Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Plenarprotokoll 18/128

Deutscher

Stenografischer Bericht

128. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. Oktober 2015

Inhalt:

Begrüßung der neuen Abgeordneten Elfi Tagesordnungspunkt 18: Scho-Antwerpes...... 12423 A a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 18. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspoli- Tagesordnungspunkt 17: tik Drucksache 18/5057...... a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: 12441 D Jahresbericht der Bundesregierung zum b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stand der Deutschen Einheit 2015 17. Bericht der Bundesregierung zur Drucksache 18/6100...... 12423 B Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Drucksache 18/579...... b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und 12441 D SPD: 25 Jahre Deutsche Einheit – Leistun- (Aachen) (SPD) ...... 12442 A gen würdigen, Herausforderungen angehen Drucksache 18/6188...... 12423 C Azize Tank (DIE LINKE)...... 12443 C

Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin BMWi. . . . 12423 D Dr . Maria Böhmer, Staatsministerin AA. . . . . 12444 C

Dr . (DIE LINKE)...... 12425 A (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12446 C (CDU/CSU)...... 12428 C Michelle Müntefering (SPD) ...... 12448 B (DIE LINKE)...... 12430 A Sigrid Hupach (DIE LINKE)...... 12449 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12431 A Dr . (CDU/CSU)...... 12450 B

Axel Schäfer (Bochum) (SPD)...... 12432 A (SPD)...... 12452 A

Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ Dr . (CDU/CSU)...... 12453 A DIE GRÜNEN)...... 12433 B (SPD)...... 12454 B Dr . (CDU/CSU) ...... 12434 D Dr . (CDU/CSU)...... 12455 B (SPD)...... 12436 A

Katharina Landgraf (CDU/CSU) ...... 12437 B Tagesordnungspunkt 19: (SPD)...... 12438 D a) Antrag der Abgeordneten , Dr . Gregor Gysi, Matthias W . Birkwald,

Arnold Vaatz (CDU/CSU) ...... 12439 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . , Freitag, den 2 . Oktober 2015

DIE LINKE: Ungerechtigkeiten bei Müt- Ziele der Alpenkonvention voranbrin- terrente in Ostdeutschland und beim gen und nachhaltig gestalten Übergangszuschlag beheben Drucksache 18/6187...... 12478 A Drucksache 18/4972...... 12457 A b) Antrag der Abgeordneten , b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Dr. , , weite- schusses für Arbeit und Soziales zu dem rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Antrag der Abgeordneten Roland Claus, NIS 90/DIE GRÜNEN: Tourismuspro- Dr . Gregor Gysi, Matthias W . Birkwald, tokoll der Alpenkonvention umsetzen weiterer Abgeordneter und der Fraktion – Wintertourismus nachhaltig gestalten DIE LINKE: Spezifische Altersarmut Ost Drucksache 18/4816...... 12478 A durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben Dr . Hans-Joachim Schabedoth (SPD)...... 12478 B Drucksachen 18/1644, 18/5290...... 12457 A (DIE LINKE)...... 12480 A Dr . (DIE LINKE)...... 12457 B (CDU/CSU)...... 12480 D (CDU/CSU)...... 12458 C Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12482 B Matthias W . Birkwald (DIE LINKE). . . . . 12459 C (CDU/CSU)...... 12483 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12461 B Tagesordnungspunkt 22: Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD)...... 12462 B a) Antrag der Abgeordneten Beate Walter- Dr . (CDU/CSU) ...... 12463 C Rosenheimer, , Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Dr . (SPD)...... 12465 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen Drucksache 18/6198...... Namentliche Abstimmung ...... 12441 C 12485 A b) Antrag der Abgeordneten , Sigrid Hupach, Dr . , wei- Ergebnis ...... 12468 B terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete Tagesordnungspunkt 8: Drucksache 18/6192...... 12485 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der DIE GRÜNEN)...... 12485 B Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Zugang Dr . Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF. 12486 C und Teilhabe ermöglichen – Die Dekade für Alphabetisierung in Deutschland umsetzen Nicole Gohlke (DIE LINKE)...... 12489 C Drucksachen 18/5090, 18/6179 ...... 12466 D Dr . (SPD) ...... 12491 A (CDU/CSU)...... 12466 D (CDU/CSU) ...... 12492 B Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE)...... 12471 A Dr . (SPD)...... 12494 A (SPD)...... 12472 A Nächste Sitzung ...... 12495 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 12473 C

Sven Volmering (CDU/CSU)...... 12474 D Anlage 1 (SPD) ...... 12476 C Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 12497 C

Tagesordnungspunkt 21: Anlage 2 a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Die Alpen – Vielfalt in Europa – Amtliche Mitteilungen 12498 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12423

(A) (C) Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben

128. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. Oktober 2015

Beginn: 9 .00 Uhr

Präsident Dr. : b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . CSU und SPD Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich 25 Jahre Deutsche Einheit – Leistungen wür- begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung . digen, Herausforderungen angehen Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte Drucksache 18/6188 ich Sie darauf hinweisen, dass die Kollegin Christina Zum Jahresbericht der Bundesregierung liegt ein Ent- Kampmann auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bun- schließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . destag verzichtet . Für sie ist die Kollegin Elfi Scho­ Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Antwerpes nachgerückt . Im Namen des Hauses begrüße die Aussprache insgesamt 77 Minuten vorgesehen .– ich Sie herzlich . Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit . Auch dazu kann ich Einvernehmen feststellen . Dann ver- (B) (Beifall) fahren wir so . (D) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, den Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke . 18/5921 – hier handelt es sich um das Gesetz zur Ver- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie besserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ausländischer Kinder und Jugendlicher – zur Mitbera- GRÜNEN) tung an den Haushaltsausschuss zu überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Ich vermute, ja; ich höre nichts Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin beim Bundesmi- Gegenteiliges . Dann haben wir das so beschlossen . nister für Wirtschaft und Energie: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier nur noch selten über die alten Ost‑West‑Unter- a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- schiede und über all das Holpern und Stolpern auf unse- gierung rem Weg der letzten 25 Jahre . Vielleicht ist das ja auch ein Indiz dafür, dass unser Blick nach vorne gerichtet ist . Jahresbericht der Bundesregierung zum Den jungen Leuten bedeuten diese alten Unterschiede Stand der Deutschen Einheit 2015 ohnehin nicht mehr viel . Das ist eigentlich ermutigend . Drucksache 18/6100 Aber uns anderen, den Älteren und den nicht mehr ganz Überweisungsvorschlag: so Jungen, steckt so manches in den Knochen, was sich Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) nicht so einfach abschütteln lässt . Wer im Jubiläumsjahr Sportausschuss nur Sekt trinken oder nur Trübsal blasen möchte, hat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss nicht begriffen, was im Osten in den letzten 25 Jahren Ausschuss für Arbeit und Soziales eigentlich passiert ist . Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Meine Damen und Herren, der Prozess der deutschen Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Einheit ist nicht immer in geraden Bahnen, sondern heit zum Teil auch sehr widersprüchlich verlaufen . Ich hoffe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung sehr, dass das in meinem Bericht deutlich geworden ist . Ausschuss für Tourismus Das liegt mir sehr am Herzen . Wir dürfen nicht darüber Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda schweigen, dass nicht wenige von denen, die vor 25 Jah- Haushaltsausschuss ren hoffnungsvoll und mit großen Träumen in die neue 12424 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke (A) Gesellschaft gestartet sind, bittere und zum Teil demüti- verfolgen ein Ziel, das sich genauso schnell bewegt wie (C) gende Niederlagen erlebt haben . wir selbst, und deswegen kommen wir ihm derzeit leider Es gab nicht nur andauernden Erfolg und immerwäh- nicht näher . Wir brauchen einen langen Atem . rendes Wachstum . Es gab auch Deindustrialisierung und Zurückzuführen ist das vor allem auf die Kleinteilig- verheerende Massenarbeitslosigkeit . Es gab falsche Ver- keit der ostdeutschen Wirtschaft . Diese Kleinteiligkeit ist sprechungen und verheerende Fehleinschätzungen . Es ein strukturelles Problem . Uns fehlen im Osten die Groß- wurde eben längst nicht so schnell alles besser, wie sich unternehmen und Konzerne und ihre Forschungs- und die meisten Ostdeutschen das erhofft hatten . Und: Die Entwicklungsabteilungen . Angesichts dessen vertreten Einheit war eben auch nicht aus der Portokasse zu bezah- manche unterdessen die Auffassung, dass der Osten den len, wie die meisten Westdeutschen es geglaubt hatten . Westen niemals einholen kann . Das ist eine sehr gefähr- Wir fanden uns gemeinsam recht schnell wieder in den Mühen der Ebenen . liche Argumentation . Wer ihr folgt, könnte glatt auf die Idee kommen, dass man komplett aus der Ostförderung Bereits 1992 titelte „Opfer für den Osten – aussteigen könnte . Das Teilen beginnt“ . Und schon 1995 entdeckte die glei- che Zeitschrift das „Milliardengrab ‚Aufschwung Ost‘“ . Meine Damen und Herren, ich bin nicht naiv . Ich weiß, dass diese Auffassung längst von manchen vertre- Natürlich lässt sich die deutsche Einheit nicht auf die- ten wird, bislang allerdings noch eher hinter vorgehalte- se Irrungen und Wirrungen reduzieren, aber sie gehören ner Hand . Aber ein Ende der Ostförderung würde bedeu- dazu . Man kann lange darüber streiten, ob sich das alles ten, einen Motor abzuwürgen, den man gerade mit viel hätte anders und besser managen lassen . Einige Fehler – Aufwand zum Laufen gebracht hat . Das wäre grotesk . davon bin ich persönlich überzeugt – hätten sich schon vermeiden lassen . Aber eine Partei, die nach eigener De- Dann wäre vieles, ganz vieles umsonst gewesen . Eine finition immer recht hat, gibt es Gott sei Dank bei uns reine Ostförderung ist nach dem Auslaufen des Solidar- nicht mehr, und die Unfehlbarkeit ist meines Wissens pakts II im Jahr 2019 allerdings auch niemandem mehr dem Papst vorbehalten . zu vermitteln . Was unser Land deshalb für die Zeit nach dem Solidarpakt braucht, ist eine zuverlässige Förderung (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei der strukturschwachen Regionen in Ost und West . Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ich nehme sie jedenfalls für mich nicht in Anspruch und GRÜNEN) kann auch allen anderen nur abraten . (B) (D) Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, uns die Ge- Was der Osten außerdem braucht, ist ein fairer Bund-Län- schichte zurechtzubiegen und das zu beschönigen, was der-Finanzausgleich, der dafür sorgt, dass besonders in nicht ganz so gut gelaufen ist oder was vielleicht sogar den von Abwanderung betroffenen Regionen die zent- total schiefgelaufen ist . Das wäre Wasser auf die Mühlen ralen Aufgaben, etwa im Bereich der Daseinsvorsorge, der Vereinfacher und Populisten, die sich dann ihrerseits auch in Zukunft erfüllt werden können . die Vergangenheit zurechtbiegen und mit Halbwahrhei- Meine Damen und Herren, es gibt noch ein Thema, ten und Lügen auf Stimmenfang gehen . Wir dürfen kei- das mir auf der Seele liegt . Das ist die für 2019 verspro- ne nachträgliche Verklärung einer Diktatur hinnehmen, chene Angleichung der Renten in Ost und West . Ich bin in der es Bautzen und den Schießbefehl gab und in der man Jugendliche dazu gebracht hat, sich gegenseitig zu den Koalitionsfraktionen dafür dankbar, dass sie dieses bespitzeln . Und es darf nicht beschönigt werden, wenn Versprechen mit ihrem Antrag noch einmal bekräftigt es darum geht, welch totalen Umbruch die Ostdeutschen haben . erlebt haben und wie viele von ihnen dabei gescheitert (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sind . der CDU/CSU) Trotz alledem fällt meine Bilanz positiv aus . Der Auf- Es handelt sich um die letzte Rechtsungleichheit von grö- bau Ost ist insgesamt gelungen . Das Ziel gleichwertiger ßerer Bedeutung . Es geht dabei natürlich um die Vollen- Lebensverhältnisse ist in vielen Bereichen erreicht . Wir dung der sozialen Einheit . Die Rente, meine Damen und verfügen heute über eine moderne mittelständisch ge- Herren, darf nicht zum Symbol der Ungleichheit werden . prägte Wirtschaft und eine gut ausgebaute Infrastruktur . Massive Umweltschäden wurden beseitigt, die Städte (Zuruf von der LINKEN: Ist sie doch längst!) wurden saniert und viele Altbauten liebevoll restauri- ert . In vielen Bereichen ist der Angleichungsprozess gut Meine Damen und Herren, wir haben viel erreicht, vorangekommen . Aber – und das ist ein großes Aber – und den Rest schaffen wir auch noch . Die Deutschen in Ostdeutschland hinkt bei der Wirtschaftskraft und bei Ost und West, wir alle haben morgen allen Grund, zu fei- den Steuereinnahmen weiter deutlich hinterher . Die Ar- ern . Ich wünsche mir – nicht nur für diesen Tag – ein beitslosigkeit ist deutlich höher als im Westen, und die Deutschland, das seine Einheit feiert, ohne seine Ge- Löhne sind deutlich niedriger . Der Aufholprozess kommt schichte zu vergessen . schon seit Jahren nur noch sehr langsam voran . Die ost- Herzlichen Dank . deutsche Wirtschaft wächst zwar, aber die westdeutsche Wirtschaft wächst eben auch . Man könnte sagen: Wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12425

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Einheit ist auch dank des Mutes vieler Ostdeut- (C) Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die scher zustande gekommen . Die Vorteile für den Osten Fraktion Die Linke . sind offenkundig: Es ist ein Gewinn an Freiheit und De- mokratie . Nie wieder wird es eine Mauer in Deutschland (Beifall bei der LINKEN) geben . Wir haben eine funktionierende Wirtschaft, keine Mangelwirtschaft . Endlich hatten die Ostdeutschen eine Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): frei konvertierbare Währung, die statt der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute Mark der DDR, das heißt eine Währung, die man welt- halte ich meine letzte Rede als Fraktionsvorsitzender im weit einsetzen konnte . Deutschen Bundestag . Trotzdem: Die Vor- und Nachteile hängen von der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – subjektiven Bewertung jeder und jedes Einzelnen ab . Für Zurufe von der CDU/CSU: Ah! – Heiterkeit viele gab es eine Bereicherung, auch für mich; aber sehr bei der SPD) viele wurden auch arbeitslos . Ein 50‑Jähriger, der bis zur Rente arbeitslos blieb, hat die Bereicherung kaum emp- – Warten Sie! Los sind Sie mich noch nicht; denn ich funden . Und Männer sind anders gestrickt als Frauen . bleibe ja im Bundestag . Männer empfinden ihre Bedeutung nur über ihre beruf- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der liche Tätigkeit CDU/CSU: Schade!) (Unruhe bei der CDU/CSU, der SPD und Aber ich werde dann deutlich seltener und auch zu ande- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi ren Anlässen reden . Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Sie! – [BÜNDNIS 90/ (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir DIE GRÜNEN]: Aha? Vielleicht in Ihrer Ge- wissen gar nicht, ob wir uns freuen oder Mit- neration!) leid haben sollen!) – hören Sie doch mal zu! – und unterliegen dann noch Ich muss schon deshalb aufhören, weil ich jetzt länger dem Irrtum, dass sie, wenn sie höher bezahlt werden, eine Abgeordnetengruppe bzw . eine Fraktion leite als eine höhere Bedeutung haben . Frauen bringen neues Le- Herbert Wehner oder Wolfgang Mischnick . Da sagte ich ben zur Welt und haben deshalb eine andere Perspektive mir: Gregor, nicht übertreiben! als wir Männer . Aber auch für Frauen gab es Verluste, (Heiterkeit im ganzen Hause) und zwar insbesondere bei den Kindereinrichtungen . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (B) Lassen Sie mich etwas zur deutschen Teilung sagen . (D) GRÜNEN]: Oh ja! Frauen gehen in Kinder- Die deutsche Teilung war das Ergebnis der NS‑Diktatur einrichtungen!) und des Zweiten Weltkrieges, der 50 Millionen Men- schen das Leben kostete . Die Sowjetunion allein erlebte Wir Menschen sind außerdem so gestrickt: Wir genießen den Tod von 27 Millionen Menschen . Die Vernichtung weniger, was wir haben, und leiden mehr unter dem, was der europäischen Jüdinnen und Juden kostete 6 Millio- wir nicht haben . nen Menschen das Leben . Viele Länder waren zerstört, Nun lassen Sie mich aber auch Kritisches sagen . Un- auch Deutschland . Deutschland selbst verzeichnete ser Vorschlag für die Wirtschaft bestand 1990 darin, ab 6,3 Millionen Tote . 1 . Juli ein Jahr lang sämtlichen DDR-Unternehmen als Die Strafe der Siegermächte für Deutschland war eine Subvention die Lohnkosten zu erstatten, ein Jahr später Verringerung des Territoriums und letztlich auch die nur noch 90 Prozent davon, wieder ein Jahr später nur deutsche Teilung . West- und Ostdeutsche hatten keine noch 80 Prozent – also eine degressive Subvention über freie Entscheidung hinsichtlich des Systems . 1952 gab zehn Jahre hinweg . Alle Unternehmen hätten die Chance es die Stalin-Note mit dem Angebot geheimer Wahlen in gehabt, die Produkte in besserer Qualität oder auch neue beiden deutschen Staaten . Ich meine, Adenauer hätte da- Produkte herzustellen, dafür zu werben . Natürlich wären rauf eingehen sollen; auch bei diesem Weg viele Unternehmen in Konkurs ge- gangen, aber nicht so viele, wie es tatsächlich geschehen (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – ist . Stattdessen entschied die Treuhandanstalt: manchmal Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit Si- scheinbar – zum Beispiel, wenn Konkurrenz beseitigt cherheit nicht!) wurde –, manchmal tatsächlich eher willkürlich, manch- aber es gab schon den Kalten Krieg . mal auch sinnvoll . Das wichtigste Ergebnis der deutschen Einheit 1990 Nach Abschluss der Privatisierung Ende 1994 gab es bestand darin, dass durch diese Einheit ein Krieg zwi- nur noch 1,5 von einst 4,1 Millionen Arbeitsplätzen in schen den beiden deutschen Staaten ausgeschlossen den Treuhandunternehmen . Die Treuhandverluste bei der wurde . Wäre der dritte Weltkrieg in der Zeit des Kalten Privatisierung betrugen 200 Milliarden Euro . Wie jetzt Krieges je begonnen worden, dann hätte er – da waren festgestellt wurde, bleibt die Wirtschaft im Osten wohl fast ewig hinter der westdeutschen zurück . Nur die Poli- sich die USA und die Sowjetunion einig – zwischen den tik könnte wirksame Schritte dagegen einleiten . beiden deutschen Staaten begonnen . Uns alle hätte es nicht mehr gegeben . (Beifall bei der LINKEN) 12426 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Gregor Gysi (A) Was mich aber besonders störte, waren zwei Dinge: Ost und West und die Angleichung der Renten . Für die (C) der Mangel an Respekt vor ostdeutschen Biografien und gleiche Lebensleistung muss es endlich die gleiche Rente dem dortigen Leben und kein genaues Hinsehen . geben . ( [CDU/CSU]: Dummes (Beifall bei der LINKEN) Zeug!) Bevor ich wenige weitere Wünsche und Bitten über- Vieles musste überwunden werden – das steht fest –, mittle, muss ich Ihnen mittels eines jüdischen und des- aber einiges hätte sinnvoll in ganz Deutschland einge- halb wohl intelligenten Witzes die Dialektik erklären . Es führt werden können . Wenn man eine Gleichstellung der kommt ein Jude nach Hause und ist stark frustriert . Sein Frauen will, auch bei der Erwerbsarbeit, dann muss es Bruder fragt ihn, warum er so sauer sei . Er antwortet, genügend Kindertagesstätten und Nachmittagsbetreuung dass er wütend sei, weil er den Rabbiner gefragt habe, ob an Schulen geben . Da Ferien länger dauern als der Ur- er beim Beten rauchen dürfte, was dieser strikt verneint laub der Eltern, muss es Schulferienspiele und Kinderer- hätte . Sein Bruder erwidert, dass er ein Depp sei, weil er holungseinrichtungen geben . die Frage falsch gestellt habe . Er hätte fragen müssen, ob (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das gibt es er beim Rauchen beten dürfe, was der Rabbiner immer alles nicht?) erlaubt hätte . – Sehen Sie: Das ist die Dialektik . Das war nicht schlecht und hätte vom Osten übernom- (Beifall bei der LINKEN – Mark Hauptmann men werden können . [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen hat der Witz einen Bart!) (Beifall bei der LINKEN) Jetzt komme ich zu einigen Wünschen und Bitten, die Das gilt auch für Polikliniken, die wir jetzt Ärztehäuser über das hinausgehen, was ich eben in Bezug auf Ost/ nennen . West schon gesagt habe . Im Osten gab es bei der Bildung leider – wirklich lei- der; nicht zu vertreten – eine politische Ausgrenzung, Erstens . Wir müssen Flüchtlinge anständig behandeln aber keine soziale . Vor allem Kunst, Kultur und öffent- und Fluchtursachen wie Krieg, Rüstungsexporte, Hun- licher Nahverkehr waren für jede und jeden erschwing- ger, Armut und Rassismus bekämpfen . Aber wir dürfen lich . Heute kann die Tochter einer Hartz‑IV‑Empfängerin die Benachteiligten bei uns nicht vernachlässigen . Wir niemals die 9 .Sinfonie von Beethoven im Original hö- brauchen eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine ren, nur verquetscht auf dem Computer . Wir müssen uns soziale Mindestrente gegen Altersarmut . darüber wirklich Gedanken machen . (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) Zweitens . Wenn man einen Abstand zwischen Sozi- Lothar Späth hat mir erzählt: Als er die Geschäftsfüh- alleistungen und Erwerbseinkommen haben will, dann rung von Jenoptik übernahm, hat er sofort den Betriebs- braucht man einen höheren flächendeckenden gesetzli- kindergarten geschlossen, weil er der Meinung war: Das chen Mindestlohn: 10 Euro brutto die Stunde . sind völlig unnötige Kosten . Dann wollte er zwei fran- (Beifall bei der LINKEN) zösische Ehepaare, die hochqualifiziert waren, für sein Unternehmen gewinnen . Die hatten aber beide je zwei Drittens . Wir müssen die Mitte der Gesellschaft ent- Kinder und fragten ihn, ob das Unternehmen einen Kin- lasten . Es sind die mittleren Verdiener, die die Gesell- dergarten habe . Da sagte er: Natürlich nicht . Dann sag- schaft bezahlen, nicht die Vermögenden, nicht die mit ten sie: Dann kommen wir nicht .– Daraufhin hat er den hohen Einkommen – weil Sie sich an die nicht heran- Kindergarten wieder eröffnet . Manchmal lohnt es sich, trauen oder nicht heranwollen –, und nicht die Armen, länger nachzudenken . denn die können es nicht . Dasselbe Beispiel gilt für die (Beifall bei der LINKEN – Dr .Harald Terpe Wirtschaft: Die kleinen Unternehmen können nicht die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war das?) Steuern bezahlen, die Konzerne und die Banken drücken sich davor . Nur der Mittelstand bezahlt ehrlich die Steu- – In Jena . ern . Wir müssen lernen, die Mitte in der Gesellschaft zu Das Wichtigste ist: Wenn wir diesen Weg gegangen schützen . wären, wenn wir bestimmte Dinge eingeführt hätten, (Beifall bei der LINKEN) dann hätte das das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen gestärkt . Was aber noch wichtiger gewesen wäre: Die Viertens . Wir müssen die Bildungsstrukturen erwei- Westdeutschen würden mit der Vereinigung verbinden, tern . Ich bitte Sie: Wir haben 16 verschiedene Schul- dass in diesen Punkten ihre Lebensqualität gesteigert systeme, weil wir 16 Bundesländer haben . Das passt ins wurde . Das wäre doch viel positiver gewesen als die jet- 19 . Jahrhundert, aber nicht ins 21 . Jahrhundert . zige Einstellung . (Beifall bei der LINKEN – (Beifall bei der LINKEN) [CDU/CSU]: Das heißt, das bayerische für alle!) Trotzdem sage ich: Wir sind für die neue Generati- on gut vorangekommen bei der Herstellung der inneren Wir brauchen endlich flächendeckend Kitas, mehr und Einheit . Aber es müssen schnellstens zwei Dinge passie- gut bezahlte Erzieherinnen und vor allem Erzieher . Wir ren: die Angleichung der Löhne und der Arbeitszeit in brauchen in diesem Bereich Gebührenfreiheit und auch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12427

Dr. Gregor Gysi (A) ein gebührenfreies, gesundes, vollwertiges Mittagessen wir eine Streitdebatte, zum Beispiel zehn Minuten lang (C) sowohl in Kindertagesstätten als auch in Schulen . ein Streitgespräch zwischen Kauder und Gysi, immer redet jeder je eine Minute: Ich kann seinen Argumenten (Beifall bei der LINKEN) nicht ausweichen, er kann meinen Argumenten nicht aus- Fünftens . Wir müssen die prekäre Beschäftigung und weichen . Glauben Sie mir, es würde hier sehr viel span- die Altersarmut überwinden, jetzt und in Zukunft . nender werden, wenn wir solche Dinge im Bundestag ( [CDU/CSU]: Was wir einführen würden . nicht brauchen, ist die Linkspartei!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Sechstens . Wir müssen die schlechte Bezahlung der neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sogenannten Frauenberufe überwinden . Das heißt, end- Der Ruf der Politikerinnen und Politiker in unserer lich gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit . Gesellschaft ist ziemlich schlecht . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Dank Ih- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen!) Siebtens . Wir müssen zum Primat der Politik zurück, Das hat viele Gründe . Aber die wichtige Arbeit der Mit- und wir müssen die Macht der Banken und Konzer- glieder des Bundestages in den Ausschüssen kann die ne deutlich zurückfahren; ich erinnere an Bankenkrise Öffentlichkeit nicht wahrnehmen . Ich verstehe, dass man und TTIP . Dass die Deutsche Bank entscheidet, was die dort kameragerechtes Verhalten verhindern will . Aber Kanzlerin macht, und dass nicht mehr die Kanzlerin ent- vielleicht kann man Ausschusssitzungen teils öffentlich, scheidet, was die Deutsche Bank macht, muss geändert teils nichtöffentlich durchführen, damit die Bürgerinnen werden . und Bürger wissen, wo Abgeordnete außerdem arbeiten (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei und wie viel sie arbeiten . Abgeordneten der CDU/CSU) Auch die Fragestunde zur Politik der Bundesregierung Achtens . Wir müssen die Europäische Union und den muss meines Erachtens dringend kulturell belebt werden . Euro deutlich demokratischer, sozialer und ökologischer Zehntens und letztens . Ich wünsche mir eine andere hinsichtlich ihrer Wirkungen gestalten . politische Kultur . Ich weiß, dass die Union auch in den Neuntens . Wir haben eine geringe Wahlbeteiligung . seltenen Fällen voller Übereinstimmung zusammen mit Sozial Benachteiligte gehen nur noch zu 30 Prozent wäh- uns keine Anträge stellt . len . Sie überlegen sich, Wahllokale länger öffnen zu las- (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!) (B) sen . Das wird nicht helfen . Wir müssen die Demokratie (D) attraktiver machen . Ich glaube, das stärkt falsche Ansichten in der Union und bei uns . Denken Sie darüber nach . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Was halten Sie von einer dritten Stimme bei der Bundes- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tagswahl, mit der die Bürgerinnen und Bürger die Rei- henfolge auf der Liste der Parteien verändern können? Die repräsentative Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass unterschiedliche Parteien unterschiedliche In- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- teressen vertreten . Die meisten Linken haben begriffen, ruf von der SPD: Haben wir doch längst!) dass ein Bundestag ohne Union nicht gut wäre, weil dann Nicht nur die direkt Gewählten, sondern auch die auf bestimmte Interessen nicht mehr vertreten wären . Damit Listen Gewählten wären doppelt unterstellt: Sie müssten keine Missverständnisse aufkommen: Kleiner, auch deut- ihrer Partei so nahe sein, dass sie auf die Liste kommen, lich kleiner, dürfen Sie schon werden, aber nicht fehlen . und sie müssten den Bürgerinnen und Bürgern so nah (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Max sein, dass ihr Name von ihnen auch angekreuzt wird . Straubinger [CDU/CSU]: Wie großzügig!) Was halten Sie davon, dass jede Partei, die im Bun- Aber ich befürchte, dass es noch zu viele in der Union destag vertreten ist, anlässlich der Bundestagswahl eine gibt, die sich einen Bundestag ohne Linke gut vorstellen Frage an die Bevölkerung stellen kann, die mit Ja oder können . Nein zu beantworten ist? Das Bundesverfassungsgericht muss in einem kurzen Verfahren prüfen, ob sowohl die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Antwort „Ja“ als auch die Antwort „Nein“ grundgesetz- – Sehen Sie .– Damit verletzten Sie aber die repräsenta- gemäß ist . Außerdem muss es Begrenzungen hinsichtlich tive Demokratie; denn wir vertreten andere Interessen, der Bindungen des Bundeshaushalts geben, weil wir Lin- bei denen es vielleicht wichtig ist, dass auch diese im ken sonst mit unserer Frage gleich zwei Bundeshaushalte Bundestag vertreten sind . auf einmal ausgeben würden . Das verstehe ich . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Was halten Sie von einer Ergänzung unserer Debat- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – tenkultur? Bisher haben wir doch nur Reden . Wenn wir Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE nur Reden haben, entscheidet man selbst, auf welche Ar- GRÜNEN]: Der Wähler entscheidet!) gumente des Vorredners man eingeht oder nicht eingeht . Stellen Sie sich doch einmal vor, neben den Reden hätten Denken Sie darüber nach . 12428 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Dazu fehlt es jetzt nur noch an den erforderlichen Mehr- (C) Herr Kollege, denken Sie an die Zeit . heiten . ( [SPD]: Die letzte (Zuruf von der LINKEN: Wir arbeiten dar- Rede!) an!) Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem verein- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): ten Deutschland – an die Wiedervereinigung erinnern Das ist die letzte Seite, Herr Präsident . wir an diesem Wochenende in besonderer Weise – und dem Staat, der vor 25 Jahren dem Geltungsbereich des Ich wünsche mir ein anderes Verhältnis zu histori- Grundgesetzes beigetreten ist, besteht darin, dass in die- schen Persönlichkeiten . sem Parlament nicht nur überhaupt auch Minderheiten ( [CDU/CSU]: Stalin!) zu Wort kommen, sondern regelmäßig auch mit längeren Redezeiten als ihnen statistisch überhaupt zusteht . Ich kenne die Kritik der Linken an Bismarck . Sie ist berechtigt; trotzdem sage ich: Er war auch ein herausra- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der gender Mann . Ich weiß, dass an der Kremlmauer Clara SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordne- Zetkin und Fritz Heckert beerdigt sind, wichtige Persön- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lichkeiten . Wenn Sie Franzosen wären – ich schwöre es Nun tun wir so, als wäre das eine ganz normale Debat- Ihnen –: Selbst der konservativste Präsident wäre an den te . Ich rufe den nächsten Redner auf . Das ist der Kollege Gräbern vorbeigegangen und hätte schon mal eine Blu- Hauptmann für die CDU/CSU‑Fraktion . me niedergelegt . Noch nie war ein Bundespräsident dort, noch nie ein Kanzler oder eine Kanzlerin . Lassen Sie uns (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- diesbezüglich doch ein bisschen französische politische ordneten der SPD) Kultur und Toleranz einführen . Das stärkt Sie und uns und unser Land . Mark Hauptmann (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Ich neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN freue mich, dass der Bundesbeauftragte für die Stasiun- und des Abg . [SPD]) terlagen heute dieser Debatte beiwohnt .– Lieber Thü- ringer Landsmann Roland Jahn, seien Sie herzlich will- Zum Schluss . Ich habe bisher die Abgeordneten nie kommen bei dieser Debatte im Deutschen Bundestag . als Kolleginnen bzw . Kollegen begrüßt . Das wird Ihnen Verehrte Gäste und Freunde auf den Tribünen! gar nicht aufgefallen sein . Das hängt mit den Diskrimi- (B) (D) nierungen und Verletzungen zusammen, die ich erlebt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, habe, auch im Immunitätsausschuss . Die FDP hat bei der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- mir immer einen kleinen Stein im Brett, und zwar, weil SES 90/DIE GRÜNEN) sie als Einzige nicht mitgemacht hat . Inzwischen werde Herr Präsident, eine Regierungserklärung sieht schon ich aber auch mit Respekt behandelt . Nun muss auch ich anders aus . Wir haben hier einen Gregor Gysi erlebt, mir einen Ruck geben . Deshalb sage ich Ihnen jetzt: Herr der wie ein Hobbypsychologe die Geschichte verklären Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche will, wie er die Westanbindung Deutschlands ein Stück Ihnen allen aufrichtig beste Gesundheit, schöne Erleb- weit infrage stellt, das war schon ein starkes Stück, Herr nisse, viel Glück und nur ein wenig vom Gegenteil, um Kollege . Deswegen möchten wir Sie gleich einmal daran nicht zu verlernen, Glück zu schätzen . Außerdem wün- erinnern – damit Sie das auch nach Ihrer letzten Rede sche ich Ihnen allen größte politische Erfolge – natür- als Fraktionsvorsitzender nicht vergessen –: Es waren die lich nur insoweit, wie sie mit meinen politischen Sichten Adenauers, die Brandts und die Kohls, die die Einheit übereinstimmen . herbeigeführt haben und nicht die Lafontaines, die Hone- ckers und die Gysis dieser Republik . (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Es war das Volk!) Und da Sie für mich immer eine Herausforderung waren, was zweifellos zu meiner Entwicklung beigetragen hat, Liebe Kollegen, wir feiern morgen, am 3 .Oktober sage ich Ihnen auch: Danke . 2015, auch zentral hier, direkt vor dem Reichstagsgebäu- de, unser silbernes Einheitsjubiläum, 25 Jahre deutsche (Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Bei- Einheit . Dass Ostdeutschland in den letzten 25 Jahren fall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE enorm aufgeholt hat, das bestreitet niemand, nicht einmal GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/ Herr Gysi . Was mich an dieser Debatte allerdings immer CSU) wieder stört, ist der nostalgische Aspekt, der ein Stück weit mitschwingt, auch in Ihren Worten, wodurch unsere Präsident Dr. Norbert Lammert: geschichtliche Leistung ein Stück weit kleingeredet und Lieber Kollege Gysi, Ihre letzte Rede als Fraktions- auch verklärt wird . vorsitzender der Linken hatte ja streckenweise fast den Die immensen Anstrengungen der Menschen in Ost- Charakter einer Regierungserklärung . deutschland, die Solidarität der Bürger in Westdeutsch- (Heiterkeit im ganzen Hause) land, die Integration eines vereinigten Deutschlands Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12429

Mark Hauptmann (A) innerhalb der Europäischen Union quasi über Nacht, die neuen Bundesländer erlebt haben, zeigt, dass hier ein (C) der wirtschaftliche Erfolg, den wir heute im Jahr 2015 gewaltiger Fortschritt erzielt wurde . Wir haben heute bei feiern – all das sind Beispiele und Kennzeichen dafür, der Zahl der Arbeitslosen einen historischen Tiefstand: dass wir hier einen Transformationsprozess erfolgreich 750 000 Menschen in den neuen Ländern sind noch ar- gemeistert haben, der einmalig ist auf der ganzen Welt . beitslos; jeder Einzelne von ihnen ist zu viel . Aber das Darauf können wir stolz sein und sollten es auch . ist der niedrigste Stand, den wir seit 25 Jahren haben . (Beifall bei der CDU/CSU) Die Arbeitslosigkeit ist 18 Prozent geringer als 1991 . Die Deswegen geht es heute bei dieser Debatte nicht nur Arbeitslosigkeit in meinem Südthüringer Wahlkreis liegt um den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit – mit 5 Prozent knapp 1,5 Prozentpunkte unterhalb des die Staatssekretärin hat ihn vorgestellt –, sondern auch deutschen Bundesdurchschnittes . Das sind doch Leistun- um einen Antrag seitens der Koalitionsfraktionen, der die gen, die wir nach außen tragen können, auf die wir stolz deutsche Einheit als das würdigt, was sie ist, nämlich ein sein können, liebe Freunde . Erfolg und ein Geschenk unserer deutschen Geschichte . (Beifall bei der CDU/CSU) 80 Prozent der Menschen in den neuen Ländern erleben das auch persönlich so; sie erleben quasi die Wiederver- Diese Erfolge sehen wir nicht nur im Bereich der Le- einigung als das größte historische Glück, das sie erreicht bensqualität und nicht nur im Bereich des Umweltschut- haben . zes – knapp 5 Prozent des Staatsterritoriums in den neuen Mit den Worten „Wir sind das Volk“ haben die Ost- Ländern haben wir als Biosphärenreservate und Natur- deutschen Freiheit und ein besseres Leben angestrebt . parks unter besonderen Schutz gestellt –, sondern wir Sie waren auch in den schwierigen Jahren, die es nach sehen sie auch bei über 94 000 Arbeitsplätzen in inno- der Wiedervereinigung ohne Zweifel gab, in diesem vativen Bereichen der Forschung und Entwicklung und Transformationsprozess bereit, hart anzupacken und da- bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sich ran mitzuwirken, die deutsche Einheit zu einem gesamt- heute teilweise als Hidden Champions zu Weltmarktfüh- deutschen Erfolg zu machen . Diesen können wir heute rern entwickelt haben . Wer hätte vor 25 Jahren gedacht, feiern . dass wir Weltmarktführer in den neuen Ländern haben? Das hört sich immer sehr abstrakt an; dabei ist es (Zuruf von der LINKEN: Ja, warum denn unglaublich konkret, wenn es um die Lebensqualität der einzelnen Menschen geht, wenn es um den Um- nicht?) weltschutz in den neuen Ländern geht, wenn es um die Das ist ein Erfolg, den wir nicht kleinreden sollten . Wir bessere Anbindung Deutschlands in Europa durch eine (B) unterstützen ihn vielmehr mit den Instrumenten unserer (D) moderne Infrastruktur geht und wenn es darum geht, staatlichen Förderung . ZIM, INNO-KOM-Ost, aber auch wie es eine innovative Wirtschaft geschafft hat, sich in die Programmfamilie „Unternehmen Region“ zeigen, diesem Transformationsprozess von der Miss- und Plan- wirtschaft hin zur sozialen Marktwirtschaft zu verändern . dass wir als Staat unserer Verantwortung gerecht werden, Das sind ganz konkrete Leistungen, die wir hier heute weiterhin einen erfolgreichen wirtschaftlichen Aufstieg würdigen wollen . zu gewährleisten . Das schönste Geschenk haben sich letztendlich die Sehr geehrte Damen und Herren, eines darf man nicht Menschen selbst gegeben . Denn dank der Lebens- und vergessen: Wir sollten heute mit dieser Debatte keinen Arbeitsbedingungen und der medizinischen Versorgung Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SED‑Diktatur ist die Lebenserwartung in Ostdeutschland heute sieben ziehen . Werter Herr Kollege Gysi, man kann 25 Jahre in Jahre länger, als sie noch 1989 war . Das heißt, die Men- verschiedenen Bereichen und für verschiedene Aspekte schen profitieren selber davon und können tagtäglich durchaus nutzen. Ich empfinde es schon ein Stück weit nicht nur bei Besuchen von Bundesgartenschauen und als eine Schande, dass Sie und Ihre Kollegen als Nach- Landesgartenschauen erleben, dass blühende Landschaf- folgepartei der SED die Verantwortung für Stacheldraht, ten heute Realität geworden sind . Schießbefehl und Schlussverkauf in der Planwirtschaft (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – nicht aufgearbeitet, nicht analysiert und nicht geradege- Zuruf von der LINKEN: Ogottogott!) rückt haben . Dass wir es geschafft haben, in der Infrastruktur Lü- (Widerspruch bei der LINKEN) cken zu schließen und marode Infrastruktur zu besei- tigen – über die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ Es ist letztendlich ein Stück weit eine Schande der deut- wurden über 40 Milliarden Euro investiert und Schienen- schen Geschichte, dass Sie diese 25 Jahre nicht genutzt projekte und Autobahnprojekte aufgelegt –, zeigt doch haben . letztendlich, dass in vielen Bereichen unglaublich viel passiert ist . Dies kommt heute unserem gesamten Land (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – zugute und nicht nur den Ostdeutschen . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Junge, Junge!) Wachstum und Innovation sind ein Bereich, in dem in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt wurden, Sehr geehrten Kollegen, das ist nicht abstrakt . Das ist und das trotz des Strukturwandels, den wir in den letzten sehr konkret . Die Mehrheit Ihrer Regierungskoalition im Jahren durchschritten haben . Dieser Aufholprozess, den Thüringer Landtag beträgt eine Stimme, und das bei zwei 12430 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Mark Hauptmann (A) ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeitern der . Das ist anfangen, die Nationalhymne hier in diesem Haus mitzu- (C) die Realität im Jahr 2015 . singen . Da fängt es doch bereits an! (Thomas Jurk [SPD]: Das ist Demokratie! – (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Eine Schan- der LINKEN – Dr .Anton Hofreiter [BÜND- de ist das! – Zurufe von der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Also bitte, das ist Hier werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht . Die doch unwürdig! – [CDU/CSU], an Stasimitarbeiter von gestern sind heute noch in maßgeb- die LINKE gewandt: Ich schicke Ihnen ger- licher Verantwortung mit dabei . Das ist ein Stück weit ne mal den Text! Und den vom Grundgesetz eine Schande . gleich mit!) – Bleiben Sie doch ganz ruhig . Wer sich aufregt, hat per- Präsident Dr. Norbert Lammert: manent unrecht; das müssten Sie doch wissen . Herr Kollege Hauptmann, darf die Kollegin Wawzyniak Ihnen eine Zwischenfrage stellen? (Dr . [DIE LINKE]: Peinlich!) Sehr geehrte Damen und Herren, die Frau Kollegin Mark Hauptmann (CDU/CSU): hat mich gefragt, was wir ganz konkret machen, um den Gerne . Punkt der Erinnerungskultur zu würdigen; das war ja Ihre Frage . Da hilft ein Blick in den Antrag, den wir heute Halina Wawzyniak (DIE LINKE): verabschieden . Denn wir wollen mit diesem Antrag da- Herr Kollege Hauptmann, Sie haben gerade gesagt, für sorgen, dass auch weiterhin eine lebendige Kultur der dass die Vergangenheit nicht aufgearbeitet worden ist . Erinnerung gepflegt wird, wir wollen Wissensdefizite, Nun haben wir mit der Drucksache 18/3145 einen Ge- gerade der jüngeren Bevölkerung, bekämpfen, und wir setzentwurf zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher wollen – das ist der zentrale Punkt – das Gedenken an die Vorschriften und zur SED‑Opferrente vorgelegt, in dem Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft fortführen, wir unter anderem vorgeschlagen haben, dass auch die- jenigen unter das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz und das mit einem eigenen Denkmal an einem zentra- fallen sollten, die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen des len Ort hier in Berlin . Das ist Bestandteil dieses Antrags . MfS waren . Diesen Gesetzentwurf haben Sie mit brei- Wir verpflichten uns in dieser Legislaturperiode zu der ter Mehrheit abgelehnt . Der Kollege Vaatz hat sich dazu Initiative für dieses Denkmal für die Opfer der kommu- hinreißen lassen, zu sagen, dass dieser Gesetzentwurf nur nistischen Gewaltherrschaft . Das ist die große Leistung, (B) eingebracht worden ist, um den Staat zu zerstören . Wie die diese Regierungskoalition heute mit diesem Antrag (D) verträgt sich das in Ihren Augen damit, dass die Vergan- erbringt . genheit aufgearbeitet werden soll? (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: (CDU/CSU): Mark Hauptmann Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege . Werte Frau Kollegin, wenn der Thüringer Landtag feststellt, dass zwei ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi parlamentsunwürdig sind, Mark Hauptmann (CDU/CSU): Herr Präsident, ich komme zum Schluss .– Begonnen ( [DIE LINKE]: Danach hat sie habe ich mit den Worten „Wir sind das Volk“, dem zent- nicht gefragt! – [DIE LINKE]: Sie ralen Ausspruch der Bürgerinnen und Bürger, die diesen hat etwas ganz anderes gefragt!) Transformationsprozess herbeigesehnt und auch bewäl- dann erwarte ich von einer Partei – und auch von einem tigt haben . Heute können wir auch den zweiten Teil die- Regierungsbündnis –, dass sie ihre Mehrheit nicht von ser zentralen Aussage von 1989 bestätigen: Ja, wir sind diesen zwei Stimmen abhängig macht, sondern einen auch ein Volk, und wir gehen die Herausforderungen der ganz klaren Schlussstrich unter die Geschichte zieht . Zukunft, egal ob in Ost oder West, gemeinsam als ein Diesen Schlussstrich haben Sie nicht gezogen . Volk an . Das ist letztendlich die wunderschönste und ( [SPD]: Das war doch gar nicht die größte Errungenschaft, die wir nach 25 Jahren deutscher Frage! – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sie Einheit feiern können . können nicht antworten! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kriege ich auch eine Antwort Herzlichen Dank . auf die Frage?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Von daher sind die von Ihnen angesprochenen Punkte ordneten der SPD) keineswegs ernst zu nehmen . Herr Gysi, Sie haben uns ein langes Pamphlet vorge- Präsident Dr. Norbert Lammert: tragen und gesagt, wo Sie überall Veränderungen erwar- Stephan Kühn ist der nächste Redner für die Fraktion ten . Wir wünschen uns als Veränderung, dass Sie damit Bündnis 90/Die Grünen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12431

(A) Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren – die DDR so weit weg ist wie das Römische Reich . (C) NEN): Das darf nicht passieren; Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nen und Kollegen! Ich gehöre zu der Generation, die in SES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU) der DDR ihre Kindheit verlebt hat und im vereinigten daran müssen wir gemeinsam arbeiten . Deutschland aufgewachsen ist . Um zu sehen, was sich in den 25 Jahren nach der Wiedervereinigung entwickelt Der Bericht zum Stand der Deutschen Einheit stellt hat, brauche ich nur vor die Haustür zu treten . Meine zutreffend fest, dass der gesellschaftliche Umbruch – bis Berliner Wohnung liegt in der Oderberger Straße . Diese hin zu vielen einschneidenden Veränderungen im persön- lichen Leben – den Ostdeutschen viel abverlangt hat . Ich war 40 Jahre lang eine Sackgasse, denn an der Ecke Ber- finde, ihre Leistungen gilt es heute zu würdigen. nauer Straße verlief die Mauer . Von Westberliner Seite konnte man von einer Plattform in die Oderberger Straße (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- schauen . Heute sind die Häuser, die in den 80er‑Jahren SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und noch durch Neubauten ersetzt werden sollten, saniert . der SPD) Zahlreiche originelle Läden und Restaurants säumen die Ihr Wissen und ihre Erfahrungen – man könnte es auch Straße . Dort, wo früher der Todesstreifen verlief, pulsiert Transformationskompetenz nennen – brauchen wir er- heute im Mauerpark das Leben . neut; denn der demografische Wandel stellt insbesondere die ostdeutschen Bundesländer vor besondere Herausfor- An diesem historischen Ort wird versucht, das Wissen derungen . darüber zu erhalten, wie es war . Entlang des Grenzstrei- Der Aufholprozess Ostdeutschlands ist in den zu- fens ist eine bemerkenswerte Ausstellung über die Tei- rückliegenden Jahren vorangeschritten; aber er hat an lungsgeschichte entstanden . An diesem Ort lehrt uns die Dynamik verloren. Trotz unverändert breitflächiger Geschichte, dass Demokratie und Freiheit nicht selbst- Strukturschwäche in Ostdeutschland und einer seit Jah- verständlich sind, sondern immer wieder neu erkämpft ren stagnierenden wirtschaftlichen Angleichung gelingt und bewahrt werden müssen . es der Bundesregierung nicht, neue Impulse zu setzen . Um die zentralen Handlungsbedarfe im Jahresbericht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zusammenzufassen, braucht die Bundesregierung gerade sowie bei Abgeordneten der SPD und der eine DIN‑A4‑Seite . Es gibt keine vernünftige Analyse LINKEN) und auch keine Evaluation der bisherigen Maßnahmen, Es waren der Mut und die Entschlossenheit vieler Bür- aus denen sich Handlungsempfehlungen zur künftigen (B) Wirtschaftsförderung ableiten ließen . Wenn zum Bei- (D) gerinnen und Bürger in der damaligen DDR: Wären sie spiel die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ angeb- im Herbst 1989 nicht zu Hunderttausenden auf die Straße lich die Grundlage für einen erfolgreichen Aufbau Ost gegangen, dann hätten sie die SED‑Diktatur nicht zu Fall waren, warum ist dann trotz moderner Infrastruktur die gebracht, und es gäbe nicht seit 25 Jahren ein in Frieden Wirtschaftskraft in den letzten Jahren kaum gestiegen? und Freiheit vereinigtes Deutschland . Solche Fragen müsste man ehrlich beantworten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Bericht liefert viele Zahlen, aber keine neuen Ide- sowie bei Abgeordneten der SPD und der en . Ist die bisherige Form – eine Art Statistisches Jahr- LINKEN) buch – für Ostdeutschland überhaupt noch zeitgemäß? Seit dem 3 . Oktober 1990 haben die Menschen in Ost (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- und West einen beispiellosen Prozess des Zusammen- SES 90/DIE GRÜNEN) wachsens zweier, in vielerlei Hinsicht sehr unterschied- Das bloße Beschreiben des Status quo hilft doch nicht licher Systeme bewältigt . Dabei gab es nicht wenige weiter . Hindernisse zu überwinden: vom Rechts- und Staatsver- Wenn wir mit herkömmlichen Rezepten nicht weiter- ständnis über die Wirtschafts- und Arbeitswelt, das sozia- kommen, müssen wir uns fragen, wie ein selbsttragender le, kulturelle und gesellschaftliche Leben bis hin zur All- Zukunfts- und Entwicklungspfad für die neuen Länder tagssprache . Auf das Verdienst, diese Herausforderungen aussehen kann . Es hilft nichts, regelmäßig die Kleintei- bis heute so gut gemeistert zu haben, können wir in Ost ligkeit der ostdeutschen Wirtschaft und das Fehlen von und West gemeinsam stolz sein . Konzernzentralen zu beklagen . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, die Wirtschaftspolitik muss weg von der In- Dass inzwischen eine Generation junger Erwachse- vestitions- und Infrastrukturförderung hin zu einer Bil- ner in unserem Land lebt, die Mauer, Stacheldraht und dungs- und Innovationsförderung . Richtig ist dabei der die Teilung Deutschlands nur aus Büchern und Filmen Ansatz, die Förderprogramme der ostdeutschen Länder kennt, ist ein Glücksfall der Geschichte, was allerdings in ein gesamtdeutsches System für strukturschwache Re- nicht dazu führen darf, dass – um Freya Klier aus der gionen zu überführen . Wir müssen uns aber fragen, ob gestrigen Ausgabe der Leipziger Volkszeitung zu zitie- die derzeitigen Strukturen so beschaffen sind, dass die 12432 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Stephan Kühn (Dresden) (A) Eigenverantwortung und die Engagementbereitschaft der ischen Staates . – 1866! Stellen wir uns nur eine Minute (C) Menschen befördert statt behindert werden . lang vor, was uns allen erspart geblieben wäre, wenn wir diese Form von deutscher Einheit in einem gemeinsamen Patentrezepte gibt es freilich nicht . Wir werden regi- Europa schon vor 150 Jahren hätten realisieren können . onal angepasste Konzepte und Lösungen brauchen, zum Beispiel für die Lausitz, die sich durch das Auslaufen der Auch das gehört an einem Tag wie diesem einmal ausge- Kohleförderung und den demografischen Wandel mitten sprochen . im Strukturwandel befindet. Die Bundesregierung muss (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der aber endlich erkennen, dass sich die Neugestaltung der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]) Daseinsvorsorge beispielsweise im ländlichen Raum und das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht durch Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten eine Aneinanderreihung von Pilotprojekten und Modell- wir – gerade weil sehr viele jüngere Menschen anwe- vorhaben erreichen lassen . send sind – daran denken, was 1990 gelungen ist . 1990 ist es gelungen, dass letztendlich alle Parteien mit einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausnahme zum überwiegenden Teil gesagt haben: Wir sowie bei Abgeordneten der LINKEN) vollenden die Einheit .– An dieser Stelle muss auch ge- Ich sage das bewusst mit Blick auf die bevorstehen- sagt werden – das hätten die Kolleginnen und Kollegen de Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen . der CDU/CSU etwas verdeutlichen sollen –: Das ist und Denn dabei muss das eine zentrale Rolle spielen . bleibt das Verdienst von als Bundeskanzler . Das sollten wir ihm, gerade weil er nicht mehr unserem Herzlichen Dank . Hause angehört, noch einmal öffentlich zurufen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sowie bei Abgeordneten der LINKEN) CDU/CSU) Es gehört auch zur historischen Wahrheit, dass ohne Präsident Dr. Norbert Lammert: die Schlauheit von Gregor Gysi vielleicht die Volkskam- Das Wort erhält nun der Kollege Axel Schäfer für die mer der Bundesrepublik beigetreten wäre, aber nicht die SPD‑Fraktion . DDr . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das der CDU/CSU) stimmt!)

Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Auch das sollte man an dieser Stelle sagen: dass jemand, (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der zwar gegen den Beitritt gestimmt hat, aber dafür war, (D) 1950, angesichts der deutschen Teilung, schrieb Bertolt dass er möglich wurde . Brecht das prophetische Gedicht Kinderhymne: Auch wenn wir politische Gegner sind, kann man res- Anmut sparet nicht noch Mühe pektvoll sagen: Gregor Gysi, wir danken Ihnen für Ihre Leidenschaft nicht noch Verstand historische Leistung . Daß ein gutes Deutschland blühe (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wie ein andres gutes Land . neten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) NISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wir gehen nach Thüringen!) Dass dieses realisiert werden konnte, hat auch etwas mit unserem gemeinsamen Europa zu tun . – Dort habe ich zwei Jahre gearbeitet . 1990, nach der erfolgreichen friedlichen Revolution, Zur historischen Wahrheit gehört auch, dass wir bei haben im Europäischen Parlament unter Vorsitz eines der anderen entscheidenden Frage vor der Geschich- spanischen Christdemokraten, einer französischen Libe- te nicht versagt haben . Ich sehe, dass von damals noch ralen und einer dänischen Sozialdemokratin die Abge- mein Freund Michael Stübgen und ordneten den Weg planiert, dass wir durch die deutsche auf der SPD-Seite anwesend sind . Wir haben letztlich un- Wiedervereinigung nicht noch einmal der EU beitreten ser Versprechen gehalten, dass Berlin nach der deutschen mussten . Ohne den sozialistischen Kommissionspräsi- Wiedervereinigung Hauptstadt wird . Heute ist das alles denten Jacques Delors wäre das auch nie in so kurzer Zeit selbstverständlich . Aber fragen Sie einmal Bärbel Bas so problemlos gelungen . Es besteht eine ewig dauernde aus Nordrhein-Westfalen oder mich, was damals los war! Dankbarkeit unsererseits gegenüber unseren europäi- Denjenigen im Westen, die für Berlin waren, hat man ge- schen Nachbarn, dass dies damals so möglich war . sagt: Ende der Karriere! Du wirst nie etwas . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- etwas gibt es nur bei der SPD!) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir beide sind im Deutschen Bundestag angekommen . Es geht aber noch etwas weiter zurück . 1866 hat die (Thomas Jurk [SPD]: Das ist Solidarität!) Sozialdemokratie in ihrem ersten Wahlprogramm ge- schrieben: Wir wollen die deutsche Einheit und betrach- Es geht sogar weiter . Manch einer in diesem Hause, ten diese einfach als Anfang eines solidarischen europä- der sich heute für unfehlbar hält, hat sich damals geirrt, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12433

Axel Schäfer (Bochum) (A) weil er für Bonn gestimmt hat . Es ist schön, dass wir hier dankbar, dass es dort eine Versorgung mit Krippen- und (C) in Berlin gemeinsam angekommen sind . Kitaplätzen zu 90 Prozent gibt . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gute der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Regierung!) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Das sage ich als Westdeutsche, die in Hannover gebo- Ich will etwas Persönliches hinzufügen . Ich war glück- ren ist . Aber uns, auch denjenigen, die in Ostdeutsch- lich, mit meinem damals zehnjährigen Sohn am 2 . und land geboren sind wie mein Kollege Norbert Müller, ist 3 .Oktober in Berlin sein und an den Einheitsfeiern teil- ziemlich egal, ob wir aus West oder Ost kommen . Auch nehmen zu können . Heute bin ich noch glücklicher, weil Männer interessieren sich dafür, ob es ausreichend Kita- die deutsche Einheit für meine Familie zur Folge hatte, plätze gibt, und auch Frauen wollen arbeiten gehen . Die dass ich eine Schwiegertochter aus Mecklenburg-Vor- Klischees von Mann und Frau im Zusammenhang mit pommern habe . Berufstätigkeit treffen nach 25 Jahren so vielleicht nicht mehr zu . (Beifall des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Zuruf von der SPD: Ah! Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutsche Einheit!) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Willy Brandts Worte „Jetzt wächst zusammen, was zu- sammengehört“ haben hier für mich eine besondere Be- Der Grund, warum ich denke, dass es wichtig ist, kei- deutung . nen Schlussstrich zu ziehen, ist, dass die Mauer – daran müssen wir uns immer wieder erinnern – nicht einfach Ich will mit Bertolt Brecht auch schließen . Seine Kin- umgefallen ist, sondern dass Menschen, die teilweise auf derhymne endet mit den Worten: brutalste Weise verfolgt wurden, dafür eingetreten sind, nicht mehr in einer Diktatur und in einem Willkürstaat, Und weil wir dies Land verbessern sondern in Frieden und Freiheit zu leben . Gerade in die- Lieben und beschirmen wir‘s sen Tagen sollte man sich des Kampfes für Freiheit, den Und das liebste mag‘s uns scheinen einige vor 25 Jahren geführt haben, immer wieder be- So wie andern Völkern ihrs . wusst sein. Wir sollten uns an die Botschaftsflüchtlinge Vielen Dank . und die Fluchthelfer erinnern . Wenn wir uns das in Erin- nerung rufen, dann denken wir auch an das, was Sie zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Recht angesprochen haben, nämlich die herben Brüche, der CDU/CSU und der LINKEN) (B) die Unsicherheiten, die existenziellen Ängste und auch (D) daran, was es bedeutet, wenn man über Jahrzehnte nicht Präsident Dr. Norbert Lammert: arbeiten kann . Ich erteile das Wort der Kollegin Baerbock für die Wenn wir uns das vergegenwärtigen, dann sollten wir Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . die Beschlüsse, die wir in der nächsten Sitzungswoche hier fassen wollen, noch einmal überdenken . Es reicht Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht, wenn wir den Menschen, die für Freiheit kämp- NEN): fen, die vor Diktatur geflohen sind, sagen: Ihr könnt bei Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- uns arbeiten, aber erst nach 15 Monaten . – Das sollten legen! Ich bin Ihnen, Frau Gleicke, sehr dankbar, dass wir uns gerade bei solchen Feierlichkeiten immer wieder Sie in Ihrer Rede betont haben, dass es keinen Schluss- vergegenwärtigen . strich geben wird . Angesichts mancher Redebeiträge in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieser Debatte frage ich mich aber, ob das bedeutet, dass sowie bei Abgeordneten der SPD und der wir heute die gleiche Diskussion wie vor 25 Jahren füh- LINKEN) ren müssen . Herr Hauptmann, sorry, aber wenn Sie den Stand der deutschen Einheit daran messen, wer die Nati- Wir sollten uns auch vergegenwärtigen, warum die onalhymne mitsingt, dann könnten wir Brandenburg aus IHKen, die Kammern, in Ostdeutschland gerade jetzt der Bundesrepublik Deutschland komplett ausschließen . wieder fordern, dass Flüchtlinge eine Ausbildung begin- Wir, alle Fraktionen und die Menschen aus Brandenburg, nen können, haben dort in der letzten Woche 25 Jahre Landtag gefei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ert und dabei Ode an die Freude gesungen oder nur zu- SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) gehört . Die Nationalhymne spielte jedenfalls dabei keine Rolle . nämlich weil wir einen Fachkräftemangel haben, wie Ihr Bericht ja auch betont. Warum findet sich das in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorschlägen der Bundesregierung zur Flüchtlingspolitik und bei der LINKEN – Michael Grosse- nicht wieder, obwohl Sie es in Ihrem Bericht selber an- Brömer [CDU/CSU]: Schlimm genug!) sprechen und es ausgerechnet die IHKen, die Kammern, Herr Gysi, Sie haben als Beispiel die Krippenplätze immer wieder gefordert haben? genannt . Das ist nun 25 Jahre her . Ich habe zwei kleine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinder, die in Brandenburg in die Kita gehen . Ich bin sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 12434 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Annalena Baerbock (A) Wenn man Ihren Bericht liest und sich auch den demo- Es wäre aus meiner Sicht eine Aufgabe für einen solchen (C) grafischen Wandel anguckt, dann sollte man in der Dis- Bericht, auch das anzusprechen; denn sonst beschreiben kussion über die Flüchtlingskrise doch auch die Chancen wir immer nur den Sachstand und kommen von diesen sehen, gerade für Ostdeutschland . Ich meine nicht, dass Unterschieden nicht weg . wir sagen sollten: „Da steht alles leer; jetzt sollten dort Da wäre ein Ansatz zum Beispiel, zu sagen: Wir gu- alle einquartiert werden“, sondern ich meine die kleinen cken in Ostdeutschland nicht nur auf die Existenzförde- positiven Beispiele, das, was Menschlichkeit ausmacht . rung – So gibt es in Märkisch-Oderland ein Dorf, das aus- stirbt, 850 Einwohner . Die Grundschule sollte geschlos- Präsident Dr. Norbert Lammert: sen werden, weil es statt der notwendigen 15 Erstklässler Frau Kollegin . kurz vor der Einschulung nur noch 14 Erstklässler gab . Dort gibt es einen Bürgermeister, der sagt: In der Erst- aufnahme in Eisenhüttenstadt leben derzeit so viele Fa- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- milien mit Kindern . Könnten nicht welche in unser Dorf NEN): kommen? – Die wurden nicht zwangszugewiesen; nein, – ich komme zum Schluss –, weil das große Problem in es wurde proaktiv darauf zugegangen und aufgezeigt, Ostdeutschland die Unternehmensnachfolge ist . Wenn in dass doch welche in dieses Dorf kommen könnten . Das einer Region 7 500 Unternehmen keinen Nachfolger fin- hat dazu geführt, dass diese Grundschule, die eigentlich den, dann geht es auch bei im Schnitt nur 10 Beschäftig- keine erste Klasse mehr haben sollte und damit über kurz ten um 75 000 Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlie- und lang hätte geschlossen werden müssen, durch die ren könnten . Da müssen wir zum Beispiel in die Lausitz sechs syrischen Kinder, die dort mit eingeschult wurden, schauen . Wir müssen auf die Nachfolge bei diesen Un- sozusagen wieder zum Leben erweckt wurde und das ternehmen schauen und nicht immer nur auf die großen Dorf eine neue Zukunft bekommen hat . Konzerne, Vattenfall zum Beispiel, wo 8 000 Menschen beschäftigt sind . Das funktioniert nicht überall problemlos; auch dort wird es Herausforderungen mit sich bringen . Aber das Herzlichen Dank . sind Maßnahmen und Geschichten, die wir in den Vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dergrund rücken sollten . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir den demografischen Wandel beklagen, wenn wir sagen: „Leider wandern die Menschen gera- Präsident Dr. Norbert Lammert: de aus den ländlichen Regionen ab“ – darauf ist mein Das Wort erhält nun der Kollege Peter Ramsauer für (B) Kollege Stephan Kühn schon eingegangen –, dann muss die CDU/CSU-Fraktion . (D) es doch die Aufgabe eines politischen Berichts sein, hin- zuzuschreiben: Und das sind die Maßnahmen, mit denen (Beifall bei der CDU/CSU) wir dagegen angehen . Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und bei der LINKEN) Kollegen! Wir können heute wirklich sagen, dass wir zu Ich glaube, aktuell haben wir viele Chancen, die wir in unserem Glück seit 25 Jahren wiedervereinigt sind . Wo dieser Krise nutzen sollten . stünde die frühere DDR, und wo stünde die Bundesre- publik Deutschland, wenn dies nicht erfolgt wäre? Ich Ich würde gern noch auf einen anderen Punkt in Ihrem bin stolz darauf und glücklich darüber, dass ich – mit gar Bericht eingehen, Frau Gleicke . Sie hatten beim letzten nicht mehr so vielen Kolleginnen und Kollegen – diesem Bericht betont, dass Sie es nicht sonderlich hilfreich fin- Parlament genau diese 25 Jahre angehöre . den, wenn wir nur Zahlen und Fakten aneinanderreihen . Das ist jetzt leider wieder genau so passiert . Gerade beim Aus der Distanz von 25 Jahren erscheint uns all dies Thema „Rückstand bei der Wirtschaftskraft“ – ein Drittel ziemlich selbstverständlich . Auf den Tribünen sitzen niedriger als in Westdeutschland – fällt mir das besonders heute wieder viele junge Menschen . Ich diskutiere sehr auf . Es hilft nicht, wenn wir pauschal sagen – selbst wenn viel mit jungen Besuchern und mit Schülergruppen . Da- Sie im Wirtschaftsministerium angesiedelt sind –: Wir bei mache ich immer wieder die Erfahrung, dass 25 Jahre setzen die Wirtschaftsprogramme so fort, wie wir das Wiedervereinigung, dass das wiedervereinigte Deutsch- auch in Westdeutschland tun . – Wenn in Ostdeutschland land, dass die Tatsache, dass die Mauer gefallen ist, dass kein einziges DAX-Unternehmen zu Hause ist, wenn Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen der Vergangen- dort die Wirtschaft vor allen Dingen mittelständisch ge- heit angehören, als selbstverständlich betrachtet werden . prägt ist, dann können wir doch nicht eine Mittelstands- Wenn man diesen jungen Menschen dann berichtet, politik betreiben, die für den Westen geschrieben ist, wo, wie das damals war, was man selbst miterlebt hat, dann in Baden-Württemberg etwa, ein KMU 500 Mitarbeiter beschleicht einen dasselbe Gefühl, das unsereins in die- hat, während es in Brandenburg 50, wenn nicht gar nur sem Alter hatte, wenn früher ältere Menschen oder die 10 hat . Wir brauchen eine Mittelstandspolitik, die genau eigenen Eltern über den Zweiten Weltkrieg berichtet ha- auf die besonderen Herausforderungen dort abgestellt ist . ben . Das ist die gleiche, quasi historische, zeitliche Dis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tanz . Deswegen ist es ungeheuer wichtig, dass wir gerade sowie bei Abgeordneten der LINKEN) auch der jungen Generation über all diese Dinge berich- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12435

Dr. Peter Ramsauer (A) ten . Es ist auch ungeheuer wichtig, dass heute, Herr Prä- Bayerns Beitrag zum Fall des Unrechtsstaates; denn so (C) sident, diese Debatte in unserem Parlament geführt wird . blieben wir Deutsche, was wir trotz Teilung immer wa- ren: ein Volk . (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Siegmund Ehrmann [SPD]) Trotz all dieser Freude dürfen wir die Opfer der DDR nicht vergessen . Wir halten die Erinnerung wach an die Das sollte eigentlich eine Binsenweisheit sein: Selbstver- Helden und Toten des 17 . Juni . Wir denken an die, die ständlich ist in der Geschichte nichts . resignierten und in die innere Emigration flüchteten. Wir Daher ist die Frage berechtigt: Wem haben wir denn fühlen mit den Unzähligen, die Opfer von Bespitzelung, diese Wiedervereinigung zu verdanken? Sie ist zualler- Willkürjustiz und Rechtsbeugung waren, und wir neh- erst – dazu ein klares Ja – dem Mut und dem Freiheits- men Anteil am Schicksal derer, die Gefangene in Hohen- willen der Menschen in der DDR zu verdanken . Und – schönhausen, Bautzen, Schwedt und anderswo waren . Ja, meine Damen und Herren, das gehört auch dazu – wir die DDR war ein Unrechtsstaat, nicht nur in der Konse- haben dies Helmut Kohl zu verdanken, weil er die Zei- quenz, sondern auch von Grund auf . chen der Zeit richtig deutete . Weil er in der deutschen Wiedervereinigung niemals nur eine deutsch-deutsche Heute steht Deutschland herausragend da . Wir sind Frage sah, sondern eine zutiefst europäische Frage sah, stark nach innen und nach außen, und wir tragen die ent- und weil er dies alles in einen europäischen Zusammen- sprechende Verantwortung . Aber wenn wir diese starke hang einbettete, hatten wir das Vertrauen unserer europä- und großherzige Gesellschaft, die wir sind, bleiben wol- ischen Freunde und Partner . len, dann müssen wir auch erkennen, wo unsere Gren- zen sind; denn die Bindekräfte unserer Gesellschaft sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht grenzenlos, sondern sie sind endlich . Ich sage des- ordneten der SPD) halb mit ausgesprochen großer Besorgnis: Wenn heute Die Menschen in der DDR wollten den maroden Un- mehr Menschen als Flüchtlinge zu uns kommen als bei terdrückerstaat nicht reformieren . Nein, sie wollten ihn uns geboren werden, dann zeigt das: Die Grenze unserer vollkommen überwinden . Sie wollten Freiheit statt Sozi- Aufnahmefähigkeit ist erreicht . alismus . Sie wollten soziale Marktwirtschaft anstatt sozi- (Beifall bei der CDU/CSU) alistischer Mangelwirtschaft . Sie wollten Menschen- und Bürgerrechte anstatt Ideologie und Klassenkampf . Sie Wir müssen deswegen Zuwanderung begrenzen . Wenn wollten die Einheit, und zwar schnell . Sie wollten auch wir eine Gesellschaft des Miteinanders bleiben wollen die Wirtschafts- und Währungsunion zum 1 .Juli 1990 und keine des Neben‑ und Gegeneinanders werden wol- einführen – mit der Begründung: Wenn die Mark nicht zu len – die Krawalle und Kämpfe in den Aufnahmelagern (B) uns kommt, dann kommen wir zur Mark . Unser Dank gilt lassen grüßen –, dann müssen wir entscheiden, wer zu (D) daher auch den Architekten der Wirtschafts-, Währungs- uns kommen kann und wer nicht . Wer sonst, kann man und Sozialunion und Wolfgang Schäuble . fragen, wenn nicht wir, sollte das in bestmöglicher Weise Sie haben zusammen mit Sabine Bergmann-Pohl und tun? Dafür muss Europa Fluchtursachen bekämpfen, sei- Lothar de Maizière die Einheit in Freiheit vollendet . ne Außengrenzen schützen und mit den Mitgliedstaaten in der Europäischen Union feste Aufnahmekontingente Meine Damen und Herren, dass dies alles überhaupt verabreden . so kommen konnte, verdanken wir Deutsche – lassen Sie mich dies ausdrücklich unterstreichen – einem europäi- Meine Damen und Herren, es klingt banal, aber den- schen Bayern, vielleicht dem glühendsten Verfechter der noch ist es so: Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht deutschen Einheit, Franz Josef Strauß . ganz dicht . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Zurufe von Abgeordneten der SPD und des GRÜNEN]: Das auf Menschen zu beziehen, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ah! – Zu- das gibt es doch nicht!) rufe von der LINKEN) Wir müssen alles dafür tun, dass wir weltoffen bleiben; – Sie sollten sich für diese komische Reaktion schä- aber wir dürfen nie grenzenlos werden . Wir brauchen im- men . – Herr Gysi, ich lobe Sie ausdrücklich: Ihnen ist mer die Rückbindung an die eigene kulturelle Identität, das nicht herausgerutscht, jawohl, aber den anderen . (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Wir brauchen ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Mauer!) NEN]: Ich bin nicht wegen Strauß auf die an die gemeinsam getragene Verbindlichkeit unserer Straße gegangen!) Leitkultur . Danke, dass dieser Begriff der Leitkultur in- Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, zwischen auch von anderen Parteien dieses Hauses ganz dass sich Bayerns Klage gegen den Grundlagenvertrag selbstverständlich gebraucht wird . als Glücksfall der deutsch-deutschen Geschichte erwie- (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sie wollen sen hat; denn das Bundesverfassungsgericht hat klipp die Mauer wiederhaben!) und klar festgelegt: Das Wiedervereinigungsgebot ist für alle Verfassungsorgane bindend, und das Grundge- Ich kann mich an Zeiten vor wenigen Jahren erinnern, als setz gilt für alle Deutschen, auch für die Menschen in von den Unionsparteien und gerade von dir, liebe Gerda der DDR . – Das waren die Kernsätze des Urteils . Die Hasselfeldt, dieser Begriff gebraucht und man hämisch Verweigerung der völkerrechtlichen Anerkennung war beschimpft wurde . Gut, dass dieser Begriff der deutschen 12436 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Peter Ramsauer (A) Leitkultur, der Gültigkeit hat, nun auch zur Selbstver- Trotz großen Engagements konnten viele Selbststän- (C) ständlichkeit in anderen Parteien geworden ist . dige langfristig nicht bestehen . Neben der mangelnden Erfahrung und den völlig veränderten Rahmenbedin- (Beifall bei der CDU/CSU) gungen fehlte es oft am nötigen Kapitalstock, um Zah- Ja, wir müssen uns dazu bekennen – ohne Angst, aber lungsausfälle zu verkraften und die nötigen Investitionen auch ohne Träumereien . zu stemmen . Nicht zuletzt hat die desaströse Privati- sierungspolitik der Treuhandanstalt dafür gesorgt, dass Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vergangenen häufig nur die unliebsame Ostkonkurrenz aus dem Weg 25 Jahre haben gezeigt, was wir Deutsche alles schaf- geschafft wurde . Echte Investitionen, aus denen sich fen können: eine Wiedervereinigung, die ohne Rezept- konkurrenzfähige Unternehmen entwickeln konnten, buch, ohne irgendein Beispiel in der Geschichte von uns waren eher die Ausnahme; verlängerte Werkbänke ja, geschafft wurde . Wir haben gelernt, dass Einigkeit und Unternehmenszentralen nein . Recht und Freiheit Errungenschaften sind, die immer wieder aufs Neue errungen werden müssen . Ich ermah- Damals wurde die Grundlage für die jetzige kleinteili- ne und ermuntere uns: Lassen Sie uns diesen Tag zum ge Wirtschaftsstruktur im Osten gelegt, was die wesent- Anlass nehmen, unsere Anstrengungen für ein gemeinsa- liche Ursache für das noch immer niedrigere Produktivi- mes, gutes Deutschland fortzusetzen . täts- und Lohnniveau ist . Viele Familien wurden durch die Abwanderung gerade junger Leute auseinandergeris- Vielen Dank . sen . Das hat gerade auch die ältere Generation schmerz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . lich erfahren müssen . Neben den gesellschaftlichen Ver- Sabine Poschmann [SPD]) änderungen und den vielen Umwälzungen im Leben der Ostdeutschen waren die letzten 25 Jahre so auch ein Ab- schied von falschen Vorstellungen . Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Thomas Jurk für die Bei all den Spuren, die dies bei den Ostdeutschen hin- SPD-Fraktion . terlassen hat, ist die deutsche Einheit politisch jedoch unzweifelhaft geglückt; denn die wesentlichen Ziele der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ostdeutschen von 1989 wurden erreicht: Demokratie, der CDU/CSU) Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, ein besserer Lebensstan- dard oder die Verbesserung der einst katastrophalen Um- Thomas Jurk (SPD): weltsituation . Wer unsere Städte und Gemeinden heute Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten anschaut und mit der damaligen Tristesse vergleicht, der weiß auch, was in den letzten 25 Jahren städtebaulich (B) Damen und Herren! Das geeinte Deutschland gibt es (D) seit nunmehr 25 Jahren . An Situation und Stimmung des Unglaubliches geschaffen wurde . Jahres 1990 vermag ich mich irgendwie noch gut zu er- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- innern: Ich war seit knapp einem Jahr Mitglied der Sozi- wie bei Abgeordneten der LINKEN und des aldemokratischen Partei, kandidierte für den Sächsischen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Landtag und arbeitete immer noch bei der PGH, der Pro- Ich denke hier nur an die Stadt Görlitz in meinem Wahl- duktionsgenossenschaft des Handwerks, Elektro‑Rund- kreis, die aus diesem Grund inzwischen ein Produktions- funk‑Fernsehen in Weißwasser . standort für internationale Kinoproduktionen geworden Der Umbruch war 1990 mit Händen greifbar . Noch ist . herrschte eine gewisse Unbefangenheit im Umgang mit Zu den großen Erfolgen der deutschen Einheit gehört den gesellschaftlichen Veränderungen . Aber, viele Men- zweifellos die Integration Ostdeutschlands in die sozi- schen hatten große Hoffnungen, die Hoffnung, dass die alen Sicherungssysteme der alten Bundesrepublik . Die ostdeutschen Betriebe in der Marktwirtschaft bestehen gesundheitliche Versorgung hat sich deutlich verbessert, würden, die Hoffnung, dass viele Investoren kommen und so ist es nicht verwunderlich, dass die Lebenserwar- und neue Arbeitsplätze schaffen würden, die Hoffnung, tung seitdem stark gestiegen ist . als Selbstständiger den eigenen Lebensunterhalt bestrei- ten zu können, oder die Hoffnung, im goldenen Westen Auch wenn es leider noch Unterschiede bei der Ren- sein Glück machen zu können . tenberechnung gibt, war die Einführung des umlagefi- nanzierten dynamischen Rentensystems im Zuge der Einige dieser Hoffnungen haben sich erfüllt, andere deutschen Einheit ein Meilenstein, konnten so doch die haben sich als Illusion erwiesen . So blieb von den eins- Rentnerinnen und Rentner in den neuen Ländern mit tigen ostdeutschen Unternehmen nicht viel übrig . Bei- deutlichen Rentensteigerungen an der Lohnentwicklung spielsweise sind von den 110 000 Arbeitsplätzen im ost- der Beschäftigten teilhaben . All dies war und ist noch im- deutschen Braunkohlebergbau vor 25 Jahren heute nur mer mit einem gewaltigen Finanztransfer von West nach noch ein paar Tausend erhalten geblieben . Die Auswir- Ost verbunden – eine großartige Solidarleistung, über die kungen dieses gigantischen Strukturbruchs spürt man in man immer wieder froh und dankbar sein sollte . meiner Region immer noch deutlich . Ich spreche dies an dieser Stelle an, da ja gelegentlich die Auffassung ver- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) treten wird, der Strukturwandel müsse nun endlich be- Dennoch hatten die Ostdeutschen in das wiederverein- ginnen . Vielmehr muss er auch weiterhin mit staatlicher te Deutschland mehr als nur das Ampelmännchen oder Begleitung forciert werden . den grünen Pfeil einzubringen . Ich will an dieser Stelle Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12437

Thomas Jurk (A) aber auch meine Hochachtung und meinen Respekt für völlig neue Landschaft entstanden . Die Wunden der (C) all jene Menschen aus Ost und West zum Ausdruck brin- DDR-Wirtschaft sind hier geschlossen . gen, die in Ostdeutschland eine gewaltige Aufbauleis- (Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE tung auf sich genommen und einfach angepackt haben . LINKE]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Sicherlich schon vergessen ist, dass hier über wie bei Abgeordneten der LINKEN und der 40 000 Bergleute über Nacht ihren Job verloren haben . Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Nicht vergessen werden darf, dass der deutsche Sozi- GRÜNEN]) alstaat mit seinen Sozialsystemen und die vielen enga- Es geht der großen Mehrheit der Ostdeutschen nach gierten Gewerkschafter und Betriebsräte den Prozess des eigener Auskunft heute viel besser als vor 25 Jahren . Wandels mit viel Weitsicht getragen haben . Ganz persön- Wenn wir heute Bilanz ziehen, können wir mit gutem lich sage ich hier meinem SPD-Kollegen Recht sagen: Das meiste ist geglückt, und wir haben vie- ein herzliches Dankeschön . Er ist ein Gewerkschafts- les erreicht . Es sicherlich wichtig, an Tagen wie diesen mann der ersten Stunde, der mit all seinen Erfahrungen innezuhalten und auf unsere Geschichte zurückzuschau- und seinem Engagement zu uns in den Osten gekommen en . Jedoch ist die deutsche Einheit für mich weniger ein ist . Feiertag, an dem wir gemeinsame Erinnerungen auffri- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schen, sondern vielmehr eine Aufgabe, eine Aufgabe, an der SPD) der wir alle gemeinsam weiterarbeiten müssen . Das war und ist gelebte Solidarität unter Deutschen, die Bei allem Für und Wider: Wir Deutschen können zu aus zwei völlig verschiedenen Welten zueinander gefun- Recht stolz auf unsere staatliche Einheit sein . den haben . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Landwirt- wie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]) schaftspolitikerin greife ich hier ein besonderes Thema der deutschen Einheit auf: die Landwirtschaft . An die- Präsident Dr. Norbert Lammert: sem Wochenende feiern wir in allen Regionen Deutsch- erhält nun das Wort für die CDU/ lands das Erntedankfest . Der Geburtstag der deutschen Einheit passt dazu . Wir alle sagen den unzähligen Men- CSU-Fraktion . schen Dank, die sich Tag für Tag um landwirtschaftliche (Beifall bei der CDU/CSU) Produkte und Lebensmittel kümmern – bei jedem Wetter und zu allen Zeiten . Ihnen gebühren dafür Achtung und (B) (D) Katharina Landgraf (CDU/CSU): Anerkennung . Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kollegen! Liebe Gäste! Zahlenspiele zum Stand der ordneten der SPD) deutschen Einheit sind nicht mein Ding . Die überlasse Wer jedoch meint, man könnte die Landwirtschaft in ich gerne den Wirtschaftspolitikern . Deutschland wie andere Wirtschaftszweige zurückbauen, Es gibt zu unserem heutigen Thema viele kräftige der ist auf dem berühmten Holzweg; denn zu den wich- schwarze Zahlen, die mein Kollege Hauptmann schon in tigsten Lebensthemen gehört die Ernährung der Men- die Debatte eingebracht hat . Die roten Zahlen überlasse schen . Das ist für uns in der Union ein fundamentaler ich gerne der Opposition; denn ich will Ihnen, liebe Kol- Wert . Die Landwirtschaft darf kein Spielball von Ideo- leginnen und Kollegen, nicht die Show stehlen . Die gol- logen sein . denen Zahlen, die den Gesamterfolg des Unternehmens (Beifall bei der CDU/CSU) deutsche Einheit untermauern, entnehmen Sie bitte dem Jahresbericht der Bundesregierung . Für die Landwirtschaft in den jungen Bundesländern war der Eintritt in das geeinte Deutschland eine unglaub- Daneben gibt es auch noch die grünen Zahlen . Die liche Herausforderung . Es war am Ende eine ganz spezi- überlasse ich nicht der Grünenfraktion; die lasse ich mir elle Reifeprüfung . Kurz und knapp: Der Systemwandel nicht streitig machen . Grüne Zahlen sind für mich bei- ist gelungen . Er hat vor allem in den 90er-Jahren viel spielsweise die Milliardensummen für die Bergbausanie- Kraft gekostet . Die Landwirtschaft im Osten ist heute rung seit 1991 . modern und leistungsstark . Sie ist und bleibt der ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . scheidende Faktor für lebendige ländliche Räume . Heute Ulrich Freese [SPD]) können wir sagen: Die gesamte deutsche Landwirtschaft ist gelebte Einheit in Vielfalt . Mein Wahlkreis ‑Land profitiert von diesem wohl stärksten Programm für den Osten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Augenblick hier und jetzt empfinde ich persönlich als Gnade. Die gibt (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es in der grauen und ungeliebten Politik auch . NEN]: Ja, aber schauen Sie einmal nach Bay- Am Abend des 2 .Oktober 1990 stand ich auf den Stu- ern!) fen des Reichstages und blickte in Richtung Westen . Ich Kommen Sie einmal nach Ostdeutschland und nach sah auf eine riesige, fröhliche Menschenmenge, die zu Mitteldeutschland . Das müssen Sie sehen! Hier ist eine uns herauf Richtung Osten blickte . Wir Volkskammerab- 12438 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Katharina Landgraf (A) geordnete waren an diesem historischen Abend mit unse- Jetzt zum 25 .Geburtstag der Einheit habe ich einen (C) rer Arbeit fertig . Um Mitternacht war mein Arbeitsplatz besonderen Wunsch: Es sollte künftig jährlich einen in Berlin weg, das Mandat der war erlo- Bericht zur Lage der deutschen Nation geben, der die schen . Wir haben uns selbst abgeschafft . Entwicklung des gesamten Landes und seine Stellung in Europa und der Welt in den Fokus nimmt . Mit einem Auf diesen Augenblick haben wir ein gutes halbes scharfen Blick auf die innere Situation des gesamten Lan- Jahr hingearbeitet . So kann eine Diktatur auch enden: des – und nicht nur des Ostens – wären wir dann ganz be- ohne einen Schuss, aber mit riesigem Feuerwerk, fried- stimmt zu einer besseren und gerechteren Bundespolitik voll und mit vielen Tränen der Freude . in der Lage . Einen Bericht der Bundesregierung zur Lage (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Nation hat es schon einmal gegeben – allerdings für ordneten der SPD) das geteilte Deutschland . Wir haben damals in Ost und West als Gesellschaft Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss und am und als Politik die Reifeprüfung bestanden . Und dafür Vorabend unseres gemeinsamen 25 .Geburtstages noch gebe ich noch heute allen Beteiligten die Bestnote . Das ein Wunsch: Gehen wir auf die Besucherplattform des Verhalten der Akteure und der gesamte Prozess waren lo- Reichstages . Von diesem „Dach der Republik“ haben benswert: Anders kann ich die Vereinigung in Frieden, wir einen freien Blick in alle Himmelsrichtungen . Wir Recht und Freiheit nicht bezeichnen . Es ist damals etwas schauen nicht mehr nur nach Westen oder Osten . Diesen geschehen, was es in der Geschichte so noch nie gegeben Weitblick brauchen wir für den Umgang mit der neuen, hat . Ohne Gewalt vereinte sich eine geteilte Nation mit komplizierten Situation unserer Tage . einer eigenen, einer souveränen Entscheidung . Wir stehen wieder einmal vor einer Reifeprüfung, Meine Anmerkungen hier sind persönliche Reflexio- ähnlich wie 1990 . Das erfolgreiche geeinte Deutschland nen auf das Gestern und auf unser Heute . Ich möchte aus ist in der jüngsten Geschichte zu einem starken Magne- dem damaligen Geschehen Schlüsse ziehen für unsere ten geworden . Jetzt steht die Frage im Raum: Halten wir heutige Zeit . Die Kreativität der Volkskammer von 1990, dank unserer gelebten Werte diesem Druck stand, oder mit Problemen des Landes umzugehen, ist ein bleibender stehen wir vor einer noch nie gekannten Spaltung der Ge- Wert . Ich wünschte mir eine solche Arbeitsweise auch für sellschaft? Gibt es eine Spaltung in Offenheit und Ableh- unsere Tage in der gesamten Politik . nung, in Angst und Gleichgültigkeit, in Akzeptanz und Deutschland ist nicht mehr eine Insel der Glückselig- Ignoranz, in Freunde und in Feinde? keit . Die Nöte und das Elend in anderen Regionen der Wir müssen antworten – bei all unserer Freude über Welt sind plötzlich durch unzählige Hilfesuchende in diesen Tag der Deutschen Einheit erst recht . (B) unserem gut bestellten Hause präsent . Für diese neue Si- (D) tuation haben wir genau genommen keine Rezepte . Die Vielen Dank . hatte die Volkskammer damals auch nicht . Wir sahen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zwar das Ziel, aber nicht den Weg dorthin . Also haben wir einfach losgelegt . Da gab es keine Konjunktur für Präsident Dr. Norbert Lammert: Bedenkenträger . Die eigentliche Arbeit zur Gestaltung Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Poschmann der Einheit wurde ein gemeinsamer Lern‑ und Lebens- für die SPD-Fraktion . prozess . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Details erspare ich mir; auch die Diskussion über Ge- der CDU/CSU) lungenes oder über Webfehler der Einheit . Viel wichtiger ist die staatliche und private Solidarität zwischen den Ländern und den Menschen in West und Ost . Immerhin Sabine Poschmann (SPD): sollte für alle verträglich, erträglich und am Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ende auch einträglich sein . Und das war er zumeist, trotz Kollegen! Morgen jährt sich zum 25 . Mal die politische zahlreicher Schicksale von Menschen, die ihren Arbeits- Einheit Deutschlands . Auch nach einem Vierteljahr- platz verloren haben . hundert empfinde ich – und wohl wir alle – Freude und Dankbarkeit, diesen Tag feiern zu können . Wir haben in den zurückliegenden 25 Jahren im geein- ten Deutschland ein Gemeinwesen geformt, das von den Die Wiedervereinigung war mit vielen Hoffnungen Grundwerten des christlichen Abendlandes geprägt ist . und Wünschen verbunden . Heute können wir sagen: Der Fleiß der arbeitenden Menschen hier in Deutschland, 25 Jahre später haben sich vielleicht nicht alle, aber doch die engagierten Unternehmerinnen und Unternehmer, zahlreiche Hoffnungen erfüllt . Die Lebensverhältnisse in die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherten und Ost und West haben sich angenähert, die Unterschiede in sichern dem Land und seinem Staatswesen eine starke, der Arbeitslosenquote und in der Wirtschaftskraft zumin- tragfähige Basis . Die politische staatliche Einheit ist ge- dest verringert . geben . Mithilfe verschiedenster Förderprogramme von Bund, Wie können wir aber die vorhandenen Entwicklungs- Ländern und der Europäischen Union hat die Wirtschaft defizite zwischen alten und neuen Bundesländern in den in Ostdeutschland einen starken Aufholprozess gestartet . kommenden Jahren überwinden? Können wir das über- Diese Entwicklung müssen wir Ende 2019, nach Auslau- haupt mit neuen und mit einem Mehr an Gesetzen leis- fen des Solidarpaktes II, weiterhin kontinuierlich unter- ten? Ich glaube: kaum . stützen, möglichst sogar beschleunigen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12439

Sabine Poschmann (A) Wir haben in den vergangenen 25 Jahren einiges er- Frage beginnen, was uns Deutsche in Ost und West die (C) reicht . Wir wissen aber auch, dass wir in vielen Punk- ganze Zeit, unabhängig von Teilung oder Nichtteilung, ten noch lange nicht am Ziel sind . Bei allem Fortschritt zusammengehalten hat . Das ist in hohem Maße unsere sehen wir weiter große Herausforderungen . An obers- gemeinsame Kultur . In unserer gemeinsamen Kultur gibt ter Stelle steht der Bau eines neuen, gesamtstaatlichen es einen kleinen Teil, und das sind die deutschen Volks- Fördersystems für mehr Wachstum und Innovation . Wir märchen . benötigen kein Fördersystem, das seine Prioritäten an den Himmelsrichtungen orientiert . Wir benötigen eine Ein Volksmärchen ist das Märchen vom Fischer und Förderarchitektur, von der alle schwächeren Regionen in seiner Frau . Ich weiß nicht, ob es jeder im Saal kennt . Deutschland profitieren, ohne gleichzeitig Strukturbrü- Deshalb ganz kurz der Inhalt: Der Fischer fängt einen che in den neuen Ländern zu riskieren; denn die Trenn- Butt . Der Butt bittet darum, am Leben zu bleiben und linie verläuft meines Erachtens schon lange nicht mehr gewährt dem Fischer im Gegenzug einen freien Wunsch . haarscharf zwischen Ost und West . Da der Fischer und seine Frau in einem alten Kahn, Pott genannt, leben, wünschen sie sich ein festes Haus, eine Die Trennlinie, meine Damen und Herren, verläuft kleine Hütte . Sofort gibt es einen Knall, und die kleine zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regio- Hütte ist da . Nach einer gewissen Zeit wird die Frau nen in ganz Deutschland . Die Unterschiede sind teilwei- unzufrieden und schickt den Fischer wieder zum Butt . – se enorm: Auf der einen Seite gibt es starke und attrak- Das ergänzt auf schöne Weise das Bild von Herrn Gysi tive Wirtschaftsräume, die vor allem junge Menschen von der Arbeitsteilung von Mann und Frau . anlocken, auf der anderen Seite haben wir altindustrielle Regionen mit oft mäßiger Wirtschaftskraft, niedriger Er- (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und werbsquote, hartnäckig hohen Arbeitslosen- und sinken- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf den Bevölkerungszahlen . Dies gilt für Ost wie für West . des Abg . Roland Claus [DIE LINKE]) Unsere Aufgabe muss es sein, die vorhandenen För- Jedenfalls wird der Butt erneut herbeizitiert, und als derprogramme noch flexibler zu gestalten. Wir benötigen Nächstes spendiert er ein größeres Haus . So geht das im- eine Förderung, die passgenauer auf die Bedürfnisse der mer weiter . Als Nächstes möchte sie Fürst, dann König, jeweiligen Region ausgerichtet ist, gleich ob Ost oder dann Kaiser, dann Papst und zuletzt der liebe Gott wer- West . den . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU) GRÜNEN]: Fürstin, Königin, Kaiserin! – Zu- Die von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunk- rufe von der LINKEN) (B) (D) te sind dafür eine erste Grundlage . Hierüber müssen wir Dann gibt es wieder einen Knall, und plötzlich landen der weiter diskutieren . Unsere Präferenzen der Struktur- und Fischer und seine Frau wieder im alten Pott . Wirtschaftsförderung müssen noch stärker jenen Re- gionen und Bundesländern gelten, die den Anschluss Ich möchte Sie, insbesondere diejenigen, die in der aus eigener Kraft nicht schaffen . Das muss die künftige DDR geboren und aufgewachsen sind, einfach mal einla- Richtschnur bei den Finanzbeziehungen zwischen Bund den, sich vorzustellen, es gäbe einen Knall und wir lan- und Ländern für die Zeit ab 2020 sein . deten alle binnen einer Sekunde in der DDr . Liebe Kolleginnen und Kollegen, im 25 . Jahr der Ein- (Ulla Schmidt (Aachen) [SPD]: Das wäre ja heit ist unseren heutigen Schulkindern der Gedanke an furchtbar!) ein geteiltes Deutschland völlig fremd . Sie kennen es Wie sähe es dort aus? Wir wollen jetzt einfach mal über nur aus Geschichtsbüchern und Erzählungen . Lassen Sie die Lebenswirklichkeit nachdenken, die es damals dort uns weiter jene Wirklichkeit schaffen, die in den Köp- gab und die einige von uns noch kennen . fen vieler unserer Kinder bereits existiert und die uns das Grundgesetz vorgibt: ein vereintes Deutschland mit über- Es beginnt bei den Schülern . Es war bei uns üblich – all gleichwertigen Lebensverhältnissen . ich weiß nicht, ob sich diejenigen, die in der DDR zur Schule gegangen sind, noch erinnern –, dass man viel- Herzlichen Dank . leicht monatlich einmal mittwochs in der großen Pause (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- auf dem Appellplatz antrat . wie bei Abgeordneten der LINKEN) (Zuruf von der LINKEN: Das war montags!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: – Oder montags, je nachdem; da hatten alle ihre eigene Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Zeitrechnung . Arnold Vaatz für die CDU/CSU‑Fraktion . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- GRÜNEN]: So viel Zeit muss sein!) ordneten der SPD) Jedenfalls standen wir dort in Reih und Glied, wie die Soldaten . Dort wurden die Schüler, die Fortschritte zeig- Arnold Vaatz (CDU/CSU): ten, belobigt und die etwas schlechteren Schüler runter- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- gemacht, und zwar in einer Weise, die man sich heute ren im Plenum und auf der Tribüne! Ich möchte mit der überhaupt nicht mehr vorstellen kann . Heute haben wir 12440 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Arnold Vaatz (A) Datenschutz: Schlechte Leistungen dürfen überhaupt Wie sah es in Forschung und Entwicklung aus? Wir (C) nicht mehr mit guten Leistungen verglichen werden . hatten fantastische Ingenieure . Diese haben beispiels- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) weise in den Trabant-Werken alle paar Jahre ein neues Modell kreiert . Mangels wirtschaftlicher Möglichkeiten Damals wurde in einer Rigorosität mit Schülern umge- konnte aber keines dieser Modelle jemals gebaut werden . gangen, die man sich heute überhaupt nicht mehr vor- Die Konsequenz: Es sind Tausende Mannjahre Ingeni- stellen kann . eurarbeit in Ostdeutschland im Papierkorb gelandet . Das Nächstes Beispiel . Die Schule beginnt im September . war Arbeitslosigkeit am Arbeitsplatz, meine Damen und Was passierte Ende September, Anfang Oktober? Da Herren . Das war das Problem . ging es auf die Kartoffelfelder . (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der SPD) NEN]: In den 80er‑Jahren war es nicht mehr Ein weiterer Punkt, der etlichen von Ihnen auch noch so! – Zuruf von der CDU/CSU: 20 Pfennig in Erinnerung sein dürfte, waren die Beratungsmuster . gab es pro Kilo!) Ich weiß nicht, ob jemand etwas mit diesem Begriff an- Das heißt, die Schüler mussten Kartoffeln sammeln . zufangen weiß . Das halte ich aus pädagogischen Gründen gar nicht für (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/ so verfehlt . Aber dass eine Gesellschaft in diesem Maße DIE GRÜNEN]: Nee!) auf Kinderarbeit angewiesen war, ist natürlich eine ganz andere Sache . Wir hatten ja wunderbare technische Errungenschaf- ten, zum Beispiel Warmwasserboiler . Die wärmten nicht (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) nur das Wasser, sondern gleich noch die ganze Wohnung mit . Als Nächstes wurden die Kinder erwachsen . Sie grün- deten eine Familie und zogen, wenn sie Glück hatten, in (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU eine Wohnung . und der SPD) (Zurufe von der LINKEN) Der Zähler rotierte wie die Hinterräder unserer Giganten der Landstraße, der Friedensfahrer . Die Wohnung musste dicht, warm und sicher sein; das waren die Kriterien . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (B) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Vaatz, (D) was haben Sie heute Morgen genommen? – Und was passierte, wenn sie einen neuen Warmwas- Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So et- serboiler brauchten, weil sie kleine Kinder hatten, die was im Deutschen Bundestag!) auch einmal baden mussten? Sie gingen ins Centrum Warenhaus nach Dresden, und dort sahen Sie einen wun- Sie werden sich erinnern; so war das . Wir hatten damals derbaren Boiler, genau wie Sie ihn sich vorgestellt haben, alle Kohleheizungen . In Dresden wurden die Kohlefuh- ausgestellt . Wenn Sie sagten: „Einen solchen Boiler will ren Ende der 70er‑Jahre noch in Säcken in die Keller ge- ich kaufen“, entgegnete Ihnen der Verkäufer: Dabei han- tragen . Nach einer gewissen Zeit hatten sie wahrschein- delt es sich um ein Beratungsmuster . lich keine Säcke mehr . (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) (Zurufe von der LINKEN) Da wurden 100 Zentner Kohlen einfach vor das Haus ge- Das heißt, das Ganze war überhaupt nicht erhältlich, son- kippt . Dann hieß es: reinschaufeln . Wenn man fertig war, dern es war zur Täuschung der westlichen Öffentlichkeit dann kriegten die Nachbarn, das ältere Ehepaar, auch als Potemkin’sches Dorf im Centrum Warenhaus ausge- noch Kohlen . Dann konnte man nicht anders, als für sie stellt . auch noch die Kohlen hereinzuschaufeln . Dann war man (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU ziemlich fertig . sowie bei Abgeordneten der SPD) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Meine Damen und Herren, dies alles sind die Din- und der SPD) ge, mit denen wir die schönen statistischen Vorteile der Dann gab es ein häufiges Problem, nämlich den Zu- DDR – die unsere Linkspartei gerne gegenüber der Bun- stand der Öfen . Im Herbst kam die Feuerwehr und stellte desrepublik Deutschland herausstreicht – erkauft haben . fest: Die Öfen sind nicht in Ordnung, da muss was ge- (Zurufe von der LINKEN) macht werden .– Man ging also zum Ofensetzer und frag- te, ob er vielleicht bereit wäre, den Ofen zu reparieren . Nachdem wir einen Blick darauf geworfen haben, Die Antwort war, dass er bis nächstes Jahr ausgebucht möchte ich in diesem Zusammenhang noch einen Punkt sei, es sei denn, man hätte blaue Fliesen – das war West- hinzufügen . Nach der Wiedervereinigung gab es in der geld . Meine Damen und Herren, das war die Realität . ehemaligen SED in Bezug auf das, was die DDR aus- machte, sehr viel Ehrlichkeit . (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Ist das die Geschichte vom Fischer und seiner Frau?) (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12441

Arnold Vaatz (A) Diese Ehrlichkeit, zum Beispiel beim Politbüromitglied LINKE]: Mann, Mann, Mann! – Dr . Kirsten (C) Günter Mittag, sah damals so aus – ich zitiere, was er im Tackmann [DIE LINKE]: Das war eine Belei- Spiegel zu diesem Thema gesagt hat –: digung unserer Wählerinnen und Wähler, Herr Kollege!) Ohne die Wiedervereinigung wäre die DDR einer ökonomischen Katastrophe mit unabsehbaren sozi- alen Folgen entgegengegangen, weil sie auf Dauer Präsident Dr. Norbert Lammert: allein nicht überlebensfähig war . Na ja, jedenfalls hat sich auch bei mir zum Schluss der Eindruck doch sehr verfestigt, dass aus einem möglichen (Ulla Schmidt (Aachen) [SPD]: Das stimmt!) gemeinsamen Projekt von Gysi und Vaatz, aufzuzei- Und weiter sagte er: gen, wie eine gesamtdeutsche Partei eigentlich aussehen müsste, wohl nichts Richtiges werden könnte . Das sozialistische System insgesamt war falsch, wie wir heute wissen . Es ist eine Illusion, in der Plan- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) wirtschaft nach einem Weg zu suchen und ihn zu Mit dieser ernüchternden Einsicht schließe ich die finden. Die Wirtschaft muss mit Gewinn arbeiten, Aussprache . wie das in einer Marktwirtschaft ist . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Enorme Einsicht von einem Mitglied des Politbüros der Drucksache 18/6100 an die in der Tagesordnung aufge- SED . führten Ausschüsse vorgeschlagen . Der Entschließungs- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6195 Klaus Ernst [DIE LINKE]: Toller Kronzeuge!) soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Herr Gysi, Sie haben vorhin gesagt, wie nötig Sie bei- Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . spielsweise die CDU brauchen . Nun sage ich Ihnen ein- mal, wie ich mir eine Linke, deren Vorstellungen nicht Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der etwa mit meinen hätten übereinstimmen müssen, vorge- Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa- stellt hätte: che 18/6188 mit dem Titel „25 Jahre Deutsche Einheit – Leistungen würdigen, Herausforderungen angehen“ . Wer (Lachen der Abg . Annalena Baerbock möchte für diesen Antrag stimmen? – Wer stimmt dage- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gen? – Wer enthält sich? – Nun hat Gregor Gysi selbst Ich hätte mir eine Linke gewünscht, die mit der Ehr- die historische Chance verpasst, gegen diesen Antrag zu lichkeit, wie ich sie eben zitiert habe, vorangeht und die stimmen . (B) nicht bei jeder Gelegenheit mit den alten Rezepten, die (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Er hat viele (D) die DDR zugrunde gerichtet haben, in immer neuer Ver- Chancen verpasst!) packung die Diskussion in der Bundesrepublik Deutsch- land befeuert, Damit hat er unwillentlich dazu beigetragen, dass dieser Antrag angenommen worden ist . (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- wie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: Birkwald [DIE LINKE]: Welche sollten das denn sein? Geben Sie einmal ein Beispiel!) a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung und eine Linke, die sich gefragt hätte: Wie können wir das wiedergutmachen, was wir in Ostdeutschland ange- 18. Bericht der Bundesregierung zur Auswär- richtet haben? tigen Kultur- und Bildungspolitik (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Haben Sie Drucksache 18/5057 abgelehnt!) Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Wie können wir helfen, dass Deutschland zusammenfin- Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz det? Was können wir tun? Was können wir einbringen? Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Aber genau das machen Sie nicht . Vielmehr überprü- schätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- fen Sie alle Ihre Argumente darauf, inwieweit sie geeig- lung net sind, die Bundesrepublik Deutschland auf denselben Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Weg zu führen, auf den Sie die DDR geführt haben . Das Ausschuss für Kultur und Medien ist das Problem . Haushaltsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- der LINKEN) gierung Wenn Sie das ablegen, meine Damen und Herren, dann 17. Bericht der Bundesregierung zur Auswär- heiße ich Sie im Deutschen Bundestag herzlich willkom- tigen Kultur- und Bildungspolitik men . Drucksache 18/579 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Auswärtiger Ausschuss (f) neten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE Sportausschuss 12442 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wir den jungen Menschen die Chance geben, überhaupt (C) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung wieder an Demokratie zu glauben und dafür einzutreten . Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausschuss für Tourismus der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Ausschuss für Kultur und Medien NISSES 90/DIE GRÜNEN) Haushaltsauschuss Auch hier soll die Aussprache nach einer interfraktio- Ich möchte heute einmal den Blick auf die deutschen Auslandsschulen richten . Sie sind seit jeher eine tragende nellen Vereinbarung 77 Minuten dauern . Hat jemand da- Säule der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik . Sie gegen Einwände? – Das ist nicht der Fall . Also machen haben Tag für Tag damit zu tun, mit unterschiedlichen wir das so . Biografien umzugehen, die Menschen in den Herkunfts- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der ländern kennenzulernen, Kindern die Chance zu geben, Kollegin Ulla Schmidt für die SPD‑Fraktion . Werte zu entwickeln, an Demokratie zu glauben . Sie sind im Grunde genommen Orte der Begegnung, der Vielfalt, (Beifall bei der SPD sowie des Abg . und sie sind oft Orte des Beginns des interkulturellen Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]) Austauschs . Weil sie so dafür prädestiniert sind, diese unterschiedlichen, heterogenen Aufgaben zu meistern, Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): müssen wir in die Auslandsschulen investieren . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten be Gäste! Die Berichte, über die wir heute diskutieren der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ und die Gott sei Dank wieder von einem Außenminis- DIE GRÜNEN) ter vorgelegt wurden, für den diese dritte Säule der Au- Viele von Ihnen haben sich bei Ihren Besuchen in den ßenpolitik eine ganz wichtige Bedeutung hat, legen das verschiedenen Ländern immer wieder vor Ort von der Hauptaugenmerk auf die Krisen- und Konfliktpräventi- hervorragenden Arbeit der Auslandsschulen überzeugen on . können . Sie haben sich davon überzeugen können, wie Ich glaube, gerade angesichts der derzeitigen Situati- dort Schülerinnen und Schüler mit den verschiedensten on gilt: Eigentlich war Auswärtige Kultur- und Bildungs- persönlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Hinter- gründen miteinander und voneinander lernen, wie dort politik nie so aktuell wie heute . Wenn wir berücksichti- mithilfe der Lehrerinnen und Lehrer diese Schülerinnen gen, dass sich laut UNHCR rund 60 Millionen Menschen und Schüler zu weltoffenen, toleranten, selbstbewussten (B) auf der Flucht befinden – so viele wie seit dem Zweiten jungen Erwachsenen herangebildet werden und wie die (D) Weltkrieg nicht mehr –, zeigt das sehr deutlich, wie in Auslandsschulen über ihre Arbeit vor Ort mit den ver- einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, die so- schiedenen Kulturen verwachsen . ziale Kraft der Kultur in der Frage der Krisen- und Kon- fliktprävention eine immer größere Bedeutung erhält. Ich habe heute Morgen mit der Kollegin Müntefering darüber gesprochen, welche Chancen sich für unsere Denn viele der Krisen, die wir heute als humanitäre Kri- Auslandsschulen bieten, auch innerhalb Europas, ins- sen erleben, sind ja, wie es der Bundesaußenminister im- besondere in Osteuropa . Denken wir an die Diskussio- mer sagt, auch Krisen der Humanität, also der Mensch- nen, die wir derzeit über eine gerechte Behandlung der lichkeit, die in Gefahr ist aufgrund von Terrorismus, Flüchtlinge und eine wirklich europäische Flüchtlings- ideologischem Radikalismus und auch aufgrund der Si- und Asylpolitik führen . Unsere Schulen können dazu tuation, dass in immer mehr Staaten jede zivile Ordnung beitragen, dass dort Menschen heranwachsen, die mit auseinanderbricht und dass gerade in den Krisenregionen ihren Familien dafür eintreten und vielleicht in manchen dem staatlichen Gewaltmonopol überhaupt keine Bedeu- Punkten einen Sinneswandel in der Gesellschaft herbei- tung mehr zukommt . führen können . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir in diesen Bereich der auswärtigen Politik investieren . der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Denn all das, worüber wir heute im Hinblick auf Fluchtur- DIE GRÜNEN) sachen, worüber wir im Hinblick auf Hilfe beim Aufbau Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil die Schulen so zivilgesellschaftlicher Strukturen in den verschiedenen gut sind, haben wir im Ausschuss und hier im Parlament Ländern, worüber wir im Hinblick auf die Vermittlung entschieden, dass sie auch im Bereich der inklusiven von Werten diskutieren, ist von großer Bedeutung, und Bildung Aufgaben wahrnehmen sollen . Wir wollen bei hier muss mit und von unseren Mittlerorganisationen der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention voran- sehr viel geleistet werden . Für uns, die Mitglieder des gehen . Wir wollen, dass von unseren Auslandsschulen Unterausschusses Auswärtige Kultur- und Bildungspoli- vor Ort das Signal ausgeht: Ja, auch für behinderte Men- tik, war immer wichtig, dass wir mithilfe unserer Mittler- schen, für behinderte Kinder ist Teilhabe ein Menschen- organisationen dafür sorgen, dass in den Flüchtlingsla- recht; denn dieses Menschenrecht ist unteilbar . gern und in all den bedrohten Regionen keine verlorene Schließlich wollen wir auch, dass über die Auslands- Generation aufwächst, und dass wir zugleich in Bildung, schulen unsere hervorragenden Erfahrungen im Bereich in Kultur, in die Vermittlung von Werten investieren, dass der dualen Berufsbildung vermittelt werden können . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12443

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Ich füge aber hinzu: Wenn wir all das wollen, wenn Azize Tank (DIE LINKE): (C) wir die Möglichkeiten der Auslandsschulen nutzen wol- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und len und wenn wir die Qualität der Ausbildung in diesen Kollegen! Ich freue mich, dass die Bundesregierung laut Schulen beibehalten wollen, dann müssen wir investie- dem vorgelegten 18 . Bericht vom bisherigen Kurs in der ren; denn gute Schulen brauchen hervorragende Lehre- Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik abweichen rinnen und Lehrer . möchte . Infolge des Paradigmenwechsels ab 2011 hieß es – ich zitiere –: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Es geht für Deutschland darum, Einfluss in der Welt DIE GRÜNEN) zu sichern . . Dem entspricht nicht, dass die Auslandsschulen seit Jah- Stattdessen möchte Bundesaußenminister Steinmeier ren an Attraktivität einbüßen . Mittlerweile liegen die nun zur traditionellen Rolle der Auswärtigen Kultur- und Lehrerinnen und Lehrer an Auslandsschulen 23 Prozent Bildungspolitik als dritte Säule der Außenpolitik zurück- hinter der Gehaltsentwicklung von Bundesbeamten im kehren . Das ist eine überfällige Kurskorrektur; denn aus Ausland zurück . Wir erleben derzeit, dass Lehrerinnen Sicht der Linken kommt gerade der Auswärtigen Kultur- und Lehrer sagen: Ich würde das gerne machen, aber ich und Bildungspolitik angesichts der aktuellen Krisen in kann doch meine Familie, meine Kinder nicht schlechter- Europa eine besondere Bedeutung zu . stellen, nur weil ich eine wichtige Aufgabe wahrnehmen (Beifall bei der LINKEN) möchte .– Ich bitte Sie alle darum, dass wir gemeinsam daran arbeiten . Wir müssen die Besoldung der Lehrerin- Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik darf nicht nen und Lehrer an die Besoldung aller anderen ins Aus- länger als Einbahnstraße begriffen werden, sondern muss land entsandten Beamten und sonstigen Kräften anpas- auf gegenseitigem Austausch, Respekt und Toleranz be- sen . Wir müssen die seit 1999 geltende Abkopplung ihrer ruhen . Sie darf nicht als Instrument der Interessenvertre- Besoldung beenden . tung deutscher Außenpolitik benutzt werden . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU und der LINKEN) Um einen echten Wandel zu vollziehen, benötigen wir finanzielle Mittel. Von den 400 Millionen Euro, die dem Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass wir ausrei- Auswärtigen Amt 2015 für humanitäre Hilfe zur Verfü- chend Geld zur Verfügung haben, damit die Auslands- gung stehen, muss die Auswärtige Kultur- und Bildungs- schulen die Aufgaben, die sie im Bereich der Inklusion politik einen ausreichenden Anteil erhalten . (B) und hinsichtlich der Förderung der beruflichen Bildung (D) wahrnehmen sollen, erfüllen können . Wir müssen aber Betonen will ich hier den internationalen Jugendaus- auch die Chance haben, mit entsprechenden Mitteln die tausch . Ohne Planungssicherheit kann er seine nachhalti- Schulen zum Beispiel in Erbil im Nordirak oder in Kabul ge Wirkung nicht entfalten . Im Unterausschuss bemühen zu unterstützen, wir uns gerade um die langfristige Gewährleistung der Bildungs- und Erinnerungsarbeit in Sobibor und Belzec, (Beifall des Abg . [BÜND- zwei ehemaligen deutschen Vernichtungslagern in Polen NIS 90/DIE GRÜNEN]) an der Grenze zur Ukraine . Hierfür braucht es seit lan- und dort, wo es noch keine Auslandsschulen gibt, kleine gem mehr finanzielle Mittel. Doch das allein reicht nicht. Schulen zu unterstützen, damit dort langsam Auslands- Es müssen auch Projekte entwickelt werden, die die Zi- schulen aufgebaut werden können . Ich bitte Sie dafür um vilgesellschaft einbinden, die Wege zum Ausbau der Ge- Unterstützung . Im Ausschuss werden wir darüber noch denkstätteninfrastruktur aufzeigen und Mittlerorganisati- reden . Ich glaube, wir müssen jetzt investieren . onen wie das Deutsche Historische Institut einbeziehen . Wir brauchen zusätzliches Geld im Haushalt . Dafür Den Absichtserklärungen des 18 . Berichtes müssen werbe ich bei Ihnen allen . Sie wissen, in der Kulturpo- jetzt konkrete Maßnahmen folgen . Angesichts der aktu- litik ist es immer so: Mit wenig Geld kann man viel er- ellen Lage müssen die Projekte für und mit Flüchtlingen reichen, aber durch Entzug von wenig Geld kann man in Lagern Priorität haben . vieles kaputtmachen . Wir jedoch sollten in die Zukunft (Beifall bei der LINKEN) investieren . Dabei kann das Goethe-Institut im Bereich der Sprach- Danke schön . vermittlung helfen . Sprache ist Grundlage der Integrati- on . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Als einen neuen Schwerpunkt nennt die Regierungs- NISSES 90/DIE GRÜNEN) koalition im 18 .Bericht die Östliche Partnerschaft . Wir als Linke sehen das kritisch . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Wundert uns Nun erhält die Kollegin Tank für die Fraktion Die Lin- nicht!) ke das Wort . Es stellt sich die Frage, ob es sich bei der Östlichen Part- (Beifall bei der LINKEN) nerschaft um eine wirklich gleichberechtigte Partner- 12444 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Azize Tank (A) schaft handelt . Aus unserer Sicht bestehen da begründete Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) Zweifel . Ja, Frau Kollegin, aber vielleicht in einem zusammen- Kritisch sehen wir in diesem Zusammenhang auch die fassenden Satz . strukturelle Neuaufstellung der Deutschen Welle, die im ( [CDU/CSU]: Genau! Nicht 18 .Bericht als Werkzeug, so wörtlich, „zur Reputation mehr heute!) Deutschlands in der Welt“ verstanden wird . Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik darf aber nicht zum Sprach- Azize Tank (DIE LINKE): rohr der Interessen deutscher Außenpolitik werden . Es kann doch nicht sein, dass ein Land wie Deutsch- (Beifall bei der LINKEN) land kein Kulturministerium besitzt . In der Kultur- und Bildungspolitik brauchen wir einen (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Hallo? Da Wandel hin zu einem Dialog auf Augenhöhe und gegen- hinten! Frau Grütters heißt sie!) seitige Anerkennung . Nur ein Ministerium kann die verschiedenen Aufgaben- (Beifall bei der LINKEN) felder und die Belange der Kultur sowohl gegenüber an- deren Ressorts als auch auf europäischer Ebene bündeln Werte wie Demokratie und Respekt vor der Men- und wirksam vertreten . Lassen Sie uns die Möglichkei- schenwürde, die von Deutschland ins Ausland getragen ten internationaler, friedlicher Kulturförderung durch ein werden sollen, müssen umgekehrt auch von uns gelebt Kulturministerium stärken . werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu ein per- Ich danke Ihnen . sönliches Erlebnis, das mich sehr bewegt: Vor wenigen Tagen war ich an der kroatisch-ungarischen Grenze in (Beifall bei der LINKEN) Botovo . Hunderte Flüchtlinge, Babys in Decken gehüllt, alte und kranke Menschen, deren Rollstuhl im Schlamm Präsident Dr. Norbert Lammert: stecken blieb, und die schließlich Stacheldrahtzaun und Für die Bundesregierung hat nun die Staatsministerin Grenzsoldaten passieren mussten – ein unvergesslicher Maria Böhmer das Wort . Anblick, der bei mir und anderen Trauer und Wut aus- löste . (Beifall bei der CDU/CSU)

Mir wurde außerdem berichtet, dass die Geflüchteten Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen danach in Ungarn vom Militär eskortiert und geschubst Amt: (B) und getreten wurden, wenn sie nicht schnell genug wa- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (D) ren . Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich allen Men- Kollegen! Liebe Frau Tank, lassen Sie mich zunächst schen danken, die den Geflüchteten in Deutschland und einmal feststellen: Die Anwesenheit der Kulturstaatsmi- in Europa selbstlos geholfen haben und helfen . nisterin Professor Monika Grütters ist gegeben . (Beifall bei der LINKEN) (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: So sieht es Enttäuscht bin ich hingegen von dem sogenannten aus!) Flüchtlingsgipfel . Die Chance für eine faire und gerech- Deshalb sage ich an Monika Grütters einen ganz herzli- te Aufnahmepolitik wurde vertan . Die Bundesrepublik chen Gruß . setzt erneut auf Abschreckung und Entrechtung . Sie teilt Asylsuchende in vermeintlich gute und schlechte Flücht- (Beifall bei der CDU/CSU) linge ein, in potenzielle Fachkräfte und Unqualifizierte Mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und plant weitere Abschreckungsmaßnahmen . schaffen wir ein stabiles Fundament für unsere internati- onalen Beziehungen, weil wir auf Dialog zwischen Men- (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein schen und zwischen Kulturen setzen . Dazu gehört, dass Quatsch!) wir die deutsche Sprache in Europa und weltweit fördern . Wo sind hier die demokratischen, die humanistischen Wir tragen dazu bei, dass überall kulturelle Identität und Werte, wo die Menschenwürde, die Willkommenskultur? Vielfalt erhalten bleiben . Damit leisten wir zweifellos ei- nen Beitrag zur weltweiten Krisen- und Konfliktpräven- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke steht für tion . Kulturelle Arbeit bereitet im vorpolitischen Raum eine von Toleranz getragene, dialogorientierte Auswärti- den Boden für Verständigung, für Krisenprävention und ge Kultur- und Bildungspolitik . Wir wollen ihre Bedeu- Krisenbewältigung . Sie werden erst dadurch richtig mög- tung klar nach außen sichtbar machen und gegen jede lich, und das ist heute wichtiger als je zuvor . Einflussnahme schützen. Dafür benötigen wir aber, wie meine frühere Kollegin Luc Jochimsen bereits vor Jahren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vorgeschlagen hat, die Einführung einer Bundeskultur- Mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist ministerin mit Kabinettsrang . das Ziel verbunden, ein wirklichkeitsgetreues, ein le- (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Was? Haben bendiges Bild von Deutschland zu vermitteln . Wir sind ein Land, in dem Bildung und berufliche Entwicklung, wir doch!) Wissenschaft und Forschung im Fokus stehen . Wir sind Ich möchte diesen Vorschlag noch einmal aufgreifen . ein Land, in dem Kreativität und Kultur eine wesentliche Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12445

Staatsministerin Dr. Maria Böhmer (A) Rolle spielen . Wir sind aber nicht nur Goethe und Schil- Erstens . Zusammen mit dem Deutschen Akademi- (C) ler . Wir sind auch – das sage ich ganz bewusst als Frau – schen Austauschdienst haben wir im vergangenen Jahr eine begeisterte Fußballnation . Es ist wichtig, auch ein ein Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge unter solches Bild nach außen zu tragen . dem Motto „Leadership for Syria“ aufgelegt . Wir fördern damit 100 junge Menschen auf dem Weg zum Bachelor, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zum Master oder einem Doktorgrad . Jetzt könnte man Ich freue mich, dass wir uns hier einig sind; das gilt fragen: 100 junge Menschen angesichts dieser großen auch für die Bundesregierung . Ich stimme mit dem Zahl von Flüchtlingen? Aber es werden genau diejenigen Bundesaußenminister überein, dass wir die Auswärtige sein, auf die Schlüsselpositionen zukommen . Es werden Kultur- und Bildungspolitik weiter stärken müssen . Be- diejenigen sein, auf die sich die Blicke richten, wenn es sonders gefordert sind wir angesichts der dramatischen darum geht, morgen voranzugehen, Verantwortung für Flüchtlingssituation . Gestern haben wir uns hier im ihr Land wieder zu übernehmen . Deutschen Bundestag auf die Situation in Deutschland Zweitens . Dazu passt, was wir mit der Alexan- konzentriert . Wir haben ein wichtiges Gesetzespaket auf der-von-Humboldt-Stiftung unternehmen . Wir haben den Weg gebracht . Damit stützen wir die Solidarität und ein Scholars-at-Risk-Programm für Wissenschaftler im die Hilfsbereitschaft der Menschen in unserem Land . Exil aufgelegt, damit diese später den Brückenschlag in Diese Hilfsbereitschaft und diese Solidarität sind unge- ihre Heimat schaffen und der Wiederaufbau dann auch brochen . Dafür sage ich herzlichen Dank . gelingt . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Drittens . Das Goethe-Institut leistet wichtige pädago- ordneten der SPD) gische Arbeit in den Flüchtlingslagern . Ja, Frau Schmidt, wir stimmen überein . Auch ich sage: Wir dürfen keine Aber wir werden diese Flüchtlingskrise nur bewälti- verlorene Generation zulassen . Wir müssen gerade Kin- gen, wenn es uns gelingt, die Fluchtursachen wirksam dern und Jugendlichen eine Hoffnung, eine Perspektive zu bekämpfen: in Syrien, im Irak, in Afghanistan und in geben . großen Teilen Afrikas; auch diese Bereiche müssen wir im Blick behalten . Wir müssen dort verstärkt helfen, wo (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) humanitäre Hilfe gebraucht wird und wo es oft um das Viertens ist mir wichtig: Das Deutsche Archäologi- nackte Überleben geht . sche Institut leistet in Flüchtlingslagern in Jordanien, im In den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanon Libanon, im Irak und in der Türkei wichtige handwerk- ist die Lage zunehmend dramatisch . Das darf uns nicht liche Qualifizierungsarbeit. Ich weiß, wie gut sie gerade (B) ruhen lassen . Anders ist die Situation in den Flücht- vom Kreis des Unterausschusses Auswärtige Kultur- und (D) lingslagern in der Türkei . Ich war kürzlich in Antakya, Bildungspolitik begleitet wird . Das stärkt den Einzelnen, an der türkisch-syrischen Grenze . In dem Zeltlager, das das hilft, Kulturgüter zu erhalten und wiederherzustellen . ich besucht habe, sind 3 000 Flüchtlinge untergebracht, Das ist eine grundlegende, eine unverzichtbare Aufgabe, darunter 600 Kinder . Es ist – zugegeben – ein kleineres wenn es um Identität, wenn es um den dringend notwen- Flüchtlingslager . Aber – was ich jetzt sage, gilt für alle digen Zusammenhalt geht . Flüchtlingslager in der Türkei – die Versorgung ist gut; Die beiden Berichte, liebe Kolleginnen und Kolle- es gibt einen Kindergarten, eine Schule, medizinische gen, die Ihnen heute vorliegen, belegen eindrucksvoll Versorgung und einen Supermarkt . Das ist den erhebli- die große Bandbreite der Auswärtigen Kultur- und Bil- chen Anstrengungen zu verdanken, die in der Türkei un- dungspolitik . Ich will auf nur einen Themenschwerpunkt ternommen werden . Und das gilt es auch anzuerkennen . eingehen: Aber ich frage auch: Was ist mit den vielen anderen Das Interesse an Deutschland ist groß, und es hat sich Flüchtlingen, die kein Dach über dem Kopf haben, die verändert . Bei Kultur und Lebensqualität, Regierungs- keine Schule für ihre Kinder finden, die keine Arbeit führung, Qualität von Produkten haben wir Bestnoten . haben, deren Ersparnisse jetzt zur Neige gehen, die ver- Darauf können wir stolz sein . Aber ich sage auch, dass zweifelt sind und denen in dieser Verzweiflung kein an- uns das nicht übermütig machen soll . Die Wertschätzung derer Weg offensteht, als sich auf die Flucht zu begeben, muss uns ein Ansporn sein . die Grenzen zu überschreiten, um nach Europa und nach Deutsch als Fremdsprache erlebt einen weltweiten Deutschland zu kommen? Diese Flüchtlinge brauchen Aufschwung . 15,4 Millionen Menschen lernen Deutsch, eine Perspektive . Sie haben mir immer wieder gesagt, sie und das sind mehr als vor fünf Jahren . Das Interes- wollen eines Tages in ihre Heimat zurückkehren . Dann se an den deutschen Auslandsschulen und den knapp müssen sie in der Lage sein, ihr Land wieder aufzubauen, 1 800 Schulen, die sich an unserer Partnerschulinitiative und dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen . Genau PASCH beteiligen, ist ungebrochen . hier muss die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ansetzen . Es gibt immer mehr Studierende, die es nach Deutsch- land zieht . Ich bin guten Mutes, dass wir im Jahr 2020 die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zahl von 350 000 ausländischen Studierenden erreichen ordneten der SPD) werden . Ich will anhand von vier Beispielen erläutern, was das Das alles ist wichtig, weil die Schüler, die Studenten, Auswärtige Amt in die Wege leitet . die Deutschlerner unsere Partner von morgen sind . Sie 12446 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Staatsministerin Dr. Maria Böhmer (A) legen die Grundlage für eine gute internationale Zusam- Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) menarbeit, und sie alle sprechen im wahrsten Sinne des NEN): Wortes unsere Sprache . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist im Umbruch, und wie Ulla Schmidt auch Aber ich sage auch: Es wartet noch ein gutes Stück mit Blick auf die hohen Flüchtlingszahlen und die vielen Arbeit auf uns, wenn es um die Auslandsschulen geht; Konfliktherde gesagt hat: Die Welt ist eigentlich längst ich will das hier mit aller Deutlichkeit unterstreichen . aus den Fugen geraten . In dieser Welt im Umbruch, die All diejenigen, die dabei waren, als im Januar die Jah- wie nie zuvor von der Globalisierung geprägt ist, erhält restagung der Schulleiterinnen und Schulleiter stattfand, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine immer wissen, wie schwierig es ist, deutsche Lehrerinnen und größere Bedeutung . Lehrer für deutsche Auslandsschulen zu gewinnen . Das Die Welt von heute ist aber auch geprägt von einer wird noch schwieriger werden angesichts des großen Repolarisierung, von Schwarz-Weiß-Denken und alten Bedarfs, den wir gegenwärtig in unserem Land haben, und neuen Feindbildern . Alte Gräben werden wieder auf- angesichts der steigenden Schülerzahlen durch mehr gerissen wie zwischen Russland, Europa und den USA, Flüchtlingskinder in den Schulen; das macht es für die zwischen Iran und Saudi-Arabien, zwischen der türki- Auslandsschulen nicht leichter . Wir haben darüber im schen Regierung und den Kurden, zwischen Juden und Unterausschuss gesprochen, und ich hatte gestern einen Palästinensern oder auch innerhalb Europas, wie wir es sehr intensiven Austausch mit der Präsidentin der Kul- in diesem Sommer ganz besonders und sehr erschrocken tusministerkonferenz, Frau Kurth . Wir waren uns einig: beobachten mussten . Wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass es zu Verbes- Aber auch die neuen Gräben vergrößern sich von Tag serungen kommt . Das heißt, wir brauchen eine bessere zu Tag . So lässt die Umsetzung des Friedensprozesses in Wertschätzung der Arbeit an Auslandsschulen . Der Aus- der Ukraine weiter auf sich warten, und die Konflikte, landsschuldienst darf nicht zum Karriereknick werden . die entgrenzte Gewalt in Syrien, im Jemen, in Afghanis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tan, in Libyen und im Irak verschlimmern sich immer ordneten der SPD) mehr . Wir erleben in dieser Welt von heute postkoloniale Umbrüche, das Entstehen neuer Autokratien und die Ent- Wir brauchen diese Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer rechtung der universellen Menschenrechte . interkulturellen Kompetenz . Sie werden anderen eine Dort, wo politische Kontakte nicht mehr stattfinden, Richtung geben. Es gilt, die eklatante Schieflage endlich sondern wo Schweigen oder, schlimmer noch, nur noch zu beseitigen: Eine Gehaltsdifferenz von 23 Prozent ist Waffengewalt herrscht, dort, wo eigentlich politisch (B) (D) natürlich ein Hemmnis für die Entscheidung, an eine nichts mehr geht, braucht es Auswärtige Kultur- und Bil- Auslandsschule zu gehen . Wir haben im Auswärtigen dungspolitik . Amt einen entsprechenden Vorschlag vorbereitet, der Ih- nen bereits zugegangen ist . Er liegt Ihnen vor, und wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, werden darüber sprechen . Meine herzliche Bitte ist: Las- bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- sen Sie uns an einem Strang ziehen . Wir brauchen dafür geordneten der LINKEN) die entsprechenden Finanzmittel . Es geht um eine gute Es braucht sie als leisen und vorsichtigen Brückenbau- Zukunft für die Auslandsschulen . er . Es braucht sie als ersten Türöffner für den Dialog . Es braucht sie zur Stärkung einer geschwächten Zivilgesell- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schaft . ordneten der SPD) Es muss uns Sorgen bereiten, dass in den letzten Jah- Ich darf mit einem sehr herzlichen Dank an Sie alle ren in über 80 Staaten sogenannte NGO-Gesetze verab- enden . Denn Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik schiedet wurden, die keinen anderen Inhalt haben, als die braucht starke Partner, und ich empfinde alle im Deut- Rechte und Räume von NGOs einzuschränken, manch- schen Bundestag – ganz besonders die Mitglieder aus mal sogar, um ihre Arbeit zu erdrosseln . Wenn Presse- dem Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungs- und Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst kaum politik, aber ich binde auch unsere Haushälterinnen und mehr vorhanden sind, dann braucht es die Auswärtige Haushälter mit ein – als solche starken Partner . Lassen Kultur- und Bildungspolitik, die geschützte Räume für Sie uns weiter an einem Strang ziehen . Die Erwartungen kritische Gedanken schafft und ziviles Engagement und an diesen Politikbereich sind groß . Es liegt an uns, sie zu oppositionellen Mut beheimaten kann . erfüllen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herzlichen Dank . bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Auch dort, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo ter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) roristische Gewalt nicht nur Menschenleben fordert, sondern auch kulturelles Menschheitserbe systematisch zerstört wird, wie die Tempel von Palmyra in Syrien, die Vizepräsidentin : Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan, die Bib- Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Frak- liothek von Timbuktu in Mali und die assyrischen Stät- tion Bündnis 90/Die Grünen . ten in der Ninive-Ebene im Irak oder jetzt im Jemen, wo Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12447

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Saudi-Arabien das Land ins Mittelalter bombt und die ßenpolitik dürfen nicht den Zielen der Auswärtigen Kul- (C) Weltkulturerbestätten von Sanaa und Schibam zerstört tur- und Bildungspolitik zuwiderlaufen . Gerade beim werden, braucht es die Auswärtige Kultur- und Bildungs- Instrument der Sanktionen ist das künftig viel stärker zu politik, die versucht, zu schützen und zu erhalten, was bedenken . Es darf doch nicht sein, wie wir es im Fall unsere gemeinsame globale Identität ausmacht . Iran erlebt haben, dass die verhängten Sanktionen gegen das Regime auch und gerade die Bildungszusammenar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, beit zwischen deutschen und iranischen Universitäten bei der CDU/CSU und der SPD sowie des unmöglich machen . Dort, wo mit Sanktionen auch zivile, Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE]) kulturelle und wissenschaftliche Kooperationen getrof- Sie gibt sich nicht zufrieden mit einem Eintrag in die rote fen werden, werden die Falschen bestraft, zur Freude des UNESCO-Liste, sondern versucht, Druck – auch politi- Regimes . Dann läuft etwas falsch . schen – auszuüben . Im Kultur- und Bildungsaustausch sollten wir die Es ist dringend notwendig – wir begrüßen das –, dass originären Akteure in den Mittelpunkt stellen; denn es das Deutsche Archäologische Institut stärker unterstützt sind die Künstler, die Kreativen, die Pädagogen und die wird . Dieses Institut plant nun zum Beispiel in Teheran Wissenschaftler, die zumeist selbst am besten wissen, wo eine Ausstellung zur Geschichte der deutsch-iranischen in den eigenen Bereichen die spannenden Ansätze beste- Forschung und zur 50‑jährigen Geschichte der Außen- hen und welche Initiativen und Projekte zukunftsträch- stelle des Instituts in der iranischen Hauptstadt . Auch tig sind . Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist also Archäologie ist Kulturerhalt . Mehr noch: Sie bietet die nicht einseitig als Instrument der Cultural Diplomacy zu Chance, über die Arbeit am Gestern ein gemeinsames definieren; denn der Eigensinn von Kunst und Kultur, die Morgen zu eröffnen . kreative Kraft, droht sonst unter die Räder zu geraten . Es geht also nicht vorrangig um Sichtbarkeit, um rie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sengroße Ausstellungsformate . Ich erinnere mich an die sowie bei Abgeordneten der SPD und des Deutschlandjahre der Vergangenheit zur höheren Ehre Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE]) der deutschen Wirtschaft . Das ist nicht das, was ich mir Wir brauchen die Auswärtige Kultur- und Bildungs- unter Auswärtiger Kulturpolitik vorstelle . politik aber auch als Teil unserer Erinnerungskultur . Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben wir gerade in diesem Jahr erleben und beweisen können . 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel Es sind die vielen kleineren Formate, Tausende Kulturbe- werden emotional erfahrbar beispielsweise durch Install­ gegnungen, das nachhaltig angelegte Alltagsgeschäft der ationen von Sigalit Landau – unterstützt vom Auswärti- Goethe-Institute und die Stipendien des Deutschen Aka- (B) gen Amt –, die wir in unserem Haus ausstellen konnten, demischen Austauschdienstes beispielsweise für Syrerin- (D) oder durch ein Konzert mit den „Violinen der Hoffnung“ . nen und Syrer, für die Frauen des Arabischen Frühlings, Das Gedenken an den Genozid an den Armeniern vor die endlich wieder eine Perspektive brauchen . Das alles 100 Jahren vermag noch heute, Politik zu prägen und ist Humus für die Demokratie und die Menschenrechte . Konsequenzen für die Lebenden zu fordern . Genau da Das sind auch und gerade die deutschen Schulen im Aus- setzt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik an; land; da kann ich mich Ulla Schmidt voll und ganz an- denn sie zeigt in der Erinnerungskultur, wie wir mit un- schließen . Denn es geht bei der Vermittlung von Sprache serer Vergangenheit verantwortlich umgehen und ob wir auch um Wertevermittlung . Dafür braucht es die allerbes- wirklich bereit sind, uns ihr vollständig zu stellen, um ten Lehrerinnen und Lehrer . Diese brauchen anständige so Vertrauen bei den Nachgeborenen des Naziterrors zu Löhne . Ich hoffe, Frau Böhmer, dass Sie das dem Finanz- schaffen . Unsere Debatte über den deutschen Völker- minister so richtig beibringen . mord an den Herero zeigt doch exemplarisch, dass es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht reicht, vergangenes Leid bzw . Schuld anzuerken- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der nen, wenn damit nicht gleichzeitig eine Verantwortungs- CDU/CSU) übernahme einhergeht . Da ist noch sehr viel zu tun . Doch was sind die neuen großen Herausforderungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Aufgaben der Auswärtigen Kultur- und Bildungs- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und politik? Wir erleben im Nahen und im Mittleren Osten der SPD und des Abg . Stefan Liebich [DIE das Entstehen neuer riesengroßer Städte . Es sind die gro- LINKE]) ßen Flüchtlingslager im Libanon, in der Türkei, im Irak, Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die in Jordanien . Wir sollten auch nicht den afrikanischen dritte Säule der Außenpolitik . Damit das alle wissen: Sie Kontinent mit Millionen von Flüchtlingen vergessen . ist kein Sahnehäubchen und auch kein Accessoire, das Beispielhaft dafür steht das Lager Dadaab in Kenia . Die man sich nur in guten Zeiten leisten kann . Nein, oft ist sie Menschen in diesen neuen Zeltstädten werden voraus- gerade Voraussetzung für eine auswärtige Politik . sichtlich nicht nur wenige Jahre, sondern wohl eher Jahr- zehnte, vielleicht sogar immer dort leben müssen . Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind die neuen Orte, wo Kultur, wo Bildung Nahrungs- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und mittel für die Menschen bedeuten, wo Bildung und Kunst der SPD) so wichtig sind wie Wasser und Brot, weil sie helfen kön- Aber auch hier müssen wir uns die Frage nach der Kohä- nen, sich ein neues Leben einzurichten und Traumata zu renz stellen; denn die Maßnahmen der klassischen Au- überwinden . 12448 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Deshalb ist es eine großartige Initiative des Goethe-In- tragende Säule deutscher Außenpolitik hat eine besonde- (C) stituts, in Zusammenarbeit mit Flüchtlingsorganisationen re, eine eigene Kraft . Kultur- und Bildungsprojekte zu realisieren, die beson- Unser verstorbener Kollege Philipp Mißfelder, den ich ders Kindern und Jugendlichen, aber auch Künstlern in unseren Reihen vermisse, hat vor gar nicht allzu langer selbst, die zu Flüchtlingen geworden sind, sinnvolle Be- Zeit an diesem Pult gesagt: Die AKBP ist das Zaunkönig- schäftigung vermitteln, die das Erlebte verarbeiten helfen tum des Deutschen Bundestages . – Ich weiß nicht, wie und die kreative Alternativen entwickeln . viele Hobbyornithologen unter uns ihn damals verstan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den haben, aber das stimmte: Der Zaunkönig ist winzig sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und klein, sein Gefieder recht unscheinbar, aber sein Gesang der SPD) ist laut und über Hunderte Meter weit zu hören, im Som- mer wie im Winter . Es geht dabei um den Versuch, zu verhindern, dass durch das aktuelle Flüchtlingselend tatsächlich eine weitere (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) verlorene Generation entsteht . Ja, so ist das auch mit unserer Arbeit im Ausschuss . Auch da, wo Menschen in ihre Heimat zurückkeh- Liebe Kollegen, die AKBP ist nicht weniger als die ren können, wie zum Beispiel Erbil, die Hauptstadt des „sanfte Macht“ der Außenpolitik, das, was wir durch die kurdischen Nordirak, bilden die Kulturmittler und die Beziehungen von Künstlern, Wissenschaftlern und der deutschen Auslandsschulen ein zivilisatorisches Funda- Zivilgesellschaft an Verständigung und Veränderung be- ment für den perspektivischen Wiederaufbau und für die wirken können . Sie kann helfen, kulturell, religiös oder Selbstermächtigung der Menschen . Aber gerade diese weltanschaulich bedingte Konflikte zu bewältigen, und Schule ist von der Schließung bedroht, weil die finanziel- auch zu ihrer Prävention beitragen . Deswegen ist klar, le Unterstützung fehlt . Da muss etwas passieren . dass wir sie brauchen . Fluchtursachen bekämpfen wir am besten, wenn wir Menschen nicht nur ein Bett, ein Dach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und etwas zu essen geben, sondern wenn wir ihnen auch sowie bei Abgeordneten der SPD) eine Perspektive geben: auf ein sicheres Leben, auf Bil- Also: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik dung und auf Arbeit – in ihren Heimatländern, aber auch geht dorthin, wo sonst nichts mehr oder noch nichts denjenigen, die bei uns bleiben . möglich ist . Sie öffnet Türen, wo politische Diplomatie Es ist gut, dass Außenminister Frank-Walter noch nicht angekommen ist oder wo sie am Ende ist . Sie Steinmeier diesen Bereich fördert, und zwar weit mehr bereitet Wege, die Begegnungen hin zu Frieden und Aus- als seine Vorgänger . Da wir im Unterausschuss als Zaun- (B) söhnung ermöglichen, und das muss uns viel, das muss könige für die gemeinsame Sache arbeiten, bin ich sehr (D) uns sehr viel mehr wert sein . froh, dass auch Frau Böhmer und alle anderen Kollegin- nen und Kollegen beim Finanzminister noch einmal kräf- Vielen Dank . tig vorsingen werden . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Flüchtlingsfrage zeigt, wie die Trennung von in- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der nen und außen aus der Zeit gefallen ist . hat CDU/CSU und der LINKEN) schon in meinem Geburtsjahr 1980 gesagt:

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Globalisierung von Gefahren und Herausforde- rungen – Krieg, Chaos, Selbstzerstörung – erfordert Die Kollegin Michelle Müntefering hat für die eine Art „Weltinnenpolitik“ . . SPD-Fraktion das Wort . Daran arbeiten wir heute noch . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn sich also wie heute die Trennung von innen und außen, von „hier bei uns“ und „dort bei den anderen“ so Michelle Müntefering (SPD): sehr aufhebt, dann muss auch die AKBP den Blick nach Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie auch die innen richten . Unsere Mittler können dabei helfen . Sie Kinderzeichnung gesehen, die ein syrisches Kind der Po- haben Kompetenz und Erfahrung . Sie können bei Sprach- lizei geschenkt hat? Auf der einen Seite, unter syrischer vermittlung und Integration helfen . Sie kennen kulturelle Flagge, bewaffnete Terroristen, abgetrennte Gliedma- Vielfalt und wissen um die Bedeutung unserer Werte . ßen; unter deutscher Flagge ein Weg, ein Haus, eine Zu- flucht. – Es ist nicht ganz klar, wie alt das Kind war, das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das gezeichnet hat, ob es Mohammed oder Fatma hieß . der CDU/CSU) Aber wie auch immer, wir wissen: Es zeigt die Realität . Aber einiges müssen wir noch verbessern – das muss Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle in einer solchen Debatte gesagt werden –: sehr geehrte Damen und Herren, das ist die Wirklich- Wir müssen unsere Mittler besser koordinieren und ihre keit von Millionen Menschen . Viele von ihnen suchen Kompetenzen eben auch im Inland stärker nutzen . Ich Schutz, auch bei uns . Um helfen zu können, brauchen wir will zwei Beispiele nennen, um deutlich zu machen, wie alle Kräfte . Meine Vorrednerinnen haben es gesagt: Der das gehen kann . Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik kommt hierbei Erstes Beispiel . Auch in meinem Wahlkreis Her- eine besondere Rolle zu . Denn die Kulturdiplomatie als ne‑Bochum II haben wir Asylsuchende aufgenommen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12449

Michelle Müntefering (A) und dazu Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes NRW Dialog auf Augenhöhe als dritte Säule, wurde heute (C) errichtet . Wie viele von Ihnen war auch ich vor Ort, habe schon vielfach angesprochen . Ich möchte noch einmal mit Ehrenamtlichen, mit Betroffenen und mit Anwohnern unterstreichen, warum er aus kulturpolitischer Sicht gesprochen . Mir ist aufgefallen: Wir schicken die Kinder überfällig war . in den Kindergarten, die Jugendlichen in Aufnahmeklas- Vor zwei Tagen erläuterte Klaus-Dieter Lehmann im sen in die Schule . Für die jungen Erwachsenen haben wir Tagesspiegel, welche Aufgabe die Goethe-Institute, de- meistens Tischtennisplatten . Aber wir wissen doch: Wo ren Präsident er ist, angesichts der aktuellen Flüchtlings- die jungen Männer nix zu tun haben, gibt es Kloppe; das situation übernehmen könnten . Im Zentrum steht dabei war schon immer so . Darüber müssen wir uns auch nicht natürlich die Vermittlung der Sprache, aber genauso wundern . gehört die kulturelle Vermittlung dazu . Gemeinsam mit Deswegen: Nutzen wir doch, was da ist: Smartpho- Flüchtlingsorganisationen hat das Goethe-Institut Kul- nes, die jeder hat, mit Onlineangeboten, damit alle die tur- und Bildungsprojekte für die Arbeit in den Flücht- Möglichkeit haben, unsere Sprache und auch etwas über lingslagern der Nachbarländer von Syrien und Irak ent- unser Land, über Deutschland, zu lernen . Der Langen- wickelt . Sie wollen das Leben in den Flüchtlingslagern scheidt-Verlag zum Beispiel hat als privates Unterneh- erträglicher gestalten und Beschäftigung bieten, wo es men sein Deutsch-Arabisches Wörterbuch frei zur Verfü- ansonsten keine Möglichkeit zum sinnvollen Tun gibt . gung gestellt; das ist gut . Auch unsere Mittler steigen ein: Sie wollen bei der Verarbeitung traumatischer Erfahrun- Die Deutsche Welle hat eine Internetseite geschaltet, und gen helfen und mit Bildung und Kultur einer verlorenen das Goethe-Institut will nun auch eine App bereitstellen . Generation entgegenwirken . Hier zeigt sich die große Bedeutung, die der Auswärtigen Kultur und Bildungs- All das ist gut und prima . Aber nicht jeder darf jetzt politik zukommt . Mit ihr können durch Dialog und über für sich allein loslegen, sondern das muss koordiniert den Weg des kulturellen Austausches Räume für Huma- werden . Das AA, das Auswärtige Amt, dem ich für seine nität geschaffen und kann für gegenseitiges Verständnis Arbeit ganz ausdrücklich danke, ist bereits auf dem Weg, geworben werben . die Akteure zusammenzuholen . Mein Rat: Fragen Sie auch einmal die Menschen, die es betrifft . Diese werden Ein weiteres Beispiel kultureller Vermittlung ist auch Ihnen sagen, sie müssen nicht nur eine Zahnbürste kau- das vom Deutschen Archäologischen Institut koordinier- fen gehen, sondern sie müssen auch auf der Behörde mit te Projekt, bei dem Geflüchtete und Einheimische für dem Amtsdeutsch zurechtkommen . den Kulturerhalt sensibilisiert werden und ihnen wissen- schaftliche und handwerkliche Kenntnisse dafür vermit- Zweites Beispiel . Der DAAD und das Deutsche Ar- telt werden sollen . Programme dieser Art müssen aus den chäologische Institut arbeiten in Kairo zusammen . Dabei umfangreichen Mitteln, die das Auswärtige Amt aktuell (B) ist etwas Außergewöhnliches entstanden . Während die für humanitäre Hilfe bereitstellt, adäquat finanziert wer- (D) Terroristen von Daesch, von ISIS, in ganz Arabien jahr- den . Dies ist ein explizites und interfraktionelles Anlie- tausendealte Kulturgüter zerstören, haben sie begonnen, gen des Unterausschusses für Auswärtige Kultur und junge Menschen auszubilden, und zwar gleichermaßen Bildungspolitik . Eine dialogorientierte Auswärtige Kul- an einer deutschen und an einer ägyptischen Universität . tur und Bildungspolitik kann dazu beitragen, Konflikte Sie lernen von Experten, wie man Kultur erhalten kann, zu minimieren und stabilisierend in Krisenregionen zu aber auch für die Bevölkerung nutzbar machen kann, und wirken . Aber wahr ist auch: Kulturpolitik kann nicht wie- zwar gerade nicht dadurch, dass ausländische Fachkräf- derherstellen, was durch Kriegseinsätze verloren ging . te eingeflogen werden, sondern indem junge Menschen Projekte dieser Art dienen nicht nur dazu, Fähigkeiten vor Ort befähigt werden, ihr eigenes Erbe zu sichern . Das und Fertigkeiten zu vermitteln . Sie sollen vor allem auch zeigt das Potenzial gemeinsamer Programme . für die Bedeutung des kulturellen Erbes und die Not- wendigkeit seines Erhalts sensibilisieren . Die Zerstörung Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir brau- von Nimrud, Hatra und Palmyra durch den sogenannten chen, sind gleichermaßen Sprachdolmetscher und Kul- „Islamischen Staat“ belegt, dass wir uns dringend um turdolmetscher . Tragen wir unseren Teil dazu bei! Strategien für einen nachhaltigen Schutz des vielfältigen Herzlichen Dank . Erbes der Weltgemeinschaft kümmern müssen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der LINKEN) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Auch vor diesem Hintergrund begrüßen wir Linke GRÜNEN) die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes . Bei aller öffentlichen Aufregung darum geriet eine wesentliche Vizepräsidentin Petra Pau: Absicht des Gesetzesvorhabens ins Hintertreffen: der Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Frak- Versuch, den illegalen Handel mit geraubten Kunst und tion Die Linke . Kulturgütern zu unterbinden bzw . ihn wenigstens einzu- dämmen und zu erschweren . Die Novelle ist aber auch (Beifall bei der LINKEN) nötig, weil das Kulturgüterrückführungsgesetz von 2007 sich als wirkungslos erwiesen hat . Abgesehen von frei- Sigrid Hupach (DIE LINKE): willigen Rückgaben konnte seit 2008 nicht ein einziger Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Antrag auf Rückführung von unberechtigt nach Deutsch- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Paradigmenwech- land verbrachtem Kulturgut bewilligt werden . Grund da- sel in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, ein für waren die viel zu hohen Anforderungen an die antrag- 12450 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Sigrid Hupach (A) stellenden Staaten . Wir müssen uns in einem öffentlichen Um dieses wieder in gutes Fahrwasser zu bringen und (C) Diskussionsprozess darüber verständigen, was wir unter weiterzuführen, sind konstruktive Lösungen gefragt . Die national wertvollem Kulturgut verstehen . All das, was Diplomatie kennt viele Instrumente, mit denen die aktu- wir hier in Deutschland halten wollen? Was verstehen ellen Konflikte in der Welt gelöst werden könnten. Ein wir unter dem gemeinsamen Erbe der Menschheit? All solches Instrument ist mit Sicherheit auch die Auswärti- das, was im Zuge des Kolonialismus in die Sammlungen ge Kultur- und Bildungspolitik . der deutschen Völkerkundemuseen gelangte und was als Der vorliegende 18 .Bericht der Bundesregierung geteiltes Erbe einfach hierbleiben sollte? zur AKBP beschreibt, wie dieses Instrument in den In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Hum- Jahren 2013 und 2014 angewendet worden ist . Seither boldt-Forum zu sprechen kommen – nicht als wie- hat sich die weltpolitische Lage deutlich verändert . Der deraufgebautes Preußenschloss, sondern als Ort der Bericht sollte daher vorausschauend auch als Anleitung Debatte zwischen Kunst, Kultur, Wissenschaft und zur Lösung aktueller Krisen gelesen werden . Denn: Die Medien in wirklich internationaler und interkultureller Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wirkt präven- Perspektive . Minister Steinmeier hat in seiner Rede bei tiv und kann verhindern, dass Konflikte überhaupt erst der Konferenz des Goethe-Instituts im Februar 2015 das entstehen . Sie wirkt krisenbegleitend zur Linderung der Sechs‑Augen‑Prinzip angesprochen . Gemeint ist damit Konfliktauswirkungen und leistet Pionierarbeit im -Vor ein gegenseitiger Austausch im Sinne des Voneinan- feld der klassischen Diplomatie . der‑lernen‑Wollens, indem neben der eigenen Perspek- tive die des anderen einbezogen und zugleich eine dritte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gemeinsame Perspektive entwickelt wird . Aktuell hat ordneten der SPD) dazu Martin Roth, Direktor des Londoner Victoria and Zudem ist sie Nachbereiterin sowohl nach Erfolgen Albert Museums, den wirklich innovativen Vorschlag als auch dann, wenn Herausforderungen nicht ganz so gemacht, auch Flüchtlinge aus den nahöstlichen Bür- überzeugend gelöst werden konnten . Die jüngsten dip- gerkriegsgebieten in die Planung zum Humboldt‑Forum lomatischen Erfolge in den Atomverhandlungen mit dem einzubeziehen. Er empfiehlt außerdem, bereits zum jetzi- Iran könnten ein gutes Beispiel für einen unterstützenden gen Zeitpunkt Vertreter jener Länder in die Gremien des Beitrag der AKBP zu den Bemühungen des Bundesau- Humboldt‑Forums zu integrieren, mit denen in Zukunft ßenministers sein . Im Jahr 2010, als der UN-Sicherheits- ein kultureller Austausch stattfinden soll. Denn es sollte rat letztmalig und drastisch die Sanktionen gegen den nicht um Projekte gehen, so sagt er, „die hier erfunden Iran verschärfte, reiste eine Delegation des Unteraus- und dort ‚unten‘ und ‚da drüben‘ akzeptiert werden, son- schusses Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gera- dern um wirkliche Co‑Entwicklungen“ . Wir unterstützen de in den Iran und signalisierte so der damaligen irani- (B) diesen Ansatz und hoffen, dass ihm Taten folgen, un- schen Regierung: Trotz des notwendigen internationalen (D) terstreicht er doch, dass die Auswärtige Kultur und Bil- Drucks bleibt die Tür für Gespräche geöffnet . Die von dungspolitik nicht länger nur der Repräsentation und der Ihnen, Frau Kollegin Roth, genannten Einschränkungen Sicherung des deutschen Einflusses in der Welt dienen betrafen wenige und konkrete Ausnahmen, etwa techni- sollte . sche Studiengänge . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Dasselbe Prinzip gilt auch für den Umgang mit Russ- (Beifall bei der LINKEN) land im Hinblick auf die Ukraine-Krise . Von den Sankti- onen, die wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim verhängt wurden, sind die Mittel der Auswärtigen Vizepräsidentin Petra Pau: Kultur- und Bildungspolitik explizit ausgenommen wor- Der Kollege Dr . Bernd Fabritius hat für die CDU/ den. Häufig fiel damals der Satz: Man müsse trotz der CSU-Fraktion das Wort . Differenzen weiter mit Russland sprechen .– Das war (Beifall bei der CDU/CSU) selbstverständlich zutreffend, und damit war auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gemeint . Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Sosehr ich von der AKBP als Krisenbegleiterin und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Wegbereiterin bei der Lösung von Konflikten überzeugt Herren! In der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, bin, so muss ich zugleich auch Grenzen erkennen . Zur der immer größeren europäischen Familie und der immer Lösung des Syrien-Konflikts kann die Auswärtige Kul- tiefer werdenden Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten tur- und Bildungspolitik derzeit leider wenig beitragen . in der Europäischen Union – untereinander und mit den Von der Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees im Nachbarschaftsstaaten in Partnerschaft – wähnten wir Juni in Bonn unter der Leitung von Staatsministerin uns in einer Epoche des Friedens in Europa . War dieser Böhmer ist aber ein deutliches Signal für einen besseren Blick womöglich zu sehr nach innen gekehrt? Haben wir Schutz der Welterbestätten vor der Zerstörungswut des nicht bemerkt, dass um uns herum Konflikte schwelten, sogenannten „Islamischen Staates“ ausgegangen . und darauf etwa zu spät reagiert? Diese Interpretation fa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vorisieren die Gegner Europas, und ich halte sie entschie- den für falsch . Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, Wir unterstützen Sie, Frau Staatsministerin, in Ihrem mit zu einfachen Antworten all jenes infrage zu stellen, Engagement zum Schutz des Kulturerbes ebenso wie bei was – aktuellen Schwierigkeiten zum Trotz – eines der Ihrem Vorhaben einer strukturellen Reform des Welter- größten friedenspolitischen Projekte der Geschichte ist . bekomitees . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12451

Dr. Bernd Fabritius (A) Mindestens genauso wichtig wie der Schutz des Welter- Toleranz der kommenden Generationen ist eine Investiti- (C) bes ist der Schutz der Menschen vor Krieg und Terror . on in eine friedliche Zukunft . Hier kann die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu- mindest die Not der Menschen lindern, die durch Flucht Damit komme ich zum wichtigsten Kapital, das die und Vertreibung Opfer derartiger Ereignisse geworden deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu bie- sind . Ein Ansatz: Durch AKBP kann dazu beigetragen ten hat . Es sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der werden, dass in den Zufluchtsregionen dieser Welt, in Mittlerorganisationen, Entsandte, Lektoren, Redakteure, den Lagern, aus denen es zur Sekundärmigration kommt, Kulturmanager, Lehrer und andere . Sie, meine Damen die Situation erträglicher wird und Menschen, die bereits und Herren, setzen Tag für Tag das um, was die Aus- gerettet sind, sich nicht erneut auf Wanderschaft begeben schüsse, der Bundestag, das Auswärtige Amt und die an- müssen. Es muss die allererste Pflicht der gesamten Staa- deren beteiligten Ministerien beschließen . Dafür sage ich tengemeinschaft sein, die notwendigsten Bedürfnisse der an dieser Stelle deutlich: Danke schön . Menschen in den Flüchtlingslagern – etwa in Jordanien, der Türkei und im Libanon – zu decken, ausreichend (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Nahrung, Schlafplätze und ärztliche Versorgung zu si- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ chern . Gleich danach, meine Damen und Herren, sind es DIE GRÜNEN) aber auch die kulturellen und pädagogischen Angebote, Eine Gruppe möchte ich besonders hervorheben, die für die oftmals traumatisierten Menschen eine deut- nämlich unsere Auslandslehrkräfte . Das deutsche Aus- liche Hilfe sind . landsschulwesen ist ein Flaggschiff der deutschen Aus- Sie erleichtern den tristen Alltag und helfen, Traumata zu wärtigen Kultur- und Bildungspolitik, was auch in dem überwinden . Lebhaft in Erinnerung bleiben später, wenn vorliegenden Bericht klar seinen Niederschlag findet. Negatives aus dem Gedächtnis verschwindet, gerade die Die deutschen Auslandslehrkräfte vermitteln unsere Wer- kulturellen Angebote . Hier können wir mit relativ wenig te in Regionen der Welt, in denen oftmals ein Mangel an Einsatz viel bewirken . Sie, Frau Kollegin Roth, haben Chancengleichheit und Demokratie herrscht . Sie leisten das zu Recht deutlich angesprochen . damit wertvolle Arbeit als Bildungs- und Wertebotschaf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ter der Bundesrepublik Deutschland . ordneten der SPD und des Abg . Dr .Harald Sie vermitteln und fördern als primäre Aufgabe die Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) deutsche Sprache im Ausland . Die Vermittlung von Sicherlich wird es neben der dringlichen Aufbau- und Deutsch als Fremdsprache schafft eine nachhaltige Bin- Entwicklungshilfe gerade auch die AKBP sein, die als dung an Deutschland bei denen, die dann auch unsere (B) eine der Ersten wieder nach Syrien zurückkehren wird, Sprache sprechen . Mindestens ebenso wichtig ist nach (D) wenn dieser grausame Konflikt beendet ist. Noch mehr meiner Überzeugung die Vermittlung von Deutsch als kann Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik bewirken, Muttersprache dort, wo eine entsprechende Nachfrage wenn sie präventiv ansetzt und dazu beiträgt, dass Kon- besteht . Muttersprachlicher Unterricht ist für im Ausland flikte erst gar nicht entstehen. lebende Deutsche und deren Kinder existenziell wichtig . Wenn im Zuge der Flüchtlingskrise in den vergan- Die Sprache ist Teil ihrer Persönlichkeit und Identität . genen Wochen häufig die Rede davon war, dass die Ohne entsprechende Angebote wären gerade diese in Fluchtursachen bekämpft werden müssen, dann ist damit allen Gebieten im Ausland, in denen deutsche Gemein- zumindest begleitend auch die Auswärtige Kultur- und schaften leben, erheblich gefährdet . Bildungspolitik gemeint . Am Beginn eines friedlichen Ich komme zurück auf die entsandten deutschen Miteinanders von Kulturen, von Religionen und von Nationen steht das gegenseitige Verständnis . Ein solches Lehrer . Seit bald 15 Jahren sind deren Bezüge von der Verständnis kann nicht verordnet werden . Es entsteht Lohnentwicklung abgekoppelt . Der Unterausschuss für langsam und muss im gegenseitigen Dialog auf Augen- Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist sich in wei- höhe erarbeitet werden . ten Teilen darüber einig, dass sich die Probleme bei der Personalfindung für die deutschen Auslandsschulen- er Hier setzt der Schwerpunkt „Kooperation und Dialog“ heblich verschärfen werden, wenn wir nicht bereits im der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik an . Jeder nächsten Haushalt deutlich gegensteuern . Euro, den wir in die Prävention von Konflikten investie- ren, ist gut angelegtes Geld . (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Siegmund Ehrmann [SPD]) Je früher dieses Prinzip in den Bildungsbiografien Ich komme zum Ende .– Mir ist natürlich klar, dass einer Gesellschaft ansetzt, desto besser . Deshalb fördert wir schon wegen der aktuellen Flüchtlingskrise vor gro- die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik den Kinder- ßen Herausforderungen stehen . Trotzdem und gerade und Jugendaustausch gerade auch durch Begegnungen wegen der vorher dargelegten Bedeutung und Wirkungs- an historischen Gedenkorten . Sie fördert darüber hinaus weise der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wäre über verschiedenste Stipendienprogramme unter ande- ein nachlassendes Engagement auf diesem Gebiet fatal . rem Schüler, Studierende, Wissenschaftler und Künstler . Ich werbe daher eindringlich um die Unterstützung des Diese Investition in das kulturelle Verständnis und die gesamten Bundestages für diesen Bereich . 12452 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Bernd Fabritius (A) Danke . Wir haben gute Kulturmittler wie das Goethe‑Institut, (C) die Alexander-von-Humboldt‑Stiftung, den DAAD oder (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie das Deutsche Archäologische Institut . Es wurde schon der Abg . Claudia Roth (Augsburg) [BÜND- darauf hingewiesen: Es ist wichtig, dass DAAD und das NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutsche Archäologische Institut vor Ort den Menschen helfen, zu begreifen, was alles in ihrer Heimat zerstört Vizepräsidentin Petra Pau: wird: Das ist ihre eigene Identität . An dieser Stelle müs- Die Kollegin Doris Barnett hat für die SPD-Fraktion sen wir helfen . Wir sind dabei, die notwendigen Mittel das Wort . bereitzustellen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Für mich ist ganz wichtig, dass wir dem Goethe‑Insti- der CDU/CSU) tut zu altem Glanz, so will ich es sagen, verholfen haben . In der letzten Legislaturperiode wurden dem Goethe‑Ins- Doris Barnett (SPD): titut einfach mal so 15 Millionen Euro genommen . Diese Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kürzung haben wir zurückgenommen . Das Goethe‑Insti- Es ist schön, zu sehen, dass der Unterausschuss Auswär- tut kann nun mit dem alten Ansatz wieder vernünftig ar- tige Kultur- und Bildungspolitik sich hier in weiten Tei- beiten . Ich glaube, ich spreche auch im Namen des Kol- len einig ist und wie eine Front steht . Das müssen wir als legen Karl – ich sehe ihn im Augenblick nicht –, wenn Haushälter auch zur Kenntnis nehmen . ich sage: Vor Ort in Windhuk konnten wir sehen, wie toll das dortige Goethe‑Zentrum angenommen wird . Wir ha- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie ben mitgeholfen, dass es jetzt zu einem Institut ausgebaut bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE werden kann . Darauf sind wir als Haushälter natürlich GRÜNEN – Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: ein Stück weit stolz . Sehr gut!) Ein anderes Beispiel . Wenn wir auf Auslandsreisen Aber auch bei uns – das wissen Sie – gibt es Grenzen . sind, schauen wir uns immer die Schulen an . Im letzten Ich sage einmal ganz unumwunden: Diese Grenzen kann Jahr haben wir die deutschen Schulen in Washington und praktisch nur der Bundesfinanzminister beseitigen. Wir haben zwar alle ein Einsehen bezüglich der Forderungen, in Accra, in Ghana, besucht . Natürlich gibt es schon allein die Sie stellen . Aber aus den Mitteln, die wir jetzt für die hinsichtlich der baulichen Substanz riesige Unterschiede . humanitäre Hilfe zusätzlich bekommen, die Gelder für Aber was immer wieder auffällt, ist, wie engagiert unsere die Schulen herauszuziehen, davor kann ich nur warnen . Lehrer sind und welcher Glanz in den Augen der Kinder zu sehen ist, wenn man mit ihnen Deutsch spricht . Das (B) In der Tat ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspo- ist eine Bestätigung dafür, dass wir hier hervorragende (D) litik als unverzichtbarer Teil der Außenpolitik und damit Arbeit leisten . auch der friedenstiftenden Politik zu begreifen . Deswe- gen haben wir zu Beginn dieser Legislatur bei den Mit- In Accra haben wir nicht nur etwas für die Bildung, teln kräftig zugelegt, und zwar wir Abgeordnete zusam- sondern auch etwas für die Wirtschaftsförderung getan . men mit dem Außenministerium . Wir haben nämlich gesehen, wie schlecht dort die Strom- versorgung ist . Als wir wieder zu Hause waren, haben Begonnen hat dies alles mit dem Review‑Prozess im wir gesagt: Es wäre doch eine gute Idee, der deutschen Dezember 2013 . Daraus haben sich dann für die AKBP Schule in Accra Solarpaneele zu geben, damit der Strom Schwerpunkte herauskristallisiert . Ich nenne zum Bei- vor Ort erzeugt werden kann . Dann können auch die spiel – darauf wurde immer hingewiesen – die Zusam- Klassenzimmer gekühlt werden, sodass die armen Kin- menarbeit mit der Zivilgesellschaft . Das gilt insbesonde- der nicht bei 40 Grad lernen müssen . re für die Länder der Östlichen Partnerschaft . 82 Projekte konnten gefördert werden . Wir konnten diesen Ländern Das passiert jetzt gerade . Hier zeigen wir nicht nur, dass damit helfen, einen Neuanfang zu beginnen, insbesonde- wir ein wirtschaftsstarkes Land sind, sondern auch, wie re was den Kampf gegen die Korruption betrifft . erneuerbare Energie erzeugt werden kann, und lernen sie an . Sonne haben sie reichlich . Dieses Modellprojekt an Das ist ein weiter Weg, den die Staaten gehen müssen . unserer Schule kann Schule machen . So kann man vieles Aber ich denke, dass die Mittel, die wir in den – so will miteinander verbinden . ich es einmal nennen – Ukraine-Topf hineingeben, gut angelegtes Geld sind . Ich kann aus eigener Erfahrung ein (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Beispiel nennen . In meiner Heimatstadt gibt es einen of- der Abg . Claudia Roth (Augsburg) [BÜND- fenen Kanal . Ich habe die Verantwortlichen angeschubst NIS 90/DIE GRÜNEN]) und gesagt: Helft doch mal mit! – Die haben ein Projekt Ich bin froh, dass wir sowohl eine vernünftige Außen- in der Ukraine auf den Weg gebracht . Jetzt entsteht in der und Kulturpolitik als auch ein Stück weit Wirtschaftspo- Ukraine ein Bürgerfernsehen, also ein Fernsehprogramm litik machen können . Ich möchte darum bitten – bei der gemacht von Bürgern für Bürger . Auch in Kaliningrad Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben wir auch gibt es Menschen, die dieses Projekt kopieren möchten . eine Regierungsvertreterin an unserer Seite –, dass wir Das ist die Arbeit, die wir uns wünschen . Dafür stellen unseren Finanzminister davon überzeugen, wie wichtig wir auch die nötigen Mittel bereit . unsere Auslandsschulen und unsere Lehrer dort sind . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deswegen müssen wir für zusätzliches Geld trommeln . des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier setze ich auf uns alle, damit es uns gelingt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12453

Doris Barnett (A) Vielen Dank . Ideologien und trennenden Ansätzen und sorgen dafür, (C) dass dieses Gegengewicht Raum erhält . (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der Abg . Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr . Christoph Bergner hat für die CDU/ Es ist richtig, dass wir einen Sondertitel – er ist schon CSU-Fraktion das Wort . erwähnt worden – zur Pflege zivilgesellschaftlicher Kon- takte im Rahmen der Östlichen Partnerschaft haben . (Beifall bei der CDU/CSU) Auch das ist ein ganz wertvolles Instrument . Wir haben uns im Rahmen der Berichterstattung im Unterausschuss Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): darüber informieren lassen . Ich will aber darauf hinwei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sen, dass es Disparitäten gibt, die bei diesem Aufgaben- Wer die Broschüre-Ausgabe des 18 .Berichts zur Aus- feld durchaus problematisch sind . 25 Jahre nach dem wärtigen Kultur- und Bildungspolitik durchblättert, Fall des Eisernen Vorhangs gibt es in der Auswärtigen findet sehr viele schöne, ansprechende und sympathie- Kultur- und Bildungspolitik nach wie vor Disparitäten weckende Fotos . Diese angenehmen Bilder dürfen uns zwischen Ost und West . Ich könnte mehrere Zahlen nen- allerdings nicht – das zeigt die bisherige Debatte – dar- nen, will aber beispielhaft nur die Zahl der Goethe-In- stitute nennen: Während es in Frankreich und Italien je über hinwegtäuschen, dass sich die Auswärtige Kultur- sieben Goethe-Institute gibt, gibt es in Polen zwei und und Bildungspolitik im Moment in einer Welt bewähren in der Tschechischen Republik nur ein Goethe-Institut . muss, die aus den Fugen geraten ist . Unsere Aufgabe als Wenn wir die Zahl der ins Ausland entsandten Lehrer Parlamentarier besteht ganz wesentlich darin, die Arbeit miteinander vergleichen, kommen wir zu einer ähnli- der Mittlerorganisationen, die Arbeit unserer Auslands- chen Betrachtung . Wenn wir uns also mit dem Thema der vertretungen mit Kulturpartnern und anderen in den Östlichen Partnerschaft in der Auswärtigen Kultur- und Kontext der bestehenden Konflikte zu rücken und die Lö- Bildungspolitik befassen, das ich für außerordentlich sungsansätze, die dabei gefunden werden, zu unterstüt- wichtig halte und das im 18 .Bericht auch ausdrücklich zen . Das ist eine Aufgabe, die aus meiner Sicht sehr viel hervorgehoben wird, dann müssen uns die bestehenden anspruchsvoller ist, als es auf den ersten Blick scheint . Disparitäten beunruhigen . Gelegentlich ist die politische Analyse leichter als die Ich komme zum zweiten Punkt, der Flüchtlings- bzw . Analyse der kulturellen und geistigen Hintergründe von Migrationskrise . Hierzu ist schon viel gesagt worden . (B) Konfliktsituationen. Ich fände es richtig, wenn es sich bestätigen sollte, dass (D) Ich will deshalb an zwei aktuellen Stichworten ver- von den zusätzlichen Mitteln, die für Flüchtlinge zur suchen, zu demonstrieren, was ich damit meine . Die Verfügung gestellt werden, ein bestimmter Anteil für die Stichworte sind: Ukraine-Krise und Flüchtlingsfrage – Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik reserviert wird . Stichworte, die von Kolleginnen und Kollegen schon an- Ich halte es für einen außerordentlich wichtigen Beitrag, gesprochen wurden . nicht allein bei den unmittelbaren, „harten“ humanitären Maßnahmen anzusetzen, sondern durchaus auch Maß- Wenn ich „Ukraine-Krise“ sage, meine ich sehr viel nahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik mehr . Der 18 .Bericht betont zu Recht, Frau Tank, den mit im Blick zu haben . Schwerpunkt der Östlichen Partnerschaft in der Auswär- (Beifall bei der CDU/CSU) tigen Kultur- und Bildungspolitik; denn es geht um den Wunsch der osteuropäischen und südkaukasischen Län- Die Flüchtlingslager sind schon angesprochen wor- der, besser: Gesellschaften, sich an europäischen Leitbil- den . Wir dürfen nicht zulassen, dass eine verlorene dern zu orientieren – ein Wunsch, der in einen Kontrast, Generation entsteht . Das zu verhindern, ist richtig und einen Gegensatz zu den politischen Leitbildern Russlands sollte von uns unterstützt werden . Ich will aber in die- geraten ist . Es ist an dieser Stelle wichtig, sich klarzuma- sem Kontext auf einen anderen Punkt hinweisen, der mir chen, dass hinter den politischen Leitbildern Russlands Sorge macht – ich erkenne hier ein Bewährungsfeld der auch geistig-kulturelle Vorstellungen stehen . Ich erinnere Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik –: Wir wollen, an die Schriften von Alexander Dugin, der die eurasische dass die Flüchtlingsaufnahme europäisch gelöst wird; das heißt, wir wollen gemeinsame Verfahren und eine Idee pflegt und dies mit einem derartigen Sendungsbe- faire Verteilung der Aufgenommenen . Wir kennen die wusstsein vertritt, dass die Wirkung bis zu Marine Le Probleme, auf die wir dabei gestoßen sind und die im Pen nach Frankreich reicht . Diese Dimensionen müssen Moment durch Mehrheitsentscheidung im JI-Rat vorü- wir im Blick haben, wenn wir Östliche Partnerschaft mit bergehend gelöst scheinen . Die Weigerung, Flüchtlinge den Mitteln der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik aufzunehmen, interpretieren wir im Moment mit einer fördern und unterstützen wollen . Insofern ist es richtig, gewissen Berechtigung als einen Mangel an Solidari- dass die Kulturzusammenarbeit aus den Sanktionsmaß- tät . Aber ich glaube, sich allein darauf zu berufen, greift nahmen der EU ausdrücklich ausgenommen ist . Mit der zu kurz . Als Politiker im Bereich der Auswärtigen Kul- gemeinsamen Pflege von Strawinsky oder Puschkin bis tur- und Bildungspolitik sollten wir uns herausgefordert hin zu deutschen Autoren und deutscher Literatur schaf- fühlen, wenn der slowakische Innenminister sagt: „Die fen wir gewissermaßen ein Gegengewicht zu trennenden Slowakei will keine Muslime aufnehmen“ und wenn der 12454 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Christoph Bergner (A) ungarische Ministerpräsident sein Land in die historische derholen, was Frau Kollegin Schmidt gesagt hat und was (C) Tradition stellt, Bollwerk des christlichen Abendlandes Sie, Frau Staatsministerin Böhmer, bestätigt haben . Ich zu sein . Dies sind Sichtweisen, die eine gewisse nationa- ahne, dass der Kollege Feist nachher noch etwas dazu le Prägung zum Ausdruck bringen . Wenn wir Auswärtige beiträgt, Kultur- und Bildungspolitik ernst nehmen, dann müssen (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ihr im- wir die Herausforderung annehmen, in einen Dialog über mer ahnt!) die Frage einzutreten, wie wir bei so unterschiedlichen nationalen Prägungen gewissermaßen zu einem europäi- nämlich was die Stärkung der beruflichen Bildung an den schen Gemeinwohlbegriff kommen können . deutschen Auslandsschulen angeht . Ich glaube, der dogmatische Verweis auf die Grund- (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, richtig!) werte der Europäischen Union allein löst dieses Problem Wir sind da ja auch ganz einer Meinung . Wir diskutieren nicht . Der Gedanke der Schaffung gemeinsamer kultu- das in Bildungszusammenhängen immer wieder. Das fin- reller Identitäten im vereinten Europa und unter den Mit- de ich auch richtig und wichtig . gliedstaaten hat schon im Review-Prozess des Auswärti- gen Amtes eine Rolle gespielt . Insofern wünsche ich mir Ich will ein weiteres Stichwort nennen, über das wir durchaus, dass wir auch hier, bei dieser Frage, Dialog- noch nicht gesprochen haben: Das ist die Außenwissen- formen und -möglichkeiten organisieren, die das Ganze schaftspolitik . nicht allein zu einer Frage von Mehrheit oder Minderheit, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie sondern zu einer Frage der kulturellen Verständigung bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE machen . GRÜNEN) Herzlichen Dank . Wir als Bundesrepublik Deutschland, liebe Kollegin De (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ridder, haben einiges dazu beizutragen, wenn ich an die ordneten der SPD) Fachhochschulen und die anwendungsorientierten Hoch- schuleinrichtungen denke . Vizepräsidentin Petra Pau: Zurück zu dem, was wir aktuell leisten . Der Studie- Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Martin Rabanus rendenaustausch und der Wissenschaftleraustausch sind das Wort . angesprochen worden . Im Bereich des Bundesbildungs- ministeriums stellen wir dafür – über den dicken Daumen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gepeilt – 140 Millionen Euro bereit . Liebe Frau Kollegin Roth, ich würde mich Ihrer Forderung, dass wir mit dem (B) (D) Martin Rabanus (SPD): Herrn Finanzminister auch noch einmal über den Bil- Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- dungshaushalt sprechen, gerne anschließen wollen . ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle- (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/ gen! Ich finde, wir hatten bisher eine richtig gute Debatte; DIE GRÜNEN]: Gut!) denn sie belegt, dass es im ganzen Hause sehr viel Über- einstimmung hinsichtlich der Bedeutung der Auswärti- Auch da hätten wir noch ein paar Dinge zu besorgen, um gen Kultur- und Bildungspolitik gibt, und sie hat noch bereits begonnene, aber auch sinnvolle weitere Projekte einmal klargestellt: Auswärtige Kultur- und Bildungspo- anschieben zu können – das aber nur als Fußnote –, das litik ist kein Sahnehäubchen – wie Frau Kollegin Roth betrifft insbesondere den DAAD . das gesagt hat –, sondern sie ist eine tragende Säule der Wir lassen uns die Auswärtige Kultur- und Bildungs- deutschen Außenpolitik . politik relativ viel kosten, um das Bild Deutschlands in (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/ der Welt positiv zu prägen . Die Welt hat ja auch ein tolles DIE GRÜNEN]: Ja!) Bild von Deutschland . Das merken wir an unserer aktu- ellen Beliebtheit bei den Flüchtlingen . Ich will es einmal Das möchte auch ich als Bildungspolitiker und als Mit- so herum sagen: Wir dürfen durchaus stolz darauf sein, glied des Ausschusses für Bildung und Forschung unter- dass alle der Auffassung sind: In Deutschland kann man streichen . ein gutes Leben führen .– Das ist nicht zu beklagen . Viel- Es ist auch deutlich geworden, welche wichtigen mehr ist die Frage, wie wir produktiv damit umgehen . Funktionen die Mittlerorganisationen wahrnehmen, dass Und es ist bereits angedeutet worden: Unsere Mittleror- sie zum Teil unter schwierigsten Bedingungen Menschen ganisationen sind nicht nur im Ausland gut, sie sind auch zusammenbringen, auch zusammenhalten, getreu dem im Inland gut . Motto „Wer miteinander spricht, wird gegeneinander Die Vorschläge des Goethe-Institutes sind angespro- weniger gewalttätig“ . Deswegen gebührt denjenigen, die chen worden . Auch der DAAD hat Vorschläge entwi- diese Arbeit leisten, unser aller Dank; Herr Dr . Fabritius ckelt, wie man diese Kompetenz im Inland einsetzen hat auch schon dafür gedankt . kann. Ich finde tatsächlich – Frau Müntefering hat es angesprochen –, dass wir die Frage der Onlineplattfor- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) men, der MOOCs, die sehr schnell eine große Reichweite Es gibt natürlich auch noch einiges zu besorgen . Für haben können, sehr ernst nehmen müssen . Es gibt viele den Bereich der deutschen Auslandsschulen ist das be- Hochschulen, die entsprechende Angebote machen . Wir reits angedeutet worden . Daher muss ich nicht das wie- haben Partner, die sie in die Fläche bringen können . Das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12455

Martin Rabanus (A) wird nicht zum Nulltarif zu machen sein . Umso wichtiger ßen der sichtbare Teil der Außenpolitik . Während Diplo- (C) ist, dass wir hier etwas tun . maten meistens hinter verschlossenen Türen agieren und später mit irgendeinem Ergebnis herauskommen, werden (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE die Ergebnisse in der Auswärtigen Kultur- und Bildungs- GRÜNEN) politik sichtbar gemacht . Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein konkretes Da wir am Vortag des 25 . Jahrestages der deutschen Beispiel nennen, wie es aussehen kann, wenn sich Start- Einheit sind, möchte ich das gern einmal aus einer per- ups dieses Themas annehmen . Die Kiron University in sönlichen Sichtweise heraus illustrieren . Ich habe mein Berlin – der eine oder andere wird das in den Medien halbes Leben in einem Land verbracht, das es nicht mehr verfolgt haben – ist ein Start-up, das eine Hochschu- gibt . Es hieß Deutsche Demokratische Republik oder, le speziell für Flüchtlinge gegründet hat . In den ersten wie Erich Honecker immer nuschelnd gesagt hat, „Deut- zwei Jahren tritt sie ausschließlich mit Onlineangebo- sche Kratische Plick“ . ten an Flüchtlinge heran . Im dritten Jahr möchte sie mit (Heiterkeit) Partneruniversitäten arbeiten . Das soll zu einem Bache- lorabschluss führen . Das ist eine ganz großartige Sache . In diesem Land hatten wir zwar Westfernsehen – ich bin Ich finde, dass wir solche Initiativen unterstützen sol- in Leipzig groß geworden, nicht im Tal der Ahnungs- len, können und müssen . Ich werde das später an Herrn losen – und konnten uns informieren; natürlich wurden Rachel vom BMBF weitergeben, weil ich glaube, dass wir über den schwarzen Kanal von Karl-Eduard von so mit relativ wenigen Mitteln sehr viel geholfen werden ­Schnitzler, bei uns liebevoll „Sudel-Ede“ genannt, auch kann, sodass viele Menschen hier möglichst optimale immer informiert, wie schrecklich „da drüben“ alles ist . Bildungsangebote bekommen und Ressourcen nicht ver- Aber wirklich interessant war, was sich mit Kultur ver- schwendet, sondern für unser Land erschlossen werden . bunden hat; denn Kultur spricht jeden Menschen an . Sie spricht die Sinne an, die Vernunft und die Emotionen . (Beifall der Abg . Ulla Schmidt (Aachen) Genau dafür bieten wir Orte an, beispielsweise mit den [SPD] und Claudia Roth (Augsburg) [BÜND- weltweit vorhandenen Goethe-Instituten, aber auch mit NIS 90/DIE GRÜNEN]) anderen Einrichtungen . Dadurch erreichen wir nicht nur Dann können wir mit Recht sagen: Wir schaffen das . den Verstand, sondern auch die Herzen der Menschen . Danke schön . Deswegen ist Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eine gute Art der Politik . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr .Thomas Feist hat für die CDU/ Es gab und gibt zum Glück noch heute in Leipzig das CSU-Fraktion das Wort . Polnische Informations- und Kulturzentrum . Nun kann man sich über Polen auch über Bücher informieren; das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- machen viele sicher auch . Sie lesen und schauen im In- ordneten der SPD) ternet – das hatten wir damals noch nicht –, was da so los ist . In diesem Informations- und Kulturzentrum gab Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): es genau das, was mich als jungen Menschen damals in- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und teressiert hat, zum Beispiel Musik von Czeslaw Niemen, Kollegen! Ich habe mir bei den vorherigen Reden einmal elektronische Musik oder die sogenannten Lizenzplatten die Zeit genommen, auf die Tribünen zu schauen . von den Sex Pistols . (Zuruf des Abg . Dr .André Hahn [DIE LINKE]) (Michaela Noll [CDU/CSU]: Sex Pistols?) – Doch, ich kann gleichzeitig hören und schauen . Wenn – Ja, kennst du die noch, Michaela? Super Musik! – Da- Sie das nicht können, müssen Sie es einmal trainieren . rüber hinaus gab es – das organisieren auch unsere Go- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ethe-Institute – Veranstaltungen . Die Veranstaltungen, die das Polnische Informations- und Kulturzentrum Der Kollege Gysi kann das auch . Schauen Sie es sich durchgeführt hat – das waren meistens irgendwelche wil- einmal ab von ihm! – Ich habe die Konzentration in den den Free-Jazz-Konzerte, was vielleicht nicht jedermanns Gesichtern der jungen Menschen gesehen – ich würde es Musik ist –, boten die Möglichkeit, mit Menschen aus zumindest freundlicherweise als Konzentration interpre- anderen Ländern zusammenzukommen, mit Künstlern, tieren –, wenn von Auswärtiger Kultur- und Bildungs- mit Kreativen, mit Verrückten . Das war eine tolle Sache . politik gesprochen wurde . Auswärtige Kultur- und Bil- Deswegen ist das, was wir hier machen, wirklich gut . dungspolitik, was für ein sperriger Ausdruck! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Bei mir im Wahlkreis muss ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- jedes Mal erklären, was das ist . Da Plenarsitzungen so- wie des Abg . Martin Rabanus [SPD] – Claudia zusagen das Schaufenster des Parlaments sind, würde ich Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das auch an dieser Stelle gerne einmal versuchen: Die NEN]: Ja, bei Verrückten fühle ich mich an- Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist gewisserma- gesprochen!) 12456 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Thomas Feist (A) – Claudia, ich habe die Toten Hosen nicht erwähnt . Ton Östliche Partnerschaft ist angesprochen worden; aber es (C) Steine Scherben sind auch gut gewesen . gibt auch andere . Die jungen Menschen sollen verstärkt die Möglichkeit erhalten, durch Partizipation, durch ei- Außerdem gab es zu DDR-Zeiten gar nicht weit von genes Erfahren zu lernen, wie wichtig das ist . Warum ist hier, Unter den Linden, ein französisches Kulturzentrum, das wichtig? Jetzt komme ich noch einmal ganz kurz auf gar nicht weit weg von der Berliner Mauer . Ich hatte da- die Bücher zurück: Aus Büchern kann man viel über ein mals als zweite Fremdsprache – Russisch war ja für alle Land lernen – mittlerweile kann man sich auch im In- als erste Fremdsprache verpflichtend – nicht Englisch, ternet informieren ; aber die Begegnung von Menschen sondern Französisch gewählt . kann durch Bücher nicht ersetzt werden . Genau diese (Michaela Noll [CDU/CSU]: Gute Wahl!) Begegnung von Menschen ermöglichen wir durch den Jugendaustausch im Rahmen der Auswärtigen Kultur- Nun, mit wem konnte man in der DDR Französisch spre- und Bildungspolitik . Deswegen ist es richtig, dass wir als chen? Mit niemandem! Deswegen war es unheimlich Parlament diesen Titel aufstocken wollen . Ich bitte alle wichtig, dass es hier in Berlin ein französisches Kultur- herzlich dabei um Unterstützung . zentrum gab, wo es Bücher gab, wo man sich auch ein- mal eine Schallplatte kaufen konnte . Das war sozusagen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und unser Blick in die Welt, und zwar ein Blick, der nicht von der SPD) irgendwelchen Klischees geprägt war; der war echt . – Es ist immer schwer, Beifall zu spenden, wenn der Es ist daher wichtig, dass wir mit den Goethe-Insti- Redner keine Pause macht . Ich verstehe das; aber so ist tuten weltweit Möglichkeiten für einen solchen Blick in das nun einmal, wenn es einen mitreißt . Frau Kollegin die Welt schaffen . Ich gebe dem Kollegen Bergner recht: Schmidt, Sie wissen ja selber, wie das ist . Wir müssen schauen, wie man das in Zukunft noch ein Ich möchte auf die deutschen Auslandsschulen zu- bisschen ausgeglichener gestalten kann . rückkommen, um deutlich zu sagen, wie wichtig sie sind . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die deutschen Auslandsschulen sind mitnichten Schulen, die exklusiv die Beschulung von Deutschen im Ausland Aber etwas Gewachsenes abzusägen, ist sehr schwierig; übernehmen, sondern sie sind offen für junge Menschen das muss man schon sagen .– Für Menschen die Mög- aus diesen Ländern . Deswegen ist es wichtig, dass wir lichkeit zu schaffen, sich auszutauschen, das ist eine tolle diese deutschen Schulen in Zukunft besser ausstatten . Sache, und das ist Außenpolitik . So verstehe ich die Aus- wärtige Kultur- und Bildungspolitik . Sie ist Außenpolitik (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nah am Menschen . Wichtig ist auch, dass die Lehrer – über sie ist schon (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mehrfach gesprochen worden – so vergütet werden, dass (D) der SPD sowie der Abg . Claudia Roth (Augs- sie es attraktiv finden, im Ausland zu unterrichten. Die burg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Lehrer bleiben ja nicht immer dort . Sie kommen zurück . Angesichts der Entwicklungen in Europa und in unserem Es ist außenpolitisch wichtig, wenn Menschen mit klang- Land sind das genau die Lehrkräfte, die wir brauchen . vollen Namen von A nach B reisen, sich tief in die Augen Sie haben einen breiten interkulturellen, interreligiösen schauen und sich die Hände schütteln . Das ist alles gut; Hintergrund und können deswegen eine bessere Beschu- ich habe nichts dagegen . „Nah am Menschen“ heißt aber, lung von Kindern und Jugendlichen hier vor Ort ermög- dass wir jungen Menschen die Möglichkeit geben, in lichen . Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesem Be- diese Begegnungen einzusteigen; denn die jungen Men- reich tätig sind . schen von heute sind diejenigen, die morgen oder über- morgen Verantwortung übernehmen müssen . – Gemeint Frau Präsidentin, mit Verlaub, an dieser Stelle möchte seid auch ihr auf der Tribüne . ich gerne unserer Staatsministerin danken: Ich finde Ihr Engagement sehr gut . Es gab schon andere Staatsminis- Wir haben einen Antrag vorgelegt, in dem es darum terinnen, die sich nicht so engagiert eingesetzt haben . Mit geht, im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungs- Ihnen wissen wir eine verlässliche Partnerin an unserer politik den Jugendaustausch zu verstärken. Ich finde, das Seite . Bitte richten Sie das auch dem Außenminister aus . ist eine gute und sinnvolle Sache . Leider gibt es verschie- Wir kämpfen für die Auswärtige Kultur- und Bildungs- dene Stellungnahmen von Kulturorganisationen, die das politik . Wenn Sie das im Ministerium auch machen, kann gar nicht gut finden. Sie sagen: Wieso? Jetzt wollt ihr uns gar nichts schiefgehen . vorschreiben, was wir machen sollen, in welche Rich- tung wir gehen sollen? – Dazu kann ich nur sagen: Liebe Vielen Dank . Kulturorganisationen, fragt, bevor ihr das nächste Mal (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie eine solche Kritik äußert, vorher die Menschen, die die- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE sen Antrag geschrieben haben, die sich damit beschäftigt GRÜNEN) haben . Natürlich haben wir das Feld der freien Jugendar- beit und des Jugendaustausches, wo eigene Ideen einflie- Vizepräsidentin Petra Pau: ßen können . Dafür ist aber ein anderes Ministerium zu- Ich schließe die Aussprache . ständig . Bei uns geht es darum, mehr jungen Menschen im Bereich der auswärtigen Politik die Möglichkeit zu Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf geben, an diesem Austausch teilzunehmen, und zwar be- den Drucksachen 18/5057 und 18/579 an die in der Ta- zogen auf die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben . Die gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12457

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann Die Mehrheit des Hauses muss heute einfach nur den (C) sind die Überweisungen so beschlossen . Anträgen der Linken zustimmen und die Bundesregie- rung beauftragen, die Ungerechtigkeiten bei der Ren- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: tenüberleitung und bei der Mütterrente zu beenden . Hier a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland spricht ein Haushälter zu Ihnen . Daher möge niemand Claus, Dr .Gregor Gysi, Matthias W . Birkwald, mit dem Argument kommen, das sei nicht zu bezah- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE len . Ich könnte Ihnen jetzt ganz viele Beispiele nennen, LINKE die zeigen, für welche Bereiche wir in letzter Zeit sehr schnell sehr große Summen beschlossen haben . Wenn Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ost- wir das beschließen würden, hätten Tausend Ältere in deutschland und beim Übergangszuschlag unserem Land morgen noch einen Grund mehr, zu feiern . beheben (Beifall bei der LINKEN) Drucksache 18/4972 Überweisungsvorschlag: Es bleibt: Die fehlende Angleichung der Renten ist Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) zum Symbol der Rechtsungleichheit Ost/West geworden . Ausschuss für Wirtschaft und Energie Die Beseitigung der Rentenungerechtigkeit wäre ein b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- wichtiger Beitrag zur deutschen Einheit . richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (Beifall bei der LINKEN) (11 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Roland Claus, Dr .Gregor Gysi, Matthias W . Ich will daran erinnern, dass Frau Merkel auf dem Seni- Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti- orentag im Juni 2009 gesagt hat: on DIE LINKE Ich stehe dazu, dass wir eine solche Angleichung Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur von Ost und West brauchen . Ich würde . .sagen, . der Rentenüberleitung beheben dass das Thema in den ersten beiden Jahren der nächsten Legislaturperiode erledigt sein wird . Drucksachen 18/1644, 18/5290 Das wäre 2011 gewesen . Wir schreiben inzwischen das Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- Jahr 2015 . Jetzt sagen Sie, es solle eventuell bis 2019 mentlich abstimmen . geschehen . Das wäre wieder die nächste Legislaturpe- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für riode . Das glaubt Ihnen niemand . Den Ankündigungen die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- der Kanzlerin müssen endlich Taten folgen . Heute ist die (B) nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Gelegenheit dazu . (D) Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Dr . Dietmar Bartsch für die Fraktion Die Linke . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Die Überleitung der Alterssicherungssysteme der DDR in bundesdeutsches Recht Anfang der 90er-Jahre war zweifelsfrei eine sehr komplexe Herausforderung . Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Ich will auch deutlich sagen, dass vieles dabei gelungen Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass Sie bei diesem ist . Vieles ist, Gott sei Dank, auch erkämpft worden . Aber Tagesordnungspunkt präsidieren . Meine Damen und es ist nicht alles gut . Viele Menschen aus der DDR haben Herren! Wir hatten heute früh eine sehr umfangreiche nach der Herstellung der staatlichen Einheit Rentenge- und intensive Debatte zur deutschen Einheit . Bei allen rechtigkeit leider nicht mehr erlebt . Die Beendigung aller Rednerinnen und Rednern ist deutlich geworden, dass Diskriminierung und Regelungen, die die Lebensleistung die Menschen – trotz mancher Defizite – auf das stolz aus DDR-Zeiten nicht anerkennen, wäre für viele Ältere sein können, was wir in den 25 Jahren erreicht haben, finanziell wichtig; dies wäre soziale Gerechtigkeit. Ich und zwar die Menschen in Ost und West . will Ihnen drei Beispiele nennen . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN so- Erstens: die Mütterrente . Es gibt unterschiedliche wie des Abg . Rüdiger Veit [SPD]) Rentenentgeltpunkte Ost und West und damit Kinder Aber eines bleibt: Bei der Rente haben wir weiterhin erster und zweiter Klasse . Das gilt nicht nur für Kinder, ganz große Defizite. Wir als Linke haben heute, ein Vier- die in der DDR geboren sind, sondern auch für Kinder, teljahrhundert nach Herstellung der deutschen Einheit, die nach der Wende auf dem Territorium der ehemali- diese Debatte beantragt, um am Tag vor diesem Jubilä- gen DDR geboren sind . Es ist so, dass ein Kind, das im um ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen für mehr soziale Jahre 1991 in Stuttgart geboren wurde, für die Mutter Gerechtigkeit . Deswegen lassen wir im Übrigen auch 29,21 Euro wert ist, ein Kind, das in Schwerin geboren namentlich abstimmen . Ich hoffe, dass insbesondere die wurde, allerdings nur 27,05 Euro . Ja, geht‘s noch? Das ostdeutschen Abgeordneten, die häufig in Wahlkämpfen ist doch völlig inakzeptabel . sagen, dass sie sich dafür einsetzen werden, diese Gele- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- genheit nutzen und heute so abstimmen, wie sie es ihren neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wählerinnen und Wählern versprochen haben . Wie kann man akzeptieren, dass Kinder unterschiedlich (Beifall bei der LINKEN) viel wert sind, meine Damen und Herren von der Gro- 12458 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Dietmar Bartsch (A) ßen Koalition? Das ist neues Unrecht, das Sie geschaffen Sie haben eine ganz einfache Möglichkeit: Stimmen Sie (C) haben . mit der blauen, nein, roten, Stimmkarte ab! Dann tun Sie Ein zweiter Punkt: die Überführungslücken für viele am Vortag der Feierlichkeiten zu 25 Jahren deutscher Beschäftigungsgruppen . Ich will die in der Braunkoh- Einheit ein sehr gutes Werk . leveredelung Beschäftigten – wahrhaftig nicht „staats- Herzlichen Dank . nah“ – nennen . Es leben noch 400 Betroffene, deren Rentenansprüche nicht anerkannt werden . Das ist weder (Beifall bei der LINKEN) sozial noch gerecht . Das ist einfach kleinkariert . Es geht in der Braunkohleveredelung um 400 Menschen . Das Vizepräsidentin Petra Pau: muss doch zu machen sein! Die Kollegin Jana Schimke hat für die CDU/ (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- CSU-Fraktion das Wort . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt übrigens weitere Berufsgruppen, für die dasselbe gilt . Jana Schimke (CDU/CSU): Ich will ein drittes Problem nennen: die aus der DDR Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- Geflüchteten, Abgeschobenen und Ausgereisten. Einer ben heute Morgen eine sehr interessante, sehr aufschluss- der Betroffenen, Gundhardt Lässig, sitzt heute Mittag auf reiche Debatte geführt, weil wir morgen unseren Natio- der Tribüne . Wir haben damals, vor der Wende, so man- nalfeiertag begehen und 25 Jahre deutsche Einheit feiern . chen Abend zusammen verbracht, auch viele Tage im schönen Prerow, wo wir manchmal zusammen am Strand Diese Debatte hat vor allem eines deutlich gemacht: Sie gestanden haben . Er hat, als er damals gegangen ist, wie hat nicht das gezeigt, was Kollege Bartsch gerade dar- viele andere auch den „Wegweiser“ des Bundesministe- gestellt hat – wo Unterschiede bestehen –, sondern sie riums des Innern für Flüchtlinge und Übersiedler aus der hat gezeigt, wo wir einig geworden sind, wie weit wir DDR bekommen, in dem es heißt: letztendlich vorangekommen sind . Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR oder (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Berlin (Ost) werden in der gesetzlichen Renten- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber es gibt auch versicherung grundsätzlich so behandelt, als ob sie noch Unterschiede!) ihr gesamtes Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten . Das Projekt „Deutsche Einheit“ zielt darauf ab, Einheit (B) zu schaffen . Wenn man zwei unterschiedliche Staaten (D) Für sie galt das sogenannte Fremdrentengesetz . Durch zusammenführt, dann ist es schlichtweg nicht möglich, eine kleine Gesetzesänderung im Jahre 1993 – kaum dafür zu sorgen, dass sich wirklich jeder Einzelne bis ins beachtet – wurde diese Regelung abgeschafft . Für die DDR-Arbeitszeiten werden sie seitdem rentenrechtlich letzte Detail mit all seinen Interessen wiederfindet. wieder behandelt wie ehemalige DDR-Bürger . Für ihn, (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Ge- für Gundhardt, sind das 500 Euro Monatsrente weniger . nau!) Jeden Monat! Das ist völlig inakzeptabel . Betroffen sind 200 000 Einzelpersonen . Ändern Sie das! Ändern Sie das Es geht darum, eine gesamte Gesellschaft zusammenzu- wenigstens für diese Personengruppe! führen . Wir erleben das bei unserer Arbeit täglich, wenn wir mit Bürgerinitiativen oder mit größeren Gruppen von (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Menschen sprechen: Es ist nie möglich, für alle immer das Bestmögliche zu erreichen . Letztendlich kommt es in Es ist im Übrigen egal, was das Bundesverfassungsge- einer Demokratie aber darauf an, dass sich die Mehrheit richt dazu ausführt . Es urteilt darüber, ob eine Regelung wiederfindet und dieses System akzeptiert. Ich glaube, da gegen das Grundgesetz verstößt . Hier geht es aber um sind wir nach 25 Jahren sehr weit gekommen . eine soziale Frage . Diese Regelung ist nicht sozial ge- recht, (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Ich habe es schon einmal gesagt: Die Wiederverei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nigung war ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt – das zumal für diejenigen, die in die Schweiz gegangen sind, muss man so deutlich sagen –, auf den ganz Deutschland, etwas anderes gilt . Für diejenigen, die in der Schweiz le- auf den wir alle sehr stolz sein können . Wir können ins- ben, gilt die alte Regelung weiterhin . Das ist doch völlig besondere auf die politische und die soziale Einheit stolz inakzeptabel . Nehmen Sie sich ein Beispiel daran! sein, die von den Kollegen der Linken immer wieder in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Zweifel gezogen und abgelehnt wird . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Meine Damen und Herren, 25 Jahre deutsche Einheit, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Rede für das ist eine gute Gelegenheit, Bestrafungen von ehemali- die Debatte heute Morgen! Wir sind jetzt bei gen DDR-Bürgern und von Bundesbürgern, die auf dem einem anderen Thema! Sagen Sie doch mal Gebiet der ehemaligen DDR gelebt haben, zu beenden . was zu den Unterschieden!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12459

Jana Schimke (A) Gerade im Bereich der sozialen Einheit sind wir sehr Jana Schimke (CDU/CSU): (C) weit vorangekommen; das gilt es auch anzuerkennen . Gerne . – Herr Birkwald . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Meine Damen und Herren, eine der wichtigsten sozi- Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen- alpolitischen Entscheidungen der deutschen Einheit war frage zulassen . – Sie haben gesagt, die soziale Einheit sei das Renten-Überleitungsgesetz . Es steht für eine großar- sehr weit gediehen und wir Linken würden das nicht an- tige Leistung aller Versicherten . erkennen . Dazu möchte ich zunächst einmal sagen, dass wir gerade, was die Rentnerinnen und Rentner angeht, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sehr wohl anerkennen, was mit der Überleitung geleistet Letztendlich kam es ja darauf an, zwei unterschiedlich worden ist, dass es für viele Rentnerinnen und Rentner aufgebaute und finanzierte Sozialsysteme miteinander in deutliche Verbesserungen gegeben hat . Das erkennen wir Einklang zu bringen, und das vor dem Hintergrund einer ausdrücklich an . Aber wir kritisieren die Lücken und die heruntergewirtschafteten DDr .Wer glaubt denn ernst- Ungerechtigkeiten, die es in diesem Prozess in der Ver- haft, dass solch ein Prozess ohne Nachteile für den einen gangenheit gegeben hat und die es heute noch gibt, und oder anderen vonstattengeht? Es war und ist schlicht- das machen wir ebenso deutlich . weg nicht möglich, alle Härte- und Einzelfälle sowie Eben haben Sie von denen gesprochen, die aus der die damals entstandenen Ansprüche des einen Systems abzubilden . Ganz ehrlich: Bei der Frage, wie wir unser DDR – in der Regel aus guten Gründen – geflohen sind Rentenrecht ausgestalten, kam es eben nicht darauf an, und heute, wie Kollege Bartsch vorhin ausgeführt hat, ob jemand „staatsnah“ war . Das sehen wir gerade auch zum Teil 500 Euro Rente im Monat weniger bekommen . bei der Vielzahl an Gruppen, die heute mitunter noch ihr Nur für alle Menschen, die bis 1936 geboren wurden, gab Recht einklagen . Es ging um die gesamte Gesellschaft es einen entsprechenden Schutz . Wer nach 1936 geboren und nicht darum, was jemand geleistet oder auch nicht wurde und aus der DDR in die Bundesrepublik geflo- geleistet hat . hen ist, dem wurde zugesichert: Du bekommst dieselbe Rente, als wenn du hier immer als Ingenieur, Kranken- Dennoch ist es nachvollziehbar, dass sich Betroffene schwester oder Lehrerin gearbeitet hättest .– Das ist aber durch entsprechende Regelungen benachteiligt fühlen; nicht der Fall . Diese Betroffenen sagen selbst: Wir wer- das gebe ich durchaus zu . So nehmen wir zum Beispiel den nachträglich wieder zu DDR-Bürgerinnen und -Bür- das Anliegen der DDR-Flüchtlinge sehr ernst . gern gemacht, zu Bürgern des Staates, aus dem wir ge- (B) (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- flohen sind. – Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen! Nicht nur (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . ernst nehmen!) Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Wir alle wissen, dass diese Menschen sehr viel gewagt NIS 90/DIE GRÜNEN]) und auch aufgegeben haben . Aber das Fremdrentenge- setz galt als Ausnahmetatbestand und war ausweislich Ich habe noch eine andere Frage . Wir haben am der Gesetzesbegründung von Beginn an nur als Über- 12 .Juni 2015 einen Beschluss des Bundesrates auf den gangslösung vorgesehen . Auch das gehört zur Wahrheit, Tisch bekommen, in dem der Bundesrat die Bundesre- und auch das muss gesagt werden . Sie werden dadurch gierung auffordert, mit den Vorbereitungen zur Verein- nicht zu Bürgern der DDR gemacht, wie es oftmals von heitlichung der Rentenwerte nicht erst 2016, sondern der Linken behauptet wird . umgehend zu beginnen . In der Stellungnahme der Bun- desregierung dazu heißt es: Nö, das haben wir gar nicht (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- nötig . – Die Zeitung Die Welt wiederum schrieb am NIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) 21 . September, dass es einen gemeinsamen Antrag Was geschieht, ist lediglich, dass man bei der Renten- (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) berechnung an Sachverhalte aus DDR-Zeiten anknüpft . Aber sie werden nicht zu Bürgern der DDR gemacht, der Koalition gibt – Sie haben gerade auf die Debatte von meine Damen und Herren . heute Morgen Bezug genommen –, worin steht, dass die Bundesregierung sofort mit der Teilangleichung begin- (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das sind wir alle nicht mehr!) nen soll . Auch bei den in der DDR Geschiedenen ist die Lage (Dr .Astrid Freudenstein [CDU/CSU]: Da eindeutig . Man muss wissen, dass das Recht in der DDR müsste die Sitzungsleitung reagieren! – Weite- im Scheidungsfall keinen Versorgungsausgleich kannte . re Zurufe von der CDU/CSU: Sie haben keine Deshalb wurde er auch mit dem Renten-Überleitungsge- Redezeit!) setz nicht nachträglich eingeführt . Ich habe es in der Drucksache nachgelesen: Der Satz steht nicht mehr drin . Bitte erklären Sie uns, warum Sie Vizepräsidentin Petra Pau: die Ostrentnerinnen und Ostrentner im Regen stehen las- Kollegin Schimke, gestatten Sie eine Frage oder Be- sen und sie auf 2019 vertrösten . Alle Erfahrung sagt uns: merkung des Kollegen Matthias W . Birkwald? Das wird wieder nichts . 12460 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: das gerade den Linken immer wieder erklären muss . Wir (C) Kollege Birkwald . haben uns doch etwas dabei gedacht, als wir nach der Wiedervereinigung den Hochwertungsfaktor in der Ren- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): te eingeführt haben . Auch er ist an die jährliche Lohnent- Die Kanzlerin hat es vor zehn Jahren versprochen . wicklung und damit an die wirtschaftlichen Gegebenhei- ten unseres Landes angepasst . Der Rentenwert ist nichts Herzlichen Dank . anderes als Ausdruck dessen, wo wir momentan stehen, (Beifall bei der LINKEN) und ich bin davon überzeugt – das ist heute schon in vie- len Reden der Kollegen deutlich geworden –: Wir stehen Vizepräsidentin Petra Pau: nicht schlecht da . Im Gegenteil: Wir stehen gut da . Sie hatten die Chance, zu wählen, ob Sie eine Frage (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- stellen oder eine Bemerkung machen . Aber Sie sollten ordneten der SPD) das dann auch deutlich machen . Wir haben seit der Wiedervereinigung bei der Anglei- Jana Schimke (CDU/CSU): chung der Renten große Fortschritte erzielt . Seit der Wie- Herr Birkwald, vielen Dank für Ihre Anmerkungen, dervereinigung stiegen die Renten in den neuen Bundes- die ich selbstverständlich zur Kenntnis genommen habe . ländern um deutlich mehr als 100 Prozent . In den alten Was wir in Bezug auf die Angleichung der Renten im Bundesländern hingegen betrug der Anstieg nur 25 Pro- Jahr 2016 tun, ist, uns an den Koalitionsvertrag zu halten . zent . Der Rentenwert Ost beträgt heute mehr als 92 Pro- zent, und er steigt jährlich. Wir können uns trefflich dar- (Beifall der Abg . Waltraud Wolff (Wol- mirstedt) [SPD]) über streiten, ob das Glas halb voll oder halb leer ist . Ich glaube, es ist ersichtlich, dass wir ein großes Stück vor- So ist es auch in unserem Antrag, den wir heute Morgen angekommen sind, und absehbar, dass wir jährlich weiter beraten haben, festgehalten . Wir werden uns im kom- vorankommen . Das sage ich auch den Bürgerinnen und menden Jahr mit diesem Thema auseinandersetzen . Bürgern in meinem Wahlkreis immer wieder, und das ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sehr einleuchtend . der SPD) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da Meine Damen und Herren, ich war in meinen Ausfüh- klatscht noch nicht mal die Union!) rungen bei den in der DDR Geschiedenen stehen geblie- (B) ben . Zur Erinnerung: Der Versorgungsausgleich wurde Ich kann auch keine spezifische Altersarmut Ost - er (D) in der alten Bundesrepublik 1977 eingeführt . Die Ge- kennen, von der Sie immer wieder sprechen, Kollegen setzgeber haben sich damals darauf verständigt, dass der der Linken . Nur 2,1 Prozent der Menschen in den neu- Versorgungsausgleich nur für Ehen gilt, die ab diesem en Bundesländern beziehen Grundsicherung im Alter . In Zeitpunkt geschieden wurden . Somit können auch die den alten Bundesländern sind es 3,2 Prozent . Auch im in Westdeutschland vor diesem Stichtag geschiedenen Osten gehen die Menschen heute früher in Rente, trotz Ehepartner nicht von der Regelung des Versorgungsaus- Abschlägen . Das ist sehr interessant; denn das belegt, gleichs profitieren. dass sich kontinuierliche Erwerbsbiografien lohnen. Das Auch die Mütterrente ist heute wieder Gegenstand zeigt sich gerade bei den Frauen: Die durchschnittliche unserer parlamentarischen Debatte . Ja, es stimmt, dass Rente von Frauen im Osten ist um 44 Prozent höher als eine Rentnerin im Osten 27 Euro und im Westen 29 Euro die von Frauen in den alten Bundesländern . Wir reden Mütterrente pro Kind erhält, und ja, wir wissen, dass dies jedes Jahr im Zusammenhang mit dem Equal Pay Day ein Unterschied ist, der uns perspektivisch nicht zufrie- auch über den sogenannten Gender Pay Gap, den Ein- denstellen kann . Aber wir haben bei der Einführung der kommensunterschied bei Frauen und Männern, der unter Mütterrente nichts anderes gemacht – das adressiere ich anderem erwerbs- oder berufsbedingt ist . Für den Gender gerade auch an die Linke, die uns immer wieder mit die- Pension Gap gilt: Auch er ist bei den Rentnerinnen und sen Fragen konfrontiert –, als uns schlichtweg an gelten- Rentnern im Osten deutlich geringer als bei den Rentner- des Recht zu halten . innen und Rentnern in den alten Bundesländern . (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Diese Fakten zeigen, dass die Linke mit ihren Anträ- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind der Gesetz- gen stets versucht, den Osten gegen den Westen auszu- geber! Wir können geltendes Recht ändern! spielen, Dazu sind wir da!) Wir haben geltendes Recht eingehalten und angewandt . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Definitiv nicht! Im Gegenteil!) Natürlich würden wir uns auch wünschen, dass Ost und West 25 Jahre nach der Wiedervereinigung keine und das auch noch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung . Unterschiede mehr aufweisen . Aber wirtschaftlicher Noch einmal: Niemand behauptet, dass das Rentenrecht Aufschwung und Wachstum – damit hängt die Renten- im Zuge der Wiedervereinigung alle individuellen An- politik nun einmal zusammen – können nicht politisch sprüche berücksichtigte . Den Müttern und Vätern der verordnet werden; ich habe Verständnis dafür, dass man deutschen Einheit, denke ich, ist es aber hervorragend Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12461

Jana Schimke (A) gelungen, ein einheitliches Rentenrecht zu schaffen und schen Schleswig-Holstein und Bayern große Lohnunter- (C) die soziale Einheit in Deutschland herzustellen . schiede . Regionale Ausgleichsmechanismen könnte man beispielsweise auch innerhalb Brandenburgs begründen . (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Zu diesem Schluss könnte man kommen, wenn man sich NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt kein einheitli- die Unterschiede bei Lohn und Tarifbindung zwischen ches Rentenrecht! Es gibt zwei Rentenrechte!) Potsdam und Templin oder anderen Städten in der Ucker- Ich bin der Meinung, dass neben der erneuerten Infra- mark vor Augen führt . Wir sehen, dass wir im Bereich struktur und den restaurierten Städten, die wir täglich in der Tariflöhne – erst kürzlich war dies im Tarifarchiv unseren Wahlkreisen sehen, die Einheit Deutschlands der Hans‑Böckler‑Stiftung zu lesen – bei der Ost-West- gerade am Rentenrecht ablesbar ist . Diese Einheit zielte Angleichung gut vorangekommen sind . Der Lohn- und von Beginn an darauf ab, Lebensleistung anzuerkennen . der Rentenunterschied zwischen Ost und West besteht, Dass wir nach 25 Jahren nach wie vor den Hochwer- weil im Osten Deutschlands die Tarifbindung so gering tungsfaktor verwenden, ist nichts anderes als die Aner- ist . Das ist der Kern des Problems . Das Rentenrecht kann kennung von Lebensleistung . an dieser Stelle nicht alle Probleme lösen . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen Sie ja abschaffen!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Natürlich haben wir uns mit unserem Koalitionspart- Herr Bartsch, wenn sich der Antrag Ihrer Fraktion ner – die Kollegen haben mich schon darauf angespro- nur auf die beiden Gruppen beschränkte, die Sie bei- chen – auf einen Fahrplan zur vollständigen Angleichung spielhaft als Härtefälle angeführt haben, würden wir ihm des Rentenwerts verständigt; das ist richtig . Wir werden zustimmen; denn die aus der DDR Geflüchteten hatten 2016 den Angleichungsprozess gemeinsam prüfen und bestimmte Zusagen, quasi Rechtsgarantien bekommen, schauen, ob eine Angleichung mit Wirkung ab 2017 not- die ihnen nachträglich aberkannt wurden . Das ist der ent- wendig ist . scheidende Punkt, Frau Schimke . Es geht nicht darum, jede individuelle Ungerechtigkeit mit dem Rentenrecht Ich danke Ihnen . zu nivellieren; das geht selbstverständlich nicht . Aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in diesen Fällen ist Personen etwas zuerkannt worden . ordneten der SPD) Diese haben sich auf eine bestimmte Lebensplanung ver- lassen Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Richtig!) Der Kollege Markus Kurth hat für die Fraktion Bünd- und haben bereits Jahre vor dem Mauerfall beispielswei- nis 90/Die Grünen das Wort . (B) se in Köln und Dortmund gearbeitet . Es ist absolut nach- (D) vollziehbar, dass an dieser Stelle etwas geschehen muss . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Bartsch, wenn Sie sich beispielsweise auf diesen Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Punkt konzentriert hätten, würden wir dem Antrag Ihrer Frau Schimke, das Geeier vonseiten der Union, das man Fraktion zustimmen . nach 25 Jahren deutsche Einheit noch immer und immer wieder hört, wenn es um einen einheitlichen Rentenwert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in Ost und West geht, ist wirklich nur noch schwer zu Das gilt auch für die in der DDR geschiedenen Frauen . ertragen . Wir weisen schon seit vielen Jahren auf die besondere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Härte in diesen Fällen hin . Wir sind der Meinung, dass und bei der LINKEN) dort Regelungsbedarf besteht . Die in der DDR Geschie- denen kämpfen seit Jahren um ihr Recht . Wir schätzen „Das wird geprüft“ oder „Dann werden wir mal sehen“, ihre Zahl auf Hundertausende . Viele von ihnen leben lei- das alles sind wachsweiche Formulierungen . In der Zei- der in bitterer Armut . tung kann ich derweil lesen, dass der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Herr Sellering, auf Dann gibt es noch zwei Berufsgruppen, die nach mei- , der ebenfalls aus Mecklenburg-Vor- ner Auffassung Besonderheiten aufweisen, darunter die in der Braunkohle Beschäftigten . Dabei handelt es sich, pommern stammt, losgeht und dass sich die beiden strei- wie Sie zu Recht gesagt haben, um eine sehr geringe An- ten . Bei dieser Gelegenheit ist eines klar festzustellen – zahl . das wird gerne vergessen –: Die einzige Fraktion hier im Deutschen Bundestag, die eine sofortige Angleichung Aber Sie beschränken sich nicht auf die Gruppen, der Rentenwerte Ost und West will und konsequent bei bei denen dies nachvollziehbar und begründbar ist, son- neuen Ansprüchen auf die Höherwertung verzichten will, dern, Herr Bartsch, Sie nehmen auch noch andere Grup- die einzige Fraktion, die eine Angleichung und damit den pen dazu, die bestimmte Sonderansprüche in der DDR Vollzug der deutschen Einheit im Rentenrecht will, ist hatten, die aber keine Entsprechung im westdeutschen Bündnis 90/Die Grünen und niemand sonst, noch nicht Rentenrecht, im SGB VI, haben . Ich nenne auch einmal einmal die Linke . Das darf man nicht vergessen . Beispiele, die zeigen, wo man das nicht nachvollziehen kann . Das ist etwa bei den Spitzensportlerinnen und Spit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zensportlern der Fall, die Sonderrentenansprüche gehabt Wir sind in den letzten 25 Jahren viel differenzierter haben . Man würde wiederum Privilegierungen einfüh- geworden . Es gibt auch zwischen Nord und Süd, zwi- ren, und das ist in der Tat nicht sachgerecht . Deswegen 12462 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Markus Kurth (A) werden wir uns bei der Abstimmung über Ihren Antrag behandelt . Wir haben uns mit Berufsgruppen getroffen . (C) an dieser Stelle enthalten . Wir haben Vorschläge erarbeitet, und die meisten, meine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Damen und Herren, muss ich sagen, haben wir wieder Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Mutige Ent- verworfen . Die Frage ist: Warum? haltung!) Erstens müssen wir heute – wie damals – zur Kenntnis – Nein, nein . nehmen, dass zum 1 .Januar 1992 das Rentenrecht der DDR in das Sechste Buch Sozialgesetzbuch übernom- Was die aus der DDR Geflüchteten anbelangt, muss men wurde . Was man auch wissen muss: Die Sondersys- man auch noch einmal eines sagen . In der letzten Legis- teme sind gerade nicht in die Sondersysteme der Bundes- laturperiode haben Linke, SPD und Grüne gemeinsam republik eingeordnet worden . ihren politischen Willen bekundet, an dieser Stelle etwas zu machen . Jetzt hat es im Petitionsausschuss eine Pe- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist tition gegeben . Und was stellen wir fest? Die SPD hat es!) ihre Position um 180 Grad geändert, lässt diese Petition Dazu kommt: 1999 hat das Bundesverfassungsgericht abschließen und lässt Grüne und Linke in ihrem Einsatz abschließend darüber befunden . für die aus der DDR Geflüchteten im Regen stehen. Ich finde es unmöglich, wirklich, dass Sie an dieser Stelle Ihr Zweitens haben wir festgestellt: Selbst wenn wir die Fähnlein so sehr nach dem Wind hängen . Rentensystematik außer Kraft setzen würden, würden wir bei den vielen Sonderfällen, die heute auch schon (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Debatte standen, nur wieder neue Ungerechtigkei- und bei der LINKEN) ten schaffen . Wir hätten kein Recht besser gemacht . Ich Wir werden – das ist im Moment das parlamentarische weiß, nach 25 Jahren ist das keine frohe Botschaft . Aber, Verfahren – das im Petitionsausschuss natürlich noch meine Damen und Herren, es ist eine ehrliche Botschaft . einmal aufrufen . Sie können sicher sein: Früher oder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten später werden wir parlamentarische Initiativen zu diesem Punkt starten – vielleicht kann man das, beschränkt auf der CDU/CSU) diesen Punkt, Herr Bartsch, auch einmal gemeinsam in Schon die PDS hat in jeder Wahlperiode diesem Parlament machen –, (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Zu (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gern!) Recht!) und dann werden Sie Farbe bekennen müssen in der Fra- Anträge mit bis zu 18 Berufsgruppen eingebracht, für die (B) ge, ob Sie den aus der DDR Geflüchteten diese vernünf- sie Korrekturen bei der Rentenüberleitung gefordert hat . (D) tige und ihnen zustehende Rente zugestehen . Das werden Die Linke hat dies fortgesetzt . Liebe Kolleginnen und Sie dann entscheiden und hier bekennen müssen . Kollegen von den Linken, ich sage das jetzt wirklich mit Vielen Dank . ganz großer Ernsthaftigkeit: Mit Ihren immer wiederkeh- renden Anträgen machen Sie doch den Menschen falsche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hoffnungen . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen wir zusammen! Können wir gerne zusammen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten machen!) der CDU/CSU) Sie machen ihnen Hoffnungen, wohl wissend, dass sie Vizepräsidentin Petra Pau: nicht erfüllt werden können . Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff für die (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, SPD-Fraktion . weil Sie es ablehnen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Nein .– Sie senden lieber frohe Botschaften als ehrli- che . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen der CDU/CSU) und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bin seit Meine Damen und Herren, ich weiß, dass viele Men- 1998 Mitglied dieses Hauses, und ich kann nicht mehr schen im Osten der Republik diese heutige Debatte ver- zählen, wie viele Gespräche ich zu den Ostrenten ge- folgen. Ich finde, auch wenn es keine gute Botschaft ist: führt habe: mit Menschen, die zu mir ins Büro gekom- Alle haben diese Ehrlichkeit verdient . men sind, auf Veranstaltungen, auch mit Menschen, die sich zusammengetan haben, um ihre Situation deutlich (Beifall bei der SPD sowie des Abg . zu machen . Ich muss sagen: Vieles, was diese Menschen Dr . [CDU/CSU]) mir erzählt haben, hat mich persönlich sehr berührt . Ich Zu dieser Ehrlichkeit gehört, dass nicht alles, was die habe mich damals auch aufgerufen gefühlt, zu Lösungs- Linken als ungerecht beschreiben, wirklich ungerecht ist . ansätzen beizutragen . Da will ich auch die Landesgruppe Ost ansprechen, die wir von der SPD haben . Wir haben (Beifall bei der Abgeordneten der SPD – Wi- in unzähligen Diskussionen das Thema rauf und runter derspruch bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12463

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) Sie beklagen zum Beispiel, die Anrechnung der Mütter- Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, noch in (C) rente – das haben wir eben gehabt – auf den Übergangs- dieser Legislaturperiode dieses Rentenüberleitungsab- zuschlag sei ungerecht . Der Übergangszuschlag ist ein schlussgesetz vorzulegen . Darin heißt es: 2019 soll es Zuschlag zum Bestandsschutz, auf den die Rentensteige- einheitliche Rentenwerte geben .– Auch daran halte ich rungen die ganze Zeit angerechnet werden . Da ist es in fest . der Rentensystematik doch logisch, dass auch die Erhö- hung der Mütterrente darauf angerechnet wird. Ich finde (Beifall bei Abgeordneten der SPD) das nicht schön, aber das gehört zur Rentensystematik dazu . Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Wir haben das im Bundestag nicht extra beschlossen, 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist für das Ge- sondern das ist die Rentensystematik . Das ist Renten- fühl von niedrigerer Wertschätzung der eigenen Lebens- recht in der Bundesrepublik Deutschland . leistung einfach kein Platz mehr . Wir setzen uns für klare (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lösungen ein: gleicher Rentenwert, Härtefallfonds, kei- der CDU/CSU) ne neuen Ungerechtigkeiten . Das ist für viele, wie ich am Meine Damen und Herren, zur Ehrlichkeit gehört Anfang sagte, nicht die frohe Botschaft, aber die ehrliche auch, dass ich als Mitglied der SPD Verständnis für die Botschaft . Menschen habe, die gerne besser behandelt werden wol- Vielen herzlichen Dank . len . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gleich der CDU/CSU) behandelt werden wollen, nur gleich, nicht besser!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Gefühl, dass einem keine Gerechtigkeit widerfährt, Die Kollegin Dr .Astrid Freudenstein hat für die CDU/ das kenne ich sehr gut, und das kann ich auch nachvoll- CSU-Fraktion das Wort . ziehen . Aber wir müssen doch feststellen, dass die Mes- sen 1992 gesungen wurden . Da ist Schluss . Alles andere, (Beifall bei der CDU/CSU) was wir jetzt tun würden, würde zu neuer Ungerechtig- keit führen . Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): (B) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des be Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, Sie Abg . Dr .Matthias Zimmer [CDU/CSU] – Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Dann können schreiben in Ihrem Antrag von einer spezifischen Alters­ wir Politik einstellen!) armut Ost . Sie schreiben weiter, dass eine armutsfeste und den Lebensstandard sichernde Rente für viele Men- Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass die Änderungen im schen in Ostdeutschland nicht möglich sei . Der Zeitpunkt Rentenrecht Auswirkungen auf zukünftige Renten haben Ihres Antrages ist natürlich nicht zufällig gewählt . können . Das gilt für Positives wie die Mütterrente . Das gilt aber auch für Negatives, zum Beispiel die Anrech- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: nung der Ausbildungszeiten . Das gilt im Osten, und das Stimmt! – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: gilt im Westen . Hier wieder Ausnahmen zuzulassen, hie- Genau!) ße, Rentenrecht nach Gutdünken zu machen . Das wollen Zum 25 . Jahrestag der deutschen Einheit wollen Sie nun wir nicht . endlich Rentengerechtigkeit zwischen Ost und West her- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß sehr wohl, stellen . dass es bei der Rentenüberleitung Ungerechtigkeiten ge- Liebe Kollegen der Linksfraktion, ich bin der Mei- geben hat; das steht zweifellos fest . Aber sie sind nicht im nung, dass Sie Ihr Gerechtigkeitsempfinden nachjustie- Rentenrecht zu lösen . Wir brauchen deshalb eine andere ren müssen . Die Rentner im Osten sind im Endeffekt und Lösung . Wir als SPD haben im letzten Wahlprogramm im Gesamten eben nicht so benachteiligt, wie Sie das be- den Vorschlag gemacht, die Probleme in einem Renten- harrlich darstellen . überleitungsabschlussgesetz endgültig und abschließend zu klären und die Probleme zu beseitigen . Wir haben ge- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Doch, sagt: Wir wollen einen steuerfinanzierten Härtefallfonds wenn man Äpfel mit Äpfeln vergleicht, ist das einrichten, um damit einzelne Problemfälle besserzustel- so!) len . Nehmen wir die Durchschnittsrenten von ost- und west- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Min- deutschen Frauen und Männern: Die durchschnittliche destrente!) Altersrente für Ostrentner ist deutlich höher als die der Westrentner . Zusätzlich haben Versicherte in den neuen Zu diesem Vorschlag stehe ich und steht die SPD noch Ländern bei gleichem Entgelt und gleicher Beitragszah- immer . lung aktuell um 6 Prozent höhere Rentenansprüche als (Beifall bei der SPD) Versicherte in den alten Ländern . Es ist richtig, dass die 12464 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Astrid Freudenstein (A) gesetzliche Rente für Ostrentner oft die einzige Bezugs- durchgängige Erwerbsbiografien und damit vor allem (C) quelle ist, während viele Westrentner zusätzlich Betriebs- längere Versicherungszeiten . renten und Lebensversicherungen haben . Das ändert aber (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Den nichts daran, dass es das von Ihnen beschworene Prob- Satz schreiben wir auf Plakate und schicken lem der spezifischen Altersarmut Ost so nicht gibt. ihn rum!) (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Davon profitieren die Ostrentner heute. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich aber ändern!) (Beifall bei der CDU/CSU) Nehmen wir noch einmal den Wert, den Sie so gerne Ganz speziell betrifft das die Frauen im Osten . Sie nutzen, wenn Sie Deutschland wieder einmal in Armut bekommen heute deutlich mehr Rente als westdeutsche Rentnerinnen, versinken sehen: die Armutsgefährdungsquote . Diese Ar- mutsgefährdungsquote liegt für die über 65-Jährigen in (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Länger gear- den neuen Bundesländern deutlich niedriger als in den beitet!) alten Bundesländern . Schauen Sie sich den Anteil der im Schnitt 50 Prozent mehr . Es ist eben mitnichten so, Menschen an, die auf Grundsicherung im Alter angewie- dass nur die Frauen im Osten gearbeitet hätten . Frauen sen sind: Ostdeutsche Rentner, und zwar Frauen ebenso im Westen haben natürlich ganz genauso viel geleistet: wie Männer, sind dort deutlich seltener auf die Grundsi- Sie haben Kinder erzogen, die Familie organisiert und cherung angewiesen als westdeutsche Rentner . sich vielfach ehrenamtlich engagiert . Weniger wert ist Insgesamt bewegen sich alle Zahlen auf niedrigem auch das nicht . Niveau . Wir haben kein generelles Problem der Altersar- (Beifall bei der CDU/CSU – Unruhe) mut in Deutschland . Der Anteil der Rentner, die Grund- sicherung brauchen, liegt unter 3 Prozent . So bitter es ist: Vizepräsidentin Petra Pau: Das größte Armutsrisiko in Deutschland ist eben nicht Kollegin Freudenstein, ich habe die Uhr angehalten das Alter . Das größte Armutsrisiko in Deutschland haben und würde gern für Gerechtigkeit sorgen, dass wir hier Menschen ohne ordentliche Schulbildung, ohne Berufs- auch den letzten beiden Rednern in dieser Debatte fol- ausbildung und Alleinerziehende . Junge sind in unserem gen können . Ich bitte also darum, unbedingt notwendige Land stärker von Armut betroffen als Alte . Gespräche vor den Plenarsaal zu verlagern . Wir haben uns im Präsidium hier vorne davon überzeugt, dass für (B) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Des- (D) wegen sollten uns die Alten nicht egal sein!) jeden Kollegen und für jede Kollegin, die an dieser De- batte teilnehmen, eine Sitzgelegenheit im Saal vorhan- Vor allem aber haben wir kein spezifisch ostdeutsches den ist . Wir brauchen also auch keine Warte- und Dis- Problem der Altersarmut . Das wird auch nicht wahrer, kussionsgruppen hier in den Gängen zu bilden . Ich bitte wenn Sie das immer wiederholen . jetzt wirklich darum, die Gespräche einzustellen und der Debatte – in diesem Fall der Kollegin Freudenstein – zu (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- folgen . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird sich aber ändern! Gucken Sie mal ein bisschen in die Zukunft und nicht in die Gegenwart! Politik Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): muss vorausschauend sein!) Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Die westdeutschen Frauen stehen heute rentenrechtlich deutlich schlechter Damals, bei der Wiedervereinigung – es wurde er- da als die Frauen im Osten . Von daher hätten vermutlich wähnt –, wurde ein allgemein akzeptiertes Verfahren die westdeutschen Rentnerinnen am ehesten Grund, sich der Rentenberechnung gefunden . Es berücksichtigt un- jetzt zu beschweren . terschiedliche Erwerbsbiografien und Lohnunterschiede. Meine Kolleginnen und Kollegen, die Überführung Dass dieses Verfahren im Einzelfall als ungerecht emp- der Renten gehörte und gehört zur Wiedervereinigung funden wird und auch im Einzelfall ungerecht ist, ist dazu . Es ist im Großen und Ganzen ein gutes Verfahren, richtig . Es stimmt aber nicht, dass sich nur Ostrentner das in der Gesamtheit eben nicht ungerecht ist . ungerecht behandelt fühlen könnten . Es bringt uns auch nicht weiter, wenn Sie von der (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das Linksfraktion sich hier immer wieder als Anwalt der ar- hat auch niemand behauptet!) men Rentner im Osten verkaufen, Ich kann Ihnen sagen: Es gibt auch westdeutsche Frauen (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir und Männer, die sich durch das Renten-Überleitungsge- sind leider die Einzigen! Sie machen es ja setz diskriminiert und benachteiligt fühlen . Die Planwirt- nicht!) schaft der SED‑Diktatur wirkte sich ja im Nachhinein positiv für die Bürger in den neuen Ländern aus . Es gab und es ist schon gar nicht in Ordnung, wenn Sie das zum 25 . Jahrestag der deutschen Einheit tun . in der sozialistischen Planwirtschaft eine vermeintli- che, eigentlich eine künstliche Vollbeschäftigung, somit (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12465

Dr. Astrid Freudenstein (A) Ich meine, wir sollten in diesen Tagen das gemeinsam fen, das SGB VI . Damit wurden für alle Bürgerinnen und (C) Erreichte feiern und nicht so tun, als lägen immer noch Bürger, alt wie neu, Ost wie West, für die Rentenberech- Welten zwischen Ost und West . nung auch die tatsächlichen Einkommen herangezogen . Diese Regelung – das ist sicher richtig – war für Herrn Wenn Sie, Herr Kollege Bartsch, vorhin empfohlen Meyer mit finanziellen Einbußen verbunden. Meine erste haben, mit Hellblau – also mit Ja – zu stimmen, dann Reaktion war auch: Das ist eine Ungerechtigkeit . Hier stimme ich Ihnen in diesem Falle zu: Auch die Große Ko- müssen wir etwas tun . – Ich weiß, dass es quer durch alle alition empfiehlt heute, mit Hellblau abzustimmen. Fraktionen vielen Kolleginnen und Kollegen in diesem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Haus so gegangen ist . Ich habe mich dann – wie viele Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Sie machen von Ihnen auch – sehr intensiv damit beschäftigt . Mein doch sonst immer das Gegenteil von dem, was Fazit vorneweg: Es gibt keine gerechte Lösung für dieses gesagt wird!) Problem, zumindest keine, ohne neue Ungerechtigkeiten zu schaffen . Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das Wort hat der Kollege Dr .Martin Rosemann für die SPD-Fraktion . Das erste Problem ist die Abgrenzung der Gruppe, die da überhaupt erfasst werden soll . Ein erster Anhaltspunkt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- könnte ja sein, diejenigen davon profitieren zu lassen, ordneten der SPD) die einen sogenannten Feststellungsbescheid bekommen haben . Aber eben nicht alle, die vor dem Mauerfall in Dr. Martin Rosemann (SPD): den Westen gegangen sind, gerade in den Wendemonaten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kurz vor dem Mauerfall, haben einen Feststellungsbe- Meine Damen und Herren! Was mich am meisten an die- scheid bekommen . ser Debatte ärgert, ist die Unehrlichkeit, mit der Sie hier Deswegen wäre die Alternative vielleicht ein Stichtag . auftreten; denn Sie haben mit keinem Satz erwähnt, dass der Höherwertungsfaktor für die Einkommen in Ost- (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- deutschland deutlich höher ausfällt als die Differenz zwi- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war der Vor- schen den Rentenentgeltpunkten Ost und den Rentenent- schlag der SPD in der letzten Legislaturperi- geltpunkten West . Das haben Sie nämlich verschwiegen, ode!) liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken . Aber, meine Damen und Herren, welches wäre denn der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) richtige Stichtag, der Tag des Mauerfalls am 9 . November (B) 1989 oder der Tag des Staatsvertrags am 18 . Mai 1990? (D) Was Sie wollen, ist ja: Sie wollen den gleichen Ren- Gerechter wäre wahrscheinlich das Erste . Aber bisher hat tenwert plus den Höherwertungsfaktor . Das müssen Sie man immer den zweiten verwendet . Alle Stichtage haben einmal den Menschen beispielsweise in Schleswig-Hol- auch noch ein Problem; denn es gibt Leute, die gar nicht stein erklären, die 20 Prozent und mehr weniger verdie- nachweisen können, an welchem Tag sie eigentlich über- nen als die Menschen bei mir in Baden-Württemberg, gesiedelt sind . meine Damen und Herren . (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- NEN]: Das ist doch Haarspalterei!) wie des Abg . Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Matthias W . Birkwald [DIE Noch schwerer wiegt aber, dass es neue Ungerech- LINKE]: Sie wissen, dass das falsch ist!) tigkeiten gegenüber anderen Personengruppen geben würde: gegenüber den SED-Verfolgten mit einem ver- Ich will mich aber auf Punkt 4 Ihres Antrages kon- gleichbaren Versicherungsverlauf, vor allem dann, wenn zentrieren . Das ist das Thema „DDR-Übersiedler und diese weder in ein Zusatz- oder Sonderversorgungssys- Rentenüberleitung“, also das Thema, das wahrscheinlich tem noch in die freiwillige Zusatzrentenversicherung der das größte politische Interesse, das größte öffentliche DDR eingezahlt haben . Sie wären auch deutlich besser- Interesse erfährt . Ich selber wurde mit diesem Thema gestellt als in der DDR Gebliebene, beispielsweise Leu- konfrontiert, weil ich einen Herrn kennengelernt habe, te, die auch flüchten wollten, denen die Flucht aber nicht der 1984 aus der DDR übergesiedelt ist . Nennen wir ihn geglückt ist oder denen die Ausreise nicht genehmigt Herrn Meyer . Er stellte nun bei Renteneintritt fest, dass wurde . Schließlich wären sie auch gegenüber der großen die Rente nicht so hoch ausgefallen ist, wie er sich das Gruppe der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjet- immer dachte . Der Grund dafür ist, dass für diejenigen, union bessergestellt . Für die gilt nämlich weiterhin das die vor 1989, als es die DDR noch gab, in die Bundes- Fremdrentenrecht, allerdings bekommen sie nur noch republik übergesiedelt sind, das Fremdrentengesetz galt . 60 Prozent von den ursprünglichen Tabellenentgelten . Das heißt, da DDR-Beschäftigungszeiten nicht direkt er- (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- fasst werden konnten, wurden ihnen fiktive Tabellenent- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehört die Sow- gelte zugeordnet, die dem durchschnittlichen Verdienst jetunion zu Deutschland, oder ist das nicht einer vergleichbaren Tätigkeit in der Bundesrepublik der Fall? Das ist doch ein ganz anderer Fall! entsprachen . Es ist eine unerhörte Geschichte, dass sich Es ist schon gesagt worden: Mit der Wiedervereini- DDR-Flüchtlinge durch die Einheit ver- gung wurde dann ein einheitliches Rentenrecht geschaf- schlechtert haben!) 12466 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Martin Rosemann (A) Seit Anfang der 90er-Jahre ist es nämlich auch im Fremd- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) rentenrecht zu Verschlechterungen gekommen . Ich schließe die Aussprache . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4972 an die in der Tagesordnung aufge- Eines kommt noch hinzu: Im Fremdrentenrecht wur- führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- den Frauen gegenüber Männern systematisch benachtei- verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung ligt, weil Frauen im Westen auch in den gleichen Berufen so beschlossen . im Durchschnitt weniger verdient haben als Frauen im Osten . Würde man zum Fremdrentenrecht zurückkehren, Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- dann wäre das eine Diskriminierung von Frauen, die vor ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlich keinen Die Linke mit dem Titel „Spezifische Altersarmut Ost Bestand haben könnte . durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Drucksache 18/5290, den Antrag der Fraktion Die Lin- der CDU/CSU) ke auf Drucksache 18/1644 abzulehnen . Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Es gibt sogar Frauen, die sich durch den Vorschlag Fraktion Die Linke namentlich ab . Ich bitte die Schrift- systematisch schlechterstellen würden . Herr Birkwald, führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze Sie würden dann bestimmt gleich „Günstigerprüfung“ einzunehmen .– Sind alle Schriftführerinnen und Schrift- rufen . führer an ihrem Platz? – Das ist der Fall . Ich eröffne die (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja!) Abstimmung über die Beschlussempfehlung . Ich will Ihnen sagen: Wenn wir im Rentenrecht an einer Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- Stelle mit der Günstigerprüfung anfangen, dann müssen me noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall . wir für jeden Fall, für jede Personengruppe und für jede Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe- Rechtsänderung zukünftig Günstigerprüfungen einfüh- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- ren . Das Ergebnis wäre, wir könnten das Rentenrecht nen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben 1). überhaupt nicht mehr ändern . Ich wäre jetzt den Kolleginnen und Kollegen, die an (Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- den weiteren Beratungen nicht teilhaben wollen und kön- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist völlig nor- nen, sehr verbunden, wenn sie uns die Möglichkeit schaf- (B) mal! Die gibt es ständig!) fen würden, unsere Beratungen fortzusetzen . (D) Ich komme zum Schluss . Es gilt nun einmal der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf . Grundsatz, dass immer das Rentenrecht gilt, das in dem Moment im Gesetzblatt steht, in dem man in Rente geht . Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Das müssen wir all denjenigen, die davon betroffen sind, richts des Ausschusses für Bildung, Forschung der Ehrlichkeit halber auch sagen . und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und SPD Weil Sie – auch die Kollegen von den Grünen – sa- Zugang und Teilhabe ermöglichen – Die De- gen, Sie wollen dazu wieder einen Antrag vorlegen: Ich kade für Alphabetisierung in Deutschland finde, wir sind es den Betroffenen – wie meinem Herrn umsetzen Meyer – 25 Jahre nach der deutschen Einheit schuldig, Drucksachen 18/5090, 18/6179 hier eine endgültige Entscheidung zu treffen, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Ja, zu seinen die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- Gunsten!) nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle hart ist . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Eine ehrliche Entscheidung, wie Kollegin Wolff gesagt Xaver Jung für die CDU/CSU-Fraktion; er ist freundli- hat, ist besser . cherweise schon am Redepult . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsidentin Petra Pau: ordneten der SPD) Kollege . Xaver Jung (CDU/CSU): Dr. Martin Rosemann (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Liebe Kollegin- 25 Jahre nach der deutschen Einheit, denke ich, brau- nen und Kollegen! Lesen und schreiben können ist ein chen diese Leute eine klare Antwort . wesentlicher Schlüssel zur Teilhabe am alltäglichen Leben . Ich freue mich, dass wir Anfang September am Danke schön .

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 1) Ergebnis Seite 12468 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12467

Xaver Jung (A) Weltalphabetisierungstag die Nationale Dekade für Al- Aber wir können und werden uns damit nicht zufrieden- (C) phabetisierung begrüßen durften . Der Bund übernimmt geben . Verantwortung im Kampf gegen Analphabetismus in un- Nach Abschluss dieser nationalen Strategie haben wir serem Land . Damit steht das Thema ganz oben auf der Bilanz gezogen und geschaut, welche Bildungsangebote bildungspolitischen Agenda . gut funktionieren und wo es hilfreiche Multiplikatoren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gibt . Besonders erfolgreich laufen die Maßnahmen am ordneten der SPD) Arbeitsplatz . Die Betriebe entwickeln immer mehr Inter- esse an solchen Angeboten . – Ja, da kann man klatschen . Darüber hinaus fordern wir in unserem Antrag mehr Frau Ministerin Wanka hat gemeinsam mit unserer Kompetenzen und Möglichkeiten für die Bundesagentur Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, Brunhild für Arbeit . Deren Mitarbeiter müssen sensibilisiert an die Kurth, verkündet, dass in den kommenden zehn Jahren Bewerber herangehen . Mit der folgenden Dekade wollen 180 Millionen Euro investiert werden, um Menschen zu wir erreichen, dass alle Initiativen, die erfolgreich waren, helfen, die nicht richtig lesen und schreiben können . Mit verstetigt werden und in die Breite getragen werden . Wir dieser Menge an zusätzlichem Geld kann man ordentlich wollen erreichen, dass es zu den passenden Bildungsan- was machen . Vielen herzlichen Dank! geboten auch die nötige Infrastruktur gibt und sich lände- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rübergreifend Synergieeffekte bilden . Aus diesem Grun- ordneten der SPD) de freue ich mich ganz besonders, dass sich das BMBF auf unseren Vorschlag hin dazu bereit erklärt hat, eine Das eigentliche Ziel unseres Antrags wäre damit fast er- Monitoringstelle beim Bundesinstitut für berufliche Bil- reicht, so könnte man sagen . Ich sage: Es ist ein weiterer, dung einzurichten, welche die Projekte in den nächsten ein großer Schritt . zehn Jahren begleiten wird . Im Jahr 2008 wurden wir durch die Ergebnisse der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- „leo . – Level‑One“‑Studie wachgerüttelt . Seither wissen ordneten der SPD) wir, dass 7,5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 16 und 65 Jahren in Deutschland nicht Wir geben nicht nur Geld und lassen die Initiativen richtig lesen und schreiben können . Es handelt sich um allein, sondern wir bieten Unterstützung vor Ort . Wir sogenannte funktionale Analphabeten . Diese Zahl klingt übernehmen Verantwortung und Koordination . nicht nur erschreckend, sie ist gerade für ein Hochtech- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nologieland wie Deutschland auch nicht hinnehmbar . NEN]: Sie haben jetzt lang genug gepennt!) Dennoch sagen mir viele Menschen, mit denen ich (B) Wir setzen hiermit ein klares Zeichen . Im Rahmen der (D) über diese Zahl spreche, dass sie keinen Erwachsenen Bildungsberichterstattung wird das Parlament regelmä- kennen, der nicht lesen und schreiben kann . Statistisch ßig über die Entwicklung auf dem Laufenden gehalten . gesehen hat aber jeder – Sie alle – mindestens einen Für die Betroffenen, aber auch für deren engste Vertrau- Nachbarn, auf den das zutrifft . Oft weiß man es nur nicht; te, also das wissende Umfeld, bedarf es kurzer Wege . den Betroffenen ist es unangenehm, sich zu bekennen . Wir appellieren an die Länder, die Zahl der regionalen Genau darin liegt das eigentliche Problem: Wie kommen Grundbildungszentren und Koordinierungsstellen zu er- wir mit unseren Angeboten an die Menschen heran? höhen . Nur so wird der Austausch zwischen Verbänden Mit dieser Debatte wollen wir auf das Problem auf- und Lernern schnell und unkompliziert stattfinden. Digi- merksam machen . Wir wollen Barrieren abbauen, und tale Angebote zur Fort- und Weiterbildung sind gefragt wir müssen das soziale Umfeld sensibilisieren . und werden künftig für die Betroffenen zur Verfügung stehen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir wissen, die meisten aller funktionalen Analpha- beten sind Muttersprachler . Über die Hälfte der Men- Defizite gibt es nicht nur bei der Lesekompetenz. schen sind über 50 Jahre alt . 80 Prozent haben sogar Selbstlernplattformen bieten einen guten niederschwelli- einen Schulabschluss; wie auch immer sie das geschafft gen Zugang zu den wichtigsten Grundkompetenzen wie haben . Als Antwort auf diese Studie hatten wir bereits Lesen, Schreiben und Mathematik sowie zu demokrati- 2012 gemeinsam mit den Ländern ein Bündnis für Al- scher Grundbildung. Auch im Bereich der beruflichen phabetisierung vereinbart . Diese nationale Strategie für Bildung werden Konzepte der Grundbildung weiterent- Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener haben wickelt und umgesetzt . Selbstverständlich sollen diese wir vom Bund mit 20 Millionen Euro unterstützt und ge- Angebote auch Menschen zur Verfügung stehen, die meinsam mit zahlreichen Partnern viele Projekte in den derzeit zu uns kommen, und ihnen Berührungspunkte Bundesländern durchgeführt . An dieser Stelle möchte ich mit der deutschen Sprache, der Verfassung und unserer mich für das Engagement der verantwortlichen Partner, Kultur ermöglichen . Die genauen Inhalte und Orte der aber auch besonders der vielen ehrenamtlichen Helfer Kurse, die im Rahmen der Dekade für Alphabetisierung herzlich bedanken . stattfinden, nehmen die gesamte Familie in den Blick und suchen Alltagsbezug . So unterstützt das Projekt ABCami (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gezielt Frauen am Lernort Moschee, um die Menschen Mit den sogenannten Alphabetisierungskursen haben dort abzuholen, wo sie gerade sind . Ich spreche von wir circa 500 000 Lerner erreicht . Das ist eine Menge . Kochkursen in Mehrgenerationenhäusern . Ich spreche 12468 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Xaver Jung (A) von Kursen wie zum Beispiel Computer für Anfänger schaffen und nicht richtig lesen und schreiben können? (C) oder KettensägePlus, welche die Menschen bei der Ar- Und wieso kann es immer noch Kinder und Jugendliche beit abholen . geben, denen niemand hilft, obwohl man feststellt, dass sie Schwierigkeiten oder Probleme haben? Wir müssen (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Thomas Feist herausfinden: Welche Rolle kommt dabei Eltern, Erzie- [CDU/CSU]: „KettensägePlus“: Sehr gut!) hern, Lehrern und Sozialarbeitern zu? Über den Deutschen Volkshochschul-Verband wollen Meine Damen und Herren, dieser Antrag richtet sich wir gemeinsam mit den Ländern die Aus- und Fortbil- an alle in unserem Land; es ist eine gemeinsame Aufga- dung der Kursleitenden unterstützen und Standards dafür be . Ich freue mich darüber, dass die Opposition angekün- setzen . Dies gilt genauso für standardisierte Lehrpläne digt hat, nicht dagegen zu stimmen . und optimierte Lehrmaterialien . Dann werden wir auch messbare Erfolge verzeichnen . (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hast du gut gemacht!) (Dr . [SPD]: Gut!) Es wäre schön, wenn Sie zustimmten . Um ständige Wechsel beim Lehrpersonal zu vermei- den, fordern wir die Länder auf, die Kursleitenden ange- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- messen zu honorieren und ihnen eine sichere Perspektive ordneten der SPD) zu geben . Ich bedanke mich bei meiner Kollegin Frau Schieder (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Öz- für die wunderbare Zusammenarbeit . can Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich darf darauf hinweisen, dass der Antrag auch in Immer schön an die Länder verweisen! – Ge- leichter Sprache vorliegt . genruf der Abg . Marianne Schieder [SPD]: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die sind aber zuständig, wie Sie wissen! – Ge- genruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ 2018 wird es wieder eine „Level-One“-Studie geben . DIE GRÜNEN]: Leider!) Dann werden wir sehen, was wir erreicht haben . Ebenso appellieren wir an die Länder, dafür zu sorgen, Vielen Dank . dass kein Kind und kein Jugendlicher von der Schule (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) geht, ohne richtig lesen und schreiben zu können . Ich hoffe darauf, Herr Mutlu, dass sich die Länder nicht wie- der in dem Maße aus der Finanzierung zurückziehen, in Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (B) (D) dem sich der Bund beteiligt . Vielen Dank .– Bevor ich die nächste Rednerin aufru- fe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Die Dekade wird von weiterer Forschung zu sozialen Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen und schulischen Ursachen von Analphabetismus beglei- Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 501 . tet . Wir wissen zwar, dass viel Vorlesen kleinen Kindern Mit Ja haben gestimmt 403, mit Nein haben gestimmt 45, beim Zugang zu Büchern und zum Erlernen des Lesens im und 53 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten . Allgemeinen hilft . Allerdings brauchen wir mehr Kennt- Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für nis: Wieso gibt es Menschen, die einen Schulabschluss Arbeit und Soziales angenommen .

Endgültiges Ergebnis Dr .Andre Berghegger Alexandra Dinges-Dierig Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) Abgegebene Stimmen: 501; Dr . Christoph Bergner davon Hans-Joachim Fuchtel ja: 402 Thomas Dörflinger Ingo Gädechens nein: 46 Marie-Luise Dött Dr . enthalten: 53 Hansjörg Durz Iris Eberl Dr . Maria Böhmer Jutta Eckenbach Ja Cemile Giousouf Dr . Bernd Fabritius CDU/CSU Hermann Färber Michael Brand Ursula Groden-Kranich Dr .Thomas Feist Dr . Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Dr . Ingrid Fischbach Astrid Grotelüschen Thomas Bareiß Dr . Dirk Fischer (Hamburg) Markus Grübel Günter Baumann Heike Brehmer Dr . Manfred Grund Klaus-Peter Flosbach (Börde) Cajus Caesar Dr . Dr .Astrid Freudenstein Fritz Güntzler Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12469

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Günter Lach Arnold Vaatz (C) Uwe Lagosky Alois Rainer DrA . Karl . Lamers Dr . Peter Ramsauer Dr . Andreas G . Lämmel Eckhardt Rehberg Michael Vietz Dr . Norbert Lammert (Kleinsaara) Katharina Landgraf Sven Volmering Mark Hauptmann Ulrich Lange Johannes Röring Christel Voßbeck-Kayser Dr . Stefan Heck Dr . Dr . Norbert Röttgen Dr . Erwin Rüddel Dr . Dr . Dr .W olfgang Schäuble (Hamburg) (Chemnitz) Dr . Dr . Mark Helfrich Philipp Graf Lerchenfeld Sabine Weiss (Wesel I) Uda Heller Jana Schimke Jörg Hellmuth Matthias Lietz Tankred Schipanski Karl-Georg Wellmann Heiko Schmelzle Dr . Gabriele Schmidt (Ühlingen) Waldemar Westermayer Ronja Schmitt Dr . Wilfried Lorenz Peter Wichtel Robert Hochbaum Dr . Claudia Lücking-Michel Nadine Schön (St . Wendel) Heinz Wiese (Ehingen) (Dort- Dr . Jan-Marco Luczak Dr . Kristina Schröder (Wies- Elisabeth Winkelmeier- mund) Daniela Ludwig baden) Becker Alexander Hoffmann Dr . Ole Schröder Thomas Mahlberg Bernhard Schulte-Drüggelte Barbara Woltmann Franz-Josef Holzenkamp Dr . Klaus-Peter Schulze Heinrich Zertik Dr . Margaret Horb Hans-Georg von der Marwitz (Weil am Dr . Matthias Zimmer Bettina Hornhues Rhein) Gudrun Zollner Charles M . Huber (Altötting) Christina Schwarzer (B) Anette Hübinger Reiner Meier SPD (D) Hubert Hüppe Dr . Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Sylvia Jörrißen Dr . Dr . Bernd Siebert Xaver Jung Karsten Möring Bartholomäus Kalb Volker Mosblech Heinz-Joachim Barchmann Hans-Werner Kammer Tino Sorge Doris Barnett Steffen Kampeter Carsten Müller (Braun- Steffen Kanitz schweig) Carola Stauche Dr . Stefan Müller (Erlangen) Dr. Sören Bartol Dr . Gerd Müller Bärbel Bas Bernhard Kaster Dr . (Heidelberg) Michaela Noll Dr . Helmut Nowak Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . Georg Nüßlein Christian Frhr . von Stetten Edelgard Bulmahn Jürgen Klimke Rita Stockhofe Dr . Florian Oßner Dr . Daniela De Ridder Dr .T im Ostermann Dr . Karamba Diaby Carsten Körber Max Straubinger Hartmut Koschyk Matthäus Strebl Elvira Drobinski-Weiß (Heilbronn) Siegmund Ehrmann Lena Strothmann Michaela Engelmeier Dr . Martin Pätzold Michael Stübgen Dr . h .c . Dr . Günter Krings Ulrich Petzold Dr . Petra Ernstberger Rüdiger Kruse Dr . Dr . Hans-Peter Uhl Karin Evers-Meyer Dr . Roy Kühne Dr .V olker Ullrich Dr . 12470 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Dr . Thomas Oppermann Manfred Zöllmer Enthalten (C) Elke Ferner Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr . Ute Finckh-Krämer Aydan Özoguz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Christian Flisek Nein Dr . Sabine Poschmann DIE LINKE Annalena Baerbock Ulrich Freese (Minden) (Köln) Dr . Dietmar Bartsch Dr . Dr .W ilhelm Priesmeier Iris Gleicke Ekin Deligöz Dr . Matthias W . Birkwald Katja Dörner Martin Rabanus Katharina Dröge Gabriele Groneberg Stefan Rebmann Wolfgang Gunkel Gerold Reichenbach Eva Bulling-Schröter Dr .Thomas Gambke Dr . Carola Reimann Roland Claus Rita Hagl-Kehl Sevim Dagdelen Sönke Rix Klaus Ernst Britta Haßelmann Ulrich Hampel Dr . Martin Rosemann Nicole Gohlke Dr . Ernst Dieter Rossmann Dr .Anton Hofreiter Dr . Gregor Gysi Bernd Rützel Bärbel Höhn Dr .Andre Hahn Heike Hänsel Annette Sawade Dr . Rosemarie Hein Dr . Hans-Joachim Sven-Christian Kindler Heidtrud Henn Schabedoth Inge Höger Maria Klein-Schmeink Dr . Sylvia Kotting-Uhl Gabriele Hiller-Ohm Marianne Schieder Sigrid Hupach Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Dr . Eva Högl Dr . Dorothee Schlegel Kerstin Kassner Renate Künast Matthias Ilgen Ulla Schmidt (Aachen) (B) Markus Kurth (D) Christina Jantz (Wetzlar) Monika Lazar (Erfurt) Katrin Kunert Steffi Lemke Thomas Jurk Elfi Scho-Antwerpes Dr .T obias Lindner Oliver Kaczmarek Stefan Liebich Nicole Maisch Johannes Kahrs (Spandau) Dr . Gesine Lötzsch Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Birgit Menz Dr . Omid Nouripour Marina Kermer Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Müller (Potsdam) Dr .Alexander S . Neu Brigitte Pothmer Birgit Kömpel Norbert Spinrath Tabea Rößner Dr . Hans-Ulrich Krüger Petra Pau Claudia Roth (Augsburg) Richard Pitterle Corinna Rüffer Gabriele Lösekrug-Möller Dr . Petra Sitte Elisabeth Scharfenberg Dr . Dr . Birgit Malecha-Nissen Dr . Karin Thissen Azize Tank Dr . Franz Thönnes Frank Tempel Kordula Schulz-Asche Rüdiger Veit Dr .W olfgang Strengmann- Dr . Kuhn Halina Wawzyniak Dirk Vöpel Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Detlef Müller (Chemnitz) Waltraud Wolff (Wol- Birgit Wöllert Markus Tressel Bettina Müller mirstedt) Jörn Wunderlich Jürgen Trittin Michelle Müntefering Gülistan Yüksel Dr . Dr . Rolf Mützenich Sabine Zimmermann Beate Walter-Rosenheimer Ulli Nissen (Zwickau) Dr .V alerie Wilms Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12471

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Als nächste Rednerin hat jetzt Frau Dr . Rosemarie nig Strategien haben, um damit umzugehen . Das heißt, (C) Hein, Fraktion Die Linke, das Wort . Bitte schön . wir brauchen die Möglichkeit, Lehrkräfte in die Lage zu versetzen – zeitlich, didaktisch und fachlich –, Defizite (Beifall bei der LINKEN) rechtzeitig zu erkennen und sie wirksam zu beheben . Diese Möglichkeit gibt es zu wenig . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Liebe Kolleginnen (Beifall bei der LINKEN) und Kollegen! Ja, in Deutschland können 7,5 Millionen Wir müssen uns auch die Frage stellen: Warum ent- Menschen im erwerbsfähigen Alter nicht richtig lesen steht Analphabetismus eigentlich nach dem Abschluss und schreiben . Man kann die Zahl gar nicht oft genug schulischer und beruflicher Bildungsphasen neu? Of- wiederholen, allerdings nicht, um sich daran einfach nur fensichtlich merken wir nicht, wenn jemand die Schule in irgendeiner Art und Weise abzuarbeiten . Vielmehr verlässt, aber nicht richtig lesen und schreiben kann . Die müssen wir etwas tun, müssen Strategien entwickeln und Studien, die uns dazu vorliegen, sind sehr aussagekräftig: überlegen, wie wir diesen Menschen helfen können, ihre Viele haben sich durchgeschummelt . Das ist aber nicht Fähigkeiten zu erweitern und Grundbildung zu erwerben . das Problem . Manche können lesen und schreiben – viel- Wir müssen endlich entsprechend handeln . leicht nicht auf einem besonders hohen, aber auf einem (Beifall bei der LINKEN) akzeptablen Niveau – und machen den Schulabschluss, aber nach einigen Jahren können sie es nicht mehr . Wa- Wir sind uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass rum ist das so? Ich glaube, auch hier bedarf es einer in- die Fragen der Grundbildung ganz dringend angegangen tensiveren Forschung, die es gegenwärtig so noch nicht werden müssen; denn wer nicht richtig lesen und schrei- gibt . Das haben uns Wissenschaftlerinnen und Wissen- ben oder nicht richtig rechnen kann, ist in der Gesell- schaftler, die in diesem Bereich arbeiten, auch bestätigt . schaft doppelt und dreifach benachteiligt . Allerdings hilft es wenig, die Nationale Strategie für Alphabetisierung Ich finde, nach den vielen Exzellenzprogrammen wäre und Grundbildung Erwachsener, die 2011 von Bund und es an der Zeit, ein Forschungsprogramm zu den Ursachen Ländern ausgerufen wurde, nun als Dekade für Alpha- fehlender Grundbildung aufzulegen und gleichzeitig fun- betisierung fortzusetzen, wenn damit im Wesentlichen dierte Strategien entwickeln zu lassen, die aufzeigen, wie keine neuen Maßnahmen und Ziele verbunden sind und man dem entgegenwirken kann . So etwas könnten wir, es – was auch wichtig ist – zunächst einmal nur um Ver- der Bund, sogar leisten . Also machen wir das doch . stetigung der Mittel geht . (Beifall bei der LINKEN) (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ist denn Ich finde es auch richtig, dass wir Wert darauf legen, (B) dagegen einzuwenden?) dass die Arbeitsweltorientierung Teil der Alphabetisie- (D) Die Maßnahmen gibt es schon . Die Mittel zu verstetigen, rungsstrategie wird . Trotzdem lässt mich die Sorge nicht ist gut . los, dass die Jobcenter und Arbeitsagenturen die Mög- lichkeit, Alphabetisierungskurse anzubieten, willfährig (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Mehr als annehmen, weil sie damit ein Problem gelöst kriegen, Verstetigen geht nicht!) und dass man jemanden in einen Alphabetisierungskurs Aber wir müssen uns auch etwas Neues einfallen lassen; schickt, bevor überhaupt versucht wird, ihn in Arbeit zu denn obwohl es viele gute Konzepte und Ideen gibt, gibt vermitteln. Ich finde, solche Kurse müssen berufsbeglei- es bisher noch keinen messbaren Fortschritt . Das Prob- tend bzw . arbeitsplatzbegleitend angeboten werden . Sie lem scheint nicht kleiner geworden zu sein . sollten nicht die Voraussetzung dafür sein, vielleicht ir- gendwann einmal Arbeit zu bekommen . Eine gute Idee war zum Beispiel die multimediale Wanderausstellung . Sie war zum Kampagnenstart im Viele Punkte in dem uns vorliegenden Antrag sind Magdeburger Rathaus zu sehen . Die Frage ist nur: Wen nicht falsch, sie sind aber auch nicht neu . Uns fehlt vor erreichen solche Ausstellungen? Im Magdeburger Rat- allem der präventive Ansatz . Weil das so ist und weil haus trafen sich diejenigen, die man von der Notwendig- viele Fragen offen bleiben, weil Ziele nicht klar genug keit der Alphabetisierung nicht mehr überzeugen musste . formuliert sind und es lediglich bei einem Appell an die Länder bleibt, werden wir uns bei diesem Antrag der (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann muss Stimme enthalten . man dorthin gehen, wo die Leute sind!) Sie haben es vorhin zitiert: – Deshalb muss man dorthin gehen, wo die Leute sind, nämlich zum Beispiel in die Einkaufstempel . Alphabetisierung und Grundbildung müssen als ge- samtgesellschaftliche Aufgabe aufgefasst werden . Es reicht auch nicht aus, wenn wir immer nur an den Symptomen herumdoktern . Herr Jung hat es vorhin So steht es im Antrag . Nehmen wir das doch als Motto! schon gesagt: Wir denken zu wenig über die Ursachen Lassen Sie uns die Hemmnisse für eine effektivere Zu- fehlender Grundbildung nach . Herr Jung, Sie sind Leh- sammenarbeit von Bund und Ländern endlich aufheben! rer, ich bin Lehrerin . Wir beide wissen, in welchen Zwän- (Beifall bei der LINKEN) gen man als Lehrer vor der Klasse steht und was Lehr- kräfte unter den heutigen Umständen, in den Situationen, Dann könnten wir gemeinsam viel mehr für die Grund- in denen sie sich heute befinden, noch merken. Wir beide bildung tun und müssten nicht befürchten, dass sich die wissen auch, dass wir – ich bin Deutschlehrerin – zu we- Länder aus ihrer Verantwortung stehlen . Vielleicht kön- 12472 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Rosemarie Hein (A) nen wir dann am Ende der Dekade, wenn nicht sogar stimmen können, warum Sie nicht gemeinsam mit uns an (C) schon 2018, einen messbaren Erfolg verzeichnen . einem Strang ziehen können . Ich will Sie noch ganz kurz auf einen Fehler hinwei- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sen . Ich muss nun alle Berichterstatterinnen und Be- Es wurde bereits darauf hingewiesen: Die Gesellschaft richterstatter kritisch anschauen; denn wir alle haben für deutsche Sprache hat unseren Antrag in einfache uns die erste Seite unseres Berichts nicht richtig angese- Sprache übersetzt . Diese neue Version unseres Antrags hen . Es betrifft natürlich die erwerbsfähige Bevölkerung soll es den Betroffenen ermöglichen, sich selbst über ihre zwischen 18 und 64 Jahren und nicht zwischen 18 und Belange zu informieren . Das ist also ein erster Schritt, 24 Jahren . So ausbeuterisch sind wir dann doch nicht . um auf die Betroffenen zuzugehen . Vielen Dank . Ausgerufen wurde unsere Alphadekade bereits durch (Beifall bei der LINKEN) die Frau Ministerin und die Präsidentin der Kultusmi- nisterkonferenz; jetzt muss es also darum gehen, sie mit Leben zu füllen . Dabei muss das Rad nicht neu erfunden Vizepräsidentin Ulla Schmidt: werden . Es gibt bereits viele gute und erprobte Ansätze, Vielen Dank .– Als Nächstes hat die Kollegin Marianne etablierte Projekte, die heute schon den Menschen helfen Schieder für die SPD-Fraktion das Wort . und die weitergeführt werden können . Genauso müssen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir aber Pilotprogramme, die sich bewährt haben, in die der CDU/CSU) Breite tragen, und wir brauchen neue Förderprogramme, um die Träger der Erwachsenenbildung zu motivieren, in Marianne Schieder (SPD): entsprechende Programme einzusteigen und Neuangebo- te zu entwickeln . Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- legen! „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer- Auch darauf ist schon hingewiesen worden, aber ich mehr“ – ich gehe davon aus, dass viele von Ihnen die- möchte es wiederholen: Trotz der Vielfalt der erfolgrei- se Redewendung kennen . In diesen Worten steckt viel chen Projekte haben sie eines gemeinsam: Sie sind für Wahrheit; denn in der Tat lernen Kinder sehr viel leichter die Betroffenen leicht zu erreichen . Zum Beispiel lässt und sehr viel schneller als Erwachsene . Aber wir wissen sich der Anruf beim Alphatelefon schnell und ohne Ver- genauso gut – das gilt für uns alle –: Wir brauchen die pflichtung realisieren. Es droht keine öffentliche Brand- Bereitschaft zum lebenslangen Lernen, und es ist nie zu markung, weil der Kontakt anonym bleiben kann . Ähn- spät, etwas Neues dazuzulernen . liches gilt für Onlineangebote . Man könnte hier viele (B) (D) weitere Beispiele aus den unterschiedlichen Bereichen (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Xaver aufzählen . Jung [CDU/CSU]) Wir brauchen, liebe Frau Kollegin Hein, natürlich Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen brau- auch die Ausstellung im Magdeburger Rathaus; denn wir chen aber nicht nur die Motivation, sondern auch die müssen schon mehrgleisig fahren . Wir müssen die Be- Möglichkeit, Neues dazuzulernen . Für 7,5 Millionen troffenen erreichen, und wir müssen aber auch all dieje- funktionale Analphabeten in unserem Land möchten wir nigen erreichen, die mit den Betroffenen zusammenkom- mit der Dekade für Alphabetisierung neue Möglichkeiten men, die als Multiplikatoren in den Volkshochschulen, und neue Strategien eröffnen, um Neues dazuzulernen . in den Betrieben, in den Schulen, in den Verbänden, in Politik muss nach unserer sozialdemokratischen den Vereinen und wo auch immer mit Analphabeten zu- Grundüberzeugung dafür Sorge tragen, dass allen Men- sammenkommen . Auch sie brauchen wir . Es geht darum, schen gesellschaftliche Teilhabe möglich wird . Selbst- dass sie sich überlegen: Was können wir denn tun, um die verständlich ist richtig lesen und schreiben können eine Menschen anzusprechen? der wichtigsten Fähigkeiten, um gesellschaftliche Teil- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) habe realisieren zu können . Deswegen haben wir bereits im Koalitionsvertrag dafür gekämpft, dass aus der Nati- Unsere Alphadekade soll zuerst den Betroffenen selbst onalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung helfen – das ist ganz klar ; denn durch das Erlernen von eine Dekade für Alphabetisierung geworden ist . Lesen und Schreiben, durch die Verbesserung des Lesens und Schreibens wird natürlich ein weiterer Grundstein Der Antrag von Union und SPD, den wir heute ab- gelegt für gesellschaftliche Teilhabe, aber auch für den schließend beraten, beschreibt, wie diese Alphabetisie- weiteren beruflichen Erfolg. Immerhin ist ein Großteil rungsdekade ausgestaltet werden kann . Auch ich darf, der Betroffenen – darüber dürfen wir sehr froh sein, mei- lieber Herr Kollege Jung, mich herzlich bei Ihnen bedan- ne ich – berufstätig. Über berufliche Weiterbildung bie- ken für die gute Zusammenarbeit . Ich meine, es ist wirk- ten sich neue Chancen, aus einer geringfügigen Beschäf- lich ein guter Antrag geworden, den wir erarbeitet haben . tigung in eine bessere berufliche Position zu kommen. Die Kritik daran im Ausschuss war wenig substanziell Eins wissen wir doch alle miteinander: Das Angebot und hat wenig Neues gebracht . Deswegen kann ich wirk- an Arbeitsplätzen für Menschen, die nicht richtig lesen lich nicht verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von und schreiben können, wird in diesem Land weniger und den Linken und von den Grünen, warum Sie nicht mit- nicht mehr . Deswegen besteht auch ein gesamtgesell- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12473

Marianne Schieder (A) schaftliches Interesse, die Situation von Analphabetinnen Marianne Schieder (SPD): (C) und Analphabeten zu verbessern . Sofort, Frau Präsidentin .– Liebe Kolleginnen und lie- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) be Kollegen, ich glaube, eine sehr spannende und sehr lohnende Aufgabe liegt vor uns . Unterstützen Sie alle un- Wir wollen aber auch all den Menschen helfen – Herr seren Antrag, um all den Menschen, die besser lesen und Kollege Jung hat darauf hingewiesen; das ist dringend schreiben lernen wollen, die Möglichkeit dazu zu geben . notwendig –, die diese Angebote durchführen, also den Vielen Dank . vielen Kursleiterinnen und Kursleitern; denn sie brau- chen wirklich endlich verlässliche Perspektiven und eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gerechte Bezahlung . Wir brauchen aber auch neue Forschungsaufträge; Vizepräsidentin Ulla Schmidt: denn um die richtigen Wege zu finden, brauchen wir Vielen Dank .– Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt noch mehr wissenschaftlich fundierte Daten . Die „leo . – Özcan Mutlu das Wort . Level-One“-Studie war ein guter Anfang; aber sie muss fortgesetzt und differenziert werden . Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2,3 – Wir müssen heute den Menschen helfen, die betroffen 7,5 – 13 – das sind drei Zahlen, die im Kontext von An- sind . Aber wir müssen auch in Zukunft dafür Sorge tra- alphabetismus für sich selbst sprechen: 2,3 Millionen er- gen – das möchte ich auch betonen –, dass keine Schü- werbsfähige Menschen können lediglich einzelne Wörter lerin und kein Schüler mehr die Schule verlässt, ohne lesen, verstehen und schreiben, jedoch nicht ganze Sätze . wirklich rechnen, schreiben und natürlich auch lesen zu 7,5 Millionen Menschen – wir haben es hier wiederholt können . Deswegen liegt uns daran, dass dieses Thema gehört; das sind 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevöl- Teil des Bildungsberichtes wird . Denn wenn wir dieses kerung – gelten als funktionale Analphabeten, können Problem wirklich erfolgreich in Angriff nehmen wollen, nicht richtig lesen und schreiben . Circa 13 Millionen müssen wir es langfristig im Auge behalten und müssen Menschen – das sind ganze 25 Prozent der erwerbsfähi- kontinuierlich an einer Lösung arbeiten . Nur dann wer- gen Bevölkerung – haben in ihrer Schulzeit nicht gelernt, den wir erfolgreich sein . wie man richtig schreibt .– Das sind drei Zahlen, hinter Ich muss zu guter Letzt noch einmal auf die Finanzie- denen sich knapp 23 Millionen Biografien und ganz un- rungsfrage zu sprechen kommen . Frau Ministerin Wanka terschiedliche Schicksale verbergen . Diese Zahlen sind hat 180 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre an- erschreckend, und wir können nicht einfach so tun, als (B) gekündigt . Für 2016 stehen im Haushalt 16,5 Millionen wäre das nicht unser Geschäft . (D) Euro zur Verfügung . Mal zehn genommen ergeben sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – daraus keine 180 Millionen Euro . Frau Ministerin Wanka Marianne Schieder [SPD]: Tun wir auch verweist zu Recht darauf, dass es auch einen Bedarf an nicht!) Alphabetisierungsangeboten für Flüchtlinge gibt . Die er- Dass wir in puncto Alphabetisierung neue Wege ein- rechneten Zahlen und der Bedarf von 180 Millionen Euro schlagen müssen, das wissen wir spätestens seit Ver- beziehen sich aber auf Zahlen, die vor dem Einsetzen des öffentlichung der „leo . – Level-One“-Studie aus dem Flüchtlingsstroms erhoben wurden . Es ist richtig, auch Jahr 2010 . Das ist im Übrigen fünf Jahre her . Funktio- für Flüchtlinge Angebote zu schaffen; aber dafür müssen nalem Analphabetismus wirksam zu begegnen und so weitere Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden . mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen, muss unser (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aller Aufgabe sein . Ich denke, dass hier Ideologie fehl DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der am Platze ist . LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Auch ich möchte allen Akteuren danken, die sich Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann stimmt landauf, landab engagieren, um Analphabetismus zu doch einfach zu!) bekämpfen . Vor allen Dingen möchte ich aber all denen Eine neue Studie zum Analphabetismus ist deshalb drin- Danke sagen, die sich trauen und öffentlich bekennen, gend nötig . Sie wird hoffentlich spätestens 2018 vorge- dass sie von diesem Problem betroffen sind . Damit tra- legt werden . gen sie dazu bei, dass dieses Phänomen aus der Tabuzone herauskommt und sich letztlich mehr Menschen trauen, Ich gebe gerne zu, dass Sie sich in puncto Alphabe- sich ihrem Problem zu stellen . tisierung zumindest auf den Weg gemacht haben, zwar spät, aber immerhin . In Ihrem Antrag stellen Sie Richti- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ ges und Wichtiges fest . CSU, der LINKEN und des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) SES 90/DIE GRÜNEN) Er enthält Vorschläge, die man tatsächlich begrüßen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: kann . Weil uns das aber noch nicht ausreicht, werden wir uns enthalten und Sie auf dem Weg weiter begleiten . Frau Kollegin Schieder, jetzt müssen Sie aufhören mit dem Danken . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12474 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Özcan Mutlu (A) Erstens . Die bisher ergriffenen Maßnahmen sind in Deshalb sagen wir: Früher und gezielter investieren, das (C) der Tat nicht falsch, aber sie reichen nicht aus; denn mit muss unser Motto sein . Ihren Maßnahmen erzielen Sie keine flächendeckende (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verbesserung . Es gilt, das, was sich als Good Practice bewährt hat, zu verstetigen und in der Breite umzusetzen, Da ist zum Beispiel das Programm „Lesestart – Drei nicht nur punktuell . Meilensteine für das Lesen“ zu nennen, das ganz früh ansetzt; es ist hier bisher nicht zur Sprache gekommen . Zweitens . Die 180 Millionen Euro an Investitionen Die Evaluationsergebnisse der ersten Projektphase bele- für die Dekade für Alphabetisierung sind schön und gut . gen sowohl die hohe Durchdringung des Programms in Aber gut gemeint ist in den seltensten Fällen auch gut den Kinderarztpraxen als auch die Akzeptanz und Nut- gemacht . zung der Lesestartangebote durch die Eltern . Das ist ein (Marianne Schieder [SPD]:Manchmal erfolgreiches Programm . Wir fordern hier deshalb – da schon!) können Sie zeigen, wie ernst Sie es meinen –, dieses Pro- gramm über 2018 hinaus zu verfestigen und nachhaltig Wenn Sie die 180 Millionen Euro für zehn Jahre allein zu sichern . auf die 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten herun- terbrechen, kommen Sie auf einen Betrag von 2,40 Euro (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pro Person . Das ist in Anbetracht von 23 Millionen Men- Summa summarum sage ich zum Schluss: Das, was es schen, die einen Förderbedarf haben, nicht ausreichend . an Good Practice in puncto Alphabetisierung gibt, gilt es (Marianne Schieder [SPD]: Das sind ja nur nun in die Breite zu tragen, die Bundesmittel! Das wissen Sie doch!) (Marianne Schieder [SPD]: Stimmen Sie zu! Das wollen wir!) – Ja, das sind nur die Bundesmittel, genau . und zwar landauf, landab, und finanziell nachhaltig ab- (Marianne Schieder [SPD]: Eben!) zusichern . Die 180 Millionen Euro, die Sie für die nächs- Das reicht trotzdem nicht . ten zehn Jahre im Haushalt festschreiben wollen, reichen nicht und sind auch keine Antwort auf die aktuellen po- Drittens . Was uns bei Ihnen fehlt, ist die Auseinan- litischen Entwicklungen, die unser Land zu bewältigen dersetzung mit den Gründen, mit den Ursachen des An- hat . Deshalb enthalten wir uns . alphabetismus . Wir können gerne einmal darüber nach- denken, ob zwischen der Nichtzuständigkeit des Bundes (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Das war (B) und den besagten 23 Millionen nicht vielleicht doch ein eine super Begründung! – Marianne Schieder (D) Zusammenhang besteht . [SPD]: Das ist aber mutig!) (Marianne Schieder [SPD]: Wie war das mit Wir hoffen, dass wir in Zukunft bei dieser Frage viel- der Ideologie?) leicht an einem gemeinsamen Strang ziehen können . Unser Bildungssystem ist unterfinanziert. Wir sind der Danke sehr . Meinung, dass hier deutlich mehr Engagement des Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des erforderlich ist; denn wenn ein Viertel der Schülerin- nen und Schüler die Schule verlässt, ohne richtig lesen Vizepräsidentin Ulla Schmidt: und schreiben zu können, dann machen wir zu früh etwas Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Sven Volmering, falsch, dann machen wir zu lange und zu viel falsch . Das CDU/CSU-Fraktion, das Wort . können wir nicht einfach auf die Bundesländer abschie- ben . Dafür tragen wir alle gemeinsam Verantwortung . (Beifall bei der CDU/CSU) Da hätte mehr geliefert werden müssen . Da haben Sie – Stichwort „Kooperationsverbot“ – leider mit der letzten Sven Volmering (CDU/CSU): Verfassungsänderung die Chance verpasst . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Kollege Jung, es ist ja schön und gut, dass Sie vieles ist ein Zufall, dass Frau Hein mir jetzt direkt eine Vorlage an die Länder delegieren, aber das reicht nicht . gegeben hat, indem sie auf einen Fehler hingewiesen hat . Der chinesische Philosoph Konfuzius hat gesagt: „Wer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht Ihre Politik repariert etwas, das nie hätte sein dürfen . einen zweiten .“ Damit mir dies nicht passiert, möchte ich Menschen müssen erst beschämt werden, bevor sie ihre zu Beginn einen Fehler korrigieren, der mir im Rahmen Würde wieder zurückerlangen können . Da, so sagen wir, der ersten Debatte über diesen Antrag unterlaufen ist . Die läuft etwas gewaltig schief . Beiträge dieser Debatte wurden ja bekanntlich zu Proto- koll gegeben . Wahrscheinlich wäre der Fehler auch un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bemerkt geblieben, wenn wir nicht alle zur Vorbereitung Ich sage hier und jetzt in aller Deutlichkeit: Dass die auf die heutige Debatte noch einmal nachgelesen hätten, Kommunen 20 Prozent, die Länder 70 Prozent und der was die anderen Kolleginnen und Kollegen über den wirklich guten Antrag von CDU/CSU und SPD denken . Bund knapp 10 Prozent der gesamtstaatlichen Bildungs- ausgaben tragen, kann so im Kern nicht richtig sein . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12475

Sven Volmering (A) Der Kollege Spiering ist leider nicht da . Ich möchte holfen wird“ . Es ist auch nicht so, dass die Abschaffung (C) mich bei ihm entschuldigen, dass sein Name in meinem des Kooperationsverbotes der Zaubertrank zur Unbesieg- Redemanuskript falsch geschrieben wurde . Er war auch barkeit des deutschen Bildungssystems ist . leider nicht der Berichterstatter aufseiten der SPD, dem zu danken war . (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ (Marianne Schieder [SPD]: Das ist natürlich DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch nicht schlimm, dass Sie das nicht bemerkt haben!) gesagt!) – Jetzt hören Sie doch zu . – Das ist dem Kollegen Jung Es ist gut, dass das BMBF jetzt die Federführung aufgefallen, der nicht nach dem Motto „Egal ob Stiering bei der Koordinierung all dieser Maßnahmen hat; dort oder Spiering, Hauptsache SPD“ gehandelt hat, sondern gibt es ja auch sehr viel Kompetenz und sehr großes mich direkt darauf hingewiesen hat, dass die Kollegin Engagement . Aber die Auswirkungen der notwendigen Schieder den Antrag aufseiten unseres Koalitionspartners Maßnahmen haben auch viele Berührungspunkte mit der mit ausgearbeitet hat . Daher gilt mein Dank zu Beginn Familien-, der Integrations- und der Arbeitsmarktpoli- diesmal richtigerweise den Kollegen Jung und Schieder tik . Alphabetisierung und Grundbildung sind eine Quer- für ihre ausgezeichnete Arbeit . schnittsaufgabe für alle gesellschaftlichen Akteure: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (Dagmar Ziegler [SPD]: Jawohl!) Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt davon, wenn man zu viel Redezeit für Gewerkschaften genauso wie für Arbeitgeber, für hat!) Länder und Kommunen ebenso wie für den Bund . Des- halb sind die Regionalen Grundbildungszentren, die wir Beim Lesen des Protokolls sind mir noch zwei weitere einführen wollen, lokale Bündnispartner und Netzwerke Dinge aufgefallen, die, zumal sie teilweise in der heuti- unabdingbar für den Erfolg der Dekade . gen Debatte wieder angeklungen sind, Herr Mutlu und Frau Hein, nicht unwidersprochen bleiben dürfen . Im Gegensatz zu den Grünen habe ich die Antwort Liebe Kollegin Hein, Sie erkennen ja durch Ihre Ent- der Regierung auf die Anfrage nicht als PR empfunden, haltung die Leistungen der Koalitionsfraktionen und sondern als eine gelungene Übersicht über die Vielzahl auch der Bundesregierung an . Wir sind uns ja auch bereits existierender Programme und Fördermaßnahmen, fraktionsübergreifend einig, dass die Bekämpfung des die hier gerade auch alle schon genannt worden sind . Von Analphabetismus eine gesamtgesellschaftliche Dauer- daher möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Betei- aufgabe ist, deren Lösung Zeit braucht, da dieser trotz ligten, (B) vieler Bemühungen und Initiativen immer noch zu oft ein (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) Tabuthema ist . Von heute auf morgen werden natürlich NEN]: Danken Sie uns doch für unsere An- auch Scham, Vorurteile und Halbwissen in diesem Be- frage! reich nicht verschwinden . Aber ich bin davon überzeugt, dass im Rahmen der Dekade deutliche Fortschritte erzielt die sich seit Jahren beruflich und ehrenamtlich in diesem werden . Gestört hat mich daher vor allem eines: Sie ha- Bereich engagieren, für ihren Einsatz bedanken, ben in Ihrer ersten Rede behauptet, dass den Regierungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fraktionen „‚die schwarze Null‘ wieder näher als die Lese- und Schreibkompetenz der Menschen in unserem Es ist nicht so, dass wir jetzt einfach weitermachen Land“ sei. Ich finde, in dieser Einfachheit und auch in wie bisher . Es ist auch niemand damit zufrieden, dass die dieser Zuspitzung kann das nicht unwidersprochen blei- Lesekompetenz in Deutschland unter dem OECD-Durch- ben . Wir als CDU und CSU sind stolz auf die schwarze schnitt liegt . Deshalb ist es selbstverständlich – wir als Null . Sie leistet einen enormen Beitrag zur Generatio- CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen das aus- nengerechtigkeit. Sie ermöglicht finanzielle Handlungs- drücklich –, dass wir die Maßnahmen aufgrund neuer, spielräume . Die Bildungsausgaben sind seit Beginn der veränderter gesellschaftlicher und politischer Rahmenbe- Kanzlerschaft von permanent gestiegen . dingungen stärker mit der Lebenswirklichkeit der Men- Das Volumen des Haushalts des BMBF hat sich verdop- schen verknüpfen müssen . Wir brauchen eben qualitativ pelt; in diesem Jahr packen wir 7,2 Prozent drauf . Ge- hochwertige Aktivitäten am Arbeitsplatz, in der Aus- und nauso gerne stellen wir jetzt auch finanzielle Mittel für Fortbildung und in der Weiterbildung ebenso wie auch die Dekade zur Verfügung . 180 Millionen Euro sind eine in den Sportvereinen . Deshalb ist es richtig, dass im An- stolze Summe, mit der man eine Menge auf die Beine trag die Qualitätsfrage, beispielsweise hinsichtlich der stellen kann . Curricula, gestellt und gefordert wird, die bisherigen (Beifall bei der CDU/CSU) Forschungs- und Evaluationsergebnisse im Hinblick auf erfolgreiche Maßnahmen weiter zu berücksichtigen . Kollege Kaczmarek hat in der letzten Debatte völlig rich- tig gesagt, dass die Dekade für Alphabetisierung einen Aber es ist genauso wichtig, dass die Teilnehmer an deutlichen Schritt nach vorne bedeutet . all diesen Maßnahmen auch von Anfang an das Gefühl haben, dass ihre Teilnahme kein Zeichen der Schwäche Die Grundfarben dieses Themas sind nicht Schwarz oder Demütigung, sondern ein Zeichen der Stärke ist, und Weiß wie auf einem Schachbrett, lieber Herr Mutlu . Es ist nicht so, dass – Zitat – „die Betroffenen ange- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schmiert sind“ und ihnen in – Zitat – „keiner Weise ge- der SPD) 12476 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Sven Volmering (A) dass die Maßnahmen ihnen einen Mehrwert bringen und Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und (C) sie bei allem Ernst auch Spaß machen können . den Linken, bleiben Sie jetzt nicht am Rand stehen und Des Weiteren möchte ich als Berichterstatter für das enthalten sich, sondern stimmen Sie unserem Antrag zu . Thema „Digitale Bildung“ auf die entsprechenden Poten- Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und ziale hierzulande zu sprechen kommen . Die Ministerin uns morgen allen einen schönen 25 .Jahrestag der Deut- hat in ihrer Haushaltsrede zu Recht darauf hingewie- schen Einheit . sen, dass bereits 500 000 Lernende an den Selbstlern- programmen des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) teilgenommen haben . Qualitativ gute Blended- und Mo- bile-Learning-Angebote bieten enorme Chancen, kosten- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: los, zeit-, orts- und lehrerunabhängig ohne Druck zu ler- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der nen . Als Lehrer kann ich nur bestätigen, dass das Gefühl Kollege Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion . permanenter Beobachtung durch jemanden, der jeden Fehler sieht, oftmals dazu führt, dass man gehemmt ist . (Beifall bei der SPD) Von daher ist das eine gute Idee. Deswegen, finde ich, können die Plattformen „www ich-will-lernen. de“. und Oliver Kaczmarek (SPD): „www ich-will-deutsch-lernen. de“. nicht oft genug posi- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist tiv erwähnt werden . einer der seltenen Fälle, in denen wir über eine Anregung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- des Parlaments reden, die die Regierung zwischen der ordneten der SPD) ersten und der zweiten Lesung des Antrags direkt schon in die Tat umsetzt . Weil die digitale Welt auch ein Bestandteil der Le- bensrealität von Menschen ist, die nicht ausreichend Wir finden es erst einmal gut, dass das jetzt Fahrt auf- lesen und schreiben können, möchte ich die Bundesre- genommen hat . Wir wollen als Parlament mit diesem An- gierung bestärken, auf diesem Weg fortzuschreiten . Die trag aber auch deutlich machen: Wir wollen das Thema Entwicklung einer App zum Deutschlernen für Flüchtlin- jetzt nicht für zehn Jahre abgeben, sondern es aktiv mit- ge ist bereits angesprochen worden; über die Bildungs- gestalten . Das zeigt auch die engagierte Debatte hier . Ge- maßnahmen in diesem Bereich diskutieren wir gleich . meinsam – Parlament und Regierung – schaffen wir das . Das ist, finde ich, eine sehr gute Idee. Man kann durchaus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten überlegen, ob man einmal mit der Bundesagentur für Ar- beit darüber spricht, ob es möglich ist, diesen Ansatz auf der CDU/CSU) (B) die Grundbildung auszuweiten . Wir sollten auch darüber Es ist aber auch wichtig, zum Schluss der Debatte (D) nachdenken, ob es sinnvoll ist, die Informationskampa- einen Blick auf die Frage zu werfen: Was wollen wir gne des Bundesbildungsministeriums über funktionalen eigentlich nach den zehn Jahren der Alphabetisierungs- Analphabetismus, die bald startet, zu einem großen Teil dekade erreicht haben? Ich möchte gerne vier Anmer- im Internet und in sozialen Netzwerken durchzuführen . kungen dazu machen . Auch ich möchte auf den präventiven Ansatz des Pro- Erstens . Wir müssen besser machen, was in der Ver- jektes „Lesestart“ der Stiftung Lesen hinweisen . gangenheit nicht geklappt hat . Die Vereinten Nationen (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!) haben 2003 bis 2012 zur Weltalphabetisierungsdekade aufgerufen mit dem Ziel, die Zahl der betroffenen Men- Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Bund auch in schen zu halbieren . Das Ergebnis war, dass weltweit die der Schule helfen kann und dass Koordination und Ko- Zahl der betroffenen Menschen von 20 auf 17 Prozent operation dort funktionieren bzw . funktionieren können . gesunken ist . Das war gut, aber nicht ausreichend . Der Parlamentarische Abend in dieser Woche hat auch noch einmal verdeutlicht, welch hohe Sympathie dieses Wir müssen aus dieser Weltalphabetisierungsdekade Projekt genießt . für unsere nationale Dekade lernen . Wir brauchen rea- Da ich am Anfang über Fehler gesprochen habe, listische Ziele . Wir brauchen geeignete Instrumente . Wir möchte ich nicht damit enden, dass ich hier die Redezeit brauchen Personen, die vorangehen . Deswegen war es überziehe . gut, dass die Ministerin gemeinsam mit der Kultusminis- terkonferenz den Impuls gesetzt hat . Und wir brauchen (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geld . Ich will daran erinnern, dass Tony Blair in Großbri- Sehr gut!) tannien 3,6 Milliarden Euro für die Skills-for-Life-Stra- Vielmehr möchte ich mit einem weiteren Konfuzius-Zi- tegie mobilisiert hat . Das kann man mit unserer Summe tat schließen, das auch passt, weil Sie, lieber Herr Mutlu, nicht vergleichen, weil wir hier nur über Bundesgeld auch von Wegen gesprochen haben . Konfuzius sagt näm- reden; die Länder werden noch ein Vielfaches draufle- lich: „Wenn du siehst, dass dein Ziel noch fern ist, dann gen . An dieser Stelle wollen wir jedoch auch sagen: Die fang an, dich auf den Weg zu machen “. Meine Damen 180 Millionen Euro, die die Ministerin in den Raum ge- und Herren, CDU/CSU und SPD sind bereits auf dem stellt hat, finden wir gut, aber das kann nur eine Unter- Weg . grenze sein . Wir helfen gern mit, da noch mehr Geld zu mobilisieren . (Marianne Schieder [SPD]: Wir sind kurz vor dem Ziel!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12477

Oliver Kaczmarek (A) Zweite Anmerkung . So gut es ist, dass Bund und Län- Öffentlichkeit zu gehen, viel gelernt . Herzlichen Dank (C) der jetzt vorangegangen sind: Allein werden sie es nicht dafür, und Respekt vor dem Mut! schaffen . Wir müssen in den nächsten zehn Jahren ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- tragfähiges Alpha-Netzwerk aufbauen . Wir brauchen ten der CDU/CSU und des Abg . Kai Gehring die Kompetenz derjenigen, die sich teilweise schon seit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jahrzehnten in der Alphabetisierungs- und Grundbil- dungsarbeit engagieren, sei es die Volkshochschule in Vierte Anmerkung . Wir wollen in diesen zehn Jah- meiner Heimatstadt, die schon seit den 80er-Jahren Al- ren erreichen, dass kein Analphabet mehr am Rande der phabetisierungskurse anbietet, oder seien es die großen Gesellschaft steht; wir wollen, dass ihm oder ihr gehol- Verbände: der Deutsche Volkshochschul-Verband allen fen wird . Wir wollen Menschen ermutigen, Lesen und voran, die Stiftung Lesen ist schon genannt worden, der Schreiben zu lernen . Das ist oft ein langwieriger Prozess . Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung, um Dabei reicht es nicht aus, einen Kurs zu besuchen . Es nur drei Beispiele zu nennen . Das sind diejenigen, die die braucht Anreize, sich der Herausforderung zu stellen und Kurse durchführen . Sie beraten am Alpha-Telefon, stel- zu erkennen, dass man mit dem Problem des Analphabe- tismus nicht allein ist . len die Unterrichtsmaterialien zusammen und qualifizie- ren die Kursleiter . Die Einbeziehung der Akteure der Al- Aber es braucht auch – Frau Kollegin Schieder hat phabetisierungs- und Grundbildungsarbeit in die Dekade darauf hingewiesen – einen Anreiz, zu erkennen, wo ist daher auch eine Frage der Wertschätzung der Arbeit, ein Mitmensch von Analphabetismus betroffen ist . Wir die dort teilweise schon seit Jahrzehnten geleistet wird . brauchen mehr ausgestreckte Hände: in der Familie, im Betrieb, in den Verwaltungen oder anderswo . Dabei sind (Beifall bei der SPD) die Öffentlichkeitskampagnen, die dort gestartet werden, Ich habe eine Bitte: Lassen Sie uns auch die lokalen besonders wichtig . Es geht nicht um eine Werbekampa- Netzwerke, die sich in letzter Zeit gebildet haben, im gne . Die Kampagne soll diejenigen erreichen, die einen Blick behalten . Die regionalen Grundbildungszentren Kurs besuchen wollen, wie auch diejenigen, die erken- sind sicherlich ein guter Ansatz; das ist hier schon the- nen, dass jemand ihre Hilfe braucht . Deswegen ist auch matisiert worden . das ein ganz besonders wichtiger Teil . Vor Ort, in den Städten, können wir weitere Akteure (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der an den Tisch holen, die wichtig sind: die Schulen, die CDU/CSU) Jobcenter, die lokale Wirtschaft, die Stadtverwaltung und Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum viele andere mehr . Direkte Hilfe vor Ort zu organisieren, Schluss . Wir haben viele gute Ziele in unseren Antrag (B) das könnte auch ein Erfolgsrezept dieser Dekade sein . aufgenommen . Wir werden die Dekade als Parlament be- (D) Deswegen lassen Sie uns auch die Vor-Ort-Ebene im gleiten . Ich bin zuversichtlich, dass wir einen wichtigen Blick behalten . Fortschritt dabei erzielen, dass wir die Menschen unter- stützen, Lesen und Schreiben zu lernen . Dritte Anmerkung . Was wollen wir in zehn Jahren er- reicht haben? Wir wollen in zehn Jahren mehr über An- Herzlichen Dank . alphabetismus und seine Ursachen wissen . Viele stehen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) immer noch ratlos vor dem Phänomen und fragen sich: Wie ist das eigentlich möglich – 7,5 Millionen betrof- fene Menschen in Deutschland trotz Schulpflicht, trotz Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Erwerbstätigkeit, trotz Muttersprache Deutsch? Und wie Vielen Dank . – Mit dem Beitrag von Herrn Kaczmarek können sie das eigentlich in unserem schriftgeprägten ist die Aussprache beendet . Alltag verheimlichen? Wir kommen damit zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- Die Wahrheit ist: Wir wissen etwas über das Aus- schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag maß des funktionalen Analphabetismus, aber wir wissen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel herzlich wenig über die Ursachen und die Wechselwir- „Zugang und Teilhabe ermöglichen – Die Dekade für Al- kungen des Analphabetismus . Deswegen ist es gut, dass phabetisierung in Deutschland umsetzen“, der, wie Sie die „leo “-Studie. – sie ist hier mehrfach genannt wor- alle gehört haben, auch in einfacher Sprache vorliegt und den – fortgesetzt wird . Wir brauchen in diesem Bereich damit auch für uns im Bundestag beispielhaft ist auf dem kontinuierliche und gut ausgestattete Forschung . Die Weg zu einem barrierefreien Parlament . „leo “-Studie. ist ein Teil davon . Wir wollen, dass da in den nächsten Jahren noch mehr passiert . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und des Abg . Kai Gehring (Beifall bei Abgeordneten der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) In dem Zusammenhang möchte ich neben der For- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- schung und den anderen Akteuren auch die Menschen lung auf Drucksache 18/6179, den Antrag der Fraktio- benennen, die sich in den letzten Jahren getraut haben, nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5090 als Betroffene an die Öffentlichkeit zu gehen und zu zei- anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- gen, wie sie gelebt haben . Wir haben von denjenigen, die lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die sich getraut haben, als Botschafter und Lernende an die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/ 12478 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke Der Reichtum der Alpen ist allerdings auch ein Ma- (C) und Bündnis 90/Die Grünen angenommen . gnet der Wünsche . Eine Vielzahl von Interessen trifft hier aufeinander . Knapp 14 Millionen Menschen leben Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: in den Alpen . In der Alpenregion mit Voralpenland leben a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ 70 Millionen . Alle wollen hier irgendwie gut leben und CSU und SPD wirtschaften, ihren Traditionen nachgehen und möglichst auch den kommenden Generationen ein Naturerbe hin- Die Alpen – Vielfalt in Europa – Ziele der Al- terlassen . Mindestens 100 Millionen Menschen suchen penkonvention voranbringen und nachhaltig jährlich in den Alpen Erholung und Vergnügen beim gestalten Skifahren, Klettern, Radfahren, Wandern, Gleitschirm- Drucksache 18/6187 fliegen und beim Golfen. Die Vielzahl der Interessen, die hier aufeinandertreffen, zeigt sich in der Dichte der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Initiativen, Vereine, Verbände, Projekte und Programme Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur über die Nutzung, den Schutz und den Erhalt der Alpen . Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit Mittlerweile gibt es vier makroregionale Strategien Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union der EU für den Alpenraum . Die älteste der europäischen Ausschuss für Kultur und Medien Alpenstrategien ist die Alpenkonvention . Auf sie bezieht b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus sich unser Antrag . Was ist die Alpenkonvention? Sie ist Tressel, Dr. Anton Hofreiter, Steffi Lemke, wei- ein regionales politisches Programm, ein völkerrechtli- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- cher Vertrag, mit dem sich die Alpenstaaten verpflichten, NIS 90/DIE GRÜNEN ihr Handeln im Alpenraum grenzüberschreitend zu koor- dinieren . Ziel ist, den Lebens- und Wirtschaftsraum im Tourismusprotokoll der Alpenkonvention um- Einklang mit den natürlichen, ökologischen und sozialen setzen – Wintertourismus nachhaltig gestalten Anforderungen zu gestalten . Dabei sollen die Interessen Drucksache 18/4816 der Alpenstaaten, der alpinen Regionen, der EU, der Zi- vilgesellschaft und der alpinen Netzwerke aufgenommen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) und berücksichtigt werden . Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Mitglieder der Alpenkonvention sind die EU und die Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur acht Alpenstaaten . Wer jetzt beim Aufzählen nur auf Ös- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- terreich, Deutschland, Italien, die Schweiz und Frank- heit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union reich kommt, der hat Slowenien, Liechtenstein und Mo- (B) Ausschuss für Kultur und Medien naco vergessen . (D) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Die Alpenkonvention besteht aus einer Rahmenkon- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen .– Ich sehe bei vention sowie ihren Durchführungsprotokollen und De- Ihnen keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . klarationen. Die Rahmenkonvention definiert über zwölf Themenfelder die allgemeinen Maßnahmen und Grund- Ich bitte Sie jetzt alle, die Plätze einzunehmen .– Dann sätze, nach denen die Alpenstaaten gemeinsam agieren eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat der Kollege wollen . Durchführungsprotokolle gibt es zu acht Facht- Dr . Hans-Joachim Schabedoth, SPD . hemen: Raumplanung und nachhaltige Entwicklung, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Naturschutz und Landschaftspflege, Berglandwirtschaft, der CDU/CSU) Bergwald, Tourismus, Energie, Bodenpflege und -Ver kehr . Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Was ist aber das Besondere an der Alpenkonvention? Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Sie ist eine von unten gewachsene Organisation, eine so- und Kollegen! Als Hannibal 218 vor Christus mit großem genannte Bottom-up-Institution, entstanden auf Initiative Heer und vielen Elefanten über die Alpen zog, hat das der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA . Sie den Alpen wohl weniger geschadet als den Elefanten . Die bezieht ihren Anwendungsbereich auf ein klar definiertes Verkehrsströme von heute wirken sicherlich deutlich be- regionales Gebiet . Die Ziele sind zwischen den Alpen- lastender . Deshalb sind die Alpen auf schützende Regeln staaten abgestimmt und bilden die Grundlage für alpen- angewiesen . Denn die Alpen sind eine Schatztruhe für weit integrative und nachhaltige Strategien . Hervorheben Europa, in vielerlei Hinsicht einzigartig und von existen- will ich deshalb diesen ganzheitlichen Ansatz . Sowohl zieller Bedeutung . Sie sind Erholungs-, Wirtschafts- und Schutzbedürfnisse als auch Wertschöpfungsinteressen Lebensraum . Sie zeigen atemberaubende Landschaften . im Alpenraum werden aufgenommen und in Einklang gebracht . Die Gletscher, Seen und Schneefelder halten wichtige Süßwasserreserven für große Teile Europas . Die Berg- (Beifall bei der SPD) wälder schützen vor Erosion, Lawinen und Hochwas- Die Alpenkonvention verfügt über ein bewährtes Meh- ser . Insgesamt leben in den Alpen rund 30 000 Tier- und rebenen-Steuerungssystem . Sie verbindet die europäi- 13 000 Pflanzenarten. Einige davon sind nach der Roten sche, die nationale und die kommunale Ebene . Das Ge- Liste gefährdet, und leider nicht nur Edelweiß und En- samtkonzept der Alpenkonvention ist äußerst ehrgeizig, zian . wie Sie daran erkennen können . Es hat Vorbildcharakter Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12479

Dr. Hans-Joachim Schabedoth (A) für andere Gebirgsregionen der Welt . In den Karpaten ist Allen Projekten gemeinsam ist der Grundgedanke, (C) inzwischen eine Schwesterkonvention entstanden, die im Einklang mit den Grundsätzen der Alpenkonvention Karpatenkonvention . Die westlichen Balkanstaaten ha- und orientiert an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort ben 2010 eine Erklärung unterzeichnet, die den Weg für musterhafte Lösungen für einen nachhaltigen und res- eine künftige internationale Rechtsvereinigung – ähnlich sourcenschonenden Tourismus zu entwickeln . der Alpenkonvention – bereiten soll . Auch im Kaukasus, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit un- in Zentralasien und sogar in den südamerikanischen An- serem Antrag das höchst ambitionierte Programm der denstaaten gibt es Überlegungen, die Gestaltung von Po- Bundesregierung im Vorsitz der Alpenkonvention un- litiken für Bergregionen in einer gemeinsamen Strategie terstützen . Wir greifen das Konzept der Vielfalt auf . Wir über die jeweiligen Ländergrenzen hinaus zu koordinie- verstehen auch den Tourismus als Querschnittsthema, das ren . in viele Ressorts hineinwirkt: Wirtschaft und Umwelt, (Beifall der Abg . Gabriele Hiller-Ohm [SPD] Verkehr, Arbeit und Soziales, Ernährung und Landwirt- und Heike Brehmer [CDU/CSU]) schaft, Sport, Europa-, Länder- und Kommunalpolitik . Die Bundesrepublik hat im November 2014 von Itali- Nun liegt ein zweiter Antrag, nämlich von den Grü- nen, vor . Er enthält auch gute Ansätze . en – ich glaube, darauf sind wir alle stolz – den Vorsitz der Alpenkonvention übernommen und gibt diesen Vor- (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sitz im November 2016 an Österreich weiter . Die deut- NEN]: Wir haben das angestoßen! Der war sche Haltung ist dabei nicht: Jetzt haben wir den Vorsitz vor eurem da!) und bringen das irgendwie mit Anstand hinter uns . – Wir – Das erwarten wir auch von Ihnen . – Doch wie schon wollen den Vorsitz nutzen, um unter dem Motto „Die Al- ein rascher Vergleich belegt, ist unser Ansatz doch etwas pen – Vielfalt in Europa“ Schrittmacherdienste zu leis- umfassender und weiterführender . ten . „Vielfalt“ steht hier für die Vielfalt der Kulturen der Alpenstaaten, für die biologische Vielfalt der Bergregi- (Heike Brehmer [CDU/CSU]: Genau!) on, für die Einbindung in europäische Verkehrsströme, Der grüne Antrag verengt die Thematik auf innovative für die Infrastrukturentwicklung und die Einbindung in Tourismuskonzepte, zu sehr konzentriert auf den Winter- die Entwicklung einer europäischen makroregionalen tourismus . Wenn Sie unseren Antrag noch einmal etwas Strategie . sorgfältiger lesen, werden Sie sehen: Wir verknüpfen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Anliegen des nachhaltigen Tourismus mit der Fülle der CDU/CSU) der eben genannten sonstigen Herausforderungen . Die Interessen der Bewohner des Alpenraums, der Zivilge- (B) (D) Die Bundesrepublik hat den Ehrgeiz, gemeinsam mit der sellschaft und der alpinen NGOs werden mit berücksich- Bayerischen Staatsregierung die Ziele der Alpenkonven- tigt . Wir heben die sozioökonomische Bedeutung des Al- tion maßgeblich und beispielhaft voranzubringen . pentourismus hervor, beziehen uns auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ansässigen Bevölkerung und auf Bis 2016 hat sich der deutsche Vorsitz eine Vielzahl die ländlichen Siedlungsstrukturen . an Projekten vorgenommen . Ich nenne hier die Themen- felder Biodiversität, nachhaltiger Tourismus, Transport Für den Tourismus geht es uns um die Entwicklung und Mobilität, Bodenschutz, Berglandwirtschaft, Berg- eines ausgewogenen ganzjährigen Tourismusangebots, wald, Raumplanung, Wasserwirtschaft . Und eine digitale also nicht nur im Winter, um eine Balance zwischen den Agenda gibt es auch . Aus der Fülle der Beispiele will ich Interessen und der Lebensqualität der Ortsansässigen und nur wenige hervorheben: einer schonenden touristischen Nutzung . Wir legen sehr viel Wert darauf, die grenzüberschreitende Zusammenar- Bad Hindelang arbeitet derzeit an einer Digitalisie- beit zu vertiefen, um ein kohärentes Gesamtkonzept für rung seines gesamten Tourismusangebots . Es gibt bereits den gesamten Alpenraum aufzustellen, Synergieeffekte eine virtuelle Pistenabfahrt und eine Gästekarte, mit der zu identifizieren und zu nutzen. öffentlicher Nahverkehr, Bergbahnen und verschiedene Fazit: Die Alpenkonvention enthält eine Fülle etab- Freizeitangebote genutzt werden können . Das Projekt lierter Strukturen und Arbeitsweisen, die dem deutschen „Digitales Bad Hindelang“ ist ein Gewinner des Wettbe- Vorsitz beste Anknüpfungspunkte bieten, um den Le- werbs „Zukunftsstadt 2030+“ und wird bereits im aktuel- bensraum Alpen für Natur und Mensch nachhaltig zu len Bundeshaushalt verdientermaßen gefördert . sichern . Ein weiteres Beispiel ist das Projekt „Crossing Bor- Wir wollen ganz besonders dazu beitragen, dass wir ders“, ein transnationales Projekt mit Italien und Öster- nicht nur Nutzer, sondern auch Schützer der Alpen sind . reich . Es soll die Elektromobilität im Alpenraum fördern . Ich bitte um die Zustimmung zu unserem Antrag . Zum Ausbau der digitalen Infrastruktur wird unter (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dem deutschen Vorsitz erstmals ein Erfahrungsaustausch zwischen den Vertretern der Alpenstaaten angeregt . Da- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: bei will man die Möglichkeiten für einen flächendecken- den und grenzüberschreitenden Ausbau von schnellem Vielen Dank .– Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Kerstin Kassner das Wort . Internet und Funkdiensten identifizieren und dann koor- dinieren . (Beifall bei der LINKEN) 12480 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

(A) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Eines aber sage ich ganz bewusst: Das Berieseln der (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hänge mit Schneekanonen ist wahrscheinlich nicht der Für mich hat dieses Thema – zumal am Vorabend des richtige Weg . Er bringt vielleicht kurzfristig Erfolg, aber 25 .Geburtstages – die Dimension der deutschen Ein- auf lange Sicht ist das nicht die Lösung für die Probleme heit . In den 90er-Jahren – Sie werden sich vielleicht er- in den Alpen; das muss man ganz deutlich sagen . innern – gab es die Fernsehserie Ein Bayer auf Rügen . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- Jetzt spricht eine Rüganerin über die Alpen in Bayern . ordneten der CDU/CSU, der SPD und des Allerdings gehören die Alpen ja nicht nur zu Deutsch- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) land, sondern, wie wir gerade von Herrn Dr .Schabedoth Ich habe gerade auf einer Website etwas über ein Ski- gehört haben, zu vielen Ländern . Deshalb ist das eine gebiet zwischen Bayrischzell und Brandenburg gelesen; spannende Aufgabe . Frau Ludwig wird dazu bestimmt etwas sagen . Nun kenne ich mich, ehrlich gesagt, in den Alpen nicht (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ja!) so gut aus . Ich habe noch nicht so oft Gelegenheit gehabt, dort Urlaub zu machen oder mich über das Thema noch In einem Winter werden dort 430 000 Kilowatt Strom weitgehender zu informieren . Allerdings habe ich beim benötigt, um dieses Skigebiet mit Schnee zu versorgen . Weiterhin wird da ein CO ‑Ausstoß von 79 Tonnen pro Studium der beiden Anträge, aber auch der Konvention 2 an sich erfahren, dass die Problematiken, die wir Rüga- Jahr angegeben und dieser Wert – jetzt hören Sie einmal ner oder Bewohner von Küstenländern haben, mit denen genau hin – mit dem Ausstoß eines Diesel‑Pkw vergli- der Bewohner der Alpen vergleichbar sind: Überall dort, chen . Wir wollen einmal ehrlich sein: So richtig glauben wo es sehr viele Touristen gibt und wo der Tourismus die wir dem alle nicht . Deshalb sage ich: Andere Strategien, stärkste Wirtschaftskraft ist, gibt es ähnliche Probleme . wie ich sie vorhin nannte, die soziokulturelle und ver- Man muss eben die Herausforderungen, die die weltwei- kehrliche Alternativen umfassen, sind der deutlich besse- re Weg, um aus dieser Situation herauszukommen . te Klimaerwärmung mit sich bringt, anpacken und Stra- tegien entwickeln, wie man damit umgeht . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Uns bereitet die ansteigende Meeresoberfläche Pro­ DIE GRÜNEN und der Abg . Daniela Ludwig bleme . In den Alpen ist es der auftauende Permafrostbo- [CDU/CSU]) den, der nur noch am Gipfel der Alpen fest vereist ist . In- zwischen beginnt dieser Permafrostboden schon 150 bis Ich wünsche dem deutschen Vorsitz wirklich gute Er- 200 Meter höher, also die Fläche, die lange genug über gebnisse . Bei der XIV .Alpenkonferenz, die am 13 .Okto - ber 2016 stattfinden wird, soll ja ein Handbuch mit dem (B) ausreichend Schnee verfügt . Das stellt viele vor große (D) Herausforderungen . Titel 10 Jahre ökologische Konnektivität in den Alpen vorgelegt werden . Ich bin sehr gespannt auf die Ergeb- Man muss auch sagen: Das hat noch weitere Folgen . nisse, die uns beispielsweise die Raumordner dort vorle- Durch das Abschmelzen werden die Berge auch brüchi- gen . Denn ich bin mir sicher: Das, was wir dort erfahren, ger . Man muss in dieser Gegend mit Schlammlawinen wird nicht nur für die Alpen Modellcharakter haben, son- und Steinschlag rechnen . All das macht das Leben dort dern auch für uns . nicht leichter . Deshalb suchen wir gemeinsam nach Stra- An die Kollegen der Großen Koalition habe ich eine tegien, wie man aus dieser Situation herauskommt . Bitte: Sie haben einen Antrag vorbereitet, der viel ent- Ein Thema, das auch wir kennen, ist die Saisonverlän- hält . Vielleicht gelingt es Ihnen, die 500 000 Euro, die gerung . Dabei wird nicht nur auf eine Saison gesetzt, hier wir für den Titel „Leistungssteigerung im Tourismusge- die Wintersaison, sondern auch auf eine andere Saison, werbe“ verlieren, wiederzubekommen, beispielsweise also hier die Sommersaison; bei uns ist das genau um- für innovative Vorhaben in der Alpenregion . Ich würde gekehrt . Man reagiert mit vielfältigen Angeboten, etwa mich darüber sehr freuen, auch als Rüganerin . durch die Schaffung von zusätzlichen Wandermöglich- Vielen Dank . keiten und anderen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, die man den Gästen offeriert, also nicht nur das Skifah- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- ren . Weitere Möglichkeiten sind verkehrliche Angebote, ordneten der CDU/CSU, der SPD und des indem man tatsächlich Alternativen schafft . Ich nenne BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hier nur das Stichwort „Elektrofahrzeuge“ . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Eine ganz wichtige Sache – das möchte ich sogar an Vielen Dank .– Als Nächste hat Daniela Ludwig, den ersten Punkt der Liste stellen – ist, dass man die CDU/CSU-Fraktion, das Wort . Menschen mitnimmt, dass man den Menschen von An- fang an darlegt, was das Besondere in der Region ist und (Beifall bei der CDU/CSU) wie wichtig und erhaltenswert sie ist . Natürlich muss auch das, was vorhanden ist, miteinander verknüpft wer- Daniela Ludwig (CDU/CSU): den, also Alpen und Landwirtschaft – das kennen wir –, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aber auch gesunder Raum mit Flora und Fauna . Damit Liebe Frau Kassner, ich darf mir Ihre letzte Aufforderung kann man eine ganze Menge an zusätzlichen Angeboten persönlich und ganz wörtlich ins Stammbuch schreiben . entwickeln . Ich habe schon am vergangenen Mittwoch im Ausschuss Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12481

Daniela Ludwig (A) genau das gleiche Anliegen formuliert . Wir sind jetzt ge- Leben gerufen . Das ist keine neue Informationsplatt- (C) rade dabei, dies auch unseren Haushältern näherzubrin- form, sondern sie führt vielmehr alle Informationssys- gen . DZT-Mittel sind schön und gut, aber wir brauchen teme aus den Bereichen Tourismus und Verkehr zusam- auch weiterhin eine Förderung innovativer Projekte von- men, sodass sich jeder, der in die Alpen reisen will, sehr seiten des Bundes . Da können wir diese 500 000 Euro konzentriert informieren kann, wie er sich dort am besten sehr gut gebrauchen . fortbewegt . Das sollten wir ausbauen . Deswegen unter- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- stützen wir mit unserem Antrag die Bundesregierung in ordneten der SPD und der LINKEN) diesem Bemühen . Dafür werden wir uns einsetzen . Wenn Sie uns dabei un- Wichtig ist natürlich, dass wir eine weitere Touris- terstützen, freut uns das natürlich umso mehr . mussteigerung in den Alpen erwarten können . Man geht davon aus, dass sich der Tourismus in den Alpen bis zum Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist auch Jahr 2030 noch um weitere 30 Prozent steigern lassen 2015 das geblieben, was es bereits in den vergangenen wird . Umso wichtiger ist es, dass wir uns auch mit dem Jahren war: eines der attraktivsten Reiseziele der Welt . CO -Ausstoß in diesem sensiblen Lebensraum stärker 2 Allein im ersten Halbjahr 2015 konnten wir die Zahl der befassen; denn die Emissionen nehmen demgemäß von Übernachtungen von in- und ausländischen Gästen bei Jahr zu Jahr zu . Daher müssen wir den Aktionsplan für uns im Land um 3 Prozent steigern . Wir dachten schon, die Alpen, den es bereits gibt, auch an dieser Stelle sehr 2014 sei ein Rekordjahr . Das Ergebnis von 2015 wird das ernst nehmen; denn, wie zu Anfang schon gesagt, Tou- von 2014 definitiv noch toppen. Das liegt sicherlich nicht rismus bei uns funktioniert nur deshalb so gut, weil wir nur daran – das wissen wir alle –, dass wir in Deutschland ihn immer zusammen mit dem Erhalt unserer Landschaft eine breite Palette touristischer Angebote haben, sondern betrachten . Es bedarf also einer starken Unterstützung das liegt insbesondere auch daran, dass uns der Erhalt un- des Aktionsplans, der unter anderem sagt: Wir müssen serer Landschaft, und zwar von Rügen bis zu den Alpen, die Baubeschränkungen in Gletschergebieten und in sen- wie auch der biologischen Vielfalt sehr am Herzen liegt siblen Naturräumen sehr ernst nehmen . Wir müssen den und wir sie trotz Tourismus weiter aufrechterhalten wol- Verkehr besser bündeln . Renovierung von touristischen len . Insofern ist es ganz besonders schön – das ist auch Betrieben muss vor ständigen Neubauten gehen . Das der Anlass unseres Antrages –, dass die Bundesrepublik, sind, glaube ich, Kernpunkte, die wir alle unterstützen namentlich die Bundesregierung, derzeit den Vorsitz der können . Alpenkonvention hat . Das Motto ihres Programms ist „Die Alpen – Vielfalt in Europa“ . Besonderes Augen- Wichtig ist ferner, dass wir, auch wenn ein Gebiet zu merk wird der deutsche Vorsitz auf eine Politik des „Grü- einem großen Teil von Erholung und Tourismus lebt, die (B) nen Wirtschaftens im Alpenraum“ richten . Ich glaube, da einheimische Bevölkerung nicht vergessen und sie mit- (D) sind wir schon sehr nah beieinander . nehmen . Ich denke, dass das in Zukunft im Prinzip für fast jeden touristischen Ort gelten muss, wenn wir von Es sind viele Ziele formuliert worden . Ich möchte mich auf einige wenige konzentrieren . nachhaltigem Tourismus sprechen und nicht nur von kurzlebigen Aktionen, die da vor Ort stattfinden. Zum einen müssen wir uns die Verkehrsströme im Al- penraum sehr genau anschauen . Sehr viele touristische Natürlich bringt der Tourismus oftmals Probleme mit Orte erreicht man am Ende des Tages eigentlich nur mit sich bringt . Die Debatten, die wir zurzeit führen über die dem Pkw, weil die Bahn vielleicht nicht ins letzte Ber- Zulässigkeit von Ferienwohnungen in Wohngebieten und gdorf fährt, das aber ein ordentliches touristisches An- dergleichen mehr, können wir selbstverständlich eins zu gebot vorhalten kann . Das heißt, wir müssen die Alpen eins auf die Alpen übertragen . Die touristischen Ziele als sensiblen Lebensraum dringend vom Pkw‑Verkehr in den Alpen haben die gleichen Probleme wie wir: de- entlasten und deutlich mehr Augenmerk auf den öffentli- mografische Entwicklung, Umweltbelastungen, zu viel chen Personennahverkehr, aber eben auch auf den Schie- Zuzug von Neubürgern und zu viel Wegzug von Leuten, nenfernverkehr legen . die dort aufgewachsen sind und mal gedacht haben, sie könnten sich dort ihre Zukunft aufbauen . Auch hier muss (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- man schauen, dass man die Interessen der Fremdenver- ordneten der SPD und der LINKEN) kehrswirtschaft langfristig mit den Interessen der einhei- Das können wir auch schaffen . Die Alpen bieten uns mischen Bevölkerung zusammenbringt . nämlich praktischerweise etwas an, was wir sonst selten Wir unterstützen ganz ausdrücklich das Netzwerk der finden: Die touristische Infrastruktur konzentriert sich sogenannten Bergsteigerdörfer – ich finde, das ist eine auf ein paar wenige Regionen . 46 Prozent der Beherber- ganz tolle Initiative –, wir haben es in unserem Antrag gungsbetriebe befinden sich in 5 Prozent der Alpenge- explizit erwähnt . Es werden mit nationalen und EU-Mit- meinden . Das heißt, wenn wir uns darauf konzentrieren, teln beispielsweise Südtiroler Dörfer gefördert, die eine diese Gemeinden ordentlich an den Schienenverkehr an- ganz besondere Infrastruktur für Bergsteiger ausgebaut zubinden, muss das keine Vision bleiben, sondern kann haben . Dies geschieht nicht auf Kosten der Natur, weil tatsächlich Wirklichkeit werden . damit letztlich nicht zu viel Bautätigkeit verbunden ist . Einiges ist dazu in der Vergangenheit bereits getan Es soll bei einer exzellenten Landschaftsqualität ein worden . Frau Kassner, Sie hatten es angesprochen: 2012 Bergsteigererlebnis auf ganz hohem Niveau angeboten wurde schon das Projekt AlpInfoNet unter Federführung werden können . Ich glaube, dass das ganz wichtig ist . des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft ins Das ist nur eine von vielen Initiativen, mit denen sich die 12482 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Daniela Ludwig (A) Alpenkonvention beschäftigt und die in ihrem Rahmen im Kontext eines der wichtigsten Wirtschaftszweige der (C) realisiert werden . Alpen, des Tourismus, führen . Ich möchte noch eine nennen, die zeigt, wie wichtig es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist, auch die Jugend nicht nur in Erhalt und Förderung der sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Tourismuswirtschaft in den Alpen mit einzubinden, son- der SPD) dern auch in Fragestellungen wie: Wie erhalten wir unse- Wichtig ist – deswegen diskutieren wir das heute re Berglandschaft? Wie erhalten wir dieses einzigartige, auch –, dass Deutschland mit dem Vorsitz die Verantwor- wahnsinnige Berggebilde, das uns in der Mitte Europas tung dafür trägt, Treiber und Vorreiter für eine nachhal- so auszeichnet? tige Entwicklung des Alpenraumes zu sein . Wir haben in Das Akademische Gymnasium in Innsbruck hatte dieser Zeit des Vorsitzes die Chance, eine Zukunftsstrate- 2006 die Idee, ein Jugendparlament ins Leben zu rufen . gie voranzutreiben, um die Alpen zu einem zukunftsfes- Dieses Jugendparlament begleitet sozusagen regelmäßig ten Urlaubsziel zu machen, sie ökologisch zu bewahren die Alpenkonvention . Es soll den Jugendlichen, die in und als Lebens- und Wirtschaftsraum zu erhalten und zu den Alpen leben, die Möglichkeit geben, sich unterein- entwickeln . ander auszutauschen: Wie ist die Perspektive? Was stellt Wenn wir uns die Bilder der Alpen ansehen – im Fern- ihr euch vor? Was wünscht ihr euch? Wie können wir die sehen, aber auch, wenn wir selber vor Ort sind – und da- Alpen ganz besonders schützen? bei einen Rückgang der Artenvielfalt und zerstörte Hän- ge erkennen, die nach immer milder werdenden Wintern Das Karolinen-Gymnasium in meinem Wahlkreis, in zum Vorschein kommen, dann wissen wir: Dagegen müs- Rosenheim, beteiligt sich seit Jahren daran . Es ist wirk- sen wir etwas tun, und zwar grenzüberschreitend, aber lich eine tolle Sache, wenn man sieht, wie engagiert sich auch national . die jungen Leute in diesem institutionalisierten Rahmen mit der Thematik auseinandersetzen . Damit sich die Alpen als Reiseziel im Wettbewerb erfolgreich behaupten können, müssen Politik und Un- Insofern ist die Alpenkonvention eine tolle Sache . Es ternehmen schnellstens auf die Klimakrise und die de- ist schön, dass wir in diesem und im nächsten Jahr den mografischen Veränderungen reagieren. Gerade bei Vorsitz haben dürfen . Es zeigt sich natürlich auch: Qua- rückläufiger Schneesicherheit brauchen wir Alternativen lität ist die Zukunft auch im Tourismus, nicht die Quan- zum Skitourismus, der die Wertschöpfung im Alpenraum tität. Ich finde, viele Touristiker, gerade im Alpenraum, erhält . machen dies in toller Weise vor . Der Tourismusausschuss hat Südtirol besucht und konnte sich davon überzeugen, Herr Kollege Schabedoth, der Wintertourismus belas- (B) tet die Alpen am meisten – nicht der Sommertourismus . (D) dass auch hier die Qualität an oberster Stelle steht und Deswegen haben wir in unserem Antrag auch einen Fo- nicht unbedingt der Massentourismus . Ich glaube, dass kus darauf gelegt . wir hier gemeinsam noch viel erreichen können . Das ist der Grund unseres Antrages . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit und Der Tourismus muss seinen Beitrag leisten, um die darf um Ihre Zustimmung bitten . Umwelt und das Klima zu schützen und die Region gleichzeitig attraktiver zu gestalten . Die Lösung heißt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- hier „Innovation und unternehmerische Weiterentwick- wie bei Abgeordneten der LINKEN) lung“ . Es geht auch darum – das hat die Kollegin gerade ja auch gesagt –, die Menschen in der Region zu halten, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sodass wir die Fachkräftebedarfe vor Ort decken können . Vielen Dank .– Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Deswegen brauchen wir ein entsprechendes Konzept . Markus Tressel das Wort . Aus diesem Grunde müssen wir hier auch Bundesmit- tel einsetzen, um zum Beispiel einen Forschungsschwer- Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): punkt zum Thema „Innovationsprozesse im Tourismus Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! am Beispiel des Alpenraumes“ zu finanzieren, dessen Wir haben jetzt schon viel über die Bedeutung der Tou- Ergebnisse am Ende auch für die Mittelgebirgsregionen rismusbranche und auch über die Bedeutung der Alpen nutzbar wären . Da muss jetzt investiert werden – auch gehört . Wir alle, die wir Tourismuspolitik betreiben, wis- außerhalb der klassischen Genres der vergangenen Jahr- sen, dass die Tourismusbranche vor allem von intakter zehnte . Natur lebt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Alpen sind nicht nur eines der wertvollsten und ar- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) tenreichsten Ökosysteme, sondern auch ein touristischer Wichtig ist auch, dass wir die Alpen zur Klimamo- Hotspot in Europa, und wir wissen auch, dass sie nicht dellregion entwickeln müssen . Das bedeutet auch Ver- immer die politische Aufmerksamkeit bekommen, die besserungen im Verkehrsbereich – das ist angesprochen sie verdienen . Deshalb ist es wichtig und richtig, dass sie worden –: Wie komme ich dahin? Wie bewege ich mich mit dem deutschen Vorsitz in den Fokus rücken und dass vor Ort? Daneben müssen wir auch sehr intensiv über die wir diese Debatte im Deutschen Bundestag heute auch Energieeffizienz und den Flächenverbrauch diskutieren. Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12483

Markus Tressel (A) Hier spielt die E-Mobilität sicher eine Rolle, aber auch Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) andere Themen sind hier wichtig . Und ich danke Ihnen .– Jetzt erhält die Kollegin Heike Brehmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . Wie sieht das in der Praxis aus? Die Kollegin Kassner hat das Skigebiet Sudelfeld mit dem, ich glaube, mitt- (Beifall bei der CDU/CSU) lerweile größten Speicherteich der Bundesrepublik ange- sprochen . Angesichts der Klimakrise waren die Anschaf- Heike Brehmer (CDU/CSU): fung von 250 neuen Schneekanonen und die weiteren Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Maßnahmen dort kein Weg, der weiter gangbar sein wird . Kollegen! Wir beraten heute den Antrag der Koalitions- Dort sind über 3 Millionen Euro deutsches Steuergeld in fraktionen und den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen eine Technik investiert worden, die eben nicht zukunft- zur nachhaltigen Gestaltung der Alpenkonvention . Der strächtig ist . Ich glaube, das Geld wäre in der Forschung Alpenraum – wir haben es heute schon mehrfach ge- für zukunftsträchtige touristische Produkte und deren hört – ist landschaftlich einzigartig und eines der wich- Förderung besser angelegt gewesen . tigsten Erholungsgebiete Europas . 120 Millionen Touristen nutzen die Alpen jedes Jahr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Erholung sowie für Sport- und Freizeitaktivitäten . und bei der LINKEN) Unsere Gäste schätzen besonders den direkten Zugang Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, die Protokolle zur Natur, die beeindruckenden Landschaften und das der Alpenkonvention müssen schnellstmöglich umge- breite Spektrum touristischer Angebote . Der Erfolg der setzt und zum besseren Schutz der alpinen Arten- und Alpen als eine der führenden Destinationen auf dem Ökosystemvielfalt weiterentwickelt werden . Dazu haben internationalen Touristikmarkt ist maßgeblich auf ihre wir jetzt die Chance . Diese sollten wir nutzen . Vielfalt zurückzuführen . Die breite Palette regionaler Ressourcen und das kulturelle Erbe erfüllen zu jeder Zeit Bereits bestehende Förderprogramme müssen dar- die Erwartungen der Gäste . aufhin überprüft werden, ob ihre Auswirkungen mit den Der Tourismus boomt, nicht nur in den Alpen, son- Zielen der Alpenkonvention in Einklang stehen . Hier dern in allen Regionen unseres Landes . Die Tourismus- muss die Bundesregierung verstärkt auf die großen Zu- branche ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren: sammenhänge achten . Wir müssen das Know-how gren- 2,9 Millionen Beschäftigte und rund 97 Milliarden Euro züberschreitend bündeln und gucken, was wir hier gren- Bruttowertschöpfung in Deutschland sind dafür der bes- züberschreitend noch mehr tun können – insbesondere te Beleg . Mit einem Marktanteil von rund 30 Prozent ist im Hinblick auf die Klimakrise . und bleibt Deutschland das Lieblingsreiseland heimi- (B) scher Landsleute . Diese Zahlen zeigen, dass Deutschland (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in der ganzen Welt für seine Gastfreundschaft geschätzt An dieser Stelle will ich festhalten, dass Ihre For- wird . Dieser Erfolg ist aber kein Selbstläufer . Er ist das derungen durchaus in die richtige Richtung gehen . Ich Ergebnis von Fleiß und harter Arbeit . Deshalb möchte glaube auch, dass wir im Grunde genommen nicht weit ich den Beschäftigten der Branche, die täglich mit viel voneinander entfernt sind, liebe Frau Kollegin Ludwig . Engagement im Tourismus arbeiten, ein herzliches Dan- keschön aussprechen . Ich habe mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass Sie eben, als die Kollegin das Sudelfeld angesprochen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- hat, geklatscht haben . Wenn Sie das vor Ort als CSU wie bei Abgeordneten der LINKEN) dann auch einmal umsetzen würden, dann könnten wir Dass der Deutschlandtourismus insgesamt boomt, da- alle ganz froh sein . ran haben die Alpen einen erheblichen Anteil . Sie sind ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nes unserer wichtigsten Urlaubs- und Erholungsgebiete . sowie der Abg . Kerstin Kassner [DIE LIN- Mit der Alpenkonvention haben sich acht Staaten und die Europäische Union verpflichtet, das einzigartige natürli- KE]) che und kulturelle Erbe der Alpen zu schützen und den An dieser Stelle muss ich aber auch deutlich sagen: Tourismus nachhaltig zu gestalten . Es ist bedauerlich, dass wir es bei einem so wichtigen Der Antrag von CDU/CSU und SPD zur Alpenkon- Thema nicht geschafft haben, heute hier einen gemeinsa- vention ist daher ganz bewusst auf Nachhaltigkeit und men Antrag vorzulegen . Die Initiative dazu gab es ja . Ich den Schutz natürlicher Ressourcen ausgelegt . Wir wollen glaube, das wäre ein Signal der Geschlossenheit und da- unser Handeln mit Blick auf die Lebensqualität nachfol- für gewesen, dass wir den Alpenschutz ernst nehmen und gender Generationen langfristig ausrichten . Mit der Al- gemeinsam voranbringen wollen . Ich glaube, die Alpen penkonvention sind wir auf einem sehr guten Weg . Zu und auch die Branche würden es uns danken, wenn wir den wichtigsten Grundlagen des Tourismus zählen eine da einen gemeinsamen Weg finden für die restliche Zeit intakte Natur und Umwelt . Die Konvention legt Min- des deutschen Vorsitzes . destanforderungen zum Bergtourismus fest und berück- sichtigt dabei wirtschaftliche, soziale und ökologische Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . Auswirkungen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland hat gemeinsam mit dem Freistaat Bayern sowie bei Abgeordneten der SPD) im Dezember 2014 für zwei Jahre den Vorsitz der Alpen- 12484 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Heike Brehmer (A) konvention übernommen . Wir wollen einen konkreten Deutschland führt aus gutem Grund gemeinsam mit (C) Beitrag zum Erhalt des landschaftlichen und kulturellen dem Freistaat Bayern den Vorsitz der Alpenkonvention . Erbes der Alpenregion leisten . Dazu zählt der Abschluss Die aktuellen Herausforderungen in den Alpenländern des Interreg-Projektes zum länderübergreifenden Aus- betreffen den Ausbau nachhaltiger Tourismuskonzepte . tausch von Verkehrs- und Tourismusdaten als Grund- So wollen wir beispielsweise im Rahmen der Alpenkon- lage für gemeinsame statistische Erhebungen . Es wird vention die Verkehrsbelastung senken – das haben wir zusätzlich eine Arbeitsgruppe „Nachhaltiger Tourismus“ heute schon mehrmals gehört – und eine nachhaltige Ver- eingerichtet . Sie führt die Erkenntnisse aus dem Vierten kehrspolitik umsetzen . Dazu gehört die bessere Erreich- Alpenzustandsbericht kontinuierlich fort . barkeit von Tourismusdestinationen mit öffentlichen Ver- kehrsmitteln und die Förderung der Elektromobilität . Wir arbeiten eng mit den Vertragsparteien, der Zivil- gesellschaft vor Ort und den alpinen Netzwerken zusam- Weiterhin wollen wir als CDU/CSU und SPD die men . Die Bundesregierung wird Vertreter der Alpenstaa- barrierefreie Erreichbarkeit touristischer Ziel verbessern ten, der lokalen Wirtschaft sowie von Verbänden und und Best-Practice-Lösungen aus dem Bereich Barriere- Politik zu einem Erfahrungsaustausch zusammenbrin- freiheit bekannter machen . gen . Die Zusammenarbeit der Alpenstaaten ist für den Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, zur Tourismus bedeutender denn je; denn manche Chancen Weiterentwicklung der Alpenkonvention wird die Bun- und Herausforderungen lassen sich in diesem Naturraum desregierung eine Arbeitsgruppe einrichten, die einen nur gemeinsam und grenzüberschreitend lösen . Mehrjahresentwurf unter den bereits genannten Gesichts- Beispielhaft nenne ich das Projekt „Crossing Bor- punkten erarbeitet . Weiterhin wird es in Zusammenarbeit ders“ – wir haben es heute schon gehört – zur Förderung mit der Bayerischen Staatsregierung im Juni 2016 eine der Elektromobilität im Alpenraum und das Gemeinde- Konferenz der Alpenstaaten zum Thema „Nachhaltiger netzwerk „Allianz in den Alpen“ . Es setzt sich mit seinen Tourismus und Innovation im Alpenraum“ geben . Die Projekten für den Erhalt der Biodiversität und die Ver- Konferenz wird konkrete Politikempfehlungen für die marktung regionaler Produkte ein . Der deutsche Vorsitz XIV .Alpenkonferenz erarbeiten . Weiterhin begrüßen hat für sein Programm den Titel „Die Alpen – Vielfalt in wir, dass die Bundesregierung Vertreter der Alpenstaaten Europa“ gewählt . Unser heutiger Antrag zeigt konkrete und der alpinen Regionen zu einem Erfahrungsaustausch Möglichkeiten auf, unterschiedliche Interessen und An- zusammenbringen wird, um über Initiativen zum Thema sprüche mit dem Erhalt lokaler Landschaften und Tra- „Digitale Netze und Mobilität“ zu beraten . ditionen in Einklang zu bringen . Nachhaltiger Touris- Unser Antrag von CDU/CSU und SPD sieht weiter- mus erfordert ein konzertiertes Vorgehen auf nationaler, hin vor, die Deutsche Zentrale für Tourismus als größte (B) (D) regionaler und lokaler Ebene . Hier ist das Land Bayern Einrichtung zur Vermarktung Deutschlands als Urlaubs- Vorbild . Mit seiner nachhaltigen Tourismusstrategie ge- und Reiseland in die Beratungen der Fachkonferenzen hört Bayern zweifellos zu den Vorreitern der deutschen einzubeziehen . Unser Antrag enthält wichtige Ansätze Tourismuswirtschaft . zur sinnvollen Weiterentwicklung der Alpenkonvention . Mit über 31 Milliarden Euro Bruttoumsatz und über Dies gelingt uns nur in überlegter Zusammenarbeit mit 84 Millionen Übernachtungen sichert die Leitökonomie den Alpenstaaten und den Bewohnern des Alpenraums . Tourismus das Einkommen von mehr als 560 000 Ein- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion wohnern im Freistaat . Der Ressourcenreichtum – beson- Bündnis 90/Die Grünen, Ihren Antrag lehnen wir natür- ders in den bayerischen Alpen – ist Verpflichtung, scho- lich ab, weil er die nachhaltige touristische Entwicklung nend damit umzugehen und ihn als Lebensgrundlage für des Alpenraums zu oberflächlich behandelt und die Po- künftige Generationen zu bewahren . tenziale für die Weiterentwicklung des naturnahen Tou- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rismus in den Alpen nicht ausreichend berücksichtigt . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und des Abg . Dr .Hans-Joachim Schabedoth NEN]: Wer hat euch das denn aufgeschrie- [SPD]) ben?) Der Erhalt von Natur und regionaler Identität hat auch Unser Antrag hingegen entwickelt den Wirtschaftsfaktor aus tourismuspolitischer Sicht hohe Priorität . In den Tourismus weiter . Wir wollen die vorhandenen Wachs- bayerischen Alpen gibt es eine Fülle erstklassiger Lö- tumspotenziale nutzen und langfristig sichern . Daran las- sungsansätze für den nachhaltigen Tourismus, die unein- sen Sie uns gemeinsam arbeiten . geschränkt zur Nachahmung empfohlen werden können . Nennen möchte ich zum Beispiel das Ökomodell Achen- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . tal zum grenzüberschreitenden Schutz lokaler Kultur- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) landschaften . Davon hat sich unser Tourismusausschuss bei seiner Reise in das Berchtesgadener Land selbst Vizepräsidentin Ulla Schmidt: überzeugen können . So sind im Nationalpark Berchtes- Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache . gadener Land die Wanderwege barrierefrei ausgebaut . Die meisten Ziele sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf ohne eigenes Auto zu erreichen, und spezielle Wegeleit- den Drucksachen 18/6187 und 18/4816 an die in der Ta- konzepte schützen Flora und Fauna . gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12485

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist es so Mauern in den Köpfen derjenigen aus, die ganz offen- (C) beschlossen . sichtlich Politik mit Polemik verwechseln . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Den Hasselfeldts, Haseloffs und Söders dieses Landes Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion möchte ich deshalb sagen: Lassen Sie diesen Unsinn! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hören Sie auf, Menschen in gute und schlechte Flücht- linge zu sortieren! Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) Drucksache 18/6198 Leisten Sie stattdessen endlich einen Beitrag dazu, dass wir die großen Herausforderungen meistern! Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (f) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innenausschuss und bei der LINKEN) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Eine der großen, vielleicht sogar die größte Herausfor- Haushaltsausschuss derung bei der Integration von Flüchtlingen ist der offene b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole und schnelle Zugang zu Bildung und Ausbildung . Über Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, die Hälfte der Menschen, die bei uns Schutz suchen, die weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE hierherkommen, um eine bessere Zukunft zu haben, die LINKE in diesen Wochen in Passau, München, Rosenheim und anderswo in der Republik ankommen, ist unter 25 Jah- Gleicher Zugang zur Bildung auch für Ge- re alt . Allein dieses Jahr wird es vermutlich eine halbe flüchtete Million junger Menschen sein . Es muss vor allen Dingen Drucksache 18/6192 auch Ihnen, Frau Ministerin, ein Anliegen sein, dass die- Überweisungsvorschlag: se 500 000 jungen Menschen schnell und unbürokratisch Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- in Kitas, Schulen, Berufsschulen und Unis kommen . schätzung (f) Innenausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haushaltsausschuss und bei der LINKEN) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (B) Der Zugang zu Bildung ist ja keine kleine Fußnote in (D) die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe hier einer allgemeinen Flüchtlingsagenda, sondern Bildung – keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . davon sind wir überzeugt – ist der zentrale Dreh- und An- Wenn jetzt Frau Kollegin Hiller-Ohm und Herr Kol- gelpunkt jeder gelungenen Asyl- und Integrationspolitik . lege Tressel Ihre Gespräche draußen fortsetzen würden, Kitas, Schulen, Betriebe und Universitäten verschaffen könnte ich die Aussprache eröffnen . diesen jungen Menschen nicht nur einen neuen Alltag, sondern geben ihnen auch Halt und Sicherheit . Ihr Be- Ich eröffne jetzt die Aussprache . Das Wort hat Beate such ist der erste und wichtigste Schritt im neuen Leben Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen . dieser jungen Menschen . Wer das nicht sieht, der will es nicht sehen oder weigert sich aus parteipolitischer Tak- Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE tiererei, in der Realität des 21 . Jahrhunderts anzukom- GRÜNEN): men. Das muss man einfach, finde ich, so sehen. Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Länder, Kommunen und die vielen ehrenamtlichen Liebe Gäste! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wer in die- Helfer, die wir überall haben, leisten heute schon Beacht- sen Tagen die flüchtlingspolitische Debatte verfolgt, liches . Ihnen gelten unser Respekt und unser Dank . Sie bekommt nicht selten abenteuerliche und absurde Vor- bemühen sich, den jungen Flüchtlingen einen Zugang zur schläge zu hören . Da will zum Beispiel eine CSU-Lan- Bildung zu vermitteln, so gut es geht. Aber wir finden, desgruppenchefin Menschen abschieben, bevor sie über- dies sollte den Bund herausfordern, mehr Verantwortung haupt in Deutschland angekommen sind, da will ein zu übernehmen . Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt Schutzsuchende benutzen, um den Mindestlohn zu untergraben, und da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will ein Finanzminister aus Bayern Zäune zur Flücht- und bei der LINKEN) lingsabwehr an den deutschen Grenzen errichten . Auch die Bundesregierung muss sich endlich ihrer Ver- Solche Vorschläge, meine sehr geehrten Damen und antwortung stellen . Das hören Sie heute nicht zum ersten Mal – das weiß ich –, und Sie hören es auch nicht nur Herren, widersprechen geltendem Recht, von mir . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) Wenn ich feststellen muss, dass Ihnen als Bildungs- vergiften das gesellschaftliche Klima und bringen in der ministerin – verzeihen Sie bitte! – nicht mehr einfällt als Sache rein gar nichts, sagen dafür aber einiges über die eine Smartphone-App und Ihnen dann nur noch der Geis- 12486 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Beate Walter-Rosenheimer (A) tesblitz kommt, auf noch mehr Ehrenamtliche zu setzen, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) dann sehe ich schwarz für die Zukunft . Vielen Dank . – Für die Bundesregierung erhält jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Bundesministerin Professor Dr . Johanna Wanka das und bei der LINKEN – Dr .Daniela De Ridder Wort . [SPD]: Das ist jetzt auch polemisch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn ich mir einen kleinen Scherz erlauben darf: Dass Sie, Frau Ministerin Wanka, nicht mit Zahlen rechnen, Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung wissen wir spätestens seit der heute-show; aber wenn und Forschung: Sie allen Ernstes glauben, fehlende Investitionen in Mil- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- liardenhöhe mit einem 130-Millionen-Euro-Programm ben eine sehr große humanitäre Aufgabe vor uns . Da- wettmachen zu können, dann haben Sie sich dieses Mal mit, dass Hunderttausende, vor allen Dingen viele junge richtig verrechnet . Menschen, deren Bildungsbiografien wir anerkennen müssen, in unser Land kommen, müssen wir umgehen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist natürlich allen klar, dass es in den Gesprächen sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten jetzt Bildung – das sollten Sie als Bildungsministerin doch vor dem Winter um die akute Versorgung mit Wohnraum, am besten wissen – gibt es nicht zum Nulltarif . Statt mit Essen und Trinken geht; denn das ist im Moment das Smartphone-Apps und kleine Modellprojekte brauchen akute Problem . wir eine große Bildungsoffensive, die auch in der Fläche (Beifall der Abg . Dr .Daniela De Ridder wirkt . Das kostet Geld, das Sie, geehrte Frau Ministerin, [SPD] – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Richtig!) offenbar nicht investieren wollen . – Sehr schön . Seit vielen Monaten drängt die Wirtschaft zum Bei- spiel auf ein sicheres Bleiberecht für Menschen in der (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Berufsausbildung . Hören Sie doch zur Abwechslung und der SPD) mal auf Ihre Freunde aus der Wirtschaft, und schaffen Die eigentliche Aufgabe besteht aber darin, eine solch Sie endlich eine rechtssichere Lösung, die diesen Namen große Zahl junger Menschen zu integrieren . auch verdient! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (B) Und Integration durch Bildung – da sind wir uns mit den (D) Das Gleiche gilt für den Zugang zu Unterstützungsan- Antragstellern der beiden Anträge, die heute vorliegen, geboten während der Ausbildung . Asylsuchende und Ge- einig –, duldete sind hier immer noch stark benachteiligt . Es ist doch einfach absurd, einen jungen motivierten Menschen (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann in den ersten 15 Monaten von jeder dieser Hilfen aus- [SPD] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE zuschließen, obwohl er vielleicht schon nach drei oder GRÜNEN]: Dann können Sie ja zustimmen!) sechs Monaten eine Ausbildung oder auch ein Studium ist die effektivste Form . Deswegen ist das ganz wichtig . aufnehmen könnte . Wenn es gelingt, Integration so zu vollziehen, wie wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das vorhaben, dann profitieren alle davon, und zwar nicht und bei der LINKEN) nur der Arbeitsmarkt, sondern das ganze Land . Das ist für mich deswegen eine sehr wichtige Aufgabe . Warum sperren Sie sich so gegen die Vorschläge von Arbeitgebern und Gewerkschaften? Geben Sie sich doch Sie haben etwas völlig missverstanden . einen Ruck, und lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ dass alle jungen Flüchtlinge in Deutschland vom ersten DIE GRÜNEN]: Okay?) Tag an unterstützt werden . Wir haben in meinem Haus überlegt: Was muss jetzt so- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!) fort passieren? Wir beschäftigen uns nicht erst in Anträ- Wir dürfen in dieser Debatte eines nicht vergessen: gen zum nächsten Haushalt mit der Frage: Wie kriegen Bildung ist nicht nur der Grundstein für ein selbstbe- wir das Geld, und was können wir stemmen? Ein großes Programm, wie wir es planen, um viele Jugendliche in stimmtes Leben . Teilhabe durch Bildung ist auch der Arbeit zu bringen, kostet sehr viel Geld . Wir werden da- soziale Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält . In rüber diskutieren müssen: Wird das mitgetragen? Ist das unserem Antrag finden Sie ein paar sehr konkrete Vor- möglich? Ist das finanzierbar? Die 130 Millionen Euro schläge, wie dieser Kitt gestärkt werden kann . Wir sind für die Integration junger Flüchtlinge legen wir aber so- der Meinung: Eine Selbstlern-App – so gut sie als nied- fort auf den Tisch . Wir sagen nicht: „130 Millionen, das rigschwelliges Angebot auch sein kann – wird hier defi- ist die Summe, die wir für Bildung brauchen“, und for- nitiv nicht ausreichen . dern auch nicht nur das im Haushalt . Vielmehr bedarf es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer großen Anstrengung im Haus . Deswegen verwahre und bei der LINKEN) ich mich dagegen, dass behauptet wird, dass wir glauben, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12487

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka (A) dass mit 130 Millionen Euro das Problem zu lösen sei . und wir haben zusammen mit der Stiftung Lesen den (C) Nein, natürlich nicht! Zugang zum ihm sofort auch Flüchtlingskindern ermög- licht . (Dr . Karamba Diaby [SPD]: Das ist der An- fang!) Den Einsatz von Lernbegleitern finden Sie nicht toll. Wissen Sie denn nicht, was in den Ländern los ist? Der Bereich Schule liegt natürlich in Länderhand . Sie haben doch mitbekommen, wie viele Milliarden wir letz- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten Donnerstag beschlossen haben, den Ländern für die NEN]: Das wissen wir sehr wohl!) Bewältigung der damit zusammenhängenden Aufgaben Haben Sie denn keine Ahnung davon, wie viele Leh- zu geben . Natürlich ist es klar, dass die Jugendlichen, die rer – ich denke da nicht nur an Deutsch-, sondern auch schulpflichtig sind, jetzt Schulklassen besuchen müssen. an andere Lehrer – für diese vielen Willkommensklassen Das ist eine große Aufgabe für die Länder . Das ist aber fehlen? nicht der Punkt, an dem wir als BMBF sofort aktiv wer- den können . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Doch! Ja, eben!) Entscheidend sind also drei Punkte: Erwerb der deut- schen Sprache, Erkennen der Kompetenzen, also was Anscheinend haben Sie keine Ahnung davon . Es ist je- Ausbildungen, was Qualifikationen hier in Deutschland denfalls nicht unsere Aufgabe, diese Lehrer einzustellen . wert sind und was man damit machen kann, und natürlich (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Integration in Ausbildung oder Beruf . Sind wieder einmal die Länder schuld? – Zu- Wenn Sie zustimmen, dass es von ganz zentraler Be- ruf des Abg . Norbert Müller (Potsdam) [DIE deutung ist, die Sprache zu lernen, würde ich mich an LINKE]) Ihrer Stelle nicht lustig darüber machen, dass wir sagen: Wir aber können zum Beispiel etwas machen, was Wir wollen Hunderttausende junge Menschen, die sich Sie ebenfalls abgetan haben, nämlich Tausende von jetzt als Flüchtlinge in Deutschland aufhalten, per App Menschen in die Lage zu versetzen, dass sie jetzt sofort über ihre Smartphones erreichen . Damit haben sie ihre Deutsch als Alltagssprache vermitteln können . Da arbei- Flucht organisiert; da sind sie wunderbar vernetzt . Ein ten wir mit den Volkshochschulen zusammen . Ich spiele niedrigschwelliges Angebot für jeden dieser Jugendli- auf die Lernbegleiter an . Das heißt, Menschen, die sich chen, der schnell ins Deutsche einsteigen will, ohne dass engagieren wollen, er Kurse oder sonst etwas besucht, ist ein klasse Angebot . Und das kostet nicht einmal viel . (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ (B) DIE GRÜNEN]: Sie können nicht das Ehren- (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- amt immer mehr und mehr fordern!) ordneten der SPD) bekommen in der Volkshochschule eine Grundausbil- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: dung – es geht nicht darum, dass sie Lehrer für Deutsch werden –, Frau Ministerin, der Kollege Mutlu möchte eine Zwi- schenfrage stellen . (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ein wich- tiger Unterschied!) Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung sodass sie in der Lage sind, einer arabischen oder einer und Forschung: türkischen Familie schnell und konsequent etwas klarzu- Nein . Hinterher gerne . machen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Hinterher geht nicht mehr . Jetzt oder nie . zum Beispiel, wie man sich in Deutschland bewegt, was für Vokabeln man im Gesundheitssystem braucht, wie man beim Einkaufen zurechtkommt . Das sind praktische Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung Dinge . Sie zu vermitteln, das funktioniert nicht mit An- und Forschung: weisungen von oben, etwa von Lehrern, sondern es muss Gut, okay, dann nicht . in der Fläche vermittelt werden . Deswegen ist die Idee, Lernbegleiter auszubilden, richtig gut . Die Volkshoch- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: schulen sind, Herr Rossmann, ein breites Netz, das beste, Gut . das wir haben . In jedem Landkreis gibt es eine Volks- hochschule, und deswegen ist das von mir gerade Dar- Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung gestellte das Instrument . Das Ganze ist also nicht als Pe- und Forschung: anuts abzutun; vielmehr steckt dahinter eine kluge Idee . Diese Idee aber hatten wir . Das heißt, es ist genau wie beim Programm Lesestart . Dieses Programm hat bei deutschen Kindern funktio- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) niert, Stichwort „Berufsorientierung“: Wie gelingt es, junge (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Hervorra- Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen? Alle jungen gend!) Flüchtlinge, die jetzt in die Schule kommen und dort 12488 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka (A) normal beschult werden, müssen, wenn sie in der sieb- etwa als Bäcker, erfolgreich abgeschlossen hat, dann (C) ten und achten Klasse sind, sofort qualifiziert erfahren, kann er im gelernten Beruf in Deutschland für zwei Jahre was man in Deutschland lernen kann, welche Berufe es ohne Vorrangprüfung und ohne andere Hindernisse ar- gibt und was man dafür wissen muss . Deswegen führen beiten, wenn er einen Arbeitsplatz hat . wir Potenzialanalysen und Berufseinstiegsbegleitungen durch . Die damit verbundenen Maßnahmen haben wir, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Frau Nahles und ich, nicht im Rahmen von Modellver- suchen getestet; vielmehr haben wir für die Qualifizie- Wenn also ein Bäcker sagt: „Den nehme ich“, dann kann rung von mindestens 500 000 jungen Leuten im Haushalt der Geduldete hierbleiben . Wenn der Geduldete zwei 1,2 Milliarden Euro verankert . Diese Mittel stehen sofort Jahre in seinem Beruf gearbeitet hat, dann kann er auch zur Verfügung; sie stehen auch zur Qualifizierung jedes weiterhin in Deutschland bleiben, und dann kann er auch Flüchtlingsjungen und jedes Flüchtlingsmädchens zur in einem anderen Beruf arbeiten . Wenn er vier Jahre hier Verfügung, wenn sie in der entsprechenden Klasse sind . war, hat er die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht . Wir müssen über die Frage reden: Reicht das? Müs- Das ist doch, wie ich finde, eine sehr gute Regelung. sen wir diese Mittel in den nächsten Jahren weiter auf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- stocken? Im Moment ist dieses Geld auf jeden Fall vor- handen; es ist veranschlagt . Deswegen setzen wir es an neten der SPD – Dr . Ernst Dieter Rossmann dieser Stelle ein . [SPD]: Etwas kompliziert! Aber es ist immer- hin eine Regelung!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, was den gesamten Bereich Ich komme auf etwas zu sprechen, was wir in den letzten Jahren ebenfalls gefördert haben: die KAU- Anerkennung angeht: Es kommen ja auch Menschen SA-Beratungsstellen . Dort motiviert man beispielsweise nach Deutschland, die in einem ganz anderen Land ei- Unternehmer mit Migrationshintergrund, etwa türkische nen Beruf erlernt haben . Ein Anerkennungsgesetz in der Gemüsehändler, junge Leute auszubilden . Form, wie es in Deutschland gilt, gibt es in keinem an- (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir müs- deren Land . sen da noch etwas mehr tun!) (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann In KAUSA-Beratungsstellen werden auch Eltern und [SPD]) Großeltern entsprechender Personen mit Migrations- hintergrund unterrichtet . Die KAUSA-Beratungsstellen Man hat nämlich einen Rechtsanspruch darauf, dass zum (B) funktionieren . Aber angesichts vieler Tausend Flüchtlin- Beispiel festgestellt wird, was eine Ausbildung in Syrien (D) ge müssen wir die Zahl dieser Beratungsstellen erhöhen; als Ingenieur hier in Deutschland wert ist . vielleicht müssen wir sie verdoppeln, verdreifachen Mit diesem Anerkennungsgesetz haben wir auch von (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Eher ver- Anfang an dem Umstand Rechnung getragen, dass auch vierfachen!) Menschen zu uns kommen, die kein Zeugnis mehr ha- oder vervierfachen, sodass in den Ballungsgebieten qua- ben, die zum Beispiel kein Facharbeiterzeugnis haben, lifizierte Personen vorhanden sind, die das nötige Wissen weil es das in ihren Heimatländern vielleicht gar nicht vermitteln können . gibt . In diesen Fällen gibt es die Möglichkeit, durch Ar- Wenn wir in Deutschland junge Flüchtlinge in Aus- beitsproben und Fachgespräche festzustellen, ob derjeni- bildung bringen wollen, dann müssen wir das Vertei- ge schweißen kann oder in der Lage ist, bestimmte Ma- lungsproblem lösen . Es gibt unversorgte Bewerber, die schinen zu bedienen . Diese Methoden haben wir mit den keinen Ausbildungsplatz haben, und gleichzeitig gibt es Handwerkskammern und den IHKs in den letzten Jahren freie Ausbildungsplätze . Was meinen Sie, wie schwierig ganz intensiv erprobt, um sicherzustellen, dass überall in es wird, junge Flüchtlinge zum Beispiel nach Mecklen- Deutschland die gleichen Qualitätsstandards gelten . Die- burg-Vorpommern zu vermitteln! Wenn dort ein Maler, se Methoden können jetzt eingesetzt werden . ein Bäcker oder ein Fleischer zum allerersten Mal seit Jahren einen Lehrling bekommen soll, dann müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . das organisieren . Das ist kein Wünsch-dir-was; das funk- Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]) tioniert nicht automatisch . In den Kommunen und Kreisen haben wir ja Bündnis- Seit dem 1 .August 2015 ist für die Geduldeten, also se für Bildung . Ich bin besonders stolz darauf – das sage für die, die in ihre Herkunftsländer eventuell zurück- gehen müssen, geregelt – es geht nicht um diejenigen, ich in Richtung Bündnis 90/Die Grünen –, dass wir jetzt die die Anerkennung haben; diese bekommen vom ers- in der Lage sind, über mein Ministerium in 400 Kom- ten Tag an nahezu alles, worauf man in Deutschland ein munen bzw . Gebietskörperschaften die Koordination der Anrecht hat –, dass sie, wenn sie eine Ausbildung ange- Bildungsangebote für die Flüchtlinge vor Ort zu finanzie- fangen haben, diese auch abschließen können, da deren ren . Das ist wichtig, weil ganz viel parallel läuft . Ich den- Aufenthaltsgenehmigung in diesem Zeitraum sicher ist . ke, das ist eine handfeste Unterstützung der Kommunen Die Gesetzeslage in Deutschland ist des Weiteren so, vor Ort, die für die Realisierung zuständig sind und damit wie ich sie jetzt darstelle: Wenn einer eine Ausbildung, zum Teil alleingelassen werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12489

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka (A) Meine Redezeit ist gleich zu Ende . Ich möchte aber rung nach mehr Geld in riesigen Dimensionen geht . Wir (C) noch eine Bemerkung machen: In dem Antrag der SED haben gezeigt, dass wir anpacken können . Wir haben so- stand: fort etwas auf den Tisch gelegt . Wir brauchen aber auch – ich verspreche Ihnen, mich dafür einzusetzen – weiteres (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Geld . NEN]: „SED“? – Dr .Thomas Feist [CDU/ CSU]: Der war gut!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) – Ja .

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das war ja Vizepräsidentin Ulla Schmidt: extrem witzig!) Vielen Dank .– Nächste Rednerin für die Fraktion Die – Nein, das ist nicht witzig, Frau Gohlke . Die Partei heißt Linke ist die Kollegin Nicole Gohlke . jetzt anders, aber das ist die SED . (Beifall bei der LINKEN – Dr .Thomas Feist (Beifall des Abg . Dr .Thomas Feist [CDU/ [CDU/CSU]: Für die SED! – Özcan Mutlu CSU] – Zurufe von der LINKEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht SED?) Sie ist nie aufgelöst worden . – Nein, hier sitzt die Fraktion Die Linke . (Karin Binder [DIE LINKE]: 25 Jahre ver- pennt! Das ist eine Unverschämtheit!) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Eine – Nein . – Heute früh hat jemand hier am Pult gesagt, das sachfremde Bemerkung muss ich vorwegschicken: Ich sei die Nachfolgeorganisation . glaube tatsächlich, dass Ihre Bundeskanzlerin mit der (Zuruf von der LINKEN: Oh mein Gott!) SED und der FDJ etwas mehr zu tun hatte, als ich jemals zu tun hatte . Das ist keine Nachfolgeorganisation . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gleiche Partei!) Es wäre schön, wenn Sie 25 Jahre später vielleicht auch Sie haben Ihren Namen geändert . so weit denken könnten . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Antrag der Linken, der heute auch vorliegt, will NEN]: Sie machen es nur noch schlimmer! – den gleichberechtigten Zugang zu Bildung für Geflüch- (B) Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ganz schlechter tete sicherstellen; denn jeder weiß, wie zentral Bildung (D) Stil!) und Sprache dabei sind, Menschen gesellschaftliche Teil- – Frau Gohlke, Sie sind vielleicht zu jung . habe und Perspektiven zu eröffnen . Aus zwei Gründen ist diese Initiative der beiden Oppositionsparteien dringend (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nötig: NEN]: 25 Jahre Wiedervereinigung! – Zurufe von der LINKEN) Erstens . Die Regierung darf nicht länger mit dem Finger auf die Länder zeigen . Es ist ja völlig klar: Vie- – Es stimmt aber trotzdem . Manches stimmt noch nach le Dinge fallen in die Zuständigkeit der Länder und der 50 Jahren . Kommunen, und sie tragen bislang die finanzielle Haupt- (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – last . Genauso klar ist aber doch wohl auch, dass wir es Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ hier mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu tun DIE GRÜNEN]: Das ist leider wahr! – Nicole haben . Das Herumschieben von politischen Verantwort- Gohlke [DIE LINKE]: Es wird nicht besser!) lichkeiten ist der Situation absolut unwürdig, In Ihrem Antrag steht, wir sollen die Hochschulen für (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist kein Flüchtlinge öffnen .– Sie sind offen . Es ist ganz eindeutig Herumschieben! Das ist Realität!) möglich, an diese Hochschulen zu kommen . und der Bund ist viel stärker als bisher gefordert . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Hier in Berlin (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja ist es zum Beispiel nicht möglich! Es scheint Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nicht so einfach zu sein!) Zweitens . Die Initiative ist auch deswegen nötig, Wir haben ein großes Paket geschnürt, um den jungen weil die eigentlich selbstverständliche Haltung, nämlich Flüchtlingen zu zeigen, wie das geht und wie man Tests schnell und unbürokratisch Unterstützung für Menschen leichter bestehen kann. Außerdem übernehmen wir finan- in Not zu leisten, leider nicht in allen Teilen der Großen zielle Verpflichtungen. Es geht aber nicht um das Absen- Koalition selbstverständlich ist . Es war zwar wirklich po- ken von Standards . Eine Hochschulzugangsberechtigung sitiv – es fällt mir jetzt gerade zwar ein bisschen schwer, muss schon vorhanden sein . das zu sagen, aber ich sage es trotzdem, weil es wirklich positiv war –, dass die Bildungsministerin nicht in die Meine Redezeit ist zu kurz, um zu allem Ausführun- schrille Tonlage von manch anderem eingestimmt hat gen zu machen . Ich glaube, dass wir gezeigt haben, dass es für uns beim Thema Bildung nicht nur um die Forde- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 12490 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Nicole Gohlke (A) und stattdessen, auch im Rahmen der Allianz für Aus- Mehr als ein Drittel der Geflüchteten ist jünger als (C) und Weiterbildung, Maßnahmen zur Integration von Ge- 18 Jahre . Es ist mit bis zu 400 000 neuen Schülerinnen flüchteten angekündigt hat. und Schülern zu rechnen, die in den Schulalltag integriert werden müssen . Da sage ich Ihnen: Dem Bildungsminis- Aber gleichzeitig sind es Ihre Fraktionskollegen, die ei- terium muss natürlich mehr einfallen als eine Smartpho- nen ganz dumpfen Rassismus bedienen, ne-App zum Deutschlernen und ehrenamtliche Flücht- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – lingshelfer als Lernbegleiter . Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Unglaublich!) (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Haben Sie zum Beispiel, wenn aus Bayern Parolen kommen wie zugehört?) die, dass Deutschland „nicht das Sozialamt für den Bal- Diese Aufgabe kann man nicht auf diese Weise abwäl- kan“ sei, und wenn große Verbrüderung zen . Was es braucht – jetzt können Sie mir zuhören –, mit einem Rassisten wie Viktor Orban feiert . (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Tue ich!) (Beifall bei der LINKEN) sind mehr festangestellte, qualifizierte und gut bezahlte Ich muss sagen: Ich erwarte von der Bildungsminis- Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, und zwar an öf- terin auch mal ein paar klare Worte, wenn hierzulande fentlichen Schulen und öffentlichen Einrichtungen, Flüchtlingskinder von der Polizei mitten aus dem Un- (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Können Sie terricht geholt werden, weil den Eltern die Abschiebung in den Ländern, wo Sie Verantwortung haben, droht, machen! – Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: (Beifall bei der LINKEN) Fangen Sie in Thüringen an!) oder wenn so unglaubliche Vorschläge gemacht werden und da muss der Bund mithelfen . wie der, die Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern (Beifall bei der LINKEN) gleich ganz abzuschaffen . Das ist der Unterschied zwischen uns, Frau Wanka: (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Der kommt Ihre Partei hat Stellen von Lehrerinnen und Lehrern zum übrigens aus Thüringen! Da regieren Sie!) Beispiel in Brandenburg in der Zeit der Großen Koalition Kolleginnen und Kollegen, hier geht es um ein Men- zu Tausenden – ich glaube, es waren über Zehntausend – schenrecht, um das Recht auf Bildung . Dieses Recht gilt abgebaut . Wir wollen Lehrerinnen und Lehrer neu ein- stellen, universell. Es ist nicht verhandelbar. Ich finde, das hat die (B) Bildungspolitik auch einmal klarzustellen . (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wir in Bay- (D) ern haben es gemacht!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) weil wir wissen, vor welchen Aufgaben wir im Bildungs- bereich stehen . Ich sage Ihnen: Es ist sehr gefährlich, wenn hier stän- dig nach Gruppen gesucht wird, für die diese Rechte (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht nicht gelten sollen . Mal sind es die Asylsuchenden insge- [CDU/CSU]: Sie wollen es, und wir haben es samt, dann versucht man, Menschen über die Konstruk­ gemacht!) tion von sogenannten sicheren Herkunftsstaaten von Ar- An dieser Stelle wird wieder einmal deutlich, was für beit und Bildung auszuschließen . Wer so denkt und so ein Hemmnis das Kooperationsverbot, das Verbot der Politik macht, hat die Menschenrechte nicht verstanden . Zusammenarbeit von Bund und Ländern, in der Bildung (Beifall des Abg . Dr .Wolfgang Strengmann- ist . Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Bitte konkret statt Ideologie!) Die Bundesregierung steht in der Pflicht, allen Menschen, auch den zugewanderten, gute Bildung zu ermöglichen Sie als Regierung hätten es in der Hand, damit endlich und die Länder und Kommunen dabei zu unterstützen, Schluss zu machen und dieses unnötige Problem aus dem das umzusetzen . Weg zu räumen und einfach das Selbstverständliche zu tun und gesamtgesellschaftliche Bildungsaufgaben auch (Beifall bei der LINKEN) gemeinsam zu stemmen . Es wäre schön, wenn die neue Deswegen fordert die Linke ein Bund-Länder-Pro- Situation wenigstens dazu führte, dass Sie einmal darü- gramm für Sofortmaßnahmen in der Bildung . Und die ber nachdenken . beginnt in der Kita . Da brauchen wir endlich ausreichend (Beifall bei der LINKEN) Plätze . Das war schon richtig, bevor eine größere Zahl von Geflüchteten zu uns gekommen ist, und jetzt gilt Lassen Sie mich noch einen Satz zur Finanzierung es erst recht . Viel zu lange haben Sie in der Regierung sagen . Es ist unredlich, wenn aus der Politik suggeriert mit der sinnlosen Herdprämie herumgemurkst und den wird, die neue Situation brächte das Land an seine Be- Kitaausbau hinten angestellt . lastungsgrenze . Was uns an die Belastungsgrenze bringt, ist schlechtgemachte Politik . Die Bundesrepublik hat im (Beifall bei der LINKEN – Dr . Ernst Dieter ersten Halbjahr dank der guten Konjunktur den höchs- Rossmann [SPD]: Na, na! Nicht alle Teile!) ten Überschuss seit rund 15 Jahren erzielt . Bund, Länder Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12491

Nicole Gohlke (A) und Kommunen haben deutliche Mehreinnahmen zu ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Integration der (C) zeichnen . Ich weise Sie gerne noch einmal darauf hin, Geflüchteten ist eine Chance für unser Bildungssystem. dass wir ein Land mit einer sehr hohen Steuerbasis sind . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es kommt auf die richtige Verteilung an . Haben Sie den der CDU/CSU) Mut, endlich die Verteilungsfrage zu stellen! Die Tatsache, dass Menschen in unser Land kommen Vielen Dank . und hier bleiben, hat bildungspolitische Konsequenzen . (Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht Unser Bildungssystem muss dieser Tatsache Rechnung [CDU/CSU]: Ideologie! Ideologie! Ideolo- tragen . Ich nenne drei Punkte, die für die SPD-Fraktion gie!) besonders wichtig sind: Erstens . Spracherwerb ist eine entscheidende Vor- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: aussetzung, um an Bildungsprozessen und am gesell- Vielen Dank .– Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der schaftlichen Leben teilhaben zu können. Geflüchtete Kollege Dr . Karamba Diaby . mit Bleibeperspektive erhalten daher rasch Zugang zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sprachförderung . der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Sprachförderung müssen wir aber flexibel und prag- Dr. Karamba Diaby (SPD): matisch gestalten, zum Beispiel Praktikum und Sprach- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kurs gleichzeitig . Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was tut die Bundesregierung für die Bildung von Geflüchteten? Öff- (Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr gut!) nung von Integrations- und Sprachkursen, Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine persönliche (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) Bemerkung . Heute vor genau 30 Jahren bin ich um 15 .15 Uhr als Stipendiat in die DDR gekommen . bereits nach 15 Monaten Zugang zu BAföG, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Auch sehr CSU und der LINKEN) gut!) Tag eins: Da war meine Ankunft . Tag zwei: Anmeldun- zusätzlich 130 Millionen Euro vonseiten des Bildungs- gen . Tag drei: Gesundheitscheck; auch das musste sein . ministeriums (B) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) (D) (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ein guter Anfang!) Tag fünf: Sprachkurs . und nicht zuletzt die dauerhafte Unterstützung der Län- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Oh! Was sagt der und Kommunen . denn da Frau Wanka?) (Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Richtig!) Sicherlich, die Situation ist nicht eins zu eins übertrag- bar . Aber sie kann uns ein Ideengeber dafür sein, wie es Meine sehr verehrten Damen und Herren der Linken laufen sollte . und der Grünen, viele Ihrer Forderungen sind gut ge- meint, aber wir haben bereits viele davon auf den Weg (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann gebracht . [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das könnte vielleicht als Orientierung dienen . der CDU/CSU) Beim Thema Spracherwerb dürfen wir zudem unsere Uns allen ist doch bewusst: Mit guter Bildungspolitik Lehrkräfte nicht vergessen . Für sie brauchen wir ordent- steht und fällt ein gutes Zusammenleben; denn de fac- liche Beschäftigungsverhältnisse und eine angemessene to bleibt der Großteil der Menschen über viele Jahre bei Bezahlung . uns . Die Frage ist also, wie Integration gemeinsam er- (Beifall bei der SPD) folgreich gestaltet werden kann . Ob Spracherwerb, der Aufbau sozialer Netzwerke oder die berufliche Ausbil- Zweitens . Die Aufhebung des Kooperationsverbots dung: Bildung ist ein zentraler Baustein für Integration . für den Hochschulbereich eröffnet dem Bund bereits Ob Kita, Schule, Ausbildungsstelle, Hochschulen: Unse- Handlungsspielräume . Wir wollen die Länder dabei un- re Bildungseinrichtungen sind für eine erfolgreiche Inte- terstützen, Geflüchteten den Zugang zu Hochschulen gration der Menschen, die zu uns kommen, von großer zu ermöglichen . Hierfür sollten wir auf die vorhandene Bedeutung . Expertise unserer Organisationen zurückgreifen . DAAD, Alexander-von-Humboldt-Stiftung und andere: Sie alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben Ideen, die Hochschulen dort zu unterstützen, wo der CDU/CSU) zum Beispiel Zeugnisse fehlen – auch Frau Ministerin Dabei können die Bildungseinrichtungen an die vorhan- hat davon gesprochen –, nämlich um die Studier- und denen vielfältigen schulischen und beruflichen Qualifika- Promotionsfähigkeit zu überprüfen, um Sprachkompe- tionen der Geflüchteten anknüpfen. tenzen festzustellen und Spracherwerb zu fördern und 12492 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

Dr. Karamba Diaby (A) um Beratungsangebote zu bündeln und zielgruppenge- rechte brauchen wir uns von Ihnen, liebe Kollegen der (C) recht auszubauen . linken Fraktion, bestimmt nichts erzählen zu lassen . (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: So muss (Beifall bei der CDU/CSU) man das machen!) Fakt ist: Wenn wir die Integration der Neuzuzügler, der Die Kompetenzen von Geflüchteten dürfen wir nicht Flüchtlinge – da stimme ich mit dir, lieber Karamba, voll- brachliegen lassen . Wir müssen sie fördern . kommen überein – nicht ausreichend unterstützen, wer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den wir verlorene Biografien in Deutschland haben. Das der CDU/CSU) widerspricht nicht nur unserer persönlichen politischen Ethik, darüber hinaus ist Integration auch ganz einfach in Drittens geht es um die Anerkennung beruflicher Qua- unserem eigenen Interesse, wenn wir weiterhin als Nati- lifikationen. Geflüchtete sind unsere Nachbarn und Kol- on stark und wettbewerbsfähig sein wollen . legen von morgen . Aber das ist kein Selbstläufer, meine Damen und Herren . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder Deutschland hat über Jahrzehnte Einwanderer und [SPD]) Flüchtlinge aufgenommen . Wir sind ein Einwanderungs- land . Aber wir haben am Anfang auch Fehler gemacht . Es gibt viele Unternehmer, die Asylsuchende einstellen Die sogenannte Gastarbeitergeneration hatte eben keine oder ausbilden wollen . Das ist ein wunderbares Signal Sprachkurse und Beratungsangebote – eine Situation, die für unser Land . Es zeigt: Ihr seid willkommen, und ihr übrigens in den meisten Ländern der Welt bis heute so ist . werdet gebraucht . – Wir wissen aber auch: Nicht jeder Aber wir haben dazugelernt . Es war die unionsgeführ- Asylsuchende hat bereits eine Ausbildung oder ein Stu- te Bundesregierung, die Integrationspolitik maßgeblich dium abgeschlossen, zum Beispiel weil ein Großteil noch konzeptionell entwickelt hat . sehr jung ist . Außerdem müssen wir neue Wege gehen, um berufliche Kompetenzen festzustellen; denn Teilhabe (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- über Arbeit ist ein wichtiger Hebel für Integration . NEN]: Das war ein guter Witz!) Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon – Deshalb müssen wir, wenn wir über Integration von auch meine Fraktion ist überzeugt davon –, dass das Flüchtlingen sprechen, den Menschen auch sagen: Wir Anerkennungsgesetz seine volle Wirkung erst entfalten fangen heute nicht bei null an . kann, wenn es finanziell ausgestattet wird. Wir brauchen endlich ein Darlehensprogramm . Es liegt im Interesse (Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: In der (B) der Geflüchteten und in unserem Interesse, wenn wir ihre Tat!) (D) Fähigkeiten fördern . So hat sich auch das Bildungsministerium seit knapp Erlauben Sie mir abschließend noch eine Bemerkung zehn Jahren intensiv mit dieser Thematik auseinander- zum Thema Schulpflicht. In unserem demokratisch ver- gesetzt . Die Rede der Hausherrin des integrationspoliti- fassten Staat darf die Schulpflicht auf keinen Fall ange- schen Schlüsselministeriums hat gerade sehr eindrücklich tastet werden . deutlich gemacht, dass sich das Ministerium für Bildung und Forschung dieser Aufgabe nicht nur im aktuellen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Kontext stellt . Bereits seit vielen Jahren setzt die uni- LINKEN) onsgeführte Bundesregierung bei der Integration auf den Es liegt in unser aller Interesse, dass Kinder und Jugend- Bildungsbereich . Ich möchte daher kurz folgende Fragen liche von Anfang an unsere Schulen besuchen – Frau Prä- aufwerfen: Wo wären wir heute angesichts der aktuellen sidentin, ich komme zum Ende -; denn mit guter Bildung Herausforderungen ohne das Anerkennungsgesetz, ohne legen wir den Grundstein für unser Zusammenleben . die frühkindliche Bildung, ohne Sprachtests in den Kitas, ohne unsere Allianz für Aus- und Weiterbildung, ohne Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns eint folgender die Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration? Gedanke: Bildung ist ein Menschenrecht . Wir setzen die- ses Recht für alle Menschen gleichermaßen um . (Beifall bei der CDU/CSU) Danke schön . Wo wären wir ohne eine deutsche Ausbildung in islami- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) scher Theologie? Kein Zweifel, die zukünftigen Prob- leme wären ohne diese Initiativen des BMBF sehr viel größer . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Giousouf für die (Beifall bei der CDU/CSU) CDU/CSU-Fraktion das Wort . Deswegen kann das BMBF auch mit großer Zuver- (Beifall bei der CDU/CSU) sicht in die Zukunft blicken . Wir haben eindrücklich ge- hört: Die eben vorgestellten Maßnahmen sind ein erster Schritt und nicht abschließend zu betrachten . Cemile Giousouf (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi- Kommen wir zu den Anträgen, die schon im Ansatz nisterin Wanka! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine problematisch sind . Beim Antrag der Linken steht in der Bemerkung vorab: Bei der Einhaltung der Menschen- Präambel: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12493

Cemile Giousouf (A) Der finanzielle Reichtum der Bundesrepublik reduziert werden sollen . Nach drei Monaten sollen nach (C) Deutschland basiert auch auf der Verarmung großer Ihren Vorschlägen faktisch alle Asylberechtigten BAföG Teile der Weltbevölkerung . bekommen können . Um studierfähig zu sein, braucht Ich möchte dazu nur eines sagen: Ich bin fest davon man das Sprachniveau B 2 . Wie schnell soll das gehen? überzeugt, dass die zu uns kommenden Flüchtlinge ein Welchen Sinn macht es, dass gegebenenfalls Menschen sehr viel positiveres Bild von Deutschland haben als BAföG erhalten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit wie- ganz offenbar die Bundestagsfraktion der Linken . der ausgewiesen werden? Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung die Mindestaufenthaltsdauer von (Beifall bei der CDU/CSU) vier Jahren auf 15 Monate reduziert hat . Ihre drei Monate Vielleicht können Sie von den Zuwanderern in Landes- sind purer Aktionismus . Wir müssen auch auf den Kos- kunde schon sehr bald lernen, ich sehe da durchaus Be- tenfaktor achten und realistisch bleiben . darf . (Beifall bei der CDU/CSU) (Widerspruch bei der LINKEN) Ein dritter Punkt ist die Beschäftigungsverordnung . Zum milliardenschweren Entlastungspaket für die Auch hier kann ein Blick in die Dokumente erhellend Kommunen und Länder kein einziges Wort in Ihren An- sein: Das Bundeskabinett hat am 3 .August 2015 eine trägen! Stattdessen werden Länderaufgaben mit leichter Änderung beschlossen, mit der jungen Asylsuchenden Hand dem Bund zugeschoben . Natürlich brauchen wir und Geduldeten, die gute Bleibeperspektiven haben, der mehr Lehrer . Ich muss Sie aber nicht daran erinnern, dass Zugang unter anderem zu berufsorientierenden und stu- das der schulische Bereich ist und in Länderhoheit liegt . dienbegleitenden Praktika erleichtert wird . Sie suggerieren, der Bund täte nichts . Genau nach diesem Muster werden auch Forderungen an das BMBF adres- Kommen wir viertens zu Ihrer Forderung nach zu- siert, die gar nicht in dessen Ressort liegen, wie, speziel- sätzlichen Sprach- und Alphabetisierungskursen auch für le Beratungen der Flüchtlinge bei der Bundesagentur für erwachsene Flüchtlinge . Unser Bundesinnenminister ist Arbeit zu etablieren . Ihnen auch hier bereits voraus . Die bewährten Integrati- onskurse werden für Asylbewerber mit guter Bleibeper- Das Problem ist auch: Vieles von dem ist bereits in der spektive geöffnet, und die hierfür vorgesehenen Mittel Praxis eingeführt und als Handlungsaufforderung damit werden entsprechend dem gestiegenen Bedarf aufge- längst überholt . Erstens wird in beiden Anträgen für junge stockt . Geflüchtete und Geduldete der Schutz vor Abschiebung in der Ausbildung gefordert . Das ist eine wichtige Forde- Auch das BMBF wird in den nächsten Jahren rund (B) rung, keine Frage . Aber mit dem 1 .August 2015 wurde 130 Millionen Euro zusätzlich für den Erwerb der deut- (D) für jugendliche und heranwachsende Geduldete, die eine schen Sprache, das Erkennen von Kompetenzen und Po- qualifizierte Berufsausbildung aufnehmen, für die Dauer tenzialen von Flüchtlingen und für Ausbildung und Be- der Ausbildung ein Schutz vor Abschiebung erreicht . Es ruf investieren . Wohlgemerkt, das sind Mittel neben dem gibt diese Rechtssicherheit bereits . milliardenschweren Finanzpaket, mit dem der Bund die (Beifall bei der CDU/CSU) Länder und die Kommunen unterstützen wird . Im Falle eines erfolgreichen Ausbildungsabschlusses Es ist richtig, dass Sprachlehrer für die Integrations- können die jungen Menschen dann eine Aufenthaltser- kurse fehlen . Auch hier setzt das BMBF an, und die zahl- laubnis erhalten und damit in Deutschland bleiben . Ihr reichen Ehrenamtlichen sollen in Schnellkursen zu Lern- Gerede von der Rechtsunsicherheit führt lediglich zu begleitern ausgebildet werden . mehr Verunsicherung bei den Betrieben . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zweitens monieren Sie die BAföG-Regelungen . Zum NEN]: Wieder auf die Ehrenamtlichen schie- Mitschreiben: Geduldete und Inhaber bestimmter huma- ben!) nitärer Aufenthaltstitel müssen künftig nicht mehr eine Ich möchte damit nicht sagen, dass die beiden Opposi- Vierjahresfrist abwarten, ehe sie BAföG-berechtigt sind, sondern können bereits nach 15 Monaten Unterstützung tionsanträge völlig obsolet sind . erhalten . (Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Wir wollen das DIE GRÜNEN]: Das ist nett!) runtersetzen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ Aber Sie sollten schon zur Kenntnis nehmen, dass die DIE GRÜNEN]: Nach 15 Monaten! Na toll!) Bundesregierung, das BMBF und auch ganz persönlich Ursprünglich sollte diese Frist zum 1 .August 2016 ge- Ministerin Wanka diese Themen mit großer Ernsthaftig- kürzt werden . Jetzt wurde dies aber auf den 1 . Januar keit behandeln . Eine solche Ernsthaftigkeit würde ich 2016 vorgezogen, um noch schneller helfen zu können . mir von allen politischen Akteuren sehr wünschen . (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: 15 Monate wa- Vielen Dank . ren zu lang! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- DIE GRÜNEN]: Richtig so!) neten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ – Genau . – Sie fordern, dass diese 15 Monate Mindestau- DIE GRÜNEN]: Das schließt die CDU auch fenthalt bei der BAföG-Berechtigung auf drei Monate ein!) 12494 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Euro jährlich beteiligt sich der Bund an der Versorgung (C) Vielen Dank .– Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die von Kindern und Jugendlichen, die unbegleitet in unser Kollegin Daniela De Ridder . Land kommen, also ohne ihre Eltern . Das ist eine min- destens ebenso wichtige Aufgabe . Als dritten Punkt will (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜND- ich die 900 Millionen Euro nennen, die aus den Mitteln NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal Tacheles für das gestoppte Betreuungsgeld stammen, Frau Wanka . reden! Keine Märchenstunde!) Wir müssen ehrlich zugeben, dass es in Sachen Betreu- ungsgeld sehr unglücklich verlaufen ist . Aber ich freue Dr. Daniela De Ridder (SPD): mich, dass das Geld nun insgesamt für die Qualitätssi- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und cherung in den Kitas und bei der frühkindlichen Bildung Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Meine sehr ver- eingesetzt werden und so – ich hoffe, dass Sie mir darin ehrten Damen und Herren! Hinter uns liegen zwei harte zustimmen – allen Kindern in diesem Land, unabhängig Sitzungswochen, in denen wir sehr viel über Flüchtlings- von der Herkunft, zugutekommen kann . politik geredet haben . Ich fahre – das will ich als letzte Rednerin in dieser Woche sagen – frohen Mutes nach (Beifall bei der SPD) Hause . Das hat nicht nur mit den Maßnahmen zu tun, Ich will keinen Hehl daraus machen, dass es mir und die wir auf den Weg gebracht haben, sondern auch mit meiner Fraktion darum geht, solche Maßnahmen auf den dem Besuch von Schülerinnen und Schülern aus meiner Weg zu bringen – auch dank der Unterstützung unseres Heimatstadt Schüttorf . In der Radio-AG, die mich be- Koalitionspartners – und es den Menschen, die aufgrund sucht hat, waren lauter Zweit-, Dritt- und Viertklässler, von Kriegs- und Krisensituationen in ihren Heimatlän- und ich habe, ehrlich gesagt, noch nie mit Schülerinnen dern zu uns kommen, zu ermöglichen, ganz schnell Fuß und Schülern dieser Altersgruppe gesprochen, die so of- auf dem Arbeitsmarkt zu fassen . Das, liebe Kolleginnen fenherzig, neugierig und vehement mit mir über Flücht- und Kollegen, unabhängig welcher politischen Couleur lingspolitik reden wollten . Zugegeben: Das lag auch da- Sie angehören, will ich Ihnen mit auf den Weg geben; ran, dass sie gute Lehrerinnen und Lehrer haben, die im denn das hat auch etwas mit der Würde dieser Menschen wahrsten Sinne des Wortes politische Bildung mit ihnen zu tun . betrieben haben . Auf diesem Feld müssen wir unbedingt weiter arbeiten . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich deshalb noch einmal die Gelegenheit nutzen, diesen Lehrerinnen und Lehrern, aber auch den Mir geht es auch um die Sprachkompetenz . Hier kön- Erzieherinnen und Erziehern herzlichen Dank zu sagen . nen wir gar nicht genug tun . Hier freue ich mich auf (B) Ihre kritisch-konstruktiven Vorschläge . Es geht darum, (D) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Sprach- und Integrationskurse weiterhin zu betreiben . BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu Sprache ist der Schlüssel zur Verständigung und dafür, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der gan- zen Republik! Ja!) im Alltag zurechtzukommen . Sprache ist aber auch ein Schlüssel für gelungene Integration . Sprache ist immer Politische Bildung ist in der Tat etwas, das wir weiter auch Träger von Kultur . Sprache ist zudem das Vehi- betreiben müssen . Davon habe ich aber in Ihren Anträgen kel – ich sage das vor allem in Richtung CSU, weil ich in wenig gelesen, liebe Oppositionskolleginnen und -kolle- dieser Woche interessante Töne von dort gehört habe –, gen . um unsere Werte zu transportieren . Deshalb müssen wir (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- als Bildungspolitikerinnen und -politiker hier in der Tat NEN]: Jetzt klatsche ich nicht mehr!) weiter investieren, liebe Frau Wanka . Mir ist das ganz besonders wichtig . Darüber bin ich sehr enttäuscht . Ich sage das auch mit Blick auf die Fernsehbilder, die wir zu sehen bekommen . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Für mich ist es unerträglich – ich hoffe, das teilen Sie Wie Sie wissen, wurde jahrelang gesagt – ich habe das mit mir –, wenn in Deutschland wieder Flüchtlingsheime persönlich zu spüren bekommen –, dieses Land sei kein brennen . Wir haben hier eine ganz maßgebliche Aufgabe . Einwanderungsland . Die aktuelle Krisensituation, die Ich finde es geradezu fahrlässig, dass Sie hier den Ein- wir nun erleben, belehrt uns eines Besseren . druck erwecken, wir würden nichts oder zu wenig tun, die vielen helfenden Hände vor Ort ignorieren oder die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Kommunen im Stich lassen . BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg . Dr .Thomas Feist [CDU/ Sie erinnern sich vielleicht daran, dass bereits 1965 Max CSU]) Frisch mit Blick auf die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter sagte – Sie alle kennen sicherlich dieses Ich will nur drei Zahlen nennen, damit Sie wissen, Zitat –: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Men- was ich genau meine . 4 Milliarden Euro zusätzlich wird schen .“ Dass es hier immer auch um Menschen geht, dür- es – Frau Ministerin Wanka hat das bereits erwähnt – in fen wir nie vergessen . diesem und im kommenden Jahr für diese wichtige und wertvolle Arbeit geben . Damit stärken wir Länder und (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Kommunen . Diese sind dann an der Reihe, das Geld CSU, der LINKEN und des BÜNDNIS- entsprechend einzusetzen . Mit zusätzlich 350 Millionen SES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12495

Dr. Daniela De Ridder (A) Gleichwohl geht es um ein gutes Paket, an dem wir Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) weiter arbeiten wollen . Liebe Frau Gohlke, wir sind nicht Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra- verlegen, gute Ratschläge von Ihnen anzunehmen, wenn che angekommen . sie denn finanzierbar und umsetzbar sind. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf (Beifall des Abg . Dr . Karamba Diaby [SPD]) den Drucksachen 18/6198 und 18/6192 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Aber auf das, was Sie in Ihren Anträgen vorschlagen, ha- Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, dass das der ben wir weiß Gott nicht gewartet; denn in der Tat sind Fall ist . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . wir bereits aktiv geworden und haben das in Rede ste- Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung hende Paket mit Erfolg auf den Weg gebracht . Nehmen angekommen . Sie es einfach mit in Ihren Wahlkreis, und haben Sie dort Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- hoffentlich viele Termine an Schulen, die Sie dann be- tages auf Mittwoch, den 14 . Oktober 2015, 13 Uhr, ein . glücken können . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen allen Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ein gutes Wochenende . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Schluss: 15 .14 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12497

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aken, Jan van DIE LINKE 2 .10 .2015 Kiziltepe, Cansel SPD 2 .10 .2015

Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ 2 .10 .2015 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ 2 .10 .2015 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN

Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 2 .10 .2015 Kolbe, Daniela SPD 2 .10 .2015 Marieluise DIE GRÜNEN Lange (Backnang), SPD 2 .10 .2015 Becker, Dirk SPD 2 .10 .2015 Christian

Beckmeyer, Uwe SPD 2 .10 .2015 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 2 .10 .2015

Daldrup, Bernhard SPD 2 .10 .2015 Lauterbach, Dr . Karl SPD 2 .10 .2015

Dehm, Dr . Diether DIE LINKE 2 .10 .2015 Lay, Caren DIE LINKE 2 .10 .2015

Dörmann, Martin SPD 2 .10 .2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 2 .10 .2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 2 .10 .2015 Leyen, Dr . Ursula von CDU/CSU 2 .10 .2015 der (B) Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 2 .10 .2015 (D) Land), Axel E . Maizière, Dr . Thomas CDU/CSU 2 .10 .2015 de Freitag, Dagmar SPD 2 .10 .2015 Mast, Katja SPD 2 .10 .2015 Gabriel, Sigmar SPD 2 .10 .2015

Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 2 .10 .2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ 2 .10 .2015 DIE GRÜNEN Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 2 .10 .2015 DIE GRÜNEN Möhring, Cornelia DIE LINKE 2 .10 .2015

Gröhe, Hermann CDU/CSU 2 .10 .2015 Nahles, Andrea SPD 2 .10 .2015

Groth, Annette DIE LINKE 2 .10 .2015 Nick, Dr . Andreas CDU/CSU 2 .10 .2015

Heil (Peine), Hubertus SPD 2 .10 .2015 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ 2 .10 .2015 DIE GRÜNEN Hendricks, Dr . Barbara SPD 2 .10 .2015 Petzold (Havelland), DIE LINKE 2 .10 .2015 Hinz (Essen), Petra SPD 2 .10 .2015 Harald

Irlstorfer, Erich CDU/CSU 2 .10 .2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 2 .10 .2015

Jung, Dr . Franz Josef CDU/CSU 2 .10 .2015 Pflugradt, Jeannine SPD 2 .10 .2015

Jüttner, Dr . Egon CDU/CSU 2 .10 .2015 Radomski, Kerstin CDU/CSU 2 .10 .2015

Karawanskij, Susanna DIE LINKE 2 .10 .2015 Rawert, Mechthild SPD 2 .10 .2015

Kipping, Katja DIE LINKE 2 .10 .2015 Riesenhuber, Dr . Heinz CDU/CSU 2 .10 .2015 12498 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

(A) –– Gesetz zur Änderung des Häftlingsgesetzes und zur (C) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes –– Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Rohde, Dennis SPD 2 .10 .2015 Bereich des Verfassungsschutzes –– Gesetz zur Reform des Wohngeldrechts und zur Röspel, René SPD 2 .10 .2015 Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes ­(WoGRefG) Roth (Heringen), SPD 2 .10 .2015 Michael –– Gesetz zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 7. September 1999 zwischen der Bundesrepublik Schlecht, Michael DIE LINKE 2 .10 .2015 Deutschland und der Republik Usbekistan zur Ver- meidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet Schmidt (Berlin), SPD 2 .10 .2015 der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Matthias

Schmidt (Fürth), CDU/CSU 2 .10 .2015 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Christian gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/ 2 .10 .2015 absehen: DIE GRÜNEN

Steinbach, Erika CDU/CSU 2 .10 .2015 Auswärtiger Ausschuss Steinmeier, Dr . Frank- SPD 2 .10 .2015 –– Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Walter Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 23. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonfe- Timmermann-Fechter, CDU/CSU 2 .10 .2015 renz vom 24. bis 26. August 2014 in Olsztyn, Polen Astrid Drucksachen 18/4601, 18/5162 Nr. 1 Troost, Dr . Axel DIE LINKE 2 .10 .2015 (B) (D) Vogel (Kleinsaara), CDU/CSU 2 .10 .2015 –– Unterrichtung durch die Bundesregierung Volkmar Bericht der Bundesregierung zum Stand der Un- terzeichnung und Ratifizierung europäischer Ab- Vries, Kees de CDU/CSU 2 .10 .2015 kommen und Konventionen durch die Bundesre- publik Deutschland für den Zeitraum März 2013 Wanderwitz, Marco CDU/CSU 2 .10 .2015 bis Februar 2015

Weinberg, Harald DIE LINKE 2 .10 .2015 Drucksachen 18/4881, 18/5162 Nr. 2

Wicklein, Andrea SPD 2 .10 .2015 –– Unterrichtung durch die Bundesregierung Wiese, Dirk SPD 2 .10 .2015 Leitlinien der Bundesregierung zur internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Urbanisierung – Zech, Tobias CDU/CSU 2 .10 .2015 Partner in einer Welt der Städte Drucksachen 18/4924, 18/5162 Nr. 4 Zimmermann, Pia DIE LINKE 2 .10 .2015

Anlage 2 –– Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Beteiligung Amtliche Mitteilungen deutscher Streitkräfte an der Europäischen Über- Der Bundesrat hat in seiner 936 . Sitzung am 25 . Sep- brückungs¬mission in der Zentralafrikanischen Republik mit strategischem Verwundetenlufttrans- tember 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen port und Personal¬beteiligung an multinationalen zuzustimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz Hauptquartieren in Larissa und Bangui 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: Drucksachen 18/5132, 18/5285 Nr. 2

–– Gesetz zur Änderung des Fischetikettierungsgeset- –– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- zes und des Tiergesundheitsgesetzes terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015 12499

(A) Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame –– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- (C) Sicherheits- und Verteidigungspolitik terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- Sicherheits- und Verteidigungspolitik mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 9. und mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- 10. September 2012 in Paphos (Zypern) ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 4. bis 6. Drucksachen 18/5133, 18/5285 Nr. 3 März 2015 in Riga (Lettland) Drucksachen 18/5138, 18/5285 Nr. 8 –– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Ausschuss für Wirtschaft und Energie Sicherheits- und Verteidigungspolitik –– Unterrichtung durch die Bundesregierung Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- Bundesbericht Energieforschung 2015 mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Forschungsförderung für die Energiewende Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 24. und Drucksachen 18/4899, 18/5162 Nr. 3 25. März 2013 in Dublin (Irland) Drucksachen 18/5134, 18/5285 Nr. 4 –– Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Programme zur Innovations- und –– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- Technologieförderung im Mittelstand, in der lau- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame fenden Legislaturperiode, insbesondere über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Entwicklung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand für die Jahre 2012 bis 2014 Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- Drucksachen 18/5058, 18/5162 Nr. 10 (B) ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame (D) Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 4. bis 6. –– Unterrichtung durch die Bundesregierung September 2013 in Wilna (Litauen) Drucksachen 18/5135, 18/5285 Nr. 5 Evaluation des Verfahrens zur Zulassung von Be- wachungsunternehmen auf Seeschiffen gemäß § 31 der Gewerbeordnung –– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- Erfahrungsbericht des Bundesamtes für Wirt- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame schaft und Ausfuhrkontrolle im Einvernehmen mit Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrogra- Sicherheits- und Verteidigungspolitik phie und der Bundespolizei Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- Drucksachen 18/5456, 18/5976 Nr. 1.2 mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 3. und 4. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben April 2014 in Athen (Griechenland) mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Drucksachen 18/5136, 18/5285 Nr. 6 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat .

–– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Auswärtiger Ausschuss Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Drucksache 18/5459 Nr . A .1 Sicherheits- und Verteidigungspolitik EuB-BReg 40/2015 Drucksache 18/5459 Nr . A .2 Tagung der deutschen Delegation in der Interparla- EP P8_TA-PROV(2015)0213 mentarischen Konferenz für die Gemeinsame Au- Drucksache 18/5982 Nr . A .1 ßen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame EP P8_TA-PROV(2015)0232 Sicherheits- und Verteidigungspolitik vom 5. bis 7. Drucksache 18/5982 Nr . A .2 November 2014 in Rom (Italien) EP P8_TA-PROV(2015)0271 Drucksache 18/5982 Nr . A .3 Drucksachen 18/5137, 18/5285 Nr. 7 Ratsdokument 10549/15 12500 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 128 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 2 . Oktober 2015

(A) Innenausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (C) Drucksache 18/6146 Nr . A .3 Drucksache 18/5982 Nr . A .35 Ratsdokument 11844/15 Ratsdokument 8475/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .36 Ratsdokument 8477/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .37 Sportausschuss Ratsdokument 9942/15 Drucksache 18/4504 Nr . A .3 Drucksache 18/5982 Nr . A .38 Ratsdokument 6720/15 Ratsdokument 11008/15 Drucksache 18/4504 Nr . A .4 Drucksache 18/5982 Nr . A .39 Ratsdokument 6721/15 Ratsdokument 11009/15

Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Drucksache 18/5982 Nr . A .17 Reaktorsicherheit Ratsdokument 9949/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .41 EP P8_TA-PROV(2015)0266

Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/2935 Nr . C .1 EP P7_TA-PROV(2013)0227 Ausschuss für die Angelegenheiten der Drucksache 18/4152 Nr . A .6 Europäischen Union Ratsdokument 5744/15 Drucksache 18/1393 Nr . A .41 Drucksache 18/4152 Nr . A .7 Ratsdokument 7632/14 Ratsdokument 5745/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .27 Drucksache 18/1524 Nr . A .16 EP P8_TA-PROV(2015)0252 Ratsdokument 9042/14 Drucksache 18/5982 Nr . A .34 Drucksache 18/5165 Nr . A .13 Ratsdokument 11411/15 Ratsdokument 8707/15

(B) (D)

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