Kriegsministerium), Gyöbu-shö (Justizministe­ r~um), Okura-shö (Finanzministerium) und Kunai-shö (Ministerium für den kaiser­ heilen Haushalt).- S. auch CoATES u. IsmzuKA, Honen, S. 110-113. 165 Auch tsukiname-sai. Ein dem toshigoi-no-matsuri sehr ähnliches Fest. Wurde ursprünglich jeden Monat zelebriert. Die Weisung, daß es nur im 6. und im 12. Monat zelebriert werden soll, ist im taiho-ryo enthalten, wurde aber zeitweilig nicht be­ achtet.

195 im 12. Monat gefeiert wird, das reihei 166 am 11. Tage des 9. Monats und das niiname-matsuri 167 im 11. Monat. Diese vier Feste werden yodo-no-hei t&s genannt. Es sind sehr ehrwürdige Feste, an denen Boten aus den vier privi­ legierten Geschlechtern der öshi 169, der Urabe, Nakatomi und Inbe an den 50 Großen Sduein von Ise entsandt werden, und an denen insbesondere ein mehrtägiger erhabener Gottesdienst stattfindet. In den Generationen von Kaisern gab es keinen einzigen, der bei der Ein­ richtung derartiger Feste an sich selbst gedacht hätte. Jeder ließ sie allein um des Volkes willen stattfinden. Feste, die keine historische Begründung haben, nehmen die Götter nicht an! Es heißt, der Himmelssohn ist das für alle Götter verantwortliche religiöse Haupt. Deshalb führt er auch die Oberaufsicht über die Verehrung aller Himmels- und Erdengötter Japans. Als nächstes untersteht auch der Shogun als Feudalherrscher des Reiches (tenka no shuryö) 1681 seiner religiösen Ver- 60 antwortung. Weil nun der Kaiser die Schreine der einzelnen Provinzen wiederum der Obhut der Kokushi, Shugo und Jitö 170 anvertraut hat, ist auch der Dienst an den mehr als zweitausend Gottheiten anläßlich des kinen-sai diesen Provinzregierungen übertragen.

186 Eigentlich: Das ,mitegura-Opfer nach altem Brauch'. Es handelt sich hier wohl um das shinshö-sai oder kanname-matsuri, bei dem ein reihei-shi (reihei-Bote} nach Ise gesandt wurde. Zum erstenmal am 11. Tag des 9. Monats im Jahre 721 zelebriert. Später nannte man dann das regelmäßig wiederkehrende mitegura-Opfer zum kan­ name-matsuri reihei. Während des Kriegsjahres 1467/68 fiel es einmal aus. 187 Auch niiname-sai. Eingeführt von Tenmu Tennö (40. Kaiser, regierte von 673- 686). Gehört zusammen mit dem daijö-sai, dem kinen-sai und dem shinshö-sai zu den bedeutendsten religiösen Festen Japans. Näheres s. PoNSONBY-FANE, Studies in Shintö and Shrines, S. 557 (Index). 168 Das ,viermalige Opfer'. 169 Nachkommen des Tennö, die keinen eigenen Hausnamen erhielten. Kaiserliche Sippe. 170 W ie die Shugo wurden auch die Jitö von Minamoto Yoritomo, der selbst 1185 von GoShirakawa Tennö zum Sö-jitö (General-Jitö) ernannt worden war, eingesetzt. Wie die Shugo kamen auch sie aus den Reihen der Grundherren, die sich im Kampf gegen die Taira verdient gemacht hatten. (Die Ämter des Shugo und Jitö gab es bereits vor diesem Zeitpunkt, damals hatten sie allerdings nur privatrechtliehen Cha­ rakter.) Der Jitö unterstand dem Shugo, wiewohl beide Ämter öfter in Personalunion ausgeübt wurden. Der Jitö war der vom Shögunat delegierte oberste Verwaltungs­ beamte seines Amtsbereiches, der sich auf Shöen aber auch auf Staatsländereien aus­ dehnte. Seine Aufgabe war vor allem, für die Einnahme der Grundsteuern Sorge zu tragen, über die er mit dem Bakufu abrechnen mußte. Zu seinen Befugnissen gehörte außerdem die Polizeigewalt und die allgemeine Gerichtsbarkeit. Jitö und Shugo hatten eigenen Grundbesitz in den von ihnen verwalteten Gebieten, außerdem hatten die Jitö Sondereinkünfte (tokubun), die, oft beträchtlich, allerdings nidlt einheitlich festgesetzt waren. Zur Zeit der Abfassung des Shödan-chiyö waren auch bei den Jitö partikularistische Bestrebungen im Gange, in deren Verfolgung sie nicht selten den mächtigeren Shugo-Daimyö in den Rücken fielen.

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196 Wiederum nehmen die Götter die Anbetung und Verehrung ihrer eigenen Nachkommen mit besonderem Wohlwollen entgegen. Daher werden die ehr­ würdigen Nachkommen der Gottheiten ersucht, bei den Festen der Schreine als Boten zu dienen. So werden für den Iwashimizu Mitglieder der Mina­ moto-Sippe, für den Kasuga 171 Mitglieder der Fujiwara und für den Kitano solche aus dem Geschlecht der Sugawara als Boten verwandt. Wenn es einmal keine Vertreter dieser Häuser gibt, dann werden auch Leute mit anderen 70 Hausnamen zu diesem Dienst berufen. Der sogenannte Hasshogoryö 172 ist ein Schrein, wo die Geister derjenigen angerufen werden, die in alter Zeit einen Aufruhr gemacht hatten, ohne ihre 173 Absichten zu verwirklichen , oder auch derjenigen, die gegen alle Dinge Haß hegten. Diese gehören nicht zu den Gottheiten, die den Glanz ihrer Weis­ heit verbergen und eine zeitlang in die Menschheit zurückkehren, um dlle Lebewesen zu erretten 174• Wenn man in China von ,Gottheit' spricht, so meint man damit meist die Geister der Ahnen, denen man Gebet und Opfer darbringt. Diese entsprechen den mitama 175 bei uns. "Sollten solche Gottheiten einmal ihren bösen Einfluß 80 ausüben, so soll man unbedingt einen ihrer Nachkommen ausfindig machen, ihm Amt und Rang verleihen und ihn veranlassen, ihnen Opfer und Gebet darzubringen", schreibt Tachibana no Hiromi 176 1691 im Gi-senpuron 177 1701. Es heißt auch: "Wenn ein böser Geist einen Ort hat, wohin er sich begeben 178 kann, verursacht er keine Plagen mehr. u

Es ist zwar eine chin~sische Geschichte 179, aber: "Es lebte in Cheng ein Mann namens Liang-hsiao. Er wurde für seine Verbrechen bestraft und

171 Einer der ältesten Shintö-Schreine Japansam Fuße des Kasuga-yama im Osten von Nara. 709 von Fujiwara no Fuhito errichtet. S. Japan-Handbuch (künftig JHB). 172 Eigentlich die acht Gottheiten, die im Goryö-sha (Kyöto) angerufen werden. Diese sind: Kibi Daijin, Sudö Tennö, Iyo Shinnö, Fujiwara Hirotsugu, Fujiwara Fujin, die Mutter des Iyo Shinnö, Tachibana Hayanari, Fumiya Tamarö und Higaminari Tenjin (i. e. Sugawara Michizane).- Vgl. dazu PoNSONBY-FANE, Kyöto, S. 6. 173 Zu ara-mitama (ungestüme Geister) vgl. PoNSONBY-FA NE , Kyöto, S. 6, 115 u. 386. 174 Wakö-suijaku no shinmei. 175 Erhabene Geister (der Toten). 178 837-890. Bedeutender Gelehrter. Diente mit seiner Gelehrsamkeit drei Kai­ sern, nämlich Yözei Tennö, Kökö Tennö und Uda Tennö. War Chünagon im Folgen­ den 3. Rang. 177 Diese Schrift war nicht zu realisieren. Wie der Titel vermuten läßt, handelt es sich um eine Nachahmung des chinesischen Ch'ien-fu-lun (jap. Senpuron) von Wang Fu 1711, eine Schrift, die die Wahrsagerei, die Regierungspolitik, die sozialen Verhält• nisse und die Gebräuche der Hou-Han-Periode geißelt. Vgl. E. FEIFEL, Geschi chte der dtinesisdten Literatur, (dargestellt nach NAGASAWA Kikuya: Shina Gakujutsu Bun­ geishi), 2. Aufl., Darmstadt 1959, S. 122. 178 Vgl. Tso-chuan zu Ch'un-ch'iu, Buch X, Jahr VII, Chao-kung. (S. auch LEGGE, Chinese Classics, Bd. V, Teil II, Hongkong, 1872, Text: S. 613, Ubersetzung: S. 618 a.) 1711 Vgl. Tso-chuan zu Ch'un-chi'iu, Buch X, Jahr VII, Chao-kung. (S. auch LEGGE, a. a. 0 ., Text: S. 613, Ubersetzung: S. 618 a.)

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197 starb 180• Als sein Geist dann als Seuche das Volk [von Cheng] heimsuchte, war da ein weiser Mann mit Namen Tzu-ch'an, der verlieh dem Sohn des 90 Liang-hsiao ein Amt und veranlaßte ihn, [seinem Vater] Gebete und Opfer darzubringen. Von dieser Zeit an tötete er keinen Menschen mehr." Auch das sogenannte ,göttliche Orakel' war zu alten Zeiten etwas All­ tägliches!- In einem Dokument des Dajö-kan vom 3. Jahre der Ära Könin im 9. Monat wird festgestellt: "Seltsame unbegründete Dinge werden von Weisen nicht geäußert, das Vergehen, zweifelhafte, demagogische Reden zu führen, wird vom Gesetz her streng geahndet. Solange die Zeichen eines göttlichen Orakels nicht in einleuchtender Weise offenbar sind, dürfen die Provinzregierungen 181 darüber nicht an den Hof berichten." So steht geschrie­ ben. Dies ist nämlich die Aufgabe der miko und kannagi 182. 100 Ferner: In der Ausbesserungsarbeit an den Schreinen darf es keine Unter- brechungen geben. Der Große Schrein von Ise wird regelmäßig alle einund­ zwanzig Jahre mit Hilfe der Reissteuer 183 aus allen Provinzen neu errichtet. Was die Bauarbeiten an anderen Schreinen betrifft, so sollen die negi 184 und kannushi 185 sich um die Ausbesserung kleinerer Schäden kümmern. Sollte sich gelegentlich durch einen Taifun oder eine Feuersbrunst die Notwendig­ keit von groß angelegten Bauarbeiten ergeben, so bekommen sie, wenn sie den Sachverhalt an den Hof berichten, Präzedenzfällen gemäß ihre Anwei­ sungen. In den amtlichen Dokumenten des Dajö-kan aus dem 3. Jahre der Ära 110 Könin steht zu lesen: "Die Reparaturen an Schreinen, die kein Lehnsland he­ sitzen, sollen mit Hilfe der Landbevölkerung aus den Gütern der Lehnsland besitzenden Schreine durchgeführt werden." ,Landbesitzend' und ,nicht land­ besitzend' heißt soviel wie Schreindomänen haben bzw. nicht haben. Weil in jüngster Zeit der Dienst an den Göttern im Verfall begriffen ist, ist es natürlich, daß die landbesitzenden Schreine auch größere Schwierigkeiten haben, ihre Bauarbeiten durchzuführen. Um wieviel ärger muß es bei den Schreinen bestellt sein, die keinerlei Ländereien besitzen! Aufgrund der Wirren, die nun schon mehr als zehn Jahre andauern, ist bei den Sdlreinen ein Verfall und eine Verwüstung ohnegleichen eingetre- 120 ten. Die Verflachung der religiösen Feiern hat die Grenze des Erlaubten überschritten. Es heißt: "Wenn ein Land sich anschickt zu gedeihen, steigen die Götter herab und betrachten seine Tugend; wenn ein Land im Begriff ist, zugrunde zu gehen, steigen die Götter ebenfalls herab und sehen seine Schlechtigkeit." Ebenso heißt es: "Wenn die Götter zürnten und das Volk

180 Vgl. Ch'un-ch'iu, Buffi IX, Jahr XXX, Hsian-kung. (S. audl LEGGE, a. a. 0., Text: S. 552, Ubersetzung: S. 555.) 181 Eventuell auch Kokushi. 182 Miko und kannagi: Schamaninnen, die an Shintö-Schreinen die heiligen Tänze aufführen und Orakel verkünden. 183 Yakubukumai: Eine Reissteuer, die im ganzen Land erhoben wurde, um die Kosten der Reparaturen und Neubauten der Ise-Sdlreine zu decken. 184 Shintö-Priester, Ritualisten. Stehen im Rang unter den kannushi. Oft ,zweiter Priester' eines Schreins. 185 Kannushi: Aus kami-nushi. Ober- oder Hauptpriester eines Schreines, dessen Gottheit als sein Ahnherr zu gelten pflegte; daher ist dieses Amt meist erblich.

198 ungehorsam wäre, womit könnte man da den ewigen Bestand des Reiches sichern?" Aus diesem Grunde bringt es keinen Nutzen, wenn die Kokushi und Shugo abseits und außerhalb der öffentlichen religiösen Feste ihre eige- nen Anbetungszeremonien veranstalten. Würden sie die begrenzten Extra­ steuern 186 streng verwalten (und sich ihrer nur zu den festgesetzten Zwecken bedienen), um damit die seit alters bestimmten Reparaturen an den Schreinen 130 vorzunehmen und die vernachlässigten religiösen Feiern ordnungsgemäß durchzuführen, so bedeutete das, dem Fürsten gegenüber loyales Verhalten im Staatsdienst an den Tag zu legen und gegenüber den Göttern der Aufrich­ tigkeit seiner Verehrung Ausdruck geben. Wenn die Menschen des öffent• lichen und privaten Lebens sich vor allen Dingen ein reines Herz bewahren und ihre ehrfurchtsvollen Gebete von ganzem Herzen sprechen, wie sollten da nicht sogar die unbekannten, unberechenbaren Licht- und Schattengott­ heiten die alte Wahrheit, daß es nicht die Hirse ist, die so durchdringend duftet 187, annehmen und erfüllen?!

II. Man soll die buddhistische Lehre hoch einschätzen. Das Gesetz Buddhas und das Gesetz der Könige 188 sind nicht voneinander verschieden. Die buddhistische Literatur und die nichtbuddhistische Literatur stimmen ebenfalls miteinander überein. Wenngleich die Lehre des Einen Buddha 189 die gemeinsame Grundlage ist hat sich der Strom dieser Lehre doch aufgrundder Unterschiede zwischen Mahäyäna und Hinayäna, zeitlich Wahrem und ewig Wahrem 190 in acht Schulen verzweigt. Die sogenannten Acht Schulen sind: Shingon, Kegon, Tendai, Sanron, Hossö, Kusha, Jöjitsu und Ritsu. Aber die Kusha-Schule wurde von der Hossö-Schule absorbiert. und die Jöjitsu-Schule ging in der Sanron-Schule auf, und so sind aus den 10 adlt Schulen sechs geworden. Weil man später die Jödo-Schule und die Zen­ Schule hinzuzählte, verwendet man auch weiterhin die Bezeichnung Acht Sdlulen. Uber die indischen Verhältnisse kann man sich wegen der ziemlich großen Entfernung nur schwer informieren. In China ist die Zahl der heute nicht mehr bestehenden Schulen jedenfalls groß, daß aber die mündliche Tradition der Lehre in den Acht Schulen sich in ununterbrochener Folge fortgesetzt und bis auf den heutigen Tag unverändert erhalten hat, das ist nur in unserem japanischen Lande der Fall.

188 Kuniyaku: Für einen besonderen Zweck von einer bestimmten Provinz erho­ bene Steuern. 187 Teil eines Zitates aus dem Shu-ching, Teil V, Budl XXI, Abschnitt 3 (vgl. LEGGE, Chinese Classics III, Teil II, Hongkong 1865, S. 539): "Ich hörte, daß er sagte: "Voll­ endete Regierung ist wie ein weithin spürbarer Duft und bewegt die shinmei, es ist nicht der Duft der (Opfer-)Hirse, der so weithin dringt, es ist die strahlende Tugend allein, die weithin duftet." Vgl. audl Tso-chuan zu Ch'un-ch'iu, Buch V, Hi-kung, Jahr V (LEGGE, Chinese Classics, Bd. V, Teil I, Hongkong 1872, S. 143): "Wenn also ein Herrscher keine Tugend (teh) besitzt, wird das Volk ihm nicht ergeben sein, und die Geister werden seine Opfer nicht annehmen.• 188 Ohö, s. u. 4.3.2., ferner Anm. 415/416. 1811 Amida Nyorai. 1110 Gon-jitsu, gonkyö und jikkyö, höben und shinjitsu.

199 20 Was den Endzeit-Buddhismus anbetrifft, so hat ihn Shaka in seinem letzten W illen den einflußreichen danna 191 anempfohlen. Deshalb ist es selbstver­ ständlich, daß die großen danna bereit sind, jede der acht Schulen mit den lebensnotwendigen Dingen zu versorgen, auf daß sie nicht untergehe. Wenn sie sich dann irgendeine. •- dieser Schulen, der ihre besondere Neigung gehört, anschließen, so ist das in ihrer früheren Existenz begründet oder durch äußere Umstände bedingt192, deshalb sollte man diese Entscheidung jeden­ falls dem Herzen dieser Leute anheimstellen. Nun sind aber die Lehren der Kegon-, Tendai-, Sanron- oder Hossö-Schule unergründlich und ihr Sinngehalt tief und verborgen, und daher bestimmt 30 nicht leicht zu studieren. Für die intensiven Bemühungen um die freie Rezi­ tation oder für die reinigende Taufe 193 in der Shingon-Schule kommen nur besonders geeignete Leute in Frage. In der Ritsu-Schule den ganzen Tag lang die Acht Gebote (hassaikai) beherzigen oder sich den Fünfundachtzig Regeln (endonkai) der Tendai-Schule unterwerfen, ist zwar nicht besonders schwierig, aber alle 250 Vorschriften wirklich im Herzen zu bewahren, das ist auch wieder schwer zu erreichen. Was dagegen die Jödo- und Zen-Schule betrifft, so sind deren theoretische Grundsätze jedenfalls unkompliziert. Unter den Menschen unserer Zeit gibt es sicherlich nur wenige, die nicht ihr Herz einer dieser beiden Schulen zuwenden. Auch das dürfte eine Sache sein, 40 die vom einzelnen abhängen soll. Wenn ein Kaiser seinen Thron besteigt und zuallererst das Handeln nach den Prinzipien der Menschenliebe und Tugend194 zu seiner vornehmsten

1111 Herren, hier: Gönner, diejenigen, die durch ihre Spenden die buddhistischen Schulen unterstützen. 1112 Shoen [721, die äußeren Umstände im Gegensatz zu nöen [131, dem inneren Gesetz, das etwas bewirkt. 1118 Kanjö, eine Art Taufe zur Aufnahme in die buddhistische Gemeinde, aber auch zu anderen Angelegenheiten. Siehe ausführlich bei CoATES u. IsHIZUKA, Hönen, S. 172 ff. 194 Meist übersetzt durch den Begriff ,Tugend'. Bei Konfuzius ist einer, der teh hat, ein Mensch, der sich der Bedingungen und Gegebenheiten, in die er hineingestellt ist, am besten und vollkommensten zu bedienen weiß. - Hier ist allerdings ein Einfluß der Neokonfuzianisten, besonders des Chu Hsi, zu vermuten. Vgl. dazu den ersten Grundsatz oder Leitgedanken (köryö) des Ta-hsüeh: ming ming teh: "Die Leuchtende Tugend zum leuchten bringen." Die Leuchtende Tugend ist nach Chu Hsi ein Ge­ schenk des Himmels an den Menschen bei der Geburt. Sie ist die reine, die gute, die eigentliche himmlische Natur des Menschen. Je älter er wird, desto mehr verblaßt das Leuchten aus Gründen der physischen Unzulänglichkeit, der inneren, geheimen Lüste und äußeren Verführungen. Hauptaufgabe des Menschen ist, diese verblas­ sende Tugend wieder leuchten zu machen. Der zweite Grundsatz: ch'in min, das Volk lieben, wird von Ch'eng-tzu und ebenfalls von Chu Hsi als hsin min, das Volk er­ neuern, ausgelegt. ,Das Volk erneuern' bedeutet: Indem der Herrscher sich um die Pflege des eigenen Charakters bemüht (s. o. Grundsatz 1), soll er das gleiche beim Volk provozieren, indem er beispielhaft vorangeht. Damit erneuert er das Volk, führt es zu seinem eigentlichen, guten Wesen zurück. - Vgl. den Anfang des Ta­ ~süeh ch_ang-chü und die Erläuterungen dazu in: KYOIKU-GAKUJUTSU-KAI (Hg): Bunken­ juken-yo Shisho-kenkyü, Tökyö 1920, S. 14-18. - Vergleicht man diese Ideen mit

rnJ B-f~ (73) ~~

200 Pflicht macht, um dann die vernachlässigten großen Hofzeremonien wieder einzurichten, wenn der Generalissimus (tai-shögun) sein Amt antritt und bei ernsthaftem Mühen um den Weg der Krieger (budö) das Volk von Not und Sorge befreit, wenn beide so handeln würden, so wäre das mehr als jenes ,Leben und Handeln nach der buddhistischen Lehre' 195; sollten sie dann jedoch sagen: "Ich meditiere im zazen und habe keine Zeit" oder "Ich suche meinen inneren Frieden indem ich den Namen Buddhas anrufe, so habe idl. keine Zeit [zum Regieren]", wenn sie immer wieder voller Stolz auf ihre Er- 50 leuchtung hinweisen bzw. sich dessen rühmen, daß sie sich ganz auf das Ur­ sprüngliche Gelübde (hongan) 196 Amida Buddhas verlassen, dann ist das ein großer Fehler. In alter Zeit war der Kaiser Wu von Liang dem Buddhismus allzu sehr zugetan. Er begab sich zum Daidö-ji 1741 und legte dort höchstselbst die heili- gen Sutren aus. So nahmen auch sämtliche Beamten seiner Zeit die hohen Ziele ihres Fürsten an und beschäftigten sich in kontemplativer Versenkung mit den Ersdl.einungsformen der Vergeltung für menschliche Unvollkommen­ heit: Leiden, Leere und Vergänglichkeit (ku-kü-mujö). Nun fielen zwar Blu­ men vom Himmel und wundersame Vorzeichen traten auf, aber sie verließen 60 den Weg von Wen und Wu 197, und so geschah es, daß ein Beamternamens Hou Ching, eine günstige Gelegenheit erspähend, Soldaten aushob und die Hauptstadt belagerte. Da verlor der Kaiser Wu die Möglichkeit, seinen Fluchtplan auszuführen. Am Ende wurde er von einer Krankheit befallen und starb.198

Kaneras Auffassung von einem guten Herrscher, wie sie im 4. Kapitel dieser Arbeit dargestellt ist, so wird man feststellen können, daß die Erziehung des Volkes durch die Vervollkommnung des eigenen Charakters beim Herrscher auch eine Forderung Kaneras ist. Es sei schon hier angemerkt, daß der Begriff der ,Tugend' bei Kanera die hier dargestellte Auslegung möglicherweise mit einschließt, sich aber, wie in 4.3.1. gezeigt wird, keineswegs darauf beschränkt. 195 Buppö-shugyö: Eigentlich die buddhistischen Ubungen und Bemühungen, die Vollkommenheit oder Erleuchtung zu erlangen. Der Begriff shugyö wird in den ein­ zelnen buddhistischen Schulen unterschiedlich ausgelegt. 196 Das Ursprüngliche Gelübde oder die Urverheißung Amida Buddhas besagt, daß alle Menschen, ob gut oder böse, aus Gnade errettet und in das Reine Land hin­ übergeboren werden sollen, wenn sie gläubigen Herzens Namu Amida Butsu: "Ver­ ehrung sei dem Buddha des unermeßlichen Lichtglanzes" sprechen. Vgl. hierzu CoATES u. IsHIZUKA, Hönen, S. 462 f u. a., ferner HEILER, Religionen der Menschheit, Stuttgart 1959, S. 346/47. 197 Die Han-Kaiser Wen-ti und Wu-ti. Die Regierungszeit des Wen-ti (179-157 v. Chr.) war eine Zeit des Friedens, der Einigung des Reiches, des wachsenden Wohl­ standes und bedeutender kultureller Entwicklung. Während der Regierung des Wu-ti (141-86 v. Chr.), eines tapferen, kriegerischen Herrschers, wurden die Grenzen des Reiches erweitert und der Handel mit fernen Ländern durch die Sicherung der Kara­ wanenwege gefördert. Wen-ti und Wu-ti galten in China als Herrscher, die Ideal­ formen der zivil-kulturellen bzw. kriegerisch-starken Regierungsführung verwirk­ lichten. 198 Liang Wu-ti: Angenommener Herrschertitel des Gründers der Liang-Dynastie Hsiao Yen. Regierte von 502-549. War ein großer Förderer der Gelehrsamkeit und des Buddhismus. Während seiner Regierungszeit lebte Bodhidarma in Lo-yang.

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201 199 T'ai Tsung von T'ang beachtete die Spuren dieses Vorgängers • Er dachte bei sich: "Es gibt ein Wort, das sagt: ,Auch wenn man dem Buddhismus noch so sehr zugetan ist, soll man doch zuerst das Land befrieden und dem Volke Zufriedenheit verschaffen'." Und so machte er vor allem den Weg der Regie- 70 rung zum Hauptgegenstand seiner Bemühungen. Aus diesem Grunde ist in dem Begriff teikan-no-matsurigoto 200 das Beispiel einer besonders glück• lichen Regierung überliefert. Uber dreihundert Jahre hat sich die T'ang-Zeit erstreckt und dreihundert Jahre lang haben die T'ang-Kaiser das Reich in ihrer Hand gehabt. Der Bodhisattva des großen Mitleids 201 hat gelobt, die Leiden der Men­ schen auf sich zu nehmen. Es ist für einen Feudalherren des Reiches wirklich sehr schwer, frei von allen menschlichen Mängeln den Weg der Regierung überall zu befolgen, aber diese Geschäfte kann man nicht irgendeinem ande­ ren übertragen. Wenn er daher am Morgen früh aufsteht und erst um Mitter- 80 nacht schlafen geht, die Klagen des Volkes anhört und über Recht und Un­ recht entscheidend, dessen Wünsche befriedigt, dann sind das Ideen, die in dem Mitleidsgelübde von Jizö und Kannon ebenso wie im seidö der alten chinesischen Herrscher T'ang Yao und Yü Shun enthalten sind, und man kann [in dieser Hinsicht) keinerlei Unterschied zwischen diesem undjenem machen. Eben das ist gemeint, wenn es heißt: "Das Gesetz Buddhas und das Gesetz der Könige sind nicht voneinander verschieden, und die buddhistische und nichtbuddhistische Literatur stimmen miteinander überein." Li Chou von T'ang 202 schrieb in seinem Buch: "Wenn Shaka in China geboren wäre, so hätte er seine Lehre in gleicher Weise wie der Herzog von Chou und Kon- 90 fuzius gestiftet; wenn der Herzog von Chou und Konfuzius im Westen 203 geboren wären, hätten sie ihre Lehren in gleicher Weise wie Buddha ge­ stiftet. Gäbe es keinen Himmel, so brauchte man nicht darüber zu reden, gibt es ihn aber, dann ist es der Edle 204 , der zu ihm aufsteigt, gäbe es keine Hölle,

109 D. h. er erkannte die Gründe für das Schicksal jenes Kaisers vor ihm und be­ mühte sich, es besser zu machen. 200 Auch teikan no chi: Die Regierung der Teikan-Ära in der T'ang-Zeit. Es ist dies die Regierungsperiode des T'ang T'ai Tsung, des zweiten Kaisers der T'ang­ Dynastie, von 627-650. 201 Kannon, zumeist als weiblidler Bodhisattva dargestellt. Kannon lautet über• setzt: ,auf die Worte blickend'. Es ist die abgekürzte Form von ,Kuan shih yin tzu tsai': Der Herr, der auf die Worte (Gebete) der Welt herabschaut. Dies ist die Er­ klärung des indischen Namens Avalokitesvara. -Siehe auch M.-T. DE MALLMANN, Introduction a I'etude d'Avalokitecvara, Paris 1948. 202 Begabter Gelehrter und Redner der T'ang-Zeit. Das einzige Werk, das von ihm zu realisieren war, trägt den Titel Ch'ieh Yün i-chüan [751 (Setsuin ikken), ist also eine Schrift, die sich zumindest in der Hauptsache mit Aussprache befaßt. Als Quelle für das Zitat kommt es wohl kaum in Frage. 203 In Indien. 204 Zwei in den konfuzianistischen Schriften immer wieder gebrauchte Ausdrücke: chün-tzu, der die Forderungen erfüllende Edle; hsiao-jen, der Niedrige, Gemeine, der entweder nidlt willens oder nicht fähig ist, den Forderungen zu entsprechen. Vgl. hierzu FoRKE, Gedankenwelt d. chin. Kulturkreises, S. 152 f.

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202 so brauchte man nicht darüber zu sprechen, gibt es sie aber, so ist es der 204 Niedrige , der hineinkommt." Dieses Werk macht aus der buddhistischen und nichtbuddhistischen Literatur ein harmonisches Ganzes und erklärt ihre höchsten Prinzipien. Mag einer auch Tempel bauen und Priester mit Gaben unterstützen, - entspringt dieses Tun nicht einem reinen, begierdefreien Herzen, ja, brächte der Spender dabei das Volk in Not und wollte er die Menschen zu seinem 100 Vorteil ausnutzen, dann wäre das eine Gute Tat, die nur dem eigenen Ruhm und Vorteil dient, und die sich niemals in die gute Saat verwandeln kann, die später die Frucht der höchsten Erleuchtung bringt. Es gibt ein Sprichwort, wo es heißt: "Die eine Laterne der armen Frau übertrifft selbst die zehn­ 205 tausend Laternen des Abtes. u Es war während der Regierungszeit des Kaisers Shömu, im 13. Jahr der Ära Tenpyö, als in allen Provinzen auf Veranlassung des Kaisers je zwei Provinztempel zum Schutze des Landes (gokoku-kokubun-ji)2°6 errichtet wur- den: einer für Mönche und einer für Nonnen. Der Tennö befahl, daß für jeden Mönchstempel das Konkömyösaishöö-gyö 207 und für jeden Nonnentempel 110 das Hokekyö 208 abgeschrieben und in den Anbetungszeremonien verwandt werde, und daß ferner zum Wohle der Bauern in den einzelnen Provinzen um den geordneten Wechsel derJahreszeitenund um eine reiche Ernte (Getreide­ ernte) gebetet werde. Wenn die Shugo der Provinzen jene Stätten wieder aufbauen, dann reichen sie in ihrer Großzügigkeit selbst an die danna der Vergangenheit heran, und außerdem sind die Summen, die sie heute dafür aufwenden müssen, wesent­ lich geringer. Ist nicht auch im Zöböketsugi-kyö 209l761 erklärt: "Der hat grö-

205 Chösha no mantö yori hinjo no ittö. Dieses Sprichwort erinnert inhaltlich an das ,Scherflein der armen Witwe', Mark. 12,41 ff. 206 Provinz- und Landestempel (kokubunji) zum Schutze des Landes (gokoku). Vgl. W. GuNDERT, Japanische Religionsgeschichte, Kapitel: "Blüte des Buddhismus in der Nara-Zeit." Wahrscheinlich in Nachahmung dieser Gründungen ließen Ashi­ kaga Takauji und sein Bruder Tadayoshi auf Vorstellungen des Musö Kokushi hin in jeder Provinz einen sogenannten Ankoku-ji erbauen. 207 Eine chinesische Ubersetzung des Saishöö-gyö (Sk. Suvarna-prabhä-rajä-sütra), 31 Kap. in 10 Bänden, übersetzt von I CHING (635-713), einem berühmten Gelehrten der T'ang-Zeit. (Vgl. GrLES, Biographical Dictionary, - künftig GBD -, London­ Shanghai 1898, S. 348). Das Saishöö-gyö befaßt sich in einigen Kapiteln mit der Be­ ziehung zwischen Buddhismus und Staat und mit Verwaltungsregeln und galt deshalb als eine der drei heiligen staatsschützenden Schriften. Die beiden anderen sind das Hoke- und das Ninnö-Sutra. 208 Das Lotos-Sutra. Abkürzung des vollen Titels Myöhö-renge-kyö, das Sutra vom Lotos des wunderbaren Gesetzes (Sk. Saddarma-pUI:u;larika-sütra). Es ist viel­ fach in das Chinesische, aber auch in europäische Sprachen und ins Japanische über• setzt. 209 Nach CoATES u. IsmzuKA, Hönen, S. 594, wurde dieses Sutra von vielen Gelehr­ ten zitiert, obgleich es im K'ai-yuan-lu [771 (5048 Bde., kompiliert 730), dem Katalog buddhistischer Schriften von CHIH-SHENG [78), zu den falschen Sutren gezählt wird.

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203 ßeres Verdienst, der lieber die alten Tempel ausbessert, anstatt neue zu er- 120 richten." Auch bei den Angehörigen des geistlichen Standes (ist nicht alles, wie es sein sollte): Wenngleich diese in der guten Absicht handeln, die Lehre ihrer eigenen Schule zu verbreiten, sind sie doch durch den Umstand, daß sie dabei ungebildete und dummeMännerund Frauen werben, mit ihnen Cliquen bilden, falschen Lehren huldigen, das Volk in seinen Unternehmungen stö• ren und ein zügelloses Benehmen zeigen, der böse Geist des Buddhismus und der Todfeind des Weges der Könige. Solche Kerle wirkungsvoll zurechtzu­ weisen, ist die besondere Aufgabe derer, die dem Weg der Krieger folgen. Wer zu Ippen Shönin 210 und seiner Schar gehört, wird trotz seines leiden- 130 schaftliehen Glaubens an Buddha nicht zu einer Pein für die Welt 211, daß es mit diesen 212 aber soweit gekommen ist 213, widerspricht den wahren Prin­ zipien der buddhistischen Lehre. Um in die Tiefen der buddhistischen Lehre einzudringen, haben die daislli 21' und sendoku 215 der vergangeneo Zeiten die Unbilden von Sturm und Meer nicht gescheut, die Hecktrossen der China-Schiffe gelöst und die Sutren und Sastras und die heiligen Lehren herübergebracht. Dennoch behielten sie diese Schriften nicht für sich, sondern übergaben sie vollzählig dem kaiser­ lichen Hof. Der Kaiser [aber] betrachtete sie und gab sie ihnen zurück. Aus­ gestattet mit der kaiserlichen Erlaubnis, diese Lehre in der Welt zu verbrei- 140 ten, erbaten sie für sich nur zwei oder drei dosha 216• Unter diesen dosha ver­ stand man damals nicht nur Leute, die der Welt entsagten und in den Priester­ stand eintraten (shukke) wie heuzutage. Die daishi und sendoku erbaten sie vom Kaiser, damit jene, nachdem sie die kaiserliche Erlaubnis erhalten hatten, ihren Kopf rasiert und ihre Kleider gefärbt hatten, die Tradition ihrer eigenen Schule fortsetzten oder ihnen auch im Alter als Stütze dienten. Jähr• lich erhielt eine festgesetzte Zahl von Anwärtern die kaiserliche Erlaubnis und wurde einem geeigneten Tempel zugewiesen. Diese nannte man nenbun­ dosha l7111. Weil man dazu der kaiserlichen Erlaubnis bedurfte, nannte man es

!to 1239-89, Gründer der Ji-shü. Zog mit seinen Anhängern durch das Land, pre­ digte das absolute Vertrauen auf die Fremdkraft und lehnte jegliche persönliche Bemühung um den Glauben ab. Nach seiner Auffassung genügt es, den Namen Amida Buddhas einmal, im Angesicht des Todes, zu sprechen. 211 Kanera ist der Meinung, daß die Lehre der Ji-shü ihre Anhänger vor Aus- sdueitungen des Glaubenseifers bewahrt. 2u Ippen Shönin und seinen Anhängern. !ta Soweit, daß nämlich gerade diese Schule verboten wurde. !u In der Shingon- und Tendai-Schule gebräuchliche Bezeichnung für verstorben~ Großer Lehrer; b} Ehrentitel in der buddhistischen Hierarchie, posthum verliehen. 14 ! a) Ehrentitel für besonders fähige buddhistische Priester, vom Hof verliehen: Priester, die sich zu Lebzeiten durch besondere Tugend ausgezeichnet hatten. 218 Abkürzung von tokudosha. Leute aus dem Volk, die in den Priesterstand ein­ treten wollten und dazu der kaiserlichen Erlaubnis bedurften. Sie hatten ihre Grün• de für diesen Schritt schriftlich in der Abteilung für Priester und Fremde (genba-ryö) des Ministeriums für zivile Verwaltung (jibu-shö} einzureichen und bekamen dann vom Obersten Staatsrat (dajö-kan) eine Erlaubnisurkunde zugestellt.

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204 sogar ein Verdienst, in den geistlichen Stand einzutreten und empfand es als eine besondere Gnade des Hofes. 150 Wenn heute zu den großen buddhistisdlen Zeremonien die sogenannten dosha-Boten ernannt werden, so geschieht das, weil man die alten Zeiten nicht vergessen kann, und hat wohl mit der eigentlichen Bedeutung der dosha nichts mehr zu tun. So sind es denn die verborgenen Großtaten der daishi und sendoku, denen wir die Blüte der buddhistischen Schulen in unserer Zeit zu verdanken haben.

III. Das Handeln der Shugo in den Provinzen soll in erster Linie von einer lauteren Gesinnung bestimmt sein.

Die Amtszeit eines Kokushi in den Provinzen währt nicht länger als vier Jahre. Nun heißt es zwar, das heutige shugo-shiki 211 1801 entspricht dem Amt des früheren Kokushi, allein, darin, daß ein Shugo sein Verfügungsrecht (chigyö) 138 an seine Nachkommen weitervererbt, unterscheidet er sich auch wieder nicht von den Zwölf Feudalherren der Ch'un-ch'iu-Zeit 218 oder den Sieben Starken der Chan-kuo-Zeit 219• Schließlich verhält es sidl aber doch so: Nachdem der Generalissimus (taishö) 220 Yoritomo durch ein Dekret des Ex-Kaisers GoShirakawa 221 zum Sö-tsuibushi 222 über die sechsundsechzig 10 Provinzen ernannt worden war 223, erhielten diese Leute 224 von ihm mit dem sogenannten shugo-shiki das Amt eines Shögun-Stellvertreters (bushö-no• daikan) verliehen. Dieser Brauch ist bis auf den heutigen Tag geübt worden.

117 Shiki: Ursprünqlich ,Amt', dann die mit einem Amt verknüpften Rechte, die zunehmend dinglichen Charakter annahmen. 118 Die 12 Feudalherren der Ch'un-ch'iu-Zeit. Infolge unablässiger Kämpfe mitein­ ander gegeneinander schmolz die Zahl der über 1000 Lehnsherren (einst von den ersten Chou-Herrschern eingesetzt) auf wenige zusammen. Diese wenigen hatten ihre Territorien auf Kosten der Besiegten bedeutend vergrößert und herrschten darin verhältnismäßig uneingeschränkt. Die jüni-shokö waren die Feudalherren der jüni• rekkoku, nämlich: Lu, Wei, Chin, Cheng, Ts'ao, Ts'ai, Yen, Ch'i, Ch'en, Sung, Ch'u und Ch'in. 219 Die sieben starken Staaten (shichi-jü) der Chan-kuo-Zeit waren Ch'in, Ch'u, Ch'i, Yen, Han, Chao und Wei. Hier sind natürlich die diese Staaten beherrschenden sogenannten Feudalherren gemeint. 220 Abk. für Tai-shögun bzw. Sei-i-taishögun. Vgl. Anm. 116. 221 77. Kaiser von Japan, geboren 1127, kam 1156 gegen den Willen des Sutoku Tennö auf den Thron (vgl. Anm. 32) und regierte bis 1158. GoShirakawa stand zeit­ weilig sehr unter dem Einfluß Taira Kiyomoris, der ihn mehrmals in seinem Palast gefangenhielt. Seine politischen Entscheidungen waren widersprüchlich und zeugten von einem schwachen Willen. Mit der Regierungszeit von GoShirakawa Tennö be­ gann in Japan das Zeitalter des Feudalismus. 222 Oberster Chef der Polizei. 223 1185, nach dem Sieg von Dan-no-ura. Um die gleiche Zeit erfolgte Yorimotos Ernennung zum Sö-shugo und Sö-jitö, durch die er das Recht erhielt, selbst Shugo und Jitö einzusetzen. zu Gemeint ·sind die Shugo.

205 Wenn die Shugo daher die bereits bestehenden Gesetze 225 befolgten und sich mit den ihnen zustehenden Einkünften (tokubun) zufrieden gäben, nach oben hin die ihnen von ihrem Herrn auferlegte Pflicht in unverbrüchlicher Treue erfüllten und nach unten in mitmenschlicher Gesinnung (chin.: jen) liebevoll für das Volk sorgten, wenn ihre Lauterkeit in der Gegenwart gerühmt würde und ihre verborgenen Wohltaten über kommende Geschlechter hinaus wirk- 20 ten, dann beständen sie selbst vor dem Urteil der Götter und vererbten ihren Wohlstand auf Kind und Kindeskind; daß sie aber stattdessen eher zu Gesetzlosigkeit neigen und ihren ungestümen Sinn hervorkehren, ist das nicht außerordentlich gedankenlos?

Im Jöei-shikimoku heißt es: " ... falls aufgrund einer Klage des Kokushi oder des Grundherrn 226 oder einer Klage des Jitö oder der Landbevölkerung ( domin) die Ungesetzlichkeit seines Handeins klar zutage tritt, so soll er sein mit Grundvermögen verbundenes Amt verlieren und durch eine folg­ 227 same Person ersetzt werden. " Ferner heißt es im Gesetz der Kenmu-Ära: "Das shugo-shiki ist ein wichtiges, seit alter Zeit bestehendes Amt. Ord- 30 nung und Unordnung in einer Provinz hängt nur von diesem Amt ab. Wenn tatsächlich nur die Befähigten dazu ernannt werden, wie sollte es ihnen nicht möglich sein, für das Volk zu sorgen?!" 228 Aus diesem Artikel ist außerdem zu entnehmen, daß man die Männer je nach der Zeit auswählen soll 229• Bei den heutigen Zuständen hingegen, kümmern sich die Shugo nicht um die Ge­ richtsentscheide 230 und mißachten die Befehle 231 des Bakufu. Nach eigenem Belieben benutzen sie ihre Macht, um andere aus ihren Domänen zu vertrei­ ben und diese selbst zu usurpieren; sie häufen Reichtum auf Reichtum und haben immer neue Wünsche. Das alles geschieht nicht, weil sie dieser Dinge gerade bedürfen, nein, sie tun es einzig und allein, um nutzlose Dinge zu 40 treiben und ihr Gefolge beträchtlich zu vergrößern. Wenn die vornehmen Reichen in ihren Häusern sinnlos Schätze ansammeln und anderen nichts davon abgeben, dann dürfte es sich von selbst verstehen, daß sie in Ver­ gessenheit geraten. Schon Buddha hat verkündigt: "Frau und Kinder, kost­ bare Schätze, Rang und Ehren, das alles sind Güter, deren wir nicht eines mit uns nehmen können, wenn die Stunde unseres Todes gekommen istl" So ist denn auch durchaus nichts Unrechtes daran, wenn man für sarugaku- und

225 Das Jöei-shikimoku und das Kenmu-shikimoku. 226 Ryöke, meist Adlige oder mädltige Tempel. 227 Jöei-shikimoku § 3, in: ARIGA Nagao (Hrsg.): Zötei-Nihon-kodai-höshakugi, Tökyö 1908, S. 346; Ubersetzung nadl W. RöHL, Das Goseibai-shikimoku, in Griens Extremus- künftig OE- 1958/2, S. 229. 228 Kenmu-shikimoku, Artikel 7, in: Zötei-Nihon-kodai-höshakugi, S. 588. 229 Vgl. den Anfang des Artikels 7. In sdllimmen Zeiten müssen besonders loyale und fähige Männer ausgewählt werden. 230 Entsdleidungen nadl gesetzlidl festgelegtem Redlt. ut Befehle, die nur für einen bestimmten Fall, einen begrenzten Bereidl gültig sind.

206 282 dengaku-Aufführungen Geld ausgibt oder Bajaderen und shirabyöshi 233 mit Geldgeschenken belohnt. Daß gewisse Leute den Tadel der Welt und den Zorn der Mensdlen auf sich ziehen, liegt nur daran, daß sie sich gewalt- sam und unberedltigt in den Besitz von Ländereien setzen. 50 Ferner: Es gibt zwar niemanden, der sieb. nidlt auch ein Gefolge wünschte, läßt man aber Vasallen 284 mit unaufrichtigem Charakter reichlich Ländereien zukommen, (um sie damit für sich zu gewinnen,) so vergessen sie später, was sich für sie ziemt, überschreiten ihre Grenzen und spielen den großen 285 Herren , und wenn ihnen dann auch nur eine Kleinigkeit nicht paßt, schicken sie sich sogar an, ihren Herrn zu verlassen und zu einem anderen zu gehen. Das sind Dinge, die man gegenwärtig mit eigenen Augen sehen kann. Ferner: Auf die Kunde hin, daß jemand Leute (Vasallen) sudlt, kommen die sonderbarsten Typen aus allen Gegenden und lassen ihren Namen auf- 60 nehmen, um in den Genuß der vorläufigen Benefizien (kyüon) [StJ zu gelan- 236 gen • Sobald sie dann jedoch einer Notwendigkeit gegenüberstehen oder wenn es in den Krieg geht, flieht ein jeder so schnell er kann, und es ist ungewöhnlidl, daß einer von ihnen in der Not zu gebrauchen ist. Als Kiso Yoshinaka 237 von seinen Ländereien im Osten nadl Kyöto auf­ bradl, härte man die Zahl von 50 000 Reitern nennen. Auf der Ebene von Awazu jedodl, als er im Kampfe starb, war die Zahl auf zwei, Herr und Gefolgsmann, zusammengeschrumpft. So ist diese Geschichte ein Beispiel dafür, daß eine gewaltige Streitmadlt, auf die man sich nicht verlassen kann 238, dem eigenen Herrn zum Schaden gereicht. 70

232 Sarugaku und dengaku sind alte mimische Tanzformen, die sich in der Karna­ kura-Zeit zunehmender Beliebtheit erfreuten. Sie bildeten die frühen Elemente, aus denen Meister wie Kan'ami (1333-84) und sein Sohn Zeami (1363-1444) die kuns~­ volle Form des No-Musikdramas entwickelten. Zur Geschichte dieser beiden No­ Richtungen s. O'NEILL, Early Nö-Drama, London 1958, S. 1 ff. - Um eine Nö-Auf• führung zustande zu bringen, mußten oft mit großem Kostenaufwand einzelne Akteure aus verschiedenen Gegenden zusammengeholt werden. 233 Ein gegen Ende der Heian-Zeit aufgekommener Tanz, zu dem die Tänzerin, ebenfalls shirabyöshi genannt, Lieder sang; fand in der Muromachi-Zeit Eingang in das Nö-Musikdrama. Hier sind natürlich die Tänzerinnen gemeint. 2 M Kenin, Gefolgsleute. 235 Wörtlich nur: ... so kommt es später dahin, daß sie die Grenzen ihrer sozialen Stellung überschreiten, ... 230 Schon gegen Ende der Kamakura-Zeit war es üblich, im v~raus Belohnunge~ zu versprechen oder gar zu vergeben. In der Folgezeit wurde d1ese Gepflogenheit eine Vorbedingung, ohne die Gefolgsleute kaum zu bekommen ~aren . . 237 Minamoto Yoshinaka, 1154-84, sein Pseudonym, Kiso KanJa, bedeutet: der m Kiso (Distrikt Shinano) Bekappte. Er erhielt diesen Namen, weil er seine Einkleidung (genpuku) im Iwashimizu-Schrein in Kiso erlebte. Yoshinakas siegreicher Zug na~ Kyöto ereignete sich im Jahre 1183. 1184 starb er in der Ebene von Awazu (Öm1) . Der treue Gefolgsmann war Imai Kanehira [821. 288 Krieger, die in der Not nicht ihren Mann stehen, nicht zu gebrauchen sind, ...

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207 Name und Gewinn, diese zwei wünscht sich ein jeder. Gewinn jedoch hat seine Zeit, der gute Name bleibet ewig! Wenn ein Ritter sein Leben hingibt, so geschieht das, weil er an seinen Namen denkt und ihn rein zu erhalten wünscht 2ao, ist es ihm hingegen gleichgültig, daß sein Name durch sein unge­ setzliches, gewaltsames Handeln befleckt wird, so liegt das wohl daran, daß ihm Schätze wichtiger sind als das Leben. Ein Mann namens Jichin Oshö 240 vertritt die Ansicht, daß alle Dinge in den beiden Schriftzeichen döri beschlossen sind, jedoch: Sowie ich möchte, daß mir meine Territorien nicht von jemand anderem genommen werden, 80 werde ich auch selbst die Territorien eines anderen nicht gewaltsam an mich bringen! Dieses döri sollte überall seine Gültigkeit haben. Die beiden Sätze: ,Im Grunde sind alle Menschen ja Geschöpfe [in] einer Welt der Begierde, und so kann es niemanden geben, der frei von ·wünschen ist. Auch ist der Durchschnittsmensch von Illusionen beherrscht; und so ist nicht zu erwarten, daß er eine klare Einsicht in das ri 241 !881 hat' 242 ! -haben wohl ihre Gültigkeit. Trotzdem sollte sich doch ein jeder dieses döri der eigenen Grenzen bewußt sein. Stattdessen kommen wir Menschen nicht auf den Gedanken, einmal begangene Fehler wieder gutzumachen, und das ist schließlich unser Unglück. 90 In alter Zeit lebte unter der chinesischen Chin-Dynastie ein Mannnamens Chou Ch'u 248• Unter seinen von großer Körperkraft zeugenden Taten war nicht eine gute Tat zum Wohle seiner Mitmenschen. Eines Tages unterhielt er sich mit einem anderen Mann und sprach: "Dieses Jahr ist fruchtbar und reich, sicher ist doch jedermann sehr glücklich!"

238 Vgl. hierzu ein bemerkenswertes Zitat, das bei TASE SAYU, An Outlined History of Japanese Education, in: Cultural Nippon, Vol. V. No. 2, (Tökyö, Juli 1937) S. 24 oben, leider ohne Quelle gegeben wird: USamurais should behave themselves with care and fairness not only for the sake of themselves, but for the good name of their posterity as weil. They should be cautions not to bring disgrace upon themselves by holding their lives too dear. At the same time, they should not lay down their valuable lives for any unjustifiable cause. It is the proper duty of a to sacrifice his life for the sake of the august Sovereign, or at a critical moment of the Shogun's fate. Behaving hirnself like this, a samurai may win a good name for his descendants." 240 Geboren 1155 als Angehöriger eines Regentenhauses in Kyöto, trat mit 11 Jahren in den Enryaku-ji bei Kyöto ein und wurde 1192 Abt dieses Tempels und Hauptbischof der Tendai-Schule, starb 1225. Jichin, dies ist sein posthumer Name, ist der Autor des Gukanshö. (s. Anm. 414). 241 s. u. 4.5 .. 242 Vgl. hierzu Lun-yü, XV, 23: "Tzu Kung fragte: ,Gibt es ein Wort, nach dem man sich ein ganzes Leben lang in seinem Handeln richten kann?' Der Meister sagte: ,Ist es nicht die Gegenseitigkeit? Was du selbst nicht von anderen erfahren möchtest, das füge auch keinem anderen zu'.(S. LEGGE, Chinese Classics, Bd. I, S. 159). 243 Diese Geschichte ist bekannt unter dem Titel Chou Ch'u san-hai: "Chou Ch'u (und) die drei Ubel". -Die Herrschaft der Chin-Dynastie währte von 265--419.

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208 "Da die drei Ubel noch nicht beseitigt sind, ist es nidlt möglich, daß irgendeiner glücklich istlu war die Antwort. Chou Ch'u fragte: "Welches sollen denn die drei Ubel sein?lu - "Erstens lebt in den Südbergen ein Tiger mit einer weißen Stirn, er frißt Menschen; zum zweiten gibt es unter der Langen Brücke einen Drachen, der kommt heraus und bringt Schaden und Unglück über die Menschen; das Dritte ist Euer Benehmen!" antwortete 100 der Mann. Nachdem Chou Ch'u diese Rede vernommen hatte, zog er sein Schwert heraus, ging in die Südberge und vernichtete den Tiger; darauf stieg er unter die Lange Brücke und tötete den Drachen; er selbst widmete sich unverzüglich dem Studium. Damit gab er das Beispiel eines Mannes, der sich ändert und ein guter Mensch wird. Mag man noch bis gestern gefehlt haben, so wird doch eine unermeßliche Schuld getilgt, wenn man sich inner- lich ernsthaft ändert.

IV. Für das Amt der Gerichts-Kommissare soll man die richtigen Leute auswählen.

Im allgemeinen ist es das Amt der Kommissare (bugyo), die öffentlichen Angelegenheiten 244 im Reich zu verwalten, und so hängt wohl auch die Qualität des seido davon ab, wie diese Ämter besetzt sind. Wahrlich, die aufrichtigen Herzens sind und nicht an sich selbst denken, die Schwarz und Weiß zu unterscheiden vermögen und im schriftlichen Aus­ druck bewandert sind, die sich den Prinzipien von Recht und Unrecht unter­ werfen und unparteiisch handeln, solche kann man mit Recht gute Bugyö nennen. So steht auch im Jöei-shikimoku geschrieben: "Ein Bugyö, der sich 10 etwas zuschulden kommen läßt, soll auf ewig nicht mehr in Dienst genom­ men werden. 245 u

In einem Rechtsstreit um Grundbesitz werden die Beweisurkunden 246 beider Parteien eingeholt. Der Richter prüft sie, fällt seine Entscheidung und spricht der berechtigten Partei 247 das umstrittene Gebiet zu. Wenn jedoch 249 der ursprünglich Berechtigte 248 das Urteil nidü achtet , dann soll er beson-

244 Kuji, auch die Ubersetzung ,Prozeßführung' oder ,Rechtsprechung', wäre an dieser Stelle durchaus zu vertreten. 245 Jöei-shikimoku § 31. Ungenau zitiert, vgl. Zötei-Nihon-kodai-höshakugi,_S. 389. 85 248 Im Text steht shishö [84] = Beweis. Gemeint sind hier aber wohl monsho 1 1 = Beweisurkunden. Die Urkunden, die vor Gericht die Redltmäßigkeit des Besitzes bestätigen sollen. 247 Die Partei, die im Besitz des (Rechts-)Grundes ist. Rechtsgrund: jap. ri. 248 Kyüjin [8&], derjenige, der noch vor dem Prozeß ein (scheinbares) Recht auf das Gebiet hatte, das ihm durch das Urteil entzogen wurde. 248 Wenn er sich nicht um die Entscheidung des Gerichts kümmerte und den Be­ rechtigten am Betreten seines nunmehr rechtens zugesprochenen Gebietes hindert oder ähnliche Schwierigkeiten macht,

[84] :J(m ras) xm: ras) ~A.

209 ders bestraft werden. Nimmt aber ein Bugyö wider besseres Wissen eine Klage an, und empfiehlt er diesen Klienten an die höhere Instanz, so ist das ein noch viel größeres Unrecht 250• 20 Sollte es wiederum vorkommen, daß ein Prozeß parteiisch geführt wird, weil der Bugyö eine Seite besonders begünstigt, so soll eine direkte Eingabe 251 seitens des Benachteiligten nicht bestraft werden • Wenn solche partei­ ischen Bugyö von der Partei, der sie günstig gesinnt sind, dazu verleitet, den Grund 252 verdrehen, so ist das wirklich außerordentlich bedauerlich. Wenngleich es auch im Gesetz 253 verboten ist, den zuständigen Bugyö zu übergehen und sich an einen anderen wendend, einen Prozeß anzustrengen, so soll das doch von der Zeit 254 und vom Gegenstand abhängen. Wenn Zeit und Gegenstand es erfordern, ist es durchaus erlaubt, auch Beziehungen zu mächtigen Personen anzuknüpfen und sich diese Beziehungen, diesen 30 Einfluß zunutze machend, seinen Kummer vorzutragen. Was ferner die Klagen aller Menschen betrifft, so ist die Säumigkeit in ihrer Behandlung nicht mehr zu übertreffen. Zwar gibt es ein Gesetz 255, das vorschreibt: "Wenn zwanzig Tage ergebnislos verstrichen sind, soll die Verhandlung am Shögunat abgehalten werden", ich aber finde, der Bugyö sollte die Klagen, falls sie berechtigt sind, doch gleich entscheiden. Handelt es sich gar um ein issho-kenmei-Gebiet, wo der Kläger durch eine andere Person gehindert wird 249, so ist die Klage noch am selben Tage abzuhan­ deln 256• Das Herz des Bugyö, sollte es nicht von Mitleid erfüllt sein und seine Taten voller Erbarmen?! 40 Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß es gut wäre, wenn Ihr den Bugyö, für die die persönlichen Beziehungen zu den Parteien keine Rolle spielen, die den Gesetzen von Recht und Unrecht folgen und sich nicht durch private Bestechungsgeschenke einfangen lassen, die in ihren Entscheidungen den geraden Weg nicht verlassen, so daß die öffentliche Sache ohne Makel bleibt,- wenn Ihr diesen Bugyö auch einmal eine Extra-Belohnung gewäh• ren und so ihre späteren treuen Dienste fördern würdet.

250 Alle Fälle sollen zuerst in der unteren Instanz abgehandelt werden. Manchmal aber machen sich Leute mit schlechtem Gewissen an einen nicht zuständigen Bugyö heran, damit er noch vor dem Prozeßbeginn für sie arbeitet. Siehe auch § 29 des Jöei-shikimoku, Zötei-Nihon-kodai-höshakugi, S. 376. 251 S. Jöei-shikimoku, § 29. Direkte Eingaben sind verboten. 252 So tun als sei ein wirklicher Rechtsgrund vorhanden. 253 Das Jöei-shikimoku, auch Goseibai-shikimoku genannt, entstanden 1232. 264 Es ist unklar, ob die Zeit gemeint ist, die womöglich seit der ersten Klage ver­ strichen ist, oder ob die allgemeine politische Lage gemeint ist. Die zweite Möglich• keit ist hier wahrscheinlicher, weil über die erste später noch abgehandelt wird und man sich gut vorstellen kann, daß in so unruhigen Zeiten wie der Onin-Ära andere Rechtspraktiken notwendig waren, als in ruhigen Zeiten. 255 Jöei-shikimoku § 29, Zötei-Nihon-kodai-höshakugi, S. 376. 255 Hier steht im Text zonmei = am Leben sein. Vermutlich ist dies eine Fehl­ schreibung für zonnen. Die chinesischen Schriftzeichen für mei (inochi) und nen (omou) sind durchaus verwechselbar.

210 V. Der Shögun soll seine persönliche Dienerschaft auslesen.

Dies ist ein Thema, das schon in den 17 Artikeln der Kenmu-Ära behan­ delt worden ist. Dort heißt es: "Es dürfte wohl das beste sein, sie nach ihrer Brauchbarkeit 257 auszuwählen.258" Bilden solche Leute nun aber Cliquen und kritisieren einander, so führt das bestimmt zu Streit und Tätlichkeiten. Wenn sie schon persönliche Feind­ schaft hegen, so dürfte es doch der Gipfel von Unreife sein, diese Gefühle auch im Dienst zur Schau zu tragen. Ihre Brauchbarkeit hängt also von vielen Dingen ab und kann nicht nach einem einzigen Kriterium entschieden werden. 10

Für die Jünger des Konfuzius waren Vier Grade (shika) [871 eingerichtet, und bei den verdienten Untertanen des Kao Tsu 259 gab es drei verschiedene Stufen der Auszeichnung (sanketsu) [881. In der Tat soll man für die erste Rangstufe die in ihrer Redlichkeit und Unbestechlichkeit außerordentlich Umsichtigen auswählen. Für die zweite soll man jene, die uneigennützig und treu ihren Dienst am Staate versehen, für die dritte die im Weg des Bogenschießens und Reitens erfahrenen Kühnen, für die vierte die in japa­ nischer und chinesischer Kultur Gebildeten für geeignet befinden. Wollte man hingegen von der negativen Sorte sprechen, so gehörten diejenigen, die sich fragwürdig, wild und unabhängig gebärden undallihren Wünschen 20 nachgeben, in den ersten Rang, die nicht der Offentlichkeit dienen und das, was die Menschen Unrecht nennen, lieben, in den zweiten, die in Kriegs­ künsten Ungeschickten und in der Feigheit Großen in den dritten Rang. Im vierten Rang stehen solche, die es sich zur Ehre anrechnen, aufgrund ihrer Schaustellungen und blumenreichen Worte von den Menschen belacht zu werden. Mit all diesen unerfreulichen Dingen habe ich doch bei weitem noch nicht alles genannt. Aber bei der Indienststellung von persönlicher Dienerschaft soll man doch vor allen Dingen zuerst einmal Erbarmen walten lassen, gleichwie der Frühlingsregen Gras und Baum tränkt, ohne einen Un­ terschied zu machen zwischen kleinen und großen Wurzeln. Man sagt: "Es 30 ist der Vater, der seinen Sohn am besten beurteilen kann, und es ist der Fürst, der seine Untertanen am besten beurteilen kann! " Diesen Grundsatz solltet Ihr bei guten und bei schlechten Dingen beachten und niemals Eure

257 Kiyö: ARIGA Nagao schreibt in seinem Kommentar zum Kenmu-shikimoku: " ... Brauchbar sind solche Leute zu nennen, die ... ihren Geschäften eifrig nach­ gehen und dabei die Fünf Kardinaltugenden: Menschlichkeit, Redlichkeit, Sitte, Weisheit und Treue beachten." Vgl. Kenmu-shikimoku, Zötei-Nihon-kodai-höshakugi, s. 592. 258 Artikel 12, vgl. Kenmu-shikimoku, a. a. 0 ., S. 591. . 259 Erster Kaiser der Ban-Dynastie, 247-195 v. Chr., Thronbesteigung 206 v. Chr., vgl. GBD, S. 513 unter Liu Pang.

1871 tmf4 (88) -=-~ 211 Meinung nach den Aussagen fragwürdiger Personen bilden. Hier gilt das gleiche wie bei dem Mann, der sich darüber klar war, daß Füchse und Dachse die Menschen behexen, und der deshalb selbst nicht behext wurde. Ferner: Wenn ein Fürst einmal einen Fehler macht, ist eine Ermahnung seitens des Untertanen als loyale Gesinnung 260 zu bezeichnen. Einen Men­ schen, der um die Fehler seines Fürsten weiß, ohne ihm deswegen Vorstel- 40 lungen zu machen, muß man unloyal nennen. Es kommt wohl auch vor, daß ein Fürst aufgrund seiner Gemütsveranlagung in jedem Fall über solche Ermahnungen zornig wird. Dennoch muß der Untertan unbedingt sagen, was zu sagen notwendig ist, selbst wenn er dabei sein Leben einsetzt. Der Fürst wiederum darf, wie sehr ein solches Verhalten auch von seinen An­ sichten abweicht 261 , dieses doch niemals als ein Vergehen betrachten. Im Gegenteil, er sollte, nachdem er ermahnt worden ist, dieses Verhalten ganz besonders belohnen, wo er doch sieht, daß der Untertan, wenn er die Sache für wichtig hält, dies auch aussprechen muß, selbst wenn es gegen den Willen des Fürsten geht. Indessen gibt es bei den Menschen heutzutage auch 50 Fälle, wo einer noch so gute Dinge, nur weil sie mit seiner persönlichen Ansicht nicht übereinstimmen, als schlecht bezeichnet, und Dinge, die zwar schlecht sind, die sich aber mit seiner persönlichen Auffassung decken, für gut befindet. Was von solchem Urteil bestimmte Ermahnungen anbetrifft, so können sie für den Staat keine gute Wirkung haben, da sie auf der persön• lichen Auffassung eines Untertanen beruhen 262• Daher soll der Fürst die Leute erst einmal gut prüfen. Als in alter Zeit ein Mannnamens Chu Yün den Han-Kaiser Ch'eng wegen eines Fehlers ermahnte, ergrimmte dieser sehr und übergab ihn dem Ge­ richt. Als man Chu Yün herausholte, um ihn zu töten, leistete er Widerstand, 60 weil er nicht hinaus wollte und zerbrach dabei das Geländer des Palast­ gefängnisses, an dem er sich festgehalten hatte. Nun gab es zwar Leute, die sich für eine spätere Reparatur aussprachen; der Kaiser aber verkündete: "Es darf in keiner Weise wieder aufgebaut werden, auf daß es zum Beispiel diene und den Menschen der Nachwelt zeige: Als der Fürst einmal einen Fehler machte, hat es einen gegeben, der ihn konsequent ermahnt hat. 263 " Der Kaiser T'ai-Tsung der T'ang-Dynastie hat einen Untergebenen, der ihn ermahnte, ganz besonders gepriesen, denn er wußte: Wenn ein Kaiser einen Fehler macht und niemand ihn deswegen warnt, verliert er Land und Reich.

28° Chüshin: "loyales Herz". Im Gunsho-ruijü-Text wird shin = Untertan für shin = Herz vorgeschlagen. Der Satz hieße dann: "Jemanden, der dann, wenn der Fürst einen Fehler macht, Ermahnungen ausspricht, nennt man einen loyalen Unter­ tanen." 281 Wie sehr ihm solches Verhalten auch mißfällt. 282 Eine Auffassung, die durch den Charakter des Untertanen, nidlt aber durch die allgemein gültigen Gesetze und Gebote bestimmt ist. 263 Diese Geschichte findet sich im Han-shu. - Han Ch'eng-ti: 46-5 v. Chr., bestieg 32 v. Chr. den Thron als 10. Kaiser der Han-Dynastie, s. auch GBD, S. 490, Nr. 1271. - Chu Yün: s. GBD, S. 194, Nr. 484.

212 Vom Jijü l89l-Amt heißt es: "Es macht Mängel wieder gut und hebt auf, was vergessen ist.,, das meint, es ist ein Regierungsamt, dem es obliegt, 70 dem Fürsten heimlich zu verstehen zu geben, was er falsch gemacht hat und was er vergessen hat. Unter dem früheren Kangi-taifu 264 (9o) versteht man den heutigen Saisho. Er versah vor allem das Amt des Ermahnens. Dieses Ermahnen, wie im es hier besprochen habe, ist seit alters als etwas Unentbehrliches geregelt. In dieser Regel aber gibt es den Unterschied zwischen öffentlich und privat, groß und klein. Wenn also einmal ein Fami­ lienoberhaupt trotz seiner hervorragenden Stellung einen Fehler machen sollte, so muß es einer seiner Diener pflichtgemäß ermahnen. Ferner: Die üble Nachrede beim Fürsten ist eine gemeine, niedrige Sache. Das Verhalten eines Menschen, der Weiß als Schwarz und Schwarz als Weiß 80 darstellt, ist dem einer Blaufliege zu vergleichen, die alles verunreinigt. In der Chou-Zeit, als Ch'eng-wang Kaiser war, hatte Chou-kung T'an, ein ungewöhnlich weiser Mann, die Regentschaft über das Land inne. Aber Kuan Shu und Ts'ai Shu, zwei bösartige jüngere Brüder, verleumdeten ihn beim Kaiser. Ch'eng-wang hielt ihre Worte für wahr und verjagte Chou-kung aus dem Amt. Da erhoben sich Stürme und Wolkenbrüche stürzten hernieder, die ganze Welt war in Aufruhr, und auch die Reisfelder boten ein Bild der Verwüstung. Da forderte Ch'eng-wang, daß man ihm die ,Schrift vom gold­ verschnürten Behälter' hervorhole. Diese Schrift war ein feierliches Gelübde, das Chou-kung zur Zeit der Krankheit des Wu-wang, des Vaters von Ch'eng- 90 wang, getan hatte. In diesem Gelübde hatte er den Göttern sein Leben für das des Wu-wang angeboten. Als nun Ch' eng-wang sah, wie groß die Loya­ lität des Chou-kung gewesen war, rief er ihn in sein Amt zurück und ließ die beiden verleumderischen Brüder hinrichten. Alsbald härte das Unwetter auf, und auch der Reis erholte sich wieder. So ist es überliefert. 265 Auch während der doch als glückliches Beispiel zitierten Regierungszeit des Engi-Kaisers 266 wurde der Gyoji 267 [911 Kanjöshö 268 aufgrund einer Ver­ leumdung des Ministers Fujiwara Tokihira 269 verbannt und ebenfalls später

211 ' Erste Anfänge dieses Amtes, dessen Träger die Aufgabe hatte, den Kaise~ zu ermahnen und zu berichtigen, finden sich schon während der Herrschaft .der dune­ sisehen Ch'in-Dynastie, als Kangi-taifu (chin.: chien-i ta-yu) zum erst enmal1~ der Hou Han-Zeit belegt, chinesisdJ.e Bezeichnung für das japanische, mit dem Taiho-Gesetz­ buch gesdJ.affene Amt des Sangi. Die Sangi, acht Räte des Obersten Staatsrats, nah­ men teil an den Beratungen, hatten aber keine Stimmberechtigung. Diese war den drei Ministern (dajö-daijin, sadaijin, udaijin) vorbehalten .. 2115 Vgl. Shu-ching, Teil 5 (Bücher von Chou) Buch VI, be1 LEGGE, Sacred Books of the Bast, Vol. III, S. 151 ff. 2116 Daigo Tennö, der 60. Kaiser Japans, regierte von 898-930. . . 2117 Titel, ein hoher Minister; wörtlich: koto wo osameru mono. M1ch1zane war zu jener Zeit Minister zur Rechten. 2118 Sugawara Michizane (845-903). 21111 Tokihira (871-909) war zu jener Zeit Minister zur Linken und Oberhaupt des Hauses Fujiwara. Vgl. BoHNER, Jinnö-shötö-ki, S. 277 f.

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213 271 wieder eingesetzt 270• War es nicht Kajiwara Heizö Kagetoki , der zur Zeit 100 des Generals zur Rechten von Kamakura 272 mit seinen falschen Anschuldi­ gungen vielen Menschen Schaden zugefügt hat? Infolgedessen wurde er dann ja auch zusammen mit seinem Sohn Kagesue und allen Untergebenen hinge­ richtet. Wahrhaftig, ein unwürdiger Tod! - Die verabscheuenswürdigste Schlechtigkeit der Menschen ist doch die Verleumdung. Daher nehme ein jeder Fürst sich diese Beispiele gut zu Herzen!

VI. Der Shögun soll die Fußsoldaten ( ashigaru) auf immer verbieten.

Wenngleich es seit alter Zeit hin und wieder Wirren im Reich gegeben hat, ist doch die Bezeichnung ashigaru nicht einmal in den alten Chroniken ver­ zeichnet. Noch die sogenannten Heike-no-kaburo 213 werden als ungewöhn• liches Beispiel erwähnt. Die in diesem Fall 274 zum erstenmal auftretenden ashigaru waren unbeschreibliche Schurken; denn sie waren es, die den Unter­ gang der Tempel und Schreine in und außerhalb Kyötos, der Fünf Berge 275 und der Zehn Tempel 276, des Kaiserlichen Palastes und der Klöster 277 herbei­ geführt haben. Wo der Feind sich einschloß und den Platz verteidigte, waren 10 sie machtlos. Nicht verteidigte Plätze zerstörten sie oder brannten sie nieder und suchten nach Schätzen. Das ist genau die Haltung, die sie als Räuber kennzeichnet, die frech am hellichten Tag einbrechen. Dergleichen Beispiele waren den früheren Generationen noch unbekannt; vielmehr sind sie erst durch die nachlässige Einstellung zu den militärischen Künsten ermöglicht worden. Es waren nämlich die berühmten Ritter, die sieb ihrer Pflicht, selbst zu kämpfen, entledigten und die Angelegenheit jenen Fußsoldaten überließen. Daher war es nicht nur eine augenblickliche Schande, wenn ein Mann von Stand sein Leben durch den Pfeil eines Fußsoldaten ver­ lor. Ich habe sogar von solchen gehört, die diesen Makel bis in alle Ewigkeit

270 Dieses "eingesetzt" bezieht sich auf die posthume Rehabilitierung Michizanes. 271 ?-1200, berühmter Opportunist der japanischen Geschichte. 272 Udaishö, General der kaiserlichen Leibwache zur Rechten. - Udaishö von Kamakura: Minamoto Yoritomo. 273 Die sogenannten Heike-no-kaburo sind ebenfalls eine Art Fußsoldaten, von denen im Taihei-ki die Rede ist. 274 Gemeint sind die Onin-Wirren. 275 Gozan, die unter dieser Bezeichnung zusammengefaßten Zen-Tempel waren nicht immer die gleichen. Zu Beginn der Kenmu-Ära verkündete ein kaiserliches Edikt, daß unter gozan der Kennin-ji, der Töfuku-ji und der Manju-ji in Kyöto sowie der Kenchö-ji und der Enkaku-ji in Kamakura zu verstehen seien. Im Jahre 1386 traf Ashikaga Yoshimitsu eine endgültige Regelung, die für Kyöto und Kamakura getrennte gozan vorsah: die gozan von Kyöto, von denen hier die Rede ist, waren nun: Tenryü-ji, Shökoku-ji, Kennin-ji, Töfuku-ji und Manju-ji. Siehe audl PoNSONBY­ FANE, Kyöto, S. 215 f. 278 Jissatsu, die Namensliste der zu den jissatsu gehörenden Tempel war eben­ falls manchen Veränderungen unterworfen. Ashikaga Takauji und Yoshimitsu haben sie festgelegt. Näheres s. PoNSONBY-FANE, Kyöto, S. 196 f . 277 • Monzeki, Tempelklöster, deren Äbte oder Oberpriester Mitglieder der kaiser­ hchen Familie oder von hohem Adel waren. Zur Geschichte und Klassifikation der monzeki S. PONSONBY-fANE, Kyöto, S. 217 ff.

214 behielten. Ein jeder ashigaru soll einen Herrn haben. Sollten sidl dann solche 20 Verbrechen auch in Zukunft wiederholen, so soll das Bakufu die einzelnen Herren der betreffenden Fußsoldaten als Verantwortliche untersuchen. Han- delt es sich bei den Unruhestiftern aber um Bauern oder Kaufleute, so soll das Bakufu in deren Wohngebieten den Befehl erteilen, daß es verboten ist und daß Zuwiderhandlungen bestraft werden. Unternimmt das Bakufu diese Maßnahmen, dann sollte es mich sehr wundern, wenn auch nur ein weiterer Vorfall bekannt würde.

Sind nicht auch diese Ereignisse typisch für ein Zeitalter des gekokujö 21s? Wie müßten wir uns schämen, wenn andere Länder davon erführen.

VII. Die Erfüllung der Regierungspflichten durch die Gemahlin des Fürsten.

Für dieses unser Japan gibt es die Bezeichnung Kishi-no-kuni219 oder Wa-ö-koku 280 ; daneben sprach man auch von dem ,Land, das wahrsdleinlidl Frauen regieren' 281 • Das ist nicht unberechtigt, denn Amaterasu Ömikami, die Urahne 282 des japanischen Kaiserhauses, ist eine weibliche Gottheit. Jingü-kögö ist eine weibliche Herrscherin, die die alte Ordnung wieder aufgerichtet hat. Diese Kaiserin war die ehrwürdige Mutter des großen Bodhisattva Hachiman, sie hat Shiragi und Kudara angegriffen und bezwun­ gen und das Ashiwara-Land 283 zu neuer Blüte geführt. Das sind Taten, die für Japan von großer Bedeutung waren. 10 Auch Suiko Tennö (554-628) war eine Frau. Zur Zeit da sie die Regierung führte, schuf Shötoku Taishi als Sesshö die Verfassung der 17 Artikel. Danach bestiegen Kökyoku Tennö (594-?), Jitö Tennö (646-701), Genmyö Tennö (662-722), Genshö Tennö (681-748) und Köken Tennö (718-?), alle fünf waren Frauen, den kaiserlichen Thron und übernahmen die Regierung.

278 Die Unteren überwinden die Oberen. Siehe unten 4.2 .. 279 Anderer Name für Japan, a) Prinzessinnenland, b) Land der Ki-Sippe. Zu alter Zeit glaubte man in China, die Japaner seien Nachkommen des T'ai Po von Wu 1921. Dieser war nun wieder der Sohn des T'ai-wang von Chou !931 und hatte den Haus­ namen Chi, japanisch: Ki !941. 280 Anderer Name für Japan, Land der kleinen Könige; wa bedeutet soviel wie klein, gering, abhängig, niedrig, gemein, zwergenhaft. 281 Nimmt man die Bedeutungsentwicklung von beshi folgendermaßen an: etwas muß kraft Natur so sein- etwas sei so (Befehl) -etwas ist kraftNaturder Sache möglich- es ist zu erwarten, daß (G. Wenck, Hamburg), so läßt sich außer der hier gegebenen Interpretation, bei der ein Urteil aus chinesischer Sicht angenommen wird, auch die unten in 4.1. gegebene vertreten, bei der eine unmittelbar darauffolgende Begründung die Annahme einer Behauptung Kaneras berechtigt erscheinen läßt. 282 Shiso, Urahn, Vorfahr. Hier wohl in zweierlei Hinsicht zu verstehen: Amate­ rasu a) als Urahne der kaiserlichen Dynastie und b) gleichzeitig als erste Frau in der japanischen Dynastie. 283 Anderer Name für Japan.

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215 In China hat Lü T'ai-hou, die Witwe des Han Kao-tsu und Mutter des Hui­ 284 ti, die Herrschaft ausgeübt •

In der T'ang-Zeit hat Tseh T'ien huang-hou, die Gemahlin des Kao Tsung und Mutter des Chung '1.'sung, ein Leben lang die Regierungsgewalt inne- 285 20 gehabt •

Am Sung-Hofe führte Hsüan Jen huang-hou, die Mutter des Che Tsung 286 huang-ti, hinter dem Vorhang [sitzend] , die Regierungsgeschäfte [für ihren unmündigen Sohn]. Dieses bezeichnet man als Regierung des herabgelasse­ nen Vorhangs. 287

In neuerer Zeit gab es die Gemahlin des Generals zur Rechten von 288 Kamakura mit Namen Ama Nii Masako ; sie war die Tochter des Höjö no Shirohei no Tokimasa (1138-1215) und Mutter zweier Shogune.

Dieser Nii waren auch des Generalissimus Fehlhandlungen (in der Regie­ rung) Gegenstand ihrer Belehrungen. Nach dessen Tode widmete sie sich 30 mit großer Hingabe der Regierung Kamakuras, und ihre Entscheidungen waren so vortrefflich, daß selbst zur Zeit der Jökyü-Wirren 289 ein Mann wie Yoshitoki 290 in ihrem Auftrage ein Rundschreiben unter den Daimyo 291 herumgehen ließ und ihnen [darin] ihre Befehle erteilte 292• Auch der Auftrag

2 84 Lü T'ai-hou starb 180 v. Chr. (GBD S. 553, Nr. 1442). - Hui-ti Liu Ying, 205-188 v. Chr., 2. Kaiser der Han-Dynastie (GBD S. 528, Nr. 1372). 2811 Kaiserin Wu, 625-705 (GBD S. 882ff, Nr. 2331). !8e Renchü-nagara. 287 Uber die Frau als Regentin in Chinas. die Studie von YANG Lien-sheng, Fernale Rulers in Imperial China, Harvard Journal of Asiatic Studies - künftig HJAS -, Vol. 23,1960/61, S. 47ff. 288 Nonne im 2. Rang Masako, Tochter des Kamakura-Shikken Höjö Tokimasa, entsagte nach dem Tode ihres Gemahls Minamoto Yoritomo offiziell der Welt und nahm den Namen Nii-no-arna an. Tatsächlich behielt sie aber die Zügel der Regie­ rung in ihrer Hand. Lebte von 1157-1225. Siehe auch unten in 4.1. bei Anm. 307. 289 Nach dem Tode Minamoto Sanetomos glaubte der Ex-Kaiser GoToba den Einfluß des Shögunats gesdlwächt und forderte die Züchtigung des Shikken Höjö Yoshitoki. Die Antwort auf dieses Ansinnen waren drei große Armeen, die Yoshi­ toki auf Kyöto marschieren ließ. Die Wirren endeten mit der Niederlage der Hof­ partei, der Absetzung des jungen Tennö Chükyö und der Verbannungdreier Kaiser: Juntoku, der Vater Chükyös, nach Sado, GoToba nach Oki und Tsuchimikado nach Shikoku. 2110 1162-1224, Sohn des Shikken Höjö Tokimasa und zu jener Zeit der eigent­ liche Machthaber am Kamakura-Bakufu. 191 Groß-Namensfeld-Besitzer. Namensfelder: Seit der späten Heian-Zeit Eigen­ tumsländereien, die großenteils aus neu urbar gemachtem Boden entstanden waren und den Namen des Besitzers trugen. 292 Hier wird höchstwahrscheinlich auf die Reaktion des Bakufu auf die Forde­ rungen des Ex-Kaisers GoToba angespielt. - Der Ausdruck gechi [951 (Shödan-chiyö, in: GR, Bd. 27, Zatsu-bu, S. 203) bezeichnet für die Kamakura-Zeit einen Befehl, den der Shikken vom Shögun erhält und zur Ausführung nach unten weiterleitet. Zum Amt des Shikken s. Anm. 316.

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216 293 an den edlen Herrn Sugawara Tarnenaga , das Jöka.n-seiyö in zehn Kapi­ teln ins Japanische zu übertragen, um es damit zu einer Hilfe für die Regie­ rung des Reiches zu machen, war das Werk dieser Nii Ama.

Sie bewirkte auch, daß der jüngste Sohn des Kanpaku Kömyöbu-ji 294 von Kyöto herbeigerufen, [von ihr] adoptiert und zum Shögun ernannt wurde. Es handelt sich hier um den unter dem Namen Shichijö no Shögun Yoritsune bekannten Mann. Während der Amtszeit dieses Shoguns, im 1. Jahre der 40 .Ara Jöei (1232) wurde der Codex mit 51 Artikeln geschaffen, der bis in die heutige Zeit hinein wohl der Spiegel der Schwertadligen geblieben ist. Daher glaube ich, daß es bestimmt keine Schwierigkeiten geben wird, wenn ein Mann oder eine Frau helfend und ratend 295 in der Regierung mit­ wirken, sofern sie mit dem döri des Reiches ganz vertraut sind.

VIII. Ein Feudalherr des Reimes braudlt unbedingt Madlt.

Was menschliche Macht angeht, so ist sie wohl ebenso in die Hände von guten wie von schlechten Menschen gegeben. Menschen gegenüber, die um das döri wissen, empfindet man Scham und Ehrfurcht und unterwirft sich ihnen aus freier Entscheidung. Bei Menschen aber, die unvernünftig und ohne Weg 296 sind, weiß man, daß man sie nicht kritisieren kann und fürchtet sie gezwungenermaßen. Das Langschwert 297 fürchten die Menschen, selbst wenn es noch im Kasten liegt. Die Stimme des Donners, aus einer Entfernung von mehr als hundert Meilen vernommen, läßt [die Mensdlen] heftig erschrecken. Vor dem wilden 10 Tiger wiederum zittern alle Tiere vor Furdlt, wenn er sich [noch] in der Tiefe der Berge aufhält. Des Einhorns Horn ist mit Fleisch bedeckt, deshalb zerreißt es die 298 Mensdlen nidlt, obgleidl es die Stärke dazu hat. Dar an dachte der Weise ,

Hs 1158-1246, wohl der größte japanische Gelehrte seiner Zeit, bekleidete das Amt des Rektors der Universität (daigaku-no-kami), wurde zum Professor für Literatur und Geschichte ernannt (zum Werdegang eines monjö-hakase s. CoATES u. Ismzuu, Hönen, S. 118) und war hervorragend als Waka-Dichter und Kalligraph. 294 Fujiwara no Michiie, s. Anm. 33. 295 Hosa [9&) hat zunächst die Bedeutung: Regent für den unmündigen Herrscher. Hier erschien es im Hinblick auf das Thema dieses Kapitels im Shödan-chiyö ange­ bracht, diesen Ausdruck etwas freier zu interpretieren. Die Ubersetzung: " .. . keine Schwierigkeiten ... , wenn ein Mann oder eine Frau helfend und ratend in der Regierung mitwirken ... " soll zum Ausdruck bringen: ,.Es ist irrelevant, ob ein Mann oder eine Frau regiert, es kommt nur darauf an, daß diese betreffende Person den rechten Weg der Regierung kennt." Dies ist übrigens kein ausdrüddiches Votum für die Frauenherrschaft! !De Muri-hidö, schwer zu übersetzen, etwa: sich nicht um Recht oder Unrecht küm• mern, sich keinen Prinzipien unterwerfen und keinem Weg folgen, sich an keiner Stelle um Vollkommenheit oder Meisterschaft bemühen. 297 Sanjaku-no-riken, sanjaku-no-tsurugi. 298 Konfuzius

[96} ~16:

217 als er urteilte: "[Der Edle] besitzt große Macht und gebärdet sich dabei doch nicht zügellos." Daher gehört es zu dem Weg eines Ritters (budö), die Macht, 299 die er besitzt, in der richtigen Weise zur Anwendung zu bringen • Einer, der diese Macht richtig anwendet, dehnt sie von der Nähe auch auf die entfernten Dinge aus und vollbringt mit den geringen Aufgaben auch 20 gleichzeitig die großen. Wenn man seine Umgebung vernachlässigt, würden die Menschen in der Ferne davon hören und es weitererzählen, und die Furcht (ein ehrfürchtiges Herz) würde ihnen fehlen. Würde man die geringen Dinge liegenlassen und sich nidlt um sie kümmern, so wären die wichtigen Regierungsgeschäfte 300 ohne Zweifel schwer zu bewältigen. Was in den Gesetzen verordnet ist, soll man dem ri entsprechend 301 zur Anwendung bringen! Wer dies nieht in der Praxis beherzigt, der hat wegen seines Unge­ horsams gegen das kaiserliche Dekret eine besonders sehwere Strafe ver­ dient. Wenn einer auf seine Klage hin das ihm rechtens zustehende Gebiet wie- 30 der zugesprochen erhält, kommt es mitunter vor, daß der zeitweilige Eigen­ tümer Schwierigkeiten macht 249• Geriete er durch den Verlust des umstritte­ nen Gebietes in eine bemitleidenswerte Lage, so wäre es durchaus gerecht, wenn das Gericht dem Kläger stattdessen ein anderes Gebiet zuweist. Sollte er sich auch diesem Schiedsspruch widersetzen, dann ist es notwendig, ihn entsprechend zu bestrafen. Weil er sich gegen das Urteil des Gerichts auf­ gelehnt hat, soll man ihn zuerst einmal aus dem Dienst entlassen und dann auch seinen übrigen Grundbesitz, falls ein solcher noch vorhanden ist, konfis­ zieren. Spätere Klagen von seiner Seite sollen abgewiesen werden, selbst wenn sie rechtlich begründet sind. 40 Würden keine derartigen Verordnungen erlassen, so nähme die Respekt- losigkeit gegenüber der Obrigkeit niemals ein Ende. Was aber soll man mit jenen Shugo des Landes machen, die den Regierungsverordnungen nicht Folge leisten? Nun, der Generalissimus hat als Schutzgewalt des Staates mit seinem Amt die kaiserliehe Erlaubnis erhalten, alles, was nicht zum Palast gehört, zu regieren. Wer seinen Regierungsentscheidungen zuwider handelt, soll von ihm besonders bestraft werden. Nach diesem Muster haben schon viele Shögune gehandelt und sind soweit gegangen, Truppen auszuheben und damit die Missetäter als Feinde des Hofes augenblicklich niederzuwerfen. 50 Eine derartige Entscheidung ist, von einem rationellen Standpunkt aus be­ trachtet, keiner Erörterung bedürftig. Wenn diese Maßnahme nicht ergriffen werden soll, so mag der Shögun sich einen geheimen Plan ausdenken und ihnen mit dieser Kriegslist von allen Seiten zusetzen, damit sie ihre früheren Ubeltaten ernsthaft bereuen

2119 Vgl. hierzu Anm. 194. 30o Taigi, die großen Probleme. 301 Zwei Interpretationen möglich: a) gerecht, b) dem Rechtsgrund entsprechend, d. h. nur dem Berechtigten Recht geben. In diesem Falle sind die Vorschriften ein­ geschränkt als Vorschriften oder Gesetze zur Rechtsprechung in Prozessen um Grund­ besitzrecht zu verstehen.

218 und seinen Entschlüssen folgen. Soll auch das nicht geschehen, so besteht noch die Möglichkeit, daß er seine eigenen Absichten aufgibt und die Ange­ legenheit dem Ratschluß der allwissenden Götter anheimstellt. Dann werden die starken Feinde, die seine Entscheidungen in den Wind schlagen und auf ihre eigenen langgehegten Pläne bauen, sich mit Gewißheit zugrunde richten. Es gibt in der Vergangenheit genug Beispiele dafür, daß sie ihm dann 60 unversehens ihre Macht übertragen. Er muß nur eine Weile abwarten, bis die Zeit dafür reif ist. Welche von all diesen Möglichkeiten der Shögun tut oder läßt, soll allein von seinem Willen abhängen. Das ist eine Angelegenheit, in die niemand anders mit hineinzureden hat.

(wird fortgesetzt)

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