3/2020 Heft ISSN 0940-4163 Militärgeschichte im Bild: Brigadegeneral Roth und NVA-Oberst Engelhardt lassen sich 1987 in ein Manöver einweisen. Deutsch-deutsche Manöverbeobachtungen Die BERCON-Pläne Einmal West-Berlin und zurück Die verhandelte Einheit 1989/90

ZMS Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Impressum Inhalt

Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Vom Schwinden des Misstrauens Herausgegeben Deutsch-deutsche Manöver- 4 vom Zentrum für Militärgeschichte und beobachtungen 1987 1989 Sozialwissenschaften der Bundeswehr ‑ durch Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann und Oberst Dr. Frank Hagemann (V.i.S.d.P.) Oberstleutnant a.D. Dr. Karl-Heinz Lutz, geb. 1959 in Hechingen, ehemals Historiker am ZMSBw Verantwortliche Redakteure der aktuellen Ausgabe: Helene Heldt M.A. Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann

Redaktion: Cornelia Grosse M.A. (cg) Oberleutnant Helene Heldt M.A. (hh) Major Chris Helmecke M.A. (ch) »Attack along the autobahn« Fregattenkapitän Dr. Christian Jentzsch (cj) NATO-Pläne im Kalten Krieg zum Schutz 10 Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) West-Berlins Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann (ks) Bildredaktion: Esther Geiger Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Karten: Dipl.-Ing. Bernd Nogli Einmal West-Berlin und zurück Layout: Carola Klinke Die ungewöhnliche Fahnenflucht eines 14 Offiziers der DDR-Grenztruppen Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann, Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam Wissenschaftlicher Mitarbeiter im E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@ Forschungsbereich Militärgeschichte bundeswehr.org nach 1945 am ZMSBw, Potsdam Homepage: www.zmsbw.de Manuskripte für die Militärgeschichte werden an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt ein- gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der He- rausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung usw. Die Honorarabrechnung er- folgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redak­ tion behält sich Änderungen von Beiträgen vor. Die Wiedergabe in Druckwerken oder Neuen Medien, auch auszugsweise, anderweitige Ver- »Deutschland, einig Vaterland« vielfältigung sowie Übersetzung sind nur nach Die verhandelte Einheit 1989/90 18 vorheriger schriftlicher Zustimmung erlaubt. Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die Inhalte von in dieser Zeitschrift genannten Dr. Tim Geiger, geb. 1972 in Esslingen a.N., Webseiten und deren Unterseiten. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein Preis für Zeitgeschichte München-Berlin, von 14,00 Euro inklusive Versandkosten (inner- Abteilung im Auswärtigen Amt halb Deutschlands). Die Hefte erscheinen in der Regel jeweils zum Ende eines Quartals. Die Kün- digungsfrist beträgt sechs Wochen zum Ende des Bezugszeitraumes. Ihre Bestellung richten Sie Service bitte an: Das historische Stichwort: Druckhaus Plagge GmbH Armee der Einheit 22 An der Feuerwache 7, 49716 Meppen, E-Mail: [email protected] Neue Medien 24 © 2020 für alle Beiträge beim Lesetipps 26 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Die historische Quelle 28 Druck: Geschichte kompakt 29 Druckhaus Plagge GmbH, Meppen Ausstellungen 30 ISSN 0940-4163 Grußwort Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der 3. Oktober 1990 ist für mich persön- Militärgeschichte lich ein besonderer Tag. An diesem Tag im Bild befand ich mich auf dem französischen Kommandolehrgang. Herbstzeit ist Manöverzeit 31 Dort tranken wir aus Anlass der Einheit Deutschlands zusam- men mit unseren französischen Kame- raden guten Feder- weißen. Französische und deutsche Soldaten begingen gemeinsam die deutsche Einheit; welch glückliche Fügung und welch ein Unterschied zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Zuge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71! Da die gegenwärtigen Umstände im Zeichen der Covid-19-Pandemie nicht unbedingt zum Feiern einladen und dies auch nicht zulassen, betrübt mich der nüchterne Charakter des diesjährigen 30. Jubiläums der deutschen Einheit. Historisch betrachtet ist der 3. Oktober 1990 ein Freudentag in der wechsel- vollen Geschichte unserer Nation im 20. Jahrhundert. Diese war durch viele Im September 1987 fand in Niedersachsen das Brüche und den tiefen Abgrund der Jahre 1933 bis 1945 geprägt: zwei Welt- NATO-Großmanöver »Certain Strike« statt. kriege, das Scheitern der Demokratie von Weimar, die brutale NS-Diktatur Oberst Lothar Engelhardt (M.) von der Nationa- mit Rassenwahn und staatlich organisiertem Völkermord, die sozialistische len Volksarmee der DDR und Brigadegeneral Diktatur der DDR, ihrerseits unmittelbar verbunden mit der deutschen Tei- Georg-Heinrich Roth von der Bundeswehr lassen lung und schließlich die geglückte Demokratie der »Bonner Republik«, die sich in die Lage einweisen. gerade wegen der geteilten Nation immer noch etwas Unfertiges darstellte. Foto: picture alliance/Wolfgang Weihs Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 hatte sich zwar das deutsche Volk, wie die damalige Präambel des Grundgesetzes lautete, »im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen«, eine freiheitliche Verfassung gegeben. Jedoch erst mit dem 3. Oktober 1990 wurde diese Verfassung tatsächlich für alle Deutschen poli- tisch lebendige Realität. Die Herstellung der deutschen Einheit erforderte einen langen Atem. Für viele junge Menschen ist sie heute eine Selbstverständlichkeit, der mühevolle Weg dorthin kaum greifbar. Für mich grenzt sie noch immer an ein Wunder. Gleichwohl ist sie Menschenwerk; und sie gelang ohne Krieg und Gewalt so- wie in Einklang mit der Völkergemeinschaft. Diese Ausgabe der Militärge- schichte beleuchtet die damalige politische Konstellation, vermittelt, dass die Einheit Deutschlands und Europas auch hätte scheitern können, und be- schreibt die Bundeswehr auf ihrem Weg zur »Armee der Einheit«. Für die Angehörigen der Bundeswehr lässt sich nur folgern, weiterhin ak- tiv für die Einheit in Freiheit einzutreten. All dies spiegelt sich auch in den Grundsätzen der Inneren Führung wider. Darin heißt es: »Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erfüllen Ihren Auftrag, wenn Sie aus innerer Überzeugung für Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gleich- heit, Solidarität und Demokratie als die leitenden Werte unseres Staates ak- tiv eintreten.« Lassen Sie uns dies gemeinsam leben.

Mit bestem Gruß

André Bodemann Generalmajor und Kommandeur Zentrum Innere Führung Manöverbeobachtungen

picture alliance/Wolfgang Weihs

5Internationale Beobachtergruppe in Hannover am 14. September 1987 (v.l.n.r): Oberstleutnant Egon Ramms (Bundesrepublik Deutschland), Oberst Alexander Kostin (UdSSR), General William Roche (USA), Oberst Lothar Engelhardt (DDR), Brigadegeneral Georg-Heinrich Roth (Bundesrepublik Deutschland), Oberst Wladimir Kuklin (UdSSR) und Oberst Günter Lehmann (DDR). Im September 1987 fand in Niedersachsen das NATO-Großmanöver »Certain Strike« statt. Vom Schwinden des Misstrauens Deutsch-deutsche Manöverbeobachtungen 1987‑1989

Der Zweite Weltkrieg konnte 1945 nicht er Warschauer Pakt lud im März ropa« (KSZE) ab November 1972 in durch einen Friedensvertrag beendet wer­ 1969 mit dem »Budapester Ap- Helsinki statt. An ihr nahmen die den. Deshalb blieb die Deutsche Frage Teil Dpell« zu Verhandlungen über 15 NATO-Staaten, die sieben Staaten des Kalten Krieges, jener Systemauseinan­ vertrauensbildende Maßnahmen zwi- der Warschauer Vertragsorganisation dersetzung zwischen den Supermächten schen den Streitkräften ein. Nachdem sowie 13 neutrale und nicht-paktge- USA und Sowjetunion, deren Kennzeichen die Sowjetunion den NATO-Forderun- bundene europäische Staaten teil. Das ein tief empfundenes Misstrauen gegen­ gen nach Einbeziehung der USA und multinationale Forum sollte den Dia- über dem jeweils anderen Lager war. In den Kanadas sowie dem Abschluss eines log und die Verhandlungen zwischen 1970er und 1980er Jahren auf gesamteuro­ Viermächteabkommens für Berlin zu- Ost und West fördern. Der Westen päischen Konferenzen vereinbarte Inspek­ gestimmt und die Bundesrepublik richtete sein Hauptaugenmerk auf die tionen der gegnerischen Streitkräfte und Deutschland die Ostverträge geschlos- Garantie der Menschenrechte im Os­ Manöverbeobachtungen sollten auch einen sen hatte, fand die »Konferenz für Si- ten; dem Osten ging es vorrangig um Beitrag zur Vertrauensbildung leisten. cherheit und Zusammenarbeit in Eu- die Unveränderlichkeit der Grenzen.

4 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Helsinki und Stockholm zuladen; das Gleiche galt für Manöver Deutschland von innerdeutschen Be- mit amphibischen Landungen oder ziehungen. Die Bundesrepublik wus- Die auch Helsinki-Prozess genannte Fallschirmlandungen ab einer Perso- ste, dass der Schlüssel zur Deutschen Konferenz brachte eine Einigung auf nalstärke von 5000 Soldaten. Jeder Un- Einheit in Moskau lag. Und so war erste vertrauensbildende Maßnahmen. terzeichnerstaat hatte jährlich bis zu zwar der sowjetische Militärattaché seit Sie waren nach der Schlussakte von drei kurzfristig angesetzte Inspektio- der Schlussakte von Helsinki zu NATO- 1975 aber nicht verpflichtend, sodass nen zur Verifikation vor Ort zu tolerie- Manövern eingeladen, nicht aber ein ihre Umsetzung stark von der politi- ren. Es war den Staaten freigestellt da- Offizier der DDR. schen Großwetterlage abhing. Die rüber zu entscheiden, welchen Das Stockholmer Abkommen galt ab »Konferenz über Vertrauens- und Si- Personenkreis sie als Beobachter ent- Jahresbeginn 1987 und setzte auch im cherheitsbildende Maßnahmen und sandten. Da es sich um außenpolitische deutsch-deutschen Umgang zwischen Abrüstung in Europa« (KVAE), die ab Maßnahmen handelte, lag die Zustän- den Militärs neue Maßstäbe – auch Januar 1984 in Stockholm begann und digkeit beim Außenministerium, das deswegen, weil die Länder, auf deren Europa vom Atlantik bis zum Ural be- dann in Abstimmung mit dem Vertei- Territorium die Manöver stattfanden, traf, sollte Abhilfe schaffen. digungsministerium auf die Sachkom- für die Durchführung der Beobachtun- Bald nach dem Regierungsantritt Mi- petenz der Soldaten zugriff. gen verantwortlich zeichneten. So wa- chail S. Gorbatschows kam neuer Solange die Festlegungen von 1975 ren diese Treffen auch ein kleiner Bau- Schwung in die Gespräche. Nach Jahren­ galten, verschickten für die Bundes­ stein der Entspannungspolitik. Die des Misstrauens brachte das Stockhol- republik Deutschland das Auswärtige Beobachtungen und Inspektionen wer- mer Abkommen vom 19. September Amt die entsprechenden Noten an die tete der Westen auch als Lackmustest, 1986 handfeste Ergebnisse. An Stelle in Bonn akkreditierten Botschafter und wie ernst es Gorbatschow mit seiner der Empfehlungen der Schlussakte­ tra- das Bundeskanzleramt an die Ständige neuen Außenpolitik war. ten nun verbindliche Regelungen. Als Vertretung der DDR. Die Eingeladenen Aufgrund des Stockholmer Abkom- Ziel blieb, einen Überraschungsangriff konnten aus dem Kreis des akkreditier- mens konnten die Staaten frei entschei- aus einer Manöversituation heraus ten Botschaftspersonals ihre Beobachter den, wen sie als Beobachter entsand- rechtzeitig zu erkennen. Alle mili­ benennen; im Regelfall also die Mili- ten; zudem galt für diese Personen das tärischen Aktivitäten mit einer Min- tärattachés. Da die Ständige Vertretung Wiener Übereinkommen über diplo- deststärke von 13 000 Soldaten waren der DDR in Bonn über keinen Militär­ matische Beziehungen von 1961. Da- anzukündigen; entsprechende Jahres- attaché verfügte, konnte sie keinen mit genossen auch NVA-Offiziere di- übersichten mussten bis zum 15. No- mili­tärischen Beobachter entsenden. plomatische Immunität. Ansonsten vember für das Folgejahr ausgetauscht Während die DDR gleichberechtigte setzten sie sich beim Betreten der Bun- sein. Zu Manövern mit mindestens deutsch-deutsche Beziehungen einfor- desrepublik womöglich der Strafver- 17 000 Soldaten waren Beobachter ein- derte, sprach die Bundesrepublik folgung aus, sofern sie sich nach den akg-images

W ährend des KSZE-Gipfels (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Helsinki stimmen 35 Staaten Europas und Nordamerikas der Charta zu. Auf dem Bild (v.l.n.r.) Helmut Schmidt (Bundesrepublik Deutschland), Erich Honecker (DDR), Gerald Ford (USA) und Bruno Kreisky (Österreich) bei der Unterzeichnung des Dokuments.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 5 Manöverbeobachtungen

Unter den Augen von 37 KSZE-Be­ obachtern, darunter zwei Offizieren der Bundeswehr, fuhr die Gruppe sow-

Klaus Mehner jetischer Streitkräfte in Deutschland (GSSD) in der DDR auf dem Truppen- übungsplatz Heidenhof ein Manöver

ullstein bild / gepanzerter Verbände mit Luftunter- stützung. Erstmals waren west­liche Medien zugelassen. Auf dem Foto: Ge- neralmajor Peter Herrich (NVA) beim Verlassen des Verpflegungszelts.

heitspartei Deutschlands (SED); für sie galt die Parteilinie, die deutschlandpo- litisch von der Zwei-Staaten-Theorie ausging und in der Bundesrepublik wegen deren Alleinvertretungsan- spruchs und dem Vereinigungsgebot eine Bedrohung sah. Inwiefern die Par- teivorgaben zur persönlichen Richt- schnur wurden, war individuell ver- schieden. Aber gerade bei den Manöverbeobachtern und den Betreu- Erkenntnissen der Zentralen Erfas- und Verifikation zuständig. Herrichs ern ausländischer Offiziere achteten sungsstelle der Landesjustizverwal- Strukturelement gliederte sich in die das Ministerium für Staatssicherheit tungen in Salzgitter Straftaten began- Bereiche Manöverbeobachtung sowie (MfS) und sein damals offiziell als »Ver- gen hatten. Die Abschaffung der Betreuung, zu denen mit dem INF-Ver- waltung 2000« bezeichneter Arm in der Erfassungsstelle in Salzgitter und die trag (Intermediate Range Nuclear NVA darauf, dass sie den »richtigen Umwandlung der Ständigen Vertre- Forces) vom Dezember 1987 noch der Klassenstandpunkt« vertraten. Viele tungen in Botschaften waren immer Bereich Inspektion hinzukam. hatten sich auch als Inoffizielle Mitar- wiederkehrende Forderungen des In der Bundeswehr und in der NVA beiter (IM) zur Weitergabe von Infor- DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich waren es jeweils nur ein paar Dutzend mationen abseits des NVA-Dienstwegs Honecker. Offiziere, die von 1987 bis 1990 als Ma- direkt an das MfS verpflichtet. Zumin- növerbeobachter und Inspekteure tätig dest nach außen hin waren die ausge- Organisation und Strukturen waren. Sie verband, dass sie zumeist in wählten Offiziere der offiziellen Feind- den 1930er und 1940er in Mittel- bildpropaganda verpflichtet. Zunächst war eine Vielzahl von orga- deutschland oder in den deutschen nisatorischen Fragen zu klären. In der Ostgebieten geboren worden. Viele Manöverbeobachtungen und Bundesrepublik oblag die Federfüh- hatten ihre erste Prägung noch in der Gespräche rung dem Auswärtigen Amt. Im Bun- Zeit des Nationalsozialismus erhalten desministerium der Verteidigung und verfügten über zumindest rudi- Von den 48 Manöverbeobachtungen (BMVg) war die Stabsabteilung FüS III mentäre Erinnerungen an den Zweiten nach dem Abkommen fanden 15 in der (Militärpolitik und Rüstungskontrolle, Weltkrieg. Damit enden allerdings die Bundesrepublik und acht in der DDR 1988‑1991 geleitet von Generalmajor Gemeinsamkeiten. Dann erfolgte die statt, wobei die Jahre 1987 und 1988 Klaus Naumann) zuständig. Sie stützte Sozialisation durch die staatliche und mit sechs Beobachtungen in der Bun- sich auf das Referat Rüstungskontrolle, gesellschaftliche Nachkriegsordnung desrepublik und drei in der DDR den Abrüstung, Nichtverbreitung. 1988 getrennt nach Ost und West – wobei ei- Schwerpunkt bildeten. Die Manöver- wurde zur Unterstützung beim Streit- nige spätere Bundeswehroffiziere erst truppen der beiden Militärblöcke wa- kräfteamt eine Zelle von vier Stabsoffi- im Laufe der 1950er Jahre die DDR ver- ren bestrebt, den Beobachtern das Bild zieren geschaffen, aus der schließlich lassen hatten. einer Truppe mit hoher Schlagkraft zu das Zentrum für Verifikationsaufga- Die Beobachter der Bundeswehr ge- vermitteln; nur so war das Prinzip der ben der Bundeswehr in Geilenkirchen hörten zum Großteil der Gruppe der Abschreckung glaubhaft zu vermit- hervorging. Generalstabsoffiziere an, seltener wa- teln. In der DDR hatte der Sektor Abrüs- ren auch Truppenoffiziere dabei. Zum Zudem legten beide Seiten großen tung im Ministerium für Auswärtige Einsatz kamen vorwiegend Angehö- Wert darauf, dass nach außen hin das Angelegenheiten (MfAA) die politi- rige des BMVg FüS III und FüS II oder jeweilige Bündnis defensiv ausgerich- sche Führung inne. Im Ministerium für der entsprechenden Referate des Füh- tet schien. Gleichzeitig vermieden es Nationale Verteidigung (MfNV) war rungsstabes des Heeres (FüH), verein- beide Seiten, allzu tiefe Einblicke in die im Bereich des Stellvertreters des Chefs zelt auch solche aus dem Bundeskanz- aktuelle eigene Spitzentechnologie zu des Hauptstabes für operative Fragen leramt, dem Amt für Nachrichtenwesen geben. Was an Waffentechnik und Or- (seit 1986 Oberst, ab 1988 Generalma- der Bundeswehr sowie dem Bundes- ganisationsverfahren geheim bleiben jor) Peter Herrich als Stellvertreter für nachrichtendienst (BND). sollte, wurde nicht gezeigt. internationale Arbeit und ab 1990 als Die NVA-Offiziere waren im Regel- Ein NVA-Offizier antwortete deshalb Chef Verwaltung Rüstungskontrolle fall Mitglieder der Sozialistischen Ein- auf die Frage, warum er nicht mehr Ge-

6 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Oberst Werner Litzroth (2.v.l.) und Oberst Peter Herrich (3.v.l.) von der Nationalen Volksarmee der DDR wer- den am 7.9.1987 in Osnabrück von Bundeswehr-Oberstleutnant Egon Ramms (l.) und US-Oberst Geffrey Kleb (r.) mittels einer Niedersachsen-Karte über die US-Übung »Reforger« infor- miert. Zum ersten Mal sind zwei Offi- Weihs picture alliance/Wolfgang ziere der NVA der DDR als Beobachter eines NATO-Manövers in die Bundesre- publik gereist. Im September 1987 fand in Niedersachsen das NATO-Groß- manöver »Certain Strike« statt. brauch von seinem Fotoapparat ma- che, dass die Bilder in der Zeitschrift »Soldat und Technik« besser und auf- schlussreicher seien. Im Gegenzug fiel NVA-Offizieren auf, wie ein Bundes- wehr-Beobachter mehr die Pflanzen am Wegesrand als die Manöverhand- Manöverbeobachter wie auch In- gungsattaché­ Oberstleutnant Jürgen lung beachtete. Und natürlich beob- spekteure hatten zwei Möglichkeiten, Kewitsch sowie Oberstleutnant Egon achteten nicht nur die Manöverbeob- ihre Aufgabe zu erledigen. Sie konnten Ramms aus dem Führungsstab des achter die Truppe, diese schaute sich konfrontativ auftreten, den Offizier Bundesministeriums der Verteidigung die Beobachter und deren Biografien der Gegenseite verunsichern und ver- teil; die DDR entsandte ihren Militär- nicht minder genau an. suchen, möglichst viele Aufklärungser- und Luftwaffenattaché in Prag, Heinz Die Gesprächsinhalte der Manöver- gebnisse einzubringen und damit das Beutel, sowie Helmut Wörfel vom Be- beobachter ergaben sich aus dem Vorurteil vieler Militärs bestätigen, reich Internationale Arbeit, beide Zweck der Beobachtungen. Entspra- Manöverbeobachtung sei nichts ande- Oberst. Noch ganz im Sinne des vor- chen die Manöver den Ankündigun- res als legale Spionage. Oder sie traten herrschenden Misstrauens empfahl am gen? Erfolgten die erforderlichen Ein- kooperativ auf und nutzten die Ge- 3. Februar der tschechoslowakische weisungen? Gab es Gelegenheiten, spräche dazu, gegenseitiges Vertrauen Generalleutnant Jiri Brychta, die sozia- Fragen an die Truppe zu stellen? War aufzubauen. Auf beiden Seiten gab es listischen Beobachter sollten sich aktiv die Verbindungsaufnahme zur eigenen Vertreter beider Pole. Bundes- mit den Beobachtern der westlichen Botschaft möglich? Es ging um den wehr-Oberst Hans Hübner erinnerte Staaten beschäftigen, viel mit ihnen Soll-Ist-Vergleich, um Erkenntnisse zur sich, dass einmal ein NATO-Offizier sprechen, sie ablenken. Sie sollten Vertragseinhaltung bzw. Vertrauens- bei einer Inspektion unangemessen selbst nichts preisgeben, aber viel In- würdigkeit zu gewinnen. Und es galt auftrat und das mühsam aufgebaute formationen sammeln und sie mit der zu überprüfen, ob von den Manövern Vertrauen auf sowjetischer Seite wie- eigenen Seite teilen. eine Gefahr für die eigene Sicherheit der verspielte. Hübner nutzte dann die Zur ersten deutsch-deutschen Begeg- ausging. nächste Inspektion, um ein Gegenbei- nung auf deutschem Boden kam es im Letztlich waren die Beobachtungen spiel zu geben. Das Verhalten der be- März 1987 in Potsdam. Die DDR hatte aus westlicher Sicht kein Selbstzweck. teiligten Offiziere war also stark indivi- zur Einweisung in die gemeinsame Die Erfahrungen mit den Manöverbe- duell bestimmt und nicht zwangsläufig Übung von Truppen der NVA und der obachtungen flossen in die Arbeit der mit gut hier und böse dort zu beschrei- Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte internationalen Verhandlungsgremien ben. Freilich traten die Offiziere als in Deutschland (GSSD) in die »Haupt- in Wien ein und wirkten sich damit un- Vertreter ihres Staates und ihrer Ge- stadt«, nach (Ost-)Berlin, eingeladen. mittelbar auf das Zustandekommen sellschaftsordnung auf. Verbrüde- Doch der Viermächtestatus Berlins ließ von Rüstungskontrollabkommen aus. rungsszenen zwischen Ost und West das aus westlicher Sicht nicht zu, so- Zudem gab es eine Reihe von Dis- waren nicht zu erwarten und auch dass der Empfang schließlich nach kussionen um das, was im Stockhol- nicht erwünscht. Zudem hatten die an- Potsdam verlegt wurde. Entsprechend mer Abkommen Ermessensspielraum deren Beobachter ein besonders wa- groß war das mediale Interesse, als die ließ. Was war beispielsweise eine ge- ches Auge auf die deutschen Manöver- Beobachter im Interhotel, heute Hotel eignete Beobachterausrüstung? Fern- beobachter der Bundeswehr und der Mercure, eintrafen. Offiziere zweier glas und Kartenbrett? Oder auch ein NVA. deutscher Armeen waren etwas Neues Kompass und zusätzlich ein Diktierge- Das erste Zusammentreffen deut- und versprachen damit auch mediale rät? Durften eigene Karten benutzt scher Offiziere aus der Bundesrepublik Aufmerksamkeit. Allerdings hielten werden, welcher Maßstab war ange- und der DDR zur Manöverbeobach- sich die Bundeswehroffiziere mit öf- messen? Wie sollte mit Journalisten tung nach dem Stockholmer Abkom- fentlichen Äußerungen zurück. Da die umgegangen werden? Eine Vielzahl men fand im Februar 1987 in der westlichen Medienvertreter nicht mit von Detailfragen, die sich bei der prak- Tschechoslowakei statt. Für die Bun- auf das Manövergelände durften, gab tischen Umsetzung ergaben. desrepublik nahmen der Verteidi­ es auch keine Bilder mit militärischem

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 7 Manöverbeobachtungen ullstein bild/dpa

Die Bundeswehroffiziere Hans-Henning Kahmann (r.) und Joachim Hornig (l.) bei der Ankunft vor dem Interhotel Potsdam. Sie sind zur Beobachtung eines Manövers im Raum Magdeburg–Brandenburg in die DDR angereist.

»Knalleffekt«. Stattdessen mussten sie NATO-Offizieren, dass sie sich bei ih- grund der Erkenntnisse ihrer Militär- mit dem Material vorliebnehmen, das ren Manövern offener zeigten als die verbindungsmissionen in der DDR ihnen die DDR-Medien zur Verfügung Staaten des Warschauer Paktes, des- recht gut über die Truppen von NVA stellten. halb zu Recht als Versuch, Druck auf und GSSD informiert waren. Hinweise Den ersten NVA-Offizieren, die im das Bündnis auszuüben. In die gleiche von NATO-Beobachtern, dass die September 1987 zur Manöverbeobach- Kategorie fiel der Hinweis der NATO, NVA-Soldaten besser als ihre sowjeti- tung in die Bundesrepublik kamen, fiel das Stockholmer Abkommen dem schen Kameraden seien, werteten die auf, dass die Medienvertreter dort wei- Geiste nach zu erfüllen, während der NVA-Offiziere als Provokation mit tergehende Möglichkeiten hatten. Das Warschauer Pakt die Bedingungen der dem Ziel, die Waffenbrüder auseinan- sorgte dann auf Seiten der Warschau- Vereinbarung nur buchstabengenau derzudividieren. er-Pakt-Staaten für interne Diskussio- umsetze. Andererseits waren die west- Aber genau diese Bündnissolidarität nen darüber, ob den Medienvertretern lichen Staaten nicht bereit, den hohen zerfiel im Warschauer Pakt Ende der ebenfalls weitere Rechte eingeräumt Repräsentationsaufwand, den sich die 1980er Jahre zusehends. Da konnten werden sollten. DDR bei Manöverbeobachtungen leis- die NVA-Offiziere in ihren Berichten Auch die erlaubte Ausstattung der tete, zu übernehmen. noch so oft monieren, dass die sowjeti- Beobachter wurde erweitert. Beim Ma- Die Beobachter erhofften sich bei den schen Offiziere das Heft nicht mehr in növer in der Tschechoslowakei im Fe- Gesprächen mit den am Manöver teil­ die Hand nahmen und die Waffenbrü- bruar 1987 waren Fotoapparate noch nehmenden Soldaten Hinweise auf der auf Linie brachten. Letztlich hatte generell verboten, eigene Ferngläser Motivation, Einstellung, Berufszufrie- sich der sowjetische Generalsekretär und eigene Diktiergeräte nach Prüfung denheit usw. So wollten westliche Be- Michail Gorbatschow dafür entschie- erlaubt. Bei der Gefechts- und Stab- obachter etwa wissen, in welcher Spra- den, blockübergreifenden Lösungen sübung »Caravan Guard 89« in der che die Beschriftungen im Innern von den Vorrang zu geben. Bundesrepublik konnte die Inspekti- NVA-Panzern sowjetischer Bauart an- Kaum weniger wichtig als die mili- onsgruppe der NVA im September gebracht waren. Westdeutsche Offi- tärfachlichen Gespräche waren jene 1989 feststellen, dass ihr eigene Karten, ziere waren daran interessiert, die über die familiäre Situation, Hobbies, Fotoapparate, Ferngläser und Diktier- Klarnamen der eingesetzten Truppen sozialen Status, persönliche Verhält- geräte erlaubt wurden. Letztlich waren zu erfahren; sie waren ihnen bei den nisse, Besoldung und Versorgung. Un- die Manöverbeobachtungen und In- ersten Beobachtungen vorenthalten terhaltungen dieser Art entwickelten spektionen auch ein Spiel mit dem worden. Dieser Geheimhaltungsver- sich im Laufe der Jahre immer mehr, Ziel, auszuloten, zu welchen Zuge- such brachte allerdings wenig, weil die weil sich die als Beobachter und Ins- ständnissen die Gegenseite bereit sei. Beobachter aus Frankreich, dem Verei- pekteure eingesetzten Offiziere beider NVA-Offiziere werteten Aussagen von nigten Königreich und den USA auf- Seiten wiederholt trafen und so ein ge-

8 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 picture alliance/Eberhard Klöppel

Militärbeobachter aus 23 KSZE-Signatarstaaten beobachten im April 1988 die Übung »Drushba 88« im Raum Magdeburg. wisses persönliches Vertrauensverhält- deswehroffiziere, wenn sie die Vorteile Einheit wäre ohne die internationale nis auf- und ein wie auch immer gear- der Auftragstaktik rühmten, waren Entspannung und den Willen zur Über- tetes Feindbild allmählich abbauten. doch auch die NVA-Offiziere über- windung der Ära der Abschreckung Dabei mussten sich die NVA-Offiziere zeugt, ihre Aufgaben gut erfüllen zu nicht möglich gewesen. Und so wie in bei solchen Kontakten vorsehen, denn können. der Bundesrepublik das Nationale Frei- für sie galt der Grundsatz absoluten heits- und Einheitsdenkmal bis heute Westkontaktverbots, es sei denn, sie Ausblick nicht realisiert worden ist, so wenig gehörten zum Betreuungsstab für die fand bislang der Einsatz der In- westlichen Beobachter und Inspek­ Bereits 1967 hatte die NATO im soge- spekteure und Manöverbeobachter aus teure, sodass sie mit ihnen dienstlichen nannten Harmel-Bericht festgelegt, NVA und Bundeswehr als Ausdruck Kontakt unterhalten durften. Gerade dass Sicherheit auf Entspannung und von Entspannungsbemühungen nach- bei den ersten Beobachtungen konnten Verteidigung beruhe. Die Manöverbe- haltige Resonanz. sie auch schnell von der DDR zurück- obachtungen nach dem Stockholmer Im Gegensatz zu den hochtechni- gezogen werden, wenn dem Ministe- Abkommen von 1986 bereiteten den schen Waffensystemen der Ab- rium für Staatssicherheit der Kontakt Weg für weitere Vereinbarungen, wie schreckung fehlen vertrauensbilden- zu intensiv erschien. etwa das Wiener Dokument oder den den Maßnahmen der Entspannung. Es wurde offenbar, wie wenig die KSE-Vertrag – Verträge, die bis heute Wer sich aber um die vertrauensbil- Offiziere der Bundeswehr und der gültig sind. Doch der Glaube an die denden Maßnahmen verdient machen NVA voneinander wussten. Diese Un- Friedensdividende ist inzwischen ver- möchte, der könnte in Potsdam als kenntnis zeigte sich ab 1990 noch aus- flogen. Entscheidende Verträge, die dem Ort des ersten Zusammentreffens geprägter beim Aufbau der »Armee mühsam im Kalten Krieg ausgehandelt deutscher Manöverbeobachter fündig der Einheit«. Die einzelnen Beobachter wurden, wie der ABM-Vertrag von werden. Das Potsdamer Interhotel erlebten allerdings eine Bewusstseins- 1972 oder der INF-Vertrag von 1987, steht unter neuem Namen noch immer erweiterung, indem sie andere Militär- sind inzwischen gekündigt worden an der Langen Brücke. Hier ließe sich kulturen kennenlernten, in einem Teil- oder werden wie der KSE-Vertrag oder ein friedensfördernder Aspekt deut- bereich ihre interkulturelle Kompetenz das Wiener Dokument faktisch unter- scher Militärgeschichte verorten. vertieften und so auch zum institutio- laufen. nellen Lernen militärischer Organisa- Es scheint, als wären die Lehren aus  Karl-Heinz Lutz tionen beitrugen. der Endphase des Kalten Krieges ver- Das gegenseitige Kennenlernen ver- gessen. Offensichtlich ist es unterblie- lief aber nicht reibungslos. Auf Skepsis ben, jene Phase fest im kollektiven Ge- der Ostdeutschen stießen etwa Bun- dächtnis zu verankern. Die Deutsche

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 9 Die BERCON-Pläne

picture alliance/US Army »Attack along the Autobahn« NATO-Pläne im Kalten Krieg zum Schutz West-Berlins

Soldaten der 2. und 67. US-Panzerdivision aus Fort Hood, Texas, sind am 7. Oktober 1974 in M-60 Panzern im Konvoi auf der Autobahn zwischen Kaiserslautern und Mannheim unterwegs, um am NATO-Manöver Reforger 74 (»Return of Forces to Germa- ny«) teilzunehmen.

ls gefährlicher Höhepunkt des Offiziere nur wenigen bekannt. Die von rationen über dem Gebiet der DDR, bis Kalten Krieges gilt das Auffah- der NATO freigegebenen Dokumente hin zu schweren konventionellen An- Aren US-amerikanischer und betreffen die Cosmic-top-secret-Planun- griffen auf dortige militärische Ziele. sowjetischer Panzer am Checkpoint gen für den Fall verschärfter Spannun- Vor allem Flugplätze und Flugabwehr- Charlie zwischen Ost- und West-Berlin gen um Berlin. 1948/49 hatte die Sowje- stellungen standen hier im Fokus. Die im Oktober 1961. Nachdem die zweite tunion alle Landverbindungen nach wohl massivste Option waren die un- Berlin-Krise Ende 1961 abgeebbt war, West-Berlin für zehneinhalb Monate ter dem Codeworte »BERCON Bravo« begann am anderen Ende der Welt, in blockiert. Um für eine neuerliche Krise zu findenden Einsätze von Nuklear- der Karibik, 1962 eine neue Krise, die um die geteilte Stadt gewappnet zu waffen über »kommunistischem Ge- nur haarscharf am Krieg vorbei­ sein, entwarfen die Strategen in Brüssel biet«, wie es im damals üblichen schrammte. Sowjetische und US-ameri- und Washington unter dem Codewort Sprachgebrauch hieß, auf »streng mili- kanische Schiffe liefen im Oktober 1962 »­BERCON« eine Reihe von Plänen. tärische Ziele«. Darunter fielen etwa in den Gewässern um Kuba auf »BERCON« ist die Abkürzung für Ber­ eine Gruppe feindlicher Flugzeuge, Konfrontations­ kurs. Ein Schuss hätte lin Contingency Planning. Flugplätze, Flugabwehrraketenstellun- hier den Dritten Weltkrieg auslösen gen oder Truppenkonzentrationen ent- können. Dass auch in der Magdeburger »A nuclear demonstration« fernt von bebautem Gebiet. Das Ziel: Börde oder im Thüringischen Eichsfeld Eine »nukleare Demonstration, um si- der Dritte Weltkrieg hätte beginnen In den früher streng geheimen Papie- cherzustellen, dass die Kommunisten können, war bis in die 1990er Jahre au- ren finden sich unter dem Codewort begreifen, dass die Allianz zum Nu- ßerhalb des Kreises der eingeweihten »BERCON Alpha« Pläne für Luftope- klearwaffeneinsatz bereit ist«.

10 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Vorstoß bis zur Elbe Operationspläne BERCON C1 und C3

»BERCON Charlie« sah vier Landope- 0 10 20 30 40 km Tangermünde rationen auf DDR-Gebiet vor, zwei Gardelegen entlang der Autobahn Richtung Ohre Magdeburg und zwei in Thüringen. sowj. Die wichtigsten dieser Operations- ? pläne drehen sich um das Gebiet um Truppen- III Magdeburg. Kein Wunder, war doch übungsplatz Colbitz- Elbe die heutige Autobahn 2 die kürzeste Letzlinger Heide 5 sowj. Rgt Mahlwinkel

Verbindung zwischen der Bundesre- M

i DDR BRD t t publik und West-Berlin. Wenn die e l l III a n NATO West-Berlin retten oder zumin- XX d Ohre XX k a n dest schnell erreichten wollte, war dies a 2 sowj. Rgt l 47. sowj. Ausbildungs- nur über die Magdeburger Gegend Halders- Hillersleben verbände NVA A2 leben möglich. Option Charlie 1 sah den Wolmirstedt Burg Helm- Glindenberg Vormarsch einer verstärkten Division XX stedt A2 C1 Rottmers- entlang der Autobahn bis Rottmersle- leben XX ben (15 Kilometer westlich von XXXX Magdeburg) vor. In der Option Marienborn XX C3 3. sowj. Charlie 3 sollte ein aus vier Divisionen mit Trup- penteilen bestehendes Korps sogar über 50 Kilo- XX Magdeburg meter bis nördlich von Magdeburg vorrücken. Der sehr knapp gehaltene Wanzleben Text im veröffentlichten Dokument Elbe liefert keinen Hinweis auf eine Beset- Oschersleben Schönbeck ©ZMSBw zung der Stadt Magdeburg, sondern Quelle: Dr. Klaus Storkmann. 08359-04 definiert die »Linie Mittellandkanal– Elbe« als Operationsziel, also die Au- Operationspläne BERCON C2 und C4 tobahnbrücke über die Elbe bei Ro- XX Göttingen thensee. Eine Besetzung Magdeburgs Duderstadt Nordhausen Sangers- dürfte angesichts des dafür völlig un- hausen XX zureichenden Kräfteansatzes ohne Er- III folgsaussichten gewesen sein. Das Ge- 244. sowj. biet um Magdeburg und die Stadt Heiligen- stadt C2 Sonders- selbst waren ein Zentrum des sowjeti- Kassel Dingelstädt hausen schen Militärs. In Magdeburg lag die III 3. Armee, der kampfstärkste Verband Hessisch 22. NVA Mühlhausen A7 Lichtenau der Sowjetarmee in der DDR, mit ih- X DDR rem Hauptquartier und zahlreichen Melsungen 390. sowj. Regimentern. Ihr unterstellt war auch XX Bad Langensalza III XXXX die 47. Gardepanzerdivision in Hil- 172. sowj. lersleben nahe der Autobahn. Hinzu Rothenburg/ III 8. sowj. XX Fulda kamen noch die ständig in wechseln- 4. NVA Erfurt Bebra Weimar Eisenach der Stärke in der Colbitz-Letz­linger XX XX Walters- Gotha Heide übenden Verbände. A4 hausen III XX A4 4. NVA Bad Hersfeld III XX 23. NVA 39. sowj. Arnstadt Besetzung des Eichsfelds und Bad mit 24. NVA Salzungen 4. Rgt Ohrdruf des Thüringer Waldes A5 X Rudol- stadt C4 11. sowj. Die Option Charlie 2 sah vor, dass zwei Ilmenau RakArtBrig BRD Zella- Divisionen aus dem Raum Kassel auf Mehlis Saalfeld DDR-Gebiet bis zur heutigen Ortschaft Meiningen Suhl Leinefelde-Worbis im Eichsfeld vor- Fulda III dringen. Im NATO-Dokument wurde 117. sowj. die Ziellinie »Duderstadt–Borbis–Wan- fried« konkret definiert, wenn auch mit einem kleinen Schreibfehler für Wor- Sonnenberg bis. In den NATO-Papieren wurde das 0 10 20 30 40 km Gebiet als »the Kassel salient« bezeich- net. Auch die Pläne der Bundeswehr Coburg sprachen in der Regel vom »Gebiets- ©ZMSBw vorsprung ostwärts Kassel«. Die weit­ Quelle: Dr. Klaus Storkmann. 08360-04

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 11 Die BERCON-Pläne

aus größere Option Charlie 4 sah den Skepsis auf der Hardthöhe auf der Hand: Die BERCON-Operatio- Angriff eines Korps mit vier Divisionen nen waren nüchtern betrachtet nicht bis in den Thüringer Wald und dessen Intern schlug das Verteidigungsminis- realistisch und wenig aussichtsreich. Besetzung vor. Für den Erfolg der vier terium auf der Hardthöhe in Bonn aber Vielleicht stand auch das hinter dem möglichen Charlie-Landoperationen bereits am 13. November 1963 vor, statt Vorschlag aus Bonn, das belgische sah die NATO die Nutzung des Über- des eigenen III. Korps besser ein im Korps einzusetzen. Das Verteidigungs- raschungseffekts als entscheidenden Raum Köln stationiertes belgisches ministerium sah die Gefahr, dass be- Faktor. Als schwierig sahen die Korps einzusetzen. Das Gelände im reits der begrenzte Angriff auf das SHAPE-Militärs auch den effektiven Eichsfeld­ würde eher für den Einsatz Eichsfeld reichen würde, um eine Einsatz der Luftwaffe zur Unterstüt- des I. belgischen Korps sprechen. Eine »massive Antwort« der Sowjetunion zung des Angriffs zu Lande auf eng be- Begründung hierfür gaben die West- auszulösen: »CHARLIE 2 birgt die Ge- grenztes kleineres Gebiet an. Die Beset- deutschen nicht. Es waren weniger das fahr in sich, dass diese Operation die zung des Eichsfelds galt intern als die Gelände als politische und psychologi- lebenswichtigen Interessen der Sowje- einfachste der vier Operationsvarian- sche Überlegungen: Die Bundeswehr- tunion – Aufrechterhaltung ihrer Herr- ten. Die Besetzung des »Kassel salient« führung befürchtete »unerwünschte schaft im Satellitenbereich – berührt sei »militärisch relativ einfach durchzu- psychologische Rückwirkungen« bei und zu einer massiven Antwort führt.« führen«. Die Erfolgsaussichten seien einem Angriff westdeutscher Truppen Tatsächlich trugen die ­BERCON- »recht hoch«. Allerdings hätte diese auf DDR-Gebiet. Pläne die Möglichkeit der Eskalation Operation in der NATO-Bewertung Der Antrag, das III. Korps der zum »großen« Krieg in sich. Falls die nur einen geringen politischen Effekt Bundeswehr durch das I. belgische nach Osten vorrückenden NATO-Divi- gehabt, viel geringer als die größeren Korps zu ersetzen, wurde aber durch sionen Gefahr liefen, »geschlagen oder Operationen Charlie 3 und 4 Richtung ­LANDCENT 1963 »aus taktischen vernichtet zu werden« oder die Opera- Magdeburg und Thüringer Wald. Gründen« abgelehnt. ­LANDCENT tionsziele nicht erreicht würden, hätte Für die Planer in der NATO bot die war der Stab der NA­ TO-Landstreit­ der »selektive Einsatz« von Nuklear- zeitgleiche Besetzung des Eichsfelds kräfte Europa-Mitte, der im Kriegsfall waffen »auf militärische Ziele« folgen und des Thüringer Waldes aber noch die Landoperationen der NATO in der können. Konkret hieß dies: Wären die andere, sehr praktische militärische Bundesrepublik und in den angren- anrückenden Divisionen in Kämpfen Vorteile. Die damalige innerdeutsche zenden Gebieten geführt hätte und mit sowjetischen oder DDR-Truppen Grenze machte zwischen Hessen und dem auch das Feldheer der Bundes- gestoppt worden, hätte die NATO Thüringen einen weiten Bogen nach wehr unterstellt worden wäre. Immer- Atomwaffen einsetzen können. Kon- Westen. In NATO-Papieren wurde hin erkannte LANDCENT die psycho- krete Ziele für diese Nuklearschläge dies der »Thüringer Balkon« benannt; logischen Probleme eines rein sind in den bislang freigegebenen ein Gebiet, von dem aus angreifende westdeutschen Einsatzes und ordnete Quellen aber nicht benannt. Intern und sowjetische oder DDR-Truppen einen die »Beigabe« mehrerer Einheiten geheim analysierte auch die NATO strategischen Geländevorteil hätten. (»units«) anderer Nationen an, wobei Chancen und Risiken der eigenen Diesen Vorteil hätte man dem Osten deren Größenordnung offenblieb. Eine ­BERCON-Pläne. Als mögliche konkrete genommen und sich selbst gegeben: »unit« hätte auch nur eine Kompanie Gefahren sah SHAPE die sowjetische Durch die zeitgleiche Besetzung des sein können. Besetzung West-Berlins (»Soviet Forces Eichsfelds und des Thüringer ­Waldes Das Verteidigungsministerium in may seize West Berlin«) oder von Ham- wäre die Frontlinie deutlich verkürzt Bonn unternahm im April 1964 einen burg und München (»attacks designed worden. Eine kürzere Front bedeutet neuen Anlauf, den ungeliebten Auf- to seize Hamburg and Munich«). mehr eigene Truppen auf kleinerem trag ins Eichsfeld vorzustoßen, doch Raum, also einen strategischen­ Vorteil. noch loszuwerden, und berief sich da- Wie würde die DDR-Bevölkerung Zudem ließen sich die Höhen des Thü- bei nun auch auf das Auswärtige Amt reagieren? ringer Waldes leichter gegen von Os- (AA): »BMVtdg sowie AA sind der ten her angreifende Truppen verteidi- Ansicht, dass aus politischen und psy- Auf zwei weitere Probleme wies das gen. chologischen Gründen deutsche Verteidigungsministerium mehrfach Welche Divisionen eingesetzt wor- Kräfte nicht als Hauptträger des An- warnend hin: Wie würden die neutra- den wären, zeigt zumindest das freige- griffs eingesetzt werden sollten, son- len Staaten und die öffentliche Mei- gebene NATO-Dokument nicht kon- dern dass der Angriff mit einem grö- nung in den westeuropäischen Län- kret. Es liegt aber nahe, dass hierfür die ßeren Anteil alliierter Verbände dern auf einen solchen Angriff der größere Option »Charlie 4« die in Hes- durchgeführt werden soll.« Bundes- Bundeswehr Richtung Osten reagie- sen und Unterfranken stationierten verteidigungsminister Kai-Uwe von ren? »Ein Angriff über die Demarkati- kampfstarken US-amerikanischen Di- Hassel wandte sich am 7. April 1964 in onslinie und die Besetzung auch nur visionen vorgesehen waren. Für die ge- einem Schreiben an den Obersten Be- eines kleines Teils der SBZ durch zwei gen das Eichsfeld gerichtete Option fehlshaber der NATO in Europa, US- deutsche Divisionen mit nur symboli- »Charlie 2« waren zumindest Mitte der General Lyman L. Lemnitzer, und bat scher Beteiligung alliierter Kräfte 1960er Jahre laut ebenfalls freigegebe- für den Angriff »überwiegend alliierte würde wahrscheinlich sowohl von der nen Dokumenten aus dem Bestand des Kräfte, nach Möglichkeit Kräfte der Sowjetunion als auch von den neutra- Bundesministeriums der Verteidigung drei für Berlin verantwortlichen len Staaten und auch von der öffentli- zwei Divisionen des in Hessen und Mächte, vorzusehen«. chen Meinung in den NATO-Staaten Rheinland-Pfalz stationierten III. Korps Der Grund für die Skepsis der Bun- als ein Versuch der Bundesrepublik der Bundeswehr vorgesehen. deswehrgenerale und des Ministers lag Deutschland gewertet werden, mit

12 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Waffengewalt das SBZ-Regime zu be- mulierten Bedenken der Bundeswehr- tion BERCON­ Charlie 4, also die seitigen und mit gewaltsamen Mitteln führung sind ein wichtiges Indiz, dass ­NATO-geplante Thüringer Wald-Beset- die Wiedervereinigung Deutschlands die BERCON-Angriffspläne tatsäch- zung, erinnerte. Die Bundeswehroffi- zu erzwingen.« Dies würde »eine lich geografisch eng begrenzt waren ziere schlussfolgerten, »die Sowjets scharfe antiwestliche Reaktion in der und keinesfalls die Besetzung größerer kennen sowohl die Grundzüge der nichtgebundenen Welt hervorrufen«. Teile der DDR geplant war. Die inter- ­BERCON-Planung als auch die ­NATO- Vor allem stellte sich die Frage, wie nen Papiere deuten auch an, dass nach Operationen BERCON Charlie, min- die Bevölkerung in der DDR auf einen der erhofften Beilegung einer Ber- destens in großen Umrissen«. Vormarsch der Bundeswehr reagiert lin-Krise der Rückzug der Bundeswehr Bei der Bewertung der NATO-Pläne hätte. »Ein Angriff von zwei deutschen und der NATO aus dem besetzten Ge- ist es wichtig, nicht nur auf die dort zu Divisionen [würde] eine findenden sehr weitreichen- erhebliche Reaktion DECLASSIFIED - PUBLIC DISCLOSURE / DÉCLASSIFIÉ - MISE EN LECTURE PUBLIQUE bei den Operationsideen zu ach- der Bevölkerung der SBZ ten. Vielmehr müssen zuerst hervorrufen. Das Ausbre- der politische und der strate- chen eines Aufstandes gische Hintergrund bedacht wäre unabwendbar. Bei werden. Ziel und Sinn der der späteren Räumung Pläne war es, eine angemes- des vorübergehend be- sene militärische Reaktion setzten Gebietes wäre die auf eine neue Berlin-Krise in Bevölkerung der scho- der Schublade zu haben. Da- nungslosen Vergeltung bei sollte es keinen Automa- durch die Sowjets ausge- tismus geben, der aus einer setzt«. Auch andere BER- »kleinen« Krise um West-Ber- CON-Dokumente aus lin wie 1948 oder 1961 gleich westdeutscher Feder pro- einen »großen« Krieg, den blematisierten den mögli- Dritten Weltkrieg, entstehen chen Aufstand der ließ. In der Grauzone zwi- DDR-Bevölkerung gegen [...] schen lokalem Konflikt um das SED-Regime in Er- Berlin und dem großen wartung der anrücken- Atomkrieg wollte sich die den Bundeswehr oder NATO eine abgestufte Reakti- von NATO-Divisionen. DECLASSIFIED – PUBLIC DISCLOSURE / DÉCLASSIFIÉ MISE EN LECTURE PUBLIQE onsmöglichkeit schaffen. Es Dieser erwartete spon- sollte eben kein »alles oder tane Aufstand in der DDR nichts« geben. Keiner wollte wurde aber in Bonn über- den Krieg, den Atomkrieg. Es raschenderweise keines- Das von der NATO deklassifizierte Dokument vom 24. März 1962 ist daher wahrscheinlich, wegs positiv, sondern als ist vollständig im Internet zu finden unter: http://www.nato.int/ dass diese Pläne eher als poli- Gefährdung der eigenen nato_static/assets/pdf/pdf_archives/19620330-DP-SGPO_29_62- tisches Druckmittel gegen- Operationsziele gewertet. ENG.pdf über dem Ostblock gedacht Da diese geografisch eng waren. Im April 1962 wies begrenzt waren, würde ein Aufstand in bieten vorgesehen war. Eine dauer- das Verteidigungsministerium darauf weiten Teilen der DDR nicht von NA- hafte Besetzung von DDR-Gebiet war hin, dass es den Versuch unterstütze, TO-Truppen unterstützt werden kön- demnach nicht beabsichtigt. Ob ein sol- »zwischen den in Live Oak vorgesehe- nen. Daher bestand die extreme Ge- cher Rückzug aber dann überhaupt nen stärksten militärischen Maßnah- fahr, dass der Auf­stand von noch realistisch möglich gewesen wäre, men und dem ›general war‹ noch eine sowjetischen und DDR-Sold­ aten wie muss wie vieles bei diesen Plänen of- militärische Stufe zu schalten, welche am 17. Juni 1953 nieder­geschlagen fenbleiben. den Sowjets eine letzte Möglichkeit werden würde, mit ähnlich schlimmen gibt, einzulenken – auch wenn diese Folgen für die Menschen. Zeichen der Entschlossenheit Chance von uns als außerordentlich ge- Militärisch entscheidender war aus mit Eskalationsrisiko ring eingeschätzt wird«. »Live Oak«

NATO-Sicht allerdingsDECLASSIFIED - PUBLIC DISCLOSURE / DÉCLASSIFIÉ - MISE EN LECTURE PUBLIQUE die bereits er- war das zweite, deutlich abgeschwächte wähnte Annahme, dass der spontane Vermutlich waren die BERCON-Pläne Maßnahmenpaket des Westens, um im Aufstand in der DDR in Verbindung der östlichen Seite, der Sowjetunion Fall einer Berlin-Krise reagieren zu mit dem militärischen Angriff des Wes- und möglicherweise auch der DDR, oh- können (dazu bereits in Militärge- tens die Sowjetunion in ihrer Einschät- nehin durch Spionage bekannt. Darauf schichte 1/2010, S. 22 f.). Da die östliche zung einer existenziellen Gefährdung zumindest verweist ein weiteres offen- Aufklärung die BERCON-Pläne­ ver- ihrer Herrschaft in der DDR bestärken gelegtes internes Dokument aus Bonn mutlich kannte, wäre deren Aktivie- und zu einer harten sowjetischen Re- vom Januar 1966. Bei der Auswertung rung ein Zeichen der Entschlossenheit aktion führen würde. Dass die Durch- des sowjetischen Manövers »Oktober- der NATO und damit das ultimative führung der BERCON-Operationen sturm« im Oktober 1965 fiel westdeut- politische Signal an die Sowjetunion das erhebliche Risiko einer Eskalation schen Militärs auf, wie sehr der in der zum Einlenken gewesen. zum »großen Krieg« in sich barg, war Manöveridee angenommene westliche offenkundig. Die streng geheim for- Angriff auf Thüringen an die Opera-  Klaus Storkmann

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 13 Einmal West-Berlin und zurück

Einmal West-Berlin und zurück Die ungewöhnliche Fahnenflucht eines Offiziers der DDR-Grenztruppen

picture alliance/dpa-Zentralbild

Ein Beobachtungsturm an den Grenzanlagen der Berliner Mauer am Griebnitzsee bei Klein Glienicke (Potsdam) an der Grenze zu Berlin (West), im Hintergrund der Turm vom Jagdschloss Glienicke (Berlin-West). Undatiertes Foto aus dem Jahr 1990 von Bernd-Horst Sefzik.

Am 31. Mai 1979, einem Donnerstag, um ßend auch vom britischen Geheim- 17.15 Uhr überwand Lutz dienst befragt. Die nächste Station war Schulze (Name geändert) mit einer Strick­ dann – wie für alle aus der DDR Ge- leiter den Grenzzaun zwischen Potsdam flüchteten – das Notaufnahmelager und West-Berlin. Auf der Berliner Seite der Berlin-Marienfelde. Erst dann durfte Grenze traf er aber nicht auf die erwarteten Schulze endlich zu seinem Freund US-amerikanischen Geheimdienstmitar­ nach Moabit – in das von ihm erhoffte beiter. Diese warteten an anderer Stelle auf neue Leben in Freiheit. MfS AOP 1761_80 Bd2 ihn. Am 21. September 1979, früh mor- gens um 4.30 Uhr, fuhr Hans Schulze Nahaufnahme der benutzten Stricklei- o meldete sich Schulze bei der (Name ebenfalls geändert), der Vater ter in den Akten der Staatssicherheit. nächsten Polizeiwache und ver- des fahnenflüchtigen Unterleutnants, Slangte, zu einer Dienststelle des vom Grenzbahnhof Friedrichstraße in der DDR, wo sie bereits von Offizie- US-amerikanischen Geheimdienstes in mit der S-Bahn nach West-Berlin, nur ren der Staatsicherheit freudig erwar- West-Berlin gebracht zu werden. Dort zwei Stationen bis Bellevue und ging tet wurden. Der Vater hatte seinen wurde der fahnenflüchtige junge Offi- von dort aus zu Fuß zur Wohnung sei- Sohn in ihrem Auftrag zurückgeholt. zier vier Wochen lang über den Dienst nes Sohnes. Nur vier Stunden später Am selben Tag, um 15.45 Uhr, fuhr in den DDR-Grenztruppen, anschlie- waren Vater und Sohn wieder zurück der in West-Berlin lebende Rumäne

14 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Andre Nicolescu (Name ebenfalls ge- zogen war das Verhältnis 1984 knapp Potsdam. Um in den Grenzstreifen zu ändert) mit seinem VW Golf über den 1:27. Auch Unterleutnant Schulze war gelangen, benötigte er noch einen Grenzübergang Friedrichstraße (besser als Zugführer im Grenzdienst schon Dienstauftrag – kein Problem für den bekannt als Checkpoint Charlie) nach vor seiner Flucht in den Fokus des MfS Unterleutnant: Er wusste, in welcher Ost-Berlin – und wurde sofort festge- geraten. Schublade diese Vordrucke bereits nommen. Er war der Freund des fah- Einem seiner Bekannten hatte der blanko unterschrieben und gesiegelt nenflüchtigen Unterleutnants. Die Ver- junge Offizier bereits Ende 1978 seine verwahrt wurden. Zuvor hatte er sich flechtung dieser drei Ereignisse bietet Absicht nach West-Berlin zu fliehen of- in der Waffenkammer unter einem an- eine komplexe und durchaus verwir- fenbart. Der vorgebliche Freund war deren Vorwand seine Pistole aushändi- rende Geschichte im Dunkelfeld von jedoch Informant des MfS und erstat- gen lassen. Um 16.45 Uhr rief er von Grenze, Geheimdiensten, Liebe und tete Bericht. Der Geheimdienst setzte seinem Dienstzimmer den Postenfüh- Eifersucht. daraufhin weitere Spitzel gezielt an rer am Kontrollpunkt Babelsberg Stu- und begann mit Überwachungsmaß- benrauchstraße an und befahl diesem, Fahnenflüchtige Grenzsoldaten nahmen, vom MfS als Operative Perso- ohne sich namentlich zu melden, im nenkontrollen (OPK) bezeichnet, in angeblichen Auftrag des Operativen Am Anfang stand die Fahnenflucht. diesem Fall mit dem Decknamen »Ver- Diensthabenden, den in Kürze dort Schon die Frage, wie diese gelingen räter«. Zudem war der angehende Of- eintreffenden Unterleutnant passieren konnte, ist eine spannende Geschichte fizier aus dem Dienst unmittelbar an zu lassen. Der Gefreite war gewohnt, für sich. Zwischen 1977 und 1986 ge- der Grenze herausgelöst und in den Befehle zu befolgen und hinterfragte lang 90 Soldaten der Grenztruppen die Regimentsstab versetzt worden. Die diesen nicht. Flucht nach Westdeutschland, weite- Offiziere der Staatssicherheit glaubten Als der so von sich selbst avisierte ren 17 die Flucht nach West-Berlin. 69 den Unterleutnant unter Kontrolle zu Unterleutnant 30 Minuten später am von ihnen waren Mannschaftssolda- haben und nahmen an, ihm die Mög- Kontrollpunkt eintraf, durfte er passie- ten, 29 Unteroffiziere und neun Offi- lichkeiten zur Flucht genommen zu ha- ren. Zudem kannte er die gültige Pa- ziere. Die Hintergründe und Lebensge- ben. Doch sie irrten. role. Zu Fuß ging der Offizier nun wei- schichten waren vielschichtig. Auch ter bis an den Grenzzaun. In der Hand die harten Bedingungen des Dienstes Wie die Flucht gelang trug er eine Aktentasche, darin eine zu- an der Grenze hatten ihren Anteil an sammengerollte Strickleiter. Die Tasche den Fluchtursachen. Trotz der immer Nach seiner Rückkehr in die DDR hatte er als Verschlusssache gekenn- intensiveren Kontrolle durch das Mi- schilderte der Unterleutnant den Be- zeichnet und so allen eventuellen nisterium für Staatssicherheit (MfS) ge- fragern des MfS in allen Details, wie Nachfragen der Gefreiten am Kontroll- lang es NVA und MfS nie gänzlich, ihm die Flucht gelungen war. Am punkt entzogen. An einer nicht leicht Fluchten von »Grenzern« zu verhin- 31. Mai 1979, um 16:30 Uhr, meldete einsehbaren Stelle warf Schulzes eine dern. Im für die Grenze zu West-Berlin sich der Unterleutnant bei seinem vor- Leiter über den Zaun – und kletterte in verantwortlichen Grenzkommando gesetzten Major und bat unter einem die Freiheit. Erst zehn Minuten später, Mitte war rund jeder achte Soldat ein Vorwand um einen Dienst-PKW und um 17.25 Uhr erkannten die Dienstha- Informeller Mitarbeiter (IM). Im Ver- einen Fahrbefehl, freilich nicht zur benden am Kontrollpunkt, was gesche- gleich: Auf die DDR-Gesamtbevölke- Grenze, sondern zur Grundausbil- hen war und lösten Alarm aus. Zu spät: rung und die insgesamt 624 000 IM be- dungskompanie im Stadtgebiet von Der »Grenzdurchbruch« war gelungen. Die Untersuchungen des MfS legten eine ganze Reihe von Verstößen gegen Vorschriften und Befehle sowie »prin- zipielle Mängel in der Führungs- und Leitungstätigkeit« im Grenzregiment des Geflohenen offen, die die Flucht begünstigt hatten. Im Regimentsstab habe »grobe Unordnung« bei der Lage- Picture alliance /dpa-Zentralbild rung und Ausgabe der Dienstauftrags- vordrucke geherrscht. Die Parole für den Grenzdienst wurde bei der Vergat- terung der Wachhabenden stets so laut über den Hof des Regimentsstabs ge- rufen, dass selbst die Bewohner der Umgebung diese hätten mithören könnten. Intern bemängelte das MfS auch, der für die Überwachungsmaß- nahmen gegen den Unterleutnant zu- ständige Mitarbeiter sei seit Anfang Mai abwesend gewesen, habe aber den Vorgang nicht an seinen Vertreter über­ geben.

DDR-Grenzsoldaten auf Streife.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 15 Einmal West-Berlin und zurück

MfS AOP 1761_80 Bd 3_Bl. 264A Skizze des »Grenzdurchbruchs« auf einer Karte der Staatssicher- heit.

nen Eltern aus sei- Name des österreichischen Oberst ner Heimat in die Alfred Redl. Der vormalige Vizechef Bundesrepublik ge- des österreichischen Nachrichten- flüchteten Rumä- dienstes wurde 1913 als russischer nen: »[Schulze] und Agent enttarnt, er beging Suizid. (Zum [Nicolscu] standen »Fall Redl« ausführlich in Militärge- vor der Fahnen- schichte 1/2013). flucht in intimem Von West-Berlin aus stand Schulze in Kontakt, der sich Briefkontakt mit seinen Eltern in der auch nach der Fah- DDR. Das MfS las immer mit und er- nenflucht fortsetzte. fuhr so, dass seit Anfang August 1979 [Schulze] selbst gibt »das Verhältnis zu [Nicolescu] offen- ›seinen Freund‹ sichtlich lockerer« wurde, »es zu Mei- [Nicolescu] als nungsverschiedenheiten gekommen Hauptmotiv seiner sein« musste. Den Grund für das Zer- Fahnenflucht ge- würfnis der beiden Männer erfuhr das genüber seinen El- MfS erst später: Der Rumäne reiste tern an und be- auch weiterhin in die DDR und lernte schuldigt ihn in dort neue Männer, vorzugsweise Sol- einem Brief an sei- daten, kennen. Daher wuchs bei nen Vater, die Fah- Schulze die Eifersucht. Am 31. August nenflucht mit vor- rief dieser von West-Berlin aus bei der bereitet und ihn Volkspolizei im Osten an: »In diesem beim US-Geheim- Telefonat beschuldigte [Schulze] den dienst avisiert zu [Nicolescu], Mitarbeiter des US-Ge- haben.« heimdienstes zu sein und an der Fah- Den Unterleut- nenflucht mitgewirkt zu haben.« nant lernte der Ru- Schulze bat die Volkspolizisten, das mäne erst wenige MfS einzuschalten und gab Ort und Wochen vor der er- Zeit der nächsten Einreise seines Part- folgreichen Flucht ners in die DDR sowie eine genaue Per- in der Wohnung ei- sonenbeschreibung an. Die Staatssi- nes Bekannten im cherheit war zur Stelle, als der Rumäne Ost-Berliner Prenz- einreiste, beobachtete ihn – und ließ ihn lauer Berg kennen. wieder ausreisen. Diesmal parallel akti- Bei der Staatssicher- vierte das MfS den Vater des Geflüchte- heit klingelten die ten und verpflichtete ihn als IM mit Unter den Augen des MfS Alarmglocken. Sie identifizierte wei- dem einzigen Auftrag, den Sohn zu- tere Mannschaftssoldaten, Unteroffi- rückzuholen. Nach einem ersten Be- Auch in West-Berlin war Unterleutnant ziere und junge Offiziere in der NVA such in Moabit am 13. September sollte Lutz Schulze nicht vor der Staatssi- und in den Grenztruppen, mit denen es eine Woche später ernst werden. Zu- cherheit sicher. Deren langer Arm der Rumäne Kontakt hatte. Auf Verlan- vor hatte der Vater Forderungen an das reichte weit, wie mehrere Fälle von gen des in West-Berlin lebenden Ru- MfS gestellt: Sein Sohn solle bei Rück- Entführungen aus West-Berlin zeigten. mänen hatte Schulze in den Tagen vor kehr straffrei ausgehen. Das MfS sagte Schon die Überführung des Geflüchte- der Flucht alle für ihn greifbaren Do- dies zu. Die Entscheidung darüber ten von der West-Berliner Polizei zur kumente und Papiere der Grenztrup- hatte kein geringerer als der Minister US-Geheimdienststelle wurde dem pen gesammelt und in einer Tasche im für Staatssicherheit, Erich Mielke, ge- MfS durch einen IM aus dem »Operati- Gepäckschließfach im Ostbahnhof de- troffen. onsgebiet« gemeldet. Nach vier Wo- poniert. Den Schlüssel dazu übergab er Am 21. September 1979, um 8.15 Uhr, chen bei den Amerikanern, einer Wo- einen Tag später an Nicolescu, der da- trafen Vater und Sohn Schulze mit der che bei den Briten und einem Monat nach wieder in die DDR eingereist war. S-Bahn im Bahnhof Friedrichstraße ein im Notaufnahmelager Berlin-Marien- Geheimdienste begegneten Homose- und wurden in die DDR »geschleust«. felde bezog Schulze eine Wohnung in xuellen lange Zeit mit Misstrauen. Ih- »Vorkommnisse bei der Entsendung Moabit. Schnell fand er Arbeit auf dem nen wurde ein Hang zu Seilschaften [des Vaters und IM] gab es nicht, Beob- Bau – stets unter der Beobachtung der und Verrat, bis hin zum Hoch- und achtungen durch den Gegner bzw. Agenten des MfS. Die OPK mit dem Landesverrat, unterstellt. Eine Reihe Verstöße gegen die Konspiration sind Decknamen »Verräter« lief weiter. tatsächlicher Skandale in der Ge- nicht festgestellt worden. Das gestellte Das MfS klärte auch den bereits in schichte schienen den Vorwurf zu be- Ziel der Entsendung wurde durch die West-Berlin lebenden Freund auf, ei- stätigen und gaben dem alten Vorurteil vorbildliche Auftragserfüllung des IM nen im Alter von neun Jahren mit sei- neue Nahrung. Zuerst fällt meist der voll erreicht.«

16 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 ullstein bild/Spiegl Den Berichten des Vaters zufolge war Die Ständige Vertretung der BRD in sein Sohn durchaus freiwillig mit in der DDR in Ost-Berlin. die DDR gekommen, allerdings nur gegen das Versprechen, noch am sel- der Bundesrepublik Deutschland un- ben Tag wieder ungehindert nach denkbar – war und ist typisch für auto- West-Berlin zurückkehren zu dürfen. ritäre Regime. Am 16. Juli 1980 begann Die »Genossen hätten nur ein paar Fra- der Prozess gegen Nicolescu vor dem gen« wegen seines Anrufs vom 31. Au- Militärobergericht Berlin. Wie die gust, versicherte der Vater. Am Nach- meisten Staaten damals wie heute un- mittag desselben Tages wurde dank terhielt die DDR eine eigene Militärjus- der Angaben des Sohnes dessen (Ex-) tiz, die alle Vergehen von Soldaten ver- Freund bei der Einreise nach Ost- handelte, auch die nicht direkt mit dem Berlin festgenommen. Der Haftbefehl Dienst in Verbindung stehenden. Die lautete auf Spionage und Beihilfe zur Bundeswehr kannte und kennt keine Fahnenflucht. Dem Unterleutnant wie- Militärgerichte. (Die Truppendienstge- derum eröffneten die MfS-Offiziere, er richte sind lediglich interne Diszi- könne nun natürlich nicht mehr in den plinargerichte.) Dass der selbstredend Deutschland in der DDR in Ost-Berlin Westen zurückkehren. nie in der NVA gediente Rumäne vor begeben und sich dort als West-Ber- einem Militärgericht stand, lag daran, liner ausgeben, der seine Papiere verlo- Sieben Jahre Haft für den dass er einem Soldaten zur Fahnen- ren hatte. Schulze kam jedoch nicht Freund flucht verholfen hatte. Am 17. Juli spra- weit. Vor dem Eingang der Ständigen chen die Militärrichter ihr Urteil: Sie- Vertretung hielten ihn Volkspolizisten Der Unterleutnant ging, wie vom MfS ben Jahre Freiheitsstrafe wegen an und nahmen ihn mit aufs Revier. dem Vater zugesagt, straffrei aus, wo- Spionage in Tateinheit mit Beihilfe zur Noch am selben Tag wurde Haftbe- bei auch dies ein bezeichnendes Licht Fahnenflucht im schweren Fall. Seine fehl wegen Verdachts des versuchten auf die Realitäten der DDR warf, wo Akte bei der Militäroberstaatsanwalt- ungesetzlichen Grenzübertritts erlas- ein Geheimdienst über das Ja oder Nein schaft enthält den Beschluss des Ge- sen. Auch das alte Ermittlungsverfah- einer Strafverfolgung entscheiden richts vom September 1984, nach dem ren wegen Fahnenflucht wurde wie- konnte. Die Justiz folgte den Anwei- Verbüßen von mehr als der Hälfte der deraufgenommen – unter Protest des sungen des MfS. In diesem konkreten Haftstrafe, seien die verbleibenden Vaters, der sich auf die von Mielke per- Fall stellte die Militärstaatsanwalt- Jahre zur Bewährung ausgesetzt. sönlich gegebene Zusage der Straffrei- schaft das seit 31. Mai laufende Ermitt- Zuvor hatte sich der bekannte Rechts­- heit berief. Später wurden die Ankla- lungsverfahren wegen Fahnenflucht anwalt Wolfgang Vogel eingeschaltet. gepunkte um Spionage und »Terror« ein. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Vogel genoss das Vertrauen des Staats- erweitert. Der Terrorvorwurf fußte auf In den Wochen nach seiner Rückkehr in ratsvorsitzenden Erich Honecker und dem Umstand, dass Schulze bei seiner die DDR wurde Schulze intensiv durch der Bundeskanzler Helmut Schmidt Fahnenflucht seine Dienstpistole am die Staatssicherheit befragt. Neben den und Helmut Kohl, der Staatssicherheit Mann hatte, und der Annahme, dass er Umständen der Flucht interessierte vor wie der westdeutschen Dienste. Er war diese gegebenenfalls gegen Grenzsi- allem, was die Amerikaner und Briten auf schwierige deutsch-deutsche Fälle cherungskräfte einsetzt hätte. in ihren Befragungen hatten wissen sowie auf Agentenaustausch speziali- Am 10. September 1981 sprachen die wollen – und was der Unterleutnant siert. Vogels Spuren in den Akten deu- Richter am Militärobergericht Berlin aus dem Dienst in den Grenztruppen ten auf eine Art Austausch hin. Am ihr Urteil (oder wohl eher das Urteil, preisgegeben hatte. [Schulze] infor- 17. Oktober 1984 wurde Nicolescu das die Staatssicherheit vorher festge- mierte auch über seinen Bekannten- nach West-Berlin entlassen. Der ent- legt hatte): Schulze wurde wegen Spio- kreis, darunter andere homosexuelle sprechende Vermerk wurde aber erst nage, Fahnenflucht im schweren Fall, Offiziere der Grenztruppen. Kaum ih- Ende 1987 in seine Akte bei der Mili- vorbereitetem ungesetzlichen Gren- ren Ohren trauten die Vernehmer der täroberstaatsanwaltschaft aufgenom- zübertritts im schweren Fall und unbe- Stasi, als sie von einem damaligen Kreis men, ein weiteres Indiz für einen be- fugten Waffenbesitzes zu einer Frei- homosexueller Offiziersschüler an der sonderen Vorgang. heitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Offiziershochschule der Grenztruppen Der »Terror«-Vorwurf wurde hinge- in Plauen erfuhren, die sich in der Ein weiterer Fluchtversuch gen fallengelassen. Wohnung eines Gemüsehändlers zu- Schulze musste seine Freiheitsstrafe sammenfanden. Nachdem alle Fragen Lutz Schulze war trotz Straffreiheit, bis zum letzten Tag in der Haftanstalt beantwortet waren, entließ die Staats- Wohnung und Arbeit zunehmend un- Bautzen II absitzen. Er wurde im Okto- sicherheit Schulze ins Zivilleben. Sie zufrieden mit seinem neuen alten Le- ber 1988 aus der Haft entlassen. Ein beschaffte ihm eine Anstellung als ben in der DDR. Die Informanten des Jahr später waren die Herrschaft der Kellner in einem Hotel wie auch eine MfS um ihn herum hatten ihn stets im SED und ihres omnipräsenten Geheim- Wohnung. Blick. Im Oktober 1980 versuchte er er- dienstes am Ende. Der Rumäne dagegen fand sich in neut, nach West-Berlin zu fliehen, dies- der Untersuchungshaftanstalt des MfS mal aber nicht mit einer Strickleiter  Klaus Storkmann in Berlin-Hohenschönhausen wieder. über den Grenzzaun, sondern mit ei- Dass ein Geheimdienst eigene Unter- nem Trick. Er wollte sich zur Ständi­- suchungsgefängnisse unterhielt – in gen Vertretung der Bundesrepublik

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 17 Die deutsche Einheit picture-alliance/Wolfgang Kumm picture-alliance/Wolfgang

5Rund eine Million Menschen feierten in der Nacht zum 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit. 45 Jahre nach Kriegsende ist Deutschland wieder in einem souveränen Staat vereint.

»Deutschland, einig Vaterland« Die verhandelte Einheit 1989/90

Die friedliche Revolution in der DDR 1989 DDR und Sowjetunion das bestritten. tragsgemeinschaft« beider deutschen hat die Chance zur Wiedervereinigung er­ Die Rückkehr der »deutschen Frage« Staaten mit dem Ziel einer Föderation, öffnet, doch erst der Kraftakt von Politi­ weckte in den Ländern Europas, die im also der »Wiedergewinnung der staat- kern und Diplomaten in Ost und West Zweiten Weltkrieg die Schrecken der lichen Einheit Deutschlands«. führte zur Vereinigung der zuvor in feind­ NS-Herrschaft erlitten hatten, auch Das Ausland reagierte auf Kohls liche Militärblöcke integrierten beiden Ängste und Vorbehalte. Das war ver- Überraschungscoup, die Wiederverei- Staaten. ständlich, wirkte aber auf viele West- nigung zu einem aktuellen Thema zu deutsche nach 40 Jahren partner­ machen, überwiegend ablehnend. nders als 1870/71 erfolgte die schaftlicher Kooperation zumindest Moskau und Ost-Berlin sahen darin ei- deutsche Einheit 1990 im Ein- befremdlich. nen Anschlag auf die Existenz der Avernehmen mit den Nachbarn – DDR; der Kanzler, grollte KPdSU-Ge- allein durch Abkommen und Verträge. 10-Punkte-Plan neralsekretär Michail Gorbatschow, Diese »verhandelte« Einheit war eine werfe »Explosionsstoff ins Feuer«. »Sternstunde der Diplomatie«, aber ihr Am 28. November 1989 überraschte Auch Paris und London waren über glücklicher Ausgang zunächst unge- Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) das Vorpreschen empört. Frankreichs wiss. mit einem 10-Punkte-Plan zur deut- Staatspräsident François Mitterrand Der unerwartete Mauerfall am schen Einheit, der weder mit dem Koa- hielt zwar die Einheit für ein berechtig- 9. November 1989 warf die Frage nach litionspartner noch den Verbündeten tes Anliegen der Deutschen, bestand dem Fortbestand der deutschen erörtert worden war. Kern des Pro- aber auf einer langfristigen, geordne- Zweistaatlichkeit auf – auch wenn die gramms war der Vorschlag einer »Ver- ten Annäherung im Einklang mit den

18 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Europäern, um die Reformkräfte in der könne. Dieses verfassungsrechtliche 2+4-Prozess UdSSR nicht zu überfordern. Noch re- und innenpolitische Problem mit den servierter reagierte London. Premier- Interessen Polens und der Staatenge- Auf sowjetischen Wunsch trafen sich ministerin Margaret Thatcher wünschte meinschaft in Einklang zu bringen, am 11. Dezember 1989 erstmals nach die Einheit, wenn überhaupt, lieber wurde eine zentrale Aufgabe der deut- 18 Jahren die Botschafter der Sieger- später als früher; das tat sie monate- schen Diplomatie. Parallelen Resolutio- mächte USA, Frankreich, Großbritan- lang kund, selbst als Großbritannien nen von Bundestag und frei gewählter nien und UdSSR im Alliierten Kon- längst konstruktiv an der Verwirkli- DDR-Volkskammer vom 21. Juni 1990 trollratsgebäude in Berlin. Kurz darauf chung der Einheit mitwirkte. folgend, bestätigte unmittelbar nach stellte Bundesaußenminister Hans- Positive Signale kamen dagegen aus der Einheit ein deutsch-polnischer Dietrich Genscher (FDP) unmissver- Washington. Der US-amerikanische Grenzvertrag die Endgültigkeit der ge- ständlich klar, dass die Wiederbele- Präsident George Bush und Außenmi- meinsamen Grenze. bung eines Vier-Mächte-Mechanismus nister James Baker vertrauten der de- Doch wollten die DDR-Bürger über- über Deutschland inakzeptabel sei. mokratischen Wandlung der Deut- haupt eine Vereinigung? Im Winter Zum Jahreswechsel reifte parallel in schen – und ihrem langjährigen 1989 schien dies ungewiss. Einer Um- Washington, Bonn und Moskau die Verbündeten Kohl. Nachdrücklich und frage zufolge wünschte nur rund ein Idee für einen Sechser-Mechanismus konsequent befürworteten die USA die Drittel die staatliche Einheit, 70 Pro- aus Bundesrepublik, DDR und den deutsche Einheit, die sie aber an vier zent lehnten sie ab. Allerdings wurde vier Mächten, die seit 1945 Verantwor- Bedingungen koppelten: das Selbstbe- Woche um Woche das Ausmaß von tung und Rechte in Bezug auf Berlin stimmungsrecht; Deutschlands Ver- Misswirtschaft, Bankrott, Umweltzer- und Deutschland als Ganzes besaßen. bleib in NATO und Europäischer Ge- störung und »Stasi-Staat« in der DDR Dieses Format war der kleinstmögliche meinschaft (EG); friedliche Einigung offensichtlicher. Ministerpräsident und damit praktikabelste Rahmen zur im Einklang mit den Nachbarn und Hans Modrow (SED) bekam die Krise internationalen Regelung der deut- Unverletzbarkeit der Grenzen, die ent- nicht in den Griff – trotz Einberufung schen Vereinigung. Schon Verhand­ sprechend der Helsinki-Schlussakte eines »Runden Tisches« mit Vertretern lungen im 35-Staaten-Rahmen der nur konsensual geändert werden dürf- der Bürgerrechtsbewegungen und Konferenz für Sicherheit und Zusam- ten. neuen Parteien. Bei einem Treffen mit menarbeit in Europa (KSZE) hätten Nicht nur in Polen grassierte nämlich Kohl am 19. Dezember 1989 in Dresden eine Einigung in absehbarer Zeit un- die Furcht, bei einer deutschen Vereini- forderte Modrow vergeblich eine So- möglich gemacht. gung könne auch die Oder-Neiße- forthilfe von 15 Milliarden DM. Für Am Rande der »Open Skies«-Konfe- Grenze in Frage gestellt werden. Mit in- den Bundeskanzler war der Besuch ein renz von NATO und Warschauer Pakt ternationaler Rückendeckung drängte »Schlüsselerlebnis«: Die Bevölkerung in Ottawa wurde am 13. Februar 1990 Warschau massiv auf eine erneute An- empfing ihn euphorisch und artiku- das »2+4«-Format verkündet. Nichtbe- erkennung der polnischen Westgrenze, lierte klar den Wunsch nach Einheit. teiligte NATO-Partner, voran Italien wie dies die DDR 1950 im Görlitzer Auf den Leipziger Montagsdemos er- und die Niederlande, protestierten Vertrag und 1970 die Bundesrepublik tönte zunehmend das Postulat »Wir scharf. Genschers barsches »You are im Warschauer Vertrag getan hatten. sind ein Volk«. Eindeutig blieb auch not part of the Game« machte in der Letzterer stand indes unter dem Vorbe- die »Abstimmung mit den Füßen«: Bis Folgezeit »Beruhigungsmissionen« halt, dass diese Anerkennung nur bis Jahresende siedelten 340 000 DDR-Bür- noch notwendiger. Umfassende Infor- zur Wiedervereinigung gelte, weil nur ger in den Westen über, weitere 116 000 mationsberichte auf jeder NATO- und ein gesamtdeutscher Staat endgültig folgten bis März 1990. Die DDR drohte EG-Tagung halfen, Vorbehalte abzu- auf die einstigen Ostgebiete verzichten »auszubluten«. bauen. Noch mehr gelang das durch Bonns demonstratives Forcieren der westeuropäischen Integration in Rich- tung Europäischer Wirtschafts- und Währungs- und Politischer Union, die schließlich im Maastrichter Vertrag von

picture alliance/abaca 1992 und im »Euro« münden sollten. Der 2+4-Rahmen war nur eine jener zentralen Weichenstellungen, die die Frühjahrswochen 1990 zu einer Schlüs- selphase im Einigungsprozess mach- ten. Ende Januar reifte in Moskau die Erkenntnis, dass die deutsche Einheit nicht mehr zu verhindern sei. Am 30. Januar verkündete Staats- und Par-

In entspannter Landhausatmosphäre er- örtern der US-amerikanische Präsident George Bush, Außenminister James Baker und Bundeskanzler Helmut Kohl am 24./25. Februar 1990 in Camp David Fragen der deutschen Einheit.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 19 Die deutsche Einheit

teichef Michail Gorbatschow, dass sich Gespräche am 8./9. Februar in Moskau. Hauptfragen sollten bilateral mit Mos- die UdSSR dem Wunsch der Deut- Rhetorisch fragte James Baker, was kau gelöst werden – im engsten US-­ schen nach Einheit nicht entgegenstel- dem sowjetischen Sicherheitsinteresse amerikanisch-westdeutschen Schul­ len werde. Allerdings müsse Deutsch- mehr diene – ein mächtiges, gänzlich terschluss. land militärisch neutral bleiben. ungebundenes Deutschland oder ein Tatsächlich ermöglichte der 2+4-Pro- NATO-integriertes (lies: kontrolliertes) zess dann mit vier Treffen auf Minis- Die strittige Bündnisfrage Deutschland mit US-Truppenpräsenz, ter- und neun auf Beamtenebene ein verbunden mit der Zusicherung, »that geordnetes Verfahren, das Skeptiker Die Frage der deutschen Bündniszuge- NATO’s jurisdiction would not shift und Opponenten einband und zur hörigkeit wurde fortan zum Knack- one inch eastward from its present po- Ausarbeitung des zentralen »Vertrags punkt. Wie waren der westliche sition«, so Bakers Gesprächsresümee über die abschließende Regelung in Wunsch nach Deutschlands NATO- für den am folgenden Tag in Moskau Bezug auf Deutschland« führte. Ver­bleib und konträre sowjetische For- eintreffenden Kanzler. Gegenüber Neue Fakten schuf die erste freie derungen unter einen Hut zu bringen? Kohl und Genscher bekräftigte der Volkskammerwahl in der DDR am An der Evangelischen Akademie in Kreml am 10. Februar sein »Ja« zur 18. März 1990: Eine überwältigende Tutzing versuchte Genscher diese Qua- Einheit. Doch über die zentrale Bünd- Mehrheit stimmte für Parteien, die eine dratur des Kreises: Ein geeintes nisfrage verblieb ein unüberbrückba- rasche Vereinigung befürworteten. Deutschland solle in EG und NATO rer Dissens. Überraschend ging die von der Ost- bleiben. Allerdings sei »eine Ausdeh- Das US-Präsidialamt befürchtete un- CDU geführte »Allianz für Deutsch- nung des NATO-Territoriums nach terdessen, die verschwurbelte Formel land« mit 48 Prozent der Stimmen als Osten, d.h. näher an die Grenze der einer nicht auszudehnenden »NATO- klarer Wahlsieger hervor. Damit Sowjetunion heran«, auszuschließen: Zuständigkeit« mache die Situation wurde indirekt eine Präferenz für den »Vorstellungen, dass der Teil Deutsch- unklarer; sie sei nicht praxistauglich schnellstmöglichen Beitritt der DDR lands, der heute die DDR bildet, in die und berge die Gefahr, die NATO dau- zur Bundesrepublik nach Artikel 23 militärischen Strukturen der NATO erhaft zu schwächen. Insofern war die Grundgesetz ausgesprochen. Anders einbezogen werden solle, würden die Bush-Administration nicht unglück- als bei der von der SPD (Ost wie West) deutsch-deutsche Annäherung lich, als der Bundeskanzler am 24. Fe- präferierten Neuschöpfung einer ge- blockieren.« Die bestehenden Militär- bruar ohne seinen Außenminister in samtdeutschen Verfassung gemäß Ar- bündnisse sollten Bauelemente einer Camp David eintraf. Hier bekräftigten tikel 146 GG implizierte der Weg über künftigen gesamteuropäischen Sicher- Bush und Kohl ihr Maximalziel, Artikel 23 zugleich die Fortgeltung al- heitsstruktur werden; diese werde die Deutschlands Vollmitgliedschaft in ler Verträge und Bündnisse der alten im Wandel begriffenen Allianzen zu- der NATO zur conditio sine qua non Bundesrepublik. nehmend überwölben und am Ende der Wiedervereinigung zu machen. Bei Obschon die UdSSR wiederholt eine überflüssig machen. Mehrfach wieder- aller notwendigen Rücksichtnahme NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutsch- holte Genscher, dass trotz NATO-Mit- könne man die Sowjets nicht über lands für unannehmbar erklärte, deu- gliedschaft des vereinten Deutschlands diese Frage entscheiden lassen: »To tete sich an, dass diese Haltung alles Streitkräfte auf DDR-Gebiet nicht den hell with that. We prevailed, and they andere als einheitlich war: Mal präferi- Kommandostrukturen des Bündnisses didn’t.« Um Moskau keine Bremsop- erte Moskau Deutschlands Neutralität unterstehen sollten. tionen zu eröffnen, müsse der 2+4-Me- – was selbst Warschauer-Pakt-Staaten Genschers vage NATO-Formel blieb chanismus auf eine enge Agenda be- wie Polen, Ungarn und die Tschechos- umstritten, diente aber zunächst dem schränkt werden und ein reines lowakei ablehnten –, mal eine Doppel- US-Außenminister als Grundlage für Konsultationsforum bleiben. Die mitgliedschaft in beiden Militärbünd- nissen. Trotz gegenteiliger Rhetorik zeichnete sich ab, dass für die immer stärker von Wirtschafts- und Finanz- nöten, Nationalitätenkonflikten und Separatismus erschütterte Sowjetunion eine gesamtdeutsche NATO-Mitglied- schaft letztlich doch akzeptabel sein könnte – bei entsprechendem westli- chen Entgegenkommen im Bereich der Abrüstung und wirtschaftlich-finanzi- ellen Hilfen.

Unterzeichnung des »Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland« (2+4-Vertrag) am 12. Sep- tember 1990 in Moskau durch die Au- ßenminister: (v.l.n.r.) James Baker (USA), Douglas Hurd (GB), Eduard Scheward- nadse (UdSSR), Roland Dumas (Frank- reich), Lothar de Maizière (DDR) und Hans-Dietrich Genscher (Bundesrepu- ullstein bild – AP blik).

20 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Beim »Strickjackengipfel« im Kaukasus wird der Durchbruch in der umstrit- tenen Frage der NATO-Mitgliedschaft des geeinten Deutschlands erzielt. Das

Tor zur Einheit steht offen. picture-alliance/dpa

Hilfen für Moskau

Was letztere betraf, machte sich die Bundesrepublik zunehmend unent- behrlich. Bonn sprang wiederholt mit massiver Wirtschafts- und Finanzhilfe der klammen Sowjetunion zur Hilfe – angefangen von kurzfristig arrangier- ten, extrem kostengünstigen Lebens- mittellieferungen im Frühjahr und Herbst 1990, über die Bereitstellung ei- nes Fünf-Milliarden-DM-Kredits, um den Moskau ausgerechnet am Vora- die für die sowjetische Seite zentralen Dass Frankreich wie Großbritannien bend des ersten 2+4-Ministergesprächs finanziellen Aspekte des WGT-Kom- Reduzierungen ihrer Truppen in bitten musste, bis hin zum aktiven plexes geregelt wurden. Deutschland ankündigten, bedeutete, Werben für zusätzliche multilaterale dass nicht nur Sowjetsoldaten abzie- Hilfen im Rahmen von EG oder G 7. Ein Wandel hen würden. Hilfreich war die US-Er- Zu Recht befürchtete Moskau, durch klärung, auf eine Modernisierung ato- die am 18. Mai 1990 vereinbarte Neben diesen Anreizen und »Schmier- marer Kurzstreckenwaffen zu deutsch-deutsche Wirtschafts-, Wäh- mitteln« ermöglichten sicherheits- und verzichten. Ausschlaggebend aber rungs- und Sozialunion werde eine Ei- abrüstungspolitische Zusagen des wurden Signale der NATO, angesichts nigung auf der inneren Schiene so weit Westens die Kehrtwende der sowjeti- der veränderten Weltlage zum tiefgrei- vorangetrieben, dass damit auch au- schen Politik, die zuvor über Jahr- fenden Wandel ihrer Struktur und Mi- ßenpolitisch irreversible Fakten ge- zehnte das Feindbild NATO beschwo- litärstrategie bereit zu sein: In der »Bot- schaffen würden. Mit Einführung der ren hatte. In etlichen ihrer 1990 quasi schaft von Turnberry« reichte die D-Mark in der DDR ab 1. Juli drohten im Zwei-Wochen-Takt geführten Ge- NATO am 8. Juni »der Sowjetunion der Sowjetunion massive Zusatzkosten spräche unterstrich der sowjetische und allen europäischen Ländern die für ihre 380 000 dort stationierten Sol- Außenminister Eduard Scheward- Hand zu Freundschaft und Zusam- daten und deren Familien. Auch hier nadse gegenüber Genscher, für ihr Si- menarbeit«. Beim Londoner Gipfel am zeigte sich Bonn zu großzügiger finan- cherheitsbedürfnis brauche die Sowje- 6. Juli kündigte die NATO eine Revi- zieller Kompensation bereit. tunion eine dramatische Reduzierung sion ihrer Nuklearstrategie und einen Ohnehin versicherte die Bundesre- der Bundeswehr, die mit rund 450 000 Truppenabbau an, gab ein Nichtan- gierung, dass für die UdSSR der „Ver- gut gerüsteten und ausgebildeten Sol- griffsversprechen und lud Warschau- lust« der DDR durch Ausbau und In- daten nach der USA die stärkste kon- er-Pakt-Staaten zum Besuch ein; kurz: tensivierung der Beziehungen zu ventionelle Streitmacht der NATO bil- die NATO bot die »Entfeindung« des Gesamtdeutschland mehr als kompen- dete. In der Tat verhandelten NATO bisherigen Verhältnisses an. siert werden würde. Entsprechend und Warschauer Pakt seit Frühjahr Zusammen mit der Aussicht, durch »rahmten« den 2+4-Vertrag vom 1989 in Wien über »Konventionelle einen Ausbau der KSZE eine gemein- 12. September 1990, durch den die Abrüstung in Europa« (KSE). Aller- same Sicherheitsarchitektur zu schaf- Vier-Mächte-Rechte beendet und die dings wurde dort eigentlich nicht über fen, bot all das der sowjetischen Füh- Souveränität eines geeinten Deutsch- Truppenstärken, sondern nur über rung eine »goldene Brücke«. So gelang lands (bei voller Wahlfreiheit über die fünf offensiv verwendbare Waffenka- beim Treffen mit der Bundesregierung Bündniszugehörigkeit) besiegelt tegorien verhandelt. Auch hier gelang am 15./16. Juli in Moskau und im Kau- wurde, vier weitere deutsch-sowjeti- letztlich bilateral der Durchbruch. Im kasus der Durchbruch. Am 3. Oktober sche Abkommen: der »Umfassende Kaukasus einigten sich Gorbatschow 1990 wurde Deutschland friedlich ver- Vertrag« über gute Nachbarschaft, und Kohl auf eine Bundeswehrhöchst- eint. Partnerschaft und Zusammenarbeit stärke von 370 000 Mann. Wie wichtig und der Vertrag über Wirtschafts-, der Sowjetunion diese Begrenzung  Tim Geiger Technik- und Wissenschaftskoopera- war, zeigt die Tatsache, dass Genschers tion vom 9. November, ferner der Ab- entsprechende KSE-Verpflichtung Literaturtipps zugs- und Aufenthaltsvertrag vom vom 30. August in den 2+4-Vertrag in- Andreas Rödder, Deutschland einig Vaterland. Die Ge- 12. Oktober zur Regelung von Rechten tegriert wurde – ebenso Deutschlands schichte der Wiedervereinigung, München 2009. und Modalitäten der bis 1994 auf erneuerter Verzicht auf atomare, biolo- Die Einheit. Das Auswärtige Amt, das DDR-Außen­ DDR‑Territorium verbleibenden sow- gische oder chemische Waffen. Festge- ministerium und der Zwei-plus-Vier-Prozess. Bearb. von jetischen »Westlichen Gruppe der schrieben wurde ferner, dass im Gebiet Heike Amos und Tim Geiger, Göttingen 2015 (auch als Truppen« (WGT) sowie der »Über­lei­ der DDR fortan keine Atomwaffen sta- Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, tungsv­ ertrag« vom 9. Oktober, in dem tioniert werden dürften. Bd 1639).

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 21 Service Das historische Stichwort picture alliance/Wolfgang Kumm picture alliance/Wolfgang

5Ein Angehöriger des Artillerieregiments 1 der NVA in Lehnitz bei Oranienburg erhält am 21. September 1990 eine Uniform der Bundeswehr mit rotem Barett. Armee der Einheit

m Tag vor der Wiedervereini- gene Kommandostruktur auf. Doch sierten Schützendivision (MSD). Deren gung wurden die Truppenfah- die Strukturen der NVA und ihrer Teil- drei mot. Schützenregimenter, das Ar­ Anen der NVA eingeholt, mal mit streitkräfte ließen sich nicht über Nacht til­lerieregiment 11 und das Bataillon einem feierlichen Antreten, zumeist auflösen. So bestanden die sechs Divi- Materielle Sicherstellung 11 blieben aber unaufgeregt formlos. Mit Ablauf sionen der Landstreitkräfte zunächst zunächst bestehen. Die übrigen Batail- des 2. Oktober hörte die NVA auf zu weiter; sie wurden nach und nach in lone wurden mit Vorrang aufgelöst. bestehen. Ihre noch im Dienst verblie- Brigaden umgegliedert. An die Stelle benen Soldaten traten nun in olivgrü- der Kommandos der beiden Militärbe- Verbitterung und nen Bundeswehruniformen an. zirke in Leipzig und Neubrandenburg Zukunftshoffnungen traten dort zwei Divisionsstäbe der Auflösung und Aufbau Bundeswehr. Letztlich spiegelte sich in Im April 1991 hatte die 11. MSD alter der Dislozierung des Heeres in Ost- Struk­tur noch einen Personalbestand Einen Einigungsprozess der beiden Ar- deutschland geografisch wie in der Zu- von 1400 Soldaten; knapp 800 Soldaten meen gab es nicht. Es gab auch keine ordnung der Verbände die alte die neue Heimatschutzbrigade 38. Im Pläne, die NVA mit ihren eigenen NVA-Struktur nahezu eins zu eins wi- Oktober 1991 gehörten noch 400 Solda- Strukturen in die Bundeswehr zu inte- der, nur eben jeweils eine Gliederungs- ten zu den Strukturen der alten Divi- grieren. Was von der NVA blieb, waren ebene niedriger. sion, während die neue Brigade nun- die Menschen, ihre Waffen, Ausrüs- Die Auflösung der NVA-Strukturen mehr 2200 Soldaten zählte. Bis Ende tung und Kasernen. Die Bundeswehr und der Aufwuchs der neuen Bundes- Februar 1992 wurden dann die letzten war nun für dieses menschliche und wehrstrukturen verliefen personell Regimenter und Bataillone alter Struk- materielle Erbe ihres ehemaligen Geg- und materiell parallel. So existierte bei- tur sowie der Stab der 11. MSD aufge- ners verantwortlich. spielsweise neben dem Stab der neuen löst. Die Bundeswehr baute ab dem 3. Ok- Heimatschutzbrigade 38 noch der Auf- Unterdessen waren die Angehörigen tober 1990 in Ostdeutschland eine ei- lösungsstab der bisherigen 11. Motori- der ehemaligen DDR-Streitkräfte ei-

22 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 nem immensen psychologischen und medizinischen Dienstes, alle weibli- wurde weniger als 11 000 von ihnen sozialen Druck ausgesetzt. Für viele chen Soldaten der NVA bis zum der längere Verbleib in der Bundes- dieser Soldaten war es problematisch, 30. September 1990 zu entlassen. Im wehr angeboten, etwa 3200 Offizieren jetzt die Uniform des einstigen Geg- Gegensatz zur Bundeswehr hatte die und 7600 Unteroffizieren. Mann- ners zu tragen. Der Kommandeur des DDR-Armee weibliche Soldaten in vie- schaftssoldaten aus der NVA gab es neu eingerichteten Bundeswehrkom- len Truppengattungen und Verwen- zwei Jahre nach der Einheit nicht mehr mandos Ost, Generalleutnant Jörg dungen, so wie die Bundeswehr erst in der Bundeswehr. Schönbohm, erkannte dieses und fasste wieder ab dem Jahr 2001. Alle diese Mit der Beschäftigung von 36 000 den Geist der Befehlsübernahme durch Entscheidungen traf noch die letzte NVA-Soldaten für zunächst zwei Jahre ihn und seine Bundeswehroffiziere in DDR-Regierung. und dann 11 000 für längere Zeit leis- die klugen Worte: »Wir kommen nicht Wie jeder Angestellte im öffentlichen tete die Bundeswehr einen großen Bei- als Sieger zu den Besiegten, sondern Dienst wurden auch alle Soldaten auf trag zur Entlastung des Arbeitsmarktes als Deutsche zu Deutschen.« eine frühere Tätigkeit für das Ministe- und damit zur Stabilisierung des da- Das wirkliche Leben war jedoch oft rium für Staatssicherheit überprüft. mals fragilen sozialen Friedens in den komplizierter und schwerer. Einerseits Mehr als 1500 ehemalige NVA-Solda- ostdeutschen Bundesländern. Bis Ende waren die ehemaligen NVA-Offiziere ten wurden nach Blick in die Stasi-Ak- 1998 war die Zahl der in der Bundes- in den Augen vieler westdeutscher Of- ten fristlos entlassen. Der formale wehr noch aktiven ehemaligen NVA- fiziere wie in denen ihrer zivilen Mit- Rechtsgrund: falsche Angaben bei der Soldaten auf insgesamt 9300 gesunken. bürger Teil des repressiven kommunis- Bewerbung für die Bundeswehr. 2006 wurde Generalarzt Erika Franke tischen Regimes; mit entsprechender Die unterschiedliche Rangstruktur der erste Bundeswehr-General mit Skepsis begegneten sie ihnen. Anderer- stellte ein weiteres ernstes Problem DDR-Vergangenheit. Vor 1990 war sie seits fühlten sich die ostdeutschen Offi- dar. Die NVA beförderte ihre Offiziere aber kein Offizier der NVA gewesen, ziere und Unteroffiziere nicht selten schneller als die westdeutsche Armee. sondern Ärztin der Volkspolizei. 2014 mit Respektlosigkeit und Arroganz be- Im Zuge einer Dienstgradanpassung wurde zum ersten und bislang einzi- handelt von denen, die aus dem Wes- Anfang 1991 wurden fast alle Offiziere gen Mal ein früherer Offizier der NVA ten kamen um einen Rang herabgesetzt, viele so- zum General befördert: Der Komman- Der damalige Oberst Hans-Peter von gar um zwei oder sogar mehr. Für ei- deur der Luftlandebrigade 31, Oberst Kirchbach löste ab 3. Oktober die von nige ehemalige Offiziere der NVA bot Gert Gawellek, 1978 als Offiziersan- einem NVA-Oberst übernommene die Bundeswehr nur eine Unteroffi- wärter in die NVA eingetreten. 9. Panzerdivision in Eggesin (Vorpom- zierkarriere an. Dieses Vorgehen hatte mern) auf. Als Zeitzeuge erinnerte sich strukturelle Gründe: Die NVA kannte Was bleibt von der NVA in der später General a.D. von Kirchbach: kein eigenständiges Unterführerkorps Bundeswehr? »Harmonisch war die Übernahme der wie die Bundeswehr. Volksarmee beileibe nicht. Von der Viele Ostdeutsche empfanden diese Die NVA wurde nicht in die Bundes- Freude, die die Menschen im Osten Personalmaßnahmen als eine Entwer- wehr integriert. An ihrer Stelle wurde weithin bewegte, war unter den Solda- tung ihrer bisherigen Lebensleistung. die Bundeswehr in Ostdeutschland ten der Division wenig zu spüren. Un- Dies war psychisch schmerzhaft, und neu aufgebaut und dabei NVA-Perso- sicherheit beherrschte die Gefühle. für fast alle gab es als Alternative nur nal teilweise übernommen. Die Bun- Was wird aus mir? Werde ich meine die Arbeitslosigkeit. Im Schatten der deswehr ist auch nicht Rechtsnachfol- Familie ernähren können?« gravierenden Veränderungen im Osten gerin der NVA. Das bedeutet nicht, Nach einer Entscheidung der DDR- standen die Schließungen von Kaser- dass heute keine Einflüsse der Regierung wurden alle noch aktiven nen, Einheiten und Verbänden im Wes- DDR-Streitkräfte in der Bundeswehr NVA-Generale und -Admirale bereits ten. Ganze Standorte verloren ihre eng zu verzeichnen sind. Abgesehen von zum 28. September 1990 entlassen. mit den Soldaten verbundene wirt- den durch die Bundeswehr weiterge- Kein einziger General oder Admiral schaftliche Basis. Die neuen Personal­ nutzten Kasernen und Gerätschaften der NVA hat demnach auch nur einen obergrenzen rissen auch etliche Offi- dienten und dienen noch immer Solda- Tag in der Bundeswehr gedient – mit ziere und Unteroffiziere der »alten« ten und Zivilbeschäftigte, die zuvor einer (kaum bekannten) Ausnahme: Ein Bundeswehr aus ihren Karriereträu- Angehörige der NVA waren, in der Generalmajor des Militärmedizini- men. Bundeswehr. schen Dienstes wurde als Oberstarzt in 51 000 ehemalige NVA-Berufs- und Heute leisten Soldaten aus allen Re- die Bundeswehr übernommen, wenige Zeitsoldaten (und zusätzlich 47 000 Zi- gionen Deutschlands jeden Tag ihren Wochen später aber auch entlassen. vilangestellte) wurden am Tag der Ver- Dienst in der ganzen Republik. Damit Zudem wurden mehrere frühere Gene- einigung zunächst in die Bundeswehr sei die Bundeswehr, so Bundesvertei- rale vorrübergehend als zivile Berater übernommen, zudem auch alle Wehr- digungsministerin Annegret Kramp- beschäftigt. dienstleistenden. Das Ende der NVA Karrenbauer, »ein sichtbares Zeichen Bereits am 15. August 1990 wurden bedeutete zu deren Bedauern nicht au- einer erfolgreichen Wiedervereinigung alle ostdeutschen Offiziere und Unter- tomatisch das Ende ihres Wehrdiens- unseres Landes«. offiziere ab einem Lebensalter von tes. Ende 1990 übernahm die Bundes- 55 Jahren entlassen, unabhängig von wehr 36 000 Soldaten auf Basis eines Klaus Storkmann ihrem Rang oder ihrer individuellen Zwei-Jahres-Vertrages, darunter etwa Verantwortung in der NVA. Besonders 6000 Offiziere und etwa 11 000 Unter- bitter war für die Betroffenen die Ent- offiziere. Am Ende der zweijährigen scheidung, mit Ausnahme des militär- Verpflichtungszeit, im Oktober 1992,

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 23 Service Neue Medien

Überblick über ein aktuelles histori- sches Forschungsprojekt. Der Podcast stellt eine hervorra- gende Möglichkeit für Forschende Anno… oder auch Geschichtsinteressente dar, sich außerhalb des engeren akademi- anno-punktpunktpunkt.de schen Feldes zu informieren und wei- terzubilden.

Lilly Ratzow

Wargame – A Blast from the Past

PC-Spiel, Saftladen Berlin, Paintbucket games, bei steam net. Andererseits ist die Infanterie auch 14,99 Euro nicht gerade die beste Wahl für einen Angriff über freies Gelände. um Glück ist der Kalte Krieg nie Den Aufklärungseinheiten fällt in eschichte kennt man zumeist nur Zheiß geworden. Aufgerüstet und diesem Spiel eine der wichtigsten Auf- Gaus Büchern, Dokumentationen, für den Ernstfall geübt wurde jedoch gaben zu. Sie müssen den Feind mög- Vorträgen und aus dem Schulunter- über Jahrzehnte hinweg. Daher ist es lichst früh aufklären und ihn auch über richt. Historisches Wissen einem Pod- nicht so verwunderlich, dass die Pan- weite Entfernung und für die Team­ cast zu entnehmen, war bis vor Kur- zer, Flugzeuge und andere Ausrüstung player-Einheiten sichtbar machen, da- zem eher ungewöhnlich. Um dies zu aller Armeen des Kalten Krieges im- mit diese ihn bekämpfen können. ändern, gründete der in Berlin lebende mer noch eine Faszination für viele Hubschrauber wiederum sind zwar Historiker Philipp ­Janssen den auf ausüben. anfällig für feindliche Flugabwehr, bie- mehreren Plattformen, wie Spotify, Eben diese Epoche dient für den ten aber eine gute mobile Abwehrvari- Apple Music, erhältlichen Podcast­ Spielemacher Eugen Systems bei dem ante in diesem Spiel. Welche Einheiten »Anno ...«. In dem Podcast werden ak- Spiel Wargame: Red Dragon als Szena- in dem jeweiligen Szenario zum Ein- tuelle Projekte der Geschichtswissen- rio für dieses Spiel. Es ist aber mehr als satz kommen, entscheidet jeder Spieler schaft von Historikerinnen und Histo- das Eintauchen in die Zeit des Kalten selbst. Das Spiel folgt dabei einem gut rikern vorgestellt und zusammen mit Krieges. Das Spiel erhebt den An- durchdachten Spielprinzip, basierend Janssen besprochen und diskutiert. spruch, realitätsnah taktische Schlach- auf »Stein, Schere, Papier«, und wird Dem Hörer werden im Verlauf einer ten mit »modernen Waffensystemen« durch die detaillierte Umsetzung der Folge nicht nur ein geschichtliches widerzuspiegeln. Waffensysteme und somit ihrer Stär- Thema und dessen Hintergründe prä- Panzer sind als Waffen nicht unbe- ken und Schwächen zu einem Vergnü- sentiert. Sie erhält zudem Literaturhin- dingt die beste Wahl, wenn es um den gen. Das Ineinandergreifen der Einhei- weise zur weiteren Vertiefung und der Kampf im Wald geht. Dafür scheinen ten entfaltet besonders im Multiplayer Podcast-Gast darf selbst Gäste für wei- Infanterieeinheiten meist besser geeig- seinen besonderen Reiz. tere Sendungen vorschlagen. Mit Themen wie »Die NS-Propag- anda der Waffen-SS«, »Die Selbstthera- pie von Diabetes« oder »Die Heavy- Metal-Szene in der DDR« bietet der Podcast­ ein breites Spektrum ge- schichtlicher Themenfelder. Der Fokus liegt auf der europäischen Geschichte, aber auch US-amerikanische oder afri- kanische »Geschichten« werden vorge- stellt. Am 6. Februar 2018 erschien die erste Folge des wissenschaftlichen Podcasts. In einem Abstand von ungefähr 14 Ta- gen erscheinen zwei neue Folgen pro Monat. Die Durchschnittsdauer einer Folge beträgt etwa 60 Minuten. Damit bietet sie einen sehr guten und anschaulichen medien24 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Zeit durchlebt haben. Jeder kann, ob anonym oder nicht, seine ganz persön- liche Geschichte, seine Erlebnisse und Eindrücke erzählen und damit die Er- Meine Wende – Unsere Einheit? innerung an die Ereignisse mitgestal- ten. Ein Podcast des ZDF, ZDF-Mediathek Einige ausgewählte Geschichten er- scheinen jeden Donnerstag in dem für neueden »Grimme Online Award« nomi- reignisse, die Geschichte schrieben. nierten Podcast »Meine Wende – Un- EBereits während man sie durchlebt sere Einheit?«, abrufbar auf den ein- wird klar, dass diese einmal in den Ge- schlägigen Plattformen, wie Sportify, schichtsbüchern stehen werden! Zwei- iTunes, Deezer und Soundcloud. felsfrei gehören der Mauerfall und die Die Auswahl an Themen ist groß. damit einhergehende Wendezeit dazu. Mittlerweile sind über 40 Folgen in un- 30 Jahre ist es nun her, dass die terschiedlicher Länge verfügbar. Wende durch einen gesellschaftspoliti- Das Langzeit-Projekt des ZDF läuft schen Wandel in der DDR herbeige- noch bis zum 3. Oktober 2020. Die Er- führt wurde und so die deutsche Wie- gebnisse sollen anschließend weiter dervereinigung ermöglichte. Die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht Er­innerungen an die neugewonnene und einige ausgewählte Episoden in Wargame: Red Dragon verfügt, abge- Reise­freiheit, die Währungsunion, das einem Filmprojekt verfilmt werden. sehen von dem Mehrspieler-Aspekt, Be­grüßungs­geld, aber auch die drasti- Ein spannendes und mitreißendes der deutlich mehr Vergnügen bereitet, schen Veränderungen in der Arbeits- Projekt, das sowohl zum Mitmachen über mehrere Einzelspielerkampag- welt und nicht zuletzt im privaten Um- anregt als auch Geschichte erzählt und nen, die alternative Erzählstränge zu feld haben die Biografien von Millionen mitgestaltet. Hören Sie doch mal rein, realen Krisen aufzeigen. Zum Beispiel Menschen stark geprägt. oder vielleicht haben auch Sie ja selbst bietet das Spiel eine fiktive Wiederauf- In einem Projekt des ZDF kommen eine Geschichte zu erzählen? nahme des Koreakrieges in den 1980er die Menschen zu Wort, die eben diese hh Jahren oder einen fiktiven Angriff auf das britische Hongkong durch chinesi- sche Streitkräfte. Hierbei verfügt der Spieler über eine nur begrenzte Zahl an Einheiten, die auf einer Landkarte verschoben werden können, bevor diese auf dem Schlachtfeld zum Ein- satz kommen. Es werden aber nur Ein- heiten auf das taktische Schlachtfeld zugelassen, die zuvor auch auf der geografisch strategischen Karte ein­ gesetzt waren. Das erzeugt ein realisti- sches Bild, da die vorhandenen Kräfte und Mittel nicht unbegrenzt zur Ver­ fügung stehen. Mit diesen Diskrepan- zen umzugehen und die Einheiten klug einzusetzen machen den beson- deren Reiz des Spiels aus. Ist Ihr Interesse geweckt? Dann nur noch ein Tipp: Der geneigte Spieler sollte zu Beginn ein hohes Maß an Durchhaltefähigkeit mitbringen und sich nicht von der vermeintlichen Komplexität abschrecken lassen. Denn durchhalten lohnt sich. Sobald man die Komplexität durchschaut hat, ent- puppt sich Wargame: Red Dragon, trotz seines Alters, als ein Goldkörn- chen des Strategie-Genres – es erlebt nicht umsonst ein Revival unter den Gamern. Severin Pleyer medien Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 25 Service Lesetipps

Dresden 1945 Der letzte Sklave Fotografien aus Ost und West

Büstenhalter der Geliebten, Kreuz, Barracoons wurden die Gefängnisse Kann man heutigen Generationen ver- Schiebermütze oder Socke: Welcher Ta- oder vielmehr Deportationslager an mitteln, wie Berlin einst ausgesehen lisman brachte mehr Glück im Krieg? der afrikanischen Westküste genannt, hat und welche architektonischen Nar- Die Rede ist von den Bomber-Besat- in denen die Sklaven auf die Schiffe ben diese Stadt verkraften musste? Der zungen der Royal Air Force (RAF) und nach Nordamerika warteten. Der trans­ Berliner Fotograf Jürgen Grothe ist in der United States Army Air Force atlantische Sklavenhandel war seit seinem Buch »Berlin. Fotografien aus (USAAF) während ihrer acht bis neun 1808 illegal, das Verbot aber nicht Ost und West 1956‑1978« aus dem El- Stunden dauernden Einsätze von durchgesetzt. sengold-Verlag sicher nicht nur dieser Großbritannien nach Deutschland und In einem dieser Gefängnisse harrte Frage nachgegangen. Der auch als zurück. Sie hatten 25 bis 30 Einsätze zu 1860 auch der 19-Jährige Oluale Kos- Stadthistoriker bekannte Autor hat seit absolvieren, nicht viele Angehörige sola vom Volk der Yoruba aus. In den den 1950er Jahren seine Heimatstadt des fliegenden Personals erreichten USA angekommen, wurde er an einen porträtiert, indem er durch beide Teile diese Zahl überhaupt. Plantagenbesitzer in Alabama verkauft reiste, um den Alltag der Bewohner Sinclair McKay erzählt ihre Ge- – und hieß nun Cudjo Lewis. Der Sieg und besondere Ereignisse festzuhalten. schichte und die Geschichten einzelner des Nordens im Amerikanischen Bür- Die Fotos seien von einer unglaubli- am Beispiel der Luftangriffe auf gerkrieg befreite auch Lewis. Seinen chen Wucht und Tiefe, sagt der Verlag. Dresden am 13. und 14. Februar 1945. Traum einer Rückkehr nach Afrika Und wirklich, allein am Einband bleibt Sie erfolgten in drei Wellen aus etwa konnte er aus finanziellen Gründen man hängen. Drei Kinder in einer Hof­ 4000 Metern Höhe: 244 Maschinen der nicht realisieren, also bauten ­Lewis einfahrt sind zu sehen. Sie fühlen sich RAF um 22.03 Uhr, 552 Flugzeuge der und seine Leidensgenossen ihr eigenes unbeobachtet, der Blickwinkel scheint RAF um 01.00 Uhr und 311 Flugzeuge Dorf auf: Africatown in Alabama. 1927 aus dem Westteil der Stadt zu sein, der USAAF um 12.00 Uhr. besuchte ihn dort die Journalistin Zora durch den Zaun, durch Maschendraht. Genauso widmet er sich dem Ge- Neale Hurston und interviewte ihn Vielleicht ist das Bild kurz nach dem schehen am Boden. Er stellt die Men- über sein Leben. Mauerbau, vielleicht sogar am 13. Au- schen sowie ihre Stadt vor und lässt Das daraus entstandene Manuskript gust 1961 aufgenommen worden. Ein Personen zu Wort kommen: Kinder, wollte aber kein Verlag drucken. Erst Bild, das in den Jahren danach Alltag Jugendliche im Dienst von HJ oder 2018, nach 87 Jahren, erschien das In- wird. Spielende Kinder im Schatten BDM, Erwachsene im Dienst der Wehr- terview – und nun auch in Deutsch. der Mauer. macht, der Rüstungsindustrie, der Ver- Seine einfache Sprache gibt dem Be- Mit Grothe schlendert man durch die waltung, der Partei, des Luftschutzes, richt Authenzität. Anders als zu erwar- Stadt, von Mitte bis Zehlendorf. Und als Flüchtlinge, Kriegsgefangene, ten, stehen nicht die fünf Jahre als immer hat man das Gefühl hautnah KZ-Häftlinge sowie Untergetauchte Sklave auf der Plantage im Zentrum, dabei gewesen zu sein. Seine Aufnah- und schließlich auch Alte. Auf sie gin- sondern Kossolas Leben als Kind und men seien keine Schnappschüsse, son- gen innerhalb von 18 Stunden die Jugendlicher in Benin und sein Leben dern kontrollierte Augenblicke, sagt Spreng- und Brandbomben sowie die als freier Mann. Lewis nimmt kein der Autor. Viele der gezeigten Plätze, Luftminen nieder. 25 000 überlebten Blatt vor den Mund. So ist er noch im- Häuser und Gebäude sind heute ver- das Inferno nicht, die Innenstadt war mer verbittert, das es »seine eigenen schwunden. beinahe komplett zerstört. Leute« waren, die ihn in Benin an den So begibt man sich auf eine histori- McKay ordnet Dresden 1945 gekonnt Sklavenhändler verkauften; genauer sche Wanderung durch ein Berlin, das in die Entwicklung des Luftkrieges gesehen, war es ein verfeindeter es nicht mehr gibt. Jedoch verbirgt sich und die allgemeine Lage an den Fron- Stamm, der sein Volk besiegt und ver- noch eine weitere Dimension hinter ten kurz vor Kriegsende ein, endet sklavt hatte. Ebenso schonungslos be- den kraftvollen Fotos. Beinahe jedes aber nicht einfach 1945, sondern be- richtet Lewis über die Ablehnung und beginnt zu erzählen, wenn man es län- trachtet die lange Wirkungsgeschichte Verachtung, die ihm als Neuankömm- ger betrachtet. Und auf einmal ist man dieses symbolträchtigen Bombarde- ling von den in Amerika geborenen mittendrin. ments bis in die Gegenwart hinein. Vor People of color entgegenschlug. Lewis´ Silvia Friedrich allen Dingen aber tut er dies lebendig, authentische Erinnerung hat heute beklemmend und leicht lesbar. mehr Aktualität denn je. hp ks

Zora Neale Hurston, Sinclair McKay, Die Barracoon. Die Ge- Jürgen Grothe, Berlin. Nacht, als das Feuer schichte des letzten Fotografien aus Ost und kam. Dresden 1945, amerikanischen Sklaven, West 1957‑1970, 2. Aufl. München 2020. München 2020. ISBN Berlin 2019. ISBN ISBN 978-3-442-31549; 978-3-32860-130-2; 978-3-96201-028-7; 559 S., 22,00 Euro 224 S., 20,00 Euro 240 S., 36,00 Euro

26 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020

Jemen Das Jahr 1990 Spione

Ähnlich wie Deutschland war auch der Starke Bilder prägen die bewegenden Kurz bevor sein Vorgesetzter Heinz Jemen über Jahrzehnte in zwei Staaten Wochen und Monate rund um den Felfe im November 1961 in Pullach ver- geteilt, einen westlich orientierten Nor- Mauerfall: Montagsdemonstrationen, haften ließ, überreichte er ihm noch den und einen sozialistischen Süden, Grenzöffnungen, Menschen, die sich eine Medaille in Würdigung zehn Jahre und beide vereinigten sich 1990. Aber weinend in den Armen lagen. Deutlich treuer Dienste für den Bundesnachrich- was heißt schon »westlich orientiert« weniger hat das Jahr 1990, in dem die tendienst (BND). Die »Inszenierung und »sozialistisch« im arabischen »Einheit« vollzogen wurde und sich dieses kleinen Abschiedsstücks« ließ Raum? Viel wichtiger als Nord oder das Leben Tausender DDR-Bürger von sich der BND nicht nehmen. Felfe hatte Süd waren Stammeszugehörigkeiten. Grund auf änderte, einen Eintrag im dort und bei seinem Vorläufer Organi- Seit 2013 zerreißt ein neuer Bürgerkrieg kollektiven Bildgedächtnis hinterlas- sation Gehlen (OG) zehn Jahre als Spe- das Land. Sunnitische Stammeskämp- sen. zialist für Gegenspionage gearbeitet – fer verbündeten sich mit dem regiona- Auf bewegende Weise füllt nun der und zugleich für den sowjetischen len Al-Qaida-Ableger gegen die schiiti- von der Stiftung Buchkunst prämierte KGB. schen Huthi aus dem Norden. Bildband »Das Jahr 1990 freilegen« Wer Hechelhammers Buch liest, er- Spätestens mit der saudi-­ara­bi­schen diese Lücke. »Ein Bergwerk der Erin- fährt nicht nur alles über Felfe, sondern Militärintervention 2015 (mit Hilfe der nerung« sei dieser, so die Begründung auch viel Neues und Spannendes über USA) auf Seiten der längst kollabierten der Jury. Schon das Cover besticht: Geheimdienste. In nicht immer leicht Regierung und gegen die Huthi inter- Sechs Personen schauen mit ernstem zu verstehender Abgrenzung zur Spio- nationalisierte sich der Konflikt. Auch Blick in verschiedene Richtungen. »Al- nageabwehr versuchte Felfes Bereich die Streitkräfte Ägyptens, Katars und les Bestehende zerfällt«, heißt es im der Gegenspionage, in gegnerischen der Vereinigten Arabischen Emirate Band, »Blick in den Abgrund der Frei- ­Sicherheitsbehörden Agenten zu wer- griffen auf Seiten der Saudis ein, der heit« an anderer Stelle. Dazu passt das ben und so deren Arbeitsweise und Iran unterstützt die Huthi-Rebellen Foto der aufgebrochenen Straßen- ­Absichten aufzuklären. Dazu werden nach Kräften. Zwischen den Fronten flucht. erkann­te oder sich selbst offenbarte und unter den US-­ameri­ka­ni­schen Der Band enthält eine Fülle aufwen- ­Spione nicht verhaftet, sondern zu Drohnenangriffen gegen die Terroris- dig recherchierter Fotos, die sich ge- Dop­pel­agenten »umgedreht«. Hechel- ten der Al-Qaida leidet vor allem die konnt mit Interviews, Tagebucheinträ- hammer verwendet dafür die geheim- Bevölkerung. Das unermessliche Elend gen und Zitaten zu einer einfühlsamen diensttypische Sprache: Im »Doppel- der größten menschlichen Katastrophe Collage im Setzkastenprinzip verei- spiel« wird der Gegner mit »Spiel- unserer Zeit wird von den Medien und nen. Die euphorische Silvesterfeier am material« versorgt. Da aber mit Felfe der Weltöffentlichkeit aber erschre- Brandenburger Tor 1989/90 und ein der KGB von diesen Operationen ckend wenig wahrgenommen. verbliebenes Stück Mauer, auf das Kenntnis erlangte, konnte er seinerseits Umso wichtiger ist Said AlDailamis Schneeflocken rieseln, rahmen das Jahr ein »doppeltes Doppelspiel« beginnen Buch. Der promovierte bildlich ein. In chronologischer Rei- – und die Spionageabwehr des BND und heutige Reserveoffizier der Bun- henfolge bilden die Fotos und Texte lahmlegen. deswehr ist gebürtiger Jemenit. Mit dazwischen alltägliche und nicht-all- Hechelhammers Buch dreht sich großer Sachkenntnis, aber auch Lei- tägliche Facetten des Jahres 1990 ab: nicht nur um Felfe, sondern um drei denschaft für sein Geburtsland analy- Aufbruchstimmung, Ankunft im Not- sowjetische Agenten im BND. Alle drei siert er schonungslos offen die dortige aufnahmelage, Arbeiter im VEB Kraft- kannten sich seit den späten 1930er Jah- Lage, insbesondere die verheerende verkehr Weimar, Demonstrationen, ren beim Sicherheitsdienst (SD) der SS Rolle der Saudis. Den Blick in die Ge- Ofen im Keller des Erfurter Stasigebäu- in Dresden. So thematisiert Hechel- schichte hält er kurz, seine ganze Auf- des, in dem Akten vernichtet wurden, hammer zugleich den lange tabuisier- merksamkeit gilt den verworrenen Misswahl in Leipzig, Wahlkampf, Ent- ten Umgang des BND mit NS-belaste- Konflikten der jüngsten Zeit und Ge- tarnung des SPD-Aufsteigers Ibrahim ten Mitarbeitern. Sein Buch liest sich genwart. Dabei erklärt AlDailami auch, Böhme als ehemaliger Stasi-Spitzel mit spannender als das Drehbuch der meis- welche Rolle ausländische Mächte und erfundener Biografie, Einführung der ten heutigen ARD-Tatorte. Man will es der »Westen« bei der medialen Ver- D-Mark, Gegner der Einheit, Wieder- nicht gar mehr aus der Hand legen, dunkelung des Krieges spielen. vereinigungsfeiern. sondern die 350 Seiten an einem Tag le- ks Esther Geiger sen. ks

Bodo V. Hechelhammer, Spion ohne Grenzen. Said AlDailami, Jemen. Jan Wenzel (Hrsg.), Das Heinz Felfe – Agent in Der vergessene Krieg, Jahr 1990 freilegen, sieben Geheimdiensten, München 2019. ISBN Leipzig 2020. ISBN München 2019. ISBN 978-3-406-73158-7; 978-3-959-05319-8; 978-3-492-05793-6; 261 S., 16,95 Euro 592 S., 36,00 Euro 416 S., 24,00 Euro

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 27

ServiceService Die historische Quelle

Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv

Bericht des MAD über den Deutschen Soldatensender 935, 1966

in zentraler Teil des auch und gerade zwischen Folgt man einem Bericht des Militärischen Abschirm- beiden deutschen Staaten ausgetragenen Ost-West- dienstes (MAD) aus dem Wehrbereich I (Schles- EKonflikts fand auf dem ideologischen Feld statt. wig-Holstein und Hamburg), war der DSS 935 überaus Hier wurde der Kalte Krieg heiß, denn die militäri- erfolgreich. Beinahe alle Bundeswehrsoldaten kannten schen Propagandaeinheiten der Bundeswehr und der den Sender, die halbe Truppe zählte zu den regelmäßigen Nationalen Volksarmee (NVA) kamen tatsächlich zum Hörern. Er stieß auf ihr Interesse, weil er »von sich be- Einsatz. Die »Psychologische Kampfführung« der Bun- hauptet, Missstände in der Bundeswehr abstellen und deswehr ließ beispielsweise Flugblätter und als den Soldaten über seine Rechte aufklären zu wollen«, NVA-Publikationen getarnte Propagandazeitungen hielt der MAD im Juli 1966 fest. Der Propagandasender über der DDR niederregnen. Auch der Osten blieb nicht griff somit die Kritik ermöglichende Kultur in der Bun- untätig. 1960 trat der »Deutsche Soldatensender 935« deswehr auf, die die Soldaten kannten: Die Wehrbe- (DSS 935) in Aktion. schwerdeordnung oder der Wehrbeauftragte waren Wege, auf Probleme im Dienstalltag auf- merksam zu machen. Der DSS 935 forderte die Soldaten dazu auf, ihre Briefe an »Berlin W 8, Postfach 116« zu adressieren – eine An- schrift, die den Eindruck erweckte, der Emp- fänger sitze in West-Berlin. Im 19. Jahrhun- dert waren die Berliner Postbezirke nach Himmelsrichtungen aufgeteilt worden – ausgehend vom Hofpostamt nahe des Rotes Rathauses in Mitte. Bis zur Einführung der vierstelligen Postleitzahlen 1965 lagen einige mit »W« gekennzeichnete Postzustellbe- zirke nach 1949 auf dem Gebiet von Ost-Ber- lin. Die so eintreffenden Informationen er- laubten den Nachrichtendiensten der DDR willkommene Rückschlüsse auf die Lage der Bundeswehr und lieferten Themen für die Propaganda. Auf besondere Resonanz stießen die Brief- partnerschaften, die der Sender zu vermit- teln versprach. Die ostdeutschen Pendants dieser Schriftwechsel waren vorgeblich junge Damen, die teilweise »in ihren Briefen politischen Agitationsstoff einflochten«. Es gab auch Fälle, in denen Bundeswehrsolda- ten aufgefordert wurden, »zu einem Besuch in die SBZ« – die Sowjetisch besetzte Zone, wie die DDR bis in die 1970er despektierlich genannt wurde – zu kommen. Einige bra- chen den Kon­takt danach ab, den­noch, so der MAD, bildete der DSS 935 »ein Agi­ tations- und Infiltrationsinstrument gegen die Bundeswehr«, dem nur schwer beizu- kommen war. Erst mit Abschluss des Grund- lagenvertrages zwischen der Bundesrepub- lik und der DDR 1972 wurde diese Form der Ost-West-Propaganda beendet.

Christoph Nübel

28 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020

Geschichte kompakt

10. Januar 1920 24. Oktober 1945

Der Völkerbund entsteht Gründung der Vereinten Nationen

ach dem Ersten Weltkrieg galt es, eine weltumspan- m 24. Oktober jährt sich die Gründung der Vereinten nende Organisation zu schaffen, die künftige Kriege Nationen zum 75. Mal. Ursprünglich von 50 Natio- Nverhindern sollte. Weiterhin mussten abgetrennte Anen gegründet, sind in der Generalversammlung frühere Territorien der Kriegsverlierer verwaltet werden. der Vereinten Nationen heute 193 Nationen vertreten. Die Schaffung eines Völkerbundes war ein erklärtes US-a- Bereits 1942 verständigten sich die Westalliierten und die merikanisches Kriegsziel gewesen und auch Bestandteil der Mitgliedsstaaten des britischen Commonwealth unter dem Friedensverträge von 1919/20. Am 10. Januar 1920 wurde Namen United Nations (UN) auf eine gemeinsame Vorge- die Satzung des Völkerbundes ratifiziert. hensweise im Kampf Die USA traten dem Völkerbund jedoch nicht bei, weil gegen das nationalso- der US-Senat Präsident Woodrow Wilson die notwendige zialistische Deutsch- Zustimmung zum Vertrag verweigert hatte. Die Struktur land und das Japani- der Organisation erinnert an die heutigen Vereinten Natio- sche Kaiserreich. Alle nen (VN): Neben der Völkerbundversammlung, die einmal Unterzeichner der im Jahr tagte und deren Beschlüsse Einstimmigkeit voraus- Charter sollten davon setzten, gab es den Völkerbundrat mit den ständigen Mit- Abstand nehmen, ei- gliedern Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, nen individuellen Deutschland (seit 1926), UdSSR (seit 1934), sowie zwölf Frieden zu schließen, nicht-ständigen Mitgliedern. Auch hier mussten Entschei- um eine mögliche dungen einstimmig getroffen werden, etwaige Konfliktpar- Spaltung der Alliier- teien hatten kein Stimmrecht. Hinzu kam das ständige Ge- ten zu vermeiden. neralsekretariat mit seinem Generalsekretär. Diese vertraglichen Erst im Laufe der 1920er Jahre traten die Verliererstaaten Bestrebungen wur-

des Ersten Weltkrieges dem Völkerbund bei. Deutschland den durch die diplo- akg-images wurde im Jahre 1926 Mitglied. Bereits 1933 trat es unter matische Einbezie- dem NS-Regime wieder aus. hung der Sowjetunion UNO-Flagge. Die Satzung des Völkerbundes sah vor, dass im Falle ei- mit der Moskauer Er- nes Krieges gegen ein Mitglied die übrigen Staaten sofort klärung 1943 gestärkt. Alle Vertragspartner erklärten die und direkt – also ohne bedingungslose Kapitulation der Achsenmächte als Vorbe- Völkerbundbeschluss – dingung für einen Friedensschluss. Eine Organisation unter Hilfe leisten sollten, was dem Namen Vereinte Nationen wurde jedoch erst am 7. Ok- jedoch in der Praxis nie tober 1944 beschlossen; sie nahm offiziell am 24. Oktober geschah. 1945 ihre Arbeit auf. Ein geplantes Proto- Die alliierten Siegermächte wollten ein entscheidendes koll der Völkerbund­ Gremium bilden, das bei internationalen Konflikten zur Be- versammlung zur fried­ friedung eingesetzt werden konnte. Dieses Gremium bildete lichen Beilegung inter- die Grundlage für den späteren Sicherheitsrat. Er besteht nationaler Krisen schei- heute aus den ständigen Mitgliedern Volksrepublik China, terte am Widerstand Frankreich, Großbritannien, Russland und USA sowie zehn Großbritanniens. nicht-ständigen Mitgliedern, die jeweils für zwei Jahre beru- Der japanische Über- fen werden.

akg-images fall auf Nordostchina im Vorrangiges Ziel der Vereinten Nationen ist die Wahrung Jahre 1931 hatte keine des Weltfriedens und die internationale Sicherheit. Weitere Der deutsche Außenminister Maßnahmen des Völker- Ziele sind die Achtung der Menschenrechte sowie die inter- Gustav Stresemann spricht nach bundes zur Folge. Das nationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher, kultureller Aufnahme Deutschlands in den italienische Vorgehen und umweltschützender Ebene. Es gilt ein allgemeines Ge- Völkerbund, 10. September gegen Äthiopien 1935 waltanwendungsverbot und die Verpflichtung zur friedli- 1926. wurde zwar mit Sanktio- chen Beilegung von Konflikten. nen beantwortet, die Die Vereinten Nationen setzen sich seit ihrer Gründung in aber unterlaufen wurden. Spanien verließ den Völkerbund Kriegs- und Krisengebieten für den Schutz der Zivilbevöl- nach dem Bürgerkrieg 1939. Die Sowjetunion wurde wegen kerung ein. Als Zeichen der Neutralität in einer Konflikt- des sowjetisch-finnischen Winterkrieges 1940 ausgeschlos- zone tragen die Soldaten blaue Helme. Derzeit befinden sen. sich über 90 000 Soldaten weltweit im UN-Auftrag im Ein- Die Völkerbundversammlung löste sich formell 1946 auf. satz. Deutschland beteiligt sich unter anderem derzeit aktiv Im Jahr zuvor war bereits eine »Nachfolgeorganisation« ge- an den UN-Missionen in der Republik Mali, im Libanon, im gründet worden: die Vereinten Nationen. Sudan und Südsudan.­

Harald Potempa Severin Pleyer

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 29 Service Ausstellungen

Aufgrund der Corona-Krise sind Besuche von Museen derzeit eingeschränkt. Bitte informieren Sie sich bei den einzelnen Veranstaltern, wann und in welchem Umfang die Ausstellungen geöffnet sind. Wir empfehlen Ihnen, das bereitgestellte mediale Angebot der einzelnen Museen zu nutzen.

• Berlin Deutsches • Dresden • Marienborn Spionagemuseum AlliiertenMuseum Leipziger Platz 9 Gedenkstätte Bautzner Gedenkstätte Deutsche Clayallee 135 10117 Berlin Straße Teilung auf dem Gelände 14195 Berlin www.deutsches-spionage­ Bautzner Straße 112a des größten Grenzüber- www.alliiertenmuseum.de museum.de 01099 Dresden gangs der DDR an der Dienstag bis Sonntag täglich Tel. 03 51 / 64 65 45 4 innerdeutschen Grenze 10.00 bis 18.00 Uhr 10.00 bis 20.00 Uhr www.bautzner-strasse- An der Autobahn 2 Eintritt frei Eintritt: 12,00 Euro dresden.de 39365 Harbke ermäßigt: 8,00 Euro täglich www.gedenkstaette- Gedenkstätte Berliner 11.00 bis 17.00 Uhr marienborn.sachsen- Mauer Erinnerungsstätte Eintritt: 6,00 Euro anhalt.de Bernauer Str. 111 Notaufnahmelager ermäßigt: 3,00 Euro täglich 13355 Berlin Marienfelde 10.00 bis 17.00 Uhr www.berliner-mauer- Marienfelder Allee 66/80 Eintritt frei gedenkstaette.de 12277 Berlin • Leipzig Besucherzentrum | www.notaufnahmelager- Dokumentationszentrum berlin.de Stasimuseum in der • Sorge Dienstag bis Sonntag Freitag bis Sonntag »Runden Ecke« 10.00 bis 18.00 Uhr 11.00 bis 17.00 Uhr Ausstellung »Stasi – Grenzmuseum Sorge Außenausstellung im Eintritt frei Macht und Banalität« und Freilandmuseum Gedenkstättenareal Dittrichring 24 Abschnitt der ehema- Montag bis Sonntag Gedenkstätte Berlin- 04003 Leipzig ligen innerdeutschen 8.00 bis 22.00 Uhr Hohenschönhausen www.runde-ecke-leipzig.de Grenze Ausstellung Geisterbahn- Genslerstr. 66 Samstag bis Montag Försterbergstraße 5b höfe im S-Bahnhof 13055 Berlin 10.00 bis 18.00 Uhr 38875 Stadt Oberharz am Nordbahnhof www.stiftung-hsh.de Eintritt: nur Kosten für Brocken OT Sorge Eintritt frei Montag bis Sonntag einen Audioguide www.grenzmuseum-sorge. 9 bis 18 Uhr de Mauermuseum am Eintritt frei Tel.: 01 51 / 23 31 95 78 Checkpoint Charlie Besichtigung der Haft­ Eintritt: nach Friedrichstrasse 43–45 anstalt nur im Rahmen Voranmeldung 10969 Berlin einer Führung www.mauermuseum.de Führungen: 6,00 Euro täglich ermäßigt: 3,00 Euro 9.00 bis 22.00 Uhr Schüler: 1,00 Euro Eintritt: 14,50 Euro ermäßigt: 7,50 bis 9.50 Stasimuseum Berlin Euro auf dem ehemaligen Gelände der Zentrale DDR Museum des Ministeriums für Karl-Liebknecht-Str. 1 Staatssicherheit (MfS) 10178 Berlin Normannenstraße 20, www.ddr-museum.de Haus 1 täglich 10365 Berlin 9.00 bis 21.00 Uhr www.stasimuseum.de Eintritt: 8,50 Euro Dienstag bis Sonntag ermäßigt: 5,50 Euro 11.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 8,00 Euro Klaus Storkmann ermäßigt: 6,00 Euro Schüler (ab 12 Jahren): Original erhaltene Grenzanlagen im Außenbereich des 3,00 Euro Grenzmuseums Sorge.

30 Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 Militärgeschichte im Bild

Herbstzeit ist Manöverzeit

m Herbst war in der Epoche der legt; sie übernahmen hier ihr eingela- 1979 wurde er einer der jüngsten Bri- Massenheere die Zeit der großen gertes Material und schlugen im Zuge gadegenerale des Heeres in seiner Al- IManöver, weil dann die landwirt- der Vorneverteidigung den Gegner terskohorte. Im Oktober 1982 über- schaftlich genutzten Felder weitge- zurück. Am Manöver »Certain Strike« nahm er die Panzerlehrbrigade 9, hend abgeerntet waren. Das Bild zeigt in Niedersachsen waren 78 300 Solda- deren internes Verbandsabzeichen er eine solche Szene in Norddeutschland ten aus sechs Nationen mit 20 000 Rad- ganz offen auf dem Bild trägt, wäh- im Jahr 1987; dennoch kann es stellver- und 2200 Kettenfahrzeugen beteiligt; rend die NVA bei Manövern die Klar- tretend für eine ganze Epoche stehen. charakteristisch waren die Gewässer- namen der Truppenteile geheim hielt. Die Herbstmanöver in der Bundes­ übergänge an der Aller und der erste Wenige Tage nach der Aufnahme über- republik wiesen 1987 drei Besonder- Einsatz des US-Hubschraubers AH-64 nahm Roth die Kamptruppenschule 2 heiten auf. Zum einen wurde im Rah- »Apache«. und war von Oktober 1989 bis zu sei- men der »Reforger«-Übungsserie Auf dem Coverbild des Heftes ist zu ner Pensionierung Deutscher Militäri- (englisch: »Return of Forces to Ger- sehen, wie sich Oberst Lothar Engel- scher Vertreter SHAPE. many«), zum ersten Mal ein ganzes hardt in der Felddienstuniform der Für Lothar Engelhardt, geboren 1939 US-amerikanisches­ Korps über den NVA in Begleitung von Brigadegene- im Landkreis Gotha, folgte auf das ­Atlantik transportiert. Zum anderen ral Georg-Heinrich Roth in die Lage ­Abitur an der Naumburger Kadetten- gab es in Süddeutschland das erste einweisen lässt. Beide Offiziere waren schule die Offizierausbildung in der große deutsch-französische Manöver Angehörige der Panzertruppe. Aufklärungstruppe der NVA-Land- »Kecker Spatz“ (französisch: »­Moineau Roth, geboren 1934, hatte nach Eva- streitkräfte. Von 1970 bis 1973 studierte Hardi«) als Zeichen der intensivierten kuierung aus seiner Geburtsstadt Ber- er an der Malinowski-Militärakademie­ deutsch-französischen Zusammenar- lin Schulen in Westdeutschland be- der sowjetischen Panzertruppen und beit. Und zum dritten hielten sich erst- sucht und war sodann nach dem von 1982 bis 1984 an der Militärakade- mals Manöverbeobachter der NVA in Abitur 1954 zum Bundesgrenzschutz mie des Generalstabs der sowjetischen der Bundesrepublik auf; Bundes- gegangen. 1956 wechselte er als Leut- Streitkräfte. Nach 1984 blieb Engel- wehroffiziere hatten bereits im März nant zur Panzertruppe der Bundes- hardt, seit März 1988 Generalmajor, und April jenes Jahres Manöver in der wehr. 1971 wurde er Kommandeur durchgängig im Kommando Land- DDR besichtigt. des Panzerbataillons 204 und 1973 mi- streitkräfte in Geltow bei Potsdam Die regelmäßig in Gefechtsübungen litärischer Berater der bundesdeut- (heute Standort des Einsatzführungs- endenden »Reforger«-Manöver führte schen KSZE-Delegation. Als Oberst kommandos), zunächst als Chef Auf- die NATO jährlich von 1969 bis 1993 war er Chef des Stabes der 3. Panzerdi- klärung, dann als Stellvertreter des (mit einer Ausnahme 1989) durch. Ih- vision, Generalstabsoffizier im Chefs des Stabes für operative Arbeit. nen lag die Annahme einer Offensive ­NATO-Hauptquartier SHAPE und In der Zeit zwischen friedlicher Re- aus dem Osten zugrunde. Daraufhin Delegationsleiter des BMVg bei den volution 1989 und Ende der NVA 1990 wurden US-Truppen nach Europa ver- Abrüstungsverhandlungen in Wien. wurde er zunächst Stellvertreter des Chefs Landstreitkräfte und Chef des Stabes. Im September 1990 wurde Ge- neralmajor Engelhardt letzter Chef der NVA. Nach Auflösung der NVA arbei- tete er als ziviler Berater für die Bun- picture alliance/dpa deswehr. Engelhardt starb am 5. April 2010.

Karl-Heinz Lutz

NVA-Oberst Werner Litzroth (r.) wird am 7. September1987 auf der Hardt­ höhe in Bonn von Staatssekretär Lothar Rühl (l.) begrüßt. Zum ersten Mal sind zwei Offiziere der NVA der DDR als Be- obachter eines NATO-Manövers in die Bundesrepublik gereist. Im September 1987 fand in Niedersachsen das NATO- Großmanöver »Certain Strike« statt.

Militärgeschichte· Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2020 31 Neue Publikationen des ZMSBw

Matthias Rogg, Kompass Militärgeschichte. Ein historischer Überblick für Einsteiger. Hrsg. vom ZMSBw, Freiburg i.Br., Berlin, Wien: Rombach 2013, X, 384 S., 19,80 Euro ISBN 978-3-7930-9732-7

Anja Seiffert und Julius Heß Leben nach Afghanistan Die Soldaten und Veteranen der Generation Einsatz der Bundeswehr, Die Garnisonkirche Potsdam. Zwischen MythosPotsdam: und Erinnerung. ZMSBw Im 2020, Auftrag des ZMSBw hrsg. von Michael Epkenhans und Carmen383 S., Winkel, 15,90 Freiburg Euro, i.Br., Berlin, Wien: Rombach 2013, 120 S., 10 Euro ISBN 978-3-9415-71-38-9 ISBN 978-3-7930-9729-7

»Vom Einsatz her denken!« Bedeutung und Nutzen von Militärgeschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Donald Abenheim, Eberhard Birk, Sozialistische Waffenbrüder?Bernhard Chiari, Antje Dierking, Axel F. Gablik, Winfried Heinemann, Hans- Rumänien und die DDR im WarHubertus- Mack und Peter Andreas Popp. Im Auftrag des ZMSBw hrsg. von schauerMit Pakt. Unterstützung Im Auftrag desdes DieterZenMGFA:- H. Kollmer, Potsdam: ZMSBw 2013, 107 S. (= Potsdamer Schriften zur trums für Militärgeschichte undMilitärgeschichte, 22), 9,80 Euro Sozialwissenschaften der BundesISBN -978-3-941571-26-6 wehr hrsg. von Jörg Echternkamp, Potsdam: ZMSBw 2020 (= Potsda- mer Schriften des Zentrums für Die »Militärgeschichte. Zeitschrift für Militärgeschichte und Sozialwis- historische Bildung« finden Sie auch senschaften der Bundeswehr, 31), in der Media-App der Bundeswehr 236 S., 10,00 Euro, ISBN 978-3-941571-40-2 (kostenfrei).

Podcast zum Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 Die 8. Folge des Podcast des ZMSBw handelt vom Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, der zur Gründung des Deutschen Reichs führte. Die neue Podcast-Reihe des ZMSBw finden Sie auf unserer Internetseite: Podcast zur Potsdamer Konferenz www.zmsbw.de/html/aktuelles/liste Die 7. Folge des Podcast behandelt die Potsdamer Konferenz 1945 nach dem Ende des Krieges in Europa. www.mgfa.de www.zmsbw.de