DEMOKRATIE STÄRKEN

Vorwort

Jochen Hollmann, Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im Ministerium für Inneres und Sport Sachsen-Anhalt

Am 20. November 2013 hat die Abteilung Verfas- Die Veranstaltung eröff nete Herr Minister Holger sungsschutz des Ministeriums für Inneres und Stahlknecht, der in seiner Ansprache einmal mehr Sport des Landes Sachsen-Anhalt eine weitere deutlich machte, dass Rechtsextremismus eine Fachtagung an der Fachhochschule Polizei Sach- Herausforderung für Politik und Gesellschaft sen-Anhalt in Aschersleben durchgeführt. sei, der man sich stellen müsse. Die Ausein- andersetzung mit demokratiefeindlichen und Die Fachtagung richtete sich an interessierte menschenverachtenden Handlungsweisen und Verwaltungsmitarbeiterinnen und Verwaltungs- Denkmustern könne kein kurzfristiger Prozess mitarbeiter des Landes und der Kommunen, an sein – zweifellos bleibe diese eine Daueraufgabe. Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft, von Hier seien Staat und Gesellschaft gleichermaßen Polizei, Staatsanwaltschaften, Justiz und Straf- gefordert. vollzugsbehörden, deren Tätigkeit Berührungs- punkte zum Rechtsextremismus aufweist Zum Tagungsinhalt: Rechtsextremismus äußert sich nicht nur in sze- Unter dem Titel „Neue Erscheinungs- und Aktions- neinternen Milieus. Rechtsextremisten verbrei- formen im Rechtsextremismus“ gaben vor ca. 230 ten ihre Ideologie auch im „zivilem Umfeld“, sie Zuhörern Referenten aus Wissenschaft und Praxis haben ihr politisches Auftreten organisatorisch der interessierten Fachöff entlichkeit Einblicke und und strategisch professionalisiert – sie haben Informationen zu aktuellen Strategien und Akti- sich modernisiert. In Zukunft werden sich die onsformen von Rechtsextremisten – insbesondere Aktionsformen jugendadäquater gestalten. Ihre auch im Bereich der neuen Medien. antidemokratischen Ziele wollen Rechtsextre- misten auch durch die Nutzung neuer Medien Die Tagungsteilnehmer wurden vom Rektor der erreichen. Motor dieses modernen Rechtsextre- Fachhochschule Polizei Sachsen-Anhalt, Herrn mismus ist immer noch die NPD. Die Ergebnisse Frank Knöppler, begrüßt. Die Tages-Moderation der NPD bei Landtags- und Kommunalwahlen der Veranstaltung hatte der Direktor der Landes- machen deutlich, wie dringend eine Auseinan- zentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, dersetzung mit der menschenverachtenden neo- Herr Maik Reichel, übernommen. nationalistischen Ideenwelt ist. VERFASSUNG SCHÜTZEN

Herr Prof. Dr. Eckhard Jesse von der Philosophi- Mit dieser Tagungsbroschüre werden nachfolgend schen Fakultät der TU Chemnitz und Herr Dr. Marc die Ausführungen der Referenten dokumentiert. Brandstetter, Redaktionsleiter – Endstation Rechts Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass – beleuchteten mit ihren Fachvorträgen die Ent- die Beiträge der Referenten die Auff assungen der wicklung der NPD aus wissenschaftlicher Pers- jeweiligen Verfasser zum Ausdruck bringen. pektive. In diesem Sinne wünsche ich allen interessierten Herr Wolfgang Freter, Referatsleiter in der Abtei- Lesern dieser Tagungsbroschüre eine ertragreiche lung Verfassungsschutz im Niedersächsischen aber auch zum Nachdenken anregende Lektüre Ministerium für Inneres und Sport sowie Herr und hoff e, dass sie den Impuls vermittelt, Flagge Dr. Hilmar Steff en, Referatsleiter Auswertung und zu zeigen gegen rechtsextremistische Taten, ge- Beschaff ung Rechtsextremismus/-terrorismus aus gen rechtsextremistische Propaganda und gegen dem Ministerium für Inneres und Sport des Landes rechtsextremistische Parteien. Sachsen-Anhalt, gaben Einblicke in die aktuelle Lage des Rechtsextremismus und die Situation in Allen Mitwirkenden danke ich für Ihre Bereitschaft Sachsen-Anhalt. bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Fachtagung. Frau Christiane Schneider, stellvertretende Leite- rin des Bereichs Rechtsextremismus bei Jugend- schutz.net., der länderübergreifenden Stelle für Jugendschutz im Internet, rundete die Tagung Magdeburg , im April 2014 mit eindrucksvollem Anschauungsmaterial über aktuelle Trends rechtsextremer Internetnutzung und Gegenstrategien ab.

In der abschließenden regen Podiumsdiskussion konnte in übergreifender fachlicher Diskussion als Fazit festgestellt werden, dass Rechtsextre- mismus leider auch weiterhin Verbreitung und Zuspruch bei einem Teil der Gesellschaft fi ndet. Dies ist letztendlich der Nährboden für rechts- extremistische und rechtsterroristische Grup- pierungen, die auch vor Gewalt und bis hin zum Mord nicht zurückschrecken. Diesen menschen- feindlichen Impulsen gegen Freiheit und Demo- kratie gilt es geschlossen und entschlossen ent- gegenzuwirken. DEMOKRATIE STÄRKEN

Inhalt Begrüßung Frank Knöppler, Rektor der Fachhochschule Polizei ...... 4

Grußwort Holger Stahlknecht, Minister für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt ...... 6

Tagesmoderation Maik Reichel, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt ...... 9

„Die NPD – Geschichte und Gegenwart, aber Zukunft?“ Prof. Dr. Eckhard Jesse, Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät (Professur für Politische Systeme, politische Institutionen) ...... 12

„Zerstritten, pleite,geächtet. Die NPD unter “ Dr. Marc Brandstetter, Redaktionsleiter Endstation Rechts ...... 20

„Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt“ Dr. Hilmar Steff en, Referatsleiter Auswertung und Beschaff ung Rechtsextremismus/-terrorismus im Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt ...... 31

„Rechtsextremismus im Wandel“ Wolfgang Freter, Referatsleiter im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport, Abt. Verfassungsschutz ...... 42

Rechtsextremismus online – Jugendliche im Visier der Szene Christiane Schneider, stellvertretende Leiterin des Bereichs Rechtsextremismus bei jugendschutz.net, der länderübergreifenden Stelle für Jugendschutz im Internet ...... 49

Impressionen … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … .54 VERFASSUNG SCHÜTZEN

Begrüßung

Frank Knöppler, Rektor der Fachhochschule Polizei

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, schaftlicher und sicherheitspolitischer Bedeutung sehr geehrter Herr Vorsitzender des Innenaus- ist, dass alle Partner bei der weiteren Sicherung schusses Dr. Brachmann, unserer freiheitlich-demokratischen Grundord- sehr geehrter Herr Minister Stahlknecht, nung auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene sehr geehrte Damen und Herren, fest zusammenstehen müssen, um der Verbrei- liebe Kolleginnen und Kollegen, tung von nationalsozialistischem Gedankengut, sowie darauf beruhenden Aktionen und Veranstal- ich darf Sie heute anlässlich der Fachtagung recht tungen mit den Mitteln der Demokratie entgegen herzlich an der Fachhochschule Polizei in Aschers- zu treten. leben begrüßen. Ich erkenne deshalb nicht zuletzt die Bedeu- Unter Federführung der Abteilung 4 – Verfas- tung dieser Veranstaltung auch darin, dass Sie es sungsschutz – des Ministeriums für Inneres und sich nicht haben nehmen lassen, sehr geehrter Sport des Landes Sachsen-Anhalt wurde mit Un- Herr Minister, selbst die Schirmherrschaft hier- terstützung durch die Fachhochschule Polizei die für zu übernehmen und ein Grußwort an die heutige Veranstaltung organisiert. Tagungsteilnehmer zu richten; nochmals herzlich willkommen. Bereits vor zwei Jahren fand eine derartige Ver- anstaltung unter dem Dach der Fachhochschule Ganz herzlich begrüße ich den Leiter der Abtei- statt. Damals stand das Thema Extremismus- lung 4 im Ministerium für Inneres und Sport, und Terrorismusbekämpfung auf der Agenda. Herrn Ministerialdirigenten Jochen Hollmann, unter dessen Regie die heutige Tagung inhaltlich Wenn die heutige Veranstaltung unter der Über- vorbereitet wurde. schrift Ich begrüße weiterhin die Vertreterinnen und Ver- „Neue Erscheinungs- und Aktionsformen im treter der Fachreferate der Abteilung 2 im Ministe- Rechtsextremismus“ steht, dann ist es ein Beleg rium für Inneres und Sport sowie die anwesenden dafür, dass es nach wie vor von größter gesell- Leiter der Behörden und Einrichtungen der Polizei

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des Landes Sachsen-Anhalt und ihre hier anwe- Dazu gehört auch, das Austauschen sicherheits- senden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. relevanter Informationen, die Zusammenarbeit in bestimmten Fragen des operativen Vorgehens Wie Eingangs erwähnt und für alle ersichtlich und vor allem bei der Prävention und Aufk lä- handelt es sich heute um eine gemeinsame Ver- rungsarbeit. anstaltung mit den Partnern aus der Justiz, der kommunalen Verwaltung, des Kultusbereichs Um mit den Worten Willy Brandts zu schließen: und weiterer Organisationen und Institutionen, die ich hier alle an unserer Einrichtung herzlichst „So, wie die Freiheit eine Voraussetzung für die willkommen heiße. Stellvertretend begrüße ich Demokratie ist, so schaff t mehr Demokratie erst Herrn Reichel, den Direktor der Landeszentrale den Raum, in dem Freiheit praktiziert werden für politische Bildung. Herr Reichel, wir werden kann.“ ja heute noch gesondert Gelegenheit fi nden, uns über die bisherigen und zukünftigen Schwer- Ich wünsche der Veranstaltung einen hervorra- punkte unserer gemeinsamen Zusammenarbeit genden Verlauf und übergebe das Wort an Herrn zu unterhalten. Minister.

Und, last but not least, freue ich mich auf die Ausführungen unserer heutigen Referenten, die ich hier ebenfalls mit Freude willkommen heiße.

Abschließend, bevor ich das Wort weiter gebe, möchte ich darauf hinweisen, dass die Thematik weiterhin im Fokus unserer Anstrengungen blei- ben wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, betrachten wir die heutige Tagung deshalb als eine Art Auftakt für weitere spezifi sche Fachta- gungen, in denen wir uns in naher Zukunft kon- kreter mit Maßnahmen zur Verhinderung von Veranstaltungen mit rechtsextremistischen In- halten befassen wollen.

Ebenso wichtig ist die tägliche und vor allem rou- tinierte Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehör- den und -einrichtungen.

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Grußwort

Holger Stahlknecht, Minister für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Herren Abgeordnete, Kernanliegen dieser Fachtagung ist es, der interes- sehr geehrter Herr Vorsitzender des Innenaus- sierten Fachöff entlichkeit die aktuellen Strategien schusses Dr. Brachmann, und Aktionsformen von Rechtsextremisten – auch sehr geehrte Damen und Herren, im Bereich der neuen Medien – aufzuzeigen und hierfür zu sensibilisieren. Ich bin sehr erfreut, dass Sie meiner Einladung zur heutigen Fachtagung zum Thema: „Neue Dazu begrüße ich ganz herzlich als Referenten aus Erscheinungs- und Aktionsformen im Rechtsex- der Praxis Frau Christiane Schneider, stellvertre- tremismus“ so zahlreich gefolgt sind und darf tende Leiterin des Bereichs Rechtsextremismus sie recht herzlich an der Fachhochschule Polizei bei Jugendschutz.net, Herrn Wolfgang Freter, Sachsen-Anhalt hier in Aschersleben begrüßen. Referatsleiter im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport, Abt. Verfassungsschutz Ich freue mich, Verwaltungsmitarbeiterinnen sowie Herrn Dr. Hilmar Steff en, Referatsleiter und Verwaltungsmitarbeiter des Landes und der Auswertung und Beschaff ung Rechtsextremis- Kommunen, politische Entscheidungsträger und mus/-terrorismus, aus meinem Hause, die zu zivilgesellschaftliche Akteure, ebenso willkommen dieser Thematik ausführen werden. heißen zu können, wie eine Reihe fachkompeten- ter Gäste aus Verfassungsschutzbehörden anderer Der „Kampf gegen den politischen Gegner“ fi n- Bundesländer. det seit langem nicht nur „auf der Straße“ statt, Rechtsextremisten haben ihre Taktik geändert. Ich begrüße insbesondere den Präsidenten der Sie haben Ihr politisches Auftreten organisa- Verfassungsschutzbehörde des Freistaates Sach- torisch und strategisch professionalisiert – sie sen, Herrn Meyer-Plath, sowie die Kolleginnen haben sich modernisiert. Motor und Zentrum und Kollegen der Länder Brandenburg, Bremen, dieses modernen Rechtsextremismus ist immer Hamburg, Thüringen und Schleswig-Holstein ganz noch die NPD. herzlich.

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Zu diesem Themenkomplex möchte ich die Her- Die aktuellen Erkenntnisse der Sicherheitsbehör- ren Prof. Dr. Eckhard Jesse von der TU Chemnitz den, der zahlreichen Initiativen der Bürgergesell- und Dr. Marc Brandstetter, Redaktionsleiter End- schaft und auch der Wissenschaft zeichnen ein station Rechts, herzlich begrüßen, die uns aus Bild über den qualitativen und quantitativen Zu- wissenschaftlicher Perspektive diese Dinge nahe stand des Rechtsextremismus hierzulande, das bringen werden. ein konsequentes Handeln aller Akteure der prä- ventiven und repressiven Ebene erfordert. Sehr geehrte Damen und Herren, Sehr geehrte Damen und Herren, Rechtsextremismus in all seinen Facetten und die von ihm ausgehende Intoleranz haben in un- Der Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Ras- serer Gesellschaft keinen Platz! Dies müssen wir sismus, Antisemitismus und Nationalismus als immer wieder gemeinsam deutlich machen und ideologische Kernelemente des Rechtsextremis- unsere demokratische Überzeugung fortwäh- mus in Deutschland müssen sich der demokra- rend gegen Unmenschlichkeit, Rassismus und tische Verfassungsstaat und die demokratische Ausgrenzung verteidigen. Das tun wir auch, in- Zivilgesellschaft in allen politischen Ebenen stel- dem wir unsere Werte aktiv dagegenstellen. len.

Rechtsextremisten agieren in den unterschied- Die Auseinandersetzung mit demokratiefeind- lichsten gesellschaftlichen Bereichen. lichen und menschenverachtenden Handlungs- weisen und Denkmustern kann kein kurzfristiger Einerseits erschüttern uns immer wieder Bei- Prozess sein – zweifellos bleibt dies eine Dauer- spiele aus dem Bereich der politisch motivierten aufgabe. Hier sind Staat und Gesellschaft glei- Kriminalität. Neben den zahlreichen so genann- chermaßen gefordert. ten Propagandadelikten verüben Rechtsextre- misten brutale Gewaltdelikte. Die Opfer – in der Darum unterstützt das Land Sachsen-Anhalt mit Mehrzahl Ausländer und der politische Gegner dem Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt – werden mitunter erheblich an Leib und Leben und Weltoff enheit in Sachsen-Anhalt Vereine und geschädigt. Die Statistiken im Bereich der poli- Verbände dabei, die innere Demokratie zu stärken, tisch motivierten Kriminalität befi nden sich seit die Mitglieder für einen kritischen Umgang mit Jahren auf einem sehr hohen Niveau. Rassismus und Rechtsextremismus im Vereinsle- ben zu qualifi zieren und Strukturen zu entwickeln. Andererseits begegnet uns der Rechtsextremis- Partner sind beispielsweise die Landesverbände mus im parlamentarischen Raum. Die Ergebnis- des Landessportbundes, des Fußballverbandes, se der NPD bei Landtags- und Kommunalwahlen der Arbeiterwohlfahrt, des Landfrauenverbandes machen deutlich, wie dringend eine Auseinan- und der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft dersetzung mit der menschenverachtenden neo- sowie die Katholische Erwachsenenbildung Sach- nationalsozialistischen Ideenwelt ist. sen-Anhalt und die Diakonie Mitteldeutschland.

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Beispielhaft möchte ich aus meinem Ressort- len als auch in der virtuellen Welt verankert sind, bereich das Projekt „Menschlichkeit und Tole- werden den Rechtsextremismus in den nächsten ranz im Sport“ (MuT) des LandesSportBundes Jahren charakterisieren. Sachsen-Anhalt e. V. nennen, das zum 01.02.2011 startete und sich zum Ziel gesetzt hat, die demo- Deshalb halte ich unsere heutige Fachtagung im kratischen Strukturen des Sports zu stärken und Hinblick auf die aktuelle Information und den rechtsextremistischen Tendenzen entgegenzu- umfassenden Erfahrungsaustausch mit den in wirken. der Praxis unmittelbar befassten Experten für sehr wichtig. Ich hoff e, dass sie uns interessante Sehr geehrte Damen und Herren, und praxisnahe Einblicke sowie neue Denkanstö- ße gewähren werden. Es reicht eben nicht aus, dass die Polizei über die neuen Erscheinungs- und Aktionsformen im In diesem Sinne, meine Damen, meine Herren, Rechtsextremismus geschult wird. Wir alle soll- hoff e ich, dass diese Fachtagung die weitere ten unser Wissen erweitern und aktualisieren, Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus im um unserer Verantwortung gerecht werden zu Land befördert und Sie das Gehörte in ihre tägli- können. Dies gilt nach meiner Meinung auch und che Arbeit einfl ießen lassen können und weiter- gerade für diejenigen, die sich in Vereinen oder hin engagiert die Probleme gegen den Rechtsex- Institutionen um Kinder und Jugendliche küm- tremismus angehen zu können. mern, damit sie in die Lage versetzt werden, sol- che Tendenzen zu erkennen und zu reagieren. Denn: „Rechtsextremismus ist eine Herausfor- derung für Politik und Gesellschaft, der wir uns Um die eigenen propagandistischen Aktivitä- stellen müssen“. ten umzusetzen, erkennen Rechtsextremisten zunehmender, wie sie ihre antidemokratischen Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit‼ ! Ziele erreichen können – durch die Nutzung neu- er Medien. Es gibt kaum Bereiche, die nicht auch von ihnen genutzt werden. Im heutigen Medien- zeitalter haben fast alle Rechtsextremisten ihren Platz in der multimedialen Welt eingenommen. In Zukunft werden sich auch die Aktionsformen der rechtsextremistischen Szene jugendadäqua- ter gestalten. Über das Internet schnell organi- sierte Verabredungen zu Spontanaktionen wer- den verstärkt das Bild des Rechtsextremismus zeichnen. Flexible – mitunter aber auch kurzlebi- ge – Erscheinungsformen, die sowohl in der rea-

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Tagesmoderation

Maik Reichel,

Direktor der Landeszentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren, Gestrigen wegentwickelt haben, Teil des Moder- nisierungsprozesses war auch eine Öff nung ins- Ich begrüße Sie herzlich im Namen der Landes- besondere jugendkultureller Festlegungen. War zentrale für politische Bildung zur Tagung „Neue in den 1980ern und frühen 1990ern das Bild des Aktions- und Erscheinungsformen des Rechtsex- Skinheads, die Kombination aus Bomberjacke, tremismus“. Die Auseinandersetzung mit diesem Springerstiefel und Gewalt typischer Ausdruck Themenfeld ist für uns alle eine Herausforderung, rechtsextremer Jugendkultur, fi nden wir heute in denn die „Erscheinungsformen“ des Rechtsext- dieser Szene fast alle jugendkulturellen Formen, remismus haben sich seit der Wende in einem unter dem Oberbegriff Rechtsrock fi nden wir alle Ausmaß verändert, das uns mit einem deutlich Musikstile vom romantischen Liedermacher über erneuerten Bild konfrontiert. Und damit meine alle möglichen Rock- und Popformen bis hin zu ich nicht nur die Frage der berühmten Symbo- Hiphop. In der Kleidung fi nden wir Street- und le und Codes der Szene, über die auch wir ja in Outdoormode, wie sie auch andere Kleidungsmar- Publikationen und Fortbildungen aufk lären, um ken produzieren, garniert mit den neuen Codes das Erkennen dieses Phänomens zu erleichtern. des Rechtsextremismus, die für viele demokrati- Nein, es geht erst einmal um einen programma- sche Akteure schwer zu erkennen sind. Auch vor tischen Modernisierungsprozess, der die Szene modernen Medien macht dieses Spektrum nicht für Themen des Bürgers geöff net hat. Nicht die halt, früher als so manche demokratische Organi- Kriegsschuldfrage, die beispielsweise den west- sation hat dieses Spektrum Internet und soziale deutschen Rechtsextremismus der Vorwendezeit Medien entdeckt, sowohl für seine Propaganda maßgeblich beschäftigt hat, steht heute noch im als auch für die Organisation und Vermarktung Mittelpunkt, sondern Themen wie Abwanderung, quasi-virtueller Aktionsformen wie etwa die der Familienperspektiven, oder Arbeitsplätze, Themen sogenannten Unsterblichen. Und wir sind mit ver- also, die viele Bürgerinnen und Bürger bewegen, änderten Organisationsformen konfrontiert. Die und bei denen sie heute Angebote rechtsextre- NPD hat es seit Mitte der 90er Jahre geschaff t, sich mer Parteien und Gruppen fi nden. Es geht um mit diesem Veränderungsprozess in zwei Länder- kulturelle Prägungen, die sich im Laufe der Jahre parlamente und zahlreiche Kommunalparlamente mehr und mehr vom Erscheinungsbild der ewig wählen zu lassen. Wir alle wissen, dass sich diese

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Partei oft selbst im Weg steht mit ihrem chaoti- langjährige Handlungsfähigkeit letztlich in dem schen Finanz- und Personal-Management, ihren Vakuum aus Fehleinschätzungen und Handlungs- Irrationalitäten und ihren zahlreichen Widersprü- defi ziten aufseiten der staatlichen Sicherheitsbe- chen zwischen moderner Strategie und ihren oft hörden entfalten konnte. Aber auch im Mikrokos- unbeholfen und erfolglos handelnden Personen. mos lokaler Auseinandersetzungen können wir Gerade die NPD in Sachsen-Anhalt hat uns zum beobachten, wie aktionsfähig solche Gruppen Glück immer wieder gelehrt, dass man sich auch sind, wenn etwa das Merseburger Mehrgenera- selbst demontieren kann, auch dann, wenn einem tionenhaus oder einzelne Schulen, die den Titel schon viele Bürger folgen und der Wahlerfolg wie „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ 2011 zum Greifen nahe ist. Ob die NPD die Partei erworben haben, zum Ziel rechtsextremer Akti- ist, die in Deutschland den Rechtsextremismus onen solcher Gruppierungen werden, die damit auch auf breiterer Ebene wählbar machen kann, zum Ausdruck bringen wollen, dass sie Positio- lässt sich heute noch nicht absehen. Dass sie in der nierungen gegen rechts in ihrem Umfeld nicht Lage ist, sich für neue Potentiale zu öff nen, Bür- dulden wollen. gern ein politisches Angebot zu machen, Themen zu besetzen wie etwa in der Auseinandersetzung Sehr geehrte Damen und Herren, in dem kleinen Ort Insel, das wissen wir. Aber min- destens ebenso viel Aufmerksamkeit sollten wir die Haltung in Politik und Gesellschaft gegenüber gerade in Sachsen-Anhalt den sogenannten Frei- dem Rechtsextremismus hat sich in dieser Zeit en Kräften widmen, die in ganz Deutschland ver- ebenfalls stark verändert. Die Verharmlosung und breitet sind und auf lokaler und regionaler Ebene Ignorierung rechtsextremer Spektren in den 90er gerade Jugendlichen Identitäts- und Vergemein- Jahren wurde mit der Jahrtausendwende abgelöst schaftungsangebote machen. Wir sollten uns sehr durch starke Initiativen in der Zivilgesellschaft, davor hüten, dieses Spektrum als „unorganisiert“ die zum Auslöser neuen staatlichen Handelns zu begreifen, nur weil wir hier keine in unserem wurden. Auch das Land Sachsen-Anhalt hat mit Verständnis rechtsförmige Organisation vorfi n- dem Handlungskonzept für ein demokratisches, den. Freie Kameradschaften, Freie Kräfte sind in weltoff enes Sachsen-Anhalt, mit dem Aktionspro- ihren informellen Strukturen oft handlungsfähig gramm gegen Rechtsextremismus von 2006 und organisiert, sie sind an vielen Orten aktionsfä- mit dem aktuellen Landesprogramm für Demo- higer als die NPD, und sie sind auch Ausgangs- kratie, Vielfalt und Weltoff enheit deutliche Sig- punkt militanter Übergriff e. Wer diese Gruppen nale gesetzt, dass es neben allem notwendigen unterschätzt, übersieht ihre Wirkungsmacht in staatlichen Handeln im Sinne einer wirksamen jugendkultureller Hinsicht und übersieht dann Repression – die Prävention von Rechtsextremis- auch leicht das militante Potential dieses Spekt- mus vor allem in die Hände der Zivilgesellschaft rums, das zeigt nicht zuletzt der Abschlussbericht legen und dort unterstützen will. Dazu gehört die des NSU-Untersuchungsausschusses des Deut- Förderung von Beratungsteams und Opferbera- schen Bundestages, der deutlich diagnostiziert, tungsstellen durch das Ministerium für Arbeit und dass der rechtsextremistische Terror aus genau Soziales ebenso wie die Stärkung lokaler Bündnis- diesen Strukturen hervorgegangen ist und seine se gegen Rechtsextremismus und die Vernetzung

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zivilgesellschaftlicher Initiativen und Programme gerbündnisse, aber auch auf die großen Verbände durch die Landeszentrale für politische Bildung. in Sport, Feuerwehr, Wohlfahrt und Kirchen set- Die Stärkung von Weltoff enheit und Toleranz und zen. Und nicht zuletzt sei an dieser Stelle erwähnt, die Prävention von Rechtsextremismus, Rassismus dass es in Sachsen-Anhalt auf Initiative der Inte- und anderen Formen gruppenbezogener Men- grationsbeauftragten, Frau Möbbeck, inzwischen schenfeindlichkeit gehören seit vielen Jahren zu ein Landesnetzwerk der Migrantenselbstorganisa- den Schwerpunkten unserer Arbeit. Ein Markstein tionen mit über 70 Mitgliedsverbänden gibt, die dieser Arbeit war die Gründung des Netzwerks aktiv am politischen Leben unseres Bundeslandes für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt partizipieren und wichtige Kooperationspartner in im Jahr 2005 als Informations- und Aktionspool der interkulturellen Bildung geworden sind. der Zivilgesellschaft und die Einrichtung der Ge- schäftsstelle des Netzwerks in der Landeszentrale Sehr geehrte Damen und Herren, als Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Land. In dieses Netzwerk integriert haben wir ei- Staat und Zivilgesellschaft sind also aufmerksa- nen in unserem Bundesland höchst erfolgreichen mer und handlungsfähiger geworden gegenüber Präventionsansatz für Schulen, nämlich das Schul- dem Rechtsextremismus. Aber wir dürfen nicht netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit nachlassen in unserer Aufmerksamkeit, in un- Courage“, dem inzwischen in Sachsen-Anhalt 94 serem Handeln und in unserer kritischen Ausei- Schulen angehören, die sich aktiv um dieses Thema nandersetzung mit diesem Thema, denn nur so kümmern und Jahr für Jahr neue Projekte kreieren. können wir noch besser werden, in diesem Sinne Seit der Verabschiedung des Landesprogramms wünsche ich der heutigen Tagung off ene, kriti- für Demokratie, Vielfalt und Weltoff enheit durch sche Diskussionen und konstruktive Ergebnisse die Landesregierung im Mai 2012 gehören auch für eine gemeinsame Strategie. die Koordination dieses ressortübergreifenden Programms und die Umsetzung eines Maßnah- me-Etats zu den Aufgaben der Landeszentrale für politische Bildung. In diesem Zusammenhang koordiniert die Landeszentrale auch die Projekte des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“, wozu auch eine Kofi nanzierung meh- rerer Projekte gehört, die in großen Verbänden umgesetzt werden. Aber ich betone an dieser Stel- le ausdrücklich, dass wir eine koordinierende, eine fördernde und als Bildungseinrichtung auch eine qualifi zierende Aufgabe haben, aber den Schwer- punkt eindeutig auf die Förderung nichtstaatli- chen Handelns in der Gesellschaft legen und dabei auf Kooperationspartner der Zivilgesellschaft wie die Träger der Beratungsnetzwerke, auf Lokale Bür-

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„Die NPD – Geschichte und Gegenwart, aber Zukunft?“

Prof. Dr. Eckhard Jesse, Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät (Professur für Politische Systeme, politische Institutionen)

Es gilt das gesprochene Wort!

1. Einleitung es, dass das Bundesverfassungsgericht die Partei verbietet, sei es, dass diese in ihrem desolaten Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands ideologischen, organisatorischen und fi nanziel- (NPD) wurde am 28. November 1964 ins Leben len Zustand weiterhin ein Mauerblümchendasein gerufen. Sie ist damit nicht nur die älteste rechts- fristet. extremistische Partei, sondern auch die größte. Allerdings hat es mit dem Superlativ eine eigen- 2. Geschichte tümliche Bewandtnis. Der Superlativ („größte“) ist weniger als der Positiv („groß“). Denn die NPD Gegründet als Sammelbecken des „nationalen stellt im Gegensatz zum eigenen Anspruch eine Lagers“ unter Einschluss kleiner national-kon- weithin einfl usslose politische Kraft dar. Aller- servativer Kreise, trat die NPD die Nachfolge der dings entsteht in der Öff entlichkeit zuweilen ein erfolglosen Deutschen Reichspartei an (1953: 1,1 anderer Eindruck – durch Gegner der Partei wie Prozent; 1957: 1,0 Prozent; 1961: 0,8 Prozent), die durch die NPD selbst. den organisatorischen Kern der neuen Kraft bil- dete. Nach der Bundestagswahl 1965 (2,0 Pro- Der folgende Beitrag fragt nach der politischen zent) setzte in der zweiten Hälfte der sechziger Relevanz dieser Partei. Er geht auf ihre Vergangen- Jahre während einer wirtschaftlichen Rezessi- heit, Gegenwart und Zukunft ein. Die Abgrenzung on und während eines schnellen gesellschaftli- ist dabei nicht leicht. Unter „Geschichte“ wird die chen Wandels ein kometenhafter Aufstieg ein. (lange) Zeit von der Gründung der Partei bis zum Die NPD gelangte in sieben Landesparlamente: Ende der Ära im November 2011 ver- im November 1966 in Hessen (7,9 Prozent) und standen. Als „Gegenwart“ fi rmiert die (kurze) Zeit in Bayern (7,4 Prozent), im April 1967 in Rhein- unter dem Vorsitz Holger Apfels (von November land-Pfalz (6,9 Prozent) und Schleswig-Holstein 2011 an), als dieser den Vorsitz Knall auf Fall im (5,8 Prozent), im Juni 1967 in Niedersachsen Dezember 2013 niederlegte und sogar die Partei (7,0 Prozent), im Oktober 1967 in Bremen (8,8 verließ. Die Phase seither fi rmiert als „Zukunft“. Prozent). Das beste Ergebnis erreichte die Par- Auch wenn diese off en ist, spricht vieles nicht für tei nach den „Osterunruhen“ der außerparla- eine verheißungsvolle Entwicklung der NPD – sei mentarischen Opposition im Gefolge des Atten

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tats auf Rudi Dutschke in Baden-Württemberg jede Ausstrahlung über das rechtsextremistische (9,8 Prozent).1 Dem knappen Scheitern bei der Milieu hinaus. Nach dem kläglichen Abschneiden Bundestagswahl 1969 mit 4,3 Prozent folgte bei der ersten gesamtdeutschen Bundestags- ein jahrzehntelanger Abwärtstrend.2 Die Grün- wahl im Dezember 1990 mit 0,3 Prozent erklärte de: schnelle Verbesserung der ökonomischen Mußgnug seinen Rücktritt – er verließ die Partei Lage; Beendigung der Großen Koalition mit der und beteiligte sich 1991 an der Gründung der Folge einer „Opposition im System“ durch die „Deutschen Liga für Volk und Heimat“, die keinen Union; intensive Auseinandersetzung der ande- Einfl uss gewinnen konnte und 1996 aufgab. ren Parteien mit den von der NPD geschürten Ressentiments. Die Resultate bei den Bundes- Die NPD ist seit der deutschen Einheit die stärkste tagswahlen 1972 bis 1990 lagen zwischen 0,2 rechtsextremistische Partei5, nachdem zunächst und 0,6 Prozent. In den Ländern kam die Partei die gemäßigtere Partei der „Republikaner“ zu re- in dieser Zeit auch nicht mehr an die Fünfpro- üssieren schien – mit sehr guten Erfolgen bei den zenthürde heran. Der erste Vorsitzende Friedrich Wahlen in Baden-Württemberg (1992: 10,9 Pro- Thielen (1964 – 1967), von der nationalkonserva- zent; 1996: 9,1 Prozent). Durch die Neuregelung tiven Deutschen Partei zur NPD gestoßen, war des Asylrechts verlor sie ein Thema, das ihr Stim- eine bloße Galionsfi gur und musste bald Adolf men beschert hatte. Auch die DVU hatte 1998 in von Thadden (1967 – 1971) Platz machen.3 Von Sachsen-Anhalt mit 12,9 Prozent und in Branden- Thadden, als früherer Vorsitzender der Deut- burg 1999 mit 5,3 Prozent (2004: 6,1 Prozent) bes- schen Reichspartei fest im „nationalen Lager“ sere Ergebnisse erzielt. Unter Udo Voigt, der 1996 verhaftet, verfocht einen eher besitzbürgerlich Günter Deckert6 abgelöst hatte (mit 88 gegen orientierten Rechtsextremismus und setzte sich 83 Stimmen), öff nete sich die NPD Kräften mit von der nationalsozialistischen Ideologie ab.4 zum Teil neonationalsozialistischen Positionen, nicht zuletzt bedingt durch den Zulauf von Mit- Die Niederlage bei der Bundestagswahl 1969 zei- gliedern verbotener Vereinigungen in der ersten tigte bald personelle Konsequenzen. Von Thad- Hälfte der neunziger Jahre. Voigt sorgte mit sei- den trat auf dem Parteitag 1971 zurück, weil die nem strategischen Konzept von 1997, abgesegnet NPD nicht mehr „führbar“ sei. Unter Thaddens auf dem Parteitag von 1998, in der Partei selbst Nachfolger Martin Mußgnug, der sie von 1971 und in der Öff entlichkeit für beträchtliche Auf- bis 1990 mehr verwaltete als führte, blieb die merksamkeit. Es stützt sich auf drei Säulen: Mit Partei ein „braver Haufen“ Ewiggestriger ohne der „Schlacht um die Köpfe“ ist die Programma- tik gemeint, mit der „Schlacht um die Straße“ die 1 Vgl. die Analyse von Lutz Niethammer, Angepasster Faschis- mus. Politische Praxis der NPD, Frankfurt a. M. 1969; siehe jetzt Massenmobilisierung, mit der „Schlacht um die auch Jan-Ole Prasse, Der kurze Höhenfl ug der NPD. Rechtsex- treme Wahlerfolge der 1960er Jahre, Marburg 2010. 2 Vgl. Uwe Hoff mann, Die NPD. Entwicklung, Ideologie und Struktur, Frankfurt a. M. 1999 5 Vgl. Richard Stöss, Der rechte Rand des Parteiensystems, in: Os- 3 Vgl. Eckhard Jesse, Biographisches Porträt: , kar Niedermayer (Hrsg.), Handbuch Parteienforschung, Wies- in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & baden 2013, S. 563 – 618. Demokratie, Bd. 2, Bonn 1990, S. 228 –238. 6 Dieser wurde 1995 wegen Volksverhetzung und Aufstachelung 4 Er gehörte für die Deutsche Konservative Partei – Deutsche zum Rassenhass zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Vgl. Rechtspartei, einem Vorläufer der Deutschen Reichspartei, dem Gerhard Hertel, Biographisches Porträt: Günter Deckert, in: ersten Deutschen Bundestag an und war fähigster Kopf im Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & rechtsextremistischen Lager. Demokratie, Bd. 9, Baden-Baden 1997, S. 202 – 212.

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Wähler“ die Wahlteilnahme.7 Die unverkennbare Scheitern des Verfahrens aus formalen Gründen. Radikalisierung zeitigte zunächst keine Erfolge, Ausgerechnet der einstige Linksterrorist Horst stieß allerdings bei ihren Gegnern auf massiven Mahler – ein Wanderer zwischen den ideologi- Widerspruch. schen Welten – hatte als Rechtsvertreter der NPD fungiert und bizarre Stellungnahmen voller ver- Nachdem es schon in der Zeit der ersten Großen schwörungstheoretischer Elemente verfasst.9 Koalition unter Innenminister Ernst Benda zu ei- ner – halbherzig geführten – Verbotsdiskussion Die Partei erzielte bei den Bundestagswahlen über die NPD gekommen war, ließen es die eta- 1998 und 2002 nur 0,3 bzw. 0,4 Prozent der Stim- blierten Parteien im Jahre 2001 nicht mehr mit men, schaff te so nicht einmal die für die Wahl- bloßen Absichtserklärungen bewenden. Tatsäch- kampfk ostenerstattung wichtige Marke von 0,5 liche bzw. vermeintliche gewalttätige rechts- Prozent. Bei den Bundestagswahlen 2005 und extremistische Aktivitäten führten zu einer Art 2009 konnte die NPD mit 1,6 und 1,5 Prozent Eigendynamik des demokratischen Staates. Alle wenigstens ein Ergebnis oberhalb der Ein-Pro- drei dazu berechtigten Verfassungsorgane reich- zent-Hürde aufweisen. Ein Zusammenhang zum ten gegen die NPD einen Verbotsantrag ein (die gescheiterten Parteiverbotsverfahren ist nicht Bundesregierung, der Bundestag und der Bun- erwiesen, wenngleich die NPD dadurch hohe öf- desrat). Das Bundesverfassungsgericht bat in der fentliche Aufmerksamkeit erzielt hatte. An den Folge aufgrund bestimmter Verdachtsmomente Wahlen zum Europäischen Parlament, die eher um Aufk lärung zu denjenigen Personen aus den ein Protestvotum begünstigen, nahm die NPD Vorständen der NPD, die mit staatlichen Stellen nach der deutschen Einheit dreimal teil: 1994, zusammengearbeitet hatten. Nach den Angaben 1999 und 2004. Die Resultate fi elen mit 0,2, 0,4 der Verfassungsschutzbehörden waren rund 15 und 0,9 Prozent ernüchternd aus.10 Sie vermochte Prozent V-Leute in den Vorständen der NPD tä- auch bei Landtagswahlen lange nicht zu reüssie- tig, etwa 30 von 200. Am 18. März 2003 gab der ren. Im Jahre 2004 jedoch zog die Partei auf dem Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die Höhepunkt der Kritik an Hartz IV in Sachsen mit Einstellung des Verfahrens gegen die Partei be- 9,2 Prozent in den Landtag ein (2004: 5,6 Prozent), kannt. Das war für die streitbare Demokratie der und sie konnte diesen Erfolg zwei Jahre später in Bundesrepublik Deutschland eine Niederlage. Mecklenburg-Vorpommern mit 7,3 Prozent fast Für drei der sieben Richter stellte das Problem wiederholen. In diesem Land gelangte ihr ebenso der V-Leute ein nicht behebbares Verfahrens- die Rückkehr in das Parlament (2011: 6,0 Prozent). hindernis dar.8 Dieses Quorum genügte für das In Teilen von Sachsen und von Mecklenburg-Vor- pommern vermochte die Partei eine gewisse Ver- 7 2004 kam der „Kampf um den organisierten Willen“ hinzu. Die NPD wollte im „nationalen Lager“ die alleinige Kraft werden. ankerung zu erreichen. Zum Konzept der Partei vgl. NPD-Parteivorstand, Das strate- gische Konzept der NPD, in: Holger Apfel (Hrsg.), „Alles Große steht im Sturm.“ Tradition und Zukunft einer nationalen Partei: 35 Jahre NPD – 30 Jahre JN, Stuttgart 1999, S. 356 – 360. Zur Kritik: Eckhard Jesse, Das Vier-Säulen-Modell der NPD, in: Armin 9 Vgl. Eckhard Jesse, Biographisches Porträt: , in: Pfahl-Traughber (Hrsg.), Jahrbuch für Extremismus- und Terro- Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & rismusforschung 2008, Brühl 2008, S. 178 – 192. Demokratie, Bd. 13, Baden-Baden 2001, S. 183 – 199; Martin Jan- 8 Vgl. Lars Flemming, Das NPD-Verbotsverfahren. Vom „Aufstand der, Horst Mahler, in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der Anständigen“ zum „Aufstand der Unfähigen“, Baden-Baden der linke Terrorismus, Bd. 1, Hamburg 2006, S. 372 – 393. 2004. 10 2009 hatte die NPD zugunsten der DVU verzichtet.

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Die ideologische und organisatorische Neuaus- Sonderparteitag15 2009 konnte sich Udo Voigt ge- richtung unter der Führung von Voigt radikalisierte gen Udo Pastörs mit 136 gegen 72 Stimmen deut- die NPD einerseits (durch enge Zusammenarbeit lich behaupten. Holger Apfel hatte zuvor erklärt, mit den militanten „Freien Kameradschaften“) nur unter Pastörs für das Amt eines Stellvertreters und verlieh ihr andererseits ein wählerwirksa- zur Verfügung zu stehen. meres Auftreten. In dem „Deutschland-Pakt“ vom Januar 2005 verpfl ichteten sich NPD und DVU 3. Gegenwart dazu, nicht mehr gegeneinander anzutreten.11 Die NPD agierte nun aggressiv antikapitalistisch-na- Die Wahlen im September 2011, zum Berliner tionalrevolutionär, bisweilen klassenkämpferisch. Abgeordnetenhaus waren für den Spitzenkandi- Die fremdenfeindliche, teils rassistische Partei daten Udo Voigt von fundamentaler Bedeutung, wendet sich vehement gegen die Globalisierung, musste er doch mit einem guten Ergebnis auf- gegen die USA, gegen „den“ Kapitalismus. Der warten, um seine Chancen auf Wiederwahl zwei geforderte Ausschluss aller Nicht-Deutschen aus Monate später zu wahren. Die Partei sparte nicht einer „deutschen Volksgemeinschaft“ steht für mit Provokationen. So warb sie mit dem Slogan Vertreibung und Enteignung.12 „GAS geben“. Trotzdem (oder gerade deswegen) verlor sie 0,5 Punkte der Stimmen16, sie erreichte Udo Voigt proklamierte mit seinem Strategie- nur 2,1 Prozent: 2,9 Prozent im Ostteil der Stadt, wechsel das Ziel, die Partei aus ihrem „politischen 1,7 Prozent im Westteil. Das war für Voigt kein gu- Eremitendasein“ herauszuführen.13 Die strategi- tes Omen. sche Verjüngungskur bescherte der NPD zeitweilig einen „zweiten Frühling“ (Armin Pfahl-Traughber). Am 12. November 2011 löste Holger Apfel, der et- Dabei kooperiert die Partei mit Neonationalso- was weniger plump agitierte als Udo Voigt und zialisten und Skinheadgruppen. Die Phase unter „seriöse Radikalität“ propagierte, diesen mit 126 Voigt ist mithin durch Erfolge und Misserfolge gegen 85 Stimmen ab. Apfel versprach Korrektu- gekennzeichnet. Zuletzt machten Voigt fi nan- ren, weniger im inhaltlichen Bereich, mehr in der zielle Unregelmäßigkeiten der Partei zu schaff en. Außendarstellung: „Wir wollen in Zukunft spür- Innerparteilich wurde er zunehmend umstritten. bar den Medienklischees entgegenwirken und Zumal Holger Apfel14 wandte sich mit seinem uns noch stärker als Kümmererpartei profi liieren. „Sächsischen Weg“ gegen den „Berliner Weg“ Das gelingt uns nur, wenn wir Vertrauen schaff en, Voigts. Bei der Wahl zum Vorsitzenden auf einem wenn wir nicht als Sektierer oder Bürgerschreck auftreten. Wir wollen interessant und unkonven-

11 2009 löste die NPD diesen Pakt auf. Zum 1. Januar 2011 ging die tionell sein. Wir wollen anecken, provozieren und dahinsiechende DVU in der NPD auf. herausfordern. Wir wollen aber keine Schlachten 12 Vgl. Uwe Backes/Henrik Steglich (Hrsg.), Die NPD. Erfolgsbedin- gungen einer rechtsextremistischen Partei, Baden-Baden 2007; der Vergangenheit schlagen oder ständig mit Marc Brandstetter, Die NPD unter Udo Voigt. Organisation, Ideologie, Strategie, Baden-Baden 2013. 15 Dieser war wegen der durch den Bundesschatzmeister Erwin 13 Vgl. Eckhard Jesse, Biographisches Porträt: Udo Voigt, in: Uwe Kemna veruntreuten Parteigelder und der Streitigkeiten mit Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demo- Blick auf das Verhältnis gegenüber den „Freien Kameradschaf- kratie, Bd. 18. Baden-Baden 2006, S. 207 – 219. ten“ nötig geworden. 14 Vgl. Karsten Goll, Biographisches Porträt: Holger Apfel, in: Uwe 16 Vgl. Eckhard Jesse, Wahlen 2011, in: Uwe Backes/Alexander Gal- Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demo- lus/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokra- kratie, Bd. 19, Baden-Baden 2008, S. 226 – 236. tie, Bd. 24, Baden-Baden 2012, insbes. S. 123 f.

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Assoziationen zu vorgestern aufmerksam ma- Die Wahlergebnisse 2012/2013 fi elen unter Hol- chen, sondern eine von frischem Wind getragene ger Apfel nicht besser aus als unter Udo Voigt – nationalistische Anti-Globalisierungspartei sein.“17 im Gegenteil. Bei den drei Landtagswahlen 2012 Allerdings konnte Apfels Beginn wahrlich nicht verlor die NPD jeweils 0,3 bzw. 0,2 Punkte gegen- schlechter verlaufen. Schließlich waren wenige über dem letzten Wahlgang: im Saarland ging ihr Tage zuvor zehn Morde von Rechtsextremisten Resultat von 1,5 auf 1,2 Prozent zurück, in Schles- aus den Jahren 2000 bis 2007 bekanntgeworden wig-Holstein von 0,9 auf 0,7 Prozent und in Nord- („Nationalsozialistischer Untergrund“). rhein-Westfalen von 0,7 auf 0,5 Prozent. Damit konnte sie nur im Saarland von der staatlichen Nach dem Aufdecken dieser Morde fl ammte Teilfi nanzierung profi tieren.18 Noch stärker nah- eine erneute Verbotsdiskussion in puncto NPD men sich die Verluste der NPD bei den zwei Land- auf, diesmal weniger in plakativer Weise – wie tagswahlen 2013 vor der Bundestagswahl aus: etwa nach dem Messerangriff auf den Passauer Sie büßte in Niedersachsen 0,7 Punkte ein (2013: Polizeipräsidenten Alois Mannichl. Die Innenmi- 0,8 Prozent) und in Bayern 0,6 Punkte (2013: 0,6 nisterkonferenz beschloss im Dezember 2011 die Prozent). Bei den Landtagswahlen in Hessen – Chancen für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren am Tag der Bundestagswahl – vermochte sich die auszuloten, wobei die Existenz von V-Leuten in Partei allerdings leicht zu steigern: von 0,9 auf 1,1 den Führungsetagen der Partei dem Erfolg eines Prozent. Hingegen setzte sich der negative Trend solchen Unterfangens entgegenstand. Als sich bei der Bundestagswahl 2013 fort. Die NPD er- im März 2012 die Innenminister des Bundes und zielte mit einem Stimmenanteil von 1,3 Prozent der Länder darauf einigten, diese V-Leute „ab- 0,2 Punkte weniger als 2009. Im Osten sank der zuschalten“, gerichtsverwertbare Beweise für Anteil der Partei von 3,1 auf 2,8 Prozent, im Wes- aggressiv-kämpferisches Verhalten der NPD zu ten von 1,1 auf 1,0 Prozent. Dieses Ergebnis war sammeln und zu prüfen, ob ein Antrag dem Gebot für die NPD enttäuschend. Sie schnitt – nicht nur der Verhältnismäßigkeit entspreche, trat das Ver- bei dieser Wahl – überdurchschnittlich gut bei botsvorhaben in ein neues Stadium. Im Dezember den jungen Männern ab. So erreichte sie in den 2012 votierten die Innenminister für ein Verbots- neuen Bundesländern bei den 18- bis 24-jährigen verfahren gegen die NPD. Der Bundesrat beschloss Männern 7,1 Prozent der Stimmen, bei den über noch im gleichen Monat, einen Verbotsantrag zu 70-jährigen Frauen dagegen nur 0,4 Prozent der stellen (bei Stimmenenthaltung des Landes Hes- Stimmen.19 sen). Bundesregierung und Bundestag (vor allem gegen Stimmen der SPD und der Partei Die Linke) Überraschend für die Öff entlichkeit trat Holger Ap- verzichteten zwar auf einen Verbotsantrag, unter- fel kurz vor Weihnachten 2013 vom Amt des Partei- stützten aber das Vorgehen des Bundesrates. Im vorsitzenden und des sächsischen Fraktionsvorsit- Dezember 2013 wurde durch diesen ein solcher An- 18 Vgl. für Einzelheiten Eckhard Jesse, Wahlen 2012, in: Uwe Bak- trag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. kes/Alexander Gallus/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremis- Er verweist u. a. auf Ähnlichkeiten zwischen dem mus & Demokratie, Bd. 25, Baden-Baden 2013, S. 97 – 111. 19 Das sind die exakten Angaben der repräsentativen Wahlstati- Programm der NSDAP und dem der NPD. stik. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Wahl zum 18. Deut- schen Bundestag am 22. September 2013. Heft 4: Wahlbeteili- gung und Stimmabgabe der Männer und Frauen nach Alters- 17 Zitiert nach Uwe Backes, Organisationen 2011, in: Ebd., S. 139. gruppen, Wiesbaden 2014, S. 75.

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zenden zurück. Eine Woche später verließ er sogar Die internen Auseinandersetzungen innerhalb die Partei, und im Januar 2014 legte er auch sein der NPD sind einerseits Auseinandersetzungen Landtagsmandat nieder. Der Hintergrund für diese zwischen unterschiedlichen extremistischen Entscheidung: Ihm wurde vorgeworfen, ein männ- Strömungen und andererseits Zwistigkeiten per- liches Mitglied der eigenen Partei sexuell belästigt soneller Natur. Beide Ebenen vermengen sich. So zu haben.20 Zum Nachfolger Apfels avancierte Udo hatte der Hardliner Pastörs den „Gemäßigten“ Pastörs, Fraktionschef der Partei im Landtag von Apfel im Kampf um den Parteivorsitz 2011 ge- Mecklenburg-Vorpommern und bisher stellvertre- gen den Hardliner Voigt unterstützt. Nach dem tender Vorsitzender.21 Allerdings setzte sich kurz – mehr unfreiwilligen als freiwilligen – Rücktritt danach auf dem Bundesparteitag der NPD (Januar von Holger Apfel sind Udo Pastörs und Udo Voigt 2014) Udo Voigt gegen Udo Pastörs mit 93 gegen nun die beiden „starken Männer“ der „schwa- 71 Stimmen für die Spitzenkandidatur der Partei chen Partei“. Da das Bundesverfassungsgericht zur Europawahl im Mai 2014 durch.22 Das Beispiel die Dreiprozenthürde für die Wahlen zum Euro- zeigt die Zerstrittenheit der NPD. Udo Voigt hatte päischen Parlament im Februar 2014 als verfas- in einem Buch von Ende 2013 sogar nicht davor sungswidrig erklärt hat, wird die NPD mit Udo zurückgeschreckt, Holger Apfel in die Nähe eines Voigt wohl in das Europäische Parlament ein- V-Mannes zu rücken.23 ziehen. Ein Machtfaktor ist sie damit aber nicht. Die Angst, Voigt könnte über sein Auftreten im 4. Zukunft Europäischen Parlament Anhänger gewinnen, Was die Zukunft der NPD betriff t, so sind die fol- dürfte unbegründet sein. Die internen Konfl ikte genden Aussagen nicht frei von Spekulation. Sie könnten sich bei ausbleibendem Wahlerfolg zu- beziehen sich zum einen auf die Aktivitäten der spitzen – mit unabsehbaren Konsequenzen. Die Partei (innerer Zusammenhalt; Wahlergebnisse), Partei, deren Mitgliederzahl trotz der Integration zum anderen auf die Aktivitäten ihrer Gegner der DVU zurückgeht (mittlerweile unter 6 000), (z. B. Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungs- ist kaum kampagnenfähig. Es spricht mehr dafür gericht). Was allerdings menschlichem Ermessen als dagegen, dass sie nach dem 31. August 2014 nach feststehen dürfte: Der NPD mit ihrer antide- (Wahltermin) dem nächsten Landtag im Frei- mokratischen Ideologie, Strategie und Organisa- staat Sachsen nicht mehr angehört. tion ist kein Erfolg beschieden.24 Ob das Bundesverfassungsgericht die Partei ver- 20 Vgl. etwa Frank Jansen, Kabale unter Kameraden, in: Der Tages- spiegel v. 27. Dezember 2013, S. 6; Justus Bender, Nacht der lan- bietet, ist schwer einzuschätzen.25 Die Belege gen Messer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27. Dezember 2013, S. 4. für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei sind 21 Vgl. u. a. Andreas Förster, Pastörs offi ziell neuer NPD-Chef, in: Berliner Zeitung v. 14. Januar 2014; Jan Bielecki, Extrem extremis- erdrückend. Weniger klar ist die Frage nach der tisch, in: Süddeutsche Zeitung v. 16. Januar 2014. aggressiv-kämpferischen Ausrichtung der Partei 22 Vgl. u. a. Antonie Rietzschel, Rechter Udo gegen rechten Udo, in: Süddeutsche Zeitung v. 20. Januar 2014; Justus Bender, Be- zu beantworten. Auch wenn Zusammenhänge lauscht mit Ohr und Blick, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20. Januar 2014, S. 3; Konrad Litschko/Andreas Speit, Udo zwischen der NPD und den NSU-Morden au- schlägt Udo, in: die tageszeitung v. 20. Januar 2014, S. 6. 23 Vgl. Udo Voigt, Der deutschen Zwietracht mitten ins Herz. Mein genscheinlich nicht gegeben sind, genügt für Weg mit der NPD, Fretterode 2013. ein Verbot bereits eine aggressive Zielsetzung, 24 Vgl. Robert Ackermann, Warum die NPD keinen Erfolg haben kann. Organisation, Programm und Kommunikation einer 25 Vgl. Eckart Klein, Ein neues NPD-Verbotsverfahren? Rechtspro- rechtsextremen Partei, Opladen 2012. bleme beim Verbot politischer Parteien, Baden-Baden 2012.

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die nicht auf Gewalt hinauslaufen muss.26 Ge- Aber selbst in diesem Fall stellt die Partei keine rade ein Anhänger der streitbaren Demokratie, Gefahr für den demokratischen Verfassungs- wie sie das Grundgesetz verankert hat, muss staat dar. Vollmundige Parolen, die etwa der Skepsis gegenüber einem solchen Antrag anmel- Partei-Theoretiker Jürgen Gansel30 ausgibt („ge- den.27 Rechtsextremistische Gewalttaten dürften räuschlose völkische Graswurzelrevolution“ in durch ein NPD-Verbot nicht zurückgehen. Und ist „Mitteldeutschland“), sind in ihrer Autosugge- ein solcher Antrag gegen eine schwache Partei stion nicht ernst zu nehmen. Die Bundesrepub- wirklich ein Zeichen der Stärke des Staates? Die lik Deutschland ist nicht die Weimarer Republik. Bundesrepublik Deutschland ist eine gefestigte Und: Die NPD ist nicht die NSDAP. Demokratie – anders als Anfang der fünfziger Jahre. Damals war ein Verbot der Sozialistischen 5. Schluss Reichspartei 1952 angemessen.28 Für die KPD gilt das ebenso. Die Geschichte der NPD ist die Geschichte einer gescheiterten Partei – unabhängig vom Ausgang Die für die NPD ungünstigste Variante: Die Partei des Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfas- löst sich auf, und ihre Mitglieder ziehen sich aus sungsgericht. Die NPD war lange eine rechtsex- dem „politischen Geschäft“ entmutigt zurück. tremistische Partei deutsch-nationaler Prägung Doch ist ein solches Szenario ausgesprochen – bis Anfang der neunziger Jahre. Durch Günter unrealistisch. Wahrscheinlicher ist die Neugrün- Deckert und vor allem durch Udo Voigt radikali- dung einer Partei des „nationalen Lagers“, die sierte sich ihr Kurs. In beiden Phasen hatte sie vor vorsichtiger agiert. allem Misserfolge, aber auch gewisse Erfolge.

Die für die NPD günstigste Variante: Das Bundes- Die Bereitschaft, einer Partei wie der NPD im verfassungsgericht verbietet die Partei, und der Osten eher die Stimme zu geben als im Westen, Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, hängt u. a. mit der dort geringeren Parteiidenti- den die NPD in einem solchen Fall mit Sicher- fi kation zusammen, da die neuen Bundesländer heit anruft, macht die Entscheidung rückgängig. demokratisch weniger konsolidiert sind. Zwei Schließlich spielt für diesen bei der Prüfung nach spezifi sche Faktoren erklären das bessere Ab- der Legitimität eines Parteiverbotes die Frage der schneiden: zum einen die Erblast des „realen Gefahr eine Rolle.29 Es könnte also sein, dass die Sozialismus“ (die DDR war keine weltoff ene Ge- NPD die Bundesrepublik dann als einen Staat sellschaft, die den Umgang mit „Fremden“ einge- „vorzuführen“ gedenkt, der „unbequeme“ Partei- übt hatte), zum anderen der nicht zuletzt auch en ausschaltet, als eine Art „Unrechtsstaat“. ökonomisch schwierige Transformationsprozess,

26 Vgl. Eckhard Jesse, Die Diskussion um ein neuerliches NPD- der sich verbindet mit Perspektivlosigkeit, Ver- Verbotsverfahren – Verbot: kein Gebot, Gebot: kein Verbot, in: Zeitschrift für Politik 59 (2012), S. 296-313. ödung von Landstrichen, starkem Zukunftspes- 27 Vgl. zur Diskussion Uwe Backes, NPD-Verbot: Pro und Contra, in: simismus, schwach ausgeprägter Religionsbin- Aus Politik und Zeitgeschichte B 18 – 19/2012, S. 9 – 15. 28 Vgl. Henning Hansen, Die Sozialistische Reichspartei (SRP). Auf- dung sowie Entbürgerlichungstendenzen. stieg und Scheitern einer rechtsextremen Partei, Düsseldorf 2007. 30 Er ist Begründer der „Dresdner Schule“, die sich als Gegenge- 29 Vgl. Seyda Emek, Parteiverbot und Europäische Menschen- wicht zur „Frankfurter Schule“ versteht. Es ist schwer, keine Sa- rechtskonvention, München 2007. tire zu schreiben.

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Allerdings: Die Wählerschaft der NPD ist wie Flug- sand. Es besteht keine sonderlich enge Bindung an die Partei, die vor allem mit Protest Stimmen sammelt und spezifi sch landespolitische Themen vernachlässigt. Freilich erweckt die NPD, die eine „Volkfront von rechts“ beschwört, einen anderen Eindruck. Gewiss geriert sich die rechtsextreme Kraft zuweilen als „Kümmerer“-Partei, aber des- wegen ist sie nicht in der viel berufenen „Mitte der Gesellschaft“ angekommen. Pointiert formu- liert: Die demokratische Öff entlichkeit fi ndet im November 2014 – 50 Jahre nach der Gründung – eine Partei vor, die einen „Scherbenhaufen“ hin- terlassen hat.

Wenngleich die NPD einen anderen Eindruck ver- mitteln will: Sie beeinfl usst in Deutschland die politische Willensbildung nicht. Alle tragenden gesellschaftlichen Kräfte sind sich prinzipiell ei- nig in der Ablehnung dieser antidemokratischen Gruppierung: Parteien und Kirchen, Gewerk- schaften und Unternehmerverbände, Medien und Universitäten, Bundeswehr und Justiz. Das ist ein klarer Unterschied zur ersten deutschen Demokratie, als der Rechtsextremismus längst nicht überall geächtet war.

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„Zerstritten, pleite, geächtet“

Dr. Marc Brandstetter Redaktionsleiter Endstation Rechts

Es gilt das gesprochene Wort!

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„Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt“

Dr. Hilmar Steff en, Referatsleiter Auswertung und Beschaff ung Rechtsextremismus/-terrorismus im Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren, möchte ich das Stichwort „Individualisierung“ nennen. uns liegen viele Informationen zum Rechtsex- tremismus vor. Sie stammen von den Sicher- Die Modernisierung des Rechtsextremismus hat heitsbehörden, aber auch von Initiativen der natürlich nicht plötzlich, sozusagen über Nacht, Bürgergesellschaft und werden durch vielfälti- eingesetzt. Indizien für eine Modernisierung der ge Maßnahmen der Öff entlichkeitsarbeit, hier Szene off enbarten sich uns in den letzten Jahren. möchte ich insbesondere das Engagement der Medien herausstellen, in die Gesellschaft getra- Neonazis stellten Springerstiefel und hängten gen. Bomberjacken in den Schrank und entdeckten zunehmend das Potenzial sozialer Fragen. Die Wenn Sie sich die Entwicklung des Rechtsext- Programmatik rechter Parteien und von Neona- remismus der letzten Jahre anschauen, muss zis strotzt nur so vor weichen Themen. das Engagement des staatlichen und zivilgesell- schaftlichen Widerstands anhalten und weiter Nach der Hartz IV – Gesetzgebung versuchten entwickelt werden. Und es stellen sich mir eine Rechtsextremisten, sich an die Montagsdemon- Reihe wichtiger Fragen: strationen anzuhängen. In Insel, einem Örtchen bei Stendal in der Altmark, mischen sie beim Ein- Genügen die bisherigen gesellschaftlichen Stra- wohnerprotest gegen das Bleiberecht rechtskräf- tegien der Abwehr gegen Rechtsextremismus? tig verurteilter Sexualstraftäter mit.

Müssen wir nicht unsere Wahrnehmung wei- Über parlamentarische Mandate in Landtagen ter schärfen, um die neuartigen Konturen des und in Kommunalvertretungen versuchen sie, Rechtsextremismus besser erkennen und be- Raum zu gewinnen, indem sie alltagspolitische schreiben zu können? Themen zum Beispiel über das Fragerecht auf- greifen. Muss die Modernisierung des Rechtsextremis- mus nicht im Zusammenhang mit der Moderni- Rechte versuchen, in die Mitte der Gesellschaft sierung der Gesellschaft begriff en werden? Hier vorzudringen. Im Übrigen ein Thema, dem sich

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die Sicherheitsbehörden seit Jahren widmen. Die Der Rechtsextremismus stellt in der Bundesrepu- NPD versuchte in den 1990er-Jahren durch Fa- blik Deutschland kein einheitliches Gefüge dar. milien- und Sportfeste szeneferne, szenefremde Neben dem organisationsgebundenen Rechts- Personen an sich zu binden; insbesondere Kinder extremismus, wie z. B. rechtsextremistischen sollten angesprochen werden, um sie langfristig Parteien oder neonazistischen Kameradschaften, an entsprechende Strukturen zu binden. Neben werden bundesweit fast 10 000 Personen der unverfänglichen Aktivitäten wie Wettkämpfen, gewaltorientierten rechtsextremistischen Sze- Hüpfb urg-Spiele und Grillen wurden so ganz ne- ne zugerechnet. Damit ist nahezu jeder zweite benbei Luftballons mit NPD-Logo und anderes Rechtsextremist in Deutschland als gewaltbereit einschlägiges Werbematerial an die mitunter ah- einzustufen. nungslosen Teilnehmer verteilt. Rechtsextremismus wird insbesondere auch im- Die Beispiele lassen sich fortsetzen … mer dann wahrgenommen, wenn Meldungen von politisch motivierten Straf- und Gewalttaten Um die Frage zu beantworten, ob sich der Rechts- die Öff entlichkeit erreichen, die hinsichtlich der extremismus moderner aufgestellt hat, ist es Qualität und der Quantität zur Sorge mahnen. sinnvoll mit Blick auf das Land, in dem das Thema heute im Rahmen einer Fachtagung bearbeitet Von den im Jahr 2012 in Sachsen-Anhalt erkann- wird, einen skizzenhaften Zustandsbericht zum ten rund 1 400 Rechtsextremisten werden zirka Rechtsextremismus zu bieten. 800 Personen dieser rechtsextremistischen Er- scheinungsform zugerechnet. Der deutsche Rechtsextremismus tritt uns in ver- schiedenen Erscheinungsformen entgegen, die Wir erkennen im Bereich des gewaltorientierten sich uns nicht statisch zeigen. Vielmehr unterliegt Rechtsextremismus auf Grund der Eckzahlen auch der Rechtsextremismus Veränderungen, eine deutliche rechtsextremistische Belastung. weil er sich immer wieder neuen gesellschaftli- chen Entwicklungen anzupassen versucht. Der weit überwiegende Teil dieses Personenkrei- ses entstammt dem subkulturellen Milieu, das Wir sehen uns einer neuen kulturell und ideolo- sich in der Regel von allgemeinen gesellschaftli- gisch modernisierten rechtsextremistischen Sze- chen Standards absetzt. Dazu gehören unter an- ne gegenübergestellt. derem martialisches Auftreten, exzessiver Alko- holkonsum oder aggressive Musik. Schauen wir uns in diesem Zusammenhang ein- mal die NPD an: Diese größte rechtsextremis- Die aktuelle Bedrohung durch den Rechtsextre- tische Partei vollzog im letzten Jahrzehnt eine mismus kommt nicht nur durch die immer noch Wandlung vom bürgerlich-nationalen hin zum hohe Anzahl von Gewaltdelikten, von Propaganda- radikal-neonazistischen Lager. Die spiegelt ein- delikten und von anderen rechtsmotivierten Straf- drucksvoll die Veränderungen und die Wand- taten im Bundesgebiet und in Sachsen-Anhalt lungsfähigkeit des Rechtsextremismus wider. zum Ausdruck, sondern auch durch das von der

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rechten Szene umgesetzte Konzept, welches ganz der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalde- zentral auf Ausgrenzung und Dominanz beruht. mokraten“ (JN) werden ausschließlich der Neo- naziszene zugerechnet. Die JN selbst hat rund 50 Dominanz wiederum geht einher mit massiver Mitglieder (2012). Gewaltandrohung und Gewaltanwendung in zum Bundesweit gehören dieser Szene derzeit zirka Teil menschenverachtender Form und dies ist für 6 000 Neonazis an. die rechte Szene nach wie vor von enormer Be- deutung. Zu den beutenden NPD-Aktivitäten gehört die Teilnahme an Wahlen. Die NPD subsumiert diese Die dabei weiterhin auf hohem Niveau vorhan- Parteiarbeit im Rahmen ihres ideologischen Säu- dene Gewaltbereitschaft rechtsorientierter Täter lenkonzeptes unter dem Slogan „Kampf um die und das Inkaufnehmen von schweren körperlichen Parlamente“. Schäden unterstreicht die anhaltende Bedrohung durch den Rechtsextremismus nachdrücklich. Die NPD fuhr bei der kürzlich stattgefundenen Bundestagswahl ein eher unterdurchschnittli- Leider müssen wir auch für Sachsen-Anhalt eine ches Ergebnis ein. Gegenüber der Wahl von 2009 derartige Entwicklung verbuchen, die seit den verlor sie absolut sogar ein Drittel ihrer Wäh- 1990er-Jahren auf einem sehr hohen Niveau ver- ler, konnte sich aber rund 400 000 Euro Wahl- läuft. Ihnen dürfte sicherlich das eine oder andere kampfk ostenrückerstattung sichern. Inhaltlich Beispiel vor Augen stehen. konzentrierte sich die Partei auf das Thema „Eu- ro-Ausstieg“ und versuchte mit ihrer „Anti-Über- Der weit überwiegende Teil der parteigebundenen fremdungskampagne“ zu punkten. Rechtsextremisten ist in der „Nationaldemokrati- schen Partei Deutschlands“ (NPD) organisiert; das Ich halte es auch für wichtig, immer wieder klar die sind etwa 6 000 (2012) Personen. ideologischen Elemente des Rechtsextremismus herauszuarbeiten, um damit die verfassungsfeind- Andere rechtsextremistische Parteistrukturen liche Zielrichtung von Parteien und Gruppierungen sehe ich derzeit in Sachsen-Anhalt nicht. Die schärfer ins Bewusstsein zu rücken. Ich habe den Entwicklung der Partei DIE RECHTE scheinen an Eindruck gewonnen, dass rechtsextremistisches Sachsen-Anhalt (noch) vorbeizugehen. Gleich- Tun in der Berichterstattung ausschließlich am wohl kann die eingeschlagene Strategie und Taktik konkreten Beispiel, an einer konkreten Situation, auch in Sachsen-Anhalt Raum greifen, aber dazu erklärt wird, eine Demonstration dort, ein Fest bedürfte es Führungskader, die bereit sind, sich hier, ein Parteitag in … Dies so zu tun ist ja richtig, Neuem zu stellen. Die sehe ich gottlob in unserem reicht aber nicht aus. Den Bürgerinnen und Bür- Bundesland nicht. gern müssen auch weltanschauliche Inhalte nahe gebracht werden, damit die Abgrenzung zwischen Der Neonaziszene in Sachsen-Anhalt gehören nicht hinnehmbarem Extremismus und von der etwa 330 Rechtsextremisten an, die mehrheitlich Meinungsfreiheit getragenen Gedankengut deut- kameradschaftlich organisiert sind. Die Mitglieder licher wird.

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Ziel der NPD ist zum Beispiel die Schaff ung eines in einem Gewerbegebiet zu einer Veranstaltung homogenen und autoritären, gleich geschalteten unter dem Motto „In Bewegung – Das politische Staates, der unter Missachtung der Menschen- Fest der Nationalen – Dem demografi schen Wan- rechte und -würde ausschließlich dem deutschen del entgegentreten“. Angemeldet wurde die Zu- Volk dienen soll. sammenkunft von einem Thüringer NPD-Funkti- onär. Seitens der NPD traten mit Udo VOIGT und Die Elemente unseres Rechtsstaates wie Interes- Udo PASTÖRS namhafte NPDler auf. Die Redebei- senvielfalt, Pluralismus, Gleichheit vor dem Ge- träge wurden mit Auftritten des Liedermachers setz und auch die bereits erwähnten universellen Frank RENNICKE und weiteren renommierten Menschenrechte sind im völkischen Staatswesen Bands wie „Oidoxie“ aus Nordrhein-Westfalen der NPD nicht vorgesehen. oder „Kraftschlag“ aus Sachsen-Anhalt umrahmt. Diese Vorgehensweise ist zum Beispiel ein Aus- Für Sachsen-Anhalt können wir uns derzeit aus- druck des von der NPD ausdrücklich gewollten schließlich auf die NPD konzentrieren. Alternati- Brückenschlags zur neonazistischen Szene der ven gibt es nicht. so genannten Freien Kräfte. Ich möchte an die- ser Stelle betonen, dass die Kooperation von NPD Wie stellt sich die NPD in Sachsen-Anhalt derzeit mit Neonazis ein sehr wichtiges Argument im dar? Verbotsverfahren darstellt.

Die NPD in Sachsen-Anhalt hat sich in den letz- Es ist augenfällig, dass sie eine Ideologie des Nati- ten zwei Jahren zu einer eher durchschnittlichen onalsozialismus als historisches Referenzmodell rechtsextremistischen Kraft in Sachsen-Anhalt befürwortet und lebt. Der off ene Kampf der NPD entwickelt. Durch den Rückzug ehemaliger neo- gegen die universelle Geltung der Menschen- nazistischer Kader wie Matthias HEYDER, Mat- rechte und die Propagierung einer Ideologie der thias GÄRTNER, Philipp VALENTA oder auch Mi- rassistisch begründeten Volksgemeinschaft bele- chael SCHÄFER agiert der etwa 250 Personen um- gen diese Entwicklung. fassende und in elf Kreisverbänden strukturierte Landesverband verhalten und unauff ällig. Trotz punktueller Erfolge bei Kommunalwahlen im Vergleich zu anderen Bundesländern ist es Landesvorstand und Kreisverbände fallen nicht der NPD in Sachsen-Anhalt nicht gelungen, sich direkt durch Tatendrang und Kreativität auf. in der Gesellschaft zu etablieren. Gleichwohl be- müht sich die Landes-NPD, einen Wählerstamm Aber: Sachsen-Anhalt gilt wohl als ein attraktiver aufzubauen, indem sie z. B. die soziale Frage ins Veranstaltungsort für übergeordnete bundes- Zentrum ihrer fremdenfeindlichen, antikapitalis- weite Aktivitäten. tischen und antisemitischen Agitation rückt.

In Berga (Landkreis Mansfeld-Südharz) versam- Als einzige der rechtsextremistischen Parteien melten sich am 10. August diesen Jahres rund verfügt die NPD unter Einbeziehung neonazisti- 900 Rechtsextremisten aus ganz Deutschland scher Ideologie elemente über eine System über-

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windende Programmatik, die sie auch für Neo- für das „Superwahljahr“ 2014. In Sachsen-Anhalt nazis attraktiv erscheinen lässt. Die NPD vertritt stehen Kommunalwahlen an. Es bleibt abzuwar- fremdenfeindliche, rassistische und antisemiti- ten, wie der Wahlkampf um kommunale Manda- sche Positionen und versteht sich als Fundamen- te geführt wird. Ohne Unterstützung von außen talopposition zur freiheitlichen demokratischen (Mutterpartei, Kameradschaftsszene) wird dies Grundordnung. ein sehr schwieriges Unterfangen.

Die gewollte „Systemüberwindung“ soll mit un- Sehr geehrte Damen und Herren, terschiedlichen Mitteln und Methoden, Strategi- en und Taktiken realisiert werden. Am Ende soll wie ich bereits erwähnte, ist der Brückenschlag die Demokratie durch ein autoritäres politisches zwischen NPD und den kameradschaftlich orga- System ersetzt werden, das nicht von der Zustim- nisierten Neonaziszene auch in Sachsen-Anhalt mung der Bevölkerung abhängig ist, sondern auf vollzogen worden. naturwissenschaftlich-biologischen Grundlagen und einer nationalsozialistischen Weltanschau- Der Stellenwert der neonazistischen Kamerad- ung beruht. schaften für den Rechtsextremismus in Sach- sen-Anhalt lässt sich zum einen an der struktu- Die NPD-Ideologen entwickelten hierfür Ende rellen Verankerung und dem Personenpotenzial der 1990er-Jahre zur Umsetzung ihrer Ziele das und zum anderen am politischen Handeln able- so genannte Säulen-Konzept. Hierzu gehören sen. der „Kampf um den organisierten Willen“, der „Kampf um die Straße“, der „Kampf um die Köp- Nach dem Verbot der „Freiheitlichen Deutschen fe“ und der „Kampf um die Parlamente“. Arbeiterpartei“ (FAP) im Jahr 1995 bildeten sich in der Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl Die Teilnahme an Wahlen wird auch in Zukunft neonazistischer Kameradschaften heraus. zu einem Hauptaktionsfeld rechtsextremisti- scher Parteien gehören. Die Verankerung auf Die Kameradschaften prägten in den 1990-er kommunaler Basis ist für rechtsextremistische Jahren das Bild des Rechtsextremismus auch in Parteien, insbesondere für die NPD, ein wichtiger Sachsen-Anhalt. In fast allen Regionen unseres Bestandteil ihrer Strategie und Taktik geworden. Bundeslandes existierten derartige Kamerad- schaftsverbände, die in der Regel eine lokale oder Mit Stand 30. Juni 2009 hat die NPD in kom- maximal regionale Ausdehnung besaßen. munalen Vertretungen 30 Mandate inne. Die Mandate werden in unterschiedlicher Intensität Im Jahr 2005 wurde in Sachsen-Anhalt der Lan- wahrgenommen; dies hängt in erster Linie von desverband der NPD-Jugendorganisation, die den intellektuellen Fähigkeiten des jeweiligen „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), gegründet. Mandatsträgers ab. Deren Funktionäre gewannen die JN-Mitglieder wiederum aus den Kameradschaften. An Ka- Schon jetzt sensibilisiert die Partei ihre Anhänger meradschafts-Standorten wurden so genannte

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JN-Stützpunkte installiert. Teile der ehemaligen Kameradschaften fördern somit auch eine Orts- Kameradschaften in Halle (Saale) und Magde- ansässigkeit von Rechtsextremisten. burg gingen in den „JN“ auf. Einige Kamerad- schaften, wie z. B. in der Altmark oder in der Re- Kameradschaften können auf Grund ihrer ver- gion Sangerhausen und andernorts, wollten ihre meintlichen oder tatsächlichen Unverbindlich- Unabhängigkeit von NPD und „JN“ erhalten und keit noch nicht rechtsextremistisch gefestigte agieren autark oder arbeiten allenfalls anlassbe- Personen besser an sich binden als Parteien oder zogen mit der NPD/JN zusammen. Organisationen.

Nach der etwa 5jährigen Aufb auphase der JN Kameradschaften indoktrinieren Jugendliche setzte bei den Funktionären ab 2011 Ernüchte- und Heranwachsende mit neonazistischem Ge- rung ein. Ein fl ächendeckender Aufb au von Stütz- dankengut und tragen wie rechtsextremistische punkten im Land schlug fehl. Die Gesamtmitglie- Parteien und Organisationen – zwar im gerin- derzahl überstieg nie die 50-Personen-Grenze. gerem Umfang – zur politischen Willensbildung Nur wenige öff entlichkeitswirksame Veranstal- bei. tungen wurden auf die Beine gestellt. Wie sich die Struktur in diesem Bereich darstellt, Als herausragender JN-Vertreter aus Sachsen-An- können Sie unserem Jahresbericht entnehmen. halt ist der Bundesvorsitzende Andy KNAPE aus Nur so viel jedoch: Magdeburg zu nennen. KNAPE ist sehr rührig und kann als sehr gut vernetzt gelten. Neben den kameradschaftsähnlichen Gruppen- strukturen, die sich neuerdings Aktionsgruppen Heute sind die JN nicht mehr wahrnehmbar, (AGs) nennen agieren in Sachsen-Anhalt Neona- Stützpunkte sind nur noch bloße Interneteintra- zis, die nicht unbedingt eine direkte Gruppen- gungen, der Landesvorsitzende inaktiv. Das Blatt struktur benötigen, aber überregionale Kontakte in diesem Bereich hat sich zugunsten der Freien unterhalten. Hierzu gehören Andreas BIERE, Jens Nationalisten gewendet. BAUER, Steff en JENRICH, Steff en HUPKA.

Der neonazistischen Kameradschaftsszene in An dieser Stelle möchte ich auf die Person Steff en Sachsen-Anhalt werden etwa 330 Personen zu- HUPKA eingehen, weil dieser ein relativ aktuelles gerechnet; eine Anzahl, die seit Jahren stabil ist. Heft namens „Neuer Weg“ herausgebracht hat. Weshalb bieten Kameradschaften für diejenigen Diese Schrift ist ein anschauliches Beispiel für die Rechtsextremisten eine Alternative, die sich vor Fortentwicklung neonazistischer Programmatik, einer Parteianbindung scheuen? die HUPKA vor Jahrzehnten begann und in den Kameradschaften sind in der Regel lokal kolo- 1990er-Jahren im Periodikum „Umbruch“ gipfel- riert und bieten daher ihren Angehörigen die ten. Möglichkeit, sich in und für ihre jeweilige Region rechtsextremistisch zu engagieren.

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Zur Schrift: Das Vorwort hat appellierenden Charakter. HUP- Dem Impressum bzw. Klappentext ist zu ent- KA fordert Einigkeit der „Bewegung“, die Über- nehmen, dass HUPKA das Manuskript für diese windung von Egoismus und Streit. Schrift Ende 2010 im Gefängnis in Magdeburg geschrieben hat.1 Der Autor wählt folgende Ausgangsthese: „Die Bereitschaft der Menschen, konsequent und radi- Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte und des kal gegen diesen Staat vorzugehen, nimmt stän- Sujets fallen Parallelen zu Hitlers „Mein Kampf“ dig ab. Was nicht bedeutet, dass die Zahl derer, auf. Hitler schrieb 1924 den ersten Teil von „Mein die dieses System ablehnen auch entsprechend Kampf“ während seiner Festungshaft in der Haf- weniger wird. Im Gegenteil… “ tanstalt Landsberg im oberbayerischen Lands- berg am Lech. Auch Hitler bescheinigte der völ- Im Kapitel „Die Lage unseres Volkes“ beschreibt kischen Bewegung völlige Erfolglosigkeit. HUPKA HUPKA die Situation des deutschen Volkes aus bezeichnet die Bewegung als „Nationales Lager“ einer biologistischen Sicht. HUPKA sieht in der und „Nationale Bewegung“. demografi schen Entwicklung, im Verlust des Soldatischen und in einer permanenten Umer- Der Text ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil ziehung des Volkes z.B. durch die Massenmedi- widmet sich HUPKA der Analyse der „nationalen en Ursachen für die fehlende revolutionäre Be- Bewegung“ in der Gegenwart, um dann im zwei- reitschaft. „Die Verdummung und Degeneration ten Teil eine Alternative für den revolutionären werden also weitergehen, genauso wie das bio- Kampf aufzuzeigen. HUPKA führt mit dem „Neu- logische Aussterben unseres Volkes.“ en Weg“ seine weltanschaulichen Ideen, die er mit der „Revolutionären Plattform“ begann, fort. Dieser Entwicklung, so der Autor könne man nur durch eine „völkische welt-anschauliche Erneu- HUPKA umreißt schon im Vorwort seine Absicht, erungsbewegung, die einen Machtwechsel her- die er mit dieser Schrift verfolgt. HUPKA will eine beiführt“, begegnen. Analyse der gescheiterten nationalen Bewegung vornehmen und macht die Entwicklung der letz- HUPKA meint, dass die Demokratie der Vertu- ten Jahrzehnte an seiner Person fest. Es handelt schung eines „materialistisch-kapitalistische sich also bei diesem Text um eine Zustandsbe- Herrschaftsziels“ diene und die „Vernichtung der schreibung der rechtsextremistischen Szene aus weißen Völker“ durch Methoden wie „Rassenver- der Binnenperspektive. mischung, Geburtenschwund, Naturzerstörung, Vergiftung von Lebensmitteln und Lebensraum, Er beklagt das Fehlen einer „revolutionären Be- Zerstörung von Seele, Geist und genetischer Ge- wegung“ und fordert neue Taten, die auch in der sundheit“ herbeigeführt werde.2 „Dem gleichen „nationalen Bewegung“ Opfer fordern wird. Zweck dient die Vermischung von Völkern.“

1 Die Staatsanwaltschaft Erfurt verurteilte Steff en HUPKA mit dem 2 Ebenda, S. 19. Tatvorwurf der Bedrohung am 07.04.2004 zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten. Die Haftstrafe verbüßte HUPKA vom 29.09.2010 – 05.10.2010 in der JVA Volkstedt und vom 06.10.2010 – 15.11.2010 in der JVA Magdeburg.

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Nachfolgend werden die wichtigsten Aussagen geistig längst ein Teil dieses Systems geworden HUPKAs zum Zustand des „Nationalen Lagers“ sind.“ (NL) unkommentiert wiedergegeben: Der zweite Teil HUPKAs Schrift befasst sich zum HUPKA teilt das NL in politische, kulturelle und einen mit der Frage „Was ist ein revolutionärer religiöse Richtungen oder in „Suchende“ (ausge- Mensch?“ und zum anderen mit der Schaff ung wählte Minorität in der NL) und „Angekomme- einer revolutionären Elite in Form einer „natio- ne“ (Mehrheit des NL) ein. nalen Wehr- und Siedlungsgemeinschaft“, die „in einer unerschütterlichen nationalsozialistischen Antrieb des NL-Handelns sei kein Idealismus, Weltanschauung“ begründet ist, sich durch eine sondern Egoismus. „unbedingte Opferbereitschaft bis zum Tod“ aus- zeichnet und als Voraussetzung eine „rassistische „Das politische NL ist im wesentlichen ein Abbild Zugehörigkeit zu den germanischen Völkern hat der Gesellschaft. Es ist keine Auslese der Besten …“ und über eine genetische Gesundheit verfügt.

„Das politische NL besteht aus vielen kleinen und Im Kapitel „Tagebuch: Eine Woche in unserem großen Gruppen und Einzelaktivisten. Die meis- Dorf“ beschreibt der Autor fi ktiv den Ablauf im ten unterscheiden sich in ihrem politischen, welt- Wehrdorf. anschaulichen, strategisch-taktischen Auftreten und Wollen nicht entscheidend voneinander.“ Die Schrift endet mit einem politischen Lebenslauf Steff en HUPKAs, seinem Bekenntnis zur national- „NPD und DVU werden dem nationalen Lager sozialistischen revolutionäre Weltanschauung, zugerechnet, sind aber schon lange vom Gegner seinem Scheitern in und mit der rechtsextremis- derart unterwandert, dass er die ‚Politik‘ dieser tischen Szene. Parteien bestimmt.“ HUPKA hat sich eigenem Bekunden zufolge aus Die NL habe keinen überragenden Führer. Das organisatorischen Zusammenhängen des „NL“ NL sei nicht durch das Führerprinzip gekenn- zurückgezogen. Er halte nur noch zu wenigen zeichnet, sondern vielmehr durch demokratische Einzelpersonen Kontakt. Grundsätze. Sehr geehrte Damen und Herren, Die Teilnahme an Wahlen sei Vergeudung von Zeit und Energie. Rechtsextremistische Erscheinungsformen, die ich soeben etwas näher qualifi ziert habe, leben Im NL herrschten Lüge, Verrat, Diebstahl, Feigheit nicht isoliert von der übrigen Gesellschaft. Sie le- u. a. genau wie in der übrigen Gesellschaft vor. ben in ihren Regionen und unterliegen einer star- ken Regionalität. Sie nutzen natürlich entdeckt „Die Vertreter des NL sind nicht mehr in der Lage, oder unentdeckt die Infrastruktur im Kultur- und in anderen Kategorien zu denken, weil sie selbst Freizeitbereich. So werden wir auch in Zukunft

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Berichte über Rechtsextremisten zur Kenntnis Zu rechtsextremistischer Musik werden Lieder al- nehmen müssen, die eben solche Vorkommnisse lerdings nicht wegen ihrer Stilrichtung, sondern zum Inhalt haben. Rechte in Fußballvereinen und aufgrund ihrer Texte. Darin wird sich zu einer dif- -stadien oder in Feuerwehren und Heimatverei- fusen „arisch-nordischen Rassenideologie“, die nen. Dies ist natürlich aufmerksam zu beobach- alles Fremde ablehnt, bekannt. Die Texte beinhal- ten und der Staat muss immer dann eingreifen, ten widerwärtige Verunglimpfungen bestimm- wenn Strafgesetze berührt oder junge Menschen ter Volksgruppen, Religionsgemeinschaften oder mit verfassungsfeindlichen Ideen indoktriniert Minderheiten, und es wird zur Gewalt gegen werden. Andersdenkende bzw. Andersfarbige aufgeru- fen. Die Texte refl ektieren in unverhüllter Weise Das kann zu einem ernsthaften Problem heran- einen in der Szene vorherrschenden Ausländer- wachsen, wenn die Verantwortlichen in den eben bzw. Fremdenhass. Ferner wird die Zeit des Nati- genannten Bereichen mögliche Entwicklungen onalsozialismus unverhohlen glorifi ziert. nicht erkennen oder verschlafen. Es werden aber auch Gemeinschaftswerte, wel- Das Ministerium für Inneres und Sport nimmt che für den „rechten Empfänger“ in diesem Zu- zum Beispiel mit Polizei und Verfassungsschutz sammenhang als „positive Werte der Subkultur“ an der Arbeit des Runden Tisches gegen Gewalt anzusehen sind, wie Kameradschaft, vaterländi- im Fußball aktiv teil. sche Ehre oder Tugenden, namentlich Tapferkeit, Treue und Ordnung besungen. Die Liedtexte be- Sehr geehrte Damen und Herren, inhalten somit stets ideologische Elemente und vermitteln ein einseitiges, oberfl ächliches Welt- wie bereits in meinen vorherigen Ausführungen bild, geprägt von Rassismus und Hass auf alles anklang, hat sich die Musik in der rechtsextre- Fremde. Sie dienen stets dem Ziel, den Fremden, mistischen Szene ebenfalls in den letzten fünf bis Andersdenkenden zu dem zu machen, was dieser zehn Jahren nicht nur quantitativ, sondern auch für den „Rechten“ ist – zuerst ein Feind und zu- qualitativ stark weiterentwickelt und umfasst letzt kein Mensch. eine sehr große Anzahl von Musikrichtungen. Sehr geehrte Damen und Herren, Gegenwärtig sind in Sachsen-Anhalt zehn Bands und drei Liedermacher aktiv. aus diesem Grund wird es mit zunehmender Zeit zwangsläufi g auch nicht leichter werden, beste- Rechtsextremistische Musik umfasst also weit hende und verfestigte, rechte Strukturen aufzu- mehr als nur die allseits bekannte „Skinhead-Mu- brechen. Rechtsextreme Strömungen müssen sik“. In ihr fi nden sich die unterschiedlichsten deshalb frühzeitig wahrgenommen werden, zu- Musikstile von der Skinheadmusik über Rock, mal der Rechtsextremismus neuen Typs mehrere Pop, Schlager und Volkslieder bis hin zum Heavy Elemente umfasst, die sich gegenseitig bestär- Metal oder Black Metal wieder. ken.

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So haben rechte Aktivitäten im kulturellen und • Eff ektive Aufk lärung rechtsextremistischer sozialen Bereich an Bedeutung gewonnen und Strukturen rechte Jugendliche setzten auf Trend, gelten als • Zusammenarbeit der Behörden von Bund „cool“. Oft wird heutzutage keine neue Jugend- und Ländern im Sinne einer ganzheitlichen kultur mehr geschaff en, vielmehr wird versucht, Bekämpfungsstrategie vorhandene Formen zu nutzen, zu antizipieren • Konsequente Ausschöpfung aller rechtlichen oder aber in Lücken zu stoßen, die andere gelas- und taktischen Möglichkeiten bei besonders sen haben, insbesondere im ländlichen Bereich. niedriger Einscheitschwelle.

Für die Sicherheitsbehörden bedeutet dies in ers- Rechtsextremisten spüren den Druck von Repres- ter Linie, dass der Verfolgungsdruck auf hohem sion und Prävention sehr deutlich und versuchen Niveau gehalten werden muss, um die rechtsex- diesem immer wieder auszuweichen. Zum Bei- tremistische Szene weiter zu verunsichern und spiel, in dem sie ihre Veranstaltungen geheim zu destabilisieren. Weiterhin muss die Zusam- und konspirativ planen und von Sicherheits- menarbeit von Polizei, Verfassungsschutz und behörden und Öff entlichkeit unbemerkt auch Zivilgesellschaft auf kommunaler Ebene weiter durchführen. intensiviert werden. Gern stellen sie ihr Tun auch in den Kontext der Also, in der Praxis müssen präventive und repres- NPD, nutzen ihre Logistik, ihre juristische Beglei- sive Strategien angewendet werden. tung oder ihre Immobilien.

Zu den präventiven Strategien gehören: Gerade die Bereitstellung privater Immobilien • Aufk lärung von Szeneangehörigen bereitet den Sicherheits- • Information der Bürger und Ordnungshütern in den letzten Jahren er- • Politisch-argumentative Auseinanderset- hebliche Schwierigkeiten. zung mit dem rechtsextremistischen Gedan- kengut und seinen Propagandisten Das Ausweichen in den privaten Raum setzt • Unterstützung von Projekten der politischen insbesondere polizeilichem Handeln nach den Bildung und des bürgerlichen Engagements Sicherheits- und Ordnungsgesetzen (SOG) Gren- • Stärkung der demokratischen Kultur auf der zen. Grundlage der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Solche Beispiel kennen wir auch aus Sachsen- Anhalt Folgende repressive Strategien möchte ich nen- nen Das private Wohnobjekt des Enrico MARX in Sot- • Konsequente Verfolgung rechtsextremisti- terhausen (Landkreis Sangerhausen) stellt seit scher Aktivitäten durch die Sicherheits- und Jahren – einen Anlaufpunkt der rechtsextremis- Strafverfolgungsbehörden tischen Szene dar.

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Ich möchte auch auf eine zu diesem Thema in- zwischen veröff entlichte Parlamentarische An- frage verweisen.

Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich gibt es noch andere Themen im Bereich Rechtsextremismus. Die uns interessieren. Da wären zum Beispiel die vielfältigen Aktivitäten der verschiedenen Kommissarischen Reichsre- gierungen zu nennen, die alle dem so genannten Reichsgedanken nachhängen. Stellvertretend möchte ich hier das kürzlich ausgerufenen „Kö- nigreich Deutschland“ in der Lutherstadt Witten- berg nennen. In derart gelagerten Fällen kommt es darauf an, ob tatsächliche Anhaltspunkte für ein verfassungsfeindliches Agieren vorliegen oder ob nur krude und esoterisch angehauchte Auff assungen ohne Extremismusbezug vorlie- gen.

Aber ich betone zum Abschluss meiner Ausfüh- rungen nochmals, dass der Beobachtung des gewaltbereiten Rechtsextremismus und dem Er- kennen rechtsterroristischer Entwicklungen ab- solute Priorität beizumessen ist, denn auch Sach- sen-Anhalt ist in dieser Frage kein weißer Fleck.

Deshalb ist es ein Muss, vertrauensvoll mit Polizei und Staatsanwaltschaften zusammenzuarbeiten und uns aktiv in die Gemeinsamen Abwehrzent- ren des Bundes und der Länder einzubringen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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„Rechtsextremismus im Wandel“

Wolfgang Freter, Referatsleiter im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport, Abt. Verfassungsschutz

Es gilt das gesprochene Wort!

Die heutige Veranstaltung führt Vertreter ver- S. 263) Wenn wir seine Skepsis gegenüber der schiedener Behörden und Institutionen mit dem menschlichen Natur teilen, kann es nur das Ziel Ziel zusammen, eine Bestandsaufnahme des geben, den Rechtsextremismus einzuhegen. Zu Rechtsextremismus vorzunehmen, um auf die- besiegen ist er nicht. ser Grundlage über geeignete Präventionsmaß- nahmen nachzudenken. Einer Illusion sollten Ich will über den Wandel des Rechtsextremismus wir dabei nicht unterliegen, dem Glauben, den in den letzten 15 Jahren sprechen. Einen Schwer- Rechtsextremismus eliminieren zu können. Die punkt meiner Ausführungen werden die häufi g Sozialwissenschaften können Faktoren aufzei- vernachlässigten ideologischen Entwicklungsten- gen, die das Entstehen und die Ausbreitung des denzen bilden. Rechtsextremismus begünstigen, sie können sich ideologiekritisch mit rassistischen Theorien Drei Einsichten werden meinen Vortrag leiten: auseinandersetzen, sie können Wirkungszusam- menhänge analysieren, aber sie werden niemals • Rechtsextremismus ist als ein Teil der Gesell- mit letzter Sicherheit erklären können, warum schaft zu betrachten. Er vollzieht den gesell- sich einzelne Menschen zu Rechtsextremisten schaftlichen Wandel in seinen Ausdrucksfor- entwickeln. Es mag befremden, aber wir sollten men und in seinen Kampagnenfeldern, nicht uns auch den Rechtsextremisten als ein selbst- aber in seiner ideologischen Grundstruktur bestimmtes Wesen vorstellen, das bestrebt ist, mit. seiner Existenz und seiner Stellung in der Ge- sellschaft Sinn und Bedeutung zu verleihen. Das • Der Rechtsextremismus weist starke regio- allerdings geschieht unter Verstoß gegen die nalspezifi sche Diff erenzen auf. Die Ausgestal- normativen Grundlagen einer demokratischen tung der Zentralstellenfunktion des Bundes- Gesellschaftsordnung und darf uns deshalb nicht amtes für Verfassungsschutz muss sich hieran gleichgültig lassen. orientieren.

„Der Mensch mit seinen Erbanlagen ist für politi- • Es gibt eine immanent weiterentwickelte an- schen Missbrauch anfällig“, hat Konrad Lorenz in tiindividualistisch ausgerichtete Philosophie einem Interview gesagt. (Der Spiegel, Nr. 45/1988, des Denkens in Ungleichheitskategorien. Sie

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bildet eine unterschätzte ideologische Kon- behörden von 2000 bis 2012 ausgewiesenen stante unabhängig von politischen Erfolgen Personenpotenzials lässt übersehen, dass sich rechtsextremistischer Organisationen. Über der Rechtsextremismus im gleichen Zeitraum ihre Wirkmächtigkeit entscheiden politische strukturell verändert und professionalisiert hat. und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Der Rückgang resultiert aus den Veränderungen im Parteienbereich. Die DVU mit damals 17 000 Organisatorische Entwicklung des Rechtsextre- Mitgliedern existiert nicht mehr und die Repub- mismus likaner mit ehemals 13 000 Mitgliedern werden nicht mehr beobachtet. Übrig geblieben ist die Im Jahr 2000 registrierten die Verfassungs- ungleich radikalere NPD. Sie zählte damals 6 500 schutzbehörden 50 900 Rechtsextremisten, 2012 Mitglieder, aktuell dürfte ihre Mitgliederzahl unter nur noch 22 150. Das rechtsextremistische Per- 6 000 liegen. sonenpotenzial hat sich also im Zeitraum von 12 Jahren mehr als halbiert. Nicht nur wegen der Aus diesem Mitgliederrückgang sollten keine Morde des sogenannten Nationalsozialistischen voreiligen Schlüsse in Hinsicht auf die Sinnhaf- Untergrunds sei davor gewarnt, diese Entwick- tigkeit des geplanten NPD-Verbotsverfahrens lung als eine Erfolgsgeschichte zu bewerten. gezogen werden. Die NPD ist nach einhelliger Rein quantitative Angaben blenden konkrete Meinung der Verfassungsschutzbehörden kei- Entwicklungen aus. Die Zahlenangaben der Ver- neswegs existentiell bedroht. Sie ist seit fünfzig fassungsschutzbehörden sind grundsätzlich nur Jahren eine feste Größe des deutschen Rechts- wenig geeignet, den Rechtsextremismus in allen extremismus. Dementsprechend verfügt sie in seinen gesellschaftlichen und politisch empfun- allen Regionen Deutschlands über gewachsene denen Dimensionen widerzuspiegeln. Als Indika- Organisationsstrukturen, die sie jederzeit reakti- tor für die wachsende Bedeutung des Internets vieren kann. Den Tiefpunkt ihrer Entwicklung in sowie für Veränderungen und Trends zur Radi- den 1980er Jahren hat sie nur ein Jahrzehnt spä- kalisierung und Professionalisierung taugen sie ter durch die Öff nung für Angehörige der neona- nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die öf- zistischen Szene überwunden. Die Aktionseinheit fentliche Wahrnehmung des Rechtsextremismus mit der neonazistischen Szene besteht trotz des und die nach gesetzlichen Kriterien erfolgende angestrebten Verbotsverfahrens fort. Bei Veran- Erfassung durch den Verfassungsschutz nicht de- staltungen wie dem von der norddeutschen Neo- ckungsgleich sind. Fremdenfeindliche Einstellun- nazi-Szene am 1. Juni in Wolfsburg durchgeführ- gen und rechtspopulistische Strömungen, die für ten sogenannten „Tag der deutschen Zukunft“ den politischen Diskurs über Rechtsextremismus wird sie öff entlich zelebriert. einen hohen Stellenwert haben, werden nicht er- fasst. Mit der Partei Die Rechte existiert seit September letzten Jahres eine neonazistische Konkurrenzpar- Parteienbereich tei. Gründer der Partei ist der aus Hamburg stam- mende, jetzt in Mecklenburg wohnhafte Neonazi Die Entwicklung des von den Verfassungsschutz- . Den organisatorischen Schwer-

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punkt bildet der Landesverband Nordrhein-West- Sie erschwert zugleich generalisierende Bewer- falen, der von Angehörigen der im letzten Jahr vom tungen des Rechtsextremismus in Deutschland. nordrhein-westfälischen Innenminister verbote- Dies wird bei der Erstellung von Bundeslagebil- nen neonazistischen Kameradschaften beherrscht dern zu berücksichtigen sein, sollen sie mehr sein wird. Der neuen Partei gehören zurzeit ca. 400 als eine rein quantitative Erhebung. Ohne Berück- Mitglieder an, die sich auf zur Zeit sechs Landes- sichtigung ideologischer Entwicklungen und ohne verbände verteilen. gesellschaftliche und politische Kontextualisie- rung wird ihre Aussagekraft gering sein. Derzeit sieht es nicht so aus, als ob Die Rechte bestrebt ist, sich auf Parteiebene zu einer ernst- Parallel zum Anstieg des neonazistischen Perso- haften Konkurrenz für die NPD zu entwickeln. nenpotenzials ist seit einigen Jahren ein Wandel Vielmehr deutet sich eine neue organisatorische von starren Organisationsformen zu informellen Entwicklung im neonazistischen Bereich an mit und aktionsorientierten Erscheinungsformen fest- der Partei Die Rechte als Dachorganisation für zustellen. Die Entwicklung folgt damit einem ge- verbotene oder von einem Verbot bedrohte neo- samtgesellschaftlichen Trend hin zum temporären nazistische Zusammenschlüsse. Im Falle eines organisationsunabhängigen politischem Engage- NPD-Verbots stünde diese Auff angstruktur auch ment. Das Stichwort Wutbürger charakterisiert ehemaligen NPD-Mitgliedern zur Verfügung. diese Entwicklung.

Als weiteres neues Beobachtungsobjekt im Die Neonazi-Szene ist mittlerweile von ritualisier- Parteienbereich ist Pro NRW anzuführen. Pro ten Formen der Betätigung, z. B. Kameradschafts- NRW bewegt sich an der Schnittstelle zwischen abende, weitgehend abgerückt und nimmt, hierin Rechtsextremismus und Rechtspopulismus und ihrem ideologischen Selbstverständnis folgend, ist programmatisch in der Tradition der Partei immer stärker die Form einer auf das Ziel der Die Republikaner einzuordnen. Es dominiert eine Volksgemeinschaft verpfl ichteten Bewegung an. ausgeprägte islamfeindliche Ausrichtung. Hier- Der bundesweit agierende Hildesheimer Neonazi auf wird noch zurückzukommen sein. Dieter RIEFLING verlieh diesem Selbstverständnis als Redner während des „Tages der deutschen Zu- Neonazismus und Subkultur kunft“ in Wolfsburg mit folgenden Worten Aus- druck: Die für die Bewertung des Rechtsextremismus gra- vierendste Veränderung vollzog sich im Bereich „Jeder deutsche Volksgenosse ist eingeladen der neonazistischen Szene. Auf Bundesebene war und vor allen Dingen auch aufgerufen, sich für von 2000 bis 2012 ein kontinuierlicher Anstieg des die Zukunft unseres deutschen Volkes einzuset- neonazistischen Personenpotenzials von 2 200 auf zen. Beim Tag der deutschen Zukunft gibt es kei- 6 000 Neonazis zu registrieren. Stark diff erierende ne Parteiengrenzen und Gruppenegoismen. Die Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern Rednerliste … ist ein Spiegelbild unserer Bewe- verdeutlichen auch in diesem Bereich die regional- gung.“ spezifi sche Ausprägung des Rechtsextremismus.

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Zwischen den Veränderungen im Neonazi-Be- spricht, aber scheint gewagt. Hurrelmann über- reich und den Veränderungen im subkulturellen sieht, dass das Internet auch Extremisten neue Bereich des Rechtsextremismus besteht ein en- Möglichkeiten der Darstellung und Propaganda ger Zusammenhang. Je mehr Elemente der sub- eröff net. Es ist das einzige Massenmedium, über kulturellen Szene der Neonazismus aufnahm, das Rechtsextremisten nahezu ungefi ltert ihre desto stärker verlor die subkulturelle Szene an Positionen verbreiten können. Hetzerische Dar- eigenständiger Bedeutung, am deutlichsten ab- stellungen und Propagandavideos fi nden einen lesbar am fast vollständigen Verschwinden von Verbreitungskreis, der weit über das von den Skinheads aus dem Straßenbild. Die Grenzen Verfassungsschutzbehörden registrierte rechts- zwischen beiden Bereichen sind zusehends ver- extremistische Personenpotential hinausreicht. schwommen. Eine Unterscheidung nach trenn- Überdies können sich im Internet aus der Ano- scharfen Kriterien wird immer schwieriger. Das nymität heraus auch diejenigen zu Wort melden, Kategoriensystem der Verfassungsschutzbehör- die eine rechtsextremistische Grundhaltung auf- den zur Erfassung des rechtsextremistischen Per- weisen, ohne jemals in rechtsextremistischen sonenpotenzials muss deshalb überdacht wer- Zusammenhängen aufzutreten. Ein Beispiel hier- den. für sind islamfeindliche Foren.

Internet Jungen Menschen ist es ein Leichtes, auf virtuel- lem Weg in Kontakt zu Gesinnungsgenossen zu Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann äußer- treten und, sozial weitgehend unkontrolliert, ei- te sich in einem Interview mit ARD-Online am nen permanenten Austausch zu pfl egen. Die Er- 14.09.2009 über die immense Bedeutung des In- fahrungen der niedersächsischen Aussteigerhilfe ternets für Jugendliche wie folgt: zeigen, dass es sich hierbei um keine Vermutung, sondern um die Realität handelt. „Ein ganz wichtiges Betätigungsfeld ist das In- ternet als das Leib- und Magenmedium der jun- Das Internet, so lässt sich festhalten, enthält alle gen Generation. Hier tauschen die Jüngeren zu- Ingredienzen für einen giftigen geistigen Cock- nehmend auch ihre politischen Ansichten aus. tail. Wohin dies führen kann, zeigt der Fall des Deshalb sind künftige politische Strömungen im norwegischen Rechtsterroristen Anders BREIVIK, Web zuallererst wahrnehmbar.“ … „Wir werden der das Manifest 2083, mit dem er seine Mordta- neue Formen der politischen Meinungsbildung ten begründete, aus Internet-Funden kompilier- und damit der politischen Entscheidungen ha- te. ben – fl exibler, off ener, unberechenbarer, aber damit auch urdemokratischer.“ Ideologische Entwicklung

Wenn man sich den zwischenzeitlichen Aufstieg Unter Rechtsextremismus wird nach allgemei- der Piraten in Erinnerung ruft, dann waren diese ner Auff assung eine Ideologie der Ungleichheit Worte prophetisch. Der uneingeschränkte Op- im Sinne der Ungleichwertigkeit von Menschen timismus, der aus Hurrelmanns Einschätzung verstanden. Ungleichheit nicht in rechtlicher,

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sondern in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht schaft ausdiff erenziert, dass sie fragmentiert. ist real, sie ist sogar durchaus als Leistungsanreiz Flexibilität lautet die ökonomische Forderung gewünscht. Die Chancen in der Gesellschaft sind der Zeit, Arbeitsverhältnisse werden prekär, das ungleich verteilt. Privilegien, die aus einer unglei- Leben immer weniger planbar. Sicherheiten chen Verteilung zum Beispiel im Bildungsbereich gehen verloren, die Orientierung wird immer bestehen und über Lebenschancen entscheiden, schwieriger. Großorganisationen wie Parteien, sind unübersehbar. Gewerkschaften, Kirchen und Vereine verlieren Akzeptanz und als Folge schrumpft die Zahl ihrer Auf diese soziale und wirtschaftliche Grund- Mitglieder. Immer mehr Fernseh- und Rundfunk- konstellation reagieren Rechtsextremisten mit sender und das Internet bieten eine Informati- zwei ideologischen Grundmustern. Die gängige onsfülle, die der Einzelne kaum noch bewältigen Reaktion erfolgt nach dem Sündenbock-Prinzip: kann. Für jedes Interesse, für jede Obsession bie- Deprivilegierung wird durch die Abwertung von tet sich eine Nische. Auf politischer Ebene verla- sozialen Gruppen, in der Regel Einwanderer oder gern sich Entscheidungen auf immer höhere Ebe- Bürger mit Migrationshintergrund, kompensiert. nen, den nationalen Regierungen scheint eine Nach diesem Muster verfahren rechtsextremisti- Steuerung der Politik in bestimmten Bereichen sche Parteien. Der Slogan der NPD „Sozial geht kaum noch möglich. Infolge dessen geht, wie nur national“ ist nur ein Beispiel. Umfragen ausweisen, das Vertrauen in die Politik und allgemein in die Demokratie verloren. Im intellektuellen, philosophisch überhöhten Solche Bedingungen begünstigen den Rechtsex- Rechtsextremismus ist ein zweites Reaktionsmus- tremismus, der einfache Antworten auf komple- ter zu verorten: Verachtung von Demokratie und xe Probleme parat hält. Die Rolle des Kümmerers, ihren Repräsentanten gepaart mit einem beton- die die NPD zu spielen versucht, ist ein Refl ex auf ten Elitismus. Mit dieser Denkrichtung verbindet die sozialen Probleme insbesondere im Osten der sich ein ideologisches Rechtfertigungsangebot Republik. Slogans wie „Sozial geht nur national“ für eine sozial privilegierte Schicht, die sich im oder „Arbeitsplätze für Deutsche“ off enbaren die Sinne einer Besten-Auslese zur Führung berufen nationalistische und fremdenfeindliche Ausrich- fühlt. Die „demokratische Gleichmacherei“, also tung der Partei. Abgeleitet sind diese tagespoliti- das Gleichheitsprinzip von Artikel 3 des Grundge- schen Forderungen aus dem im Parteiprogramm setzes, aber verhindere die Herausbildung einer festgeschriebenen Ziel, der Schaff ung einer natürlichen Elite. Volksgemeinschaft. Voraussetzung hierfür ist die ethnische Homogenisierung der Gesellschaft. Entscheidend für die Wirkmächtigkeit solcher ideologischen Ansätze und Reaktionsmuster sind Betrachtet man den Rechtsextremismus in seiner die politischen und gesellschaftlichen Rahmen- Gesamtheit unter ideologischen Aspekten, so for- bedingungen. Was hat sich in den letzten zwei miert er sich als rassistische und nationalistische Jahrzehnten auf dieser Ebene verändert? Gegenbewegung zur Globalisierung. Die soge- nannte Volkstod-Kampagne, mit der sich Rechts- Soziologen sprechen davon, dass sich die Gesell- extremisten gegen eine Vermischung der Völker

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wenden, ist die rassistisch begründete Ablehnung (D)ie allererste Grundlage der Identität ist biolo- von Einwanderung und Integration. gischer Natur, ohne sie haben die übrigen zwei Das bewusste Schüren von Ressentiments gegen – die kulturelle und die zivilisatorische – keinen Muslime ist europaweit das in diesem Zusammen- Bestand. Anders ausgedrückt: die Identität ei- hang präferierte Kampagnenthema. Seit etwa nes Volkes, seines Gedächtnisses und seiner Le- zehn Jahre registrieren die Verfassungsschutzbe- bensentwürfe beruht vor allem auf konkreten hörden eine starke Ausweitung islamfeindlicher Erbanlagen.“2 Propaganda. Die Agitation richtet sich gegen die angebliche Inbesitznahme europäischen Bodens Verlassen wir die „Höhen rechtsextremistischer durch „kulturfremde Einwanderer“ aus muslimi- Philosophie“, so zeigt sich, dass die Agitation neo- schen Ländern. Beispielhaft sei Filip Dewinter, Ab- nazistischer Zusammenschlüsse von den glei- geordneter des Vlaams Blok/Vlaams Belang im chen völkischen Überzeugungen geprägt ist. Der Flämischen Parlament, zitiert: Neonazi Dieter RIEFLING verlieh ihnen während des sogenannten Tages der deutschen Zukunft in „Der Islam ist der historische Erbfeind Europas. Wolfsburg ungeschminkt Ausdruck: Gegenwärtig befi ndet sich Europa in der dritten Periode islamischer Invasionen. … „Der ‚Tag der deutschen Zukunft‘ ist so lange not- wendig, solange wir dieses Überfremdungspro- Dieses Mal bedient sich der Islam anderer Mit- blem in unserer geliebten Heimat haben. Und tel, um Europa zu unterwerfen. Viel wirksamer solange nicht die schätzungsweise 18 Millionen als die Terrordrohung erweist sich die demogra- art- und kulturfremden Menschen hier ausge- fi sche Entwicklung. Seit mehr als vierzig Jahren schaff t worden sind – in welcher Form auch immer bevölkern nun Millionen Muslime auf friedliche – wird es wahrscheinlich die Problematik geben Weise Europas. Über Massenzuwanderung, Fa- und somit die Berechtigung des ‚Tages der deut- miliennachzug, Bekehrung und Propaganda brei- schen Zukunft‘.“ tet der Islam sich immer weiter aus.“1 Für die NPD hat die islamfeindliche Agitation die Europa muss aus Sicht der Rechtsextremisten Funktion eines „Türöff ners“ für ihre „weiterge- zu seiner Identität zurückfi nden. Der Begriff der henden ausländerpolitischen Forderungen“, hin- Identität wird völkisch und antiindividualistisch ter denen sich nichts anderes als Fremdenfeind- interpretiert. Guillaume Faye, ein Vertreter der lichkeit und völkischer Kollektivismus verbirgt. französischen Nouvelle Droite, erläutert: Die besondere Bedeutung und Gefahr der islam- „Die völkische und die kulturelle Identität bilden feindlichen Agitation resultiert aus der Möglich- eine Einheit: Die Aufrechterhaltung des Kultur- keit, an die bis weit in die Mitte der Gesellschaft erbes und dessen Entwicklung setzen eine nahe verbreiteten Ressentiments gegenüber Musli- völkische Verwandtschaft innerhalb eines jeden men anzuknüpfen. Islamfeindlichkeit bildet die Volkes voraus. … 2 Guillaume Faye: Wofür wir kämpfen. Manifest des europä- 1 Filip Dewinter: Inch’Allah. Die Islamisierung Europas. Graz 2010, ischen Widerstandes. Das metapolitische Handbuch der kultu- S. 228. rellen Revolution zur Neugeburt Europas. Ohne Ort, S. 164.

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ideologische Brücke zwischen Rechtsextremis- mus und Rechtspopulismus. Wohin dies führen kann, zeigt der Fall des norwegischen Rechtster- roristen Anders Breivik, der in der Überzeugung mordete, im Auftrag des norwegischen Volkes zu handeln und der seine Rechtfertigungsschrift aus einschlägigen rechtsextremistischen Ver- lautbarungen kompilierte.

Ich hoff e, meine Ausführungen haben verdeut- licht, dass die ideologische Entwicklung des Rechtsextremismus nicht vernachlässigt werden darf, zum einen, weil terroristischen Taten in der Regel eine Radikalisierung im Denken voraus- geht, zum anderen, weil eine erfolgversprechen- de Präventionsarbeit bei den inhaltlichen Bot- schaften von Rechtsextremisten ansetzen muss. Das Themenfeld Einwanderung und Integration wird die europäische Politik der nächsten Jahre bestimmen. Bei der Gestaltung wird es zwangs- läufi g zu Konfl ikten mit rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Positionen kommen. Für den Europawahlkampf des Jahres 2014 zeich- net sich diese Entwicklung bereits ab. Wir tun also gut daran, uns intensiv mit den integrations- feindlichen, gleichwohl aber anschlussfähigen Forderungen rechtsextremistischer Parteien und Organisationen auseinanderzusetzen. Eine per- sonifi zierte Betrachtung des Rechtsextremismus wäre zu wenig.

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„Rechtsextremismus online – Jugendliche im Visier der Szene“

Christiane Schneider, stellvertretende Leiterin des Bereichs Rechtsextremismus bei jugendschutz.net, der länderübergreifenden Stelle für Jugendschutz im Internet

Es gilt das gesprochene Wort!

Rechtsextremismus online Jugendliche im Visier der Szene

Aschersleben, 20.11.2013

jugendschutz.net Mehr Rücksicht auf Kinder und Jugendliche im Internet

• 1997 gegründet • Zeitgemäßer Jugendschutz im Internet • Ziel: schnelle Beseitigung von Verstößen und grundlegende Verbesserung des Jugendschutzes • Bereich Rechtsextremismus seit 2000

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Rechtsextremismus im Internet - Trends

• Internet zentrale Propagandaplattform • Verlagerung der Ansprache ins Social Web • Bei Kindern und Jugendlichen besonders beliebt • Prinzip „Virales Marketing“ • moderne Präsentation und jugendgemäße Angebote • „harmlose“ Verpackung • Musik/Videos, Lifestyle, Events • aktuelle Themen & „Aufreger“ zur Stimmungmache

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Verstöße

Mehr als 1.500 Über 5.500 Websites web2.0-Beiträge 15% Verstöße 25% Verstöße

• Vor allem auf internationalen Plattformen • Gros gesichteter Angebote unterhalb der Grenze zum Jugendschutzverstoß • aber: auf Ausweichplattformen massive Verstöße

Rechtsextremismus im Netz Was tun?

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Propagandaplattformen entziehen

• auf Basis gesetzlicher Bestimmungen und AGB • effektivste Strategie: Provider kontaktieren • internationale Kooperation

Größere soziale Verantwortung gefragt

• Betreiber müssen nachhaltiger reagieren • Upload gleicher und ähnlicher Inhalte verhindern • Betreiber sollten selbst tätig werden • eigenständige Sichtung neuralgischer Bereiche • Community muss Flagge zeigen • Stärkung von Usern, Initiativen unterstützen

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Medienpädagogische Prävention

• Workshops und Projekte mit Jugendlichen und Erwachsenen • Sensibilisierung für das Problem, Stärkung für die Auseinandersetzung, Peer-Ansätze • Nachhaken und Nachschlagen: Kritische Medienkompetenz

Kontakt: Christiane Schneider jugendschutz.net Wallstraße 11, 55122 Mainz [email protected]

Mehr Rücksicht auf Kinder und Jugendliche im Internet!

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Herausgeber: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Halberstädter Str. 2/am „Platz des 17. Juni“ 39112 Magdeburg

Redaktion: Referat 44 – Parteiverbote, Extremismusprävention, Wirtschaftsschutz – Zuckerbusch 15 39114 Magdeburg www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz

Gesamtgestaltung/Druck: Fachhochschule Polizei des Landes Sachsen-Anhalt Wissenschaftlicher Dienst

Nachdruck bzw. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Quellenangabe und mit Genehmigung des Herausgebers.