Wolf Hobohm

GEORG PHILIPP TELEMANN UND SEINE SCHÜLER

Als Telemann 1721 nach Hamburg gerufen wurde, war er als Komponist und Kapellmei- ster bereits weithin bekannt. Seine Erfolge an der Oper, die aufsehenerregenden Er- eignisse um die Neubesetzung des Thomaskantorats, die steigende Zahl seiner Veröf- fentlichungen - darunter einige mit pädagogischer Zielstellung - ließen seinen Ruhm noch ansteigen. Zu jener Zeit verbreitete sich der "Telemannische Geschmack", wie ihn Johann Wilhelm Hertel 1 nannte, durch Deutschland. Der Ruf Telemanns veranlaßte wiederholt junge Musiker, sich nach Hamburg zu bege- ben, um sich bei ihm in ihrem Fache zu vervollkommnen. Dieser Faktor sollte bei der Betrachtung einiger sich in Deutschland verbreitenden Stileigentümlichkeiten beachtet werden. Natürlich übten das reiche Musikleben Hamburgs sowie die beiden anderenMei- ster in den Mauern der Stadt, Keiser und Mattheson, eine zusätzliche Anziehungskraft aus. Telemann, im Besitz einer umfassenden Bildung, gepaart mit geistiger Regsam- keit und verständnisvoller Aufgeschlossenheit für die musikalischen Ereignisse seiner Zeit, muß außerordentlich faszinierend auf junge Menschen gewirkt haben. Noch 1773 rechnete ihn der Johanneumsschüler Johann Joachim Eschenburg, Professor und Shake- speare-Übersetzer in Braunschweig, im Vorwort seiner in Hamburg erschienenen Aus- gabe der "Auserlesenen Gedichte" Daniel Schiebelers zu denjenigen Männern, "die es für keine Herablassung hielten, den Abstand der Jahre zu vergessen, und, als Greise oder Männer, vertrauliche Freunde des Jünglings zu werden. Daher seine (Schiebelers, d. V.) freundschaftliche Verbindung mit dem unvergeßlichen Capellmeister Telemann, dessen lebhafter Witz und jovialische Laune ihm so, wie seine Kunst, in dem höchsten menschlichen Lebensalter, noch immer treu blieben." 2 Die bisher ermittelten Schüler Telemanns sind Jacob Wilhelm Lustig (der nachmalige Organist und Übersetzer in Groningen), Johann Hövet (Organist in Groden bei Cuxhaven), Christoph Nichelmann, Johann Christoph Schmügel, Kaspar Daniel Krohn (Organist in Hamburg) und sein Enkel Georg Michael Telemann, der aber in diesem Zusammenhang nicht weiter behandelt werden soll. Mit Sicherheit sind dieser Reihe noch Johann Jere- mias du Grain in Danzig, möglicherweise auch Johann Gottfried Müthel 3, der Hambur- ger Syndikus Jacob Schuback und Friedrich Hartmann Graf hinzuzufügen. Ungewiß, je- doch denkbar ist, daß die im "Album Johannei" (Matrikel des Johanneums zu Hamburg) erwähnten späteren Organisten Johann Peter Classen, Johann Henrich Oberdörfer, Jo- hann Gottfried Rist und der spätere Musikdirektor Christian Ludewig Stopp Kompositions- schüler Telemanns waren. 4 Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß es mehr waren. Trotzdem wird die Gesamtzahl sicher geringer bleiben als etwa die derjenigen Bachs, dessen überragende Bedeutung als Lehrer auch Telemann bereits sah und aner- kannte. 5 Was erwarteten nun diese Schüler von Telemann? Mit Sicherheit keinen Instrumental- unterricht. Bei ihm ging es in erster Linie um das kompositorische Handwerk, das tiefe Eindringen in theoretische Probleme und vor allem um die Beschäftigung mit Stil- fragen in zeitüblicher Verbindung mit der vielseitigen täglichen Praxis. Ganz im Sinne Johann Adolph Scheibes, von dem ja bekannt ist, daß manche seiner Gedankengänge auf Unterhaltungen mit Telemann zurückzuführen sind 6, wird Telemann der Ansicht gewe- sen sein, "daß ein geschickter Director ein practische Wissenschaft von der Musik be- sitzen soll ••. ". 7 Darauf deuten auch die Quellen hin. Jacob Wilhelm Lustig berichtet in seiner Selbstbiographie in Marpurgs "Kritischen Brie- fen über die Tonkunst" 8 von seinem Unterricht bei Mattheson und Telemann. Aus seinen

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Worten geht hervor, daß die Unterweisung bei Mattheson mehr theoretische Probleme berührte, während Telemann praktische Hinweise gab. Von Christoph Nichelmann, der unter den Augen Johann Sebastian Bachs Klavierunterricht bei Wilhelm Friedemann hatte, berichtet Marpurg: "Nachdem er drey Jahre lang mit diesen Übungen zugebracht hatte, begunte sich ein Trieb, die theatralische Musik näher kennen zu lernen, bey ihm zu äussern. Nun war die musikalische Schaubtihne zu Leipzig schon seit langer Zeit verschlossen. Er entschloß sich also .•• nach Hamburg zu gehen, um so wohl durch Anhörung guter Opern, als durch mündlichen Unterricht geschickter theatralischer Set- zer, diesem Triebe genugsam Nahrung verschaffen zu können. 11 9 Seine Übungen, die er bei Keiser, Telemann und Mattheson absolvierte, sollen einige Jahre gedauert ha- ben, jedoch läßt die etwas schematische Darstellung durch Marpurg keine Rückschlüsse auf den Unterrichtsgang zu, wenn er schreibt: "Der erste lehrte ihn besonders das na- turliche Wesen in der theatralischen Musik überhaupt kennen, der zweyte machte ihm den Unterschied der französischen und der welschen Musikart fühlbar, und der dritte gab ihm, insbesondere in dem Recitativstyl, Unterricht. 111° Falls Nichelmann wirklich bei allen genannten "damals daselbst befindlichen dreyen Capellmeistern" Unterweisun- gen genoß - es kann mit Eitner 11 bezweifelt werden, daß er auch bei Kaiser war - , so werden sie sich nicht nur mit den von Marpurg genannten Fragen beschäftigt haben. Ihm selbst ging es also um die Vervollkommnung im theatralischen Stil. Aus dieser Sicht konnte er die Wahl seiner Lehrer und des Ortes nicht besser treffen. Für seinen Schüler Kaspar Daniel Krohn - er starb 1801 als Organist an der Petri- und der Johanniskirche in Hamburg 12 - stellte Telemann anläßlich einer Bewerbung in Lü- neburg das Zeugnis aus, daß er durch seine "3jährige Unterweisung im Componieren, eine besondere Fähigkeit erlanget, und hiernächst, ausser der Bekandschaft mit ver- schiedenen Instrumenten, sich durchs Orgelspielen ein vorzügliches Lob erworben" ha- be. l3 Krohn wird Telemann verschiedentlich zur Hand gegangen sein, wobei sowohl an die öffentlichen Konzerte als auch an den Dienst auf der Empore gedacht werden mag. Hierin berührt sich Telemann mit , der manchen seiner Schüler, z. B. Altnikol, in ähnlicher Weise beschäftigte, Auch zeigt sich hier wieder die ihm selbstverständliche Verbindung von Theorie und praktischer Betätigung. So ist es auch bei dem späteren Elbinger bzw. Danziger Organiste11 Johann Jeremias du Grain. Wir finden ihn 17 30 bei der Hamburger Jubelfeier der Augsburgischen Konfession unter den "Singenden". 14 Alle Anzeichen sprechen dafür, daß es sich bei ihm um einen Schüler unseres Meisters handelt. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Über den Unter- richt bei ihrem Lehrer hat sich keiner der Schüler geäußert. Das ist bedauerlich. Der Weg, den Telemann einschlug, läßt sich jedoch indirekt rekonstruieren. In seiner Selbst- biographie berichtet Johann Abraham Peter Schulz l5 von seinen Studien bei Johann Christoph Schmügel, den Telemann in einem leider nicht erhaltenen Brief 16 als einen der "besten Discipeln", die er "jemals im Komponieren informieret" hätte, bezeichnete. Schulz schreibt: "Dieser Mann, ein Schüler Tellemann' s, hatte eine vortreffliche Me- thode des Unterrichts und war ~ehr gewandt in allen Künsten des Satzes, aber, wie sein Lehrer, nicht Bachisch-correct. Er führte mich unvermerkt vom Leichten zum Schwe- ren, bis zum fugirten Choralpunkt, und war ein ebenso braver Componist, als fertiger Orgelspieler; dabei ein edler, feiner Mann, und vorzüglich ein unermüdlicher, gründli- cher Lehrer. Dieser eröffnete mir über die Musik, als wissenschaftliche Kunst, mit einem Male die Augen ••. " Schmügel stand damals gewiß noch unter dem Eindruck sei- ner eigenen Lehrjahre bei Telemann, wie er ja auch noch immer enge Beziehungen zu Hamburg unterhielt. So etwa mag nun auch Telemanns Unterweisung gewesen sein, die der Methode Bachs, wie sie Forke! überlieferte 17, weitgehend entsprach. Am Beginn standen Generalbaß-

261 übungen in der Art seines Lehrbuches und des "Fast allgemeinen Evangelisch-musica- lischen Lieder-Buchs", in dem er diesen Lehrweg skizziert. Sie waren auch schrift- lich auszuführen. Später waren aus der Fantasie niedergeschriebene Bässe zu bezif- fern und vierstimmig auszusetzen, denen die "freyere Composition, die sich nicht ans Clavier bindet", folgte. 18 Am Ende standen Kontrapunkt und Fuge. Der Stoff wuchs "unvermerkt" in stetig ansteigendem Schwierigkeitsgrad. Die Protokolle der Organi- stenproben in Lüneburg 1754 und Hamburg 1759 - die Lüneburger bestand Schmügel mit Glanz - zeigen deutlich, bis zu welchen beachtlichen Fertigkeiten - auch im Extempo- rieren - es der strebsame und begabte Schiller bei Telemann bringen konnte. 19 Natürlich war Telemann dabei nicht "Bachisch-correct" ! Obwohl er den Kontrapunkt be- herrschte, anwandte und auch von seinen Schülern verlangte, bewegten ihn beispielswei- se um etwa 1745 andere Fragen und Probleme. So sagt er im "Vorbericht" seines Kan- tatenjahrganges "Musicalisches Lob Gottes in der Gemeine des Herrn" von 1744, er sei zwar entschlossen gewesen, "hier eingangs von dreyerlei Sachen zu handeln, die in ge- genwärtiges Werk einen Einfluß haben; als: 1.) Von der musicalisch-theatralischen Schreibahrt in Kirchenstücken, und von derjenigen, die man für andächtig ausgiebt; 2.) Von der Deutschen Recitativ-Sprache in Welschen Melodien; 3.) Von der gewöhnlich- und ungewöhnlichen Dissonanzien vielfach zu verändernden Begleitung und sonderbaren Auflösungen", aus Platzgründen müsse er jedoch darauf verzichten. Es sind also Fra- gen der Sprachmelodie im Rezitativ und solche der Harmonik, um die sein Denken krei- ste. Sie begegnen ständig in seinen Schriften und Briefen - ich erinnere nur an die be- kannte Korrespondenz mit -; sie sind es, die neben anderem zu- kunftsträchtig in seinem Werk waren, und auch in seinem Unterricht werden sie vor- zugsweise behandelt worden sein. Welche anregenden Diskussionen mögen hier geführt worden sein! Wir sind über sie aus anderen Quellen unterrichtet. Das bemerkenswer- teste Erlebnis des Schweriner Hofkapellmeisters Johann Wilhelm Hertel (eines Enkel- schülers Bachs) während seines Aufenthalts 1765 in Hamburg war (neben dem Besuch bei dem musikbegeisterten Syndikus Jacob Schuback - übrigens Telemanns Schüler am Johanneum, vielleicht auch, wie bereits gesagt, in der Komposition) die Bekanntschaft mit dem "ehrwürdigen Alten" Telemann. Ich zitiere aus seiner Autobiographie: "Auch fand er noch den Herrn Capellmeister Telemann, einen alten intimen Freund seines Va- ters am Leben und freute sich um so mehr seiner Bekanntschaft, als solcher einen an- sehnlichen Platz unter den grösten Componisten verdienet. Dieser alte Noten-Held führte ihn bey seinem ersten Besuch so tief in eine Unterredung über die Theorie der Composition, daß er endlich Vermuthen mußte, er wolle ihn auf die Zähne fühlen, dagegen aber erlaubte er sich auch seiner Seits das Gespräch auf den jetzt verfeinerten Geschmack zu lenken." 20 Von dergleichen Unterredungen wußten Mattheson und Scheibe gleichfalls zu berichten. 21 Sucht man nun in Leben und Werk der Schiller Telemanns nach Spuren seines Einflusses, so wird man sie in unterschiedlichen Graden finden. Da die Schüler verschiedenen Ge- nerationen angehören, ist dies auch nicht anders zu erwarten. Sie erhielten bei ihrem Lehrer ihr kompositorisches Rüstzeug und manche Anregungen, was nicht bedeutete, daß sie seinen Stil kopierten. Doch lassen sich im Gedankengut und in den Kompositio- nen dieser Männer mitunter deutliche Anklänge an Telemann bemerken. Einige Andeutungen mögen dies belegen: Gewiß ist z.B. Jacob Wilhelm Lustig keine kompositorische Begabung zuzusprechen. Seine Verdienste liegen auf musikschriftstellerischem Gebiet. Doch läßt es aufhorchen, daß er Sinfonien und Charaktersuiten mit typisch Telemannschen programmatischen Überschriften schrieb, die leider nicht erhalten sind. 22 In seinen theoretischen Wer- ken erwähnt er Telemann wiederholt, namentlich im Zusammenhang mit dem polnischen

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und französischen Stil. Ersteren habe erst Telemann (Lustig folgt darin Scheibe) "in een helder licht gesteld". 23 Für seinen "geschickten und würdigen Schtiler" Johann Hövet, so besagt eine Hamburger Pressenotiz, setzte sich Telemann ein, indem er des- sen "Musikalische Probe eines Concerts vors Clavier" herausgab. 24 Diese Komposi- tion war mir nicht erreichbar; sie scheint nicht erhalten zu sein. Nichelmanns Stellung innerhalb der Berliner Schule braucht hier nicht umrissen zu werden. 25 Daß er in sei- nen Werken und in seinem Buch "Die Melodie nach ihrem Wesen sowohl, als nach ihren Eigenschaften" in einen gewissen Gegensatz zu seinen Berliner Komponistenkollegen trat, wird eine der Ursachen in seinem Studiengang haben. Wie bei ihm und den anderen Berlinern, so hat die Liedkunst Johann Christoph Schmügels eine ihrer Grundlagen in Telemanns Liedern und Oden und in den ästhetischen Anschauungen des Hamburger Krei- ses. Während hierin seine Bedeutung feststeht, wurden seine Instrumentalmusik und die Kantaten noch nicht ausreichend gewürdigt. Die wenigen Bemerkungen Karstädts in MGG 26 - er bezeichnet ihn hier als einen "empfindsamen und geschickten Musiker" - lassen auf eine maßgebende Stellung in der Telemann-Nachfolge schließen. Schmügels Einfluß auf Johann Abraham Peter Schulz sollte nicht unterschätzt werden; auf seine Lehrzeit bei Telemann scheint er ihn mit Nachdruck hingewiesen zu haben. Kaspar Da- niel Krohn gehörte zum Bekanntenkreis Carl Philipp Emanuel Bachs in Hamburg. Es ist also nicht verwunderlich, daß man in seinen (Philipp Emanuel nach dessen Tode gewid- meten) Klaviersonaten 27 von 1789 auch dessen Stilmittel bemerkt. Reizvoll ist eine die- ser Sonaten durch die Verwendung des BACH-Motivs, einige harmonische Ktihnheiten fallen auf. Ein beachtliches Talent ist Krohn nicht abzusprechen, während Ernst Ludwig Gerber bemerkt, "daß er kein Fremdling im Kontrapunkt und in der kanonischn Schreib- art ist". 28 Eine Sonderstellung nimmt Johann Jeremias du Grain ein. 29 Eine direkte Schülerschaft ist bei ihm nicht nachweisbar, wird aber schon von Müller-Blattau vermutet. Nach sei- nem Aufenthalt 1730 in Hamburg ist "dieser in seinem Metier geschickte Mensch" 1732 in Elbing, wird dort 1737 Hilforganist und 1739 Organist in Danzig. In beiden Orten setz- te kurz nach seinem Amtsantritt eine intensive Telemann-Pflege ein. Er gründete in Danzig die ersten öffentlichen Konzerte und führte darin nicht nur eigene und Werke von Telemann auf, sondern setzte sich auch für Händel ein. Über seine erhaltenen Kantaten sind Rauschning 29 und Müller-Blattau 29 des Lobes voll. Rauschning bezeichnet sie als "edle und im tieferen Sinne geistige Kompositionen ••. , in denen sich die edle Klar- heit Glucks anmeldet". Müller-Blattau sieht ihn als "an Telemann geschulten Komponi- sten von besonderer Tiefe" an. Bemerkenswerterweise sind sowohl in seiner "Matthäus- passion" 1737 als auch in Telemanns gleichnamiger Passion 1730 die Chöre zweistim- mig. In jenem Jahre befand sich ja du Grain nachweislich in Hamburg. Diese Beobach- tungen lassen die Annahme gerechtfertigt erscheinen, daß es sich bei ihm um einen Te- lemann-Schüler handelt. Wie du Grain, so konnte Friedrich Hartmann Graf seine Hamburger Erfahrungen bei der Gründung öffentlicher Konzerte in Augsburg verwenden. Ob er dem Schtilerkreis hinzu- zuzählen ist, wie es durch Ernst Fritz Schmid 30 geschieht, kann erst nach Durchsicht und Prüfung seiner Kompositionen entschieden werden. Jacob Schuback endlich steht mit seiner Schrift "Von der musicalischen Declamation" ganz auf dem Boden der An- schauungen Telemanns. Auf ihn beruft er sich als den "grossen Verfechter der musica- lischen Declamation". 3l Zum Schluß möchte ich noch einmal auf die musikpädagogischen Schriften Telemanns verweisen. Sie bieten uns eine Fülle interessanten Materials und wichtiger Hinweise. In ihnen stellt sich uns kein geschlossener Lehrgang der Komposition dar. Einen sol- chen wollte Telemaun, "dieser wahre, dieser gründliche Tonlehrer und große Compo-

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nist", wie ihn Scheibe 32 nannte, mit seinem 1744 angekündigten "Musikalischen Prak- tikus" 33 schaffen, der jedoch leider nicht erschienen ist. Diese Übersicht über Tele- manns Schüler mag anregen, sich einmal mit der Geschichte, Verbreitung und Bedeu- tung des "Telemannischen Geschmacks" auseinanderzusetzen. Auch die genannten Schü- ler haben hierin eine Rolle gespielt. Das demnächst erscheinende Telemann-Werke- Verzeichnis wird dabei die willkommene Grundlage sein. Halten wir das Bild Telemanns als Lehrer fest, der neben seinen Amtsgeschäften und kompositorischen Aufgaben und neben seinen Pflichten als Johanneumskantor Komposi- tionsunterricht erteilte und auch hiermit auf die Stilwandlung seiner Zeit einwirkte.

Anmerkungen

1 J. W. Hertel, Autobiographie, hrsg. v. E. Schenk, Graz-Köln 1957, S.50. 2 Daniel Schiebeler' s Auserlesene Gedichte, hrsg. v. J. J. Eschenburg, Hamburg 1773, Vorwort, S.XVII. 3 Aus der Biographie Müthels ist nicht zu erkennen, ob er den Besuch bei Telemann 1750 auch zu Studien benutzte. Übrigens waren MUthels Vater und Telemann mit- einander befreundet. 4 Album Johannei, hrsg. v. W. Puttfarken, Teil II, Schülerverzeichnis 1732-1802, Hamburg 1933, Nr.1131, 5181, 5863, 7033. Auch Krohn war Schüler des Johan- neums (Nr. 3835). 5 Vgl. Telemanns Sonett auf Bach, in: F. W. Marpurg, Historisch-Kritische Beyträ- ge zur Aufnahme der Musik, Bd. I, 1754/55, S.561. 6 Vgl. M. Ruhnke, Telemann im Schatten von Bach?, in: Hans Albrecht in memo- riam, hrsg. v. W. Brennecke u. H. Haase, Kassel 1962, S.143ff. 7 J. A. Scheibe, Critischer Musicus, Leipzig 21745, S. 712. 8 F. W. Marpurg, Kritische Briefe über die Tonkunst, Bd. II, Berlin 1763, S.470f.; vgl. E. Reeser, Art. Lustig, in: MGG, Bd. VIII, Sp. 1332ff.; J. du Saar, Het leven ende werken van Jacob Wilhelm Lustig, Amsterdam 1948, S. 29. 9 Marpurg, Hist. -Krit. Beytr., a. a. O., S. 433f. 10 Marpurg, a.a.O. 11 Vgl. EitnerQ, Bd. VII, S. 192. 12 Vgl. GerberNTL, Bd. III, Sp. 131; EitnerQ, Bd. V, S. 456. 13 ZeugnisTelemannsv. 27.2.1766(StadtarchivLüneburg, Sign. E lb56Vol. If. 7). Für seinen freundlichen Hinweis auf dieses Schreiben habe ich Herrn Dr. Hans Große, Magdeburg, herzlich zu danken. 14 M. Schneider, Einleitung zu DDT XXVIII, Leipzig 1907, S. XXXVII. 15 C. v. Ledebur, Tonkünstler-Lexicon Berlin' s, Berlin 1861; S. 529. 16 Vgl. 0. Rieß, J. A. P. Schulz' Leben, in: SIMG XV, 1913/14, S.176; weiterhin freundliche Auskunft v. Herrn Dr. Hans Große, Magdeburg. 17 J. N. Forke!, Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke, hrsg. v. W. Vetter, Berlin 1966, S. 71ff. 18 Vgl. Telemanns "Unterricht" im "Fast allgemeinen Evangelisch-musikalischen Liederbuch", 11730, S.183ff. 19 Vgl. O. Rieß, a.a.O., S.176, Anm.5;M. Schneider, a.a.o., S. XLIV. Beider Hamburger Organistenprobe 1759 wurden weder SchmUgel noch Krohn, der sich gleichfalls bewarb, angenommen. 20 J. W. Hertel, a.a.O., S.54. 21 M. Schneider, a. a. O., S. XLVII; J. A. Scheibe, Über die Musicalische Compo-

264 sition, 1. Teil: Die Theorie der Melodie und Harmonie, Leipzig 1773, Vowort (vgl. M. Ruhnke, a. a.O., S.149). 22 J. du Saar, a. a. O., S. 65. 23 J. W. Lustig, Inleiding tot de Muzykkunde, Groningen 1751, S. 303f. 24 W. Menke, Das Vokalwerk G. Ph. Telemanns, Kassel 1942, Anh. A, S. 27 (Hamb. Corresp. 1741, Nr. 117 v. 26.7.1741). - Johann Hövet wurde um 1715 in Bützfleth (?), Krs. Stade, geboren und wurde wohl 17 36 Organist an der Kirche St. Abundus in Groden im hamburgischen AmtRitzebüttel. Er starb 1799 (begr. 1. 8. 1799). Sein Sohn Johann Georg folgte ihm im Amt. (Freundliche Auskunft des Staatsarchivs Hamburg und des Archivs der Ev. -Luth. Kirche im Hamburgischen Staate.) 25 Th. -M. Langner, Art. Nichelmann, in: MGG, Bd. 1X, Sp. 1441ff.; Nichelmanns Buch erschien Danzig 1755. 26 Vgl. G. Karstädt, Art. Schmügel, in: MGG, Bd. XII, Sp. 1884f. 27 Sechs periodische Clavier-Sonaten (dem Andenken C. Ph. E. Bachs gewidmet), Hamburg und Leipzig 1789. 28 Gerber NTL, a. a. 0. 29 Vgl. H. Gerigk, Musikgeschichte der Stadt Elbing, Teil I: Bis zum Ausgang der polnischen Zeit, in: Elbinger Jb., hrsg. v. B. Ehrlich, H. 8, Elbing 1929, S. 41f.; H. Rauschning, Geschichte der Musik und Musikpflege in Danzig, Danzig 1931, S. 327, 348, 354, 358ff.; J. Müller-Blattau, Geschichte der Musik in Ost- und West- preußen, Königsberg 1931, S. 87ff. 30 E. F. Schmid, Art. Augsburg, in: MGG, Bd. I, Sp. 837; A. Scharnagl/H. Haase, Art. Graf, in: MGG, Bd. V, Sp. 669f. 31 Anonym (Jacob Schuback), Von der Musicalischen Declamation, Göttingen 1775, S.24f. 32 Scheibe, ÜberdieMusicalischeComposition ... , zit. v. M.Ruhnke, a. a. 0., S. 149. 33 Seinen "Musikalischen Praktikus" kündigte Telemann im "Vorbericht" des Kanta- tenjahrganges "Musicalisches Lob Gottes in der Gemeine des Herrn", Nürnberg 1744, an. Ein Hinweis findet sich auch in der dem Lichtensteger-Portrait beigege- benen Biographie.

Werner Neumann

ZUR FRAGE INSTRUMENTALER GESTALTUNGSPRINZIPIEN IN BACHS VOKALWERK

Das organische Mit- und Nebeneinander vokaler und instrumentaler Ausformungen im Werkschaffen Bachs hat die Frage nach dem Verhältnis von Vokalität und Instrumenta- lität des Bachsehen Kompositionsstils zu einer Schlüsselfrage der Bachästhetik werden lassen, durch deren Beantwortung auch den benachbarten Problemkreisen "geistlich - weltlich", "Wort - Ton", "Parodie - Urbild" Erkenntnisgewinn zufließt. Gewisse Eigenheiten der Bachsehen Werkgestaltung, wie die Verpflanzung instrumental- gewachsener Formtypen in den Vokalbereich und umgekehrt, haben der Bachforschung schon längst Anlaß zur Erörterung werkstilistischer und formengeschichtlicher zusam- menhänge gegeben, die auch unsern Problemkreis beleuchten. Die ältere Bachliteratur hatte sich im wesentlichen damit begnügt, die Frage "instru- mental - vokal" an die äußere Erscheinungsform der Melodiegestalten heranzutragen und diesen, je nach dem angelegten Maßstab und den zufällig herausgegriffenen Beleg- fällen, vokalen oder instrumentalen Charakter zu- oder abgesprochen. 265