Plenarprotokoll 19/128

Deutscher

Stenografischer Bericht

128. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 25: GRÜNEN: Handeln jetzt – Auf dem Weg zum klimaneutralen Deutsch a) – Zweite und dritte Beratung des von den - Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- land gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur – zu der Unterrichtung durch die Bundes- Einführung eines Bundes-Klima- regierung: Klimaschutzprogramm schutzgesetzes und zur Änderung wei- 2030 der Bundesregierung zur Umset- terer Vorschriften zung des Klimaschutzplans 2050 Drucksachen 19/14337, 19/15128, 19/ Drucksache 19/13900 15230 ...... 16037 B Drucksachen 19/14344, 19/11153, 19/ – Zweite und dritte Beratung des von der 13538, 19/13900, 19/15128, 19/15230 . . 16037 D Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einführung c) – Zweite und dritte Beratung des von den eines Bundes-Klimaschutzgesetzes Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- und zur Änderung weiterer Vorschrif- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ten Umsetzung des Klimaschutzpro- Drucksachen 19/14948, 19/15079, 19/ gramms 2030 im Steuerrecht 15128, 19/15230 ...... 16037 B Drucksache 19/14338 ...... 16037 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung b) Beschlussempfehlung und Bericht des des Klimaschutzprogramms 2030 im Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Steuerrecht und nukleare Sicherheit Drucksachen 19/14937, 19/15080, 19/ – zu dem Antrag der Abgeordneten 15125, 19/15229 ...... 16037 D Dr. Lukas Köhler, , Dr. Jens – Bericht des Haushaltsausschusses ge- (Rhein-Neckar), weiterer mäß § 96 der Geschäftsordnung Abgeordneter und der Fraktion der Drucksache 19/15157 ...... 16038 A FDP: Klimaschutz mit Vernunft – Durch Marktanreize zur Klimaneut- ralität d) – Zweite und dritte Beratung des von den – zu dem Antrag der Abgeordneten Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- , , Oliver gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Krischer, weiterer Abgeordneter und der Änderung des Luftverkehrsteuerge- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: setzes Klimabilanz in Gesetzesfolgenab- Drucksache 19/14339 ...... 16038 A schätzung aufnehmen und CO2- – Zweite und dritte Beratung des von der Bremse einführen Bundesregierung eingebrachten Ent- – zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa wurfs eines Gesetzes zur Änderung Badum, Dr. , Stephan des Luftverkehrsteuergesetzes Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter Drucksachen 19/14938, 19/15083, 19/ und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE 15126, 19/15239 ...... 16038 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. , Freitag, den 15. November 2019

– Bericht des Haushaltsausschusses ge- DIE GRÜNEN: Klimapaket neu aufle- mäß § 96 der Geschäftsordnung gen – Verkehrswende für eine klima- Drucksache 19/15156 ...... 16038 A freundliche Mobilität einleiten Drucksachen 19/14093, 19/15019 ...... 16038 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Stefan Schmidt, , in Verbindung mit Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Zusatzpunkt 14: DIE GRÜNEN: Umweltfreundliche Mo- bilität fördern – Luftverkehr gerecht be- Antrag der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, steuern und Subventionierung beenden Frank Sitta, , weiterer Ab- Drucksachen 19/13078, 19/15126, 19/ geordneter und der Fraktion der FDP: Inter- 15239 ...... 16038 B nationale Klimaschutzverpflichtungen ein- halten – Die 25. Weltklimakonferenz f) – Zweite und dritte Beratung des von den nutzen, um marktbasierte Klimaschutzme- Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- chanismen voranzutreiben gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Drucksache 19/15052 ...... 16038 D über einen nationalen Zertifikatehan- del für Brennstoffemissionen (Brenn- stoffemissionshandelsgesetz – BEHG) in Verbindung mit Drucksachen 19/14746, 19/15127, 19/ 15197 ...... 16038 B Zusatzpunkt 15: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Zweite und dritte Beratung des von den Abge- wurfs eines Gesetzes über einen natio- ordneten Dr. Julia Verlinden, , nalen Zertifikatehandel für Brenn- Lisa Badum, weiteren Abgeordneten und der stoffemissionen (Brennstoffemissions- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- handelsgesetz – BEHG) brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Drucksachen 19/14949, 19/15081, 19/ rung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – 15127, 19/15197 ...... 16038 B EEG 2017 Drucksachen 19/13517, 19/14319 ...... 16039 A g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zu dem Antrag in Verbindung mit der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer Abge- Zusatzpunkt 16: ordneter und der Fraktion der FDP: Klima- schutz braucht ein CO2-Limit – Klima- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- ziele durch die Ausweitung des EU- schusses für Bildung, Forschung und Technik- Emissionshandels in Deutschland ga- folgenabschätzung zu dem Antrag der Abge- rantiert erreichen ordneten , Lisa Badum, Annalena Drucksachen 19/14782, 19/15127, 19/ Baerbock, weiterer Abgeordneter und der 15197 ...... 16038 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein Forschungsrahmenprogramm im Kampf h) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und gegen die Klimakrise SPD: Klimakonferenz von Madrid – Kli- Drucksachen 19/5816, 19/15124 ...... 16039 A maschutz international voranbringen Drucksache 19/15063 ...... 16038 C Dr. (SPD) ...... 16039 B (AfD) ...... 16040 A i) Antrag der Abgeordneten Lisa Badum, , (Augsburg), Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 16041 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Frank Sitta (FDP) ...... 16042 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Kli- makonferenz in Spanien 2019 – Das Pa- Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 16043 C riser Klimaabkommen international vo- Dr. (BÜNDNIS 90/ rantreiben und in Deutschland DIE GRÜNEN) ...... 16044 B umsetzen Dr. (SPD) ...... 16044 D Drucksache 19/15119 ...... 16038 C (SPD) ...... 16046 B j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Inf- (AfD) ...... 16047 C rastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- (CDU/CSU) ...... 16048 C ten Stephan Kühn (Dresden), Cem Özdemir, Oliver Krischer, weiterer Abge- (AfD) ...... 16049 C ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Dr. (AfD) ...... 16050 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 III

Dr. Lukas Köhler (FDP) ...... 16050 D (BÜNDNIS 90/ Jörg Cezanne (DIE LINKE) ...... 16051 C DIE GRÜNEN) ...... 16072 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 16073 A DIE GRÜNEN) ...... 16052 B (CDU/CSU) ...... 16074 B (SPD) ...... 16053 B (AfD) ...... 16075 C (FDP) ...... 16054 A (CDU/CSU) ...... 16076 C Dr. (CDU/CSU) ...... 16054 D Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 16078 A Marco Bülow (fraktionslos) ...... 16055 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) ...... 16078 D (CDU/CSU) ...... 16056 C (CDU/CSU) ...... 16080 A (fraktionslos) ...... 16057 D (SPD) ...... 16058 A Tagesordnungspunkt 27: Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 16059 A a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- Namentliche Abstimmung ...... 16061 C gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens Ergebnis ...... 16063 C Drucksachen 19/14747, 19/15161 ...... 16081 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Tagesordnungspunkt 26: wurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung des Strafverfahrens a) Antrag der Abgeordneten Armin-Paulus Drucksachen 19/14972, 19/15082, 19/ Hampel, Dr. , Petr Bystron, 15161 ...... 16081 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion – Zweite und dritte Beratung des von den der AfD: Kriegerische Eskalationen im Abgeordneten , Nahen Osten vermeiden – Über eine Grigorios Aggelidis, , weite- Konferenz für Sicherheit und Zusam- ren Abgeordneten und der Fraktion der menarbeit im Vorderen Orient Stabilität FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- schaffen setzes zur Nutzung audio-visueller Drucksache 19/15064 ...... 16066 B Aufzeichnungen in Strafprozessen b) Antrag der Abgeordneten , Drucksachen 19/11090, 19/15161 ...... 16081 B Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland b) Beschlussempfehlung und Bericht des Hartwig, weiterer Abgeordneter und der Ausschusses für Recht und Verbraucher- Fraktion der AfD: Für eine neue Syrien- schutz politik – Frieden sichern, Wiederaufbau – zu dem Antrag der Abgeordneten fördern Stephan Thomae, Dr. Jürgen Martens, Drucksache 19/15066 ...... 16066 B Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeord- c) Antrag der Abgeordneten Frank neter und der Fraktion der FDP: Straf- Pasemann, Waldemar Herdt, Armin- prozesse effektiver, schneller, moder- Paulus Hampel, weiterer Abgeordneter ner und praxistauglicher gestalten und der Fraktion der AfD: Sanktionen ge- – zu dem Antrag der Abgeordneten Canan gen Arabische Republik Syrien aufhe- Bayram, , , ben – Wiederaufbau ermöglichen weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/15065 ...... 16066 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Moder- nisierung des Strafverfahrens durch d) Antrag der Abgeordneten Frank digitale Dokumentation der Haupt- Pasemann, Waldemar Herdt, Armin- verhandlung Paulus Hampel, weiterer Abgeordneter Drucksachen 19/14244, 19/13515, 19/ und der Fraktion der AfD: Diplomatische 15161 ...... 16081 C Beziehungen zur Arabischen Republik Syrien normalisieren – Nachhaltigen Be- Dr. (SPD) ...... 16081 C friedungsprozess initialisieren Roman Johannes Reusch (AfD) ...... 16083 B Drucksache 19/15067 ...... 16066 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . 16084 A Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 16066 D Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 16085 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 16067 C (DIE LINKE) ...... 16085 D Bijan Djir-Sarai (FDP) ...... 16068 C (BÜNDNIS 90/ Aydan Özoğuz (SPD) ...... 16069 B DIE GRÜNEN) ...... 16086 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 16070 D Axel Müller (CDU/CSU) ...... 16087 C IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 16088 B ter und der Fraktion der FDP: Tempo in der Energiepolitik – Wasserstoff zum neuen Öl machen Tagesordnungspunkt 28: Drucksache 19/15049 ...... 16110 A a) Antrag der Abgeordneten Sabine b) Antrag der Abgeordneten , Zimmermann (Zwickau), , , , Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- weiterer Abgeordneter und der Fraktion neter und der Fraktion DIE LINKE: Ar- der AfD: Pyrolyseförderung – Eine wirk- beitslosenversicherung stärken – Ar- liche Alternative zur Bekämpfung der beitslosengeld verbessern Plastikflut in Entwicklungsländern Drucksache 19/15046 ...... 16089 D Drucksache 19/15075 ...... 16110 B b) Antrag der Abgeordneten Susanne Ferschl, (FDP) ...... 16110 B Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und Mark Helfrich (CDU/CSU) ...... 16111 B der Fraktion DIE LINKE: Arbeitslosen- Ulrich Oehme (AfD) ...... 16112 D versicherung stärken – Arbeitslosengeld Plus einführen (SPD) ...... 16113 D Drucksache 19/15047 ...... 16089 D (DIE LINKE) ...... 16115 A Susanne Ferschl (DIE LINKE) ...... 16090 A Dr. (BÜNDNIS 90/ Albert H. Weiler (CDU/CSU) ...... 16091 B DIE GRÜNEN) ...... 16116 A Jörg Schneider (AfD) ...... 16092 C Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 16116 D Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 16093 C Michael Theurer (FDP) ...... 16117 C Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. (CDU/CSU) ...... 16118 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 16095 A (CDU/CSU) ...... 16096 B (AfD) ...... 16097 B Tagesordnungspunkt 31: Bernd Rützel (SPD) ...... 16098 C a) Beschlussempfehlung und Bericht des (FDP) ...... 16099 C Ausschusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ (CDU/CSU) ...... 16100 B CSU und SPD: 20 Jahre Washingtoner Dr. (SPD) ...... 16101 B Prinzipien – Restitution von NS- Raubkunst fortsetzen und „Beratende (CDU/CSU) ...... 16102 A Kommission“ weiterentwickeln – zu dem Antrag der Abgeordneten , , Nicola Tagesordnungspunkt 29: Beer, weiterer Abgeordneter und der Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Fraktion der FDP: 20 Jahre Washingto- desregierung eingebrachten Entwurfs eines ner Erklärung – Wirksamere Aufar- Gesetzes zur Beteiligung des Bundes an beitung der NS-Raubkunst durch Re- den Integrationskosten der Länder und strukturierung und Digitalisierung Kommunen in den Jahren 2020 und 2021 – zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksachen 19/14246, 19/15084, 19/15132 . . 16103 A , , Dr. , weiterer Abgeordneter und der Bernhard Daldrup (SPD) ...... 16103 B Fraktion DIE LINKE: Rückgabe von Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 16104 C NS-Raubkunst gesetzlich verankern (CDU/CSU) ...... 16105 D Drucksachen 19/13511, 19/5423, 19/8273, 19/14901 ...... 16119 C (FDP) ...... 16107 A Monika Grütters, Staatsministerin BK ...... 16119 C (DIE LINKE) ...... 16107 C Dr. (AfD) ...... 16120 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 16108 B (CDU/CSU) ...... 16109 A (SPD) ...... 16121 D Hartmut Ebbing (FDP) ...... 16123 A Brigitte Freihold (DIE LINKE) ...... 16123 D Tagesordnungspunkt 30: (BÜNDNIS 90/ a) Antrag der Abgeordneten Michael DIE GRÜNEN) ...... 16124 D Theurer, Grigorios Aggelidis, Christine Aschenberg-Dugnus, weiterer Abgeordne- (CDU/CSU) ...... 16125 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 V

Tagesordnungspunkt 32: CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines a) Beschlussempfehlung und Bericht des Gesetzes zur Umsetzung des Klimaschutzpro- Ausschusses für Ernährung und Landwirt- gramms 2030 im Steuerrecht schaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Chancen der Digita- (Tagesordnungspunkt 25 c) ...... 16142 A lisierung nutzen – Offener Zugang und standardisierte Datenformate für eine Anlage 3 zukunftsfähige Landwirtschaft 4.0 Drucksachen 19/10147, 19/11242 ...... 16127 A Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Fritz Güntzler (CDU/CSU) zu der Abstim- b) Beschlussempfehlung und Bericht des mung über den von der Bundesregierung ein- Ausschusses für Ernährung und Landwirt- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umset- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten zung des Klimaschutzprogramms 2030 im , , Nicole Steuerrecht Bauer, weiterer Abgeordneter und der (Tagesordnungspunkt 25 c) ...... 16142 C Fraktion der FDP: Chancen der Digitali- sierung für die Landwirtschaft und ihre Wertschöpfungskette nutzen Anlage 4 Drucksachen 19/436, 19/14494 ...... 16127 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 16127 A Björn Simon und (beide (AfD) ...... 16128 A CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung (SPD) ...... 16129 A über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- Carina Konrad (FDP) ...... 16130 B zes zur Änderung des Luftverkehrsteuergeset- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) ...... 16131 B zes (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 16132 A (Tagesordnungspunkt 25 d) ...... 16143 A (CDU/CSU) ...... 16133 A (CDU/CSU) ...... 16134 A Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU Tagesordnungspunkt 33: und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von zes über einen nationalen Zertifikatehandel für Notz, Tabea Rößner, Britta Haßelmann, weite- Brennstoffemissionen (Brennstoffemissions- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- handelsgesetz – BEHG) NIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei (Tagesordnungspunkt 25 f) ...... 16143 D Regierung und Behörden stärken, Informa- (CDU/CSU) ...... 16143 D tionsfreiheitsgesetz des Bundes zu einem Transparenzgesetz weiterentwickeln Mark Helfrich (CDU/CSU) ...... 16144 C Drucksache 19/14596 ...... 16135 A Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . 16144 D Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 16135 A Anlage 6 (CDU/CSU) ...... 16136 A Erklärungen nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Christian Wirth (AfD) ...... 16137 D (CDU/CSU) zu den Abstimmun- Manuel Höferlin (FDP) ...... 16138 C gen TOP 25 a bis j sowie ZP 14 bis 16 (Tagesordnungspunkt 25 a bis j sowie Zusatz- Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 16139 C punkte 14 bis 16) ...... 16145 A

Nächste Sitzung ...... 16140 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung Anlage 1 a) des Antrags der Abgeordneten Sabine Entschuldigte Abgeordnete ...... 16141 A Zimmermann (Zwickau), Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Ar- Anlage 2 beitslosenversicherung stärken – Arbeits- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten losengeld verbessern Sebastian Brehm, Dr. , Dr. h. b) des Antrags der Abgeordneten Susanne c. (Univ Kyiv) , Johannes Ferschl, Sabine Zimmermann (Zwickau), Steiniger und (alle CDU/ Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

neter und der Fraktion DIE LINKE: Ar- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz beitslosenversicherung stärken – Arbeits- bei Regierung und Behörden stärken, Informa- losengeld Plus einführen tionsfreiheitsgesetz des Bundes zu einem (Tagesordnungspunkt 28) ...... 16147 C Transparenzgesetz weiterentwickeln (SPD) ...... 16147 C (Tagesordnungspunkt 33) ...... 16148 C (CDU/CSU) ...... 16148 C Anlage 8 (SPD) ...... 16149 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Britta Haßelmann, Anlage 9 weiterer Abgeordneter und der Fraktion Amtliche Mitteilungen ...... 16150 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16037

(A) (C)

128. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Abgeordneter und der Fraktion der FDP nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Klimaschutz mit Vernunft – Durch Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen mitzu- Marktanreize zur Klimaneutralität teilen, dass der Ältestenrat sich in seiner gestrigen Sit- – zu dem Antrag der Abgeordneten zung darauf verständigt hat, wie üblich während der Annalena Baerbock, Lisa Badum, Oliver Haushaltsberatungen ab dem 26. November keine Befra- Krischer, weiterer Abgeordneter und der gung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage von Montag, 25. November 2019, bis Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschät- Freitag, 29. November 2019, festgelegt worden. Sind zung aufnehmen und CO2-Bremse ein- (B) Sie damit einverstanden? – Dann verfahren wir so. führen (D) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 j sowie – zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa die Zusatzpunkte 14 bis 16 auf: Badum, Dr. Julia Verlinden, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der 25 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Handeln jetzt – Auf dem Weg zum kli- Einführung eines Bundes-Klimaschutz- maneutralen Deutschland gesetzes und zur Änderung weiterer – zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Vorschriften gierung Drucksache 19/14337 Klimaschutzprogramm 2030 der Bun- desregierung zur Umsetzung des Kli- – Zweite und dritte Beratung des von der maschutzplans 2050 Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Drucksache 19/13900 eines Gesetzes zur Einführung eines Bundes-Klimaschutzgesetzes und zur Drucksachen 19/14344, 19/11153, 19/ Änderung weiterer Vorschriften 13538, 19/13900, 19/15128, 19/15230 Drucksachen 19/14948, 19/15079 c) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur schusses für Umwelt, Naturschutz und nuk- Umsetzung des Klimaschutzpro- leare Sicherheit (16. Ausschuss) gramms 2030 im Steuerrecht Drucksachen 19/15128, 19/15230 Drucksache 19/14338 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des – Zweite und dritte Beratung des von der Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs schutz und nukleare Sicherheit (16. Aus- eines Gesetzes zur Umsetzung des Kli- schuss) maschutzprogramms 2030 im Steuer- recht – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Dr. Jens Drucksachen 19/14937, 19/15080 16038 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- g) Beratung der Beschlussempfehlung und des (C) nanzausschusses (7. Ausschuss) Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und nukleare Sicherheit (16. Aus- Drucksachen 19/15125, 19/15229 schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Drucksache 19/15157 Klimaschutz braucht ein CO2-Limit – Kli- d) – Zweite und dritte Beratung des von den maziele durch die Ausweitung des EU- Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- Emissionshandels in Deutschland garan- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- tiert erreichen derung des Luftverkehrsteuergesetzes Drucksachen 19/14782, 19/15127, 19/ Drucksache 19/14339 15197 – Zweite und dritte Beratung des von der h) Beratung des Antrags der Fraktionen der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs CDU/CSU und SPD eines Gesetzes zur Änderung des Luft- verkehrsteuergesetzes Klimakonferenz von Madrid – Klima- schutz international voranbringen Drucksachen 19/14938, 19/15083 Drucksache 19/15063 Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses (7. Ausschuss) i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Badum, Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augs- Drucksachen 19/15126, 19/15239 burg), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung UN-Klimakonferenz in Spanien 2019 – Das Pariser Klimaabkommen internatio- Drucksache 19/15156 nal vorantreiben und in Deutschland um- e) Beratung der Beschlussempfehlung und des setzen Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Drucksache 19/15119 (B) schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten (D) Stefan Schmidt, Daniela Wagner, Stephan Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und Auswärtiger Ausschuss der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Umweltfreundliche Mobilität fördern – j) Beratung der Beschlussempfehlung und des Luftverkehr gerecht besteuern und Sub- Berichts des Ausschusses für Verkehr und ventionierung beenden digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn Drucksachen 19/13078, 19/15126, 19/ (Dresden), Cem Özdemir, Oliver Krischer, 15239 weiterer Abgeordneter und der Fraktion f) – Zweite und dritte Beratung des von den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- Klimapaket neu auflegen – Verkehrswen- brachten Entwurfs eines Gesetzes über ei- de für eine klimafreundliche Mobilität ein- nen nationalen Zertifikatehandel für leiten Brennstoffemissionen (Brennstoffemis- sionshandelsgesetz – BEHG) Drucksachen 19/14093, 19/15019 Drucksache 19/14746 ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukas Köhler, Frank Sitta, Grigorios – Zweite und dritte Beratung des von der Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs tion der FDP eines Gesetzes über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemis- Internationale Klimaschutzverpflichtungen sionen (Brennstoffemissionshandelsge- einhalten – Die 25. Weltklimakonferenz nut- setz – BEHG) zen, um marktbasierte Klimaschutzmechanis- men voranzutreiben Drucksachen 19/14949, 19/15081 Drucksache 19/15052 Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und nuk- ZP 15 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- leare Sicherheit (16. Ausschuss) neten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Lisa Badum, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Drucksachen 19/15127, 19/15197 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16039

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Er- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (C) neuerbare-Energien-Gesetzes – EEG 2017 Ich sage ganz bewusst: Es ist ein Riesenschritt, aber es Drucksache 19/13517 ist keine Garantie. Aber das, was wir hier vereinbaren, ist das erste Mal ein Mechanismus, ein Mechanismus, der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- die Klimaschutzziele gesetzlich fixiert. Dieses Hohe ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Haus sagt dieser Regierung, welche Einsparpotenziale Drucksache 19/14319 sie jährlich in jedem Ressort zu erreichen hat. Damit ma- chen wir Klimaschutz gesetzlich verbindlich, liebe Kol- ZP 16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- leginnen und Kollegen. richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, der CDU/CSU) Lisa Badum, Annalena Baerbock, weiterer Abge- Jeder Minister, jede Ministerin, die sich an die jährlichen ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Einsparziele nicht halten, wird sich vor diesem Hohen GRÜNEN Haus verantworten müssen, wird sich rechtfertigen müs- sen und Pläne aufstellen müssen, wie diese Ziele erreicht Ein Forschungsrahmenprogramm im Kampf werden können. Damit haben wir das erste Mal ein wir- gegen die Klimakrise kungsvolles Instrument. Drucksachen 19/5816, 19/15124 Manchmal höre ich, solche Pläne habe es schon immer Es liegen ein Änderungsantrag sowie zehn Entschlie- gegeben. Dazu mein Ratschlag: Seht euch einmal die ßungsanträge vor. Rechtsprechung an. Es ist ein großer Unterschied, ob es eine Absichtserklärung einer Bundesregierung gibt oder Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU gesetzlich fixierte verbindliche Ziele. und SPD zur Änderung des Luftverkehrsteuergesetzes werden wir später namentlich abstimmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Wem das noch nicht reicht, den verweise ich darauf, Sicherheit hat in seine Beschlussempfehlung auf Druck- dass es nach dem sogenannten Effort Sharing der Europä- sachen 19/15128 und 19/15230 zu den Tagesordnungs- ischen Union nicht damit getan ist, festzustellen, ob Ziele punkten 25 a und 25 b zusätzlich die Unterrichtung der erreicht oder verfehlt wurden, vielmehr werden, wenn wir Bundesregierung über ihr Klimaschutzprogramm 2030 sie verfehlen, Forderungen der Europäischen Union in (B) zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050 auf Druck- (D) Milliardenhöhe fällig werden. Auch das gibt Druck in sache 19/13900 mit einbezogen. Hingegen hat die Frak- diesen Kessel, liebe Kolleginnen und Kollegen. tion der AfD gebeten, ihren Antrag auf Drucksache 19/ 14069 nicht in dieser Beschlussempfehlung zu behan- (Beifall bei der SPD) deln. Der Antrag soll daher heute nicht beraten werden. Jedes Jahr werden wir hier in diesem Parlament darü- Sind Sie mit all dem einverstanden? – Dann wird so ber diskutieren – machen wir uns da nichts vor –, ob wir verfahren. auf dem richtigen Weg sind oder nicht. Neben dem Kli- maschutzgesetz werden heute einige weitere Maßnahmen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die beschlossen, die auch erste Schritte sind. Ich sage für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre SPD-Bundestagsfraktion ganz selbstbewusst: Weitere ich keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlos- Maßnahmen werden folgen müssen, unter anderem das, sen. was durch die sogenannte Kohlekommission vorbereitet Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem worden ist: ein Kohleausstiegsgesetz ohne Wenn und Kollegen Dr. Matthias Miersch, SPD. Aber. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Dazu gehört auch, dass der Ausstieg aus Kohle und aus Dr. Matthias Miersch (SPD): Atom begleitet werden muss durch einen Einstieg in das Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- verbindliche Ziel, einen Anteil der erneuerbaren Energien ren! Politik ist, nicht nur etwas zu wollen, sondern Politik von 65 Prozent im Jahr 2030 zu erreichen. ist auch, etwas durchzusetzen. Das, was wir heute hier diskutieren und beschließen, ist nicht einfach gewesen, (Beifall bei der SPD) weil in diesem Haus – das wird diese Debatte zeigen – die An dieser Stelle gleich mein Appell im Namen der SPD- Meinungen, wie wirkungsvoller Klimaschutz betrieben Bundestagsfraktion an die Bundesregierung: Wir erwar- werden kann, weit auseinandergehen. Und doch: Engage- ten ein Gesetz, das Windenergie an Land nicht verunmög- ment hat sich ausgezahlt. Im Jahr 2010 hat die SPD-Bun- licht, sondern ermöglicht, liebe Kolleginnen und Kolle- destagsfraktion das erste Mal in diesem Hohen Haus die gen. Einführung eines Klimaschutzgesetzes beantragt. Es hat neun Jahre gedauert, aber heute ist der Tag, an dem wir (Beifall bei der SPD) wirklich einen Riesenschritt zu mehr Klimaschutz in die- Weil ich weiß, wie sich in dieser Debatte die Einzelnen sem Land gehen. positionieren werden, 16040 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Matthias Miersch (A) (Michael Theurer [FDP]: Was?) Außerdem sorgen Sie mit diesem Wahnsinn dafür, dass (C) sage ich: Die Abgeordneten von FDP und Grünen sollten das Autofahren wieder zu einem Privileg der Reichen sich einmal an die Vereinbarungen aus den Jamaika-Ver- wird. Und da versprechen Sie noch vollmundig, dass handlungen erinnern: kein Klimaschutzgesetz, kein Koh- Sie den Bürgern das Geld, das Sie ihnen vorher abge- leausstiegsgesetz, im Übrigen auch kein Tempolimit. Bei knöpft haben, wiedergeben wollten, indem Sie die dem, was Sie fordern, und in Ihrer Kritik sollten Sie an- EEG-Umlage um einen ganzen Viertelcent pro Kilowatt- gesichts dessen, was Sie tatsächlich hätten umsetzen kön- stunde senken. nen, ein bisschen verbindlicher sein. Ich würde mir das (Zuruf von der AfD: Hui!) jedenfalls wünschen. Vielen Dank. Großzügig geben Sie also einer vierköpfigen Familie den stolzen Betrag von 8,75 Euro im Jahr zurück. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Dr. Anja Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Weisgerber [CDU/CSU]: Der Betrag steigt!) Jetzt hat der Kollege Marc Bernhard, AfD, das Wort. Dank Ihrer ganzen Klimahysterie gibt die deutsche Auto- (Beifall bei der AfD) mobilindustrie gerade den Löffel ab, verbunden mit der Vernichtung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen. Marc Bernhard (AfD): Schon jetzt steht eine ganze Großstadt auf ihrer Kündi- Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! gungsliste. Es gibt kein anderes Land auf der Welt, das sich Ihre verantwortungslose Politik gefährdet die Existenz einen derart verbindlichen Fahrplan in Richtung vieler Tausender Familien, weil Sie im nationalen Allein- Treibhausgasneutralität gegeben hat. gang, also mit gerade einmal einem Prozent der Weltbe- völkerung, angeblich die Welt retten wollen. Das Gesetz schreibt … fest, wie viel CO2 … jedes Jahr ausgestoßen werden darf ... (Beifall bei der AfD) Das sind Ihre Worte, Frau Ministerin Schulze. Dabei ge- ben Sie doch selbst zu, dass Sie keine Ahnung haben, wie Gemäß Ihrem Pariser Klimaabkommen dürfen alle sich Ihr Klimapaket in der Realität auswirkt, dass Sie Schwellen- und Entwicklungsländer, zum Beispiel China und Indien, Länder, die zusammen mehr als 60 Prozent nicht wissen, wie viel CO2 dadurch eingespart wird, ge- des CO2 weltweit verursachen, ihren Ausstoß bis 2030 (B) schweige denn, was die Einsparungen einer Tonne CO2 (D) die Menschen kosten wird. Sie wollen hier also ein Gesetz unbegrenzt, also ohne Limit, weiter erhöhen. Wenn also beschließen, ohne zu wissen, welchen Nutzen es hat, und Ihr eigenes Abkommen dem größten Teil der Welt er- ohne eine Vorstellung zu haben, welchen Preis wir dafür laubt, so viel CO2 herauszublasen, wie sie gerade wollen, bezahlen müssen. dann können die 1,8 Prozent aus Deutschland wirklich nicht das Problem sein. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Aber was soll man von einem Ministerium, das laut Bundesrechnungshof schon für seine Kernaufgaben Denn selbst wenn wir unseren CO2-Ausstoß auf null re- Berater für Hunderte von Millionen Euro braucht, auch duzieren könnten, hätte das null Effekt. Weltweit sind im anderes erwarten? Moment allein 1500 Kohlekraftwerke im Bau. Selbst (Beifall bei der AfD) wenn wir jetzt und sofort, wie Sie von den Grünen for- dern, alle unsere circa 100 Kohlekraftwerke abschalten Nicht nur, dass Ihr Klimapaket völlig überstürzt und würden, wäre dies innerhalb von gerade einmal zwei Mo- handwerklich schlecht gemacht ist, nein, zu allem Über- naten wieder neutralisiert. fluss ist es nach Auffassung der Experten auch noch ver- fassungswidrig. Wenn also der Rest der Welt noch zehn Jahre Zeit hat, bevor er in irgendeiner Weise seinen CO -Ausstoß ein- (Beifall bei der AfD) 2 schränken muss, dann sollten auch wir diese zehn Jahre Aber damit nicht genug. Selbst der Bundesrechnungs- nutzen, in neue Technologien wie zum Beispiel syntheti- hof urteilt über Ihr Klimapaket – so wörtlich –: Benach- sche Kraftstoffe zu investieren, und nicht in blindem Ak- teiligung der Geringverdiener, Belastung für Rentner, un- tionismus die Zukunft unserer Kinder zerstören. gerecht und unsozial. – Durch Ihr Abzockpaket steigen die Heizkosten um über 20 Prozent. Der Mieterbund rech- (Beifall bei der AfD) net mit einer Kostensteigerung von 2 Euro pro Quadrat- meter. Das bedeutet bei einer 80-Quadratmeter-Wohnung Denn die Wahrheit, Frau Schulze, ist: Es gibt kein an- eine Mieterhöhung von 160 Euro pro Monat. deres Land auf dieser Welt, dessen Regierung sich einen derart verbindlichen Fahrplan in Richtung Umweltzerstö- (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt rung, Arbeitsplatzvernichtung und Abzocke der Bürger doch gar nicht! Wo haben Sie denn die Zahlen geben will. her? – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Alles frei erfunden!) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16041

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Dr. [AfD]: Ganz, ganz wichtig!) (C) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein, Das ist wichtig, CDU/CSU. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sehr wichtig!) (Beifall bei der CDU/CSU) weil wir diesen internationalen Anschluss brauchen. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ganz wichtig!) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr Bernhard, Sie haben fast nichts ausgelassen. Natürlich ist entscheidend, dass dieser Emissionshandel Ich habe erwartet, dass dann noch der Hinweis darauf in Zukunft anschlussfähig an das ist, kommt, dass es den Klimawandel gar nicht gibt oder er jedenfalls nicht menschengemacht ist, und all die Dinge, (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ganz wichtig, mit die Sie üblicherweise vortragen. Ich sage das gleich; dann dem Abbau von Hunderttausenden Arbeitsplät- müssen es die Nachredner nicht tun. Ich glaube, wir, die zen!) Mehrheit hier im Haus, sind uns einig, dass es jedenfalls was die Europäische Union machen wird. Ich bin über- sinnvoll ist, mit Ressourcen anständig und sparsam um- zeugt, dass uns das gelingt. zugehen. Darauf ist dieses Gesetzespaket, das wir heute beschließen, ausgerichtet. Natürlich funktioniert das Ganze (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, genau, das sehen wir ja, mit der Vernichtung der deutschen Auto- Wenn Sie gern eine andere Motivation hätten, dann steht mobilindustrie!) es Ihnen frei. nur in einem europäischen, ja, lieber noch in einem inter- Das, was Sie hier gerade an Hetztiraden losgelassen nationalen Konzert. haben, ist unbeschreiblich und auch unverantwortlich; denn so, wie Sie es jetzt hier beschrieben haben, ist es (Dr. Alice Weidel [AfD]: Hunderttausende nicht. Es ist ein sehr verantwortungsvolles Paket – – Arbeitsplätze werden vernichtet!) ( [AfD]: Hören Sie mit die- Das soll uns doch aber nicht davon abhalten, uns im Wis- ser Hetze auf!) sen, was da kommen wird – es ist ja unerträglich mit Ihnen –, Gedanken zu machen, wie man sich vorbereitet – Schreien Sie doch nicht die ganze Zeit! Lesen Sie es in und wie man auch den Wettbewerb stärkt. der Zeit, wo Sie brüllen; das hilft viel mehr. (B) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Die Wähler werden es (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ihnen zeigen!) Dann hätten Sie nämlich feststellen können, dass wir in dieses Klimaschutzgesetz auch ganz klar hineingeschrie- Natürlich wird die Umstellung den Wettbewerb voran- ben haben, dass es sehr wohl auf die sozialen Rahmen- bringen. bedingungen, auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingun- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie betreiben Arbeits- gen ankommt. Wir stellen darin den Klimaschutz eben platzvernichtung in der deutschen Automobil- nicht losgelöst von allem über alles, sondern sind uns sehr industrie!) wohl bewusst, dass wir hiermit tiefgreifende Veränderun- gen anstoßen. Dies geschieht aber nicht so, wie Sie es Davon bin ich schwer überzeugt. jetzt beschreiben, dass das alles katastrophal wird. Viel- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf mehr werden wir die Innovationen, von denen Sie ein von der AfD: Das ist ja unglaublich, was Sie kleines bisschen auch gesprochen haben, mit dem ansto- hier fabrizieren! – Gegenruf des Abg. Stefan ßen, was wir tun. Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer schreit, Es geht doch nicht darum, meine Damen und Herren, hat unrecht! – Gegenruf der Abg. Dr. Alice das Verhalten der Menschen zu ändern, sondern wir müs- Weidel [AfD]: Müssen Sie sich schon zurech- sen unsere Technologien ändern. nen lassen!) (Zuruf von der AfD: Doch, darum geht es!) – Jetzt beruhigen Sie sich. Deshalb setzen wir mit diesem Paket auf Anreize, nicht Herr Miersch hat das Thema Windenergie angespro- auf Repression. Es geht nicht darum, wie Sie es beschrie- chen. Wir haben etwas gemeinsam getan, was Sinn ben haben, dass wir den Leuten das Geld aus der Tasche macht, nämlich eine Akzeptanzvoraussetzung geschaf- ziehen, sondern es zielt darauf, dass wir uns schrittweise fen: Wir wollen nicht zu nahe an die Siedlungen der Men- bewegen, auch die Techniken sinnvoll zu ändern. schen rücken, weil ansonsten dieses Thema zum Politi- kum wird. Das ist entscheidend. (Beatrix von Storch [AfD]: Das ist unerträg- liche Hetze, was Sie da machen!) (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin jedenfalls stolz darauf, dass es uns gelungen ist, Die Schwierigkeiten, die die Industrie an dieser Stelle einen nationalen Emissionshandel anzustoßen. Das halte momentan hat, können nichts mit den Abstandsregeln ich für ganz, ganz wichtig, und ich kann Ihnen auch sa- zu tun haben, denn sie sind jetzt schon da, während die gen, warum. Abstandsregeln erst in Zukunft kommen werden. 16042 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Georg Nüßlein (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wirklich hinter der Sache stehen und nicht am Schluss (C) Auch dies ist wieder ein Hinweis darauf, dass die Tech- wegen Geldsorgen kapitulieren müssen. nologien, die sich entwickelt haben, Ich glaube, wir beschließen heute ein gutes Paket, das man in der Gesamtheit sehen muss, das das Thema Kli- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, die Technologie, maschutz voranbringen wird, das dieses Land nicht über- die Sie entwickeln!) fordert, wenn wir richtig damit umgehen. Deshalb müs- natürlich international eingesetzt werden müssen. Kein sen wir auch die Sorgen der Industrie berücksichtigen. Unternehmen kann nur auf einen nationalen Markt setzen Carbon Leakage ist ein entsprechendes – – und hoffen, (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, die Sorgen der (Dr. Alice Weidel [AfD]: Nationaler Markt! Industrie!) Das ist aber sehr national gedacht!) dass es am Ende schon entsprechend klappt. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Nüßlein – – (Dr. Alice Weidel [AfD]: Unglaublich! Sie wol- len den Industriestandort Deutschland abwi- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): ckeln!) Das können Sie doch noch gar nicht wissen. Das wird Ich halte es für ganz, ganz wichtig, dass wir das Thema doch erst beschlossen; das können Sie noch gar nicht Klimaschutz tatsächlich hier im Deutschen Bundestag wissen. Jetzt warten Sie es einmal ab. halten. Es gab ursprünglich einmal eine Idee, mit Klima- räten und Beratung das ganze Thema auf Regierungsebe- Sie werden sehen, wir machen eine gute Politik. Sie ne abzubilden. Hier ist der Ort dafür, und deshalb haben machen ein lautes Geschrei im Vergleich dazu. wir beim Gesetzespaket auch dafür gesorgt – eine ganze Vielen herzlichen Dank. Menge an dem Gesetzespaket, das hier schnell beschlos- sen wird, ist noch zu regeln –, dass einige darin enthaltene (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Verordnungsermächtigungen eine Zustimmung des Deut- schen Bundestags voraussetzen, sodass wir da im Spiel Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: bleiben und all die Nebenbedingungen auch entsprechend Nächster Redner ist der Kollege Frank Sitta, FDP. berücksichtigen können. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) Wenn es um die Frage geht, wie schnell das jetzt wei- Frank Sitta (FDP): (D) tergeht, dann hat der Bundesrat eine besondere Verant- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wortung. Da appelliere ich noch einmal an die Grünen, Kollegen! Zwischen den Ambitionen der Bundesregie- dieser Verantwortung im Bundesrat am Schluss auch ge- rung und dem Erfolg beim Klimaschutz liegen leider Wel- recht zu werden. Das ist etwas, was Sie an dieser Stelle ten. Die Bundesregierung hat uns ein Konzept verspro- tun können, chen, das die Einhaltung der Klimaschutzziele garantiert. Doch das vorliegende Gesetzespaket verbindet nur das (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ganz wichtig!) Nutzlose mit dem Teuren: nutzlos für das Klima und teuer indem Sie dafür sorgen, dass das gesamte Gesetzespaket für die Bürger und Bürgerinnen in diesem Land. im Bundesrat relativ zügig passiert. Wenn man die ganze (Beifall bei der FDP) Zeit sagt, das müsse schnell gehen, dann muss man einen Beitrag dazu leisten, dass es auch so kommt. Ihr Klimaschutzgesetzentwurf kennt kein klares CO2- Limit. Ihre verkappte CO2-Steuer mit dem Namen „Emis- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sionshandel“ ist so niedrig, dass sie keine Lenkungswir- NEN]: Was war jetzt die Botschaft?) kung entfalten wird. Trotzdem sind die Regeln so kom- pliziert und bürokratisch, dass viele Unternehmen schon Wir werden Sie auch bei dem Thema CO2-Gebäude- sanierung an dem messen, was Sie tatsächlich tun, nicht jetzt vor hohem Verwaltungsaufwand und vor Doppelbe- an Ihren Reden. Ich finde es nämlich spannend, dass der lastung warnen. Bundesrat im Zweifel immer dann kein Geld hat, wenn es (Beifall bei der FDP) um Klimaschutz geht, uns ansonsten aber immer predigt, wir müssten da etwas tun. Aber schlimmer geht ja bekanntlich immer. Also wur- den dieser Krücke von Emissionshandel völlig aus der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Luft gegriffene Sektorziele und ein Sammelsurium aus Dieses Thema versuchen wir seit dem Jahr 2011 voran- Förderprogrammen und Regulierungen zur Seite gestellt. Die unausweichlichen Folgen – ich muss es noch einmal zubringen. CO2-Gebäudesanierung ist im Wärmebereich ein ganz wichtiges Thema. sagen –: teuer für die Bürgerinnen und Bürger, null Zu- satznutzen für das Klima. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ganz wichtig!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle- Es ist nie gelungen, es ist immer am Geld gescheitert. ginnen und Kollegen, mit § 8 des Bundes-Klimaschutz- Deshalb, meine Damen und Herren von den Grünen, ist gesetzes wird geregelt, was passiert, wenn Zielvorgaben das der Lackmustest. Da können Sie zeigen, dass Sie in einigen Sektoren verfehlt werden. Wir haben hier eben Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16043

Frank Sitta (A) schon gehört, wie toll das werden wird, wenn jeder der Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): (C) Minister hier vor dem Bundestag sagen muss, wie es Lieber Kollege Sitta, manchmal staunt man in diesem weitergeht. Es sollen dann nämlich Sofortmaßnahmen Hause ja tatsächlich noch. greifen. Ich frage Sie jetzt einfach einmal: Was sollen denn diese Sofortmaßnahmen sein? Denn die sollen ja (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie dann sofort wirken und passieren. Ich finde, es ist fair, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE wenn sich die Bürger in unserem Land darauf vorbereiten GRÜNEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der können. CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Sie haben das Konzept noch nicht ver- Planen Sie, dann den Deutschen Bundestag und andere standen!) öffentliche Gebäude nur noch auf 19 Grad Celsius – laut Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerin- Arbeitsstättenverordnung – zu heizen? Gilt das dann auch nen und Zuschauer! Tag für Tag erhält diese Bundesre- für Kindergärten und Schulen? Wollen Sie in der Fern- gierung neue Stellungnahmen. Sie erhält Stellungnahmen wärmeversorgung die Vorlauftemperatur staatlich sen- von den Umweltverbänden, von Wissenschaftlerinnen ken, bis es im Sektor passt? Müssen die Bewohner ener- und Wissenschaftlern, vom Deutschen Institut für Wirt- getisch schlechter Wohnungen dann zum Pullover und schaftsforschung, vom Bundesrechnungshof, vom Deut- zur Wärmflasche greifen? Planen Sie gar eine Neuauflage schen Gewerkschaftsbund, des 1973er Energiesicherungsgesetzes und die darin ge- regelten autofreien Sonntage? ( [AfD]: Die hängen alle an der Nadel vom Bundesumweltministerium! Da (Michael Theurer [FDP]: Lieber autofreie müssen Sie sich nur den Bericht anschauen!) Wochen!) vom Verband kommunaler Unternehmen, vom Bundes- Kommt das Tempolimit auf Autobahnen? verband der Deutschen Industrie, um nur einige zu nen- nen. Sie alle sagen: Die Bundesregierung ist gerade dabei, (Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt ihre energie- und klimapolitischen Ziele mit voller Kanne [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) vor die Wand zu fahren. Hören Sie doch endlich einmal Müssen die Bürger mit generellen Fahrverboten rechnen? auf Ihre Partnerinnen und Partner! Wird bald das so beliebte Biofleisch verboten, weil das ja (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- eine so besonders schlechte Klimabilanz aufweist? neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP – Stefan Müller [Erlangen] Man muss sich doch angesichts dieser Brandbriefe fra- (B) [CDU/CSU]: Was erzählen Sie denn da? – gen: Stellen Sie sich in dieser Situation tatsächlich taub? (D) Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das steht Sind Sie so ignorant? Oder handeln Sie tatsächlich aus doch alles im Paket!) Vorsatz? Und wenn Sie aus Vorsatz handeln – das muss man hier ganz deutlich sagen –, sind Sie gerade dabei, Oder planen Sie sogar, die stromintensive Digitalisierung unsere Zukunft, die Zukunft unserer Kinder und aller, die in unserem Land aus Klimagründen abzusagen? nach uns kommen, zu verspielen, und das dürfen wir nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, so vermeint- zulassen. lich lustig das alles klingt: Diese Fragen sollten Sie drin- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gend beantworten. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Die haben Es ist doch eine unglaubliche Ignoranz, die wir erleben. wir beantwortet mit dem Paket! Steht alles 80 000 Arbeitsplätze haben Sie in der Photovoltaik ver- drin!) nichtet. Und was kommt jetzt? In den letzten drei Jahren haben wir in der Windkraft 40 000 Arbeitsplätze verloren. Die Bürger in unserem Land – und zum Teil auch Ihre Wenn das so weitergeht, wenn Sie tatsächlich mit diesen Wähler – sollten schon wissen, was neben den fast schon absurden Abstandsregelungen herkommen, werden wir gewohnten Kostensteigerungen noch alles auf sie zukom- eine Situation haben, wo wir weitere Zehntausende Ar- men könnte. beitsplätze verlieren werden, und zwar in Zukunftsbran- (Beifall bei der FDP) chen. Dann werden wir auch unsere Klimaziele nicht erreichen können. Das ist das große Problem: Sie ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Sie ihnen ver- nichten Arbeitsplätze. Sie schaffen keine neuen. dammt noch einmal schuldig. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vielen Dank. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Die Ignoranz geht noch weiter. Sie wissen ganz genau, dass Ihr Klimapaket hinten und vorne nicht ausreicht und dass Sie damit nicht in der Lage sind, die Klimaziele 2030 Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zu erreichen. Aber was tun Sie? Sie tun einfach nichts. Nächster Redner ist der Kollege Lorenz Gösta Beutin, Die Linke. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Michael Grosse-Brömer (Beifall bei der LINKEN) [CDU/CSU]: Was tun Sie denn?) 16044 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Lorenz Gösta Beutin (A) Sie sitzen da und sagen: Wir halten uns einfach einmal die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (C) Ohren zu, und irgendwie wird das schon funktionieren. – wie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Nein, das ist keine Politik. Das ist das Prinzip Hoffnung, Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aha!) und damit werden Sie nicht weiterkommen. Viele der Maßnahmen, die Sie hier beschließen, die Sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- in Ihren Ministerien erarbeiten, sind im besten Falle un- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – genügend, im schlechtesten Falle sogar kontraproduktiv. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Welches Bei dem hier angekündigten Klimajahr kann man nur als Programm haben Sie denn?) Fazit ziehen: Sie sind an der Menschheitsaufgabe Klima- schutz gescheitert. Was wir jetzt tun müssen, liegt auf der Hand. Wir brau- chen einen rascheren Kohleausstieg, und wir brauchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einen Kohleausstieg, der per Gesetz kommt und nicht Mit den Maßnahmen werden Sie Ihre selbstgesetzten Kli- durch, wie Herr Altmaier das will, irgendwelche Anreize maziele nicht erreichen, geschweige das Pariser Klima- oder das Prinzip Hoffnung, die Unternehmen würden schutzabkommen einhalten. schon irgendwas machen. Das ist der vollkommen falsche Weg. Lassen Sie uns die Maßnahmen einmal konkret an- schauen: Beim CO2-Preis schaffen Sie es tatsächlich, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, ein ökologisch unwirksames Paket sozial ungerecht und bloß die Menschen nicht mitnehmen!) rechtlich fragwürdig umzusetzen. Wir brauchen eine Verkehrswende, und zwar eine ent- schiedene Verkehrswende, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Hofreiter, gestatten Sie eine Zwischen- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Genau das frage des Kollegen Rosemann aus der SPD? wollen wir!) die nicht nur eine Antriebswende hin zum E-Motor ist, Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sondern die tatsächlich eine echte Verkehrswende ist, mit Ja, warum net? Bus und Bahn in den ländlichen Regionen, mit einer Bahn, die zuverlässig ist, die wesentlich günstiger ist. (Heiterkeit – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vielleicht ist er dann ein biss- Damit schaffen Sie gute Arbeit. Damit bringen Sie die chen unaufgeregter!) (B) Investitionen dahin, wo wir sie in dieser Situation tatsäch- (D) lich nötig haben. Dr. Martin Rosemann (SPD): (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Vielen Dank, Herr Präsident. – Herzlichen Dank, Herr Brömer [CDU/CSU]: Wo wohnen Sie eigent- Kollege Hofreiter, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. lich?) Ich würde Sie gerne fragen: Wie passt das, was Sie hier erzählen, eigentlich zur grünen Regierungsrealität dort, Wir brauchen energetische Sanierungen, die sozial ge- wo Sie die Verantwortung tragen? recht sind. Wir brauchen eine Bundesregierung, die den Mut hat, in dieser Situation zu tun, was notwendig ist. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten brauchen eine Bundesregierung, die eine Vorstellung da- der CDU/CSU und der FDP) von hat, wie wir unsere Gesellschaft solidarisch gestalten Ganz konkret, Herr Hofreiter: Ich bin aus Baden-Würt- können, wie wir Klimagerechtigkeit erreichen können. temberg. Da stellt Ihre Partei seit acht Jahren den „Mi- Das alles haben Sie nicht. Sie haben fertig. nischterpräsidenten“, seit acht Jahren den „Umweltmi- nischter“, (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Nichts als Worthülsen! (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der Mann, Mann, Mann!) CDU/CSU und der FDP) und ich kann Ihnen sagen: Was das Erreichen der Klima- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ziele angeht, ist Baden-Württemberg deutlich schlechter Jetzt hat das Wort der Fraktionsvorsitzende von Bünd- als der Bund. Erklären Sie mir das doch einmal! nis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der AfD) Herr Hofreiter, um es noch konkreter zu machen: Beim Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ausbau der Windkraft in Baden-Württemberg passiert Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gar nichts. Da wird kaum ein neues Windrad gebaut. Kollegen! Wenn ich mir das Eigenlob in dieser Debatte Bevor Sie dann wieder auf den Bund zeigen, kann ich von den Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD Ihnen sagen: Ich könnte Ihnen x Beispiele dafür nennen, anhöre, dann zeigt mir das: Sie haben beim Thema Klima- dass der Bau von Windkrafträdern ganz konkret am ba- schutz zu wesentlichen Teilen der Gesellschaft und zur den-württembergischen Planungsrecht scheitert, und die Realität den Kontakt verloren. grün geführte Landesregierung macht gar nichts. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16045

Dr. Martin Rosemann (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einen Großteil dieses Geldes einzubehalten und nicht an (C) der AfD und der FDP) die Menschen zurückzugeben. Deshalb: Wenn Sie ein Also, Herr Hofreiter, erklären Sie mir doch einmal, wie sozial gerechtes System machen wollen, dann schaffen Sie hier die Backen aufblasen können angesichts dieser Sie mit den Einnahmen die Stromsteuer komplett ab. Realität grüner Klimapolitik in diesem Land! Zahlen Sie den Menschen das Energiegeld aus. Geben Sie 100 Prozent der Einnahmen aus den CO2-Abgaben (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der den Menschen direkt und transparent zurück. FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wie des Abg. Lorenz Gösta Beutin [DIE LIN- Als Allererstes stelle ich fest: Da ich selber relativ KE]) starken Dialekt spreche, finde ich es seltsam, dass Sie, Nun kommen wir zu einem zweiten Bereich; wenn Sie aus Baden-Württemberg kommen, mit Ihrer Nachahmung der Aussprache des Umweltministers und (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie haben doch noch des Ministerpräsidenten Dialekt lächerlich machen. gar nichts gesagt, Herr Hofreiter!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- hier ist Ihre Arbeit nicht nur ungenügend, sondern sogar SES 90/DIE GRÜNEN) kontraproduktiv. Das finde ich, ehrlich gesagt, peinlich. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie haben noch gar (Widerspruch bei SPD) nichts gesagt!) Dann zum Inhaltlichen. Ich kann ja absolut verstehen, Denn es sollte doch völlig unstreitig sein, dass wir für dass Sie in Baden-Württemberg peinlich geworden sind, erfolgreichen Klimaschutz den schnellen Ausbau der er- nachdem Sie mehr oder weniger schlecht der Koalitions- neuerbaren Energien brauchen. Wir brauchen sauberen partner für die Grünen waren und die Wahl verloren ha- Strom, um Atom und Kohle zu ersetzen. Elektromobilität ben. Die Grünen bemühen sich seit Jahren, die Windkraft macht nur Sinn mit ausreichend sauberem Strom. Für die auszubauen. Sie bekennen sich zum Ausbau der Wind- Herstellung von grünem Wasserstoff, damit die Chemie- kraft. Sie stehen zum 2-Prozent-Ziel, das für die Fläche industrie CO2-neutral werden kann, damit wir moderne, notwendig ist. Sie leiten die Verkehrswende ein. Sie CO2-neutrale Stahlwerke bekommen, brauchen wir aus- kämpfen um die Landwirtschaftswende. Sie haben dafür reichend sauberen Strom. Ohne genügend sauberen gesorgt, dass es einen Nationalpark gibt. Deshalb: Ich Strom macht das alles keinen Sinn bzw. ist das schlicht unmöglich. (B) empfehle Ihnen, vor Ihrer eigenen Haustür zu kehren. (D) Sie sind hier Vertreter einer Regierungsfraktion. Machen (Beifall des Abg. Dr. [SPD]) Sie Ihren Job! Und was machen Sie bei der Windkraft? Nachdem Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – mit Ihrem Zickzackkurs bereits die Photovoltaikindustrie Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- aus dem Land getrieben haben und Tausende von Arbeits- rufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – plätzen vernichtet haben, Carsten Träger [SPD]: Antworten Sie doch!) Jetzt zu Ihrem Job, den Sie nicht machen. Sie haben es (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da sind wir wieder bei Baden-Württemberg!) geschafft, das Instrument des CO2-Preises ökologisch un- wirksam auszugestalten und es mit sozialer Ungerechtig- machen Sie bei der Windindustrie genau so weiter. Sie keit und rechtlicher Unklarheit zu kombinieren. Ökolo- haben bereits über 30 000 Arbeitsplätze vernichtet. 3 000 gisch unwirksam! Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Arbeitsplätze sind gerade in Gefahr bei einem der führ- eine Preiserhöhung bei Benzin und Diesel, die unter der enden Hersteller. täglichen Preisschwankung an der Zapfsäule liegt, ir- gendeine ökologische Wirksamkeit bringt. (Klaus Mindrup [SPD]: Da sind wir in der Opposition!) (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Entschei- dend ist doch die preisliche Progression! Ge- Was macht der Wirtschaftsminister? Anstatt den komplett setze lesen!) eingebrochenen Ausbau bei der Windkraft wieder flottzu- machen, Da die Union Angst vor dem Wort „Steuer“ hat, haben Sie es auch noch rechtlich unsicher ausgestaltet, und da Sie (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In Ba- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kommt den-Württemberg?) jetzt die Antwort? – Beatrix von Storch [AfD]: kommt aus dem Haus des Wirtschaftsministers eine Re- Das ist Ihre zentrale Rede! Das war bislang gelung, dass einen Kilometer entfernt von fünf Häusern noch nichts!) kein einziges Windkraftwerk mehr gebaut werden kann. sozial ungerecht (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) Aus dem Haus des Wirtschaftsministers kommt eine Re- sind – die Union erzählt uns hier ja gerne, dass sie die gelung, die die meisten Regionalpläne, die in den letzten Menschen entlasten würde –, schaffen Sie es tatsächlich, Jahren aufgestellt wurden, entwertet. 16046 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Anton Hofreiter (A) ( [SPD]: Hat er von Baden- Aber ich will gar keine Schärfe hereinbringen. Wir (C) Württemberg abgeschrieben!) Deutsche haben es eigentlich gut: Wenn wir Hilfe brau- chen, dann nehmen wir entweder Goethe, Marx, die Bibel Das führt zum endgültigen Einbruch der Windkraft. Das oder Luther. dürfen Sie nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kolle- gen von der Koalition. (Zuruf von der FDP: Marx!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Goethe hat sinngemäß gesagt: Es genügt nicht, zu wissen, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) man muss auch anwenden. Es genügt nicht, zu wollen, man muss auch tun. – Sie wissen und wollen. Wir wenden Und was passierte, als der Wirtschaftsminister bei die- an, und wir tun konkret etwas. Das ist einer der Unter- sem Manöver ertappt worden ist? schiede, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hört!) der CDU/CSU) Was hat der Minister getan, als er bei diesem Manöver der uns, glaube ich jedenfalls, ausmacht. ertappt worden ist? Er hat mit dem Finger auf die arme Umweltministerin gezeigt, die immer wieder von der Mit der Forderung der Festlegung des Klimaschutzes SPD im Regen stehen gelassen worden ist, statt diese als leitendes Handlungsprinzip – darauf hat Matthias Regelung sofort zurückzuziehen. Aber Sie haben immer- Miersch eben hingewiesen – haben wir vielleicht einen hin eines erreicht mit Ihren Maßnahmen: Sie haben er- Berg hinter uns gelassen, aber vor uns liegen die Mühen reicht, dass Industrie, Gewerkschaften und Umweltver- der Ebenen. Ganz praktisch will ich darüber reden: Was bände kann eigentlich Steuerrecht beitragen, um Klimaschutz zu fördern? Steuerrecht kann soziales Vertrauen fördern, ( [AfD]: Zivilgesellschaft!) kann Verhalten steuern, kann ökologisches Verhalten be- einvernehmlich gegen Ihre Regierung protestieren. Das lohnen, kann motivieren und anderes sanktionieren. Es ist immerhin auch eine Leistung. kann sozusagen dazu beitragen, Akzeptanz zu schaffen. Wenn wir die Steuer auf Bahntickets mehr als halbieren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dann motivieren wir selbstverständlich. Das geschieht. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Der heutige Tag ist ein weiterer schlechter Tag für den Wenn wir die Luftverkehrsteuer erhöhen und Kosten in- Klimaschutz. Ich habe hier oft an Sie appelliert, endlich ternalisieren, ja auch sanktionieren, dann machen wir das (B) (D) vernünftig zu handeln. Aber nach den letzten Wochen Vernünftige und Richtige im Rahmen des Klimaschutzes. kann man nur sagen: Echter Klimaschutz geht nur gegen Wenn wir Akzeptanz wollen, dürfen wir die Menschen diese Regierung, an dieser Regierung vorbei. aber nicht überfordern. Wir dürfen das nicht auf dem Vielen Dank. Rücken der breiten Schichten der Bevölkerung tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP] meldet wie der Abg. [DIE LINKE] – sich zu einer Zwischenfrage)

Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wo waren denn Dazu reicht es eben nicht aus, nur den CO2-Preis zu erhö- die eigenen Vorschläge, Herr Hofreiter? Da war hen. Das schafft diese Akzeptanz nicht. ja nichts dabei!) (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Blindes Marktvertrauen alleine ist kein sozialer Klima- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Bernhard schutz. Durch die Erhöhung der Entfernungspauschale Daldrup, SPD. kaufen wir Zeit. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Keine Zwischenfrage? Bernhard Daldrup (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Bernhard Daldrup (SPD): ber Toni Hofreiter, mein Kollege Rosemann hat ja sozu- sagen ein bisschen den Finger in die Wunde gelegt, als er Nein. – Und wir geben, glaube ich jedenfalls, den Men- gesagt hat, wie das so mit dem Reden und mit dem Han- schen die Chance, sich auf eine neue Situation einzustel- deln ist und wie das auseinanderklaffen kann. Und wenn len. Das wollen wir nicht nur für diejenigen, die Steuern man dann den Rest Ihrer Rede gehört hat, dann muss man zahlen, sondern auch für die roundabout 250 000 Gering- sagen: Das war im Detail eigentlich eher sparsam; denn verdiener, die eine Mobilitätsprämie erhalten sollen. Das was Sie über die Windenergie gesagt haben – darauf kom- ist jedenfalls unser Verständnis von sozialverträglichem me ich gleich noch zurück – ist zum jetzigen Zeitpunkt Klimaschutz. eigentlich gar nicht Gegenstand dieses Verfahrens. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Umbau unserer Energieversorgung braucht Ent- der CDU/CSU) schlossenheit, die Windenergie braucht sie. Deshalb müs- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16047

Bernhard Daldrup (A) sen Standortflächen für Windenergie auch unterhalb von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) 1 000 Metern Abstand zu Wohngebieten – auch in den der CDU/CSU) Ländern, in denen die Grünen regieren – tatsächlich er- möglicht werden. Repowering muss ermöglicht werden. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Novellierung von § 35 Baugesetzbuch, die eben von Andreas Bleck, AfD, ist der nächste Redner. Toni Hofreiter angesprochen worden ist, werden wir uns vornehmen. Das ist so nicht akzeptabel; das ist in der Tat (Beifall bei der AfD) richtig. Andreas Bleck (AfD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kolle- Aber darüber werden wir dann reden, wenn das Gesetz gen! Der Deutsche Bundestag berät und beschließt heute hier ansteht, und nicht heute, weil es heute hier kein Re- in einem Tagesordnungspunkt über mehrere Gesetzent- gelungssachverhalt ist. würfe, Entschließungsanträge und Anträge zum Klima- schutz. Diese beinhalten im Wesentlichen drei Forderun- (Beifall bei der SPD) gen: erstens verteuern, zweitens verknappen, drittens verbieten. Der Steuerzahler und der Wähler werden sich Wir wollen übrigens auch die Kommunen durch stär- über dieses vorgezogene Weihnachtsgeschenk sicherlich kere Beteiligung an der Wertschöpfung gewinnen. Des- freuen. halb soll es eine Grundsteuer W geben, die bereits 2020 in Kraft treten soll, und wir hoffen sehr darauf, dass im (Beifall bei der AfD) weiteren Verfahren auch noch mal über die Grundsteuer Das Klimaschutzpaket der Großen Koalition ist dabei C gesprochen wird, weil sie eigentlich gleichermaßen der Startschuss für das wohl größte Deindustrialisie- 2020 in Kraft treten müsste. rungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Das Steuerrecht kann auch Investitionen auslösen, erst Deutschland. recht in einem Land mit einem ausgeprägten Steuerspar- (Beifall bei der AfD) trieb der eigenen Bevölkerung. Das machen wir. Der Ge- bäudebereich ist von besonderer Klimarelevanz. Wir Es gefährdet unsere Wirtschaft, Energieversorgung sowie schaffen meines Erachtens massive steuerliche Anreize, Mobilität und damit den Wohlstand unseres Landes und um Wohnungen, um eigene Häuser klimafreundlich zu unserer Bürger. Während viele Kinder freitags gegen die machen. Wir wollen das übrigens einfach und bürokratie- deutsche Automobilindustrie demonstrieren, müssen vie- arm machen. Aber auch eine komplexere Energiebera- le Väter, die bei Mercedes-Benz, BMW oder Volkswagen (B) tung soll steuerlich geltend gemacht werden können. gearbeitet haben, montags stempeln gehen. (D) Pro Objekt können bis zu 200 000 Euro investiert werden, Dass wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen, ist auf steuerlich bis zu 40 000 Euro erspart werden. Das ist, die Klimareligion zurückzuführen. glaube ich, eine wirklich großzügige und sehr vernünftige Form der Unterstützung. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ihr Dogma ist der menschengemachte Klimawandel. Die der CDU/CSU) Erlösung und damit die Antwort auf die Frage, ob der Klimaschutz erfolgreich ist oder nicht, treten erst nach Es gelten für diejenigen, die die steuerliche Förderung dem Tod der meisten jetzt davon Betroffenen ein. Der nicht in Anspruch nehmen wollen, weiterhin die Pro- Ablasshandel ist die CO2-Bepreisung, die Prophetin Gre- gramme von KfW und BAFA als Alternative. ta Thunberg, die Ketzerin die AfD. Wir werden die entsprechenden Mindestanforderungen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) in einer Rechtsverordnung festschreiben, die wir hier im Doch selbst wenn es den menschengemachten Klima- Deutschen Bundestag im Übrigen behandeln werden. Die wandel geben sollte, kann die Große Koalition als Anhän- Neukonzeption der Bundesförderung für effiziente Ge- gerin der Klimareligion das Klima nicht schützen. China, bäude muss dies auch berücksichtigen. die Vereinigten Staaten und Indien haben zusammen ei- nen Anteil von 50 Prozent an den weltweiten CO -Emis- Ich habe vorhin von den Mühen der Ebenen gespro- 2 sionen. Während Deutschland als energiepolitischer chen. Das ist etwas weniger emotional, als das hier bisher Geisterfahrer aus der Kohlekraft aussteigen möchte, be- der Fall gewesen ist. Im Gebäudesektor sollen die Jahres- finden sich in diesen Ländern Tausende Kohlekraftwerke emissionsmengen von 118 Millionen Tonnen CO -Äqui- 2 in Planung und Bau. Vor diesem Hintergrund kann valente auf 70 Millionen Tonnen bis 2030 sinken. Dazu Deutschland mit seinem Anteil von gerade einmal 2 Pro- werden die steuerlichen Maßnahmen entscheidend bei- zent an den weltweiten CO -Emissionen das Klima nicht tragen. 2 beeinflussen. Den Protest, die Demonstrationen für mehr Klima- (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer schutz in praktische Politik umzusetzen, das ist der Auf- [CDU/CSU]: Sollen wir also nichts machen? trag, den wir annehmen und den wir tatsächlich machen. Niemals?) Das tun wir mit den Menschen und nicht gegen sie. Wenn Sie von CDU/CSU und SPD trotzdem in Herzlichen Dank. Deutschland die CO2-Emissionen auf null reduzieren 16048 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Andreas Bleck (A) möchten, müssen Sie auch die finanzielle und technische Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Realisierbarkeit ermöglichen. Das ist jedoch nicht zu er- Andreas Jung, CDU/CSU, ist der nächste Redner. kennen. Bei der Energiewirtschaft liefern Sonnenkraft und Windkraft beispielsweise zwar CO2-freien, aber in- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- stabilen Strom, also Klimaschutz zulasten der Versor- ordneten der SPD) gungssicherheit. Da uns auf absehbare Zeit die notwendigen Speicher Andreas Jung (CDU/CSU): fehlen und mehr Biogasanlagen wegen mehr Energie- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir mais-Monokulturen aus Gründen des Naturschutzes kei- handeln beim Klimaschutz: Wir bringen jetzt die Diskus- ne Alternative sind, sind wir weiterhin auf den stabilen sion, die wir in letzten Monaten intensiv geführt haben, in Strom aus Kohlekraft angewiesen; denn die Kernkraft, Gesetzesform. Es ist unser deutliches Signal: Wir nehmen ernst, was viele Menschen von uns erwarten. Wir nehmen die sowohl einen CO2-freien als auch stabilen Strom ge- währleisten würde, lehnen Sie ja kategorisch ab. Das ist ernst, was die Wissenschaft sagt. Wir handeln und setzen ein Fehler, da die Kernkraft definitiv einen Beitrag zum die Dinge konkret um. Klimaschutz leisten könnte. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Wir heben die Klimapolitik auf eine neue Ebene. Wir Beim Verkehr setzt die Große Koalition trotz Entde- setzen mit dem Klimaschutzgesetz das um – Matthias ckung der synthetischen Kraftstoffe – Kompliment! – Miersch hat es gesagt –, wofür Klimapolitiker, wofür nach wie vor auf die Elektromobilität mit Lithium-Io- Umweltverbände, wofür Klimabewegte seit vielen Jahren nen-Akkus. Wegen langer Ladezeiten und geringer gekämpft haben. Klimaziele bleiben nicht Programme Reichweiten sind Stromer zwar im städtischen Raum, der Regierung. Sie werden gesetzlich verbindlich. Sie aber nicht im ländlichen Raum alltagstauglich. Im Ver- werden konkret kontrolliert. Sie werden verbindlich ein- gleich zum Benziner oder Diesel sind diese jedenfalls gehalten. Wo es ein Problem gibt, wird nachgesteuert. nicht wettbewerbsfähig – trotz Fahrverboten, trotz Prä- Dieses Parlament wird darauf Wert legen, wird Transpa- mien. renz herstellen und wird dafür sorgen, dass am Ende das, was jetzt passiert ist, dass nämlich eine Lücke entstanden (Beifall bei der AfD) ist, nicht mehr passieren wird. Klimaziele werden in Zu- Dass zudem Umwelt und Natur für den Abbau von Li- kunft verbindlich eingehalten. thium und Kobalt in anderen Ländern zerstört werden, um (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sie in Deutschland vermeintlich zu schützen, setzt dem (B) ordneten der SPD) (D) Ganzen noch die Krone auf und ist zutiefst unanständig. Wir etablieren dazu neue Mechanismen. CO2 bekommt (Beifall bei der AfD) einen Preis im Bereich Verkehr und Gebäude. CO2 wird Alles in allem bleibt doch festzuhalten, dass unsere zu einem wichtigen Maßstab in der Besteuerung. Und: Bürger mit dem Klimaschutzabkommen abkassiert wer- Wir setzen ganz konkret Programme um, mit denen wir den. Die CO2-Bepreisung bei Benzin und Diesel sowie die Menschen beim notwendigen Umbau, bei dem not- die Erhöhung der Luftverkehrsteuer verteuern die Mobi- wendigen Umstieg unterstützen. Es braucht selbstver- lität, ohne dass im ländlichen Raum oder bei Langstre- ständlich Veränderungen. Weiter-so kann nicht die Bot- ckenflügen wirkliche Alternativen bestehen. Das ist ein- schaft in einer Situation sein, in der eine Lücke entstanden fach ungerecht. ist. Deshalb muss unsere gemeinsame Botschaft sein: Ja, Veränderungen sind notwendig. Aber unsere Botschaft ist (Beifall bei der AfD) auch: Wir wollen und wir müssen diese Veränderungen Nein, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU gestalten. Wir müssen die Menschen mitnehmen. Wir und SPD, mit Ihrem Klimaschutzpaket schützen Sie nicht müssen denjenigen, die in alten Häusern wohnen, die das Klima, sondern die Große Koalition. Angesichts der ineffiziente Heizungen haben, die sich nicht von einem Eindrücke Ihrer katastrophalen Wahlergebnisse in den Tag auf den anderen ein neues Auto kaufen können, auf- Ländern haben Sie einen Burgfrieden auf Basis des klein- zeigen, wie es geht. Das ist der Geist, den dieses Paket sten gemeinsamen Nenners geschlossen. Sie wollen sich atmet. Deshalb bringt es uns voran. im Bund mit Hängen und Würgen in die zweite Halbzeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- retten. Dementsprechend sieht auch Ihr Klimaschutzpa- ordneten der SPD) ket aus. Herr Kollege Hofreiter, zum Thema Realität. Die Rea- Die AfD möchte hingegen eine bezahlbare, sichere und lität ist, dass wir den Menschen dazu Angebote machen zuverlässige Energieversorgung. Im Unterschied zu müssen. Die Realität ist, dass wir seit vielen Jahren über Ihnen wollen wir die individuelle Mobilität nicht schwä- die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung immer chen, sondern stärken. Wir bekennen uns daher zur deut- wieder diskutiert haben. Wir sind am Bundesrat immer schen Automobilindustrie und Verbrennungsmobilität. wieder gescheitert. Jetzt bringen wir diese Förderung auf Kurzum: Benziner und Diesel statt Stromer! den Weg. Sagen Sie doch bitte Ihren grünen Ländervert- Vielen Dank. retern: Wenn man jetzt fordert, dass das bereitgestellte Geld beispielsweise in die Senkung der EEG-Umlage (Beifall bei der AfD) und andere Dinge investiert wird, dann kann dieses Geld Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16049

Andreas Jung (A) nicht gleichzeitig den Ländern als Kompensation ihrer weltweit exportieren. Deshalb ist es der Weg, den wir (C) Einnahmeausfälle zur Verfügung stehen. unterstützen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) es!) Da müssen Sie sich schon entscheiden: Soll das Geld den Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Menschen gegeben werden oder die Einnahmeausfälle Herr Kollege Jung, ich habe noch nicht verstanden: der Länder kompensieren? Diese Frage müssen auch Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bystron zu? die Grünen beantworten. Andreas Jung (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ja. neten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ganz wichtige Frage!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dann ist vonseiten der AfD über die Automobilindust- Es gibt weitere Wünsche nach Zwischenfragen. Der rie gesprochen worden. Ich will sagen: Es macht mich Kollege Bystron war der Erste, der sich gemeldet hat. – betroffen, dass hier im Deutschen Bundestag der Satz Bitte, Herr Kollege Bystron. gesagt wurde: Die Automobilindustrie gibt den Löffel ab. Die Automobilindustrie ist in einer schwierigen Situa- Petr Bystron (AfD): tion. Die Automobilindustrie muss sich dem Wettbewerb Lieber Kollege Jung, vielen Dank, dass Sie die Frage stellen. Unsere Automobilindustrie muss den Wettbewerb zulassen. Sie haben jetzt gerade ausgeführt, wir seien ge- um neue Technologien gewinnen. Wenn Marc Bernhard gen die deutsche Automobilindustrie. Ich muss Ihnen ei- sagt: „Die Automobilindustrie gibt den Löffel ab“, dann nes sagen: Die deutsche Automobilindustrie ist wettbe- redet er eine Kernindustrie unseres Landes schlecht, werbsfähig. Vor allem: Sie hat einen technologischen (Karsten Hilse [AfD]: Das macht er gar nicht! Vorsprung. Sie machen die Automobilindustrie kaputt!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann und das tut er in der billigen Absicht, billige Polemik reden Sie doch mit Ihrem Kollegen, damit der darauf aufzusetzen. Ich schäme mich für diese Bewertun- nicht so einen Unsinn erzählt!) gen. Ich habe über zehn Jahre in dem Bereich gearbeitet. Ich war bei allen A-Messen in der Welt – Detroit, Tokio, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) Frankfurt usw. – dabei, und es war ganz klar, dass wir (D) Der zweite Redner der AfD sagte gerade eben: Wir vor allem mit der Dieseltechnologie einen technologi- bekennen uns zur Automobilindustrie und zum Verbren- schen Vorsprung vor allen anderen Mitbewerbern hatten. nungsmotor. Wir sagen: Technologieoffenheit ist wichtig. Jetzt kommt eine künstlich in den Markt gedrängte, Deshalb hat Effizienz beim Verbrennungsmotor genauso staatlich subventionierte Technologie, die unterlegen ist, seine Berechtigung wie Elektromobilität, wie Wasser- nämlich das Elektroauto. Den Elektroantrieb gibt es seit stoff, wie synthetische Kraftstoffe. Das ist unser Weg. über 100 Jahren. Er hat sich am Markt nicht durchgesetzt, Aber nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, dass die deut- weil er nicht wettbewerbsfähig war, und Sie unterstützen sche Automobilindustrie – – das auch noch. In welchen Ländern wird dieser Antrieb subventioniert? Vor allem in China und in den USA. Auch Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sie unterstützen das, und damit machen Sie die deutsche Herr Kollege Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Automobilindustrie kaputt; damit machen Sie unseren Wettbewerbsvorteil kaputt.

Andreas Jung (CDU/CSU): (Beifall bei der AfD) Ich mache den Satz fertig. Dann würde ich die Zwi- Andreas Jung (CDU/CSU): schenfrage akzeptieren. Mit Verlaub, ich bin weit davon entfernt, alles, was die Ola Källenius, Vertreter eines baden-württembergi- Automobilindustrie uns vorschlägt, eins zu eins überneh- schen Unternehmens, sagt, man habe den Hebel umgelegt men zu wollen. Das müssen wir immer kritisch beobach- und für sich ohne irgendeine Einflussnahme, ohne irgend- ten. Die Politik setzt den Rahmen. Aber das, was Sie ge- eine Rücksicht auf politische Entscheidungen beschlos- rade beschrieben haben, steht in einem diametralen sen: Ja, wir wollen mit voller Energie in Elektromobilität Widerspruch zu dem, was die deutsche Automobilindust- gehen, weil wir hier einen Antrieb, einen Weg in die Zu- rie selber für richtig hält. kunft der Automobilindustrie sehen und weil es eine Fra- ge der Wettbewerbsfähigkeit ist, weil die Frage der Zu- (Karsten Hilse [AfD]: Quatsch! Weil Sie sie kunftsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie sich dazu zwingen!) daran entscheiden wird, ob sie innovativ ist, ob sie beim Natürlich sagt sie: Wir wollen auch weiterhin in Effi- Wettbewerb um die Technologien der Zukunft vorne ist. zienz in der Dieseltechnologie investieren. Aber sie sagt Dann wird unsere Industrie punkten. Dann wird es Ar- auch – es ist doch öffentlich bekannt; Sie können es nach- beitsplätze geben. Dann werden wir beim Klimaschutz lesen –: Wir sehen die Zukunft im Bereich der Elektro- vorankommen, und dann werden wir unsere Produkte mobilität. Wir wollen sie auch in Deutschland auf den 16050 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Andreas Jung (A) Markt bringen. Aber um sie auf den Markt zu bringen, Wie viel kostet uns das Klimapaket auf der einen Seite, (C) müssen wir bestimmte Rahmenbedingungen haben. – und wie viel bringt es an Effekt an nicht erhöhter Tempe- Diese Rahmenbedingungen schaffen wir mit diesem Kli- ratur im Weltmaßstab? Wie groß ist der Effekt? mapaket. Wir müssen den Menschen sagen: Wir erwarten Veränderungen, und wir wollen dabei individuelle Mobi- Andreas Jung (CDU/CSU): lität erhalten. Zu dieser individuellen Mobilität gehört die Wir werden mit diesem Klimapaket unserer Verant- Stärkung der Schiene, gehört die Stärkung des ÖPNV. – wortung, die wir für den Klimaschutz haben, gerecht. Das leisten wir mit diesem Paket: Zugfahren wird billiger, Weil Sie fragen: „Was ist die Auswirkung, die deutsche und es wird entsprechend investiert. Maßnahmen auf das Weltklima haben?“, will ich einfach feststellen, dass wir doppelt so viel CO ausstoßen wie die Aber auch in Zukunft gehört zur individuellen Mobili- 2 Menschen weltweit im Schnitt. tät, die ein Ausdruck von Freiheit ist, die ein Ausdruck von sozialer Teilhabe ist, selbstverständlich auch das Au- (Beatrix von Storch [AfD]: Was das kostet, war to. Dafür muss das Auto aber klimafreundlicher werden; die Frage!) sonst erreichen wir die Ziele, die wir beim Klimaschutz anstreben, nicht. Sie negieren diese Ziele, weil Sie das, Um Ihre Frage konkret zu beantworten: Wir werden es so was wir als Wertgrundlagen beschreiben, was unser Papst umsetzen, dass es sozialverträglich geschieht. Unsere als besonders wichtige Aufgabe beschreibt – „Verteidi- Antwort ist: konsequenter Klimaschutz auf der einen Sei- gung der Mutter Erde“ –, te, sozialverträglich und wirtschaftlich vernünftig auf der anderen Seite. So werden wir es tun, und deshalb werden (Karsten Hilse [AfD]: Welchen Papst meinen wir die Menschen mitnehmen. – Herzlichen Dank. Sie denn?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und was wir als einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung un- der SPD) serer Heimat empfinden, weil es zum Beispiel um den Ich komme damit zum Schluss. Wir machen heute ei- deutschen Wald geht, ablehnen; das alles negieren Sie. nen entscheidenden Schritt auf dem Weg, Klimaschutz Für uns ist das wichtig. Wenn das aber richtig ist, dann konsequent umzusetzen, das Pariser Abkommen in muss auch das Auto klimafreundlicher werden. Dazu ist Deutschland zu implementieren. Auf diesem Weg werden Elektromobilität ein wichtiger Beitrag. wir weitergehen. Mit der Förderung der Infrastruktur, mit Kaufprämien, Herzlichen Dank. mit steuerlichen Maßnahmen ermöglichen wir den Men- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) schen, diese Technologie auch tatsächlich in Anspruch zu (D) nehmen, sich so ein Auto zu kaufen, es im ländlichen ordneten der SPD) Raum auch zu fahren. Damit ist unsere Antwort auf die Frage „Wie bringen wir Klimaschutz und Wirtschaftlich- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: keit zusammen?“ technologieoffen. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Lukas Köhler, FDP. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der FDP) Herr Kollege Jung, es gibt eine Reihe von weiteren Wünschen nach Zwischenfragen aus der AfD-Fraktion. Dr. Lukas Köhler (FDP): (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Immer Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten dasselbe!) Damen und Herren! Seit einem halben Jahr diskutieren wir ernsthaft und intensiv über das Thema der CO2-Be- Ich frage Sie, ob Sie noch eine weitere Zwischenfrage preisung, und es steht zu Recht ganz oben auf der politi- zulassen, und zwar vom Kollegen Hollnagel. schen Agenda. Es wird als die effektivste und effizientes- te Form, als Rückgrat der Klimapolitik bezeichnet, und das von so ziemlich allen Wissenschaftlerinnen und Wis- Andreas Jung (CDU/CSU): senschaftlern. Dabei hat man die Auswahl zwischen einer Ich würde eine Frage noch zulassen. Steuer und einem Mengenmodell. Auch da sind sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig: Ein Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Emissionshandel, also ein Mengenmodell, ist das sinn- vollere, ist das effizientere und ist vor allen Dingen das Eine noch. Weitere Zwischenfragen lasse ich dann erreichbare Ziel. Ich kann Ihnen nur zurufen: „Unite be- nicht zu, weil wir sonst völlig aus dem Zeitplan kom- hind the science.“ men. – Bitte, Herr Kollege Hollnagel. (Beifall bei der FDP) Dr. Bruno Hollnagel (AfD): Entscheidet man sich aber für einen Emissionshandel, Herr Präsident! Vielen Dank für das Wort. – Herr Kol- dann muss man sehen, dass es nur dann ein Emissions- lege Jung, ich habe eine ganz einfache Frage: handel ist, „wenn die Zahl der ausgegebenen Berechti- gungen hinter dem Bedarf zurückbleibt, kann sich ein (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann Marktpreis bilden, der die Marktteilnehmer zu kostenef- mal los!) fizientem Verhalten veranlasst ... Ohne diese staatliche Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16051

Dr. Lukas Köhler (A) Festlegung der Nutzbarkeit der Luft wäre das Emissions- Wir haben einen Antrag vorgelegt, mit dem das besser (C) handelssystem funktionslos …“ Meine Damen und Her- funktionieren würde, meine Damen und Herren. Schaffen ren, das sind nicht meine Worte, das sind die Worte des Sie es doch bitte, das umzusetzen, was sinnvoll ist, was Bundesverfassungsgerichts. nötig ist. Ich hoffe auf Ihre Vernunft. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Karsten Hilse [AfD]: Also, von Steuern „begeistert“!) Sie legen aber kein CO2-Limit fest. Sie machen die Zertifikate nicht handelbar. Sie sorgen nicht dafür, dass diese Grundvoraussetzungen des Emissionshandels auch Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nur im Ansatz erfüllt sind. Sie schaffen es nicht – zumin- Jörg Cezanne, Die Linke, ist der nächste Redner. dest nicht nach dem, was ich hier gerade vorgelesen ha- be –, eine Umsetzung auch nur im Ansatz so zu machen, (Beifall bei der LINKEN) dass das Bundesverfassungsgericht zu Recht sagen wür- de: Das ist ein Emissionshandel. Jörg Cezanne (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Bun- Lassen Sie mich dazu das Bundesverfassungsgericht desregierung ist unfähig und in Teilen wohl auch nicht noch einmal zitieren: willens, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Durch Bestimmung des Cap, also der Gesamtmenge Herausforderungen der vor uns liegenden großen Trans- der zulässigen Emissionen …, setzt der Staat den formation wirklich offensiv anzugehen. Marktmechanismus überhaupt erst in Gang. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz setzt Brömer [CDU/CSU]: Das sehe ich anders!) gar nichts in Gang. Es ist eine reine CO2-Steuer, die kli- Statt den Herausforderungen, die vielen Menschen klar mapolitisch wirkungslos bleibt und trotzdem den Men- sind und von denen sie erwarten, dass sie angegangen schen in Deutschland tief in die Tasche greift, und zwar werden, entsprechend zu begegnen, bleiben Sie bei halb- jedem; herzigen Reparaturen am bestehenden System stecken. Nirgendwo lässt sich das besser darstellen als an dem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Versuch einer CO2-Bepreisung und dem verkorksten Ausgleich der finanziellen Belastungen für die Bevölke- denn jeder Mensch fährt Auto, jeder Mensch heizt. Das rung. Sie machen keinen Mut. Sie eröffnen keine neuen kann doch nicht das Ziel sein. Perspektiven. Sie bleiben im bestehenden Rahmen ste- cken. Das wird nicht genügen. (B) Es kann doch nicht sein, dass das einzige Argument der (D) Bundesregierung, das dagegenspricht, ist, dass das Ver- (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- fassungsgericht sagt: Es könnte doch gut sein, dass es eine Brömer [CDU/CSU]: Jetzt kommt Ihr Vor- Übergangszeit ist. – Selbst das ist ja wahrscheinlich nicht schlag!) haltbar. Aber was ist das denn für ein Anspruch der Bun- desregierung, zu sagen: „Ja, in sechs Jahren wird das Um die Belastungen durch die eingeführte CO2-Be- hoffentlich verfassungskonform sein“? Was ist denn das preisung, die unter Klimaschutzgesichtspunkten, wie für ein Anspruch an sich selber? schon gesagt wurde, praktisch wirkungslos bleiben wird, auszugleichen, will die Bundesregierung 550 Millionen (Beifall bei der FDP) Euro pro Jahr für eine Erhöhung der Entfernungspauscha- Es gibt nicht „ein bisschen verfassungswidrig“. Es gibt le von 30 auf 35 Cent pro Kilometer ausgeben. Diese „verfassungswidrig“ oder „nicht verfassungswidrig“. Entfernungspauschale ist eine steuerliche Entlastung für Meine Damen und Herren, Anspruch deutscher Politik, den Weg zur Arbeit. Sie hat aber einen Haken: Wer viel gerade der Union, muss es doch sein, ein Gesetz zu schaf- Steuern zahlt, wird viel entlastet, und wer wenig Steuern fen, das nicht von Anfang an unter massiver Kritik steht, zahlt, wird wenig entlastet. vor allen Dingen wegen massiver rechtlicher Bedenken. (Zuruf von der FDP: Das ist auch gut so!) (Michael Theurer [FDP]: Richtig! Absolut!) Wer so wenig Einkommen hat, dass er keine Steuern Und so etwas wird dann auch noch dazu genutzt, den Rest bezahlt, kriegt überhaupt keine Entlastung. Das ist sozial zu finanzieren. Wenn Ihnen das um die Ohren fliegt, extrem ungerecht. meine Damen und Herren, dann verlieren Sie die Begeis- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia terung in der Bevölkerung für die CO2-Bepreisung, dann Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – verlieren Sie die Begeisterung für den Klimaschutz kom- Beatrix von Storch [AfD]: Wer keine Steuern plett. zahlt, kann keine Steuern sparen!) (Karsten Hilse [AfD]: Begeisterung? Lukas, Das führt im Extremfall dazu, dass Spitzenverdiener pro bitte!) Kilometer 14 Cent steuerliche Entlastung erhalten, Das Problem ist doch: Dann machen Sie gar keinen Kli- (Frank Pasemann [AfD]: Deshalb sind die alle maschutz mehr; denn dann haben Sie das Rückgrat der so reich!) Klimapolitik verloren. während die Verkäuferin mit Niedriglohn bestenfalls auf (Beifall bei der FDP) 4 Cent kommt. 16052 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Jörg Cezanne (A) Das wollen wir, die Gewerkschaften und viele andere (Klaus Mindrup [SPD]: Das ist doch erst der (C) Akteure aus der Zivilgesellschaft ändern. Wir schlagen Anfang!) ein Mobilitätsgeld vor, das pro Kilometer Arbeitsweg ei- So etwas wie die Reform der Kfz-Steuer, die Sie verab- nen gleich hohen Betrag für jeden Kilometer auszahlt. redet haben, taucht überhaupt nicht mehr auf. Dieses Mobilitätsgeld soll die Entfernungspauschale er- setzen und wird gerade Menschen mit geringeren Ein- Das Problem ist doch vor allem, kommen zur Verfügung gestellt werden. ( [CDU/CSU]: Dass Sie keine (Beifall bei der LINKEN) Vorschläge haben!) Dabei geht es nicht nur um einen Ausgleich der wach- dass Sie bestimmte Dinge überhaupt nicht thematisieren, senden Belastungen, sondern es geht auch um die Erhö- dass Sie überhaupt nicht darüber reden, umweltschädli- hung der Spielräume für diesen Teil der Gesellschaft, sich che Emissionen und so etwas abzubauen. Das machen Sie auf die neuen gesellschaftlichen Veränderungen einzu- an der Stelle überhaupt nicht. stellen. ( [CDU/CSU]: Stichwort Ich will noch einen zweiten Aspekt ansprechen, der in „Baden-Württemberg“!) Ihrem Gesetz aus unserer Sicht immerhin in die richtige Sie finden überhaupt niemanden in diesem Land, der Richtung geht. Sie erhöhen die bestehende Luftverkehr- wohlwollend über Ihr Klimapaket redet. steuer in einem geringeren Maß. Das Kernproblem bei der Luftfahrt ist, dass sie in einem besonders hohen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Maß zum Klimawandel beiträgt, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das muss an der Stelle mal klar gesagt werden. (Zurufe von der AfD) weil eben nicht nur der Verbrauch des Kraftstoffs, son- (Zuruf der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/ dern die bei der Verbrennung dieses Kraftstoffes in großer CSU]) Höhe ausgestoßenen Schadstoffe einen besonders hohen Sich dann hier hinstellen, auf die Opposition zeigen Klimaschaden verursachen. Dass ausgerechnet diese Ver- und sagen: „Die ist schuld“: Wer, verdammt noch mal, kehrsform bisher von einer Energiebesteuerung vollstän- regiert denn in diesem Land? dig ausgenommen wird, ist völlig systemwidrig und muss unbedingt behoben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Baden- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Württemberg!) (B) (D) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer ist denn dafür verantwortlich, dass in Baden-Würt- Wir haben gerade bei den Kurzstreckenflügen bis temberg die Ausschreibungen dazu führen, dass dort kei- 500 Kilometer die Möglichkeit, diese Flüge schon heute ne Windenergie ausgebaut werden kann? Wer verantwor- auf bestehende Bahnverbindungen zu verlegen. Das muss tet das? Es muss an der Stelle klipp und klar gesagt dringend eingeleitet werden. Diese Herausforderungen werden, dass das hier so nicht weitergehen kann. gehen Sie bislang völlig ungenügend an. Daran wird un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sere Fraktion Sie weiterhin erinnern und versuchen, Sie Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer re- weiter in diese Richtung zu treiben. giert denn in Baden-Württemberg, verdammt Ich danke Ihnen. noch mal?) (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen eines: Sie haben es vorgestern geschafft, dass die Energie- und Industrieverbände und parallel dazu die Umweltverbände eine fast gleiche Stellungnahme ge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: gen Herrn Altmaier abgeben. Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächs- te Redner. (Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD]) Die geben sie nicht gegen Winfried Kretschmann ab; die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geben sie gegen diese Bundesregierung und diesen Wirt- schaftsminister ab. Die stehen in der Pflicht. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird Zeit, dass man die Debatte hier noch mal vom Kopf Wir können hier gerne die Debatten von Baden-Würt- auf die Füße stellt. temberg führen, gerne auch die von Schleswig-Holstein und auch gerne die von Bad Münstereifel, wenn Sie das (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sagen Sie wollen. Aber Sie haben hier die Verantwortung. mal was über Baden-Württemberg!) Sie haben am 20. September 2019 ein Klimapaket vorge- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die legt und es dann im Kabinett verabschiedet, von dem die nehmen wir auch wahr! – Zuruf des Abg. Klaus wohlwollendsten Fachleute sagen, es wird bestenfalls da- Mindrup [SPD]) zu reichen, ein Drittel Ihrer Ziele zu erreichen. Jetzt haben Sie sind Teil der Bundesregierung. Sie machen die Ener- Sie einen kleinen Teil dieses Paketes hierhingelegt. giewende kaputt, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16053

Oliver Krischer (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zurufe der Abg. Katrin Göring-Eckardt (C) weil Sie eben nicht verstanden haben, dass Klimaschutz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Voraussetzung für eine moderne Industrienation ist, Wir machen uns auf den Weg, es mit Leben zu füllen, beispielsweise mit einem Beitrag zur Verkehrswende, die (Zuruf von der AfD: Unfug!) wirksam wird. Bei der Bahn sind wir schon mit Investi- für Wohlstand und Wertschöpfung. Sie deindustrialisie- tionsprogrammen gestartet. Mit dem Gesetzespaket wird ren das Land. beispielsweise klimaverträgliches Bahnfahren über die Senkung der Umsatzsteuer billiger und attraktiver. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der (Beifall der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD]) CDU/CSU und der AfD – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Tata! Tata! – Zuruf von Gleichzeitig wird klimaschädliches Fliegen über die Luft- der SPD: Dann gehen Sie doch zur AfD!) verkehrsteuer teurer. Das sind zielgenaue Maßnahmen zur CO2-Reduktion und damit zur Einhaltung der Klima- Ehrlich gesagt, finde ich es ein Unding: Sie vergolden ziele. Das ist gut, und das bringen wir auf den Weg. jeden Arbeitsplatz in der Braunkohle, der sowieso keine Zukunft mehr hat, mit 2 Millionen Euro – mit 2 Millionen (Beifall bei der SPD) Euro! Wenn Tausende von Arbeitsplätzen in der Wind- energie abgeschafft werden, dann ist das diesem Wirt- Übrigens: Dem Ansinnen, besonders die Kurzstrecken schaftsminister nicht einmal eine Pressemitteilung wert. zu vermeiden, kommen wir nach, indem wir überpropor- tional die Steuern für Kurzstreckenflüge erhöhen. Es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geradezu erwünscht, dass die sogenannten Billigflüge da- Das zeigt, dass Sie ganz offensichtlich in zwei Klassen mit teurer werden. von Industriearbeitsplätzen denken. Andererseits muss Klimaschutz aus unserer Sicht auch gerecht und sozial ausgewogen sein. Ich vernehme immer Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wieder Kritik an der Erhöhung der Entfernungspauschale Herr Kollege Krischer. ab dem 21. Kilometer und teilweise auch an der Mobili- tätsprämie. Da wird dann von „Profiteuren“ und „Beloh- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nung“ gesprochen. Ich stelle hier deutlich fest: Arbeit- Und das ist nicht akzeptabel, meine Damen und Her- nehmerinnen und Arbeitnehmer, die immer noch ren. zwingend auf den Pkw angewiesen sind, um zur Arbeit zu gelangen, profitieren nicht von einer solchen Entfer- (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nungspauschale, sondern sie werden wegen der anfallen- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war den Mehraufwendungen stärker belastet. Wer immer der Versuch, Herrn Hofreiter zu retten!) noch auf das Auto angewiesen ist, um zur Arbeit zu ge- langen, und eben nicht – noch nicht – auf Bus und Bahn Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: umsteigen kann, der kann darüber nicht selber verfügen. Deswegen wollen wir diese Belastung mindern, damit es Danke schön. – Michael Schrodi, SPD, ist der nächste in unserem Land gerecht zugeht. Redner. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Und: Weil diese Maßnahme auch ausgewogen sein Michael Schrodi (SPD): soll, haben wir eine Mobilitätsprämie vereinbart. Warum? Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Die steuerliche Förderung über die Entfernungspauscha- Kollegen! Bei manchen ist deutlich zu spüren, dass der le – das ist richtig so dargestellt worden – hilft nur Perso- Schmerz groß ist, dass nicht sie es sind, die nun ein sol- nen, die so viel verdienen, dass sie auch Steuern zahlen. ches Klimaschutzgesetz einbringen können und einbrin- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die über 20 Kilo- gen dürfen. meter zur Arbeit pendeln, aber lediglich ein Einkommen unter dem Grundfreibetrag haben, profitieren davon (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich nicht. Wir wollen aber, dass gerade auch diese Arbeit- weiß nicht, ob sie so weit sind!) nehmerinnen und Arbeitnehmer entlastet werden. Dafür Herr Hofreiter und liebe Kolleginnen und Kollegen von wird unsere Mobilitätsprämie entsprechend der Entfer- den Grünen, Sie haben jetzt viel erzählt, wofür Sie alles nungspauschale ausbezahlt. Damit werden auch Gering- kämpfen wollen. Aber Sie haben nicht gesagt, was Sie verdiener spürbar entlastet. denn konkret in Baden-Württemberg, in Hessen und woanders tun, wo Sie es tun könnten, liebe Kolleginnen Wir bringen also Klimaschutz sozial gerecht auf den und Kollegen. Weg, und deswegen ist das ein guter Tag für dieses Land. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Wir machen. Wir tun. Wir beschließen heute ein Kli- maschutzgesetz, das ein Meilenstein für den Klimaschutz Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ist. Jetzt hat das Wort die Kollegin Katja Hessel, FDP. 16054 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) (Beifall bei der FDP) Dann haben wir noch die Senkung der Mehrwertsteuer (C) bei der Bahn, aber keine Mehrwertsteuersenkung bei an- Katja Hessel (FDP): deren Verkehrsträgern. Auch hier konnten wir gestern Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und lesen, dass eine Klage angestrebt ist. Wir werden auch Kollegen! Schon wieder ein guter Tag für Deutschland – hier sehen, was dabei herauskommt. ich dachte, das hätten wir gestern schon oft genug gehört. Als zweite Lenkungswirkung der Luftverkehrsteuer (Heiterkeit des Abg. Andreas Bleck [AfD] – wird angeführt, Fliegen werde teurer für die Kunden. Andreas Bleck [AfD]: Das stimmt! – Zuruf Fliegen wird nicht teurer für die Kunden; denn – die von der SPD: Eine gute Woche für Deutsch- Anhörung im Finanzausschuss hat es ganz deutlich ge- land!) zeigt – die meisten Fluggesellschaften werden die Luft- verkehrsteuer überhaupt nicht über die Tickets an ihre – Ja, aber ich bin mir da nicht so sicher, liebe Kollegen, ob Kunden weitergeben, sondern werden sie selber tragen. das eine gute Woche für Deutschland ist. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Andreas Bleck [AfD]: Durchhalteparole!) NEN]: Da werden wir mal abwarten!) Klimaschutz ist ein wichtiges Ziel, und es ist gut, wenn etwas passiert. Die Große Koalition hat vielleicht gut ge- Das wird zu einem weiteren Verdrängungswettbewerb dacht, aber sie hat ganz sicher das Ganze nicht gut, son- auf dem Flugmarkt führen, aber sicherlich nicht dazu bei- dern eher schlecht gemacht. Viele der Maßnahmen aus tragen, dass Fliegen teurer wird. dem Klimaschutzpaket werden wir wieder mal einer ge- Vielleicht noch ein letzter Hinweis zu den Kurzstre- richtlichen Überprüfung unterziehen, und das Bundesver- cken: Viele Reisende auf diesen Strecken sind Geschäfts- fassungsgericht wird entscheiden, was wir hier tun. Das kunden. Da wird auch die Senkung der Mehrwertsteuer ist alles andere als gut gemacht, liebe Kollegen. nichts bringen, weil die bei denen nämlich ein durchlauf- ender Posten ist. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Andreas Bleck [AfD]) (Beifall bei der FDP – Frank Sitta [FDP]: Sehr Vieles ist jetzt darüber gesagt worden, was so toll ist an schön!) der steuerlichen Umsetzung, an der Erhöhung der Entfer- nungspauschale ab dem 21. Kilometer. Ich kann mich Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dunkel entsinnen: Wir hatten schon mal eine gesplittete Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Anja Entfernungspauschale ab dem 21. Kilometer; die ist ge- Weisgerber, CDU/CSU. (B) richtlich einkassiert worden. (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander (Zuruf von der SPD: Anderer Sachverhalt!) Dobrindt [CDU/CSU]: Sehr gut!) Hinsichtlich der Mobilitätsprämie hat der Bundesrech- nungshof – ich sage es mal sehr vorsichtig – schon ange- Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): deutet, dass es fraglich ist, ob das so gut ist, wie es ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und dacht und gemacht ist. Es wird mehr Bürokratieaufwand Kollegen! Wir verabschieden heute ein umfassendes Kli- geben, es wird mehr Bürokratiekosten geben, wenn die mapaket, das eine solide Basis ist, damit wir die Klima- Mobilitätsprämie ausbezahlt wird, und das Ganze auch ziele erreichen. Es hat ein Herzstück: Das ist das Klima- noch für eine Maßnahme, die zeitlich begrenzt ist. schutzgesetz. Dieses Klimaschutzgesetz beinhaltet einen Dann kommt die Luftverkehrsteuer. Fliegen muss teu- Kontrollmechanismus, ein Monitoring, mit dem wir jähr- rer und Bahnfahren billiger werden. Es ist ja schön, wenn lich überprüfen, ob wir bei der Erreichung unserer Klima- sich die Bundesregierung das als Ziel setzt. Sie glaubt ziele auf dem Pfad sind. Wir sind damit weltweit eines der aber nicht so ganz, dass das funktioniert. In der Antwort ersten Länder, das einen solchen verbindlichen Pfad be- auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion heißt es – ich schreitet, einen verbindlichen Fahrplan in Richtung darf zitieren –: Treibhausgasneutralität. 2019, 2020 und die weiteren Jahre sind die Jahre des Handelns. Wir werden auch hier Der Bundesregierung liegen derzeit keine Kenntnis- im Plenum Nachhaltigkeits- und Klimatage durchführen, se vor, zu welchen Verlagerungseffekten zwischen an denen wir mit allen Ressorts darüber reden werden, ob den Verkehrsträgern Schiene, Straße und Luftver- wir mit den Maßnahmen auf Kurs sind. kehr eine Anhebung der Luftverkehrsteuer führen würde. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich würde mir wünschen, dass man diese Errungenschaften, die auch Was wird also die Erhöhung der Luftverkehrsteuer bewir- von der Opposition eingefordert wurden, auch mal aner- ken? Wohl nichts. Nein, doch etwas: Eine Lenkungswir- kennt. kung wird es geben, nämlich in Richtung der grenznahen ausländischen Flughäfen. Dahin wird viel Flugverkehr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und verlagert werden. des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) (Beifall bei der FDP) Die Opposition fordert natürlich höher, weiter, schneller.

Das mag gut sein für die deutsche CO2-Bilanz, aber ganz (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Besser! Das ist der sicher nicht zum weltweiten Klimaschutz beitragen. Punkt! – Frank Sitta [FDP]: Effizienter!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16055

Dr. Anja Weisgerber (A) Das ist natürlich immer möglich. Aber Klimaschutz geht werden müssen. Denn wir setzen eben nicht nur auf die (C) nur mit Augenmaß und vor allen Dingen nur mit der Elektromobilität, sondern wir setzen technologieoffen Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. auch auf synthetische Kraftstoffe und auf die Wasser- stofftechnologie. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir die Menschen nicht mitnehmen, riskieren wir, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sie zu verlieren, und das können wir doch alle nicht wol- Es ist ein Märchen, anderes zu behaupten. len. Wir wollen nämlich Klimaschutz mit den Menschen und nicht mit gelben Westen, meine Damen und Herren. Wichtig ist mir auch der Wettbewerbsschutz. Die mit- telständischen Unternehmen, die jetzt erstmals in den na- (Beifall bei der CDU/CSU) tionalen Emissionshandel aufgenommen werden und die Erfolgreicher Klimaschutz muss von den Menschen im europäischen Wettbewerb stehen, müssen wir entlas- gelebt werden. Die Politik kann nur die Rahmenbedin- ten und ihnen auch kostenlose Zuteilungen geben. Und gungen setzen, und das tun wir jetzt mit dem neuen na- wir dürfen die Unternehmen, die schon im europäischen tionalen Emissionshandel für fossile Kraft- und Brenn- Emissionshandel eingebunden sind, nicht doppelt belas- stoffe im Wärme- und Verkehrsbereich. Wir sind auch ten. Deswegen möchten, wollen und werden wir sie mög- hier eines der ersten Länder, das sich auf diesen Weg lichst vorab von diesen Doppelbelastungen praktisch ent- macht, und wir setzen darauf, dass Europa jetzt nachzieht lasten; denn es ist wichtig, die Arbeitsplätze in und auch den europäischen Emissionshandel auf diese Deutschland zu erhalten. Das ist unsere Politik: Umwelt- Sektoren ausweitet. Entscheidend beim Emissionshandel und Klimaschutz im Einklang mit Wirtschaft und Ar- ist doch nicht der Anfangspreis, entscheidend ist doch die beitsplätzen. Preisentwicklung. Bis 2025 wird sich der Preis pro Tonne (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) CO2 verdreifachen, ab 2026 bildet sich der Preis am Markt. Bei der Festlegung dieser Regeln haben wir auch die Wir müssen aber die Menschen am Anfang mitneh- Beteiligung des Bundestages an vielen Stellen durchge- men. Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich auf die ver- setzt. änderte Situation einstellen können, dass sie bewusste (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kauf- und Investitionsentscheidungen treffen, dass sie des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Anreize und Unterstützung bekommen, auf klimafreund- liche Technologien umzusteigen. Deswegen freue ich Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende. Kli- mich, dass wir, wenn der Bundesrat zustimmt, jetzt end- maschutz geht nur mit der Wirtschaft. Das gilt nicht nur in (B) lich das Gesetz auf den Weg bringen, das es ermöglicht, Deutschland, sondern auch international. Eines ist klar: (D) dass die Bürger Steuern sparen können, wenn sie ihre Deutschland alleine kann den Klimawandel nicht stop- Häuser energetisch sanieren, und dass wir in vielen ande- pen. Wir brauchen die Partner in der Welt. Wir haben ren Bereichen, auch im Bereich der Mobilität, Anreize das auch in unserem Antrag zur Klimakonferenz in Mad- wie zum Beispiel die Kaufprämie für Elektroautos, die rid noch mal dargestellt. Wir müssen zeigen, dass wir mit Verbesserung der Infrastruktur und vieles weitere auf den dem Klimaschutz die Konjunktur ankurbeln und damit Weg bringen. auch Wohlstand sichern können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vielen Dank. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die Menschen im ländlichen Raum sind auf die indivi- ordneten der SPD) duelle Mobilität angewiesen, und gerade sie dürfen wir nicht zu stark belasten. Wir müssen unsere Entscheidun- gen auch so treffen, dass wir keine Arbeitsplätze riskie- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ren. Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Marco Bülow. Wir müssen auch Innovationen fördern. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen freue ich mich, dass es in den Verhandlungen Marco Bülow (fraktionslos): gelungen ist, dass für die biogenen Brennstoffemissionen Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein keine Zertifikate erworben werden müssen. Wichtig ist Kind, das heute geboren wird, lebt in 71 Jahren, wenn auch, dass bezüglich der synthetischen Kraftstoffe noch nichts passiert, in einer Welt, die 4 Grad wärmer ist als die mal eindeutig klargestellt wird, dass sie bis 2023 vom heutige, nationalen Emissionshandel nicht betroffen sind. (Zurufe von der AfD: Oh! – Dr. Georg Nüßlein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [CDU/CSU]: In 71 Jahren!) Da hat es zuletzt Verwirrung gegeben. Wir haben dies mit allen katastrophalen Veränderungen, mit allen Um- noch mal eindeutig klargestellt. Die juristische Ausle- ständen. Genau das sollte man als Richtschnur nehmen. gung des Ministeriums bestätigt unsere Position, und Und genau das ist bei dem Klimapaket, bei dem -päck- wir werden dann einen Weg entwickeln, damit für deren chen, was herausgekommen ist, eben nicht der Fall. Es ist Emissionen auch in Zukunft keine Zertifikate erworben erstens nicht ausgewogen, und es ist völlig unzureichend. 16056 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Marco Bülow (A) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und haben wir die Mittel, wir haben das Wissen, und wir (C) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) müssen es jetzt machen. In 20 Jahren ist es eben zu spät. Es ist zweitens unsozial; das haben ja auch einige Kol- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) legen hier noch mal deutlich gemacht. Und es ist drittens geprägt von Doppelmoral. Deswegen: Überdenken Sie es! Bringen Sie ein richtiges Klimapaket auf den Weg. Wir haben gerade Frau Weisgerber gehört, die sich um die Arbeitsplätze sorgt. Das ist ein ernstes Thema. Ich (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- komme aus dem Ruhrgebiet, deswegen finde ich es, wenn NIS 90/DIE GRÜNEN) wir über Braunkohle oder über Kohle reden, richtig, mit diesen Arbeitsplätzen sorgsam umzugehen, uns um die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Zukunft zu sorgen und Kommissionen einzurichten. Aber Nächster Redner ist der Kollege Johannes Steiniger, ich frage mich angesichts der Tatsache, dass in der Bran- CDU/CSU. che der erneuerbaren Energien in sieben Jahren 100 000 Arbeitsplätze vernichtet worden sind, warum das hier (Beifall bei der CDU/CSU) nicht die gleiche oder eine höhere Wertigkeit hat und warum darüber nicht diskutiert wird. Johannes Steiniger (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- NIS 90/DIE GRÜNEN) gen! Der Klimawandel ist unumstritten die schwierigste Herausforderung, vor der wir stehen. Dass wir diese He- Vor allen Dingen frage ich mich, warum nicht über rausforderung angehen, dass wir uns ihr stellen und jetzt diese Abstandsregelung diskutiert wird. Herr Nüßlein, in kürzester Zeit das Klimapaket umsetzen, zeigt, wie wir haben sie ja längst. Der Bund hat sie eingeführt, nicht handlungsfähig die Große Koalition ist. die Länder. Ja, das ist ein großer Kraftakt. Und ja, in Deutschland (Zuruf von der AfD: Gott sei Dank!) sind wir nur für 2 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes Der Bund hat diese Abstandsregelung eingeführt. verantwortlich. Und ja, es stimmt: Auch wenn wir hier in Deutschland morgen komplett klimaneutral wären, retten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott sei wir das Klima nicht. Aber, liebe Kolleginnen und Kol- Dank!) legen der AfD, das heißt doch nicht, dass wir jetzt sagen: Wir machen nichts. – Das ist doch ein dummes Argument, Und da gibt es einen kausalen Zusammenhang: Die was Sie hier an der Stelle vortragen. (B) Windkraftbranche, die immer weiter gewachsen ist, ist (D) nämlich dann eingebrochen, als diese Abstandregelung (Marc Bernhard [AfD]: Wir haben doch nicht eingeführt wurde. gesagt, dass wir nichts machen wollen! Hören (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Quatsch!) Sie doch mal zu, was wir sagen!) Das heißt, diese GroKo hat dafür gesorgt, dass auch im Es ist doch erstens unsere Aufgabe als Deutschland, ein Bereich der Windenergie Arbeitsplätze gestrichen wor- Role Model zu sein, Vorbild zu sein, zu zeigen, wie es den sind. Wo bleibt denn da der Aufschrei? Wo bleiben funktionieren kann, da die Kommissionen? (Andreas Bleck [AfD]: Aber es funktioniert ja (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- nicht!) wie bei Abgeordneten der LINKEN – Ralph und zwar nicht, indem wir den Menschen vorschreiben, Brinkhaus [CDU/CSU]: Wohnt in Dortmund was sie zu tun haben, nicht, indem wir Deutschland dein- in der Stadt und erzählt den Menschen auf dustrialisieren, dem Land, dass sie Windkraftanlagen haben sollen!) (Andreas Bleck [AfD]: Aber das machen Sie doch!) Nein, es passiert Folgendes: Der Wirtschaftsminister will diese Abstandsregelung noch verschärfen, damit nicht, indem wir das Autofahren verbieten, das Fliegen wir im Bereich der Windenergie gar keine Arbeitsplätze verbieten, sondern indem wir für Technologien stehen mehr haben. Ist das die Fürsorge, die Sie angesprochen und Anreize bieten. haben, Frau Weisgerber? Ist das sozusagen das, wie wir (Andreas Bleck [AfD]: Das ist die Salamitak- mit Arbeitsplätzen umgehen sollen? Nein, das ist es eben tik!) nicht. Wir sind zweitens, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- auch nicht bereit, den gesellschaftlichen Zusammenhalt SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber aufs Spiel zu setzen. Deshalb schaffen wir mit dem, was [CDU/CSU]: Verstehen Sie es endlich!) wir hier vorlegen, auf der einen Seite Anreize, und auf der Deswegen, glaube ich, müssen wir Arbeitsplätze gleich- anderen Seite schaffen wir Akzeptanz in der Gesellschaft, wertig betrachten. insbesondere mit den Maßnahmen, die wir hier im Steuer- recht vorlegen. Ich möchte nicht meiner Tochter und den anderen Kin- dern eine Welt überlassen, die wir versaut haben. Jetzt (Zuruf von der AfD: Abzocke!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16057

Johannes Steiniger (A) Erster Punkt, seit vielen Jahren diskutiert: energetische Dritter Punkt: Entlastung von Pendlern. Ich habe von (C) Gebäudesanierung, der schlafende Riese in der Klimapo- der Akzeptanz gesprochen. Wenn wir denjenigen, die sich litik, den wir heute wecken. 120 Millionen Tonnen CO2 nicht zum 1. Januar 2020 ein neues, ein sparsameres Auto fallen in diesem Bereich an. kaufen können, jetzt sagen würden: „Wir belasten euch nur einseitig“, dann würde diese Akzeptanz mit Sicher- ( [AfD]: Verschlafen!) heit leiden. Deswegen sagen wir: Die Entfernungspau- Wir haben hier sehr viel ungenutztes Einsparpotenzial. schale wird erhöht. Für diejenigen, die unter dem Grund- Dass wir es heute angehen, dass auch bei selbstgenutztem freibetrag liegen, führen wir eine Mobilitätsprämie ein. – Wohneigentum Steigerungen der Energieeffizienz mög- Aus unserer Sicht ist die etwas bürokratisch gestaltet, lich sind – 40 000 Euro können die Menschen in Deutsch- aber wir werden uns in den nächsten Jahren anschauen, land pro Objekt bekommen –, ist doch eine Sache, die gut wie es funktioniert. ist. Das wird auch dazu führen, dass Gebäudesanierung in Letzter Punkt: Wir führen eine neue Grundsteuer ein – Deutschland gemacht werden wird. Grundsteuer W; nach A, B und C jetzt also W für Wind- energie. Es gibt also die Möglichkeit, dass die Kommu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nen entsprechende Flächen ausweisen können. Einen Unser Ziel ist es dabei, Gebäude aus dem 20. Jahrhundert Punkt möchte ich anmerken: Wir haben aus guten Gründ- auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen. Wir för- en gesagt, dass wir mit der Grundsteuer C zur Mobilisie- dern nicht nur neue, bessere Türen oder das dreifachverg- rung von Grundstücken erst im Jahr 2025 anfangen, weil laste Fenster als Einzelmaßnahme, sondern wir setzen die Werte, auf die wir uns beziehen, verfassungsrechtlich auch auf moderne Heizungen, elektrische Anlagen für nicht in Ordnung sind. Deswegen würde ich allen Kom- Smarthomes und viele andere Dinge. munen in Deutschland raten, mit der Grundsteuer W sehr sorgsam umzugehen, bei der Ausweisung der Flächen ein Wir wollen, dass das Ganze funktioniert. Deswegen bisschen darauf zu achten und das eventuell erst im Jahr sagen wir: Wir wollen hier keine Bürokratie. Derjenige, 2025 zu machen. der den Energieberater haben möchte, der kriegt den steuerlich angerechnet. Das konnten wir im Gesetzesver- Herzlichen Dank. fahren noch verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sehr gut!) ordneten der SPD) Aber er muss nicht gefragt werden, weil dies zu viel Bürokratie ist. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) Nächster Redner ist der Kollege Mario Mieruch. (D) Eine ganz zentrale Rolle spielen hier unsere Handwer- kerinnen und Handwerker. Wir haben, meine lieben Kol- Mario Mieruch (fraktionslos): leginnen und Kollegen, die besten Handwerker der Welt Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen in Deutschland. und Herren! Meine Damen und Herren auf den Tribünen, (Beifall bei der CDU/CSU) Sie erleben hier heute die Verabschiedung eines Klima- blankoschecks. Dieses Gesetz und alle, die darauf auf- Denen sollten wir doch zutrauen, dass sie auch eine ent- bauen, werden künftig die Grundlage dafür bilden, dass sprechende Gebäudesanierung vornehmen und sich nicht eines sichergestellt ist: Es wird für alle unterm Strich so verhalten, wie es im Antrag der Grünen zum Ausdruck teurer, und beim tatsächlichen Nutzen begleitet uns viel kommt, der ja vor Misstrauen gegenüber diesen Fachun- Hoffnung. ternehmen nur so strotzt. Man begründet das Ganze mit Verantwortung und Ein Appell geht auch in Richtung der Länder; denn wir Langzeitstrategien. Würde man aber tatsächlich mit haben schon das Murren aus dem Bundesrat gehört, dass Langzeitstrategien, mit Verantwortung, mit Nachhaltig- aus finanziellen Gründen an dieser Stelle jetzt vielleicht keit handeln wollen, dann würden hier auch noch ganz nicht mitgegangen wird. Wir sagen ganz klar: Klima- andere Fragen zur Diskussion stehen. Denn wer zahlt schutz ist nicht nur etwas, was den Bund angeht. Klima- denn den Preis für die neuen Abermillionen Autobatte- schutz ist etwas, was auch in den Ländern gemacht wer- rien? Wer malocht im Dreck für Kobalt und Lithium, den muss, was auch in den Kommunen gemacht werden damit sich einige vom Steuerzahler ihr E-Mobil muss. Deswegen muss diese energetische Gebäudesanie- subventionieren lassen können? Wer zahlt am Ende tat- rung auch durch den Bundesrat. sächlich die Zeche für unser gutes Gewissen? Zweitens machen wir Bahnfahren billiger. Wir erhöhen Wir haben hier heute keine Lösungen gehört für die die Ticketabgabe bei Flugreisen. Unser Kollege Tebroke Indigenen, in deren Heimat der Boden umgegraben wird. hat es sehr gut verhandelt bei uns im Finanzausschuss. So Es gibt keine Lösung für Pablo in Bolivien, dessen Brun- setzen wir Anreize, auf die Bahn umzusteigen. Nur zur nen knochentrocken ist, weil ihm die Lithiumfirmen das Wahrheit gehört auch: Am Preis allein orientieren sich die Grundwasser absaugen. Es gibt auch keine Lösung für Menschen nicht. Bahnfahren muss auch besser werden. Juans Lamas, die in Südamerika an den Wasserlöchern Das Internet muss laufen. Die Bahn muss pünktlich sein. – verenden, weil diese mit Natriumhydroxid verseucht Wenn wir auch das angehen, dann ist das, glaube ich, an sind. Sie hören nichts über Motobo im Kongo, der mit der Stelle ein guter Weg. seinen Geschwistern in die Kobaltmine geht statt in die 16058 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Mario Mieruch (A) Schule. Sie hören auch nichts über Untersuchungen zum Jetzt hören wir uns einmal an, was Bärbel Höhn von (C) Insekten- und Fledermaussterben durch Windräder; denn den Grünen damals gesagt hat: dafür gibt es keine Fördergelder, weil das nicht in die Agenda des Ministeriums passt. Wir wollen deshalb auch Berichte. Wir wollen, dass auch gesagt wird: Oh, hier passiert zu wenig; hier Meine Damen und Herren, wer aus „Blut für Öl“ nun funktioniert es nicht, bei einzelnen Sektoren, etwa „Blut fürs Klima“ macht, der ficht seinen Klimakampf im Verkehrsbereich; da bringen wir es nicht zustan- auf dem Rücken der Mittellosen dieser Welt aus. Und de, da müssen wir gegensteuern, da müssen wir an- weil diese hier keine Stimme haben, möchte ich Clemente dere Maßnahmen ergreifen. – Das ist die Transpa- Flores zitieren, den Sprecher von 33 Gemeinden in den renz, die wir mit dem Klimaschutzgesetz wollen. Salinas Grandes in Bolivien, der eine Botschaft an Europa hat. Er hat gesagt: Der Abbau von Lithium für Europa und Auch diese Worte von Bärbel Höhn sind heute noch rich- der Wechsel zum Elektroauto wird unsere Gemeinden tig, liebe Kolleginnen und Kollegen. und unsere Landschaft zerstören. Elektroautos – die ken- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja nen wir nur vom Foto. Ihr glaubt, damit könnt ihr die Weisgerber [CDU/CSU]) Menschheit retten, aber ihr werdet uns alle umbringen. Jetzt kommen wir zu Eva Bulling-Schröter von den Linken. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Klaus Mindrup, SPD, ist der nächste Redner. Ich stelle noch einmal die Frage: (Beifall bei der SPD) – sagt sie – Warum brauchen wir ein Klimaschutzgesetz? Wir Klaus Mindrup (SPD): brauchen es, weil momentan die Klimaschutzziele Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und von der Regierung geändert werden können, da sie Kollegen! Ich bin wirklich unglaublich stolz und zufrie- nicht gesetzlich festgeschrieben sind. den, dass wir hier heute ein Klimaschutzgesetz verab- schieden werden. Das ist ein Riesenfortschritt für unser Auch dieser Satz ist richtig. Wir schreiben das heute im Land. Gesetz fest. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]) Weisgerber [CDU/CSU]) (B) Ich möchte mich ganz besonders bei Matthias Miersch Ich habe viel Kritik gehört am Klimapaket. Wir können (D) und bei bedanken, die hier schon vor neun über Kritik reden. Hier ist der Ort, wo wir über Kritik Jahren den entsprechenden Antrag eingebracht und seit- reden. Aber ich habe in der Sachverständigenanhörung dem dafür gekämpft haben. Heute wird es Wirklichkeit. auch gehört, dass der Sachverständige des WWF gesagt Ich danke euch beiden. hat: Das Klimaschutzgesetz ist ein echter Lichtblick. – Das muss man auch mal zur Kenntnis nehmen, liebe (Beifall bei der SPD – Andreas Bleck [AfD]: Kolleginnen und Kollegen. Wow! Nach neun Jahren dieser große Wurf!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Mit der Genehmigung des Präsidenten würde ich gerne Weisgerber [CDU/CSU]) drei Zitate aus der Debatte vom Oktober 2010 bringen. Das erste Zitat kommt von Frank Schwabe: Genauso, wie wir dafür gekämpft haben, dass das Kli- maschutzgesetz im Koalitionsvertrag steht – ich bin der Zu einem Klimaschutzgesetz, das wir brauchen, ge- Union ausdrücklich dankbar für die kollegiale Zusam- hören verbindliche, gesetzlich fixierte Ziele und menarbeit –, werden wir uns auch darum kümmern, dass Zwischenziele. Zu einem Klimaschutzgesetz gehö- die anderen Ziele umgesetzt werden, dass der Kohleaus- ren gesetzlich fixierte Überprüfungsmechanismen, stieg umgesetzt wird, aber gleichzeitig auch ein Einstieg damit die Regierung weiß, dass sie sich nicht drü- in eine neue zukunftsfähige Energiewelt ist. Wir werden cken kann. Diese müssen transparent sein. Die Re- dafür kämpfen, dass der Anteil von erneuerbaren Ener- gierung muss sich mindestens einmal im Jahr in ei- gien auf 65 Prozent steigt, aber mit einem realistischen ner öffentlichen Debatte dazu erklären. Zu diesem Stromverbrauch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Klimaschutzgesetz muss ein unabhängiges Überprü- fungsgremium aus bestehenden Institutionen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weiteren Wissenschaftlern kommen. Wir brauchen der CDU/CSU) klare Sanktionsmechanismen bei Nichteinhaltung Wir sind in der Phase des Umsetzens. Wir werden es der Ziele. Das alles kann ein nationales Klima- schaffen; wir werden im Klimaschutz vorankommen, lie- schutzgesetz leisten. be Kolleginnen und Kollegen Diese Worte von vor neun Jahren sind heute noch gültig, Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Lassen Sie und wir setzen es heute um. Danke schön. uns gemeinsam weiter voranschreiten für Klimaschutz und für soziale Gerechtigkeit! (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]) Danke schön. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16059

Klaus Mindrup (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich voranzugehen. Das alles kann nur gelingen, wenn wir (C) der CDU/CSU) uns auf eines einigen: Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, wir wissen, dass bei Ihnen Verkehrssicherheit Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auf der Straße ein Problem ist. Da geht Maus vor Mensch. Aber wenn auch Biene vor Bahn geht, dann wird es natür- Voraussichtlich letzter Redner, der aber genauso viel lich schwierig. Und wenn Sie einen Ausbau grundsätzlich Anspruch wie jeder andere Redner auf Aufmerksamkeit behindern, dann ist das, was Sie hier tun, absolut doppel- hat, ist der Kollege Ulrich Lange, CDU/CSU. züngig. (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme aus dem Ulrich Lange (CDU/CSU): baden-württembergischen Grenzgebiet. Wir hatten vor Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- ein paar Jahren die Diskussion über eine Monster-Strom- ber Toni Hofreiter, es ist ein sehr, sehr guter Tag für trasse. Sie waren herzlich eingeladen und sie waren da- Deutschland und das Klima. bei – die baden-württembergischen Grünen und die ba- yerischen Grünen –, sich zusammen mit CDU und CSU (Andreas Bleck [AfD]: Ach, jetzt ist der Tag gegen diese Monster-Trasse vor Ort zu stellen. Liebe sehr, sehr gut! Das wird ja immer besser mit Kolleginnen und Kollegen aus Baden-Württemberg, den Durchhalteparolen hier!) man sollte dann auch ehrlich bleiben und hier nicht anders reden, als man in den Kommunen handelt. Wir haben uns auf den Weg gemacht, eine langfristige Aufgabe wirklich zielgerichtet ohne Panik anzugehen; (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. denn Panik alleine wird das Problem nicht lösen. Grigorios Aggelidis [FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU) Mehr erneuerbare Energien, Fortschritt in der Infra- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wesentlich für das struktur erreichen wir nur, wenn wir uns zur Planungsbe- Klima ist das Thema „Verkehr und Mobilität“. Unser schleunigung durchringen. Wir wollen relevante Projekte Bundesminister Andi Scheuer hat 50 Einzelmaßnahmen beschleunigen. Wir wollen Ersatzneubauten. Wir wollen für Mobilität, Modernität und Klima vorgelegt. Stichwort weiteres Potenzial nutzen. Auch die Modernisierung des „An die frische Luft mit dem Fahrrad“: Liebe Kollegin- Schienenverkehrs und von Brücken funktioniert nur, nen und Kollegen, das Fahrrad ist nicht nur gut für die wenn Sie Ihren Widerstand gegen die neue Mobilität Gesundheit und gut für das Klima, sondern manchmal ist vor Ort aufgeben. Das ist das, was wir erwarten. Nur so es auch gut für das Gehirn, wenn man an der frischen Luft kann Klimaschutz gelingen. Dann wird es ein wirklich (B) unterwegs ist. guter Tag für Deutschland und für das Klima. (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Danke schön. Wir haben ein Mammutprogramm für alle Verkehrs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. träger – ein Klimakraftakt – und Investitionsmittel für Klaus Mindrup [SPD]) die Schiene vorgesehen. Auch da gilt: Das bringen wir natürlich nur dann auf den Weg, wenn Management und Aufgabenträger in den Ländern – ich freue mich, dass Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zumindest zwei Vertreter heute da sind; sie profitieren Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich ja auch nicht wenig – mit den vielen Geldern und den die Aussprache. Regionalisierungsmitteln Züge auf das Gleis bringen. Wir kommen jetzt zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Gesetzentwurf zur Einführung eines Bundes-Klima- Herr Kollege Lange, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? schutzgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften.

Ulrich Lange (CDU/CSU): Wir haben jetzt eine ganze Reihe von Abstimmungen vor uns. Bitte behalten Sie Platz. Es dauert noch ziemlich Nein, ich lasse keine zu. – Wir setzen auf Elektromobi- lange, bis wir zur namentlichen Abstimmung kommen. lität; aber wir haben Wasserstoff und synthetische Kraft- Wenn Sie nicht Platz nehmen, dauert es noch sehr viel stoffe trotzdem im Blick. Und wir denken trotz allem länger. auch an den Luftverkehr, liebe Kolleginnen und Kolle- gen. Ich bin gespannt und freue mich auf die eine oder Mir liegen zu den verschiedenen Abstimmungen eine andere Kollegin oder den einen oder anderen Kollegen Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung von den Grünen, die oder den ich heute Nachmittag am vor, die wir zu Protokoll nehmen.1) Flughafen wieder treffe. Herzlich willkommen in der Le- benswirklichkeit. Wenn Sie jetzt bitte meiner Bitte, Platz zu nehmen, auch folgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der FDP) (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das gilt Wir haben einen Masterplan für Ladeinfrastruktur, eine auch für die Regierung!) Blaupause. Aber jetzt sind auch Energiewirtschaft und Automobilindustrie gefragt, intelligent und nutzerfreund- 1) Anlagen 2 bis 6 16060 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) – Das gilt auch für Minister. Die sollen ja eine gewisse Dann kommen wir zum Entschließungsantrag der (C) Vorbildfunktion haben, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/ 15175. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Wer stimmt dagegen? – Dann ist dieser Entschließungs- und der FDP) antrag wiederum gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die die sie möglichst nicht negativ wahrnehmen. Grünen und der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Sicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- Drucksachen 19/15128 und 19/15230 empfiehlt der Aus- empfehlung auf den Drucksachen 19/15128 und 19/ schuss, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ein- 15230 in Kenntnis der Unterrichtung auf der Drucksa- führung eines Bundes-Klimaschutzgesetzes und zur Än- che 19/13900, den Gesetzentwurf der Fraktionen der derung weiterer Vorschriften auf Drucksachen 19/14948 CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 19/14337 und 19/15079 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den bei Enthaltung der Fraktion der AfD mit den Stimmen der Änderungsantrag auf der Drucksache 19/15172? – Das übrigen Fraktionen angenommen. sind die Grünen und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die übrigen Fraktionen. Dann ist der Änderungs- Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt 25 b und antrag abgelehnt. setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 19/15128 und 19/15230 fort. Der Dann bitte ich nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschluss- in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält FDP auf der Drucksache 19/14344 mit dem Titel „Klima- sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen schutz mit Vernunft – Durch Marktanreize zur Klima- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- neutralität“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- tionsfraktionen angenommen. fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann ist diese Dritte Beratung Beschlussempfehlung des Ausschusses gegen die Stim- men der FDP mit den Stimmen der übrigen Fraktionen und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem angenommen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung emp- (B) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist (D) der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- der Koalition gegen die Stimmen der Opposition ange- tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/ nommen. 11153 mit dem Titel „Klimabilanz in Gesetzesfolgenab- schätzung aufnehmen und CO2-Bremse einführen“. Wer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt der CDU/CSU) dagegen? – Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen ange- lung auf den Drucksachen 19/15128 und 19/15230 fort. nommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe f empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- übrigen Fraktionen. Dann ist die Beschlussempfehlung che 19/13538 mit dem Titel „Handeln jetzt – Auf dem mit der genannten Mehrheit angenommen. Weg zum klimaneutralen Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Damit kommen wir zur Abstimmung über die Ent- Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung schließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent- Die Linke auf der Drucksache 19/15173. Wer stimmt haltung der Linken mit den Stimmen der übrigen Fraktio- für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Fraktion nen angenommen. Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Entschließungsantrag bei Enthaltung von Tagesordnungspunkt 25 c. Wir kommen zur Abstim- Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller übrigen mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und Fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung abgelehnt. des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht. Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Druck- Dann kommen wir zum Entschließungsantrag der sachen 19/15125 und 19/15229 empfiehlt der Finanzaus- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/ schuss, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU 15174. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – und SPD auf der Drucksache 19/14338 in der Ausschuss- Das sind die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die üb- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, rigen Fraktionen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16061

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) hält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen Dritte Beratung (C) der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Linken gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen in zweiter Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen über den Gesetz- angenommen. entwurf auf Verlangen der Fraktion der FDP namentlich ab. Also bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh- Dritte Beratung rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute – und Schlussabstimmung. Jetzt bitte ich diejenigen, die das hat etwas mit den Arbeitszeiten zu tun – wieder nur dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – vier Urnen, wie wir sie gestern Abend auch hatten. Das Dann bitte ich diejenigen, die dagegen sind, sich zu er- heißt, wenn Sie sich ein bisschen disziplinierter verhalten, heben. – Dann bitte ich diejenigen, die sich enthalten kommen wir einigermaßen hin. Sind diese vier Urnen wollen, sich zu erheben. – Damit ist der Gesetzentwurf besetzt? – Das ist offenbar der Fall. Dann eröffne ich bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen die namentliche Abstimmung über den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Druck- Fraktionen angenommen. sache 19/14339. Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 25 c Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das in dieser und kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie- Abstimmung seine Stimme noch abgeben möchte? Dann ßungsanträge. Abstimmung über den Entschließungsan- bitte ich, das jetzt unverzüglich zu tun. – Das ist offenbar trag der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/15176. nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die FDP. bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Wer stimmt dagegen? – Die übrigen Fraktionen. Dann ist Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen der Antrag abgelehnt. Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Dann komme ich zum Entschließungsantrag der Frak- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschlie- tion Die Linke auf der Drucksache 19/15177. Wer stimmt ßungsanträge. Ich bitte, wieder Platz zu nehmen. für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage- Entschließungsantrag der AfD auf der Drucksache 19/ gen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Entschlie- 15180. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag der ßungsantrag bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ AfD? – Die AfD. Wer stimmt dagegen? – Die übrigen Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke Fraktionen. Dann ist der Entschließungsantrag abgelehnt. mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. Entschließungsantrag der FDP auf der Drucksache 19/ (B) Jetzt rufe ich den Entschließungsantrag der Fraktion 15181. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – (D) Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/15178 Wer stimmt dagegen? – Dann ist dieser Entschließungs- auf. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – antrag gegen die Stimmen der FDP mit den übrigen Stim- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist men des Hauses abgelehnt. dieser Entschließungsantrag bei Enthaltung der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grü- Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der nen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. Drucksache 19/15182. Wer stimmt dafür? – Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist Jetzt setzen wir die Abstimmung zu der Beschlussemp- dieser Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke bei fehlung auf den Drucksachen 19/15125 und 19/15229 Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim- fort. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss in seiner men der Linken mit den Stimmen der übrigen Fraktionen Beschlussempfehlung, den gleichlautenden Gesetzent- abgelehnt. wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 19/ Wir setzen nun die Abstimmung über die Beschluss- 14937 und 19/15080 für erledigt zu erklären. Wer stimmt empfehlung auf den Drucksachen 19/15126 und 19/ für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – 15239 fort. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung einstimmig angenommen. des Luftverkehrsteuergesetzes auf den Drucksachen 19/ 14938 und 19/15083 für erledigt zu erklären. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 25 d und damit zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim- rung des Luftverkehrsteuergesetzes. Der Finanzaus- mig angenommen. schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp- fehlung auf den Drucksachen 19/15126 und 19/15239, Tagesordnungspunkt 25 e. Unter Buchstabe c seiner den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ab- SPD auf der Drucksache 19/14339 anzunehmen. Ich bitte lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, auf der Drucksache 19/13078 mit dem Titel „Umwelt- um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- freundliche Mobilität fördern – Luftverkehr gerecht be- hält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera- steuern und Subventionierung beenden“. Wer stimmt für tung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stim- diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitions- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. 1) Ergebnis Seite 16063 C 16062 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) fraktionen, die FDP und die AfD. Wer stimmt dagegen? – wurf der Bundesregierung über einen nationalen Zertifi- (C) Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Dann ist die Be- katehandel für Brennstoffemissionen auf den Drucksa- schlussempfehlung angenommen. chen 19/14949 und 19/15081 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Tagesordnungspunkt 25 f. Wir kommen zur Abstim- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Be- mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen. Schon sind wir bei Tagesordnungspunkt 25 g. Der Aus- Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare schuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlussemp- Sicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- fehlung auf Drucksachen 19/15127 und 19/15197 die Ab- empfehlung auf Drucksachen 19/15127 und 19/15197, lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf der den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und Drucksache 19/14782 mit dem Titel „Klimaschutz SPD auf der Drucksache 19/14746 in der Ausschussfas- braucht ein CO2-Limit – Klimaziele durch die Auswei- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- tung des EU-Emissionshandels in Deutschland garantiert entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um erreichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Wer stimmt dagegen? – Das sind die übrigen Fraktionen. Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der FDP mit Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koali- den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. tionsfraktionen gegen den Rest des Hauses in zweiter Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 25 h. Wir stimmen über den An- trag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Dritte Beratung Drucksache 19/15063 mit dem Titel „Klimakonferenz von Madrid – Klimaschutz international voranbringen“ und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage- stimmen will, möge sich bitte erheben. – Wer stimmt da- gen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag mit den gegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist der Ge- Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der setzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen FDP gegen die Stimmen der übrigen Oppositionsfraktio- gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom- nen angenommen. men. Tagesordnungspunkt 25 i. Interfraktionell wird die Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 19/15119 Drucksachen 19/15127 und 19/15197 empfiehlt der Aus- an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- schuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, geschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese (B) Das ist nicht der Fall. Dann wird so verfahren. (D) Beschlussempfehlung? Tagesordnungspunkt 25 j. Abstimmung über die Be- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Geht es schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und di- um den Entschließungsantrag der Grünen?) gitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Bünd- – Es ist eine Beschlussempfehlung des Ausschusses. Wer nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Klimapaket neu stimmt dafür? – Wir sind bei Buchstabe b auf der Druck- auflegen – Verkehrswende für eine klimafreundliche Mo- sache 19/15127. Wenn der Kollege Röttgen die parlamen- bilität einleiten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- tarische Geschäftsführung der größten Fraktion nicht da- schlussempfehlung auf der Drucksache 19/15019, den von abhält, den Beratungen zu folgen, kommen wir zügig Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der voran. Drucksache 19/14093 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, FDP (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ich werde und AfD. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen dem Folge leisten!) und Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenom- Also: Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Die men. Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/ Zusatzpunkt 14. Abstimmung über den Antrag der Die Grünen, Die Linke und die FDP. Wer enthält sich? – Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/15052 mit Die AfD. Die Beschlussempfehlung ist mit den genann- dem Titel „Internationale Klimaschutzverpflichtungen ten Mehrheiten angenommen. einhalten – Die 25. Weltklimakonferenz nutzen, um Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Entschlie- marktbasierte Klimaschutzmechanismen voranzutrei- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der ben“. Wer stimmt für diesen Antrag der Fraktion der Drucksache 19/15183. Wer stimmt für den Entschlie- FDP? – Die antragstellende Fraktion. Wer stimmt dage- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? – gen? – Die übrigen Fraktionen. Der Antrag ist abgelehnt. Die antragstellende Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Zusatzpunkt 15. Wir kommen zur Abstimmung über Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Lin- den Entwurf eines Gesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die ke ist dieser Entschließungsantrag gegen die Stimmen Grünen zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Geset- von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen zes – EEG 2017. Der Ausschuss für Wirtschaft und Ener- Fraktionen abgelehnt. gie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Immer noch Tagesordnungspunkt 25 f. Der Ausschuss sache 19/14319, den Gesetzentwurf der Fraktion empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/13517 auf Drucksachen 19/15127 und 19/15197, den Gesetzent- abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16063

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann (C) Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer stimmt da- ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen von gegen? – Das sind die übrigen Fraktionen. Damit ist der Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke mit den Stimmen Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Eine wei- der übrigen Fraktionen angenommen. tere Beratung entfällt nach unserer Geschäftsordnung. Schon sind wir bei Zusatzpunkt 16. Abstimmung über Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der Frak- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel tionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes „Ein Forschungsrahmenprogramm im Kampf gegen die zur Änderung des Luftverkehrsteuergesetzes; das sind die Klimakrise“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Drucksachen 19/14339, 19/15126 und 19/15239 – be- schlussempfehlung auf der Drucksache 19/15124, den kannt: abgegebene Stimmkarten 611. Mit Ja haben ge- Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der stimmt 356, mit Nein haben gestimmt 200, Enthaltungen Drucksache 19/5816 abzulehnen. Wer stimmt für diese 55. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Alexander Dobrindt Abgegebene Stimmen: 611; Dr. Dr. Jan-Marco Luczak davon Marie-Luise Dött Alexander Hoffmann ja: 356 Hansjörg Durz nein: 200 Dr. enthalten: 55 Hermann Färber Dr. Ja Andreas Jung (Altötting) CDU/CSU Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Hans-Peter Friedrich Torbjörn Kartes (Hof) Norbert Maria Altenkamp Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach Dr. Stefan Kaufmann Hans-Joachim Fuchtel (B) Philipp Amthor (D) Ingo Gädechens Karsten Möring Artur Auernhammer Roderich Kiesewetter Dr. Elisabeth Motschmann Michael Kießling Axel Müller Dorothee Bär Dr. Sepp Müller Thomas Bareiß Ursula Groden-Kranich Carsten Müller Hermann Gröhe (Braunschweig) Maik Beermann Klaus-Dieter Gröhler Stefan Müller (Erlangen) (Börde) Michael Grosse-Brömer Dr. Veronika Bellmann Astrid Grotelüschen Alexander Krauß Markus Grübel Dr. André Berghegger Dr. Günter Krings Dr. Georg Nüßlein Rüdiger Kruse Monika Grütters Florian Oßner Fritz Güntzler Dr. Roy Kühne Marc Biadacz Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Jürgen Hardt Ulrich Lange Michael Brand (Fulda) Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Christoph Ploß Dr. Sebastian Brehm (Chemnitz) Dr. Andreas Lenz Mark Helfrich Ralph Brinkhaus Alexander Radwan Dr. Carsten Brodesser Dr. Alois Rainer Gitta Connemann Dr. Ansgar Heveling Nikolas Löbel 16064 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Barbara Hendricks Bernd Rützel (C) Sabine Weiss (Wesel I) Johannes Röring Marian Wendt Gabriele Hiller-Ohm Dr. Norbert Röttgen Axel Schäfer (Bochum) Annette Widmann-Mauz Dr. Erwin Rüddel Bettina Margarethe Wiesmann Klaus-Peter Willsch Dr. Anita Schäfer (Saalstadt) Elisabeth Winkelmeier- Johannes Kahrs Becker Dr. Wolfgang Schäuble (Wetzlar) Jana Schimke Gabriele Katzmarek Michael Schrodi Dr. Christian Schmidt (Fürth) SPD Nadine Schön (Spandau) Ingrid Arndt-Brauer Dr. Bärbel Kofler Frank Schwabe Dr. Klaus-Peter Schulze Daniela Kolbe -Emre Rita Schwarzelühr-Sutter (Weil am Rainer Spiering Rhein) Dr. Matthias Bartke Christian Lange (Backnang) Martina Stamm-Fibich Sören Bartol Dr. Sonja Amalie Steffen Bärbel Bas Helge Lindh Kirsten Lühmann Dr. (Heidelberg) Isabel Mackensen Dr. Eberhard Brecht Markus Töns Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Matthias Miersch Carsten Träger (B) Klaus Mindrup (D) Martin Burkert Marja-Liisa Völlers Dr. Dr. Falko Mohrs Dirk Vöpel Bernhard Daldrup Dr. Dr. Siemtje Möller Bettina Müller Johannes Steiniger Detlef Müller (Chemnitz) Gülistan Yüksel Christian Frhr. von Stetten Dr. Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dr. Jens Zimmermann Dr. Johannes Fechner Max Straubinger Dr. Mahmut Özdemir Dr. (Duisburg) Nein Dr. Aydan Özoğuz CDU/CSU Dr. Hermann-Josef Tebroke Hans-Jürgen Irmer Hans-Jürgen Thies Björn Simon Angelika Glöckner Arnold Vaatz Antje Tillmann Christoph de Vries Dr. Volker Ullrich (Minden) Michael Groß Uli Grötsch Dr. AfD (Kleinsaara) Rita Hagl-Kehl Marc Bernhard Andreas Rimkus Andreas Bleck Dr. Johann David Wadephul Sönke Rix (Peine) Dr. Martin Rosemann Jürgen Braun René Röspel Marcus Bühl Albert H. Weiler Dr. Matthias Büttner Dr. Anja Weisgerber Susann Rüthrich Petr Bystron Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16065

(A) Tino Chrupalla Jörg Schneider Alexander Müller Maria Klein-Schmeink (C) Roman Müller-Böhm Sylvia Kotting-Uhl Dr. Frank Müller-Rosentritt Oliver Krischer Dr. Dr. Stephan Kühn (Dresden) René Springer (Lausitz) Renate Künast Berengar Elsner von Beatrix von Storch Gronow Dr. Alice Weidel Sven Lehmann Dr. Dr. Peter Felser Dr. Dr. h. c. Thomas Dr. Sattelberger Dietmar Friedhoff Dr. Christian Wirth Dr. Dr. Christian Sauter Claudia Müller Markus Frohnmaier Frank Schäffler FDP Beate Müller-Gemmeke Dr. Götz Frömming Matthias Seestern-Pauly Dr. Ingrid Nestle Grigorios Aggelidis Frank Sitta Dr. Konstantin von Notz Renata Alt Omid Nouripour Armin-Paulus Hampel Christine Aschenberg- Dr. Dugnus Mariana Iris Harder-Kühnel Bettina Stark-Watzinger Cem Özdemir Dr. Roland Hartwig Dr. Marie-Agnes Strack- Filiz Polat Zimmermann Tabea Rößner Dr. Benjamin Strasser Corinna Rüffer (Rhein-Neckar) Katja Suding Udo Theodor Hemmelgarn (Südpfalz) Dr. Michael Theurer Dr. Stefan Schmidt Stephan Thomae Dr. Heiko Heßenkemper Carl-Julius Cronenberg Dr. Wolfgang Strengmann- Karsten Hilse Britta Katharina Dassler Kuhn Dr. Nicole Höchst Bijan Djir-Sarai Dr. Christian Dürr Dr. Bruno Hollnagel Hartmut Ebbing Jürgen Trittin Leif-Erik Holm Dr. Dr. Julia Verlinden (B) (D) Beate Walter-Rosenheimer Katrin Helling-Plahr BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Fraktionslos Norbert Kleinwächter Katja Hessel Lisa Badum Marco Bülow Jörn König Manuel Höferlin Mario Mieruch Dr. Rainer Kraft Dr. Christoph Hoffmann Dr. Rüdiger Lucassen Canan Bayram Enthalten Dr. Dr. Dr. DIE LINKE Dr. Ekin Deligöz Dr. Birgit Malsack- Dr. Katja Dörner Gökay Akbulut Winkemann Katharina Dröge Pascal Kober Harald Ebner Dr. Dr. Lukas Köhler Lorenz Gösta Beutin Hansjörg Müller Carina Konrad Kai Gehring Matthias W. Birkwald Volker Münz Sebastian Münzenmaier Katrin Göring-Eckardt Dr. Birke Bull-Bischoff Jan Ralf Nolte Erhard Grundl Jörg Cezanne Ulrich Oehme Alexander Graf Lambsdorff Sevim Dağdelen Britta Haßelmann Frank Pasemann Dr. Bettina Hoffmann Dr. Jürgen Pohl Dr. Anton Hofreiter Anke Domscheit-Berg (Heilbronn) Klaus Ernst Martin Reichardt Dr. Kirsten Kappert- Susanne Ferschl Martin Erwin Renner Gonther Roman Johannes Reusch Dr. Jürgen Martens Uwe Kekeritz Dr. Dr. Katja Keul Dr. André Hahn 16066 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Heike Hänsel Sören Pellmann (C) Tobias Pflüger Kerstin Kassner Andreas Wagner Dr. Cornelia Möhring Niema Movassat Eva-Maria Schreiber Jan Korte Norbert Müller (Potsdam) Dr. Petra Sitte Zaklin Nastic Sabine Leidig Dr. Alexander S. Neu Dr.

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Damit bin ich für eine Entlastung in der Sitzungslei- Überweisungsvorschlag: tung. Ich danke Ihnen. Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Beifall) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Frank Pasemann, Waldemar Herdt, Armin- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tages- Paulus Hampel, weiterer Abgeordneter und ordnungspunkte 26 a bis 26 d auf: der Fraktion der AfD a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Diplomatische Beziehungen zur Arabi- Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, schen Republik Syrien normalisieren – Petr Bystron, weiterer Abgeordneter und der Nachhaltigen Befriedungsprozess initiali- Fraktion der AfD sieren Kriegerische Eskalationen im Nahen Os- Drucksache 19/15067 ten vermeiden – Über eine Konferenz für Überweisungsvorschlag: (B) Sicherheit und Zusammenarbeit im Vor- Auswärtiger Ausschuss (f) (D) Ausschuss für Inneres und Heimat deren Orient Stabilität schaffen Verteidigungsausschuss Drucksache 19/15064 Interfraktionell sind für die Debatte 60 Minuten ver- Überweisungsvorschlag: einbart. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so Auswärtiger Ausschuss (f) beschlossen. Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das Wort dem Kollegen Armin-Paulus Hampel für die AfD-Fraktion. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Waldemar Herdt, Armin-Paulus Hampel, (Beifall bei der AfD) Dr. Roland Hartwig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Armin-Paulus Hampel (AfD): Für eine neue Syrienpolitik – Frieden si- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- chern, Wiederaufbau fördern ren! Liebe Besucher im Deutschen Bundestag und da- heim an den Bildschirmen! Wenn man die letzten 20 Jahre Drucksache 19/15066 Revue passieren lässt, muss man feststellen, dass die westliche Politik, besonders aber die Politik der Vereinig- Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) ten Staaten, für einen Nahen und Mittleren Osten gesorgt Ausschuss für Inneres und Heimat hat, in dem alle großen Länder enormen Schaden genom- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss men haben, furchtbare Kriege stattgefunden haben, mit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung enormen Opfern. Der gesamte Nahe Osten ist destabili- siert. Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Dabei hatten c) Beratung des Antrags der Abgeordneten wir doch in den Jahren 2006, 2010, 2012 – das muss man Frank Pasemann, Waldemar Herdt, Armin- sich in Erinnerung rufen – noch Geheimverhandlungen Paulus Hampel, weiterer Abgeordneter und zwischen Israel und Syrien über eine Rückgabe der Go- der Fraktion der AfD lanhöhen bei dem gleichzeitigen Abschluss eines Frie- Sanktionen gegen die Arabische Republik densabkommens. So weit waren wir damals. Und wo Syrien aufheben – Wiederaufbau ermögli- stehen wir heute? chen Die deutsche Außenpolitik hat im gleichen Zeitraum Drucksache 19/15065 jeglichen Einfluss auf die Geschehnisse verloren. Auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16067

Armin-Paulus Hampel (A) das ist besonders schmerzhaft, wenn wir uns daran erin- Wir wären, meine Damen und Herren, wieder aktiv, wir (C) nern, dass es die deutschen Dienste waren, die zwischen wären wieder sichtbar, und wir wären außenpolitisch end- Israelis und Palästinensern, zum Beispiel bei dem Gefan- lich wieder einmal wirksam. Ich bitte Sie, unserem Be- genenaustausch, vermitteln konnten. Auch davon sind schlussantrag zuzustimmen. wir heute weit entfernt. Danke schön. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Heute ist Deutschland kein außenpolitischer Player mehr, und unsere europäischen Verbündeten sind es ebenfalls Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nicht, auch wenn Herr Macron sich sehr bemüht. Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Ich bin deshalb hocherfreut, dass ich auch in anderen Jürgen Hardt. Fraktionen – bei den Grünen wie bei der Union und, ich (Beifall bei der CDU/CSU) glaube, auch bei der FDP – Vorstellungen erkenne, dass man nicht nur in Momenten und Situationen, in denen die Jürgen Hardt (CDU/CSU): Hütte brennt, wie in Syrien, nach Lösungen suchen muss, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sondern den gesamten Nahen und Mittleren Osten per- haben heute hier einen Stapel von AfD-Anträgen zur La- spektivisch einer Lösung zuführen muss. ge im Nahen und Mittleren Osten auf dem Tisch. Ich habe Das heißt, dass wir das, was wir in Europa einmal gestern in den Nachrichten gehört, Sie wollen durch eine probiert haben, transferieren müssen auf den Nahen Os- Reise nach Syrien, zum Diktator nach Damaskus, zu As- ten. Wir hatten eine KSZE, eine Konferenz über Sicher- sad, beweisen, wie sicher Syrien ist. heit und Zusammenarbeit in Europa, die erfolgreich war. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Das war keine einzelne Konferenz, sondern das war, be- GRÜNEN]: Genau! Unglaublich!) gonnen durch die sozialliberale Koalition in den 70er- Jahren, ein Prozess mit einem kommunistischen System, Ich meine: Wie mehläugig muss man sein, wenn man, mit der Sowjetunion, die unser Feind war, die gegen uns während man unter den Kalaschnikows dieses Schlächt- gestellt war. Wir haben über Jahre hinweg vertrauensbil- ers auf ausgewählten Straßen dieses Landes verkehrt, zu dende Maßnahmen geschaffen, die es dann ermöglicht dem Schluss kommt, das Land sei sicher. haben, in der Schlussakte von Helsinki für Europa stabile (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und friedliche Zustände zu schaffen. Das Endergebnis und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben wir 1989 gesehen. (B) Diese Irreführung der Öffentlichkeit werden wir nicht (D) (Beifall bei der AfD) zulassen. Ich glaube, das ist für jeden offensichtlich. Im gleichen Rahmen sollten wir jetzt unseren Sitz im (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Weltsicherheitsrat nutzen und uns für eine Konferenz GRÜNEN]: Absolut!) über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mitt- Ich möchte zum Thema „Große Friedenskonferenz für leren Osten einsetzen. Wir sollten unseren Sitz dort nut- den Nahen und Mittleren Osten“ eine Anmerkung ma- zen, um die anderen Partner – Russland, China, die USA – chen, die sich auch aus der politischen Erfahrung der davon zu überzeugen, dass wir uns zusammen mit den letzten Jahrzehnte speist: Wir müssen aufpassen, dass regionalen Mächten auf den Weg begeben. Das wird ein wir nicht durch große Konferenzen, durch immer neue jahrelanger Prozess sein, eine Frieden schaffende und Anläufe, Frieden zu stiften, die dann leider stecken blei- stabilisierende Konferenz zu entwickeln, die in einigen ben oder gar scheitern – wie zum Beispiel der Prozess Jahren vielleicht ähnlich erfolgreich ist. Dann ist das nicht zwischen Israel und den Palästinensern –, falsche Erwar- die Konferenz von Helsinki, sondern vielleicht die Kon- tungen wecken, was am Ende nur umso größere und umso ferenz von Damaskus oder von Bagdad oder von Kairo. tiefere Enttäuschungen zurücklässt, sodass wir damit, ob- (Beifall bei der AfD) wohl es natürlich gut gemeint war, am Ende das Gegenteil bewirken. Ich bin überzeugt davon, dass, wenn wir wieder eine intensive, eine aktive Außenpolitik betreiben, wenn wir Ich glaube, dass der europäische Friedensprozess nur darin wieder gut sind – und wir hatten über viele, viele deshalb möglich war, weil die beteiligten Mächte, weil Jahrzehnte einen großen Einfluss im Nahen Osten –, namentlich die Sowjetunion für sich entschieden hatte, wenn wir genau diese Position wieder entwickeln, wenn diesen kompletten Wandel der inneren und äußeren Poli- wir auf dem Vertrauen, das wir im Nahen Osten immer tik unter Gorbatschow vorzunehmen und diesen Weg ent- noch genießen, aufbauen und im Bismarck’schen Sinne sprechend zu gehen. Das war letztlich der entscheidende als ehrlicher Makler – wir würden dort keine eigenen Grund, warum das zum Erfolg geführt hat. Interessen verfolgen – zwischen den Großmächten und Weil wir über diese Region schon oft diskutiert haben, den regionalen Mächten vermitteln, dann Deutschland möchte ich zwei Themen herausgreifen: mit einer solchen Konferenz für Sicherheit und Zusam- menarbeit im Vorderen Orient wieder zu seiner geradezu Ich möchte natürlich die Rolle des Iran in der Region historischen Rolle eines Mittlers zurückfinden würde. ansprechen. Ich glaube, dass der Iran nach wie vor der große, einer der zentralen Störer jeder Friedensentwick- (Beifall bei der AfD) lung in der Region ist. Ich glaube, dass wir bei dem Atom- 16068 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Jürgen Hardt (A) abkommen mit dem Iran an einem Scheideweg stehen. Herzlichen Dank. (C) Anfang der Woche haben sich die drei Außenminister der europäischen Partner des Vertrags äußerst kritisch mit der (Beifall bei der CDU/CSU) Situation auseinandergesetzt. Wir haben im Iran gegen- wärtig die Situation, dass die Regierung selbst verkündet, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sie wolle das Abkommen verletzen. Vielen Dank, Kollege Hardt. – Der nächste Redner für die FDP-Fraktion ist der Kollege Bijan Djir-Sarai. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was ist denn mit den USA?) (Beifall bei der FDP) Das kann natürlich auch ein bisschen Rhetorik nach innen und außen sein. Aber wir kommen an einen Punkt, an dem Bijan Djir-Sarai (FDP): wir für uns entscheiden müssen: Wie geht es mit dem Iran Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Her- weiter? Können wir als Europäer tatsächlich vor dem ren! Es ist grundsätzlich gut und richtig, dass der Deut- Hintergrund, dass das Abkommen jetzt auch durch den sche Bundestag sich mit der aktuellen Entwicklung im Iran möglicherweise substanziell verletzt wird, unserer- Nahen und Mittleren Osten beschäftigt. seits so an dem Abkommen festhalten, wie wir das wol- Wenn man sich die Ereignisse der letzten Wochen und len? Es wäre ein schmerzlicher Schritt, einzugestehen, Monate ansieht, dann wird deutlich, wie fragil und ge- dass das Abkommen in der jetzigen Form tatsächlich ge- fährlich die politische Lage in dieser Region ist: In Syrien scheitert ist. Aber ich glaube, wir müssen die Realität befindet sich der blutige Bürgerkrieg in der Endphase. Im ernsthaft betrachten. Und ich glaube, dass wir nicht daran Irak und im Libanon demonstrieren die Menschen seit vorbeikommen, den Konfliktbewältigungsmechanismus, Wochen gegen Misswirtschaft und Korruption. Israel den der Vertrag vorsieht, um das zu verifizieren, zu akti- wurde in den letzten Tagen mit Raketen beschossen. Im vieren. Jemen hält der Bürgerkrieg weiter an. Der Iran beeinflusst Es ist natürlich umso dringender, darüber nachzuden- die Politik der Region wie selten zuvor. Der Konflikt ken, unter welchen Bedingungen die Verhandlungen in zwischen Israelis und Palästinensern ist nach wie vor un- Richtung auf eine atomare Überwachung des Iran auf gelöst. Und der Machtkampf zwischen Saudi-Arabien diplomatischem Wege wieder aufgenommen werden und dem Iran hat sich verschärft. – Diese Aufzählung können. Man könnte vielleicht einen Vorstoß unterneh- lässt sich beliebig weiterführen, und bedauerlicherweise men, die Vertragslaufzeit zu verlängern und andere As- ist bei vielen dieser Konflikte eine friedliche Lösung pekte einzubeziehen. Ich denke, es wäre den Schweiß der nicht in Sicht, nicht erkennbar. Die Region war selten Edlen wert, wenn es gelingen würde, sozusagen ein ein so gefährliches Pulverfass. (B) (D) JCPoA II in irgendeiner Art und Weise neu aufzulegen. Deutschland und die Europäische Union haben es jah- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann müssten re- und jahrzehntelang versäumt, eine nachhaltige Strate- aber auch die USA mitarbeiten!) gie für diese Region zu entwickeln. Einer der Gründe dafür ist nach wie vor, dass es die EU nicht schafft, ge- Der zweite große Störer für Frieden in der Region ist meinsam aufzutreten. aus meiner Sicht die vom Iran massiv unterstützte Terror- organisation Hisbollah, die meines Erachtens nicht nur im (Beifall bei der FDP) Libanon, im Irak und in Syrien, sondern eben auch in Wir sind heute als Europäer keine Akteure in dieser Re- Europa ihr Unwesen treibt. Ich glaube, dass wir uns in gion. Unsere Bundesregierung sagt uns ja bei jeder Ge- den nächsten Wochen der Frage widmen müssen, ob wir legenheit, dass die europäische Gemeinsame Außen- und Europäer, ob wir Deutschen tatsächlich alles tun, ob wir Sicherheitspolitik außerordentlich wichtig wäre, aber die- genügend tun, um die Terrororganisation Hisbollah in se Bundesregierung ist noch nicht einmal in der Lage, ihre Schranken zu weisen und an ihren Aktivitäten zu eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik für hindern. Wir haben in Deutschland zwar vielleicht keine Deutschland zu formulieren. unmittelbare Terrorbedrohung durch die Hisbollah; aber das, was zum Beispiel der Innenminister von Nordrhein- (Beifall bei der FDP) Westfalen jetzt im Rahmen der Bekämpfung der Clan- Das ist schlecht für Deutschland, das ist schlecht für Eu- kriminalität aufdeckt, zeigt, dass der eine oder andere ropa, das ist schlecht für die NATO. Und das ist übrigens Weg doch in Richtung Drogenhandel, Geldwäsche, Er- auch einer der Gründe, warum wir in dieser Region, die ja schließung von Finanzierungsquellen für die Hisbollah zur unmittelbaren europäischen Nachbarschaft zählt, kei- führt. Ich glaube, dass wir uns in den nächsten Wochen ne Rolle mehr spielen. Ich bedaure beispielsweise, dass der Frage widmen müssen, wie wir mit diesem großen die Türkei, die einst ein Vorbild in dieser Region war, kein Störer eines möglichen Friedens in der Region umgehen, zuverlässiger Partner mehr ist. Ob NATO-Partner oder wie wir ganz konkret auch hier einen Beitrag leisten kön- nicht, wer völkerrechtswidrig Krieg führt, kann nicht un- nen, diesen Terror einzugrenzen. sere Zustimmung und Unterstützung erfahren. Seien Sie gewiss, dass das Thema „Frieden im Nahen und Mittleren Osten“ ganz oben auf der Tagesordnung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des Deutschen Bundestages steht, und seien Sie gewiss, der CDU/CSU und der SPD) dass uns die Frage des Friedens in der Region nicht nur Die türkische Militäroffensive hat die Realitäten vor unter dem Aspekt, dass Israel das durch diese unsichere Ort verändert. Auch wenn der Vorschlag der Verteidi- Situation hauptbedrohte Land ist, sehr am Herzen liegt. gungsministerin zu spät kommt: Wir brauchen ein nach- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16069

Bijan Djir-Sarai (A) haltiges Konzept für eine syrische Nachkriegsordnung. dar. Für die große Mehrheit in unserem Land war und (C) Dabei gilt es, sich ernsthaft die Frage zu stellen, wie sich ist es – bei allen Schwierigkeiten, die damit verbunden Deutschland oder – besser gesagt – Europa bei einem sind – immer eine Selbstverständlichkeit, Menschen, die Wiederaufbau einbringen könnte, einem Wiederaufbau, in Not sind, zu helfen – ungeachtet ihrer Herkunft und der die Menschen, die Opfer des Krieges schützt und ihrer Religion. nicht das syrische Regime und dessen Schutzmächte Russland und Iran bereichert. (Beifall bei der SPD) Wir müssen heute feststellen: Das Land ist weiterhin In der verbleibenden Zeit im UN-Sicherheitsrat muss nicht befriedet, es ist auch noch keine politische Lösung sich die Bundesregierung für einen politischen Prozess in in Sicht, die wirkliche Aussöhnung und Sicherheit für alle Syrien einsetzen. Das Treffen des Verfassungskomitees in Syrer erhoffen lässt. Flüchtlinge, die zurückgekehrt sind, Genf war ein erster wichtiger Schritt. Ohne einen nach- erleben zum Teil Festnahmen, Folter und Enteignung. Es haltigen Friedens- und Verfassungsprozess, ohne die Ein- ist also kaum eine Option für die Mehrheit der aus dem haltung von Menschenrechten wird es in Syrien keinen Land geflohenen Syrerinnen und Syrer, freiwillig dorthin dauerhaften Frieden geben. zurückzukehren, wenn ihnen unverändert große Gefahren (Beifall bei der FDP) drohen. Mit einem solchen Vokabular sollte man auch nicht ständig spielen. Auch die Rolle des Irans sollten wir immer wieder kritisch hinterfragen. Die Außenpolitik Teherans ist in (Beifall bei der SPD) der gesamten Region inzwischen spürbar. Die Menschen Syrien muss und wird Hilfe erfahren, wenn es um den im Irak und im Libanon demonstrieren in erster Linie Wiederaufbau des Landes geht. Dieser macht aber nur gegen ihre korrupten Regierungen, aber gleichzeitig ge- Sinn – der Kollege Hardt hat darauf hingewiesen –, wenn gen den zunehmenden Einfluss des iranischen Regimes in eine dauerhafte und stabile politische Lösung gefunden ihren Ländern. Auch die militärische Präsenz des Irans in ist. Das Verfassungskomitee hat nun kürzlich seine Arbeit Syrien stellt nach wie vor ein enormes Eskalationspoten- aufgenommen, aber das ist natürlich erst der Beginn eines zial und eine erhebliche Gefahr für Israel dar. Die Ereig- vermutlich längeren Prozesses. Eine Verfassungsreform nisse der letzten Tage haben gezeigt, dass die Menschen und eine verlässliche, die eigene Bevölkerung in ihrer in Israel noch immer nicht in Frieden leben können. Vielschichtigkeit achtende Regierung sind Voraussetzung Meine Damen und Herren, die Bundesregierung dafür, dass Deutschland sich an Wiederaufbauzahlungen braucht eine echte Nahost-Strategie. Dabei dürfen wir beteiligen wird. Gleichzeitig werden wir natürlich aber aber niemals die Menschen, die Gruppen, die Bewegun- auch weiterhin unseren humanitären Verpflichtungen (B) gen vergessen, die sich dort in dieser Region für Men- nachkommen und die sensible diplomatische Suche nach (D) schenrechte und Bürgerrechte einsetzen. Menschenrechte einer Nachkriegslösung unterstützen. sind universell und unteilbar. Gerade diese Menschen, Eine wichtige aktuelle Frage ist, ob es dem Islamischen gerade diese Gruppen haben unsere Solidarität und Unter- Staat gelingt, besonders im Norden Syriens wieder zu stützung verdient. erstarken. Dies gilt es nun natürlich, gemeinsam mit inter- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nationalen Partnern, zu verhindern. Seit 2015 beteiligt sich Deutschland auch deshalb ja an der Operation Inhe- (Beifall bei der FDP) rent Resolve, welche Teil der internationalen Allianz ge- gen den IS ist. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Selbstverständlich – auch das möchte ich hier sagen – Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Aydan müssen wir Verantwortung für die Familien von IS- Özoğuz. Kämpfern mit deutscher Staatsangehörigkeit überneh- men. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Aydan Özoğuz (SPD): LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Natürlich muss alles dafür getan werden, dass sie nicht zu Kollegen! 2011 wurden zunächst friedliche Proteste der einer Bedrohung in unserem Land werden. Bevölkerung in Syrien brutal niedergeschlagen – wir er- innern uns –, die Gewalt eskalierte daraufhin. Heute, fast Die Türkei, die völkerrechtswidrig in Syrien einmar- neun Jahre später, müssen wir feststellen: Über 400 000 schiert ist, meint, dass viele Flüchtlinge jetzt aus der Tür- Menschen sind im Zuge dieses Bürgerkrieges zu Tode kei dorthin freiwillig ausreisen würden. Daran kann man gekommen, rund 1 Million Menschen wurden verletzt. nun berechtigt seine Zweifel haben. Worauf wir achten Fast 12 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe müssen, ist, dass es vor allem keine Zwangsumsiedlung angewiesen, und mehr als die Hälfte von ihnen sind Kin- geben darf. der. 6,2 Millionen Syrer sind Vertriebene im eigenen Land, fast genauso viele fanden Zuflucht in Nachbarstaa- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der ten. Und auch in Deutschland fanden viele Syrerinnen FDP) und Syrer Schutz. Sie stellten in den letzten Jahren im- Russland, dessen Handeln in Syrien ja zuletzt deutlich merhin die größte Gruppe unter den Schutzsuchenden gemacht hat, dass es durchaus große eigene Interessen in 16070 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Aydan Özoğuz (A) dieser Region verfolgt, hat vor Kurzem eine Art Konfe- Es kommt ja manchmal etwas zu kurz, aber man muss (C) renz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa für immer wieder darauf hinweisen, dass die allermeisten den Persischen Golf angeregt, bei der es aber lediglich Menschen nicht weit weg wollen. Sie wollen in der Re- um sicherheitspolitische und eben nicht um humanitäre gion bleiben. Es kam ja nicht von ungefähr, dass im Li- oder Aspekte der Menschenrechte gehen sollte. banon plötzlich ein Viertel der Bevölkerung Flüchtlinge waren. Die AfD-Fraktion bringt heute nun die gleiche Idee in den Deutschen Bundestag ein, für den – wie sie schreibt – So etwas zu schaffen, das bedarf natürlich schon einer „Vorderen Orient“ – ziemlich unkonkret und ohne dabei großen Struktur. Mit deutscher Hilfe konnte zum Beispiel das Geschehen und die aktuelle Lage in Syrien zu beach- die Einschulungsrate syrischer Kinder im Libanon deut- ten. lich erhöht werden. Ich möchte einmal ganz ehrlich sa- gen: Bei diesen Kriegen, bei dieser Flucht, bei all diesem (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) Leid, das viele Menschen erfahren, ist niemandem geh- olfen, wenn Kinder nicht zur Schule gehen können, wenn Ich möchte vielleicht doch mal kurz mit einem Satz da- ihre gesamte Jugend ohne Bildung und ohne Schulzeit zu rauf eingehen, weil mir das immer wieder durch den Kopf Ende geht. ging: Als Johann Wolfgang von Goethe damals im „West- östlichen Divan“ über Orient und Okzident schrieb – das (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem wird ja jeder kennen –, da war er seiner Zeit wirklich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- voraus. Wenn man heute den Begriff „Vorderer Orient“ ordneten der FDP) nachschlägt – ich habe das gerade schnell im Duden geg- Deutschland trägt mit seinem finanziellen Engagement oogelt –, dann steht da: Begriff veraltet. – Vielleicht sagt übrigens auch dazu bei, dass das World Food Programme das etwas über Ihren Antrag aus. nun jeden Monat mehr als 3 Millionen Menschen in Sy- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem rien versorgen kann. Die Kritik daran, dass das spät kam, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ist durchaus angemessen; aber nun funktioniert es, und es ordneten der FDP) funktioniert auch gut. Allein 2018 hat das Auswärtige Amt rund 622 Millionen Euro für die humanitäre Versor- Im vergangenen Jahr reisten Sie als AfD-Abgeordnete gung zur Verfügung gestellt. ja schon nach Syrien, also Sie waren ja schon da. Sie haben gesagt, das sei eine private Reise gewesen. Aber Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: auf dieser privaten Reise haben Sie immerhin hochrangi- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. ge Vertreter getroffen, Berater des Assad-Regimes. Ich (B) (D) nehme an, die Folterkeller haben Sie sich nicht ange- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja, das würde schaut. Und heute nun, bevor von einer befriedeten Lage ich auch erbitten!) gesprochen werden kann, beeilen Sie sich, über Ihre Freunde zu sagen, dass diese ja nun die richtigen und Aydan Özoğuz (SPD): einzigen Ansprechpartner wären. Ich finde, das ist schon – Ja, dass Sie das nicht hören wollen, ist mir schon extrem durchsichtig. völlig klar. Man merkt eben, dass Ihre Anträge wirklich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nur aus der Hose geschossen sind. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU, der CDU/CSU) FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ Für die gesamte Region benötigen wir eine Lösung der DIE GRÜNEN) bestehenden politischen und natürlich erst Recht der mi- Deswegen denke ich, dass wir ein unterschiedliches litärischen Konflikte. Das ist nicht so leicht. Aber Weltbild haben. Deutschland hat eine Menge getan. Allein zu Syrien hat es in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an interna- Vielen Dank. tionalen Konferenzen gegeben – in Genf, in Wien, in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Paris, auch in Berlin und München. Deutschland hat im- bei Abgeordneten der LINKEN) mer wieder diese Plattform geboten, um sich ganz kon- kret über die Lage auch mit den Nachbarländern auszu- tauschen. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: damals sehr konkret über die Wasserknappheit im Liba- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin non und anderen Ländern und die fehlenden Strukturen in Sevim Dağdelen. der Versorgung so vieler Flüchtlinge, die ja in der Region geblieben sind, gesprochen wurde. An der Syrien-Geber- (Beifall bei der LINKEN) konferenz im letzten Jahr in Brüssel waren 57 Staaten beteiligt, dazu noch regionale Organisationen und Orga- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): nisationen der Vereinten Nationen. Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Liebe Frau Özoğuz von der SPD-Fraktion! Ganze Deutschland unterstützt die Bevölkerung in dieser Re- sieben Minuten hier eine Rede über Syrien zu halten und gion und insbesondere natürlich die Integration syrischer kein kritisches Wort zum völkerrechtswidrigen Angriffs- Flüchtlinge in vielen Bereichen. krieg Ihres NATO-Partners Türkei zu sagen, keine Verur- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16071

Sevim Dağdelen (A) teilung zu äußern, empfinde ich als eine besondere Leis- abzuschließen, um das richtig anzugehen und den (C) tung von Ihnen. Reichtum zu verteilen. (Beifall bei der LINKEN – Aydan Özoğuz Ich frage mich: Ist das der verlässliche Partner der [SPD]: Dazu haben wir eine ganze Rede gehal- Bundesregierung? ten!) (Beifall bei der LINKEN) Während wir hier heute debattieren, gehen entgegen der Darstellung von Bundesaußenminister Seit wann ist die Bundeswehr für den Profit von Exxon die Kämpfe im Norden und auch im Osten Syriens weiter. Mobil zuständig? Das, was hier von Ihrem verlässlichen Salafistische Terrorbrigaden Erdogans, die dem barbari- Partner ausgeführt wird, ist doch wirklich nichts anderes schen „Islamischen Staat“ in nichts nachstehen, unter- als eine fatale Rückkehr zu einem Imperialismus des stützt von der Türkei, rücken weiter auf die mehrheitlich 19. Jahrhunderts. Meines Erachtens ist es fatal, sich daran von christlichen Assyrern und Aramäern bewohnte zu beteiligen. Kleinstadt Tell Tamer vor. Die Invasion der türkischen Armee und einer islamistischen Soldateska an ihrer Seite (Beifall bei der LINKEN) in Syrien geht trotz des Waffenstillstands weiter. In einem von der Fraktion Die Linke beauftragten Gut- achten betont der Wissenschaftliche Dienst des Bundes- Während die syrische Armee gemeinsam mit den Kur- tages mit Blick auf das US-Vorgehen in Syrien, dass es den Tell Tamer erbittert verteidigt, um weitere Massaker „keinen Freibrief zur Dauerpräsenz der kriegführenden gegen Christen und andere Minderheiten in Syrien zu Staaten in der Region“ gebe. Will der syrische Staat wie- verhindern, hat die Bundesregierung nicht einmal ein um- der auf die Ölfelder in seinem Land zugreifen, ist eine fassendes Waffenembargo gegen den Kriegsverbrecher Verhinderung durch die USA völkerrechtlich nicht ge- Erdogan erlassen. Herr Maas hat zwar immer wieder be- deckt. Eine Ausbeutung von staatlichen Rohstoffen zu hauptet, es gebe ein umfassendes Waffenembargo, auch eigenen Zwecken wäre „ähnlich wie Plünderungen durch letztens hier noch in der Befragung der Bundesregierung, eine Besatzungsmacht … mit dem besatzungsrechtlichen aber das ist angesichts der Tatsachen, dass bisher geneh- Grundgedanken der Haager Landkriegsordnung unver- migte Waffenexporte an die Türkei bis heute ausgeführt einbar“. werden, eine dreiste Lüge des deutschen Außenministers. Herr Bundesaußenminister Maas, meine sehr verehrten (Beifall bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der SPD und Der Völkerrechtsbruch der Türkei in Syrien wird somit der CDU/CSU, ich stelle Ihnen dieses Gutachten des Wis- (B) weiterhin belohnt, mit Waffenausfuhren aus Berlin, aber senschaftlichen Dienstes sehr gern zur Verfügung. Daraus (D) auch mit üppigen Finanz- und Wirtschaftshilfen. Damit kann man allerdings nur eine Schlussfolgerung ziehen: trifft die Bundesregierung eine Mitschuld an diesen Die Unterstützung dieses völkerrechtswidrigen US- furchtbaren Kriegsverbrechen, die Erdogans islamisti- Raubzuges durch die Bundeswehr muss beendet werden. sche Terrorbrigaden in Syrien anrichten. (Beifall bei der LINKEN) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Was wir in Syrien brauchen, ist eine 180-Grad-Wende Man fragt sich wirklich: Wo ist der moralische Kom- der deutschen Syrienpolitik. Wir brauchen einen Bruch pass dieser Bundesregierung geblieben? Wo ist eigentlich mit der Regime-Change-Politik der letzten acht Jahre. die sogenannte wertegeleitete Außenpolitik der SPD? Die Bundesregierung darf nicht weiter über den deutsch-emiratischen Wiederaufbaufonds den Ausbau (Beifall bei der LINKEN – Marianne Schieder der Infrastruktur in von al-Qaida besetzten Gebieten Sy- [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit!) riens wie in Idlib weiter finanzieren. Herr Maas würdigt allen Ernstes dann auch noch die (Beifall bei der LINKEN) USA als „verlässlichen Partner“, gerade erst kürzlich, als US-Außenminister Pompeo zu Besuch in Berlin war. Ich Ich finde es schändlich, dass mit Erlaubnis der Bun- finde, das ist wirklich irre. Das dürften jedenfalls die desregierung in der Berliner Chausseestraße, hier in Ber- Menschen in Syrien ganz anders sehen. lin-Mitte, ein Büro von Halunken finanziert wird, die diesen völkerrechtswidrigen Krieg der Türkei in Syrien Ich möchte Sie an Folgendes erinnern: Es war US-Prä- mit unterstützen. Die Bundesregierung muss aufhören, sident Trump, der mit dem Befehl zum Abzug der US- diese syrische Botschaft spielenden Halunken hier weiter Soldaten aus dem Norden Syriens seine kurdischen Al- zu unterstützen, liierten im Kampf gegen den IS eiskalt fallen ließ und Erdogan grünes Licht für die Invasion gab, um kurz da- (Beifall bei der LINKEN) nach klarzustellen, dass er zusätzliche Truppen zum Schutz der dortigen Ölfelder nach Syrien schicken möch- und sie muss aufhören, weiter Waffen an Diktatoren und te. Der US-Präsident ist bezüglich seiner Raubpläne in auch autoritäre Regime in der Region wie Saudi-Arabien, Syrien dankenswert offen und ehrlich, wenn er öffentlich Türkei, aber eben auch Katar zu liefern, die letztendlich bekundet – ich zitiere –: islamistische Terrorbanden ausgerüstet haben, mit Waf- fen unterstützt haben, und dies laut Aussagen der eigenen Was ich vielleicht vorhabe, ist, mit Exxon Mobil Dienste in Deutschland. Diese Unterstützung muss auf- oder einem unserer großen Unternehmen einen Deal hören. 16072 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Sevim Dağdelen (A) Das bedeutet aber vor allen Dingen auch, dass wir zu den, aber auf einem Auge schlicht blind sind. Das ist nicht (C) einer Politik der humanitären Hilfe in Syrien umkehren hinnehmbar und nicht erträglich. müssen. Deutschland muss sich am Wiederaufbau Sy- riens beteiligen. Die Wirtschaftssanktionen, die die Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, völkerung weiter verarmen lassen, müssen aufgehoben bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) werden. Uns liegen insgesamt vier Anträge der AfD vor. Der eine Antrag befasst sich mit Libanon, und zu diesem An- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE trag fällt mir nicht mehr viel ein. Wir haben uns darüber GRÜNEN]: Wahnsinn!) schon ausgetauscht, es gab schon eine Lesung dazu. Aber Den Menschen Medikamente und Lebensmittel zu ver- das bringt mich dazu, an dieser Stelle noch einmal auch weigern, hat nichts mit einer humanitären Politik zu tun. für meine Fraktion zum Ausdruck zu bringen, dass wir es Ich meine, die Menschen in Syrien können nicht weiter trotz aller Dissenspunkte, die wir mit der Regierung Ne- warten. Setzen Sie sich für humanitäre Hilfe ein, tanjahu haben – es sind viele, und sie brauchen Raum, um erörtert zu werden –, nicht hinnehmbar finden und scharf (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE verurteilen, dass es in dieser Woche wieder einmal diese GRÜNEN]: Wahnsinn! Das Gleiche wie die Angriffe und Raketenbeschüsse gegeben hat. Die Sicher- AfD! Unglaublich!) heit Israels ist für uns konstitutiv. für ein Ende der Wirtschaftssanktionen und für Diploma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, tie statt für die weitere Unterstützung einer Umsturzpoli- bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP sowie tik. bei Abgeordneten der SPD) Ich weiß, die Grünen sind ja Befürworter von Regime- Des Weiteren gibt es einen Antrag, in dem die AfD Change-Politik. einen KSZE-Prozess für den Nahen Osten fordert. Das klingt immer gut. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das haben Sie Frau Kollegin! selber im Ausschuss vorgetragen!)

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Historische Beispiele lassen jemanden auch immer groß- bürgerlich erscheinen. Aber die Frage, wie das gehen soll, Aber wir sehen das Ergebnis von acht Jahren Regime- beantworten Sie so – ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Die Change-Politik in Syrien, und damit muss erst einmal Bundesregierung soll ein realistisches Konzept dafür vor- Schluss gemacht werden. (B) legen. (D) (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Ja!) Lambsdorff [FDP]: Das wurde immer abstru- ser!) Das ist die gesamte Antwort auf die Frage, wie das gehen soll. Ehrlich gesagt: Wir als Fraktion – das gilt nicht nur für uns; das gilt auch für alle anderen Fraktionen hier – Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: überlegen uns in der Regel Lösungen und nicht nur Din- Der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der ge, die schön klingen. Ich wundere mich, warum Sie nicht Kollege Omid Nouripour. den Königsfriedensvertrag zwischen Sparta und Athen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aus dem Jahr 386 vor Christus hier erwähnt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kolle- Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das liegt ja nicht gin Dağdelen, Sie bringen mich jetzt in die Verlegenheit, im Vorderen Orient!) die SPD verteidigen zu müssen. Deren Kollegin hat näm- lich gerade selbstverständlich den Einmarsch der Türkei Auch als Opposition muss man zumindest so tun, als nicht nur benannt, sondern ihn auch völkerrechtswidrig würde man sich Gedanken darüber machen, wie etwas genannt. gehen soll, und kann nicht sagen: Wir haben eine große Idee, die Bundesregierung soll sagen, wie es ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Damit komme ich zum Kern dessen, warum Sie diesen sowie bei Abgeordneten der SPD) Tagesordnungspunkt, Syrien überhaupt aufgesetzt haben. Was aber hier vom Pult aus nicht gesagt wurde, ist dies: Sie haben kein einziges Wort der Verurteilung Richtung (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das hat Ihr Assad gesagt. Hier liegen drei Anträge zu Syrien vor, die Kollege Trittin selber vorgeschlagen!) alle blöd sind. Es gibt eine gute Entwicklung, eine vielleicht gute Ent- wicklung, und zwar, dass das Verfassungskomitee nun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, tagt. Es ist bedauerlich, nein, es ist verheerend, dass die bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Kurden nicht dabei sind. Das führt Sie dazu, zu sagen: Aber Sie haben in sechs Minuten nicht ein Mal „Assad“ Der Krieg ist vorbei; lassen Sie uns sie jetzt endlich zu- gesagt. Das ist das Problem an dieser Debatte hier. Es ist rückführen. – Sie haben genau dasselbe auch gesagt, ein Problem, dass Sie über massenweise Verbrechen re- bevor es diesen Schritt gegeben hat. Sie brauchen also Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16073

Omid Nouripour (A) keine Anlässe. Es geht eigentlich nur um die Rückfüh- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das stimmt (C) rung. Es geht überhaupt nicht um Syrien; das wissen wir. nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kein Wort dazu, dass es Zehntausende von Vermissten gibt. Kein Wort davon, dass über 100 000 Menschen ge- Jetzt so zu tun, als sei der Krieg beendet, ist vor dem fangen gehalten werden. Kein Wort davon, was in den Hintergrund der Lage in Idlib, wo systematisch weiter Foltergefängnissen von Assad los ist. Kein Wort davon, Krankenhäuser und Schulen bombardiert werden, was mit denen passiert ist, die zurückgekehrt sind. Es gibt schlicht zynisch. so viele Berichte darüber, dass diese Leute Repressionen ausgesetzt sind, dass sie teilweise auch verschleppt wor- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: den sind. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Kollegen Hampel? GRÜNEN]: Ja!) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt sehr viele, von denen wir nicht wissen, wo sie Ja. sind. (Zurufe von der SPD: Nein! – Heiterkeit und Kein Wort vom sogenannten Dekret Nr. 10. Beim Dek- Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ret Nr. 10 geht es darum, dass die lokalen Warlords von SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und Assad grundsätzlich nach einem Stichtag gucken können, der SPD) wer gerade nicht zu Hause ist, und dessen Haus, dessen Acker dann einfach konfiszieren können. Das ist in so Armin-Paulus Hampel (AfD): vielen Fällen bereits passiert. Ich habe nur eine ganz schlichte Frage, Herr Kollege Wir reden über ein Land, in dem 9 Millionen Menschen Nouripour. nicht mehr dort leben können, wo sie beispielsweise ihr (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Hab und Gut haben. Sie dorthin zurückzuschicken, würde Das ist bei der AfD immer so! – Dr. Franziska bedeuten, dass die Leute in Armut und in Willkür geraten. Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Wir erleben willkürliche Verhaftungen gerade bei denje- ist überraschend, dass Sie schlicht sind!) nigen, die versucht haben, zurückzukommen. Kein Wort davon. – Da kann ich Sie ergänzen: Genauso schlicht hat das Ihr Kollege Jürgen Trittin fast wortwörtlich vorgetragen, wie Kein Wort davon, dass es lokale Versöhnungsabkom- (B) wir es in unserem Antrag formuliert haben. men gibt, die zwar so heißen, aber nichts mit Versöhnung (D) zu tun haben – im Gegenteil –, sondern schlicht die Würden Sie Ihrem Kollegen Trittin jetzt die gleiche Machtverhältnisse dieser Warlords zementieren. Kein geistige Schlichtheit wie uns unterstellen wollen? Wort davon, dass alles, was wir bisher von Assad an militärischen Erfolgen erlebt haben, ausschließlich gera- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): de nicht zu Frieden und Versöhnung, sondern zu Sieger- Ich habe Ihnen keine geistige Schlichtheit vorgewor- justiz führt. Kein Wort davon, dass das kein Weg ist, fen, weil ich Ihnen ganz andere Dinge vorzuwerfen habe. durch den Syrien auf Dauer befriedet werden kann. Kein (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wort davon, dass diejenigen, die zurückgehen, teilweise SES 90/DIE GRÜNEN) zwangsrekrutiert werden von den Menschen, die dort die Machtverhältnisse für Assad sicherstellen. Aber ich wiederhole gerne, was ich gesagt habe: Der Vor- schlag ist nicht per se falsch. Der Kollege Trittin hat recht. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Was ist Ihr Vor- schlag? Weiter Krieg führen?) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aha!) Kein Wort davon. Das macht mir wirklich Gänsehaut. Wir suchen händeringend nach einem Weg. Und wenn wir einen Weg gefunden haben, werden wir dazu hier Am Dienstag gab es in Daraa, in der Stadt, in der vor Anträge einbringen. Aber wir werden nicht so tun, als acht Jahren die Proteste begonnen haben hätten wir jetzt irgendwie eine ganz tolle Idee, und bitten (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Jetzt kommen die Bundesregierung, für uns zu denken. wieder die Horrorgeschichten!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die Formulie- und in der bei Beerdigungen tatsächlich auf Menschen rung war dieselbe!) geschossen worden ist, eine große Demonstration gegen Das ist der Unterschied in der Arbeitsweise zwischen der Assad und gegen die Hisbollah. Ich finde, der Mut dieser AfD und allen anderen Fraktionen im Hohen Hause. Leute gehört wenigstens einmal an dieser Stelle erwähnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wie bei Abgeordneten der SPD – Armin-Paulus bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- Hampel [AfD]: Danke schön, Herr Kollege!) geordneten der SPD) Sie sagen: Wiederaufbau, aber keine Bedingungen. Bei all dem Elend ist es selbstverständlich eine Kata- Kein Wort davon, dass dieses Land nur dann zu Frieden strophe, dass die Türkei jetzt völkerrechtswidrig einmar- kommt, wenn es Versöhnung gibt. schiert ist. Es ist humanitär, es ist organisatorisch und es 16074 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Omid Nouripour (A) ist völkerrechtlich katastrophal, was die Türkei macht. Es gibt. Die Menschen sind doch nicht wegen wirtschaftli- (C) ist extrem bedauerlich, dass die Bundesregierung sich in cher Destabilisierung geflohen. Und sie kehren doch auch den letzten Wochen und Monaten überhaupt nicht darum nicht zurück, wenn die Sanktionen aufgehoben werden. bemüht hat, wirklich die Schrauben anzudrehen. Es ist sehr bedauerlich, dass beispielsweise die Hermesbürg- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP schaften, ein hochsensibles Instrument, das im Falle der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Türkei immer wieder gewirkt, ökonomisch Druck ge- Sie sind durch die Bomben von Assad und durch die macht und zur Verhaltensänderung geführt hat, nicht ge- Proxys des Irans tief betroffen stoppt werden. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Es ist außerdem extrem bedauerlich, dass die Bundes- GRÜNEN]: So ist es!) regierung sich zu keiner Zeit um eine geordnete Rück- führung der Dschihadisten, die in Deutschland, in unserer und aus ihrer Lebenswirklichkeit geschoben worden. Es Gesellschaft, radikalisiert worden sind, bemüht hat. Wir ist unsere Aufgabe, darüber nachzudenken, wie man das haben eine Verantwortung, diese Leute zurückzunehmen. Problem lösen kann. Es geht jedenfalls nicht, indem man Das muss auch passieren. an den Wirkungen herumbastelt. Da muss man an die Ursachen gehen. (Frank Pasemann [AfD]: Das ist unglaublich! Hat er das eben wirklich gesagt?) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie haben doch noch gar nicht angefangen, nachzudenken! – Das ist sonst nicht nur den Staaten gegenüber heuchle- Dr. Götz Frömming [AfD]: Sie treffen damit risch, zu denen wir sagen: „Nehmt eure Dschihadisten doch nicht Assad, Sie treffen damit die Men- zurück“, sondern das ist auch schlicht in Anbetracht der schen!) Sicherheit dieses Landes fahrlässig. Der Nahe Osten ist aus den Fugen geraten; wir brau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen eine KSZE. -Das ist ein Zitat von Bundesaußenmi- sowie bei Abgeordneten der SPD) nister Steinmeier vom 21. Juli 2014, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Selbst die So- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zen haben mal gute Ideen!) Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Roderich Kiesewetter. als wir noch ein Fenster der Gelegenheit hatten, weit vor dem russischen Einmarsch, nach dem Nichtausnutzen der (Beifall bei der CDU/CSU) roten Linien durch die USA, dort tätig zu werden. Es ist (B) der deutschen Diplomatie zu verdanken, dass es den Gen- (D) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): fer Prozess gab. Wir sollten auch ein bisschen stolz darauf Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Mei- sein, dass wir den politischen Prozess vorangetrieben ha- ne sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir ben durch die Bundesregierung, auch mit Unterstützung eine lebendige Debatte über den Nahen und Mittleren dieses Hauses. Osten führen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ist lächer- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aber bitte lich, Herr Kiesewetter!) ernsthaft, Herr Kollege!) Hierauf sollten wir hinwirken. Ich bin den Vorrednern Jürgen Hardt, Aydan Özoğuz, Bihan Djir-Sarai und Omid Nouripour sehr, sehr dankbar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dafür, dass sie einmal Ursache und Wirkung dargestellt ordneten der SPD) haben. Ich halte sehr viel davon, liebe Kolleginnen und Kolle- gen, da zur Sacharbeit zurückzukehren. Deswegen sind Wenn wir schon sehr nüchtern und sachlich sprechen, Ihre Anträge auch abzulehnen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das war weder (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Unglaublich! nüchtern noch sachlich!) Unqualifiziert!) so lohnt ein vertiefter Blick in die Anträge, die Herr Ich will deutlich machen: Der völkerrechtswidrige Hampel hier versucht hat vorzustellen, ohne auf sie ein- Vorstoß der Türkei und das russische Vorgehen führen zugehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da steht tat- doch nur zu einer Stabilisierung von Assad. Wir sollten sächlich in einem der Anträge, durch die wirtschaftliche uns auch darauf einstellen, dass die für das Jahr 2021 Destabilisierung des Westens würden die Flüchtlinge an vorgesehenen Wahlen vorher wenige Änderungen brin- der Rückkehr gehindert und deshalb solle man die Sank- gen. Das heißt, wir haben noch zwei Jahre harter diplo- tionen gegen Syrien aufheben. matischer Arbeit vor uns. Deshalb sind auch alle Vor- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE schläge zu begrüßen, die Sackgasse, in die sich die GRÜNEN]: Wahnsinn!) Konfliktparteien dort manövriert haben, wieder aufzulö- sen. Jürgen Hardt und Aydan Özoğuz haben klargestellt, dass es über 6 Millionen Binnenvertriebene, über 5 Mil- Der KSZE-Vorschlag ist irreführend, weil der KSZE- lionen Menschen, die außerhalb des Landes sind, rund Prozess in Europa aus Europa, aus Gründen der Men- eine halbe Million Tote und über 1 Million Verstümmelte schenrechte, aus der Spaltung der Blöcke, der Spaltung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16075

Roderich Kiesewetter (A) der Familien über den Eisernen Vorhang heraus entstan- Sanktionen, sondern indem wir helfen – hier – in der (C) den ist. Wir können nur appellieren, dass aus der Region Integration und in der Ausbildung heraus der Wille zum Frieden und der Wille zu einer positiven Konfliktkultur entstehen. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Das führt zu noch mehr Flüchtlingen!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Träumen Sie und – dort – dann mit der Bereitschaft, eine Zone zu mal weiter!) schützen, wo die Flüchtlinge nahe ihrer Heimat wieder Das sollten wir mit unserer Diplomatie fördern und nicht an Aufbau und Rückkehr denken können. durch Dienstreisen einen Diktator huldigen. In diesem Sinne lehnen wir Ihre Anträge ab, aber leis- (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- ten einen Beitrag für ein konstruktives Vorgehen unseres NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Bundestages. ten der SPD) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind aus meiner Sicht vier Punkte, die wir anpacken müssen. Frau Anne- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gret Kramp-Karrenbauer hat mit ihrem Vorschlag, mit ordneten der SPD) dem sie versucht hat, diese Sackgasse zu durchstoßen, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das haben wir schon 2015 vorgeschlagen!) Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Frank Pasemann. eine Reihe dieser Punkte angesprochen. Ich will diese vier Punkte einmal in einen Zusammenhang bringen: (Beifall bei der AfD)

Erstens. Wenn wir uns als Europäer dort in der Flücht- Frank Pasemann (AfD): lingshilfe, in der Trennung von Konfliktparteien, in der Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Schaffung eines sicheren Hafens für Flüchtlinge engagie- ren! In der derzeitigen Syrien-Politik offenbart sich ein ren, dann ist das ein Zeichen, dass wir nicht mehr Zaun- weiteres Mal die Planlosigkeit und das Versagen der Bun- gast sein wollen, sondern gestaltend und hilfreich mitwir- desregierung. Verteidigungsministerin Kramp-Karren- ken im Rahmen der politischen Prozesse. bauers und Außenminister Maas’ Äußerungen in Bezug Zweitens. Es ist ein Zeichen an die Türkei, dass wir sie auf die Sicherheitszone könnten unterschiedlicher nicht im westlichen Bündnis halten wollen, dass wir ihr helfen sein. Und auch innenpolitisch offenbart sich ein Desaster. (B) wollen, von diesem völkerrechtswidrigen Vorgehen, dem In Deutschland halten sich derzeit rund 767 000 syri- (D) Bruch des Völkerrechts – um es klar anzusprechen – mit sche Staatsbürger auf, die meisten davon in unseren So- diesem Angriff, wieder zurückzukehren auf die regelba- zialsystemen. Durch die Ausweisung des syrischen sierte Ebene. Das bedarf einer großen Anstrengung der Botschafters stehen ihnen drei diplomatische Botschafts- Europäer, und dazu sollten wir bereit sein. mitarbeiter gegenüber, allerdings kein Botschafter. Das (Beifall der Abg. Ursula Groden-Kranich Ergebnis für die syrischen Staatsangehörigen ist oft tage- [CDU/CSU]) langes Warten auf eine Bearbeitung der Anliegen. Warum ist das so? Weil diplomatische Beziehungen mit der Ara- Drittens, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es auch bischen Republik Syrien seitens der Bundesregierung auf ein Zeichen an Russland, dass wir deren Präsenz dort zwingend erforderliche Kontakte beschränkt worden akzeptieren, wenn sie bereit sind, den Genfer Prozess sind. Damit ist es unmöglich, ein angemessenes Lagebild voranzutreiben, dass wir ihre Basen in Tartus und Latakia und eine brauchbare Einschätzung der Situation vor Ort akzeptieren und dass wir sehen, dass Russland das Va- in Syrien zu erhalten. Es gilt festzuhalten, dass die Regie- kuum, das der Westen hinterlassen hat, gefüllt hat, aber rung um Staatspräsident Baschar al-Assad in den befrie- eben auch an einem politischen Prozess interessiert ist. deten Teilen Syriens und damit dem Großteil des Landes Das ist das Zeichen, das wir auch an Russland geben. nach wie vor die tatsächliche Regierung darstellt. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ah! Interes- (Beifall bei der AfD) sant! Das klang doch mal ganz anders!) Um den großenteils befriedeten Konflikt nicht wieder – Hören Sie zu, dann lernen Sie noch was, Herr Hampel. oder nicht weiter anzuheizen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nicht von Ihnen, GRÜNEN]: Da ist nichts befriedet! Dass Sie Herr Kiesewetter!) es noch nicht verstanden haben!) Wenn wir das an diesen Bereich koppeln, dann, glaube ist es notwendig, die diplomatischen Beziehungen zu Sy- ich, haben wir auch einen Hebel, um mit Russland auf rien wieder zu intensivieren. diplomatischer Ebene wieder ins Benehmen zu kommen. Viertens, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es not- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) wendig, dass wir ein Zeichen an die Flüchtlinge geben: Die fortwährende Ächtung der Republik Syrien steht ei- Bleibt in der Region, wir helfen euch. – Wir stützen hier nem nachhaltigen Versöhnungs- und Wiederaufbaupro- eine Rückkehrperspektive, nicht durch Aufhebung der zess diametral entgegen. 16076 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Frank Pasemann (A) (Beifall bei der AfD) Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Das, meine Damen und Herren, kann nicht im Interesse AfD legt uns vier Anträge vor. Das interessiert die Frauen Deutschlands sein. Ihrer Fraktion herzlich wenig: (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Die haben ja Weiterhin mit der Nationalkoalition syrischer Revolu- auch nicht so viele!) tions- und Oppositionskräfte, der sogenannten ETILAF, Zwei sind da, die dritte geht weg, die Fraktionsvorsitzen- zusammenzuarbeiten, heißt, den Sturz des rechtmäßigen de ist nicht da. syrischen Staatspräsidenten Assad zu einer Bedingung für ein friedliches Zusammenleben der Völker in dieser (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Was hat das mit Region zu machen. Diese Politik bedeutet womöglich die Frauen zu tun?) Wiederaufnahme des Bürgerkrieges und damit einher- Wenn es um Krieg und Frieden geht, gehören die Frauen gehender Gewalt in Syrien. in dieses Parlament. Das können Sie denen mal mit herz- (Beifall bei der AfD – Dr. Götz Frömming lichen Grüßen bestellen. [AfD]: Nichts spürbar hier!) (Beifall der Abg. Leni Breymaier [SPD] – Es ist nun mal so, dass sich Außenpolitik vor allem an Martin Reichardt [AfD]: Was hat denn das jetzt der Realität vor Ort orientiert und sich nicht nur nach dem damit zu tun? – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wunschdenken Einzelner auf der Regierungsbank richtet. Noch ein paar Argumente!) Natürlich erfordert eine veränderte Sicherheitslage im (Beifall bei der AfD) Nahen Osten auch neue Antworten. Aber Ihre Antworten Das ist auch der Grund, weshalb die Sanktionen nicht und Ihre Vorschläge sind unrealistisch. Sie sprechen im greifen und dadurch keinerlei Zugeständnisse erreicht Antrag in der Überschrift von „Frieden sichern“. worden sind. Letztendlich wird durch diese Sanktionen und die damit verbundene Politik lediglich das Leid der (Martin Reichardt [AfD]: Ich fühle mich auch syrischen Bevölkerung vergrößert. als Frau! Ich bin da!) Welchen Frieden meinen Sie, Herr Hampel? Es gibt im (Beifall bei der AfD) Augenblick keinen Frieden. Italiens Außenminister Luigi Di Maio, Frankreichs (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja! Den wollen (B) Präsident Emmanuel Macron und selbst der Wissen- wir ja auch herbeiführen! Ich erkläre Ihnen das (D) schaftliche Dienst des Bundestages sehen durchaus die mal bei einem Kaffee! Ich lade Sie auf einen Möglichkeit, auch mit der Regierung Assad eine Frie- Kaffee ein!) densordnung zu verhandeln. Doch wieder einmal wurde die Bundesregierung von der Realität überholt. Eine frie- Allenfalls gibt es zwischendurch einen Waffenstillstand. dens- und geopolitische Verantwortung der Bundesregie- Wir haben ja gehört, wie die Bevölkerung nach wie vor rung für Syrien ist nicht ersichtlich. Von diesbezüglicher leidet. Kenntnis ist erst gar nicht zu sprechen. Dass Herrn Maas angesichts solcher Debatten bei der Regierungsbefragung Sie behaupten, dass der vielschichtige Bürgerkrieg in letzte Woche nichts anderes einfiel, als Witze zu machen, Syrien nunmehr weitgehend beendet ist. zeigt erneut, dass er seinem Amt nicht gewachsen ist. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja! Ist so!) (Beifall bei der AfD) Das ist falsch. Sie behaupten, dass die syrische Regierung ihr Land wieder weitgehend unter Kontrolle gebracht hat. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass er seinen welt- politischen Maßstab scheinbar nur aus Salongeschwätz (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ob es Ihnen ge- ableitet. fällt oder nicht: Ja! Ob es Ihnen gefällt oder nicht: So ist es!) Außenpolitisches Maß hat diese Bundesregierung nicht. Deutsche Interessen vertritt der deutsche Außen- Falsch! Auch hier leiden Sie unter Realitätsverlust. Von minister nicht. Es ist Zeit für eine neue Syrien-Politik, Kontrolle oder gar Ordnung kann doch in Syrien zum und wenn die Bundesregierung sie nicht leistet, dann wird jetzigen Zeitpunkt gar nicht die Rede sein, und das wissen die Opposition dieses Feld bestellen. Sie. Vielen Dank. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dann fahren Sie mal hin! Dann fahren Sie mal hin, und schauen (Beifall bei der AfD) Sie es sich an! Sie können gern mit uns mit- fahren! Dann zeigen wir Ihnen das!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das wissen Sie, und Sie werden auch nicht in bestimmte Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin Regionen reisen, sondern allenfalls nach Damaskus. Elisabeth Motschmann. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Wir feiern Weih- (Beifall bei der CDU/CSU) nachten!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16077

Elisabeth Motschmann (A) Nordsyrien ist völkerrechtswidrig besetzt von unserem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) NATO-Partner Türkei. Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber mit Erdogan in Nordsyrien!) (Dr. Götz Frömming [AfD]: Toller Partner!) Nun sollen wir also unsere diplomatischen Beziehungen Das stand übrigens hier drin, bevor Herr Nouripour das wieder aufnehmen, normalisieren und die Sanktionen angemahnt hat. Amerika hinterlässt durch den Truppen- aufheben. Das kann nicht sein. abzug ein Machtvakuum. Erdogan und Putin bauen ihren Einfluss in der Region brutal aus. Sie fordern die Bundesrepublik auf, sich am wirtschaft- lichen Aufbau der Region finanziell zu beteiligen. Das (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die haben ge- heißt, Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Geht es Ihnen pokert!) eigentlich wirklich darum, das Land wieder aufzubauen Assad bombardiert weiterhin die Zivilbevölkerung. Von und der Bevölkerung vor Ort zu helfen? Menschenrechten keine Rede! Wieder sind Hunderttau- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja!) sende auf der Flucht. IS-Kämpfer sind frei und weiterhin fähig und willens, Anschläge in Syrien, im Irak und auch Oder geht es Ihnen in Wahrheit darum, in Deutschland in Europa zu verüben. lebende syrische Flüchtlinge so schnell wie möglich los- zuwerden? (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die holen Sie ja jetzt nach Hause!) (Beifall der Abg. Aydan Özoğuz [SPD] – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Auch! Ja, selbst- – Herr Hampel, hören Sie doch mal zu. Das würde Ihnen verständlich!) guttun. Diese Menschen sind geflohen, um Schutz vor Krieg, (Peter Beyer [CDU/CSU]: Uns allen würde das Terror, Vergewaltigung und Tod zu finden. Deshalb ist guttun!) Ihre Intention nicht richtig, sie so schnell wie möglich Dann werden nämlich auch Ihre Vorschläge besser und wieder loszuwerden. fallen nicht so aus wie in den Anträgen. Unser Ziel muss es sein, Sie wollen uns weismachen, dass Syrien befriedet ist. (Zuruf des Abg. Jürgen Pohl [AfD]) Allen Ernstes fordern Sie eine vollständige Aufhebung sämtlicher diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktio- den Kampf gegen den IS fortzusetzen, die humanitäre nen gegen das Assad-Regime. Lage in der Region zu stabilisieren (B) (Frank Pasemann [AfD]: Gegen Syrien! Nicht (Dr. Götz Frömming [AfD]: Sanktionen) (D) gegen das Assad-Regime! Lesen Sie mal rich- und konstruktive Vorschläge zur Stabilisierung von Sy- tig!) rien zu machen. Die Bundesregierung muss ihr sicher- Sie fordern die Normalisierung der diplomatischen Be- heitspolitisches Engagement sicherlich weiter fortsetzen, ziehungen sowie die Änderung unserer bisherigen politi- verstärken und in diesem schwierigen Geflecht versu- schen Haltung gegenüber Assad. chen, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ist ja gar nicht (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Aha!) drin! Da steht „Syrien“!) mit den bestehenden Formaten, – Mit diesem Verbrecher gibt es keine normalen Bezie- (Martin Reichardt [AfD]: Welcher Sprechbla- hungen, Herr Hampel; das müssen Sie mal lernen. sendrescher hat das denn ausgespuckt?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – unter anderem mit ihrem Sitz im Weltsicherheitsrat, für Martin Reichardt [AfD]: Wir müssen von Ihnen einen Weg in den Frieden zu sorgen. gar nichts lernen!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Inschallah! Haben Sie all die Grausamkeiten des achtjährigen Bür- Amen!) gerkriegs mit mindestens 500 000 Toten vergessen? Ha- ben Sie vergessen, dass Assad Chlorgas und Sarin gegen Zum Schluss mein Fazit: Ich gratuliere der Bundesre- sein eigenes Volk eingesetzt hat? Sein Ziel, regierungs- publik Deutschland, dass die AfD keine sicherheitspoli- feindliche Kräfte umzubringen oder zu vertreiben, nennt tische und außenpolitische Verantwortung trägt. man ethnische Säuberung. Mit so einem Mann kann man nicht normal umgehen. (Zuruf von der AfD: Das kommt noch!) Vielen Dank. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja! Genau! Das ist Terror!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Sie sollten still sein. neten der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Halleluja!) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ich muss über- haupt nicht still sein!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie haben völlig vergessen, dass dieser Schlächter immer Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion der Kolle- noch am Werke ist. ge Alexander Graf Lambsdorff. 16078 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) (Beifall bei der FDP) (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Ja!) (C) Es gibt eine Annäherung zwischen Israel und wichtigen Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Staaten der arabischen Welt, insbesondere Ägypten, aber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- auch Saudi-Arabien und anderen Staaten aus dem Golf. leginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Ich würde mir wünschen, dass sich die Beziehungen Is- Besucher! Wenn ich auf die Medienwand schaue, auf raels zu Jordanien wieder verbessern würden. Wenn dann der unser Tagesordnungspunkt steht „Militärische Eska- hier im Deutschen Bundestag beantragt wird, wir mögen lation im Nahen Osten“, dann ist mein erster Gedanke doch eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit „Israel“; denn Israel ist das Land, mit dem wir besonders im Nahen Osten unterstützen, dann klingt das für mich eng verbunden sind. Es ist die einzige Demokratie im nach Hans-Dietrich Genscher. Nahen Osten, ein Rechtsstaat, ein hochentwickelter In- dustriestaat, ein Land der Freiheit, in dem Menschen ohne (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig! Ge- Furcht vor Antisemitismus leben können. nau!) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ist wahr!) Hans-Dietrich Genscher war ein Außenminister, der mit der KSZE wirklich Gegensätze überwinden konnte. Israel ist das Land in der Region, mit dem wir hier in Deswegen: Auch wenn die AfD ansonsten immer dane- Europa die meisten Werte teilen. benliegt: Von Hans-Dietrich Genscher lernen ist immer richtig. (Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Armin- Armin-Paulus Hampel [AfD]: Hört! Hört!) Paulus Hampel [AfD]: Da haben Sie wirklich Ich will auch in meiner Eigenschaft als Vorsitzender recht! Jawohl!) der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe sagen: Der Weg der Besserung steht Ihnen offen. Mehr Gen- Unsere Beziehungen zu Israel sind einfach besonders. scher, weniger Bismarck, darüber würden wir uns freuen. Israel würde nicht existieren, hätte es die Shoah nicht gegeben. Israel wird für uns nie ein Partner wie alle ande- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Heiterkeit ren sein. Wir gehen aufeinander zu, auch wenn es in die- bei Abgeordneten der AfD – Armin-Paulus sen Zeiten der sehr engen freundschaftlichen Beziehun- Hampel [AfD]: Er hat bei Bismarck gelernt!) gen den einen oder anderen politischen Streitpunkt mit Meine Damen und Herren, unser Ziel als Deutsche Israel geben kann. bleibt ein jüdischer demokratischer Staat Israel in aner- kannten und dauerhaft sicheren Grenzen an der Seite ei- (B) In dieser Situation, in der wir heute dieses Thema de- (D) battieren, ist Israel einer Vielzahl von Krisen und Bedro- nes unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen pa- hungen in der unmittelbaren und weiteren Nachbarschaft lästinensischen Staates in einem befriedeten Nahen ausgesetzt. Deutschland hat eine besondere Verantwor- Osten. Das ist sehr anspruchsvoll. Aber es ist aller Mühe tung für die Sicherheit Israels. Deswegen müssen wir wert, wenn es um die Sicherheit Israels und Frieden in der auf die aggressive Rhetorik des Iran reagieren, der das Region geht. Existenzrecht Israels nach wie vor glatt verneint. Meine Herzlichen Dank. Damen und Herren, das Existenzrecht Israels steht für uns außer Frage. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der AfD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: In unserer Außenpolitik muss es deswegen darum ge- Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion der Kolle- hen, den negativen regionalen Einfluss des Iran zurück- ge Dr. Karl-Heinz Brunner. zudrängen, insbesondere wenn er Organisationen wie die Hisbollah unterstützt – Kollege Jürgen Hardt hat eben (Beifall bei der SPD) erwähnt, dass wir das Thema demnächst noch etwas stär- ker bearbeiten werden –, aber auch, wenn er den islami- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): schen Dschihad im Gazastreifen unterstützt. Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ein Be- Während wir hier miteinander friedlich und sicher de- kenntnis zu Israel ist selbstverständlich, aber heute nicht battieren können, müssen die Menschen, muss die Zivil- unbedingt Gegenstand dieser Beratungen. bevölkerung in Israel alle paar Stunden in Schutzräume, um Zuflucht vor den terroristischen Raketenangriffen zu (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die gehören in suchen. Meine Damen und Herren, wir stehen fest an der einer solchen Konferenz dazu, Herr Brunner! Seite Israels und der Zivilbevölkerung angesichts dieser Selbstverständlich!) Terrorangriffe. – Die gehören sicherlich dazu. Aber wir diskutieren jetzt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht quer. Sie hören mir mal kurz zu! der CDU/CSU, der SPD und der AfD) Was wollen Sie, was will die AfD mit diesen Anträgen, Es gibt allerdings in der Region auch positive Entwick- die heute eingebracht worden sind? Sie wollen doch lungen. nichts anderes – die Kollegin Motschmann hat das auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16079

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) schon angesprochen –, als die über 11 Millionen geschun- sehr viel dazu beigetragen – und machen hier auf diplo- (C) denen Seelen, die vor Assad, dem Schlächter, der Giftgas matischem Weg weiter –, die Waffenruhe zu stabilisieren - gegen sein eigenes Volk einsetzt, geflohen sind, wieder in die Hände dieses Schlächters zurückführen. Das darf (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja, das macht nicht sein, und das darf in diesem Hause, im Deutschen Deutschland!) Bundestag, nicht auch nur annähernd eine Zustimmung erfahren. – das ist nämlich das Erste, was wir in dieser Region brauchen –, humanitäre Hilfe zu geben – Deutschland (Beifall bei der SPD – Armin-Paulus Hampel ist das zweitgrößte Geberland für humanitäre Hilfe in [AfD]: Mehr mit Niveau, Herr Brunner! Nicht Syrien und hat bereits 500 Millionen Euro für 2019 zu- immer so platt!) gesagt –, den politischen Prozess zu unterstützen, also ein Verfassungskomitee unter Leitung der Vereinten Natio- Ich sage das ganz deutlich, weil hier manchmal offen- nen personell und finanziell zu unterstützen – dieses Land sichtlich Ursache und Wirkung verwechselt werden. Ich braucht eine Verfassung; dieses Land braucht die Grund- bin froh, dass der Kollege Nouripour den Ursprung in der lage für eine Versöhnung der Bürgerinnen und Bürger in Stadt Daraa, das Auflehnen der Bevölkerung gegenüber Syrien und in dieser Region – und – nicht last, but not einem Despoten, angesprochen hat. Es ist nicht Assad least, sondern zuvor – den Kampf gegen den IS fortzu- gewesen, der dem Land Frieden gebracht hat, sondern führen. Ich persönlich weigere mich, von einem „Staat“ es sind mehr oder weniger glückliche oder unglückliche zu sprechen, denn der IS ist kein Staat, sondern eine Ver- Umstände gewesen, die dazu geführt haben, dass Frieden brecherorganisation, die aus dieser Region beseitigt wer- herrscht oder Krieg. den muss. Ich sage ganz deutlich: Das Beispiel der KSZE zieht nicht. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dann lag Ihr Herr Steinmeier falsch! Das ist aber schlecht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: für euch!) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Das zieht deshalb nicht, weil wir offensichtlich vergessen Kollegen Lambsdorff? haben, dass die KSZE-Akte mit der Friedenssicherung

(Beifall der Abg. Aydan Özoğuz [SPD]) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): (B) einen Schlusspunkt gesetzt hat, wir dafür aber vorher Nein, das gestatte ich nicht. (D) Frieden in Syrien und in der Region erreichen müssten. Wenn wir Frieden haben, können wir eine Art KSZE- (Zurufe von der FDP) Akte als Schlusspunkt setzen. Das wäre der richtige Weg. Last, but not least sind internationale Partner einzubin- Sie sehen ja in Ihrem Weltbild – die Kollegin Özoğuz den, den UN-Prozess fortzuführen, aber auch mit der hat es schon angesprochen – den Vorderen Orient Goe- Türkei und Russland bilateral zu sprechen. thes – das ist eher veraltet – im Mittelpunkt, nicht die Zukunft. Deshalb ist es ja auch typisch, dass Sie in Ihrem Die Small Group on Syria unterstützt den politischen Antrag das Wort „laizistische“ mit vier I schreiben, Prozess bereits. Die humanitäre Diplomatie der Geber- konferenzen arbeitet im Dialog mit entsprechenden Part- (Lachen des Abg. Omid Nouripour [BÜND- nern und politischen Entscheidungsträgern. Im Kreis der NIS 90/DIE GRÜNEN]) EU, die in Ihrem Antrag nicht genannt wird, und der Ver- einten Nationen setzt sich Deutschland für die Erhöhung obwohl das Wort üblicherweise mit drei geschrieben und Bereitstellung von Geldern für humanitäre Hilfe ein. wird. Das zeigt die Flüchtigkeit bei diesem Antrag. Deshalb ist es richtig und gut, dass wir uns in Deutschland Mit Ihrem Antrag wollen Sie in erster Linie wirtschaft- und aus Deutschland heraus an diesem umfangreichen liche Sicherheit für Assad erreichen. Sie wollen nicht den politischen Prozess in Syrien beteiligen. Denn ohne Frie- Menschen vor Ort Stabilität geben. Und Sie sind keines- den in dieser Region wird wirtschaftliche Hilfe und wird wegs bereit, so wie Sie das bei Ihrer Privatreise nach letztendlich auch eine Rückkehr der geschundenen Men- Syrien schon getan haben, für die Menschen da zu sein, schen an den Ort, an den sie wollen, ihre Heimat, nicht sondern Sie wollen mit Machthabern sprechen, um die möglich sein. Ich glaube, dass es notwendig ist, dass diese Situation zu erzeugen, dass die geschundenen Menschen Menschen in ihre Heimat erst zurückkehren, wenn sie wieder zurückgeführt werden. dort in Sicherheit, Frieden und Freiheit leben können, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie können gern (Frank Pasemann [AfD]: Und Wohlstand!) mitkommen!) so wie dies bei uns selbstverständlich ist. Wir haben nicht zuletzt durch den Fünf-Punkte-Plan von Außenminister Heiko Maas Vielen Dank. (Lachen des Abg. Armin-Paulus Hampel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [AfD]) der CDU/CSU) 16080 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gefunden habe, Frau Kollegin, habe ich es gegoogelt. (C) Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Dort steht dann: Syrien, Iran, Palästina, Israel – dessen der Kollege Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion. Existenzrecht von allen hier verteidigt wird –, Jemen, Libanon, und bei einem Treffer stand sogar Libyen drin. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, jetzt brauchen wir eine Kon- ferenz. Alexander Radwan (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debat- Sehr geehrter Kollege Graf Lambsdorff, ich schätze tieren heute wie in der letzten Woche auch die Syrien- Hans-Dietrich Genscher. Aber ich finde es schade, dass Thematik. Wenn ich sowohl nach links als auch nach Sie ihn heute mit der AfD in Verbindung bringen. rechts schaue, dann stelle ich fest: Es gibt immer sehr (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Nein, mit viele einfache Antworten auf hochkomplexe Fragen: der KSZNO, Herr Radwan!) Man habe diese Probleme in kürzester Zeit gelöst, wenn man nur das eine machen würde. Das hat er nicht verdient. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ich habe gerade Meine Damen und Herren, ich habe gerade die Prob- gesagt: Es ist ein langer Prozess! lemfelder dargestellt, die es im Nahen Osten gibt. Heute Ich kann den Zuschauern und den Gästen auf der Tribüne gab es einen Redner der AfD – das werden Sie im Wort- eigentlich nur sagen: Meine Damen und Herren, Men- protokoll nachlesen können –, der der Meinung ist – ich schen, die auf komplexe, immer schwieriger werdende wiederhole es –, dass die Thematiken Syrien, Iran, Paläs- Sachverhalte ganz einfache Lösungen geben, werden tina, Israel, Jemen, Libanon und vielleicht noch Libyen in scheitern und bringen uns kein Jota voran. ein paar Jahren gelöst sind. Gratulation zu dieser Naivität! Wenn Sie mit diesem Ansatz Außenpolitik machen, mei- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ist doch die ne Damen und Herren, sind Sie eine Gefahr für Europa Unwahrheit! Stimmt gar nicht! Sie sagen die und die ganze Welt. Unwahrheit!) (Beifall der Abg. Elisabeth Motschmann Von daher: Hören Sie dort am besten weg! [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, die USA werden kritisiert. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Zu Recht!) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Es gilt zu Recht Kritik zu üben, aber nicht nur gegenüber Kollegen Hampel? (B) den USA, sondern auch gegenüber Russland. Das Va- (D) kuum, das entstanden ist, wurde durch Russland, die Tür- Alexander Radwan (CDU/CSU): kei, Iran und andere Staaten gefüllt. Umso wichtiger ist Nein. es, den Vorschlag der Bundesverteidigungsministerin ernst zu nehmen (Armin-Paulus Hampel [AfD]: War doch klar! – (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Der Vorschlag Martin Reichardt [AfD]: Da ist doch auch keine kam von uns! Vor vier Jahren!) Substanz! Da kann man auch keine Zwischen- frage beantworten!) und über Appelle hinaus endlich mal darüber nachzuden- ken, was man aktiv tun kann. Es wird auch wehtun, wenn – Zum Stichwort „Substanz“. Wenn Sie demnächst wie- man aktiv wird. Es gilt, nicht nur immer moralisierend am der nach Syrien fahren: Ich frage mich, ob die Anträge zu Rand zu stehen und zu sagen, wie es gehen sollte. den diplomatischen Beziehungen mit entsprechender Aufgabe der Sanktionen die Vorbedingung waren, um (Beifall bei der CDU/CSU) offizielle Termine in Syrien zu bekommen. Meine Damen und Herren, mein Vorredner hat schon (Dr. Götz Frömming [AfD]: Verschwörungs- die fünf Punkte angesprochen: die Stabilisierung der Waf- theorie!) fenruhe in Syrien mit Blick auf das kurdische Schicksal; humanitäre Hilfe; den politischen Prozess, also den Ver- Wenn Sie, meine Damen und Herren, nach Syrien fah- fassungskonvent und die Finanzierung des Wiederauf- ren: Die Grundvoraussetzung in diesem Land – konzent- baus – und zwar nicht unkonditioniert –; die Einbindung rieren wir uns auf die Komplexität dieses Landes! – ist, der regionalen und internationalen Mächte; natürlich – dass neben Assad natürlich auch die Rebellen und auch nicht aus dem Fokus zu verlieren – den Kampf gegen die Kurden gehört werden müssen, damit sie sich in ei- den IS, der weitergehen muss. Ein Wiedererstarken des nem Friedensprozess wiederfinden. Darum erwarte ich IS in diesem Bereich müssen wir auf jeden Fall verhin- von Ihnen, wenn Sie in den nächsten Tagen nach Syrien dern, weil die Problematik sonst größer wird. fahren, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Lippenbe- (Marianne Schieder [SPD]: Die sollen da- kenntnis! Reines Lippenbekenntnis!) heimbleiben!) Dann sehen wir heute die Anträge. Es gibt einen über dass Sie auch diese Gruppierungen treffen und mit ihnen die Schaffung einer Konferenz für Sicherheit und Zusam- einen Dialog führen, um dann einen gemeinsamen Vor- menarbeit im Vorderen Orient. Da ich das nicht im Duden schlag zu bringen, wie es dort weitergehen soll. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16081

Alexander Radwan (A) (Marianne Schieder [SPD]: Was machen die Modernisierung des Strafverfahrens (C) eigentlich in Syrien?) durch digitale Dokumentation der Hauptverhandlung Besten Dank für die Aufmerksamkeit. Drucksachen 19/14244, 19/13515, 19/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- 15161 ordneten der SPD) Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten vereinbart. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: so beschlossen. Vielen Dank, Kollege Radwan. – Ich schließe die Aus- sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wenn Sie jetzt bitte Platz nehmen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist für die den Drucksachen 19/15064, 19/15066, 19/15065 und SPD-Fraktion der Kollege Dr. Johannes Fechner. 19/15067 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungs- der CDU/CSU) vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so. Dr. Johannes Fechner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: be Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Dieses a) – Zweite und dritte Beratung des von den Gesetz heute ist ein weiteres Element von vielen Maß- Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- nahmen, die wir uns in der Koalition vorgenommen ha- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur ben, um die Strafprozesse moderner und effektiver zu Modernisierung des Strafverfahrens gestalten, um die Opfer besser zu schützen und so für mehr Sicherheit in Deutschland zu sorgen. Deswegen Drucksache 19/14747 ist das ein ganz wichtiges Gesetz, welches wir heute hier beschließen. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eines Gesetzes zur Modernisierung des Bevor ich auf die einzelnen Gesetzesänderungen ein- Strafverfahrens gehe, will ich gleich zu Beginn einmal mehr sagen, dass die besten Gesetze nichts bringen, wenn wir für ihre An- (B) Drucksachen 19/14972, 19/15082 (D) wendung bei Polizei und Justiz zu wenig Personal haben. – Zweite und dritte Beratung des von den Uns als SPD war es deshalb sehr wichtig, dass die Länder Abgeordneten Stephan Thomae, die 2 000 Richter und Staatsanwälte, die wir im Pakt für Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiteren den Rechtsstaat vereinbart haben, und das zugehörige Abgeordneten und der Fraktion der FDP weitere Personal für die Gerichte auch einstellen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nutzung audio-visueller Aufzeich- (Marianne Schieder [SPD]: Genau!) nungen in Strafprozessen 220 Millionen Euro – 220 Millionen Euro! – haben wir als Bund den Ländern für diese Personalmaßnahmen zur Ver- Drucksache 19/11090 fügung gestellt. Wir erwarten, dass dieses Personal jetzt auch eingestellt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz (Beifall bei der SPD) (6. Ausschuss) Von Verteidigern aus der rechten Szene mussten wir Drucksache 19/15161 leider öfter erleben, etwa in dem Fall vor dem Landge- richt Koblenz, dass Beschuldigtenrechte missbräuchlich b) Beratung der Beschlussempfehlung und des ausgeübt wurden, dass ins Blaue hinein Beweis- oder Berichts des Ausschusses für Recht und Ver- Befangenheitsanträge gestellt wurden, nur mit dem Ziel, braucherschutz (6. Ausschuss) den Prozess zu verzögern oder ihn gar zum Platzen zu bringen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann sich – zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan ein starker Rechtsstaat nicht bieten lassen. Thomae, Dr. Jürgen Martens, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der der Fraktion der FDP CDU/CSU) Strafprozesse effektiver, schneller, mo- Wir regeln deshalb, dass ein Befangenheitsantrag eben derner und praxistauglicher gestalten nicht mehr dazu führt, dass die Hauptverhandlung unter- brochen werden muss, sondern weiterverhandelt werden – zu dem Antrag der Abgeordneten Canan kann. Innerhalb von zwei Wochen muss dann ein Gericht Bayram, Katja Keul, Luise Amtsberg, wei- darüber entscheiden, ob ausnahmsweise ein Fall vorliegt, terer Abgeordneter und der Fraktion bei dem eine Befangenheit gegeben ist. Wenn dies in den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ganz wenigen Fällen tatsächlich der Fall sein sollte, dann 16082 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Johannes Fechner (A) müssen diese zwei Wochen mit einer neuen Gerichtsbe- ve-Parade-Fall, wo es Hunderte Nebenkläger geben kann, (C) setzung nachverhandelt werden. Insbesondere angesichts weil eben schrecklich viele Menschen zu Tode gekom- der Tatsache, dass nur sehr, sehr wenige Befangenheits- men sind oder schwer verletzt wurden. Wenn etwa Ge- anträge tatsächlich erfolgreich sind, ist dies eine zumut- schwister ein Elternteil verloren haben, dann haben sie bare Regelung für alle Beteiligten. Das wird auch zu ei- gleichgelagerte Interessen, und dann, finden wir, ist es nem effektiveren Strafprozess führen. nicht erforderlich, dass sie jeweils einen eigenen Rechts- anwalt beigeordnet bekommen. Beispiele aus Skandi- In der Neuregelung des Beweisantragsrechts wird der navien zeigen, dass hier keine Beschuldigtenrechte Begriff des Beweisantrags erstmals präzise beschrieben, beschnitten werden, dass die Nebenkläger bei Bündelun- was allen Beteiligten nützt. Dabei erfinden wir das Rad gen keine Nachteile haben. Im Übrigen bleibt auch unbe- nicht neu, sondern greifen zurück auf Definitionen und rührt, dass sich jemand selber einen Anwalt nimmt, ihn Voraussetzungen, die der BGH in ständiger Rechtspre- selber bezahlt und sich dann von ihm in der Nebenklage chung schon ausgeurteilt hat. Wir wollen, dass im Be- vertreten lässt. weisantrag konkret benannt ist, warum der Antrag gestellt wird bzw. was das Beweisergebnis für den Prozess kon- Also, ich glaube, dass diese Regelung gerade den Op- kret erbringen soll. Wir halten es für zumutbar, dass wir fern und auch den Angehörigen nützt, weil es eine dieses Konnexitätsprinzip einführen, damit Beweisanträ- schnellere Entscheidung im Strafprozess geben kann, ge nicht mehr einfach ins Blaue hinein gestellt werden und das dient gerade den Opfern und ihren Angehörigen. können. (Marianne Schieder [SPD]: Jawohl!) Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war noch die Regelung enthalten, dass ein Beweisantrag abgelehnt Für richtig und sinnvoll halte ich auch die Regelung werden kann, wenn unter anderem der Antragsteller sich des § 58a StPO, wonach Vernehmungen bei Sexualstraf- der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst ist. Das taten zukünftig zwingend aufgezeichnet werden müssen, war schon ein Vorwurf gegen die Strafverteidiger, gerade- wenn das Opfer dem zustimmt. Und wenn das Opfer nach zu ein Generalverdacht. An dieser Formulierung haben Beendigung der Aufnahme nicht widerspricht, kann das wir uns dann doch gestört und sie gestrichen. Ich glaube, Video sogar in der Hauptverhandlung vorgeführt werden die Anwälte stehen so nicht mehr unter dem Generalver- und die Zeugenaussage ersetzen. Das hört sich jetzt recht dacht der Prozessverschleppung. Ich glaube, auch das war technokratisch an, wird aber in der Praxis gerade bei den eine gute Maßnahme. Uns geht es nur darum, die im Ein- Sexualstraftaten zu mehr Verurteilungen der Täter führen; zelfall – wirklich nur im Einzelfall – ganz deutlich auf- denn wir haben ja leider oft die Situation, dass prügelnde tretenden Missbräuche zu verhindern. Ehemänner oder Partner oder Zuhälter die Frauen, wenn sie schon den Mut hatten, Anzeige zu erstatten, vor der (B) Relativ wenig Kritik gab es – zu meiner eigenen Über- Hauptverhandlung im Strafprozess so unter Druck setzen, (D) raschung – in der Sachverständigenanhörung zu der not- dass sie eingeschüchtert sind und aus Angst vor Gewalt wendigen Regelung, dass die Polizei zukünftig die aus keine Aussage machen möchten. In genau diesen Fällen DNA-Spuren gewinnbaren äußeren Merkmale wie Haut- steht dann das Video zur Verfügung und kann, wenn die farbe, Haarfarbe, Augenfarbe und das Geschlecht für die Frau nicht widersprochen hat, sogar als Zeugenaussage Ermittlungstätigkeit nutzen kann. Ich finde, das ist eine eingesetzt werden. Ich glaube, gerade wenn wir mehr sehr sinnvolle Regelung, weil die Polizei dann ganz kon- Sexualstraftaten ahnden wollen, ist dies ein ganz wichti- kret ihre Ermittlungen konzentrieren kann. Das hat ins- ges Mittel, liebe Kolleginnen und Kollegen. besondere nichts mit Stigmatisierung oder Racial Profi- ling zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Jürgen Martens [FDP]: Bemerkenswert fand ich die Ausführungen von einem Warum nur dort?) Sachverständigen in der Anhörung, der ein Beispiel aus Holland anführte. Dort war in unmittelbarer Nähe einer Gerne hätten wir diesem Gesetz, das ja den Titel „Mo- Flüchtlingsunterkunft ein schweres Verbrechen gesche- dernisierung des Strafverfahrens“ trägt, eine weitere Re- hen, und sofort gab es die zu befürchtenden Vorurteile. gelung beigefügt, nämlich die audiovisuelle Aufzeich- Der DNA-Test hat dann aber ergeben, dass es sich um nung der Hauptverhandlung. Deren Vorteile sind aus einen blonden, hellhäutigen Täter handelte, und damit unserer Sicht unbestreitbar; in vielen anderen Ländern waren die Flüchtlinge von dem Verdacht und den Atta- gibt es das schon, mit den entsprechenden Vorteilen. Al- cken, die es dort gab, befreit. Sie sehen: Die Stigmatisie- len Beteiligten steht gerade in großen, längeren Prozessen rung tritt hier gerade eben nicht ein. Ich finde, hier geht der Verhandlungsstoff zur Verfügung, und alle Beteilig- die Wahrheitsfindung vor, und genau dem dient es. Die ten können sich einfach darüber informieren, was etwa Polizei kann dann effektiver ermitteln, und wir erhöhen ein früherer Zeuge ausgesagt hat. dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter rasch ge- funden wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Dr. Jürgen Martens [FDP]: Ja, dann macht es doch!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir bedauern sehr, dass die Union das blockiert hat. CDU/CSU) Umso mehr begrüßen wir, dass die Diskussion hierüber in Vereinzelt gab es in der Debatte um dieses Gesetz Kri- den letzten Monaten immerhin dazu geführt hat, dass die tik an der Bündelung der Nebenklage. Ich finde, aus der Ministerin Frau Lambrecht noch in diesem Jahr eine Ex- Begründung wird doch deutlich, welche Fälle wir hier im pertenkommission einberufen wird, an der insbesondere Auge haben, nämlich Fälle wie etwa den Duisburger Lo- die Anwaltschaft beteiligt sein wird und die konkrete Vor- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16083

Dr. Johannes Fechner (A) schläge für die Aufzeichnungen erstellen wird. Wir wer- die Beschleunigung die Gefahr der Oberflächlichkeit evi- (C) den die Ergebnisse dieser Expertenkommission auf jeden dent, und damit besteht die erhebliche Gefahr, dass man Fall nutzen für einen weiteren Anlauf, dies in der Straf- beträchtliche Fehler begeht. Also sollte man die Finger prozessordnung zu verankern. von so was lassen. Das hätten wir locker auch noch in der übernächsten Sitzungswoche besprechen können, zumal Ich komme zum Schluss. – Ich möchte mich ganz herz- hinzukommt, dass die Anhörung der Sachverständigen lich für die Erarbeitung dieses umfangreichen Gesetzes- ausgesprochen ergiebig war. Das waren sehr gute Sach- pakets bei Ministerin Lambrecht, Herrn Staatssekretär verständige, die alle exzellente Gutachten, wenn auch Lange, beim Koalitionspartner, bei allen Mitarbeiterinnen unterschiedlicher Richtungen, vorlegten. Einige haben und Mitarbeitern im BMJV und auch bei unseren Frak- einzelne Punkte des Gesetzentwurfs attackiert, andere ha- tionsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, die hier wirklich ben sie verteidigt. Sie haben Alternativvorschläge unter- viel geleistet haben, bedanken und möchte noch eins sa- breitet, teilweise sogar ausformuliert. Das wäre es weiß gen: Es wird nicht die letzte StPO-Änderung sein. Die Gott wert gewesen, sich damit mal einige Stunden seines Sachverständigenanhörung in unserem zugegebenerma- Lebens ins stille Kämmerlein zurückzuziehen und sich ßen sehr sportlichen Zeitplan hat sehr viele gute Impulse das Punkt für Punkt anzusehen. Ich kann mir keinen Kol- gebracht. legen vorstellen, der in einer laufenden Sitzungswoche (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sehr viel Kri- die Zeit dazu hat. tik!) Ich hatte nach der Befragung auch den Eindruck, dass Die sind nicht verloren, sondern die nehmen wir bei der vonseiten der Koalition da doch deutlich mehr an Ände- Beratung zur nächsten StPO-Änderung auf und werden rungen kommen würde. Dieser Eindruck trog; denn der sie diskutieren. im Ausschuss gestellte Änderungsantrag ist vom Umfang her relativ dünn und beschäftigt sich gerade nicht mit den Herzlichen Dank. spannenden Fragen, die die Sachverständigen aufgewor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fen haben. der CDU/CSU) Ein Beispiel dafür, dass hier womöglich auch im BMJ schon die heiße Nadel geschwungen wurde, sind die Re- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gelungen für die Dolmetscher. Es ist ja völlig richtig, dass Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege man sich mal ein einheitliches Konzept überlegt, welche Roman Johannes Reusch. Anforderungen Dolmetscher erfüllen müssen, um den Beruf ausüben zu können. Aber wer hat denn bitte die (B) (Beifall bei der AfD) Idee gehabt, beeidigte Dolmetscher nur für EU-Staatsan- (D) gehörige vorzusehen? In der Praxis, im Strafrecht zumin- Roman Johannes Reusch (AfD): dest, braucht man Englisch, Französisch und Italienisch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Ge- relativ selten, außereuropäische Sprachen jedoch sehr setzentwurf oder, besser gesagt, seine Behandlung ist ein häufig. Musterbeispiel dafür – ich muss es ja so deutlich sagen –, wie man Gesetze nicht durchpeitschen sollte. Vor etwa (Beifall bei der AfD) zwei Wochen erhielt ich von der Presse eine Bitte um Auch ein Sachverständiger aus der Praxis, ein Richter- Stellungnahme zu dem Referentenentwurf. Ein, zwei Ta- kollege, äußerte die große Befürchtung, dass als Folge ge später wurde er im Bundeskabinett verabschiedet. dieser Regelungen den Gerichten nachher die Dolmet- Letzte Woche Donnerstag hatten wir hier die erste Le- scher fehlen werden. Außerdem gibt es doch Tausende sung. Am Montag wurden die Sachverständigen ange- Dolmetscher in diesem Land, die seit Jahrzehnten im Ge- hört. Am Mittwoch war er Beratungsgegenstand im schäft sind und Firmen haben. Auf einmal droht ihnen am Rechtsausschuss; da haben wir nach meiner Erinnerung Ende ein Berufsverbot? War da nicht mal was mit dem im Wesentlichen gar nicht darüber gesprochen, weil wir Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebe- nämlich keine Zeit dazu hatten. trieb? (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das liegt an Also: keine Übergangsregelung, nichts drin. Immerhin Ihrem leeren Vorsitz!) hat die Koalition jetzt die Frist für die Anwendung um ein Und heute haben wir die zweite und dritte Lesung. Jahr verlängert. Selbst in diesem Haus ist das doch eine sehr unge- Es gibt also die Möglichkeit, diesen Gesetzentwurf in wöhnliche Beschleunigung. Ein Grund dafür ist weder der nächsten Zeit wieder zu überarbeiten. Solide ist an- vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, sodass man ders. Blutenden Herzens haben wir uns entschlossen, uns also Druck von oben vermuten kann. Diesem Druck hätte bei der Abstimmung zu enthalten. man sich lieber in besonnener Selbstbehauptung entge- Danke sehr. genstellen sollen; denn abgesehen von allen anderen Fra- gen verstieß das auch gegen die Bosbach-Doktrin, nach (Beifall bei der AfD) der alles, was sachlich falsch ist, politisch nicht richtig sein kann. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wenn man so einen Gesetzentwurf, noch dazu zu so Ich erteile das Wort der Kollegin Elisabeth einem hochkomplexen Thema, durchpeitscht, ist durch Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. 16084 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir behalten des Weiteren das Recht bei, jeden Befan- (C) genheitsgrund geltend zu machen. Aber ein Antrag auf Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Befangenheit führt eben nicht mehr dazu, dass das Ver- Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen im Präsi- fahren ausgesetzt werden muss. Es kann weiter verhan- dium! Liebe Kollegen im Plenum! Liebe Zuschauer auf delt werden, und das hilft, den Zeitplan einzuhalten. Wir den Tribünen! Ich denke, an diesem Freitag können wir haben nicht mehr die Situation, dass das Gericht, bevor es auf eine ziemlich gute Sitzungswoche auch für die überhaupt anfangen kann, gleich wieder ausgebremst Rechtspolitik zurückblicken: wird, in gewisser Weise auch desavouiert und vorgeführt wird. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na ja!) Wir hatten auch bisher schon die Möglichkeit, ver- Wir verabschieden fünf Gesetze. Einmal geht es um die schleppende Beweisanträge zurückzuweisen. Was sich Stärkung der Aktionärsrechte, viermal machen wir Ge- ändert, ist, dass jetzt ein größerer Beurteilungsspielraum richtsverfahren unterm Strich besser; über Details haben des Vorsitzenden geschaffen wird, der für sich zwar re- wir gestritten, aber unterm Strich ist es insgesamt auf versibel ist, aber in einem weiteren Rahmen in der Beur- jeden Fall ein Gewinn. teilung des Vorsitzenden bleibt. Immer auf der sicheren Seite ist der Angeklagte, der mit seinen Beweisanträgen Das wichtigste Gesetz davon debattieren wir jetzt, frühzeitig kommt, der in dem Moment, wo er weiß: „Da nämlich die Reform der Strafprozessordnung. Wir hatten ist noch ein Zeuge, der etwas beitragen kann; hier wäre interessante Anhörungen zum Strafprozessrecht und zum noch ein Gutachten einzuholen“, das sofort einbringt. Mietrecht. Wir debattieren unsere Themen hier ganz un- Was sanktioniert wird, ist lediglich das taktische Verzö- gewohnt zu guten Tageszeiten; sonst machen wir das sehr gern, weil auch das das Verfahren sprengen kann. häufig um Mitternacht. Und wir haben einen richtig guten amtierenden Rechtsausschussvorsitzenden mit Heribert Wir begrüßen, dass es in Zukunft eine weiter gehende Hirte. DNA-Analyse gibt, die zusätzliche Hinweise auf die Tä- ter gibt und die Täter deshalb überführen kann. Dabei ist (Marianne Schieder [SPD]: Vor allem besser klar, dass es nicht das Beweismittel sein wird, das alleine als der letzte! – Lars Herrmann [AfD]: Das ist für sich einen Fall schon aufklärt; aber das gilt für alle unterste Schublade!) Beweismittel. Mit der DNA-Analyse haben wir hier auf Also viel Grund zur Zufriedenheit am Ende dieser Sit- jeden Fall ein objektives Beweismittel, das die Aufklä- zungswoche. rungschancen einer Straftat deutlich verbessert. Wer ernsthaft will, dass wir die richtigen Täter ermitteln und (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sie hinterher auch verurteilen, kann dagegen nicht sein. (D) ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte unterstreichen, dass gerade die Maßnah- men, die wir heute hier beschließen, zu echten Verbesse- Das letzte Beispiel, das ich ansprechen möchte, ist die rungen im Strafverfahren führen. Dabei ist unser Maß- Aufklärung von Wohnungseinbrüchen. Sie wird einfa- stab, dass wir Taten besser aufklären, dass wir Verfahren cher. Hier sind häufig Banden am Werk. Man könnte verkürzen, ohne die Rechte der Beschuldigten und Ange- sie überführen durch den Einsatz von Telekommunika- klagten zu beschneiden. Wir erreichen hier Verbesserun- tionsüberwachung, gen für eine Vielzahl von Verfahren, nicht nur für die großen Verfahren, die immer als Beispiel herhalten müs- (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben! Die sen. Wir nehmen vielmehr den Sand aus dem Getriebe – brauchen wir!) so hat es Jens Gnisa, der Vorsitzende des Deutschen Rich- wenn etwa die Bandenmitglieder untereinander oder mit terbundes, ausgedrückt. Hehlern Kontakt haben. Aber bisher ist die Reihenfolge Wir vermeiden in Zukunft Verzögerungen, von denen falsch: Man muss schon zu Beginn der Ermittlungen niemand etwas hat: das Opfer nicht, der unschuldige An- deutliche Hinweise dafür vorlegen, dass hier eine Bande geklagte, der freigesprochen wird, nicht; im Prinzip hat am Werk ist. Das ist aber häufig nicht möglich. Deshalb auch derjenige, der hinterher verurteilt ist, nichts davon, gibt es keinen richterlichen Beschluss für eine Telekom- wenn das Verfahren länger dauert. Niemand hat etwas munikationsüberwachung. Das kehren wir jetzt um: Es davon, auch nicht die Zeugen, die Sachverständigen oder reicht, einen Täter zu haben, der Anknüpfungspunkt für das Gericht, wenn unnötige Verhandlungstage erforder- weitere Ermittlungen ist. lich werden oder der Terminplan immer wieder gesprengt (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Besser wäre, wird. Wir erreichen das, indem wir an kleinen Stell- wir würden die Vorratsdatenspeicherung gleich schrauben bei den Mitwirkungspflichten des Angeklag- einführen!) ten drehen und trotzdem große Wirkung erzielen. Dann wird sich häufig auch zeigen, dass eine Bande da- Vor allem wahren wir weiter die Rechte der Angeklag- hintersteckt. ten; denn jeder Besetzungsfehler kann weiter geltend ge- macht werden. Was sich ändert, ist: Er muss zügig geltend Also: Viele Verbesserungen, auf die die Praxis wirklich gemacht werden. Man darf damit nicht warten, bis das wartet. Deshalb bitte ich um Zustimmung. Verfahren angefangen hat, und muss es dann durchführen, bis es hinterher in der Revision geklärt wird. Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16085

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (C) ordneten der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um es kurzzumachen: Sie verkürzen die Rechte von Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Beschuldigten. Sie erschweren Beweisantragsrechte, und Nächster Redner: für die FDP-Fraktion der Kollege Sie machen die Befangenheitsablehnung von Gerichten Dr. Jürgen Martens. zum noch heftigeren Problem, als es das vorher schon war, meine Damen und Herren. Wirkliche Modernisie- (Beifall bei der FDP) rung könnten Sie ja machen, aber das tun Sie nicht. Da haben Sie Angst vor den, ich sage mal, interessierten Dr. Jürgen Martens (FDP): Kreisen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: ren! Dieses Gesetz zur Modernisierung des Strafverfah- Wer soll das sein?) rens, so heißt es, ist bei genauer Hinsicht alles andere als eine wirkliche Modernisierung. Sie könnten die Videoaufzeichnung von Hauptver- handlungen jetzt schon einführen; das könnten Sie ma- Mit welchem Grundverständnis diese Koalition an eine chen. Das passiert übrigens schon in 20 anderen Ländern Regelung im Strafverfahren geht, wird erkennbar, wenn der Europäischen Union, ohne dass dort die Rechtspflege Frau Winkelmeier-Becker hier von Mitwirkungspflichten zusammenbricht. Wozu wollen Sie dann noch eine Ex- der Angeklagten spricht. pertengruppe einsetzen, die prüft, ob man das machen (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sollte oder nicht? Was erwarten Sie sich dort für einen NEN]: Als wären wir im Gesellschaftsrecht!) Erkenntnisgewinn? Gar keinen. Das ist nichts weiter als das Sich-hinterm-Baum-Verstecken vor den Richtern, die Hallo? Mit welchem Vorverständnis betrachten Sie Straf- dort Kontrollverlust für die eigene Verfahrensgestaltung verfahren? Da gibt es keine Mitwirkungspflichten. Nemo wittern. Aber solche Kontrolle ist aus unserer Sicht in der tenetur – niemand muss sich selbst belasten, niemand Rechtsmittelinstanz durchaus sinnvoll. muss an seiner eigenen Verurteilung mitwirken. Wieso haben Sie das nicht verstanden? (Beifall bei der FDP) Wenn Sie wirklich Modernisierung wollten, dann (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem könnten Sie eins machen: eine elektronische Akte ein- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) führen, zumindest in den sogenannten UJs-Verfahren; Wenn Sie hier Rechtspolitik machen wollen, dann doch das sind Verfahren ohne konkret benannte Beschuldigte. (B) um Himmels willen nicht mit einem solchen Vorverständ- Das sind Anzeigen, die von der Polizei an die Staatsan- (D) nis. waltschaft weitergereicht und einfach eingestellt werden. Davon gibt es pro Jahr 3 321 000 Anzeigen. Da wird jedes Genauso verfehlt ist es, wenn Sie davon sprechen, Sie Mal eine Akte angelegt, eine Papierakte. 3 321 000 Ak- würden Strafverfahren effektiver machen, ten! Aber führen Sie die elektronische Akte ein? Nein, das lassen Sie bleiben. Stattdessen stürzen Sie sich auf nur (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: vermutete 40, vielleicht 50 missbräuchliche Befangen- Doch!) heitsanträge im Rahmen von 673 000 Strafverfahren. Opfer schützen, echte Verbesserungen bringen, Verfahren Ich sage Ihnen das ganz deutlich: Echte Modernisie- verkürzen; Herr Fechner versteigt sich zur Behauptung, rung sieht ganz anders aus! mehr Sicherheit zu schaffen. (Beifall bei der FDP) (Zuruf von der CDU/CSU: Freilich!)

Das ist grober Unfug! Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir haben 5 Millionen Ermittlungsverfahren im Jahr in Für Die Linke hat das Wort der Kollege Niema der Bundesrepublik Deutschland laut PKS. Daraus wer- Movassat. den 673 000 Gerichtsverfahren – 673 000! –; 13 000 (Beifall bei der LINKEN) davon landen beim Landgericht. Wenn in nur 3 Prozent der Fälle ein Befangenheitsantrag gestellt wird, handelt es Niema Movassat (DIE LINKE): sich um 400 Verfahren – 400 von 673 000 Gerichtsver- fahren. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erst zwei Jahre her, dass das Strafverfahren erheblich refor- Sie setzen beim Befangenheitsrecht an, in der Hoff- miert wurde. Nun wollen CDU/CSU und SPD schon wie- nung oder in der Vermutung, wie Sie hier äußern, Ver- der ganz viel neu regeln. Rechtssicherheit geht anders. Sie fahren zu verbessern und zu beschleunigen. Von miss- hätten mindestens eine Evaluation Ihrer letzten Änderung bräuchlichen Anträgen ist hier noch gar nichts gesagt. machen sollen, bevor Sie wieder alles neu regeln. Das Befangenheitsrecht betrifft nur 400 Verfahren über- haupt. Wie wollen Sie dort eine generelle Beschleunigung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- von Verfahren, gar eine Verbesserung der Sicherheit in neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutschland erreichen, meine Damen und Herren? Das Ihr Gesetzentwurf trägt den hübschen, aber falschen ist doch offensichtlich unzutreffend. Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des 16086 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Niema Movassat (A) Strafverfahrens“. Der ehrliche Titel Ihres Gesetzentwurfs Dann wollen Sie noch die Besetzungsrüge neu regeln. (C) müsste lauten „Gesetz zur Beschleunigung des Strafver- Der Verteidiger soll binnen Wochenfrist die Besetzung fahrens zulasten der Beschuldigtenrechte“. des Gerichts rügen, also die komplizierte Frage klären, ob das Recht auf einen gesetzlichen Richter gewahrt ist. (Beifall bei der LINKEN) Tut er das nicht innerhalb einer Woche, kann er es nicht Zwar gilt im Strafverfahren der Beschleunigungs- mehr rügen. Aber alle Strafverteidiger sagen, dass Ihr grundsatz, aber nicht, damit schnell bestraft wird, son- Vorschlag unpraktikabel und realitätsfremd ist. dern, damit der Beschuldigte nicht überlang in Untersu- In Ihrem Entwurf bauen Sie die DNA-Analyse aus. chungshaft sitzt. Denn die Untersuchungshaft ist ein Nun sollen auch Haut- und Augenfarbe analysiert werden schwerer Eingriff in die Grundrechte, und der Beschleu- dürfen. Dabei sind die Ergebnisse der DNA-Analyse nur nigungsgrundsatz soll verhindern, dass Unschuldige zu Hypothesen, keine Gewissheiten. Gewiss ist aber, dass lange in Untersuchungshaft sitzen. Die Beschleunigung Ihr Gesetzentwurf Racial Profiling legitimiert. geschieht also zugunsten des Beschuldigten. CDU/CSU und SPD verstehen Beschleunigung im Strafverfahren Der Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD ist ein aber zulasten des Beschuldigten. Sie haben da etwas völ- Angriff auf Beschuldigtenrechte. Er ist geprägt von ei- lig missverstanden. nem latenten Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft. Wir als Linke werden das ablehnen. Sie hätten besser (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. einen Entwurf vorgelegt, der die audiovisuelle Aufzeich- Dr. Jürgen Martens [FDP]) nung des Strafprozesses ermöglicht, damit man bei der Überprüfung von Urteilen nicht nur auf die schriftlichen Sie schränken die Rechte des Verteidigers, Beweisan- Notizen des Richters angewiesen ist, sondern damit ein träge zu stellen, erheblich ein. Dabei sind Beweisanträge wirklich unabhängiges Bild vom Prozess möglich ist. Das das einzige Mittel der Verteidigung, Gegenargumente zu wäre eine Modernisierung zugunsten des Beschuldigten, den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft zu liefern. Das Be- und das wäre ein echter Beitrag für die Stärkung des weisantragsrecht ist also die einzige Chance des Beschul- Rechtsstaates gewesen. digten, seine Unschuld nachzuweisen. Ohne jegliches belastbares Zahlenmaterial unterstellen Sie Strafverteidi- Danke. gern, Beweisanträge häufig zur Verschleppung von Ver- fahren zu stellen. Ihre Lösung ist, das Beweisantragsrecht (Beifall bei der LINKEN) einzuschränken. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie wollen regeln, dass ein Richter einen Beweisantrag Die nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen die (B) (D) ablehnen kann, wenn er meint, dieser sei nicht sachdien- Kollegin Canan Bayram. lich und die Verteidigung wisse dies. Ob diese Kriterien zutreffen, entscheidet alleine der Richter. Sie wollen die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kontrolle über diese Entscheidung sogar der Revision entziehen. De facto kann ein Richter dann Beweisanträge Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nach eigener Entscheidung ablehnen und muss nicht Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- fürchten, dass das in der Revision kontrolliert wird. Das ren! Modern geht anders – das kann man zu diesem Ge- ist nicht nur ein Eingriff in die Rechte des Beschuldigten, setzentwurf sagen, den Sie vorgelegt haben, in dem Sie sondern es verstößt auch gegen das Rechtsstaatsprinzip. vorgeben, modernisieren zu wollen; aber an den wesent- lichen Punkten scheitern Sie. Deswegen sage ich Ihnen (Beifall bei der LINKEN) ganz klar: Modern geht anders. Modern ist dieser Gesetz- Ihr Gesetzentwurf ist an dieser Stelle sogar ein Rück- entwurf nicht. schritt vor die Zeiten des Kaiserreichs. Es war das Reichs- gericht, welches ermöglicht hat, dass die Ablehnung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Beweisanträgen in der Revision kontrolliert wird. Sie fal- wie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- len also hinter rechtsstaatliche Standards des Kaiserreichs KEN) zurück. Das sollte Ihnen echt zu denken geben! Es könnte einem ja egal sein, dass Sie modern sein wollen und es nicht sind; aber es ist uns nicht egal, weil (Beifall bei der LINKEN) Sie die Rechte von Beschuldigten und Verteidigern ein- Zusätzlich greifen CDU/CSU und SPD in das Befan- schränken. Frau Winkelmeier-Becker, wenn Sie sagen: genheitsrecht zulasten des Beschuldigten ein. Wenn ein „Wir haben die Besetzungsrüge doch verbessert, indem Verteidiger den Richter für befangen hält, darf der Richter wir die Fristen verkürzt haben“, dann frage ich mich: Wo nach ihrem Gesetzentwurf sogar noch zwei Wochen waren Sie in der Anhörung? Haben Sie den Anwaltskol- weiter verhandeln. Das begründen Sie mit der nicht be- legen nicht zugehört, die gesagt haben: „Das ist in Teilen legten Behauptung, Befangenheitsanträge würden oft faktisch unmöglich“? Da verstehe ich Sie, ehrlich gesagt, missbräuchlich gestellt. Richtig wäre, zu regeln, dass nicht. Mit uns wird es so eine Verkürzung der Beschul- über die sehr wenigen Befangenheitsanträge, die es über- digten- und Verteidigerrechte nicht geben. haupt gibt, schnell und ordnungsgemäß entschieden wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Deswegen kann ich auch nur feststellen, dass Sie hier Dr. Jürgen Martens [FDP]) in weiten Teilen, ich sage mal, einseitig ausgemacht ha- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16087

Canan Bayram (A) ben, wo angeblich die Schuld liegt, wenn Verfahren nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) so schnell ablaufen, wie wir uns das, glaube ich, alle Der Kollege Axel Müller ist der nächste Redner für die wünschen. CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Aha!) (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Zurück zu den Fak- Wir sind uns ja im Ziel einig, dass wir gerne Verfahren ten! – Dr. Jürgen Martens [FDP]: Die nackten hätten, die im Gleichgewicht mit bestehenden Rechten Zahlen! – Konstantin Kuhle [FDP]: Ich dachte, tatsächlich in einer Zeit erfolgen, in der es sowohl für Sie sind im Wahlkreis!) die unschuldig vor Gericht Stehenden als auch für dieje- nigen, die verurteilt werden müssen, eine schnelle Ant- Axel Müller (CDU/CSU): wort geben muss. Im Ziel sind wir uns einig; aber auf Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und diesem Weg erreichen Sie dieses Ziel nicht. Ich hätte Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir mir gewünscht, nach der Anhörung wären wir uns auch wollen heute diesen Gesetzentwurf zur Modernisierung darin einig. des Strafverfahrens verabschieden. Er ist ein, denke ich, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gutes Beispiel dafür, wie inhaltlich gute Gesetzgebung aussehen kann. Wir sind nicht die Einzigen, die die DNA-Analyse, die Sie jetzt eingebracht haben, kritisieren. Sie alle haben (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Eben!) wahrscheinlich wie wir die E-Mails und Stellungnahmen Die Strafprozessordnung wird dadurch besser, weil dazu bekommen. Ich will aus einer zitieren: Wir kritisie- praxistauglicher. Im Koalitionsvertrag haben wir verein- ren, dass die Gefahr eines rassistischen Diskriminie- bart: „Wir werden den Rechtsstaat handlungsfähig erhal- rungseffekts nicht ernst genommen wird. Ebenso erfolgt ten.“ Das ist uns in jeder Hinsicht gelungen, zunächst mit der Ausweitung der DNA-Analyse, so wie sie in die- einmal durch den Pakt für den Rechtsstaat. Wir haben sem Gesetzentwurf vorgesehen ist, ein massiver Ein- in dieser Woche in der Fraktion erfahren, dass von den schnitt in bisherige Datenschutzstandards, von dem po- 2 000 neuen Stellen bei Gerichten und Staatsanwaltschaf- tenziell alle Bürgerinnen und Bürger betroffen sein ten bereits über 1 200 geschaffen worden sind. Wir haben werden. – Dass es bestimmte Gruppen besonders diskri- den Ländern dafür 220 Millionen Euro zur Verfügung miniert, muss man hier, glaube ich, nicht noch mal aus- gestellt. Ich bin mir sicher – Justiz ist eben Ländersache –, drücklich erwähnen. dass auch auf Landesebene die elektronische Akte einge- führt werden wird. Baden-Württemberg ist da schon sehr Eine ähnliche Stellungnahme hat es auch vom Zentral- weit, Bayern auch. Ich weiß nicht, Herr Dr. Martens, wie (B) (D) rat Deutscher Sinti und Roma gegeben. Man könnte sich weit Sachsen ist. fragen: Warum riskieren Sie so starke Kritik für ein Ver- fahren, das Sie einführen, das so ungenau und so unsicher (Dr. Jürgen Martens [FDP]: Weiter als hier!) ist, dass selbst die Ermittlungsbeamten dieses Instrument Da hatten Sie ja mal Verantwortung. gar nicht brauchen und nicht einsetzen wollen? Bayern ist das beste Beispiel. Da ist es eingeführt und wohl erst Wir brauchen nicht nur Arbeitskräfte, meine sehr ge- einmal angewandt worden. Das heißt doch, die Ermittler ehrten Damen und Herren; vielmehr muss Arbeitskraft brauchen dieses Instrument nicht – und auch wir sind auch effizient eingesetzt werden. Jeder Handwerker weiß, dagegen. dass er ohne das richtige Handwerkszeug seine Arbeit nicht gut und auch nicht in einer angemessenen Zeit erle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) digen kann. Wenn Sie hätten modernisieren wollen, dann hätten Sie Ich habe vor einer Woche hier über meine fast zwei die audiovisuelle Dokumentation, die digitale Dokumen- Jahrzehnte dauernden Erfahrungen als Mitarbeiter der tation des Verfahrens angehen können. Ich bin weiterhin Justiz eine Art Augenzeugenbericht abgeliefert und habe dafür offen, darüber mit der Expertenkommission zu dis- auf die nachteiligen Veränderungen, die sich in der Ver- kutieren. Ich freue mich, dass dort etwas passiert. Ich gangenheit eingestellt haben, was Zeitdauer, aber auch glaube, es wird nicht ganz einfach, gegen den Widerstand Probleme im Verfahrensablauf anbelangt, hingewiesen. einiger Akteure eine Regelung einzuführen, die sowohl Dieses Gesetz ist aus meiner Sicht die richtige Antwort leistbar als auch bezahlbar ist. auf die geschilderten Fehlentwicklungen. Da bedarf es auch keines Aufschubs, Herr Kollege Reusch. Wenn der Ich kann außerdem feststellen: Auch bei der Moder- Rechtsstaat in Schwierigkeiten gerät, ist Eile angesagt. nisierung haben Sie sich vor dem Thema V-Leute und dem Verbot der Tatprovokation gedrückt. Das alles haben Dass der Gesetzentwurf die richtige Antwort ist, denke Sie in diesem Gesetzentwurf nicht angefasst. Deswegen ich, hat auch die an diesem Montag stattgefundene Sach- gilt: Modern geht anders. verständigenanhörung gezeigt. Ich habe selten in einer Sachverständigenanhörung so einmütige Aussagen ge- (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: In Berlin müs- hört. Es wurde gesagt, dass der Gesetzentwurf in die rich- sen Sie erst mal wieder die E-Mail einführen!) tige Richtung geht und deshalb so viel Zuspruch erfährt. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab. Ich kann nachvollziehen, dass es der Verteidigerseite nicht schmeckt, wenn ihre Möglichkeiten, die Durchfüh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung des Verfahrens zu erschweren, eingeschränkt wer- 16088 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Axel Müller (A) den. Letztlich ist es aber auch im Interesse der Mandan- und dafür Sorge tragen, dass mehr Personal bei Gerichten (C) ten, dass ein Verfahren beschleunigt durchgeführt wird. und Staatsanwaltschaften vorhanden ist. Wir haben ge- Nicht selten befinden sie sich in Haft, und es ist ein Ver- liefert. Wir setzen damit ein wichtiges Versprechen des fassungsgrundsatz, dass gerade in diesen Fällen dem Be- Koalitionsvertrags um. schleunigungsgrundsatz in besonderem Maße Rechnung Das Strafverfahren, meine Damen und Herren, dient zu tragen ist. der Findung der Wahrheit. Es geht darum, die Unschuld Einen Wermutstropfen hat das Ganze aus meiner Sicht von Beschuldigten nachzuweisen und gleichermaßen Tä- dennoch. Wir haben mit der Möglichkeit der audiovisuel- ter durch eine Verurteilung ihrer Gerechtigkeit zuzufüh- len Aufzeichnung der Vernehmung von Zeugen zwar den ren. Wir werden im Rahmen dieser Strafverfahrensreform Opferschutz verbessert – nicht nur da: die Kollegin Högl dafür Sorge tragen, dass der Rechtsstaat handlungsfähiger hat in der letzten Woche auch darauf hingewiesen, dass wird, weil nämlich all die Möglichkeiten, die Strafverfah- wir im Bereich der Sexualdelikte den Opferschutz bei der ren zu beschleunigen, auch dazu dienen, dass Kapazitäten Ausdehnung der Nebenklage verbessert haben –, aber ich frei werden. glaube, dass diese Art des Opferschutzes, wie wir sie hier Natürlich gibt es nur wenige große Verfahren, die lange vorgenommen haben, in der Praxis nicht besonders viel dauern und viele Kapazitäten binden. Aber wenn Richter nützt; denn letztendlich wird man nicht darauf verzichten und Staatsanwälte hier wieder entsprechend mehr Frei- können, bei einer Aussage-Aussage-Konstellation, gera- raum haben, dann können die Staatsanwaltschaften und de bei Sexualdelikten, das Opfer dann doch in die Haupt- die Gerichte auch in den Zehntausenden von kleineren verhandlung zu laden, um die Glaubhaftigkeit seiner bis- Verfahren schneller handeln. Das dient letzten Endes herigen Aussagen mit Blick auf eine Aussagekonstanz zu dem Rechtsschutz und der Rechtsstaatlichkeit. Deswegen überprüfen. ist das eine gute Reform. Entsprechend hätte ich mir daher eine etwas andere Fassung gewünscht; aber an dieser Stelle müssen wir, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) glaube ich, den neuen Weg erst einmal beschreiten, um Für uns steht vor allen Dingen der Opferschutz im dann zu sehen, wie tauglich er ist. Mittelpunkt. (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Marianne Schieder [SPD]: Jawohl!) NEN]: Trial and Error! Das ist Ihr System!) Wir wollen bei der Frage der Wohnungseinbruchsdiebst- Wir sind ja immer in der Lage, Reformen zu machen. ähle mehr Handlungsspielraum für die Strafverfolgungs- behörden schaffen; denn es kann nicht sein, dass auf der Zum Schluss möchte ich doch noch auf die hier mehr- (B) einen Seite der Wohnungseinbruchsdiebstahl zu Recht (D) fach genannte Videoaufzeichnung der Hauptverhandlung ein Verbrechen ist und die Strafverfolgungsbehörden Bezug nehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf der anderen Seite nicht die Möglichkeit haben, auch es geht um die landgerichtliche Hauptverhandlung. Sie eine Telekommunikationsüberwachung anzuordnen. Wer hat eine Instanz. Die Revision prüft das landgerichtliche reihenweise in Privathäuser einbricht, der muss auch da- Urteil auf Rechts- oder Verfahrensfehler, und zwar nicht mit rechnen, dass der Staat mit der TKÜ-Maßnahme da- dadurch, dass die Richter ständig in die Akten gucken und für Sorge trägt, dass er auch geschnappt wird. Das sind Zeugenaussagen lesen, aber auch nicht dadurch, dass sie wir denjenigen schuldig, die unter Wohnungseinbruchs- Videoaufzeichnungen gucken, sondern anhand des ihnen diebstahl leiden. vorgelegten Urteils und des Protokolls über die Förmlich- keiten. Was soll hier bitte eine Videoaufzeichnung, Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Movassat? Ich denke, so wie wir es gemacht haben, ist es Es ist angesprochen worden: Wir brauchen auch die in Ordnung. Lassen Sie uns das deshalb heute auf den DNA-Analyse in Bezug auf Haarfarbe, Augenfarbe und Weg bringen! Hautfarbe von Verdächtigen. Es ist bislang so, dass soge- Danke schön. nannte Reihenuntersuchungen nur nach dem Merkmal des Geschlechts vorgenommen werden können. Wir wol- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- len das erweitern, damit die Strafverfolgungsbehörden ordneten der SPD) zielgenauer ermitteln können. Wir werden hier nicht ir- gendetwas verabschieden, was in Richtung Racial Profi- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ling geht; ich will das mit allem Nachdruck zurückwei- Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist sen, der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU) der SPD) weil das eine falsche Erzählung in die Welt setzt. All die Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Merkmale, für die wir die Möglichkeit der Analyse ein- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- führen, sind solche, die auch ein Zeuge erkennen kann. Es ren! Mit der heutigen Reform des Strafverfahrens setzen ist nichts, was irgendwie tiefer geht. Es geht darum, dass wir einen weiteren Baustein des Pakts für den Rechtsstaat die Strafverfolgungsbehörden, die Polizei sich auf das um. Wir haben immer gesagt, dass wir das Vertrauen der konzentrieren können, was sachdienlich ist. Deswegen, Menschen in die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats er- meine Damen und Herren, sollten wir nicht davon spre- höhen wollen, indem wir die Verfahren beschleunigen chen, dass wir hier im Bereich des Opferschutzes in eine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16089

Dr. Volker Ullrich (A) falsche Richtung gehen. Der Opferschutz ist ein Kernan- wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/11090 (C) liegen von CDU und CSU. abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) FDP, und das ist Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Ein letzter Punkt. Es ist viel über die audiovisuelle Das sind alle übrigen Fraktionen, also CDU/CSU, SPD, Aufzeichnung der Hauptverhandlung gesprochen wor- Grüne und AfD. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzent- den. Das Thema ist komplex. Wir sollten es nicht zwi- wurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt schen Tür und Angel besprechen. Daran hängt nämlich nach unserer Geschäftsordnung die weitere Befassung. nicht die Frage, wie ich es technisch umsetze, sondern, was ich mit der Revision und all den rechtsstaatlichen Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- Verfahren mache. Deswegen ist es richtig, dass wir dieses lung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz Thema in die Expertenkommission geben und besonnen auf Drucksache 19/15161 fort. Der Ausschuss empfiehlt darüber nachdenken, heute aber als Teil des Pakts für den unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ab- Rechtsstaat diese Strafverfahrensreform beschließen, lehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Druck- weil wir damit das Vertrauen in den Rechtsstaat stärker sache 19/14244 mit dem Titel „Strafprozesse effektiver, festigen. schneller, moderner und praxistauglicher gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschus- Herzlichen Dank. ses? – Das sind AfD, CDU/CSU, Grüne und SPD. Dage- gen? – FDP und Linke. Enthaltungen? – Keine. Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Beschlussempfehlung des Ausschusses ist damit ange- ordneten der SPD) nommen.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung emp- Vielen Dank, Kollege Dr. Ullrich. – Ich schließe die fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 27. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/ 13515 mit dem Titel „Modernisierung des Strafverfah- Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- rens durch digitale Dokumentation der Hauptverhand- tionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetz- lung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – entwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens. Der CDU/CSU, SPD und AfD. Gegenprobe! – Grüne und Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt Linke. Enthaltungen? – FDP. Damit ist die Beschluss- unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf empfehlung des Ausschusses angenommen. Drucksache 19/15161, den Gesetzentwurf der Fraktionen (B) der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksache 19/14747 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf: (D) in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten stimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind CDU/ Sabine Zimmermann (Zwickau), Susanne CSU und SPD. Gegenstimmen? – Dagegengestimmt ha- Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Ab- ben Die Linke, die Grünen und die FDP. Enthaltungen? – geordneter und der Fraktion DIE LINKE Enthalten hat sich die Fraktion der AfD. Der Gesetzent- Arbeitslosenversicherung stärken – Ar- wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. beitslosengeld verbessern Wir kommen zur Drucksache 19/15046 dritten Beratung Überweisungsvorschlag: und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschuss für Arbeit und Soziales Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das b) Beratung des Antrags der Abgeordneten sind wieder die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage- Susanne Ferschl, Sabine Zimmermann (Zwi- gen? – Das sind wieder Linke, Grüne und FDP. Enthal- ckau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- tungen? – Die Fraktion der AfD. Damit ist der Gesetzent- ordneter und der Fraktion DIE LINKE wurf angenommen. Arbeitslosenversicherung stärken – Ar- Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- beitslosengeld Plus einführen lung auf Drucksache 19/15161 fort. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, Drucksache 19/15047 den gleichlautenden Gesetzentwurf der Bundesregierung Überweisungsvorschlag: auf Drucksachen 19/14972 und 19/15082 für erledigt zu Ausschuss für Arbeit und Soziales erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind alle Fraktionen. Die Beschlussempfehlung ist Interfraktionell sind für die Aussprache 60 Minuten damit angenommen. vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Nutzung audio-visueller Aufzeichnungen in Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin Strafprozessen. Der Ausschuss für Recht und Verbrau- Susanne Ferschl von der Fraktion Die Linke. cherschutz empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 19/15161, den Gesetzent- (Beifall bei der LINKEN) 16090 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Susanne Ferschl (DIE LINKE): lich jemand in der Hängematte liegt. Diese Diskussion ist (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- so armselig. nen und Kollegen! Es ist an der Zeit, die sozialen Siche- rungssysteme zu stärken, und zwar insbesondere die Ar- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- beitslosenversicherung. NIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sorgen mit unserem Konzept dafür, dass die Kol- (Beifall bei der LINKEN) leginnen und Kollegen, die ihre Arbeit verlieren, umfas- Die Transformation durch Digitalisierung und Klima- send abgesichert sind. Das Konzept ist einfach und ge- wandel sowie eine abschwächende Konjunktur verstär- recht: Je länger jemand einbezahlt, umso länger ist er ken sich gerade gegenseitig. Unternehmen streichen Stel- geschützt. len und verkünden Produktionsverlagerungen, anstatt gemeinsam mit den Beschäftigten Zukunftsperspektiven (Beifall bei der LINKEN) zu entwickeln. In diesen Zeiten wirtschaftlicher Umbrü- Das Arbeitslosengeld muss höher sein, 68 Prozent. Es che ist eine aktive Sozialpolitik notwendig. Soziale Risi- muss früher greifen und deutlich länger gezahlt werden. ken dürfen nicht allein den Beschäftigten aufgebürdet Im Anschluss daran gibt es das neue Arbeitslosengeld werden. Plus in Höhe von 58 Prozent, und zwar genauso lange wie vorher das Arbeitslosengeld. (Beifall bei der LINKEN) Ich mache das einmal an meinem Beispiel fest: Ich war Es waren schließlich nicht die Beschäftigten bei Conti, 27 Jahre in einem Betrieb beschäftigt. Wäre ich danach Bosch oder Daimler, die verschlafen haben, auf neue arbeitslos geworden, hätte ich für 37 Monate den An- Technologien zu setzen. Es waren auch nicht die Beschäf- spruch auf Arbeitslosgengeld und danach noch einmal tigten von Miele, Karstadt oder Real, die die wirtschaft- 37 Monate auf Arbeitslosengeld Plus. Das ist wirkliche lichen Schwierigkeiten zu verantworten haben. Aber ge- Sicherheit. nau diese Beschäftigten und ihre Familien haben jetzt Angst um ihre Zukunft, und das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon einmal erlebt hat, meine Damen und Herren, wie es ist, wenn die Abteilung Neben Investitionen und einer aktiven Beschäftigungs- oder ein ganzer Betrieb dichtgemacht wird. Ich musste in politik brauchen wir Instrumente des Kurzarbeitergeldes meinem Leben schon mehrmals Sozialpläne verhandeln. und der Qualifizierung und wir brauchen eine Arbeits- Die Kündigungen ziehen den Menschen den Boden unter (B) losenversicherung, die ihren Namen auch verdient hat. den Füßen weg. Geben wir ihnen doch die Zeit und die (D) Sicherheit, sich zurechtzufinden, sich einen neuen Job zu (Beifall bei der LINKEN) suchen oder sich entsprechend zu qualifizieren. Die jetzige Arbeitslosenversicherung ist eher zu einem Almosensystem verkommen: Nach zwölf Monaten (Beifall bei der LINKEN) kommt Hartz IV, egal wie lange jemand gearbeitet und Nun zur Finanzierung: Unser Arbeitslosengeld Plus ist einbezahlt hat. Das muss man sich einmal vorstellen: eine beitragsfinanzierte Leistung. Das hat zwei Vorteile: Menschen müssen nach 10, 20 oder noch mehr Jahren Zum einen bleiben die Ersparnisse unangetastet. Das Arbeit wie Bittsteller aufs Amt, ihre finanzielle Situation heißt, das, was man sich von seiner Hände Arbeit aufge- offenlegen und ihr Erspartes aufbrauchen, bevor sie Geld baut hat, bleibt bestehen. Zum Zweiten werden die Ar- bekommen. Jede Arbeit gilt als zumutbar, egal wie beitgeber mit in die finanzielle Verantwortung genom- schlecht bezahlt sie ist und ohne dass die eigentliche men. Qualifikation berücksichtigt wird. Deswegen boomt der Niedriglohnbereich so. Das alles entwertet die Lebens- (Beifall bei der LINKEN) leistung von Menschen. Diese Demütigungen sind nicht Deswegen sind wir auch strikt dagegen, im Zuge der zu akzeptieren. Grundrente zum zweiten Mal in dieser Legislatur die Bei- (Beifall bei der LINKEN) träge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. An dieser Stelle muss ich als ehemalige Betriebsrätin (Beifall bei der LINKEN) einmal sagen, was mich echt aufregt: Es ist eine Unver- Die Beschäftigten haben von diesen paar Euro fünfzig schämtheit, so zu tun, als ob Arbeitslosigkeit selbst ver- überhaupt nichts, es geht wieder einmal ausschließlich ursacht ist und man nur die Daumenschrauben immer darum, die Arbeitgeber zu entlasten. weiter anziehen müsste. – Dadurch entsteht doch kein einziger Arbeitsplatz. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die haben davon auch nicht viel!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber genau die dürfen sich in Zeiten der Krise eben kei- nen schlanken Fuß machen. Tausende Menschen gehen in diesen Tagen auf die Straße und demonstrieren für den Erhalt ihrer Arbeits- (Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker plätze. Menschen wollen arbeiten. Ich bin es so leid, im- [CDU/CSU]: Das ist doch falsch, was Sie sa- mer genau diesen einen Fall zu diskutieren, wo vermeint- gen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16091

Susanne Ferschl (A) Ich höre an Ihrem Zwischengeschrei genau das, was (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie bla- (C) ich mir gedacht habe. Sie schreien im Chor mit den Unter- mieren sich gerade nach Strich und Faden mit nehmen, dass das alles nicht finanzierbar wäre usw. Aber diesem Satz!) erstens gibt es genügend Rücklagen in der Arbeitslosen- versicherung, wenn man sie nicht dauernd demontieren Von der Arbeitslosigkeit gleich in die Grundrente! Leute: würde. Arbeiten ist out bei der Linken. Es ist schon sehr, sehr erstaunlich. Das ist aber alles nicht schlimm. Wir kennen (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Deswegen Sie und Ihre Märchenstunde. Deshalb werde ich das jetzt senken wir ja auch!) geraderücken.

Und zweitens stellen Sie diese Frage komischerweise nie, Die Koalitionsparteien – ich hoffe, dass die Linken wenn es darum geht, die Unternehmen mit Milliarden von zuhören – wollen Integration in Arbeit ermöglichen und Steuergeschenken zu beglücken. den Beschäftigten Perspektiven geben. Das will Die Lin- ke mit Ihren Anträgen immer wieder verhindern. Eine (Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Kai Verlängerung der Rahmenfrist und eine Verkürzung der Whittaker [CDU/CSU]) Anwartschaftszeiten setzen aus unserer Sicht absolut fal- Wir haben in Deutschland kein Problem mit der Wett- sche Anreize. Vor allem Ältere und langjährig Beschäf- bewerbsfähigkeit, sonst wären wir nicht Exportweltmeis- tigte tragen mit ihrer Erfahrung und ihren besonderen ter. Wir haben ein Problem mit sozialer Ungerechtigkeit. – Qualifikationen zum Erfolg eines Unternehmens bei. Da können Sie noch so schreien, Herr Whittaker. Die wollen Sie den Unternehmen wegnehmen. (Beifall bei der LINKEN) (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Die sollen nach zwölf Monaten in Hartz IV gehen! – Wei- Soziale Unsicherheit erodiert gesellschaftlichen Zu- terer Zuruf von der LINKEN: So ein Quatsch!) sammenhalt. Deswegen, liebe Bundesregierung: Es ist keine Zeit mehr für den kleinsten gemeinsamen Kompro- Es ist wichtig, dass präventiv Qualifizierungsmaßnahmen miss, große Würfe sind notwendig. Die Linke sagt: als in den Betrieben stattfinden. Das gewährleisten wir von Minimalschutz die sanktionsfreie Mindestsicherung und CDU/CSU und SPD. Mit dem Qualifizierungschancen- darüber hinaus das neue Arbeitslosengeld und Arbeits- gesetz haben wir die richtigen Weichen gestellt. losengeld Plus. Meine Damen und Herren von den Linken, im Unter- (Beifall bei der LINKEN) schied zu Ihnen wollen wir niemanden in der Arbeitslo- (B) Bevor gleich wieder der Vorwurf kommt: Natürlich sigkeit zurücklassen. Sie schlagen vor, die Verweildauer (D) steht weiterhin der Kampf für gute, tariflich bezahlte Ar- in der Arbeitslosigkeit zu verlängern, was es den Men- beit an erster Stelle. Deswegen von dieser Stelle aus so- schen immer schwerer macht, zurück in ihr geordnetes lidarische Grüße an all die Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitsleben zu finden. für ihre Arbeitsplätze, die für gute Arbeit demonstrieren, (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Von der Ar- heute die Kolleginnen und Kollegen des Bayerischen beitswelt keine Ahnung! – Gegenruf des Abg. Rundfunks. Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist wissen- Vielen Dank. schaftlich erwiesen, Herr Kollege!) (Beifall bei der LINKEN) Das entnehme ich Ihrem Antrag; da helfen auch die Zwi- schenrufe nicht. Sie helfen mit Ihrem Antrag niemandem, weder den Beitragszahlern noch den Unternehmen und Vizepräsident Wolfgang Kubicki: am wenigstens den Beschäftigten, die aus meiner Erfah- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat rung eine gute Arbeit der Arbeitslosigkeit jederzeit vor- das Wort der Kollege , CDU/CSU-Fraktion. ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Albert H. Weiler (CDU/CSU): Eine Verlängerung der Arbeitslosigkeit, die eine Rück- kehr ins Arbeitsleben verhindert, können und werden Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und wir auch in Zukunft nicht unterstützen. Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tri- büne und vor den Bildschirmen! Jetzt haben wir wieder Die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit scheinen Grimms Märchenstunde oder Märchenminuten gehabt. Sie zu motivieren, Geld für Arbeitslosigkeit auszugeben, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ent- anstatt den Menschen zu helfen, wieder in Arbeit zu fin- schuldigung, Herr Weiler, die fängt erst mit Ih- den. Wir hingegen schaffen durch unsere gezielten und rer Rede an!) effizienten Programme und den Einsatz der Mittel in Bil- dung und Ausbildung mehr Gerechtigkeit und sorgen da- Es ist schon erstaunlich, mit welchem Ausgabevolumen für, dass die Beiträge zielführend eingesetzt werden. Wei- die Linke Deutschland retten will bzw. Deutschland um- terhin entlasten wir in dieser Legislatur zum wiederholten funktionieren will. Keiner soll mehr arbeiten, jeder soll Male Arbeitnehmer und Unternehmen; das haben Sie vor- Geld bekommen. hin falsch dargestellt. Wir senken für beide die Beiträge. 16092 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Albert H. Weiler (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Um 2,50 Eu- Herr Kollege. ro!) – Danke. – Als Gesetzgeber reagieren wir damit flexibel Albert H. Weiler (CDU/CSU): und effizient auf die weiterhin sehr stabilen Beschäfti- – wir können Ihrem Antrag deshalb nicht zustimmen. gungszahlen. Wir müssen ihn ablehnen. Der Arbeitsmarkt wird sich durch Technik und Inno- Danke schön. vation verändern. Wir merken: Die Digitalisierung und (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Matthias der Umweltschutz treiben den Strukturwandel in der Zimmer [CDU/CSU]: Wir dürfen!) deutschen Wirtschaft voran und führen zu fundamentalen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Die Anforderun- gen an die Qualifikationen verändern sich. Wir werden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: daher zusätzliche Anreize für die Qualifizierung von Be- Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der schäftigten schaffen. Darüber hinaus werden wir Betriebe Kollege Jörg Schneider, AfD-Fraktion. und Arbeitnehmer bei den notwendigen Anpassungsproz- essen unterstützen, und dafür nehmen wir viel Geld in die (Beifall bei der AfD) Hand. Sie hingegen wollen die Menschen weiter in der Arbeitslosigkeit verharren lassen, Jörg Schneider (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: ren! Die Linke möchte die Arbeitslosenversicherung ver- Quatsch! Sie hat genau dazu etwas gesagt!) bessern. Das Arbeitslosengeld I wird im Gegensatz zu die sich dann zwangsläufig schwerer tun, wieder Arbeit Hartz IV ohne Bedürftigkeitsprüfung gezahlt. Dafür gibt zu finden. Wenn jemand sechs oder sieben Jahre arbeits- es gewisse Eintrittshürden, und es ist zeitlich begrenzt. los ist: Wie will der sich wieder schnell integrieren? Und Sie möchten zunächst die Eintrittshürden niedriger ge- das wollen Sie fördern? Das kann nicht gut sein. stalten, das bedeutet, es wird mehr Menschen geben, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben. Aber wie (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der viele mehr werden das sein? Ich meine, wenn Sie schon kriegt keinen Job mehr!) tief in die Sozialkasse hineingreifen möchten, Wir dürfen niemanden in der Arbeitslosigkeit zurück- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist lassen. doch keine Sozialkasse, das ist eine Versiche- (B) rung! Er versteht es einfach nicht!) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dann erwarte ich von Ihnen zumindest eine gewisse Ab- Deshalb schaffen wir arbeitsmarktpolitische Instrumente, schätzung der daraus resultierenden Kosten. Die fehlt bei die solide kalkuliert sind. Bei Ihnen von den Linken finde Ihnen völlig. Meine Damen und Herren von der Linken, ich keine sinnvollen Vorschläge zur Finanzierbarkeit, das ist unseriös, das ist nicht verantwortungsvoll, was Sie sondern lediglich eine Verlängerung der Zeiten der Ar- da machen. beitslosigkeit. Das finde ich absolut unredlich. (Beifall bei der AfD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie gehört, was sie am Schluss ihrer Rede ge- Der zweite Punkt. Sie möchten nicht nur die Hürden sagt hat?) verringern, Sie möchten auch die Bezugsdauer verlän- gern. Darüber könnte man durchaus nachdenken, Sie wollen die Zeiten der Arbeitslosigkeit verlängern, ohne sich um die Menschen zu kümmern, nach dem Mot- (Jessica Tatti [DIE LINKE]: Dann denken Sie to „Ich gebe dir länger Geld, also lass mich doch bitte in mal nach! Das wäre ein Fortschritt!) Frieden“. So kann man aus meiner Sicht keine seriöse genauso wie man darüber nachdenken kann – was Sie Politik machen, schon gar nicht eine seriöse Arbeits- auch anbieten –, Weiterbildungsmöglichkeiten zu verbes- marktpolitik. sern. Nur, wenn wir die Bezugsdauer von Arbeitslosen- Ihre Vorschläge zur Arbeitslosenversicherung erinnern geld I verlängern, dann gibt es weniger Menschen, die mich an eine Rückkehr in den Sozialismus. von Hartz IV leben. Das bedeutet: Weil Hartz IV aus Steuergeldern finanziert werden muss, haben wir weniger Steuerausgaben und können vielleicht sogar ein bisschen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die Steuern senken. Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte? (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was ist das Albert H. Weiler (CDU/CSU): für eine Rechnung?) Das ist aus meiner Sicht eine Politik von gestern und Das Problem dabei ist: Wir müssten, um Ihre Vorschläge löst absolut nicht die Herausforderungen von morgen. umzusetzen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung deutlich erhöhen. Das bedeutet aber, dass jeder Arbeit- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür nehmer die Beiträge bezahlen muss, auch derjenige, der haben Sie aber lange gebraucht!) Geringverdiener ist, der im Niedriglohnbereich arbeitet Meine Damen und Herren, - und ohnehin wenig verdient. Dem nehmen Sie extra Geld Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16093

Jörg Schneider (A) weg. Das heißt, Sie belasten mit Ihren Vorschlägen die gen zu bekommen, gesenkt werden. Es werden im Grund- (C) Arbeitnehmer, und Sie belasten besonders die Arbeitneh- e genommen die Hürden gesenkt, in diesem System blei- mer, die wenig Geld haben. ben zu können. Das bejubeln Sie, aber Sie vergessen, dass Sie damit gleichzeitig auch die Hürden erhöhen, aus die- (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: sem System überhaupt herauszukommen. Sie haben es nicht verstanden!) Ich möchte auf ein aktuelles Ereignis eingehen, das (Beifall bei der AfD) eigentlich gar nichts mit Ihrem Antrag zu tun hat, aber Wir schwächen damit das Sozialsystem. dann doch wieder eine ganze Menge. Die Bundesagentur für Arbeit hat gestern verkündet, dass sie zukünftig unter (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE 25-jährige Hartz-IV-Empfänger nicht mehr sanktionieren GRÜNEN]: Das sind Versicherungsleistun- will. Das hängt wohl mit dem Urteil des Bundesverfas- gen!) sungsgerichts von vergangener Woche zusammen, ob- Wir schwächen damit die Menschen, die wirklich auf wohl sich das Bundesverfassungsgericht zu dieser The- dieses Sozialsystem angewiesen sind. Wir lehnen deswe- matik gar nicht geäußert hat. Insofern war die gen die Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit ab, Entscheidung der Bundesagentur unnötig, und sie ist auch und Ihren Antrag lehnen wir natürlich auch ab. schädlich. Ich danke Ihnen. (Jessica Tatti [DIE LINKE]: Sie haben keine Vorstellung von der Arbeitslosenversiche- (Beifall bei der AfD) rung!) Wenn ein 40-Jähriger arbeitslos wird, dann steht dahin- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ter eine Familie, ein Freundeskreis und ehemalige Kol- Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Die Kollegin legen, die Ansporn geben, doch wieder auf dem Arbeits- Daniela Kolbe, SPD-Fraktion, hat ihre Rede zu Proto- markt Fuß zu fassen, die Motivation bieten und die koll gegeben.1) Als nächster Redner hat das Wort der vielleicht auch einen gewissen Druck aufbauen. Aber Kollege Johannes Vogel, FDP-Fraktion. wie sieht das bei einem 20-Jährigen aus? Er stammt viel- leicht sogar aus einer Familie, in der das Leben von So- (Beifall bei der FDP) zialleistungen durchaus üblich ist. Johannes Vogel (Olpe) (FDP): (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir (B) GRÜNEN]: Das ist so widerlich! Immer das reden über das Arbeitslosengeld I. Vor einigen Wochen (D) Gleiche!) hatte uns die AfD dazu schon einen Antrag vorgelegt, in Er hat Freunde, die das vielleicht sogar ganz cool finden, dem sage und schreibe in einem einzigen Satz eine kon- dass er nicht arbeiten muss und trotzdem jeden Monat krete Forderung enthalten war. Eigentlich sollten wir heu- sein Geld bekommt. Die einzige Institution im Leben te auch über diesen Antrag debattieren, aber seltsamer- dieses jungen Menschen, die ihm vielleicht eine gewisse weise haben Sie ihn kurzfristig zurückgezogen. Wir sind Richtung vorgegeben hat, war das Jobcenter. gespannt, was weiter daraus wird. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und die (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Da war ein katholische Kirche! – Dr. Kirsten Tackmann Kommafehler drin! – Heiterkeit bei Abgeord- [DIE LINKE]: Waren Sie schon mal da?) neten der FDP und der CDU/CSU) Es hat gesagt: Okay, du bekommst dein Geld, aber du Der Antrag der Kolleginnen und Kollegen von den musst dafür an deinem Schulabschluss arbeiten, du musst Linken ist konkreter, das stimmt. Wenn man ihn liest, vielleicht einen Berufsvorbereitungskurs besuchen, du hat man den Eindruck – wenn man es in einem Satz zu- musst dich unter Umständen irgendwo bewerben. Genau sammenfassen müsste –: Es ist von allem zu wenig im dieses „Du musst aber“ fällt zukünftig weg. SGB III, es müsste mehr sein. – Wissen Sie, ich frage mich wirklich, wie bei Ihnen in der Fraktion die Debatten (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Was hat SGB II ablaufen. Ich stelle mir das so vor: Einer steht auf und mit SGB III zu tun! Sie reden völlig am Thema sagt: „Wir brauchen von allem mehr“, und dann steht ein vorbei!) anderer auf und sagt: „Wir brauchen von allem viel – Nein, das ist überhaupt nicht am Thema vorbei. Das hat mehr.“ Ich frage mich nur: Gibt es auch jemanden, der schon sehr viel damit zu tun, worüber wir heute sprechen. aufsteht und fragt: „Wie soll das eigentlich finanziert werden?“ (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Nein, fachfrei, was Sie da sagen!) (Beifall bei der FDP – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Nein, den gibt es nicht!) Die Entscheidung der Bundesanstalt für Arbeit Vor allen Dingen frage ich mich, ob jemand aufsteht und (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nicht fragt: „Moment, hilft das, was wir hier beantragen, „Anstalt“! Bundesagentur!) eigentlich wirklich den Menschen? hängt sehr eng mit Ihrem Antrag zusammen. Beides wird nämlich dazu beitragen, dass die Hürden, Sozialleistun- 1) Anlage 7 16094 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Johannes Vogel (Olpe) (A) (Beifall bei der FDP) wir bis heute auf eine nationale Weiterbildungsstrategie, (C) Was sagt denn die wissenschaftliche Forschung dazu?“ die diesen Namen auch verdient. Da können wir nicht bei der Bundesagentur für Arbeit stehen bleiben, sondern da Damit sind wir an einem interessanten Punkt. Dass Sie, müssen wir weiterdenken. Wir haben Ihnen konkrete Vor- liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, sich nicht um schläge gemacht: Midlife-BAföG und andere Vorschläge. die Finanzierung kümmern, das sind wir von Ihnen ge- Wann werden Sie in diesem Bereich endlich handeln? Da wohnt; geht es um echte Aufstiegsperspektiven und Weiter- qualifikationen für die Menschen. Da müssen wir endlich (Pascal Meiser [DIE LINKE]: Das sagen die vorankommen. Steuersenker!) das ist bei vielen Ihrer Forderungen so. Aber die glasklare (Beifall bei der FDP) Forschungsmeinung zu diesem Thema komplett zu igno- Zweitens. Schränken Sie bitte nicht die Flexibilität des rieren, das ist schon besonders bemerkenswert, liebe Kol- Arbeitsmarktes weiter ein, wie Sie es laut Koalitionsver- leginnen und Kollegen. trag vorhaben. (Beifall bei der FDP) Drittens. Nutzen wir die Chance zur Entlastung der Wie diese Forschungsmeinung lautet, haben wir vor eini- Menschen. Wie ist denn die Situation? Sie haben den gen Monaten gehört; da hatte sich nämlich die SPD verirrt Beitrag zur Arbeitslosenversicherung Anfang des Jahres gesenkt, auch auf unseren Druck hin – richtig. Die Bun- (Bernd Rützel [SPD]: Zum Beispiel?) desagentur für Arbeit hat eine ausreichende Rücklage, und lief – das war Anfang des Jahres – in eine ähnliche auch für schwere Krisen – gut. Die Bundesagentur für Richtung. Wer hat uns da noch gleich gesagt, dass das, Arbeit sagt uns: Für alles, was im Bereich Qualifikation was Sie vorschlagen, keine gute Idee ist? Das IAB, das irgend sinnvoll ist, ist genug Geld da. Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, die (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Bundesagentur für Arbeit selbst, der Sachverständigenrat GRÜNEN]: Wir wollen doch mehr Qualifizie- der Bundesregierung, das IW und auch das DIW. Alle rung!) seriösen Arbeitsmarktforscher sind gegen das, was Sie hier vorschlagen; nur Sie sind dafür, liebe Kolleginnen Trotzdem macht die Bundesagentur weiter Überschüsse. und Kollegen von den Linken. Das ist in unseren Augen Angesichts dessen ist es richtig, die Menschen zu entlas- schlechte Politik. ten. (Beifall bei der FDP) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Machen (B) (D) Ein generell längerer Bezug von Arbeitslosengeld führt wir doch!) in vielen Fällen zu längerer Arbeitslosigkeit, und das ist Das haben Sie jetzt angekündigt. Vor vier Wochen haben das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Wir brauchen wir das beantragt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es für die Menschen ganz konkrete Perspektiven: Es geht fand auch eine Anhörung dazu statt, in der bestätigt wur- darum, erstens die Arbeitslosigkeit so schnell wie mög- de, dass das sinnvoll ist. Doch was mussten wir dort hö- lich zu beenden oder zweitens den Bezug des Arbeits- ren? Die Union hat gesagt: 2020 sei wirklich kein Jahr für losengeldes zu verlängern, sofern eine konkrete Weiter- Beitragssenkungen. bildung, zum Beispiel Nachholen eines Berufsabschlusses, sinnvoll ist. Das ist absolut richtig. Dies ist schon heute möglich, denn eine Weiterbildung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: verlängert den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Alles an- Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege. dere sorgt nur dafür, dass die Menschen länger in Per- spektivlosigkeit verharren, und das ist keine vernünftige Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der CDU/CSU) Ja, das sollten Sie auch tun. Ich würde gerne die letzten anderthalb Minuten meiner Redezeit darauf verwenden, kurz mit den Kolleginnen Johannes Vogel (Olpe) (FDP): und Kollegen von der Koalition zu sprechen. Der SPD-Vertreter hat gefragt, ob ich in einer anderen Anhörung gewesen wäre. Und was haben Sie letzten (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Du Sonntag verabschiedet? sprichst, wir hören zu!) Erstens. Wenn wir schon über SGB III und Arbeits- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: losengeld I reden, sollten wir uns auch darüber unterhal- ten, was sinnvoll ist. In der Tat sollten wir Phasen der Herr Kollege Vogel! Arbeitslosigkeit als Chance zur Weiterbildung begreifen. Aber wir sollten vor allem endlich eine echte Weiterbil- Johannes Vogel (Olpe) (FDP): dungsoffensive für die Beschäftigten starten. Da, liebe Eine Beitragssatzsenkung zum 1. Januar 2020. Besser Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, warten spät als nie, liebe Kolleginnen und Kollegen! Besser Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16095

Johannes Vogel (A) (Das Mikrofon wird abgeschaltet) dreistellige Zahl von Künstlerinnen und Künstlern über- (C) in der Sache – – haupt profitiert, könnte man auslaufen lassen, und wir würden mehr Menschen gegen Arbeitslosigkeit besser (Beifall bei der FDP) absichern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und bei der LINKEN) Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzo- gen, bedauerlicherweise. – Als nächster Redner hat der Laut einer Agenturmeldung von heute wurde auf eine Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/ Frage der Linken geantwortet, dass viele, die Arbeitslo- Die Grünen, das Wort. sengeld I beziehen, mit Arbeitslosengeld II aufstocken müssen. Ich finde, das sollte man beenden. Wir sollten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) über ein Mindestarbeitslosengeld zumindest einmal nach- denken. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Die Schieflage zwischen Arbeitslosengeld I und Ar- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! beitslosengeld II ist aber nur ein Grund, warum wir die 4 Millionen Menschen beziehen in Deutschland Arbeits- Arbeitslosenversicherung stärken müssen. Noch wichti- losengeld II, aber nur 750 000 beziehen Arbeitslosen- ger sind die Zukunftsherausforderungen, die auf uns zu- geld I. Das heißt, weniger als die Hälfte der Kurzzeit- kommen. Die Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jah- arbeitslosen bezieht noch Leistungen aus der ren erheblich verändern. Sie wird bunter und vielfältiger, Arbeitslosenversicherung. Von der eigentlich sinnvollen neue Arbeitsplätze entstehen, alte verschwinden. Dieser Grundidee – Kurzzeitarbeitslose erhalten Arbeitslosen- Wandel muss mit mehr sozialer Sicherheit verbunden geld I, Langzeitarbeitslose Arbeitslosengeld II – sind werden, und wir müssen die Menschen bei diesem Wan- wir weit entfernt. Diese Schieflage zwischen Arbeitslo- del begleiten und unterstützen. sengeld I und Arbeitslosengeld II müssen wir beseitigen. Hartz IV ist dafür nicht geeignet. Deswegen wollen wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grüne Hartz IV überwinden durch eine Garantiesiche- und bei der LINKEN) rung, die das Existenzminimum in allen Lebenslagen ga- rantiert, durch einen höheren Regelsatz und so, dass die- Wie wollen wir Grünen das machen? Einerseits sind im jenigen, die erwerbstätig sind, dann auch spürbar mehr Arbeitslosengeld II ganz viele, die gar nicht arbeitslos Einkommen haben als heute. Hartz IV überwinden! sind, über 1 Million Erwerbstätige, darunter viele Fami- (B) lien mit Kindern. Wenn man die dazuzählt, lebt fast die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Hälfte der Menschen in Arbeitslosengeld II in einem Er- und bei der LINKEN) werbstätigenhaushalt. Diese Menschen gehören da Und wir wollen die Arbeitslosenversicherung zu einer eigentlich gar nicht hinein. Die müssen wir da herausho- Arbeitsversicherung weiterentwickeln, einer Arbeitsver- len, durch einen höheren Mindestlohn, durch die Kinder- sicherung, die eben nicht nur Arbeitslose unterstützt, son- grundsicherung und durch eine spürbare Entlastung unte- dern vor dem Hintergrund der sich verändernden Rah- rer Einkommen. menbedingungen auch Unterstützung für Erwerbstätige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anbietet, und zwar für alle Erwerbstätigen, für abhängig sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Beschäftigte und für Selbstständige. In der Konsequenz würden auch diejenigen, die jetzt Aufstocker im Hartz- Auf der anderen Seite – da stimmen wir den Linken in IV-Bereich sind, von der Arbeitsagentur betreut werden. der Tendenz zu – brauchen wir eine Stärkung der Arbeits- losenversicherung, damit mehr Arbeitslose Anspruch auf Eine ganz besonders wichtige neue Aufgabe, die ge- Arbeitslosengeld I erhalten und es nicht dabei bleibt, dass stärkt werden muss, ist die Weiterbildung. Mit dem Qua- sogar viele, die Beiträge gezahlt haben, Herr Kollege lifizierungschancengesetz haben wir einen Anfang ge- Weiler, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben. macht; aber bisher fährt der Zug noch nicht, obwohl die Weichen richtig gestellt sind. Bei Weiterbildung müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir mehr machen. Wir Grünen fordern – damit die Men- und bei der LINKEN) schen selbstbestimmt entscheiden können, wie sie sich Wir Grünen haben schon vor langer Zeit vorgeschlagen, weiterentwickeln, wie sie sich weiterbilden wollen, ob dass, wer vier Monate eingezahlt hat, einen Anspruch auf sie noch einmal den Beruf wechseln wollen – einen Arbeitslosengeld I haben soll – schönen Gruß an Brigitte Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Pothmer, die sich das damals überlegt hat; auch in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Antrag der Linken wurde dieser Vorschlag übernom- men –, dann gibt es erst einmal einen verkürzten An- Dieses Recht auf Weiterbildung muss sozial abgesichert spruch auf Arbeitslosengeld I, anwachsend auf das heu- sein, damit sich die Menschen die Weiterbildung auch tige Anspruchsniveau. Das wäre eine Möglichkeit, um leisten können. Heute ist es so, dass viele sich nicht wei- Hunderttausende Arbeitslose in das Arbeitslosengeld I terbilden, entweder weil sie einen schlechten Job haben zu bringen. Die wären dann erst einmal durch die Arbeits- und sagen: „Ich brauche das Geld aber; ich kann keine losenversicherung abgedeckt und nicht durch das Ar- Auszeit nehmen, um mich weiterzubilden“, oder weil sie beitslosengeld II. Diese ganz unsinnige Regelung für arbeitslos sind und sagen: „Ich kann mir eine Weiterbil- Künstlerinnen und Künstler, von der nur eine zwei- bis dung nicht leisten; da nehme ich lieber einen prekären Job 16096 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) an.“ Nein, das ist der falsche Weg. Wir brauchen eine Wie kann man sie wieder in Arbeit vermitteln? Wie kann (C) Weiterbildungsabsicherung. Wir Grünen fordern ein Wei- man ihnen Unterstützung geben? Wo kann man der Fami- terbildungsgeld, das spürbar höher ist als das Arbeitslo- lie helfen? Welche Netzwerke kann man aktivieren? Ich sengeld I und auch höher als das Arbeitslosengeld II. bitte Sie, von hier vorne nicht immer zu sagen, dass es Dann können sich die Menschen Weiterbildung auch leis- etwas Schlimmes wäre, aufs Amt zu gehen. Nein, wir ten. bieten diesen Menschen gerne diese Hilfe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind stolz darauf, uns dies als Bundesrepublik Das alles bekommen wir aber nicht zum Nulltarif. Des- Deutschland leisten zu können. Wir wissen, dass andere wegen möchte ich zum Schluss noch eine Bemerkung Länder ihren Bedürftigen gerne eine solche Unterstüt- machen: Im Rahmen des Pakets zur Grundrente hat jetzt zung geben würden, es aber möglicherweise nicht kön- die Große Koalition eine weitere Absenkung des Beitrags nen. Uns kommt es darauf an, das mit unserer Politik zur Arbeitslosenversicherung beschlossen. Das ist ange- weiterhin sicherzustellen und den Menschen eben nicht sichts der Herausforderungen, die ich beschrieben habe, das Gefühl zu geben, dass es schlimm ist, wenn man im völlig fahrlässig und kurzsichtig. Leben mal scheitert, dass es schlimm ist, wenn man mal arbeitslos ist oder wenn man mal Hilfe braucht. Nein, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dafür ist eine Solidargemeinschaft da, dafür ist eine ent- Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Angesichts wickelte Demokratie wie in unserem Land auch da. Da- des Geldes, das in der Versicherung ist!) rauf sind wir stolz. Es ist auch ökonomisch falsch, wenn wir jetzt kurzfristig (Beifall bei der CDU/CSU) die Beiträge senken, obwohl wir genau wissen – das ist in dem Paket zur Grundrente enthalten –, dass wir in zwei, Die Lügen gehen noch weiter. Sie sagen, dass heute die drei Jahren die Beiträge wieder ansteigen lassen müssen. Situation so wäre, dass Arbeitslose und Beschäftigte nicht Das ist ökonomisch nicht sinnvoll. Das ist nicht nachhal- auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern reden könnten. Ent- tig. Eine auf Zukunft ausgerichtete Politik sieht anders schuldigung, ich weiß ja nicht, wie oft Sie mit Arbeitge- aus. bern sprechen, aber die Situation am Arbeitsmarkt ist in- zwischen eine ganz andere. Die Arbeitgeber lassen sich Vielen Dank. inzwischen sonst etwas einfallen, um Mitarbeiter zu ge- winnen. Sowohl beim Gehalt als auch bei den Arbeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- bedingungen als auch bei den Arbeitszeiten gehen sie auf wie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LIN- die Beschäftigten ein, bieten ihnen Unterstützung, um KE]) selber Unterstützung zu bekommen und die Aufträge zeit- (B) nah abarbeiten zu können. So ist doch die Situation am (D) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Arbeitsmarkt. Jede qualifizierte Fachkraft in diesem Land Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin hat hat die Möglichkeit, das Beste aus ihrer Arbeit herauszu- das Wort die Kollegin Jana Schimke, CDU/CSU-Frak- holen. So sieht es inzwischen auf dem Arbeitsmarkt in tion. Deutschland aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Dafür, meine Damen und Herren, sprechen auch die Zahlen: Wir haben in Deutschland 700 000 offene Stellen, Jana Schimke (CDU/CSU): wir haben allein 170 000 offene Ausbildungsstellen, und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man merkt, wir haben Rekordbeschäftigung. Von Arbeitslosigkeit be- linke Politik hat im Moment in Deutschland keine Hoch- troffen sind 2,2 Millionen Menschen; das sind so wenige konjunktur. Wie sonst sollten Sie auf die Idee kommen, wie noch nie zuvor. Was soll denn die Aussagen, die solche Anträge zu schreiben, solch ein falsches Abbild Lohnentwicklung habe sich verschlechtert. So ein Un- der Wirklichkeit zu geben und uns allen vorzumachen, sinn! Wir haben ein Reallohnwachstum allein innerhalb draußen herrsche das große Elend? Nein, das tut es ganz eines Jahres von 1,3 Prozent in Deutschland. gewiss nicht! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Frau Ferschl, ich habe eine Bitte an Sie: Bitte sagen Sie kann man sich ja gar nicht anhören!) in Ihren Reden nicht immer, die Menschen müssten, wenn sie bedürftig sind, wie Bittsteller aufs Amt. Entschuldi- Die Tariflöhne sind gestiegen. gung, das müssen sie nicht! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schauen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch! Sie sich die DIW-Forschung an!) Fragen Sie einmal die Betroffenen!) Seit 2018 ist die Höhe der Reallöhne in Deutschland um Wir können stolz sein auf unser Netz der sozialen Siche- mehr als 13 Prozent angestiegen. rung, das wir in Deutschland haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber das (Beifall bei der CDU/CSU) Rentenniveau sinkt!) Wir können stolz sein auf die Vielzahl an Mitarbeiterin- Und, lieber Herr Birkwald, auch die Renten steigen seit nen und Mitarbeitern, die sich täglich die Finger wund Jahren kontinuierlich. Das dürfte Ihnen nicht entgangen schreiben und das Ohr wund hören, wenn es um die Fra- sein. Meine Damen und Herren, wir haben kein Lohn- gen geht: Wie kann man den Menschen weiterhelfen? problem. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16097

Jana Schimke (A) Was soll das jetzt mit der Verlängerung des Bezugs von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Arbeitslosengeld? Wem soll das bitte schön helfen in ei- Das haben wir nicht neu eingeführt, das ist hier die ner Zeit wie heute? Regel. Wenn Sie das nicht beachten, dann ist das einen Ordnungsruf wert. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den Be- schäftigten! Den Arbeitslosen! Den Rentnern!) Martin Sichert (AfD): Wenn jemand qualifiziert ist und in die Situation gerät, Gut. – Mein Präsident! Ihr Antrag hat für große Hei- arbeitslos zu werden, dann besagen die Statistiken, dass terkeit bei meinen Kollegen und mir gesorgt. Was dieser er im Schnitt gerade einmal vier Monate in der Arbeits- Antrag bewirkt, kann man nämlich unter folgendem Slo- losigkeit verweilt. Nach vier Monaten haben Menschen, gan kurz zusammenfassen: Die Linken wollen auf Kosten die Arbeitslosengeld I erhalten, eine neue Arbeitsstelle. der Arbeiterklasse den Bonzen mehr Geld geben. Ich war selbst einmal arbeitslos und musste mich beim Amt melden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, da (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?) damals die Mitarbeiterin zu mir sagte, ich solle mir keine Sie fordern, dass künftig alle, die in die Arbeitslosenver- Sorgen machen, ich würde schnell wieder eine Stelle fin- sicherung eingezahlt haben, nach 30 Jahren Beitrags- den. So ist es dann auch gewesen, und so ist es auch vielen dauer unbegrenzt lange 58 Prozent des Nettoentgeldes Menschen in meinem Umfeld ergangen. Das zeigt am bekommen. Das bedeutet: Topverdiener können in Zu- Ende das tägliche Leben. kunft mit Mitte 50 in Ruhestand gehen und bekommen weiterhin jährlich ein hohes Einkommen, nur mit dem (Jessica Tatti [DIE LINKE]: Dann muss es für Unterschied, dass sie dafür keine Leistung mehr erbrin- alle anderen auch einfach sein?) gen müssen. Ich denke, mit Ihren Überlegungen, mit Ihren Forde- (Jessica Tatti [DIE LINKE]: Sie da vorne rungen würden Sie einen neuen Fehlanreiz schaffen. müssen auch keine Leistung bringen!) Auch das sagen uns inzwischen die Forschungsinstitute: Ein längerer Bezug von Sozialleistungen führt eben nicht Die Geringverdiener müssen dann mit erhöhten Beiträgen zu einer verbesserten Absicherung oder zu einem wirt- zur Arbeitslosenversicherung für den süßen Lebensabend schaftlichen Aufschwung oder gar zu einer größeren Zu- der Topverdiener bezahlen. Das ist eine reine Umvertei- friedenheit der Menschen, nein, er führt dazu, dass die lung von unten nach oben. Das ist nicht Marx, sondern Menschen weiterhin in Bedürftigkeit gehalten werden. Murks, was Sie hier vorschlagen. Deshalb bedarf es einer komplett anderen Politik (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald (B) (Jessica Tatti [DIE LINKE]: Als Ihre!) [DIE LINKE]: Definieren Sie mal „Topverdie- (D) ner“! Wissen Sie, dass es Bemessungsgrenzen als die, die Sie vorschlagen. Wir brauchen Investitionen gibt?) in Bildung, Investitionen in Infrastruktur. Wir brauchen Sind Sie eigentlich selber auf die Idee gekommen, Frau Flexibilität am Arbeitsmarkt, in den Unternehmen. Das Ferschl, oder hat irgendein kapitalistischer Konzernlob- ist der richtige Weg. byist nachgeholfen? Es ist jedenfalls eine absolut absurde Vielen Dank, meine Damen und Herren. gesellschaftliche Vision: Die einfachen Bürger sollen künftig bis 70 Jahre arbeiten, und die Großkopferten kön- (Beifall bei der CDU/CSU) nen mit Mitte 50 ohne jede Verpflichtung ihr Leben ge- nießen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE], auf die Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für AfD zeigend: Da sitzen die, die nicht arbeiten die AfD-Fraktion der Kollege Martin Sichert. wollen!) (Beifall bei der AfD) Mit dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit sorgen Sie für massive soziale Spannungen. Wir von der AfD hingegen setzen uns für soziale Gerechtigkeit und für Martin Sichert (AfD): sozialen Frieden ein. Meine Damen und Herren, Ihr Antrag hat für große Heiterkeit bei meinen Kolleginnen und Kollegen gesorgt. (Zuruf von der CDU/CSU: Erklären Sie Ihren Antrag noch mal, den Sie zurückgezogen ha- ben!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Sichert, auch Sie dürfen mit der Anrede Wir haben großen Zuspruch bei den Arbeitnehmern, weil beginnen: „Herr Präsident!“ sie darauf vertrauen können, dass wir uns mit Weitsicht und Verstand für sie einsetzen. Sie hingegen versuchen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der nun, Kapitalisten und Bonzen für sich zu gewinnen auf SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- dem Rücken von Arbeitern und Angestellten. Ich kann NISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre Verzweiflung angesichts der jüngsten Wahlergebnis- se ja durchaus verstehen, Martin Sichert (AfD): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie sind Haben wir das jetzt neu eingeführt, ja? Gut. ja noch schlechter, als ich dachte!) 16098 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Martin Sichert (A) aber dass Sie beim Griff nach dem letzten Strohhalm der- hen. Stattdessen beschäftigen wir uns hier damit, dass Die (C) art Ihre Wähler verraten, ist einfach nur erbärmlich. Linke den Großkopferten ermöglichen will, früher in Ru- hestand zu gehen. Das ist verantwortungslos. (Beifall bei der AfD) In Ihrem zweiten Antrag fordern Sie, dass künftig jede (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Stunde Arbeit voll sozialversicherungs- und steuerpflich- [DIE LINKE]: Seien Sie froh, dass Sie Indem- tig sein soll. nität haben! Gucken Sie nach, was das heißt!)

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gute Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Idee!) Vielen Dank. – Lieber Kollege Birkwald, die Anzahl Das bedeutet, dass künftig jeder Minijob mit Steuern und Ihrer Zwischenrufe umfasst mittlerweile fast eine gesam- Abgaben belastet wird. Das bestraft Studenten, arme te Rede. Rentner und Geringverdiener, also all jene, die einen Ne- benjob brauchen, um über die Runden zu kommen. (Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber ich verstehe, dass Sie das alles erregt. – Als nächster Quatsch! Lesen Sie mal den Antrag!) Redner hat der Kollege Bernd Rützel, SPD-Fraktion, das Wort. Das ist ein weiterer Schlag ins Genick der Schwächsten der Gesellschaft. Was haben Ihre bisherigen Wähler (Beifall bei der SPD) Ihnen eigentlich angetan, dass Sie so aktiv gegen sie vor- gehen? Bernd Rützel (SPD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- be Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möch- Aber nicht nur Geringverdiener wären Leidtragende, te etwas Sachlichkeit in diese Debatte bringen. auch für Selbstständige wäre es ein massiver Zuwachs an Bürokratie, wenn sie plötzlich ihre Stunden erfassen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- und darauf volle Sozialabgaben leisten müssten. Gerade KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für Solo-Selbstständige und Inhaber kleiner Betriebe wä- Arbeitslosigkeit, die Situation, arbeitslos zu werden, kann re das ruinös. Überhaupt, wer will das denn bitte kontrol- jeden treffen, und niemand ist davor gefeit. lieren, wie viele Stunden ein Selbstständiger arbeitet? Soll künftig jemand mit der Stechuhr nebenher laufen? (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Beamte (B) Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass die meisten Selbststän- schon!) (D) digen deutlich mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten und dass ihre Überwacher dann im Schichtdienst arbeiten Diejenigen, die arbeitslos werden, die Betroffenen, be- müssten? Wer soll diese Überwacher dann eigentlich be- richten, dass diese Arbeitslosigkeit bis ins Mark trifft – zahlen? Am Ende wieder jene Steuerzahler, die vernünf- für einen selber, für die Familie, aber auch für unsere tigen Tätigkeiten nachgehen. Das ist absoluter Unfug. ganze Wirtschaft. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass die Arbeitslosenversicherung gestärkt werden muss. (Beifall bei der AfD) Wir haben die Arbeitslosenversicherung seit 1927. Das Das Letzte, was wir nämlich brauchen, sind Spitzel, die ist wichtig, das ist gut, und wir brauchen sie. Auch wenn Selbstständigen hinterherschnüffeln, wann sie wie viel viele Menschen sie vielleicht Gott sei Dank ihr Leben gearbeitet haben. lang nicht brauchen, so ist es doch wichtig, zu wissen, (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Sagen Sie doch dass es die Arbeitslosenversicherung gibt und dass sie mal, was wir brauchen!) dann da ist, wenn man selber einmal betroffen ist und arbeitslos wird. Das kommt über Nacht, und man ist oft Wir stehen in der deutschen Industrie vor einer massi- nicht daran beteiligt und schuldlos an dem Ganzen. Das ven Rezession. Allein in der Automobilproduktion bre- ist noch einmal deutlich herauszuarbeiten, weil es sich chen aktuell monatlich Zehntausende Arbeitsplätze weg. immer so angehört hat, man sei selber schuld, wenn man arbeitslos werde. Es gibt viele Fälle, die das Gegen- (Jessica Tatti [DIE LINKE]: Ja was denn? Sie teil sagen. sagen, was Sie nicht tun wollen! – Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch mal, was Sie wollen!) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Wir müssen alles tun, um Arbeitsplätze in Deutschland zu Seit zehn Jahren, sehr verehrte Damen und Herren, sichern. brummt unsere Konjunktur. Die Arbeitslosenquote ist (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was auf dem tiefsten und die Beschäftigungsquote auf dem wollen Sie denn?) höchsten Stand. Diese zehn Jahre brummende Konjunk- tur haben 25 Milliarden Euro in die Arbeitslosenversiche- Das bedeutet, Bürokratie abzubauen statt aufzubauen. rungskasse hineingefüllt, unter besten Bedingungen. Das bedeutet, den ideologischen Kampf gegen Verbren- nungsmotoren zu beenden. Das bedeutet, Lohnnebenkos- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE ten zu reduzieren und Investitionen in die Infrastruktur GRÜNEN]: Für die Arbeitslosen ist es aber auszubauen. Diese Themen müssten wir dringend ange- nicht spürbar!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16099

Bernd Rützel (A) Aber wenn wir an die Zeit von 2008 bis 2010 zurückden- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) ken, als in der Krise unser damaliger Arbeitsminister Olaf Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Scholz das Arbeitslosengeld ausgeweitet hat, über Kollege Pascal Kober, FDP-Fraktion. 1,4 Millionen Menschen gleichzeitig Kurzarbeitergeld bezogen haben, stellen wir fest: Wir haben genau diese (Beifall bei der FDP) Summe, das, was wir jetzt in der Kasse haben, in dieser Krise auch gebraucht, um den Menschen zu helfen, auf Pascal Kober (FDP): die Beine zu kommen. Wir haben es aber auch für unsere Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Wirtschaft gebraucht, damit sie schnell wieder an den be Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie fordern in Start kommt und durchstartet. Das war wichtig. Ihrem Antrag die Erhöhung des Arbeitslosengeldes von 60 auf 68 Prozent und die Verlängerung der Dauer des Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Arbeitslosen- Bezugs des Arbeitslosengeldes um drei Monate für die versicherung haben und wir sie auch stärken. über 50-Jährigen, um sechs Monate für die über 55-Jäh- rigen und um zwölf Monate für die über 60-Jährigen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, das klingt In vielen Punkten gebe ich Ihnen recht. Vieles von wie immer bei Ihnen auf den ersten Blick irgendwie nett dem, was Sie in Ihren Anträgen – es sind ja zwei, liebe und freundlich den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Linke – beschreiben, geht völlig an der Wirklichkeit vor- mern sowie den Arbeitslosen gegenüber. Aber in Wahr- bei. Das werden wir im Ausschuss diskutieren; ich freue heit ist das ein vergiftetes Geschenk, und das wissen Sie; mich darauf. denn alle Experten sagen Ihnen: Je länger die Arbeits- losigkeit andauert, desto schwieriger kommt man wieder Ich will einfach sagen, dass es für die SPD wichtig ist, zurück in Arbeit. dass wir die Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsver- sicherung umwandeln; denn es ist nicht das Ziel, die Ar- (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Es geht um beitslosigkeit zu verbessern. Das Ziel ist vielmehr, nicht Sicherheit!) arbeitslos zu werden Das ist eine empirische Wahrheit, der Sie ins Auge (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schauen müssen. Mit Ihren Vorschlägen erreichen Sie ge- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE nau das Gegenteil dessen, was Sie eigentlich zu wollen GRÜNEN) vorgeben, nämlich den Menschen zu helfen. So helfen Sie den Menschen nicht. (B) und die Menschen schon vorher auf den Wandel vor- (D) zubereiten, auf die Arbeit von morgen vorzubereiten. (Beifall bei der FDP) Die Arbeit wird uns nicht ausgehen; aber es wird eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Dinge sind andere Arbeit sein. Für diese andere Arbeit müssen wir wichtig in der Arbeitsmarktpolitik, wenn es um die Chan- uns vorbereiten. Wir haben dazu das Qualifizierungs- cen von Menschen geht. Das eine ist: Wir müssen die chancengesetz gemacht. Wir haben dafür gesorgt, dass Menschen selber stärken. Das heißt, wir müssen neue die Menschen unterstützt werden, die es nicht so einfach Wege finden, wie die Menschen sich fortbilden können, haben, durch den sozialen Arbeitsmarkt nach einer langen wie die Menschen, schon bevor sie arbeitslos sind, ihre Arbeitslosigkeit wieder in den Job kommen. Das ist bis Situation so verbessern, dass sie gar nicht erst arbeitslos jetzt ein großer Erfolg. werden. Wir haben die Rahmenfrist – so heißt das technisch –, Dazu hat die FDP zwei kluge Vorschläge gemacht. Das nämlich den Bemessungszeitraum, verlängert. Denken ist als Erstes das Freiraumkonto, um durch ein Bildungs- Sie an die Lehrerinnen und Lehrer, die jeden Sommer sparen und durch steuerliche Anreize lebenslanges Ler- ausgestellt werden, arbeitslos werden. Es ist ein Skandal, nen zu fördern, sodass jeder etwas zurücklegen kann und es ist eine Frechheit, dass die Lehrerinnen und Lehrer es ein BAföG gibt, das man auch in der Mitte des Er- nicht den Sommer hindurch beschäftigt werden. werbslebens noch einmal in Anspruch nehmen kann, um sich beruflich zu stärken und neu zu orientieren. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Das Zweite ist das Midlife-BaföG, das wir für diejeni- Die SPD will und fordert das Arbeitslosengeld Q, um gen ausgestalten, die 60 Prozent unterhalb des durch- nämlich auch Qualifizierung weiterzutreiben. Den sozia- schnittlichen Einkommens verdienen, nämlich für dieje- len Arbeitsmarkt habe ich genannt. nigen, die armutsgefährdet sind. Ihnen wollen wir zusätzlich zu den steuerlichen Anreizen noch Geld dazu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen eine Ar- geben, und zwar 1 000 Euro im Jahr. beitswelt, in der keiner Angst haben muss. Wir wollen, dass Umbrüche auch Perspektiven aufzeigen. Dafür brau- Das sind zwei Maßnahmen, mit denen wir ganz kon- chen wir eine ganz starke Arbeitsversicherung. kret den Menschen helfen, sich zu stärken, um im Ar- beitsleben wieder Fuß zu fassen bzw. gar nicht erst ar- Vielen Dank. beitslos zu werden. Das ist der richtige Weg in der Arbeitsmarkt- und der Sozialpolitik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) 16100 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Pascal Kober (A) Außerdem darf man aber auch nicht vergessen, dass Seit Jahren ist die Zahl der Empfänger von Arbeits- (C) wir natürlich ebenso an die wirtschaftliche Entwicklung losengeld I rückläufig; gut so. Sie liegt derzeit bei circa denken müssen. Unsere Unternehmen brauchen Aufträ- 700 000 Menschen. Im Vergleich zu 2009 haben wir so- ge; denn nur wenn sie Aufträge haben, gibt es auch Ar- mit 400 000 Menschen weniger, die Arbeitslosengeld I beitsplätze und wird Arbeitslosigkeit vermieden. beziehen. Das ist auch ein klarer Erfolg der klugen Ar- beitsmarkt- und Sozialpolitik der vergangenen Jahre von In diesem Zusammenhang erinnere ich den Bundes- CDU und CSU. wirtschaftsminister an frühere Äußerungen. Er hat jetzt einen Aufbruch für das Frühjahr 2020 gefordert; man (Beifall bei der CDU/CSU) fragt sich, warum er das immer weiter aufschiebt. Er Zudem liegt die durchschnittliche Dauer des Bezugs hat jetzt auch der Absenkung des Solidaritätszuschlages von Arbeitslosengeld I derzeit zum Glück bei nur noch zugestimmt, allerdings nicht für die kleinen Unterneh- vier Monaten. Wie ist die Reaktion der Linken darauf? – men, obwohl er in diesem Jahr schon achtmal gefordert Nein, Sie präsentieren uns heute hier kein Reformpapier, hat, dass der Solidaritätszuschlag vollständig abgeschafft was wirklich einmal eine Überraschung wäre, sondern werden sollte. Sie wollen – um es auf den Punkt zu bringen –, die Dauer Das alles ist insgesamt keine vernünftige Politik. Was des Bezugs von Arbeitslosengeld I drastisch ausweiten. wir umsetzen müssen, sind Investitionen in die Bildung Das geht aber an der Aufgabe der Arbeitslosenversiche- der Menschen und Investitionen in den Zukunftsstandort rung völlig vorbei. Die Arbeitslosenversicherung ist da- Deutschland. Das wäre die richtige Lösung, damit ver- für da, bei vorübergehender Arbeitslosigkeit die kurzfris- meiden wir Arbeitslosigkeit, damit helfen wir den Men- tige Lohnlücke zu überbrücken und Menschen zu schen. unterstützen, schnell wieder eine Arbeit und eine neue Perspektive zu finden. Das ist das Ziel, meine Damen Vielen Dank. und Herren. Es ist nicht die Schaffung einer langfristigen Rentenleistung, so wie Sie, liebe Linke, es in Ihren An- (Beifall bei der FDP) trägen mit dem Arbeitslosengeld Plus fordern. Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Nächster Redner Pascal Kober [FDP]) ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Marc Biadacz. ganz zu schweigen von den Kosten, die eine als Ar- (Beifall bei der CDU/CSU) beitslosenversicherung getarnte Rentenleistung verur- (B) sacht und die am Ende dann die Beitragszahler über stei- (D) Marc Biadacz (CDU/CSU): gende Beiträge finanzieren müssen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Die Beitragszahler sind die, die wir bei dieser Debatte men und Herren! Liebe Zuhörer! Für uns Arbeitsmarkt- bitte nicht vergessen dürfen. Es sind nämlich die Arbeit- politiker und Sozialpolitiker ist es wichtig, dass wir un- nehmer und die Arbeitgeber, die unseren modernen So- sere Arbeit immer wieder auf den Prüfstand stellen und zialstaat finanzieren. Anstatt Arbeitnehmer und Arbeitge- uns überlegen, wie wir den Arbeitsmarkt und den Sozial- ber noch stärker zu belasten, müssen wir sie entlasten, vor staat zukunftsfest machen können. Deshalb halte ich es allem auch angesichts der schwächelnden Konjunktur. für gut, dass auch Sie, liebe Linke, sich darüber Gedanken machen. Schade ist, dass die AfD, lieber Herr Sichert, (Jessica Tatti [DIE LINKE]: Wir wissen doch, ihren Antrag, der ja heute eigentlich auch noch zu behan- wen Sie entlasten wollen!) deln gewesen wäre, zurückgezogen hat. Wir als CDU/CSU setzen uns daher dafür ein – das haben (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der war wir mit dem Qualifizierungschancengesetz auch ge- so grottenschlecht! Das war schon gut!) schafft –, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 2,5 Prozent zu senken Daher können wir uns darüber heute nicht unterhalten. (Jessica Tatti [DIE LINKE]: Es sind Milliarden Bei den hier vorliegenden Anträgen fehlt mir aller- von Euro, um die Sie Arbeitgeber in den letzten dings, liebe Linke, die Zukunftsperspektive. Wenn wir Jahren entlastet haben!) über Arbeitslosengeld I sprechen, sollten wir uns immer darüber Gedanken machen, wie wir die Ursachen von und im Zuge der Grundrente, die wir letzte Woche auf den Arbeitslosigkeit bekämpfen, nicht aber darüber, wie Sie Weg gebracht haben, noch einmal auf 2,4 Prozent zu es in Ihren Anträgen vorschlagen, wie wir an den Symp- senken. Das kommt den Arbeitnehmern und Arbeitge- tomen herumdoktern und Leistungen der Arbeitslosen- bern zugute, meine Damen und Herren. versicherung massiv ausweiten. Ich will gar nicht in Ab- (Beifall bei der CDU/CSU – Jessica Tatti [DIE rede stellen, dass man sich auch um Symptome kümmern LINKE]: Unverschämt ist das!) sollte, aber eben nur dann, wenn aktuell Handlungsbedarf besteht. Wir stärken also auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber und nicht einseitig, wie in Ihren Anträgen gefordert, liebe Jetzt aber einmal der Reihe nach, liebe Linke: Lassen Linke, die Empfänger von Arbeitslosengeld I. Denn nicht Sie uns erst einmal auf das Hier und Jetzt schauen. Wo Arbeitslosigkeit muss sich lohnen, sondern Arbeit muss stehen wir gerade aktuell? sich lohnen, liebe Damen und Herren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16101

Marc Biadacz (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Jessica Tatti [DIE grundlegend ändern wird. Es gibt Menschen, die behaup- (C) LINKE]: Sie tun so, als würden Sie das für die ten, dass uns durch die Digitalisierung die Arbeit ausge- Arbeitnehmer machen!) hen wird. Das wird mit Sicherheit nicht der Fall sein. Unser Ziel als Union ist es, dass jeder in Deutschland Aber es findet eine riesige Umstrukturierung statt. Es gibt eine gute Beschäftigung hat und erst gar nicht arbeitslos schon jetzt einzelne Branchen, die eine zunehmende wird. Eine Herausforderung ist dabei sicherlich die digi- Nachfrage nach Fachkräften haben. Gleichzeitig gibt es tale Transformation. Bei dieser Transformation schauen aber in anderen Branchen einen Arbeitskräfteüberschuss. wir einmal ins Innovationslabor der CDU/CSU-Bundes- Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit ist es, diesen Um- tagsfraktion. strukturierungsprozess flankierend zu begleiten. Die SPD steht für Chancen und Schutz im Wandel, und wir setzen (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Sie haben ein La- das auch in Regierungsverantwortung um. bor? Schau mal an!) (Beifall bei der SPD) Wir haben mit MILLA eine Weiterbildungsplattform für lebenslanges Lernen entwickelt. Dadurch ermöglichen Mit dem Qualifizierungschancengesetz haben wir ei- wir es den Menschen, die Transformation der Digitalisie- nen besseren Zugang zum Arbeitslosengeld geschaffen. rung mitzugehen. Das wird das Ziel der CDU/CSU sein. Wir haben darin die Rahmenfrist erweitert. Künftig reicht Ich lade Sie alle in unser Labor ein, es, wenn man innerhalb von 30 Monaten auf 12 versiche- rungspflichtige Monate kommt, um einen Anspruch auf (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Okay!) Arbeitslosengeld zu haben. Damit geben wir den Be- in unseren Thinktank. Kommen Sie, liebe Linke; ich lade schäftigten mehr Zeit, um die Mindestversicherungszeit Sie herzlich ein. Denn dadurch schaffen wir Gerechtig- zusammenzubekommen. Die Erwerbsbiografien sind keit auf dem Arbeitsmarkt. Lassen Sie uns dafür in die bekanntlich nicht mehr so geradlinig wie früher. Die er- Zukunft schauen! Die CDU/CSU lehnt Ihren Antrag ab. weiterte Rahmenfrist hilft deshalb gerade denjenigen Ar- beitnehmern, die häufig wechselnde Beschäftigungsver- Herzlichen Dank. hältnisse haben. (Beifall bei der CDU/CSU) In unseren Augen ist aber Prävention von Arbeitslosig- keit eine zentrale Aufgabe der Arbeitslosenversicherung. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Dabei ist Qualifizierung der entscheidende Punkt. Mit Vielen Dank, Herr Kollege Biadacz. – Als nächster dem Qualifizierungschancengesetz unterstützen wir be- Redner hat das Wort der Kollege Dr. Matthias Bartke, reits jetzt diejenigen, die vom Strukturwandel betroffen sind. Neben Weiterbildungskosten können seit Jahresan- (B) SPD-Fraktion. (D) fang während der Weiterbildung auch Lohnkostenzu- (Beifall bei der SPD) schüsse gezahlt werden. Je kleiner ein Unternehmen, des- to höher die Förderung. Dr. Matthias Bartke (SPD): Mit dem Arbeit-von-morgen-Gesetz entwickeln wir Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- die Prävention von Arbeitslosigkeit noch weiter. Es gibt ren! Liebe Frau Ferschl, was mich wirklich interessieren Beschäftigte, die in ihrem Unternehmen keine Perspek- würde: Wie fertigt Die Linke eigentlich ihre Anträge? tive auf Weiterbeschäftigung haben. Für sie wollen wir Machen Sie das mit Textbausteinen? Die beiden Anträge, eine zusätzliche Fördermöglichkeit der Perspektivqualifi- die Sie heute vorgelegt haben, haben beide die gleiche zierung einführen. Arbeitgeber, die das Beschäftigungs- Begründung, und zwar nicht nur inhaltsgleich, sondern verhältnis für die Dauer der Weiterbildung fortführen, wortgleich, inklusive Kommafehlern. Ich meine, da ist sollen einen staatlichen Zuschuss sowohl zum Entgelt man doch fassungslos, wenn man so etwas sieht. als auch zu den Weiterbildungskosten erhalten. Wir wol- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der len die Beschäftigten von heute fit machen für die Arbeit FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) von morgen, Das war wahrscheinlich Ihr Textbaustein „F10 – Böse (Beifall bei der SPD) Agenda 2010.doc“. Ich fände es super, wenn Sie sich mal einen neuen Textbaustein ausdenken. Wie wäre es und zwar auch dann, wenn diese Arbeit nicht im selben mit dem Titel „F11 – Konzept zur Schaffung neuer Ar- Unternehmen stattfindet. beitsplätze.doc“? Das wäre für Sie doch mal was völlig Die SPD würde aber liebend gerne noch weiter gehen. Neues. Ich fürchte nur, dass wir auf den Textbaustein In unserem zu Recht vielgerühmten Sozialstaatspapier noch lange warten müssen. haben wir dargelegt, wie wir in Zukunft neue Einstiege (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und Aufstiege ermöglichen wollen. Wir wollen mit dem CDU/CSU) neuen Arbeitslosengeld Q einen Leistungsanspruch auf Qualifizierung einführen; der Kollege Rützel hat es er- Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zukunfts- wähnt. Alle, die nach drei Monaten im Arbeitslosengeld I festigkeit der Arbeitslosenversicherung ist ein sehr erns- keine neue Arbeit gefunden haben, sollen einen Anspruch tes und auch ein sehr wichtiges Thema. Unsere Arbeits- auf eine gezielte Weiterbildungsmaßnahme und auf das welt befindet sich bekanntlich in einem tiefgreifenden damit verbundene Arbeitslosengeld Q erhalten. Wandel. Die OECD geht davon aus, dass sich mehr als ein Drittel aller Berufe in den nächsten zehn Jahren (Beifall bei der SPD) 16102 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Matthias Bartke (A) Das entspricht dann in der Höhe dem Arbeitslosengeld I. (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Das ist Fakt!) (C) Das Arbeitslosengeld Q soll bis zu zwölf Monate lang nicht auf das Arbeitslosengeld I angerechnet werden. Denn 2006 betrug der Anteil der Beschäftigten im Nied- riglohnsektor 22,4 Prozent, im Jahr 2005 lag er bei Meine Damen und Herren, wir wollen die Arbeitslo- 22,2 Prozent. senversicherung zu einer solidarischen Arbeitsversiche- rung weiterentwickeln. Die Bundesagentur für Arbeit Auch die Reallöhne sind kräftig gestiegen, vor allen wollen wir zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qua- Dingen in den letzten Jahren. Damit sind insbesondere lifizierung weiterentwickeln. Sie soll nicht erst bei Ar- auch die Renten kräftig gestiegen. Das sind die Ergebnis- beitslosigkeit auf den Plan treten. Sie soll helfen, dass se einer fundierten Arbeitsmarktpolitik, einer guten So- Arbeitslosigkeit gar nicht erst entsteht. zialpolitik und vor allen Dingen auch einer Wirtschafts- politik, die ja die Grundlage dafür ist, dass wir sehr viele Ich danke Ihnen. Arbeitsplätze haben. Deshalb wäre es wesentlich wichti- ger, zum Beispiel eine Unternehmensteuerreform auf den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Weg zu bringen, damit in Zukunft weiterhin eine hohe der CDU/CSU) Arbeitsplatzintensität in Deutschland vorhanden ist, wer- te Kolleginnen und Kollegen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank Herr Kollege Dr. Bartke. – Als letzter (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält das Wort als den armen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, der Kollege Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion. insbesondere den Geringverdienern, das Geld durch er- höhte Arbeitslosenversicherungsbeiträge abzunehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Kollegin Ferschl, Sie haben das an Ihrem eigenen Beispiel aufgezeigt. Sie möchten 70 Monate lang Arbeits- Max Straubinger (CDU/CSU): losengeldbezug bzw. Arbeitslosengeld-Plus-Bezug. Wis- Lieber Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kolle- sen Sie, dass man nach fast sechs Jahren Entzug von gen! Wir debattieren heute die beiden Anträge der Links- Arbeit möglicherweise überhaupt keine Arbeit mehr an- fraktion zur angeblichen Verbesserung in der Arbeitslo- nehmen will bzw. auch keine Chance auf dem Arbeits- senversicherung, also eigentlich zur Verlängerung des markt hat? Das ist letztendlich die Konsequenz Ihrer Po- Arbeitslosengeldbezuges bzw. des Erhalts der Arbeitslo- litik, und deshalb ist dieser Antrag hier meines Erachtens sigkeit und Perspektivlosigkeit für Menschen, was ja in keiner Weise zustimmungsfähig, ja fast schon gar nicht letztendlich der Inhalt der Anträge hier bedeutet. diskutierfähig; das muss man ja ehrlicherweise hier auch (B) (D) Wer in seinen Anträgen von falschen Grundlagen aus- mit betrachten. geht bzw. dann auch noch falsch analysiert, der kommt (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe der Abg. natürlich zu diesen Ergebnissen, die im Antrag beschrie- Susanne Ferschl [DIE LINKE]) ben sind, nämlich zu einer ausufernden Möglichkeit, das Arbeitslosengeld zu beziehen, und gibt den Menschen Wir haben heute erst wieder neue Zahlen bekommen. dadurch die Perspektivlosigkeit mit. Vor allen Dingen Ich möchte feststellen, dass wir trotz Schwierigkeiten – resultiert dies dann auch darin, dass Hartz IV natürlich Sie haben die Schwierigkeiten aufgezählt: Arbeitsplatz- letztendlich immer das Übel in unserer Gesellschaft ist; abbau in verschiedensten Industriebetrieben und derglei- chen mehr – gut daran tun, die deutsche Automobilindust- (Zurufe von der LINKEN: Ist es auch!) rie in der Umstellungsphase weiterhin kräftig zu das ist ja Ihre ständige Annahme. unterstützen und nicht die wertvolle und vor allen Dingen auch erfolgreiche deutsche Automobilindustrie ständig Ich möchte zuerst manches zurechtrücken. Seit Einfüh- madig zu machen, wie Sie es immer wieder tun, und rung der Arbeitsmarktmaßnahmen, die wir seinerzeit ge- damit Arbeitsplätze zu gefährden. troffen haben, wurde die Zahl der Langzeitarbeitslosen mehr als halbiert, und zwar von 1,9 Millionen im Jahr (Widerspruch bei der LINKEN) 2006 auf jetzt nur noch 800 000 Menschen. Sozial ist, Wir sollten aber auch die Chancen des Exportmarktes was Arbeit schafft, nicht gering schätzen, wie Sie es in Ihrem Antrag tun. (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Nein! Was Im Gegenteil: Wir leben als exportorientierte Nation gute Arbeit schafft!) letztendlich davon, dass die Menschen in unserem Land Arbeit haben; das ist in anderen Ländern nicht so zu ver- und das Armutsrisiko von Arbeitslosen ist am höchsten, zeichnen. während das Armutsrisiko von Vollzeitbeschäftigten am geringsten ist; das muss man hier herausstellen. Sie aber Deshalb ist es letztendlich Unsinn, die Arbeitslosigkeit wollen die Menschen in der Arbeitslosigkeit verharren für die Menschen künstlich zu verlängern. Vielmehr ist lassen. das Entscheidende, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Quatsch!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist auch nicht und in keiner Weise erwiesen, dass der Niedriglohnsektor, den Sie immer kritisieren, damit aus- Das tun wir kräftig mit unseren Maßnahmen, die wir in geweitet worden wäre. der Vergangenheit hier bereits getroffen haben, und mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16103

Max Straubinger (A) denen, die wir in der Zukunft noch diskutieren und um- (Lachen bei der FDP) (C) setzen werden. – Da muss man nicht lachen. Ihr Versagen ist ja auch nicht Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und herzli- zum Lachen. chen Dank für die Geduld des Präsidenten. (Konstantin Kuhle [FDP]: Es hat keiner ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lacht!) ordneten der SPD) Es ist lächerlich; das ist der Unterschied. – Jedenfalls ist Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dann relativ schnell eine Finanzierungsregelung für 2018 und für 2019 getroffen worden. Herr Kollege Straubinger, herzlichen Dank auch an Sie, dass Sie sich einigermaßen an die Redezeit gehalten Als eine neue Finanzierungsregelung des BMF für haben. – Damit beende ich die Aussprache. 2019 wegen der Länder sozusagen zum Scheitern verur- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen teilt war, haben sich Bund und Länder am 6. Juni auf die Weiterführung für 2020 und 2021 verständigt, und zwar (Unruhe bei der LINKEN) sowohl auf eine Pauschale von 670 Euro pro Flüchtling, – es geht um Ihre Anträge; vielleicht sind Sie aufmerk- auf eine Pauschale für die unbegleiteten Minderjährigen, sam – auf den Drucksachen 19/15046 und 19/15047 an auf die 100-Prozent-Übernahme der KdU für die arbeits- den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen. losen Flüchtlinge als auch auf zwei in der Summe etwas Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht geminderte Zuweisungen bei der Integrationspauschale. der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. Man kann über die Höhe sicherlich im Einzelnen disku- tieren, aber ich will an dieser Stelle sagen: Wenn das Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: seitens der Länder gemacht wird, man aber zugleich fest- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- stellt, dass zum Beispiel der Integrationsminister in Nord- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes rhein-Westfalen davon nichts mehr weitergeben will, je- zur Beteiligung des Bundes an den Integra- denfalls nach seinem neuen Haushalt, dann ist das etwas tionskosten der Länder und Kommunen in bedauerlich. den Jahren 2020 und 2021 Auch über die Übernahme von 100 Prozent der KdU Drucksachen 19/14246, 19/15084 kann man füglich diskutieren. Ich weiß sehr wohl, dass das die Grenze der 5-Milliarden-Euro-Entlastung für die Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalt- Kommunen eigentlich zugunsten der umsatzsteuerstar- (B) sausschusses (8. Ausschuss) ken Kommunen verschiebt; das ist etwas, was wir in (D) Drucksache 19/15132 Wirklichkeit nicht gewollt haben. Im Abwägungsprozess haben wir aber die 100-Prozent-Finanzierung der Kosten Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der Unterkunft für die Flüchtlinge dann doch übernom- Bündnis 90/Die Grünen vor. men. Und das ist eine gute Entscheidung. Wenn man das Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die ändern will, dann bin ich der Auffassung, dass die Länder Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu bei einer veränderten Aufgabenwahrnehmung auch tat- keinen Widerspruch. sächlich mitwirken wollen müssen. (Unruhe) Ich weiß – in der Vergangenheit hat Herr Brinkhaus mich öfter mal daran erinnert –, wie das in Nordrhein- – Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte! – Danke. Westfalen so läuft. Deswegen will ich Ihnen mal ein Bei- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- spiel geben: Die kommunalen Spitzenverbände hatten ner das Wort dem Kollegen Bernhard Daldrup, SPD- sich dort mit der Landesregierung darauf verständigt, Fraktion. die Kosten für die geduldeten Flüchtlinge tatsächlich mal zu evaluieren. Wenn das dann so festgestellt worden (Beifall bei der SPD) ist, sollte das Land das umsetzen. Diese Untersuchung hat es gegeben. Tatsächlich sind es nicht 10 000 Euro, son- Bernhard Daldrup (SPD): dern 13 000 Euro, die jeder Geduldete sozusagen in einem Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Jahr verursacht. Das Ergebnis ist: Die Kommunen müss- reden heute über die Beteiligung des Bundes an den In- ten eigentlich 300 Millionen Euro vom Land Nordrhein- tegrationskosten für 2020 und 2021, über den Pakt für den Westfalen bekommen. Kriegen sie aber nicht. Das ist, Rechtsstaat und über eine unbemerkte milliardenschwere ehrlich gesagt, keine Zuverlässigkeit. So kann man – Entlastung der Kommunen. Wenn man ermessen will, ich hätte auch andere Länder nehmen können – mit den was bei der Flüchtlingsfinanzierung zum gegenwärtigen Kommunen nicht umgehen. Zeitpunkt gemacht wird, dann muss man sich eigentlich an das Jahr 2018 erinnern, als nämlich sozusagen eine Ich sage mal ganz klar und deutlich: Wer Konnexität Gruppe von Balkonwinkern die Regierungsbildung, je- vom Bund fordert, muss sie in seinem eigenen Land, wie denfalls den Versuch dazu, abgebrochen hat und wir ich finde, auch anwenden. Ich sage an dieser Stelle jeden- von der SPD, obwohl wir selber schwierige Debatten falls, dass wir uns zu unserer Verantwortung, den Kom- hatten, relativ zügig mit der CDU/CSU eine Koalitions- munen bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten zu hel- vereinbarung geschlossen haben. fen, stehen und dass wir das auch gerne machen, weil uns 16104 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Bernhard Daldrup (A) dieser gesellschaftliche Zusammenhalt, den wir damit Der Bund würde sich … zum Büttel der Länder (C) auch mitfinanzieren, wichtig ist. machen, wenn er … den Ländern … helfen würde, eben diese bundesseitigen Entlastungen den Kom- Auch beim zweiten Teil haben wir, glaube ich, Wort munen wieder abzunehmen. gehalten, nämlich beim Pakt für den Rechtsstaat: 220 Mil- lionen Euro für die Länder in zwei Raten für insgesamt Das sagt der Gemeindefinanzbericht. Wir nehmen den 2 000 Stellen für Richter, Staatsanwälte. Kommunen diese Mittel nicht ab; wir belassen sie ihnen. Wir sorgen dafür, dass sie bei den Kommunen bleiben. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Müsste mal einer Wir sorgen dafür, dass es eine stabile, eine sozial gerechte klatschen!) und vernünftige Flüchtlingsfinanzierung gibt, dass der Ich glaube, das ist ein sehr starkes Zeichen dafür, dass wir Bund seine Verantwortung wahrnimmt – und das ist auch den Rechtsstaat auf diese Art und Weise sichern und nicht gut so. den Rechtsstaat aushöhlen oder den Rechtsstaat gefähr- Herzlichen Dank. den. Unser Grundverständnis von Rechtsstaat ist, dass er auch die entsprechenden Mittel für das Personal braucht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das dritte Thema, das ich ansprechen will, ist eine unbemerkte Entlastung der westdeutschen Kommunen bei der Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Der eine oder andere weiß vielleicht, dass 1993 eine er- Vielen Dank, Herr Kollege Daldrup. – Als nächster höhte Gewerbesteuerumlage an den Bund zur Mitfinan- Redner hat das Wort der Kollege Norbert Kleinwächter, zierung des Aufbaus Ost geleistet werden musste. Diese AfD-Fraktion. erhöhte Gewerbesteuerumlage hat zwei Teile: (Beifall bei der AfD) Erstens den Fonds „Deutsche Einheit“. Dieser Fonds „Deutsche Einheit“ war bereits im letzten Jahr ausfinan- Norbert Kleinwächter (AfD): ziert. Der Bund hat nicht etwa die Mittel weiterhin ein- Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- gefordert, sondern ein Jahr vorher den Kommunen ren! Dieser Gesetzentwurf zur Beteiligung des Bundes an 518 Millionen Euro erstattet bzw. diese Umlage nicht den Integrationskosten der Länder und Kommunen ist mehr erhoben – so muss man es genauer sagen. genauso unehrlich wie das „Wir schaffen das!“ und die gesamte Regierung Merkel. Der zweite Teil ist die Solidarpaktumlage, die sich mittlerweile bundesweit auf knapp 4 Milliarden Euro be- Weil die Regierung Merkel die Menschen darüber be- (B) (D) läuft. Das ist eine ganz immense Summe. Ich darf an logen hat, wie lang Flüchtlinge und illegale Migrantinnen dieser Stelle mal betonen, was der Städtetag angesichts und Migranten tatsächlich bei uns sind, werden jetzt eben der Tatsache, dass dieser Solidarpakt, diese Solidarpakt- mal den Ländern 1 200 Millionen Euro mehr ausgezahlt, finanzierung Ende 2019 ausläuft, vom Bund gefordert und die Kommunen erhalten Kosten für Unterkunft und hat. Es heißt dort im Gemeindefinanzbericht: Heizung für hartzende anerkannte Asylbewerber erstattet. Das haben sie auch dringend nötig; denn mit Ihrer Politik Die Gemeinden vertrauen darauf, dass der Bund sei- hängen sie am Tropf Ihrer ständigen Rückerstattungen. ne Schutzfunktion für die Gemeinden wahrnehmen Wenn ich Ihnen mal den Finanzhaushalt meines Land- wird. kreises Dahme-Spreewald zeige – er ist eigentlich ge- Genau das machen wir. Wir nehmen diese Schutzfunktion sund –, sehen Sie: Ab 2019 geht es abwärts. Vor zwei wahr. Die erhöhte Gewerbesteuerumlage läuft aus, und es Jahren sah es schon genauso aus. Da ging es auch ab- gibt für uns jedenfalls keinen bundeseinheitlichen Grund wärts, weil da die Mittel nicht eingerechnet sind. Ohne dafür, diese Umlage fortzuführen, wie sich das vielleicht die Mittel hängen die Kommunen am Tropf. Das ist das einige Länder gewünscht haben. Mal schönen Gruß an Ergebnis Ihrer desaströsen Politik. Hessen! Es gab auch Wortmeldungen aus Baden-Würt- (Beifall bei der AfD – Bernhard Daldrup temberg in diese Richtung. Das machen wir nicht. Wir [SPD]: Sie kriegen die Mittel ja!) bleiben an der Seite der Kommunen. Weil Sie die Menschen weiterhin darüber im Unklaren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lassen wollen, wie viel das alles wirklich kostet, haben der CDU/CSU) Sie auch kein Flüchtlingskostengesetz oder so etwas ge- macht und auch keinen Planposten im Haushalt geschaf- In jeder Kommune in Nordrhein-Westfalen, wenn ich fen. Sie ändern zugleich das Finanzausgleichsgesetz, das das an dieser Stelle mal sagen darf – können Sie gerne Zweite Buch SGB, die Verordnung zur Festlegung und nachfragen –, wird der Verzicht auf bzw. das Auslaufen Anpassung der Bundesbeteiligung an den Leistungen für der erhöhten Gewerbesteuerumlage einen hohen sechs- Unterkunft und Heizung für das Jahr 2019, das Gemein- bis siebenstelligen Betrag, manchmal sogar achtstelligen, definanzreformgesetz ausmachen. Das ist eine ganz erhebliche Entlastung und wird auch, glaube ich, die Debatte über den Ausgleich (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Dieter Thomas zwischen ost- und westdeutschen Kommunen befrieden. Heck!) Ich will an dieser Stelle noch mal den Gemeindefinanz- und das Gesetz über Steuerstatistiken. Mal ändern Sie bericht zitieren: einen Betrag, mal ändern Sie eine Stellschraube bei einer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16105

Norbert Kleinwächter (A) Prozentzahl. Aber nie haben Sie das Wort „Flüchtlinge“ wenn Sie konsequent abschieben würden, wer nicht hier (C) oder „Asyl“ drin. Es soll ja schließlich aussehen wie sein dürfte. Leistungen für unsere Bürger. Genau an diesem Punkt kommen wieder die Länder (Bernhard Daldrup [SPD]: Haben Sie mir gar und die Kommunen ins Spiel, die von diesem Gesetz nicht zugehört? Haben Sie gar nicht zugehört? profitieren. Wenn die endlich auch sauber abschieben Konkrete Zahlen habe ich genannt und das würden, hätten wir diese Probleme nicht. Wort „Flüchtlinge“ dabei genannt!) (Widerspruch bei der LINKEN – Steffi Lemke Dazu tricksen Sie auch noch bei den Einnahmen. Weil [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Sie nämlich nach Ihren eigenen Gesetzen gar nicht so viel Problem, dass Sie Koks im Pausenbrot hatten!) erstatten dürfen, wie Sie hier wollen, beteiligen Sie die Kommunen auch noch anders an der Umsatzsteuer. Also, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Respekt den Beamten, die das so hingerechnet haben, Herr Kollege. dass es passt. Aber der Rechenweg ist nicht nur mir schleierhaft, sondern auch dem Bundesrechnungshof. Norbert Kleinwächter (AfD): (Beifall bei der AfD – Bernhard Daldrup Es ist an der Zeit, dass alle zusammenarbeiten, dass [SPD]: Weil Sie keine Ahnung haben!) diese Migrationspolitik beendet wird und dass diese Re- gierung Merkel beendet wird. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, ob es sich hier um be- wusste Irreführung handelt oder um eine Verdrängung Herzlichen Dank. durchs Über-Ich. Wissen Sie, das ist ungefähr so, als wenn Ihre Tochter plötzlich anfängt, zu koksen. (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Koks im Pausenbrot (Bernhard Daldrup [SPD]: Was?) gehabt, oder was war das vorhin? – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist widerlich, Sie wissen, das ist falsch, aber Ihre Tochter will es unbe- was Sie hier sagen! Hetzer!) dingt, und irgendwie finden Sie das geil. Deswegen sagen Sie: Ja, okay, wir finanzieren den Koks. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Bernhard Daldrup [SPD]: Was haben Sie denn Frau Kollegin – wer auch immer das war; Frau geraucht?) Möhring wahrscheinlich –, für den Begriff „Hetzer“ er- teile ich Ihnen einen Ordnungsruf. (B) Aber das können wir nicht direkt so zugeben, (D) (Zuruf von der CDU/CSU: Gibt es da Erfah- (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist es wert!) rungswerte?) – Ich erteile Ihnen dafür einen zweiten Ordnungsruf. sondern wir deklarieren es einfach als Erhöhung des Pau- Beim dritten Ordnungsruf dürfen Sie den Saal verlassen. senbrotgeldes und als Teenie-Anteil am elterlichen Ein- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich habe kommen. es ja nicht gesagt! – Dr. Petra Sitte [DIE LIN- (Bernhard Daldrup [SPD]: Was hat er denn ge- KE]: Wir teilen uns die Ordnungsrufe! – Frank raucht? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE Pasemann [AfD]: Das ist lustig!) GRÜNEN]: Das gibt tiefe Einblicke, Ihre – Das stellen wir gleich noch einmal fest. Keine Sorge, Erzählung! – Zuruf der Abg. Dr. Kirsten wir ordnen das ordentlich zu. Tackmann [DIE LINKE]) Als nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion der Mit diesem Bild habe ich den Entschließungsantrag der Kollege Markus Uhl. Grünen, glaube ich, auch würdig kommentiert. Sie wollen ja schließlich ein Dauerabo durch Abschaffung des Asyl- (Beifall bei der CDU/CSU) bewerberleistungsgesetzes. Markus Uhl (CDU/CSU): Fakt ist: Integrationsausgaben haben so wenig in ir- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- gendeinem Etat zu suchen wie Drogendealer im Görlitzer ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will auf die Park. Asyl ist ein Bleiberecht auf Zeit. Diese Leute sollen Sachebene zurückkommen. Wir haben heute früh um wieder gehen. Das bedeutet: Wir brauchen auch keine 5 Uhr im Haushaltsausschuss in der Bereinigungssitzung Integration. den Bundeshaushalt 2020 finalisiert. Er hat ein Volumen (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und von 362 Milliarden Euro bei Investitionen in Höhe von der LINKEN) knapp 43 Milliarden Euro. Das ist ein Rekordwert. Das heißt zugleich: Die schwarze Null steht, die Nettokredit- Sie könnten sich wirklich diese gesamten Milliarden aufnahme liegt bei null. Das ist Generationengerechtig- sparen, wenn Sie konsequent echte Flüchtlinge von ille- keit unter schwieriger werdenden Bedingungen. Meine galen Migranten trennen würden, wenn Sie konsequent Damen und Herren, wir, der Bund, halten Wort. das Recht einhalten würden, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) ordneten der SPD) 16106 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Markus Uhl (A) Wir beraten heute in der zweiten und dritten Lesung Bundesseitig, meine Damen und Herren, haben wir (C) das Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den Integra- auch geliefert. Wir haben in dieser Legislaturperiode 71 tionskosten der Länder und Kommunen in den Jahren neue Stellen beim Generalbundesanwalt und 24 Stellen 2020 und 2021. Meine Damen und Herren, dabei handelt beim Bundesgerichtshof geschaffen. Wir haben gemein- es sich wie so häufig um ein Artikelgesetz, mit dem meh- sam vereinbart, im Sicherheitsbereich bei den Polizeien rere Gesetze geändert werden. Im Wesentlichen geht es des Bundes und der Länder insgesamt 15 000 neue Stellen dabei um drei Punkte. zu schaffen. Wenn wir uns die Entwicklungen beim Bund seit 2017 einfach mal anschauen, dann sehen wir beim Zunächst geht es um die Weiterführung der Bundes- Bundeskriminalamt einen Aufwuchs um 1 363 Stellen, beteiligung an den flüchtlingsbedingten Kosten der Län- bei der Bundespolizei um 6 630 Stellen und beim Bundes- der und Gemeinden. Es ist eben schon gesagt worden: Die amt für Sicherheit in der Informationstechnik 528 Stellen, Bundesregierung und die Länder haben sich am 6. Juni davon 30 ab 2020 in Saarbrücken im , worüber 2019 auf die Weiterführung der Bundesbeteiligung ver- ich mich persönlich sehr freue. ständigt. Aufgrund dieser Vereinbarung sollen die Länder vom Bund durch entsprechende Anpassungen im Finanz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ausgleichsgesetz über einen erhöhten Umsatzsteueranteil im Jahr 2020 eine Pauschale für flüchtlingsbezogene Meine Damen und Herren, damit ist klar, dass der Bund Zwecke in Höhe von 700 Millionen Euro erhalten und seinen Anteil am Pakt für den Rechtsstaat mittlerweile im Jahr 2021 in Höhe von 500 Millionen Euro. Der Bund übererfüllt. Das ist gut für die innere Sicherheit, und wird die Kommunen darüber hinaus auch durch eine be- das ist gut für unseren Rechtsstaat. sondere Anhebung der Bundesbeteiligung an den Leis- Zum Dritten regeln wir in diesem Gesetz im Einver- tungen für Unterkunft und Heizung entlasten. Zudem nehmen mit den Ländern die Sonderbedarfs-Bundeser- wird der Bund den Verpflichtungen aus dem Asylverfah- gänzungszuweisungen zum Ausgleich von Sonderlasten rensbeschleunigungsgesetz gerecht, indem Zahlungen für durch die strukturelle Arbeitslosigkeit und daraus ent- 2020 und 2021 in Höhe von jeweils 1,8 Milliarden Euro stehender überproportionaler Lasten bei der Zusammen- weitergeführt werden. führung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Wenn ich einfach einmal aufsummiere, was auf der Uhr steht, dann kommen wir in den Jahren 2020 und ( [FDP]: Noch mal Geld für das 2021 insgesamt auf eine Entlastung von 6 Milliarden Eu- Saarland!) ro und in 2019 nach einer Spitzabrechnung auf eine Ent- Meine Damen und Herren, damit sehen Sie erneut: Der lastung in Höhe von knapp 5,3 Milliarden Euro. Damit, Bund kommt all seinen Verpflichtungen, die er eingegan- (B) meine Damen und Herren, überschreiten wir die im Koa- gen ist, nach. Wir übererfüllen sie sogar. Das ist gut für (D) litionsvertrag vereinbarten Entlastungen der Länder und unsere Länder. Das ist gut für unsere Gemeinden. Daher Kommunen in Höhe von 8 Milliarden Euro um ganze bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. 3,3 Milliarden Euro. Wir halten Wort. Wir übererfüllen sogar das, was wir zugesichert haben. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der SPD) ordneten der SPD) Zugleich nehmen wir eine große Hürde bei der Um- setzung des Paktes für den Rechtsstaat. Ziel ist es unter Vizepräsident Wolfgang Kubicki: anderem, im Sicherheitsbereich, im Besonderen im Jus- Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor ich dem nächsten tizbereich, 2 000 neue Richterstellen zu schaffen – bei den Redner das Wort erteile, stelle ich klar, dass die zuvor Ländern und beim Bund. Die Länder haben jetzt erklärt, erteilten Ordnungsrufe Frau Dr. Sitte für den Begriff dass sie geliefert haben, nämlich seit 2017 insgesamt „Hetzer“ und Frau Dr. Tackmann für die Kommentierung 1 217 neue Stellen. Damit haben die Länder mehr als meines Ordnungsrufes treffen. die Hälfte der Stellen geschaffen, die zugesichert waren, und erhalten daher ebenfalls eine Tranche von 110 Millio- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nein, nen Euro. andersrum!) – Umgedreht. Gut, Sie können entscheiden, wie Sie das (Otto Fricke [FDP]: Ihr wisst ja nicht mal, haben wollen. Wir haben versucht, das zu analysieren. woher!) Dann bekommen Sie, Frau Dr. Tackmann, den Ordnungs- Die zweite Tranche wird ausgezahlt, wenn die Vereinba- ruf für den Begriff „Hetzer“ und Sie, Frau Dr. Sitte, für die rung vollständig erfüllt ist. Ich würde mir wünschen, dass Kommentierung des Ordnungsrufes. Wenn es noch meh- wir für die einzelnen Länder eine Komplettübersicht be- rere bei der Linken gibt, die einen Ordnungsruf erhalten kommen würden. Das würde das Ganze transparent ma- wollen, gerne melden. chen, meine Damen und Herren. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir (Beifall bei der FDP) überlegen noch!) Sie sehen auch hier: Der Bund macht den Justiz- und den Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Sicherheitsbereich zukunftsfest, und der Bund kommt Benjamin Strasser, FDP-Fraktion. seinen zugesagten Verpflichtungen in vollem Umfang nach. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16107

(A) Benjamin Strasser (FDP): Für die Funktion unseres Rechtsstaats müssen Gerichte (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und Staatsanwaltschaften so ausgestattet sein, dass das Kollegen! Viele von uns sind, wie ich auch, schon länger geltende Recht auch in angemessener Zeit durchgesetzt Mitglied in einem Gemeinderat und haben durch ihre werden kann. Eine personelle Verstärkung im Rahmen Entscheidungen vor Ort selber miterlebt, welche großen des Pakts für den Rechtsstaat muss nachhaltig erfolgen Herausforderungen die Städte und Gemeinden, aber auch und auch in der Fläche wirken. Das gewährleisten Sie mit 10 000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer seit dem Ihrem Gesetzentwurf leider nicht, und deshalb können Sommer 2015 gemeistert haben. Insofern ist es gut, dass wir ihm auch nicht zustimmen. sich der Bund an den Integrationskosten der Länder und vor allem der Kommunen in den Jahren 2020 und 2021 Vielen herzlichen Dank. mit insgesamt 1,2 Milliarden Euro beteiligt. (Beifall bei der FDP – Otto Fricke [FDP]: Der (Beifall bei der FDP) könnte Haushälter werden!) Denn der Bund darf die Länder und Kommunen bei dieser wichtigen Aufgabe nicht im Regen stehen lassen. Da un- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: terstützen wir Freie Demokraten Sie ausdrücklich. Vielen Dank, Herr Kollege Strasser. – Als nächste Red- nerin hat für die Fraktion Die Linke das Wort die Kollegin Aber: Was wir als Freie Demokraten nicht unterstützen Kerstin Kassner. können, ist die Art und Weise der Finanzierung dieser Kosten. (Beifall bei der LINKEN) (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) Kerstin Kassner (DIE LINKE): Da sammelt die Große Koalition aus Haushaltsresten – man höre und staune: aus Haushaltsresten – 35,2 Milliar- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und den Euro an und parkt sie im sogenannten Sondervermö- Kollegen! Liebe Gäste! Es gibt vieles, was ich in meiner gen der Asyl- und Flüchtlingsrücklage. „Sondervermö- zehnjährigen Zeit als Landrätin auf der schönen Insel gen“ klingt gut; aber das ist nichts anderes als ein Rügen gelernt habe und was mir auch heute noch nutzt. Schattenhaushalt der Großen Koalition. Wenn dem nicht Ich erinnere mich zurück: Eine der Erkenntnisse, die ich so wäre, dann würden Sie, liebe Kolleginnen und Kol- in dieser Zeit gewonnen habe, betrifft auch den jetzigen legen von CDU, CSU und SPD, diesem Finanzierungs- Gegenstand der Tagesordnung, nämlich die Integration. weg, wie er jetzt im Gesetzentwurf steht, auch nicht zu- Manche denken ja: Das ist etwas Temporäres, was wir stimmen. Sie müssten ansonsten nämlich den jetzt leisten müssen. – Nein, das ist ein Trugschluss. Die (B) Bundesfinanzminister nach den Grundsätzen von Klar- Integration ist eine Daueraufgabe. (D) heit und Wahrheit in der Haushaltsführung auffordern, (Beifall bei der LINKEN) die 1,2 Milliarden Euro aus ebendiesem Sondervermögen zu finanzieren. Das Geld ist ja da. Wenn wir in die Welt blicken, so werden wir auch die Ursachen dafür erkennen. Krieg, Verfolgung, sich ver- (Beifall bei der FDP) schärfende Umweltbedingungen, die es den Menschen Aber ich vermute, dass eben genau diese 35,2 Milliar- nicht mehr möglich machen, in ihrer Heimat zu verblei- den Euro bereits für anderes verplant sind und Sie intern ben – all das sind Ursachen, weswegen sich Menschen auf eher von etwas anderem sprechen und es einen anderen den Weg machen, auch zu uns. Wir müssen damit um- Titel tragen wird, nämlich „Sondervermögen zur Finan- gehen. Und wenn wir wollen, dass diese Integration tat- zierung von Wünschen der SPD zum Verbleib in der sächlich erfolgreich ist, dann müssen die Rahmenbedin- Großen Koalition“. gungen dafür stimmen. (Beifall bei der FDP – Gabriele Katzmarek (Beifall bei der LINKEN) [SPD]: Das war aber witzig!) Solche Rahmenbedingungen schaffen in erster Linie Und das machen wir Freie Demokraten nicht mit. natürlich die Kommunen selbst. Erinnern wir uns doch Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle, die beim Staat mal zurück an die Jahre 2015/2016. Was für eine Herku- einmal eine finanzielle Förderung beantragt haben, wis- lesaufgabe wurde damals von den Kommunen gestemmt! sen, was das für ein Nachweismarathon ist. Insofern be- Es wurde gezeigt, dass man sehr wohl in der Lage ist, mit grüßen wir natürlich jede Vereinfachung und Entbürokra- sich verändernden Bedingungen wirklich umzugehen. tisierung. Aber dass die Große Koalition dann Das ist das Ergebnis von Ehrenamtlern, die Großes ge- ausgerechnet bei der Schaffung von 1 000 Stellen für leistet haben, die Vorbild sind, die manchmal nicht einmal Richterinnen und Richter sowie für Staatsanwältinnen ein einziges Dankeschön dafür bekommen haben, aber und Staatsanwälte im Rahmen des Pakts für den Rechts- auch von Mitarbeitern in Verwaltungen, ob in der Arbeits- staat auf einen zumindest nachvollziehbaren Nachweis, verwaltung, ob in der Gemeindeverwaltung, ob in der ob, wie und welche Länder ihren Verpflichtungen nach- Landkreisverwaltung. Sie mussten mit sehr viel Finger- gekommen sind, verzichtet, das ist schon bemerkenswert. spitzengefühl und Ideenreichtum zu Werke gehen und Das sagen nicht nur wir als Freie Demokraten; das sagt haben es geschafft, diese Herkulesaufgabe zu stemmen. Ihnen vor allem auch der Bundesrechnungshof. Von dieser Stelle dafür noch mal ein Dankeschön! Aber, liebe Kommunalos: Ihr müsst diese Aufgabe auch wei- (Beifall bei der FDP) terhin leisten; denn es ist eine dauerhafte Aufgabe. 16108 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Kerstin Kassner (A) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sonja derung gestellt: Wir sind diejenige Fraktion, die die Ab- (C) Amalie Steffen [SPD]) schaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes fordert. Zweitens müssen natürlich auch die rechtlichen Rah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – menbedingungen stimmen; das ist existenziell. Ich glau- Otto Fricke [FDP]: Und wer würde dann die be, auch Sie werden in Ihren Wahlkreisen gehört haben, Leistungen bezahlen?) dass geflüchtete Menschen sehr wohl gut integriert sind, auch gern arbeiten würden bzw. sogar Arbeitgeber gefun- Wäre das schon der Fall, dann würden wir an dieser Stelle den haben, die sie einstellen wollen, aber die rechtlichen gar nicht über die generöse Kostenübernahme des Bundes Bedingungen dagegensprechen. Sie dürfen nicht arbeiten. reden, meine Damen und Herren. Das ist etwas, was die Menschen vor Ort keineswegs ver- Nun haben wir die vereinbarte Pauschale für drei Mo- stehen. nate pro Asylbewerber. Dem steht aber ein Leistungsbe- zug von 18 Monaten gemäß Asylbewerberleistungsgesetz (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- entgegen. Da entsteht eine richtig große Kostendifferenz, neten der SPD) die letztendlich Länder und Kommunen tragen. Deshalb müssen wir hier ansetzen und Veränderungen schaffen. Hinzu kommt Ihre Verschärfung des Aufenthalts- und Asylrechtes mit dem Ziel, die Desintegration zu fördern, Drittens muss natürlich das Geld stimmen. Deshalb statt die Integration zu forcieren, und zwar durch Arbeits- stimmt meine Fraktion zu, dass wir diese Integrations- verbote, Wohnsitzauflagen, eingeschränkten Zugang für kosten tragen: 500 Millionen Euro für 2020. Aber wir viele zu den Sprachkursen des BAMF. Warum führt das wünschen uns, dass wegen der Daueraufgabe auch 2021 zu weiteren Kosten? Wenn die Menschen sich sozial und diese Rahmenbedingungen so gegeben sein werden. Da- wirtschaftlich nicht integrieren können, können sie auch rum werden wir kämpfen. nicht eigenverantwortlich ihr Leben in die Hand nehmen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Das ist das zweite Problem bei diesem Thema. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Daher ist es aus grüner Sicht das Mindeste, dass es die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gibt, an der Versorgung von Asylbewerberinnen und Vielen Dank, Frau Kollegin Kassner. – Als nächste Asylbewerbern, auch wenn es nur für die drei Monate Rednerin hat die Kollegin Filiz Polat, Bündnis 90/Die ist, oder eine Verteilung der Kosten für die unbegleiteten (B) Grünen, das Wort. minderjährigen Ausländerinnen und Ausländer zuguns- (D) ten der Länder bzw. der Leistungsträger, also letztendlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für die kommunale Ebene, vorgenommen wird. Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Strasser, danke, dass Sie das angesprochen ha- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und ben – auch die Kollegin hat es als ehemalige Landrätin Herren! Die Erst- und Grundversorgung sowie die soziale angesprochen –: Nicht nur Länder und Kommunen, auch und wirtschaftliche Integration von Geflüchteten ist und die Zivilgesellschaft leistet einen großen Beitrag, bei- bleibt eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern spielsweise durch die Einrichtung psychosozialer Zent- und Kommunen. Diese gesamtstaatliche Aufgabe kann ren, durch Beratungsangebote, auch durch Sprachkurse nur im Dreiklang erfolgreich bewältigt werden. Dabei und die vielen anderen Begegnungs- und Integrationspro- war und ist die Beteiligung des Bundes an den Integra- jekte vor Ort. Die waren und sind ein unschätzbarer Wert tionskosten ein wichtiger und notwendiger Beitrag gewe- und ein unverzichtbarer Baustein in der Gesamtaufgabe sen, weil es bei der Kostenverteilung bzw. bei der finanz- der Integration geworden, meine Damen und Herren. iellen Verantwortung eine enorme Schieflage gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Diese Schieflage liegt begründet im Asylbewerberleis- sowie bei Abgeordneten der FDP) tungsgesetz. Das muss an dieser Stelle mal gesagt wer- den, meine Damen und Herren. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Denn seit mehr als 25 Jahren wird die Versorgung der Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geflüchteten und Menschen in prekären Aufenthaltssi- Umso schlimmer ist, dass diese Angebote nun gefähr- tuationen durch das Asylbewerberleistungsgesetz des det sind, – Bundes geregelt. Was bedeutet das? Dieses Sondergesetz führt nicht nur zu einer Versorgung der Betroffenen unter- halb des verfassungsrechtlich garantierten Existenzmini- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mums, zu einem Ausschluss aus der gesundheitlichen Frau Kollegin, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss. Regelversorgung, sondern führt auch dazu, dass die Kos- tenlast bei Land und Kommunen liegt. Das musste an Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dieser Stelle einmal gesagt werden, und deswegen haben – weil der Bund seine Beteiligung an der Integrations- wir einen Entschließungsantrag genau mit folgender For- pauschale drastisch kürzt. Damit werden zahlreiche Pro- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16109

Filiz Polat (A) jekte, Netzwerke, Strukturen vor dem Aus stehen. Die bedingten Kosten von Ländern und Kommunen für die (C) können nicht von den Ländern – – Jahre 2020 und 2021 verständigt. Heute schließen wir das Gesetzgebungsverfahren hierüber ab. (Das Mikrofon wird abgeschaltet) Die bis zum Jahr 2019 befristete Entlastung von zu- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sätzlichen Kosten der Unterkunft und Heizung wird bis Frau Kollegin, ich habe Ihnen das Wort entzogen; denn 2021 verlängert. Damit werden die Kommunen für die Sie sind 30 Sekunden über der Zeit. Nehmen Sie bitte Jahre 2020 und 2021 um 1,8 Milliarden Euro jährlich Platz. entlastet, und zusätzlich wird die Pauschale, die vormals 2 Milliarden Euro betragen hat, für 2020 mit 700 Millio- (Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Euro und für 2021 mit 500 Millionen Euro gewährt. NEN] geht zu ihrem Platz zurück – Beifall Auch das sind Kosten, für die wir die Verantwortung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übernehmen. Gott sei Dank sinken sie, und wir werden Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt sehen, ob wir nach 2021 noch Integrationspauschalen in spricht der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Frak- dieser Höhe zahlen müssen. Das muss man evaluieren, tion. wenn es so weit ist.

(Beifall bei der CDU/CSU) Dies konnte aber auch erreicht werden, liebe Kollegin- nen und Kollegen, weil die Bundeskanzlerin und die Re- Sebastian Brehm (CDU/CSU): gierungschefs der Länder den Pakt für den Rechtsstaat Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und geschlossen haben und weil wir hier die Voraussetzungen Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Frau geschaffen haben, 2 000 Stellen in der Justiz zu schaffen. Kollegin Polat, nach dem Grundgesetz tragen Bund und 1 200 Stellen – das wurde vorhin schon diskutiert – sind Länder gesondert die Ausgaben, die sich durch die Wahr- inzwischen geschaffen worden, sodass die hohen Fallzah- nehmung ihrer Aufgaben ergeben. Das ist so im Grund- len auch abgearbeitet werden können und hier auch eine gesetz geregelt und nennt sich Subsidiaritätsprinzip. Die Entlastung der Kommunen und der Länder bei den Kos- Aufgabenwahrnehmung in genau diesem Bereich obliegt ten anfällt. Das ist ein guter Weg in die richtige Richtung; eben grundsätzlich den Ländern. Dies gilt auch für alle denn wir brauchen diese neuen Stellen in der Justiz, damit Sozialleistungen, die natürlich hauptsächlich auf der wir die Fälle noch schneller abarbeiten können. Das ver- kommunalen Ebene anfallen. Die Länder haben hier die mindert auch die Kosten für die Kommunen. Aufgabe, die Kommunen entsprechend auszustatten. (B) Deshalb werden wir als Bund auch weiterhin die Ver- (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) antwortung übernehmen. Wir entlasten die Kommunen, Mit dem Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den wir übernehmen die Verantwortung in diesem Bereich, Integrationskosten der Länder und Kommunen aus dem und deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf in der zwei- Jahr 2016 verpflichtete sich der Bund – aus der außerge- ten und dritten Lesung heute zu. Ich bitte Sie alle, eben- wöhnlichen Situation des Jahres 2015 heraus –, die Kos- falls zuzustimmen. ten der Unterkunft und Heizung, KdU, für anerkannte Asyl- und Schutzberechtigte für die Jahre 2016 bis Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 2018 und später auch für 2019 vollständig zu überneh- men. Das Programm zur Übernahme dieser Kosten war (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zunächst bis 2019 befristet. Zudem stellte der Bund für ordneten der SPD) die Jahre 2016 bis 2019 zur weiteren Entlastung eine jährliche Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliarden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Euro durch die Änderung der vertikalen Umsatzsteuer- verteilung zur Verfügung. Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Damit schließe ich die Aussprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund hat damit die finanzielle Belastung aufgrund dieser außergewöhn- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- lichen Situation seit dem Jahr 2015 übernommen und desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Beteili- übernimmt sie auch weiterhin. Wir stehen zu den Kom- gung des Bundes an den Integrationskosten der Länder munen in unserem Land und übernehmen die Verantwor- und Kommunen in den Jahren 2020 und 2021. Der Haus- tung. Herr Kollege Daldrup, es ist richtig: Auch die Län- haltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung der müssen hier Verantwortung übernehmen. auf Drucksache 19/15132, den Gesetzentwurf der Bun- desregierung auf Drucksachen 19/14246 und 19/15084 in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- Auch wenn die Kosten Gott sei Dank deutlich sinken, men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- sind natürlich auch heute noch Kosten aus diesem Be- gen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit reich zu tragen. Deshalb haben sich die Bundeskanzlerin den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die und auch die Regierungschefs der Länder im Juni dieses Linke gegen die Stimmen der Fraktionen von AfD und Jahres – es wurde schon darauf hingewiesen – auf die FDP bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Weiterführung der Bundesbeteiligung an den flüchtlings- angenommen. 16110 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Dritte Beratung gie sein. Ich habe bereits im Juli erklärt: Deutschland (C) muss das Wasserstoffland Nummer eins werden. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – (Beifall bei der FDP) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, Dass Bundeswirtschaftsminister Altmaier diese Forde- SPD und Die Linke gegen die Stimmen der AfD-Fraktion rung jetzt wörtlich übernommen hat, freut mich außer- und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion von ordentlich. In der ersten Hälfte der GroKo ist viel ange- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. kündigt worden; es wäre schön, wenn im Zusammenhang mit Wasserstoff in der zweiten Hälfte der GroKo dann Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie- auch geliefert wird. ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/15184. Wer stimmt für diesen Entschlie- (Beifall bei der FDP) ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Andere Redner werden hier bestimmt artikulieren, es Keine. Dann ist dieser Entschließungsantrag gegen die werde schon alles gemacht. Aus unserer Sicht wird nicht Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion genug gemacht. Wir brauchen mehr Tempo bei dieser Die Linke mit den Stimmen der anderen Fraktionen des Technologie. Meine Damen und Herren, ich erlaube Hauses abgelehnt. mir, an dieser Stelle zu sagen: Karlsruhe ist eine schöne Stadt. Ich habe mir in meinem Wahlkreis Karlsruhe am Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: KIT angeschaut, wie die Technologie erforscht und ent- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten wickelt wird, mit der wir die Klimaprobleme tatsächlich Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, in den Griff bekommen können. Ein Elektrolyseur ist Christine Aschenberg-Dugnus, weiterer Ab- heute nicht mehr groß. Das ist ein kleiner Container; geordneter und der Fraktion der FDP den kann man neben jeden Windpark stellen, den kann man aber auch großindustriell unter Nutzung von Photo- Tempo in der Energiepolitik – Wasserstoff voltaik einsetzen. Deutschland sollte mit dafür sorgen, zum neuen Öl machen dass Wasserstoffproduktionskapazitäten mit Technolo- Drucksache 19/15049 gien wie Sun to Liquid, also die Gewinnung von klima- neutralem Treibstoff direkt aus Sonnenenergie, in den Überweisungsvorschlag: südeuropäischen Ländern erhöht werden. Wir würden da- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit mit einen Beitrag zur Stabilisierung der Euro-Zone leis- Haushaltsausschuss ten. (B) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Deshalb schlage ich hier für meine Fraktion, die Frak- (D) Ulrich Oehme, Markus Frohnmaier, Dietmar tion der Freien Demokraten, eine europäische Wasser- Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der stoffunion vor. So wie wir nach dem Zweiten Weltkrieg Fraktion der AfD mit Euratom und der Europäischen Gemeinschaft für Pyrolyseförderung – Eine wirkliche Alter- Kohle und Stahl bei den alten Technologien der Energie- native zur Bekämpfung der Plastikflut in erzeugung europäisch zusammengearbeitet haben, sollten Entwicklungsländern wir jetzt beim Wasserstoff vorangehen. Drucksache 19/15075 (Beifall bei der FDP)

Überweisungsvorschlag: Eine europäische Wasserstoffunion wäre jetzt das Gebot Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- der Stunde. lung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Überhaupt muss der Ordnungsrahmen verändert wer- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die den. Ein europäischer Emissionshandel für Verkehr und Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu Wärme würde den Ordnungsrahmen setzen, sodass der keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Markt dann auch funktioniert. Die Bundesregierung muss endlich dafür sorgen, dass bei den Flottengrenzwerten Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- auch klimaneutrales Benzin und klimaneutraler Diesel ner dem Kollegen Michael Theurer, FDP-Fraktion, das akzeptiert und angerechnet werden können. Dann könn- Wort. ten Millionen von Altfahrzeugen auch in Zukunft klima- neutral gemacht werden, dann könnten wir diese Verbren- (Beifall bei der FDP) nungstechnologie auch in Zukunft nutzen. Und damit wären in der Wertschöpfungskette viele Hunderttausen- Michael Theurer (FDP): de, wenn nicht sogar Millionen Arbeitsplätze in der Auto- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- mobilindustrie und bei den Zulieferern gesichert. ren! Heute Morgen hat dieses Haus das Klimapaket ver- abschiedet, an der Wasserstoffstrategie wird vonseiten (Beifall bei der FDP) der Bundesregierung – das zuständige Ministerium ist, Angesichts des Abschwungs ist das das richtige Signal, glaube ich, gar nicht anwesend – derzeit allerdings noch meine Damen und Herren. gearbeitet. Das ist die falsche Reihenfolge, meine Damen und Herren. Wasserstoff ist ein vielseitiger Alleskönner. Und dann natürlich die Brennstoffzelle. Ich erinnere Wasserstoff muss zentraler Bestandteil der Klimastrate- mich an die Aussagen von Anton Hofreiter und die Dis- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16111

Michael Theurer (A) kussionen in den Jamaika-Sondierungen oder auch beim Für die Union ist Wasserstoff der Schlüsselrohstoff ei- (C) E-Mobility-Forum. Da hat er argumentiert, es gebe nur ner erfolgreichen Energiewende. Wenn wir bis Mitte des die batteriebetriebene Elektromobilität. Nein, wir brau- Jahrhunderts treibhausgasneutral sein wollen, brauchen chen Technologieoffenheit, wir brauchen auch die Brenn- wir Grünen Wasserstoff. Wasserstoff, hergestellt aus stoffzelle. Die Behauptung, die hier heute Morgen noch Ökostrom, ermöglicht die Reduzierung von Treibhausga- mal wiederholt wurde, dass die Chinesen uns dazu zwin- sen in Bereichen, in denen bis jetzt fossile Energieträger gen würden, die batteriebetriebene Elektromobilität ein- dominieren. Gerade für die deutsche Industrie ist Grüner zuführen, ist doch widerlegt; sie ist ein Märchen. Die Wasserstoff die einzige Alternative zu Kohle, Öl und Gas. Chinesen werden die Batterieförderung ab 2021 beenden Andernfalls bliebe nur die Deindustrialisierung, die hof- und setzen voll auf die Brennstoffzelle. fentlich für niemanden hier im Hause eine wirkliche Op- tion ist. Denn die Industrie in unserem Land ist die Basis (Beifall bei der FDP) unseres Wohlstands, und ich hoffe, auch das wird hier im Meine Damen und Herren, die Brennstoffzelle wurde Haus niemand bestreiten wollen. in Deutschland entwickelt, aber wir laufen Gefahr, diese Technologie zu verlieren. Deshalb muss bei Wasserstoff Aus meiner Sicht wird Grüner Wasserstoff vor allem und bei der Brennstoffzelle mehr Tempo gemacht wer- für die Stahl-, Chemie- und Grundstoffindustrie von exis- den; denn die Technologien sind ja da. tenzieller Bedeutung werden. Die Stahlbranche zählt da- bei zu den Industriezweigen mit den höchsten Kohlen- Und dann muss man – heute ist ja Freitag – sagen: dioxidemissionen. Sie stößt jährlich rund 56 Millionen Freiheit for Future. Future by Technology. Dann brauchen Tonnen CO2 aus und ist damit für gut 6 Prozent der deut- wir auch nicht Fahrverbote, dann brauchen wir keine Ein- schen Emissionen verantwortlich. schränkung der individuellen Mobilität, sondern dann kann die Freiheit mit Klimaschutz verbunden werden. Es gibt viele Konzerne, die an dem Einsatz von Grü- Es lohnt sich, dafür zu kämpfen. nem Wasserstoff arbeiten. So zählt zum Beispiel die Salz- Vielen Dank. gitter AG zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Schon seit zwei Jahren wird im zweitgrößten Stahlstandort der Re- (Beifall bei der FDP) publik, im Hüttenwerk Salzgitter, Wasserstoff aus einem eigenen Elektrolyseur bei der Veredelung von Rohstahl Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eingesetzt. Bis Mitte des nächsten Jahres sollen zwei wei- tere Elektrolyseure folgen. Vielen Dank, Herr Kollege Theurer. – Ihr zutreffender Hinweis auf die mangelnde Präsenz der Bundesregierung Auch thyssenkrupp will in Duisburg einen Hochofen (B) hat dazu geführt, dass es eine unwesentliche, aber doch umrüsten, um die Kohle in der Stahlherstellung teilweise (D) merkbare Verstärkung auf der Regierungsbank gegeben durch Wasserstoff zu ersetzen. Denn bereits mit einem hat. Drittel Wasserstoff und zwei Dritteln Erdgas könnte (Michael Theurer [FDP]: Danke!) man gegenüber dem heutigen Verfahren rund ein Viertel der CO2-Emissionen einsparen. Daran lässt sich ablesen, Gleichwohl möchte ich erneut meinen Unmut darüber wie viel die Stahlindustrie für den Klimaschutz bereits zum Ausdruck bringen, dass die Bundesregierung so bewegt und vor allem noch bewegen könnte. Technisch schwach vertreten ist; gesehen könnte die Stahlindustrie zum Beispiel schon (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem morgen damit anfangen, ihre Produktion auf annähernd BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- CO2-freie Verfahren umzustellen. Die nötigen Technolo- ordneten der SPD und der AfD) gien dafür sind vorhanden. denn wesentliche Beiträge des Hauses können dann kei- Aber auch im Bereich der Mobilität sind Wasserstoff nen Eingang in die Überlegung der Bundesregierung fin- und daraus hergestellte synthetische Kraftstoffe der den. Treibstoff der Zukunft. Dies betrifft insbesondere die Als nächster Redner hat der Kollege Mark Helfrich, Luftfahrt, den Schwerlastverkehr und die Schifffahrt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. wo Batterieantriebe nicht praktikabel sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Meine Damen und Herren, die Industrie und der Ver- der SPD) kehrssektor brauchen unsere Unterstützung; denn die Umstellung der Produktion auf grüne Produkte ist derzeit Mark Helfrich (CDU/CSU): nicht wirtschaftlich. Sie sind auf dem Weltmarkt gegen- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- über konventionell hergestellten Produkten nicht konkur- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits im Jahr renzfähig. Deshalb müssen wir Anreize dafür schaffen, 1874 sah der französische Autor Jules Verne in seinem dass beispielsweise klimafreundlicher Stahl oder grüne Buch „Die geheimnisvolle Insel“ im Wasserstoff die Zu- Kraftstoffe produziert werden. Hierfür braucht es die kunft; denn er schrieb: „Das Wasser ist die Kohle der richtigen politischen Rahmenbedingungen und auch Zukunft.“ Es ist schön, dass die Kolleginnen und Kol- staatliche Förderungen, die notwendige Investitionen in legen der FDP-Fraktion diese Vision von Jules Verne Forschung und Entwicklung auslösen. 145 Jahre später mit uns teilen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Michael Theurer [FDP]: Sehr gut!) der SPD) 16112 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Mark Helfrich (A) Ich möchte betonen, dass wir hier keinesfalls bei null lungsländer zu konzipieren und marktfähig zu machen. (C) anfangen. Wir haben schon wesentliche Dinge bei diesem Ihr Antrag liest sich ehrlicherweise wie ein Lastenheft für Thema angeschoben. Dazu zählt der „Ideenwettbewerb das THW und weniger wie ein parlamentarischer Antrag. Reallabore der Energiewende“. In elf der 20 Reallabore Grundsätzlich halte ich die Umwandlung von Kunst- erproben Unternehmen neue Wasserstofftechnologien in der Anwendung, unter realen Bedingungen sowie im in- stoffabfällen in Rohstoffe für einen richtigen Ansatz im dustriellen Maßstab. Gerade im Norden unseres Landes Sinne der Kreislaufwirtschaft; dazu gibt es bereits viel- fältige Ansätze. Experten sehen das Potenzial aber eher und insbesondere meiner Heimat Schleswig-Holstein wird hier sehr viel Pionierarbeit geleistet. bei großen Energiekonzernen, die die Pyrolyseanlagen in Raffinerieprozesse einbinden. Entsprechende Planungen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gabriele laufen beim Chemieriesen BASF und auch beim Energie- Hiller-Ohm [SPD]: Ja! – Otto Fricke [FDP]: konzern OMV. Und der Heimat des Vizepräsidenten!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum – Ja, das stimmt. Schluss kommen. Wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen – am besten auch noch in dieselbe Richtung –, Für die Reallabore stellt das BMWi bis 2022 jährlich 100 Millionen Euro zur Verfügung. Zusätzlich werden für (Heiterkeit der Abg. Dr. Ingrid Nestle die Reallabore in Strukturwandelregionen weitere [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das allein zeigt schon, dass hier in den nächsten Jahren viel passiert, dann bin ich mir sicher, dass wir beim Thema Wasserstoff und zwar nicht nur bei Forschung und Entwicklung, son- tatsächlich Erfolge verzeichnen können. dern auch bei der Wasserstoffproduktion und -anwen- Herzlichen Dank. dung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die Bundesregierung wird nämlich bis Ende des Jahres neten der SPD und des Abg. Michael Theurer eine Nationale Wasserstoffstrategie beschließen. Mit die- [FDP]) ser werden Rahmenbedingungen für den Wasserstoffreal- betrieb geschaffen, damit Wasserstoff seine industriellen Potenziale entfalten kann. Grüner Wasserstoff soll so Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schnell wie möglich in industriellem Maßstab in Deutsch- Vielen Dank, Herr Kollege Helfrich. – Als nächster land produziert werden. Ziel ist es, Deutschland interna- Redner hat das Wort für die AfD-Fraktion der Kollege tional zu einem Vorreiter bei Grünem Wasserstoff zu ma- Ulrich Oehme. chen und die Nummer eins bei Wasserstofftechnologien (B) (Beifall bei der AfD) (D) in der Welt zu werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ulrich Oehme (AfD): der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Der Antrag der FDP analysiert Angesichts der zahlreichen Anwendungsbereiche wird die deutsche Energiewende sehr realistisch. Ja, die Ener- Grüner Wasserstoff perspektivisch aber zur Mangelware giepolitik ist ineffizient und teuer. Vor allen Dingen aber in Deutschland werden. Es ist kaum vorstellbar, dass wir ist sie einseitig. Viel zu sehr versteift sie sich auf wenige die dafür zusätzlich benötigten Grünstromerzeugungska- Lösungen. Das Adjektiv „grüner“ im Zusammenhang mit pazitäten in Deutschland zugebaut bekommen. Deshalb Wasserstoff lassen wir einfach mal beiseite; Wasserstoff wird der Import Grünen Wasserstoffs Kernbestandteil der ist weder grün noch gelb noch rosa; er ist durchsichtig. Nationalen Wasserstoffstrategie werden. Die Elektromobilität durch Batteriebetrieb birgt eine Mit Wasserstoffpartnerschaften zu Produktion und soziale Komponente in sich. Erst gestern Nacht sprachen Transport eröffnen wir zum Beispiel afrikanischen Staa- wir über ausbeuterische Kinderarbeit, welche sich beim ten den Weg in globale Energiemärkte. Das ermöglicht Abbau der Rohstoffe für die Elektromobilität noch ver- Entwicklung in Afrika und bewahrt Wohlstand in stärken wird. Anstatt nach sozialverträglichen Lösungen Deutschland. Das ist dann sozusagen Desertec H2.0. zu suchen, wie zum Beispiel der von der FDP eingebrach- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wie Sie te Vorschlag, den Gewinn von Wasserstoff als Energie- sehen, sind viele Ihrer guten Vorschläge von der Union träger in das Energiekonzept miteinzubeziehen, vorsieht, bereits in der Mache. Dies gilt im Übrigen auch für Ihre hält man stur an den bisher bekannten Ideen fest. Vorschläge zum nationalen und europäischen Emissions- Durch die unnötige Abkehr von Atomenergie, die Ver- handelssystem. Diese sind im Klimaschutzprogramm der teufelung fossiler Brennstoffe und das dogmatische Fest- Bundesregierung bereits vorgesehen. halten an Batterien verliert Deutschland immer mehr den (Carina Konrad [FDP]: Stimmt nicht! Never Anschluss. Warum also nicht andere Möglichkeiten erfor- ever!) schen, die vielleicht sogar weitere Probleme lösen könn- ten? Sehr verehrte Damen und Herren, kommen wir noch kurz zum Antrag der AfD-Fraktion zum Thema Pyrolyse- Ein solches Beispiel möchte ich dem heute vorliegen- förderung. Sie fordern die Bundesregierung auf, die Py- den Antrag beistellen. Bereits in meiner letzten Haus- rolyseforschung stärker zu fördern und eine leicht zu haltsrede bin ich auf das Thema Pyrolyse eingegangen, bedienende Pyrolyseanlage zur Entsendung in Entwick- die aus Abfall einen Rohstoff macht und eine konkrete Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16113

Ulrich Oehme (A) Lösung für ein konkretes Problem in Entwicklungslän- wusstsein entwickeln. Boden und Trinkwasserressourcen (C) dern bietet. Herr Helfrich, nicht nur Großanlagen, son- können sich regenerieren. Die Bevölkerung nimmt in Ei- dern auch kleine Anlagen können dies tun. Statt über die genverantwortung und nicht von außen gesteuert ein lo- homöopathischen Mengen des Gases CO2 und dessen kales Problem in die Hand. Entwicklungsgelder, welche Verringerung zu diskutieren, sehen wir die in den nächs- die Auswirkungen von falscher Abfallentsorgung behe- ten Jahren zu erwartende Bevölkerungsexplosion und die ben sollen, können zurückgefahren werden. Und das Gewährleistung der Ernährungssicherheit als ein größ- Wichtigste: Es gelangt wesentlich weniger Plastikmüll eres Problem. Eines der großen Risiken in diesem Zusam- durch die Flüsse in die Meere. menhang sind die Weltmeere, die durch Plastikmüll im- mer mehr Gefahr laufen, als Nahrungsquelle auszufallen. Die Anwendbarkeit ist nicht nur auf Plastikmüll be- schränkt. So kann durch die Vergasung von Biomasse (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sogenannte Biokohle erzeugt werden, die die Qualität Nein, durch die Klimakrise, nicht durch den von Böden verbessert. Auch könnte Elektronikschrott Plastikmüll!) wieder besser dem Rohstoffkreislauf zugeführt werden. Deutschland ist weltweit bekannt für seine Umwelttech- Der sich auf dem Festland befindende Plastikmüll darf nik. Mit der Pyrolyse entsteht ein weiteres lukratives Ge- gar nicht erst in die Weltmeere gelangen; denn dort ist er schäftsfeld: für alle Beteiligten eine Win-win-Situation. kaum extrahierbar. Wer schon einmal außerhalb Mittel- europas war, weiß, wovon ich spreche: Plastikmüll über- Ich würde mich freuen, wenn ich Ihr Interesse geweckt all – auf Feldern, Straßen und Plätzen. In den Ländern habe, gibt es kaum ein Bewusstsein für Umweltschutz. Entsor- gungsbetriebe und Müllverbrennungsanlagen sind kaum (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! – Steffi vorhanden oder haben nicht die Kapazitäten, um mit dem Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eigenen Müll umzugehen. Schadstoffe versickern im Bo- war der falsche Tagesordnungspunkt!) den und gelangen ins Grundwasser, zerstören die Umwelt und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Glück auf! und belasten die Gesundheit der Bevölkerung. (Beifall bei der AfD) Dazu kommt noch, dass die Industriestaaten ihren Müll in diese Länder exportieren. Allein aus Deutschland wer- den jährlich 1,2 Millionen Tonnen Plastikmüll, der in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unseren Müllverbrennungsanlagen nicht verbrannt wer- Vielen Dank, Herr Kollege. – Liebe Kolleginnen und den kann, irrationalerweise in Entwicklungsländer expor- Kollegen, wir debattieren zwei Tagesordnungspunkte, tiert. Das Schlimme ist, dass der Export von Müll auch als „Wasserstoff“ und „Pyrolyseförderung“. Insofern hat (B) Recycling gilt. Das ist, gelinde gesagt, zutiefst menschen- der Redner auch zur Sache gesprochen. (D) verachtend und zynisch und unserer Bevölkerung nicht zu vermitteln. Später senden wir dann Entwicklungshilfe in (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Millionenhöhe an diese Länder, um die durch diese Praxis Geht so!) verursachten Auswirkungen zu beheben. Eine wirkliche Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion der Kol- Lösung ist dies nicht. lege Andreas Rimkus das Wort. Pyrolyse könnte hier Abhilfe schaffen. Mittels Pyroly- (Beifall bei der SPD) se können Kunststoffe im Niedertemperaturbereich in den gasförmigen Zustand überführt werden. Danach wer- Andreas Rimkus (SPD): den diese Gase wieder verflüssigt. Das Produkt ist ein Pyrolyseöl, welches dann zur Energieerzeugung oder Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- zum Kochen verwendet werden kann. Es ist mit solchen ren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Zuseherinnen und Anlagen ohne Weiteres möglich, 90 Prozent der einge- Zuseher! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An diesem setzten normalverschmutzten Kunststoffe in Öl umzu- Montag, am 11.11., hat mit dem Hoppeditz-Erwachen wandeln. Nur 10 Prozent Abfall entsteht, und damit ließe (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sich der Rohstoffkreislauf schließen. in Düsseldorf die Jahreszeit angefangen, die wir als jeck Wie könnte die Umsetzung aussehen? Das BMZ för- bezeichnen würden. Das ist für mich als Düsseldorfer dert die Erforschung und den Bau einer transportablen, besonders relevant, und ich freue mich auch immer wie- containergroßen Anlage. Bisher ist der Bau von Pyrolyse- der, wenn das Jecksein auch in unseren heiligen Hallen anlagen Privatinitiative und befindet sich in der Entwick- seinen Niederschlag findet, so wie heute. lungsphase, sagen wir, in der Phase des Probierens. Wis- senschaftliche Forschung fand bis dato kaum statt. Die Aber nur weil die Karnevalssaison angefangen hat, ge- Anlage sollte so konzipiert sein, dass man sie ohne großes lingt nicht automatisch jeder Versuch, sich gut zu ver- Fachwissen bedienen kann. Die Bevölkerung der Ent- kleiden. Das kann man anschaulich beobachten, wenn wicklungsländer sammelt Plastikmüll und erhält bei Ab- man sich den vorliegenden Antrag der AfD zu Gemüte gabe einen Kilopreis. führt. Der versucht nämlich, sich als Engagement für die Entwicklungszusammenarbeit zu verkleiden; aber das ge- Was erreichen wir dadurch? Die Schaffung von Ar- lingt ihm, mit Verlaub, nicht. Ich möchte dem Antrag beitsplätzen und die Generierung von eigenem Ein- eigentlich gar nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken; kommen. Die Bevölkerung dieser Länder wird Müll als Rohstoff verstehen, und es könnte sich ein Umweltbe- (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Sehr gut!) 16114 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Andreas Rimkus (A) denn er beinhaltet ja gerade mal zwei und dann auch noch nationalen Wettbewerb zu behaupten, braucht es kurzfris- (C) sehr vage Forderungen. Deswegen auch nur zwei kurze tig klare Ziele und klare Signale. Anmerkungen: Wir können es uns nicht leisten, auf eine irgendwann Sie fordern erstens eine stärkere Förderung der Pyroly- kommende europäische Regelung zu warten. Und wenn seerforschung. Das ist bei allem gebotenen Respekt keine die dann kommt – es wäre ja vernünftig, wenn sie denn besonders konkrete oder fachlich versierte Forderung. käme –, ist aber nichts verloren; denn dann haben wir eine Die erwähnte Technologie ist Gegenstand zahlreicher nationale Regelung, die im Übrigen, wie wir wissen, mit Forschungsprogramme, sowohl national als auch interna- dem europäischen ETS-System kompatibel ist. Insofern tional. sind wir vor der Zeit und nicht nach der Zeit. Deswegen glaube ich, dass die Koalition die richtigen Impulse setzt. Zweitens wollen Sie die Bundesregierung auffordern, unter anderem zusammen mit der Privatwirtschaft kleine, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mobile Pyrolyseanlagen zu konzipieren und marktfähig der CDU/CSU) zu machen. Ich muss gestehen, ich bin irritiert: Seit wann fordern Sie denn mehr staatliche Eingriffe in die Wirt- Es ist ein guter, historischer Schritt, der uns heute Morgen schaft? Es gibt doch schon entsprechende Aktivitäten von gelungen ist. Unternehmen, zum Beispiel aus Dresden. Und ein Ich möchte noch auf einen anderen Teil des Antrags Schelm, wer da denken mag, Sie würden die Berichter- eingehen, der sich gezielt mit dem Thema Wasserstoff stattung zu ebendiesen Aktivitäten als Gelegenheit nut- beschäftigt. Zunächst einmal ist anzumerken, dass die zen, um das Thema für Ihre Politik zu instrumentalisie- Koalition und die Bundesregierung schon eine ganze ren. So schelmisch kann man ja gar nicht sein. Menge zustande gebracht haben. Sie fordern in Ihrem Also, sehr geehrte Damen und Herren, um echte Ent- Antrag unter anderem den Ausbau und die Finanzierung wicklungszusammenarbeit, so viel steht fest, geht es internationaler Energiepartnerschaften für Wasserstoff. Ihnen jedenfalls nicht. Das kann man schon daran erken- Tatsächlich ist da über das Umwelt- und Wirtschaftsmi- nen, dass Sie nicht von Entwicklungszusammenarbeit re- nisterium vieles auf den Weg gebracht worden: Mit Chile den, sondern tatsächlich den veralteten Begriff der Ent- und Japan gibt es beispielsweise entsprechende Vorha- wicklungshilfe benutzen. Wir hingegen begegnen ben; es gibt die Internationale Klimaschutzinitiative, ge- unseren Partnern in der Entwicklungszusammenarbeit fördert durch das BMU, und beispielsweise Projekte in auf Augenhöhe und sehen sie eben nicht als Hilfeemp- Brasilien. Eine ganze Reihe weiterer Projekte werden ge- fänger. Und für eine Instrumentalisierung eignen sich prüft. (B) diese Partnerschaften schon gar nicht. Also zusammen- Zudem wird im Rahmen des PtX-Aktionsprogramms (D) gefasst: Jecke Idee, aber Verkleidung misslungen. seitens des BMU ein gemeinsames Sekretariat mit der (Frank Pasemann [AfD]: Bis jetzt hat noch GIZ eingerichtet, das sich diesem Thema widmet. Auf keiner gelacht!) nationaler Ebene sind zum Beispiel die Reallabore zu nennen sowie die Nationale Wasserstoffstrategie, die ge- Anders verhält es sich mit dem Antrag der Fraktion der rade entwickelt wird, und darüber hinaus das PtX-Kom- FDP. Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, ich erkenne petenzzentrum, das gerade errichtet wird, oder auch die an, dass es in Ihrem Antrag durchaus Punkte gibt – einige, NOW, die als gemeinsame Geschäftsstelle für die Bun- nicht alle –, bei denen gewisse Gemeinsamkeiten zu er- desregierung im Verkehrsbereich schon heute eine ganze kennen sind. Bei anderen allerdings muss ich in der Sache Reihe von Fördermaßnahmen und Projekten bündelt und vehement widersprechen. Sie verbinden in Ihrem An- begleitet. Ich stimme Ihnen übrigens zu: Natürlich wer- trag – wie ich finde, ohne Not – Ihre Forderung nach einer den wir auch weiterhin Energien importieren. Und wenn stärkeren Berücksichtigung von Wasserstoff mit einer es nach mir gehen würde, wäre das besonders Grüner Generalkritik an der Energiepolitik der Koalition und Wasserstoff. Aber trotzdem dürfen wir die nationale Wirt- der Bundesregierung. Sie erneuern Ihre Forderung nach schaft nicht vernachlässigen, weder was die Produktion einer Einbindung der Sektoren „Verkehr“ und „Gebäude“ erneuerbarer Energieträger angeht, noch was den Ausbau in das europäische Emissionshandelssystem. Und so erneuerbarer Energien angeht. Gerade deshalb sind wir ja bleibt mir nichts anderes übrig, als wiederrum unsere mit unserem Koalitionspartner in intensiven Verhandlun- Kritik zu erneuern, dass ein solches langwieriges Vorge- gen über die Frage, wie wir einen sinnvollen Ausgleich hen – es gibt noch viele andere Probleme – keine kurz- zwischen Erhalt von Flächenkulissen, Förderung der Ak- fristig wirksamen Impulse für nationale Klimaschutzziele zeptanz und Beschleunigung der Verfahren bei Wind- und geben würde. Sonnenenergie erreichen können. Wir müssen aber jetzt handeln. Wir müssen jetzt die Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will Ihnen entscheidenden Weichenstellungen vornehmen. Das tun aber auch nichts vormachen: Natürlich dürfte es an der wir, zum Beispiel mit dem Klimaschutzgesetz, das wir einen oder anderen Stelle etwas schneller gehen. Es ist ja heute Morgen verabschiedet haben. Das sind wir übrigens kein Geheimnis, dass ich mich schon seit Jahren dafür den nachfolgenden Generationen und vor allen Dingen einsetze, die Perspektiven und Potenziale einer florieren- der nationalen Wirtschaft schuldig. Denn Sie selbst den Wasserstoffwirtschaft in Deutschland vermehrt in schreiben ja, dass wir die Energiewende stärker innovativ den Blick zu nehmen. Aber – und das ist wichtig – wir denken sollen, auch um technologische Innovationen vo- dürfen dabei nie das Ziel einer erfolgreichen und sozial- ranzutreiben. Um die Technologieführerschaft im inter- verträglichen Energiewende aus dem Blick verlieren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16115

Andreas Rimkus (A) Man darf also Technologieoffenheit und Klimaschutz aber mittelfristig auch für Pkws. Wenn sie längere Stre- (C) nicht gegeneinander ausspielen. cken fahren, ist das sicher ein positiver Punkt. Nachhaltigkeit, ökonomische Vernunft und soziale Kurzfristig und unmittelbar ist es allerdings auch voll- Verantwortung müssen stets miteinander in Einklang ge- kommen richtig, auf die Batterie zu setzen bracht werden. Wenn wir das beherzigen, dann ist mir auch nicht bange um die Impulse, die sie geben. (Michael Theurer [FDP]: Nicht ausschließ- lich!) Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und darauf, dass wir mit der nationalen Strategie, mit den PtX- – nicht ausschließlich, vollkommen richtig –, weil das Anteilen, die wir gemeinsam festsetzen werden, dann erst mal der richtige Weg ist. Also: Wasserstoff ist ein auch in die Zukunft gehen – für eine gute Wasserstoff- wichtiger Energieträger. Wir sollten heute die Weichen technologie und -wirtschaft in Deutschland, in Europa stellen, damit wir ausreichende Mengen zur Verfügung und weltweit. haben. Schönen Dank. Ökologisch ist Wasserstoff allerdings nur, wenn er aus- schließlich mit erneuerbarem Strom erzeugt wird. Ich (Beifall bei der SPD sowie des Abg. hätte schon meine Probleme, wenn er mit Erdgas erzeugt Dr. Andreas Lenz [CDU/CSU]) werden würde; denn – wir wissen es – dann ist er nicht als Grüner Wasserstoff zu bezeichnen. Dann hätten wir ein Vizepräsidentin Petra Pau: Problem. Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Sie haben auch recht, wenn Sie sagen: Wir müssen Die Linke. gucken, wie wir so viel Strom bekommen, dass wir Was- (Beifall bei der LINKEN) serstoff mit ökologischem Strom herstellen können. – Wir als Bundesrepublik werden das nicht allein schaffen. Da Klaus Ernst (DIE LINKE): bräuchten wir zu viele Windräder und würden auf zu viel Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Wir müssen im- Herren! Herr Theurer, als ich Ihren Antrag gelesen habe, portieren. Insofern bin ich mit Ihnen vollkommen einer habe ich am Anfang gedacht: Habe ich technisch was Meinung. verpasst? Denn die Überschrift ist: „Wasserstoff zum Ich teile Ihre Meinung übrigens auch, was die Stabilität neuen Öl machen“. Das ist ja technisch noch nicht so unseres Stromnetzes angeht. Im vergangenen Jahr wur- richtig erfunden. Man hat ein Verfahren erfunden, wie den in Deutschland laut Agentur für Erneuerbare Ener- (B) Wasserstoff als Energieträger genutzt werden kann. Ich gien 5,4 Milliarden Kilowattstunden erneuerbarer Strom (D) habe dann aber gewusst, was Sie meinen. abgeregelt. Er könnte in Wasserstoff umgewandelt und Was ich jedoch wirklich gewaltig finde, ist der Unter- gespeichert werden. Auch das ist vollkommen richtig schied in Ihrem Auftreten hier im Verhältnis zu dem, wie und notwendig. Sie im Ausschuss über Technologie- bzw. Industriepolitik (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- reden. Wenn vom Wirtschaftsminister das Wort „Indust- neten der FDP) riepolitik“ gefallen ist, haben Sie ihn ja in die Nähe der DDR gerückt, weil er es sich überhaupt erlaubt, Vorschlä- Allerdings enthält Ihr Antrag auch für uns nicht akzep- ge zu machen bzw. eine Strategie zu entwickeln, wie wir table Forderungen. Sie fordern zum Beispiel, die als Deutschland weiterkommen. Sektoren Gebäude und Verkehr in den europäischen Emissionshandel zu integrieren. Jetzt legen Sie einen Antrag vor, der eindeutig ein in- dustriepolitischer Antrag ist. Das freut mich, und es freut (Michael Theurer [FDP]: Das wäre richtig!) mich, dass Sie Ihre Position in dieser Frage offensichtlich Entweder bleiben dann die CO2-Preise zu niedrig, um deutlich geändert haben. Recht herzlichen Dank! echte Veränderungen voranzutreiben, oder der Preis für (Beifall bei der LINKEN – Michael Theurer Energie verteuert sich in einer Weise, dass er für einen [FDP]: Das stimmt ja nicht! Das ist Technolo- normalen Menschen letztendlich nicht mehr bezahlbar giepolitik!) ist. Meine Damen und Herren, in der Sache bin ich übri- (Michael Theurer [FDP]: Dass Sie damit ein gens in vielen Punkten tatsächlich Ihrer Meinung. Problem haben, wissen wir!) (Michael Theurer [FDP]: Sehr gut!) Das ist auch ein Grund, warum wir im Ergebnis nicht für Ihren Antrag stimmen können. Nachdem ich aber von Sie haben natürlich recht: Wir befinden uns in einer Si- Ihnen, Herr Theurer, schon ganz andere Anträge gesehen tuation, wo wir überlegen müssen, welche Energieträger habe, freut es mich, dass Sie prinzipiell in eine Richtung wir künftig brauchen. Da ist Wasserstoff wichtig und in gehen, die wir unterstützen können. der Zukunft natürlich von großer Bedeutung. Dieses Gas lässt sich aus Ökostrom ohne Emissionen erzeugen, es (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) eignet sich als Energiespeicher, es eignet sich übrigens auch als Treibstoff – zunächst für Schiffe und Züge, Technologieoffenheit so verstanden, dass auch Wasser- stofftechnologie eine Zukunftstechnologie ist, die wir (Michael Theurer [FDP]: Und für Autos!) weiterentwickeln und einsetzen sollten – das unterstützen 16116 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Klaus Ernst (A) wir. Ich kann Ihnen also nur zurufen: Weiter so! Sie sind – Das Konzept kann ich Ihnen sehr gerne schicken. Ich (C) auf dem richtigen Weg. habe aber nicht die Redezeit, um alles zu erzählen. Sie dürfen zwischenfragen. Dann erzähle ich es Ihnen sehr (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei der gerne. LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Theurer [FDP]: Denken Sie an Thürin- Jetzt noch mal zurück zum FDP-Antrag. Ich gebe ja zu, gen!) dass Sie eine gewisse Ehrlichkeit an den Tag legen, indem Sie den Import ganz nach vorne stellen. Ihnen ist wohl selbst bewusst, dass mit Ihrer Energiepolitik in Deutsch- Vizepräsidentin Petra Pau: land kein Grüner Wasserstoff hergestellt werden kann. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kolle- Also sagen Sie: In erster Linie Import. gin Dr. Ingrid Nestle das Wort. Ja, es ist richtig, sich dafür anzustrengen, dass auch die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Importfrage endlich beantwortet wird, dass wir herausbe- kommen, ob es überhaupt möglich ist, Grünen Wasser- Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stoff zu importieren, ob die Transportwegefrage über- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und haupt geklärt wäre und ob es Länder gibt, die ihn Kollegen! Der Beginn der Debatte hat bei mir schon den anbieten. Ja, es ist richtig, sich dafür anzustrengen. Aber Eindruck erweckt, dass sie so ein bisschen in einem Pa- sich heute schon darauf zu verlassen? ralleluniversum stattfindet. Da haben die Kollegen von FDP und CDU groß erzählt, was man alles Tolles mit Ich zitiere einen Wirtschaftsexperten, der sich viel mit Wasserstoff machen kann. Ja, sicherlich kann man viel Wasserstoff beschäftigt hat. Er sagt: Dass andere unsere Tolles mit Wasserstoff machen. Das Knifflige beim Was- Probleme lösen, ist eine vage Hoffnung, mehr nicht. – Ein serstoff ist doch nicht, ganz viele tolle Projekte mit Was- weiteres Zitat ist: Der Wasserstoff wird knapp und teuer serstoff zu machen, wenn man ihn hat. Das Knifflige ist sein. – Sie von der FDP hängen die Zukunft der deutschen doch die Frage: Wo bekomme ich genug Erneuerbare her, Industrie, die Zukunft der deutschen Mobilität, ja, die um ihn herzustellen? Zukunft der deutschen Energieversorgung an eine vage Hoffnung. Ist das Ihr Verständnis von Versorgungssicher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – heit? Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Im Gegen- Nicht von dieser Regierung! – Michael Theurer teil!) [FDP]: Das haben wir mit unserem Antrag be- antwortet!) Wir Grüne haben da ein anderes Verständnis. (B) (D) Wie oft habe ich von Ihnen gehört: Einen Euro kann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – man nur einmal ausgeben. – Ja, das stimmt. Aber warum Michael Theurer [FDP]: Wasserstoff ist viel verstehen Sie nicht, dass man auch jede Kilowattstunde weiter!) erneuerbaren Stroms nur einmal verwenden kann? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsidentin Petra Pau: Michael Theurer [FDP]: Da muss man mehr Kollegin Nestle, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- herstellen!) kung des Kollegen Ernst? Deshalb ist es verlogen oder zumindest nicht zu Ende Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gedacht, wenn gerade die Parteien, die den Ausbau der erneuerbaren Energien entweder verbal oder sogar tat- Sehr gerne. sächlich mit ihren Gesetzen massiv zurückdrängen, die mitverantwortlich sind für die Massenentlassungen in der Klaus Ernst (DIE LINKE): Windindustrie, sich so gerieren, als könnten sie an der Danke, Frau Nestle. – Also, jetzt schlagen die mal was Speerspitze der Wasserstoffbewegung stehen. Vernünftiges vor, und Sie hauen so drauf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei der FDP) Neu ist das Thema ja tatsächlich nicht. Wir Grüne ha- Ich möchte Sie jetzt doch noch mal fragen: Wäre es ben schon vor der Sommerpause eine Wasserstoffstrate- nicht sinnvoll, darüber nachzudenken, was eigentlich pas- gie vorgelegt; denn, ja, Wasserstoff ist ein unverzichtba- siert, wenn zum Beispiel von der Arabischen Halbinsel rer Baustein der Energiewende. Wir kämpfen für kein Öl mehr nach Europa exportiert wird bzw. welche Wasserstoff mit Herz und Verstand; denn es reicht nicht, Verwerfungen es in diesen Ländern gibt, wenn wir auf Öl für ein Modewort zu sein. Wasserstoff muss grün sein. Er verzichten, weil wir eine Energiewende machen? Das muss aus Erneuerbaren sein, sonst wird aus dem Klima- sind ja Länder, die von der Sonne relativ verwöhnt sind – schützer Wasserstoff ganz schnell ein Klimakiller. Des- mehr als wir –, die sehr viel Wind haben – mehr als wir. Es halb haben wir ein Konzept vorgelegt, wie man Grünen würde sich doch anbieten, über solche Dinge nachzuden- Wasserstoff dann und dort herstellen kann, wo tatsächlich ken; denn die Energiewende wird ja eine Zeit dauern. Das erneuerbarer Strom ist. wird ja kein Umschalten sein. Die Perspektive ist ja, dass es 20, 30 oder 40 Jahre dauern wird, bis wir das wirklich (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Wo denn? – hinkriegen. In dieser Zeit müsste es doch möglich sein, im Carina Konrad [FDP]: Wo denn?) Interesse des Funktionierens der Energiewende zu einem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16117

Klaus Ernst (A) Punkt zu kommen, bei dem wir sagen: Wir halten inter- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) nationale Verkehrsströme mit Geld aufrecht. Kollegin Nestle, Sie haben es wahrscheinlich schon gesehen, dass Ihrer Aufforderung nachgekommen wurde. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich bitte – sowohl den Kollegen Theurer als auch Sie –, Frage!) wenn Sie es zulassen, sich mit Frage oder Stellungnahme – Habt ihr eigentlich schon gemerkt, dass ich auch eine und Antwort kurzzufassen, um nicht die Redezeit zu ver- Zwischenbemerkung machen darf? Sonst lest mal die Ge- doppeln. Noch dazu haben alle Fragesteller hier schon das schäftsordnung. Wort gehabt. – Also, bitte. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Petra Pau: Lernen gerade alle viel über Wasserstoff!) Das ist richtig, aber ich bitte auch, ein wenig auf die Zeit zu achten. Michael Theurer (FDP): Sind Sie bereit, Frau Kollegin Nestle, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Kostendegression bei der Photovoltaik Klaus Ernst (DIE LINKE): 1 zu 15 beträgt, von 1,25 Euro pro Kilowattstunde zu Ich bin auch gleich fertig. – Also warum gehen Sie heute 8 Eurocent, dass beim Wasserstoff heute das Ver- nicht auch den Weg, zu gucken, ob so etwas über Importe hältnis eins zu vier ist? Kennen Sie die Technik Sun-to- sinnvoll machbar ist? Liquid, wo durch einen solarthermochemischen Reaktor direkt Treibstoffe hergestellt werden können mit einer (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Danke für den wesentlich höheren Energieeffizienz? Wissen Sie, dass Nachhilfeunterricht!) zum Beispiel mit der Erdgasleitung von Tunesien, einem sehr sonnenreichen Land, gasförmiger Wasserstoff, also Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): methanisierter oder ethanolisierter Wasserstoff, ohne Pro- Herzlichen Dank für die Frage. – Ich freue mich sehr bleme nach Europa transportiert werden kann? Wären Sie über die Frage, weil sie einen sehr wichtigen Punkt an- unter Umständen bereit, mit mir solche Anlagen, wie zum spricht, die Importfrage. Ja, wir haben in unserer grünen Beispiel den Sun-to-Liquid-Reaktor von DLR in Stutt- Wasserstoffstrategie einen Extrabaustein „Import von gart, zu besichtigen? Grünem Wasserstoff“, weil es höchstwahrscheinlich ein (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Heiterkeit wichtiger Baustein sein wird. Es ist wichtig, herauszu- bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜND- finden, zu welchen Konditionen – zu welchen Menschen- NIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke (B) rechts-, ökologischen Konditionen –, aber auch zu wel- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja (D) chen Kosten wir diesen Wasserstoff importieren können. mal eine Einladung! – Andreas Rimkus Das wollen wir herausfinden. Wir haben sogar ein kon- [SPD]: Da können Sie nicht Nein sagen!) kretes Instrument, eine niedrige Kerosinquote, mit dem man Anreize für den Markt setzt. Wir wollen Erfahrungen Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mit diesem Instrument sammeln. Das ist absolut richtig, Herr Theurer, ich finde tatsächlich den Umgang der wichtig und verantwortungsbewusst. Was aber aus mei- FDP mit Geld und Kosten einigermaßen faszinierend. ner Sicht völlig falsch ist, was auch der deutschen Indust- Sie haben eine Technik genannt – Photovoltaik –, die viel rie einen Bärendienst leistet, ist, heute zu sagen: Oh, da günstiger geworden ist, kommt der ganze Wasserstoff von irgendwoher, wird schon klappen. – Das ist nicht mein Verantwortungsbe- (Michael Theurer [FDP]: Ja, 1 zu 15!) wusstsein gegenüber der deutschen Industrie bei einer Technologie, für die heute noch nicht einmal die Trans- trotzdem boykottieren Sie ständig den Ausbau der er- portwege geklärt sind. neuerbaren Energien. Daraus ziehen Sie jetzt die Schluss- folgerung, dass alle Technologien, die heute teuer sind, (Abg. Michael Theurer [FDP] meldet sich zu mit Sicherheit in 20 Jahren günstig sein werden. Mir sa- einer Zwischenfrage) gen Experten bei Wasserstoff: Das ist hochgradig un- wahrscheinlich. – Mir sagen Experten, die sich wirklich Es gibt die verschiedensten Vorstellungen: Alles in ein damit auseinandergesetzt haben: Wasserstoff wird extrem Schiff bei 20 Kelvin, also minus 200 irgendwas Grad – knapp und teuer sein. Er wird ein wichtiger Baustein der höchst kompliziert –, Pipelines über lange Strecken – Energiewende sein. Aber wir müssen uns gut überlegen, höchst kompliziert. Es gibt LOHC, da braucht man ganz wo wir ihn einsetzen. viel Flüssigkeit und kann ein bisschen Wasserstoff rein- tun. Es gibt die Idee, C-Atome reinzuhängen – höchst Als Allerletztes – ich will nicht zu lang werden, aber Sie haben gerade Gas angesprochen und gesagt: Da kann unsicher, ob es jemals gelingt, CO2 aus der Luft abzu- scheiden. Kein einziger Transportweg für größere Men- man doch einfach Methan reinstecken –: Wenn Sie Was- gen Wasserstoff über größere Distanzen ist heute einsatz- serstoff methanisieren wollen, um ihn hier zu verwenden, fähig. Deswegen: Ja, wir müssen forschen. Aber nein, wir und das Ganze klimaneutral sein soll, dann müssen Sie dürfen uns heute nicht darauf verlassen, dass das unsere das CO2 in Nordafrika aus der Luft abscheiden. Auch alleinige Energiequelle wird. Denn damit machen wir uns diese Luftabscheidung ist meilenweit davon entfernt, in viel zu abhängig von einer vagen Hoffnung. der richtigen Größenordnung zu den richtigen Kosten agieren zu können. Da ist mir das Prinzip Hoffnung zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenig. – Danke. 16118 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Ingrid Nestle (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – schön, wenn die FPD das verstanden hat. Insofern: Herz- (C) Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Neh- lichen Glückwunsch zu dem Antrag, liebe FDP. Wir sind men Sie die Einladung von Herrn Theurer an natürlich schon weiter. oder nicht?) (Dr. Martin Neumann [FDP]: Nein!) Jetzt habe ich noch 44 Sekunden und muss überlegen, was ich noch sagen kann. Denn ich durfte ja schon so viel Der Antrag bietet uns die Gelegenheit, das noch mal auf- sagen. Was ich auch noch faszinierend finde, liebe FDP, zuzeigen. Wir gehen voran. Wir sind Vorreiter in ist, dass Sie das Prinzip der Technologieoffenheit in Ih- Deutschland. Die Bundesregierung arbeitet intensiv an rem Antrag aufgeben, einer Wasserstoffstrategie. Sie wird Ende des Jahres, spä- testens Anfang nächsten Jahres vorgestellt. Das Bundes- (Michael Theurer [FDP]: Nein!) wirtschaftsministerium hat im letzten Jahr den Dialog- weil Sie nämlich eine Befreiung oder zumindest Kürzung prozess Gas 2030 gestartet. Gasförmige und flüssige der EEG-Umlage explizit für Wasserstoff vorsehen, aber Energieträger sind bereits heute integrale Bausteine un- nicht für andere Technologien. Warum soll der Strom seres Energiesystems. Wir verfügen über eine gut ausge- ausgerechnet für die Wasserstoffproduktion günstiger baute Infrastruktur, auf der wir aufbauen können. Gerade sein als für alle anderen sinnvollen Anwendungen von wenn man Dekarbonisierung zu Ende denkt, wird Was- Strom? serstoff eine große Rolle spielen. Das ist überhaupt keine Frage. CO2-freier Wasserstoff und daraus erzeugte Folge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) produkte sind hierfür eine Lösung. Das hat unter anderem Sie haben leider Ihre eigenen Prinzipien an der Stelle auch der Dialogprozess Gas 2030 gezeigt, den eben wir nicht zu Ende gedacht. initiiert haben und nicht Sie von der FDP, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Michael Theurer [FDP]: Sie wollen keinen Wasserstoff, ich sehe es!) (Beifall bei der CDU/CSU) Weil wir die Partei sind, die den Klimaschutz ernst Wir können die Speicherproblematik nicht allein durch nimmt und um ernsthafte Lösungen ringt, deshalb haben Batteriespeicher lösen, auch nicht allein durch Flexibili- wir eine Wasserstoffstrategie vorgelegt, die tatsächlich tät. Für die Energiewende brauchen wir mittel- bis lang- Grünen Wasserstoff zur Grundlage macht und nicht ir- fristig CO2-freien Wasserstoff in der ganzen Bandbreite gendeinen Wasserstoff. der Möglichkeiten. Ob als Energieträger oder als Rohstoff in der chemischen Industrie, Wasserstoff ist Grundlage Danke schön. für vielfältige Folgeprodukte, wie zum Beispiel Ammo- (B) niak, Vitanol, Kunststoffe, aber auch in der Zementin- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dustrie bieten sich Chancen, beispielsweise durch die CCU-Technik, sowie in der Stahlindustrie. Es wurde Vizepräsidentin Petra Pau: schon angesprochen: thyssenkrupp hat am 11. November Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege ein Projekt gestartet. Sie wollen zukünftig vier Hochöfen Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion. auf Wasserstoff umstellen. Diese Projekte werden auch durch uns unterstützt, durch das BMBF mit 70 Millionen (Beifall bei der CDU/CSU) Euro. Stichwort „Carbon2Chem“: Hier wird wirklich vie- les von uns unternommen und auch gezielt investiert. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Jetzt wird häufig die Frage des Transports bemüht. Er und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Antrag ist natürlich schwierig. Jeder kennt noch aus dem Schul- der FDP geht es um das Thema Wasserstoff. Das haben unterricht die Knallgasexplosionen. Aber auch hier müs- wir jetzt schon mitbekommen. Es ist auch interessant, sen wir auf Innovationen setzen. Ich möchte hier das Bei- was für eine lebhafte Debatte, eigentlich eine Feinschme- spiel der Firma Hydrogenious aus Erlangen, aus Bayern, ckerdebatte, sich heute Nachmittag entwickelt. Da wird bemühen. der Vorsitzende Ernst zum Naturwissenschaftler. Das ist (Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Das können an sich schon bemerkenswert. wir auch auf dem Weg nach Stuttgart besichti- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gen!) So weit ging es dann doch nicht!) Das Start-up aus Bayern hat hier ein Verfahren entwi- Es gibt einen intensiven Diskurs. Ich würde den Vor- ckelt, bei dem Wasserstoff mittels einer LOHC-Lösung, schlag gerne aufnehmen und gleich an den Ausschussvor- einer nichtentflammbaren Trägerlösung, transportiert sitzenden weiterleiten: Machen wir einmal mit dem Aus- wird. Auch hier müssen wir auf Innovation setzen. Auch schuss einen Ausflug und schauen uns die real hier gibt es vielversprechende Ansätze, meine sehr ge- existierenden Verfahren an. Das wäre doch im Sinne aller ehrten Damen und Herren. und kann ein einigendes Momentum darstellen. (Beifall bei der CDU/CSU!) (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE Deutschland ist bereits heute internationaler Vorreiter LINKE]: Gute Idee! Das greifen wir auf!) bei der Entwicklung und beim Export von Wasserstoff Es wurde schon angesprochen: Wasserstoff ist für das und Power-to-X-Technologien. Darauf können wir weiter Gelingen der Energiewende mit entscheidend. Es ist auch aufbauen. Wir errichten gerade Reallabore. Hier wird ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16119

Dr. Andreas Lenz (A) forscht und unter Echtbedingungen angewendet. Mit den – zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut (C) Reallaboren werden unterschiedliche Energietechnolo- Ebbing, Katja Suding, , weiterer gien in der realen Anwendungsumgebung erprobt. Aber Abgeordneter und der Fraktion der FDP nur Reallabore nützen nichts. Wir müssen auch in die industrielle Anwendung kommen, meine sehr geehrten 20 Jahre Washingtoner Erklärung – Wirk- Damen und Herren, und Innovationen aus dem Labor samere Aufarbeitung der NS-Raubkunst und der frühen Marktphase schnell in die Anwendung durch Restrukturierung und Digitalisie- bringen. rung Genau das machen wir im industriellen Maßstab. – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Freihold, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiterer Ein wichtiger erster Schritt ist der Aufbau eines inländ- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE ischen Wasserstoffmarktes. Auch hier schreiten wir vo- Rückgabe von NS-Raubkunst gesetzlich ran. Es geht um die Mobilität, hier: um die Errichtung von verankern Tankstellen. Es gibt entsprechende Programme. Es wer- den Wasserstoffregionen initiiert mit dem Ziel, die Tech- Drucksachen 19/13511, 19/5423, 19/8273, 19/ nologieoffenheit zu fördern; das ist ein wichtiges Ziel, das 14901 wir beherzigen sollten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aber auch zukünftig werden wir nicht sämtliche in Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Deutschland benötigte Energie in Deutschland herstellen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. können. Mittel- und langfristig wird Deutschland CO2- freien Wasserstoff in größerem Umfang importieren müs- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staats- sen. Deutschland muss deshalb neben der inländischen ministerin Professor Monika Grütters. Wasserstoffindustrie auch dafür sorgen, dass Import- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) strukturen für CO2-freien Wasserstoff entwickelt und auf- gebaut werden und dass jetzt schon entsprechende Ko- Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- operationen geschlossen werden. Deshalb wird auch die kanzlerin: Erzeugung im Ausland eine große Rolle spielen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen Allen Herausforderungen der Energiewende und auch und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag über die der Dekarbonisierung werden wir nicht durch Wasser- Fortsetzung der Aufarbeitung des NS-Kunstraubs, einer stoff begegnen können, aber Wasserstofftechnologie ist besonders perfiden Variante des NS-Terrors. Hinter je- (B) ein wichtiger Teil der Lösung. Wasserstoff wird einen dem entzogenen, geraubten Kunstwerk steht das indivi- (D) wichtigen Beitrag leisten, damit die Energiewende ge- duelle Schicksal eines Menschen. Das anzuerkennen und lingt, aber auch, um die Klimaziele zu erreichen. Das alles darüber aufzuklären, ist Deutschland – und das sind wir – ist im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung. Wenn wir den Opfern der nationalsozialistischen Terrorherrschaft hierfür eine relative Einigkeit zumindest im Parlament und deren Nachkommen schuldig. schon mal haben, dann ist das ein gutes Zeichen für die Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE In diesem Sinne: Herzlichen Dank. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Deshalb bin ich sehr dankbar für den Antrag der Koali- Andreas Rimkus [SPD]) tionsfraktionen, der dazu beiträgt, genau diesem Anliegen die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Washingtoner Konferenz 1998 war ein Meilenstein Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. bei der Aufarbeitung des perfiden NS-Kunstraubs. Die Washingtoner Prinzipien, die daraus hervorgingen, haben Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf mit ihrer Formulierung der „gerechten und fairen“ Lösun- den Drucksachen 19/15049 und 19/15075 an die in der gen weltweit Maßstäbe gesetzt, an denen die Bundesre- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. gierung sich auch in Zukunft messen lassen muss und Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht natürlich messen lassen will. Wir können dabei keine der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. Wunder bewirken – das haben wir mittlerweile gelernt –, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 a auf: doch, so hat es die damalige US-Außenministerin Made- leine Albright, übrigens selbst Nachfahrin von Holocaus- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- topfern, bei der Eröffnung der damaligen Washingtoner richts des Ausschusses für Kultur und Medien Konferenz 1998 formuliert: (22. Ausschuss) Wir können alles in unserer Macht Stehende tun, um – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Dunkelheit durch Licht, Ungerechtigkeit durch Fair- und SPD ness, Konflikt durch Konsens und Unwahrheit durch Wahrheit zu ersetzen. 20 Jahre Washingtoner Prinzipien – Resti- tution von NS-Raubkunst fortsetzen und Unwahrheit durch Wahrheit ersetzen: In diesem Sinne „Beratende Kommission“ weiterentwickeln habe ich die jährlichen Mittel für die Provenienzfor- 16120 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin Monika Grütters (A) schung während meiner Amtszeit versechsfacht. Für arbeitung darf nicht an bürokratischen Hürden scheitern, (C) 2020 sind dafür rund 11 Millionen Euro vorgesehen. und das föderale System in Deutschland ist undurchsich- Auch die Strukturen zur Aufarbeitung des NS-Kunst- tig genug. Deshalb wird von uns derzeit ein Helpdesk raubs haben wir verbessert und die Gründung zum Bei- eingerichtet, also eine zentrale Stelle für Anspruchsteller, spiel des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste mit Sitz damit sie Orientierung und Unterstützung finden. in Magdeburg auf den Weg gebracht, also eine zentrale Anlaufstelle für die Umsetzung der Washingtoner Prinzi- Konflikt durch Konsens ersetzen – ich komme zum pien geschaffen. Ende –: In diesem Sinne stehen aufrechte Demokratinnen und Demokraten zusammen, wo immer es darum geht, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die Erinnerung an die barbarischen Verbrechen der Na- ordneten der SPD) tionalsozialisten wachzuhalten. Darüber aufzuklären, wie Ungerechtigkeit durch Fairness ersetzen: In diesem Millionen Menschen und im Übrigen auch die Würde des Menschen der Verachtung und der Vernichtung preisge- Sinne haben Bund, Länder und Kommunen mit der Be- geben wurden, kann sensibilisieren für die unterschätzten ratenden Kommission ein Hilfsangebot für die Fälle ge- schaffen, in denen eine Verständigung offensichtlich sehr Wegbereiter totalitärer Ideologien: für Verharmlosung und Relativierung des Holocaust, für die Verrohung der schwierig ist. Die Geschäftsstelle dieser Beratenden Sprache, für das Schüren von Vorurteilen und Ressenti- Kommission bleibt beim Deutschen Zentrum Kulturgut- verluste, ihr Aufgabenbereich ist aber organisatorisch ments, für das Schweigen aus Gleichgültigkeit oder Feig- heit. Die rückhaltlose Aufklärung und Aufarbeitung des vom DZK getrennt. Wir werden sie im Übrigen personell NS-Kunstraubs in Deutschland hat deshalb auch in Zu- deutlich besser ausstatten, um dadurch einmal mehr ihre kunft höchste Priorität in der Kulturpolitik. Unabhängigkeit vom Deutschen Zentrum zu stärken. Dass alle mit Bundesmitteln geförderten Kulturein- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) richtungen den Wünschen auf Anrufung dieser Beraten- Dabei hoffe ich weiterhin auf Ihre Unterstützung, liebe den Kommission vonseiten potenzieller Anspruchsteller Kolleginnen und Kollegen – frei nach Madeleine Albright nachkommen – alle, betone ich –, halte ich angesichts der in der Hoffnung, dass wir Licht ins Dunkel bringen, wenn immensen Verantwortung Deutschlands für die Aufarbei- wir Unwahrheit durch Wahrheit, Ungerechtigkeit durch tung des NS-Kunstraubs für selbstverständlich. Zuwen- Fairness und Konflikt durch Konsens ersetzen. dungsbescheide und Zuweisungsschreiben aus unserem Haus werden deshalb immer – schon seit einem Jahr Vielen Dank. tun wir das – um eine entsprechende Auflage ergänzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ich würde es sehr begrüßen – und fordere Sie alle auf, der Abg. Bettina Stark-Watzinger [FDP]) (B) das in Ihren Wahlkreisen und in Ihrer Arbeit immer wie- (D) der zu betonen –, wenn auch die Länder eine solche Re- gelung für die in ihrer Zuständigkeit befindlichen Kultur- Vizepräsidentin Petra Pau: einrichtungen fänden; das tun bisher nämlich nur zwei. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marc Jongen für die Ich glaube, dass wirklich alle Museen, die sich einer sol- AfD-Fraktion. chen Anrufung durch Nachfahren jüdischer Opfer gegen- übersehen, dieser selbstverständlich nachkommen soll- (Beifall bei der AfD) ten; mit welchem Ergebnis die Beratende Kommission das am Ende auch immer beschließt. Dass bei den jüdi- Dr. Marc Jongen (AfD): schen Opfern immer noch der Eindruck herrscht, manche Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Museen würden sich einer solchen Anrufung verweigern, Kunstraub durch die Nationalsozialisten mag Außenste- ist schlichtweg nicht hinnehmbar. henden vielleicht als marginales Thema erscheinen. Wenn man aber bedenkt, dass es zum größten Teil jüdi- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem sche Bürger waren, denen die Nazis ihre Kunstwerke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) raubten oder unter erpresserischen Bedingungen für sehr Ein Restitutionsgesetz, insbesondere für den privaten wenig Geld abnahmen, dann sieht man, dass dieses düs- Sektor – das wird immer wieder gefordert –, gestaltet sich tere Kapitel mit dem Kapitalverbrechen des NS-Regimes, juristisch wirklich schwierig. Unser Haus prüft derzeit, der Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutsch- welche Möglichkeiten es dafür gibt, übrigens in enger land und Europa, aufs Engste zusammenhängt. Die Rück- Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium. Aber gabe dieser Kunstgegenstände an ihre vormaligen unabhängig davon appelliere ich immer wieder an private Besitzer oder deren Erben hat daher neben der materiellen Besitzer, die wir namentlich nicht ausmachen können, an Seite auch einen hohen Symbolgehalt. Sammler und Einrichtungen, im Sinne der Washingtoner Prinzipien ihrerseits freiwillig Kunstwerke zurückzuge- Es ist richtig und findet unsere Unterstützung, dass die ben, wenn sie wissen, dass sich solche in ihrem Besitz Washingtoner Erklärung dazu aufruft, auch nach der rechtlichen Verjährung der Rückgabeansprüche in be- befinden. Gott sei Dank haben einige sehr spektakuläre gründeten Fällen nach einer gerechten und fairen Lösung Fälle dieser Art vorbildhaft stattgefunden. zu suchen, wie es dort heißt. Das hat in der Vergangenheit Ungerechtigkeit durch Fairness ersetzen: Das heißt nicht immer gut funktioniert. In einigen Fällen wurden auch, Menschen, die selbst oder deren Vorfahren unvor- Schiedssprüche der Beratenden Kommission nicht akzep- stellbares Leid erfahren mussten, nicht allein zu lassen tiert und der Rechtsweg beschritten, in der Regel über auf dem Weg zu „gerechten und fairen Lösungen“. Auf- US-amerikanische Gerichte. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16121

Dr. Marc Jongen (A) Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Antrag der GroKo venienzforschung zu zwingen, wenn sein Kunstwerk kei- (C) jetzt die Möglichkeit vorsieht, dass die Beratende Kom- nen völligen Wertverlust erleiden soll, da es ja auf einen mission auch von nur einer der betroffenen Seiten ange- Schlag auf dem Kunstmarkt unveräußerlich geworden ist. rufen werden kann. Hoffentlich kann die Anzahl der Klagen so reduziert werden. Eines darf jedoch nicht pas- Der spektakuläre Fall Cornelius Gurlitt hat vor einigen sieren, meine Damen und Herren: dass beim Versuch der Jahren gezeigt, wie ein privater Sammler von der morali- Wiedergutmachung vergangenen Unrechts neues Un- schen Dampfwalze des Staates förmlich überfahren wer- recht geschieht, dass über den moralischen Ansprüchen den kann. Frau Grütters hat im Namen der Bundesregie- das Recht völlig ins Hintertreffen gerät. rung eine eigene Taskforce eingesetzt. Die gesamte Sammlung Gurlitts wurde beschlagnahmt. Bis an das Von Uwe Schneede, dem ehemaligen Vorsitzenden des Kranken- und Sterbebett hat man den Mann bedrängt; Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, hört man zum nur sein vorzeitiger Tod hat verhindert, dass der Skandal Beispiel Folgendes – Zitat –: ein gerichtliches Nachspiel hatte. Ich kündige jetzt schon an, dass wir die Bundesregierung damit noch beschäfti- Ich finde die Washingtoner Erklärung absolut genial, gen werden und dass wir namentlich Sie, Frau Grütters, weil sie über alle Legalisten, gesetzlichen Prinzipien nicht aus ihrer persönlichen Verantwortung dafür entlas- hinweg die moralische Verantwortung viel höher an- sen werden. setzt. Und das ist das Eigentliche. Nein, meine Damen und Herren, Moral über Recht, das ist (Beifall bei der AfD) der Ungeist der Merkel-Regierung, das endet in einem Bei der Restitution von NS-Raubkunst muss es unserer schädlichen Moralismus, den wir aus der Asylpolitik ken- Ansicht nach eine Verwirkungsfrist von Ansprüchen ge- nen. Das darf hier nicht geschehen. ben, wenn diese über 20 Jahre in voller Kenntnis des Aufenthaltsortes eines Werkes nicht geltend gemacht (Beifall bei der AfD – Stefan Müller [Erlangen] worden sind. Das US-Berufungsgericht hat in dem be- [CDU/CSU]: Sie haben zwei Minuten ge- kannten Fall de Weerth genau so geurteilt und alle Rück- braucht!) gabeansprüche an ein Monet-Werk in öffentlicher Samm- Was dieser Moralismus bewirkt, das hat der Fall des lung zurückgewiesen. Gemäldes „Berliner Straßenszene“ des Brücke-Künstlers Ernst Ludwig Kirchner auf besonders skandalöse Weise Wir sollten gerecht und fair bleiben, ja. gezeigt. Wild entschlossen, Gutes zu tun, hat der rot-rote (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Berliner Senat im Jahr 2006 das Bild dem Brücke-Mu- Sie sind weder das eine noch das andere!) seum entzogen und es den Antragstellern übergeben. Die- (B) se hatten – ich zitiere – „nicht bestehende Ansprüche Das sind wir auch den Opfern schuldig. Und das soll in (D) unter Instrumentalisierung des Holocaust und medial ein- jedem Einzelfall möglich sein. Ihren Anträgen, die das geforderter fragwürdiger Political Correctness durchzu- eben nicht sind, können wir leider nicht zustimmen. setzen“ versucht – leider erfolgreich. Das Zitat stammt Vielen Dank. von dem langjährigen Kulturstaatssekretär , Ludwig von Pufendorf, der den Fall akribisch aufgearbei- (Beifall bei der AfD) tet hat. Wenige Wochen später erschien das Bild übrigens auf dem Kunstmarkt und erzielte dort einen Millionenbe- Vizepräsidentin Petra Pau: trag. Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Helge Lindh Genau diesen Missbrauch der Washingtoner Erklärung das Wort. gilt es zu verhindern. Dazu finden sich in Ihren Anträgen aber keinerlei Ansätze, werte Kollegen. Im Gegenteil: (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Die Linke schwelgt in üblicher Art in Enteignungsfant- Motschmann [CDU/CSU]) asien, die FDP will eine eigene Stiftung gründen zur Auf- arbeitung von Verdachtsfällen von NS-Raubkunst, also Helge Lindh (SPD): den Generalverdacht gewissermaßen institutionalisieren. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begreife uns hier als Gemeinschaft. Deshalb schäme ich Wenn wir heute in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen, mich, wenn Mitglieder dieses Parlaments ein Verhalten es gebe allein in Nordrhein-Westfalen 770 000 Verdachts- zeigen, dass des Moments und des Antrags nicht würdig fälle, dann wird klar, um welche Dimension es sich hier ist. Deshalb entschuldige ich mich in diesem Augenblick handelt. Die Museen brauchen Rechtssicherheit, kein Da- in unser aller Namen dafür, dass Kollege Jongen es wirk- moklesschwert des Moralismus, das ihnen permanent so- lich gewagt hat, ausgerechnet das Thema des NS-Kunst- zusagen mit der Leerräumung droht. raubes zu instrumentalisieren, um die vermeintlich kluge (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: These von der Moralisierung der Bundesrepublik zu ver- Es wird immer widerlicher, Ihre Rede!) breiten. Das ist zutiefst peinlich und beschämend, finde ich. Der Antrag der GroKo will, auf reichlich verklausu- lierte Art, nun auch private Eigentümer auf die Washing- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten toner Prinzipien verpflichten. Rechtlich ist das nicht mög- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des lich, aber allein die Äußerung eines Verdachts wird dann BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ausreichen, um einen privaten Eigentümer zu teurer Pro- Dr. [AfD]: Zutiefst peinlich 16122 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Helge Lindh (A) ist das, was Sie sagen! – Dr. Götz Frömming der Provenienzforschung sprechen, so sollten wir uns (C) [AfD]: Nicht überzeugend!) auch klarmachen, dass es in diesen Fällen nicht primär um die Provenienz von Kunstwerken geht, nicht primär Sie geben aber unwissentlich genau das richtige Stich- um die sicher wichtige wissenschaftliche Aufarbeitung wort; denn eine bittere Lehre aus der Zeit des National- der Herkunft und der ganzen Geschichte geht, sondern sozialismus und des systematischen Kunstraubs und des es letztlich um die Provenienz zerrütteter sozialer Ver- Entzugs von Kunst ist, dass man Recht, vermeintliches hältnisse geht. Diese Kunstwerke gehörten Menschen, Recht eben nicht blind gegenüber Moral gestalten kann. diese Kunstwerke waren eingebunden in ihr Leben und Denn das war ja die nächste Perfidie der Nazis, dass sie in ihre Realität, und diese Realität haben wir ihnen ge- diese mit einer Scheinrechtlichkeit und durch Verklausu- nommen. Das ist die Höhe des Auftrages. Deshalb ist es lierungen – angebliche Führervorbehalte und Ähnliches – auch wichtig, dass wir – erst recht hier – rechtlich wie durchführten. moralisch argumentieren. Es geht um die Wiederherstel- Deshalb ist dies sehr wohl als rechtliche wie als mora- lung der Würde von Menschen. lische Frage zu betrachten. Denn warum stellen wir die- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sen Antrag? Warum bemühen wir uns überhaupt in dieser CDU/CSU) Frage? Es geht um konkrete Personen. Es geht um Otto, Konrad und Kurt, Nachname Bernheimer. Und es gibt Daher bin ich ausdrücklich dankbar, dass die Kultur- viele von ihnen, mit anderen Namen, ganz individuelle, staatsministerin, die BKM, aber auch Michelle einzigartige Schicksale; aber alle schrecklicherweise ge- Müntefering im Auswärtigen Amt schon frühzeitig ver- eint in diesem Unrecht, in dieser Demütigung, die sie stärkte Anstrengungen unternommen haben – zusammen durch den Nationalsozialismus, die Verfolgung und auch mit den Vereinigten Staaten, mit der Joint Declaration –, durch die Enteignung erfahren haben. Und das ist keine um einen entsprechenden verstärkten Prozess der Resti- ferne Geschichte, sondern eine Geschichte, die unmittel- tution und der Aufklärung auf den Weg zu bringen. Ich bar in unsere Gegenwart und unsere Nachbarschaft reicht. bin dankbar dafür, dass die deutsche Regierung bei Fra- gen der Beutekunst sehr offensiv und sehr entschieden Ich komme aus dem Wahlkreis Wuppertal. Vor Kurzem vorgeht. Ich bin auch dankbar dafür, dass einige Schritte, eröffneten wir dort eine Ausstellung zu dem verfemten, die wir hier fordern, wie das Helpdesk, wie die einseitige geächteten, als entartete Kunst Produzierenden begriffe- Anrufung, bereits umgesetzt sind. nen Künstler Oskar Schlemmer. Er hat in den 40er-Jahren die Möglichkeit bekommen, bei dem Unternehmer Kurt Aber ich denke, angesichts des Auftrages, den wir ha- Herberts, einem Wuppertaler Chemieproduzenten, der ben, sollten wir das mit aller Demut und Bescheidenheit aber auch Lackkunst förderte, zu arbeiten. Selbiger Kurt machen. Denn der Hintergrund ist ein einmaliges Versa- (B) Herberts kaufte von der sogenannten Kameradschaft der gen – und das werden wir niemals gutmachen können –: (D) Künstler einen Sekretär der Familie Bernheimer. Diese Das ist der Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus, Kameradschaft der Künstler war nichts anderes als eine des Dritten Reiches. Die Erkenntnis ist, dass es uns nie vermeintlich rechtlich korrekte Form der Arisierung jüdi- gelingen wird – mit keiner Restitution –, das wiedergut- schen Eigentums durch das Deutsche Reich, das Un- zumachen. Was wir aber machen können, ist: Schluss rechtsreich. Heute, seit einigen Monaten, ringt nun sein machen mit dem Prozess des Scheiterns. Und es ist leider Enkel, Konrad Bernheimer, in Bayern um die Frage der oft passiert – das erlebt gerade auch Herr Bernheimer –, Restitution, weil mittlerweile, nach verschlungenen We- dass wir es nicht schaffen, die Opfer und ihre Nachfahren gen, ebendieser Sekretär im Eigentum des Bayerischen würdevoll in diesem Prozess der Aufklärung, der Restitu- Nationalmuseums ist. Er erfährt, welche Widrigkeiten tion zu begleiten. Das ist, was geschehen muss – und das mit einem solchen Prozess verbunden sind. ist genau der Geist dieses Antrages, um den ich für Zu- stimmung bitte –: Wir müssen begreifen, dass die Per- Der Vater des Konrad Bernheimer, der die Nachfolge spektive der Opfer und ihrer Nachfahren der Maßstab als Kunsthändler antreten sollte, Sohn des Otto allen Handelns ist. Das allein ist der Maßstab. Bernheimer, versuchte einmal, 1948, wieder nach Deutschland einzureisen. Aber er konnte es nicht ertragen (Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] und und musste aufgrund posttraumatischer Störungen das Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Land wieder verlassen. 1954 versuchte er es wieder, doch Es gibt Hunderte von Gründen – Komplexität der Prove- er nahm sich vor der Einreise das Leben. Das ist, wovon nienzforschung, bürokratische Hemmnisse, all die Fra- wir hier sprechen. gen, gute Gründe –, einen langwierigen Prozess zu Wir sprechen in letzter Konsequenz nicht von der Re- beschreiten, auch Dinge zu verzögern, vielfach nachzu- stitution von Kunstwerken und Artefakten, wir sprechen fragen. Aber es gibt einen Grund, der all diese guten von der Restitution von Würde und Menschenleben. Gründe bricht, und das ist der Grund, dass wir die Per- spektive der Opfer werten und anerkennen müssen. Ge- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem nau das hat auch heute Herr Lauder, der Präsident des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- World Jewish Congress, in seiner Veröffentlichung in ordneten der CDU/CSU und der FDP) der „Süddeutschen Zeitung“ deutlich gemacht. Das ist unser aller Aufgabe, und weniger können und dürfen Wir sprechen davon, einen Moment der Versöhnung zu wir nicht leisten. schaffen und den Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wenn wir – das ist ja auch in dem Antrag ent- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der halten – von Provenienz und einer Weiterentwicklung CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16123

Helge Lindh (A) Ich versuche auch noch, zu erklären, warum wir das tun Magdeburg oder bei der neuen und hoffentlich unabhän- (C) müssen. Es geht nicht darum, dass wir mit dieser Restitu- gigen Geschäftsstelle in Berlin? tion, dass wir mit Formen des Gedenkens uns selbst ein Gedenken schaffen, dass wir uns stolz und glücklich füh- Auch fordern Sie, Frau Grütters, den wichtigen Prozess len, dass wir jetzt einen wirklich, wirklich guten Antrag der Digitalisierung der Sammlungen bundesgeförderter auf den Weg bringen, der das Potenzial hat, eine funda- Kultureinrichtungen weiter voranzubringen und auf die mentale Verbesserung der Beratenden Kommission zu Länder und Kommunen hinzuwirken, das Gleiche zu tun. konstituieren. Nein, es geht eben nicht um uns, sondern Sie übernehmen erfreulicherweise die Forderung der FDP es geht um die anderen – in den Vereinigten Staaten, in nach einer einseitigen Anrufung der Beratenden Kom- vielen anderen Ländern –, die so schwer betroffen sind. mission durch die Anspruchsteller und wollen dieses The- ma zum Gegenstand der Beratungen der halbjährlich Aber im letzten Schritt geht es eben doch um uns. Denn stattfindenden Spitzengespräche von Bund, Ländern die Bernheimers und die Schlemmers und all die anderen, und Kommunen machen. Bitte legen Sie uns dazu bald das waren unsere Nachbarn, sie waren ein Teil von uns, einen konkreten Fahrplan vor. Und machen Sie bei den und wir haben uns, das Deutsche Reich in seinem Un- Gesprächen bitte auch die Digitalisierung zum Thema. recht, in seinem Schrecken hat sich damals selbst beraubt. Deshalb tun wir uns auch selbst einen richtigen Dienst, (Beifall bei der FDP) wenn wir mit diesem Antrag, wenn wir mit den begleiten- Wie viel Geld planen Sie für die Digitalisierung ein? den Maßnahmen endlich die Restitution der Würde der Wissen Sie schon, wie viel die Einrichtungen für die Di- Opfer und ihrer Nachkommen betreiben. gitalisierung überhaupt brauchen? Haben Sie schon eine Bedarfsstudie in Auftrag gegeben? Sie merken, es liegen Vielen Dank. noch einige Fragen auf dem Tisch – viele Fragen, die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der 74 Jahre nach Beendigung des Krieges noch nicht einmal CDU/CSU) im Ansatz geklärt sind. Die Kommission muss internationaler werden. Wie Vizepräsidentin Petra Pau: muss ein moderner Internetauftritt aussehen? Ist es zu- Danke. – Das Wort hat der Kollege Hartmut Ebbing für mutbar, dass ein in den USA ansässiger Geschädigter die die FDP-Fraktion. Geschäftsstelle nur zwischen 3 und 6 Uhr früh seiner Zeit erreichen kann? Wir müssen endlich aufhören, darüber (Beifall bei der FDP) nachzudenken: „Was braucht Deutschland und seine Mu- seumslandschaft?“, müssen vielmehr fragen: Was braucht (B) Hartmut Ebbing (FDP): der Antragsteller? (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Einen Satz zu dem Antrag der Linken. Ja, ein Restitu- Kollegen! Vor ziemlich genau einem Jahr war es die FDP- tionsgesetz könnte Rechtssicherheit bringen und verhin- Fraktion, die einen weitreichenden Antrag zur Reform dern, dass Anspruchsteller in den USA statt in Deutsch- der Beratenden Kommission vorgelegt hat. Ich freue land klagen. Aber ein Gesetz braucht noch mehr Zeit als mich, dass die Koalition nun endlich nachgezogen hat. eine pragmatische Handlungsalternative. Gesetze sind in Aber ich frage mich auch, warum bei einem solch wich- Schriftform gegossene Ethik- und Moralvorstellungen. tigen Thema, bei dem aufgrund des hohen Alters der Handeln wir endlich ethisch und moralisch bei der Auf- letzten Überlebenden der Shoah wirklich die Zeit davon- arbeitung von NS-Raubkunst! Sorgen Sie dafür, Frau läuft, die Koalition über ein Jahr gebraucht hat und dann Grütters, dass sich endlich die Mentalität der handelnden so wenig dabei herausgekommen ist. Personen und Institutionen ändert – weg vom Verhindern, (Beifall bei der FDP) hin zum Ermöglichen. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit meine Enttäu- Vielen Dank. schung zum Ausdruck bringen, dass es aufgrund des (Beifall bei der FDP) Mauerns der Koalition nicht möglich war, bei dieser so wichtigen nationalen moralischen Verpflichtung einen fraktionsübergreifenden Antrag zu erarbeiten. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Brigitte Freihold für die In unserer öffentlichen Anhörung vor dem Kulturaus- Fraktion Die Linke. schuss haben Vertreter der Beratenden Kommission sehr deutlich gesagt, dass die Kommission längst an ihre Ka- (Beifall bei der LINKEN) pazitätsgrenzen gekommen ist. Die Kommission brauche dringend Geld und eigenes Personal, um sich die wissen- Brigitte Freihold (DIE LINKE): schaftliche Unterstützung zu holen, die sie unbedingt be- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- nötigt, um faire und gerechte Lösungen für die noch zahl- ren! Die Beratende Kommission steht international seit reichen offenen Fälle zu finden. Wie sieht es damit aus, Jahren in der Kritik. Das Deutsche Zentrum Kultur- Frau Grütters? Sind die Stellen schon ausgeschrieben und gutverluste entscheidet einerseits über die Zulässigkeit finanziert? Darüber hinaus haben Sie nach langem Rin- von Anträgen auf Schlichtung vor der Kommission, an- gen endlich ein Helpdesk versprochen. Aber bis heute dererseits über Förderung der Provenienzforschung. kann mir niemand richtig sagen, wo dieses angesiedelt Während einer Anhörung im Kulturausschuss mahnte sein soll. Am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Dr. Peresztegi von der Commission for Art Recovery 16124 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Brigitte Freihold (A) an, die Kommission transparent und effektiv zu gestalten, In unserem hier vorgelegten Antrag fordern wir folge- (C) damit sich die Opfer von NS-Raubkunst und ihre Erben richtig eine gesetzliche Grundlage für die Vermittlungs- an sie wenden können. tätigkeit der Beratenden Kommission bei der Rückerstat- tung von NS-Raubkunst auch für Private im Einklang mit Davon erfahren wir im Antrag der Koalition nichts. Artikel 14 Absatz 3 des Grundgesetzes. Darüber hinaus Vielmehr wird versucht, den bisherigen Status quo zu sind umfassende Maßnahmen für die kulturelle und his- legitimieren und die massive Kritik der Überlebenden torische Bildung nötig, um die Wertschätzung von ge- der NS-Verfolgung zu marginalisieren. raubten Kunstwerken und anderen Kulturgütern als Sym- Bei rund 2 800 Werken aus Reichsbesitz im Kunstbe- bole und Beweise des jüdischen kulturellen Lebens und stand des Bundes wird vermutet, dass sie NS-verfol- Erbes in Europa zu fördern. gungsbedingt entzogen wurden. In den 15 Jahren ihres Bestehens wurde die Beratende Kommission jedoch nur Vizepräsidentin Petra Pau: fünfzehnmal angerufen – für die Bundesregierung ein Kollegin Freihold, kommen Sie bitte zum Schluss. vermeintlicher Beleg für die große Bereitschaft für faire Lösungen ohne ihre Vermittlung. Bemerkenswert hierbei: Mit der Untersuchung der Provenienz von Kulturobjekten Brigitte Freihold (DIE LINKE): des Bundes aus ehemaligem Reichsbesitz sind nur Eine gesetzliche Regelung der Rückgabe könnte auch 2,8 Stellen befasst. den Raub von Kulturgütern und den illegalen Handel ein- dämmen. Die Beschlussfassung der Beratenden Kommission soll für die Berechtigten bindend sein, deren Entschei- Dem Antrag der Koalition können wir aus genannten dungen sind jedoch unverbindlich und nicht anfechtbar. Gründen nicht zustimmen. Rechtsnormen, insbesondere jüngste Rechtsentwicklun- gen im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstres- Herzlichen Dank. titutionsrecht, werden von der Beratenden Kommission (Beifall bei der LINKEN) nicht als verbindliche Entscheidungsgrundlage aner- kannt. Deshalb begrüßen wir auch den Vorstoß der FDP-Fraktion, die Arbeit der Kommission strukturell zu Vizepräsidentin Petra Pau: sanieren. Das Wort hat der Kollege Erhard Grundl für die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen. Unsere Vorschläge zur Schaffung einer Unabhängigen Kommission für die Restitution von kolonialem Raubgut (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) beinhalten jedoch eine gleichzeitige und gleichwertige (D) Lösung für die Opfer des deutschen Kolonialunrechts Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und eine gesetzliche Regelung der Restitution von Kul- turgut aus kolonialem Unrecht. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Ausführungen von Frau Professor Das Nürnberger Tribunal gegen die Hauptkriegsver- Grütters und auch von Herrn Lindh gelauscht. Dem steht brecher bewertete den systematischen Kunstraub auch die Zahl von 15 Anrufungen der Kommission in 15 Jahren als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Entschädigung gegenüber, eine Zahl, die der heute schon oft zitierte Chef bzw. Rückgabe an die ursprünglichen Eigentümer stellen des World Jewish Congress, Ron Lauder, genannt hat. Für somit keinesfalls nur eine ethisch-moralische Selbstver- mein Gefühl ist das ein Skandal, der die gesamte Heran- pflichtung der Bundesrepublik dar. gehensweise betrifft, mit der man bisher an diese Kom- mission von politischer Seite herangetreten ist. Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, Ihr Antrag strotzt vor unverbindlichen Appellen. Sie leben in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einer Parallelwelt, in der die rechtliche Verantwortung der Bundesrepublik für den im NS staatlich organisierten Denn zwangsverkauft weit unter Wert, als Reaktion auf Kunst- und Kulturraub nicht existiert. Sie sind keine Auf- den Terror, so gelangte zum Beispiel die „Borussia“ von arbeitungsweltmeister, sondern verschleppen die Rück- Adolph Menzel aus dem Besitz der Familie von Mendels- gabe. sohn über den Kunsthändler Haberstock 1940 in die Reichskanzlei. Zum Schutz vor Bomben wird das Gemäl- Erst 13 Jahre nach Errichtung der Beratenden Kommis- de während des Krieges in das Salzbergwerk Altaussee sion wurde deren Verfahrensordnung veröffentlicht. Das gebracht und landet nach dem Krieg in der größten Kunst- trug bislang nicht dazu bei, Verfahren vor der Kommis- sammelstelle der Alliierten, im Central Collection Point sion gemäß den Washingtoner Prinzipien als gerecht und in München. Schließlich wird es über ein Auktionshaus fair zu legitimieren. Aufgrund fehlender gemeinsamer nach Berlin verkauft. Es dauert lange, bis zum Jahr 2000, Standards ist den Akteuren, Museen, Kunsthändlern bis das Gemälde an die Familie von Mendelssohn resti- und Sammlern, das jeweils anzuwendende Verfahren oft tuiert wird. nicht klar. Wir fordern in einem gesonderten Antrag auf Bundestagsdrucksache 19/8273 eine Beweislastumkehr: Die Odyssee der „Borussia“ zeugt vom systematischen Wer den rechtmäßigen Besitz nicht lückenlos nachweisen Kunstraub, den Deutsche und ihre Helfer im National- kann, soll gesetzlich zur Rückgabe verpflichtet werden. sozialismus betrieben. Das alles liest sich wie ein Krimi, und kriminelle Energie war in der Tat nur zu oft die ent- (Beifall bei der LINKEN) scheidende Triebfeder in der gesamten Odyssee. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16125

Erhard Grundl (A) Ja, noch heute liegen allein in Nordrhein-Westfalen in Ich danke Ihnen. (C) den Museen circa 770 000 Kunstwerke unklarer Herkunft aus der NS-Zeit. Aber auch knapp 75 Jahre nach Kriegs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ende und über 20 Jahre nach der Washingtoner Erklärung sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) ist die Bilanz bei der Restitution von Kunstgütern, wie ich ausgeführt habe, spindeldürr. Vizepräsidentin Petra Pau: Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen zur Das Wort hat der Kollege Ansgar Heveling für die Weiterentwicklung der Beratenden Kommission ist ein CDU/CSU-Fraktion. Schritt in die richtige Richtung, aber auch nicht mehr. (Beifall bei der CDU/CSU) Richtig ist, dass die Möglichkeit der einseitigen Anrufung der Kommission in einem Konfliktfall durch die BKM Ansgar Heveling (CDU/CSU): gestärkt wurde. Doch in Bezug auf die Beratende Kom- mission bleibt der Anhang weit hinter dem zurück, was Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! jetzt eigentlich ansteht. Die Kommission als Ansprech- „Und gerade auf das Zugeben Kommt’s an im Leben“, partnerin der Opfer und ihrer Angehörigen muss ein kla- so heißt es in dem Gedicht „An Peter Scher“ von Joachim res eigenständiges Profil haben. Ringelnatz. Dass Ringelnatz nicht nur gedichtet, sondern auch gemalt hat, ist allerdings nur den wenigsten bekannt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So geschah es, dass Ringelnatz’ 1925 entstandenes Öl- Sie braucht eine eigene Geschäftsstelle. Die Kommission gemälde „Makabre Szene – Dachgarten der Irrsinnigen“ darf keine Zweigstelle des Deutschen Zentrums Kultur- aus dem Besitz des jüdischen Kunstkritikers und Samm- gutverluste sein. Das widerspricht dem Gedanken der lers Paul Westheim im Jahr 2000 in einer Ausstellung an Unabhängigkeit. Für ihre Aufgaben braucht sie mehr der Uni Göttingen gezeigt wurde und so zum Ausgangs- und vor allem qualifiziertes Personal mit internationaler punkt einer nachfolgenden Schlichtung der „Beratenden Erfahrung. Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS- verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere Im Antrag fehlt der Ansatz, konkrete Stellen zur Pro- aus jüdischem Besitz“, wie die Kommission mit vollem venienzforschung zu schaffen. Das ist aber die Voraus- Titel heißt, wurde. Westheim, der im Jahr 1963 verstarb, setzung dafür, dass die Geschäftsstelle in der Lage ist, hatte seine expressionistische Sammlung vor seiner administrative Aufgaben zu erfüllen und Nachforschun- Flucht aus Deutschland einer Freundin zur Verwahrung gen überhaupt anzustellen. hinterlassen. Seine Sammlung bekam er nie zurück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Schauen wir uns den Weg des Ringelnatz-Bildes an: Es (D) Stattdessen – wir haben es gehört – soll ein Helpdesk für tauchte irgendwann nach dem Krieg in einer Galerie auf, Antrags- und Übersetzungsfragen eingerichtet werden. von wo es 1974 an das Clemens Sels Museum in Neuss Sinnvoll wäre es, wenn der Helpdesk an die Geschäfts- verkauft wurde. Im Clemens Sels Museum verweilte das stelle angeschlossen und mit eigenem Personal ausgestat- Gemälde teils in einer Dauerausstellung, teils im Depot, tet würde. Sonst werden allerdings ineffektive Doppel- ehe es dann eben 2000 für eine Ausstellung in Göttingen strukturen geschaffen. angefordert wurde. Vorgesehen ist, dass Opfer und Erben nun auch aus Wieder über Umwege und wieder einige Jahre später dem Ausland Anträge stellen können. Das begrüßen wurde schließlich der Rückgabeanspruch der Westheim- wir. Versäumt wird in dem Antrag aber, Betroffenen die Erben erhoben, und der Fall ging nach beiderseitiger Zu- Möglichkeit einzuräumen, selbst Gutachten externer stimmung, sowohl der Erben als auch des Clemens Sels Berater einzuholen und deren Expertise in die Prove- Museums Neuss, zur Schlichtung an die Beratende Kom- nienzklärung einzubeziehen. Nicht zuletzt werden in mission. In der Folge wurden die Erben entschädigt, und dem Antrag keine Zielmarken für die Digitalisierung das Museum durfte das Bild behalten. – Wir sprechen staatlicher Kunstbestände gesetzt. vom Jahr 2013. 2000 wurde es erstmals wieder wahrge- nommen, und 2013 erfolgte die Regelung. Meine Damen und Herren, die „Borussia“ von Menzel wurde 55 Jahre nach Kriegsende an die Familie von Men- Der Fall steht exemplarisch für eine Vielzahl verschie- delssohn restituiert. Das ist spät, viel zu spät. Jetzt, knapp denster Fallkonstellationen, in denen Kunstwerke, die 75 Jahre nach Kriegsende, ist dieser Teil deutscher Er- entweder von den Nationalsozialisten beschlagnahmt, innerungskultur vor allem eines: ein nicht erfülltes Ver- verfolgungsbedingt veräußert oder aufgrund von verfol- sprechen. gungsbedingter Emigration zurückgelassen wurden, in der Folge nicht an ihre ursprünglichen Eigentümer oder Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel sagte in seiner deren Erben zurückgegeben wurden. Bis heute begleitet Eröffnungsrede auf der Washingtoner Konferenz 1998: uns die Klärung dieser strittigen Eigentumsfragen. 20 Jah- Wir wollen hier nicht über Geld, wir wollen über re nach der Washingtoner Konferenz ist es daher geboten, Gewissen, Moral und Erinnerung sprechen. dass wir uns mit dem Stand der Umsetzung der damals festgelegten Prinzipien zur Rückgabe von NS-Raubkunst Aus der Frage nach Gewissen, Moral und Erinnerung ist befassen. inzwischen auch eine Zeitfrage geworden. Wir brauchen eine effektivere Form der Beratenden Kommission, und Die seinerzeitige Verabschiedung der Grundsätze in das sehr schnell. Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten 16126 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Ansgar Heveling (A) verfolgungsbedingt entzogen wurden, war der Versuch, ratende Kommission gar nicht erst angerufen werden (C) eine Einigung über nicht bindende Grundsätze in Aner- muss. kennung der unterschiedlichen Rechtssysteme der Teil- nehmerstaaten zu schaffen. Die Grundlage der Umset- Der Antrag der Koalitionsfraktionen begleitet die zung dieser Grundsätze in Deutschland war dann die bisher gute Arbeit in Wissenschaft und Praxis unterstüt- Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder zend. Die Stärkung der Provenienzrecherche, eine neue und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung Geschäftsstelle für die Beratende Kommission, der Aus- und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen bau der Digitalisierung der Bestände, die Möglichkeit der Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz. einseitigen Anrufung der Kommission, dies alles wollen wir umsetzen und damit die Aufklärung des NS-Kunst- Die Gemeinsame Erklärung ist nach wie vor der recht- raubs weiterhin – auch für die nächsten 20 Jahre – gut liche Kontext, innerhalb dessen Restitutionsverfahren ge- voranbringen. regelt werden, jedenfalls dann, wenn es um Kulturgüter geht, die sich im öffentlichen Bereich befinden. Denn es Vielen Dank. ist eben eine nicht bindende Selbstverpflichtung, der sich der Staat unterworfen hat. Im Kern ist es rechtlich eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Frage des Verzichts auf die Einrede der Verjährung. ordneten der SPD)

Die AfD-Fraktion hat in dem Zusammenhang die Fra- Vizepräsidentin Petra Pau: ge angesprochen, die sich auch in unserem Antrag findet: Ich schließe die Aussprache. Wie gehen wir zivilrechtlich, also wenn es um Private geht, mit der Restitution um? Ich halte es nicht für richtig, Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- die Frage zu stellen, ob jetzt Moral über Recht gestellt fehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf wird. Denn die rechtliche Zuordnung ist im Grunde auch Drucksache 19/14901. Der Ausschuss empfiehlt unter gegenüber Privaten klar: Da, wo man feststellen muss, Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme dass das zivilrechtliche Eigentum abhandengekommen des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf ist, kann kein weiterer Eigentumserwerb stattfinden. In- Drucksache 19/13511 mit dem Titel „20 Jahre Washing- sofern ist die rechtliche Zuordnung eigentlich glasklar. toner Prinzipien – Restitution von NS-Raubkunst fortset- Das Problem ist aber eben, dass man diesen Anspruch zen und ,Beratende Kommissionʼ weiterentwickeln“. aufgrund der Einrede der Verjährung nicht geltend ma- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind chen kann, und ist im Zusammenhang mit den zivilrecht- die Koalitionsfraktionen und die FDP-Fraktion. Wer lichen Fragen zu lösen. Die Frage ist, ob diese Einrede der stimmt dagegen? – Die Fraktionen Die Linke und Bünd- (B) (D) Verjährung, die dem Rechtsfrieden dienen soll, ange- nis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die AfD-Fraktion. sichts der Singularität des Geschehens, das hinter dem Die Beschlussempfehlung damit angenommen. Entzug steht, tatsächlich der richtige Ansatzpunkt zum Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- rechtlichen Umgang damit ist. fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Wie zum einen aus der Konferenz zum Jubiläum der tion der FDP auf Drucksache 19/5423 mit dem Titel Washingtoner Prinzipien und zum anderen aus der öffent- „20 Jahre Washingtoner Erklärung – Wirksamere Aufar- lichen Anhörung im Februar dieses Jahres hier im Deut- beitung der NS-Raubkunst durch Restrukturierung und schen Bundestag hervorging, lässt sich insgesamt festhal- Digitalisierung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- ten, dass die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien bei lung? – Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. uns gelingt. Unterstützt durch die Arbeit des Deutschen Wer stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion. Wer enthält Zentrums Kulturgutverluste und der angegliederten Be- sich? – Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die ratenden Kommission hat sich eine gute, eine zivile Pra- Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. xis etabliert, Provenienzen zu erforschen und Restitutio- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c nen durchzuführen. seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Für eine erstaunliche Anzahl an Kulturgütern konnten der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/8273 mit dem in den vergangenen Jahren die Provenienzen geklärt wer- Titel „Rückgabe von NS-Raubkunst gesetzlich veran- den. Die Restitutionen belaufen sich für den Zeitraum kern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – zwischen 1998 und 2018 auf mehr als 5 700 Kulturgüter Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer und mehr als 11 000 Bücher. Diesen Zahlen steht mit stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält mittlerweile 17 von der Beratenden Kommission bisher sich? – Die FDP-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/ gelösten Fällen bzw. ausgesprochenen Empfehlungen ei- Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. ne vermeintlich kleine Zahl gegenüber. Dabei ist es aber Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf: ganz wichtig, die prominenten und oft aufgrund ihrer Fallkonstellation eben besonders schwierigen Restitu- a) Beratung der Beschlussempfehlung und des tionsfälle, die bei der Beratenden Kommission zur Klä- Berichts des Ausschusses für Ernährung und rung vorliegen, gerade nicht in Relation zu den zahlrei- Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem An- chen Restitutionen zu setzen – sind die Zahlen doch eher trag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein Indiz dafür, dass offensichtlich zahlreiche Restitu- tionsverfahren so verlaufen, dass unter Anwendung der Chancen der Digitalisierung nutzen – Washingtoner Prinzipien eine Lösung erfolgt und die Be- Offener Zugang und standardisierte Da- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16127

Vizepräsidentin Petra Pau (A) tenformate für eine zukunftsfähige Land- Hausaufgaben für die Nutzung von nationalen Klima-, (C) wirtschaft 4.0 Wetter- und Bodendaten gemacht. Jetzt müssen allerdings auch die Länder nachziehen. Drucksachen 19/10147, 19/11242 Dazu gehört die Finanzierung. Das Bundesministerium b) Beratung der Beschlussempfehlung und des für Ernährung und Landwirtschaft hat ein Bundespro- Berichts des Ausschusses für Ernährung und gramm Digitalisierung in der Landwirtschaft aufgelegt, Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem An- und es fließen Abermillionen in digitale Experimentier- trag der Abgeordneten Carina Konrad, felder wie zum Beispiel DigiMilch oder Landnetz. Dafür Karlheinz Busen, Nicole Bauer, weiterer Ab- einen herzlichen Dank an unsere Bundesministerin Julia geordneter und der Fraktion der FDP Klöckner! Chancen der Digitalisierung für die Land- (Beifall bei der CDU/CSU) wirtschaft und ihre Wertschöpfungskette nutzen Mit dem jetzt, Sonntag, lieber Ralph Brinkhaus, auf Betreiben der CDU/CSU geplanten Beteiligungsfonds Drucksachen 19/436, 19/14494 stellen wir Milliarden für digitale Start-ups zur Verfü- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gung, auch und gerade auf dem Land. Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen (Beifall bei der CDU/CSU) Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Zum Rahmen gehört aber auch der Breitbandausbau. Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den Seit Jahren stellt der Bund dafür Milliarden zur Verfü- Fraktionen zügig vorzunehmen. gung. Wir, auch als CDU/CSU-Bundestagsfraktion, neh- men immer wieder die Bundesnetzagentur in die Pflicht; Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin denn der letzte weiße Fleck muss weg. Deswegen setzen Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion. wir uns zum Beispiel auch mit Projekten wie One Fiber (Beifall bei der CDU/CSU) unter Nutzung der Infrastruktur der Deutschen Bahn aus- einander. Gitta Connemann (CDU/CSU): Liebe FDP, wenn es um solche Details, um wichtige Lassen Sie uns über Zukunft reden! Wir schreiben das Fragen der Umsetzung geht, steht in Ihrem Antrag – Jahr 2030; es ist ein Freitagnachmittag wie heute. Ab in nichts, kein Wort, übrigens auch nicht zu digitaler Aus-, die Bahn nach Hause! Der Zug schwebt lautlos durch die Fort- oder Weiterbildung. Auch das Thema Europa wird Landschaft. Fahrerlose Traktoren ziehen ihre Bahnen. (B) komplett ausgeblendet. Dabei kennen Daten keine Gren- (D) Drohnen fliegen über den Feldern – Hightechpflanzen- zen. Mit solchen Details geben Sie sich nicht ab. Aber schutz aus der Luft, für öko wie konventionell. Damit genau darum geht es, wie zum Beispiel beim Daten- konnte die Landwirtschaft den Einsatz von Herbiziden schutz. Mit seiner Arbeit sammelt der digitalisierte Hof und Fungiziden noch einmal so richtig reduzieren. Selbst Daten. Sie sind seine digitalen Früchte mit einem hohen Bahn und Kleingärtner ziehen langsam nach. Wert. Ich sage für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Auf dem iPhone 18 poppt ein Artikel auf. Der Titel: Dieses Eigentum des Landwirts darf nicht angezapft wer- „Tierwohl – eine deutsche Erfolgsgeschichte“. Der Jour- den, nalist staunt über den Mentalitätswandel im Land: Früher (Beifall bei der CDU/CSU) hätten die Deutschen die Frage des Tierwohls nur an der Masse festgemacht. Dann hätten sie verstanden, dass es auch nicht vom Staat. Automatische Datentransfers darf nicht nur auf die Größe des Stalls ankommt, sondern auch es immer nur mit Zustimmung geben. Landwirte haben auf die Ausstattung. – Im Jahr 2030 sind smarte Auto- ein Recht auf Datenschutz wie jeder Bürger und wie jeder maten und Robotoren in Ställen Standard. andere Betrieb in diesem Land. Zukunftsvision? Nein. Das zeigt uns die laufende Ag- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ritechnica. Das zeigen uns aber auch viele Betriebe in Ich sprach über die Zukunft. Für diese brauchen wir unserem Land, wo digitale Anwendungen heute schon aber zwingend eins: Wir brauchen einen Wandel in den Realität sind. Die Digitalisierung bietet Chancen, auch Köpfen. Viele wünschen sich immer noch eine Landwirt- bei der Auflösung von Zielkonflikten, vor denen unsere schaft nach dem Vorbild von Bullerbü. Aber zur Wahrheit Landwirtschaft immer wieder steht. Immer knappere Flä- gehört: Dieses Bullerbü steht für dunkle Ställe und mittel- che, immer weniger Instrumente wie Düngung oder alterliche Arbeitsbedingungen, und das für bestausgebil- Pflanzenschutz, immer höhere Standards und dafür kei- dete Fachleute und Akademiker. Genau das sind unsere nen Cent mehr – das ist ein Spagat. Dieser kann mit Landwirte von heute. Digitalisierung gelingen; denn diese steht für Effizienz, für Präzision, für Sicherheit – übrigens zum Wohle von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mensch, Tier und Natur. Wir alle müssen anerkennen: Landwirtschaft ist Wirt- schaft. Höchstleistungen sind nicht mit Almromantik zu (Beifall bei der CDU/CSU) haben, sondern nur mit höchster Kompetenz, bester Land- Doch Landwirtschaft 4.0 kommt nicht von allein. Da- technik, modernster Pflanzenzüchtung und modernstem für tun wir etwas. Das beginnt bei den Rahmenbedingun- Pflanzenschutz. Wer hier A sagt, muss auch B sagen. gen. Mit dem Geodatenzugangsgesetz hat der Bund seine Alles andere ist unehrlich. Die CDU/CSU-Bundestags- 16128 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Gitta Connemann (A) fraktion sagt A und B, und deshalb bekennen wir uns zu Wie wollen Sie aber die dafür benötigten Daten für alle (C) den Chancen der Digitalisierung in der Landwirtschaft. Landwirte bereitstellen? Sie fabulieren da was von einer Agrar-Masterplattform. Wie wollen wir das fair, auch für die kleinen und mittleren Betriebe, zur Verfügung stellen? Vizepräsidentin Petra Pau: Dazu sagen Sie überhaupt kein Wort in Ihrem Antrag. Kollegin. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dann geben Sie doch mal eine Antwort! – Maik Beermann Gitta Connemann (CDU/CSU): [CDU/CSU]: Und Sie?) Stimmen Sie unserem Antrag zu. Soll das Höfesterben weitergehen? Folgt auf das Land- (Beifall bei der CDU/CSU) grabbing jetzt das Datengrabbing? Das ist nämlich das Nächste, was unsere Landwirte bedroht. Wie wollen Sie Vizepräsidentin Petra Pau: verhindern, dass der Landwirt plötzlich von Versicherern, Banken und Verbänden unter Druck gesetzt wird, wenn Das Wort hat der Abgeordnete Peter Felser für die seine Betriebsdaten auf Ihrer Agrar-Masterplattform ein- AfD-Fraktion. sehbar sind? Denn Sie schreiben ja selbst: Alle relevanten (Beifall bei der AfD) Akteure sollen Zugriff auf diese Plattform haben. – Wie soll das eigentlich aussehen? Welche Schnittstellen sind da angedacht? Auf welchen Servern soll das liegen? Peter Felser (AfD): Überhaupt nichts drin dazu! Bleibt alles im Nebulösen. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Lie- be Gäste! Liebe Bauern! Wir reden heute darüber, wie wir Big Data ist das neue Öl – das wissen Sie –, der ge- die Chancen der Digitalisierung nutzen können, und zwar winnversprechende Rohstoff der digitalisierten Welt. Big konkret für die Zukunft unserer landwirtschaftlichen Be- Data ruft jetzt schon die größten Player auf den Plan. Die triebe. Blicken wir heute mal nach Hannover: Dort hat ja großen Akteure haben die Daten unserer Landwirte am Sonntag die weltweit größte Landtechnikmesse be- schon. Als Goldgräber kommen sie daher, die in der Da- gonnen. Was wir dort sehen, ist wirklich beeindruckend: tenexplosion die neuen Minen entdeckt haben. Wie wol- Präzisionslandwirtschaft, teilflächenspezifische Dün- len Sie, liebe Kollegen, unsere Bauern konkurrenzfähig gung, autonom fahrende Traktoren. Das sind Dinge, die gegenüber diesen Hightechgiganten machen? Hier hätten es – wer aus der Branche kommt, weiß es – vor 10, 12, wir ein bisschen mehr Kreativität und ein bisschen mehr 14 Jahren auch schon auf der Agritechnica gab. Da sind Verantwortung erwartet. (B) wir sehr weit. Auf diese mittelständischen Landtechnik- Damit kommen wir zu der für uns und vor allem für die (D) unternehmen können wir wirklich stolz sein. Bauern wichtigsten Frage: Wem? Wem werden eigentlich Aber die Frage ist doch: Warum hinken Sie, liebe Kol- in Zukunft diese Daten gehören? legen von der Koalition, dieser Entwicklung so meilen- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Haben wir weit hinterher? Warum hält die Politik nicht Schritt? Die- beantwortet!) se ganze Technik, die wir jetzt haben, kann doch erst dann vernünftig genutzt und weitergedacht werden, wenn wir Schaffen wir es, gelingt es uns, dass die Hoheit der Daten die Infrastruktur dazu haben und wenn wir die Rahmen- immer bei denen liegt, die sie erzeugen, bei den Bauern? bedingungen für die Datennutzung haben. Also: Machen Da steht nichts drin! Das ist aber das Wichtigste, das wir Sie bitte endlich Ihre Hausaufgaben! Dann können wir erst mal klären müssen. diesen nächsten Schritt gehen. Wenn Sie von dieser Platt- Diese entscheidende Frage hängt auch ganz eng mit der form sprechen, dann richten Sie bitte die Infrastruktur ein Frage zusammen: Schaffen wir es mit dieser neuen Tech- und schreiben Sie an den Rahmenbedingungen. nik, mit diesen Plattformen, mit dieser Vernetzung, die Sie schreiben in Ihrem Antrag völlig korrekt von einer kleinen, familiengeführten bäuerlichen Betriebe mitzu- Datenexplosion, die jetzt mit der neuen Technik auf uns nehmen? Oder ist es Ihnen völlig egal, dass dieses Jahr zukommt. Das hört sich bei Ihnen im Antrag so an, als ob wieder 4 000 Höfe zumachen? Sie Angst hätten vor dieser Datenexplosion. Ihnen scheint Wir werden dem Antrag zustimmen – wir müssen zu- gar nicht klar zu sein, dass wir diese Daten brauchen, stimmen –, damit in Deutschland wenigstens etwas vo- diese Unmengen an Daten, um überhaupt lernende Sys- rangeht mit der Digitalisierung. teme entwickeln zu können, um vielleicht auch KI – wer weiß, ob wir das noch schaffen in Deutschland –, viel- Ich danke Ihnen. – Servus und ein schönes Wochen- leicht so was wie lernende Betriebe hinzubekommen. ende! Auf der Agritechnica werden Blockchain-Systeme (Beifall bei der AfD) vorgestellt. Da wird das Ei vom Nest über den Handel bis in den Supermarkt verfolgt, und der Erzeuger kann bis Vizepräsidentin Petra Pau: zum Schluss nachvollziehen: Wo kommt dieses Ei eigent- Das Wort hat der Kollege Rainer Spiering für die SPD- lich her? Wir haben drohnengestützte Flächenanalytik, Fraktion. bodenschonende Bestandspflegerobotik. Alles schon da. In Hannover wurden sogar KI-Komplexe für lernende (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Betriebe vorgestellt. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16129

(A) Rainer Spiering (SPD): Ich sage auch mit großem Selbstbewusstsein: Das Bun- (C) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor desland Niedersachsen hat ENNI auf den Weg gebracht. allen Dingen: Liebe Zuschauer auf den Rängen! Herr ENNI dokumentiert vom Erzeuger bis zur Fläche der Felser, ehrlich gesagt, ist mir ein bisschen gruselig ge- Aufbringung: Wo ist was geblieben? Dann brauchen Sie worden. Wenn Sie einem Antrag von uns zustimmen, keine großen Messstellen mehr, weil Sie wissen: Wer hat dann habe ich fast das Gefühl, wir hätten was falsch ge- es gemacht? Wie hat er es gemacht? Warum hat er es macht – haben wir aber nicht. gemacht? Die Frage nach dem Warum erledigt sich wahr- scheinlich. Darüber kann man sich so seine Gedanken (Heiterkeit des Abg. Artur Auernhammer machen. [CDU/CSU]) Die Hauptaufgabe neben der Zurverfügungstellung Die Frage, die wir uns bei der Digitalisierung stellen von Rohdaten ist auch das Servicesicherheitspaket. Da- müssen, ist: Welcher gesellschaftliche Prozess steckt da- mit muss sichergestellt werden – daran arbeiten wir; ich hinter? Mich erinnert das schon sehr stark an die indust- werde auch gleich belegen, dass diese Koalition die Ar- rielle Revolution der späten 70er-Jahre im 19. Jahrhun- beit sehr ernst genommen hat –, dass der Datennehmer, dert. Vielleicht erinnern Sie sich an das Drama von also der Landwirt, anonym bleibt. Aber mit den Daten, Gerhart Hauptmann „Die Weber“, in dem beschrieben die ihm zur Verfügung gestellt werden, kann er frei ent- wird, wie ein kompletter Strukturwandel die Lebensum- scheiden: Wen lässt er mit diesen Daten spielen? stände der Menschen wirklich gravierend verändert hat. Stellen Sie sich das mal ein bisschen wie eine Sonne Wenn ich mir überlege, welche Rolle damals die Land- mit Planeten darum vor. Die Sonne liefert die Energie, wirtschaft gespielt hat, dann erinnere ich mich daran, dass und die Planeten nutzen sie, um damit zu arbeiten – so wie sie extrem segensreich war. Das hat auch damit zu tun, dass Chemie viel geholfen hat. wir das übrigens auch tun. Jetzt nehmen wir hier Daten und transferieren sie. Jetzt sind wir aber 150 Jahre weiter. Die Digitalisierung Also, mein Bild der bäuerlichen Zukunft ist da sehr der Landwirtschaft wird einen ähnlichen Effekt wie da- klar: Ich bekomme die Rohdaten zur Verfügung gestellt mals der Strukturwandel haben. Wir werden Veränderun- und entscheide: Mit welchem Maschinenring arbeite ich? gen in den Prozessen haben. Die Diskussion über Gly- Mit welchem Saatguthersteller arbeite ich? Mit welchen phosat zum Beispiel, die wir führen, wird in fünf Jahren Herstellern von Pflanzenschutzmitteln arbeite ich? Mit überhaupt nicht mehr notwendig sein. Wir werden dann welchem Steuerberater arbeite ich? zu vielem in der Lage sein – das ist hier von mehreren angesprochen worden –; denn die Zukunft der Landwirt- Die Frage, die wir heute diskutieren – ich finde übri- (B) schaft wird nicht 2030 kommen, sondern 2025 schon gens, sie ist verjährt –, zur Bewältigung von Bürokratie (D) längst da sein. Wenn man sich die Zukunftswerkstatt erledigt sich über Algorithmen. Das heißt, wir müssen der großen Firmen angeschaut hat, dann wird man wis- uns all dem, was wir haben, bemächtigen und es zur Ver- sen: Da sind E-betriebene Hybridfahrzeuge. Da sind fügung stellen. Dann werden sich ganz, ganz viele Ar- Drohnen in Weinbergen unterwegs. – Viele dieser Tech- beitsschritte in der bäuerlichen Landwirtschaft durch di- niken brauchen den Zugang zum Internet. Darum geht es. gitales Tun erledigt haben. Dazu brauche ich nicht 2030. Jetzt hat der Kollege Felser eine Frage gestellt. Ich sage Verehrte Kollegin Connemann, Sie haben die Bundes- mal: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Da muss man regierung als Verursacher des digitalen Paktes ausgeru- aber viel lesen. Wenn Sie sich mit dem Digitalisierungs- fen. Da wünsche ich mir mehr Selbstbewusstsein fürs paket der SPD auseinandergesetzt hätten, dann würden Parlament. Wir waren das. Wir als Koalitionär haben in Sie wissen, dass wir uns mit genau dieser Frage beschäf- den Koalitionsverhandlungen das Geld hineingeschrie- tigt haben. Es geht um die grundsätzliche Frage: Wem ben, das die Bundesregierung heute ausgibt. Bevor die gehören die Daten? Wenn man verhindern will, dass mit Bundesregierung darüber nachgedacht hat, haben wir den Daten Schindluder getrieben wird, dann muss man als Koalitionäre das eingestellt. Also wünsche ich uns einen neutralen Anbieter haben. Wir stellen uns das so schon den Mut, zu sagen: Wir waren es selber! Wir selber vor, dass der Staat Georohdaten zur Verfügung stellt. waren kreativ genug, um das auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie kennen die Katasteramtsdaten, die im Moment nur der CDU/CSU) von einem Bundesland frei zur Verfügung gestellt wer- den: Das ist Rheinland-Pfalz. Nun ist die Exekutive am Zuge. (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Und Jetzt wird uns vorgeworfen: Ihr habt die Zeichen der Bayern!) Zeit nicht erkannt. – Völlig falsch! Schauen Sie mal in die Haushaltstitel. Dann werden Sie nämlich die Experimen- – Entschuldigung, bitte. – Wir brauchen Daten zur Bo- tierfelder finden. Bei den Experimentierfeldern gibt es denphysik und Bodenbiologie. Wir müssen wissen: Wie eine spannende Sache. In den Haushalten vieler Ministe- schnell läuft Wasser durch die entsprechenden Boden- rien finden Sie immer wieder den Hinweis auf Rückfluss schichten? Dann kommen wir der Frage von Nitrat im in den Bundeshaushalt. Interessanterweise ist das an der Wasser auch viel näher. Das heißt, wir werden uns der Stelle mit der Digitalisierung nicht so: 15,5 Millionen misslichen Frage von Messstellenkontrollen in drei oder Euro, für 2019 eingestellt an einer Stelle, an der vorher vier Jahren gar nicht mehr stellen müssen, weil wir dann nichts war, und 15,5 Millionen Euro ausgegeben – ver- wissen, wer was einträgt. ausgabt für die Experimentierfelder. 16130 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Rainer Spiering (A) Was wird auf den Experimentierfeldern gemacht? Das, Bundestag eingebracht hat – aber geschenkt, Frau (C) von dem Sie bestreiten, dass es überhaupt stattfindet, Connemann –, macht doch vielen Menschen Angst. nämlich das Ausprobieren der Verknüpfung von Maschi- nen und Technik mit Bodendaten, mit künstlicher Intelli- (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: In der genz. Jetzt wird im Pflanzenschutzbereich, im Boden- letzten Legislatur wart ihr noch nicht dabei!) schutzbereich, bei der Anwendung in Tierställen Für viele klingt das schrecklich. Sie erkennen gar nicht ausprobiert: Wie funktioniert die Kommunikation? Dafür die Chancen, die darin liegen. Es ist die Aufgabe von uns brauchen wir ein bisschen Zeit und Geld. allen, diese Chancen in den Vordergrund zu stellen und Jetzt kommen wir zu der IT-Plattform. Wir sind im nicht immer nur vorrangig über die Probleme zu reden. Moment dabei, dafür im nächsten Jahr 22,5 Millionen (Beifall bei der FDP) Euro auszugeben. Wir werden sie verausgaben, genau wie dieses Jahr die 15,5 Millionen Euro. Hier sollten Mein Großvater hat damals angefangen: Der erste Sie die Kraft dieser Koalition nicht unterschätzen. Wir Traktor bei uns auf dem Hof war ein 15er Deutz. Das reden erst mal vom Anfang des Geldausgebens. Wenn ist noch keine 50 Jahre her. Seitdem hat sich der Betrieb wir über die IT-Plattform reden, dann reden wir davon, revolutioniert. Meine Eltern haben investiert und haben an das große Geld zu gehen. Das brauchen wir auch. Ich den Deutz damals schon als Oldtimer behandelt, was er möchte nicht – das möchte auch die SPD nicht –, dass der heute definitiv auch ist. Heute sind digitale Anwendun- Souverän seine Souveränität verliert. Das bedeutet: Die gen bei uns im Einsatz, ohne dass irgendjemand den Ein- Daten gehören in Staatshand und vor allen Dingen in das satz der digitalen Anwendungen gewollt hätte. Doch sie Eigentumsrecht der Landwirte. wurden eingesetzt, weil sie einen Nutzen bringen. Das muss im Vordergrund stehen: Es muss ein spürbarer Nut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zen für die Betriebe da sein. Dann gibt es auch ein großes der CDU/CSU) Interesse daran, diese digitalen Anwendungen in den Be- Wer jetzt den Begriff „Staat“ bemängeln will, dem sage trieben einzusetzen. Aber es ist wichtig, dass jeder der ich: Wir wollen nicht kontrollieren. Das geht über genau Akteure auch seine Rolle im Spiel erkennt. Die Politik dasselbe Plausibilitätsprinzip wie bei der Steuer. Ich halte muss ihre Rolle im Spiel genauso erkennen wie die An- das für ausgesprochen vernünftig: Nur wer im Rahmen wender und die Hersteller. Mir ist nicht klar, ob dies im- einer Steuererklärung auffällt, bekommt Ärger. Das kön- mer der Fall ist. nen wir in der Landwirtschaft genauso gut, wahrschein- lich sogar viel besser machen. Dann wird sich die gesamte (Beifall bei der FDP) Frage der Stoffstrombilanzen, der Nährstoffbilanzen, der Die Wertschöpfung bei den Betrieben muss gegeben (B) Düngeverordnung, der Nitratbelastung und zum Beispiel sein, weil sonst das Geld fehlt, um sich die Technik über- (D) auch der GAP-Erklärung sehr schnell erledigen. haupt zu kaufen. Doch die Agrarpolitik, die hier insge- samt betrieben wird, zieht Wertschöpfung aus den Betrie- Ich habe letztens einen der erfolgreichsten deutschen ben heraus, und das oft, ohne dass dadurch ein wirklicher Landwirte gesprochen. Nutzen entsteht. Die Digitalisierung erlöst Sie nicht von (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wer ist das?) den Hausaufgaben, die Sie allgemein in der Agrarpolitik zu machen haben, sondern sie gibt Ihnen neue auf. Die Er sagt, dank der Digitalisierung brauche er für die GAP- Koalition hat der Bundesregierung heute eigentlich nichts Erklärung trotz seines riesengroßen Hofes nur zwei Stun- anderes als eine To-do-Liste vorgelegt. Das ist wichtig, den. – Genau das werden wir, Kolleginnen und Kollegen, und das kann man erst mal nur begrüßen. jedem Kleinst- und Kleinbauern zur Verfügung stellen und ihn damit auf Augenhöhe mit den Großen bringen. Doch es gibt viele offene Fragen: Was ist mit dem Netzausbau? Autonomes Fahren auf dem Acker geht Danke. schon; Herr Spiering hat eben die Testfelder erwähnt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist möglich; aber bei uns fehlt vielerorts das Netz der CDU/CSU) dafür, sodass es überhaupt nicht in die Anwendung kommt. Diese Technik ist auch teuer, und es braucht be- stimmte Flächenstrukturen, damit sie in die Anwendung Vizepräsidentin Petra Pau: kommt. Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Carina Konrad das Wort. Roboter helfen in der Tierhaltung, damit der Landwirt sich aufs Tier fokussieren kann; das bringt viel fürs Tier- (Beifall bei der FDP) wohl. Aber auch da braucht es bestimmte Betriebs- und Herdengrößen. Genau die werden aber in den Debatten Carina Konrad (FDP): von den Grünen überwiegend infrage gestellt. Es fallen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kampfbegriffe wie „Massentierhaltung“ oder „Gülle- Kollegen! Ja, die grüne Branche wandelt sich. Das hat sie flut“. übrigens schon immer getan. Aber der Zweck der grünen Branche wandelt sich nicht. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist sowieso alles Show!) Wir müssen uns klarmachen: Die Digitalisierung der Landwirtschaft, zu der übrigens die FDP-Fraktion vor Deshalb müssen wir da auch ein bisschen normal werden anderthalb Jahren den ersten Antrag in den Deutschen und ruhiger damit umgehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16131

Carina Konrad (A) Herr Spiering hat die Drohnen angesprochen. Es gibt (Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ (C) heute große Drohnen, die Pflanzenschutzmittel sehr ge- DIE GRÜNEN]) nau ausbringen können. Das kann eine Riesenerleichte- Landwirtschaft kann eben nicht so bleiben, wie sie ge- rung für den Sonderkulturanbau und vor allen Dingen rade ist. Vielmehr brauchen wir eine Transformation zu auch für den Weinbau sein. Wir hatten vor Kurzem eine einer nachhaltigeren, einer vielfältigeren und einer lokal Debatte über die Schutzanzüge im Weinbau; die Frage ist verankerten Landwirtschaft. immer noch nicht geklärt. Winzer müssen jetzt mit Schutzanzügen durch den Wingert laufen, um Pflanzen- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- schutzmittel aufzusprühen. Drohnen sind hier die Lö- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und sung; aber die Flugrechtefrage ist noch alles andere als des Abg. Mathias Stein [SPD]) ungeklärt. Dabei können digitale Innovationen eine wichtige Rolle (Rainer Spiering [SPD]: Sie ist alles andere als spielen; allerdings nur mit einer klaren Vorstellung, wie „ungeklärt“! Perfekt, denn sie ist ja geklärt!) man mithilfe dieser Instrumente die Transformation be- wältigt. Die Drohnen wurden in der Hochschule Geisenheim ent- wickelt, fliegen aber in der Schweiz; das ist eigentlich ein (Beifall bei der LINKEN) Armutszeugnis. Aber selbst wenn es nur darum ginge, wie man über- (Beifall bei der FDP) haupt zur Digitalisierung in der Landwirtschaft kommen könnte: Selbst da ist der Koalitionsvertrag äußerst vage. Auch die Masterplattform muss die Aufgabe erfüllen, Es nervt einfach, dass in jedem Papier der Bundesregie- das Spannungsfeld, welches zwischen Verbrauchern und rung und der Koalition drinsteht, dass wir eine bessere Landwirten entstanden ist, zu überbrücken; das muss ihr Breitbandversorgung, dass wir eine bessere Bereitstel- Zweck sein. Sie muss dabei helfen, dass die Rolle und lung von öffentlichen Daten brauchen. Dummerweise Daseinsberechtigung von Nahrungsmittelerzeugung in steht nie dabei, wie das gehen soll. Und noch blöder: diesem Land wieder den Stellenwert bekommt, den sie Konkretes politisches Handeln bleibt Fehlanzeige. verdient. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Vielen Dank. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Der Antrag der FDP wird da ein wenig konkreter, lässt aber eine Frage außer Acht: Wer soll in der Landwirt- schaft der Zukunft das Sagen haben? Im Zweifel wird Vizepräsidentin Petra Pau: (B) passieren, was bei der Digitalisierung in anderen Wirt- (D) Das Wort hat Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. schaftsbereichen schon passiert ist, nämlich: Die Macht (Beifall bei der LINKEN) liegt bei dem, der die Plattformen zur Verfügung stellt und die Daten aggregiert. Wenn man nun ein anderes Modell will, wird es eben nicht reichen, nur auf den freien Wett- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): bewerb einiger Agrarunternehmen zu setzen. Nein, dann Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass Di- muss eben, wie der Kollege schon angedeutet hat, tat- gitalisierung nun doch nicht vor Milchkannen haltmacht, sächlich über öffentliche Infrastrukturen nachgedacht das hat sich inzwischen herumgesprochen. bzw. müssen diese geschaffen werden. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der LINKEN) Ist aber noch nicht klar!) Gebraucht wird also eine Datenpolitik, die der Kom- Auch wenn manchem die Verknüpfung von Digitalisie- plexität dieses Themas gerecht wird. Stattdessen will die rung und Landwirtschaft noch einigermaßen komisch Koalition komischerweise auf Rechten der Urheber von vorkommen mag, so ist festzustellen: Ja, Datenerfassung Daten bestehen. Aha – interessant! Dabei müssten Sie und digitale Steuerung haben auch in diesem Bereich doch aber wissen, dass dies zurzeit kein eindeutiger Be- großes Potenzial. griff ist. Sensordaten sind eben keine Symphonien. Wer Zum Beispiel gibt es mit der Präzisionslandwirtschaft ist denn nun der Urheber? Der Besitzer der Fläche? Der- die Chance, ganz gezielt Bodenbeschaffenheit oder eben jenige, der sie bewirtschaftet? Der Eigentümer der Senso- auch Wetter zu analysieren rik? Oder schließlich der Hersteller? Da hat der Kollege von der SPD vorhin durchaus den richtigen Gedanken (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: geäußert: die Landwirte. Was ist mit den Regenwürmern?) (Beifall bei der LINKEN) und schließlich jede Stelle des Feldes zu einem bestimm- Das bedeutet aber: Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie ten Zeitpunkt zu erfassen und zu bewirtschaften. Das klären, wie. kann Landwirtschaft tatsächlich effizienter, ressourcen- schonender und eben auch nachhaltiger machen. Aber Wir sagen: Wenn es hier um Datenschutz geht, dann so wie Sie sich das in den vorliegenden Anträgen vor- müssen wir über Zugangsrechte reden; die müssen geklärt stellen: „Wir machen die Landwirtschaft mal ein bisschen werden. Durchaus interessante Ansätze finden wir bei der effizienter durch die Digitalisierung“, furchen Sie, glaube Datenethikkommission – können wir mal nachlesen und ich, genau in die Sackgasse. umsetzen! 16132 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Petra Sitte (A) (Beifall bei der LINKEN) gleichzeitig ökologisch verträglich zu bewirtschaften. (C) Fazit: Die Digitalisierung der Landwirtschaft ist Be- Weniger Rüstzeiten machen auch kleine Schlaggrößen standteil einer notwendigen Transformation. Aber wenn wieder konkurrenzfähig. sie nicht zu Nachhaltigkeit führt, wenn sie nicht zu Ge- Auch Züchtung können wir mit digitalen Instrumenten meinwohl führt und nicht an den Bedürfnissen der Land- neu denken. Digitale echte Züchtungsmethoden statt wirte ausgerichtet wird, dann wird sie nicht zukunftsfä- Gentechnik hieße: Mit den Potenzialen von Vernetzung hig. und gemeinsamer Nutzung großer Datenmengen würde Danke. jede Bäuerin, jeder Bauer wieder zum Züchter. Crowd- breeding macht die Landwirtschaft wieder zum Herrn (Beifall bei der LINKEN) über das eigene Saatgut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Vizepräsidentin Petra Pau: wie der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LIN- Danke. – Das Wort hat der Abgeordnete Harald Ebner KE]) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Verlieren wir aber auch nicht die Marktkonzentration (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aus dem Blick; das wurde schon angesprochen. Über Pestizid-, Dünge- und Futtermittelindustrie, Verarbei- Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tungsbranche und Einzelhandel haben wir eine hohe Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Marktkonzentration und immer größere Anbieter. Bayer Kollegen! Landwirtschaft macht Schlagzeilen: hohe Nit- hat Monsanto gekauft wegen der marktbeherrschenden ratwerte, Glyphosat, Insektensterben, Höfesterben, Stellung seiner digitalen Agrarplattform und dafür sogar Bauernprotest gegen die Bundesregierung. Keine Frage: das Glyphosatdebakel in Kauf genommen. Wir brauchen Lösungen. Das wirft zwei Fragen auf: Wie verhindern wir, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Handvoll Konzerne unsere Lebensmittelversorgung sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) kontrollieren? Und: Wie schützen wir unsere gesamte Welche Rolle kann Digitalisierung dabei spielen? Ist Lebensmittelkette wirkungsvoll vor Cyberangriffen, Vi- Digitalisierung die Antwort oder eine Art Hilfsmittel, um ren und digitalen Schädlingen? Es geht hier in mehrfacher im Agrarsystem alles beim Alten zu belassen? Werte Kol- Hinsicht um Ernährungssicherheit und Ernährungssouve- leginnen und Kollegen, ein paar digitale Updates allein ränität. Wir brauchen hier klare Regeln, klare Standards, holen das gescheiterte Agrarmodell nicht aus der Sack- die für alle Anbieter einen offenen Zugang und einen (B) gasse. fairen Wettbewerb sicherstellen. Neben der Normierung (D) von Schnittstellen und der Interoperabilität verschiedener (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Systeme gehören dazu aber auch ganz zentral Mindest- vorgaben zur Cybersicherheit in der gesamten Lebens- Wir brauchen ein neues Betriebssystem, eine Agrarwen- mittelkette. Ich halte das für essenziell. de, mit der wir auch die Chancen der Digitalisierung nut- zen, weil eine bloße Optimierung der bisherigen Bewirt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaftung noch lange keine echte Nachhaltigkeit und bei der LINKEN) bedeutet. Die von der Koalition geplante Masterplattform bringt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in einigen Jahren hoffentlich Ergebnisse, aber da könnte Wer Digitalisierung nur in Rationalisierungsgewinnen es vielleicht schon zu spät sein. Wir verlieren jedes Jahr denkt, verkennt ihr Potenzial. Effizienzgewinne sind nö- 5 000 Höfe in Deutschland, Insekten sterben weiterhin. In tig, ja. Aber es reicht eben nicht, nur ein bisschen weniger den Anträgen gibt es keine Antworten auf die Frage, wie Gift etwas zielgenauer einzusetzen. Wir brauchen eben wir verhindern, dass die Digitalisierung das Höfesterben nicht weniger vom Falschen, sondern endlich das Richti- sozusagen noch beschleunigt. Hier können wir etwas tun, ge. indem wir eben auch Low-Cost-Systeme fördern und die echten Potenziale der Digitalisierung heben, indem wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sie im Sinne einer naturnäheren Landwirtschaft einset- zen. Wir müssen uns entscheiden, wie wir es machen: Stellen wir die Digitalisierung in den Dienst einer Ag- Passen wir die Natur an die Technik an oder die Technik rarwende, und nutzen wir sie für echte Ökologisierungs- an die Natur? Ich bin für das Letztere. gewinne! Digitalisierung bietet dabei echte Chancen für neue Wege. Beispielsweise können autonome Feldrobo- Danke schön. ter Unkräuter mechanisch entfernen – ganz ohne Glypho- sat. So wird auch der Anbau von Mischkulturen möglich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und damit mehr Vielfalt auf dem Acker. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Statt für weitere Großmechanisierungen können wir Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Maik die Potenziale digitaler Anwendungen und Steuerungen Beermann das Wort. dafür nutzen, auch kleinstrukturierte, reichhaltige und schöne Kulturlandschaften ökonomisch sinnvoll und (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16133

(A) Maik Beermann (CDU/CSU): Ich nenne die Einführung einer Agrar-Masterplatt- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und form; die Kollegen Connemann und Spiering sind schon Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau darauf eingegangen, und der Kollege Ebner hat es eben Kollegin Konrad von der FDP, ja, vor anderthalb Jahren auch erwähnt. Eine solche Plattform könnte Landwirte haben Sie einen Antrag eingebracht; das stimmt. Aber wir von einfachen Arbeitsaufgaben entlasten und parallel da- haben über dieses Thema auch schon in der letzten Le- zu sowohl die Produktqualität als auch die Sicherheit der gislaturperiode gesprochen; Prozesse erhöhen. (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist ja noch Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade bei Geo-, schlimmer! Habt ihr nichts geschafft seit Jah- Wetter- und Satellitendaten halte ich persönlich eine Be- ren! – Carina Konrad [FDP]: Das macht es ja reitstellung von öffentlichen Informationen im Sinne von noch schlimmer, weil nichts passiert ist! Das Open Data und Open Source für unabdingbar. verstärkt das Versagen!) (Carina Konrad [FDP]: Gibt es schon!) da waren Sie noch nicht dabei. Das heißt, das Thema Diese Daten müssen den Landwirtinnen und Landwirten „Digitalisierung der Landwirtschaft“ ist hier kein neues kostenlos zur Verfügung gestellt werden. All das muss Thema. Wir besprechen das Thema regelmäßig, so wie es eben auch getestet werden. sich gehört, und zwar dort, wo es hingehört, nämlich im Parlament. (Manuel Höferlin [FDP]: Wir machen es ein- fach!) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Kollegin Connemann ist auf die Probierfelder Liebe Kolleginnen und Kollegen, während wir hier eingegangen. Wir haben hier in Berlin, aber auch darüber reden, läuft gerade in Hannover die Agritechnica, die hinaus ganz viele Thinktanks, wo sich kluge Köpfe tref- Weltleitmesse für Landtechnik. Wenn man sich die Inno- fen, beraten und Ideen entwickeln. Aber diese Ideen müs- vationen und die digitalen Anwendungen anschaut, ist sen auch in die Praxis umgesetzt werden, und deswegen das schon sehr beeindruckend. ist für mich die Einführung der Probierfelder, dieser Prac- tice Tanks, ein wirklicher Meilenstein. Ich möchte hier heute eines gerne sagen: Die Landwirt- schaft hier bei uns in Deutschland ist für mich der digi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) talisierteste Wirtschaftsbereich, den wir aktuell haben; da In diesem Zusammenhang müssen wir unseren Bäuerin- kommt kein anderer Wirtschaftsbereich mit. Das muss nen und Bauern aber auch eine Investitionssicherheit ge- man einfach auch mal anerkennen. (B) ben. Das alles kostet Geld, und die Landwirtinnen und (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Landwirte brauchen hier eben diese Investitionssicher- heit, die dafür erforderlich ist. Man sieht auf der Agritechnica Roboter, die düngen und damit die Umwelt schonen, weil sie eben nicht über- Meine Damen und Herren, eine moderne und verant- düngen. Man sieht andere Roboter, die Unkraut jäten, was wortungsbewusste Landwirtschaft nutzt schon heute mit wiederum den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln redu- innovativer Landtechnik die begrenzten landwirtschaft- ziert. Man sieht intelligente Lösungen, die die Pflanzen- lichen Flächen intelligent und bringt Ökonomie und Öko- gesundheit in Echtzeit per Satellit untersuchen, die mit logie in Einklang. Helfen wir den Landwirtinnen und künstlicher Intelligenz, Agrardrohnen oder Cloud-Lösun- Landwirten, weiter aktiv zu gestalten und die Digitalisie- gen arbeiten. Alle Standplätze sind ausgebucht. Das zeigt, rung nutzbar zu machen! Angesichts der aktuellen Pro- wie viel Innovation und Potenzial in diesem Sektor steckt, teste vieler Landwirte sollten wir hierbei mehr mit- als und es unterstreicht, welche Rolle die Landwirtschaft im übereinander sprechen. Wir brauchen mehr Kooperation Bereich Digitalisierung einnimmt, nämlich klar eine Vor- als Gegeneinander; reiterrolle. (Carina Konrad [FDP]: Ihr müsstet einfach mal Die Digitalisierung ist hierbei kein Selbstzweck; denn machen!) wir brauchen digitale Innovationen. Die Produktionsstei- denn wir haben hier doch sicherlich ein gemeinsames gerungen sprechen eine eindeutige Sprache: Musste ein Ziel: Wir wollen, dass deutsche Landwirtschaft zukunfts- Landwirt im Jahre 1930 10 Menschen versorgen, so sind sicher und wettbewerbsfähig bleibt und weiterhin die bes- es heute bereits 155 und 2050 sogar 250 Menschen. Wir ten und sichersten Lebensmittel der Welt produziert. Ei- brauchen digitale Lösungen aber auch, liebe Kolleginnen nes wollen wir aber nicht: dass der Landwirt irgendwann und Kollegen, weil nur so Umweltschutz und die Versor- als der Sündenbock für alles beschrieben wird. gung mit Nahrungsmitteln Hand in Hand gehen können. Vielen Dank. Der Antrag greift genau die Punkte auf, auf die es ankommt: (Beifall bei der CDU/CSU)

Ich nenne den Breitbandausbau und den Mobilfunk- Vizepräsidentin Petra Pau: ausbau. Nach wie vor liegen zu viele Orte in unseren Das Wort hat der Kollege Artur Auernhammer für die ländlichen Regionen am digitalen Feldweg. Das muss CDU/CSU-Fraktion. sich ändern; hier müssen wir schneller und besser voran- kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) 16134 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Artur Auernhammer (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Daten- (C) Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da- hoheit ist bereits angesprochen worden. Digitale Feld- men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist früchte gehören den Bauern und nicht irgendwelchen heute schon vielfach die Agritechnica angesprochen wor- Konzernen. Da sind vielleicht noch die gesetzlichen Rah- den. Diese Fachmesse, organisiert von der Deutschen menbedingungen nachzujustieren. Das kann zwar auch Landwirtschafts-Gesellschaft, findet nicht umsonst in Deutschland, aber dafür ist auch ein europäischer Rah- Deutschland statt. Sie findet deswegen in Deutschland men notwendig. Hier ist die europäische Politik gefordert. statt, weil wir hier vom Allgäu bis ins Emsland sehr viele Zum Schluss noch eine Bemerkung. Wenn wir Land- hochinnovative mittelständische Landtechnikunterneh- wirte fragen: „Warum setzen Sie die Technik ein?“ oder men haben, die teilweise aus einer Dorfschmiede entstan- „Warum setzen Sie die Technik nicht ein?“, dann be- den sind und sich unwahrscheinlich entwickelt haben. kommt man in erster Linie die Antwort: Es rentiert sich Die deutsche Landtechnikindustrie ist auch ein nicht; es kostet zu viel. – Deshalb ist es wichtig, dass wir bedeutender Faktor, was Arbeitsplätze und Innovation hier auch die überbetriebliche Zusammenarbeit stärken. in Deutschland anbelangt. Das müssen wir hier auch Da kommt den Maschinenringen und Lohnunternehmen mal erwähnen. Das hat seine Ursache auch darin, dass eine ganz wichtige Rolle zu, damit auch eine klein- und wir in Deutschland sehr viel in diesem Bereich forschen mittelbäuerliche Struktur diese Technik nutzen kann und und entwickeln. Das ist schon seit Jahrzehnten so: An sie auch im Sinne der Umwelt und ihrer eigenen Betriebe verschiedenen Universitäten wurde die Satellitennaviga- einsetzen kann. tion erfunden, und jetzt sind wir in der praktischen Um- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. setzung. (Beifall bei der CDU/CSU) In Hannover machen von den über 400 000 Besuchern, die am Samstagabend die Agritechnica besucht haben, Vizepräsidentin Petra Pau: einen hohen Anteil internationale Gäste aus. Das zeigt, dass die deutsche Landtechnikindustrie weltweit führend Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. ist, und das zeigt auch, dass die deutsche Landtechnik- Tagesordnungspunkt 32 a. Wir kommen zur Abstim- industrie wesentlich besser aufgestellt ist als vielleicht die mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für deutsche Automobilwirtschaft. Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Frak- tionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Chancen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Digitalisierung nutzen – Offener Zugang und standar- disierte Datenformate für eine zukunftsfähige Landwirt- (B) Aber wir haben die Sorge, ob das auch in Zukunft so (D) bleibt. Konzerne übernehmen die eine oder andere mittel- schaft 4.0“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- ständische Firma, und wir als Landwirte und als Nutzer empfehlung auf Drucksache 19/11242, den Antrag der müssen uns damit auseinandersetzen. Deshalb brauchen Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/ wir auch Rahmenbedingungen, die uns in die Lage ver- 10147 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- setzen, diese Technik zu nutzen. Wir wissen alle: Die fehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Digitalisierung wird innerhalb der Landwirtschaft einen AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer Wandel herbeiführen, der uns genauso beeinflussen wird enthält sich? – Das sind die FDP-Fraktion, die Fraktion wie die Umstellung vom Pferd auf den Schlepper. Aber Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die wenn alles nur noch über große Konzerne und große Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Softwarefirmen funktioniert, dann müssen wir als Politik Tagesordnungspunkt 32 b. Abstimmung über die Be- auch handeln. schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir rie- dem Titel „Chancen der Digitalisierung für die Landwirt- sige Chancen haben, muss uns auch bewusst sein. Die schaft und ihre Wertschöpfungskette nutzen“. Der Aus- Digitalisierung wird dazu führen, dass sich konventionel- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf le Landwirtschaft und ökologische Landwirtschaft ir- Drucksache 19/14494, den Antrag der Fraktion der FDP gendwann wieder verbinden. Das ist schlecht für die Grü- auf Drucksache 19/436 abzulehnen. Wer stimmt für diese nen – dann haben die kein Feindbild mehr –; Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen. Wer (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion und die AfD-Frak- NEN]: Oh! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ tion. Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke und die DIE GRÜNEN]: Und das von der CDU! Das Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfeh- ist jetzt aber echt lächerlich!) lung ist angenommen. aber wir haben dann wieder eine zukunftsorientierte land- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: wirtschaftliche Produktion, und daran gilt es zu arbeiten. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Britta Grundlage dafür ist natürlich, dass wir auch flächen- Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- deckend mit der Infrastruktur versorgt sind. Das heißt 4G, tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN besser: 5G, an jeder Fichte, an jedem Weizenhalm. Es muss uns klar sein, dass wir da als Bundesregierung noch Transparenz bei Regierung und Behörden weiter tätig werden müssen. stärken, Informationsfreiheitsgesetz des Bun- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16135

Vizepräsidentin Petra Pau (A) des zu einem Transparenzgesetz weite- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wie (C) rentwickeln lange haben Sie denn für diese Pointe geübt? – Zuruf des Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU]) Drucksache 19/14596 – Herr Amthor, Sie regieren ja auch in dem ein oder Überweisungsvorschlag: anderen Land. Es ist vielleicht ja auch ein Lob für die. - Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Was? Ich bin Ausschuss Digitale Agenda Abgeordneter! Ich regiere gar nicht!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Sie zeigen, was alles möglich ist. Sie geben die Richtung Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen klar vor. Wir müssen endlich weg vom preußischen Ob- Widerspruch. Dann ist so beschlossen. rigkeitsdenken, und wir müssen hin zu einer vitalen de- mokratischen Politik, die den Menschen auf Augenhöhe Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege begegnet. Dr. Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir zur verkorksten Halbzeit der Großen Koalition diesen Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Antrag vorgelegt. Sie haben sich nämlich selbst wortreich NEN): und vielfach, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es und Union, in Ihrem Koalitionsvertrag zur Informations- gibt wohl kein anderes digitalpolitisches Thema, bei dem freiheit und zum Zugang zu offenen Daten bekannt und sich alle Expertinnen und Experten so einig sind wie beim angekündigt, das alles verbessern zu wollen. Thema Open Data; ob nun Wissenschaft, Forschung, Zi- (Manuel Höferlin [FDP]: Das stimmt!) vilgesellschaft, Regierung oder Opposition – große Ei- nigkeit. Offene Daten haben einen ganz erheblichen Geschehen ist aber bis zum heutigen Tag gar nichts. Ein Mehrwert für die Erhöhung von Transparenz, für die Er- zweites Open-Data-Gesetz gibt es nicht, und Ihre Lethar- möglichung von Beteiligung und für die verstärkte Legi- gie ist für die Bundesebene der viertgrößten Wirtschafts- timation politischer Entscheidungen, aber eben auch für nation der Welt einfach peinlich. die Wissenschaft und Forschung, für E-Government-An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebote, innovative Anwendungen und Apps und den im- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) mer wichtiger werdenden Datenjournalismus. Daher (B) (D) müssen wir endlich vorankommen und nicht personen- Lassen Sie den großkoalitionären Versprechungen im beziehbare Daten nutzbar machen. Vertrag endlich Taten folgen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ich glaube, Sie wären besser nach Bielefeld gefah- Das Handeln von Regierung und Verwaltung muss ren!) heute einfach transparenter, offener und nachvollziehba- rer werden; denn in der Öffnung der – übrigens ja über- Schauen Sie, was derzeit auf EU-Ebene in Sachen PSI- wiegend mit öffentlichen Geldern geschaffenen – Daten- Richtlinie läuft. Schauen Sie in den Zweiten Nationalen bestände liegen enorme – auch wirtschaftliche – Aktionsplan, den Sie in der Open Government Partner- Potenziale. ship vorgelegt haben, und folgen Sie Ihrer darin einge- gangenen Verpflichtung, bis Mai 2020 – das ist bald – Als Bund waren wir hier mal Vorreiter. Das unter Rot- eine neue Open-Data-Strategie vorzulegen. Schaffen Sie Grün geschaffene IFG war eine echte Erfolgsgeschichte. endlich mehr Offenheit und ein Bundestransparenzge- setz, das diesen Namen auch verdient. Beteiligen Sie (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Na ja!) die Zivilgesellschaft: die Open Knowledge Foundation Aber heute, nach fast 15 Jahren, muss es dringend refor- und viele andere, die schon lange darauf warten, ihre miert werden. Expertise stärker einzubringen. Und: Raubkopieren Sie skrupellos aus unserem schönen Antrag; darüber würden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir uns sehr freuen. Hauptsache, wir kommen bei dem Den bestehenden Flickenteppich verschiedenster Infor- wichtigen Thema endlich voran. mationsfreiheitsgesetze müssen wir beseitigen, die Chan- Ganz herzlichen Dank. cen von Internet und Digitalisierung nutzen und die Idee der Informationsfreiheit endlich um die von offenen, gut (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – aufbereiteten Daten ergänzen. Manuel Höferlin [FDP]: Open Antrag, der grü- ne Antrag!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Da ist Ihnen der Datenschutz nicht so wichtig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Danke. – Das Wort hat der Kollege Philipp Amthor für Längst haben die Länder mit ihren neuen Transparenz- die CDU/CSU-Fraktion. gesetzen und Open-Data-Portalen dem großkoalitionär verschnarchten Bund den Rang abgelaufen. (Beifall bei der CDU/CSU) 16136 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Philipp Amthor (CDU/CSU): kooperieren, wenn sie die Sorge haben müssten, dass (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Informationen, die sie unseren Behörden geben, am „Transparenz bei Regierung und Behörden stärken, Infor- nächsten Tag bei irgendwelchen Internetaktivisten auf mationsfreiheitsgesetz des Bundes zu einem Transpa- dem Schreibtisch liegen? Das finden wir nicht überzeu- renzgesetz weiterentwickeln“, das klingt ja wirklich so, gend, liebe Kolleginnen und Kollegen. als könne man das nicht ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So GRÜNEN]: Steht im Koalitionsvertrag!) ein Quatsch! An den Haaren herbeigezogen!) Aber es ist dann doch mal wieder nur grüne Wohlfühle- Im Übrigen sollten Sie sich einmal vergegenwärtigen, tikettierung. Genau das werden wir herausarbeiten. wie weit Ihre Informationsansprüche gehen, die Sie for- dern. In der Begründung Ihres Antrags sagen Sie, es sei (Beifall bei der CDU/CSU) ein Problem, dass Bürger zum Beispiel keine Informatio- Denn eines ist klar: Auch wenn man gegen Ihren An- nen über Flugbewegungen von CIA-Flügen im deutschen trag ist, ist man nicht automatisch für eine verschlossene Luftraum oder über Rüstungsexporte nach Katar bekom- Regierung. – Wir sind sehr wohl für Transparenz. Ich will men hätten. Ich kann Ihnen sagen: Sie sollten bedenken, bei all der Kritik am ach so verschlossenen Staat auch dass es vielleicht sinnvoll ist, den Bürgern nicht weiter- einmal hervorheben, was unsere Beamten der Bundesbe- gehende Informationsansprüche zu geben, die die Abge- hörden leisten. Wir haben schon heute viele Transparenz- ordneten selbst nur aus guten, durch das Staatswohl kon- möglichkeiten. Schauen wir uns an, was allein 2018 bei ditionierten Gründen haben. Geltung des Informationsfreiheitsgesetzes geschehen ist: fast 14 000 erledigte und beschiedene Anträge, dazu Tau- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sende in den Ländern. Da kann man sagen: Unsere Be- NEN]: Was ist das denn für ein Argument?) hörden machen eine gute Arbeit. Deswegen sage ich an dieser Stelle: Die internationalen Beziehungen bleiben für uns Schutzgut des Informations- (Beifall bei der CDU/CSU) freiheitsrechts, und das ist auch gut so, liebe Kolleginnen Ich will richtigerweise sagen: Ja, beim Thema Open und Kollegen. Data besteht Nachholbedarf. Der Kollege Marian Wendt wollte dazu ausführen, hat seine Rede aber aus persön- (Beifall bei der CDU/CSU) lichen Gründen zu Protokoll gegeben. Jenseits von Open Sie wollen – das ist das größte Problem Ihres Antrags Data greifen Sie berechtigte Punkte auf, lieber Kollege und zeigt die typisch grüne Denke, die sich von unserer (B) von Notz, wenn Sie sagen: Das Informationsrecht ist zer- unterscheidet – den Kreis der Anspruchsberechtigten aus- (D) splittert. Das Verhältnis der einzelnen Auskunftsansprü- weiten. Sie haben vorhin Rot-Grün gelobt und den ersten che zueinander ist nicht überzeugend geregelt. – Das ist Entwurf des IFG. Dazu sage ich: Vieles daran war nicht rechtspolitisch durchaus eine berechtigte Kritik. Die Lö- gut, aber eine Regelung, die der damalige Gesetzgeber sung ist Ihnen allerdings auch nicht gelungen. Sie wollten getroffen hat, war sinnvoll. Man hat sich damals nämlich die Bundesregierung auffordern, das zu tun. bewusst entschieden, Bürgerinitiativen und Verbände aus (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE dem Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgeset- GRÜNEN]: Lassen Sie uns mal regieren! Dann zes herauszunehmen. Man hat gesagt, der einzelne klappt das auch!) Bürger, der in einer Bürgerinitiative ist, hat ohnehin einen Auskunftsanspruch; da muss er sich nicht hinter der Bür- Insofern muss man sagen: Guter Ansatz; Lösung noch gerinitiative verstecken. – Das wollen Sie heute wieder nicht so gut ausgebaut. ändern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihre Vorstellung ist grundlegend schief. Denn es gibt Im Übrigen geht Ihr Antrag, was das Informationsfrei- nämlich nicht nur die interessierten Bürger; vielmehr be- heitsrecht angeht, einfach zu weit und ist dann auch von nutzen viele Ihrer interessierten Bürger und sogenannten einer großen Ferne zur Verwaltungspraxis geprägt. Das Aktivisten an vielen Stellen Transparenzregelungen, um zeigt sich zuallererst, wenn wir uns die Ausnahmetatbe- unsere Behörden vorzuführen. Das ist sicherlich nicht der stände für Informationsansprüche ansehen; denn es gibt – richtige Weg. ich finde, das ist nachvollziehbar – Gründe, aus denen der (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Müller [Er- Staat Informationsanfragen der Bürger ablehnen kann. langen] [CDU/CSU]: Organisationen, die sel- Das ist allerdings die Ausnahme. Von den erwähnten ber intransparent sind! Deutsche Umwelthilfe!) 13 600 IFG-Anträgen im letzten Jahr wurden nur 941 abgelehnt. Das ist also eine verschwindend geringe Zahl; Das sieht man an den aktuellen Fällen. Ich denke an Ak- da sollten Sie nicht so tun, als sei das ein überbordend tivisten, an Vereine, die nicht einmal zehn Mitglieder ha- großes Problem. ben und bundesweit eine große Welle gegen Hubertus- messen und gegen Jäger machen. Und das sind dann die Was mich aber am allermeisten stört: Sie wollen die breiten gesellschaftlichen Kräfte, von denen Sie spre- Bereichsausnahme für unsere Nachrichtendienste strei- chen. chen, für den BND, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den MAD. Diese Ausnahme ist sinnvoll. Denn wel- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE che Nachrichtendienste der Welt sollten denn mit uns GRÜNEN]: Was? Wovon reden Strunz?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16137

Philipp Amthor (A) Das finde ich nicht überzeugend. formationen folgt noch kein größeres Vertrauen in die (C) Regierung oder in die Politik, sondern Vertrauen bekom- (Beifall bei der CDU/CSU) men Sie nur, wenn Sie Informationen einordnen und kon- Deswegen sollten wir hier auf Waffengleichheit setzen. textualisieren. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe als Ab- Ich pointiere das ein bisschen: geordnete, und das können wir auch am besten. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir haben Kritik an Ihrem Antrag, und die werden wir NEN]: Jetzt reden wir über das Waffenrecht, im Ausschuss diskutieren. oder was?) Herzlichen Dank. Die einzelnen Bearbeiter im IFG-Verfahren sind teilweise völlig schutzlos. Die Namen unserer Beamten in den (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin Bundesbehörden werden dann im Internet veröffentlicht, von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An und Sie wollen sich hinter irgendwelchen Bürgerinitiati- den Haaren herbeigezogen!) ven verstecken. Ich kann Ihnen sagen, woran mich das erinnert: Es erinnert mich daran, was Leute aus dem lin- Vizepräsidentin Petra Pau: ken und grünen Spektrum immer gerne wollen: einen Während sich der Abgeordnete Dr. Christian Wirth für linken Aktivisten, am besten vermummt, gegen einen Po- die AfD-Fraktion ans Redepult begibt, mache ich aus ge- lizisten, der seine Adresse am besten auf dem Helm tra- gebenem Anlass darauf aufmerksam, dass wir im Ältes- gen soll. Das ist der völlig falsche Weg. tenrat und unter den Fraktionen die Verabredung haben, (Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie dass wir erstens im Plenum keine Fotos fertigen bei Abgeordneten der FDP – Lachen beim beim (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke Frau von Storch, merken Sie sich das endlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind in der mal!) falschen Debatte!) und zweitens, sollte das aus welchen Gründen auch im- Wir brauchen hier keinen Generalverdacht gegen Men- mer geschehen, diese nicht veröffentlicht werden. Wir schen, die Informationsansprüche wollen; aber Ihre haben uns darauf verständigt, dass es sanktioniert wird, Punkte gehen einfach zu weit. wenn gegen diese Regel verstoßen wird. Ich hoffe, alle Die schöne Pointe ist – das will ich noch sagen –: Wer wissen, was sie mit diesem Hinweis anfangen müssen. soll das nach den Vorstellungen der Grünen wohl bezah- len? Na, raten Sie einmal. Genau: die Allgemeinheit und Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Christian Wirth für (B) der Steuerzahler. die AfD-Fraktion. (D) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der AfD) GRÜNEN]: Ja, die bezahlen auch dich, Mann!) Dr. Christian Wirth (AfD): Das ist eine völlig falsche Akzentuierung. Die Gebühren- pflicht ist heute bei Informationsfreiheitsansprüchen Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Die Bundesregie- schon die Ausnahme. Nur gut 8 Prozent der Ansprüche rung kennt keine Eile. Ein 14 Jahre altes Informations- sind überhaupt gebührenpflichtig, und nur bei 2,5 Prozent freiheitgesetz ist noch gut; das hält noch ein bisschen, am aller Ansprüche im letzten Jahr lagen die Gebühren bei besten stellt man es kalt. In diesen 14 Jahren, die meisten über 100 Euro. Sie stellen das hier als großes Problem dar. unter einer Kanzlerin Merkel, hat die Bundesregierung ein paar wichtige Lektionen gelernt. Nicht, dass man Ge- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE setz auch an neue technologische Möglichkeiten anpas- GRÜNEN]: Nein! Das stimmt nicht!) sen könnte, auch nicht, dass eine Politik gegen das eigene Volk zu Stimmenverlusten führt. Aber sie hat gelernt, Ich sage Ihnen: Der Steuerzahler muss nicht irgendwel- dass sie nun wirklich keine Öffentlichkeit und keine che unsinnigen Einzelinteressen bezahlen. Transparenz gegenüber ihren potenziellen und ehemali- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE gen Wählern gebrauchen kann. GRÜNEN]: Lesen Sie den Antrag!) Fällt das Licht auf die Tätigkeit der vergangenen Ka- Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele aus der Verwal- binette, sieht man eine aufgescheuchte Herde, getrieben tungspraxis. Die Behörden wurden gebeten, die Menge von der jeweils aktuellsten Umfrage und der letzten De- des Toilettenpapiers einer Behörde oder die Anzahl der mo in Kanzleramtsnähe. Die fehlende Kompetenz wird, gedruckten Grundgesetze, geordnet nach Jahren, aufzu- so hofft man, durch teure Berater ersetzt. Ja, wer seine listen. Ich freue mich über jeden, der sich für das Grund- Geschäfte so führt, der will sicherlich keine Transparenz. gesetz interessiert; aber ich finde, wenn ein Bürger das Wenn man wirklich will, genug Zeit und ein wenig Geld wissen will, kann er es bitte schön auch selbst bezahlen. hat und auch keine zu impertinenten Fragen stellt, kann Das muss nicht der Steuerzahler bezahlen. man auch heute schon Auskünfte von der Bundesregie- rung und den Bundesbehörden erhalten. Aber die einzi- (Beifall bei der CDU/CSU) gen staatlichen Unterlagen, auf die man im Internet prob- Im Übrigen, seien Sie ein bisschen selbstbewusst. Die lemlos und zeitnah zugreifen kann, liegen auf Wikileaks. Kernaufgabe der parlamentarischen Kontrolle liegt bei Das Informationsfreiheitsgesetz mag, bei all seinen Feh- den Abgeordneten. Allein aus der Verfügbarkeit von In- lern, im Jahr 2005 ein großer Wurf gewesen sein. Im Jahr 16138 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Dr. Christian Wirth (A) 2019 könnte es genauso gut die Speicherung der Daten Vizepräsidentin Petra Pau: (C) auf Lochkarten verlangen. Den Beitrag des Abgeordneten Falko Mohrs für die SPD-Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat Deshalb ist der Antrag der Grünen auch der AfD der Kollege Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. grundsätzlich willkommen, auch wenn er erfahrungsge- mäß der Bundesregierung völlig egal sein wird. Der An- (Beifall bei der FDP) trag greift viele Punkte auf, die wir so unterschreiben können. Was die Bürger bereits jetzt auf Antrag unprob- Manuel Höferlin (FDP): lematisch verlangen können, muss jederzeit kostenlos Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- und anonym abrufbar online verfügbar sein. Es muss legen! Die digitale Transformation fordert uns heraus, staatliche Routine werden, amtliche Dokumente und Vor- offen für Neues zu sein. Das bedeutet, alte Schubladen gänge unmittelbar nach Abschluss online verfügbar zu zu schließen und neu zu denken. Doch gerade unsere machen, und zwar im Rahmen nur der notwendigen Ver- staatlichen Stellen, ja auch wir selbst hier im Haus, be- schwiegenheit. Open Data ist kein Hexenwerk; das kön- merken es oft: Das ist extrem schwer. nen sogar Sie hinbekommen, liebe Bundesregierung. Die Bundesregierung und ihre Behörden sollten, finde In einem demokratischen Rechtsstaat, der seinen Bür- ich, weniger darüber nachdenken, mit welcher Begrün- gern dient und sie nicht beherrscht, muss es auch grund- dung sie Anträge auf Informationsfreigabe oder Informa- sätzlich möglich sein, in den Bereich der Geheimdienste tionsherausgabe ablehnen oder Informationen unter Ver- Einblicke zu erlangen. Der gesetzliche Rahmen muss hier schluss halten. Mein Kollege Jimmy Schulz hat bereits eng gesetzt sein; aber es muss ihn geben. Auch der Ver- mit einem Antrag auf eine absolut dreiste Praxis hinge- weis auf die mögliche Belastung internationaler Bezie- wiesen. Es gibt Fälle, in denen das Urheberrecht dafür hungen darf keine Ausrede sein. Es ist nicht Aufgabe der benutzt wird, die Veröffentlichung von öffentlichen In- Bundesregierung, das fragwürdige Treiben anderer Na- formationen zurückzuhalten. Es gibt inzwischen Ge- tionen zu decken. Wenn die Bundesregierung Dinge tun richtsverfahren, die das belegen. muss, die sie dem deutschen Volk besser vorenthält, um Wir kennen die Praxis übrigens auch aus dem Bundes- gute Beziehungen zu anderen Staaten zu unterhalten, ma- tag. Den Gedanken, etwas lieber erst mal nicht herauszu- chen wir uns vielleicht lieber ein paar Feinde. geben, kennen wir als Abgeordnete, wenn wir Fragen an die Bundesregierung stellen und Antworten in Form von Darüber hinaus halten wir die geforderte Kostenober- Nichtantworten erhalten. Das kann aber nicht so bleiben. grenze von 500 Euro schon für zu hoch. Nur in Ausnah- (B) mefällen sollten für den Bürger überhaupt Kosten anfal- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ralph (D) len. Jedem interessierten Bürger und nicht nur finanziell Lenkert [DIE LINKE]) unterfütterten Organisationen oder Medienvertretern In den Verwaltungen und den Behörden muss dringend muss es möglich sein, der Regierung auf die Finger zu ein Umdenken stattfinden. Die Idee der Informationsfrei- schauen. Eine Kostenexplosion ist ebenfalls nicht zu heit muss neu gedacht werden; denn es bieten sich enor- erwarten. Der Open-Data-Ansatz wird, wenn die Bundes- me Chancen in der digitalen Transformation. Brauchen regierung ihn so ernst nähme, wie er im eigenen Koali- wir überhaupt noch ein Antragsverfahren? Warum sollten tionsvertrag steht, bereits einen Großteil der möglicher- öffentliche Informationen nicht automatisch veröffent- weise angefragten Daten kostengünstig und zeitnah licht werden? bereitstellen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Eine entsprechende digitale Struktur für die restlichen NEN]: Genau!) Dokumente sollte auch die Bearbeitungszeit, abgesehen von außergewöhnlichen Fällen, deutlich unter den derzeit Dann aber bitte nicht als schlecht gedruckter Scan, son- vorgesehenen Monat drücken. Außerdem sollte es auch dern bitte ungefragt in einem Standardformat, maschi- möglich sein, auf Dokumente zuzugreifen, die sich auf nenlesbar, dauerhaft und frei verfügbar. laufende Beratungen von Behörden beziehen. Entwürfe (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und Notizen sind bereits anderweitig geschützt; das ist der LINKEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ auch sinnvoll. Aber die Grundlage, auf der Gesetze und DIE GRÜNEN]: Genau so muss es sein!) Vorschriften entstehen, sollte schon verfügbar sein, bevor das dazugehörige Verfahren öffentlich beginnt. Die FDP – mein Kollege Bernd Schlömer – hat im Berliner Abgeordnetenhaus einen Vorschlag eingebracht, Zusammengefasst.: Der Antrag ist eine Arbeitsgrund- der das auch umsetzen möchte. Er kehrt das Prinzip um. lage, auf der wir im Ausschuss gerne für mehr Transpa- Der Bürger ist dann nicht mehr Bittsteller beim Staat, renz für die Bürger kämpfen wollen. Die Bundesregie- sondern der Staat gestaltet seine Verfahren so, dass sein rung sollte sich wiederum schämen, dieses Thema so Handeln für den Bürger transparent und öffentlich ver- sträflich und, so wirkt es, absichtlich vernachlässigt zu fügbar ist. Herr Amthor, genau das ist der Punkt. Es geht haben. nämlich darum, dass der Bürger diese Dinge präsentiert bekommt und wir alle – die Gesellschaft – etwas daraus Vielen Dank. Ein schönes Wochenende! machen können; denn diese Informationen sind teilweise

(Beifall bei der AfD) 1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16139

Manuel Höferlin (A) viel wertvoller, als der Verwaltungsbeamte vielleicht im (Beifall bei der LINKEN) (C) ersten Moment denkt. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): DIE GRÜNEN – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- Gegen Open Data haben wir auch nichts!) legen! Die Bundesregierung verspricht uns schon länger viel Transparenz und Open Government, vor allem seit Für mich geht es beim Thema Informationsfreiheit um dem Beitritt zur Open-Government-Partnership, den ich mehr als um Akzeptanz und Transparenz. Es geht eben im Übrigen begrüße, einem Erfahrungsaustausch zwi- um diesen Datenschatz, von dem ich gerade gesprochen schen Ländern auch zur Umsetzung des transparenten habe. Es geht darum, ob wir vielleicht die Entwicklung Staats. einer besseren Wetter-App durch Daten, die die öffent- liche Hand bereits hat, besser gestalten können, ob wir In der Realität haben wir aber zu wenig Transparenz. vielleicht eine Busverbindung besser bzw. sekundenge- Wir haben ein Open-Data-Portal, ja, aber es gibt dort viel nau timen oder eine künstliche Intelligenz mit Daten trai- zu wenig maschinenlesbare Daten. Wir haben kein Lob- nieren können, die beim Onlinebehördengang hilft. Auf- byregister – immer noch nicht. Wir haben keinen legisla- grund dieser Daten, der Informationen, lassen sich solche tiven Fußabdruck und können immer noch nicht erken- Dinge vielleicht in Zukunft tun, und wir öffnen den Markt nen, welche Paragrafen aus Gutachten von Lobbyisten für Ideen. Das ist digitale Transformation; das hilft uns Paragrafen in Gesetzen geworden sind. Das alles fordert bei Innovationen weiter. Die Linke schon länger. Die GroKo lehnt ab und ver- spricht gleichzeitig mehr Transparenz. Das ist ein wenig (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ lächerlich. DIE GRÜNEN) Deshalb wollen wir eine konsequente Open-Data-Stra- (Beifall bei der LINKEN) tegie, die dann auch in Informationsfreiheit mündet, da- Die gleiche GroKo strengt eine Urheberrechtsklage mit Gesellschaft, Wirtschaft und Staat von diesen Daten, gegen den MDR an wegen der Veröffentlichung eines den Informationen, auch profitieren können. Glyphosatgutachtens des Bundesinstituts für Risikobe- Viele von Ihnen wissen: Ich komme aus der IT. Da wertung. FragDenStaat, eine spendenfinanzierte zivilge- sprechen wir oft von Schichten. Die Verwaltung zu mo- sellschaftliche Plattform für Informationsfreiheit, hat das dernisieren, ist im Prinzip wie das Schälen einer Zwiebel. gleiche Gutachten über eine Informationsfreiheitsanfrage Schicht für Schicht muss man sich die Dinge ansehen. Es angefordert, erhalten, ins Netz gestellt und wurde eben- falls wegen Urheberrechtsverletzung abgemahnt. An- (B) reicht eben nicht, nur die oberste Schicht dieser Zwiebel (D) anzuschauen. Die Bundesregierung hat mit ihren Ideen schließend haben sich 40 000 Menschen das Gutachten und ihren Vorhaben bisher immer nur die äußerste Schicht über so eine Anfrage besorgt. Die Klage wurde im einst- angeschaut. weiligen Verfahren im Juli 2019 vom Landgericht Köln entschieden. Das Gutachten steht also wieder im Netz. Auch beim Onlinezugangsgesetz geht es nur um die Die Linke drückt FragDenStaat auch im Hauptverfahren Oberfläche, um die äußerste Schicht. Der Gedanke, wir die Daumen und fordert von der Bundesregierung: End- revolutionieren die Verwaltung, indem wir die Verfahren lich Schluss mit dem Missbrauch des Urheberrechts! für die Bürger ändern, greift zu kurz. Die Verwaltungs- Schluss mit dem Zensurheberrecht! leistung dahinter, das ganze Arbeiten der Verwaltung, muss digital transformiert werden. Das erreichen wir (Beifall bei der LINKEN) nicht, wenn Behörden sich weiter Faxe zuschicken. Da- Gerade bei Umwelt und Gesundheit braucht es maxi- hinter muss digital transformiert werden, damit es ein male Transparenz. Da fehlt sie aber besonders oft. Das Gesamtprozess wird. sehen wir im Fall Glyphosat. Wir sehen es aber auch im (Beifall bei der FDP) Dieselskandal. Seit 2017 lag dem Verkehrsministerium ein Gutachten vor, nach dem die Abschalteinrichtung Bitte, liebe Bundesregierung, liebe Große Koalition, bei Audi illegal ist. 2017! Das Datum ist brisant, weil nehmen Sie sich dieser Vielschichtigkeit an. Ich fordere die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt einfach nichts Sie auf, mehr Tempo zu machen, zum Beispiel bei der E- getan hat. Sie stand nicht an der Seite der Bürgerinnen Akte, bei der Registermodernisierung. Ich fordere Sie und Bürger. Sie stellte sich als größte Lobby der Auto- auf: Denken Sie neu! Haben Sie Mut! Dann klappt das industrie dar, selbst wenn diese Gesetze brach, indem sie auch mit dem Informationsfreiheitsgesetz und der Trans- Betroffenen diese Daten vorenthält. parenz. Auch hier hat FragDenStaat eine Klage gegen das Vielen Dank. Kraftfahrt-Bundesamt angestrengt. Die Deutsche Um- welthilfe hat gegen das Verkehrsministerium geklagt, in (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ diesem Fall, weil offizielle Messprotokolle, anders als in DIE GRÜNEN) anderen Ländern üblich, nicht öffentlich gemacht worden sind. Die Bundesregierung agiert ganz offensichtlich Vizepräsidentin Petra Pau: nach dem Motto: So wenig Transparenz wie möglich. Das Wort hat die Kollegin Anke Domscheit-Berg für Und das zum Nachteil Betroffener, selbst bei rechtskräf- die Fraktion Die Linke. tigen Urteilen. 16140 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

Anke Domscheit-Berg (A) Der beste Staat ist aber ein gläserner Staat, in dem es Danke. (C) keine Klagen braucht, um Informationsansprüche durch- zusetzen. An den Beispielen sehen wir, dass wir weit ent- (Beifall bei der LINKEN) fernt sind vom Ideal. Das Open-Data-Gesetz ist ungenü- gend. Es muss ausgeweitet und präzisiert werden. Wir Vizepräsidentin Petra Pau: brauchen ein Transparenzgesetz. Den Beitrag des Kollegen Marian Wendt aus der CDU/ Heute übrigens fand in Berlin am Nachmittag der Tag CSU-Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Ich schließe der Demokratie statt. Es war mir ein großes Vergnügen, damit die Aussprache. dabei zu sein und mir die 22 Forderungen, die der Bürger- rat dort präsentiert hat, anzuhören. Von den Teilnehmern Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf des Bürgerrates haben über 97 Prozent die Einrichtung Drucksache 19/14596 an die in der Tagesordnung aufge- eines Lobbyregisters gefordert. Das wollen Bürger haben, führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- und es muss endlich kommen. weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- fahren wir wie vorgeschlagen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- Christian Petry [SPD]) nung. Gesetze reichen aber nicht. Wir brauchen auch einen Kulturwandel, nach dem Transparenz ein selbstverständ- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- licher Wert in Ämtern und Ministerien ist. Das passiert tages auf Dienstag, den 26. November 2019, 10 Uhr, ein. nicht von selbst. Es passiert auch nicht über Nacht. Das braucht Entschlossenheit, Zeit, Ressourcen und vor allem Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute. Den Kollegin- Vorbilder. Ein Vorbild ist zum Beispiel Minister Andi nen und Kollegen aus der Bundestagsverwaltung, die Scheuer nicht. Vorbildlich ist bisher die Zivilgesellschaft, jetzt noch die Veranstaltung für Sonntag hier im Plenar- die sehr aktiv ist. Aus diesem Grunde möchte ich explizit saal vorbereiten, wünsche ich einen baldigen erholsamen FragDenStaat besonders danken. Feierabend.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Beifall) Christian Petry [SPD]) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen Die Sitzung ist geschlossen. zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafgesetz- (B) buch verloren haben. § 219a muss weg – immer noch. (Schluss: 17.20 Uhr) (D)

1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16141

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1

Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Annen, Niels SPD Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ Mattfeldt, Andreas CDU/CSU DIE GRÜNEN Mayer (Altötting), Stephan CDU/CSU Brandt, Michel DIE LINKE Michelbach, Dr. h. c. Hans CDU/CSU Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Middelberg, Dr. Mathias CDU/CSU Busen, Karlheinz FDP Neumann, Christoph AfD Christmann, Dr. Anna BÜNDNIS 90/ Nissen, Ulli SPD DIE GRÜNEN Nord, Thomas DIE LINKE De Ridder, Dr. Daniela SPD Paus, Lisa BÜNDNIS 90/ Espendiller, Dr. Michael AfD DIE GRÜNEN Föst, Daniel FDP Peterka, Tobias Matthias AfD Freihold, Brigitte DIE LINKE Petry, Dr. Frauke fraktionslos Gerdes, Michael SPD Podolay, Paul Viktor AfD (B) (D) Gnodtke, Eckhard CDU/CSU Poschmann, Sabine SPD Gohlke, Nicole DIE LINKE Remmers, Ingrid DIE LINKE Gottberg, Wilhelm von AfD Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hagedorn, Bettina SPD Roth (Heringen), Michael SPD Hartmann, Verena AfD Rottmann, Dr. Manuela BÜNDNIS 90/ Herbrand, Markus FDP DIE GRÜNEN Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hocker, Dr. Gero Clemens FDP Schielke-Ziesing, Ulrike AfD Högl, Dr. Eva SPD Schmidt (Aachen), Ulla SPD Höhn, Matthias DIE LINKE Schneider (Erfurt), Carsten SPD Jensen, Gyde * FDP Schneidewind-Hartnagel, BÜNDNIS 90/ Kamann, Uwe fraktionslos Charlotte DIE GRÜNEN Kemmerich, Thomas L. FDP Schnieder, Patrick CDU/CSU Komning, Enrico AfD Schüle, Dr. Manja SPD Kotré, Steffen AfD Schulz, Jimmy FDP Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marks, Caren SPD Schwartze, Stefan SPD Marschall, Matern von CDU/CSU 16142 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Auch bei der Grundsteuer W sehen wir Gefahren, dass (C) Abgeordnete(r) es zu unerwünschten Effekten kommt und zum Beispiel Grundstückseigentümer belastet werden, auf deren Ullrich, Gerald FDP Grundstück gar kein Windrad steht. Ein Inkrafttreten pa- rallel zur Grundsteuer C im Jahr 2025 mit einer Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE sorgfältigeren Prüfung wäre aus unserer Sicht angebracht gewesen. Weber, Gabi SPD In Abwägung unserer Überlegungen stimmen wir dem Wellenreuther, Ingo CDU/CSU vorliegenden Gesetzentwurf dennoch zu. Die energeti- Weyel, Dr. Harald AfD sche Gebäudesanierung und die Umsatzsteuersenkung beim Schienenfernverkehr sind zu wichtig, als dass sie Witt, Uwe AfD wegen anderer Bedenken nicht umgesetzt werden. Zimmermann (Zwickau), DIE LINKE Sabine

*aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO

Anlage 2 des Abgeordneten Fritz Güntzler (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Erklärung nach § 31 GO Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im der Abgeordneten Sebastian Brehm, Dr. Carsten Steuerrecht Brodesser, Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach, (Tagesordnungspunkt 25 c) Johannes Steiniger und Antje Tillmann (alle CDU/ CSU) zu der Abstimmung über den von der Bun- Zu meiner Zustimmung zum Gesetzentwurf zur Um- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes setzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuer- zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 recht – Drucksachen 19/14937 und 19/14338 – erkläre im Steuerrecht ich: (B) (Tagesordnungspunkt 25 c) (D) Ich unterstütze das Vorhaben, den CO2-Ausstoß als Zu unserer Zustimmung zum Gesetzentwurf zur Um- größten Treiber des Klimawandels schnell und effektiv setzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuer- zu bekämpfen. Mit dem Klimapaket haben wir uns große recht – Drucksachen 19/14937 und 19/14338 – erklären Ziele gesetzt. Dieses Klimapaket wollen wir jetzt mit wir: zahlreichen Gesetzespaketen schnell auf den Weg brin- gen. Grundsätzlich unterstützen wir das Vorhaben, den CO2-Ausstoß als größten Treiber des Klimawandels Im Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms schnell und effektiv zu bekämpfen. Mit zahlreichen Ge- 2030 im Steuerrecht regeln wir eine Vielzahl steuerlicher setzespaketen wollen wir das Klimapaket schnell auf den Aspekte. Dabei gibt es viele positive Änderungen, welche Weg bringen. Dass wir uns damit ehrgeizige Ziele setzen, ich voll unterstütze. Dies sind zum Beispiel die energe- ist wichtig. tische Gebäudesanierung oder auch die Senkung der Um- satzsteuer beim Schienenverkehr. Im vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir eine Viel- zahl steuerlicher Umsetzungen dieses Klimapakets, von Das Gesetz enthält jedoch auch kritische Punkte. Nicht denen wir viele ausdrücklich unterstützen. Von der ener- einverstanden bin ich mit der Ausgestaltung der Entfer- getischen Gebäudesanierung erwarten wir ein deutliches nungspauschale und der Mobilitätsprämie. Es ist zwar Signal für mehr Energieeffizienz beim Eigenheim und grundsätzlich richtig, Pendler, welche aufgrund steigen- einen Schub für das Handwerk in Deutschland. Auch der Spritpreise stärker belastet werden, zu entlasten. Die die Senkung der Umsatzsteuer beim Schienenfernverkehr Art und Weise bleibt jedoch falsch. Die Ausgestaltung der erhält unsere volle Zustimmung. Mehr Anreize für den Mobilitätsprämie ist intransparent, bürokratisch und Bahnverkehr zu schaffen bei gleichzeitiger Erhöhung der schwer administrierbar. Die Erhöhung der Entfernungs- Luftverkehrsteuer, ermöglicht neue Mobilitätsoptionen. pauschale erst ab dem 21. Kilometer scheint mir zudem verfassungsrechtlich bedenklich. Auch bei der Grund- Nicht einverstanden sind wir mit der Ausgestaltung der steuer W sehe ich verfassungsrechtliche Gefahren. Ein Entfernungspauschale und der Mobilitätsprämie. Pendler, Inkrafttreten parallel zur Grundsteuer C im Jahr 2025 die aufgrund steigender Spritpreise stärker belastet wer- mit einer sorgfältigeren Prüfung wäre aus meiner Sicht den, zu entlasten, ist richtig, die Art und Weise bleibt aber angebracht gewesen. falsch. Die Erhöhung der Entfernungspauschale erst ab dem 21. Kilometer scheint uns verfassungsrechtlich be- In Abwägung meiner Überlegungen stimme ich dem denklich. Die Ausgestaltung der Mobilitätsprämie ist in- vorliegenden Gesetzentwurf dennoch zu. Die energeti- transparent, bürokratisch und schwer administrierbar. sche Gebäudesanierung und die Umsatzsteuersenkung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16143

(A) beim Schienenfernverkehr sind zu wichtig, als dass sie Drittens. Im Koalitionsvertrag haben wir uns für die (C) wegen anderer Bedenken nicht umgesetzt werden. Stärkung des Verkehrsträgers Luftverkehr durch gleich- wertige Wettbewerbsbedingungen eingesetzt. So wird im Koalitionsvertrag festgehalten: „Wir wol- len faire Rahmenbedingungen im Einklang mit europä- Anlage 4 ischen und internationalen Regelungen für die Luftver- kehrswirtschaft. Dazu gehören […] die Entlastung Erklärung nach § 31 GO unserer Flughäfen und Luftfahrtunternehmen von einsei- der Abgeordneten Björn Simon und Christoph de tigen nationalen Kosten.“ Weiter heißt es: „Luftsicher- Vries (beide CDU/CSU) zu der namentlichen Ab- heitskontrollen sind eine hoheitliche Aufgabe. Daher soll stimmung über den von den Fraktionen der CDU/ der Staat mehr strukturelle Verantwortung und Anteile CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- der in den letzten Jahren gestiegenen Kosten für die Si- zes zur Änderung des Luftverkehrsteuergesetzes cherheit der Menschen beim Fliegen übernehmen.“ (Tagesordnungspunkt 25 d) Statt die deutsche Luftverkehrswirtschaft wie verein- bart von einseitigen nationalen Mehrkosten zu entlasten, Auch wenn wir das Klimapaket insgesamt in seinen was bisher nicht gelungen ist, werden nunmehr neue na- Zielen und Prinzipien unterstützen, lehnen wir den unter tionale Mehrbelastungen auf den Weg gebracht. Die Er- TOP 25 d eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Än- höhung der Luftverkehrsteuer konterkariert insofern die derung des Luftverkehrsteuergesetzes ab. im Koalitionsvertrag niedergelegten berechtigten Bemü- hungen zur Stärkung der deutschen Luftverkehrswirt- Begründung: schaft. Erstens. Der Gesetzentwurf führt zu Wettbewerbsnach- Viertens. Die einseitige Fokussierung auf einen ver- teilen für die deutsche Luftverkehrsbranche. meintlich umweltschädlichen Verkehrsträger hilft nicht Die deutlichen Steuererhöhungen insbesondere in der weiter. wettbewerbsintensiven Distanzklasse 1 (bis 2 500 Kilome- Alle Verkehrsträger haben ihre Stärken und Funktionen ter) von 7,50 Euro auf 13,03 Euro schaden grenznahen für unsere Gesamtmobilität und unsere exportorientierte deutschen Flughäfen und deutschen Airlines, die viele hochindustrialisierte Wirtschaft. Die gesamte Globalisie- Abflüge von Deutschland aus haben. Bereits bei der Ein- rung, von der Deutschland maßgeblich profitiert hat, führung der Luftverkehrssteuer hat es entsprechende hängt zu einem wichtigen Teil mit der globalen Mobilität überdurchschnittliche Wachstumseffekte bei Passagier- (B) durch den Luftverkehr zusammen. Statt Fliegen per se zu (D) zahlen an grenznahen ausländischen Flughäfen gegeben. brandmarken, muss es darum gehen, Fliegen durch syn- Zweitens. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt nur mi- thetische Treibstoffe und andere Maßnahmen klimaneut- nimal zur Verlagerung der Verkehre auf klimafreundliche ral zu gestalten. Diesen notwendigen Prozess erschwert Verkehrsträger wie die Bahn bei. man durch einseitige nationale Mehrbelastungen. Viel- mehr ist die Stärkung der Branche notwendig, damit im- Dafür hätte man Flüge verteuern müssen, die substi- mer modernste Technologien angeschafft werden kön- tuierbar sind. Dies trifft jedoch nur auf Inlandsflüge oder nen. bestenfalls auf Flüge ins grenznahe Ausland zu, nicht jedoch auf Ferienflüge nach West-, Süd- oder Osteuropa Wir sind der festen Überzeugung, dass es gesamtwirt- oder gar in die Türkei, nach Russland oder Nordafrika. schaftlich, aber auch klimapolitisch kontraproduktiv ist, Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen. Im Gesetzentwurf heißt es in diesem Zusammenhang: „Die bisherige Bepreisung des Luftverkehrs bildet die auch im Vergleich zu den anderen Verkehrsträgern beson- dere Klima- und Umweltschädlichkeit zum einen nicht Anlage 5 ausreichend ab und hat zum anderen zu keiner nennens- werten nachhaltigen Veränderung der Wachstumsraten Erklärungen nach § 31 GO beim Passagieraufkommen und damit der Gesamtanzahl der Flugbewegungen geführt, ebenso wenig zu einer Ver- zu der Abstimmung über den von den Fraktionen kehrsverlagerung auf die Bahn.“ Wenn die bisherige Be- der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf ei- preisung von Abflügen nicht zu einer Verkehrsverlage- nes Gesetzes über einen nationalen Zertifikatehan- rung auf die Bahn geführt hat, dann wird es die erneute del für Brennstoffemissionen (Brennstoffemissions- Erhöhung auch nicht tun. Dies liegt schlichtweg daran, handelsgesetz – BEHG) dass in weiten Teilen des innereuropäischen Luftverkehrs keine Substitution auf andere Verkehrsträger möglich ist (Tagesordnungspunkt 25 f) bzw. nur zu unzumutbar längeren Fahrzeiten. Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich stimme dem Wenn aber keine nennenswerte Verkehrsverlagerung oben genannten Gesetz nicht zu. Nach meiner Überzeu- möglich ist, dient dieses Instrument nicht dem Klima- gung gefährdet gerade das von der Bundesregierung mit schutz, sondern lediglich als Finanzierungsquelle für an- heißer Nadel gestrickte und dem Deutschen Bundestag dere Maßnahmen und steht damit im Widerspruch zu den hastig vorgelegte Gesetz über den nationalen Emissions- Grundprinzipien des Klimapakets. zertifikatehandel eine riesige Anzahl von kleinen und 16144 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 mittelständischen Betrieben in ihrer Existenz. Das ge- Mark Helfrich (CDU/CSU): Meine Zustimmung ver- plante Brennstoffemissionshandelsgesetz – kurz BEHG – knüpfe ich mit der festen Erwartung einer umfassenden ist meines Erachtens nicht zu Ende gedacht. kontinuierlichen Evaluierung des Brennstoffemissions- handelsgesetzes (BEHG) in Bezug auf dessen Wirkung Man kann diskutieren, ob und inwieweit wir als Politik im Kontext der Nutzung und Verbreitung synthetischer einen allein auf Deutschland begrenzten Emissionszerti- Kraftstoffe im Markt. fikatehandel einführen wollen. Dann ist es aber völlig widersinnig, wenn kleine und mittelständische Industrie- Synthetische Kraftstoffe aus nachhaltiger biogener betriebe, die von der EU-Kommission aufgrund der ge- oder grünstrombasierter Erzeugung sind zur Erreichung ringen Emissionen ihrer Anlagen von der Verpflichtung der klimapolitischen Ziele im Verkehrssektor (insbeson- zur Teilnahme am EU-Zertifikatehandel ausgenommen dere Luftfahrt, Schwerlastverkehr, Schifffahrt) sowie zur sind, jetzt dadurch vom nationalen Gesetzgeber stärker Defossilisierung der Industrie von größter Relevanz, weil belastet werden als große Unternehmen. Diese nehmen für diese Bereiche batterieelektrische Lösungen bzw. zwar auch am EU-Zertifikatehandel teil, erhalten aber aus Elektrifizierungsalternativen absehbar nicht existieren. Gründen des Wettbewerbsschutzes (Verhinderung des so- genannten Carbonleakage) den überwiegenden Anteil ih- Insofern begrüße ich, dass synthetische Kraftstoffe in rer Zertifikate kostenlos. Diesen Vorteil genießen KMU den Jahren 2021 und 2022 vom BEHG nicht erfasst und gemäß BEHG nicht. Die Folge wird sein, dass diejenigen damit anders als fossile Kraftstoffe nicht belastet werden. mittelständischen Unternehmen, die zwingend mit in- Zur Förderung der Marktdurchdringung synthetischer dustriellen Wärmeprozessen arbeiten müssen, in finanz- Kraftstoffe ist auf Grundlage des § 23 BEHG bis zum ielle Schieflage geraten und ganz sicher nicht mehr in 30. November 2022 ein Erfahrungsbericht vorzulegen Deutschland investieren werden. und zwingend zu überprüfen, inwieweit der Emissions- faktor für synthetische Kraftstoffe im nationalen Emis- Leider widerspricht der Gesetzentwurf bezüglich des sionshandel ab 2023 auf null gesetzt werden kann. Eben- nationalen Emissionshandels in diesem Punkt auch dem so ist umgehend zu prüfen, inwieweit vorhandene ursprünglichen Kabinettsbeschluss zum Klimaschutzpro- Erzeugungsanlagen für synthetische Kraftstoffe von der gramm 2030. Denn im BEHG fehlt die Herausnahme der EEG-Umlage ausgenommen werden können. industriellen Prozessemissionen vollständig. Die Mengen werden nicht nach § 4 BEHG RefE herausgerechnet. Eine Diese Maßnahmen sind vor allem im Hinblick einer Beschränkung auf die eigentlich gemeinten Sektoren bestmöglichen Hebung der Potenziale synthetischer Wärme und Verkehr findet auch nicht bei den Brennstof- Kraftstoffe umzusetzen. Sie müssen begleitet werden fen in den Anlagen statt. Weder werden in der Anlage 1 durch eine umgehende und umfassende Intensivierung Nummer 3. die Anwendung auf Benzin, Diesel, Öl, Erd- der Forschungsanstrengungen im Bereich synthetischer gas, Kohle und Kohlenprodukte auf den Einsatz als Kraftstoffe. Die daraus resultierenden Innovationen sind „Kraft- oder Heizstoffe“ beschränkt, noch werden, wie aufgrund der absehbaren, weiterhin andauernden globa- im Energiesteuergesetz (§ 51 EnStG), die jeweiligen Pro- len Bedeutung von Verbrennungsmotoren wichtig, um zessemissionen definiert oder ausgenommen. Deutschlands Spitzenposition in den Bereichen Mobilität, Klimaschutz und Forschung zu untermauern und den Weiter sollte nach den Eckpunkten (vergleiche Eck- Standort Deutschland industriepolitisch nachhaltig zu punkte zur Ausgestaltung eines nationalen Emissionshan- stärken. dels für Wärme und Verkehr, Seite 4) Kohle nicht erfasst, sondern erst später geregelt werden. Die Anhänge des BEHG RefE nehmen darauf keine Rücksicht, sondern Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU): Meine erfassen auch Kohle und Koks. Zustimmung verknüpfe ich mit der festen Erwartung ei- ner verbindlichen, sofortigen und umfassenden Evaluie- Klimaschutz muss auch mit wirtschaftlichem Sachver- rung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) in stand gekoppelt werden. Blinder Aktionismus hilft uns Bezug auf dessen Wirkung im Kontext der Nutzung und bei einem Klimaschutzprogramm nicht weiter. Die Bür- Verbreitung synthetischer Kraftstoffe im Markt. gerinnen verlangen zu Recht zeitnah Maßnahmen zum Klimaschutz, sie wollen das aber gleichzeitig mit vertret- Synthetische Kraftstoffe aus nachhaltiger biogener baren Preissteigerungen und dem Erhalt der Arbeitsplätze oder strombasierter Erzeugung aus erneuerbaren Ener- gekoppelt sehen. Den Versuch der Regierung, ein Geset- gien sind zur Erreichung der klimapolitischen Ziele im zespaket von so großem und nachhaltigem Einfluss auf Verkehrssektor von wesentlicher Relevanz, da sie im ge- KMU als tragende Säule der Wirtschaft unseres Landes in samten aktuellen Bestand der Fahrzeuge mit Verbren- einem Monat durch den Bundestag zu peitschen, kann ich nungsmotoren eingesetzt werden können. Zur Förderung in Vertretung der Bürger und Unternehmen meines Wahl- der Marktdurchdringung synthetischer Kraftstoffe ist auf kreises nicht unterstützen. Grundlage des § 23 BEHG bis zum 30. November 2022 ein Erfahrungsbericht vorzulegen und zwingend zu über- Wenn wir deutsches Industrie-Know-how zerstören, prüfen, inwieweit der Emissionsfaktor für synthetische aber Waren aus Ländern importieren, die mit niedrigeren Kraftstoffe im nationalen Emissionshandel ab 2023 auf ökologischen Standards und höherem CO2-Ausstoß pro- null gesetzt werden kann. Ebenso ist umgehend zu prü- duziert werden, ist dem Weltklima zwar nicht geholfen, fen, inwieweit vorhandene Erzeugungsanlagen für syn- aber unsere ökonomische Basis ist unwiederbringlich zer- thetische Kraftstoffe von der EEG-Umlage ausgenom- stört. men werden können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16145

(A) Diese Maßnahmen sind vor allem im Hinblick einer – Entschließungsantrag Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (C) bestmöglichen Hebung der Potenziale synthetischer nen Drs. 19/15174 Kraftstoffe umzusetzen. Sie müssen begleitet werden durch eine umgehende und umfassende Intensivierung – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich den Ent- der Forschungsanstrengungen im Bereich synthetischer schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Kraftstoffe. Die daraus resultierenden Innovationen sind Grünen Drs. 19/15174 ablehne. aufgrund der absehbaren, weiterhin andauernden globa- – Entschließungsantrag Fraktion Bündnis 90/Die Grü- len Bedeutung von Verbrennungsmotoren wichtig, um nen Drs. 19/15175 Deutschlands Spitzenposition in den Bereichen Mobilität, Klimaschutz und Forschung zu untermauern und den – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich den Ent- Standort Deutschland nachhaltig zu stärken. schließungsantrag ablehne.

TOP 25 b – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts Anlage 6 des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukle- are Sicherheit Erklärungen nach § 31 GO – zu dem Antrag der Fraktion der FDP Klimaschutz mit Vernunft – Durch Marktanreize zur Klimaneutra- des Abgeordneten Arnold Vaatz (CDU/CSU) zu den lität Drs. 19/14344, 19/15128 Abstimmungen TOP 25 a bis j sowie ZP 14 bis 16 – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- (Tagesordnungspunkt 25 a bis j sowie Zusatzpunkt empfehlung des Antrages der Fraktion der FDP 14 bis 16) auf Drs. 19/14344 mit dem Titel „Klimaschutz TOP 25 a mit Vernunft – Durch Marktanreize zur Klima- neutralität“, dass ich die Empfehlung ablehne – 2./3. Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und dem FDP- Antrag zustimme. und SPD eingebrachten Entwurfs eines Bundes-Kli- maschutzgesetzes und zur Änderung weiterer Vor- – zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schriften Drs. 19/14337, 19/15079, 19/15128, 19/ Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung aufneh- 15172, 19/15173, 19/15174, 19/15175 men und CO2-Bremse einführen Drs. 19/11153, 19/ (B) 15128 (D) – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung Drs. 19/15128 und 19/15230 den Ge- empfehlung des Ausschusses, dass ich der Emp- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und fehlung zustimme. SPD auf Drs. 19/14337 in der Ausschussfassung, dass ich die Empfehlung ablehne. – zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Handeln jetzt – Auf dem Weg zum klimaneutralen – 2./3. Beratung des von der Bundesregierung einge- Deutschland Drs. 19/13538, 19/15128 brachten Entwurfs eines Bundes-Klimaschutzgeset- zes und zur Änderung weiterer Vorschriften Drs. 19/ – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- 14948, 19/15079, 19/15128 empfehlung des Ausschusses, dass ich der Emp- fehlung zustimme. – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung Drs. 19/15128 und 19/15230 des Aus- schusses, den Gesetzentwurf der Bundesregie- TOP 25 c rung zur Einführung eines Bundes- Klimaschutzgesetzes und zur Änderung weiterer – 2./3. Beratung des von der Bundesregierung einge- Vorschriften auf Drs. 19/14948 und 19/15079 für brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des erledigt zu erklären, dass ich der Empfehlung Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht zustimme. Drs. 19/14937, 19/15080, 19/15125 – Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich der Emp- Drs. 19/15172 fehlung des Ausschusses den Gesetzentwurf der Bundesregierung für erledigt zu erklären, zu- – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich den Ände- stimme. rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen Drs. 19/15172 ablehne. – 2./3. Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur – Entschließungsantrag Fraktion Die Linke Drs. 19/ Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im 15173 Steuerrecht Drs. 19/14338, 19/15080, 19/15125, 19/ 15176, 19/15177, 19/15178 – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke ableh- – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- ne. empfehlung des Finanzausschusses Drs. 19/ 16146 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) 15125, 19/15229, dass ich die Empfehlung ableh- bilität fördern – Luftverkehr gerecht besteuern und (C) ne und dem Gesetzentwurf nicht zustimme. Subventionierung beenden Drs. 19/13078, 19/15126 – Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drs. 15176 – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses, dass ich der Emp- – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich dem Ent- fehlung zustimme. schließungsantrag der FDP zustimme. TOP 25 f – Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke Drs. 19/ 15177 – 2./3. Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich den An- einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoff- trag der Fraktion Die Linke ablehne. emissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz – – Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die BEHG) Drs. 19/14746, 19/15081, 19/15127, 19/15183 Grünen Drs. 19/15178 – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich den An- empfehlung des Ausschusses Drs. 19/15127, 19/ trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ableh- 15197, dass ich die Empfehlung ablehne und dem ne. Gesetzentwurf nicht zustimme.

TOP 25 d – 2./3. Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes über einen nationa- – 2./3. Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU len Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (Brennstoffemissionshandelsgesetz – BEHG) Änderung des Luftverkehrsteuergesetzes Drs. 19/ Drs. 19/14949, 19/15081, 19/15127 14339, 19/15083, 19/15126, 19/15180, 19/15181, 19/ 15182 – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich der Emp- fehlung des Ausschusses den Gesetzentwurf der – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- Bundesregierung für erledigt zu erklären, zu- empfehlung des Finanzausschusses Drs. 19/ stimme. 15126, 19/15239 zum Gesetzentwurf der Fraktio- nen der CDU/CSU und SPD Drs. 19/14339, dass – Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die ich die Empfehlung ablehne und dem Gesetzent- Grünen Drs. 19/15183 wurf nicht zustimme. – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich den Ände- (B) – 2./3. Beratung des von der Bundesregierung einge- rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (D) brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des nen Drs. 19/15183 ablehne. Luftverkehrsteuergesetzes Drs. 19/14938, 19/15083, TOP 25 g 19/15126 – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich der Emp- des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukle- fehlung des Ausschusses den Gesetzentwurf der are Sicherheit zu dem Antrag der Fraktion der FDP Bundesregierung für erledigt zu erklären, zu- Klimaschutz braucht ein CO2-Limit – Klimaziele stimme. durch die Ausweitung des EU-Emissionshandels – Entschließungsantrag der Fraktion der AfD Drs. 19/ in Deutschland garantiert erreichen Drs. 19/14782, 15180 19/15127 – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses, dass ich der Emp- empfehlung des Antrages der Fraktion der FDP fehlung zustimme. auf Drs. 19/14782 mit dem Titel „Klimaschutz braucht ein CO2-Limit – Klimaziele durch die – Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drs. 19/ Ausweitung des EU-Emissionshandels in 181 Deutschland garantiert erreichen“, dass ich die – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich der Emp- Empfehlung ablehne und dem FDP-Antrag zu- fehlung des Ausschusses nicht zustimme. stimme. – Entschließungsantrag Fraktion Die Linke Drs. 19/ TOP 25 h 15182 – Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- und SPD Klimakonferenz von Madrid – Klima- empfehlung des Ausschusses, dass ich der Emp- schutz international voranbringen Drs. 19/15063 fehlung zustimme. – Ich erkläre zur Abstimmung, dass ich den An- trag ablehne. TOP 25 e TOP 25 i – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Finanzen zu dem Antrag der Frak- – Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die tion Bündnis 90/Die Grünen Umweltfreundliche Mo- Grünen UN-Klimakonferenz in Spanien 2019 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16147

(A) Das Pariser Klimaabkommen international voran- und der Fraktion DIE LINKE: Arbeitslosenver- (C) treiben und in Deutschland umsetzen Drs. 19/15119 sicherung stärken – Arbeitslosengeld Plus ein- führen – Ich stimme der Überweisung zu. (Tagesordnungspunkt 28) TOP 25 j – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts Daniela Kolbe (SPD): Die Arbeitslosenversicherung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ist über 90 Jahre alt und trotzdem nicht in die Jahre ge- zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kommen. Sie sichert das große Lebensrisiko Arbeitslo- Klimapaket neu auflegen – Verkehrswende für eine sigkeit ab. Anders als die Anträge der Linken klimafreundliche Mobilität einleiten Drs. 19/14093, suggerieren, wurde die Arbeitslosenversicherung seit 19/15019 der Agenda 2010 durchaus weiterentwickelt – und zwar dank der SPD! – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses, dass ich der Emp- Ja, es war eine der offenkundigen Fehlkonstruktionen fehlung zustimme. an der Agenda 2010 – neben dem fehlenden Mindest- lohn –, dass anfänglich alle nach einem Jahr Erwerbslo- TOP ZP 14 sigkeit in das ALG II gerutscht sind. Dafür habe ich mich, – Beratung des Antrags der Fraktion der FDP Interna- obwohl ich damals keine Abgeordnete und nicht beteiligt tionale Klimaschutzverpflichtungen einhalten – war, und obwohl Union und FDP das in das Paket hinein- COP 25 nutzen, um marktbasierte Klimaschutzme- verhandelt haben, anbrüllen lassen. Ich habe deswegen chanismen voranzutreiben Drs. 19/15052 gestandene Leute weinen sehen. Und ich konnte das sehr gut verstehen. – Ich stimme dem Antrag der Fraktion der FDP auf Drs. 19/15052 zu. Diese Regelung ist aber zwischenzeitlich abgemildert worden – stufenweise. Wer vier Jahre eingezahlt hat und TOP ZP 15 58 Jahre oder älter ist, hat beispielsweise Anspruch auf – 2./3. Beratung des von der Fraktion Bündnis 90/Die 24 Monate ALG I. Als SPD können wir uns noch mehr Grünen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur vorstellen. Dazu komme ich gleich. Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes – Auch in dieser Wahlperiode ist – anders als unterstellt – EEG 2017 Drs. 19/13517, 19/14319 eine Menge passiert. Wir haben das Qualifizierungschan- cengesetz beschlossen. Es unterstützt die Weiterbildung – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- in vom Strukturwandel betroffenen Betrieben. Wir haben (B) empfehlung des Ausschusses, dass ich der Emp- (D) die Weiterbildungsberatung gestärkt. Und es wird deut- fehlung zustimme. lich einfacher, Ansprüche aus der Arbeitslosenversiche- TOP ZP 16 rung zu erlangen. Die Rahmenfrist verlängern wir auf 30 Monate. Das heißt, Arbeitslosengeldanspruch hat, – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts wer innerhalb von 30 Monaten zwölf Monate sozialver- des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- sicherungspflichtige Beschäftigung nachweisen kann. folgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bünd- Davon profitieren vor allem auch Kulturschaffende, für nis 90/Die Grünen Ein Forschungsrahmenpro- die wir zudem Sonderregelungen verlängert haben. gramm im Kampf gegen die Klimakrise Drs. 19/ 5816, 19/15124 Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wurde von uns in vertretbarem Maße gesenkt. Gleichzeitig wurde ein – Ich erkläre zur Abstimmung über die Beschluss- Puffer für konjunkturelle Eintrübungen angelegt. empfehlung des Ausschusses, dass ich der Emp- fehlung zustimme. Seit dem Qualifizierungschancengesetz steht auch der Besuch eines Integrationskurses dem Arbeitslosengeld- bezug nicht entgegen – ein vermeintlich kleiner Schritt, der nicht viele Menschen betrifft, aber er ist gerade für Anlage 7 diese Menschen enorm wichtig. Bundesminister Hubertus Heil hat anknüpfend an das Zu Protokoll gegebene Rede Qualifizierungschancengesetz das Arbeit-von-morgen- zur Beratung Gesetz vorgelegt. Auch wenn wir hoffen, es nicht zu brauchen, ist es wichtig, dass das BMAS vorsorgt. Das a) des Antrags der Abgeordneten Sabine Gesetz sieht vor, dass bei abflauender Konjunktur Kurz- Zimmermann (Zwickau), Susanne Ferschl, arbeitergeld schneller und länger gezahlt wird, wenn in Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter der Kurzarbeit Weiterbildung stattfindet. Und es sieht vor, und der Fraktion DIE LINKE: Arbeitslosenver- noch besser zu fördern, dass Menschen, die von Jobver- sicherung stärken – Arbeitslosengeld verbes- lust bedroht sind, Weiterbildungen machen und dafür sern auch weiterhin Lohn erhalten. b) des Antrags der Abgeordneten Susanne Wir haben viel verbessert und planen noch weitere Ver- Ferschl, Sabine Zimmermann (Zwickau), besserungen, aber für uns als Sozialdemokratinnen und Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter Sozialdemokraten ist der Anspruch klar: Wir wollen das 16148 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Arbeitslosengeld ganz grundsätzlich angehen. Die SPD Anlage 8 (C) hat im Frühjahr ein Sozialstaatspapier vorgelegt. Darin und in unserem Regierungsprogramm finden sich jede Zu Protokoll gegebene Reden Menge Vorschläge zu dem Thema. Diese Vorschläge fin- den Sie von den Linken ja auch offenbar sehr interessant. zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich freue mich, dass Sie das Arbeitslosengeld Q für unter- Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Britta stützenswert halten. Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei Ganz generell geht es uns Sozialdemokratinnen und Regierung und Behörden stärken, Informations- Sozialdemokraten darum, dass der Sozialstaat ein Partner freiheitsgesetz des Bundes zu einem Transparenz- ist. Ein fürsorgender Sozialstaat tritt nicht erst dann auf, gesetz weiterentwickeln wenn die Arbeitslosigkeit eintritt. Wir wollen die Arbeits- losenversicherung zu einer solidarischen Arbeitsversi- (Tagesordnungspunkt 33) cherung umbauen und ein Recht auf Weiterbildung etab- lieren. Marian Wendt (CDU/CSU): Es ist nun Freitagnach- In unserer Arbeitswelt ist es wichtig, die Menschen mittag, wir sind am Ende von zwei erfolgreichen Sit- monetär abzusichern, ja. Und fast ebenso wichtig ist es, zungswochen angekommen; erfolgreich nicht zuletzt, ihnen Sicherheit im Wandel zu geben. Wir müssen gute weil wir mit dem Masernschutzgesetz, der Rückführung Arbeit in einer neuen Zeit organisieren. Deshalb sind des Solidaritätszuschlages und einem weiteren Schritt zur Weiterbildung und betriebliche Mitbestimmung so zent- Bekämpfung des Klimawandels unsere Verantwortung ral. für Deutschland wahrgenommen haben. Im Arbeitslosengeld I wollen wir perspektivisch den Durch Ihren heutigen Antrag geben Sie uns, der Koali- Zugang zum Versicherungsschutz auf Arbeitslosengeld tion von CDU, CSU und SPD, die Möglichkeit, die Er- noch weiter erleichtern und Menschen, die in neuen Be- folge des Informationsfreiheitsgesetzes und der Open- schäftigungsformen arbeiten oder unstetige Arbeitsbio- Datastrategie öffentlichkeitswirksam zu präsentieren – grafien haben, besser absichern. Erfolge übrigens, auf die Sie auch in Ihrem Antrag hin- weisen. Deshalb liebe Kolleginnen und Kollegen der Ich gebe Ihnen recht: Die Bezugszeit des Arbeitslosen- Grünen, möchte ich mich eingangs meiner Rede bei Ihnen geld I muss deutlich verlängert werden. Die SPD will das bedanken. in zweierlei Hinsicht tun: als Erstes mit dem Arbeitslo- sengeld Q. Wir wollen einen Leistungsanspruch für Qua- Auch wenn wir bei der Digitalisierung und gerade dem damit verbundenen Ausbau von Hochgeschwindigkeits- (B) lifizierung einführen, das ALG Q. Alle, die nach drei (D) Monaten im ALG I keine neue Arbeit gefunden haben, netzen den Start etwas verschlafen haben, hat die Bun- erhalten einen Anspruch auf eine gezielte Weiterbil- desregierung im Gegensatz dazu früh erkannt, dass wir dungsmaßnahme und auf das damit verbundene Arbeits- dem Informationsbedürfnis der Bürgerinnen, Bürger und losengeld Q, das in der Höhe dem ALG I entspricht. Das Dritter einen angemessenen Rahmen geben müssen. ALG Q wird in Zukunft zwölf Monate lang nicht mehr 2009 haben wir dazu das Informationsfreiheitsgesetz auf den ALG-I-Anspruch angerechnet. Danach bleibt es verabschiedet sowie zeitig eine E-Government- und dabei, dass der ALG-I-Anspruch zur Hälfte anrechnungs- Open-Datastrategie entwickelt. In diesem Jahr haben frei ist. Die Weiterbildung mit ALG Q kann insgesamt bis wir mit der Errichtung der Anstalt Föderale IT- zu 24 Monate gewährt werden. Kooperation die bisherigen Geschäfts- und Koordinie- Als Zweites wollen wir zusätzlich zu den geltenden rungsstellen des IT-Planungsrats gebündelt und bringen Regelungen die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes noch damit die Behörden-IT auf ein neues Level. Unserem im stärker an der Lebensleistung ausrichten, indem wir Be- Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel, am Ende der Legis- schäftigten, die langjährig Beiträge zur Arbeitslosenver- laturperiode die 100 wichtigsten Verwaltungsleistungen sicherung entrichtet haben, auch einen längeren Arbeits- bundesweit einheitlich online anzubieten, sind wir ein losengeldanspruch sichern. Unabhängig vom Alter erhöht großes Stück näher gekommen. Die vollständige elektro- sich die Anspruchszeit bei mindestens 20 Jahren Bei- nische Vorgangsbearbeitung in der öffentlichen Verwal- tragszeit um drei weitere Monate, ab 25 Jahren um sechs tung, die E-Akte, ist in greifbarer Nähe. Aus Neuland Monate und ab 30 Jahren um neun Monate. wird Routine und die digitale Verwaltung ein Leistungs- träger für Bevölkerung und Wirtschaft; denn durch die Ich fasse zusammen. Liebe Linke, in vielen Sachen geplante Open-Datastrategie sehen wir eine Chance für sind wir uns einig oder wir würden uns einig werden. die Unternehmen vor Ort. Die Verfügbarkeit von Verwal- Sie haben offenkundig unser Sozialstaatspapier gelesen. tungsdaten für jedermann unter Berücksichtigung des Da- An manchen Stellen schießen Sie jedoch über das Ziel tenschutzes ist unser Ziel. hinaus. Deshalb diskutieren wir das jetzt, und das ist eine gute Sache. Ich schätze, in der jetzigen Koalition werden Mit zunehmender Digitalisierung sehen sich aber auch wir Ihre Anträge dennoch ablehnen. Aber vielleicht kom- die Institutionen unserer Bundesrepublik, egal ob Kom- men wir ja irgendwann dazu, unsere Arbeitslosenversi- mune oder Bundesministerium, mit dem stetig wachsen- cherung gemeinsam im Sinne unseres Sozialstaatspapiers den Informationsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger weiterzuentwickeln. Ich fände das nicht schlecht. konfrontiert. Transparenz von Verwaltungshandeln, In- formationen zu Gesetzen und Verordnungen oder die Be- antwortung von eigenen Anfragen sollen schnell, digital Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16149

(A) und bequem von zu Hause erfolgen können. Klassische freiheitsgesetze – das Informationsfreiheitsgesetz, das (C) Akteneinsicht war gestern. Umweltinformationsgesetz und das Verbraucherinforma- tionsgesetz – zusammenzuführen und zu einem Transpa- Wir sind der Auffassung, dass die derzeitige Fassung renzgesetz weiterzuentwickeln. Bundesländer wie Ham- des Informationsfreiheitsgesetzes grundsätzlich bereits burg und Rheinland-Pfalz haben das unter SPD-geführten einen weitgehenden Anspruch auf Zugang zu amtlichen Regierungen schon vorgemacht. Informationen bei den Bundesbehörden schafft. In die- sem Gesetz haben wir die Transparenz- und Informa- Man könnte sich nun fragen: Warum all die Mühe? tionsbedürfnisse auf der einen gegen die schützenswerten Schließlich haben wir im Bund mit dem 2005 von Rot- Interessen der staatlichen Institutionen auf der anderen Grün initiierten und beschlossenen Informationsfreiheit- Seite sorgfältig gegeneinander abgewogen. gesetz öffentliche Verwaltungen dazu verpflichtet, einem Antragsteller Akten und Daten zugänglich zu machen – Deshalb geben wir als CDU/CSU Fraktion den Bürger- von einigen Ausnahmetatbeständen abgesehen. innen und Bürger einen umfangreichen sprichwörtlichen Werkzeugkoffer zur Befriedigung des Informationsbe- Nun, das Gesetz war ein Meilenstein in Sachen Infor- dürfnisses an die Hand. Wir gehen dabei von mündigen mationsfreiheit und ein wichtiger Schritt in die richtige Menschen in unserer Bundesrepublik aus und – das kann Richtung, aber eben nicht genug. Ich will Ihnen kurz an- ich Ihnen als Vorsitzender des Petitionsausschusses ver- hand eines einfachen Beispiels erläutern, warum: sichern – unsere Bürger verstehen es, diesen Werkzeug- Nehmen wir an, eine Bürgerin will von ihrem Recht auf koffer sinnvoll einzusetzen. Akteneinsicht bei Behörden Gebrauch machen. Dafür Es ist auch gut so, dass sich dieser Werkzeugkoffer je muss sie einen Antrag ausfüllen und abschicken, was auf- nach Bundesland unterscheidet. Wir brauchen keine wendig ist. Der Aufwand bei der Verwaltung ist noch Gleichmacherei wir brauchen gleiche Lebensverhältnisse größer: Sie muss erstmal prüfen, ob nicht ein Ausnahme- in allen Regionen Deutschlands. Um dies zu gewährleis- tatbestand vorliegt, die Daten also aus einem der zahl- ten und der Individualität Deutschlands Rechnung zu tra- reichen Gründe schützenswert sind. Erst dann können gen, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes ganz die Daten herausgegeben werden. Und wenn später ein bewusst die Zuständigkeit für einschlägige Politikfelder anderer Bürger nach den gleichen Daten fragt, dann geht den Bundesländern zugesprochen. die ganze Prüfung wieder von vorne los und wieder und wieder. Wir verstehen Politik nicht als Aktionismus, sondern übernehmen Verantwortung in unserem Land. Das zeigen Das ist der Grund, warum wir wollen, dass die Ver- nicht zuletzt die in dieser Woche getroffenen Entschei- waltung ihr Wissen nicht auf Anfrage, sondern proaktiv, (B) dungen in diesem Hohen Haus. Der Schutz vor Masern, also von sich aus öffentlich macht, sodass jeder und jede (D) die Abschaffung des Solis oder der Klimaschutz – die darauf zugreifen kann, lesbar für Menschen und Maschi- Mischung zwischen Anreizen, Rahmenbedingungen und nen. Einen ersten Schritt haben wir mit dem Open-Data- Verboten macht gute Politik aus. Gesetz in der letzten Legislaturperiode geschafft – dieser reicht aber bei weitem nicht aus. Wir brauchen eine klare Sie, liebe Grüne, zeigen mit Ihrem Antrag wieder ein- und umfassende Open-Data-Strategie. Natürlich reden mal ihre Regelungswut. Bis ins kleinste Detail möchten wir hier über nicht personenbezogene Daten. Sie den Bürgerinnen, Bürgern und der Verwaltung vor- schreiben, was sie zu tun oder zu unterlassen haben. Eine Das ist für die Öffentlichkeit besser, die keinen Antrag Flut an Geboten und Verboten wird es mit unserer Frak- stellen muss. Es ist aber auch für die Verwaltung viel tion nicht geben. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag heute einfacher; denn sie muss nur einmal überlegen: Eignet ab. sich diese Information zur Veröffentlichung oder unter- liegt sie einem Ausnahmetatbestand, zum Beispiel dem Falko Mohrs (SPD): Wir diskutieren heute einen An- Datenschutz? Wenn nicht, dann raus damit – wer weiß, trag der Grünen, der die Weiterentwicklung des Informa- wer etwas damit anfangen kann. tionsfreiheitsgesetzes zu einem Transparenzgesetz for- Und wenn mit der neuen Offenheit, mit dem Zugang dert. Es geht also darum, Handeln und Daten von zum Wissen der Verwaltung dann noch ein bisschen ge- Politik und öffentlicher Verwaltung so weit wie möglich worben wird, dann entstehen aus diesem Wissen viel- offen und transparent zu machen. Gut so! leicht ganz neue, richtig nützliche Sachen. Wir wollen Dieser Zielsetzung hat sich auch die SPD verschrieben. Gründungen und Menschen, die mit ihren Ideen die Ge- In einem Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion aus sellschaft besser machen wollen. dem Jahr 2013 heißt es: Von daher ist es erstaunlich, wenn manche in der Ver- Transparenz ist konstitutiv für den demokratischen waltung das Kostenargument gegen Open Data ins Feld und sozialen Rechtsstaat. Transparenz stärkt die de- führen: Die Herausgabe der Daten und etwaige rechtliche mokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen Auseinandersetzungen bei Nichtfreigabe würden horren- und Bürger, erleichtert Planungsentscheidungen, de Kosten verursachen. Ich bin der Meinung, dass eine wirkt Staatsverdrossenheit entgegen und erschwert proaktive Freigabe der Daten, wie bereits erläutert, zu Manipulationen und Korruption. deutlichen Kostensenkungen führen und die Wahrschein- lichkeit von Rechtsstreitigkeiten verringern würde. Unsere Motivation – damals wie heute – ist es, das Transparenzniveau deutlich zu erhöhen und die Darüber hinaus ist es wichtig, die Ausnahmetatbestän- gegenwärtig nebeneinander bestehenden Informations- de im jetzigen Informationsfreiheitsgesetz deutlich zu re- 16150 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) duzieren und auf das tatsächlich notwendige Maß zu be- – Gesetz zur Änderung des Neunten und des Zwölften (C) grenzen und die Stellung des Datenschutzbeauftragten als Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvor- Streitschlichter zu stärken. schriften Leider konnten wir uns bisher noch nicht auf die Zu- – Gesetz zur Einführung einer Nachunternehmerhaf- sammenführung der Informationsgesetze und auf ein neu- tung in der Kurier-, Express- und Paketbranche es Transparenzgesetz einigen. Aber wir haben uns in der zum Schutz der Beschäftigten (Paketboten- Koalition auf ein zweites Open-Data-Gesetz verständigt Schutz-Gesetz) mit dem Ziel, dass Deutschland in Sachen Open Data eine – Gesetz für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhne- Vorreiterrolle übernimmt. Ich hoffe, dass wir mit diesem verbesserungsgesetz) Gesetz einen weiteren Schritt in Richtung offene Verwal- tungsdaten unternehmen. – Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Der Antrag der Grünen verfolgt also durchaus begrü- Deutschen Rentenversicherung Knappschaft- ßenswerte Anliegen. Ich frage mich allerdings bei der Bahn-See (RVBund/KnErG-ÄndG) Detailtiefe des Antrags, warum die Grünen daraus nicht einen eigenständigen Gesetzentwurf gemacht haben wie – Gesetz zur Reform der Hebammenausbildung und damals die SPD 2013, noch aus der Opposition, mit un- zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch serem schon zitierten Gesetzentwurf bezüglich Informa- (Hebammenreformgesetz – HebRefG) tionsfreiheits- und Transparenzgesetz. Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung Auch wird mit diesem Antrag wieder deutlich, wie weit gefasst: die hier gestellten Anträge von der Wirklichkeit abwei- Zu Artikel 1 (§ 20 Absatz 2 HebG) chen, wenn Grüne in Regierungsverantwortung sind. So ist beispielsweise beim hessischen Informationsfreiheits- Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die gesetz von dem Grundsatz, dass amtliche Informationen Auswirkungen der Anforderungen an die Leitung des von Behörden auf Antrag veröffentlicht werden müssen, Studiengangs auf die bereits bestehenden Hebammenstu- nicht viel übrig geblieben. Und von einem hessischen diengänge zu prüfen. Sollte sich dabei bestätigen, dass die Transparenzgesetz traut man sich gar nicht erst zu reden. Anforderungen einen Großteil der bestehenden Studien- gänge gefährden, wird der Bundesgesetzgeber aufgefor- Wir werden dem Antrag der Grünen nicht zustimmen dert, § 20 Absatz 2 HebG dahin gehend zu ändern, dass und freuen uns stattdessen auf einen Entwurf des zustän- der Leitung des Studiengangs Zeit bis Ende des Jahres digen Ministeriums des Inneren für ein Open-Data-Ge- 2025 eingeräumt wird, um die geforderte Qualifikation zu (B) (D) setz noch in dieser Legislaturperiode. Wir laden Ihre erlangen. Fraktion ebenso wie die Linken, die im Sommer einen ähnlichen Antrag zur Beratung eingebracht hatten, herz- Begründung: lich dazu ein, diesen Gesetzentwurf dann konstruktiv mit § 20 Absatz 2 HebG der vom Deutschen Bundestag uns zu beraten und ihm – als weiteren Schritt in die rich- beschlossenen Änderung des Hebammengesetzes regelt tige Richtung – am Ende zuzustimmen. die fachliche Anforderung an die Leitung des Studien- gangs an der Hochschule. Die Norm legt fest, dass die Leitung eines Hebammenstudiengangs zusätzlich zu dem erforderlichen akademischen Grad selbst über eine Er- Anlage 9 laubnis zum Führen der Berufsbezeichnung nach § 5 Ab- satz 1 HebG oder nach § 1 Absatz 1 HebG in der bisher Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung geltenden Fassung verfügen muss, also Hebamme oder Entbindungspfleger sein muss. Der Bundesrat hat in seiner 982. Sitzung am 8. Novem- ber 2019 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- Diese Regelung droht einen Großteil der bereits beste- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 henden Studienplätze an Dualen Hochschulen sowie der des Grundgesetzes nicht zu stellen: Modellstudiengänge für Hebammen zu gefährden. Die Studiengangsleitungen an Dualen Hochschulen und Uni- – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- versitäten sind meist keine Hebammen, sondern kommen kel 72, 105 und 125b) aus fachverwandten Bereichen. Zurzeit steht keine aus- – Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewer- reichende Zahl an entsprechend qualifizierten Personen tungsrechts (Grundsteuer-Reformgesetz – zur Verfügung, die zugleich die hochschulrechtlichen An- GrStRefG) forderungen an eine Studiengangsleitung erfüllen. – Gesetz zur Änderung des Grundsteuergesetzes zur Der Bundesrat bekräftigt daher seine Auffassung, dass Mobilisierung von baureifen Grundstücken für die zum Erhalt der bestehenden Studienplätze eine Über- Bebauung gangsvorschrift einzufügen wäre. Zudem würde eine Übergangsfrist die Einrichtung neuer Studiengänge er- – Gesetz über die Vorrechte, Immunitäten, Befreiun- möglichen, bis eine ausreichende Zahl akademisch gen und Erleichterungen in der Bundesrepublik ausgebildeter Hebammen zur Verfügung steht (vgl. Stel- Deutschland als Gaststaat internationaler Einrich- lungnahme des Bundesrates vom 28. Juni 2019, tungen (Gaststaatgesetz) BR-Drucksache 229/19 (Beschluss)). Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16151

(A) – Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbil- Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme schwer (C) dung nachvollziehbar, dass in den PIAs mit ihren multiprofes- sionellen Teams (ausschließlich) die gleichen Leistungen Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung wie im niedergelassenen Bereich erbracht werden. gefasst: 1. Zu Artikel 2 Nummer 2a (§ 65e SGB V) Auch wenn ausdrücklich eine adäquate Vergütung von berufsgruppenübergreifenden Leistungen im vertrags- Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Finanzie- ärztlichen Bereich zu begrüßen ist, erscheinen grund- rung der ambulanten Krebsberatungsstellen schnellst- sätzliche Festlegungen zur Vergütungsstruktur von PIAs möglich abschließend zu regeln, insbesondere durch eine im Rahmen eines Gesetzes zur Reform der Psychothera- Änderung des SGB VI. peutenausbildung nicht sachgerecht. Nach jetziger Begründung: Rechtslage erfolgt die Vergütung der PIAs unmittelbar von den Krankenkassen. Entsprechend § 120 Absatz 2 Das vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz Satz 3 SGB V soll die Höhe der Vergütung die Leistungs- sieht durch die Einfügung des § 65e SGB V die Finan- fähigkeit der PIAs bei wirtschaftlicher Betriebsführung zierung der ambulanten Krebsberatungsstellen durch die gewährleisten. Mit der Neuregelung wird eine bislang gesetzlichen und privaten Krankenkassen vor. Jedoch funktionierende Vergütungsfindung auf Landesebene wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die ge- durch eine bundeseinheitliche Vergütung abgelöst, ohne setzlichen und privaten Krankenkassen lediglich 40 Pro- dass eine hiermit einhergehende Verbesserung erkennbar zent der Kosten der ambulanten Krebsberatungsstellen wäre. übernehmen sollen. Die Finanzierung der verbleibenden 60 Prozent der Kosten der Krebsberatungsstellen ist nicht Denn bundesweite Vergütungen sind allenfalls dort geregelt. Damit ist die Finanzierung der Krebsberatungs- zielführend, wo es auch bundesweit einheitliche Kosten- stellen nicht sichergestellt. Eine Beteiligung der gesetz- strukturen gibt. Dies ist hier aber nicht der Fall, weil bei- lichen Rentenversicherung sollte vorgesehen werden. spielsweise auch die Personalkosten der PIAs von Land zu Land unterschiedlich sind. Nicht zuletzt enthält § 17d 2. Zu Artikel 2 Nummer 10a (§ 120 Absatz 2 Satz 6 Absatz 1 Satz 3 KHG einen Prüfauftrag zur PIA-Vergü- SGB V) tung, dem die jetzige Änderung vorgreift. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Problematisch erscheint die Rechtsänderung, weil die Auswirkungen der Anknüpfung der Vergütung Psychiat- neue Gesetzesformulierung ohne weitere, ausdrückliche rischer Institutsambulanzen (PIAs) an den Einheitlichen Konkretisierung beziehungsweise Einschränkung auf den Bewertungsmaßstab (EBM) kritisch zu prüfen. Sollte (B) EBM verweist. Die möglicherweise intendierte Be- (D) sich dabei bestätigen, dass auf dieser Grundlage die Leis- schränkung der Anknüpfung auf Leistungen der neuen tungsfähigkeit der PIAs bei wirtschaftlicher Betriebsfüh- berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und struktu- rung nicht zu gewährleisten ist, wird die Bundesregierung rierten Versorgung schwer psychisch Kranker mit einem aufgefordert, diese Rechtsänderung zurückzunehmen, komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen um den Fortbestand des unverzichtbaren Versorgungsbei- Behandlungsbedarf ergibt sich aus dem gewählten Wort- trags, den PIAs in der ambulanten Versorgung schwer laut der Norm jedenfalls nicht eindeutig. In ihrer jetzigen psychisch kranker Patientinnen und Patienten leisten, zu Fassung lässt die Norm vielmehr befürchten, dass zu- gewährleisten. künftig alle PIA-Leistungen nach EBM zu vergüten wä- Begründung: ren. Dies würde den Fortbestand des unverzichtbaren Versorgungsbeitrags, den PIAs in der ambulanten Versor- Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz zur Reform gung schwer psychisch kranker Patientinnen und Patien- der Psychotherapeutenausbildung am 26. September ten leisten, aus Sicht der Länder völlig unnötiger Weise 2019 unter anderem mit folgender Ergänzung des § 120 gefährden. Absatz 2 SGB V beschlossen: „Die Vergütung der Leis- tungen der psychiatrischen Institutsambulanzen soll der 3. Zu Artikel 2 Nummer 10b Buchstabe a (§ 136a Ab- Vergütung entsprechen, die sich aus der Anpassung des satz 2 Satz 9 SGB V) einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leis- tungen nach § 87 Absatz 2a Satz 26 ergibt.“ a) Der Bundesrat kann das mit § 136a Absatz 2 Satz 9 SGB V verfolgte Anliegen, durch entsprechende Min- Ziel der Regelung soll laut ihrer Begründung einerseits destvorgaben für die Zahl der vorzuhaltenden Psycho- sein, der Einbeziehung der PIAs in die neue berufsgrup- therapeuten sicherzustellen, dass die Psychotherapie penübergreifende, koordinierte und strukturierte Versor- entsprechend ihrer Bedeutung in der Versorgung psy- gungsform auch auf der Leistungs- und Vergütungsseite chisch und psychosomatisch Erkrankter abgebildet Rechnung zu tragen. Andererseits sollen Fehlanreize aus wird, nachvollziehen. unterschiedlichen Vergütungen für gleiche Leistungen vermieden werden. Doch bereits die dahinter stehende b) Auch der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Grundannahme gleicher Leistungen ist zu hinterfragen. vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festzu- Dies zeigt bereits die spezielle Aufgabenzuweisung in legenden Mindestvorgaben zur Ausstattung mit thera- § 118 Absatz 1 SGB V, die unter anderem von der Ver- peutischem Personal in stationären Einrichtungen der sorgung von Patienten ausgeht, die wegen Art, Schwere psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung oder Dauer ihrer Erkrankung gerade auf eine Behandlung möglichst evidenzbasiert sein und zu einer leitlinien- durch psychiatrische Krankenhäuser angewiesen sind. gerechten Behandlung beitragen sollen; dabei ist der 16152 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) Bedeutung der Psychotherapie angemessen Rechnung – Fünftes Gesetz zur Änderung des Deutschen Rich- (C) zu tragen. tergesetzes c) Eine gesetzliche Verpflichtung des G-BA, zur Um- – Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die au- setzung dieser Zielsetzung einen bettenbezogenen ßergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersa- Personalmindestschlüssel für die Berufsgruppe der chen und zur Änderung weiterer Gesetze Psychotherapeuten festzulegen, hält der Bundesrat je- – Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtli- doch aus fachlichen Gründen für nicht geeignet und cher Vorschriften für Opfer der politischen Verfol- fordert daher die Bundesregierung auf, diese Vorgabe gung in der ehemaligen DDR und zur Änderung des in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren zu strei- Adoptionsvermittlungsgesetzes chen. – Sechstes Gesetz zur Änderung des Telekommunika- Begründung: tionsgesetzes

§ 136a Absatz 2 Satz 9 SGB V verpflichtet den G-BA, – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans für den Bereich der psychiatrischen und psychosomati- des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2020 schen Versorgung insbesondere verbindliche Mindestvor- (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2020) gaben für die Ausstattung der stationären Einrichtungen – Drittes Gesetz zur Entlastung insbesondere der mit- mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeuti- telständischen Wirtschaft von Bürokratie (Drittes schen Personal zu bestimmen. Zur Umsetzung dieses ge- Bürokratieentlastungsgesetz) setzlichen Auftrags hat der G-BA am 19. September 2019 die Erstfassung einer Personalausstattung Psychiatrie und Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung Psychosomatik-Richtlinie (PPP-RL) beschlossen, in der gefasst: differenzierte personelle Mindestvorgaben festgelegt 1. Der Bundesrat begrüßt die im Gesetz vorgesehenen sind, die sich an Behandlungsbereichen, Berufsgruppen Maßnahmen zur Entlastung der Wirtschaft von büro- und patientenbezogenen Minutenwerten orientieren. kratischen Belastungen als einen weiteren Schritt im Eine gesetzliche Verpflichtung des G-BA, im Bemühen, den bürokratischen Aufwand für die mittel- Gegensatz dazu nunmehr einen bettenbezogenen Perso- ständischen Unternehmen auf das erforderliche Min- nalmindestschlüssel für die Berufsgruppe der Psychothe- destmaß zu begrenzen. rapeuten festzulegen, lehnt der Bundesrat aus fachlichen 2. Leider bleibt der Umfang der im BEG III erreichten Gründen ab: Entlastungen noch deutlich hinter dem zurück, was im (B) Interesse der Stärkung und der Wettbewerbsfähigkeit (D) Ein solcher bettenbezogener Schlüssel, ausschließlich mittelständischer Wirtschaft wünschenswert wäre. Das für die Berufsgruppe der Psychotherapeuten, bildet die Gesetz verzichtet auf einen großen Wurf und lässt die notwendige Differenzierung der Psychotherapiebedarfe Chance auf deutlich spürbare Vereinfachungen ver- unterschiedlicher Behandlungsbereiche innerhalb einer streichen. Teilweise vollzieht es lediglich Entwicklun- psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik nur un- gen nach, die sich im Zuge der Digitalisierung ergeben genügend ab und gibt den Kliniken auch nicht die unter und verschafft Erleichterungen bei Bemessungsgren- fachlichen und ökomischen Gesichtspunkten unbedingt zen, die wenig mehr als die Inflationsrate nachvollzie- notwendige Flexibilität hinsichtlich vorhandener psycho- hen. therapeutischer Ressourcen. Um der jeweiligen konkre- ten Versorgungs- und Behandlungssituation Rechnung 3. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, tragen zu können, ist ein abgestufter, subtilerer sowie ihr Bemühen um Bürokratieentlastung entschieden strukturelle, funktionelle und fachliche Gegebenheiten fortzusetzen und zügig weitere Vorschläge dazu zu er- der Kliniken berücksichtigender Maßstab notwendig. arbeiten. Die Länder werden den Bund dabei mit Vor- schlägen unterstützen. Die PPP-RL des G-BA zielt für die Bemessung des Personalbedarfs daher aus gutem Grund nicht auf die – Gesetz zur Stärkung des Wohngeldes (Wohngelds- Bettenzahl, sondern auf die am konkreten Versorgungs- tärkungsgesetz – WoGStärkG) bedarf der Patienten ausgerichteten Minutenwerte ab. – Gesetz zu dem Vertrag vom 22. Januar 2019 zwi- Auch diesen aktuellen Vorgaben der PPP-RL würde die schen der Bundesrepublik Deutschland und der Etablierung einer bettenbezogenen Mindestvorgabe al- Französischen Republik über die deutsch-französi- lein für die Berufsgruppe der Psychotherapeuten wider- sche Zusammenarbeit und Integration sprechen und zudem die Etablierung eines parallelen Per- sonalbemessungssystems für die Psychotherapeuten Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung erfordern. gefasst: – Gesetz zur Errichtung des Implantateregisters a) Der Bundesrat begrüßt das baldige Inkrafttreten des Deutschland und zu weiteren Änderungen des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Implantateregis- und der Französischen Republik über die deutschfran- ter-Errichtungsgesetz – EIRD) zösische Zusammenarbeit und Integration (Vertrag von Aachen) sowie die schon jetzt erfolgten Vorbe- – Neuntes Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterla- reitungsschritte zu dessen Umsetzung. Mit diesem gen-Gesetzes Vertrag erneuern und bekräftigen Deutschland und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019 16153

(A) Frankreich ihre Freundschaft. Sie schaffen neue Mög- und Beschlüssen über die Entwicklung dieser Vorha- (C) lichkeiten der grenzüberschreitenden Kooperation und ben betroffen sein werden. zur Vertiefung ihrer bilateralen Zusammenarbeit. Die erneuerte Partnerschaft der beiden Staaten und ihrer e) Der Bundesrat begrüßt, dass verstärkt die grenzüber- Bevölkerung ist ein wichtiges Fundament, um die Zu- schreitende Zusammenarbeit ins Blickfeld der natio- kunft eines starken und geeinten Europa zu festigen. nalen Ebenen rückt. Der Vertrag räumt der grenzüber- schreitenden Zusammenarbeit ein eigenes Kapitel ein (Kapitel 4). Deutschland und Frankreich ermöglichen b) Der Bundesrat verweist auf die gemeinsame Erklä- auf diesen Weg eine intensivere Vernetzung des Ver- rung der Präsidenten des Bundesrates und des Franzö- waltungshandels bis hin zu einer echten Ko-Administ- sischen Senates vom 19. März 2019 und auf seine ration beispielsweise bei Kindertagesstätten, Bus- und Stellungnahme vom 17. Mai 2019 (BR-Drucksa- Bahnverkehr oder anderen öffentlichen Diensten. Der che 180/19 (Beschluss)). In Zusammenarbeit begrüßt. mit dem Vertrag von Aachen geschaffene Rahmen für Der Bundesrat betont erneut die auf der Kompetenz- die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen verteilung zwischen Bund und Ländern begründete Deutschland und Frankreich kann auch für die Zusam- besondere Verantwortung der Länder bei der Umset- menarbeit in anderen Grenzregionen eine Vorreiterrol- zung des Aachener Vertrags. beiden Dokumenten er- le einnehmen. klären die Länder ihre Bereitschaft, einen eigenen Beitrag zur Umsetzung des Aachener Vertrags zu leis- f) Er begrüßt ferner die Einrichtung eines Ausschusses ten. Zugleich werden darin die im Vertrag angelegten für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Maßnahmen zur Stärkung der grenzüberschreitenden Teilnahme der drei Grenzländer sowie des Bevoll- mächtigten der Bundesrepublik Deutschland für kul- c) Die deutsch-französische Verständigung wird maß- turelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrags über geblich von den Ländern und Kommunen mitgetra- die deutsch-französische Zusammenarbeit unter Wah- gen. Der Bundesrat begrüßt deshalb, dass die Bundes- rung des Informationsflusses auch in grenzferne Län- regierung die Länder bei einer Vielzahl von der. Ziel dieses Ausschusses ist es, Schwierigkeiten Umsetzungsvorhaben in die Steuerung einbezogen und Hemmnisse abzubauen, gegebenenfalls auch hat. Dies gilt insbesondere dort, wo die Vorhaben in durch die Empfehlung geeigneter Ausnahmeregelun- den Kompetenzbereich der Länder fallen, so dass gen. ihnen beziehungsweise dem Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angele- g) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die genheiten im Rahmen des Vertrags über die deutsch- Länder bei speziellen haushaltsrelevanten Maßnah- men in ihrer Zuständigkeit sowie bei den Mittelauf- (B) französische Zusammenarbeit – je nach Zuständig- (D) keit – bei der Vertragsumsetzung die Federführung wendungen der Bundesregierung zur Umsetzung des zukommt. Zu den Projekten des Aachener Vertrags, Vertrags von Aachen miteinzubinden. Nur so kann die nur unter maßgeblicher Mitwirkung der Länder eine erfolgreiche und effektive Umsetzung des Ver- erfolgreich umgesetzt werden können, gehören vor trags von Aachen gewährleisten werden. allem der Ausbau von Mobilitätsprogrammen, die – Gesetz zu dem Protokoll vom 8. Juni 2017 zur Än- Förderung des gegenseitigen Spracherwerbs, die ge- derung des Vertrags vom 29. Juni 2000 über ein genseitige Anerkennung von Abschlüssen sowie die Europäisches Fahrzeug- und Führerscheininfor- Schaffung deutschfranzösischer Exzellenzinstrumen- mationssystem (EUCARIS) te für Forschung, Ausbildung und Berufsbildung so- wie integrierter deutsch-französischer dualer Studien- – Gesetz zur Durchführung des Zensus im Jahr 2021 gänge. (Zensusgesetz 2021 – ZensG 2021) Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie d) Der Bundesrat betont auch die Bedeutung einer sub- gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von stanziellen Beteiligung der Länder bei der Umsetzung einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen von Projekten wie der deutsch-französischen digitalen absehen: Plattform für audiovisuelle Inhalte und Informations- angebote, der Verbesserung grenzüberschreitender Ausschuss für Gesundheit Bahnverkehrsverbindungen, dem Bürgerfonds zur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Förderung von Bürgerinitiativen und Städtepartner- schaften, dem Ausschuss für grenzüberschreitende Gemeinsamer Bericht zur Einführung eines pauschal- Zusammenarbeit unter Wahrung des Informations- ierenden Entgeltsystems für psychiatrische und psy- flusses auch in grenzferne Länder, der Errichtung ei- chosomatische Einrichtungen nes deutsch-französischen Zukunftswerkes und der stärkeren Vernetzung von Bildungs- und Forschungs- Drucksachen 19/12850, 19/13175 Nr. 17 systemen. Der Bundesrat misst den Themen künstli- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur che Intelligenz, ethische Leitlinien für neue Technolo- gien und Sprunginnovationen im Aachener Vertrag – Unterrichtung durch die Bundesregierung eine große Bedeutung zu. Es muss sichergestellt sein, Bericht über die Evaluation der Fahreignungssemi- dass die Stimme der Länder in den Gremien sowie bei nare der Planung und Steuerung dieser Vorhaben gehört wird, da die Länder maßgeblich von Entscheidungen Drucksachen 19/11425, 19/13175 Nr. 7 16154 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 128. Sitzung. Berlin, Freitag, den 15. November 2019

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, (C) Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Aus- Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur – Eisen- schuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung bahnen 2017/2018 Technikfolgenabschätzung (TA) Drucksachen 19/11560, 19/13175 Nr. 8 Das Potenzial algenbasierter Kraftstoffe für den LKW-Verkehr Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung Drucksache 19/13474

(B) (D)

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