Plenarprotokoll 13/13

Deutscher

Stenographischer Bericht

13. Sitzung

Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 773 A (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN 778 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Dr. Dieter Thomae F. D.P. 780B Beratung des Antrags der PDS: Krieg in Tschetschenien (Drucksache 13/172) Dr. PDS 781 D in Verbindung mit Wolfgang Friedrich Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 782 D Zusatztagesordnungspunkt 3: Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD 784 C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Lage in Tsche- Horst Seehofer, Bundesminister BMG 787 C tschenien (Drucksache 13/228) Tagesordnungspunkt 11: in Verbindung mit Beratung des Schlußberichts der En- quete-Kommission „Schutz der Erdat- Zusatztagesordnungspunkt 4: mosphäre" zum Thema: Mehr Zukunft Beratung des Antrags der Fraktion der für die Erde — Nachhaltige Energiepoli- SPD: Beendigung des Krieges in Tsche- tik für dauerhaften Klimaschutz (Druck- tschenien (Drucksache 13/239) sache 12/8600) in Verbindung mit in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktionen der Zusatztagesordnungspunkt 9: CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beratung des Antrags der Fraktionen der NEN und F.D.P.: Lage in Tschetschenien CDU/CSU und F.D.P.: Klimaschutz — (Drucksache 13/263) Erste Vertragsstaatenkonferenz zur Kli- marahmenkonvention vom 28. März Andrea Lederer PDS (Erklärung nach § 31 bis 7. April 1995 sowie Umsetzung des GO) 773B nationalen CO2-Minderungsprogramms Ulrich Irmer F D P. 773 D (Drucksache 13/232) Tagesordnungspunkt 10: Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ Beratung des Antrags der Fraktionen der CSU 791 C CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE NEN und F.D.P.: Zweite Beschlußemp- GRÜNEN 793 B fehlung und Schlußbericht des 3. Unter- suchungsausschusses der 12. Wahlpe- Monika Ganseforth SPD 794 C riode (Drucksache 13/229) Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gerhard Scheu CDU/CSU 774 B NEN 797 B Anni Brandt-Elsweier SPD 777 A Birgit Homburger F.D.P. 799 D

II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Rolf Köhne PDS 803 A Anlage 2 Dr. Peter Paziorek CDU/CSU 804 D Anzahl der 1994 in Deutschland tätigen Saisonarbeitskräfte; Gewinnung deutscher Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Arbeitsloser für derartige Tätigkeiten NEN 805 D, 806 B MdlAnfr 53, 54 — Drs 13/213 — Horst Kubatschka SPD 806 D Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU Dr. Liesel Hartenstein SPD 807 C SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA 821* C Dr. Christian Ruck CDU/CSU 809 C Anlage 3 Dr. Winfried Wolf PDS 810 C, 816 B Stand der Verhandlungen über ein Sozial- Dr. Ursula Eid-Simon BÜNDNIS 90/DIE versicherungsabkommen mit der Tschechi- GRÜNEN 811 A schen Republik MdlAnfr 55 — Drs 13/213 SPD 812 A — Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU Bundesministerin BMU 813 A Dr. , SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA 822* A Michael Müller (Düsseldorf) SPD 813 D Dr. Liesel Hartenstein SPD 815 B Anlage 4 Verhandlungen über ein Sozialversiche- 817 A Horst Kubatschka SPD rungsabkommen mit der Tschechischen Dr. , Parl. Staatssekretär Republik BMWi 818 D MdlAnfr 56 — Drs 13/213 — SPD Nächste Sitzung 820 C SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA 822* B

Anlage 1 Anlage 5

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 821* A Amtliche Mitteilungen 822* C

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13. Sitzung

Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, Zweitens halten wir es für unangebracht, wenn meine Damen und Herren. Die Sitzung ist eröffnet. nicht sogar für provokativ, im Zusammenhang mit Wir kommen noch einmal zu dem bereits gestern dem Krieg in Tschetschenien ausgerechnet die Part- behandelten Thema „Lage in Tschetschenien" nerschaft Rußlands mit der NATO anzusprechen. zurück. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Drittens bedeutet diese Erklärung, daß der Krieg in Tagesordnung um den von allen Fraktionen einge- Tschetschenien vom Deutschen Bundestag eindeutig brachten Antrag zur Lage in Tschetschenien auf verurteilt wird. Damit das vom gesamten Deutschen Drucksache 13/263 zu erweitern. Bundestag geschieht, werden wir trotz der genannten Ich gehe davon aus, Sie sind damit einverstan- Bedenken dem interfraktionellen Antrag zustimmen den. und unseren eigenen Antrag zurückziehen. Hiervon lassen wir uns auch nicht abhalten, nach- Ich rufe die Zusatzpunkte 2 bis 4 und 12 auf. dem wieder einmal auf kleinkarierte Weise die PDS sowohl von der Beratung über diesen Antrag als auch Beratung des Antrags der PDS von dessen Einreichung ausgegrenzt wurde. Wir wer- Krieg in Tschetschenien den dem Antrag zustimmen, unseren Antrag zurück- — Drucksache 13/172 — ziehen und weiterhin dafür kämpfen, daß in solchen zentralen Fragen wirklich über alle Fraktions- und Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Gruppengrenzen hinweg ein CSU und F.D.P. einmütiges Votum zustande kommt. Lage in Tschetschenien Ich danke. — Drucksache 13/228 — (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten Beratung des Antrags der Fraktion der SPD der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Beendigung des Krieges in Tschetschenien NEN) — Drucksache 13/239 — Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Irmer, bitte. CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. Ulrich Irmer (F.D.P.): Frau Präsidentin! Ich möchte Lage in Tschetschenien die Kollegin beruhigen. Die Formulierung, die hier gefunden worden ist, ist so zurückhaltend und vor- — Drucksache 13/263 — sichtig, wie es nur geht, und stellt allen völkerrecht- Das Wort zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 der lichen Problemen, die geklärt werden müßten und Geschäftsordnung hat Frau Lederer. könnten, keinerlei Hindernisse in den Weg. Es heißt hier: die „territoriale Integrität in dem von der russi- Andrea Lederer (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- schen Verfassung vorgegebenen Rahmen und unter leginnen und Kollegen! Ich möchte eine Erklärung zur Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte, Abstimmung über den interfraktionellen Antrag zum der KSZE-Prinzipien und anderer Regeln, zu deren Krieg in Tschetschenien abgeben. Wir haben an zwei Einhaltung sie sich bindend verpflichtet hat, zu wah- Stellen des interfraktionellen Antrags Bedenken. ren". Erstens betrifft das die Frage der in diesem Antrag Ich lege Wert auf die Feststellung, daß wir uns nicht erwähnten territorialen Integrität der Russischen leichtfertig über völkerrechtliche Probleme, die exi- Föderation. Wir halten es für zumindest noch nicht stieren mögen, hinwegsetzen. Das durfte hier nicht völlig geklärt, ob Tschetschenien nach wie vor unwidersprochen bleiben. Im übrigen stelle ich fest, Bestandteil der Russischen Föderation ist oder nicht. daß der Antrag nicht dadurch entwertet wird, daß Dafür spricht auch, daß gegenwärtig das Auswärtige auch die PDS ihm zuzustimmen wünscht. Amt ein völkerrechtliches Gutachten erstellen läßt, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der um sich selber Klarheit zu verschaffen. CDU/CSU) 774 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wir kommen nun Unbedenklichkeit heißt: Der Patient soll das Mittel zur Abstimmung. Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, ohne Bedenken wegen nicht vertretbarer Risiken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. haben zwi- akzeptieren können. Auf Dauer ist das nur möglich bei schenzeitlich einen gemeinsamen Antrag auf Druck- Vertrauen. Absolute Sicherheit kann es zwar nicht sache 13/263 eingebracht. geben, aber bei fast keinem anderen Produkt sind wir Wir stimmen zuerst über diesen Antrag ab. Wer auf Vertrauen in die Verläßlichkeit der Leistungen des stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? Enthaltun- Fachmannes so angewiesen wie beim Arzneimittel. gen? — Ich stelle fest, daß der Antrag einstimmig Die historisch beispiellosen Leistungen der Medizin angenommen ist. und der pharmazeutischen Wissenschaft und Indu- (Beifall im ganzen Hause) strie wären nicht an den Mann zu bringen, wenn sie nicht überwiegend vertrauensvoll angenommen wür- Die Anträge der Fraktionen der CDU/CSU und der den. Dieser besonderen Verantwortung für die Allge- F.D.P. auf Drucksache 13/228 und der Fraktion der meinheit sind sich Ärzte und pharmazeutische Indu- SPD auf Drucksache 13/239 sowie der Entschlie- strie bewußt. Arztethik und Pharmaethik, die vielfäl- ßungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tigen Kodizes und Selbstverpflichtungen der pharma- NEN auf Drucksache 13/245 sollen für erledigt erklärt zeutischen Industrie dürfen nicht nur papierenes werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich gehe Regelwerk sein, sie müssen gelebt und praktiziert davon aus. werden. Das Wohl der Patienten hat unbedingten Der Antrag der PDS auf Drucksache 13/172 wurde Vorrang. Im Zweifel haben dahinter alle übrigen zurückgezogen. Erwägungen zurückzutreten. Freiheit und Verant- wortung, höchstmögliche Sorgfalt und Vertrauen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: bedingen einander. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Der Fall Contergan war ein Fall zutiefst gestörten CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Vertrauens. Das Erschrecken darüber bewirkte das F.D.P. Gelöbnis: Contergan darf sich nicht wiederholen. Zweite Beschlußempfehlung und Schlußbe- Nicht erst der wissenschaftlich definitiv gesicherte richt des 3. Untersuchungsausschusses der Beweis einer Gefahr, bereits der begründete Verdacht 12. Wahlperiode ist hinreichend und verpflichtet zur gefahrabwenden- — Drucksache 13/229 den Reaktion. —Überweisungsvorschlag: Eine Ungewißheit, die noch nicht wissenschaftlich Ausschuß für Gesundheit (federführend) aufgeklärt ist, die aber nicht von der Hand zu weisen Rechtsausschuß ist, bewirkt im Zweifel ein nicht mehr vertretbares Haushaltsausschuß Risiko. Ansonsten verstummten die letzten Zweifel Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion erst, wenn Friedhofsruhe eingekehrt ist. der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinba- Der Contergan-Beschluß des Landgerichts Aachen rung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vom 18. Dezember 1970 hat die Maßstäbe gesetzt, wie vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Wir sich ein ordentlicher und gewissenhafter Arzneimit- können entsprechend verfahren. telhersteller, das Arzneimittelgesetz 1976 hat be- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- stimmt, wie sich die staatliche präventive Kontrolle zu lege Gerhard Scheu. bemühen hat. Der Beschluß ist auch heute noch Pflichtlektüre. Der Preis des jeweils erst wieder Erler- Gerhard Scheu (CDU/CSU): Frau Präsidentin! nens ist der Tod. Meine Damen und Herren! Jeder ist im Laufe seines Mit dem Arzneimittelgesetz 1976 wollte der Lebens Verbraucher von Arzneimitteln. Leben und Gesetzgeber zugleich die Rechtsstellung der trotz Gesundheit der einzelnen und des Volkes hängen aller höchstmöglichen Sorgfalt dennoch durch Arznei- davon ab. mittel Geschädigten verbessern. Die Beweisnot der Was erwarten die Verbraucher, was erwarten Sie Patienten im Arzt- und Arzneimittelhaftungsprozeß ist und Ihre Familien von einem Arzneimittel? Sie erwar- gerichtsnotorisch. Wer ernsthaft irreversibel an seiner ten und dürfen erwarten, daß alle an seiner Entwick- Gesundheit geschädigt ist, befindet sich in strukturel- lung, Erforschung, Herstellung, Prüfung, Überwa- ler Unterlegenheit. Die Verarbeitung des Schicksals- chung und Verordnung Beteiligten — Produzenten, schlags verzehrt die Energien, die für Prozesse durch Ärzte, Apotheker, staatliche Arzneimittelbehörden, alle Instanzen mit der bekannten Sachverständigen- Wissenschaftler — die ihnen mögliche, die größtmög- problematik erforderlich wären. liche Sorgfalt walten lassen, um nur unbedenkliche Deshalb wollte das AMG 1976 mit individueller Arzneimittel in den Verkehr zu bringen. Gefährdungshaftung und versicherungsrechtlicher Unbedenklichkeit ist der Schlüsselbegriff des Arz- Lösung den Geschädigten nicht auf Kulanz verwei- neimittelgesetzes 1976. Bedenkliche Arzneimittel, die sen, sondern ihm gesicherte Rechtspositionen ge- nicht dem jeweils neuesten Stand von Wissenschaft währleisten. Strittig war die versicherungsrechtliche und Technik entsprechen, sind nicht akzeptabel. Sie Lösung von Anfang an. Die Regierungskoalition unterliegen einem gesetzlichen Verkehrsverbot. Die- wollte ursprünglich ein anderes Modell. Die damalige ses strafbewehrte Verbot richtet sich an alle, die es Minderheit wandte ein — ich zitiere —, ihr Modell angeht, in erster Linie an die Produzenten und die würde „eher zu einer schnellen und großzügigen therapierenden Ärzte, in subsidiärer Weise auch an Ersatzleistung" führen, als dies durch „die Versiche- die staatliche Kontrolle. rungswirtschaft, die bei größeren Schäden eine spür- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 775

Gerhard Scheu bare Verminderung ihrer Gewinnspanne zu befürch- standes, sondern aus einer ungewöhnlich gründlichen ten habe", möglich sei. So steht es in Drucksache Analyse des Wissens der Zeit geschöpft. Wir haben 7/5091, S. 11. Hunderte von Publikationen ausgewertet, interne Dokumente eingesehen und die Manuskripte von Hohe Prämieneinnahmen, hohe steuerfreie Rück- Referaten auf wissenschaftlichen Kongressen nachge- stellungen und hohe Zinserträge in zig Millionen lesen, worunter ich z. B. nur erwähne: Cold Spring Höhe per anno, ohne daß dem seit nunmehr 17 Jahren Harbor, Meeting on Human T-Cell Leukemia/Lym- nennenswerte Entschädigungsleistungen gegen- phonia Viruses am 15. September 1983 oder New York überstehen, das wollte aber auch die Gesetzgebungs- Academy of Science, Conference on Acquired mehrheit gewißlich nicht. Immune Deficiency Syndrom im November 1983. (Beifall bei der CDU/CSU) Den Schlußpunkt setzten wir mit — in dieser Form Contergan sollte sich nicht wiederholen, aber es hat erst- und einmalig — einer Einvernahme renommier- sich wiederholt. Fast 1 400 Bluterkranke wurden ter Wissenschaftler vom Fach als sachverständiger durch Arzneimittel, durch die Blutprodukte Fak- Zeugen: Dr. Don Francis, USA, seinerzeit bei der tor VIII und Faktor IX, mit dem Erreger von Aids CDC, Professor Dr. Abraham Karpas, Universität todbringend infiziert, Ehefrauen und Kinder ange- Cambridge, Professor Dr. Jean-Claude Chermann, steckt, und eine noch nicht bekannte Zahl in gleicher, seinerzeit beim Institut Pasteur, Frau Professor wenn nicht höherer Größenordnung von Kranken- Dr. Helga Rübsamen-Waigmann, Deutschland, sowie hauspatienten erhielten das Virus per Bluttransfusion dann des Attorney of Law Charles R. Kozak, USA, als oder per Faktor-IX-PPSB vermittelt. eines ungewöhnlich informierten Rechtsanwalts als Jeder dieser Fälle ist vor dem Angesicht der infau- Zeugen. sten Prognose eine Tragödie für Familien und Ange- Ich bin für die Auswahl der Experten von interes- hörige. Es hätte jeden, auch Ihre Frau bei der Geburt sierter Seite kritisiert worden. Das Prinzip aber war von Tochter und Sohn, treffen können. Vielleicht hätte einfach und richtig: aus jedem der Länder den Fach- man auch Ihnen ohne Anerkennung irgendeiner mann, der zu den ersten gehörte oder der der erste Rechtspflicht gegen Abfindungsverzicht angeboten, war, der das Problem richtig analysiert hat und der mit im Durchschnitt 60 000 DM einschließlich Beerdi- dem Sinn der Wissenschaftsfreiheit, also der umfas- gungskosten sei die Sache „großzügig" bereinigt. senden Ermöglichung von Erkenntnis, für sich Es hat, meine Damen und Herren, im Laufe unserer dadurch Rechnung trägt, daß er zwischen der Unge- Untersuchungen Augenblicke gegeben, die Beherr- bundenheit der Erkenntnis und dem Erkenntnisziel schung erforderten. „Das Unrecht, das einem einzel- der Wahrheit einen untrennbaren Zusammenhang nen widerfährt, ist eine Bedrohung für alle. " Es war herstellt. Experten, die morgen erklären können, der Franzose Charles de Montesquieu, der das gesagt warum heute nicht eintraf, was sie gestern voraussag- hat, und es war François Mitterrand, der Präsident der ten, hätten der Wahrheitsfindung schwerlich ge- Französischen Republik, der für den Bluterskandal um dient. ein „Pardon der Nation" gebeten hat. Das Ergebnis und unsere Schlußfolgerungen zur Meine Damen und Herren, auch in Deutschland ist Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit der mit Blutpro- Unrecht geschehen — Unrecht, gemessen an den dukten assoziierten Aidsgefahren haben wir lange objektiven Maßstäben der zivil- und amtshaftungs- diskutiert und schließlich einstimmig festgestellt. Im rechtlich gebotenen höchstmöglichen Sorgfalt und am einzelnen bitte ich dies dem Bericht zu entnehmen, Prinzip: im Zweifel für die Sicherheit. wobei ich die Entkräftung z. B. der sogenannten- Antigenüberladungsthese oder der These des mas- War die Gefahr — und ab wann — erkennbar, war senhaften Blutertodes als Folge nicht ausreichend sie — und ab wann mit welchen Mitteln — vermeid- verfügbarer inaktivierbarer Produkte besonders er- bar? Diese Fragestellung hat die Arbeit des 3. Unter- wähnen möchte. suchungsausschusses bestimmt. Unser einmütiges Ergebnis: Rund 60 v. H. der Fälle waren vermeidbar, Ebenso einmütig waren unsere Feststellungen zum die anderen liegen außerhalb des Zeitraumes, für den Zurückbleiben der staatlichen Aufsicht — im übrigen auch bei Anlegung strengster Maßstäbe Verschulden aller Ebenen — hinter den Anforderungen. Auch postuliert werden kann. wenn das vormalige Bundesgesundheitsamt nur sub- sidiär und in zweiter Linie verantwortlich ist — ab In dieser zeitlichen Schranke liegt zugleich die bestimmten Zeitpunkten waren seine Entscheidun- gesamte haftungsschadensrechtliche Problematik: gen oder Nichtentscheidungen in einer Weise unver- Die Hämophilie-A-Geschädigten können kaum nach- tretbar, die amtshaftungsrechtliche Verantwortlich- weisen — was sie nach derzeitigem Haftungsrecht keiten begründen muß. aber müßten —, daß sie nicht schon vorher infiziert waren. Nur Hämophilie-B- und Krankenhauspatien- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ten, die das andere Mittel, PPSB, erhielten, sowie die der F.D.P.) sekundär infizierten Ehepartnerinnen wären prozes- Die mit importierten Blutprodukten oder Plasmen sual in einer etwas günstigeren Situation. Allerdings assoziierten lebensbedrohlichen Hepatitisgefahren hätten auch sie, weil oft nicht hinreichend von Ärzten waren z. B. lange erkannt und hätten nicht mehr dokumentiert worden ist, Schwierigkeiten, den schä- toleriert werden dürfen, sobald Techniken zu ihrer digenden Hersteller zu benennen. Vermeidung möglich waren. Der Einwand, der deut- Was zu welchem Zeitpunkt erkennbar war, haben sche Hersteller Behring allein hätte den deutschen wir nicht aus der Überlegenheit des heutigen Wissens Bedarf nicht decken können, ist rechtlich unerheblich. 776 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Gerhard Scheu Wenn nicht mit eigenentwickelter Technik dazu in der Nicht einfach ist die Frage eines Schmerzensgel- Lage, so hätten die anderen Unternehmen eben des. Hierfür muß grundsätzlich zurechenbares Ver- Lizenzen nehmen müssen, anstatt weiter vermeidbar schulden vorausgesetzt bleiben. Aber ebenso zwin- viruskontaminierte Produkte in den Verkehr zu brin- gend erscheint mir, für schwerste und irreversible gen. Arzneimittelschäden einen materiellen Opferaus- gleich sui generis anzuerkennen. Ein Herstellervertreter hat mir gesagt, an Lizenzer- werb habe man nicht gedacht. Meine Antwort: Wür- Meine Damen und Herren, wir können das Gesetz den Sie den Hersteller Ihres Privatkraftwagens für novellieren und Behörden umgestalten. Der Erfolg exkulpiert halten, der Ihnen mitteilt, er sei technisch hängt letztlich aber nicht weniger davon ab, daß an leider noch nicht so weit wie sein Konkurrent, der sich der Spitze der Ämter Persönlichkeiten mit Charakter- seine Erfindung habe patentrechtlich schützen lassen, stärke und gesundem Menschenverstand stehen müs- und er bitte um Verständnis, daß bis auf weiteres in sen. Unser Vertrauen in die Institution ist über-, unser fünf bis zehn von hundert Fällen seine Bremstechnik Setzen auf die Kraft der Persönlichkeit scheint mir noch versagen könne? „Das Problem sei bekannt, man unterentwickelt. arbeite aber daran und sei zuversichtlich, es alsbald in Das Arzneimittelgesetz von 1976 hat seine erste den Griff zu bekommen. " — wirkliche Bewährungsprobe hinsichtlich eines gegen- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: über der Contergan-Katastrophe verbesserten Patien- Unglaublich!) tenschutzes wohl doch nicht bestanden. Für die durch Blut und Blutprodukte infizierten Hämophilie- und Von Rechts wegen müßte der TÜV die Zulassung Krankenhauspatienten muß daher erneut eine sozial- widerrufen. Für Arzneimittel gilt, wenn der Stand der staatliche Ausgleichsregelung unter Beteiligung der Technik fortschreitet, nichts anderes. Versicherungswirtschaft, des Bundes und der Länder geschaffen werden. Meine Damen und Herren, der Preis des Lernens ist der Tod. Contergan und Bluter-Aids zwingen den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Arzneimittelgesetzgeber, diesmal und nunmehr wirk- F.D.P., der SPD und der PDS) lich Konsequenzen zu ziehen. Wir brauchen ein ver- Die Mittel dafür sind auch bei der Versicherungswirt- bessertes und greifendes Ein Arz- Drug monitoring. schaft vorhanden. Eine Regelung auch unter ihrer neimittelgesetz, das der Bundesoberbehörde nicht Inanspruchnahme ist weniger eine Frage rechtstech- einmal den Rechtsanspruch auf Einsicht in Kranken- nischer Details und rechtsdogmatischer Gesichts- unterlagen zur Beobachtung und Verfolgung von punkte. Nebenwirkungen gibt, was sich beim nachgerade berüchtigten ersten deutschen Bluterfall verhängnis- Ich bin überzeugt, daß die Richter des Bundesver- voll ausgewirkt hat, kann schwerlich greifen. Das fassungsgerichts die sozialstaatliche Kompetenz und Meldeverhalten der Ärzte und Krankenanstalten ist Pflicht des Bundesgesetzgebers nicht bestreiten wür- zu oft mangelhaft bis ungenügend, obwohl berufs- den, die Geschädigten und ihre Familien nicht recht- rechtliche Verpflichtungen bestehen. Das Wissen los gestellt zu lassen und wenigstens einen der Erwäh- darum, was geschieht, ist aber die erste Vorausset- nung werten sozialen Ausgleich zu gewährleisten. zung für Erkenntnisgewinn und konsequentes Han- Entscheidend ist, ob und daß der Deutsche Bundestag deln. und die Bundesregierung den Willen haben, das Gesetz der Gerechtigkeit dienen zu lassen. Das Haftungsrecht und die Beweislastverteilungen bedürfen der Korrektur. Bei Massenschäden mit lan- Unsere Entscheidung als Abgeordnete wird das gen Entwicklungszeiten versagen die traditionellen Gemeinwesen sicher nicht aufwühlen. Die aidsinfi- Regeln des zivilen Deliktrechts, wie sie z. B. in § 830 zierten Patienten sind keine Gruppe, die zu repu- Abs. 1 Satz 2 BGB festgelegt sind. Dieses Gesetz geht blikerschütterndem Protest in der Lage wäre. Viele davon aus, daß ein Geschädigter mehreren möglichen versterben Woche für Woche, ohne daß sie ein Wort Schädigern gegenübersteht. Bei Massenschäden fin- des offiziellen Bedauerns vernommen hätten. den Sie jedoch sowohl auf der Schädigerseite als auch Aber der Wille und die Entschlossenheit des Deut- auf der Geschädigtenseite mehrere Personen. Daraus schen Bundestages, für die von dieser Tragödie resultiert, daß entgegen dem Leitbild des Gesetzes betroffene hilflose Gruppe von Mitbürgern mitten nicht jeder der möglichen Täter den Gesamtschaden unter uns einen angemessenen Opferausgleich zu aller Geschädigten verursacht haben kann. Eine Kla- schaffen, entscheidet doch auch über das Gesicht geabweisung nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip unseres Gemeinwesens und darüber, ob wir zu wirk- aber wäre eine ungerechte Privilegierung der Herstel- lichem Mitleiden fähig sind. ler, deren Schadensverursachung auf jeden Fall fest- steht. Die Lösung dieser Gruppenschäden könnte (Beifall im ganzen Hause) darin bestehen, daß man die Geschädigten und die Ich appelliere an uns, meine Damen und Herren Schädiger zu einer Gruppe zusammenfaßt, also in Abgeordnete: Lassen wir durch das zu schaffende modifizierter Form insoweit Überlegungen des Jahres 1976 wieder aufgreift. Gesetz unsere Herzen sprechen. Sie sagen uns, was richtig ist. Das Herz trifft die Entscheidung, das Gehirn In großem zeitlichen Abstand sich ereignende Scha- liefert die Argumente. densfälle allerdings erschweren die Gruppenbildung. Herzlichen Dank. Für sie müßte man die Verursachungswahrscheinlich- keit als Haftungsgrund ausreichen lassen. (Beifall im ganzen Hause) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 777

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht Anhörung offengelegt wurde, hat uns selbst tief die Kollegin Anni Brandt-Elsweier. erschüttert. Als Außenstehende kann man nur schwer nachvollziehen, welches unendliche Leid die Empfän- ger von HIV-infizierten Blutprodukten und ihre Fami- Anni Brandt-Elsweier (SPD): Frau Präsidentin! lien ertragen mußten und noch zu ertragen haben. Meine Damen und Herren! Ihnen liegt der 672 Seiten Über 600 der HIV-infizierten Hämophilen in umfassende Schlußbericht des 3. Untersuchungsaus- Deutschland sind bereits gestorben. Allein im vergan- schusses der 12. Legislaturperiode vor. Nach etwa genen Jahr waren es über 80 Tote. Leider werden es einem Jahr intensiver Tätigkeit und umfangreicher auch in Zukunft nicht weniger sein, die an den Folgen Ermittlungen kommt er zu Feststellungen, die zu der der HIV-Infektion sterben. Aussage berechtigen, daß bezüglich der HIV - Infek- tionen durch Blut und Blutprodukte von der zweiten Das ist eine der entsetzlichen Tatsachen, denen wir Arzneimittelkatastrophe seit Contergan zu sprechen uns stellen müssen. Mit Bestürzung denke ich jedoch ist. Es ist unsere Verpflichtung, aus dieser Feststellung auch an den Augenblick, als wir feststellen mußten, die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen daß bei rechtzeitigem und verantwortungsvollem zu ziehen. Handeln aller Beteiligten vieles hätte verhindert wer- den können. Der überwiegende Teil aller HIV-Infek- Meine Redezeit ist zu kurz, um den Bericht in allen tionen durch kontaminierte Gerinnungspräparate Einzelheiten darzustellen. Seine Lektüre kann ich hätte vermieden werden können. Es gab Menschen, Ihnen daher nicht ersparen. die frühzeitig ihre warnende Stimme erhoben haben. Ich nehme diese Gelegenheit wahr, um zunächst Ich denke an Jou rnalisten wie z. B. Herbert Stelz, einmal Dank zu sagen. Zu danken ist den Mitarbeite- Irene Meichsner oder Egmont Koch oder an enga- rinnen und Mitarbeitern des Sekretariats und aller gierte Medizinerinnen wie Frau Prof. L'age-Stehr oder Fraktionen, die in unermüdlichem Einsatz, oft bis an Frau Prof. Helm, deren Warnungen nicht genügend die Grenzen ihrer physischen und psychischen Belast- Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Auch ihnen ist für barkeit gehend, die Tätigkeit des Untersuchungsaus- ihren Einsatz in dieser Sache zu danken. schusses vorbereitet, organisiert und unterstützt haben. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall im ganzen Hause) Nach den nun vorliegenden Feststellungen führt Ohne sie hätten wir das Arbeitsergebnis in der kurzen kein Weg daran vorbei, daß sich Staat, Pharmaindu- Zeit nicht vorlegen können. strie, Blutspendedienste und Ärzte zu ihrer Mitverant- wortung am Schicksal vieler durch Blut und Blutpro- Mein Dank gilt auch den Kollegen aller Fraktionen, dukte HIV-Infizierter eindeutig bekennen. Es ist die unsere mühevolle und sehr langwierige Untersu- chungsarbeit — es gab Zeugenbefragungen bis zu daher anzuerkennen, daß Sie, Herr Gesundheitsmini- ster Seehofer, bereits öffentlich — in einer Sendung 18 Stunden am Tag — in einer harmonischen Atmo- vom „Report" in der vergangenen Woche — erklärt sphäre in stets sachlicher und fairer Auseinanderset- haben, Sie stehen zu dieser Haftung des Staates. zung durchgeführt haben. Auf diese Art und Weise konnten fast stets einhellige Entscheidungen getrof- So war es auch eines der Hauptziele unserer Unter- fen werden. Für mich war das eine neue, gute und suchungsarbeit, die haftungsrechtliche Situation der wertvolle Erfahrung, zeigt sie doch, wie befriedigend Betroffenen sowie ihre wirtschaftliche und soziale politische Tätigkeit sein kann. Absicherung zu untersuchen. Zu klären war auch, auf (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ welche Weise den infizierten Personen und ihren CSU und der F.D.P.) Angehörigen schnell und angemessen geholfen wer- den kann, und zwar unabhängig von einer Rechts- Dabei hat sicher auch eine Rolle gespielt, daß das sehr pflicht — unabhängig von einer Rechtspflicht deshalb, sensible Thema des Untersuchungsauftrages nicht weil wir davon ausgehen, daß abgesehen von dem geeignet war, im Wahlkampf ausgeschlachtet zu wer- allgemein festgestellten Fehlverhalten bei allen Ver- den. antwortlichen im Einzelfall der Beweis der anspruchs- Besonderer Dank gilt dem Vorsitzenden, Herrn begründenden Kausalität und des Verschuldens für Kollegen Scheu. den Geschädigten ein nicht selten unlösbares Problem (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ sein kann. Gerade aber die Verschuldenshaftung ist CSU, der F.D.P. und der PDS) Voraussetzung für die Zuerkennung immaterieller Schadensersatzansprüche — sprich: Schmerzens- Oft habe ich ihn wegen des großen Fachwissens und geld —, Ansprüche, die von den Versicherern in der seines nie endenden Engagements im Interesse der Vergangenheit stets unter Hinweis auf fehlendes Opfer bewundert, nie beneidet. Die verantwortungs- schuldhaftes Verhalten abgelehnt wurden. volle Aufgabe, in der uns zur Verfügung stehenden Zeit fundierte Feststellungen zu treffen und brauch- Der Untersuchungsausschuß spricht sich deshalb bare Ergebnisse zu erzielen, war keineswegs immer für eine sozialstaatliche Entschädigungslösung für leicht. Steine wurden uns dabei besonders von den alle Betroffenen aus, insbesondere auch, weil vielen pharmazeutischen Herstellern in den Weg gelegt, die Opfern die gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprü- geforderte Auskünfte verweigerten und angeforderte che schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr zuge- Unterlagen nicht vorgelegt haben. mutet werden kann. Das Schicksal der Opfer dieser Katastrophe, die Angesichts der Tatsache, daß eine HIV-Infektion ohne Vorwarnung über diese Menschen hereinbrach, nach wie vor keine Heilungschancen hat und früher deren großes Leid uns in mehreren Stunden der oder später der tödliche Ausgang dieser Krankheit 778 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Anni Brandt-Elsweier gewiß ist, darf bei einer Entschädigungslösung nicht Der Kampf zwischen Mensch und Viren als Seu- auf Zeit gespielt werden. Eine schnelle und angemes- chenerregern ist nach wie vor unentschieden. Wir sene finanzielle Hilfe kann zwar das geschehene glaubten, die großen Seuchen der vergangenen Jahr- Unrecht nicht wiedergutmachen, kann aber helfen, hunderte wie Pocken, Pest und Cholera dank des die Situation der Betroffenen zu erleichtern und zu Fortschritts der Medizin besiegt zu haben. Es kamen verbessern, und kann insbesondere die Angehörigen neue hinzu wie Polio und HIV in diesem Jahrhundert. absichern. Neue unbekannte Gefahren lauern bereits im Dun- keln, wenn wir an Ebola- oder Marburg-Virus den- So geht auch mein dringender Appell an die Damen ken. und Herren der Koalition: Unterstützen Sie insoweit den vorliegenden Entschließungsantrag der SPD- Die Ermittlungen des 3. Untersuchungsausschus- Fraktion! Setzen Sie ein Zeichen, auf das die Opfer ses, wie sie in diesem Schlußbericht niedergelegt sind, schon lange warten, und geben Sie eine schnelle und zeigen deutlich, wie erschreckend leichtfertig der optimale Hilfe, die meines Erachtens niemals gerecht Mensch mit diesen tödlichen Gefahren für seine sein kann, aber angemessen sein muß. Gesundheit und sein Leben manchmal umgeht. Dies ist besonders häufig der Fall, wenn wirtschaftliche Das darf auch keine Frage des fehlenden Geldes Interessen eine Rolle spielen. sein. Es gibt z. B. den Pharmapool, der auf Grund einer (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) gesetzlichen Regelung Rückstellungen für derartige Seien wir in Zukunft wachsam. Ziehen wir die Großrisiken zu bilden hat. Die Zinsbeträge sind Konsequenzen aus diesem Abschlußbericht. Bemü- beträchtlich. Die angesammelten Summen sind steu- hen wir uns, das Leben und die Gesundheit unserer erfrei gestellt. Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen. Mit diesem Problem hat sich der Untersuchungsaus- Ich danke Ihnen. schuß eingehend befaßt. Es war jedoch nicht unsere (Beifall im ganzen Hause) Aufgabe, zu untersuchen, inwieweit hier Mißbrauch vorliegt. Aber diese Prüfung wird noch erfolgen müs- sen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der Kollege Volker Beck. Wir glaubten alle, daß der Contergan-Fall uns gewarnt habe, und der Gesetzgeber hat auch seiner- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zeit das Arzneimittelrecht entsprechend geändert. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Aber die dramatische Entwicklung der HIV-Infektio- Herren! Der Aids-Pharma-Skandal ist einer der dra- nen durch Blut und Blutprodukte hat uns eines Besse- matischsten medizinischen und vor allem pharmazeu- ren belehrt. Wir haben mit Bitterkeit zur Kenntnis tischen Katastrophen unseres Jahrhunderts — die nehmen müssen, daß das Arzneimittelrecht nicht größte Arzneimittelkatastrophe seit Contergan. Er ist ausgereicht hat, um diese Katastrophe abzuwenden. ein Lehrbeispiel für Verantwortungslosigkeit bei den Es gilt, das AMG diesen Erkenntnissen anzupassen, Unternehmen und Komplizenschaft der Behörden. damit künftige Gefahren möglichst ausgeschlossen Der wirklich verdienstvolle Bericht stellt hierzu fest: werden. Ein „schuldhaftes Verhalten" aller Beteiligten war Der Schlußbericht gibt hierzu genügend Hinweise ursächlich für einen Großteil der HIV-Infektionen und Empfehlungen an den Gesetzgeber, von denen durch Blut und Blutprodukte. ich nur einige kurz erwähnen möchte: Schaffung eines Spätestens seit Anfang 1983 war die Gefährdung- Spezialgesetzes für biologische Produkte und Organe der Gesundheit und des Lebens vermeidbar. Späte- — als erste Stufe ein Transfusionsgesetz —; Festle- stens seit 1984 wurde in hepatitissicheren Präparaten gung einer chargenbezogenen Dokumentations- auch der HI-Virus abgetötet. Bereits 1976 gab es erste pflicht; Ausgleichung der Strukturdefizite im Melde- virussichere PPSB-Präparate. system und im Risikomanagement. Und: Wir empfeh- Aus pharmapolitischen Überlegungen ließen die len eine nationale Eigenversorgung mit Blutplasma. zuständigen Behörden wider besseres Wissen die Firmen dennoch weiter mit dem Leben von Blutern Ob wir allerdings für die Zukunft ähnliche gesund- und Transfusionsempfängern Russisches Roulett spie- heitliche Katastrophen vermeiden können, wage ich len. Wen auch immer die Kugel traf — die Industrie angesichts der jüngsten Lockerung bisheriger Han- war der Gewinner. delsbeschränkungen hinsichtlich der Exporte briti- schen Rindfleisches zu bezweifeln. Nach wie vor ist Dieser Pharmaskandal wirft eine ganze Reihe von Fragen auf — nach rechtlicher und politischer Verant- das Forschungsdefizit über BSE — Rinderwahnsinn — erschreckend groß, und gesicherte Erkenntnisse über wortung, nach juristischen und ethischen Grundlagen die Möglichkeit einer Übertragung vom Tier auf den unseres Gesundheitswesens, nach dem Geschäft mit Menschen liegen nicht vor. Noch vor nicht allzulanger dem Blut. Der Untersuchungsbericht benennt an vie- Zeit hat Gesundheitsminister Seehofer die Gefahr len Punkten Fahrlässigkeit und krasses Fehlverhalten durch BSE mit der dramatischen Entwicklung von der Behörden. Die Konsequenzen hieraus werden wir in den Ausschüssen zu diskutieren haben. Aids verglichen. Nun sollen offensichtlich wirtschaft- liche Interessen dem vorbeugenden Gesundheits- Im Vordergrund jeder politischen Diskussion muß schutz vorgehen. Das kann und darf nicht sein. aber heute eindeutig die Entschädigung der Opfer stehen. Über Jahre hinweg hat man die Verantwor- (Zustimmung bei Abgeordneten des BÜND tung wie auf einem Verschiebebahnhof hin- und NISSES 90/DIE GRÜNEN) hergeschoben und die Opfer auf den Rechtsweg Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 779

Volker Beck (Köln) verwiesen. Die Betroffenen blieben hierbei auf der Lassen Sie uns die unverzügliche Ermöglichung der Strecke, ihre Ansprüche kamen dabei unter die Räder. Vorleistungen trennen von den politischen Streite- Deshalb wollen wir Sie mit allem Nachdruck zur Eile reien über die Frage, wie und von welcher Seite die drängen; denn für die Entschädigung der Opfer haben Entschädigungsleistungen hinterher gezahlt werden wir keine Zeit mehr. Hier müssen Sie heute handeln, müssen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen Versi- Herr Minister Seehofer. cherungswirtschaft und Pharmaindustrie hierbei nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Wir fordern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Bundesregierung auf, Versicherer und Pharma- der SPD und der PDS) industrie unter Druck zu setzen, damit sie ihren Mehr als 600 der HIV-infizierten Hämophilen in Verpflichtungen endlich nachkommen. Deutschland sind bereits gestorben, allein im vergan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genen Jahr mehr als 80 Betroffene. Jede Woche sowie bei Abgeordneten der SPD) sterben Hämophile an den Folgen der HIV-Infektion. Für sie kommt eine Entschädigungsregelung ohnehin 1976 hatte der Gesetzgeber, u. a. als Reaktion auf schon zu spät. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßen die Contergankatastrophe, das Arzneimittelgesetz daher, daß der Bundesgesundheitsminister die Ver- geändert und die Gefährdungshaftung eingeführt. antwortung der Bundesregierung bejaht. Zumindest Um das Risiko bei eventuellen Großschadensereignis- haben Sie dies gegenüber „Report Baden-Baden" sen für einzelne Unternehmen zu begrenzen, bildeten angekündigt. Wie man hört, haben Sie inzwischen etwa 120 Versicherer der Pharmafirmen den soge- aber schon kalte Füße bekommen. Für politische nannten Pharmapool. Jetzt, bei seiner ersten Bewäh- Kapriolen und Gezerre ist dieses Thema aber wirklich rungsprobe, versuchen Versicherer und Pharmafir- zu ernst. men, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Inzwi- Die Interessensgemeinschaft Hämophiler und die schen wurden Rückstellungen von fast 1 Milliarde DM gebildet, ein Drittel durch Steuerersparnisse und Deutsche Hämophiliegesellschaft haben uns diese Zinseinnahmen. Man sitzt auf diesem Geld, und die Woche ermahnt, heute Klarheit zu schaffen: Wann können die HIV-infizierten Bluter — ich ergänze: Betroffenen bekommen allenfalls ein Almosen. Statt daß die im Einzelfall vorgesehenen Zahlungen von bis wann können die durch Bluttransfusionen infizierten zu 500 000 DM pro Geschädigten geleistet würden, Menschen — endlich mit einer Entschädigung rech- wurden die Opfer der Pharma-Aids-Katastrophe Ende nen? Ich glaube, die Betroffenen haben Anspruch auf der 80er Jahre mit gerade einmal 65 000 DM abge- eine eindeutige Aussage von Ihnen, Herr Minister, speist. hier und heute. Wenn angesichts dieser Summen und der Gefähr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dungshaftung im Arzneimittelgesetz die Opfer immer und der PDS sowie bei Abgeordneten der noch weitgehend leer ausgehen, stellt sich doch die SPD) Frage, wozu man solche Pools hat, wenn sie im Wir appellieren an Sie, Herr Seehofer: Schaffen Sie Ernstfall nicht zur Verfügung stehen. Bei allem Fehl- unverzüglich alle juristischen und haushaltsrechtli- verhalten staatlicher Behörden, insbesondere des chen Voraussetzungen, damit der Bund in finanzielle Bundesgesundheitsamtes, bleibt doch festzuhalten: Vorleistung zur Abdeckung des vollen Ausgleichs Die Pharmafirmen haben sich im Zweifelsfall für den aller Ansprüche der Betroffenen treten kann. Hierbei Profit, gegen Verantwortung und gegen die Sicherheit müssen auch die mittelbar durch Blut und Blutpro- der Patienten entschieden. Sie müssen daher auch die dukte Infizierten, also die HIV-infizierten Kinder, überwiegende Last der Entschädigungen tragen. Lebenspartner und Sexualpartner der Pharmaopfer, - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in die Entschädigung mit einbezogen werden. sowie bei Abgeordneten der PDS) (Beifall des Abg. Dr. Jürgen Rochlitz [BÜND Die rechtlichen Auseinandersetzungen darf man NIS 90/DIE GRÜNEN]) dabei aber nicht länger den Betroffenen aufladen. In diesem Sinne wird meine Kollegin Monika Knoche Dies zu erreichen ist durch die Abtretung der Ansprü- für unsere Fraktion auch in den Ausschußberatungen che in Verbindung mit der Vorleistung des vollen auf eine schnelle Lösung dieser Frage dringen. Ausgleichs auch leicht möglich. Wie sehr es brennt, möchte ich Ihnen an einem Die Pharmaindustrie scheut sich bislang vor einer Beispiel erläutern. Erst gestern rief mich die Be- Schuldanerkenntnis, weil die internationalen Unter- treuerin eines jungen Mannes aus Baden-Württem- nehmen fürchten müssen, daß dies in den USA bei berg an. Dieser wurde 1984 bei einer Bluttransfusion ihren Tochter- oder Muttergesellschaften zu ungleich infiziert. Inzwischen ist bei ihm das Vollbild Aids höheren Regreßforderungen führen würde. Wie am ausgebrochen. Er ist Vater eines zweijährigen Kindes. Anfang des Skandals gibt es eine pharmapolitische Sein Antrag auf materielle Soforthilfe wurde abge- Komplizenschaft zwischen Industrie und Gesund- lehnt, da er eine Antragsfrist versäumt hatte. Die heitsbehörden. Familie muß jetzt demnächst von Sozialhilfe leben. Meine Damen und Herren, die sozialstaatliche Das kann doch nicht angehen! Mit bürokratischen Verantwortung gegenüber den Opfern des Aids- Antragsfristen und juristischen Spitzfindigkeiten muß Pharma-Skandals scheint in diesem Fall von allen hier endlich Schluß sein. Seiten des Hauses bejaht zu werden. Die Deutsche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Aids-Stiftung „Positiv leben" und die Aids-Hilfen bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeord haben mit Recht eine sozialstaatliche Fürsorge für alle neten der CDU/CSU und der F.D.P.) Aidsopfer angemahnt. Es darf nie wieder das böse 780 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Volker Beck (Köln) Wort von den unschuldigen und den schuldigen Behandlung,- die den Patienten als Hochdosierungs Opfern die Runde machen. und vorbeugende Therapie eine bis dahin nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gekannte Hilfe brachte, die allerdings mit einem und der PDS sowie bei Abgeordneten der hohen Hepatitisrisiko behaftet war. Die Bemühungen SPD und der F.D.P.) der Arzneimittelhersteller, dieses hohe Risiko zu sen- ken, führten 1978 im Rahmen einer klinischen Studie Unsere Solidarität und Fürsorge muß allen Opfern zur erstmaligen Anwendung des hitzesterilisierten von Aids gleichermaßen gelten. Wir brauchen eine Produkts der Firma Behring. Dieses Präparat wurde finanzielle Unterstützung aller Betroffenen in mate- 1981 durch das BGA — mit der Auflage, wegen riellen Notlagen. Aids ist oftmals auch in Deutschland befürchteter Nebenwirkungen nach zwei Jahren ein Synonym für Armut. Unsere sozialen Sicherungs- einen klinischen Erfahrungsbericht vorzulegen — als systeme sind nicht auf so junge Kranke eingerichtet, hepatitissicher zugelassen. und die Pflegeversicherung berücksichtigt die Beson- derheiten dieser Krankheit nicht. Durch eine Nach- Meine Damen und Herren, jetzt kommt Aids hinzu: besserung der Pflegeversicherung muß das Pflegeri- Im Dezember 1982 erfolgte im „Bundesgesundheits- siko bei Aids endlich voll abgedeckt werden. Wir blatt" die erste Information durch das BGA über den müssen die Aids-Stiftung besser ausstatten, um das aktuellen Sachstand im Hinblick auf den unbekann- Armutsrisiko Aids bis zur Einführung einer sozialen ten Krankheitserreger als Ursache des tödlich verlau- Grundsicherung, wie wir sie fordern, abzuwenden. fenden Immundefektes. Es wird ausgeführt, daß als wahrscheinliche Ursache ein unbekanntes infektiöses Versäumnisse bei der Aufklärung und auch die Agens in Betracht kommt, das ähnlich wie der Hepa- inhumane Drogenpolitik der Bundesregierung sind titis-B-Virus übertragen wird, und daß die Empfänger die Ursachen von Infektionen bis zum heutigen Tage. von Faktor-VIII-Konzentraten zu den Risikogruppen Wir dürfen auch in unseren Anstrengungen nicht gehören. nachlassen, durch Aufklärung neue Infektionen zu vermeiden. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die Vergeblich sucht man in der Chronologie die nun zu finanzielle Absicherung der Arbeit der Deutschen erwartende Mitteilung, daß von diesem Zeitpunkt an Aids-Hilfe. Wer im Aids-Etat streicht, wie diese Bun- die Hersteller durch deutliche Warnsignale auf den desregierung, lädt neue Schuld auf seine Schultern. Faktor-VIII-Präparaten auf das neue Risiko hinwei- Vielen Dank, meine Damen und Herren. sen. Vergeblich sucht man im Jahre 1983 eine entspre- chende Auflage durch das BGA. Vergeblich sucht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, man, meine Damen und Herren, Reaktionen der der SPD und der PDS) Länder, die für die Nachmarktkontrolle verantwort- lich sind. Für die Pflicht auf eine Gefahr hinzuweisen, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster der ist aber nicht das sichere Wissen erforderlich; sie Kollege Dr. Dieter Thomae. besteht auch bei einem wissenschaftlich begründeten Verdacht. Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Gewiß ist in diesem Zusammenhang schnell der sehr geehrten Damen und Herren! Der vor uns lie- Vorwurf der unverantwortlichen Hysterie zu hören. gende Abschlußbericht widerlegt in eindrucksvoller Auch wenn man den Konflikt des Arztes anerkennt, Weise die gängige Kritik an der Effektivität der Arbeit daß die Therapie durch eine eventuelle Verängsti- parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. In we- gung des Patienten gefährdet wird, muß der eigenver- niger als einem Jahr intensiver Aufklärungsbemü- antwortlichen Entscheidung des Patienten immer hungen durch die Beiziehung umfangreichen Akten- Vorrang eingeräumt werden. - materials und die Anhörung einer Vielzahl von Zeu- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlin gen und Sachverständigen wird dem Deutschen Bun- gen] [F.D.P.]) destag nunmehr ein umfassender Bericht vorgelegt. Dessen Ergebnis ist erschütternd. Dies gilt in besonderer Art und Weise bei den Hämo- Eine große Zahl von HIV-Infektionen durch Blut philen; es muß aber auch für die zukünftige Situation und Blutprodukte in der ersten Hälfte der 80er Jahre gelten. hätte sicherlich vermieden werden können. Den Infi- An der Vielzahl der vom Untersuchungsausschuß zierten gilt daher unser aufrichtiges Mitgefühl. festgestellten Defizite hat ein weiteres besonders Gestatten Sie, daß ich dem Vorsitzenden und allen erschreckt. So hat die Auswertung der Akten der Mitgliedern dieses Untersuchungsausschusses sowie Zeugenvernehmungen ergeben, daß weder durch das den Mitarbeitern danke, auch und besonders unseren BGA noch durch das BMG jemals ermittelt worden ist, Kollegen Dr. Menzel und Professor Schnittler. Der wie häufig, bei welchem Personenkreis und in wel- Bericht belegt, meine Damen und Herren, daß sich der chen Gebieten PPSB im nichthämophilen Bereich zur Ausschuß sehr bemüht hat, nicht das Geschehen der Anwendung gekommen ist. PPSB-Präparate werden Vergangenheit am heutigen Wissen zu messen — dies in der Herz- und Unfallchirurgie sowie in anderen ein häufiger Vorwurf. Die „Chronologie der wichtig- Bereichen eingesetzt. Der Ausschuß kann hier nur mit sten Ereignisse" und die „Chronologie der öffentlich Schätzungen arbeiten und stellt fest, daß allein im zugänglichen wissenschaftlichen Publikationen zu Jahre 1983 5 000- bis 10 000mal PPSB-Präparate an AIDS von 1980 bis 1985" waren und sind dabei sehr Personen außerhalb der Hämophilie verabreicht wur- hilfreich. den. Anfang der 70er Jahre begann die Therapie der Vor diesem Hintergrund erschüttert die Aussage Patienten mit Faktor-VIII-Hochkonzentraten, eine einer mit der Aidsproblematik engagiert befaßten Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 781

Dr. Dieter Thomae Virologin im BGA, daß sie nach der Meldung des In diesem Zusammenhang sind die Feststellungen ersten PPSB-Falles über die Dimension dieses Proble- des Ausschusses zu den Schwierigkeiten, Gutachter in mes sehr aufgeregt gewesen sei; denn es war nicht Prozessen zu finden, alarmierend. Ich sehe hier auch bekannt, daß solche Präparate auch an Nichtbluter eine problematische Wechselwirkung zwischen BGA abgegeben wurden. Auch andere Verantwortliche und Pharmaindustrie, Kontrolleur und Kontrollierten. des öffentlichen Gesundheitswesens gaben bei den Nicht beanstandete Praktiken nach einer einmal Zeugenvernehmungen an, daß sie über die Anwen- getroffenen Risikoabwägung, die nunmehr anders zu dungsbereiche von Blut und Blutpräparaten außer- bewerten ist, haben dazu beigetragen, daß eine vor- halb der Hämophiliebehandlung nicht informiert urteilsfreie Klärung erst jetzt erfolgt ist. waren. Dies bleibt für mich nicht nachvollziehbar; das Der Untersuchungsausschuß hat vor dem Hinter- sage ich sehr deutlich. grund, daß ein Verschulden nicht auszuschließen ist und damit Schmerzensgeldansprüche begründbar Im Zusammenhang mit diesen Fallgruppen kommt sind, Alternativen zu weitergehenden Entschädigun- der Untersuchungsausschuß zu dem beunruhigenden gen aufgezeigt, die nunmehr dem Gesundheitsaus- Ergebnis, daß das BGA ab Jahreswende 1982/83 nicht schuß — federführend — und dem Rechtsausschuß mit entsprechenden Schutzmaßnahmen reagierte. und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — über- Nicht zuletzt sei das BGA seitens der Pharmaindustrie wiesen werden sollen. Dies darf nicht als Verzöge- auf die Gefahren hingewiesen worden; erschwerend rungstaktik empfunden werden. Ich spreche hier die komme hinzu, daß für PPSB bereits seit 1976 ein Betroffenen an. Zu Zeitverzögerungen darf dies nicht inaktiviertes Produkt zur Verfügung steht. Das Nicht führen. Wir müssen endlich den Betroffenen helfen. ergreifen von Schutzmaßnahmen in diesem Bereich verstoße somit in hohem Maße gegen die erforderliche (Beifall im ganzen Hause) Sorgfalt. Ich bin froh, daß der Gesundheitsminister dies schon sehr deutlich gesagt hat. Ich persönlich kann es nicht Ein weiteres Kapitel ist die haftungsrechtliche mehr verkraften, daß von den betroffenen 1 377 Sicherung der Betroffenen. Die Pharmaversicherung Personen schon 451 gestorben sind, ohne daß wir hier hat Ende der 80er Jahre Schadenersatzleistungen im Parlament oder die Bundesregierung etwas unter- erbracht und den Geschädigten materielle Aufwen- nommen haben. dungen ersetzt. Aber die Abfindungssummen beweg- Laßt uns gemeinsam dieses Problem bald lösen! Wir ten sich im Durchschnitt bei 65 000 DM. Daß die Höhe sind es den Betroffenen unbedingt schuldig. der Abfindungen heute als unbefriedigend empfun- den wird, liegt dabei — das möchte ich betonen — Vielen Dank. nicht an Mängeln des Haftungsrechts, sondern an der (Beifall im ganzen Hause) Erkenntnis, daß Verschulden nicht mehr auszuschlie- ßen ist. Es ist, meine Damen und Herren, das Ver- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat die dienst des Untersuchungsausschusses, daß dies ein- Kollegin Dr. Ruth Fuchs. deutig herausgearbeitet wurde.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Dr. Ruth Fuchs (PDS): Frau Präsidentin! Meine sowie bei Abgeordneten der SPD) Damen und Herren! Der 3. Untersuchungsausschuß hat seinen Auftrag in überzeugender Weise erfüllt. Ich halte es für notwendig, dem Eindruck entgegen- Nach einem Jahr intensiver Arbeit ist das vorgelegte zutreten, daß es in der Arzneimittelhaftung Schmer- Ergebnis eindeutig und zugleich erschütternd. Es zensgeld nicht gäbe. Selbstverständlich hat ein bestätigt mit bisher nicht erreichter Ausführlichkeit- geschädigter Patient Schmerzensgeldansprüche ge- und Beweiskraft, was Kritiker schon seit langem gen den Arzneimittelhersteller oder den behandeln- gesagt haben. den Arzt. Hier greifen auch heute bereits Beweiser- Spätestens seit dem Jahr 1983 gab es den wissen- leichterungen. Auch deliktische Staatshaftung führt schaftlich massiv begründeten Verdacht einer Infek- zu Schmerzensgeldansprüchen. Die Haftungsrege- tionsgefährdung der Bluter durch den bis dahin noch lung des AMG kann nicht deshalb in Bausch und unbekannten, aber bereits postulierten Erreger der Bogen verdammt werden, weil die in § 84 AMG neuen tödlichen Immunschwächekrankheit Aids. verankerte Gefährdungshaftung nicht mit einem Über die Hälfte der eingetretenen HIV-Infizierungen Schmerzensgeldausgleich verbunden ist. Dies ent- durch Blut und Blutprodukte hätte durch rechtzeitiges spricht den heutigen Regelungen in unserem Rechts- entschlossenes und vorrangig an den Sicherheitsinter- system. Der Fortschritt bei der Schaffung des AMG essen der Patienten orientiertes Handeln vermieden war doch, daß überhaupt der Tatbestand einer werden können. Lebenswichtige Maßnahmen der Gefährdungshaftung dem bestehenden Deliktsrecht notwendigen Risikoabwehr wurden, gemessen an der hinzugefügt wurde und damit eine niedrigere Ein- damaligen Erkenntnisentwicklung, oft um Jahre zu trittsschwelle als vorher zu einem materiellen Scha- spät wirksam. Anderen elementaren Sicherheitserfor- densausgleich führte. Was als Haftungserleichterung dernissen im Umgang mit Blut und Blutprodukten für den geschädigten Anspruchsteller gedacht ist, soll — beispielsweise durch staatliche Chargenprüfung, sich in fataler Weise als Bumerang erweisen? Hiermit sorgfältige Chargendokumentation, ein exaktes Mel- kann man sich nicht zufriedengeben. Mir drängt sich deverfahren oder notwendige Auflagenerteilungen vielmehr der Eindruck auf: Nicht das Rechtssystem durch die Behörden — ist erst in jüngster Zeit durch hat versagt, sondern die schonungslose frühzeitige entsprechende Gesetze und Verordnungen Rechnung Tatsachenfeststellung, die vorhandene Haftungstat- getragen worden. Grundlegende Schlußfolgerungen bestände ausfüllen muß. wie ein Programm zur nationalen Selbstversorgung 782 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Dr. Ruth Fuchs mit Blut und Blutprodukten, die bereits zu Anfang der den Beispiel sehen kann, mittlerweile wenig Chan- 80er Jahre anstanden, sind auch gegenwärtig noch cen, ernsthaft beachtet zu werden. nicht verwirklicht und werden erst jetzt angegan- Meine Damen und Herren, Woche für Woche ster- gen. ben weitere Bluter. Die erste Anfrage der SPD- Bis heute nicht bereinigt ist das, was man gewisser- Fraktion im Deutschen Bundestag zu dieser Thematik maßen den Skandal innerhalb des Skandals nennen stammt vom Sommer 1992; die erste Anhörung des muß. Trotz der fünften Novelle im Jahre 1994 ist das Gesundheitsausschusses war im Februar 1993. In Arzneimittelgesetz noch immer nicht in erforderlicher Kürze werden also weitere drei Jahre ins Land gegan- Weise verbessert. Noch immer reicht vor allem das gen sein, wenn es nicht rasch zu einer akzeptablen Haftungsrecht als gesetzliche Grundlage für ange- Entschädigungsregelung für die Opfer kommt. Schon messene Entschädigungsleistungen für die Opfer von die nächste Zeit muß also zeigen, ob die Tätigkeit des Arzneimittelkatastrophen nicht im geringsten aus. Ausschusses wenigstens jetzt auf den notwendigen politischen Willen trifft, seine Erkenntnisse und Emp- Noch deutlicher sichtbar geworden als bisher sind fehlungen konsequent umzusetzen. Zu wünschen ist, durch den vorliegenden Abschlußbericht allerdings daß nunmehr das Parlament als Ganzes jene Einmü- Pharmahersteller, denen trotz des vorhandenen Wis- tigkeit an den Tag legt, mit der der Ausschuß gear- sens um das Risiko jahrelang ein ungestörtes profit- beitet hat. Nach wie vor gilt also: Wer den Opfern bringendes Geschäft mit dem Blut wichtiger war als wirklich helfen will, muß sofort damit beginnen. Nur die Sicherheit und das Leben der Patienten und die daran kann verantwortliches Handeln gemessen wer- auch einem parlamentarischen Untersuchungsaus- den. Deshalb unterstützen wir den Entschließungsan- schuß wichtige Auskünfte verweigern; Rückversiche- trag der SPD-Fraktion. Auch ich hoffe — wie mein rer der Pharmaindustrie, die kaltschnäuzig den Vorredner —, daß wir sehr schnell in den entsprechen- Opfern eine angemessene Entschädigung verweigern den Ausschüssen Entscheidungen treffen, damit den und die bis heute nicht bereit sind, ihren gewinnträch- Opfern geholfen werden kann. tigen Pharmapool, der eigens für solche Großrisiken Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. eingerichtet wurde, im Interesse einer sinnvollen (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten , Fondslösung für die Opfer zu öffnen; Ärzte, die unter der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Rahmenbedingungen tätig sind, bei denen ihre fach- SES 90/DIE GRÜNEN) lichen Entscheidungen nicht allein medizinisch und ausschließlich vom Patienteninteresse her begründet sind, sondern auch von handfesten materiellen Erwä- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der gungen getragen sein können. Kollege Wolfgang Lohmann (CDU/CSU). (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich (Lüdenscheid) (CDU/ Klose) Wolfgang Friedrich Lohmann CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen Ins Licht der Öffentlichkeit getreten sind aber auch und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Verantwortliche in den obersten Gesundheitsbehör- möchte mich Frau Brandt-Elsweier und Herrn Dr. den, die in pflicht- und sorgfaltswidriger Weise drin- Thomae selbstverständlich in dem ausdrücklichen gend gebotene Maßnahmen der Gefahrenabwehr Dank für die Arbeit anschließen, die die Mitarbeite- verzögerten oder ganz unterließen, dafür aber rinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und des Aus- bestrebt waren, kritische Fachleute in den eigenen schusses, alle Abgeordneten des Ausschusses und Reihen kaltzustellen und mundtot zu machen. Und insbesondere der Vorsitzende, man kann sagen: rund nicht zuletzt sehen wir eine Regierung, die fast ein um die Uhr und tatsächlich bis an die Grenzen der Jahrzehnt lang das große Kartell der Vertuscher und physischen und psychischen Belastbarkeit geleistet Verschweiger zumindest gewähren ließ, die dem haben. Parlament noch im Jahre 1992 einen unwahren (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Bericht übermittelte und die sich angesichts der bisher SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) größten Arzneimittelkatastrophe erst auf hartnäcki- Meine Damen und Herren, unser Ausschuß hatte gen Druck der Opposition und einer aufgeschreckten sich mit einem Sachverhalt zu befassen, der bei uns Öffentlichkeit ihrer Verantwortung gestellt hat. So allen zunächst Bestürzung und anschließend Empö- haben sich schließlich eine Vielzahl von sich gegen- rung ausgelöst hat. Wir alle hätten uns sicher seitig überschneidenden bzw. verstärkenden Män- gewünscht, unsere politische Arbeit tun zu können, geln und Versäumnissen zu einem Gesamtversagen ohne mit dem schlimmen Schicksal konfrontiert zu des Systems verdichtet. werden, das Menschen zugefügt worden ist, weil von Im übrigen — auch ein solches Einzelproblem wäre Beteiligten nicht sorgfältig und nicht rechtzeitig in diesem Zusammenhang einer Überlegung wert — gehandelt worden ist. Die Tragweite, die diese Ereig- scheint sich inzwischen speziell die jahrzehntelange nisse für die betroffenen Bluter und ihre Angehörigen Vernachlässigung eines leistungsfähigen öffentli- hatten und haben, kann man sich allenfalls vorstellen. chen Gesundheitsdienstes zu rächen. Die große Tra- Viele derjenigen, die heute hier auf der Besuchertri- dition epidemiologischen und insbesondere auch büne anwesend sind, wissen das aber mit Sicherheit infektionsepidemiologischen Denkens und Handelns, besser als wir. die es in Deutschland einmal gab, ist inzwischen Es dürfte nach aller Lebenserfahrung leider richtig nahezu erloschen. Eine Beweisführung, die sich — in sein, daß derjenige, der mit einem derartigen Schick- Anführungsstrichen — lediglich auf epidemiologische sal persönlich konfrontiert wird, mit diesem schockie- Daten stützt, hat, wie man gerade auch am vorliegen- renden Faktum letztlich allein fertigwerden muß. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 783

Wolfgang Friedrich Lohmann (Lüdenscheid) Auch aus diesem Grunde habe ich meine Zweifel, ob Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie weit die eine Entschuldigung des Deutschen Bundestages, wie Expertenkommission heute wäre und wie wir alle von Ihnen, Herr Kollege Schmidbauer, gefordert, dem gemeinsam, unterstellt, sie wäre wirklich bis heute Ernst der Sachlage wirklich gerecht würde. Es ist nun ebenfalls zu einem Ergebnis gekommen, möglicher- einmal so: Vermeintlich große Gesten gehören schnell weise mit einem solchen Ergebnis umgegangen der Vergangenheit an und tragen zur Lösung der wären. Deswegen ist der Weg, den wir beschritten anstehenden Probleme hier und jetzt und bald nichts haben, nach meiner Auffassung richtiger. bei. Aber ich gebe zu: Über derartige Dinge kann man (Klaus Kirschner [SPD]: Es kommt darauf an, mit gutem Grund unterschiedlicher Meinung sein. welche Konsequenzen Sie daraus ziehen, Gerade vor diesem Hintergrund bin ich heute mehr Herr Kollege Lohmann!) denn je überzeugt davon, daß politischer Streit und Auf unsere Initiative und ebenfalls gegen Ihren ideologische Polemik, wie sie bei der Rede von Herrn Widerstand, Herr Kollege Kirschner, wurde das Bun- Beck vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute deutlich desgesundheitsamt aufgelöst und in überschaubare, geworden sind, der Thematik keinesfalls angemessen effiziente Institute neu gegliedert. Auf unsere Initia- sind. Er war allerdings an der Arbeit des Untersu- tive, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurde chungsausschusses — ich habe ja eben von der in der 5. Novelle zum Arzneimittelgesetz die Sicher- Belastung gesprochen, die diese Arbeit mit sich heit von Blut und Blutprodukten bereits jetzt deutlich gebracht hat — nicht beteiligt. Auch die in den verbessert. Es ist ebenfalls auf unsere Initiative und Ausschuß entsandten Kolleginnen des BÜNDNIS- auf die des Herrn Ministers zurückzuführen, daß SES 90/DIE GRÜNEN haben in der Regel durch bereits bei den Haushaltsberatungen 1994 die Sofort- Abwesenheit geglänzt. hilfe für die HIV-infizierten Bluter installiert werden Ich möchte deshalb grundsätzlich sagen, daß die konnte, um die teilweise tatsächlich unerträgliche Beratungen im Gesundheitsausschuß möglichst frei Situation der Betroffenen zu lindern. von Polemik und Ideologie geführt werden sollten, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und weil das den Betroffenen am ehesten helfen wird. der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ich gehe auch davon aus, daß bereits während der sowie bei Abgeordneten der SPD und der laufenden Haushaltsberatungen dieses Jahres die PDS) noch offene Frage der sogenannten Stichtagsrege- lung einer zufriedenstellenden Lösung zugeführt wer- Der von der Fraktion der SPD, Herr Schmidbauer, den kann. eingebrachte Antrag wird meines Erachtens diesem Maßstab leider nicht voll gerecht. Die CDU/CSU- Die Regierungsfraktionen und die von ihr getra- Fraktion hat ja von Anfang an gesagt, daß der Aus- gene Bundesregierung werden diesen Weg gemein- schußbericht, seine Empfehlungen und auch Ihr Son- sam fortsetzen. Unser Ziel ist dabei ein dreifaches: Die dervotum Gegenstand der Diskussion im Gesund- Sicherheit von Blut und Blutprodukten wird weiter heitsausschuß sein müssen. Dort muß seriös und kontinuierlich verbessert, für die Betroffenen wird sachlich fundiert beraten werden. Ich bedaure es über die Soforthilfe hinaus eine angemessene Ent- deswegen ausdrücklich, daß wir uns hier und heute schädigungsregelung erarbeitet, und die als unzurei- Ihrem Antrag nicht anschließen können, weil Sie in chend erkannte Arzneimittelhaftung wird deutlich einer Art vorauseilendem Gehorsam diesen Antrag zu ergänzt und ausgeweitet. Ich bitte Sie deshalb sehr, früh eingebracht haben. meine sehr verehrten Damen und Herren der anderen Fraktionen, gemeinsam mit uns diese Ziele anzu- Ich möchte für unsere Fraktion noch einmal beto- steuern. nen, daß wir nicht nachlassen werden, uns um die (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Plus Länder!) Lösung der anstehenden Fragen zu bemühen, und daß der Ausschußbericht und seine Empfehlungen Basis — Dazu komme ich gleich. für unsere Arbeit sind, die das Ziel verfolgt, schnell Der dringende Handlungsbedarf insbesondere im weiterzukommen. Ich erinnere in diesem Zusammen- Hinblick auf das zweite Ziel, nämlich die Frage einer hang auch daran, daß auf unsere Initiative und gegen angemessenen Entschädigung für die Betroffenen, Ihren Widerstand, meine Damen und Herren von der muß von uns allen anerkannt werden. Es muß fundiert SPD, der Untersuchungsausschuß überhaupt erst ein- diskutiert werden. Wir wollen doch nicht mit dem gesetzt worden ist. Untersuchungsausschußergebnis, auf dessen Basis (Klaus Kirschner [SPD]: Was? Das ist ja was wir alle gemeinsam stehen, die Beratungen im ganz Neues!) Gesundheitsausschuß vorwegnehmen. Ich meine schon, daß der Weg, der jetzt angestrebt wird, der Ich bin heute mehr denn je davon überzeugt, daß richtige ist. der von Ihnen, Herr Kollege Kirschner, der Sie gerade Meine Damen und Herren, der Ausschußvorsit- dazwischenrufen, vorgeschlagene Weg, nämlich die zende hat juristisch tiefgründig und fundiert vieles Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommis- gesagt, was nicht wiederholt werden muß. Trotzdem sion, bei weitem nicht so effizient gewesen wäre wie meine ich, noch ein paar Bemerkungen zum Ablauf der von uns vorgeschlagene und durchgesetzte Unter- machen zu sollen. suchungsausschuß. Bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraumes, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und also ab dem 1. Oktober 1980, hätte — wir wissen das — der F.D.P.) schon wegen der Gefahr einer tödlich endenden 784 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Wolfgang Friedrich Lohmann (Lüdenscheid) transfusionsbedingten Hepatitis nur noch inaktivier- gefunden und durchgesetzt wird. Dazu ist schon viel tes PPSB zur Anwendung gelangen dürfen. Fast alle gesagt worden. HIV-Infektionen hätten — das allerdings wußten wir Wir setzen zuerst auf eine freiwillige Beteiligung erst später — durch den Einsatz von PPSB vermieden der Betroffenen. Aber wir fordern die Bundesregie- werden können. rung, wie auch im Ausschußbericht gesagt, prinzipiell Zu dem in der Hämophilie-Behandlung bei weitem auf, alle Möglichkeiten für den Fall auszuschöpfen, am häufigsten angewandten Gerinnungsfaktorkon- daß als freiwillige Lösung ein solcher Fonds für alle zentrat Faktor VIII stellte der Ausschuß fest, daß Beteiligten nicht zustande kommt. Für diesen Fall muß spätestens im Laufe der ersten Jahreshälfte 1983 mit gesetzgeberischen Maßnahmen gehandelt wer- hinreichende Erfahrungen mit einem virusinaktivier- den. ten Konzentrat sowie ausreichende Erkenntnisse über Ich danke Ihnen allen, daß Sie mitgeholfen Ursache und Übertragbarkeit von Aids durch Blut und haben. Blutprodukte vorlagen. Zu dieser Zeit war aber leider (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. ein großer Teil der Hämophilen bereits infiziert. sowie bei Abgeordneten der SPD) Es war und ist zunächst Aufgabe der Industrie und der Ärzte, auf die Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Aidsgefahr zu reagieren. Daß Industrie und Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Ärzte über entsprechende Kenntnisse verfügten, ist Kollege Horst Schmidbauer (SPD). uns angesichts der Zusammenarbeit der Beteiligten auf internationaler Ebene, beispielsweise der Indu- Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Herr Präsi- strie, u. a. durch die Beiziehung von Materialien aus dent! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen den USA, inzwischen zur Gewißheit geworden. und Kollegen! Mehr als 2 000 Menschen zahlen für Allerdings können und dürfen wir trotz grundsätz- diesen Medizinskandal mit ihrem Leben. Seit zehn licher Eigenverantwortlichkeit von Industrie und Ärz- Jahren warten sie auf Gerechtigkeit. Seit zehn Jahren ten nicht übersehen, daß das Bundesgesundheitsamt warten sie auf eine gerechte Entschädigung. Seit zehn notwendige Maßnahmen zum Schutz der Patienten Jahren warten sie auf eine Entschuldigung. Es wäre vor HIV-verunreinigten Blutprodukten nicht zeitge- gut, wenn sich wenigstens das Parlament bei den recht und nicht im erforderlichen Umfang angeordnet Opfern entschuldigte. Weder die Hersteller noch der hat. Dazu wäre es eindeutig verpflichtet gewesen. Bundespräsident, noch der Bundeskanzler waren bis- lang für eine solche Geste zu haben. Ich frage mich: Ist Die Verantwortlichkeit der Länder haben wir auf eine solche Geste, wie sie der französische Staatsprä- Grund der verfassungsrechtlichen Grenzen eines sident vollzog, nicht auch bei uns angebracht? Untersuchungsorgans des Bundestages nicht im ein- zelnen untersuchen können. Gleichwohl bin ich Die Frage ist: Wie war es möglich, daß über einen davon überzeugt, daß auch die Länder in der Verant- Medizinskandal dieser Dimension so lange nicht wortung stehen. Insofern hat der Vorsitzende der gesprochen wurde? Wie war es möglich, daß ein Interessengemeinschaft Hämophiler doch recht, Interessenkartell aus Herstellern, Ärzten und Behör- wenn er in einem offenen Brief, der vorgestern in den den den Skandal zehn Jahre lang unter der Decke „Aachener Nachrichten" veröffentlicht wurde, den halten konnte? Wie war es möglich, daß eine unfrei- Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Jo- willige Solidarität zwischen Opfern und Tätern half, hannes Rau, auffordert — ich zitiere —, „ entsprechend diese Katastrophe zu verdrängen? Wie war es mög- auf seinen Landesgesundheitsminister Franz Münte- lich, daß ein Komplott von Pharmaunternehmen ohne fering (SPD) einzuwirken". In dem Artikel heißt es Rücksicht auf menschliche Verluste Schutzmaßnah- weiter: men für die Patienten unterließ? Wie war es möglich, daß für die große Gruppe der PPSB-Patienten Der habe erneut in der Öffentlichkeit erklärt, er Abwehrmaßnahmen unterblieben? Wie war es mög- halte wenig von der Staatshaftung gegenüber lich, daß in Deutschland nicht getestete und nicht den Opfern der Transfusionsmedizin, weil damit inaktivierte Präparate nicht zurückgerufen wurden? zwei Klassen von Kranken entstünden. Ehrlich gesagt, uns ging es wie Ihnen: Wir hielten Herr Breuer schreibt in seinem Brief: dies alles zunächst für übertrieben. Doch je mehr Beweise wir erhoben, desto größer wurde die Gewiß- Diese Ansicht ist ein Schlag ins Gesicht für alle heit: Das Unglaubliche, das Unvorstellbare, das Menschen, die im Vertrauen auf unser Gesund- Undenkbare ist die Wahrheit — das Unglaubliche, heitssystem todkrank gemacht wurden oder weil die Verantwortlichen zehn Jahre lang dies als bereits verstorben sind. eine schicksalhafte Naturkatastrophe darstellen Recht hat er, meine Damen und Herren. konnten; das Unvorstellbare, weil die Aids-Infizierten lange stumm blieben aus Scham, aus Angst vor (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stigmatisierung; das Undenkbare, weil die Täter Wir sind uns alle darüber einig, daß aus diesen schon früh erkannten, daß die Angst der Opfer ihr erdrückenden Tatsachen die gebotenen Konsequen- bester Verbündeter war. zen gezogen werden müssen. Wir werden das Thema Die Frage nach Verantwortung und Schuld hat der Arzneimittelsicherheit konsequent weiterverfolgen. Untersuchungsausschuß gestellt und beantwortet. Wir müssen jetzt aber zuallererst dafür sorgen, daß als Antwort geben die Feststellungen im Schlußbericht. Konsequenz aus den aufgedeckten Versäumnissen Sie belegen das Versagen sämtlicher auf die Arznei- eine angemessene Entschädigung für die Betroffenen mittelsicherheit verpflichteter Akteure. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 785

Horst Schmidbauer (Nürnberg) Erstens. Oktober 1980: Nicht virusinaktivierte Fak- keine gesicherten Fälle. Die ganz Klugen konnten sich tor-IX- und PPSB-Präparate hätten nicht mehr ver- hinterher damit rechtfertigen, daß sie sagten: „Wir kauft werden dürfen. haben nicht behauptet, es gebe keine Ansteckungs- Zweitens. Jahreswechsel 1982/83: Alle Hersteller gefahr. Man kann uns nicht vorwerfen, etwas Falsches hätten inaktivierte Faktor-VIII-Produkte im Angebot gesagt zu haben." haben müssen. Alle Hersteller und Ärzte wären zur Die Taktik der Hersteller ging auf. Sie spielten auf ausdrücklichen Warnung vor dem Aids-Risiko ver- Zeit, um Sicherheitsmaßnahmen zu verzögern. Sie pflichtet gewesen. spielten auf Zeit, um Kosten zu sparen, und zwar auf Drittens. Herbst 1983: Nicht inaktivierte Faktor- Kosten der Patienten. VIII-Präparate hätten zurückgerufen werden müs- Belgien: 10 Millionen Einwohner, 35 HIV-infizierte sen. Bluter. Norwegen: 8 Millionen Einwohner, 17 Infi- Viertens. August 1984: Mit dem wissenschaftlichen zierte. Der Westen der Bundesrepublik: 60 Millionen Beweis der Ursächlichkeit des Virus für Aids sind Einwohner, 1 500 infizierte Bluter. Was ist das für ein Entschuldigungen ausgeschlossen. Unterschied! Das haben wir uns auch gefragt. Das Schreckliche an der Katastrophe ist: Sie war Des Rätsels Lösung: Norwegen und Belgien setzten vermeidbar, weil sie erkennbar war. 60 % aller Infek- frühzeitig auf Spenderauswahl. Norwegen und Bel- tionen waren vermeidbar. Mindestens 800 Menschen- gien setzten auf Eigenversorgung mit Plasma. Die leben hätten gerettet werden können. Es war keine Bundesrepublik dagegen ignorierte seit 1980 Emp- unabwendbare Naturkatastrophe, die über uns her- fehlungen und Warnungen des Europarats, kaufte einbrach, sondern eine unheilvolle Mischung aus Jahr für Jahr 1 Million Liter Plasma aus dem Ausland, wirtschaftlichen Interessen und indirekter Korrum- fast alles aus den USA. Statt Spenderauswahl Einkauf piertheit, fehlender Kontrolle und lascher Handha- in Risikogebieten der USA, Gefängnisinsassen inklu- bung bestehender Gesetze, falschen Risikoabwägun- sive. gen und unterlassenen Maßnahmen, im Zweifel Herr Minister, die nationale Eigenversorgung mit gegen die Patienten, im Zweifel gegen die Arzneimit- Plasma ist gefragt. Herr Seehofer, schaffen Sie als telsicherheit; statt dessen Vertuschungen sowie feh- Gesundheitsminister die nationale Eigenversorgung lender Mut zur Wahrheit, zur Verantwortung bei fast mit Plasma! Das ist der entscheidende Punkt für die allen Beteiligten, die damit zu Passivtätern geworden Sicherheit der Zukunft. Dazu brauchen wir aber kein sind. Modell à la USA, wo Plasmazapfen ein Geschäft ist. Der Untersuchungsausschuß hat die Verantwortli- Dafür brauchen wir erst recht keine Plasmapherese- chen klar genannt, voran die Hersteller. stationen im Bahnhofsmilieu der Großstädte. Wie war es denn um die Verantwortung der Her- (Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!) steller bestellt? „Unsere Gerinnungspräparate sind Schade ist nur, daß sich das Deutsche Rote Kreuz sicher", erklärten sie 1982, obwohl die epidemiologi- nicht als natürlicher Partner anbietet. Die Reputation schen Daten der USA schon das genaue Gegenteil dieser Organisation hat im Blut-Aids-Skandal schwe- signalisierten. ren Schaden genommen. Ende 1982 schrieb Ed Cutter, Firmengründer und (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Berater der Bayer-AG-Tochter Cutter, an die CSU]: Das ist richtig!) Geschäftsführung: „Wir sollten alle eine Aidswarnung in unsere Packungsbeilage aufnehmen." Falls es Zu sehr war sie selbst in den Skandal verwickelt, zu später zu einem Rechtsstreit käme, wäre es gut, „wenn sehr war sie bemüht, Hersteller von Arzneimitteln aus wir dann unsere Sorgfalt demonst rieren" könnten. Blut zu werden. Zu sehr setzte sie Profit vor Sicherheit. Zu sehr war sie Bremser und Verhinderer bei der Seine Empfehlung wurde nicht befolgt, obwohl bei Sicherheit von Blut und Plasma. der Bayer-Tochter der Zusammenhang zwischen Blut und Aids intern schon längst klar war. Das belegt ein Wir vertrauen in Zukunft auf die Solidarität der firmeninternes Aidsszenario. Im August 1983 entwarf Menschen. Wenn der Staat dafür sorgt, daß kein die Bayer-Tochter eine grausige Prognose: Im ungün- Geschäft mehr mit Blut gemacht werden kann, wer- stigsten Fall sei mit 2 000 aidskranken Blutern allein in den die Menschen bereit sein, mit ihrer unentgeltli- den USA zu rechnen. Die Folge sei eine „gigantische chen Spende ihren Beitrag zur Sicherheit zu leisten. Epidemie" , so schrieben sie, zumal infizierte Bluter (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wiederum ihre Frauen und Kinder infizieren wür- der PDS) den. Die deutsche Industrie meint bis heute, man könne Das als vertraulich eingestufte Aidsplanspiel blieb alles verarbeiten, es komme nur auf die Inaktivierung, unter Verschluß. Die Marketingabteilung setzte sich also die Nachbearbeitung, an. Was dann passieren gegen die Wissenschaftler der Firma durch. Umsatz kann, zeigt der Fall bei Biotest. Durch die berühmt- und Marktanteile kamen vor Sicherheit. Intern wußte berüchtigte Charge 160 10 89 der Firma Biotest wur- man Bescheid, nach außen aber tönte man weiter: Es den 1990 mindestens 13 Menschen infiziert. gebe keinerlei Beweise, sondern lediglich unbewie- sene Vermutungen. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist unglaublich, aber wahr!) In der nächsten Stufe hieß es, es gebe zwar „be- grenzte Hinweise" auf den Infektionsweg Blut, aber Das Unternehmen fand keine Erklärung für die nur „minimale Beweise". Danach hieß es, es gebe Verseuchung seines Präparates. Man sprach von 786 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Horst Schmidbauer (Nürnberg) „möglicher Sabotage", weil „die Branche schmutzig" Mein Appell an Sie, meine Damen und Herren von sei und nicht einmal auszuschließen sei, daß jemand der Versicherungswirtschaft: Kommen Sie doch Ihren „die Charge versaut" haben könnte, so der Presse- Verpflichtungen endlich nach! Stellen Sie dem Ent- sprecher. schädigungsfonds die Hunderte von Millionen DM zur Verfügung, die Sie für eine solche Katastrophe Die Wahrheit war viel banaler und zynischer zurückgelegt haben, und zwar sofort! Zeigen Sie, daß zugleich. Das hat der Untersuchungsausschuß nach- Sie die Steuervorteile nicht zu Unrecht erhalten gewiesen. Ursache für diese vermeidbare Katastrophe haben! waren zwei Beutel mit Plasma von US-Spendern, die (Beifall im ganzen Hause) auf Grund der diagnostischen Lücke erst nachträglich als HIV-infiziert entdeckt wurden. Gesunde Geschäfte gab es nicht nur für die Herstel- ler und Versicherer. Gesunde Geschäfte machten Zu diesem Zeitpunkt funktionierte das Warnsystem. auch die Ärzte und Behandlungszentren, die die Die Warnung kam sogar so frühzeitig, daß nicht Bluter behandelten. Der Schlußbericht zeigt, wie die einmal der ganze Pharmapool hätte vernichtet wer- wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Her- den müssen. Lediglich zwei Beutel dieser Spenden stellern und den Anwendern mit den Erfordernissen hätte man aussortieren müssen. Das unterblieb. Die der Arzneimittelsicherheit kollidierten. Finanzielle Firma verstieß gegen das Arzneimittelgesetz und Zuwendungen sorgten für eine indirekte Korrum- verarbeitete die Spenden trotz der Warnung. Nach piertheit. Aussage der Firma ist das Ignorieren solcher Look- back-Meldungen gängige Praxis in der Branche. Fast alle deutschen Behandlungseinrichtungen erhielten von den Herstellern Zuwendungen in Form Es ist allerhöchste Zeit, verlorenes Vertrauen wie- von Rückvergütungen, Bonuszahlungen, Naturalra- derherzustellen. Es sind vertrauensbildende Maß- batten und Sachzuwendungen oder sonstigen Vergü- nahmen gefragt. Es muß doch nicht noch mehr an tungen wie Drittmittel und Bezahlung von Stellen, Beweisen geliefert werden. Es muß doch nicht noch Dienstreisen, Zuschüsse, Spenden usw. usf. mehr in der Vergangenheit gebohrt werden. Mein Appell an Sie, an die Vertreter der Hersteller: Machen Die lange praktizierte einheitliche Preisgestaltung Sie mit uns einen Schlußstrich! Gehen Sie nach vorn, des Anbieterkartells ging zu Lasten der gesetzlichen damit Vertrauen wiederhergestellt werden kann! Krankenversicherung. Das Kartellamt leitete ein Ver- Bekennen Sie sich zu den Fehlern der Vergangenheit! fahren ein. Die seit Jahrhunderten bewährte Tren- Treiben Sie nicht länger Ihre Politik auf dem Rücken nung zwischen Einkauf und ärztlicher Therapieent- der Opfer! Zeigen Sie Verantwortung, und beteiligen scheidung wurde durchbrochen durch den Direktein- Sie sich am Entschädigungsfonds! kauf unter Umgehung der Apothekenpflicht. Das Geschäft wurde durch die einzigartige Hochdo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sierungstherapie, besonders in Bonn, zusätzlich ange- der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE heizt. Gesund machte die Therapie vor allem das GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) Geschäft. Es bleibt unerklärlich, warum in Deutsch- So wie die Hersteller ihre Opfer im Regen stehen- land ein Bluter mit durchschnittlich 200 000 Einheiten lassen, so lassen die Versicherer ihre Kundschaft, die im Jahr behandelt werden muß, während man in Pharmaindustrie, im Regen stehen. Die Versicherer anderen Ländern mit einem Drittel davon aus- bleiben auf einem prallen Geldsack sitzen, dem soge- kommt. Das Arzneimittelgesetz hat ver- nannten Pharmapool. Mein Appell an die Ärzte, an die Behandlungszen- sagt, denn mit der Schaffung des Pharmapools nach tren und an ihre Träger, die Bundesländer: Überwin- der Contergan-Katastrophe sollte verhindert werden, den Sie Ihre Sprachlosigkeit! Stehen Sie zu Ihrer daß sich die rechtliche Situation und die schäbige Verantwortung! Leisten auch Sie Ihren Beitrag zum Behandlung von Opfern nicht wiederholen. Deshalb Entschädigungsfonds! wurde für die Abdeckung von Großrisiken der Pool gebildet. (Beifall im ganzen Hause) Es zeigt sich jetzt: Mit dem Pool wird nicht geholfen; Und welche Rolle spielten die Gesundheitsbehör- mit dem Pool werden Geschäfte gemacht. Gesamtprä- den? Die Rolle des Bundesgesundheitsamtes war mieneinnahmen: 644 Millionen DM. Gezahlt für HIV- schwer durchschaubar, für viele Ministerinnen und Schadensfälle: insgesamt 52 Millionen DM aus dem Minister überhaupt nicht. Auch Sie, Herr Minister Pool. Rücklagen aus zu 75 % steuerfrei gestellten Seehofer, brauchten ein ganzes Jahr, um durchzublik- Überschüssen: 400 Millionen DM. Zinsen allein aus ken. Es ehrt Sie aber, daß Sie dann nicht vor den dieser Rückstellung: jährlich 30 Millionen DM, so viel notwendigen personellen Konsequenzen im Bundes- wie die jährlichen Prämien der Pharmaindustrie. gesundheitsamt und im Ministerium zurückgewichen sind. Die Versicherer konnten das Mißbrauchsverfahren des Kartellamtes anhalten, und zwar mit der Begrün- Das Risikomanagement des BGA hat auf der ganzen dung, diese Schatztruhe werde für die Entschädigung Linie versagt. Entscheidungen kamen zu spät oder der HIV-Infizierten gebraucht. Gezahlt haben sie fielen im Zweifel gegen Sicherheit und Patienten- nicht. Sie konnten dem Bundeskanzler mitteilen, daß schutz. Auf Grund der schwerwiegenden Fehlein- sie noch mit offenen Schadensersatzforderungen aus schätzungen und Versäumnisse sind die Gesundheits- dem Blut-Aids-Skandal von mehreren hundert Millio- behörden neben den Herstellern und den Anwendern nen DM rechnen. Gezahlt haben sie nicht. mitverantwortlich für die Katastrophe. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 787

Horst Schmidbauer (Nürnberg) Auf Grund der schweren Amtspflichtverletzungen Wenn die Hilfe die Menschen überhaupt noch sind die Voraussetzungen für die Staatshaftung gege- erreichen soll, muß die Entschädigungsregelung jetzt ben. Sie, Herr Minister, haben die Feststellungen des kommen, in den nächsten Monaten. Wir dürfen nicht Ausschusses und die Staatshaftung akzeptiert. Dafür länger warten. Die betroffenen Menschen können gebühren Ihnen Respekt und Anerkennung. nicht länger warten. Wir machen uns sonst mitschul- dig, wenn wir jetzt nicht endlich konsequent han- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) deln. Mein Appell an Sie, Herr Seehofer: Sorgen Sie mit Vielen Dank. uns dafür, daß wir im Bundeshaushalt 1995 die Bun- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE desmittel für den Entschädigungsfonds einstellen! GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord- Fast wöchentlich werden weitere Opfer des Skan- neten der CDU/CSU und der F.D.P.) dals entdeckt: Vor kurzem war es ein junger Mann, der 1984 nach einem schweren Verkehrsunfall mit Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Herr Transfusionen und PPSB behandelt wurde. 1987 hat er Bundesminister Seehofer. seine jetzige Frau kennengelernt und geheiratet. Das gemeinsame Kind ist heute zwei Jahre alt. Man stellte erst 1994 nicht nur fest, daß PPSB die Infektionsursa- Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: che war, sondern auch, daß Frau und Kind inzwischen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ebenfalls infiziert sind. Der Komplex PPSB wurde so Herren! Der Untersuchungsausschuß, über dessen zum Skandal im Skandal. Ergebnisse wir heute reden, ist 1993 auf meinen Vorschlag hin gebildet worden. Die Einrichtung des Patienten mit Blutungen nach Marcumarbehand- Ausschusses war damals hochumstritten. Viele, auch lungen, Unfallverletzte auf Intensivstationen, junge die parlamentarische Opposition, haben mir damals Mütter mit Blutungen während der Geburt — sie alle unterstellt, die Einrichtung des Untersuchungsaus- bekamen in diesem kritischen Zeitfenster das Gerin- schusses würde nur der Vertuschung und Zeitverzö- nungspräparat PPSB, das ebenso verseucht war wie gerung dienen. die Präparate für die Bluter. Ich habe damals die Bitte auf Einrichtung des Das besonders Tragische daran: Viele von ihnen Ausschusses damit begründet, daß der Ausschuß sind infiziert und wissen es bis heute noch nicht. In weitergehende Möglichkeiten der Beweiserhebung ihrer Unwissenheit übertragen sie weiter das Virus habe als die Regierung und daß eine Wahrheitsfin- auf ihre Partner oder Kinder. dung über die letzten 10, 15 Jahre nur durch einen Untersuchungsausschuß mit weitergehenden rechtli- Woher sollten es die Menschen denn auch wissen? chen Möglichkeiten, als sie der Administration zur Von den Ärzten sind sie nicht informiert worden, und Verfügung stehen, möglich ist. Ich glaube, nach der der Einsatz von PPSB ist in den Krankenakten nicht Vorlage des Berichts des Ausschusses kann heute oder nur sehr ungenügend dokumentiert worden. Es niemand mehr an der Richtigkeit dieses Vorgehens gibt bis heute keine verläßlichen Zahlen über den zweifeln. Ich wiederhole auch hier: Die Bewertungen Verbrauch von PPSB, weil sich die Pharmaindustrie und Schlußfolgerungen des Untersuchungsausschus- weigert, und deshalb auch keine verläßliche Zahl ses werden von mir geteilt und akzeptiert. über die Dimension der Opfer. Die Erkenntnisse des Berichts — alle Beiträge Auch Sie, Herr Minister, haben außer einem wir- haben es gezeigt — sind nicht leicht zu ertragen. kungslosen Appell an Kliniken und Ärzte bislang Trotzdem müssen wir uns ihnen stellen: für die Betrof- nichts aktiv zur Aufhellung dieser Grauzone beitra- fenen, weil sie mehr Klarheit über die Vorgänge gen können. bekommen, die ihr Leben und ihre Lebensperspektive so entscheidend verändert haben, und weil sie auch (Zuruf von der CDU/CSU: Was soll dieser sehen, daß die Gesellschaft und das deutsche Parla- dümmliche Vorwurf?) ment an der Aufklärung interessiert sind und an ihrem Jede Woche neue Betroffene! Schicksal Anteil nehmen. Die Erkenntnisse sind aber auch für diejenigen wichtig, die heute und in Zukunft Mein letzter Appell an Sie, Herr Minister — und nun Verantwortung tragen. Wir mußten deshalb sorgfältig hoffentlich wirklich zum allerletzten Mal —: Öffnen untersuchen, wie es zu den damaligen Fehleinschät- Sie für die Menschen, die PPSB-Opfer sind, die zungen gekommen ist. Ich stimme allen zu, die sagen: Soforthilfe! Es gibt keinen Grund für die willkürlich Wir müssen für die Zukunft daraus noch mehr Konse- gesetzte Ausschlußfrist 30. Oktober 1993. quenzen ziehen, als ohnehin innerhalb der letzten (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE zwölf Monate bereits geschehen. GRÜNEN und der PDS) Der Ausschuß hat nach intensiver und detaillierter Aufarbeitung des nationalen und auch internationa- Es gibt keine Gründe, weder fachliche noch finan- len wissenschaftlichen Erkenntnisstandes das Ergeb- zielle, z. B. diesen jungen Mann und seine Familie aus nis formuliert, daß seit 1980 HIV-Infektionen durch dieser Soforthilfe auszuschließen. PPSB und seit Anfang 1983 HIV-Infektionen durch Meine Damen und Herren, die Opfer müssen end- Faktor-VIII-Produkte hätten verhindert werden kön- lich Genugtuung erfahren, materiell und ideell. Fast nen, wenn die möglichen Sicherheitsmaßnahmen als 700 Bluter sind schon tot; 80 von ihnen sind allein im geboten erkannt und auch ergriffen worden wären. vergangenen Jahr gestorben; jede Woche stirbt ein Der Bericht des Untersuchungsausschusses macht weiteres Opfer. deutlich, daß alle Beteiligten in der Pflicht sind, den 788 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Bundesminister Horst Seehofer Betroffenen schnell und unkompliziert zu einer ange- Verhalten der pharmazeutischen Industrie und der messenen Entschädigung zu verhelfen. Behandler neben dem zögerlichen Verhalten der Behörden zur Katastrophe geführt hat. Ich möchte keinen Fehler von Behörden bagatelli- sieren, aber gleichwohl an dieser Stelle noch einmal Meine Damen und Herren, das Schicksal der an das damalige wissenschaftliche, gesellschaftliche Betroffenen und ihrer Angehörigen geht mir tief zu und politische Umfeld erinnern, in dem auch Behör- Herzen. Ich habe mit vielen von ihnen sehr zu Herzen den Entscheidungen fällen mußten. Damals, über gehende Gespräche geführt. Es hat bei allen, die für weite Strecken der 80er Jahre, wurde Aids als Krank- die Versorgung und Therapie mit Blut und Blutpro- heit, die auch andere als Homosexuelle oder Drogen- dukten Verantwortung ge tragen haben und tragen, süchtige hätte betreffen können, nicht wahrgenom- Versäumnisse gegeben: bei der pharmazeutischen men. Konsequenterweise wurde jeder, der an Aids Industrie, bei behandelnden Ärzten und Krankenhäu- erkrankte, automatisch diesen Bevölkerungsgruppen sern, bei Blutspendediensten und bei Wissenschaft- zugeordnet. Sprüche wie „Aids bekommt man nicht, lern. Auch den Bundesbehörden sind Fehleinschät- Aids holt man sich" habe ich noch gut im Ohr. zungen unterlaufen. Hier hätte rascher und energi- scher gehandelt werden müssen; dann wäre mögli- Die Gefahr, die von Aids für andere Bevölkerungs- cherweise vielen — wenn auch nicht allen — Infizier- gruppen ausging, wurde von der Wissenschaft, aber ten ihr schweres Schicksal erspart geblieben. auch von der Politik verharmlost. Man glaubte, damit die Betroffenen, z. B. die Empfänger von Blut und Meine Damen und Herren, verehrte Betroffene und Blutprodukten, und ihre Familien vor Ausgrenzung Familien, für die Fehleinschätzungen der Bundesbe- schützen zu können. Ich erinnere, daß in der Aids- hörden möchte ich die Betroffenen im Namen der Enquetekommission des Deutschen Bundestages die Bundesregierung um Verzeihung bitten. Thematik der HIV-Infektion bei Blutern überhaupt (Beifall im ganzen Hause) nicht erst behandelt wurde. Dieses Verhalten verhin- derte aber auch, daß Aids in der Bevölkerung als Ihr Leid kann nicht wiedergutgemacht werden. Aber Krankheit akzeptiert wurde. An diese Umstände muß Sie dürfen sich darauf verlassen, daß ich mich mit aller man erinnern dürfen, wenn man die Entscheidungen Kraft dafür einsetzen werde, daß den Betroffenen und das Verhalten in den 80er Jahren heute gerecht zumindest da geholfen wird, wo wir Hilfe leisten bewerten will — ich sage es noch einmal —, ohne können: bei der Sorge um die Absicherung der eige- irgendeinen Fehler bagatellisieren zu wollen. nen Zukunft, bei der Sorge um den Unterhalt der nächsten Angehörigen. Schließlich müssen wir alles Es steht fest, daß der Wissensstand — jedenfalls bei tun, damit sich eine derartige Katastrophe nicht wie- der pharmazeutischen Industrie und den Hämophilie- derholen kann. Behandlern — spätestens Mitte 1983 so war, daß sie das Behandlungskonzept für die Hämophilie-Patien- Der Untersuchungsausschuß hat klar herausgear- ten grundsätzlich hätten in Frage stellen müssen, um beitet, daß viele der Betroffenen einen Schmerzens- der Gefährdungssituation Rechnung zu tragen. geldanspruch haben. Die Verantwortlichen dürfen sich deshalb nicht mit dem Hinweis auf den Rechts- Der Untersuchungsausschuß hat unter Verwen- weg aus der Verantwortung stehlen. dung umfangreicher Unterlagen die Situation in den USA in den Jahren 1982 bis 1984 sorgfältig aufgear- (Beifall im ganzen Hause) beitet. Der vorliegende Bericht beschreibt sehr aus- führlich die damaligen Diskussionen mit den ein- Mein Einsatz zielt auch darauf, so schnell wie dringlichen Warnungen des Centers for Disease Con- möglich eine Entschädigungslösung zu finden. Der trol vor dem todbringenden Virus in dem sonst lebens- Untersuchungsausschuß hat hierzu drei Alternativen rettenden Faktor VIII und die fürchterlichen Szena- aufgezeigt und dabei insbesondere das Modell einer rien der Firma Cutter zur Gefährdung der Patienten freiwilligen Fondslösung favorisiert. Nach diesem durch verseuchte Gerinnungspräparate. Jedem in der Modell sollen Pharmaindustrie, Bund, Länder und Bundesrepublik Deutschland, der mit Blut und Blut- Ärzte durch freiwillige Beiträge eine angemessene produkten unmittelbar zu tun hatte, mußte klar sein, Ausgleichsleistung ermöglichen. Die ersten Gesprä- daß diese Beschreibungen auch auf die deutsche che sind geführt. Situation zutrafen, da ja 90 % der Faktor-VIII-Präpa- Meine Damen und Herren, ich möchte das hohe rate aus den USA stammten. Maß an Konsens, an dem ich großes Interesse habe, Um so unverständlicher sind die Schwierigkeiten, auch in den nächsten Wochen nicht stören. Aber ich die dem Bundesgesundheitsamt bei der Aufklärung muß Ihnen leider sagen, daß sich die Gespräche der ersten deutschen Aidsfälle bei Blutern von den äußerst schwierig gestalten. Ich muß hinzufügen, daß Behandlern gemacht wurden. Dadurch wurden not- die Gespräche — jedenfalls die mit den alten Bundes- wendige Sicherheitsmaßnahmen für die Patienten ländern, die ein ganz erhebliches Maß an Mitverant- verzögert und Infektionen möglich. wortung tragen — mich betroffen gemacht haben. Mit Ausnahme von Sachsen, Bayern und Mecklenburg- Je tiefer man in das Geschehen einsteigt, um so Vorpommern ist die Bereitschaft zum Konsens bis zur unverständlicher wird das Verhalten der Beteiligten. Stunde außerordentlich schwach ausgeprägt. Ich Immer drängender wird die Frage: War dies alles bei kann mir nicht vorstellen, daß sich die Beauftragten der gebotenen Sorgfalt tatsächlich unvermeidbar? — der Länder mit Wissen ihrer eigenen Ministerpräsi- Hier gibt der Bericht des Untersuchungsausschusses denten gestern bei mir im Hause so eingelassen eine klare Antwort. Er zeigt, daß vor allem das haben, wie sie es getan haben. Wenn ein Land wie Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 789

Bundesminister Horst Seehofer Mecklenburg-Vorpommern einer Beteiligung an beabsichtigte Prozesse geben. Denn käme es nicht zu einer großen Entschädigungslösung aufgeschlossener einer Lösung, würde uns mit Recht der Vorwurf gegenübersteht als der Großteil der alten Bundeslän- gemacht, man hätte mit Hinweis auf mögliche Lösun- der, obwohl die alten Bundesländer in den 80er gen Menschen von einer Prozeßführung abgehalten. Jahren hier Verantwortung hatten und Mecklenburg Dies ist ein Schwebezustand, der vorübergehend Vorpommern nicht, ist dies eigentlich ein Vorgang, unvermeidlich ist; das hat nichts mit einer Doppelstra- der mehr als betroffen macht, meine Damen und tegie des Bundesgesundheitsministers zu tun. Herren. Herr Präsident, ich bitte darum, daß ich wegen der (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Wichtigkeit und Ernsthaftigkeit des Themas trotz der SPD) fortgeschrittenen Zeit auf den Aspekt der Arzneimit- Ich bitte alle — Herr Kollege Beck, das gilt auch für telsicherheit und des Arzneimittelhaftungsrechts hin- Sie —, auf ihre politischen Freunde in den Ländern weisen darf. Ich möchte einige persönliche Auffassun- einzuwirken, damit die Worte der Betroffenheit und gen wiedergeben. Ich glaube, daß wir gut beraten der Hilfsbereitschaft, die hier geäußert wurden, nicht sind, schon zu einem frühen Zeitpunkt keine doppel- blanke Rhetorik bleiben, sondern innerhalb der eige- züngigen Einlassungen zuzulassen. nen politischen Gruppierungen zu Konsequenzen Bei der Arzneimittelsicherheit haben wir in dem führen. vergangenen Jahr schon viel erreicht. Ich bedanke (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. mich noch einmal bei Ihnen für die 5. AMG-Novelle sowie bei Abgeordneten der SPD) und erinnere an den Maßnahmenkatalog, den eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Frühjahr letzten Jah- Ich möchte noch ein Wort zum Zeithorizont und res bereits erstellt hat. zum Zeitablauf sagen. Meine Damen und Herren, es wird mit mir nicht möglich sein, die Gespräche in die Ich nenne ferner beispielhaft: die Einführung der Länge zu ziehen und bis zum Herbst oder gar bis Ende staatlichen Chargenprüfung für Blutzubereitungen des Jahres zu diskutieren. durch Verordnung; die Anordnung der Quarantänela- gerung für nicht inaktivierte, aber lagerfähige Blutzu- (Beifall im ganzen Hause) bereitungen; die Überprüfung des Therapiestandards Ich möchte auch nicht die Zeit in Anspruch nehmen, und der Indikationsstellung bei der Verwendung von die uns der Untersuchungsausschuß für die Findung Blut und Blutprodukten durch die Bundesärztekam- einer Fondslösung zur Verfügung stellt: ein halbes mer, die zu einem massiven Rückgang des Blutver- Jahr. Ich sage zu, daß wir Ende März in den zustän- brauchs in der Bundesrepublik Deutschland geführt digen Gremien die endgültigen Lösungen, die Ent- hat. scheidungen vortragen werden. Ein Schwerpunkt der weiteren Maßnahmen wird (Beifall im ganzen Hause) die Sicherstellung der Eigenversorgung mit Blutpro- dukten sein. Bei Frischblut haben wir die Eigenver- Innerhalb des ersten Vierteljahres muß hier Klarheit sorgung erreicht, im Bereich der Blutplasmaprodukte herrschen. Sonst ist der Verdacht begründet, man aber noch nicht. Deshalb habe ich ein Modellpro- möchte mit Zeitablauf ein Problem lösen. gramm zum Aufbau von Plasmapheresestationen auf- Für die unmittelbar Betroffenen habe ich im letzten gelegt. Damit wird nun endlich die Lösung eines Jahr mit Ihrer Unterstützung den Fonds „Humanitäre Problems vorangetrieben, das bereits seit 20 Jahren — Herr Schmidbauer, Sie haben recht — diskutiert Soforthilfe" eingerichtet, der eine erste wichtige Hilfe - ist, bis eine Entschädigungslösung gefunden ist. An wird. Jetzt sind alle Beteiligten — auch die Länder und diesem Fonds beteiligen sich schon jetzt Länder und die Blutspendedienste, die eigentlich dafür zuständig Industrie. Auch hier möchte ich sagen: nicht alle sind — aufgerufen, möglichst bald eine ausreichende Länder. Ich fordere Länder, Industrie, Versicherer und Zahl von Einrichtungen in der Plasmapherese aufzu- Ärzte auf, ihren Beitrag zu einer umfangreichen bauen. Entschädigung zu leisten. Ich werde mich auch, Herr Die vielfältigen Maßnahmen zur Selbstversorgung Schmidbauer, vorher für eine Öffnung des Fonds werden in einem nationalen Programm zusammenge- einsetzen. Auch hier sind die Gespräche mit dem faßt. Ich bleibe bei dem politischen Ziel, daß wir bis Bundesfinanzminister aufgenommen, wie es der spätestens Ende dieses Jahrhunderts die vollständige Untersuchungsausschuß wünscht. Im übrigen gilt: Der Eigenversorgung in der Bundesrepublik Deutschland Bund verzichtet auf die Einrede der Verjährung erreichen sollten. gegenüber Klagewilligen bis zum 31. Dezember 1995, um die Betroffenen nicht unter Prozeßdruck zu set- Wir müssen auch aus den Entscheidungsabläufen in zen. den 70er und 80er Jahren lernen. Wir brauchen (Beifall im ganzen Hause) mutige Entscheidungen der zuständigen Mitarbeiter. Dafür brauchen wir sachgerechte Entscheidungs- Meine Damen und Herren, ich kann heute — unge- strukturen in den Behörden. achtet des soeben skizzierten Zeithorizonts und mei- nes Engagements — nicht fest versprechen, daß wir zu Die Auflösung des Bundesgesundheitsamtes und einer Lösung kommen, die alle Erwartungen erfüllt. die Einrichtung selbständiger Bundesinstitute waren Weil wir heute noch nicht wissen, ob wir mit allen vom der erste notwendige Schritt. Dabei können wir aber Untersuchungsausschuß angesprochenen Gruppen nicht stehenbleiben. Meine Damen und Herren, ich zufriedenstellende Lösungen erreichen, können wir bitte auch Sie, mich zu unterstützen. Wir müssen derzeit auch keine Empfehlungen für laufende oder kürzere Entscheidungswege und ein strafferes Ver- 790 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Bundesminister Horst Seehofer waltungsverfahren in den jetzt neu eingerichteten Ich habe bereits angekündigt, daß wir beim Arznei- Bundesinstituten durchsetzen. mittelhaftungsrecht h andeln müssen. Innerhalb der Bundesregierung haben wir eine interministerielle (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Arbeitsgruppe eingesetzt, die derzeit dabei ist, die ordneten der F.D.P.) offenen Fragen zu klären. Ich will sie, weil mir das so Deshalb werden wir auch dabeibleiben, die Binnen- wichtig ist, hier noch einmal stichpunktartig nennen: struktur der Bundesinstitute ständig zu überprüfen Es geht zum ersten um die Erleichterung des Bewei- und zu ändern. ses im Bereich der Produkthaftung. Der strenge, oft unerfüllbare Nachweis der Kausalität durch den Weiterhin ist nicht hinnehmbar, wenn notwendige Geschädigten darf nicht bestehenbleiben. Zum zwei- Sicherheitsentscheidungen durch Mißbrauch von ten geht es um die Einrichtung eines Entschädigungs- Rechtsbehelfen hinausgezögert werden — ein großes fonds zur Entschädigung in solchen Fällen, in denen Problem bei der Arzneimittelsicherheit. die Ursache des Schadens bei Gabe mehrerer Pro- Diese Maßnahmen beseitigen aber nicht das dukte nicht nachgewiesen werden kann. Dilemma der Arzneimittelzulassung, daß nämlich die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko auch in Und schließlich, meine Damen und Herren, müssen Konflikt mit den Erwartungen und Hoffnungen von wir an die Verankerung des Schmerzensgeldanspru- Patienten geraten kann. Dennoch bin ich der Mei- ches im Rahmen der Arzneimittelgefährdungshaftung nung, daß vor solchen Patienteninteressen wie auch ernsthaft herangehen. Ich weiß, wie schwierig das ist vor den Interessen der Wirtschaft und der Wirtschaft- und welche Folgewirkungen das für die anderen lichkeit die Arzneimittelsicherheit Vorrang haben Rechtsbereiche hat. Aber dieser Deutsche Bundestag muß. und die Bundesregierung müssen ernsthaft bereit sein, diese Dinge zu prüfen und, wenn immer möglich, Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ins Arzneimittelrecht zu implantieren. einen wichtigen Punkt an dieser Stelle anmerken: Vieles, was in den 80er Jahren geschehen ist, ist auch (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der darauf zurückzuführen, daß aus der Novellierung des SPD - [Köln] [SPD]: Na, das Arzneimittelrechts Mitte der 70er Jahre — nach der werden wir einmal sehen!) Contergan-Katastrophe — keine oder nur unzurei- chende Konsequenzen gezogen wurden. — Ich sage das aus gutem Grunde so vorsichtig. Denn dies wird ungeheuer schwierig, und wer den Rednern (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge heute zugehört hat, weiß, warum es ungeheuer ordneten der F.D.P.) schwierig wird.

Das lag daran, daß zwischen der Katastrophe und der Ich erwarte, daß die interministerielle Arbeits- rechtlichen Konsequenz daraus eine zu lange Zeit gruppe in den nächsten Wochen die offenen Fragen lag. geklärt haben wird. Wir werden, sobald die Ergeb- Meine Damen und Herren, wir laufen auch im nisse vorliegen, Vorschläge zur Änderung des Arznei- Moment Gefahr, Fehler zu machen. Deshalb steht mittelhaftungsrechtes machen. jeder einzelne, auch hier im Parlament, in der Pflicht, immer wieder zu überprüfen, ob die eigenen Positio- Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich nen, die oft mit Betroffenheit geäußert werden, diesen dem Untersuchungsausschuß und seinen Mitarbei- genannten Grundsätzen der Verantwortung gerecht tern, die an der Aufarbeitung dieses schwierigen und - werden. Es genügt nicht, meine Damen und Herren sensiblen Themas mitgearbeitet haben, herzlich dan- — und ich sage dies aus gutem Grunde —, sich zwar ken, insbesondere, ohne deshalb irgend jemanden rhetorisch zu bekennen, aber politisch die Betroffenen hintanzustellen, dem Vorsitzenden Gerhard Scheu. mit ihrem Schicksal alleine zu lassen. Gerade bei diesen Fragen kam es entscheidend auf einen kreativen und innovativen Vorsitzenden an. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Das gilt auch für Änderungen des Arzneimittel- SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS rechts bis hin zum Haftungsrecht. Meine Damen und SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Ruth Herren, hier sind die entscheidenden Fehler vor über Fuchs [PDS]) 20 Jahren gemacht worden, weil durch entsprechen- den Zeitablauf die Betroffenheit nicht mehr in dem Ich weiß, daß das Engagement bei vielen Mitgliedern Maße — zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung — des Untersuchungsausschusses oft bis zur Grenze des vorhanden war. Deshalb bleibe ich dabei: Wir müssen physisch und psychisch Leistbaren ging. Ich denke, auch die Konsequenzen aus dem Arzneimittelhaf- man kann ohne Übertreibung sagen: Sie haben in tungsrecht ziehen. Es ist eine unwürdige Situation, die einer Ausnahmesituation eine hervorragende Arbeit heute gegeben ist, daß zwar ein Haftungsrecht geleistet. Für die Betroffenen war es sicher eine besteht, aber viele Geschädigte über dieses Haftungs- Genugtuung, daß in diesem Untersuchungsausschuß recht keine Befriedigung und keine Genugtuung die Suche nach der Wahrheit vor der parteipolitischen erreichen können, meine Damen und Herren, weil sie Profilierung stand. Ich bedanke mich dafür. vorher versterben. Deshalb müssen wir aus dieser HIV-Katastrophe bei Blut und Blutprodukten Konse- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der quenzen ziehen. Die 5. AMG-Novelle, die bereits SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS verabschiedet worden ist, ist dafür noch nicht ausrei- SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Ruth chend. Fuchs [PDS]) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 791

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort wird Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist der nicht weiter gewünscht. Dann schließe ich die Aus- Kollege Dr. Lippold, CDU/CSU. sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, des BÜNDNIS- Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr SES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P., Drucksa- Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! che 13/229. Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegen- Wir sind mit der Arbeit der Enquete-Kommission nach probe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei zwei ausgesprochen intensiver Arbeit, nach weit über Enthaltungen einstimmig angenommen. 100 Arbeitssitzungen, Anhörungen von Sachverstän- digen, Einbeziehung von Sachverständigen, Veran- Damit ist die zweite Beschlußempfehlung und der staltung von Anhörungen auf der Basis wissenschaft- Schlußbericht des 3. Untersuchungsausschusses der licher Vorlagen, zu einem Abschluß gekommen. Ich 12. Wahlperiode zur federführenden Beratung an den glaube, wir haben eine fundierte Arbeit vorlegen Ausschuß für Gesundheit überwiesen. Interfraktionell können. wird vorgeschlagen, die Vorlage außerdem dem Rechtsausschuß und dem Haushaltsausschuß zur Mit- Mein primäres Anliegen ist deshalb heute zunächst beratung zu überweisen. Sind Sie auch damit einver- einmal, allen Mitgliedern der Kommission für diesen standen? — Das ist der Fall. Es ist so beschlossen. ungeheuren Arbeitseinsatz zu danken, insbesondere Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag auch den Mitarbeitern der Enquete-Kommission, die der SPD, Drucksache 13/244, zur federführenden eine unermüdliche Arbeit geleistet haben. Ich glaube, Beratung an den Ausschuß für Gesundheit und zur das kann ein Außenstehender kaum ermessen. Mitberatung an den Rechtsausschuß und an den (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie auch SPD) damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und beschlossen. Herren, kurz resümierend vorweg einiges festhalten. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 und Zusatz- Der erste Sachverhalt ist: Die Arbeiten der Enquete- punkt 9 auf: Kommission haben bestätigt, daß der wissenschaftli- che Sachstand zur Klimaproblematik, zur Treibhaus- 11. Beratung des Schlußberichts der Enquete- katastrophe so gesichert ist, daß deutlich wird, daß Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" zum dringender Handlungsbedarf besteht und weiterer Thema Mehr Zukunft für die Erde — Nachhal- Aufschub nicht möglich ist. tige Energiepolitik für dauerhaften Klima- (Monika Ganseforth [SPD]: Sehr gut!) schutz -

- Drucksache 12/8600 - Dies richtet sich an die nationale Ebene, dies richtet Überweisungsvorschlag: sich an die europäische Ebene, dies richtet sich an die Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit internationale Ebene. Ich will einmal ganz deutlich (federführend) machen: Nur auf der Ebene der Bundesrepublik zu Finanzausschuß handeln wäre kein Beitrag zur Problemlösung. Wir Ausschuß für Wirtschaft brauchen den Fortschritt beim globalen Handeln in Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr der Klimaproblematik und bei der Energieeinspa- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau rung. Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung (Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit NEN]: Aber einer muß einmal anfangen!) und Entwicklung Das heißt, daß wir hier den Zusammenhalt sowohl der ZP9 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Staaten der nördlichen Hemisphäre als auch der CSU und F.D.P. Staaten der südlichen Hemisphäre brauchen. Wir Klimaschutz — Erste Vertragsstaatenkonfe- können nicht nur auf die Staaten des Nordens abstel- renz zur Klimarahmenkonvention vom len, sondern wir müssen — mit differenzierter Verant- 28. März bis 7. April 1995 sowie Umsetzung des wortung — auch die Staaten der südlichen Hemi- nationalen CO2-Minderungsprogramms sphäre mit einbeziehen, weil es anders nicht geht. Wer — Drucksache 13/232 — diese Verklammerung außer acht läßt, wird die Pro- Überweisungsvorschlag: blemlösung nicht erreichen. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Lassen Sie mich ein Zweites sagen: Wir haben auf (federführend) Ausschuß für Wirtschaft der deutschen Ebene Ansätze, die international ihres- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gleichen suchen. Dies ist der Ausgangspunkt für die Ausschuß für Verkehr weitere Arbeit, für die die Koalitionsfraktionen wie die Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Bundesregierung zusagen werden, weiterhin die glei- und Entwicklung Haushaltsausschuß che Rolle zu spielen wie in der Vergangenheit. Ich halte es für sehr wichtig, noch einmal daran zu Zum Schlußbericht der Enquete-Kommission liegt erinnern, daß wir im internationalen Vergleich eine je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und ganz deutliche Vorreiterrolle haben. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgese- Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal hen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann sagen, daß es wenig hilfreich ist, wenn führende ist es so beschlossen. Politiker dieses Landes heute morgen in Pressekonfe- 792 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) renzen bestimmte Dinge verkündet haben, aber hin- hinaus auf der europäischen Ebene handeln müssen. terher im Plenum nicht vertreten sind. Ich bin nicht sehr glücklich darüber, daß die Zielset- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Bin ich doch! Ich zung der geplanten CO2-/Energiesteuer auf europäi- bin da!) scher Ebene in dem Sinne umformuliert wurde, preis- liche Anreize in einer Reihe verschiedener Steuern, — Sie, ja. Deshalb, Frau Fuchs, will ich auch lobend aber nicht in einer einheitlichen Steuer zusammenge- den Unterschied zwischen Ihrem Partei- und Frak- faßt, zu schaffen. Wir aber werden diesen Weg, den tionsvorsitzenden und Ihnen hervorheben, die EU jetzt gewiesen hat, nutzen, um in dieser Weise (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Den vertrete ich einen Fortschritt erreichen zu können. hier!) Darüber hinaus müssen wir natürlich auf der Ver- der ganz offensichtlich vor dem Bundestag nichts tragsstaatenfolgekonferenz mit den anderen Staaten sagen will, aber in einer Pressekonferenz Akzente dieser Erde vor allen Dingen zu Ergebnissen kommen, setzt und kritisiert, statt sich hier selbst der Diskussion die deutlich machen, daß innerhalb eines bestimmten zu stellen. Zeitrahmens konkrete Reduktionsverpflichtungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eingegangen werden. Dies gilt insbesondere für die Staaten der nördlichen Hemisphäre. Über die anderen Wenn er draußen schon kritisiert, dann kann er auch Probleme — dies muß eingebunden sein — werden hierhin kommen und kritisieren und sich der Diskus- wir noch reden müssen. In erster Linie aber geht es um sion stellen. die Reduktionsverpflichtungen der Annex-1-Staa- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie gestatten, daß ten. ich ihn hier vertrete!) Wir müssen auch den Kontakt zu den anderen Es ist, Frau Fuchs, doch ganz einfach: großen Blöcken, zu APEC und zu NAFTA, suchen, um (V o r s i tz : Vizepräsident Hans Klein) mit diesen Staaten ähnlich wie in der EU zu einem Programm zu kommen, das auf Umwelt- und Klima- Die Auseinandersetzung sollte primär die Auseinan- schutz abstellt. Die EU hat es nach langen Jahren dersetzung des Deutschen Bundestages sein. Der hat geschafft, der Umweltschutzproblematik einen deut- man sich zu stellen und nicht auszuweichen. lich höheren Rang einzuräumen, als das noch zu (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Beginn der Europäischen Gemeinschaft der Fall Unsinn!) gewesen ist. Die Entwicklung in der Europäischen Ich sage ganz deutlich: Wenn man das parteipolitisch Union geht in die richtige Richtung. Wenn ich sage, herunterbricht, um für eine kurzfristige Pressemittei- daß wir uns über die Schnelligkeit andere Vorstellun- lung Gehör zu finden, dann ist das meines Erachtens gen machen ; wird dies sicherlich die Zustimmung nicht die ordentliche Art der Behandlung. aller Beteiligten finden. (Zuruf von der SPD) Das, was die EU geleistet hat, muß aber nach — Sie hat heute morgen keine Pressekonferenz gege- meinem Dafürhalten auch in den anderen großen ben; sie arbeitet an dem Problem. Es ist wichtig, daß Wirtschaftsblöcken initiiert werden. Obwohl, wie bei gehandelt und nicht nur geredet wird. Dafür danke ich der letzten APEC-Konferenz deutlich geworden ist, Frau Merkel, die in der Vorbereitung der Vertrags- ausschließlich auf wirtschaftliches Wachstum abge- staatenkonferenz eine ganz hervorragende Leistung stellt wird — wofür ich vor dem Hintergrund des erbringt. Lebensstandards in den Ländern der Dritten Welt ausgesprochenes Verständnis habe —, muß dennoch (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wo ist sie versucht werden, sicherzustellen, daß das Ziel „öko- denn?) logischer Schutz " auch eine Zielsetzung dieser Staa- tengemeinschaften wird, so daß wir in der sinnvollen Verbindung von Ökologie und Ökonomie weltweit zu Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, gestatten Problemlösungen kommen. Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wilhelm Schmidt (Salzgitter)? Im Rahmen des kurzen Vorspanns möchte ich zusätzlich darauf hinweisen, daß wir bei allen Anstrengungen in der Bundesrepublik, die ich nicht Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Im wiederholen will, insbesondere folgende Akzente Moment nicht. setzen müssen. (Lachen bei der SPD) Erstens: Energieeinsparung im Altbaubestand; ein — Sie wissen doch, daß ich Zwischenfragen grund- ganz wesentlicher Punkt. Hier muß nach wie vor ein sätzlich zulasse. Nur im Moment nicht. Energieeinsparförderungsprogramm die Zielsetzung sein, an dem wir arbeiten. Ich will in diesem Zusammenhang auch ganz deut- lich sagen, daß der Antrag der Koalitionsfraktionen (Zuruf von der SPD: Wann kommt es zur Vertragsstaatenfolgekonferenz vorliegt. Mir wäre denn?) lieb, ich hätte diesbezüglich auch einen Antrag von Zweitens: Reduktion der Verkehrsemissionen. Bei der Sozialdemokratischen Partei und nicht nur diese der Reduktion der Verkehrsemissionen ist wichtig, Presseerklärung, die ich mir heute morgen mühsam daß insbesondere im Pkw-Bereich Erfolge erzielt besorgen mußte. werden. Hier müssen die dringend notwendigen Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will Selbstverpflichtungen eingegangen werden. Wir sa- deutlich machen, daß wir über die nationale Ebene gen noch einmal ganz deutlich: Das marktwirtschaft- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 793

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) liche Instrument der Selbstverpflichtung „Fünfliter Parlament haben. Auf diesen Unterschied lege ich auto bis 2005" ist hervorragend. Wenn es nicht Wert. erreicht werden würde, würde auch die Unionsfrak- (Abg. Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE tion den ordnungsrechtlichen Weg beschreiten wol- GRÜNEN] meldet sich zu einer weiteren len. Wie ich sehe, sind die Zeichen für eine solche Zwischenfrage) Selbstverpflichtung günstig. Wenn wir wie auch in vergangenen Zeiten jetzt Selbstverpflichtungen in Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Rochlitz will dieser Form bekommen könnten, dann hätten wir eine weitere Frage stellen. Sind Sie bereit, auch die zu einen ganz entscheidenden Schritt getan. beantworten? Ich bin zufrieden, daß wir in der Verkehrspolitik die Rolle der Bahn gestützt haben und auch weiter Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Ja. stützen werden. Erstmals ist ein Haushaltsplan vorge- legt worden, in dem die Ausgaben für die Bahn die Bitte sehr. Ausgaben für die Straße übersteigen. Ich will dabei Vizepräsident Hans Klein: deutlich machen, daß auch die Ausgaben für die Straße durchaus CO2-mindernd sein können, nämlich Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): in den Fällen, in denen es um die Beseitigung von Herr Lippold, können Sie uns erläutern, welche wei- Engpässen geht und Stauemissionen zurückgeführt teren Fortschritte das sein sollen, an denen Frau werden können. Einseitige Betrachtungen bieten sich Merkel im Moment arbeitet? Es wäre für uns wirklich auch in diesem Zusammenhang nicht an. hochinteressant, das zu wissen. (Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Monika Ganseforth [SPD]: Das ist wahr!) NEN]: Das war aber auch sehr einfach!) (Offenbach) (CDU/CSU): Sie — Herr Rochlitz, ich lasse jetzt gerne eine Zwischen- Dr. Klaus W. Lippold arbeitet daran, die Vorbereitungen für die internatio- frage zu. nale Konferenz weiter voranzutreiben, denn die Ter- (Abg. Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE mine sind dringlich. Sie hat sich seit geraumer Zeit GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen vorgenommen, Ihrem Programm den letzten Schliff zu frage) geben. — Wenn der Präsident mich fragt, würde ich, bevor ich (Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Auf den Male- den nächsten Akzent setze, die Frage positiv beant- diven oder wo?) worten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, der inter- (Heiterkeit) nationale Aspekt muß in einem solchen Programm genauso berücksichtigt werden. Es ist wichtig, daß wir das Konzept der „joint implementation" oder des Vizepräsident Hans Klein: Der Präsident ist durch gemeinsamen Handelns verfolgen und daß, auch das Zeichen gefragt. Sind Sie bereit? wenn bislang keine konkreten weltweiten Vereinba- rungen vorliegen, die Bundesregierung in bilateralen Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Ja. Gesprächen und Verhandlungen Partner findet, mit denen wir über die gemeinschaftliche Verringerung von Emissionen reden können. Diese gemeinschaftli- Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr, Herr Kol- che Verringerung von Emissionen ist ein weiterer lege. Faktor, um zur Problemlösung beizutragen. - Lassen Sie mich darüber hinaus aber eines sagen. Ihre Kritik zielt immer darauf, es sei zuwenig getan Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Lippold, könnten Sie mir einmal erklä- worden. Den gewaltigsten Beitrag zur Spurengasre- ren, wieso die Frau Ministerin nicht anwesend ist? duktion im Klimabereich hat diese Bundesregierung Sind Sie mit mir der gleichen Meinung, daß ihre durch den blitzartigen Ausstieg aus der FCKW- Nichtanwesenheit uns letztendlich entweder Desin- Produktion erbracht. Er ist durch diese Bundesregie- teresse an diesem Thema oder Mißachtung des Parla- rung herbeigeführt worden. ments oder gar Mißachtung der Enquete-Kommission (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vermittelt? Allein durch diesen Schritt, Herr Rochlitz, sind welt- weit 10 % der FCKW-Emissionen reduziert worden. Das ist ein ganz ungeheurer Anteil. Wenn alle ande- (Offenbach) (CDU/CSU): Ich Dr. Klaus W. Lippold ren Staaten vergleichbar viel erbracht hätten, dann darf ganz deutlich machen, Herr Rochlitz, daß erstens wären wir bei der Lösung der Klimaschutzproblema- das Haus bestens vertreten ist und daß sich die tik erheblich weiter. Ministerin zweitens gerade in der derzeitigen Situa- tion darum bemüht, zu weiteren Fortschritten beim (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Klimaschutz zu kommen. Ich glaube, daß das ein ganz Wärmeschutzverordnung, Heizungsanlagenver- hervorragender Ansatz ist. Da ist es manchmal wich- ordnung, die Fülle der Maßnahmen, die wir zur tig, wenn sie die Dinge selbst in die Hand nimmt. Ich Reduzierung der Emissionen und insbesondere zur halte das für richtig. Insofern, Herr Rochlitz, sollten Sie Energieeinsparung in den neuen Bundesländern ein solches positives Tun gemeinsam mit mir stützen. getroffen haben — Maßnahmen, die jetzt greifen; es Meine Kritik zielte darauf ab, daß andere Zeit für sind ja nachhaltige Maßnahmen, die wir auch einmal Pressekonferenzen, aber nicht für die Sitzungen im zur Kenntnis nehmen müssen —, die Neuorientierung 794 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) der Energieversorgung in den neuen Bundesländern Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir alle in und gleichzeitig eine Neukonzeption der Energie- diesem Haus sind gemeinsam der Auffassung, daß die politik im westlichen Landesteil — das alles sind zuständigen Ministerinnen und Minister im Plenum Ansatzpunkte, von denen ich meine, daß sie sich vertreten sein sollten, wenn Themen, die in ihr Ressort durchaus sehen lassen können. Wenn wir sie um die fallen, abgehandelt werden. Frau Ministerin Merkel Punkte erweitern, zu denen ich gerade gesprochen hat im Moment in der Tat, wie dem Präsidium mitge- habe, ist das sicherlich ein Ansatz, mit dem man sich in teilt wurde, einen wichtigen, die Klimapolitik betref- der Welt sehen lassen kann. fenden Termin, wird aber, sobald dieser Termin Bezüglich der Vertragsstaatenfolgekonferenz bin beendet ist, noch zu dieser Debatte kommen. Das ich schließlich noch der Meinung, daß bedacht wer- wollte ich nur zur Erklärung mitteilen. den muß, die Beteiligung auch der Parlamentarier an Ich erteile jetzt als nächster der Kollegin Monika der Vertragsstaatenfolgekonferenz in einer sinnvol- Ganseforth das Wort. len Art und Weise vorzusehen. Bislang reden alle nur von Regierung und Nichtregierungsorganisationen. Ich finde, dieses Haus sollte deutlich machen, daß es Monika Ganseforth (SPD): Herr Präsident! Liebe seine aktive — ich will sagen: seine führende — Rolle Kollegen und Kolleginnen! Ich freue mich sehr, daß in dieser Frage auch in Zukunft spielen und sich sich unser Fraktionsvorsitzender hinter die Klima- deshalb an dieser Konferenz beteiligt sehen will. schutzpolitik stellt und daß wir als Ergebnis unserer Diskussionen einen Antrag für ein Klimaschutzpro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. gramm vorgelegt haben, der heute morgen der Presse sowie bei Abgeordneten der SPD) vorgestellt worden ist. Wir diskutieren aber jetzt hier Auch hier gibt es Initiativen. Ich meine, daß dies ein den Schlußbericht der Enquete-Kommission. Die guter Ansatzpunkt ist. Fraktionsführung ist durch Anke Fuchs und andere Im übrigen würde ich mich freuen, wenn wir uns mit Kolleginnen und Kollegen hervorragend vertreten. Blick auf die Vertragsstaatenfolgekonferenz — wir Ich freue mich darüber. können unseren Antrag, der vorliegt, nehmen; wir (Zustimmung bei der SPD) können Ihre Anträge einbeziehen — auf eine gemein- same Stoßrichtung einigen könnten, weil dies die Bedauerlich finde ich, daß die Koalition in ihrem Chancen sicherlich verbessern würde, deutlich zu Koalitionsvertrag in bezug auf das Thema, das wir machen, wie ernst dieses Land es meint, so daß man heute diskutieren, nichts vorgesehen hat. auch andere finden kann, die in dieser Frage mitzie- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig! So ist hen; denn wir benötigen deren Mitziehen, um zur es!) Problemlösung zu gelangen. Es kommt nämlich darauf an, was konkret aus dem Darüber hinaus muß Erhebliches geleistet werden gemacht wird, was die Enquete-Kommission vorge- zum Schutz der Wälder — auch dies ist eine Klima- legt hat. Wir sind also in der Vorhand und hoffen auf problematik —, nicht nur zum Schutz der tropischen eine Zusammenarbeit dabei. Regenwälder, sondern auch zum Schutz der Wälder (Beifall bei der SPD) der nördlichen Hemisphäre. Auch hierzu hat die Enquete-Kommission entsprechende Vorschläge un- Wir haben in unserer Gesellschaft lange Zeit terbreitet. geglaubt, daß menschliches Handeln begrenzt ist durch die Erschöpfung der Rohstoffe, z. B. der Auch im Bereich der Landwirtschaft muß es zu Metalle, von Kohle, Öl, Gas, Uran usw. Wir haben aber weiteren Emissionsreduktionen kommen. Wir brau- festgestellt, daß das nicht der Engpaß unseres Han- chen, auf die Welt als Ganze bezogen, Fortschritte in delns ist, sondern daß der Deponieraum begrenzt ist, der Agroforstwirtschaft, die uns eine Reihe von Emis- daß also das Ende der Kette Schwierigkeiten macht sionsminderungen bei gleichzeitiger Verbesserung oder, wie wir es genannt haben, die Senken begrenzt der Welternährungslage ermöglichen. sind. Wir können nicht beliebig verschmutztes und Dies alles sind Punkte, von denen ich meine, daß sie vergiftetes Abwasser in die Flüsse, in die Seen und in über alle Parteigrenzen hinweg genügend Ansätze für die Meere leiten; wir können nicht alle Bergwerke und ein gemeinschaftliches Handeln geben. Die Vertrags- alle Vertiefungen unseres Planeten mit Abfall ausfül- staatenfolgekonferenz in Berlin ist eine Chance. Wir len. Wir ersticken an der Abfallawine. wollen sie mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen Auch bei der Atomenergie zeigt sich, daß nicht nur nutzen. Ich lade alle ein, sich daran zu beteiligen. die Gefährlichkeit ihrer Nutzung ein Problem ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sondern daß infolge des Endlagerproblems die Nut- zung beendet werden muß, weil es weltweit keine Endlagerstätte für den strahlenden Müll gibt. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Ihre Rede- zeit ist abgelaufen. Aber die größten Probleme bereitet, daß wir seit Jahrzehnten die Atmosphäre als Müllkippe verwen- det haben, daß wir Abgase, Treibhausgase, Gifte in Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Will die Atmosphäre entlassen und daß diese sich dort jemand eine Frage stellen? anreichern. (Heiterkeit) In der Enquete-Kommission des 11. Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" und der des 12. Bundestages „Schutz der Erdatmosphäre" Vizepräsident Hans Klein: Nein. haben wir uns mit der Verschmutzung der Atmo- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 795

Monika Ganseforth sphäre beschäftigt und haben ermittelt, welches die sein werden, und wir wissen nicht bis zum letzten, wie Ursachen sind, welche Auswirkungen das haben sich z. B. Wolken und Aerosole auf die Klimaverände- wird, welche Gegenmaßnahmen nötig sind und rungen auswirken. Aber wir wissen genug, um sagen schließlich welche Gegenmaßnahmen zu ergreifen zu können: Wir haben in unser Klimasystem, in dieses sind. Am Anfang lief das noch sehr einvernehmlich; empfindliche System, massiv eingegriffen, und wir gegen Ende, als es um die konkreten Maßnahmen müssen handeln, auch wenn wir nicht das letzte ging, wurde es schwieriger. wissen. Die Hoffnung, daß man selber, daß unser Land auf der Gewinnerseite sein könnte, ist politisch sträf- Ergebnis dieser gesamten Arbeit ist, daß wir uns mit lich und riskant. Es darf kein Land, keine Indus trie und einem sehr großen Risiko konfrontiert sehen. Die kein Ressort als Ausrede anführen, daß es noch wissenschaftlichen Ergebnisse haben erhärtet: Wir Forschungsbedarf gibt und noch nicht alles bekannt haben in das Ökosystem und in das Klimasystem ist. erheblich eingegriffen. Je mehr wir um diese Drama- tik wissen und je mehr wir wissen, daß gegengehan- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS delt werden muß, desto deutlicher zeigte sich auch, wo 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten die Schwierigkeiten liegen. Es gibt dafür mehrere der PDS) Gründe. Einer ist, daß die Treibhausgase eine sehr lange Lebensdauer haben. Sie reicht von etwa zehn Schließlich haben wir ein großes Risiko — das ist Jahren bei Methan bis zu 200 Jahren beim Distick- meiner Meinung nach das größte —: Ökosysteme stoffoxid. Das heißt, was wir heute machen oder reagieren auf Belastungen nicht linear. Sie können bis unterlassen, trifft mit voller Wucht erst die nachfolgen- zu einem gewissen Grad Belastungen und Streß den Generationen. ausgleichen, und dann brechen sie zusammen und kippen um. Wir haben das beim Waldsterben erlebt. (Beifall der Abg. Liesel Hartenstein [SPD]) Das ist auch die Ursache bei dem plötzlichen Ozonab- Eine Politik, die auf kurzfristige Erfolge aus ist, wie es bau, der jetzt erstmals aufgetreten ist und jährlich in die Politik dieser Regierung ist, kann diesen Proble- zunehmender Größe über der Antarktis zu beobach- men nicht gerecht werden. Wir müssen heute in ten ist. Wir wissen nicht, was bei dem sensiblen und Verantwortung für die kommenden Generationen komplizierten Klimasystem passiert, welche Auswir- handeln. kungen das z. B. auf den Golfstrom hat und welche plötzlichen Änderungen und Risiken zu erwarten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS sind. 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) Es ist völlig klar: Wir müssen die Anreicherung von Treibhausgasen zurückdrängen und begrenzen. Das Die zweite Schwierigkeit ist die, daß es sich um betrifft ganz besonders die Industrieländer. Wir stel- globale Probleme handelt, d. h. daß die Emissions- len zwar nur ein Viertel der Bevölkerung, aber sind quelle und die Auswirkungen auseinanderfallen. für 80 % der Emissionen und der Übernutzung verant- Herr Lippold hat in seiner Rede aufgezeigt, wozu das wortlich. Also müssen wir handeln. Wir müssen auch führt, nämlich daß jeder sagt: Wenn nur wir es handeln, weil wir das Geld und das Know-how haben machen, nützt es nichts; es müssen alle machen. Mit und die Entwicklungsländer nicht. dieser Argumentation schlagen wir uns nun schon seit Jahren herum, und keiner fängt wirklich an. (Brigitte Adler [SPD]: Sehr richtig!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Viele sagen: Die Bevölkerungsentwicklung in den 90/DIE GRÜNEN) Ländern der Dritten Welt ist ein Problem. Aber dieses Argument lenkt von der eigentlichen Problematik ab. Ich kenne kaum ein Gebiet, wo die Leute so höflich Beides gehört zusammen: Unsere Übernutzung der sind. Jeder sagt: Nach Ihnen, gehen Sie voran. Rohstoffe muß zurückgedrängt werden, und die (Heiterkeit bei der SPD) Bevölkerungsentwicklung muß eingedämmt werden. Jeder muß bei sich anfangen. Auch in Ihrem Antrag steht heute wieder: Wenn wir heute nach siebenjähriger Arbeit der schrittweise Internalisierung der externen Ef- Enquetekommission Bilanz ziehen, dann können wir fekte der Energieversorgung und dabei die Ein- feststellen: Wir haben Erfolge und Mißerfolge zu führung einer mindestens EU-weiten und auf- verzeichnen. Die Erfolge waren immer da am größten, kommensneutralen CO2-/Energiesteuer. wo wir uns entgegengekommen sind und wo es uns Was soll „mindestens EU-weiten" heißen? Das heißt gelungen ist, Kompromisse zu schließen und gemein- doch: weiterhin auf den Sankt-Nimmerleins-Tag ver- sam etwas vorzuschlagen. schieben, es sei denn, wir fangen an und tun uns mit Herr Lippold hat den FCKW-Ausstieg angespro- einigen fortschrittlichen Ländern zusammen, anstatt chen. Der Bericht zu den ozonabbauenden Stoffen ist sie im Gegenteil zurückzupfeifen — wie es passiert nach mühsamen Kompromissen einstimmig von allen ist —, um auch den letzten noch mitzunehmen. Seiten des Hauses verabschiedet worden. Das ist Das dritte Problem, mit dem wir konfrontiert sind, meiner Meinung nach die Ursache dafür, daß es ist, daß nicht alle Facetten dieser Problematik bekannt gelungen ist, den Ausstieg sowohl im Hinblick auf die sind. Es gibt immer wieder Interessenten, die sich Produktion als auch die Anwendung durchzusetzen. hinter dem noch bestehenden Forschungsbedarf ver- Dies ist nicht allein ein Erfolg der Regierung; in der stecken. Es ist richtig, wir wissen nicht, wie die Öffentlichkeit war deutlich: Das Parlament will ein- Auswirkungen in allen geographischen Bereichen stimmig und geschlossen aus der Produktion dieser 796 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Monika Ganseforth Stoffe heraus. Das ist meiner Meinung nach der Grund Darüber haben wir in dem Bericht viel gesagt. Wir für den Erfolg. haben viel über den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien gesagt. Wir haben viel über die Hemmnisse, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE die einer klimaverträglichen Energiepolitik entge- GRÜNEN und der PDS) genstehen, und über Instrumente zu ihrer Überwin- Ich hoffe, daß wir einen ähnlichen Erfolg auch im dung auf nationaler und internationaler Ebene ge- Bereich Landwirtschaft und Wälder haben. Auch der sagt. Bericht auf diesem Gebiet ist einstimmig mit weitrei- chenden Empfehlungen und Maßnahmen verab- Es ist jedoch nicht gelungen, aus dieser Fundgrube schiedet worden. Die Umsetzung steht noch aus. von Materialien konsistente Handlungsempfehlun- gen zu bündeln. Acht Kapitel tragen wir gemeinsam; Große Auseinandersetzungen haben wir beim Ver- das ist die Basis. Wir tragen allerdings nicht gemein- kehrsbereich gehabt. Wir haben zwar in unserem sam — das ist sehr bedauerlich — die Handlungsemp- Bericht umfängliche Untersuchungen über Mobilität, fehlungen. Es wäre gerade jetzt, da die Energiekon- Verkehrsentstehung, mögliche Gegenmaßnahmen sensgespräche beginnen, hervorragend gewesen, zur Vermeidung, Verkehrsverlagerung, zur besseren wenn aus der Sicht des Klimaschutzes heraus sachlich Abwicklung und Technik des Verkehrs aufgelistet, orientiert Empfehlungen gegeben worden wären, die die Handlungsempfehlungen gehen jedoch weit aus- in den Mittelpunkt nicht die Frage nach der Alterna- einander. Das ist bei diesem schwierigen Thema tive Atomenergie oder Kohle stellen, sondern die bedauerlich. Was hätte es für ein Gewicht, wenn aus Frage nach der Energiewende, nach dem Einstieg in Klimasicht im Verkehrsbereich einstimmige Empfeh- die Solarenergie, nach einer rationellen Energiever- lungen gegeben worden wären? Ich meine, das war wendung. der Auftrag des Bundestages an die Enquete-Kommis- (Beifall bei der SPD) sion. Es wäre hervorragend gewesen, wenn wir etwas (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS gesagt hätten zu den Mengengerüsten von Kohle, Öl 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Birgit Hom und Gas, zur Kraft-Wärme-Koppelung und zur Ände- burger [F.D.P.]) rung des Energiewirtschaftsgesetzes. Es wäre hervor- Ich hatte allerdings den Eindruck, daß es einen ragend gewesen, wenn es uns gelungen wäre, das hier unausgesprochenen und nicht offenliegenden Auf- im Hause einstimmig aus sachlicher Orientierung trag an die Koalitionsseite und an den Vorsitzenden heraus zu formulieren. sowohl im Verkehrsbereich als auch im Energiebe- Wir waren schon sehr weit in bezug auf diese reich gab, nämlich möglichst zu verhindern, daß Punkte, aber zum Schluß hat die Koalition der Mut Empfehlungen gemacht werden, die über das Weiter verlassen. Wegen der Widersprüche in den eigenen So der Regierung und das Regierungshandeln hinaus- Reihen haben Sie von der Koalition nicht die Kraft zum gehen. Kompromiß gehabt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Handlungsempfehlungen in Kapitel 9 enthalten die Empfehlungen der Koalition. Darüber hinaus gibt Daran gemessen sind die beiden Berichte erfolg- es in Kapitel 10 überarbeitete Handlungsempfehlun- reich gewesen. Am Auftrag der Enquete-Kommission gen, in die eingearbeitet ist, inwieweit wir uns schon und am Umfang des Themas, meine ich, wäre viel zu entgegengekommen waren. Sie machen die Kompro- bemängeln. Der Schlußbericht, den wir heute debat- mißlinie deutlich. Es wäre besser gewesen, man hätte - tieren, geht auf zehn Anhörungen und eine Vielzahl das in stärkerem Ausmaß zusammengefaßt. vertiefender Studien zur Energiepolitik zurück. Er bietet alle Ansätze, um bei einer entsprechenden Natürlich gibt es auch gravierende Unterschiede. Politik die Energiewende endlich einzuleiten. Er listet Dabei will ich nicht nur die Atomenergie ansprechen. die bisher bekannten Energiewandlungs- und Nut- Wir bezweifeln, daß Ihre Ansicht richtig ist, daß allein zungsformen auf und stellt die umfänglichen Poten- oder zumindest in erster Linie die Marktkräfte den tiale für eine effiziente und rationelle Energienutzung Klimaschutz voranbringen. Wir glauben, daß das nicht vom Kraftwerk bis zum Haushaltsgerät dar. ausreicht, sondern daß zusätzlich das Ordnungsrecht und Gebote eine Rolle spielen müssen. Oder man Wir haben erfahren, daß der Energienutzungsgrad müßte mit den Energiepreisen in einem Ausmaß weltweit und auch bei uns nur zwischen 10 und 20 zugreifen, das für die Bürger und Bürgerinnen sowie liegt. Das heißt, daß 80 bis 90 % der eingesetzten für die Wirtschaft nicht tragbar wäre. Wir plädieren für Primärenergie verlorengeht. Es wäre eine hervorra- einen Politikmix und nicht für die alleinige Berück- gende Aufgabe für Wissenschaft und Technik, diese sichtigung der Marktkräfte. Potentiale zu nutzen und zu einer rationelleren Ener- gienutzung zu kommen, um Energieverschwendung (Beifall bei der SPD) und ineffiziente Verwendung der Energie zu vermei- Wir glauben auch nicht, daß man die Klimakata- den. Wir sollten nicht darüber diskutieren: „Was strophe als externen Effekt verharmlosend in einer müssen wir am Anfang hineingeben?", sondern wir ansonsten an der Marktwirtschaft orientierten Ener- sollten fragen: Wie kommen wir am Ende zu der giepolitik in den Griff bekommen kann. Das ist nur besten Dienstleistung? eine Oberflächendiagnose, welche die notwendige (Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rochlitz tiefgreifende Therapie verhindert. Wir brauchen den [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schläft zielgruppen- und sektorspezifischen Abbau von aber die Bundesregierung!) Hemmnissen, die enorm sind. Es gibt enorme wirt- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 397

Monika Ganseforth schaftliche Hemmnisse. Sie haben in dieser Bezie- Angesichts der tiefen Rezession in der Bundesre- hung wenig getan. publik Deutschland verlor der Klimaschutz an Es wäre so dringend gewesen, die Wärmenutzungs- politischer Priorität, so daß auf Bundesebene verordnung zu verabschieden. Das haben Sie hier im nicht alle im Regierungsprogramm angekündig- Plenum selbst so oft gesagt. Wann kommt sie end- ten Klimaschutzmaßnahmen realisiert wurden. lich? Die Enquete-Kommission war aus meiner Sicht eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS erfolgreiche Kommission, aber in den letzten vier 90/DIE GRÜNEN) Jahren hatte sie vor allem Alibifunktion. Das ist die 30 % des CO2-Potentials könnten damit bewegt wer- Schuld der Bundesregierung. den. Wir brauchen wieder das P rimat der Politik und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht die Trippelschritte, die Sie hier erwähnt haben. Die Wärmeschutzverordnung bewirkt ja nur bei Neu- Das unentwegte Gerede über das, was eigentlich bauten etwas, hat aber keine Auswirkungen auf den passieren müßte, ohne daß wirklich etwas geschieht, vorhandenen Gebäudebestand. Da nützt es auch stumpft ab. Wenn die Menschen in Zukunft auf die nichts, wenn Sie in Ihrem Antrag formulieren, es heutige Zeit zurückblicken, werden sie uns daran müsse im Hinblick auf den Gebäudebestand etwas messen, was getan wurde, und nicht daran, ob Freitag getan werden. Dazu muß man Geld in die Hand mittag vor leeren Bänken zum x-ten Mal das gesagt nehmen; anders wird das nichts. Davon habe ich bei wird, was eigentlich getan werden müßte. Ihnen nichts gesehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich zum Schluß — ich hätte noch mehr zu sagen, aber es kommen ja auch noch andere Seit langem kennen die Menschen in diesem Lande Redner und Rednerinnen; was man in vier Jahren die Gefahren des Treibhauseffekts. Doch ihre Bereit- erarbeitet hat, kann man nicht in zehn oder 15 Minu- schaft, etwas dagegen zu tun, wird durch die perma- ten ausführen — allen danken, die an dieser umfang- nente Erfahrung, daß es sich nicht in politisches reichen Arbeit mitgewirkt haben, allen voran den Handeln der Verantwortlichen umsetzt, entmutigt. Ihr wissenschaftlichen und sonstigen Mitarbeitern und Wissen erschlägt sie, wenn es nicht in produktive Mitarbeiterinnen im Kommissionsbüro, die mit Enga- Energie umgewandelt wird. gement und über das normale Maß hinaus belastet Um damit fertig zu werden, bleibt nur die Verdrän- gearbeitet haben. gung. Das schlechte Gewissen lebt weiter und zerstört Ich danke aber auch den Wissenschaftlern, die die Moral dieser Gesellschaft. — der eine mehr, der andere weniger — ihr Wissen und ihr Engagement mit eingebracht haben. Ich Es müßte in uns brennen, diese große Herausforde- glaube, sie haben auch das eine oder andere gelernt, rung anzunehmen. Dann könnten wir auch diejeni- und sie haben sich zum Teil auch bewegt. Ich danke gen, die zögern, überzeugen und mitreißen. ebenso den Kollegen und Kolleginnen Herr Kohl als Bundeskanzler, Frau Merkel und Herr Wir haben, glaube ich, ein gutes Werk vorgelegt, Rexrodt als Minister bzw. Ministerin haben, als sie jedenfalls was die Analyse anlangt. Alles liegt auf dem vereidigt wurden, u. a. folgende Worte geschworen: Tisch, wir wissen nun alles. Jetzt kommt es darauf an, dies umzusetzen. Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen meh- Schönen Dank. ren, Schaden von ihm wenden ... und Gerechtig-- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS keit gegen jedermann üben werde. 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Sie haben nicht geschworen, daß sie nur die Inter- essen der CDU/CSU und der F.D.P. vertreten werden. Die Bundesregierung soll dem ganzen Volke dienen. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin Das ist die Kernaussage, an die ich diese Regierung Michaele Hustedt. anscheinend erinnern muß. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg: Es wäre in der Tat Zeit für einen Energiekonsens, Wir bitten zusätzlich um die Überweisung an den für einen Konsens, der die Bereitschaft aller mobili- Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus, weil siert, die große Herausforderung des Klimaschutzes unserer Meinung nach die Arbeit dieses Ausschusses anzunehmen. Wenn wir das Ziel, 25 bis 30 % der mit dem hier behandelten Thema im Zusammenhang CO2-Emission zu reduzieren, bis zum Jahre 2005 noch steht. erreichen wollen, müssen jetzt die gesellschaftlichen Heute beschäftigen wir uns also wieder einmal mit Kräfte gebündelt werden. Zehn Jahre für einen sol- dem, was getan werden müßte. Aber ich gestehe: Mir chen Umbruch sind für eine Industriegesellschaft fehlt der rechte Glaube an diese Bundesregierung, dieser Größenordnung nicht viel. daß den eindrücklichen Mahnungen der Enquete Aber nein, die Chance zu einem Energiekonsens zu Kommission wirklich Taten folgen. kommen, wird leichtfertig verspielt. Die Energiever- Der Bericht der Enquete-Kommission formuliert sorgungsunternehmen haben wiederholt erklärt, daß sehr vorsichtig, weil parteiübergreifend: sie nur noch in Atomkraft investieren, wenn breite 798 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Michaele Hustedt gesellschaftliche Unterstützung vorhanden ist. Sie ist Ich möchte aber auch noch ein warnendes Wort an es nicht. Das ist die Basis für die Einigung. Herrn Schröder richten. Das Thema ist zu ernst, um es (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ent im privaten Machtkampf um die Führung der SPD zu scheidet ihr!) mißbrauchen. Klären Sie Ihren Strauß mit Herrn Scharping auf der Ebene, auf die es gehört, innerhalb — Ja, die Mehrheiten in der Bevölkerung sind, trotz Ihrer Partei! aller Kampagnen der Atomlobby, eindeutig für den Atomausstieg. Das Thema ist auch zu ernst, um damit die große Koalition zu puschen. Eine großkoalitionäre Einigung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wäre kein tragfähiger und belastbarer Konsens. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Sehr verehrte Damen und Herren, auch die Frage der Kohlesubventionierung bedarf nach dem Urteil Die Gewerkschaften sind eindeutig dafür, die des Verfassungsgerichts einer Lösung. Das Thema Umweltverbände sind eindeutig dafür, die Energie- gehört eigentlich nicht in die Konsensgespräche, da es versorgungsunternehmen sind inzwischen zumindest schon zu verbindlichen Absprachen und Zusagen nicht dagegen. gekommen ist. Wenn man diese Frage dennoch ein- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ bezieht, um das Paket in seiner Gesamtheit zu debat- DIE GRÜNEN]: Der Zukunftsminister müßte tieren, darf es deshalb nicht als Erpressungsmaterial es auch sein!) — Atomkraft gegen Kohle — verwendet werden. Ich kenne wirklich niemanden außer der Bundesre- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind für den Ausstieg gierung, der noch für Atomkraft ist. aus der Kohlesubventionierung innerhalb von 15 Jah- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES ren. Wir lehnen es ab, mit staatlichen Geldern eine 90/DIE GRÜNEN) Branche am Leben zu erhalten, die keine Zukunft hat. Zudem verläuft die Fortsetzung der bisherigen Kohle- Die Bundesregierung zerschlägt diese Chance politik den Klimazielen diametral entgegen. leichtfertig. Warum — da kann ich nur spekulieren. Denn das ist vernünftigen Sachüberlegungen nicht Da man aber aus sozialen Gründen nicht von einem mehr zugänglich. Vielleicht empfinden Sie den Atom- Tag auf den anderen aus der Kohle aussteigen kann, ausstieg als persönliche politische Niederlage. Das sind wir ausdrücklich dafür, daß die gegebenen Ver- liegt dann aber an Ihnen, weil Sie sich immer wieder sprechungen auch eingehalten werden. Die Mittel für Sachen aus dem Fenster hängen, die gar keiner dafür müssen wie andere Subventionen auch aus dem mehr will. allgemeinen Haushaltstopf kommen. Wer dies nicht unterstützt, stößt die Kumpel in das soziale Abseits. Wenn Frau Merkel meint, daß ein Atomausstieg aus Gründen des Klimaschutzes nicht zu verantworten sei, Wenn nun in der Diskussion ist, für die Finanzierung dann sei ihr gesagt: Wir sind hier nicht in Troja. Das der Kohle eine Energiesteuer einzuführen, so stim- Pferd, das Sie uns unterjubeln wollen, ist ein alter men wir dem ausdrücklich zu. Die Einführung einer Klappergaul. Die Pest ist keine überzeugende Alter- Energiesteuer auch im nationalen Alleingang ist ein native zur Cholera. Kernstück einer ökologischen Steuerreform. Das war Unsere Forderung lautet: Sofortausstieg. Wir sind und ist die zentrale Forderung von BÜNDNIS 90/DIE der festen Überzeugung, daß er notwendig und auch GRÜNEN. machbar ist. Viele von uns kämpfen seit 20 Jahren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Atomkraft. Ein Ausstieg gehört deshalb zu sowie bei Abgeordneten der SPD) - unserem politischen Lebenswerk. Das ist mit uns nicht Eine kleine Nebenbemerkung. Für mich ist es doch verhandelbar. erstaunlich, wie diejenigen, die bisher lauthals geru- Wir sind bereit, Kompromisse einzugehen, um dem fen haben, es ginge nicht im nationalen Alleingang, Ziel wenigstens etwas näherzukommen und das Patt auf einmal den Weg für die Kohle freimachen. Das ist in der Gesellschaft in dieser Frage zu überwinden. nur ein weiteres Indiz dafür, daß sie den Klimaschutz Selbstverständlich, das füge ich hinzu, könnte eine nie ernsthaft zu ihrer Angelegenheit gemacht neue politische Generation z. B. mit einer Zweidrittel- haben. mehrheit im Bundestag und Bundesrat neu über die Frage der Atomkraft entscheiden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich fordere die Bundesregierung auf: Handeln Sie Die Einführung einer Energiesteuer würde helfen, als Regierung und nicht als CDU/CSU und F.D.P.! Es die Lücken im Haushalt für die Kohlesubventionie- ist im Interesse der gesamten Gesellschaft, daß wir zu rung zu füllen. Zudem könnte eine Summe von ca. einem Energiekonsens kommen, der auch noch hält, 1 Milliarde DM für die Förderung von erneuerbaren wenn Sie nicht mehr an der Regierung sind. Energieträgern sofort bereitgestellt werden. Diese Mittel könnten schrittweise mit dem Abbau der Sub- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ventionen für die Kohle aufgestockt werden. sowie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.) Aber Sinn und Zweck einer Energiesteuer ist nicht die Kohlesubvention. Sie stehen allein mit Ihren Parteipositionen, auf Teufel komm raus für die Atomkraft zu kämpfen. Geben Sie (Beifall bei der F.D.P.) endlich Ihre Blockadepolitik auf, und vertreten Sie die Es ist ein anderer, nämlich, den ökologischen Umbau Interessen des gesamten Volkes! der Gesellschaft zu fördern. Aber hier halte ich es mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Konrad Adenauer: Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 799

Michaele Hustedt Wenn ich von jemandem ein Butterbrot haben noch vor der Konferenz, daß Sie zu einer ernsthaften will und er mir eine Schnitte trockenes Brot bietet, Klimaschutzpolitik im Lande endlich bereit sind! nehme ich die trockene Scheibe; die Butter hole (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS ich mir später. SES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, vor uns liegt die Klima- Bekunden Sie eindeutig Ihren Willen, in die ökologi- konferenz in Berlin. Der internationale Klimaschutz- sche Steuerreform einzusteigen! prozeß stagniert leider. Die Bundesregierung trägt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einen großen Teil der Mitverantwortung dafür. Sie haben sich vor den Augen der Welt als Umweltmu- Beschließen Sie ein Programm, das endlich die er- neuerbaren Energieträger fördert und ihnen zum sterknabe vorgestellt und damit Erwartungen ge- Marktdurchbruch verhilft! Legen Sie einen Maßnah- weckt, die nicht eingelöst wurden. Der anfängliche mekatalog vor, wie die Effizienzrevolution gefördert internationale Enthusiasmus über die Vorreiterrolle werden kann! Angesichts der prognostizierten Ver- ist deshalb der Ernüchterung gewichen. Die Angebe- müssen Sie über das Fünfliterauto rei ohne Konsequenzen demontiert die Dynamik des kehrsentwicklung hinaus, das sowieso kommen wird, schon etwas mehr internationalen Klimaschutzprozesses. bieten. Die bislang erzielten sogenannten Erfolge beim Absoluten Vorrang muß die Vermeidung von Ver- Klimaschutz in der Bundesrepublik sind ausschließ- kehr haben. Wir erwarten von Ihnen eine eindeutige lich auf das historische Ereignis der Wiedervereini- Verlagerung der Mittel des Bundesverkehrswege- gung und die ungewollte Deindustrialisierung in plans von der Straße auf die Schiene. Ostdeutschland zurückzuführen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Tempolimit könnte schnell und unbürokratisch Ihre Bereitschaft, in den Klimaschutz einzusteigen, Bis heute existiert kein schlüssiges Klimaschutz- beweisen. Unternehmen Sie schnelle Schritte, um den programm mit umsetzbaren Maßnahmen und einer rasant wachsenden Flugverkehr zu begrenzen, und gesicherten Finanzierung, das dem selbst gesetzten setzen Sie sich endlich für eine ökologische Landwirt- Ziel annähernd gerecht würde. Von der Bundesregie- schaft und eine klimaverträgliche Tierhaltung ein! rung werden außerdem insbesondere in der Wirt- schafts-, Energie- und Verkehrspolitik Fakten ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaffen, die nach der Beendigung der Rezession und bei der PDS) wieder steigende Emissionen erwarten lassen. Dazu Wenn wir jetzt schon eine neue Hauptstadt in Berlin gehört u. a. das größte Straßenbauprogramm in der bauen, dann laßt uns doch mit umweltverträglichen Geschichte der BRD. Baustoffen und einer klimaverträglichen Energiever- sorgung bauen, um dann eine wirkliche Vorbildstadt Es ist zu erwarten, meine Damen und Herren, daß entstehen zu lassen! die Bundesregierung schon sehr bald öffentlich einen Offenbarungseid leisten muß, daß sie das selbst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesteckte Klimaschutzziel nicht erreichen kann. und bei der PDS) Quasi als Rettungsanker sucht die Regierung statt dessen in ihrem Antrag ihr Heil in der gemeinsamen Umsetzung, der „joint implementation". Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwarten zunächst - eine effektive Klimaschutzpolitik im eigenen Land. Ohne konkrete Eigenverpflichtung kommt die „joint Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe implementation" einer Abwälzung der klimapoliti- Kolleginnen und Kollegen! Der Abschlußbericht der schen Verantwortung der Bundesregierung auf die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" ist Entwicklungsländer gleich. aus meiner Sicht eine großartige Leistung. Ich möchte zunächst einmal allen Kolleginnen und Kollegen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) daran mitgearbeitet haben, für diese Arbeit herzlich Dank sagen. Daß ich heute hier spreche, rührt daher, Dabei sind Investitionen und Technologietransfer in daß die beiden Kollegen, die für unsere Fraktion in die Entwicklungsländer eine wichtige Aufgabe der dieser Enquete-Kommission waren, Herr Grüner und Entwicklungszusammenarbeit, zu der sich die Indu- Frau Sehn, diesem Parlament heute leider nicht mehr strieländer auf der Rio-Konferenz sowieso verpflichtet angehören. haben. Die Verrechnung mit eigenen Emissionsredu- zierungen bedeutet jedoch einen für uns nicht hin- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nehmbaren Ablaßhandel mit den entwicklungspoliti- DIE GRÜNEN]: Warum nicht?) schen Leistungen. Ich kann nur sagen, daß das, was alle Kollegen da geleistet haben, eine ganz hervorragende Arbeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) war. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die Bundesre- (Beifall bei der F.D.P.) gierung auf: Unterschreiben Sie den Protokollentwurf Ich denke, daß der Bericht den Stand der wissen- der kleinen Inselstaaten! Verpflichten Sie Deutsch- schaftlichen Erkenntnisse zusammenfaßt. Er stellt land auch international verbindlich auf eine 20pro- auch fundierte Forderungen für eine wirksame Klima- zentige Reduzierung der CO2-Emissionen! Zeigen Sie schutzpolitik auf. 800 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Birgit Homburger Frau Professor Ganseforth, Sie haben gesagt, daß es bis 2010 die Emissionen um 15 bis 20 % zu reduzie- beim Kapitel Energie und Verkehr keinen Konsens ren. gab. Ich bedauere es sehr, daß es diesen Konsens nicht gab. Denn ich denke, dadurch, daß Sie sich von der (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD diesem Konsens verweigert haben, CDU/CSU) Und, Frau Kollegin Hustedt, wir unterstützen auch (Widerspruch bei der SPD — Monika Ganse die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung. forth [SPD]: Das ist nicht wahr!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der hat der Be richt in der Tat an Schlagkraft verloren. CDU/CSU) Lassen Sie mich das an zwei Beispielen klarmachen: Ich kann nur sagen: Bestrafen Sie nicht die Bundesre- Sie fordern in der Enquete-Kommission — Sie wissen gierung dafür, daß sich Herr Gore in den USA nicht wirklich nicht, was Sie wollen; Sie müssen sich das durchsetzen kann, und machen Sie bitte nicht Frau einmal anschauen — Merkel für die Politik in Großbritannien verantwort- (Marion Caspers-Merk [SPD]: Sie wissen lich! Die Zeiten des deutschen Imperialismus sind nicht, was Sie machen! Das ist viel schlim vorbei. mer!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, Wer deutschen Umweltimperialismus wi ll, der scha- 80 km/h auf Landstraßen und 30 km/h in der Stadt. det unseren Zielen. Jetzt in Ihrem Klimaantrag soll das Tempolimit nur europaweit eingeführt werden. Das ist also ein Eier- (Monika Ganseforth '[SPD]: Aber für tanz. Deutschland sind wir verantwortlich!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was wollen Sie Das gilt ganz besonders für die GRÜNEN. — Herr denn? Was ist denn Ihr Vorhaben?) Fischer, ich freue mich, daß Sie jetzt gehen. Dann muß ich mich hier nicht ständig darüber ärgern, daß Sie Das zweite Beispiel ist die Mineralölsteuer. In der sich nicht trauen, Zwischenfragen zu stellen, und Enquete-Kommission fordern Sie eine jährliche Erhö- immer nur dazwischenrufen. hung von 7 % auf zehn Jahre. Im Klimaantrag sollen jetzt die Mindestsätze in der EU angehoben werden. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Für diese Anhebung der Mindestsätze ist die F.D.P. DIE GRÜNEN]: Ich bin ja für meine Angst- schon lange. Immerhin sind Sie offensichtlich lernfä- lichkeit berühmt!) hig. Das gibt mir die Hoffnung, daß wir vielleicht doch Der Beitrag der GRÜNEN zur Vorbereitung der noch zu einem gemeinsamen Antrag kommen kön- nen. Klimakonferenz besteht in einer Großen Anfrage. Ich finde das sehr originell. Sie blockieren damit die (Beifall bei der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] Bundesregierung in der Zeit der Vorbereitungen und [SPD]: Sie verwechseln da etwas!) wichtigen Vorverhandlungen. Außerdem erwecken Sie den Eindruck, Deutschland müsse nur mehr Ein- In den Energiekonsensverhandlungen des letzten satz zeigen, und schon würden die widerstrebenden Jahres trat Herr Schröder für die SPD auf; dann haben Staaten folgen. Sie wollen Großmachtpolitik betrei- Sie ihn im Regen stehenlassen. ben, und Sie würden damit einen Scherbenhaufen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ anrichten. - DIE GRÜNEN]: Da ging es ihm wie dem Die F.D.P. will Erfolge auch in Europa. Die F.D.P. Herrn Kinkel!) setzt weiter auf eine CO2/Energiesteuer. Die Ver- So können Sie meines Erachtens keine Politik handlungslage ist schwierig. Aber nur wer kämpft, hat machen; da verliert man jede Glaubwürdigkeit. Chancen zu gewinnen. Die F.D.P. will dabei aber auch die Abgabenlast senken. Wir haben das oft genug Die F.D.P. weiß, was sie will. gesagt. Die direkten Steuern, wie z. B. Lohn-, Einkom- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men- und Körperschaftsteuer, müssen mindestens im DIE GRÜNEN) gleichen Umfang parallel gesenkt werden. Die F.D.P. will die Industrie nicht vertreiben. Wir wollen sie Deshalb unterstützen wir auch den Antrag zur Klima- erneuern. Wir wollen Innovationen und eben nicht konferenz in Berlin. Die F.D.P. will eine wirksame noch mehr Arbeitslosigkeit. Klimaschutzpolitik, und zwar international, in Europa wie auch national. (Beifall bei der F.D.P.) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das sieht man an Die F.D.P. setzt auf Freiwilligkeit statt auf Zwang. der Koalitionsvereinbarung!) Das EG-Öko-Audit ist ein Durchbruch für den freiwil- ligen Umweltschutz. Auch der Enquete-Be richt Wir wollen international wirksame Verpflichtungen betont, daß hierdurch die Energieeffizienz gesteigert zur Reduzierung der Treibhausgase. Die in Rio ver- wird. Es werden Konzepte zur Abwärmenutzung einbarte Stabilisierung der CO2-Emissionen auf dem erstellt. Energieintensive Produktionsprozesse wer- Stand von 1990 reicht bei weitem nicht. Ich denke, da den optimiert werden. Das Umsetzungsgesetz muß sind wir uns einig. Wenigstens muß die Stabilsierung daher — das richtet sich jetzt an die Bundesregie- der Emissionen über das Jahr 2000 hinaus gelten. Wir rung — aus unserer Sicht noch im März in den unterstützen deshalb die Forderung der Inselstaaten, Bundestag kommen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 801

Birgit Homburger Die F.D.P. setzt auf Deregulierung statt auf Dirigis- Hätte die SPD sich dem Energiekonsens nicht verwei- mus. Staatliche Überwachungsmechanismen, Nach- gert, so wären wir heute sicherlich weiter. Das war ihr weisverfahren und Bilanzen müssen abgebaut wer- Beitrag zum Klimaschutz. den, wo das Öko-Audit sie erübrigt. Wir wollen mehr Die F.D.P. plädiert für die zügige Wiederaufnahme Umweltschutz und nicht mehr Umweltschutzbürokra- der Energiekonsensgespräche. Unser Ziel ist ein tie. gesunder Energiemix für eine effiziente und umwelt- (Beifall bei der F.D.P.) schonende Energieversorgung. Wir setzen auf Innovationen auch in der Energie- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ technik. Wir müssen unser hohes technologisches DIE GRÜNEN]: Was ist denn ein gesunder Potential beim Einsatz der regenerativen Energien Energiemix?) und auch bei der Energieeinsparung nutzen. Der Dazu gehören auch der zügige Ausbau regenerativer dynamische Ausbau der Windenergie ist ein positives Energien und der rationelle und sparsame Energie- Beispiel. Die Forderung einiger Umweltverbände einsatz auf allen Ebenen der Energieversorgung. nach dem Ausstieg aus der Windenergie lehnen wir ab. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Gegenteil von gesund ist Wir fordern von den Kommunen allerdings eine krank!) vernünftige Bauleitplanung. Ungeordnete Entwick- Die GRÜNEN schließen sich mit ihren Maximalpo- lungen und Nutzungskonflikte können und müssen sitionen selbst von der Suche nach gesellschaftlichem durch vorausschauende Planung vermieden werden. Konsens aus. Sie behaupten in Ihrem Wahlprogramm Auch hinsichtlich der Wasserkraft bitte ich die Natur- — das ist hier heute wiederholt worden —, die schutzverbände um eine sachgerechte Abwägung Stillegung aller deutschen Kernkraftwerke sei inner- von Vor- und Nachteilen. halb von höchstens ein bis zwei Jahren rechtlich, technisch und wirtschaftlich möglich. So blauäugig Regenerative Energien müssen in ihrer ganzen kann man einfach nicht sein. Mit dieser Forderung Bandbreite angewandt werden. Anstatt Stroh unter- verschaffen Sie sich das Alibi, um sich die Weste zupflügen oder abzuflammen, kann es in Strohheiz- sauber zu halten. Sie wollen zuschauen und kritisie- kraftwerken genutzt werden. In Thüringen kann eine ren; aber an Veränderungen mitarbeiten wollen Sie solche Anlage besichtigt werden. In waldreichen nicht. Gebieten kann Schwach- und Restholz in Holzkraft- (Zustimmung bei der F.D.P.) werken verbrannt werden. Das ist in Baden-Württem- Gute Politik setzt nicht auf den Staat allein, sondern berg zu besichtigen. Aus Gülle beispielsweise kann auf die Mitwirkung aller Beteiligten. Die SPD hat das Biogas für Gaskesselanlagen und für Blockheizkraft- leider nicht begriffen. werke gewonnen werden. Die Kommunen spielen hier eine zentrale Rolle. Sie müssen in Zukunft mit (Widerspruch bei der SPD) ihren Bebauungsplänen auf eine dezentrale und rege- Ihr angekündigtes Super-Investitionsprogramm ist nerative Energieversorgung setzen. Wir brauchen ein Beispiel für schlechte Politik: mehr Steuern abkas- dabei sicherlich noch eine breite Bewußtseinsände- sieren und mehr Geld verteilen. rung. Aber ich denke, daß dieser Enquete-Bericht dazu beitragen wird. Hören Sie auf Herrn Schröder!, kann ich nur sagen. Er ist der beste Kritiker der SPD. Er sagte in seiner Wir stehen hier allerdings erst am Anfang. Ich Rede beim Parlamentarischen Abend der Niedersäch- denke aber, daß Energie - Agenturen wertvolle Hilfe sischen Energie-Agentur am 10. Januar dieses Jahres für den Einsatz solcher Technologien leisten können. zu Ihrem Programm: Die F.D.P. fordert einen massiven Ausbau der Bera- 5 oder 10 Milliarden DM pro Jahr ab sofort für tung. Das ist aber nicht nur Aufgabe des Staates. Vor Energiesparen/regenerative Energien sind in der allem die Energieversorger sind hier mit gefordert aktuellen Finanzlage schlicht nicht zeitgemäß. — aber bitte nicht mit einer Tendenzberatung auf der alten Schiene. Die Energie-Agentur in Niedersachsen Das stimmt. Er sagte ferner: wie auch die Energieversorgung Schwaben sind So viel Staatshilfe läßt sich schlicht nicht ausge- ermutigende Beispiele. ben, weil die Projekte, die Infrastruktur etc., eben alles erst aufgebaut werden muß. Wir fordern die Elektrizitätsversorgungsunterneh- men auf, sich in diesen Bereichen stärker zu engagie- (Widerspruch bei der SPD — Joseph Fischer ren. In den letztlich gescheiterten Energiekonsens- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gesprächen haben sie einen dreistelligen Millionen- Das ist in der Regel bei jedem neuen Haus- betrag für regenerative Energien und für Energieein- haltstitel!) sparung in Aussicht gestellt. Die F.D.P. wird sie in der Auch das stimmt. nächsten Runde beim Wort nehmen. Er sagt schließlich, es komme nicht auf einen bestimmten Einsparwert an, z. B. im Jahre 2005. Ziel Im Klimaschutz sind die Überschüsse, jedenfalls die müsse sein, daß Energiesparen/regenerative Ener- der Energiewirtschaft, besser angelegt als beim Auf- gien ein stabiler, wachsender und zunehmend sich kaufen von mittelständischen Entsorgungsbetrie- selbst tragender Prozeß wird. Auch das stimmt. ben. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) 802 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Birgit Homburger Das Politikverständnis der SPD ist schlicht und Vielleicht können wir das ein bißchen reduzieren. falsch: Sie messen die Qualität der Politik — auch die Bitte, Frau Kollegin, fahren Sie fort. der Umweltpolitik — an der Höhe der Staatsausgaben. Je mehr, desto besser. Das ist der falsche Weg. So treiben Sie die Staatsverschuldung oder die Steuerlast hoch. Eine sich selbst tragende Erneuerung schaffen Birgit Homburger (F.D.P.): Das war bei den letzten Sie damit jedenfalls nicht. zwei Reden auch schon so, Herr Präsident. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. — Wärmeschutz und bessere Heiztechnik können Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ enorme Einsparungen bringen, 100 Millionen Tonnen DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Endlich sagt es mal CO2-Emissionen jährlich. Das entspricht einer Minde- eine den Sozialdemokraten! Das mußte rung von etwa 10 % der gesamten CO2-Emissionen in schon immer gesagt werden! Diese Staats Deutschland. Wir können nicht in der Industrie das Sozis!) letzte Prozent herausholen und gleichzeitig riesige Einsparpotentiale in anderen Bereichen ungenutzt Die F.D.P. setzt auf Kooperation. Wirksame Klima- lassen. schutzpolitik lebt vom Zusammenwirken aller Betei- ligten und eben nicht von Staatsknete. Die Elektrizi- Damit ist auch der Verkehr angesprochen. Ca. 20 % tätsversorgungsunternehmen müssen sich stärker in der CO2-Emissionen stammen aus dem Verkehr. Die der Beratung engagieren, sie müssen Hilfestellung für F.D.P. unterstützt die Empfehlung der Enquete-Kom- den Einsatz neuer Technologien geben. Die Kommu- mission, Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen um nen müssen den Einsatz regenerativer Energien för- 30 % zu senken. dern, statt ihn zu hemmen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wie denn?) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Dazu brauchen Hier sind die Automobilhersteller in der Bringschuld. Sie Geld, Frau Kollegin!) Wer heute noch Kleinwagen mit einem Durchschnitts- Bebauungspläne, Gestaltungssatzungen oder Denk- verbrauch von sieben bis acht Litern auf den Markt malschutzvorgaben dürfen den Einsatz von Sonnen- bringt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. kollektoren nicht mehr verbieten oder behindern. Die (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Landwirtschaft muß das Energiepotential ihrer Bio- DIE GRÜNEN]: Ich darf ja nichts mehr masse sinnvoll einsetzen. Im Haushalt muß Energie- rufen!) sparen wieder in sein. Dazu gehört auch eine Ener- gieverbrauchskennzeichnung der Haushaltsgeräte. Die F.D.P. unterstützt die Bundesregierung, die in Die Enquete-Kommission fordert die Umsetzung der Brüssel auf ein Konzept zur Senkung des Durch- entsprechenden EG-Richtlinie. schnittsverbrauchs drängt. Die F.D.P. hält wie auch die Enquete-Kommission die Mineralölsteuer für das (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ geeignete ökologische Lenkungsinstrument. Ein er- DIE GRÜNEN]: Wer kennzeichnet nach wel ster Schritt wäre die Umlegung der Kfz-Steuer auf die chen Regeln? Wer überwacht?) Mineralölsteuer. Leider haben wir uns in der Koali- — Entschuldigung, ich habe gerade nur zitiert, was die tionsvereinbarung auf eine Kfz-Abgas-Steuer geei- Enquete-Kommission an der Stelle fordert. nigt. Ich bleibe allerdings bei meiner Meinung, daß das lediglich die Bürokratie hochtreibt. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ja, setzt es doch um!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!) - Das ist im übrigen auch mit Ihren Stimmen beschlos- sen worden. Deswegen denke ich, wir sollten uns hierüber noch einmal unterhalten. Finanzielle Unterstützung ist aber an einer Stelle unumgänglich: Die große Aufgabe, nämlich die (Beifall des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Wärmeverluste im Gebäudebestand zu verringern, [F.D.P.]) werden wir ohne Zuschüsse oder steuerliche Anreize Die F.D.P. will aber nicht die Steuerbelastung nicht bewältigen. erhöhen. Ich komme damit auf dieses Thema zurück. (Widerspruch bei der SPD) Wir wollen die Mehreinnahmen an anderer Stelle zurückgeben. Das unterscheidet uns von der SPD und Die Enquete-Kommission weist darauf hin. Hier noch mehr von den GRÜNEN. wende ich mich auch an die Finanz- und Haushaltspo- litiker meiner Fraktion. Hierüber müssen wir weiter (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich nachdenken. Wärmeschutz und bessere Heiztechnik Klose) können nämlich enorme Einsparungen — — Man will offensichtlich nur abkassieren, ausgeben, umverteilen. Ich darf nochmals auf die GRÜNEN eingehen. Sie fordern in ihrem Wahlprogramm eine Mineralölsteuer von 5 DM, Schwerverkehrsabgaben Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen? — Ein Zwischenruf ist ja und Nahverkehrsabgaben. Wie wir gehört haben, etwas völlig Normales. Aber wir werden gelegentlich muß zusätzlich das Ordnungsrecht bleiben. Dazu im Protokoll eine zweite Spalte brauchen: in der kommt das Tempolimit 100/80/30. Dazukommen sol- linken der Redebeitrag, in der rechten der Fischersche len absolute Fahrverbote bei Ozonwerten von 110 Mi- Kommentar. krogramm. (Heiterkeit) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 803

Birgit Homburger Ich kann nur sagen: Das ist eine Holzhammerpolitik. Massenarbeitslosigkeit, die hier indirekt auch Thema Damit erreichen Sie nur eines: Sie verschärfen den ist und mitgedacht werden muß. Konflikt zwischen Umweltschutz und sozialer Sicher- Für diese systemimmanenten Defekte der kapitali- heit. Sie riskieren damit die Akzeptanz der Bevölke- stischen Produktionsweise gibt es zwei Gründe: Das rung für den Umweltschutz. eine ist das für die Preisbildung relevante Wertgesetz. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Das andere ist der systemimmanente Zwang zur DIE GRÜNEN]: Man darf ja nichts mehr Kapitalverwertung. sagen!) Durch das Wertgesetz spiegeln sich in den durch- Sie bauen Widerstände auf, anstatt den breiten gesell- schnittlichen Preisen, die am Markt erzielt werden, schaftlichen Konsens für einen wirksamen Umwelt- nur die Produktionskosten, also im wesentlichen nur schutz zu schaffen. die Arbeitszeit, wider. Die Natur, die aber ebenso wie (Beifall bei der F.D.P.) die Arbeitskraft ein Produktionsfaktor ist, wird weder Die F.D.P. wird jedenfalls weiter für eine Umwelt- auf der Eingangs- noch auf der Ausgangsseite des politik eintreten, die wirksam ist, weil sie auch die Produktionsprozesses berücksichtigt. Naturreichtü- Freiheit bewahrt. Ich hoffe sehr, daß wir im Umwelt- mer und Rohstoffe sind umsonst. In ihren Preis geht ausschuß bei der Diskussion vielleicht doch zu einem nur die Arbeitszeit ein, die zu ihrer Gewinnung gemeinsamen Antrag kommen. Man kann es einmal benötigt wird. Abgase können allemal in die prinzi- versuchen, auch wenn beim Kapitel über Umwelt und piell nicht privatisierbare Atmosphäre abgegeben Verkehr dieser Versuch bei der Enquete-Kommission werden. gescheitert ist. Aber, wie gesagt, insbesondere die Dieser Defekt kapitalistischer Produktion, der sich SPD hat an einigen Stellen offensichtlich dazuge- allerdings leider auch im Staatssozialismus zeigte, lernt. wird zunehmend auch von den Anhängern anderer Vielen Dank. wirtschaftstheoretischer Ansätze anerkannt. Das Stichwort dazu ist die Diskussion um die Erfassung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sogenannter externer Kosten, die ja auch im Be richt der Enquete-Kommission einen gewissen Raum ein- genommen haben. Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Abgeordnete Rolf Köhne (PDS). Zu welchen menschenverachtenden Absurditäten es dann dabei allerdings kommt, zeigt die Diskussion um monetäre Ersatzwerte für ein Menschenleben. So Rolf Köhne (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- heißt es in einem speziellen Votum der Koalitionsver- nen und Kollegen! Klimatische Veränderungen stel- treter auf Seite 332 des Berichtes: len uns vor neue Herausforderungen. Frau Professor Ganseforth hat das eindrucksvoll dargelegt. Es ist nicht einzusehen, warum der monetäre Die allgemeinen wissenschaftlich-technischen Lö- Ersatzwert für ein Menschenleben „aus ethischen sungsansätze sind bekannt und lassen sich ziemlich Gründen" nicht abgezinst werden darf, wenn einfach darlegen: Wir müssen schnellstmöglich auf dies für alle anderen Faktoren gestattet ist. die Energieerzeugung durch Verbrennung fossiler Meine Damen und Herren, man muß sich darüber Energieträger verzichten; wir dürfen unseren Ener- klarwerden, daß diese Welt komplex ist und daß daher giebedarf nur aus regenerierbaren Quellen decken; nicht alles durch die bornierte Rationalität des Geldes wir müssen die Energie-Effizienz erhöhen, und wir erfaßt werden kann. Eine objektive Internalisierung müssen uns darauf einstellen, daß alle Menschen externer Effekte scheitert nicht nur auf Grund von zusammen mit der gesamten übrigen Natur nur die Wissensmängeln, sondern weil sich bestimmte Energie umsetzen dürfen, die uns die Sonne täglich Erscheinungen im Stoffwechselprozeß zwischen liefert. Daß dabei gleiches Recht für alle gelten muß, Mensch und Natur prinzipiell einer Bewertung in und das weltweit, ergibt sich meiner Meinung nach Mark und Pfennig entziehen. aus den allgemeinen Menschenrechten. Wenn wir uns dennoch mit Vorschlägen zu einer Damit das alles passiert, haben wir den freien ökologischen Steuerreform anfreunden können, dann Markt. Morgen bekommen wir ein anderes Mär- deshalb, weil dies ein erster Schritt sein kann, über chen. diese bornierte Rationalität des Geldes hinauszukom- Die klimatischen Veränderungen zwingen uns men. nämlich, mit bisherigen Formen des Wirtschaftens Die Gesellschaft muß sich politisch-demokratisch Schluß zu machen. Karl Marx stellte fest, daß die darüber verständigen können, was und wie sie produ- kapitalistische Produktionsweise den Produktionspro- ziert. Die in dem Bericht der Enquete-Kommission von zeß entwickelt, indem sie seine Grundlagen, die Natur Professor Voß geäußerte Kritik, daß eine ökologische und den Arbeiter, untergräbt. Steuerreform zu einer schleichenden Transformation (Walter Hirche [F.D.P.]: Dann war in der DDR der kapitalistischen Marktwirtschaft führt, sehen wir wohl der Superkapitalismus!) da eher als Hoffnungsschimmer. — Ja, ja. Dazu komme ich auch noch. (Zuruf von der F.D.P.: Unglaublich!) Ersteres zeigt sich deutlich: nicht nur in den klima- — Ja. tischen Problemen, über die wir heute diskutieren, sondern auch in den vielen anderen Umweltproble- Der zweite systemimmanente Defekt der kapitalisti- men, unter denen wir leiden. Letzteres zeigt sich in der schen Produktionsweise ist ihr Zwang zur Kapitalver- 804 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Rolf Köhne wertung. Richtig, das gehört zusammen. Aus Geld an seine Grenzen. Solche Investitionen lassen sich muß beständig mehr Geld werden. Dies führt zwang- nicht privatisieren. Die bornierte Rationalität des Gel- haft zu steigendem Wirtschaftswachstum und Natur- des verhindert wirklich rationales Verhalten. Es ist zerstörung. Dabei wird völlig unzutreffend Wirt- deshalb völlig verfehlt, wenn die Koalitionsmehrheit schaftswachstum mit steigendem Wohlstand ver- in ihren Handlungsempfehlungen zum Klimaschutz wechselt. Wohlstand definiert sich nicht allein über „primär auf die Nutzung von Marktkräften" setzt. den Konsum. Zum Wohlstand gehören auch dispo- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nible Zeit für Kultur und Muße sowie der Genuß der DIE GRÜNEN]: Sondern?) Schönheit der Natur. Umweltzerstörung ist deshalb auch ein Wohlstandsverlust und ein Verlust an Angesichts des Zustandes in der Energiewirtschaft Lebensqualität. klingt dies ohnehin wie blanker Hohn. Markt hat es hier noch nie gegeben. Hier beherrschen im wesent- Der Zwang zur Kapitalverwertung führt zu einem lichen vier Energiekonzerne das Feld. Immer noch gilt immer schnelleren moralischen Verschleiß von Pro- das monopolitische Energiewirtschaftsgesetz aus dem dukten, weil es etwas Neueres und Moderneres gibt. Jahre 1935, das ihre Profite und ihre Monopolstellung Wir brauchen aber dringend eine Abkehr von dieser absichert. Wir halten nach wie vor eine Rekommuna- „Wegwerfgesellschaft". Produkte müssen langlebi- lisierung und Demokratisierung der Energiewirt- ger werden. Auch dadurch kann Energie gespart schaft für eine Grundvoraussetzung umweltverträgli- werden. cher Energieerzeugung. Wir lassen uns viel zu sehr von der bornierten Ich danke Ihnen. Rationalität des Geldes blenden und übersehen dabei die Realität. Investieren heißt letztendlich, den Teil (Beifall bei der PDS) des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens, der über die Reproduktion des bestehenden Zustandes hinaus zur Verfügung steht, zur Gestaltung der Zukunft zu nut- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat jetzt zen. In der Logik der kapitalistischen Produktions- der Kollege Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU). weise heißt dies aber stets Ausweitung oder Rationa- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ lisierung der Produktion. Beides führt aber zuneh- DIE GRÜNEN]: Ein Vertreter des Staatskapi- mend zu Problemen: steigende Naturzerstörung und talismus! — Gegenruf des Abg. Rolf Köhne steigende Arbeitslosigkeit. [PDS]: Gut gelernt!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was lesen wir dazu in Band 38 MEW von Karl Marx? Das mußt Du Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Präsident! jetzt frei zitieren! — Heiterkeit — Zuruf von Meine Damen und Herren! Die Beobachtungen inner- der F.D.P.: Fischer, fangen Sie jetzt keine halb der letzten 50 Jahre weisen auf eine beginnende intellektuelle Diskussion an!) Umstellung des globalen Klimas hin. Auch wenn — Das werde ich nicht frei zitieren. diese Aussage vereinzelt kritisiert wird, besteht in der internationalen Wissenschaft doch weitgehend Einig- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ keit über diese trendmäßige Entwicklung. Die Anzei- DIE GRÜNEN]: Ich kann es hier zitieren!) chen einer vom Menschen verursachten Klimaände- — Ja, das möchte ich jetzt hören — als Zwischenruf, rung sind eindeutig erkennbar. bitte. Die immer noch bestehenden Wissenslücken zum (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ anthropogenen Treibhauseffekt — das soll zur Klar- DIE GRÜNEN]: Ja, das könnte ich!) stellung gesagt werden — lassen zur Zeit noch keine Aussagen über die zukünftige Entwicklung des Kli- — Gut, gut. mas mit regionalen Auswirkungen zu. Hinsichtlich Ich bin aber kein Scholastiker. des globalen Trends besteht in der Wissenschaft (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ weitgehend Einvernehmen. Somit sind wir in der DIE GRÜNEN]: Es reicht, wenn Du Bernstein Kommission davon ausgegangen, daß das generelle oder Kautsky zitierst!) Wissen um die durch menschliche Aktivitäten verur- sachten Klimaveränderungen einen so hohen Grad an Auf diese Weise läßt sich der Wohlstand nicht mehr Gewißheit erreicht hat, daß politische Maßnahmen steigern. Wir brauchen vielmehr Investitionen völlig zur Vorsorge auf Grund von Wissenslücken nicht anderer Art: Wir müssen in die Natur investieren, um mehr unterlassen werden dürfen. unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Wir müssen in die Gesellschaft, in mehr Bildung und Kultur investie- Deshalb möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich ren, um unsere Kooperationsfähigkeit untereinander dem Vorsitzenden unserer Kommission, Herrn zu steigern. Auch so können wir die Produktivität der Dr. Lippold, für seinen Einsatz danken, der sich immer Gesellschaft erhöhen. Und wir müssen vor allen erfolgreich bemüht hat, die Arbeit der Enquete- Dingen auch in die Überwindung des Nord-Süd- Kommission kräftig nach vorne zu bringen. Gefälles investieren; denn durch unsere Ausbeutung (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ der unterentwickelten Regionen erzeugen wir das DIE GRÜNEN]: Na, na!) dortige Umweltdumping und andere Probleme. Deshalb, Frau Ganseforth, habe ich kein Verständnis Doch genau hier stößt das auf dem Privateigentum dafür gehabt, daß Sie den Kleinkrieg der letzten an Produktionsmitteln beruhende Wirtschaftssystem Sitzungen auch hier im Plenum noch fortsetzen woll- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 805

Dr. Peter Paziorek ten. Herzlichen Dank, Dr. Lippold, für Ihr Engagement schaftet werden. Volkswirtschaftlich ist dabei der in dieser Kommission. Ausstiegskurs der Opposition in Sachen Kernenergie kontraproduktiv. Somit werden wir auch auf die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Kernenergie nicht verzichten können. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich kenne ihn besser, den (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Lippold!) Für die Mehrheit der Opposition steht fest, daß jedes Bemühen um eine nachhaltige CO2-Reduktion aus Die wichtigsten Ursachen für den menschlich heutiger Sicht nicht zum Erfolg führt, wenn die bedingten Treibhauseffekt sind die weltweiten Emis- Kernenergie nicht weiterhin einen substantiellen Bei- sionen des Energiebereiches — unter Einschluß des trag zur Stromerzeugung im Rahmen eines sinnvollen Verkehrs —, der Landwirtschaft, die Brandrodung im Energieträgermixes leistet; denn in Deutschland wird tropischen Regenwald, aber auch die Vernichtung im Augenblick durch die Kernenergie tatsächlich ein und Schädigung der Wälder in der nördlichen CO2-Ausstoß von ca. 150 Millionen Tonnen pro Jahr Hemisphäre. Das größte Handlungsfeld für Reformen verhindert. zum Schutz unseres Klimas stellt somit der Energiebe- reich dar. Weil das so ist, werden wir dem Antrag der Oppo- sition, der heute als Entschließungsantrag von seiten Aber, meine Damen und Herren, zukunftsorien- der SPD eingebracht wurde, nicht zustimmen können, tierte Energiepolitik bedeutet heute nicht nur die weil er undifferenziert einen Ausstieg aus der Atom- Sicherung der Energieversorgung. Energiepolitik energie fordert. Ein vollkommener Rückzug aus der muß heute sowohl zur Energieversorgung als auch zur Kernenergie führt nicht nur zu erheblichen Defiziten Schonung der natürlichen Ressourcen und des Klimas in der Energieversorgung, sondern höchstwahr- beitragen. Somit müssen auf der Suche nach einer scheinlich zu einem erhöhten Import von Atomstrom umweltschonenden, zukunftsorientierten und wett- -aus anderen europäischen Staaten oder billiger CO2 bewerbsfähigen Energieversorgung Antworten ge- haltiger Importkohle. Dies kann in keinem Fall der funden werden auf die Fragen der Sicherung des Sinn einer nachhaltigen zukunftsweisenden Klima- Standortes Deutschland, der vollständigen energie- schutzpolitik sein. und wirtschaftspolitischen Integration der neuen Bun- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) desländer, der Herstellung des Europäischen Binnen- marktes, der globalen Entwicklung — nicht zuletzt auf

Grund der Notwendigkeiten einer aktiven Klimavor- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Herr Kollege sorge. Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle- gin Hustedt? Der Größe dieser Aufgabe wird die Haltung der Opposition, insbesondere der Fraktion der Grünen, nach dem Motto locker vom Hocker irgend etwas zu Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja. fordern, einfach nicht gerecht. Die Querverbindungen zu den anderen Bereichen sind leider auch heute in Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist den Redebeiträgen durch die Opposition nicht ent- Ihnen erstens bekannt, daß, wenn man den gesamten sprechend gewürdigt worden. Man muß sich einmal Brennstoffkreislauf eines Atomkraftwerks untersucht, vorstellen: Die geplante nationale CO2-Reduktion also vom Uranabbau bis hin zur Verkehrsentwicklung erfordert allein in Deutschland eine Senkung des und den Emissionen, die beim Betrieb entstehen, ein Einsatzes fossiler Energieträger in der Größenord- AKW im gesamten Brennstoffkreislauf mehr CO2 nung von 110 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten. emittiert als z. B. ein Gaskraftwerk mit Kraft-Wärme-- Hierfür stehen derzeit nur die beiden Strategien Kopplung? Energieeinsparung einerseits und Energieträgersub- stitution andererseits zur Verfügung. Dies kann nur in Meine zweite Frage: Sind Sie nicht auch der Mei- einem gleitenden Umsteuern erfolgen. Alles andere nung, daß wir, wenn wir die Milliardensummen, die hätte wirtschaftlich katastrophale, negative Folgen für wir in Atomkraft investiert haben — meines Wissens den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ich bitte, das sind es bisher über 30 Milliarden DM —, in andere auch hier zu berücksichtigen. Energieträger und Energieeinsparmaßnahmen ge- steckt hätten, dann ein Vielfaches an CO2-Emissionen Dabei müssen natürlich auch längerfristig die jetzt schon hätten erreicht haben können? erneuerbaren Energien eine größere Rolle spielen. Neben Wasser- und Windkraft muß alles dafür getan (CDU/CSU): Zu der ersten Zwi- werden, daß auch neue Formen der Energiegewin- Dr. Peter Paziorek schenfrage kann ich sagen: Es gibt natürlich zu allen nung wie die der Stromgewinnung auf der Basis von möglichen Thesen, auch aus Ihrem Bereich, inzwi- Photovoltaik und Wasserstoff sowie Biomasse und schen Untersuchungen. Sie sind nicht Mitglied der Erdwärme als neuen Energieträgern genutzt werden Enquete-Kommission gewesen. In den letzten Sitzun- können. gen haben die Diskussionen natürlich gezeigt, daß bei Eine langfristig angelegte Förderung von For- diesen Untersuchungen in vielen Bereichen nur der schung und Entwicklung dieser Energien ist unver- politische Wille und der bloße Glaube Grundlage für zichtbar und bedeutet nicht nur einen Beitrag zum die Diktion waren und daß sich das bei einer kritischen Klimaschutz, sondern auch einen Schritt in Richtung Diskussion dieser einzelnen Untersuchungen leider neuer Technologien, die den Standort Deutschland für nicht erfolgreich durchsetzen könnte. Deshalb muß zukünftige Industrien sichern. Diese Finanzmittel, die ich sagen, die Untersuchungen, die Sie anführen, hierfür benötigt werden, müssen aber erst noch erwirt haben uns nicht überzeugen können. 806 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Dr. Peter Paziorek Über die zweite Angelegenheit, Frau Kollegin energie durch unsere finanziellen Vorgaben im Hustedt, kann man trefflich spekulieren: Was wäre Stromeinspeisungsgesetz be triebswirtschaftlich at- gewesen, wenn eventuell vor 20 oder 30 Jahren die traktiv und lukrativ gestaltet. Das hat zur Konsequenz, Schwerpunkte anders gesetzt worden wären? Dar- daß die Energieversorgungsunternehmen, die nicht über will ich mit Ihnen heute gar nicht streiten; das an der Nordseeküste angesiedelt sind, mit dem Strom- können wir vielleicht an anderer Stelle, z. B. im einspeisungsgesetz keine Probleme haben, daß aber Ausschuß, tun. gerade die Unternehmen, denen an der Nordseeküste Entscheidend ist für mich, daß wir Vorgaben z. B. im viel Windenergie angeboten wurde, betriebswirt- Bereich der Kernenergie aus den 70er Jahren haben, schaftliche Probleme haben. weshalb wir uns heute fragen müssen: Was nützt es, Da wir die Unterlagen vorliegen haben, kann ich wenn wir vor dem Hintergrund der Tatsachen, die Sie sagen: Ihre pauschale Aussage nach dem Motto „Die gerade geschildert haben, nämlich der getätigten schwimmen ja im Geld" ist leider wieder so undiffe- Investitionen, Ihren kurzfristigen Ausstiegskurs fah- renziert, wie ich es Ihnen in der umweltpolitischen ren? Ich frage mich: Ist es, wenn Entscheidungen so Diskussion schon mehrfach vorhalten mußte. Wir gefallen sind, richtig, zu sagen, man müsse kurzfristig können uns gemeinsam darüber unterhalten, auch aussteigen, und gar nicht zu berücksichtigen, welche jetzt bei dem Umsteuern in der Klimaschutz- und volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Energiepolitik, was wir tun können, damit auch die Schäden dann auftauchten? Energieversorgungsunternehmen ihre Aufgaben, Ich will Sie einmal fragen: Wo wollen Sie überhaupt z. B. als Energiedienstleistungsunternehmen, stärker die Mittel hernehmen, die die Unternehmen brauchen wahrnehmen. Dies sollte auch Energieberatung — wir wollen sie gemeinsam zwingen, mehr im umfassen; denn der Stromverkauf alleine kann in der Bereich der erneuerbaren und regenerativen Ener- Tat nicht das große Ziel dieser Unternehmen sein. gien zu tun —, wenn Sie sowohl betriebswirtschaftlich Dies sollte aber bitte so erfolgen, daß das Ganze als auch volkswirtschaftlich einen Crashkurs fah- betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, damit wir den Wirt- ren? schaftsstandort Deutschland nicht gefährden. Mein Kurs wäre nur dann nicht vertretbar, wenn die Wenn wir einen solchen mittleren Kurs fahren Kernenergie in Deutschland sicherheitspolitisch nicht könnten, würden wir in vielen Fragen sicherlich akzeptabel wäre. Da aber besteht der gewaltige Einvernehmen erzielen. Leider ist das bei Ihrem Unterschied zwischen uns. Deshalb halte ich es für knallharten Ablehnungskurs nicht der Fall. nicht sinnvoll, Ihren Kurs zu fahren. Ich bin dafür, daß wir unsere Kernenergiepolitik in Deutschland in ver Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Gestatten Sie antwortbarem Maße fortsetzen. noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kubatschka?

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Herr Dr. Paziorek, Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja. gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt? Horst Kubatschka (SPD): Herr Kollege, Sie spre- chen davon, daß Sie die Unternehmen zwingen wol- Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja. len, mehr für die erneuerbaren Energien zu tun. Wie wollen Sie das machen? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Kollege Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kubatschka, zunächst einmal muß ich klarstellen, daß- Erstens. Ist Ihnen bekannt, daß die Energieversor- wir heute über den Bericht der Enquete-Kommission gungsunternehmen auf Grund ihrer Monopolstellung „Schutz der Erdatmosphäre" und die Einbringung der diejenigen Betriebe sind, die die höchste Rendite Entschließungsanträge, die konkrete politische For- abwerfen? Bei normalen großen Betrieben beträgt der derungen beinhalten, diskutieren. Dies soll noch nicht Gewinn ungefähr 3 %, während die Energieversor- dazu führen, daß wir alle konkreten Stufen und gungsunternehmen 16 % Gewinn einfahren und sozu- Maßnahmen jetzt hier im Plenum besprechen. Der sagen im Geld schwimmen. Sie reden von den armen Beratungsgang ist dergestalt, daß wir schon am näch- Energieversorgungsunternehmen; das sehe ich über- sten Mittwoch im Umweltausschuß anfangen werden, haupt nicht so. über die einzelnen Maßnahmen zu reden. Im An- Zweitens. Ist Ihnen bekannt, wieviel die Energie- schluß an diesen Beratungsprozeß werden wir hier, im versorgungsunternehmen durch Ihre Investitions- Plenum, über die Maßnahmen diskutieren, die Sie pleiten bei Atomkraft verspekuliert haben, weil die ganz konkret für den Bereich der erneuerbaren Ener- Bevölkerung ihre Projekte bis aufs äußerste bekämpft gien ansprechen. hat — Stichworte Wackersdorf und Hanau? Ich persönlich werde mich dafür einsetzen, daß wir im Bereich der Energiesteuer einen Lösungsweg Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Frau Hustedt, wir finden, so daß es sinnvoll wird, im Bereich der erneu- haben in der letzten Legislaturperiode die Diskussion erbaren Energien zu investieren, und daß durch eine um das sogenannte Stromeinspeisungsgesetz ge- solche Förderpolitik, die auf Anreize setzt, deutlich führt. Ich will für diese Koalition ganz klar positiv wird, daß auch erneuerbare Energien in Deutschland darstellen, daß wir den Energieversorgungsunterneh- tatsächlich eine Chance bekommen werden. Das men durch gesetzliche Maßnahmen aufgegeben werden wir konkret im Bereich der Energiesteuer haben, im Bereich der Windenergie neue Schritte in diskutieren müssen. Da sehe ich einen Ansatzpunkt, Deutschland zu unternehmen. Wir haben die Wind Ihre Frage in konkrete Politik umsetzen zu können. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 807

Dr. Peter Paziorek Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir an Daß dabei der Schienenverkehr eine größere dieser Stelle noch einmal nahtlos unterstreichen kön- Bedeutung in der Verkehrspolitik erhalten muß, ist nen, daß die Energiepreise deutlicher als bisher auch völlig unstrittig. Aber hier sind die Weichen in der ökologisch begründet werden müssen. Aber wir wer- Verkehrspolitik ebenfalls richtig gestellt. den dies nicht nur auf nationaler Ebene tun können. Nach Ansicht unserer Fraktion geht aus dem Be richt Jeder nachhaltige Beitrag zur Bekämpfung des Treib- eindeutig die Notwendigkeit zum sofortigen Handeln hauseffektes kann nur auf internationaler Ebene hervor. Aber die Politik allein kann nicht alles bewir- geleistet werden. Deshalb werden wir uns auch ken. Verhaltensänderungen in der Gesellschaft, weiterhin für eine europaweite Einführung einer getragen von einem breiten Teil der Bevölkerung, Energie-/CO2-Steuer aussprechen. müssen hinzukommen. Für alles aber gilt: Je eher gehandelt wird, desto weniger werden zukünftige Noch einiges zur Landwirtschaftspolitik. Nach Generationen belastet. Ansicht der Mehrheit der Kommission ist die EG- Vielen Dank. Agrarreform aus Sicht des Klimaschutzes ein Schritt in die richtige Richtung. Wie stark dieser Schritt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ausgefallen ist, wird in fünf Jahren zu bilanzieren sein.

Dann werden wir entscheiden können, welche weite- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat ren Maßnahmen notwendig sein werden. Doch eines Kollegin Dr. Liesel Hartenstein (SPD). ist schon jetzt klar: Wenn die Rückführung der Über- schußproduktion über das bei der Agrarreform vorge- Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Herr Präsident! Meine sehene Maß hinausgehen soll, dann muß auch auf der lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Enquete-Kom- Ebene der EU zugunsten der heimischen Landwirt- mission hat in zwei Legislaturperioden seit 1987 schaft ein weitergehender finanzieller Anreiz als bis- zweifellos nicht nur fleißig, sondern auch erfolgreich her zugunsten der heimischen Landwirtschaft ge- gearbeitet. Ich möchte dies auch meinerseits aus- schaffen werden. Nicht nur der Bund, sondern auch drücklich betonen und denke, daß dies kein unge- die Bundesländer sollten überprüfen, welche Förder- bührliches Eigenlob ist. programme für die Landwirtschaft z. B. zur Verringe- rung der Gülleüberschüsse geschaffen werden kön- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nen. Erst wenn deutlich wird, daß ein solches Förder- F.D.P.) programm als Anreizprogramm keine ausreichende Auf der Positivseite ist auch zu verbuchen, daß über Wirkung zeigt, sollten wir über die Einführung von weite Strecken Konsens erreicht werden konnte, Kon- neuen Umweltsteuern oder Abgaben im Bereich der sens in der Ursachenanalyse, Konsens in der Einschät- Landwirtschaft nachdenken, aber bitte nicht vorher. zung der kommenden Entwicklung und in der abso- Der Vorschlag der SPD, die rechtlichen Vorgaben zu luten Notwendigkeit einer raschen, wirkungsvollen Lasten der heimischen Landwirtschaft ohne finan- national en und internationalen Gefahrenabwehr. zielle Entschädigung zu verschärfen, führt letztlich in Heute aber stellt sich die Frage: Was haben wir denn die Sackgasse. aus unserem umfangreichen Wissen eigentlich gemacht? Haben wir den Fundus der wissenschaftli- Die Enquete-Kommission hat sich in ihrer Arbeit chen Daten, den Fundus des geschaffenen breiten neben den Sektoren Energie, Landwirtschaft und öffentlichen Bewußtseins genutzt, um konkrete Ver- Wälder auch intensiv mit dem Verkehrsbereich als änderungen wirklich durchzuführen? Haben wir größtem Einzelemittenten von klimarelevanten Spu- wenigstens das riesige Spektrum der schon vorhande- rengasen auseinandergesetzt. Die Mehrheit der Kom- nen technischen Instrumente eingesetzt, um Gefahren mission hat sich eindeutig gegen ein Tempolimit, aber zu vermindern? Ich stelle fest: Wir wissen fast alles, für die Verringerung des Treibstoffverbrauchs und aber wir tun fast nichts. Gerade diese Bundesregie- der CO2-Emissionen von Kraftfahrzeugen ausgespro- rung tut fast nichts. chen. Wir fordern die Kraftfahrzeughersteller auf, eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ entsprechende Selbstverpflichtung abzugeben, wo- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der bei ein solches Selbstverpflichtungssystem europa- PDS) weit gelten muß, damit auch Importeure von Kraft- fahrzeugen einbezogen werden. Sollte die Selbstver- Dies ist ein Trauerspiel. Nach Umfragen fühlen sich pflichtung als wirtschaftliches Optimierungsinstru- 40 % der Menschen durch die Umweltzerstörung ment nicht greifen, sind unverzüglich ordnungsrecht- bedroht; interessanterweise haben nur 25 % der Men- liche Maßnahmen vorzusehen. schen Angst vor der Kriminalität. Auch das sollte man sich einmal vor Augen führen. Um dieser Selbstverpflichtung auch von der Nach- Es war übrigens nicht der geringste Erfolg der frageseite her zum Erfolg zu verhelfen, fordert die ersten Enquete-Kommission, daß die Bundesregie- Kommission stetige maßvolle und jährliche Anhebun- rung bereits im November 1990 den Beschluß gefaßt gen der Treibstoffpreise, verteilt über einen längeren hat, bis zum Jahre 2005 eine CO2-Reduktion um 25 bis Zeitraum. Die Anhebung soll aber nicht sofort, son- 30 % in Deutschland zu realisieren. Dafür gab es dern erst nach einem längeren Zeitraum von Freijah- Beifall von allen Seiten, Beifall auch von uns. Natür- ren erfolgen, denn der Bürger muß sich auf eine solche lich war mit diesem Beifall die Hoffnung verbunden, Erhöhung einstellen können. Wir wollen keine Erhö- daß jetzt kräftig ans Werk gegangen würde. Aber wer hung der Steuerlastquote. Vielmehr muß dem Bürger diese Hoffnung hegte, hat eine bittere Enttäuschung die Möglichkeit eingeräumt werden, auf verbrauchs- erleben müssen. Noch in seiner Regierungserklärung ärmere Kraftfahrzeuge umzusteigen. im Mai 1992 hat der Bundeskanzler kurz vor seinem 808 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Dr. Liesel Hartenstein Abflug nach Rio bekräftigt: „Damit haben wir als technischen Verbesserungen allein — sie sind ja die erstes großes Industrieland die Verminderung der Lieblingskinder der Koalition, wie auch die freiwilli- Treibhausgase aktiv in Angriff genommen." Und gen Selbstverpflichtungen —, etwa Senkung der Selbstverständlich hat sich der deutsche Regierungs- Abgasgrenzwerte, intelligente Verkehrsleitsysteme, chef auf dem Erdgipfel für die Vorreiterrolle der Senkung des Kraftstoffverbrauchs — das alles ist Bundesrepublik gebührend feiern lassen. Nur, inzwi- richtig; es sind auch Forderungen von uns —, genügen schen sind die großen Hoffnungen zerstoben; inzwi- eben nicht. schen hat Deutschland seine Vorreiterrolle längst eingebüßt. Den Worten sind keine Taten gefolgt, und (Zuruf von der CDU/CSU: Warum kritisieren das ist zu beklagen. Sie es denn?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Solange man sich nicht an Strukturveränderungen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der heranwagt, liebe Frau Homburger, solange das öko- PDS) logische Monstrum des Bundesverkehrswegeplans nicht auf den Prüfstand gestellt wird Diese unerfreuliche Tatsache, meine Damen und Herren von der Koalition, wird auch nicht durch das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ widerlegt, was Sie heute alles aufgezählt haben. Das DIE GRÜNEN) steht nämlich alles schon in den regierungsamtlichen und solange kein Umschalten von einer expansiven Berichten. In langatmigen Aufzählungen ist dort zu Autobahnpolitik zu einer konsequenten Schienen- lesen, was alles gemacht worden sei, von der Novel- politik erfolgt, so lange werden Auto und Lkw Klima- lierung der Kleinfeuerungsanlagenverordnung bis killer erster Ordnung bleiben. Und Waldkiller übri- zur Verpackungsverordnung — gens obendrein. (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja! Das Meine Damen und Herren, es hat sich gezeigt, daß sind Taten!) die Koalition an den entscheidenden Punkten immer alles wird peinlich genau aufgelistet, zurückschreckt. Sie hat keinen Mut zu einem Vor- wärtskonzept. Gerade die F.D.P. hat am allermeisten (Zuruf von der CDU/CSU: Was sollen wir blockiert. Sie sind die Bremser und nicht wir. denn sonst machen, außer es auflisten?) was irgendwie nach Fortschritt beim Klimaschutz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aussehen könnte. Wissen Sie, was der erste Vorsit- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zende der Enquete-Kommission dazu sagen würde? „Klimaschutz als kluge Industriepolitik", meine Er würde sagen: Peanuts, meine Freunde. Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das ist eine Überschrift aus dem Minderheitenvotum DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der SPD im Schlußbericht der Enquete-Kommission. PDS) Wir meinen in der Tat, daß in einem breiten Bündel von Maßnahmen, die dem Klimaschutz dienen, Harter Tatbestand ist demgegenüber: Die klima- gleichzeitig neue industriepolitische Optionen stek- schädlichen CO2-Emissionen haben in den alten Bun- ken. Klimaschutz ist kluge Industriepolitik, weil er zu desländern nicht abgenommen, sondern zugenom- Innovationen geradezu zwingt, weil er neue Arbeits- men. Es nützt ja gar nichts, immer wieder zu beschwö- plätze schafft und weil er Zukunftsmärkte erschließt, ren, daß sie doch, auf Gesamtdeutschland bezogen, national und mittelfristig auch international. Das soll- um 15 % abgenommen hätten. Denn dahinter steckt ten Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen. ein ganz übler, schlitzohriger Rechentrick. In den neuen Ländern hat sich der CO2-Ausstoß in der Tat (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fast um die Hälfte reduziert, aber leider größtenteils DIE GRÜNEN) wegen des Zusammenbruchs der ostdeutschen Indu- Meine Damen und Herren, zum Klimaschutz gehört strie und nicht wegen der umweltpolitischen Großta- auch der Schutz der Wälder, und zwar nicht nur der ten dieser Bundesregierung. tropischen Wälder, wie die erste Enquete-Kommission (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gemeint hat, sondern auch der Wälder in den nördli- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der chen Regionen und in den gemäßigten Zonen. Die PDS) Wälder sind nach den Ozeanen die größte und wich- tigste CO2-Senke der Erde und damit unverzichtbar Harter Tatbestand ist ferner: Im Jahre 1993 — bitte für die Stabilität des weltweiten Klimas. Deswegen hören Sie gut zu — hat der Energieverbrauch im mahne ich hier für die Enquete-Kommission zum Verkehrsbereich erstmalig den gesamten Energie- wiederholten Male eine Internationale Waldkonven- verbrauch der deutschen Industrie übertroffen, und tion an. Sie haben es versäumt, die entsprechenden zwar mit 88,5 Millionen Tonnen gegenüber 82,6 Mil- Vorarbeiten zu machen. Diese Waldkonvention muß lionen Tonnen Steinkohleneinheiten. Das sollten Sie verbindliche Regelungen sowohl für den Waldschutz sich, Frau Homburger, bitte schön einmal zu Gemüte als auch für eine nachhaltige Bewirtschaftung der führen. Hier wird schlagartig deutlich, wo der stärkste Wälder umfassen, und sie muß Nord und Süd gleicher- Handlungsbedarf besteht. Hier wird ebenfalls schlag- maßen verpflichten und darf nicht einseitig die Tro- artig deutlich, warum exakt in diesem Bereich, näm- penwaldländer zu Sündenböcken stempeln. lich beim motorisierten Straßenverkehr, die heftigsten Auseinandersetzungen in der Kommission tobten und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ warum es hier eben zu keinem Konsens bei den DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Handlungsempfehlungen kommen konnte. Denn die PDS) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 809

Dr. Liesel Hartenstein Meine Damen und Herren, Ende März beginnt in muß politisch gehandelt werden — hier sind Sie am Berlin die erste Vertragsstaatenkonferenz im soge- Zuge —, und zwar nicht erst übermorgen, sondern nannten Rio-Nachfolgeprozeß. Ziel war die Verab- möglichst schon heute. schiedung eines verbindlichen Berliner Protokolls mit Danke schön. festen Reduktionsraten und festen Zeitzielen. Leider muß ich sagen, daß die Bundesregierung ihre Haus- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS aufgaben nicht gemacht hat, und leider muß ich auch 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten hinzufügen, daß Frau Bundesministerin Merkel schon der PDS) jetzt durch ihre Erklärung vom 1. Dezember 1994 vor dem Nationalen Komitee für nachhaltige Entwicklung Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat jetzt die Flinte ins Korn geworfen hat. Das war nicht der Kollege Dr. Christian Ruck (CDU/CSU). hilfreich, Frau Merkel. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Herr Präsident! Die Bundesregierung geht mit leeren Händen nach Meine Damen und Herren! Von den Notwendigkeiten Berlin; das ist nicht entschuldbar. und Schwierigkeiten einer nachhaltigen Energiepoli- tik bei uns und in anderen Industrienationen war in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dieser Debatte schon viel die Rede. Gestatten Sie mir, DIE GRÜNEN) daß ich das Hauptaugenmerk meiner Ausführungen Liebe Kolleginnen und Kollegen, Berlin könnte ein mit einigen Gedanken auf die Mehrheit der Menschen Riesenschritt in die Zukunft werden, in eine Überle- auf diesem Planeten richte. Es sind die Menschen in benszukunft für den Planeten. Statt dessen droht es den Entwicklungsländern. ein Riesenflop zu werden. Das darf nicht passieren. Die dort lebenden 75 % der Weltbevölkerung sind (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des zwar zur Zeit gerade einmal zu 20 % am Ausstoß der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CO2-Emissionen beteiligt, doch 90 % des Emissions- Wir fordern, Frau Ministerin Merkel, daß auch die zuwachses entfallen auf die Dritte Welt. Schon in Bundesrepublik den Protokollentwurf der AOSIS, 15 Jahren werden, falls alles so weiterläuft wie bisher, der 40 kleinen Inselstaaten, unterstützt, 50 % der energiebedingten CO2-Emissionen aus den (Birgit Homburger [F.D.P.]: Tun wir doch! — Entwicklungsländern kommen. Woher sollen wir das Zuruf von der SPD: Begrüßen ist zu Recht nehmen, den Milliarden Menschen in China, wenig!) Indien, Brasilien oder Nige ria zu verbieten, unseren energie- und ausstoßwütigen Konsum- und Produkti- die energisch eine 20prozentige CO2-Reduktion bis onsweisen nachzueifern? zum Jahre 2005 fordern. Dem Vernehmen nach war der dänische Umweltminister bereit, im EU-Umwelt- Nicht zuletzt die Ergebnisse der Enquete-Kommis- ministerrat diese AOSIS-Initiative zu unterstützen. sion „Schutz der Erdatmosphäre" zeigen, daß ein Aber ausgerechnet die deutsche Bundesregierung, solcher Entwicklungsweg für uns alle, auch für die die jà die Ratspräsidentschaft innehatte, hat sich als Entwicklungsländer, katastrophale Folgen hätte. Bremser betätigt. Ich finde, das ist ein Skandal. Einige Staaten wie Samoa oder Bangladesch würden vielleicht sogar aufhören zu existieren. Somit hängt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ unsere gemeinsame Zukunft in Nord und Süd ent- DIE GRÜNEN — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: scheidend davon ab, ob wir gemeinsam nachhaltige Das darf nicht wahr sein! Unglaublich!) und umweltschonende Wachstumsstrategien gerade Mit dieser Verzögerungstaktik werden Deutschland auch für die Entwicklungs- und Schwellenländer und die Industrieländer ihrer Verantwortung nicht finden und durchsetzen. gerecht. Aber die Zeit drängt. Meine Damen und Herren von der SPD, ich finde es bezeichnend, daß bei einer solchen Sachlage in Ihrem Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ihre auch, Frau Antrag nicht ein einziges Mal die Wörter „Entwick- Kollegin. lungsland", „Entwicklungspolitik" oder „Dritte Welt" auftauchen; das ist für mich ziemlich kurzsichtig. Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Ich sehe es, Herr Präsident. Ich werde mich beeilen und zum Schluß (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — kommen. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Wir müssen handeln. Die Industrieländer müssen vorangehen, weil sie die Hauptverursacher der Klima- — Doch, doch. katastrophe sind und weil sie auch das technische (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein, Know-how haben, um als erste etwas zu tun. nein!) Wir haben noch eine Chance, liebe Kolleginnen und — Doch. Kollegen, wenn wir den Mut und die Kraft aufbringen, (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein, umzusteuern und Abschied zu nehmen von res- das sage ich Ihnen!) sourcenverschwendenden und umweltzerstörenden Strukturen und von der Trägheit. Das betrifft nicht nur — Gut, zeigen Sie mir das nachher. Meine Redezeit das Produzieren, sondern auch unsere Art des Konsu- läuft. mierend. Nutzen wir diese Chance! Die Vorarbeiten Ich habe Ihren Antrag zweimal durchgelesen und von seiten der Enquete-Kommission sind gemacht. habe dabei gedacht: Das darf doch nicht wahr sein. Wir legen sie dem Plenum des Bundestages vor. Jetzt Frau Adler spricht nach mir; sie kann mich korrigie- 810 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Dr. Christian Ruck ren. Breiten Raum nimmt die Entwicklungspolitik auf litik künftig falsche Preissignale vermeiden oder jeden Fall nicht ein. Das finde ich traurig. zurücknehmen, die nur dazu führen, daß aus politi- Die Rio-Konferenz für Umwelt und Entwicklung schen Gründen umweltschädliche Energien am Markt hat 1992 klare und detaillierte Strategien und Hand- gehalten und ressourcenschonende Energien fernge- lungsoptionen aufgezeigt. Die Vertreter der Bundes- halten werden. regierung haben dabei maßgeblich immer wieder dazu beigetragen, daß Nord und Süd nicht auseinan- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Gestatten Sie derbrachen. Die Bundesregierung hatte in der Folge- eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf? zeit zusammen mit Frankreich für die Einrichtung der Globalen Umweltfazilität als wichtiges Finanzie- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Bitte. rungsinstrument der Agenda 21 gesorgt. Damit beläuft sich der deutsche Beitrag für die nächsten drei Dr. Winfried Wolf (PDS): Werter Kollege, Sie haben Jahre auf immerhin fast 400 Millionen DM und geht darauf hingewiesen, daß Fehlentwicklungen in der dabei weit über unsere normalen Verpflichtungen Dritten Welt vermieden werden sollten und daß die hinaus. Industriestaaten dabei in besonderem Maße behilflich Deutschland ist mittlerweile der größte bilaterale sein sollten. Erstens. Ist Ihnen bekannt, daß momentan Geber im Bereich der Tropenwalderhaltung. Unter die Politik der deutschen Autokonzerne in China — in den Entwicklungsministern Warnke, Klein und Schanghai, Kanton und Peking — darauf hinausläuft, Spranger stieg der Anteil der Umweltprojekte in der den Fahrradfahrern die Benutzung einzelner Straßen Entwicklungszusammenarbeit mittlerweile auf über zu verbieten, die Fahrradfahrer von den Straßen ein Viertel an und soll 1995 ca. 30 % erreichen. wegzubringen und die Städte mit ihren Autos zu füllen? Erinnert sei auch an die Energiesonderprogramme. Zweitens. Ist Ihnen bekannt, daß die Autos, die von Frau Hartenstein, diese Dinge sind bekannt; sie ken- VW und Daimler-Benz in dieser Region gebaut wer- nen auch Sie. Es schadet nichts, wenn man mit der den bzw. gebaut werden sollen, alle Pkws ohne Kritik an den fehlenden Programmen nicht übertreibt. Katalysator sind? Das, was ich hier gesagt habe, haben auch Sie immer wieder anerkannt. Drittens. Ist Ihnen bekannt, daß, wenn China und Indien auch nur die Pkw-Dichte der ehemaligen DDR, (Beifall des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/ die ja bekanntlich schrecklich untermotorisiert war, CSU]) erreichen würden, sich die Zahl der Pkws weltweit auf 800 Millionen verdoppeln müßte, wodurch der Planet Auch im Antrag der GRÜNEN steht, daß wir in der Erde völlig umkippen müßte? Entwicklungszusammenarbeit an Umweltprojekten nichts getan haben. Das weise ich als unqualifiziert Glauben Sie nicht, daß hier das Sprichwort gilt: Ein und unsachlich zurück jeder kehre vor seiner eigenen Tür? Meinen Sie nicht, daß wir hier, in unserem Land, anfangen müßten? (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Richtig!) und verweise dabei auf die Diskussion von gestern. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Das in Ihren Fragen Angesprochene ist mir teilweise bekannt. Das mit den (Beifall des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/ Fahrradregelungen, die angeblich deutsche Kon- CSU]) zerne in China durchgesetzt haben, scheint mir doch Es gibt allerdings auch in der Entwicklungspolitik sehr schräg zu sein. Im übrigen muß ich im Zusam-- gerade im Energiebereich noch Punkte, an denen wir menhang mit der Katalysatorfrage darauf hinweisen, gemeinsam arbeiten müssen. Gerade hier ist die daß es ja wohl Aufgabe der Volksrepublik China Chance für die Entwicklungsländer, Fehlentwicklun- wäre, die entsprechende Vorschrift nicht nur für gen der Industrieländer zu vermeiden, besonders deutsche Autos, sondern für den gesamten Automarkt groß. Dies gilt auch für den Einsatz erneuerbarer in ihrem Land zu erlassen. Wir und die Bundesregie- Energien wie Wind, Sonne und Wasserkraft. rung können ja nichts dafür, wenn die Chinesen bei ihrer Autopolitik den Katalysator vergessen. Eine der Voraussetzungen ist, daß die Industrielän- Es ist vollkommen unbestritten — darauf komme ich der die Entwicklungsländer verstärkt bei der in meinen weiteren Ausführungen noch zu spre- Umorientierung in Richtung auf eine ressourcenscho- chen —, daß beiderseits Verpflichtungen bestehen. nende Energiepolitik mit Know-how und Kapital Ich habe gerade in entwicklungspolitischen Diskus- unterstützen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, sionen den Eindruck, daß wir auf der einen Seite nur hochverschuldeten Niedrigeinkommensländern For- derungen zugunsten einer umweltschonenden Ener- dem Norden und auf der anderen Seite nur dem Süden giepolitik zu erlassen. die Schuld geben. Ich glaube, das ist gerade in der entwicklungspolitischen Situation eine ziemliche Wichtig ist ferner, daß wir den Entwicklungsländern Crux, die wir gemeinsam beseitigen könnten. helfen, speziell auf das jeweilige Land abgestimmte Energiegesamtkonzepte zu erstellen und dabei auch Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Gestatten Sie die Möglichkeiten für den Aufbau dezentral angeleg- eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Eid? ter Energieversorgungsstrukturen und für den Einsatz erneuerbarer Energietechnologien auszuschöpfen. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Jawohl. Wir müssen gegenüber den Entwicklungsländern aber auch dafür eintreten, daß sie in ihrer Energiepo Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 811

Dr. Ursula Eid - Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kleinkariert, wenn man alle derartigen Überlegungen Herr Kollege, Sie haben richtigerweise gefordert, daß als quasi unmoralisch zurückweist. den ärmsten, den am meisten verschuldeten Ländern Entscheidend muß doch, und zwar für uns alle, die die Schulden erlassen werden. Sie haben diesen globale Nettobilanz bei der Verminderung der Schuldenerlaß aber an die Bedingung geknüpft, daß Umwelt- und Klimazerstörung sein. Wenn z. B. aus die dabei eingesparten Gelder in dem jeweiligen Land rein technischen Gründen derselbe finanzielle Auf- in den Umweltschutz fließen. wand eines deutschen Unternehmens im Ausland Können Sie mir an Hand einiger Beispiele sagen, wesentlich mehr Effekt bringt als im Inland, ist der auf welchen Gebieten und inwieweit diese ärmsten Vorwurf des Sich-Freikaufens wirklich plumpe Ideo- Länder als Verursacher von Umweltverschmutzung logie. angesehen werden können, wo denn diese Länder ihre Umwelt verschmutzen? Es gibt dort keine Indu- Herr Präsident, meine Damen und Herren, zweiein- strie, keine Produktion, fast keine Autos. Wo ver- halb Jahre nach dem Startschuß in Rio de Janeiro schmutzen diese Länder ihre Umwelt? kommt der Rio-Prozeß nur mühsam voran. Trotz einiger völkerrechtlicher und organisatorischer Fort- schritte sind die Industrie- und Entwicklungsländer Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Frau Kollegin, ich miteinander und untereinander zerstritten. Es wird möchte Ihnen zur Interpretation meiner Aussagen mehr gepokert als verhandelt. empfehlen, den Begriff Umwelt nicht so eng zu betrachten, wie Sie es getan haben. Wir haben auch in Die eigentlich Betroffenen sitzen an keinem Ver- unserer Fraktion immer wieder die Frage gestellt, wie handlungstisch, weil sie noch Kinder oder noch gar die allerärmsten Länder eine Politik betreiben kön- nicht geboren sind. Wir sollten dennoch den Glauben nen, die die verbleibenden Wälder — z. B. der Sahel an die Vernunft und das Verantwortungsgefühl der zone — rettet. Das ist für mich auch eine ganz Politiker weltweit auch in der Frage der Klimavor- entscheidende Umweltfrage. Dasselbe gilt für den sorge nicht verlieren. Gewässerschutz. Auch in den allerärmsten Ländern Wir sollten unverdrossen und beharrlich auch die gibt es oft sehr große Städte mit einer Umweltsitua- Entwicklungsländer in jeder Konferenz, in jeder tion, die wirklich haarsträubend und lebensgefährlich Regierungsverhandlung auf ihre ökologische Mitver- ist. antwortung hinweisen, und zwar auch auf ihre Mit- Es gibt genügend Gelegenheit, mit den „ debt- verantwortung gegenüber ihrer eigenen Bevölke- for-nature-Swaps " oder ähnlichen Instrumenten we- rung. Wir müssen auf die Änderungen der wirtschaft- nigstens ein bißchen Abhilfe zu schaffen. Diese Pro- lichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen jekte machen wir auch. Unsere Fraktion hat ganz auch in den Entwicklungsländern drängen, auf konkrete Dinge für die anstehenden Schuldenrege- Umweltbewahrung, Armutsbekämpfung und Rechts- lungen z. B. in Vietnam und Honduras vorgeschla- staatlichkeit. gen. Umgekehrt müssen wir als Industrieländer auch Ein weiterer entscheidender Punkt, bei dem wir unsere Rahmenbedingungen für eine bessere Ent- stärker Hilfe leisten könnten, ist der Aufbau einheimi- wicklung in der Dritten Welt — Stichwort Protektio- scher Produktions-, Verteiler-und Wartungskapazi- nismus — ändern und unsere Hilfen für die Entwick- täten für ressourcensparende Energietechnologien lungsländer koordinieren, erhöhen und verbessern. in der Dritten Welt. Wir haben immer wieder festge- Das gilt vor allem für die Schlüsselbereiche Umwelt stellt: Ausschlaggebend für eine größere Akzeptanz und Energie, Armutsbekämpfung, Bildung und Aus-- neuer, sparsamer Energietechnologien in der breiten bildung. Bevölkerung der Dritten Welt ist, daß sie — wenn- gleich mit unserer Hilfe — im Land produziert und Wir müssen hier im Norden unsere umweltpoliti- vermarktet und nicht aus dem Norden importiert schen Hausaufgaben machen. Nichts ist doch in der werden. Politik überzeugender als das gute Beispiel. Je glaub- Unsere Hoffnungsträger sind dabei die Frauen, die würdiger wir auch vor und während des Weltklima- für die Energieversorgung im Haushalt zuständig sind gipfels heuer in Berlin darlegen können, wie ernst wir und ohne deren Engagement viele Projekte zugun- es mit dem Klimaschutz und der Bewahrung der sten eneuerbarer Energien scheitern müssen. Schöpfung im eigenen Lande nehmen, desto größer wird auch die Verantwortung sein, Unabdingbar für einen spürbaren Erfolg ist schließ- lich, daß die deutschen Bemühungen um eine umwelt- (Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schonendere Energiepolitik gegenüber der Dritten NEN]: Wir werden Sie beim Wort neh- Welt auch von anderen Gebernationen und -institutio- men!) nen unterstützt werden. Das gilt für die Europäische die die Entwicklungsländer oder unsere östlichen Union ebenso wie für die Weltbank und die zersplit- Nachbarn für die Zukunft unserer einen und lebens- terten UNO-Organisationen, die sich mit Umwelt- und werten Erde zu übernehmen bereit sind. Energiepolitik befassen. Ich darf an dieser Stelle an unsere entsprechenden Anträge in diesem Hohen Ich bin überzeugt, daß unsere Ministerin Angela Hause erinnern. Merkel in Berlin beweisen wird, daß wir es mit dem Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine Klimaschutz auch in Deutschland ernst meinen. Anmerkung zur Kritik der Opposition an dem Konzept Vielen Dank. der gemeinsamen Umsetzung — „joint implementa- tion" — machen. Ich halte es schon für ideologisch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 812 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat jetzt Vordergründig sind genügend Nahrungsmittel vor- die Kollegin Brigitte Adler (SPD). handen. Nur die Verteilung stimmt nicht. Die Länder im Norden haben mit Überschüssen zu kämpfen, während im Süden durch strukturelle Fehler Hunger Brigitte Adler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- und Armut herrschen. Muß nicht deshalb aus Verant- nen und Kollegen! Mit den Kartoffeln eines Hektars wortung der Norden für den Süden mitproduzieren, Land können elf Menschen mit genügend Eiweiß und und zwar in einer Art und Weise, daß durch eine 17 Menschen mit ausreichenden Kalorien versorgt Intensivlandwirtschaft dann wieder Schäden in Natur werden. und Umwelt auftreten? Ein Teufelskreis für beide, für (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das hat der den Norden und den Süden? Alte Fritz schon gesagt!) Das muß nicht sein. Eine vernünftige, umweltver- Dagegen kann man mit der Viehzucht vergleichs- trägliche Art zu wirtschaften hilft beiden. Der Anteil weise nur zweieinhalb Menschen proteinbezogen der Landwirtschaft an den Schadstoffemissionen von und zwei Menschen mit genügend Kalorien ernäh- 15 % — national und weltweit — könnte eingedämmt ren. werden. Es müßten nicht 987 Millionen t CO2 aus In den Entwicklungsländern verdrängt die Vieh- Brandrodung oder 2 Milliarden t CO2 aus Savannen- wirtschaft heute die Produktion von Grundnahrungs- bränden in die Atmosphäre entweichen. mitteln. So wurde in Mexiko innerhalb von 15 Jahren Die Technikgläubigkeit ist in diesen Tagen durch die Anbaufläche für Bohnen, Mais und Weizen um das schwere Erdbeben in Japan erschüttert worden. 2 Millionen ha eingeschränkt, aber die Fläche für den Man kann nicht auf Dauer gegen die Natur handeln Viehfutteranbau um 1 Million ha ausgeweitet. Der und glauben, die Technik und moderne Technologien Viehbestand stieg in dieser Zeit von 3,9 Millionen auf wie Bio- und Gentechnik würden die Fehlentwicklun- 6,4 Millionen Stück. Die Methangasemissionen z. B. gen schon korrigieren. sind die entsprechende Folge. Als Folge der Erhöhung des Viehbestandes muß der Nahrungsmittelbedarf (Beifall bei der SPD) der Bevölkerung zunehmend mit Importen gedeckt werden. Diese Rechnung geht nicht auf. Wir sollten endlich bereit sein, politische Kurskorrekturen vorzunehmen. Was nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat dies Die Handlungsempfehlungen der Enquete - Kommis- mit der Arbeit der Enquete-Kommission „Schutz der sion bieten gute Vorschläge. Die Fachausschüsse Erdatmosphäre" und ihrem Bericht zu tun? Der müssen und können nun beweisen, daß sie beg riffen Arbeitsauftrag hatte auch die Landwirtschaft einbezo- haben, was auf dem Spiel steht. Kurzatmige und gen. Da aber viele Probleme mit ihrer Fragestellung halbherzige Lösungen können wir nicht mehr hinneh- nicht mehr nur national beschaut werden dürfen, men. haben wir nicht nur den europäischen Markt der Europäischen Union betrachtet, sondern auch die Wir können es uns nicht mehr erlauben, daß Länder des Südens. Getreide als Futter für das Vieh der Reichen miß- Abhängigkeiten in neuer Dimension sind entstan- braucht wird. Es ist als Grundnahrungsmittel für die den: der Raubbau an der Natur, Schuldenproblema- Armen zu wichtig. So muß man wissen, daß eine tik, die zu Agrarprodukten führt, die die Degradation Kalorie des Getreides im Brot in eine Kalorie verwan- der Böden zur Folge haben. Die Verkettungen ließen delt wird. Geht diese Kalorie des Getreides durch den sich beliebig fortsetzen. Zur Verdeutlichung aber Tiermagen, dann benötigt man sieben pflanzliche noch einmal: Immer mehr Agrarflächen werden in den Kalorien, um eine tierische Kalorie — Fleisch, Eier, Entwicklungsländern für die Produktion von devisen- Milch — zu erzeugen. bringenden Agrargütern wie Kaffee, Soja, Maniok Bei der Schweinefleischproduktion ergibt sich ein und anderen gebraucht. Das heißt, um die Schuldzin- Verhältnis von 3 : 1, bei Rindfleisch sogar von 10 :1. In sen und Tilgungsraten bezahlen zu können, muß den Ländern des Nordens, also bei uns, könnten Hartgeld erwirtschaftet werden. Diese Flächen wer- Flächen für das Futtergetreide vermehrt ausgewiesen den aber oft Kleinbauern entzogen, so daß Groß- werden. Damit könnte man die Überschüsse in den grundbesitzer und der Staat Nutznießer dieser Ent- Griff bekommen. In den Ländern des Südens wären wicklung sind. dann Flächen für die Grundnahrungsmittel frei. Die Terms of trade wiederum benachteiligen die Die erwartete Klimaänderung wird die Natur dra- Agrarländer des Südens. Um einen modernen Traktor stisch treffen. Die Länder des Südens werden stärker in den Industrieländern kaufen zu können, müssen benachteiligt sein. Wir im Norden werden ebenfalls immer mehr Bananen und sonstige Substitute abge- betroffen sein, aber nicht so gravierend. geben werden. Der Süden hat somit mehrfach das Nachsehen. Das enthebt uns aber nicht des verantwortlichen Was aber hat das mit dem Klima zu tun? Die UNEP Handelns zur Verhinderung von Schadstoffen. Die hat ermittelt, daß auf ca. 2 Milliarden ha der Boden Bundesregierung muß sich deshalb fragen lassen, was bereits degradiert ist, ja daß sich Wüste gebildet hat. sie bislang getan hat und heute tut, um im eigenen Das sind von ca. 13 Milliarden ha weltweiter eisfreier Land und in der Europäischen Gemeinschaft verant- Landfläche 17 %. Und dieser Prozeß schreitet mächtig wortungsbewußt zu handeln. voran. Die derzeitige Agrarpolitik ist nicht dazu angetan. Die Frage, die sich nun anschließt, lautet: Wird die Die verschiedenen Interessen prallen hart aufeinan- Erde in Zukunft alle Menschen ernähren können? der. Nur wenn es gar nicht mehr geht, kommt es zu Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 813

Brigitte Adler kleineren Kurskorrekturen wie bei der letzten Agrar- rativer Energien, dazu gehört ein Umdenken im reform in der EU. Verkehrsbereich. In der Entwicklungspolitik ist es nicht viel anders, Aber, meine Damen und Herren von der SPD, mir versuchen doch deutsche Agrarchemieunternehmen, bleibt es schon ein Rätsel, wenn Sie ausgerechnet im ihre Absatzrückgänge z. B. durch den Absatz von Zusammenhang mit der Diskussion über die Klima- Pflanzengiften und mineralischem Dünger im Aus- frage immerwährend den Antrag wiederholen, daß land auszugleichen. man nun am besten unmittelbar aus der Kernenergie Positive Ansätze gab es mit der Waldkonvention aussteigen müßte. von Rio und der Einrichtung des GEF, wenngleich (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Gerade dessen finanzielle Ausstattung ungenügend ist. deshalb!) Die Bewährungsprobe beginnt. Die Fachaus- — „Gerade deshalb" ist in diesem Zusammenhang schüsse haben nun Gelegenheit, die Handlungsemp- eine völlig unlogische Verknüpfung. Ich rede ja nicht fehlungen vor dem Hintergrund der Analysen und über Ihre allgemeine Forderung. Aber daß Sie dies als Forschungsberichte zu bewerten. Die zweite Ver- Bestandteil des Planes, die CO2-Emissionen zu redu- tragsstaatenkonferenz steht ebenfalls in der Ver- zieren, hier wieder aufführen, bleibt mir schleierhaft. pflichtung. Es gibt noch eine Chance; nutzen wir sie Das bedeutet erst einmal einen Anstieg von 10 % bei im Interesse von uns allen! den CO2-Emissionen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU — Monika Ganse GRÜNEN und der PDS) forth [SPD]: Das ist nicht wahr!) — Natürlich ist es so. Das Energiesparen kommt trotzdem. Aber es ist so, daß im letzten Jahr z. B. Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat jetzt 150 Millionen t CO2 mehr ausgestoßen worden wären, die Bundesministerin Dr. Angela Merkel. wenn die Kernkraftwerke durch Kraftwerke mit fossi- len Energieträgern ersetzt worden wären. Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Frau Ministerin, Meine Damen und Herren! Die Arbeit der Enquete gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kommission in der 11. und 12. Legislaturperiode zum Müller? Klimaschutz hat das Problembewußtsein national und international beträchtlich sensibilisiert. Ich möchte an Bundesministerin für Umwelt, dieser Stelle all denen, die in dieser Kommission Dr. Angela Merkel, mitgearbeitet haben, ganz herzlich danken. Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich gestatte eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller, (Beifall bei der F.D.P.)

Ich glaube, es ist jetzt deutlich geworden: Die Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Frau Ministerin, globale Dimension des Problems liegt klar auf dem ist Ihnen bekannt, daß alle weltweiten Energieszena- Tisch. Der mitarbeitende Wissenschaftler Graßl hat rien, selbst die, die eine Verzwölffachung beim Bau uns auch ganz deutlich gesagt: Die Bringeschuld der von Atomkraftwerken vorsehen, das globale CO2- Wissenschaft ist erfüllt. Wir können uns als Politiker Problem nicht lösen und daß einzig die beiden welt- nicht mehr herausreden. Oft wird den Wissenschaft- weiten Szenarien, die den Ausstieg vorsehen und lern vorgeworfen, daß sie sich keine Zeit nehmen, ihre damit sozusagen die wirtschaftlichen Kräfte voll auf Erkenntnisse so zu vermitteln, daß wir die notwendi- die Energieeinsparung und die Solarenergie setzen,- gen politischen Folgerungen ziehen können. In die- das Problem lösen können? sem Falle ist das deutlich geschehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, der F.D.P.) Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Müller, Die politischen Vorgaben sind klar, und ich möchte zumindest teile ich das, was Sie sagen, nicht, und zwar deutlich sagen: Die Ergebnisse dieser Enquete-Kom- weil ich glaube, daß in diesen Szenarien Äpfel mit mission fließen direkt und, wenn ich es mit anderen Birnen verglichen werden. politischen Bereichen vergleiche, relativ unmittelbar (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in unser Handeln ein. Ich habe über eine Situation gesprochen, wie wir sie Deshalb möchte ich sagen, daß die Bundesregie- bei uns vorfinden. Mir ist bekannt, daß man das rung deutlich mit Beschlüssen reagiert hat: 25 bis 30 % CO2-Problem durch Kernenergie allein nicht löst. CO2-Minderung, gemessen an dem Niveau von 1987, Kein Mensch sagt bei uns, daß wir allein Kernenergie ist ein ehrgeiziges, aber machbares Ziel, und wir zur Energieerzeugung verwenden wollen. Ich frage stehen zu diesem Ziel. nur — das war meine einzige Frage; ich wollte meine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Rede jetzt nicht auf die Kernenergie konzentrieren —, sowie bei Abgeordneten der PDS — Joseph warum man ausgerechnet im Zusammenhang mit

Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ CO2 - Emissionen den Ausstieg aus der Kernenergie NEN]: Ihr Wort in Kohls Ohr!) fordert. Dies heißt in der Tat, daß wir Schritt für Schritt klare (Beifall bei der CDU/CSU) Maßnahmen ergreifen müssen, die alle Bereiche der Hier sehe ich keinen logischen Zusammenhang; das Politik und unseres Lebens betreffen. Dazu gehört muß ich einfach so sagen. Ich glaube auch nicht, daß Energiesparen, dazu gehört die Entwicklung regene- Sie mich in den nächsten zwei Minuten umstimmen 814 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Bundesministerin Dr. Angela Merkel können. Daß die Szenarien einmal Kernenergie bein- Dazu muß man zwei Dinge sagen. Erstens kann man halten und einmal nicht, hängt sicherlich daran, daß nicht sagen, daß sich die CO2-Emissionen de facto sie von verschiedenen Gruppen gemacht wurden, von überhaupt nicht reduziert haben. Das ist unwahr. Sie denen die eine Gruppe die Kernenergie an sich nicht haben sich in den neuen Bundesländern durch ver- will. Aber ich glaube, wir können das dann anderwei- schiedene Ereignisse gravierend reduziert. Diese tig einmal vertiefen. Ereignisse werden wir in der Folge bis zum Jahre 2005 nicht mehr haben; aber daß wir sie hatten, ist erfreu- lich. Auch daß dabei eine Reduktion von CO2- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Gestatten Sie eine weitere Frage von Herrn Müller? Emissionen herausgekommen ist, ist für mich in wei- ten Teilen erfreulich, weil nämlich in der DDR an Energie gequast und verschwendet wurde, was das Bundesministerin für Umwelt, Dr. Angela Merkel, Zeug hielt. Naturschutz und Reaktorsicherheit: Eine Nachfrage noch. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, so ist es!) Deshalb ist ein wesentlicher Teil der Einsparung Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Teilen Sie die darauf zurückzuführen. Position Ihres heutigen Kollegen, des früheren Vorsit- Zweitens ist ein Teil der Einsparung darauf zurück- zenden der Enquete-Kommission, der gesagt hat, daß zuführen, daß viele Menschen es vorgezogen haben, die entscheidende Problematik beim Klimaschutz in die alten Bundesländer zu gehen. Das wiederum nicht dieser unsinnige Streit ist, ob man auf die hat — neben anderem — dazu geführt, daß die Atomenergie setzen oder zubauen soll, sondern daß Bevölkerungszahl in der alten Bundesrepublik gestie- die wirklich entscheidende Frage ist, ob wir die Kräfte gen ist. Sie müssen zugeben, daß die spezifische für die Energieeinsparung mobilisieren oder nicht? CO2-Emission auch in den alten Bundesländern in den letzten Jahren gesunken ist. Auch das gehört zur Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, Wahrheit, wenn wir uns ernsthaft über diese Dinge Naturschutz und Reaktorsicherheit: Richtig, Herr unterhalten. Müller! Deshalb bin ich so erschüttert. Ich teile diese Position ausdrücklich. Daß Sie es nicht lassen konn- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten, in Ihren Antrag wiederum diese alten Graben- Nun möchte ich meinem Kommentar zu der Schar- kämpfe mit aufzunehmen, genau das ist mein pingschen Presseerklärung nur noch eines hinzufü- Punkt. gen: Wenn hier davon die Rede ist, daß die Chancen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. für den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht er- Uwe Lühr [F.D.P. ] — Michael Müller [Düssel kannt werden und der ökologische Umbau nicht dorf] [SPD]: Es ist genau umgekehrt!) genutzt wird, dann kann ich nur sagen: Auch Ihnen Ich teile diese Auffassung von Herrn Lippold aus- sollte doch bekannt sein, daß wir mit 21 % Anteil an drücklich. der Umwelttechnologie durchaus einen ganz wesent- lichen Beitrag geleistet haben, daß natürlich Umwelt- (Zuruf von der SPD: Nein, Schmidbauer!) schutz heute ein Arbeitsmarktfaktor ist und daß wir — Von Herrn Schmidbauer, gut. Aber das ist ja eine das weiterbetreiben wollen, daß wir die Exportchan- gute Folge von Vorsitzenden. Entschuldigung, daß ich cen nutzen wollen, daß wir ein Umwelttechnologie- mich in der Legislaturpe riode und in der Zeitfolge zentrum in Leipzig gründen werden geirrt habe. (Zustimmung bei der CDU/CSU) - Nun hat es heute zu der Thematik eine Presseerklä- rung des SPD-Vorsitzenden gegeben, zu der ich und daß wir hier einen ganz wichtigen Punkt leider sagen muß, daß sie aus einer Reihe von Allge- sehen. meinplätzen und einer Unwahrheit besteht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, typisch!) Sagen Sie das bitte Ihrem Vorsitzenden, wenn er das Zu den Allgemeinplätzen möchte ich nicht weiter noch nicht wissen sollte. Stellung nehmen. Ich möchte mich aber zu der Nun bereiten wir — hier wird gesagt, das tun wir Unwahrheit äußern. ungenügend — die Klimakonferenz in Berlin vor. Ich Es wird hier behauptet, daß ich einräumen würde, muß Ihnen sagen, daß wir dies mit allen personellen daß mittelfristig die CO2-Emissionen, für die Deutsch- und sonstigen Kräften, die wir haben, intensivst tun. land verantwortlich ist, auf heutigem Niveau bleiben Der Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. oder sogar steigen. Ich möchte hier ganz deutlich zeigt hier heute doch noch einmal, daß die Vorberei- sagen: Ich habe dies nicht eingeräumt, sondern ich tung dieser Konferenz für uns ein Schwerpunkt im habe eine andere Sache zu bedenken gegeben, auf ersten Halbjahr ist. die ich sofort komme. Ich bitte wirklich ganz dringend die Umweltpolitiker der SPD-Fraktion, die heute mehr Wir werden im Hinblick auf diese Konferenz auf oder weniger da sind — im Gegensatz zu anderen , drei Ebenen intensiv weiterarbeiten. Die erste Ebene daß sie weitersagen, daß dies nicht meine Haltung ist, bilden die internationalen Verpflichtungen, die inter- sondern daß ich lediglich davor gewarnt habe, das nationalen Rahmenbedingungen auf dieser Konfe- ehrgeizige Ziel der CO2-Reduktion auf die leichte renz. Schulter zu nehmen, und gesagt habe, daß zwischen Die Bundesregierung ist nach wie vor der Meinung, den Jahren 1995 und 2005 das Einschwenken auf die daß die Konvention durch ein Klimaprotokoll ergänzt richtigen Kurvenverläufe notwendig ist. werden muß. Wir sehen aber zur Zeit, daß es zur Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 815

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Unterzeichnung eines solchen Protokolls auf der Ver- sind, schlicht und einfach nicht zum Ziele geführt tragsstaatenkonferenz in Berlin nach menschlichem haben? Es bestand das ehrgeizige Ziel, einen Proto- Ermessen nicht kommen wird. Das ist nicht die Schuld kollentwurf vorzulegen. Ist er von der Bundesregie- der Bundesregierung — das muß man ganz deutlich rung beschlossen worden oder nicht? Meines Wissens sagen ist er wegen des Widerstands von Wirtschaftsminister (Zuruf von der SPD: Doch!) und Verkehrsminister nicht beschlossen worden. — aber Sie können doch nicht einfach „doch" Wie beurteilen Sie das, was Bundesumweltminister sagen —, sondern das ist die Lage, die wir vorfinden. Töpfer damals letztlich als Restposten vorlegen Ich möchte Ihnen dazu gern sagen, daß wir alles tun konnte, nämlich dieses sogenannte Elemente-Papier werden, um ein klares und deutliches Mandat für vom 29. September 1994 — wirklich ein dürftiges Verhandlungen zu erreichen, daß wir dazu auf euro- Elaborat —, das für die Bundesrepublik Deutschland päischer Ebene Vorbereitungen getroffen haben, daß aus unserer Sicht ja kein Ausweis einer fortschrittli- dies aber nur dann etwas nützt, wenn 80 Länder — und chen Klimapolitik sein könnte? dazu gehören die Annex-I-Länder, das wissen Sie besser als ich, und vor allen Dingen die OECD- Länder — davon überzeugt werden, unserer Richtung Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, zu folgen. Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Hartenstein, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ich fange mit Ihrer letzten Frage an. Ich wäre glücklich Außenpolitik vollzieht sich noch immer so, daß alle und fröhlich, wenn dieses Elemente-Papier der Bun- Länder mit gleicher Stimme sprechen und daß nicht desregierung, das verabschiedet wurde, das Ele- einer sagen kann, was er für die anderen für richtig mente-Papier wäre, mit dem wir in Berlin die Konfe- hält. renz beenden. Ich bitte Sie herzlich, bei allen Gesprächen — z. B. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — bei den Republikanern oder den Demokraten in den Monika Ganseforth [SPD]: Bescheiden sind Vereinigten Staaten — dafür zu werben, daß das, was Sie geworden!) einmal gedacht war, auch Realität wird. Ich werde Wenn Sie mir auf diesem Weg auch nur ein Schritt- dies tun und werde dies mit allen möglichen Mitteln chen helfen oder mir gute Tips geben, wie ich das versuchen. schaffen kann, dann wären wir meiner Meinung nach (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einen Riesenschritt vorangekommen. Die Souveränität der einzelnen Staaten aber können (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und wollen wir nicht antasten. der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Reden wir über uns!) Leider kann ich aber nicht erkennen, daß dies der Fall — Reden wir dann auch über uns. ist. (Zuruf von der SPD: Ja, man darf sich nicht Was die Vorbereitungen von Herrn Töpfer anbe- immer verstecken!) langt, möchte ich Ihnen nur an Hand eines Beispieles sagen, daß sie hervorragend waren. Als ich meine Aber wenn wir über die Klimakonferenz — — erste Sitzung als Präsidentin des Rates der Umweltmi- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie haben uns nister in Brüssel hatte, konnten wir ein Papier zur

doch vorgeworfen, daß wir gar nichts CO2 - Minderung unter den Mitgliedstaaten der Euro- machen! — Gegenrufe von der SPD) päischen Union verabschieden, das zum ersten Mal — Sie werden mir doch, wenn ich hier 13 Minuten deutlich ausgedrückt hat: Nach dem Jahr 2000 — um Redezeit habe, gestatten, daß ich zwei Minuten darauf diese Zeit geht es ja — soll es eine gleichbleibende verwende zu sagen, wie die allgemeine Lage in der oder reduzierte CO2-Emission in der Europäischen Vorbereitung einer UN-Konferenz ist. Union geben. Das ist ein Riesenerfolg. Wir sind froh, daß wir dies erreicht haben, weil wir nun wenigstens (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Chance haben, als Europäische Union mit einem Das ist eine UN-Konferenz und keine nationale Kon- Mandat in diese Konferenz hineinzugehen. ferenz zur CO2-Minderung. Das muß ich Ihnen Was den Ablauf von internationalen Konferenzen sagen. anbelangt: Da hat es sich immer gut gemacht — ich glaube, das können Ihnen die Außenpolitiker Ihrer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Ministerin, Fraktion bestätigen —, daß man nicht nach dem Motto gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin „Ich bin der Klassenbeste" vorrennt, sondern ver- Hartenstein? sucht, in einer gemeinschaftlichen Aktion Schritt für Schritt voranzukommen. Ich jedenfalls werde diese Haltung von meinem Vorgänger übernehmen. Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Walter Hirche [F.D.P.]: Rechthaberei ist zwar deutsch, aber nicht immer erfolgreich!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. Um auch noch auf das Nationale zu kommen: Wir müssen in unserer Betrachtung natürlich weitere Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Frau Ministerin, wür- Schritte gehen. Der interministerielle Arbeitskreis hat den Sie wenigstens einräumen, daß die Vorbereitun- Maßnahmen aufgezählt. Sie nennen das so einfach ein gen, die durch Ihren Vorgänger getroffen worden Elaborat, eine unendliche Aufzählung von irgendwel- 816 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Bundesministerin Dr. Angela Merkel chen Maßnahmen. Es ist nun einmal so, daß sich die keit der Bahn gestärkt werden. Ich vermute einmal, Dinge aus vielen verschiedenen Teilen unseres Sie haben der Privatisierung nicht zugestimmt. Wir Lebens zusammensetzen. Das wissen Sie auch. Ich bin haben die Privatisierung der Bahn deshalb so voran- versucht, etwas scherzhaft zu sagen: Kleinvieh macht getrieben, um sie endlich zu einem wettbewerbsfähi- auch Mist. Es ist eben so, daß auch verschiedene gen Träger zu machen kleine Änderungen unserer Lebensgewohnheiten etwas beitragen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Frau Hartenstein, Sie nehmen den Verkehrswege- plan und sagen, dies sei das letzte, was uns auf diesem und nicht durch jährliche Staatszuschüsse in einem Wege hilft. Es ist zum erstenmal so gewesen, daß der Zustand zu behalten, der für die Kunden immer Bundesverkehrswegeplan mehr Investitionen im Be- unattraktiver wird. Wir können das jedoch nicht reich der Bahn beinhaltet hat als im Bereich der befehlen. Unser Ansatz ist vielmehr, daß wir mit Straße. Das ist eine Umkehr. Wenn Sie dann noch zu marktwirtschaftlichen Mechanismen versuchen, die kritisieren haben, sage ich nur: Die Maßnahmen des Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken. Von daher ist Bundesverkehrswegeplans mußten immer wieder im der Bundesverkehrswegeplan aus meiner Sicht rich- Bundesrat bestätigt werden. Dort gab es Zustimmung. tig. Diese Zustimmung können wir dort zur Zeit bekannt- lich nicht alleine organisieren. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Für das Tramper- Ticket kann der Bundesverkehrswegeplan (Beifall bei der CDU/CSU) nichts!) Also diskutieren Sie das noch einmal mit Ihren Län- derpolitikern. Die haben da ihre eigene Meinung. Abschließend möchte ich sagen: Für mich sind in der 13. Legislaturperiode weitere Maßnahmen zur Umwelt- und Energiepolitik von ganz entscheidender Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Frau Ministerin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeord- Wichtigkeit. Als erstes müssen wir uns einig werden, neten Dr. Wolf? wie die Zukunft der Energiepolitik aussehen soll. Als zweites müssen wir die Ziele aus der Koalitionsverein- barung umsetzen. Ich nenne als Stichwort das Auto, Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, das nur noch fünf Liter je hundert Kilometer brauchen Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja, dies ist dann darf. Sie haben das in Ihrem Antrag aufgenommen. die letzte. (Zuruf von der CDU/CSU: Abgeschrieben!) (PDS): Ich bedanke mich bei der Dr. Winfried Wolf Das freut mich. Man soll die Gemeinsamkeiten ja Frau Ministerin und dem Präsidenten, daß ich als loben. letzter eine Zwischenfrage stellen darf. Sie sagen, daß im Bereich der Verkehrspolitik (Monika Ganseforth [SPD]: Mindestens!) Signale in die richtige Richtung gesetzt worden seien. Ist Ihnen nicht bekannt, daß gerade im Verkehrsbe- — Sicherlich: mindestens. Wir sind technologie- und reich die Signale in die entgegengesetzte Richtung forschungsfreundlich und werden deshalb alle Mög- gehen, daß z. B. der heutigen „Süddeutschen Zei- lichkeiten unterstützen, damit dies noch weiter unter- tung" zu entnehmen ist, daß die Autopreise gesenkt boten wird. werden sollen, daß die Deutsche Bahn AG das Tram- Des weiteren brauchen wir Förderungen bei der per-Ticket jetzt abschaffen wird — das ist vielleicht für energetischen Sanierung im Gebäudebestand. Ich- die jungen Leute auf der Tribüne wichtig — und daß in halte das nach wie vor für wichtig. Auch wenn es hier diesem Jahr zum erstenmal die Gesamttonnage auf Widerstände gibt, müssen wir das ins Auge fassen. der Deutschen Bahn AG mit 70 Milliarden Tonnenki- lometern unter dem liegt, was vor acht Jahren die Ich denke, wir müssen bei der Düngeverordnung Deutsche Reichsbahn und die Deutsche Bundesbahn etwas machen, ebenso bei Energieverbrauchskenn- zusammen hatten, was einen historischen Tiefstand zeichnungen. Wir müssen vor allen Dingen auch im der gesamten Bahn in Deutschland bedeutet: insge- europäischen Rahmen an den Grundlagen für eine samt die Hälfte von dem, was vor sieben Jahren CO2-/Energiesteuer weiterarbeiten. erreicht worden ist? Wie soll das als Signal in die (Beifall bei der F.D.P.) richtige Richtung ausgelegt werden? (Walter Hirche [F.D.P.]: Wenn die Deutsche Aber auch hier zeigt sich, daß es nicht so einfach ist, Reichsbahn den Stahl von Eisenhüttenstadt alle Länder gleichzeitig von einer solchen Maßnahme nach Ilsede und zurück gebracht hat! O Gott, zu überzeugen. Sie werden im Sinne der Pressekon- o Gott!) ferenz Ihres Vorsitzenden sicherlich mit mir einig sein, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland dann am besten erhalten wird, wenn wir uns europaweit, wo Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege, ich wir die Wirtschaftsunion haben, gemeinsam auf ver- habe darüber gesprochen, daß wir Maßnahmen in die nünftige Maßnahmen konzentrieren. richtige Richtung eingeleitet haben. Dazu gehören (Zustimmung bei der F.D.P.) z. B. die Modernisierung des Streckennetzes und der Ausbau der Strecken der Bahn — inzwischen: der Deshalb werde ich weiterarbeiten, um eine solche Bahn AG. Natürlich ist die Zahl, die Sie nennen, keine CO2-/Energiesteuer vernünftig einzuführen. Ich bitte erfreuliche Zahl. Deshalb muß die Wettbewerbsfähig dabei um Ihre Unterstützung. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 817

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Herzlichen Dank. gens in einem Ausmaß, wie ich mir das als Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — neter nicht gefallen lassen würde. Zuruf von der CDU/CSU: Eine sehr gute (Beifall bei der SPD) Rede!) Die gemeinsamen Beratungsergebnisse, der Konsens, der teilweise erreicht wurde, aber auch mancher

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Kompromiß galten nicht mehr viel. Kollege Horst Kubatschka. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Wissen- schaftler leben in Abhängigkeiten. Diese Abhängig- Horst Kubatschka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi- keiten lösen sich anscheinend erst auf, wenn man sein dent! Meine Damen und Herren! Die Enquete-Kom- aktives Arbeitsleben abgeschlossen hat und über mission „Schutz der Erdatmosphäre" des 12. Deut- 80 Jahre alt wird. Danken möchte ich deshalb Herrn schen Bundestages hat ihre Aufgabe nur teilweise Professor Michaelis, der sich bei den Empfehlungen gelöst. Gute Noten verdienen wir dort, wo es uns der Minderheitenvoten der Stimme enthalten hat. geglückt ist, gemeinsam zu einem Ergebnis zu kom- Heute wurde ja schon mancher Dank abgestattet. men. Kein gemeinsames Ergebnis bedeutet eine Ich möchte an dieser Stelle den Naturschutzverbän- schlechte Note. Der fehlende Konsens mindert das den dafür danken, daß sie uns zugearbeitet und uns Ergebnis der langjährigen Beratungen — sieben auch geistig herausgefordert haben. Ich glaube, das Jahre — ganz eindeutig. sollte hier auch einmal gesagt werden. Kein Konsens war möglich bei den Empfehlungen für den Energieteil und den Verkehrsteil, als es galt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten meine Damen und Herren, an Besitzstände zu gehen, der PDS) sie in Frage zu stellen und Neuland zu betreten. Kurz möchte ich mich mit der Kernenergie ausein- (Monika Ganseforth [SPD]: Genau!) andersetzen. Hier war ja schon die Rede davon. Für die Kernenergielobby ist der Treibhauseffekt ein Herr Lippold, jetzt noch ein persönliches Wort an Hoffnungszeichen. Sie hofft, daß die Angst vor der Sie, das nicht in meinem Manuskript steht: Ihr Verhal- Klimakatastrophe größer wird als die Angst vor einem ten heute hat mir eigentlich bewiesen, daß Ihre öfter neuen Tschernobyl. stattfindenden parteipolitischen Ausrutscher die Ar- beit der Klima-Enquete nicht gefördert haben. Ich So deutlich ist das zwar im Endbericht nicht gesagt sage das hier ganz vorsichtig. Ich glaube, da hätten wir worden, aber immerhin heißt es — ich zitiere —: manches — — Mit dem gegenwärtigen Beitrag der Kernenergie (Birgit Homburger [F.D.P.]: Unverschämt!) zur Stromerzeugung ist ihr Treibhausminde- — Frau Kollegin, Sie waren nicht dabei. Sie können rungspotential noch nicht erschöpft, wie ein Blick das nicht beurteilen. Ich habe das ganz vorsichtig nach Frankreich zeigt. gesagt — bloß zum Nachdenken. Das heißt: Die Koalitionsfraktionen setzen auf Kern- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich energie zur Überwindung des Treibhauseffektes. mit dem Energieteil des Abschlußberichts auseinan- Dazu aber einige ernüchternde Zahlen: Die welt- dersetzen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- weit betriebenen 422 Kernkraftwerke erzeugen ca. kraten versuchten bis zum Schluß, eine gemeinsame 5 % des Primärenergiebedarfs — fünf lumpige Pro- Empfehlung für diesen wichtigen Teil zu erreichen. zent. Selbst im atomenergiefreundlichen Frankreich, Wir haben es wirklich offengelassen. Es gab keine einem Paradies für die Atomlobby, werden nur 13 %- Möglichkeit, zu einem Konsens zu kommen. Das war der Primärenergie durch die Kernenergie erzeugt. leider nicht möglich, weil die Koalitionsfraktionen keine gemeinsamen Empfehlungen wollten. (Walter Hirche [F.D.P.]: Sie müssen doch auf Strom abstellen!) Dies lag vermutlich an den verschiedenen Auffas- sungen über die Arbeit der Kommission. Wir wollten — Nein, man darf nicht nur vom Strom reden, sondern Empfehlungen geben, die weit in die Zukunft weisen. muß schon von der Primärenergie ausgehen. Visionen waren gefragt — Lösungen, Denkanstöße, Wollen Sie das Modell Frankreich weltweit als die über den Tag hinaus, ja in das nächste Jahrtausend Lösungsmöglichkeit empfehlen? Will man im Jahre weisen. 2050 die Hälfte der Weltenergie mit Kernenergie (Beifall bei der SPD) abdecken, müßten mindestens 8 000 neue Atomkraft- Die Koalitionsfraktionen schienen eher an einen kurz- werke in einer Größenordnung von jeweils 1 200 MW fristigen Wahlkampf zu denken. errichtet werden. Meine Damen und Herren, die Zusammenarbeit mit (Jörg Tauss [SPD]: Ein Horrorszenario!) den Wissenschaftlern von der Koalitionsseite wies Halten Sie das wirklich für einen guten Weg in die Licht und Schatten auf. Bei der Analyse waren wir uns Zukunft? alle einig. Wir waren uns auch einig beim Beschreiben der grundlegenden Zielsetzungen einer deutschen Deswegen müssen wir, bezogen auf die Stromer- Klimaschutzpolitik. zeugung — davon rede ich jetzt —, einen anderen Weg gehen. Ich zitiere aus dem Schlußbericht: Als es dann aber zu den Empfehlungen — sozusa- gen zum Eingemachten — kam, war das Verhalten Maximale technische Stromeffizienz und Kraft einiger Wissenschaftler für mich enttäuschend. Sie Wärme-Koppelungstechniken für Gas und Kohle wurden in die Pflicht der Koalition genommen; übri sind die kurz- und mittelfristig entscheidenden 818 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Horst Kubatschka Übergangstechnologien für eine langfristig wei Spitzengruppe befinden. Deshalb brauchen wir eine tergehende regenerative Stromerzeugung. Reform der energiewirtschaftlichen Rahmenbedin- Die Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt gungen. Wir brauchen vor allem ein Energiegesetz, nicht in der Kernenergie, sondern in Photovoltaik, das Energieeinsparung und Effizienzsteigerung zur Wind, Wasser, Biomasse. ersten Priorität macht. Dies schafft eine Technik, die weltweit erforderlich ist. Wenn wir diese Schritte nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gehen, gehen andere Industrienationen voran. Dann Und noch ein Hinweis: Bei den Ländern, die aus der verlieren wir wichtige Exportmärkte, und das bedeu- Kernenergie ausgestiegen sind — es gibt ja in Europa tet die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Länder, die vorangehen —, ist der Anteil der er- Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß: Wäh- neuerbaren Energien bedeutend höher, dort ge- rend der Beratungen der Klima-Enquete-Kommission schieht etwas. Die Kernenergie blockiert nämlich haben wir uns durch viele tausend Seiten gekämpft. nur. Gutachten für Millionenbeträge wurden vergeben. Diese Debatte darf kein Abschluß sein; das Ergebnis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dürfen nicht zwei „Bonn-Stunden" sein. Es darf aber des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch nicht sein, daß wir unseren Enkeln sagen müs- Zu einem weiteren Teilaspekt der erneuerbaren sen: Wir haben es gewußt, aber wir haben nicht Energien: Die Windenergie hat den Durchbruch gehandelt. geschafft. Vor wenigen Jahren wäre das noch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ undenkbar gewesen, hätte man eine solche Vorstel- DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Köhne lung in das Land der Illusionen verwiesen. Betrachten [PDS]) wir die Photovoltaik. Für viele, die mit dem spitzen Stift einseitig — ich betone: einseitig — rechnen, wird Wenn alle Erkenntnisse gebunden in Buchform mit der Photovoltaik ebenfalls das Land der Illusionen vorliegen, werden das zwischen 50 und 100 cm sein, betreten. Auch beim Wind war das vor Jahren noch eine wahre Zierde für eine jede Buchschrankwand. so. Wer in die Seiten dieses Bücherwurmes greift, wird einen Schatz heben, voller Anregungen, voller In den 50er Jahren wurden die Weichen bei uns Belege, voller Denkanstöße. Wir müssen diesen falsch gestellt, die Kernenergie erhielt grünes Licht. Schatz zum Wohle aller heben. In die Kernenergie wurden Milliardenbeträge ge- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. steckt. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ GRÜNEN und der PDS) NEN]: Werden sie doch immer noch! Das ist doch das Schlimme!)

Wären diese Milliardenbeträge in die verschiedenen Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat jetzt Nutzungen der Sonnenenergie geflossen, wäre der der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert Lam- Durchbruch bei diesen sanften Energien ermöglicht mert. worden. Manches Problem wäre uns erspart geblie- ben. Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Photovoltaikanlagen können zur Zeit nur in einem Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine kleinen Sektor wirtschaftlich sein. Das gilt nicht nur lieben Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluß dieser- für die Armbanduhr, das gilt auch bereits bei Insel- heutigen Debatte zum Energiebericht der Enquete- lösungen mit Anlagen bis zu 10 kW Leistung. Wir Kommission möchte ich mich auf den Hinweis werden auf diesem Gebiet weitere Fortschritte errei- beschränken, daß eine umweltverträgliche, ressour- chen, wenn wir wollen. Bisher galt bei der Photovol- censchonende Energieversorgung — wenn sie nicht taik ein theoretischer Wirkungsgrad von maximal nur in Szenarien stattfinden soll — immer auch im 30 %. Inzwischen geht man von einer theoretischen Kontext der anderen energiepolitischen Ziele wie Obergrenze von 43 % aus. Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit zu (Walter Hirche [F.D.P.]: Sehr gut!) sehen ist, Im Labor haben wir einen Wirkungsgrad von 23,5 % (Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!) erreicht — ein Weltrekord. wobei eine stärkere Ausrichtung der Energiepolitik auf klimapolitische Ziele allerdings, nicht zuletzt aus Wir haben das Thema „Photovoltaik" im Bericht Vorsorgegründen, dringlich erforderlich ist. sehr nüchtern abgehandelt, eigentlich bar jeder Vision. Deswegen möchte ich eine Vision nennen. Sie Gestützt auf die mehrjährige, verdienstvolle Arbeit erscheint, so muß ich zugeben, auch mir utopisch. In dieser Enquete-Kommission, der ich an dieser Stelle Japan läuft das Projekt „Genesis" an. Damit soll ausdrücklich meinen Respekt zollen möchte, erreicht werden, daß bis zum Jahre 2030 die Hälfte der (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND- Weltstromproduktion aus Photozellen erfolgt. NIS 90/DIE GRÜNEN): Na immerhin!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Zukunft haben die Vertreter der Koalition mit dem Energiebe- müssen wir die Energiefragen klimaverträglich lösen, richt zum Ende der vergangenen Legislaturperiode und zwar weltweit. Die Industrienationen müssen einen Katalog von Handlungsempfehlungen für eine aber vorangehen. Wenn wir den Anspruch eines klimaökologisch verantwortbare Energiepolitik vor- High-Tech-Landes erheben, müssen wir uns in der gelegt, der richtigerweise die Einheit von Klima- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 819

Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert schutz, Energieversorgung und marktwirtschaftli- — Wenn, verehrter Herr Kollege Fischer, die GRÜ- chem Ordnungsrahmen betont. NEN ihre regelmäßigen allgemeinen öffentlichen Erklärungen, wie dringlich eine Neuorientierung der (Beifall bei der CDU/CSU) Energiepolitik und der Klimapolitik sei, im Konkreten Nach den Darlegungen der Umweltministerin brau- mit der Ankündigung verbinden, sie stünden für che ich die Klimaschutzstrategie und die umwelt- Gespräche über einen solchen Energiekonsens von schutzpolitischen Positionen der Bundesregierung vornherein nicht zur Verfügung, wenn das von Ihnen nicht zu wiederholen. Ich will mich deswegen auf den angestrebte Ziel des Kernenergieausstiegs nicht zur Hinweis beschränken, daß der mit den Einzelmaßnah- Voraussetzung dieser Gespräche gemacht wird, dann men entstehende Anpassungs- und Umstrukturie- wissen Sie natürlich ganz genau, daß unter solchen rungsprozeß, der völlig außerhalb jeden Zweifels Bedingungen, die alle Gesprächspartner für sich steht, nicht zu Konsequenzen für die Wirtschaft führen reklamieren könnten, ein solches Gespräch über- darf, die auf der einen Seite die Durchsetzung dieser haupt nicht zustande kommt. Überlegungen gefährden oder die, wenn dies gleich- wohl erfolgte, auf der anderen Seite am Ende unter (Zuruf von der CDU/CSU: Unverantwort- dem Gesichtspunkt der klimapolitischen Zielsetzun- lich!) gen kontraproduktiv ausfallen könnten. Damit begründen Sie Zweifel daran, ob Ihnen neben Klimaschutzpolitik muß auch wirtschaftsverträglich dem rhetorischen Wirbel wirklich an konkreten Fort- organisiert sein, schritten bei genau den Themen gelegen ist, die Sie heute und bei anderer Gelegenheit immer wieder (Zustimmung bei der CDU/CSU) gerne vortragen. und zwar nicht nur langfristig mit dem fundamentalen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — und natürlich hoffnungslos richtigen Hinweis, daß, Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] ganz prinzipiell betrachtet, eine Klimaschutzpolitik [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) immer auch im volkswirtschaftlichen Interesse und immer auch im unternehmerischen Interesse liegt. Wenn diese Debatte, verehrter Herr Kollege Man fördert die Umwelt ganz sicher nicht, wenn man Fischer, bei allen unterschiedlichen Einschätzungen ökonomische Voraussetzungen und Zusammenhänge und Akzenten, die es naturgemäß auf der einen und nicht zur Kenntnis nimmt. der anderen Seite gibt und vermutlich auch noch für (Zustimmung bei der F.D.P.) eine beträchtliche Weile geben wird, in irgendeinem Aspekt einen breiten Konsens zutage gefördert hat, Die ökologische Schlußbilanz der DDR, meine lieben dann doch den, daß wir eine neue und möglichst breite Kolleginnen und Kollegen, war noch erhellender als Verständigung darüber brauchen, welche Instru- die amüsanten Ausführungen des Kollegen Köhne mente zur Verstärkung der rationalen Energienut- über die kapitalistische Produktionsweise. zung in Zukunft zur Verfügung stehen müssen und können, eine neue Verständigung darüber, ob über- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ haupt, in welchem Umfang und unter welchen Bedin- DIE GRÜNEN]: Damit können Sie nicht ein gungen wir die heimischen Stein- und Braunkohle- mal in Schalke Präsident werden!) vorhaben für eine mittel- und langfristig orientierte Eine rein national ausgerichtete Klimaschutzpolitik, Energiepolitik weiter einsetzen können und müssen, die die Bedingungen des Wirtschaftsstandortes Bun- eine neue Verständigung über die Betriebs- wie auch desrepublik Deutschland nicht hinreichend berück- die Planungssicherheit für die weitere Nutzung der- sichtigt, kann weder unter ökonomischen noch unter Kernenergie, bei deren Produktion kein CO2, jeden- ökologischen Gesichtspunkten die Ziele erreichen, falls wesentlich weniger, freigesetzt wird. Uns mit der die in dieser Debatte weitgehend unstreitig gewesen Ankündigung einer ausstiegsorientierten Energie- sind. Das heißt, wir brauchen unter jedem vernünfti- politik konfrontieren ist ein Indiz dafür, daß man die gen Gesichtspunkt nationale Anstrengungen — das ist Zusammenhänge weder ökonomisch noch ökologisch wahr —, die wir mit einer internationalen Perspektive sorgfältig durchdacht hat. und dem hartnäckigen Bemühen um belastbare inter- nationale Vereinbarungen verbinden müssen. Genau Meine Damen und Herren, in diese Debatte ist darum werden wir uns weiter bemühen. hinreichend häufig der internationale Zusammen- hang einbezogen worden. Dies muß ich zum Schluß Wir brauchen in der Energiepolitik in genau der nicht wiederholen; es bedarf auch keiner besonderen gleichen Weise wie im Bereich der Klimaschutzvor- Unterstreichung. sorge langfristige Weichenstellungen, gerade auch deswegen, weil das eine mit dem anderen offensicht- Ich will aber auf eine Bemerkung zurückkommen, lich eng zusammenhängt. Deshalb will die Bundesre- Frau Kollegin Hartenstein, die so etwas wie das Motto gierung im Interesse der Zukunftssicherung des Wirt- Ihres Beitrages zu diesem Thema in der heutigen schaftsstandortes Deutschland und im Interesse von Debatte war: Wir wissen fast alles, und wir tun fast konkreten Fortschritten in den hier heute diskutierten nichts! Fragen die Ende 1993 abgebrochenen Gespräche (Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!) über einen Konsens in energiepolitischen Fragen so schnell wie möglich wieder aufnehmen. Frau Kollegin Hartenstein, ich denke, daß wir weder fast alles wissen noch fast nichts tun. Die Realität ist (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ meist viel komplizierter als die besonders eingängi- DIE GRÜNEN]: Ha, ha, ha!) gen Spruchweisheiten. Energiepolitik ist so etwas wie 820 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert derweisung Balanceakt auf einer Kugel: Wenn man das an den Ausschuß für Fremdenverkehr vor. Gleichgewicht nicht hält, dann stürzt man ab. Gibt es Bedenken? (Rolf Köhne [PDS]: So ist das!) (Dr. Peter Struck [SPD]: Nein!) Die Bundesregierung wird weiterhin aktiv für eine Energiepolitik eintreten, die die Prinzipien des Klima- — Keine Bedenken. und des Umweltschutzes mit den zwingenden wirt- Die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD schaftspolitischen Aspekten in einer überzeugenden auf Drucksache 13/242 und der Fraktion BÜND- Weise verbindet und nicht den hoffnungslosen Ver- NIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/260 sollen such unternimmt, das eine gegen das andere auszu- an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der spielen. Bericht der Enquete-Kommission. Sind Sie auch damit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind am Schluß der Tagesordnung. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Wortmel- dungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Ausspra- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- che. destages auf Mittwoch, den 25. Januar, 13 Uhr ein. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. auf den Drucksachen 12/8600 und 13/232 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse — ich Die Sitzung ist geschlossen. glaube, es sind sieben — vorgeschlagen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlägt zudem die Über (Schluß der Sitzung: 13.34 Uhr)

- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995 821*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort

entschuldigt bis des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fragen Abgeordnete(r) einschließlich des Abgeordneten Hans - Joachim Fuchtel (CDU/ CSU) (Drucksache 13/213 Fragen 53 und 54): Austermann, Die trich CDU/CSU 20. 01. 95 20. 01. 95 Wie viele Saisonarbeitskräfte in welchen Bereichen waren Barthel, Klaus SPD 1994 in Deutschland tätig? Beucher, Friedhelm SPD 20. 01. 95 Julius Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung, wie ange- Borchert, Jochen CDU/CSU 20. 01. 95 sichts der Arbeitslosigkeit für diese Tätigkeit im Lande lebende Arbeitslose gewonnen werden können? Braun (Auerbach), Rudolf CDU/CSU 20. 01. 95 Braune, Tilo SPD 20. 01. 95 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 20. 01. 95 Großmann, Achim SPD 20. 01. 95 Über die Zahl der als Saisonarbeitskräfte in Deutschland Beschäftigten liegen keine Angaben Haack (Extertal), SPD 20. 01. 95 Karl-Hermann vor. Häfner, Gerald BÜNDNIS 20. 01. 95 Bei der Erfassung der sozialversicherungspflichtig 90/DIE Beschäftigten werden Saisonarbeitnehmer nicht ge- GRÜNEN sondert ausgewiesen. Ein Merkmal „saisonabhängige Hartenbach, Alfred SPD 20. 01. 95 Beschäftigung" in der Statistik ließe sich auch nicht 20. 01. 95 Dr. Hauchler, Ingomar SPD hinreichend scharf von anderen befristeten Beschäfti- Dr. Hendricks, Barbara SPD 20. 01. 95 gungsverhältnissen trennen. Wenig aussagefähig für Heym, Stefan PDS 20. 01. 95 die Beantwortung Ihrer Frage wären auch Gesamt- Hilsberg, Stephan SPD 20. 01. 95 zahlen über die Beschäftigten in Wirtschaftszweigen Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 20. 01. 95 mit typischen jahreszeitlichen Aktivitätsschwankun- Dr. Jacob, Willibald PDS 20. 01. 95 gen. In der Regel handelt es sich auch hier - wie etwa Kanther, Manfred CDU/CSU 20. 01. 95 im Falle der Landwirtschaft oder des Hotel- und Knoche, Monika BÜNDNIS 20. 01. 95 Gaststättengewerbes - um Bereiche, in denen es 90/DIE neben saisonabhängiger Beschäftigung auch konti- GRÜNEN nuierlich Arbeitende gibt. Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 20. 01. 95 Angelika 90/DIE Schließlich sind Beschäftigungen versicherungs- GRÜNEN frei, wenn sie nach ihrer Eigenart auf längstens zwei Kraus, Rudolf CDU/CSU 20. 01. 95 Monate begrenzt sind, was für eine Vielzahl von Lehn, Waltraud SPD 20. 01. 95 Saisonbeschäftigungen typisch ist. Dr. Leonhard, Elke SPD 20. 01. 95 Dr. Maleuda, Günther PDS 20. 01. 95 Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt: In Johannes Abstimmung mit dem Bundesministerium für Arbeit Matthäus-Maier, Ingrid SPD 20. 01. 95 und Sozialordnung hat die Bundesanstalt für Arbeit im Odendahl, Doris SPD 20. 01. 95 Zusammenhang mit der gesetzlich notwendigen Arbeitsmarktprüfung vor Zulassung osteuropäischer Ostertag, Adolf SPD 20. 01. 95 Saisonarbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Arbeitserlaubnis- Dr. Pfaff, Martin SPD 20. 01. 95 verordnung den Arbeitsämtern mit Erlaß vom 17. Mai SPD 20. 01. 95 Dr. Scheer, Hermann 1993 eine Reihe von Hinweisen und Anregeungen zur Schindler, Norbert CDU/CSU 20. 01. 95 stärkeren Gewinnung inländischer Arbeitsuchender, Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 20. 01. 95 - auch durch berufsübergreifende und überregionale 90/DIE Bewerbergewinnung - gegeben. Nach Erfahrungs- GRÜNEN berichten der Arbeitsämter haben die entsprechen- Schmidt-Zadel, Regina SPD 20. 01. 95 den Aktivitäten zu einer erweiterten Inanspruch- Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 20. 01. 95 nahme der Arbeitsvermittlung und auch - mit Ein- 90/DIE schränkungen für den Bereich der Landwirtschaft - GRÜNEN zu beachtenswerten Vermittlungserfolgen inländi- Schumann, Ilse SPD 20. 01. 95 scher Arbeitsuchender geführt. Um die Vermittlung in Seibel, Wilfried CDU/CSU 20. 01. 95 niedriger entlohnte Beschäftigungen einschließlich Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 20. 01. 95 der saisonalen Beschäftigungen weiter zu verstärken, Vergin, Siegfried SPD 20. 01. 95 beabsichtigt die Bundesregierung, die Voraussetzun- Wallow, Hans SPD 20. 01. 95 gen dafür zu schaffen, daß Arbeitslosenhilfe gezielt Weisskirchen (Wiesloch), SPD 20. 01. 95 und zeitlich befristet in pauschalierter Form für die Gert Zeit der Beschäftigung weiter gewährt werden Welt, Jochen SPD 20. 01. 95 kann. 822* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Januar 1995

Anlage 3 Mit der Tschechischen Republik wurde im Juli Antwort letzten Jahres eine erste Sachverständigenrunde über den Abschluß eines Abkommens über soziale Sicher- des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Frage heit geführt. des Abgeordneten Simon Wittmann (Tännesberg) Dabei konnte grundsätzliches Einvernehmen er- (CDU/CSU) (Drucksache 13/213 Frage 55): zielt werden, daß ein solches Abkommen die Bereiche Wie weit sind die Verhandlungen um ein Sozialversicherungs- abkommen mit der Tschechischen Republik, und worin liegen der Renten-, Unfall- und möglichst auch der Kranken- die Schwierigkeiten für ein solches Abkommen? versicherung erfassen soll. Die Sachverständigengespräche werden Ende Ja- Die mit der ehemaligen Tschechoslowakei im Jahre nuar in Prag fortgesetzt. Ein weiterer Gesprächster- 1991 begonnenen Gespräche im Bereich der sozialen min ist für Mai dieses Jahres in Aussicht genom- Sicherheit konnten zunächst wegen des Trennungs- men. prozesses der ehemaligen Tschechoslowakei weder Die Bundesregierung ist wegen der engen nachbar- mit dieser noch mit der Tschechischen Republik schaftlichen Beziehungen zur Tschechischen Repu- weitergeführt werden. Erst im Juli des vergangenen blik daran interessiert, möglichst bald zu einem Jahres konnte eine erste Runde der Sachverständi- Abschluß eines Sozialversicherungsabkommens zu gengespräche über ein Abkommen über soziale gelangen. Wegen der Komplexität der zu behandeln- Sicherheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland den Fragen wird mit einer Verhandlungsdauer von und der Tschechischen Republik durchgeführt wer- etwa zwei Jahren zu rechnen sein. den. Die Bundesregierung ist wegen der intensiven nachbarlichen Beziehungen am Abschluß eines umfassenden Sozialversicherungsabkommens inter- Anlage 5 essiert, um den sozialen Schutz der Arbeitnehmer und Amtliche Mitteilungen Versicherten bei Aufenthalt im anderen Staat sicher- zustellen. Ein weiterer Gesprächstermin ist für Mai Der Bundesrat hat in seiner 678. Sitzung am 16. Dezember 1994 diesen Jahres in Aussicht genommen. beschlossen, der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1992 (Jahres- Da im Rahmen eines Abkommens über soziale rechnung 1992) aufgrund der Bemerkungen des Bundesrechnungsho- Sicherheit u. a. die beiderseitigen Sozialversiche- fes Entlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und § 114 der rungssysteme koordiniert werden, wird die Verhand- Bundeshaushaltsordnung zu erteilen. lungsdauer entscheidend durch den Fortgang der Der Bundesrat hat mit Schreiben vom 10. Januar 1995 mitgeteilt, daß Umstrukturierungen im Bereich der sozialen Sicher- er zum Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 13. Januar heit in der Tschechischen Republik beeinflußt. Wei- 1993 über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des terhin ist von Bedeutung, ob und in welcher Weise die Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher mit der Einbeziehung der Krankenversicherung ver- Waffen (Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen — CWÜAG) (Bundesratsdrucksache 649/94) (Neu) folgenden Beschluß bundenen Fragen zufriedenstellend geregelt werden gefaßt hat: können. In diesem Zusammenhang spielt insbeson- dere die Erstattung der Kosten für die medizinische Der Bundesrat hat in seiner 672. Sitzung am 8. Juli 1994 beschlossen, Betreuung der sich im anderen Vertragsstaat vorüber- dem vom Deutschen Bundestag am 26. Mai 1994 verabschiedeten gehend aufhaltenden Versicherten eine Rolle. Gesetz gemäß Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes zuzustimmen. (Siehe dazu Amtliche Mitteilung im Stenographischen Bericht der 242. Sitzung vom 7. September 1994, Seite 21537, Anlage 3 Nr. 8).

Anlage 4 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen Antwort bzw. von einer Beratung abgesehen hat: des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Frage Innenausschuß des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksa- Drucksache 12/210 Nrn. 26 bis 28 che 13/213 Frage 56): Ausschuß für Wirtschaft Wie ist der Stand der Verhandlungen zum Abschluß eines Drucksache 12/4947 Nr. 3.5 bilateralen Sozialversicherungsabkommens mit der Tschechi- Drucksache 12/4833 Nr. 2.2 schen Republik, und bis wann kann mit ersten konkreten Ergebnissen gerechnet werden, nachdem die Bundesregierung Ausschuß far wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- am 2. März 1994 mitgeteilt hat, daß ein Gesprächstermin lung vereinbart werden würde? Drucksache 12/8537 Nr. 78