Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/67

Deutscher

Stenografischer Bericht

67. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Inhalt:

Begrüßung der Abgeordneten Angelika (SPD) ...... 6345 A Glöckner ...... 6337 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 6346 A (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 5: DIE GRÜNEN) ...... 6347 C a) – Zweite und dritte Beratung des von Renate Künast (BÜNDNIS 90/ den Fraktionen der CDU/CSU und DIE GRÜNEN) ...... 6348 A SPD eingebrachten Entwurfs eines (SPD) ...... 6348 C … Gesetzes zur Änderung des Straf- gesetzbuches – Umsetzung europäi- Christina Schwarzer (CDU/CSU) ...... 6349 C scher Vorgaben zum Sexualstraf- recht Drucksachen 18/2601, 18/3202 (neu) . 6337 B Tagesordnungspunkt 22: – Zweite und dritte Beratung des von der Erste Beratung des von der Bundesregierung Bundesregierung eingebrachten Ent- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur wurfs eines … Gesetzes zur Ände- besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege rung des Strafgesetzbuches – Umset- und Beruf zung europäischer Vorgaben zum Drucksachen 18/3124, 18/3157 ...... 6351 D Sexualstrafrecht Manuela Schwesig, Bundesministerin Drucksachen 18/2954, 18/3202 (neu) . 6337 B BMFSFJ ...... 6352 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (DIE LINKE) ...... 6354 B schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- (Hamburg) (CDU/CSU) . . 6355 D neten Dr. , Katja Dörner, Pia Zimmermann (DIE LINKE) ...... 6356 B Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ NEN: Kinder schützen – Prävention DIE GRÜNEN) ...... 6358 C stärken Dr. Carola Reimann (SPD) ...... 6359 C Drucksachen 18/2619, 18/3201 ...... 6337 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 6361 A Dr. (SPD) ...... 6337 D Astrid Timmermann-Fechter (CDU/CSU) . . . 6362 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 6338 D Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) ...... 6363 C (zur Geschäftsordnung)...... 6340 C (CDU/CSU) ...... 6364 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . 6341 A Pia Zimmermann (DIE LINKE) ...... 6365 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6343 B Petra Crone (SPD) ...... 6367 C II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Antje Lezius (CDU/CSU) ...... 6368 D (CDU/CSU) ...... 6387 C Erwin Rüddel (CDU/CSU) ...... 6370 B (DIE LINKE) ...... 6388 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) ...... 6389 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 23: DIE GRÜNEN) ...... 6389 C Erste Beratung des von den Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) ...... 6389 D Dr. , , (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN sowie den Abgeordneten Halina Tagesordnungspunkt 25: Wawzyniak, , Dr. , weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE a) Erste Beratung des von der Bundesre- LINKE eingebrachten Entwurfs eines Geset- gierung eingebrachten Entwurfs eines zes zur Änderung des Telemediengesetzes – Fünften Gesetzes zur Verbesserung Störerhaftung rehabilitierungsrechtlicher Vorschrif- Drucksache 18/3047 ...... 6371 C ten für Opfer der politischen Verfol- gung in der ehemaligen DDR Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/3120 ...... 6390 B DIE GRÜNEN) ...... 6371 D b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hansjörg Durz (CDU/CSU) ...... 6373 B , Dr. , , weiteren Abgeordneten und (CDU/CSU) ...... 6374 D der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Halina Wawzyniak (DIE LINKE) ...... 6375 B Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher (SPD) ...... 6376 C Vorschriften für Opfer der politischen (CDU/CSU) ...... 6377 C Verfolgung in der ehemaligen DDR Drucksache 18/3145 ...... 6390 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6379 B , Bundesminister BMJV ...... 6390 D Christian Flisek (SPD) ...... 6379 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) ...... 6391 B (CDU/CSU) ...... 6392 B Tagesordnungspunkt 24: Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) ...... 6393 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Katja Keul (BÜNDNIS 90/ rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- DIE GRÜNEN) ...... 6394 D zes zur Umsetzung von Empfehlungen Dr. (SPD) ...... 6395 D des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 6396 D Drucksache 18/3007 ...... 6380 D b) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, , Tagesordnungspunkt 26: weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hasskri- Antrag der Abgeordneten , Eva minalität wirkungsvoll statt symbolisch Bulling-Schröter, , weiterer Abge- verfolgen ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bun- Drucksache 18/3150 ...... 6381 A deseinheitliche Netzentgelte für Strom Drucksache 18/3050 ...... 6397 C Heiko Maas, Bundesminister BMJV ...... 6381 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) ...... 6397 C Martina Renner (DIE LINKE) ...... 6382 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) ...... 6398 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 6383 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) ...... 6400 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Thomas Bareiß (CDU/CSU) ...... 6401 A DIE GRÜNEN) ...... 6384 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6401 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6385 A (SPD) ...... 6402 B Dr. Eva Högl (SPD) ...... 6386 B Dr. (CDU/CSU) ...... 6403 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 III

Johann Saathoff (SPD) ...... 6404 D mung über den Änderungsantrag des Abge- ordneten Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nächste Sitzung...... 6405 D NEN zu dem von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbil- Anlage 1 dungsförderungsgesetzes (25. BAföGÄndG) Liste der entschuldigten Abgeordneten ...... 6407 A Drucksache 18/3182 (66. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 13a) ...... 6407 D

Anlage 2 Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) zur namentlichen Abstim- Amtliche Mitteilungen ...... 6407 D

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(A) (C)

67. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. schusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Drucksache 18/3202 (neu) begrüße Sie alle herzlich und darf vor Eintritt in unsere Tagesordnung einige Mitteilungen machen: b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Familie, Senioren, Die Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat ihr Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An- Bundestagsmandat bedauerlicherweise niedergelegt. trag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Für sie ist am 12. November 2014 die Kollegin Katja Dörner, Tabea Rößner, weiterer Abgeord- Angelika Glöckner nachgerückt, die ich im Namen des neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hauses herzlich begrüße und mit der wir uns eine gute NEN Zusammenarbeit wünschen. Herzlich willkommen! (B) Kinder schützen – Prävention stärken (D) (Beifall) Drucksachen 18/2619, 18/3201 Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für darauf verständigt, dass während der Haushaltsbera- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch dazu tungen in unserer nächsten Sitzungswoche, also ab dem kann ich Einvernehmen feststellen. Dann können wir so 25. November, wie in Haushaltswochen üblich keine Be- verfahren. fragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem auch keine Aktuellen Stunden durchgeführt werden. Als Kollegen Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. Präsenztage sind die Tage von Montag, dem 24. Novem- ber, bis Freitag, dem 28. November, festgelegt worden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich vermute, dass Sie damit einverstanden sind. – Das ist der CDU/CSU) der Fall. Dann verfahren wir so. Dr. Johannes Fechner (SPD): Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich bin sehr a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- froh, dass wir heute diesen Gesetzentwurf verabschieden tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- können, weil wir damit eine EU-Richtlinie umsetzen ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände- – das ist der Anlass für dieses Gesetz –, was bei der Vor- rung des Strafgesetzbuches – Umsetzung gängerregierung liegen geblieben war. Sie sehen also: europäischer Vorgaben zum Sexualstraf- Wir reden nicht nur vom Schutz von Kindern, sondern recht wir handeln auch, und wir schließen mit diesem Gesetz Drucksache 18/2601 zum Schutz der Kinder wichtige Strafbarkeitslücken in Deutschland. – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten desregierung eingebrachten Entwurfs eines der CDU/CSU) … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- buches – Umsetzung europäischer Vorga- Dabei sind wir uns bewusst, dass wir mit dem Straf- ben zum Sexualstrafrecht recht allein den Missbrauch von Kindern sicherlich nicht verhindern können. Dazu brauchen wir Präventionspro- Drucksache 18/2954 jekte wie das Projekt „Kein Täter werden“ in Berlin oder 6338 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Dr. Johannes Fechner (A) ein ähnliches Projekt in Baden-Württemberg. Wir unter- drücken und knipsen kann. Ich finde, angesichts dieser (C) stützen das Projekt „Kein Täter werden“ in diesem technischen Entwicklung müssen wir den höchstpersön- Haushaltsjahr mit zusätzlichen 150 000 Euro. lichen Lebensbereich, nicht nur der Kinder, sondern auch der Erwachsenen besser schützen. Natürlich, die besten und strengsten Gesetze helfen nichts, wenn wir bei den Ermittlungsbehörden, etwa bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Polizeidienststelle vor Ort, nicht die technische und der CDU/CSU) auch nicht die personelle Ausstattung haben, die für die Verbrechensbekämpfung benötigt werden. Sie sehen also: Wir haben in Umsetzung der EU- Richtlinie präzise Regelungen für das Strafgesetzbuch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zum Schutz der Kinder in Deutschland getroffen. Da in der CDU/CSU und der LINKEN) manchen Medien anscheinend noch Unklarheiten be- standen, möchte ich ausdrücklich auf Folgendes hinwei- Ich bin gespannt, was zu diesem für mich wesentlichen sen: Die Sorge, dass die journalistische Bildberichter- Aspekt im Untersuchungsausschuss zum BKA heraus- stattung durch dieses Gesetz in irgendeiner Form kommt; denn die entscheidende Frage ist: Was können eingeschränkt werden könnte, ist unbegründet. Wir ha- wir hier verbessern? ben in einer Vorschrift explizit geregelt, dass die journa- Es gibt in Deutschland Strafbarkeitslücken im Straf- listische Bildberichterstattung und wissenschaftliche Tä- gesetzbuch, die wir mit diesem Gesetz schließen wollen. tigkeiten von der Strafbarkeit ausgeschlossen sind. Da Wichtig ist mir, dass wir das Strafmaß für den Besitz von auch viele Eltern nach Medienberichten Sorge hatten, ist Kinderpornografie von zwei auf drei Jahre erhöhen; das es mir ebenso wichtig, zu sagen: Wenn Eltern ihre klei- halte ich für eine wichtige Maßnahme. Das Erstellen, das nen Kinder im Familienurlaub nackt am Strand spielend Verbreiten und der Besitz sogenannter Posingbilder wer- fotografieren, dann ist das nicht strafbar, auch dann den zukünftig nach dem StGB explizit als Kinderporno- nicht, wenn solche Fotos verbreitet werden. Es war uns grafie strafbar sein. Ich halte es für ganz wichtig, dass ganz wichtig, dass solche privaten Fotos nicht kriminali- wir hier ein klares Kriterium gefunden haben und im Ge- siert werden. setz definiert haben, wann etwas als Kinderpornografie Zusammengefasst: Wann sind Nacktfotos von Kin- strafbar sein soll. dern strafrechtlich problematisch? Das ist bei der Her- Wir haben klar definiert, wann ein Bild eines nackten stellung, beim Besitz oder beim Erwerb von Nacktbil- Kindes oder eines Jugendlichen als pornografisch und dern von Kindern und Jugendlichen der Fall, wenn das damit strafbar einzuschätzen ist, nämlich dann, wenn das Bild vom Täter mit der Absicht, es zu verkaufen, also ei- Bild oder das Video die unbekleideten Genitalien oder nem Dritten gegen Entgelt zugänglich zu machen, herge- (B) das unbekleidete Gesäß eines Kindes zeigt oder wenn stellt wurde oder wenn es sich um pornografische Bilder (D) ein Kind bzw. ein Jugendlicher in unnatürlicher, ge- handelt, wobei wir im Gesetz ganz klar definiert haben, schlechtsbetonter Körperhaltung abgebildet ist. Zudem wann diese Schwelle erreicht ist. macht sich nach unserer Neuregelung strafbar, wer mit Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz verbes- kommerziellen Absichten Nacktbilder von Jugendli- sern wir den Schutz der Kinder vor Missbrauch, und wir chen, die die Schwelle zur Pornografie, die ich gerade schützen den höchstpersönlichen Lebensbereich von beschrieben habe, nicht erreichen, herstellt oder anbietet. Bürgerinnen und Bürgern, ganz unabhängig vom Alter. Wir beschließen noch viele weitere wichtige Maßnah- Es ist deshalb ein wichtiges und sinnvolles Gesetz, dem men. Da möchte ich dem Kollegen Wiese allerdings wir alle einvernehmlich zustimmen sollten. nicht vorgreifen. Ich will nur benennen, dass wir das Herzlichen Dank. Cybergrooming zukünftig explizit unter Strafe stellen. Ich finde, eine wichtige Maßnahme ist auch, dass wir die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Verjährungsfrist deutlich verlängern. Sie sehen also: Wir nehmen den Schutz der Kinder sehr ernst. Wir schließen Präsident Dr. Norbert Lammert: Strafbarkeitslücken im Gesetz zum Wohle der Kinder in Nächster Redner ist der Kollege Jörn Wunderlich für Deutschland. die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU)

Aber auch den höchstpersönlichen Lebensbereich von Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Erwachsenen schützen wir zukünftig besser, etwa indem Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir die Personen, die in einer hilflosen Situation fotogra- Liebe Zuhörer und Zuschauer! Zunächst möchte ich fiert und dadurch zur Schau gestellt werden, strafrecht- mich bei allen Kollegen für die sachliche Beratung in lich schützen. Strafbar macht sich zukünftig auch, wer den Ausschüssen bedanken. Es ist ein heikles Thema. Es unbefugt ein Bild – das Wort „unbefugt“ ist ein ganz ist ein schwieriges Thema. Ich denke, da sollte man wichtiges Korrektiv im Gesetzestext – herstellt und da- Emotionen oder irgendwelche wie auch immer geartete bei dem Ansehen der fotografierten Person erheblich Parteivorbehalte und Ähnliches beiseitelassen. schadet. Wir haben ja heute die Situation, dass Smart- phones und damit Kameras und Videokameras allgegen- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wärtig sind. Sofort ist jemand da, der auf den Auslöser neten der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6339

Jörn Wunderlich (A) Es geht hier um Kinderschutz. Ich denke, ich spreche für ein solches Treffen hinführende konkrete Handlungen (C) alle Mitglieder des Hauses, wenn ich sage, dass es für je- erfolgt sind. Hier stellt sich die Frage, wie bei dieser den von uns ein Herzensanliegen ist, unsere Kinder zu Vorverlagerung der Strafbarkeit der Nachweis der Täter- schützen. motivation geführt werden soll. Im Zweifel wird das nicht gelingen, da die „bösen Hintergedanken“ nachzu- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- weisen sind. neten der CDU/CSU) Hinsichtlich der Änderungen zur Kinderpornografie, Der Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, hat ein hehres § 184 b, soll nun die „unnatürlich geschlechtsbetonte Ziel, wie der Kollege Fechner eben ausgeführt hat, Körperhaltung“ strafbar sein. Dies wurde bereits durch schießt aber nach Überzeugung der Linken weit über die BGH-Rechtsprechung zum Posing erfasst. Danach dieses Ziel hinaus. Er wurde von den Koalitionsfraktio- waren Handlungen erfasst, bei denen das Kind vor dem nen anlässlich der sogenannten Edathy-Affäre erarbeitet. Fotografieren aufgefordert wurde, sich zu entblößen und In der sich aus dieser Affäre ergebenden emotional hoch Stellungen einzunehmen, die seine Genitalien zeigen. aufgeladenen Debatte kamen die verstärkten Rufe nach Nun sollen auch Handlungsweisen erfasst werden, bei Strafverschärfung. Bundesminister Maas kündigte da- denen das Kind keine aktive Rolle spielt, wenn zum Bei- raufhin einen Gesetzentwurf zur Schließung der Lücken spiel ein schlafendes, teilweise entblößtes Kind fotogra- und zur Umsetzung der Richtlinie an. Dieser liegt uns fiert wird. Allerdings ist die Ergänzung um „unnatürlich nun vor. geschlechtsbetonte Haltung“ zu unbestimmt, was im Üb- In der Form, wie er uns vorliegt, kann ihm aber nicht rigen auch von den Sachverständigen in der Anhörung zugestimmt werden; denn es ist unsere Überzeugung: Er bemängelt wurde. Daran ändert auch nichts die Ergän- missachtet die Maßgabe des Strafrechts als Ultima Ra- zung um das unbekleidete Gesäß oder die Geschlechts- tio, indem er Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die teile eines Kindes. Außerdem bleibt fraglich, was die moralisch verwerflich sein mögen, aber keine Kriminal- Versuchsstrafbarkeit an Zugewinn bringt, da die Vor- strafe rechtfertigen. Nicht jedes moralisch verwerfliche schrift als Unternehmensdelikt ausgelegt ist. Bereits jetzt Verhalten muss unter Strafe gestellt werden. ist die erfolglose Suche nach kinderpornografischem Bildmaterial als Unternehmensdelikt strafbar. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In § 184 d Strafgesetzbuch soll nun der wissentliche Abruf von kinder- und jugendpornografischem Inhalt Der Gesetzentwurf trägt darüber hinaus den Anforde- explizit unter Strafe gestellt werden. Hier entsteht eine rungen des Bestimmtheitsgebots nicht ausreichend Rechtsunsicherheit; denn: Wie soll ohne Zwischenspei- Rechnung, und er sieht Strafrahmenerhöhungen vor, ob- cherung ein Abruf nachgewiesen werden? Hier scheint (D) (B) wohl durch verschiedene kriminologische Studien im- die Überprüfung und Verfolgung jedenfalls äußerst pro- mer wieder belegt worden ist, dass das Strafmaß als blematisch und öffnet der Vorratsspeicherung oder gar solches keine abschreckende Wirkung hat. Das Ent- der Onlineüberwachung Tür und Tor. deckungsrisiko schreckt potenzielle Täter ab, aber kein wie auch immer gearteter Strafrahmen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wie soll sichergestellt werden, dass es sich nicht um ei- nen versehentlichen Abruf handelt? Ich möchte im Rahmen der mir gegebenen Zeit auf ei- Zuletzt möchte ich einen Punkt dieses Gesetzes be- nige Punkte eingehen. Zunächst das Positive: § 174 sonders erwähnen: den von Anfang an heftig kritisierten StGB – Missbrauch von Schutzbefohlenen – wird ange- Entwurf für einen ausgeweiteten § 201 a Strafgesetz- messen dahin gehend ergänzt und erweitert, dass nun ne- buch. Schon die Änderungen in Absatz 2 stoßen auf er- ben die leiblichen oder angenommenen Kinder auch die hebliche Bedenken. Er soll nun heißen: leiblichen oder angenommenen Kinder von Ehepartnern oder Lebensgefährten treten, um etwaige diesbezügliche Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer ande- Abhängigkeitsverhältnisse zu erfassen. Des Weiteren ren Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem wurde in Absatz 2 der sogenannte Vertretungslehrerfall Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu ergänzt. Wir hätten uns zwar noch eine sachgerechtere schaden … einer dritten Person … zugänglich Differenzierung gewünscht, aber es ist eine sinnvolle Er- macht. gänzung. Es reicht also aus, das einer dritten Person zugänglich zu Beim sexuellen Missbrauch von Kindern, § 176 machen, von „verbreiten“ ist keine Rede. Daraus erge- StGB, wird das sogenannte Cybergrooming – das ist ben sich nun alle möglichen Fallkonstellationen: ein auch schon angesprochen worden – einbezogen, also das Foto am FKK-Strand oder eines angetrunkenen Party- gezielte Ansprechen von Kindern und Jugendlichen im gastes, das Foto eines CSU-Politikers gemeinsam mit ei- Internet mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen. nem Politiker der Linken bei einem Bier an der Spree. Die Regelung ist problematisch, da sie bereits die erste (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kontaktaufnahme mit „bösen Hintergedanken“ erfasst, Und zwar während der Plenarsitzung!) ohne dass es zu weiteren Handlungen oder Kontaktauf- nahmen kommt. Die EU-Richtlinie sieht allerdings eine All das kann zur Strafbarkeit führen, sobald dieses Bild Strafbarkeit nur vor, wenn auf einen per Telekommuni- einer dritten Person, auch im Familienkreis, zugänglich kation erfolgten Vorschlag eines Treffens weitere, auf gemacht wird. In der Begründung des Gesetzentwurfs 6340 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Jörn Wunderlich (A) wird primär auf Bildaufnahmen von unbekleideten Kin- Antrag ist zumindest ein großer Schritt in die richtige (C) dern abgestellt. Das war letztlich ja auch Grundlage für Richtung. Diesem ist daher zuzustimmen. diese Gesetzesänderung. Tatsächlich werden aber auch Erwachsene von dieser Regelung erfasst, und um die Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. wird es in der Praxis dann wohl auch vorrangig gehen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Dirk Wiese [SPD]: Aber nur bei erheblichem Schaden!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Ganze ist geändert worden von einem Antragsde- Das Wort erhält nun die Kollegin Winkelmeier- likt in ein relatives Antragsdelikt, und zwar auch bei den Becker. Bildern, die ich gerade erwähnt habe. So weit, so gut. Aber jetzt kann, wie gesagt, jeder Strafanzeige erstatten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das heißt jeder, der ein Bild sieht und sagt: „Die abgebil- neten der SPD – Renate Künast [BÜND- dete Person könnte in ihrem Ansehen erheblich geschä- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein GO-Antrag!) digt sein“, kann einen Strafantrag stellen. – Entschuldigung, das ist hier nicht klar angekommen. (Dirk Wiese [SPD]: „Erheblich“! – Halina Ich habe mich extra noch einmal erkundigt. Wir bekom- Wawzyniak [DIE LINKE]: Da freut sich die men das aber geregelt auf die Reihe. Wenn Sie einen Ge- Strafverteidigerin!) schäftsordnungsantrag stellen möchten, können Sie das gerne tun. Das können Sie auch vom Platz tun. Damit kann, wie gesagt, jeder Anzeige erstatten. Das kann für den betroffenen Fotografen eine mindestens un- Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): angenehme, wenn nicht sogar eine existenzvernichtende Ich kann den Antrag vom Platz aus stellen. So habe Strafverfolgung auslösen, obwohl zivilrechtlich alles ich das verstanden. – Es tut mir leid, dass es zu einem rechtmäßig ist und bleibt. Missverständnis gekommen ist, Herr Präsident. Wie gesagt, es gibt alle möglichen Fallkonstellatio- Ich möchte gerne für meine Fraktion und für das Haus nen. Und es gibt gute Gründe, warum alle Sachverstän- den Antrag stellen, dass wir ein Mitglied der Bundesre- digen in der Anhörung des Ausschusses diesen Entwurf gierung, und zwar den Justizminister Heiko Maas, her- zur Änderung von § 201 a StGB abgelehnt haben. beirufen. Es ist für mich völlig unverständlich, dass (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja diese Debatte ohne ihn stattfindet. Diese Debatte führen Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wir schon lange miteinander, und es soll jetzt sehr kurz- (B) fristig auf Wunsch der Regierungsfraktionen zum Ab- (D) Es bedarf an dieser Stelle keines entsprechenden neuen schluss dieser Beratungen kommen. Es gab viele Straftatbestandes. Das ist alles bereits durch die Straf- Diskussionen über das Verfahren. Jenseits von Verfah- vorschriften und das Urhebergesetz unter Strafe gestellt. rensfragen ist zu sagen: Die Diskussionen über das Sexualstrafrecht, insbesondere in diesem Fall, in dem es Zuletzt noch zwei Sätze zur Verlängerung der Verjäh- um Nacktbilder von Kindern und deren Veröffentlichung rungsfrist. Jeder Praktiker kann bestätigen, dass nach geht, bewegen uns alle sehr. Das ist von hoher Relevanz. Bekanntwerden einer möglicherweise Jahrzehnte zu- rückliegenden Tat, zu welcher es zudem keine objekti- Ich habe mich erkundigt. Der Minister ist nicht ent- ven Beweismittel gibt, eine Verurteilung unter rechts- schuldigt, weder vorher bei den Fraktionen noch hier staatlichen Gesichtspunkten wegen mangelnder vorne. Es gibt für mich keinerlei Begründung, dass er Beweismittel und Erinnerungsverlusten der Zeugen sehr, nicht hier ist. Ich finde, wir dürfen erwarten – das betrifft sehr unwahrscheinlich ist. Hier wird den Opfern wider nicht nur die Oppositionsfraktionen, sondern das ganze besseres Wissen suggeriert, eine Bestrafung der Täter sei Haus –, dass er an unseren Beratungen hier, an dieser möglich. Das Strafrecht ist aber nicht das primäre Instru- Debatte teilnimmt. Deswegen bitte ich sehr um Unter- ment, um den Opfern Genugtuung oder Wiedergutma- stützung der Großen Koalition, die diesen Debattenplatz chung zu gewähren. Wiedergutmachung kann man in haben wollte. Er wurde wegen der Fraktionsberatungen diesen Fällen eh nicht leisten. Es geht um den Strafan- kurzfristig verlegt. Ich bitte Sie, uns und unser Interesse spruch des Staates. Bei allem Verständnis für die Opfer an der Beratung dieses Punktes ernst zu nehmen und un- solcher Taten – da spreche ich als ehemaliger Staatsan- serem Antrag zuzustimmen. walt und Richter, der auch mit solchen Fällen befasst Schönen Dank. war – dürfen nicht Hoffnungen geweckt werden, die im Ergebnis nicht zu erfüllen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Alles in allem kann dieser Gesetzentwurf in der Ge- Präsident Dr. Norbert Lammert: samtschau daher nur abgelehnt werden. Mit dem Antrag Frau Kollegin Hajduk, ich mache einen Verfahrens- der Grünen, über den wir heute auch debattieren, liegt vorschlag. Den Antrag, den Sie gestellt haben, halte ich ein Vorschlag auf dem Tisch, wie unabhängig von Straf- nicht nur für zulässig, sondern auch für begründet. Ich rechtsverschärfungen der Kinderschutz durch Prävention höre, dass der Minister auf dem Weg ist. Mein Vorschlag auf verschiedenen Ebenen verbessert werden kann. Der lautet: Wenn er bis zum Ende des Beitrags, der jetzt ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6341

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) rade aufgerufen wurde, nicht im Plenum erschienen sein dass diese Möglichkeit, nach längerer Zeit im weiteren (C) sollte, stimmen wir über Ihren Antrag ab. Vielleicht hat Leben darauf zurückzukommen, doch ein Gewinn für sich das aber bis dahin im Sinne Ihrer Antragstellung er- die Opfer ist. ledigt. – Okay, ich stelle dazu Einvernehmen fest. – Frau Winkelmeier-Becker, bitte. Ich möchte nun vor allem auf die Regelungen im Be- reich der Kinderpornografie eingehen, welche die Öf- fentlichkeit am meisten interessieren. Im Frühjahr dieses Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Jahres gab es einen prominenten Fall, der uns aufgezeigt Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat, dass wir da Schutzlücken haben. Wenn gegen Ent- ist eigentlich schade: Auch ich hätte den Minister gerne gelt schwunghafter Handel mit Bildern von unschuldi- als Zuhörer gehabt. gen nackten bzw. entblößten Kindern, die davon nichts mitbekommen, getätigt wird, die ins Internet gesetzt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- werden, nicht mehr einholbar und überall auf der Welt neten der LINKEN und des BÜNDNIS- abrufbar sind, dann ist das unerträglich. Das geht nicht. SES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast Wir müssen das absolut unter Strafe stellen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja auch warten mit dem Redebeitrag!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es wäre aber, glaube ich, nicht kollegial, wenn wir jetzt Ein Zitat des römischen Kaisers Mark Aurel lautet alle warten lassen würden. Deshalb werde ich jetzt gerne wie folgt: die Gelegenheit nutzen, Ihnen unsere Gedanken zu die- sem Gesetzentwurf darzulegen. Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut. Wer das Unrecht nicht verbietet …, der befiehlt es. Rechtspolitik in dieser Woche ist nun wirklich nicht langweilig. Wir haben sehr viele verschiedene Themen Das ist ein Aspekt, der dazu führt, dass wir schnell arbei- zu behandeln. Gestern waren es die Mietpreisbremse ten müssen. Wir dürfen hier nicht mehr lange warten, und die Sterbehilfe. Die Diskussion darüber betrifft letzt- sondern müssen handeln, damit diese Schutzlücke im endlich eine Kernfrage der Rechtspolitik. Es kommen Gesetz geschlossen wird. noch die Hasskriminalität – NSU-Ausschuss – dazu. Die Richtlinie, die wir gleichzeitig umsetzen, sollte Trotzdem ist es mir wichtig, zu zeigen: Das alles sind außerdem bereits zum Ende des vergangenen Jahres um- nicht Themen, die unverbunden nebeneinander stehen, gesetzt werden. Sie ist liegen geblieben. Auch das ist ein sondern da gibt es rote Linien. Grund, jetzt schnell voranzugehen. Wir wollen diese Frist nicht um mehr als ein Jahr reißen und dazu kom- Ich habe von diesem Platz aus schon einmal unsere men, das Gesetz an dieser Stelle nachzubessern. (B) rote Linie der mittelstandsunterstützenden Rechtspolitik (D) dargelegt. Heute geht es hier um einen anderen, ganz Der Minister hatte zu all dem einen Entwurf vorge- wichtigen roten Faden, nämlich um den Opferschutz, legt, der in einigen Punkten noch nicht optimal war, den wir verbessern wollen. Dazu haben wir mehrere Pro- nicht so richtig treffsicher bei dem, was wir als strafwür- jekte – auch im Koalitionsvertrag – vereinbart. Ich denke diges Unrecht erkennen. Auf der anderen Seite ging er in dabei an unsere wichtige Diskussion über Menschenhan- einigen Punkten zu weit. Auch der Bundesrat hat das del und Zwangsprostitution, aber auch an solche Dinge geltend gemacht, einerseits unter dem Begriff „Be- wie zivilrechtliche Schäden, die demnächst in Annex- stimmtheitsgebot“ – dem genügt es nicht – und anderer- verfahren einfacher geltend gemacht werden sollen. Da- seits unter dem Begriff „Angemessenheit“; der Entwurf bei geht es darum, dass nahe Angehörige beim Tod eines ging an einigen Stellen weit über das Ziel hinaus. Des- Opfers Schmerzensgeld erhalten sollen. All das sind halb bin ich froh, dass wir eine kritische Diskussion ge- wichtige Punkte. führt haben. Sie hat dem Verfahren gutgetan. Wir haben jetzt ein Ergebnis, das deutlich besser ist. Daher danke Das aber, was heute hier diskutiert wird, nämlich der ich an dieser Stelle allen, mit denen wir gut zusammen- Schutz von Kindern vor Übergriffen bzw. Verletzung ih- gearbeitet haben, allen, die gute Ideen eingebracht ha- rer Intimsphäre oder sexuellen Selbstbestimmung, steht ben. Ich denke, wir dürfen unsere Teams und auch die ganz stark im Mittelpunkt unserer Rechtspolitik. Mitarbeiter im Ministerium in diesen Dank einschließen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Wir haben in den letzten Tagen auf der Strecke noch ei- bei Abgeordneten der LINKEN) niges Gutes bewirkt. Bereits im Koalitionsvertrag haben wir, wie gesagt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- angesprochen, dass die Verjährung von Taten in der neten der SPD – Renate Künast [BÜND- Kindheit bis zum 30. Lebensjahr ruhen soll. Aus meiner NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt absurd! Sicht ist das eine wichtige Erweiterung des Rechtsschut- Wo Sie uns nicht einmal Zeit für Beratungen zes, weil es eben oft lange dauert, bis man sprechfähig gelassen haben!) ist, das verarbeitet hat und sich dem noch einmal stellen – Ich finde, auch Sie können sich im Gesetz wiederfin- kann. Natürlich kann es auch zu Enttäuschungen führen. den. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig und unsere Aufgabe, hier noch einmal darauf hinzuweisen, dass es trotzdem (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- möglichst früh gemacht werden sollte, um hinterher NEN]: Noch lieber wäre mir eine ordentliche auch zum Erfolg zu kommen. Trotzdem denke ich aber, Beratung! – Beifall bei Abgeordneten des 6342 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der den und diese Bilder ins weltweite Netz gestellt werden. (C) LINKEN) Das wollten wir ganz klar unter Strafe stellen. Auf der einen Seite haben wir jetzt das, was strafwür- Der Befürchtung, dass das vielfach auch im privaten diges Unrecht sein soll, viel besser gefasst. Auf der an- Bereich zu strafwürdigem Verhalten führt, sind wir mit deren Seite haben wir klargestellt, dass niemand in Be- einer ganz einfachen Grenzziehung entgegengetreten. zug auf sein privates Fotoalbum Sorge haben muss, Die Nacktheit von Kindern und Jugendlichen auf Bil- wenn sich darin normale Urlaubsfotos von den Kindern dern ist nur dann strafwürdig, wenn dies im Rahmen ei- am Strand befinden, auch wenn einmal Nachbarskinder nes entgeltlichen Austauschs geschieht – Entgelt mit t, dabei sind. Es zieht nicht die Anstandsdame ein. Es gibt also nicht nur für Geld, sondern auch im Rahmen eines keine verordnete Prüderie im privaten Bereich, aber Tauschs –; denn das geht nicht, das ist nicht tolerabel. eben Schutz, wo er nötig ist. Davon abzugrenzen sind allerdings all die Fälle im Zunächst zu den Bildern, auf denen Kinder nackt po- privaten Bereich. Natürlich denkt niemand daran, mit sieren. Mit der Formulierung „unnatürlich geschlechts- Bildern der eigenen Kinder gegen Entgelt einen Tausch- betonte Körperhaltung“ schließen wir die Schutzlücke in handel zu betreiben; diese sind natürlich nur für das pri- Bezug auf das Posing. Das wird jetzt klargestellt. Aber vate Album gedacht. Aber der unsägliche massenhafte wir haben in der Diskussion auch gemerkt, dass das Handel mit solchen Bildern wird von der geplanten Re- nicht alle strafwürdigen Fälle erfasst. Das Kind, das im gelung erfasst. Schlaf entblößt ist und fotografiert wird, befindet sich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) eben gerade nicht in einer unnatürlichen Haltung, auch nicht, wenn es sich spielerisch bewegt. Wenn dann Nah- Nun haben Sie gefragt, wie das mit den Bildern in der aufnahmen der Genitalien in sexuell aufreizender Weise Bravo ist. gemacht werden, wäre das bisher nicht unter die Posing- (Zuruf von der LINKEN: Ja! Wichtige Frage!) und Pornografievorschriften gefallen. Das haben wir jetzt klargestellt. Auch da ist jetzt die Strafbarkeit nach Hier gelten die ganz normalen Einwilligungs- und Ein- § 184 b StGB gesichert. verständnisvorschriften des Allgemeinen Teils des BGB. Es ist ganz einfach: Wenn die Eltern eines Jugendlichen (Beifall bei der CDU/CSU) im Rahmen ihres Sorgerechts ihre Einwilligung dazu er- teilen, dort entsprechende Bilder zu veröffentlichen, ist Wir haben den Strafrahmen von zwei auf drei Jahre eine Strafbarkeit natürlich auszuschließen. Das ist der erhöht. An diesem Punkt sind wir im Dissens auseinan- ganz normale Fall der Formulierung eines Tatbestandes dergegangen. Wir hätten den Strafrahmen gern auf fünf im Besonderen Teil des StGB. Die Tatsache, dass wir an (B) (D) Jahre erhöht, zum Beispiel in Anlehnung an die Strafbar- dieser Stelle nicht das Wörtchen „unbefugt“ finden, hat keit von Diebstahl. Wir hören aus der Praxis, dass die also nicht die Auswirkung, die Sie hier hineininterpretie- Darstellung des echten Missbrauchs – also nicht die ren wollen. Vielmehr ist ganz klar: Hier gelten, wie auch Posingfälle, sondern anderes – sehr brutal geworden ist. sonst überall, die allgemeinen Rechtfertigungs- und Ein- Der Gedanke, dass das nur deshalb passiert, weil am an- willigungsgrundsätze. deren Ende ein Käufer dafür zahlt, war für uns Grund genug, auf fünf Jahre gehen zu wollen. Heute bleibt es Strafwürdiges Verhalten haben wir unter Strafe ge- allerdings bei drei Jahren. Vielleicht setzen wir das bei stellt. Aber wir haben viele Korrektive installiert, die da- anderer Gelegenheit noch einmal auf die Tagesordnung. für sorgen, dass die vorgesehenen Regelungen an dieser Stelle nicht zu weit gehen. Die Aufnahme von Bildern, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die die Hilflosigkeit einer dritten Person zur Schau stel- Bei den jugendpornografischen Schriften haben wir len, und von Bildern, die das Ansehen einer anderen Per- davon abgesehen, die Regelungen komplett parallel zur son erheblich schädigen, ist strafbar. Es gibt allerdings Kinderpornografie zu gestalten. Denn wir sehen natür- weitreichende Gründe, die eine Strafbarkeit entfallen lich, dass die sexuelle Selbstbestimmung und auch das, lassen können. So können überwiegende Interessen von was die Jugendlichen selber tun und entscheiden kön- Presse, Wissenschaft und Kunst und auch private Inte- nen, ein ganz anderes Maß hat als das, was bei Kindern ressen hier eine Rolle spielen. Es ist also sichergestellt, möglich ist. Hier haben wir ganz klare Ausnahmen für dass sich die geplante Regelung nur auf das Verhalten das private Fotoalbum gemacht. Wer Aufnahmen von bezieht, das wir für strafwürdig halten, und nicht darüber sich und seinem Partner mit allseitiger Einwilligung hinausgeht. Wer sich sozial adäquat verhält, ist absolut macht, der bleibt straflos, wenn er diese nur für den eige- im grünen Bereich. nen Gebrauch macht und in diesem Kreis behält. Das ha- ben wir, solange es den privaten Gebrauch nicht über- Präsident Dr. Norbert Lammert: steigt, nicht unter das Verdikt der Strafe gestellt. Frau Kollegin. Bei den Kindernacktbildern der sogenannten Katego- Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): rie 2 haben wir aber die klare Auffassung, dass es gegen Models, die in der Bravo abgebildet werden oder bei die Würde der Kinder verstößt, wenn mit solchen Bil- Germany’s next Topmodel auftreten, brauchen also keine dern ihr Recht auf Intimsphäre und Persönlichkeitsent- Angst zu haben. wicklung verletzt wird, wenn sie zu Zwecken und als Objekt der Wünsche von Erwachsenen dargestellt wer- Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6343

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – seine 17-jährige Freundin beim Posieren am Pool foto- (C) Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Oh ja! Das ist grafiert, strafbar gemacht hätte. Auf unsere Anregung wichtig!) hin haben Sie die Einwilligung der Jugendlichen in den Ausschlusstatbestand des Absatzes 4 aufgenommen. Da- Präsident Dr. Norbert Lammert: mit ist jetzt klar, dass sich Jugendliche von ihren volljäh- Frau Kollegin Hajduk, der Parlamentarische Staatsse- rigen Freunden fotografieren lassen dürfen, sodass wir kretär hat mir zugesichert, dass der Minister jeden Au- dem sexualstrafrechtlichen Teil Ihres Gesetzes gerade so genblick eintreffen müsse. zustimmen können. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bei der Definition der Kinderpornografie in § 184 b NEN]: Dann warten wir! – Petra Ernstberger StGB konnten Sie sich leider nicht entscheiden und ha- [SPD]: In zwei Minuten ist er hier! – Dr. Petra ben jetzt die SPD-Version und den bayerischen Vor- Sitte [DIE LINKE]: Dann unterbrechen wir schlag als Alternative ins Gesetz geschrieben. So kann die Sitzung doch für fünf Minuten!) man die Große Koalition künftig direkt im Gesetzes- wortlaut ablesen. – Das halte ich für gar keinen schlechten Einfall. Jeden- falls erscheint mir das klüger als eine Abstimmung mit (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: unvernünftigem Ergebnis. Aber nicht, welcher Teil von wem ist!) (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Da aber die Konkretisierung hinsichtlich der Darstellung DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der Genitalien sinnvoll ist, tragen wir das mit. CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann unterbreche ich die Sitzung bis zum Eintreffen Die Klarstellungen beim Grooming und bei den soge- des Bundesministers der Justiz. nannten Livedarbietungen – dabei geht es um die Umset- (Unterbrechung von 9.32 bis 9.34 Uhr) zung der EU-Richtlinie – hatten wir bereits in der ersten Lesung begrüßt. Die Verlängerung der Verjährungshem- mung bis zum 30. Lebensjahr ist unter rechtspolitischen Präsident Dr. Norbert Lammert: Gesichtspunkten durchaus umstritten. Da es aber tat- Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. sächlich vor allem den Opfern zugutekommt, den Ent- Wir setzen die Debatte über diesen Tagesordnungs- scheidungsdruck von ihnen zu nehmen, stimmen wir punkt nun in Anwesenheit des federführend zuständigen auch dieser nicht unproblematischen Regelung zu. Ministers fort. Ich erteile das Wort der Kollegin Katja (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (D) Aber jetzt zur schlechten Nachricht. Der neue § 201 a Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): StGB ist und bleibt irreparabel misslungen und unver- hältnismäßig. Für die Strafbarkeit von Fotos, die geeig- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und net sind, dem Ansehen einer Person zu schaden, haben Kollegen! Guten Morgen, Herr Maas! Sie bereits herbe Kritik nicht nur von uns als Opposition (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des einstecken müssen, sondern auch aus der versammelten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fachwelt und von Ihren eigenen Experten in der Anhö- rung. Was geeignet ist, dem Ansehen zu schaden, bleibt Obwohl Sie es bis zur letzten Minute spannend gemacht ein subjektiver und damit unbestimmter Rechtsbegriff. haben, hat die Zeit offensichtlich nicht gereicht, die Sa- che zu Ende zu denken. Am Dienstagnachmittag um- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fangreiche Änderungen vorzulegen, die Mittwochmor- und bei der LINKEN) gen im Ausschuss beschlossen werden, ist nicht nur kein Es ist also vorprogrammiert, dass die Frage, ob ein Foto guter parlamentarischer Umgang mit der Opposition, geeignet ist, dem Ansehen zu schaden, von dem Fotogra- sondern führt auch zu miserablen Gesetzen. fen und der abgebildeten Person regelmäßig unterschied- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich beantwortet wird. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Immerhin haben Sie erkannt, dass die Strafbarkeit der Das Ganze konnte schon deswegen nicht gelingen, reinen Herstellung dieser Bilder zu weit geht. Strafbar weil Sie zwei völlig verschiedene Strafrechtsbereiche macht sich künftig dann, wer solch ein peinliches Foto miteinander vermengt haben und den Persönlichkeits- einem Dritten zugänglich macht. Das ist aber immer schutz so zu einer Art Auffangtatbestand für all das ma- noch viel weniger als etwa die Verbreitung oder Veröf- chen wollen, was nicht unter den Schutz der sexuellen fentlichung eines Fotos, was bereits nach bisheriger Selbstbestimmung fällt. Rechtslage strafbar ist. Ich will im Gegensatz zu Ihnen die Dinge klar ausei- Zur Verdeutlichung möchte ich auf meinen Beispiel- nanderhalten. Die gute Nachricht zuerst: das Sexual- fall aus der ersten Lesung zurückkommen. Sie machen strafrecht. Hier kann ich Sie ausnahmsweise einmal lo- einen Ausflug auf der Reeperbahn in Hamburg und ma- ben. Sie sind unserem Hinweis gefolgt und haben den chen dabei touristische Fotos von interessanten Fassa- Fehler im Tatbestand der Jugendpornografie korrigiert, den, als just in dem Moment ein bundesweit bekannter der dazu geführt hätte, dass sich ein Volljähriger, der Bundestagsabgeordneter aus einem einschlägigen Eta- 6344 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Katja Keul (A) blissement kommt und Ihnen direkt ins Bild läuft. Sie Beim Strafrahmen passt jetzt auch nichts mehr zu- (C) machen sich jetzt zwar nicht mehr in dem Moment straf- sammen. Das öffentliche Zurschaustellen soll nach dem bar, in dem Sie auf den Auslöser drücken – so war das Kunsturhebergesetz mit bis zu einem Jahr geahndet wer- noch im Kabinettsentwurf vorgesehen –, aber spätestens den, die bloße Herstellung des Fotos aber nach dem neu dann, wenn Sie zu Hause am Küchentisch Ihren Freun- gefassten § 201 a StGB mit bis zu zwei Jahren. Das den die Hamburg-Fotos zeigen und einer erfreut ausruft: kommt davon, wenn man einen Straftatbestand doppelt „Mensch, das ist doch der Abgeordnete XY! Was macht regelt und das dann nicht einmal aufeinander abstimmt. der denn da?“. Ob dem Ansehen tatsächlich geschadet wird, spielt dabei gar keine Rolle. Es reicht, dass das Im neuen Absatz 3 haben Sie auf die Kritik bei der Foto dazu geeignet ist, was bei einem Bordellbesuch im Strafbarkeit von Nacktbildern reagiert und diese auf Bil- Regelfall zu bejahen wäre. der von Minderjährigen beschränkt. Strafbar soll jetzt die Herstellung sein, wenn sie erfolgt, um dieses Bild ei- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Dabei fehlt ner dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen. Strafbar doch der Vorsatz!) ist auch der Bezug eines solchen Bildes. Jeder hat hier den Fall vor Augen, an den Sie dabei gedacht haben. Das Nach wie vor greift das Strafrecht hier ohne jede Not Problem ist aber, dass Sie nur noch an diesen Fall ge- in den rein privaten Bereich ein. Die unbefugte Veröf- dacht haben, und das ist beim Verfassen von Gesetzes- fentlichung und Verbreitung ist hingegen jetzt schon texten verheerend. vom Straftatbestand im Kunsturhebergesetz ausreichend erfasst. Hier gibt es weder eine Lücke noch sonst einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bedarf, die Strafbarkeit auszuweiten. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zunächst einmal versuchen Sie hier beim Persönlich- und bei der LINKEN) keitsschutz eine Lücke im Sexualstrafrecht zu schließen, die es gar nicht gibt. Jemand, der im Internet Aufnahmen Nachdem Sie jetzt die reine Herstellung von peinli- nackter Minderjähriger erwirbt, verfügt – das belegt die chen Bildern als Straftat herausgenommen haben, ver- Erfahrung der Ermittler – in 90 Prozent der Fälle auch fassen Sie kurzfristig einen neuen Absatz, in dem Sie über strafbares Material. In der Regel reicht es für einen den alten Fehler wieder einbauen. Danach soll künftig Anfangsverdacht und eine Durchsuchung, bei der sich strafbar sein, ein Foto, welches die Hilflosigkeit einer der Rest dann findet. Das haben die Staatsanwälte in der Person zur Schau stellt, zu machen. Vielleicht war das ja Anhörung und die Gerichte im Fall Edathy bestätigt. der Versuch, sich ausnahmsweise an dem Kunsturheber- gesetz zu orientieren, wonach Bildnisse nur mit Einwilli- Wer darüber hinaus die Begründung des Bundesver- (B) gung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur fassungsgerichts zu der Beschwerde des ehemaligen (D) Schau gestellt werden dürfen. Sie haben aber das Wort Kollegen liest, wird feststellen, dass der Fall Edathy „öffentlich“ vergessen und stellen damit wieder die reine schon deswegen keine Strafbarkeitslücke offenbart hat, Herstellung unter Strafe. weil bereits das Ausgangsmaterial nicht legal war. Letzte Zweifel an der Strafbarkeit wären spätestens mit der er- Was heißt das? Wenn ein Jugendlicher seinen betrun- gänzten Definition der Kinderpornografie ausgeräumt, kenen Kumpel fotografiert, ist er bereits straffällig, ohne die wir heute verabschieden. dass er dieses Foto überhaupt weitergibt oder ins Netz stellt. Wenn es also aus diesem Zusammenhang heraus keine Notwendigkeit für eine weitere Strafvorschrift (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Nein!) gibt, sollten wir die Finger davon lassen, um zu vermei- den, dass wir im Zweifelsfall auch Jugendliche erfassen, Es reicht, wenn das Bild die Hilflosigkeit des Betrunke- die es aus unerfindlichen Gründen cool finden, sich ge- nen zur Schau stellt. Das geht zu weit. genseitig Nacktfotos zu schicken. Denn immerhin ist der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Begründung zu entnehmen, dass mit Entgelt auch der und bei der LINKEN) Tausch von Bildern gemeint sein soll. Wenn überhaupt, dann ist doch ausschließlich die Ein klassischer Flüchtigkeitsfehler dürfte Ihnen unter- Verbreitung und Veröffentlichung eines solchen Bildes laufen sein, als Sie in der Eile am Wochenende das strafwürdig. Das aber ist bereits heute strafbar, sodass Wörtchen „unbefugt“ aus Absatz 3 herausgestrichen ha- Ihre ganze Ausweitung des § 201 a StGB schlicht über- ben. Sie haben dabei wieder nur an den Fall Edathy ge- flüssig ist. dacht und wollten verhindern, dass die Einwilligung der Eltern der rumänischen Jungs eine Rolle spielt. Das ist (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE Ihnen auch gelungen. Jetzt kann niemand mehr einwilli- LINKE]) gen: weder die Minderjährigen noch deren Eltern. Wer nämlich unfreiwillig in hilfloser Lage Hauptdarstel- (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ein einziger ler eines YouTube-Videos werden sollte, kann bereits Quatsch!) heute nach dem Kunsturhebergesetz einen Strafantrag stellen. Das halte ich auch für sinnvoll und ausreichend. Man kann zwar, wie die Union im Ausschuss, der Mei- nung sein, dass 17-jährige Models auch mit Einverständ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nis ihrer Eltern in Dessous-Katalogen oder in der Bravo und bei der LINKEN) nichts zu suchen haben. Künftig machen sich aber nicht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6345

Katja Keul (A) nur die Fotografen dabei strafbar, sondern auch jeder, nem Amnestiegesetz, wie es eine etwas größere, polemi- (C) der ein solches Heft erwirbt. sierende Zeitung öffentlich dargelegt hat. Das trifft nicht zu. Wir verschärfen das Sexualstrafrecht. Wir haben das (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Nein! Das Strafmaß heraufgesetzt. Wir haben Verjährungsfristen stimmt nicht!) verlängert. Wir haben bestehende Straftatbestände er- Hier hätte eine ordentliche Beratung sicherlich gutgetan. weitert und neue Straftatbestände aufgenommen, um Schutzlücken zu schließen, zum Beispiel beim sexuellen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Missbrauch von Schutzbefohlenen – da fehlte einiges –, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) beim Cybergrooming und auch beim Thema Genitalver- Wir werden sämtliche Änderungen des § 201 a StGB stümmelung, das bislang hier noch gar nicht erwähnt heute in getrennter Abstimmung ablehnen. Gleiches gilt wurde, obwohl es recht wichtig ist. All diese Punkte ha- für die Ausweitung der Volksverhetzung nach § 130 ben wir, SPD und CDU/CSU, schon im letzten Jahr im StGB, mit der Sie eine neue Versuchsstrafbarkeit einfüh- Koalitionsvertrag verankert und setzen das nun um. Das ren, für die es keine hinreichend plausible Notwendig- ist gut so; denn das erleichtert die Arbeit von Polizei und keit gibt. Den Änderungen im Sexualstrafrecht hingegen Ermittlungsbehörden. stimmen wir zu. Hier kommen wir allerdings zu einem kritischen Vielen Dank. Punkt. Sicherheit können wir hier im Deutschen Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tag nicht beschließen. Kein Paragraf im Strafgesetzbuch klärt eine Straftat auf. Wir dürfen uns heute nicht zufrie- den auf die Schulter klopfen, weil wir das Sexualstraf- Präsident Dr. Norbert Lammert: recht reformiert haben, und das war es dann. Nein, da- Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Susanne nach geht die Arbeit erst richtig los, nämlich die Arbeit Mittag das Wort. für Polizei und Justiz. Aber diese kommen leider ihren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aufgaben teilweise schon jetzt nicht mehr in adäquater der CDU/CSU) Weise nach. Wenn wir die Verjährungsfristen anheben, dann be- Susanne Mittag (SPD): deutet das auch, dass mehr Straftaten bei den Behörden Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und angezeigt werden. Dabei handelt es sich nicht um einfa- Kollegen! Wir haben in der laufenden Debatte über die che Ermittlungen. Tatortspuren gibt es in der Regel Reform des Sexualstrafrechts viele rechtliche Einschät- kaum noch. Erinnerungen von Zeugen verblassen oder (B) zungen gehört. Ob ein bestimmter Aspekt des Gesetzent- verändern sich. Ermittlungen, die auch den Opfern ge- (D) wurfs gerechtfertigt ist, ob der Entwurf über das Ziel hi- recht werden sollen, sind schwierig und nicht schnell ab- nausschießt oder ob er verhältnismäßig ist, wurde zuschließen. Das ist sicherlich kein Grund, auf derartige dargelegt. Das ist eine wichtige und richtige Diskussion, Ermittlungen zu verzichten. Aber das heißt, wir brau- die wir zurzeit noch führen und die die Redner, die nach chen in diesem Bereich erheblich mehr Ermittler. mir sprechen, fortsetzen werden. Als gelernte Polizistin möchte ich mich aber nicht an der juristischen Debatte Wenn wir die Herstellung, die Verbreitung und den beteiligen. Ich möchte lieber darüber sprechen, was es in Besitz von Kinderpornografie bekämpfen wollen, dann der Ermittlungspraxis bedeutet, das Sexualstrafrecht zu brauchen wir auch dort mehr Ermittler. Die Beamten des reformieren. BKA haben uns im Innenausschuss berichtet, dass sie über zwei Jahre gebraucht haben, um die Daten der Ope- In der Arbeit der Polizei gab es in der Vergangenheit ration „Spade“ auszuwerten. Zwei Jahre! Das ist zu immer wieder Probleme, zum Beispiel Bilder von Kin- lange und darf eigentlich gar nicht sein. Das hat so lange dern klar in „erlaubt“ und „verboten“ zu unterscheiden. gedauert, nicht weil die Beamten des BKA langsam ge- Da unterscheiden die Polizei und die Ermittlungsbehör- arbeitet hätten, sondern weil es zu wenige Beamte wa- den zwischen Kategorie-1-Bildern, klar kinderpornogra- ren. Es sind zu wenige Ermittlungsbeamte für die rasant fisch, und Kategorie-2-Bildern, den sogenannten Posing- ansteigenden Fallzahlen gerade im Internet. Oft müssen bildern. Je nach Rechtsauffassung des bearbeitenden sich die Beamten durch ein Terabyte von Daten arbeiten. Staatsanwalts konnte der Besitz von Kategorie-2-Bildern Das sind 1 000 Gigabyte voll mit schrecklichen Bildern, dazu führen, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet Videos und Texten. Das alles muss gesichtet, bewertet wurde, oder nicht. Diese Ermessenslücke schließen wir und in Akten angelegt werden. nun endlich und stellen klar, dass die Herstellung, die Verbreitung und der Besitz von Posingbildern verboten Wenn wir als Parlamentarier den Polizistinnen und sind. Polizisten beim BKA, bei der Bundespolizei, aber auch bei den Landespolizeien mehr Aufgaben übertragen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dann müssen wir sie auch personell und materiell gut Über den derzeitigen 2. Untersuchungsausschuss und ausstatten, damit sie ihre Arbeit machen können. ein laufendes Ermittlungsverfahren ist in den Medien (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten viel berichtet worden. Da es sich um ein laufendes Ver- CDU/CSU und der LINKEN) fahren handelt, möchte ich mich nicht näher dazu äu- ßern, auch wenn es hier schon erwähnt wurde. Nur so Das ist unsere Arbeit in den Haushaltsberatungen. Es viel: Die Reform des Sexualstrafrechts führt nicht zu ei- gibt leicht positive Signale aus dem Haushaltsausschuss. 6346 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Susanne Mittag (A) Das ist sehr schön. Aber ich sage ganz deutlich: Das ter Körperhaltung – das ist das, was die ganze Zeit schon (C) reicht noch nicht, nicht für diesen hier beschriebenen im Bereich des Posings Rechtsprechung war –, sondern Bereich. jetzt auch die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbe- kleideten Genitalien und des Gesäßes eines Kindes. Das Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam als Parlament ist eine ganz wichtige Ergänzung, die zum einen damit einen Weg finden können, um den Sicherheitsbehörden einen Gleichlauf zur Lanzarote-Konvention herstellt, die notwendige Ausstattung für ihre Arbeit zu geben, da- zum anderen einem Vorstoß der Bundesländer Bayern mit wir nicht nur Gesetze beschließen, sondern damit und Hessen im Bundesrat gerecht wird, für den wir im diese dann auch umgesetzt werden können. Es wird sich Laufe der Beratungen sehr dankbar waren. zeigen, wie ernst wir es damit meinen. Das sind wir den vielen Opfern dieser Straftaten schuldig; denn diese tra- Dennoch ist es uns gelungen – auch das ist vorhin an- gen ein ganzes Leben an der Tat. geklungen –, den Begriff der Jugendpornografie davon trennscharf abzugrenzen, weil Jugendliche einfach eine Herzlichen Dank. andere Sexualität haben. Da passiert es schon einmal, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dass sich ein jugendliches Pärchen Posingbilder per MMS hin- und herschickt. Durch die Möglichkeit der Präsident Dr. Norbert Lammert: Einwilligungsfähigkeit für den höchstpersönlichen Ge- Alexander Hoffmann ist der nächste Redner für die brauch haben wir hier eine trennscharfe Formulierung CDU/CSU-Fraktion. gefunden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Im Hinblick auf den Fall, den ich vorhin geschildert neten der SPD) habe, ist es uns eben auch gelungen, Schlupflöcher zu schließen. Oft kam die platte Behauptung, man habe nur legales Material bezogen, und das waren dann 5 000 Alexander Hoffmann (CDU/CSU): oder 10 000 einzelne Bilder. Oder es kam das Argument, Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen man sei Liebhaber der Landschaft und der Kunst. Straf- und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! bar ist nunmehr die Herstellung von Nacktbildern von Adrian P. war ein fröhliches Kind. Er ist groß geworden Personen unter 18 Jahren in der Absicht – das ist wichtig –, in der Region um Satu Mare in Rumänien. Eines Tages diese einem Dritten entgeltlich zu verschaffen; strafbar kommt in sein Dorf ein Deutscher, der sich das Ver- macht sich auch derjenige, der sich solche Bilder ent- trauen der Eltern und der Kinder erschleicht. Das tut er geltlich verschafft. über Wochen hinweg, indem er Süßigkeiten verteilt, Ausflüge organisiert und durch andere Großzügigkeiten. Jetzt haben wir im Rahmen der Kritik in dieser Woche (B) Ohne das Wissen der Eltern bewegt er dann die Knaben Beispiele gehört: das Nacktbild der 17-Jährigen in der (D) dazu, bei ihm nackt zu baden, sich gegenseitig mit Öl Bravo. Aber vergessen wir eines nicht: Die Institution einzureiben oder nackt miteinander zu raufen, und er der rechtfertigenden Einwilligung gibt es nach wie vor. filmt das Ganze. Bei einem solchen Bild können die Eltern selbstver- ständlich im Rahmen ihres Sorgerechts einwilligen. Diese Filme vertreibt er dann und findet als Abneh- Bitte denken Sie daran – der Kollege Dr. Fechner hat es mer zum Beispiel ein Unternehmen wie Azov Films, vorhin dargestellt –: Es gibt Ausnahmen in § 201 a Ab- eine Firma, die in drei Jahren mit Material dieser Art satz 4 StGB. Auch hier können wir die Strafbarkeit sehr über 4 Millionen Euro umsetzt. Da möchte ich schon trennscharf regulieren. einhaken, weil es immer heißt, wir hätten nur einen be- stimmten Fall im Auge. Meine Damen und meine Her- Jetzt ein zweites Beispiel, das ich persönlich als eher ren, wir haben diesen Markt im Auge. Wir alle waren er- skurril empfinde: die 17-Jährige im Dessouskatalog. Es schrocken, als im Zusammenhang mit der Edathy-Affäre müsste also die Nacktheit der 17-Jährigen Gegenstand zutage gefördert worden ist, dass eine ganze Branche des Dessouskatalogs sein. Da muss ich ganz ehrlich sa- entstanden ist, die mit gerade noch legalem Material gen – das ist meine persönliche Auffassung –, dass ich Millionenumsätze macht. Darauf haben wir uns bei die- mich dann schon wundere. Eine nackte 17-Jährige hat sem Gesetzentwurf konzentriert, nicht auf diesen einzel- für mich in einem Dessouskatalog nichts zu suchen. nen Fall. Aber wenn man nicht prüde sein will, so ist es auch hier möglich, dass die Eltern einwilligen, solange das unter (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- das Sorgerecht der Eltern fällt. neten der SPD) Wir haben die ganze Woche die Kritik vernommen, Wir waren uns damals in einer gemeinsamen Kampf- das Gesetz sei zu unbestimmt, man müsse vorsichtig ansage alle einig, dass es uns darum gehen muss, diesen sein, und man verstehe nicht, was gemeint sei. Auch da- Markt trockenzulegen. Ich sage Ihnen heute: Das wird rüber wundere ich mich. Überlegen wir einmal, welche uns mit diesem Gesetzentwurf gelingen. Anträge und Gesetzentwürfe uns teilweise hier vorgelegt Ganz kurz – es ist schon viel dargestellt worden – werden. Oft strotzen Gesetzentwürfe nur so vor unbe- zwei, drei wichtige Argumente und Elemente aus meiner stimmten Rechtsbegriffen, und es wird ganz schnell ein- Sicht. So wurde der Begriff der Kinderpornografie er- mal mit einem Federstrich ein Ordnungswidrigkeitentat- weitert. Dazu zählen nicht mehr nur Bilder mit sexuellen bestand formuliert, zum Beispiel für den Fall, dass ein Handlungen an und von Kindern oder auch Bilder von Unternehmer nicht rechtzeitig ein Gleichstellungskon- unbekleideten Kindern in unnatürlich geschlechtsbeton- zept erstellt. In diesem wichtigen Fall hören wir die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6347

Alexander Hoffmann (A) ganze Zeit: Das ist nicht bestimmt genug. Da müssen wir Alexander Hoffmann (CDU/CSU): (C) vorsichtig sein. Das ist unverständlich. – Ich will das gar Aber sehr gerne. nicht weiter werten. Aber man merkt – auch in der Dis- kussion –, wie die Gewichtigkeit dieses Themas in den Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): unterschiedlichen Gruppierungen ausfällt. Sie zwingen mich jetzt geradezu, mich noch einmal (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zu melden und eine Zwischenbemerkung zu machen. Es Das ist eine Frechheit!) ist völlig unstreitig, dass wir über den Kabinettsentwurf, wie er vorlag, Gespräche geführt haben, dass wir ihn be- Es ist, meine Damen, meine Herren, ein guter Gesetz- raten haben – auch wir beide –, was zu dem Ergebnis ge- entwurf. Ich möchte an dieser Stelle dem Ministerium, führt hat, dass tatsächlich Fehler beseitigt wurden. Mei- dem Minister und auch den Kolleginnen und Kollegen nes Erachtens zeigt das, dass ein parlamentarisches danken, weil es uns gerade in den letzten Wochen gelun- ordnungsgemäßes Verfahren seinen Sinn hat und dass gen ist, viele neue Regelungen zu erarbeiten, die letzt- wir uns daran auch halten sollten. endlich eine trennscharfe Abgrenzung ermöglichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber es gibt für mich persönlich – das sage ich ganz sowie bei Abgeordneten der LINKEN) offen – auch einen Wermutstropfen: Wir von der Union hätten sehr gerne die Strafbarkeit des Cybergrooming si- Freitagmittag um 12 Uhr war die Frist abgelaufen, bis chergestellt. Worum es dabei geht, ist ganz einfach er- zu der dem Rechtsausschuss die Änderungen am Kabi- zählt: Erwachsene gehen ins Internet – das geschieht tau- nettsentwurf hätten vorliegen müssen; wir haben sie am sendfach; das muss man so sagen –, um in Chatrooms Dienstagnachmittag bekommen. Diese Änderungen sind mit Mädchen, mit Kindern sexuellen Kontakt anzubah- umfangreich und komplex. Ich habe zu § 201 a StGB nen. Das große Problem in der Praxis ist – das wurde viel gesagt. Sämtliche Änderungen sind über das Wo- auch in den Anhörungen ganz deutlich zutage gefördert –, chenende, also in letzter Minute, gestrickt worden, und dass die einzige Möglichkeit der Polizei, solcher Täter wir mussten am Mittwoch beschließen. Das ist kein ord- habhaft zu werden, ist, dass sich Ermittlungsbeamte in nungsgemäßes parlamentarisches Verfahren. solchen Chatrooms als Kinder ausgeben, um so an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN potenzielle Täter heranzukommen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch an dieser Stelle ein Dankeschön; denn das Ich gehe davon aus, dass der eine oder andere Fehler Ministerium hat angeboten, dass wir in einem weiteren möglicherweise hätte korrigiert werden können, wenn Fachgespräch etwas über die Praxis erfahren. So hoffen wir uns gründlich und vernünftig über diese Änderungs- (B) wir, dass wir hier die Impulse aus der Praxis aufnehmen vorschläge unterhalten hätten. (D) können. Ich kann hier für meine Fraktion sprechen: Wir sind bei der Beurteilung der Notwendigkeit noch lange nicht am Ende der Beratungen angelangt. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Danke für dieses Statement. – Es war im Kern doch (Beifall der Abg. Elisabeth Winkelmeier- so – Sie haben es gerade angesprochen –, dass am Frei- Becker [CDU/CSU]) tagnachmittag der Gesetzentwurf vorlag. Die umfas- Am Ende, meine Damen, meine Herren, noch ein sende Änderung, von der Sie vorhin gesprochen haben, Punkt, der mich bewegt – auch das wurde als Kritik ge- war die Streichung des Wortes „unbefugt“. Ich denke, äußert –: Es hieß, dieser Gesetzentwurf komme zu wir haben mit Hilfestellung des Kommentars dargelegt, schnell, er sei mit heißer Nadel gestrickt, man habe kei- was die Begrifflichkeit „unbefugt“ bedeutet. – Ich habe nerlei Beteiligungsmöglichkeit gehabt. – Das ist nicht befürchtet, dass die Ausschussvorsitzende auch noch richtig. Kollegin Keul, Sie haben vorhin gesagt, am eine Frage hat, Herr Präsident. Dienstagnachmittag seien noch umfassende Änderungen vorgelegt worden. Das stimmt einfach nicht. Das waren Präsident Dr. Norbert Lammert: redaktionelle Änderungen, die wirklich in einem über- Nein. Sie wollte nur hilfreich sein, um darauf hinzu- schaubaren Rahmen stattgefunden haben. weisen, dass sich Frau Keul zur Entgegennahme der Be- antwortung ihrer Zwischenfrage vielleicht freundlicher- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weise von ihrem Platz erhebt. NEN]: Was?) (Heiterkeit – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Wir hatten insgesamt ein sehr fruchtbares Beteili- DIE GRÜNEN]: Nein, ich wollte schon eine gungsverfahren. Wir hatten eine gute Anhörung. Kolle- Zwischenfrage stellen!) gin Keul, auch wir beide hatten ein sehr gutes Gespräch – das können Sie nicht bestreiten –, und Anregungen von Ihnen aus diesem Gespräch habe ich in die weitere Bera- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): tung einfließen lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE Darf die Kollegin Keul eine Zwischenbemerkung ma- GRÜNEN] meldet sich erneut zu einer Zwi- chen oder eine Zwischenfrage stellen? schenfrage) 6348 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Alexander Hoffmann (A) – Herr Präsident, Frau Künast möchte doch eine Zwi- ich gar nicht wegdiskutieren. Denn wir wollen in diesem (C) schenfrage stellen. Gesetzgebungsverfahren – das ist ein ganz wichtiger Punkt – noch in diesem Jahr zum Abschluss kommen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Warum? Die Antwort ist im Grunde ganz einfach: weil Und Sie machen den Eindruck, als wollten Sie die jeden Tag, und zwar wirklich jeden Tag, in irgendeinem auch zulassen. rumänischen, in irgendeinem bulgarischen Dorf oder woanders auf der Welt wieder jemand aufschlagen kann, (Heiterkeit) der sich das Vertrauen der Kinder und der Eltern er- schleicht und dann mit Nacktbildern der Kinder Handel Alexander Hoffmann (CDU/CSU): treibt. Solche Menschen werden in Zukunft in Deutsch- Sehr gerne. land keine Geschäfte machen. Das sind Geschäftsmo- delle, die für uns absolut inakzeptabel sind. Wir werden Präsident Dr. Norbert Lammert: diesen Markt trockenlegen. Das wird uns gelingen. Des- wegen werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. Bitte schön. Vielen Dank. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also, da Sie jetzt gesagt haben, am Freitag seien den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Mitgliedern Unterlagen zugegangen, frage ich jetzt: neten der SPD) Trifft es zu, dass die Ausschussvorsitzende am Freitag kein Papier bekommen hat, keinen Änderungsantrag, Präsident Dr. Norbert Lammert: den sie verschicken konnte? Zumindest ich als Aus- Nächster Redner ist der Kollege Dirk Wiese für die schussvorsitzende habe davon keine Kenntnis. Ich habe SPD-Fraktion. nichts bekommen. Das Ausschusssekretariat hat erst am Dienstag um 15 Uhr und ein paar Minuten eine Vorlage (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bekommen, die verschickbar ist. Das Ausschusssekreta- der CDU/CSU) riat hat am Freitagnachmittag Kenntnis davon bekom- men, dass es angeblich ein Papier gibt. Das sei aber ver- Dirk Wiese (SPD): traulich, und es gebe nichts zu verschicken und, und, und. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der nun vorliegende Gesetzentwurf in der (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und da war durch den Änderungsantrag geänderten Form ist aus (B) nicht nur eine Änderung drin!) meiner Sicht und aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion (D) ein wirkungsvolles Mittel, um bestehende Lücken im Das ist, glaube ich, an dieser Stelle ein Unterschied, weil Sexualstrafrecht zu schließen, ohne dabei gleichzeitig ja zu einer guten Beratung auch gehört, dass das Aus- Gefahr zu laufen, sozialadäquates Verhalten unter Strafe schusssekretariat rechtzeitig Änderungsvorlagen ver- zu stellen. schickt, damit diese dann auch noch zum Beispiel mit Oberstaatsanwälten oder Wissenschaftlern aus der An- Mein Kollege Johannes Fechner hat bereits die zen- hörung besprochen werden können. Diese Möglichkeit tralen Punkte des Entwurfs, was Kinder- und Jugendpor- gab es von Dienstag, 15 Uhr und ein paar Minuten, bis nografie angeht, dargestellt. Ich möchte im Folgenden Mittwoch, 9 Uhr, nicht. auf vier weitere Themengebiete eingehen, die wir durch (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das das Gesetz neu regeln bzw. wo wir Lücken in der Straf- kann der Kollege doch nicht erklären!) barkeit schließen. Erstens. Wir schließen Strafbarkeitslücken beim sexuel- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): len Missbrauch von Schutzbefohlenen. Bundesminister Vielen Dank für die Frage. – Dazu muss man zum ei- Heiko Maas hat das folgende Beispiel bereits in seiner nen sagen: Ich bezweifle, dass die Möglichkeit bestan- Rede zur ersten Lesung verwendet: Das Oberlandesge- den hätte, es so weit auszuweiten, wenn das Ausschuss- richt Koblenz musste im Dezember 2012 einen Lehrer, sekretariat am Freitag entsprechende Unterlagen vorgelegt der sich gezielt an eine 14-jährige Schülerin herange- bekommen hätte. Zum anderen: Entscheidend ist doch, macht hatte und das Mädchen über fünf Monate letzt- dass die beteiligten Fraktionen im Ausschuss über die endlich zum Sex gedrängt hatte, vom Vorwurf des Miss- entsprechende Information verfügen. Und das war am brauchs von Schutzbefohlenen freisprechen. Grund für Freitag schon der Fall. den Freispruch war einzig und allein, dass der Lehrer das Mädchen nicht regelmäßig unterrichtete und er damit als (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vertretungslehrer in keinem sogenannten Obhutsverhält- NEN]: Nein! Das war nicht der Fall! Das war nis zu der Neuntklässlerin stand. Mit der Neufassung vertraulich, und das war nicht abschließend! – bzw. Ergänzung des § 174 Absatz 2 Strafgesetzbuch Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer schließen wir diese Regelungslücke nun. Niemand soll [CDU/CSU]: Woher soll denn der Kollege das seine Vertrauensstellung ungestraft missbrauchen dür- wissen? Er hat doch nichts verschickt!) fen; und es ist selbstverständlich, dass es dabei völlig Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es er- egal sein muss, ob der Täter nun Klassenlehrer ist oder wähnt: Es ist tatsächlich so, wir haben es eilig. Das will nur vertretungsweise unterrichtet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6349

Dirk Wiese (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ganz klar für diese Fristverlängerung entschieden; denn (C) der CDU/CSU) mit ihr senden wir auch ein starkes Signal an die Betrof- fenen und lassen sie mit ihrem Leid nicht alleine. Zweitens. Wir konkretisieren den Straftatbestand des Cybergroomings. Kurz zur Begriffserklärung: Unter Cy- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bergrooming versteht man die Kontaktaufnahme er- der CDU/CSU) wachsener Täter mit Kindern im Internet zur Anbahnung Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mit unse- sexueller Handlungen. Die Zahl dieser Fälle nimmt lei- rem Gesetz bekämpfen wir nicht nur die Kinderporno- der immer mehr zu. Laut polizeilicher Kriminalstatistik grafie, sondern erweitern auch umfangreich den straf- meines Heimatlandes Nordrhein-Westfalen hatten wir rechtlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor allein im Jahr 2013 eine Steigerung von über 50 Prozent sexueller Gewalt und sexuellen Übergriffen. Flankiert gegenüber dem Vorjahr. Bisher konnten Fälle, in denen wird der vorliegende Gesetzentwurf zum Sexualstraf- diese Informationsübertragung ausschließlich über Da- recht durch das Präventionskonzept „Gemeinsam gegen tenleitungen erfolgte und es zu keiner Zwischenspeiche- sexuelle Gewalt“ von Bundesfamilienministerin Manuela rung kam, nicht sicher erfasst werden. Der Handlungsbe- Schwesig, sodass wir am heutigen Tage insgesamt ein darf ist gerade wegen der steigenden Zahl dieser Fälle gutes Maßnahmenbündel zum Schutz von Kindern und besonders hoch. Durch die Neufassung von § 174 Ab- Jugendlichen vorlegen können. satz 4 Nummer 3 Strafgesetzbuch haben wir nun den Tatbestand dahin gehend konkretisiert, dass es in sol- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. chen Fällen keine Auslegungsprobleme des Tatbestandes (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mehr gibt. Ich glaube auch, dass die gesetzliche Rege- lung heute schon Möglichkeiten eröffnet, bei einem An- fangsverdacht weitere Ermittlungsmethoden zu nutzen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Christina Schwarzer ist die letzte Rednerin zu diesem Drittens. Wir nehmen den Straftatbestand der Genital- Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion. verstümmelung in den Katalog der Auslandsstraftaten auf. Eines der abscheulichsten Verbrechen an Mädchen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und Frauen ist die in verschiedenen afrikanischen und ei- neten der SPD) nigen asiatischen Ländern praktizierte Beschneidung aus traditionellen oder rituellen Gründen. Christina Schwarzer (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und CDU/CSU) Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit etwas (B) mehr als einem Jahr bin ich Bundestagsabgeordnete, und (D) Auch an in Deutschland lebenden Migrantinnen aus die- ohne die Bedeutung aller anderen Initiativen und Gesetz- sen Ländern wird das Beschneidungsritual teilweise in entwürfe auch nur im Geringsten schmälern zu wollen, ihren Herkunftsländern als sogenannte Ferienbeschnei- kann ich Ihnen sagen: Meiner Ansicht nach sprechen wir dung praktiziert. Eltern fahren dafür extra mit ihren Kin- hier heute über den wichtigsten Gesetzentwurf zum dern in die entsprechenden Heimatregionen. Schutz von Kindern und Jugendlichen in meiner Zeit als Bundestagsabgeordnete. Sehr geehrte Damen und Her- Problem bei der Strafverfolgung dieser im Ausland ren, ich glaube, das empfinden viele Kollegen heute begangenen Genitalverstümmelungen war bisher, dass auch so. eine Strafbarkeit wegen Beihilfe nach deutschem Recht bislang ausschied, sofern keine Vorbereitungshandlung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in Deutschland nachweisbar war. Durch Aufnahme des neten der SPD) Straftatbestandes der Genitalverstümmelung in den Ka- Warum ist das so? Weil der Gesetzentwurf viele Verbes- talog der Auslandsstraftaten schließen wir diese Straf- serungen für diejenigen beinhaltet, die sich nicht selbst barkeitslücke nun – ein wichtiger und entscheidender wehren können und unsere Unterstützung benötigen. Es Schritt bei der Verfolgung dieses abscheulichen Verbre- geht unter anderem darum, die Schwächsten unter uns zu chens. schützen. Darum ist es auch so wichtig, dass wir schnell Viertens. Wir verlängern die Verjährungsfrist bei se- handeln. xuellem Missbrauch an Kindern oder Jugendlichen. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang, kurz den Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erfahrungen aus Weg zu diesem Gesetz nachzuzeichnen. Manchmal über- den letzten Jahren haben gezeigt, dass Menschen, die als holen Geschehnisse politische Debatten, so auch hier. Jugendliche oder Kinder Opfer sexuellen Missbrauchs Ganz abgesehen davon enthält der Koalitionsvertrag auf wurden, häufig erst nach Jahren in der Lage sind, über Initiative der Union hin bereits mehrere konkrete Vorha- das Geschehene zu sprechen. Oftmals sind dann die Ta- ben zu entsprechenden Reformen des Sexualstrafrechts. ten bereits verjährt. Das konnte man zum Beispiel bei den Missbrauchsfällen sehen, die im Zusammenhang mit Auf der Basis eines Fachgesprächs haben wir bereits der Odenwaldschule stehen. Deshalb ändern wir bei der- im März dieses Jahres unter anderem auf Initiative der artigen Straftaten die Verjährungsfrist. stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und Nadine Schön, der ich an dieser Stelle noch einmal Liebe Kolleginnen und Kollegen, obgleich wir uns recht herzlich zur Geburt ihres Sohnes gratuliere der Probleme im Beweisverfahren bewusst sind, die die Fristverlängerung mit sich bringen kann, haben wir uns (Beifall) 6350 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Christina Schwarzer (A) – vielleicht sieht sie ja schon die Debatte; ich glaube, ihr allem an den Folgen für die Opfer ändert sich dadurch (C) Herz geht auf, wenn sie sie heute sieht –, ein Eckpunkte- nichts. papier mit einem Herzensanliegen vorgestellt: „Wir wol- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) len ein Opferschutzpaket jetzt!“ Es beinhaltete Punkte wie die Anpassung des Sexualstrafrechts an das digitale Dass außerdem eine Erweiterung auf Großeltern und Zeitalter, einen besseren Schutz vor Übergriffen in Ab- Stiefeltern in diesem Paragrafen vorgesehen ist, finde ich hängigkeitsverhältnissen, die Verlängerung der Verjäh- ebenfalls sehr positiv. Das gilt ebenso für die Änderung, rungsfrist sowie Vorschläge zu Opferschutz und Präven- die der Rechtsausschuss noch in dieser Woche beschlos- tion. Der hier vorliegende Gesetzentwurf greift viele sen hat und die besagt, dass Personen eheähnlicher oder dieser Punkte auf. Ich finde, es ist wirklich ein starkes lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaften genauso Zeichen, dass das Ministerium und der Bundestag dieses gemeint sind. Es gibt so vielfältige Familienformen in wichtige Thema binnen Jahresfrist zu einem Ergebnis unserem Land, dass dies nur folgerichtig ist. Das Straf- geführt haben – zu einem sehr guten Ergebnis, wie ich recht an diesem Punkt auf leibliche Eltern oder Adoptiv- finde. eltern zu beschränken, würde dem nicht mehr gerecht. Es wäre ein schlechtes Zeichen für die Opfer, wenn das Das Ziel der Änderung des Strafgesetzbuches ist eine Gesetz sie nicht dabei unterstützt, sich auch gegen Stief- deutliche Verbesserung des Schutzes gerade von Kin- eltern, Großeltern oder Lebenspartner der Mutter oder dern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen und se- des Vaters zur Wehr zu setzen. xuellem Missbrauch. Nun müssen wir uns fragen: Ist dieses Ziel mit dem hier vorliegenden Entwurf zu errei- (Beifall im ganzen Hause) chen? Ich meine, ja, obwohl es einen Punkt gibt, den ich etwas kritisch sehe; aber dazu später. „Zeichen setzen“ ist übrigens auch ein gutes Stich- wort, wenn es um das Thema des Strafmaßes beim Be- Wie erreicht dieser Gesetzentwurf das von uns allen sitz kinderpornografischer Schriften geht. Der Kollege formulierte Ziel? Zum einen ist für mich die Verlänge- Wunderlich hat vorgestern in der Sitzung des Familien- rung der Verjährungsfristen ein extrem wichtiger Punkt. ausschusses angemerkt, dass es vielleicht keinen einzi- Sexueller Missbrauch von Kindern ist für mich eines der gen Täter von einer Straftat abhält, wenn hier das Straf- schlimmsten und schwersten Verbrechen überhaupt. Die maß von zwei auf drei Jahre erhöht wird. Da hat er Opfer tragen die Folgen das ganze Leben lang mit sich. vermutlich sogar recht. Ich bin keine Juristin; das wissen Hier gibt es kein Vergessen. Gerade weil die Opfer die- Sie. Aber ich sehe hier die Perspektive der Opfer. Viele ser Straftaten die Folgen so lange mit sich tragen, drän- Opfer haben im Hinterkopf, dass es zum Beispiel bei Ei- gen die Verjährungsfristen sie häufig; denn sie brauchen gentumsdelikten – das hat die Kollegin ja schon ange- manchmal Jahrzehnte, um überhaupt über die Tat spre- deutet – zu einer Strafe von bis zu fünf Jahren kommen (B) (D) chen zu können, diese vielleicht sogar erst einmal zu kann. Angesichts dessen finden sie zu Recht, dass hier verstehen. die Verhältnisse nicht stimmen. Wie wir bereits gehört haben, ist die Verlängerung der In der Expertenanhörung des Rechtsausschusses ha- Verjährungsfristen unter Juristen nicht unumstritten; das ben wir erfahren, dass es keinen signifikanten Zusam- hat auch die öffentliche Anhörung im letzten Monat er- menhang zwischen Kinderpornografie und Kindesmiss- geben. Das Argument lautet: Je später die Ermittlungen brauch gibt, sprich: Statistisch ist nicht nachzuweisen, aufgenommen werden, Herr Wunderlich, desto schwerer dass Menschen, die Nacktbilder von Kindern konsumie- ist es, dem Täter etwas nachzuweisen. Ich sage dennoch: ren, später in strafrechtlicher Hinsicht im Bereich des Die Opfer brauchen Zeit, Kraft und vor allen Dingen Kindesmissbrauchs auffallen. Ich sage Ihnen ganz ehr- Mut, um das Geschehene ohne den Druck der drohenden lich – wir alle haben uns mit dieser Thematik viele Mo- Verjährung zu verarbeiten. Die Frage der Verjährung nate lang beschäftigt –: Mein Bauchgefühl sagt etwas muss daher von der Perspektive der Opfer her gedacht anderes. Auch wenn es hier keine statistische Relevanz werden und nicht von der der Rechtspraxis. Da ein er- gibt, dies also einen relativ kleinen Prozentteil der Täter schwertes Verfahren die Situation für die Opfer sicher betrifft, so sage ich dennoch: Jeder Einzelne, der eine auch schwerer macht, ist hier eine umfangreiche und vor Straftat verübt, ist einer zu viel – einer zu viel für die allem realistische rechtliche Beratung der Opfer vorab Opfer. notwendig. Die Verlängerung der Verjährungsfrist ist aber richtig und wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ich hatte ja zu Beginn etwas Kritik angekündigt; Herr Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]) Maas, das kann ich Ihnen an diesem Punkt nicht erspa- Ein weiterer zentraler Punkt ist der § 174 StGB, Se- ren. Es geht um das sogenannte Cybergrooming – auch xueller Missbrauch von Schutzbefohlenen. Ich möchte hierauf sind diverse Kollegen bereits eingegangen –, ge- es nicht ungesagt lassen, weil ich es für besonders wich- nauer gesagt um einen untauglichen Versuch: Wenn sich tig halte: In der jetzt noch aktuellen Fassung geht dieser ein Beamter des BKA im Internet als zehnjähriges Mäd- Paragraf an der Lebensrealität vieler Opfer vorbei. Den chen ausgibt und von einem Erwachsenen zu sexuellen Opfern ist es nämlich völlig egal, ob es ein Fachlehrer, Handlungen aufgefordert wird, dann soll dies nicht straf- ein Klassenlehrer oder nur ein Vertretungslehrer ist, der bar sein, obwohl der Täter glaubte, mit einer Minderjäh- sich an ihnen vergeht. An der Schwere der Tat und vor rigen zu chatten? Entschuldigen Sie, aber das erscheint Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6351

Christina Schwarzer (A) mir nicht richtig. Ich glaube, da müssen wir noch nach- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) bessern. An dieser Stelle hätten wir für das Ziel, eine Das ist richtig!) deutliche Verbesserung des Schutzes von Kindern und Dann rufe ich zunächst Artikel 1 Nummer 5 b und Ar- Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen zu erreichen, tikel 1 Nummer 18 in der Ausschussfassung auf und mehr tun können, gerade in unserer digitalen Welt. bitte diejenigen, die diesen in der Ausschussfassung zu- (Beifall bei der CDU/CSU) stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da- gegen? – Wer enthält sich? – Damit sind die gerade ge- Ein Thema will ich in den letzten 40 Sekunden mei- nannten Bestimmungen in der Ausschussfassung mit der ner Redezeit noch ansprechen, und das ist das Thema Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposi- Medienkompetenz. Versetzen wir uns alle einmal in un- tion angenommen. sere Kindheit zurück; bei manchen ist das noch gar nicht so lange her. Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs, wie- derum in der Ausschussfassung, auf und bitte diejenigen, (Unruhe) die hier zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer – Jetzt überlegt jeder, wie alt er ist. – Was haben wir da ist dagegen? – Dies ist jetzt mit den Stimmen der Koali- von unseren Eltern gelernt? Meine Mutter hat mir immer tion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die gesagt: Steig nie in ein fremdes Auto! Nimm nie Scho- Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. kolade von einem Fremden an! – In der analogen Welt Alle Teile des Gesetzentwurfs sind damit in zweiter geben wir unseren Kindern diese Regeln mit auf den Beratung angenommen, sodass wir nun zur Weg, um sie sicher durch den Alltag zu geleiten. Aber in der digitalen Welt ist das, glaube ich, noch keine Selbst- dritten Beratung verständlichkeit. Hier gibt es großen Nachholbedarf. und Schlussabstimmung kommen können. Ich bitte die- Genauso selbstverständlich wie bei dem Beispiel mit jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich der Schokolade müssen Eltern ihren Kindern erklären: zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Wenn jemand im Internet um ein Bild von dir bittet, be- sich? – Damit ist der Gesetzentwurf im Ganzen mit den ende das Gespräch und sende es ihm nicht! Antworte Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Linken nicht, wenn dich jemand fragt, ob du schon mal jeman- bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- den geküsst hast! – Aber sehr viele Eltern tun das leider genommen. nicht, weil sie sich in der digitalen Welt einfach noch Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung zu nicht gut auskennen. Sehr geehrte Damen und Herren, dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent- ich glaube, in allen Fraktionen wird das Thema Medien- (B) wurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – immer noch (D) kompetenz gerade behandelt. Wir sind da auf einem gu- der gleiche Zusammenhang – ab. Der federführende ten Weg. Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- Lassen Sie mich als Letztes sagen: Das hier vorlie- schlussempfehlung auf der Drucksache 18/3202 (neu), gende Gesetz beschäftigt sich mit der strafrechtlichen den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Druck- Komponente. Es ist gut, dass wir so schnell gehandelt sache 18/2954 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für haben. Kleine Kritikpunkte habe ich angesprochen. Al- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – les in allem haben wir einen sehr guten Gesetzentwurf, Alle sind dafür. Damit ist die Beschlussempfehlung an- der sein Ziel erreichen wird: eine deutliche Verbesserung genommen. des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexuel- Unter dem Punkt 5 b unserer Tagesordnung geht es len Übergriffen und sexuellem Missbrauch. um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Fami- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie lie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der der Abg. Renate Künast [Bündnis 90/Die Grü- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Kinder nen]) schützen – Prävention stärken“. Dieser Ausschuss emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache Präsident Dr. Norbert Lammert: 18/3201, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Ich schließe die Aussprache. lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit Wir kommen zur Abstimmung über den von den den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op- Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge- position ist die Beschlussempfehlung angenommen. setzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Um- Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunkts. setzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- der Drucksache 18/3202 (neu), den Gesetzentwurf der gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besse- Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache ren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Be- 18/2601 in der Ausschussfassung anzunehmen. Die ruf Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, getrennt abzustimmen: zum einen über Artikel 1 Nummer 5 b Drucksachen 18/3124, 18/3157 und Artikel 1 Nummer 18, zum anderen über den Ge- Überweisungsvorschlag: setzentwurf im Übrigen. – Das ist korrekt? Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) 6352 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Innenausschuss zweitens durch einen Rechtsanspruch auf die Familien- (C) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz pflegezeit und drittens mit einem zinslosen Darlehen für Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit diese Zeit. Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ge- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO hört dazu, wenn wir von Familien reden, so wie die älte- ren Menschen zur Familie gehören. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu Für mich ist das ein weiterer Schritt in Richtung Fa- gibt es offensichtlich Einvernehmen, sodass wir in die milienarbeitszeit. Wir machen es möglich, eine Zeit lang Aussprache eintreten können. die Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr Zeit für die Fa- milie zu haben. Klar ist, dass man für die Pflege und Erfreulicherweise ist die federführende Ministerin an- Sorge Auszeiten braucht. Aber man muss eben nicht wesend, und ich erteile ihr hiermit das Wort. mehrere Jahre voll aussteigen; denn das bedeutet: raus aus dem Job, weniger Einkommen, weniger Rente. So Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, hat es meine Tante erlebt, die für die Pflege der Schwie- Senioren, Frauen und Jugend: germutter jahrelang aus dem Beruf ausgestiegen war und Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen dann keine Chance mehr hatte, reinzukommen. und Herren Abgeordnete! Berufstätige Frauen und be- rufstätige Männer erleben, dass sich in ihrer Familien- Es geht darum, überschaubare Auszeiten und Teilzeit- welt nicht nur die Frage stellt: „Wie kann das gehen, auf möglichkeiten zu unterstützen und diese mit professio- der einen Seite die Anforderungen in meinem Job und nellen Angeboten der ambulanten Pflege oder der Tages- auf der anderen Seite die Anforderungen, die meine Kin- pflege zu kombinieren, die dank der Pflegereform jetzt der und meine Familie an mich stellen, zeitlich zu erfül- ausgebaut werden. Zeit für Familie und Zeit für Beruf len?“, sondern zunehmend auch eine andere. Zu den An- auch in Pflegesituationen, das ist der Anspruch an mo- forderungen im Job, aber auch in der Familie kommt derne Familienpolitik, eine moderne Familienpolitik, die nämlich häufig das Problem pflegebedürftiger Angehöri- auf partnerschaftliche Vereinbarkeit setzt. In der letzten ger hinzu. So hat es mir zum Beispiel eine berufstätige Woche haben wir mit dem Elterngeld Plus den ersten Mutter erzählt, die ganz froh war, dass ihr Sohn nach den Schritt in Richtung Familienarbeitszeit gemacht. Das vielen Jahren des Großwerdens endlich in Ausbildung Elterngeld Plus erleichtert die Verbindung zwischen El- war. Ein guter Schulabschluss für die Kinder, dann eine terngeld und Teilzeitarbeit. Jetzt gehen wir mit dem Ausbildung oder ein Studium, das treibt die Eltern um. neuen Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Sie dachte: Jetzt kann ich durchatmen. Jetzt kann ich Beruf den zweiten Schritt in Richtung Familienarbeits- mich wieder stärker auf meine berufliche Perspektive zeit. Dieses Gesetz wird die Verbindung von Pflege und (B) konzentrieren. Dann kam ein Anruf: Der Vater ist ge- Teilzeitarbeit fördern. (D) stürzt. Die Knochen sind porös. Ob er jemals wieder lau- Eine Frau wie die, deren Situation ich eben geschil- fen kann, ist ungewiss. Damit trat einerseits ihre Sorge dert habe, wird künftig die Möglichkeit haben, in einem um einen guten Ausbildungsplatz für den Sohn in den akuten Fall eine zehntägige Auszeit zu nehmen. Sie kann Hintergrund, aber andererseits kam sofort die akute ihren Vater natürlich nicht in zehn Tagen gesundpflegen, Sorge um den Vater dazu. aber sie kann sich darüber informieren, welche Ange- Das ist das, was eine zunehmende Zahl von Familien bote es gibt. Sie kann sich beim Pflegestützpunkt beraten in unserem Land erlebt. Die steigende Zahl der Pflege- lassen. Ist es zum Beispiel gut, dass der Vater künftig in bedürftigen fordert die Kapazitäten von Pflegeeinrich- einer Tagespflege betreut wird, während sie ihre Arbeits- tungen heraus. Sie fordert die Pflegeversicherung he- zeit reduziert, um mehr Zeit für Sorge und Pflege zu ha- raus. Aber vor allem die Familien in unserem Land ben? Nutzt sie den ambulanten Pflegedienst, damit der nehmen diese Herausforderung an. Die Familien in un- Vater in den eigenen vier Wänden bleiben kann? Oder serem Land leisten den größten Teil der Pflege und soll es vielleicht doch eine stationäre Einrichtung sein? Sorge für pflegebedürftige Menschen. Sie sind der In einer Pflegesituation ergeben sich viele Fragen; größte Pflegedienst der Nation. Deshalb haben sie un- aber es gibt auch viele Angebote. Man benötigt Zeit, um sere Unterstützung verdient. die vielen Angebote auszuloten. Für die zehntägige Aus- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zeit gibt es künftig eine Lohnersatzleistung analog zum Kinderkrankengeld. Das ist wichtig, weil somit künftig Über 1,8 Millionen Menschen werden zu Hause ge- alle Beschäftigten die Möglichkeit haben, diese zehn- pflegt, zwei Drittel davon ausschließlich durch ihre An- tägige Auszeit ohne großen Einkommensverlust zu neh- gehörigen. Deshalb wollen wir Familien entlasten. Wir men. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. wollen Familien unterstützen, wenn sie für ihre pflege- bedürftigen Angehörigen da sind. Wir stärken den Fami- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) lien den Rücken, in denen die Menschen füreinander Es ist aber nicht nur eine Frage des einzelnen Euro. Es Verantwortung übernehmen, wenn jemand im familiären geht auch um die Frage: Wie ernst nehmen wir die Un- Umfeld pflegebedürftig wird. Mit dem Gesetz, das wir terstützung für Familien mit Pflegebedarf? Mit dem vor- heute einbringen, werden wir Familien helfen, Pflege liegenden Gesetzentwurf heben wir Familien mit Pflege- und Beruf besser zu vereinbaren: erstens durch eine bedarf auf eine Stufe mit Familien mit Kindern, für die zehntägige Lohnersatzleistung für den akuten Pflegefall, es undenkbar ist, dass es nicht die zehn Tage Auszeit mit (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Für alle?) Lohnfortzahlung gibt, wenn ein Kind krank wird. Das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6353

Bundesministerin Manuela Schwesig (A) gibt es jetzt auch im Bereich Pflege. Damit signalisieren müssen wir sie in ihrer jeweiligen Lebensform unterstüt- (C) wir: Wir lassen die Familien mit dem Thema Pflege zen. nicht alleine, wir lassen sie nicht im Stich, sondern wir unterstützen sie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) GRÜNEN) Die Frau aus dem Beispiel hat nun Zeit, darüber nach- Das vorliegende Gesetz geht auf diese Vielfalt ein. zudenken, ob sie bis zu sechs Monate ganz aus dem Be- ruf aussteigen oder ob sie ihre Arbeitszeit bis zu zwei Neu ist auch eine Familienpflegezeit für Eltern mit Jahre lang reduzieren will. Sie hat künftig einen Rechts- minderjährigen Kindern, die in einer Pflegeeinrichtung anspruch darauf, der einen Kündigungsschutz ein- betreut werden, zum Beispiel, wenn ein Kind mit Down- schließt. Sie kann Lohnausfälle durch einen Lohnvor- Syndrom in einer Einrichtung der Lebenshilfe lebt und schuss in Form eines zinslosen Darlehens vom Staat nur am Wochenende nach Hause kommt. Hier geht es ausgleichen. Auch das ist eine erhebliche Verbesserung. weniger um die Pflege, die professionell in der Einrich- In der Vergangenheit ging das nur über den Arbeitgeber. tung erfolgt, hier geht es mehr um Zeit für das pflegebe- Die wenigsten haben das allerdings in Anspruch genom- dürftige Kind. Die Eltern hatten bisher keine Möglich- men. keit, Auszeiten zu nehmen. Sie erhalten jetzt die Möglichkeit, die Zeit für gemeinsame Stunden, für Zu- (Beifall bei der SPD) wendung und Zuneigung zu nutzen. Die Frau müsste sich in dieser Zeit nicht alleine um Schließlich haben wir auch die Möglichkeit geschaf- ihren Vater kümmern. Das Pflegestärkungsgesetz macht fen, Menschen in der letzten Lebensphase nahe sein zu es ihrem Vater leichter, Angebote der Tagespflege oder können. Sie sind gestern in diesem Haus in eine wichtige von ambulanten Diensten in Anspruch zu nehmen. Ich Debatte über die sogenannte Sterbebegleitung eingestie- freue mich sehr, dass wir bei der Stärkung der Pflege gut gen. Ich finde, das war eine sehr bewegende Debatte. Sie mit dem Bundesgesundheitsministerium zusammenar- hat gezeigt, wie sehr es uns alle beschäftigt, wenn beiten. Es braucht ein Bündel von Maßnahmen, um beim Krankheit und Leid bei Freunden oder in der Familie Thema Pflege in der Gesellschaft etwas zu bewegen, nicht mehr zu heilen sind. Es gibt eben nicht die einfache nicht nur ein einzelnes Gesetz. Die Große Koalition Lösung, aber wir sind uns alle darüber einig, dass wir ei- bringt nun die entsprechenden Maßnahmen auf den Weg nes organisieren müssen: Wir müssen alles dafür tun, und unterstützt so die Familien in unserem Land. dass niemand im Sterben allein ist. So hat es Volker (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kauder gestern gesagt: (B) (D) Eine pflegende Tochter oder ein pflegender Sohn sind Wir werden alles dafür tun, dass im Sterben nie- auch deshalb nicht alleine, weil sie die Auszeit zusam- mand allein ist, sondern dass er begleitet wird, dass men mit anderen Angehörigen – gleichzeitig oder nach- er Beistand hat. einander – nehmen können. Damit können lange Pflege- Genau diesen Schritt gehen wir mit diesem Gesetzent- zeiten abgedeckt werden, ohne dass die Arbeit nur auf wurf. Wir wollen es mit dem vorliegenden Gesetzent- den Schultern einer Person, bisher oft auf den Schultern wurf möglich machen, dass er oder sie in der letzten Le- der Frau, lastet. Das ist eine Chance für mehr Partner- bensphase begleitet wird und Beistand hat. Das ist der schaftlichkeit und für mehr Solidarität innerhalb der Fa- Wunsch vieler Menschen, ein berechtigter und wichtiger milie. Damit bekommen Familien die Chance, auch län- Wunsch. Wir sollten ihnen diesen Wunsch erfüllen. gere Zeiten in der Pflege abzudecken; denn mit zwei Jahren ist es oft nicht getan. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Mit dem Gesetz wird auch der Kreis der Angehöri- Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Ver- gen, die die Regelungen in Anspruch nehmen können, einbarkeit braucht die Mitwirkung der Arbeitgeber. Das erweitert. Ab 2015 sollen auch Stiefeltern, Schwager machen wir damit deutlich, dass wir einen Rechtsan- oder Schwägerin und lebenspartnerschaftsähnliche Ge- spruch festschreiben wollen. Ich bin überzeugt – das ha- meinschaften die Möglichkeiten des Pflegezeitgesetzes ben meine Gespräche und Unternehmensbesuche gezeigt –, und Familienpflegezeitgesetzes in Anspruch nehmen dass die Arbeitgeber selbst ein Interesse daran haben, können. Zu einer modernen Familienpolitik gehört, dass dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Pflege auch unverheiratete Partner genauso wie Ehepartner An- gelingt; denn die Vereinbarkeit ist ein Gewinn für die spruch auf Pflege- und Familienpflegezeit haben. Zu ei- Unternehmen. Nehmen wir den Facharbeiter für Auto- ner modernen Familienpolitik gehört auch, dass schwule matisierungstechnik oder die Fachärztin für Innere Me- oder lesbische Paare, die füreinander einstehen, Zeit für dizin. Das sind nur zwei von sehr vielen Berufen, in de- die Pflege ihres Partners bekommen, egal ob sie in einer nen Fachkräfte gesucht werden. Für den Arbeitgeber ist eingetragenen Lebenspartnerschaft leben oder nicht. es von großem Vorteil, wenn diese Fachkräfte nicht un- ter dem Druck einer großen Belastung aufgrund von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Pflegeaufgaben in der Familie zusammenbrechen und der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE aus dem Job aussteigen, sondern an Bord bleiben; sie GRÜNEN) können in dieser Zeit gerne ihre Arbeitszeit reduzieren, Familienleben ist vielfältiger geworden. Wenn wir er- wenn sie nur an Bord bleiben. Deshalb ist es gut für die warten, dass die Menschen füreinander einstehen, dann Wirtschaft, dass wir dieses Gesetz machen. Es ist wich- 6354 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Bundesministerin Manuela Schwesig (A) tig, die Fachkräfte an Bord zu halten. Sie sind das Rück- für sie heißt: Überlastung bis an den Rand des Burn-outs (C) grat der Wirtschaft. Dieser Gesetzentwurf zeigt, dass wir mit einer enorm prekären finanziellen Situation. mit Gesetzen beides zusammenbringen können, die Inte- Meine Damen und Herren, dieses Beispiel ist – das ressen der Wirtschaft und die Interessen der Familien. ist, glaube ich, uns allen bekannt – kein Einzelfall. Die Für mich ist das kein Widerspruch, sondern das gehört überwiegende Mehrheit der pflegenden Frauen und zusammen gedacht. Männer erlebt die Pflege von Angehörigen als körperlich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und emotional belastend. Viele der Pflegenden, insbe- sondere Frauen, sind zum Zeitpunkt des Pflegebeginns Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, viele nicht oder nur geringfügig erwerbstätig. Frauen geben Menschen möchten für ihre Familie da sein, wenn je- auch häufiger als männliche Pflegende ihre Erwerbstä- mand Hilfe braucht, ob ein kleines, schwerkrankes Kind, tigkeit auf, wenn sie die Pflege übernehmen. Genau sol- ein pflegebedürftiger Vater oder die Großmutter. Oft che Unterbrechungen führen zu geringeren Rentenan- kommt alles gleichzeitig: der Pflegefall der Eltern, die sprüchen im Alter. Einschulung der Kinder und neue Anforderungen im Job. Manchmal hat man das eine gerade geschafft, und Die Probleme in der Pflege sind uns allen bekannt. die nächste Herausforderung kündigt sich schon an. Das Der Gesetzentwurf aber, welchen wir heute erstmals im ist Stress. Das ist das Gefühl, zerrieben zu werden zwi- Bundestag debattieren – bei ihm wird im Titel recht voll- schen den verschiedenen Wünschen, zwischen dem mundig von einer „besseren Vereinbarkeit von Familie, Wunsch, da zu sein für die Kinder oder die eigenen El- Pflege und Beruf gesprochen“ –, geht an einer wirkli- tern, und dem Wunsch, den Job gut zu machen. Das trifft chen Lösung völlig vorbei. oft die sogenannte Sandwichgeneration, die in der Rush- (Beifall bei der LINKEN) hour des Lebens lebt. Dies sind aber die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Sie sorgen mit ihrer Arbeit dafür, Ja, es soll kleine Verbesserungen geben. Dass es für dass das Sozialsystem sich trägt. Deshalb ist es wichtig, die bisher unbezahlte zehntägige Pflegezeit eine Lohn- dass wir diese Leistungsträger unterstützen, dass wir al- ersatzleistung geben soll, ist zu begrüßen. Diese kleine les dafür tun, dass sich diese Rushhour entzerrt. Wir Verbesserung darf aber nicht über die völlig unzurei- werden sie nicht auflösen können, schon gar nicht mit ei- chenden Vorschläge der Bundesregierung hinwegtäu- nem einzelnen Gesetz, aber wir können die Botschaft schen. Wer glaubt, in zehn Tagen die pflegerische Ver- aussenden, dass wir diese Frauen und Männer nicht al- sorgung organisieren zu können, geht vollkommen an leine lassen, dass wir die Familien in unserem Land den Lebensrealitäten von Menschen vorbei, die zum ers- nicht alleine lassen, dass wir ihnen den Rücken stärken. ten Mal mit Pflegebedürftigkeit konfrontiert sind. Es mag sein, dass ein Kind in zehn Tagen gesund wird, eine (B) Das leistet dieser Gesetzentwurf – nach einem anderen, (D) der schon verabschiedet worden ist. Pflegesituation lässt sich in zehn Tagen nicht regeln. Wir, die Linke, fordern eine sechswöchige bezahlte Pfle- Ich freue mich auf die Beratungen, um mit Ihnen ge- gezeit für Erwerbstätige, die der Organisation und der meinsam auf dem Weg, Familien in unserem Land bes- ersten pflegerischen Versorgung von Angehörigen oder ser zu unterstützen, weiterzugehen. nahestehenden Personen dient. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Ein anderes Beispiel für eine vollkommen unzurei- Präsident Dr. Norbert Lammert: chende Verbesserung ist die Reform der Familienpflege- Die Kollegin Pia Zimmermann hat nun das Wort für zeit. Das Familienpflegezeitgesetz von Schwarz-Gelb die Fraktion Die Linke. war ein Vollflop. Gerade einmal 135 Personen – das (Beifall bei der LINKEN) steht auch in Ihrem Gesetzentwurf – haben die Familien- pflegezeit in Anspruch genommen. Schon bei der Verab- schiedung haben wir einen verbindlichen Rechtsan- Pia Zimmermann (DIE LINKE): spruch gefordert. Gut, dass die Bundesregierung hier Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und jetzt nachbessern will. Sie lässt aber – wer hätte das ge- Kollegen! Liebe Frau Ministerin Schwesig, ich finde, es dacht? – den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern trotz- ist schon ziemlich sensationell, wie Sie nur minimale dem eine Hintertür offen. Bei wichtigen betrieblichen Verbesserungen, die auch noch mit Verschlechterungen Gründen kann verweigert bzw. abgelehnt werden. Frau einhergehen und nichts Grundsätzliches bewegen, den Schwesig, das sind immer die Sachen, die Sie ver- Menschen hier als gut verkaufen wollen. Das ist mittler- schweigen. weile offensichtlich ein Markenzeichen der Bundesre- gierung. Völlig unverständlich ist auch, warum die Bundesre- gierung darüber hinaus ein Fünftel der Beschäftigten von Meine Damen und Herren, Anfang Oktober hat die dem Rechtsanspruch völlig ausschließen will. Was ist Linke im Bundestag ein Pflegehearing veranstaltet, da- das denn? Beschäftigte in Betrieben mit 15 oder weniger mit sich die Betroffenen zum Pflegestärkungsgesetz zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollen von dieser Re- Wort melden konnten. Bei der Eröffnung saß eine Ver- gelung nämlich ausgenommen werden. Es sind doch treterin der „Initiative gegen Armut durch Pflege“ auf aber gerade die kleinen Betriebe, wo es besonders dem Podium, die seit 31 Jahren ihre Tochter pflegt. Sie schwer bis unmöglich ist, eine freiwillige Freistellung hat eindrucksvoll geschildert, was diese Pflegesituation gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Konkret Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6355

Pia Zimmermann (A) heißt dies, dass weiterhin über 5 Millionen Arbeitneh- größten Pflegedienst, den wir haben, nämlich die Fa- (C) merinnen und Arbeitnehmer vom Gutdünken ihres Ar- milien und die Angehörigen. Die Sicherstellung pfle- beitgebers abhängig sind. Meine Damen und Herren, das gerischer Betreuung wird so als Vereinbarkeitsproblem ist nicht hinnehmbar! individualisiert. Wir, die Linke, fordern, dass die Pflege- versicherung zukunftsfähig wird, um den pflegerischen (Beifall bei der LINKEN) Bedarf abdecken zu können. Was das Familienministerium als bessere Verzahnung (Beifall der Abg. [DIE von Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz verkaufen LINKE]) will, bedeutet im Endeffekt eine Verschlechterung. Frau Schwesig, das möchte ich Ihnen auch gern erklären. Eine echte Entlastung von Angehörigen und Pflege- Bisher war die durch das Pflegezeitgesetz mögliche bedürftigen und auch ihrer persönlichen Beziehungen sechsmonatige unbezahlte Freistellung eine die Fami- wäre es, die professionelle Pflege zu stärken. Es geht mir lienpflegezeit – die bis zu 24 Monate dauern konnte – und meiner Fraktion nicht darum, die professionelle ergänzende Möglichkeit. Der Gesetzentwurf regelt nun, Pflege und die Pflege durch Angehörige gegeneinander dass die Pflegezeit der Freistellung nach dem Familien- auszuspielen. Aber Sie dürfen die Unterschiede doch pflegezeitgesetz vorgeht und auf die maximale Freistel- nicht einfach so vom Tisch wischen. lungszeit von 24 Monaten angerechnet wird. Das ist also (Beifall bei der LINKEN) faktisch eine Verkürzung. Auch das verschweigen Sie. Pflege ist eine hochkomplexe und anspruchsvolle Tätig- Davon einmal abgesehen, ist Pflege schwer planbar. keit. Wir alle fordern doch eine Verbesserung der Aus- Zu Beginn der Familienpflegezeit wird festgelegt, wie bildung in den Pflegeberufen. Gleichzeitig leisten die lange sie dauern soll. Und danach? Frau Schwesig stellt Angehörigen natürlich einen enormen Beitrag für die sich, wie wir gerade gehört haben, einen fliegenden umfassende Versorgung. Sie kennen die zu pflegenden Wechsel der Familienmitglieder vor. Ob das aber realis- Personen gut und können eine wichtige Ergänzung zur tisch ist, ob die Familiensituationen, wie wir sie heute professionellen Pflege sein. haben, das überhaupt hergeben, wage ich zu bezweifeln. Es darf hier nicht darum gehen, welche Form der Insgesamt gehen die Regelungen des Gesetzentwurfs Pflege besser oder schlechter ist, sondern wir müssen die zulasten der Personen, die in prekären Arbeitsverhältnis- Unterschiedlichkeit anerkennen und davon ausgehend sen oder Teilzeit arbeiten. Für sie kommt nämlich eine fragen, welcher Mix oder welches Pflegesetting, wie wir Reduzierung der Arbeitszeit aus finanziellen Gründen es nennen, für alle Beteiligten richtig ist. Das gilt es he- oftmals überhaupt nicht infrage. Studien belegen, dass rauszufinden und zu unterstützen. (B) Geringverdienende öfter die Pflege von Angehörigen (D) übernehmen als Gutverdienende, weil sie sich nämlich (Beifall bei der LINKEN) die professionelle Pflege nicht leisten können und weil Aber eine solche Offenheit lässt die Pflegeversiche- die Pflegeversicherung nur einen Teil der anfallenden rung für viele nicht zu. Solange die Pflegeversicherung Kosten trägt. Das Gesetz löst also weder das Problem nur einen Teil der anfallenden Kosten abdeckt, ist keine der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf noch das der so- wirkliche Entscheidungsfreiheit gegeben, nicht für die zialen Ungleichheit bei Versorgungschancen. Das geht Pflegebedürftigen und auch nicht für die Angehörigen. nicht, meine Damen und Herren! Deshalb fordern wir nicht nur eine sechswöchige be- (Beifall bei der LINKEN) zahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, sondern auch eine deutliche Anhebung der Leistungen der Pflegeversiche- Der Gesetzentwurf verstärkt die soziale Spaltung und rung, damit das gewünschte Pflegearrangement tatsäch- geht vor allem zulasten von Frauen. Denn trotz steigen- lich unabhängig vom Geldbeutel gestaltet werden kann. der Beteiligung von Männern sind es immer noch über- wiegend Frauen, die Angehörige und Bekannte pflegen. Herzlichen Dank. Es sind überwiegend Frauen, die in prekären Arbeitsver- (Beifall bei der LINKEN) hältnissen oder in Teilzeit arbeiten. Über Ihren Gesetzentwurf freuen dürften sich die Ar- Präsident Dr. Norbert Lammert: beitgeber. Sie werden bei der Finanzierung nämlich völ- Das Wort erhält nun der Kollege Marcus Weinberg lig außen vor gelassen. Die Beschäftigten bauen Zeit- für die CDU/CSU-Fraktion. schulden auf dem Arbeitszeitkonto auf, die sie später (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- abarbeiten müssen, und sie verschulden sich finanziell, neten der SPD) weil sie das Darlehen zur Aufstockung des Nettogehalts zurückzahlen müssen. Da nützen Ihre wohlfeilen Worte, Frau Schwesig, herzlich wenig. Die Kosten tragen dieje- Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): nigen, die doch eigentlich entlastet werden sollen: Be- Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen schäftigte, die ihre Angehörigen pflegen. und Kollegen! Wenn es denn so ist, dass die Menschlich- keit einer Gesellschaft daran zu messen ist, wie man mit Ganz im Sinne der bisherigen Pflegepolitik von CDU/ den Kleinsten, den Schwachen, den Kranken und auch CSU und SPD sowie der vorherigen Bundesregierungen den Alten umgeht, dann kann man, glaube ich, mit Blick wird die Hauptverantwortung für die Pflege ins Private auf diese Debatte und dieses Gesetz, mit Blick auf die geschoben. Auch Sie sprechen wie Frau Merkel von dem Debatte zuvor und auch mit Blick auf das Gesetz zur El- 6356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) ternzeit, zum Elterngeld sagen, dass wir es geschafft ha- welt in prekäre Situationen kommen, weil sie zu Hause (C) ben, den Mensch wieder in den Mittelpunkt unserer Poli- pflegen, und dass als Folge prekärer Arbeitsverhältnisse tik zu stellen. Das ist gut so für dieses Land. Ich glaube, Altersarmut entstehen kann? Ich finde, es ist nicht so das zeigt auch eine neue Form des Umgangs und von einfach, wie Sie sagen – dass man in der Familie pflegen Menschlichkeit. kann –, sondern das ist für die betroffenen Menschen, vor allen Dingen für Frauen, mit deutlichen Nachteilen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verbunden. neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Frau Zimmermann, zwei Bemerkungen zu Ihrem De- battenbeitrag. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Erstens. Dieses Gesetz ist tatsächlich etwas Konkre- Ich glaube, keiner von uns sagt, dass es einfach ist, tes. Es ist mehr als nur Symbolpolitik oder Rhetorik, Menschen zu Hause zu pflegen. Das ist, glaube ich, die dass wir es unterstützen, wenn Menschen sich einsetzen größte Herausforderung für unsere Gesellschaft. Deswe- und ihre nahen Angehörigen pflegen. Es wird konkrete gen sollten wir dankbar sein, dass es viele Menschen Veränderungen mit sich bringen. Wir stärken damit die gibt, die nahe Angehörige zu Hause pflegen wollen. Menschen, die sich gerade im Bereich der Pflege enga- gieren. Ich will dazu nur zwei Dinge sagen: Zweitens. Sie sagen, dass wir die Pflege ins Private Erstens. Für 87 Prozent der Menschen ist es wichtig verschieben wollen. Nein, die Menschen wollen zu oder sehr wichtig, dass ihre Erwerbstätigkeit im Sinne Hause gepflegt werden. Es gibt viele Menschen, die zu des Zeitmanagements erleichtert wird, weil sie sich ent- Hause andere pflegen. Wir unterstützen sie stärker dabei. schieden haben, einen nahen Angehörigen zu Hause zu Das ist unser Ziel. Das ist mit dem Gesetzentwurf inten- pflegen. diert. Zweitens. Fast alle alten Menschen wünschen sich, in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ihren letzten Lebensjahren in ihrer vertrauten Umgebung neten der SPD) bleiben zu können; Insoweit bin ich froh über diese Debatte. Dem Leitge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. danken, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, Dr. Carola Reimann [SPD]) kommen wir in dieser Frage etwas näher. Es ist so, dass das ist unter dem Gesichtspunkt von Selbstbestimmtheit der Wandlungsprozess bzw. der demografische Wandel, und Selbstständigkeit wichtig. (B) wie es heißt, einige Veränderungen mit sich bringen (D) wird. Das heißt, es gibt einen Antrieb, innerhalb der Fami- lie zu pflegen. Unsere Aufgabe ist es – ich komme gleich auf die einzelnen Punkte, die Sie angesprochen haben, Präsident Dr. Norbert Lammert: zu sprechen, auch im Hinblick auf die gesetzlichen Ver- Herr Kollege Weinberg, darf die Kollegin änderungen, die es schon gab, nämlich Pflegezeit und Zimmermann Ihnen eine Frage stellen? Familienpflegezeit –, die Veränderungen so zu skizzie- ren und sie so zu gestalten, dass sie in sich schlüssig und Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): klar sind und wir gewisse Defizite, auf die ich gleich Sie darf mir immer Fragen stellen, gerne. ebenfalls zu sprechen komme, ausräumen können. – Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage beantwortet. Die ein- Pia Zimmermann (DIE LINKE): zelnen Aspekte würde ich Ihnen gerne anhand der Struk- tur des Gesetzentwurfs verdeutlichen; ich werde mich Vielen Dank, Herr Kollege Weinberg, dass Sie die dann immer auf Ihre Frage beziehen. Zwischenfrage zulassen. – Ich habe eine Frage zum größten Pflegedienst der Nation: zur Familie. Natürlich Für uns als CDU/CSU-Fraktion und für die Große ist es so, dass viele Menschen zu Hause gepflegt werden Koalition steht fest, dass es ein Leitgedanke sein muss, wollen. Natürlich ist es so, dass das auch viele Menschen die Menschen zu stärken, die zu Hause nahe Angehörige machen. Es ist auch so, dass das viele Menschen machen pflegen. Dies ist ein Zeichen des familiären Zusammen- können. Aber können Sie sich vorstellen, dass es auch halts, der für unsere Gesellschaft wichtig ist. Das gilt viele machen müssen, weil sie sich etwas anderes nicht überall dort, wo Menschen füreinander Verantwortung leisten können? übernehmen, und betrifft den Umgang mit den Kleinsten und den Umgang mit den Älteren. Man muss ja immer die Frage stellen: Wie ist die Pflegeversicherung aufgebaut? In der Pflegeversiche- (Beifall bei der CDU/CSU) rung gibt es ja das Teilkaskoprinzip. Wenn jemand ge- pflegt werden muss, sind damit also immer zusätzliche Jetzt komme ich auf den ersten Ansatzpunkt von Frau Kosten verbunden. Wer nicht das eigene Häuschen oder Zimmermann zu sprechen. Man muss sich fragen: Was andere Dinge verkaufen möchte, wird dem Druck ausge- gab es bisher? Wir haben bereits 2008 und 2012 Bau- setzt, zu Hause pflegen zu müssen. steine zur Unterstützung der familiären Pflege auf den Weg gebracht, nämlich mit dem Pflegezeitgesetz 2008 Der zweite Punkt, der mich interessieren würde: Kön- und mit dem Familienpflegezeitgesetz 2012. Dabei nen Sie sich vorstellen, dass Menschen in der Arbeits- spielten drei Komponenten, die die Ministerin schon an- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6357

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) gesprochen hat, eine Rolle. Es gibt drei verschiedene Wir müssen Rechtsansprüche definieren, finanzielle Si- (C) Phasen, die für diejenigen, die andere Menschen zu cherheiten schaffen und als dritte Komponente die ge- Hause pflegen wollen, wichtig sind. sellschaftliche Veränderung mit aufnehmen. Die erste Phase ist eine kurzzeitige: die zehntätige Ein Beispiel hierfür ist die Pflege des Stiefvaters als Pflegeauszeit. Sie ist beim unerwarteten Eintritt einer nahem Angehörigen. Es ist etwas paradox, zu sagen: Der Pflegesituation von Bedeutung, da eine solche Situation Vater kann gepflegt werden, aber der Stiefvater nicht. Es die Menschen immer überfordert. Sie kommt nämlich gibt leider Fälle, in denen der Vater, als die Kinder drei immer zum ungünstigsten Zeitpunkt. Außerdem befin- oder vier Jahre alt waren, die Familie verlassen und den sich die Menschen dann in der schwierigen Situa- möglicherweise nie Unterhalt gezahlt hat. Trotzdem be- tion, viele Dinge für einen Angehörigen schnell regeln steht für die Kinder die Möglichkeit, den Vater als nahen und organisieren zu müssen. Hier wurde der Rechtsan- Angehörigen zu pflegen. Aber die Pflege des Stiefvaters, spruch geschaffen, zehn Tage von der Arbeit fernzublei- der sich um die neue Familie gekümmert hat, durch die ben. Stiefkinder fiel bisher nicht unter die Pflege eines nahen Angehörigen. Deswegen ist es eine gute Erweiterung, Was es aber nicht gab, war finanzielle Unterstützung; dass auch Stiefeltern in die Regelung mit den nahen An- jetzt komme ich auf den nächsten Punkt, den Sie er- gehörigen aufgenommen werden. wähnt haben, zu sprechen. Gerade für viele Menschen mit niedrigem Einkommen war das ein Problem, weil sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zehn Tage lang kein Geld verdient haben. In Zukunft neten der SPD) wird es die Möglichkeit geben, diese Lücke durch eine Pflegebedürftige Kinder brauchen oftmals eine beson- Lohnersatzleistung zu schließen. Das ist eine Verbesse- dere Pflege. Diese besondere Pflege wird in erster Linie rung. Insofern verbessert der Gesetzentwurf gerade die in Einrichtungen angeboten. Da ist es richtig und konse- Situation derer, die in einer prekären Situation sind und quent, zu sagen: Auch bei pflegebedürftigen Kindern kein hohes Einkommen haben. kann die Familienpflegezeit genommen werden, selbst (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wenn sie nicht zu Hause, sondern in einer Einrichtung neten der SPD) betreut werden, weil da die Kombination aus professio- neller Pflege und Unterstützung der Betreuung durch die Der zweite Punkt. Mittelfristig konnten sich Men- Eltern wichtig ist. Auch diese Erweiterung war richtig schen für bis zu sechs Monate von der Arbeit freistellen und wichtig. Damit haben wir ein Problem behoben. lassen. Auch hier gab es einen Rechtsanspruch; das ist gut so. Wenn man sich sechs Monate lang freistellen las- (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) sen will, was möglich ist, gibt es aber ein Problem. Jetzt (B) Als Ergebnis der Verhandlungen zum Koalitionsvertrag (D) komme ich wieder auf den von Ihnen genannten Punkt haben wir uns darauf verständigt, diese drei wesentli- zu sprechen. Sie haben nämlich gesagt: Viele können chen Bereiche zusammenzuführen. sich das gar nicht leisten. – In Zukunft wird es die Mög- lichkeit geben, ein zinsfreies Darlehen über das Bundes- Ich möchte am Ende noch eine Sache ansprechen, amt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben auf- nämlich die Auswirkungen der Familienpflegezeit auf zunehmen. Das heißt, auch die finanzielle Absicherung die Arbeitgeberschaft. Man muss überlegen: Wie kann wird gestärkt, und zwar zusätzlich zu dem bereits beste- man es schaffen, dass auch die Wirtschaft, gerade der henden Rechtsanspruch. Auch das ist eine Verbesserung Mittelstand, diese Pflegezeit positiv begleitet? des geltenden Gesetzes. Dazu zwei Dinge: Erstens. Man hat erkannt, dass es Der dritte Punkt betrifft die Familienpflegezeit. Hier wichtig ist, die Menschen mit ihren Kompetenzen – sie gab es zwar keinen Rechtsanspruch, aber die Möglich- sind schließlich Fachkräfte – im Unternehmen zu halten. keit, über einen Kredit – allerdings verbunden mit sehr Dem wird mit den jetzigen Regelungen Rechnung getra- bürokratischen Hindernissen – zumindest die finanzielle gen. Deswegen ist für uns der Ansatz der Teilzeit wich- Situation abzusichern. tig. Wenn man in der Familienpflegezeit 15 Stunden in der Woche arbeitet und die restliche Zeit freigestellt Mit der neuen Regelung wird es in Zukunft einen wird, ist das auch für das Unternehmen gut, weil es über Rechtsanspruch geben. Das heißt, es werden hier zwei die Teilzeit seine Fachkräfte im Unternehmen halten Dinge zusammengeführt: der Rechtsanspruch und der fi- kann. Das heißt, den Unternehmen geht das Know-how nanzielle Ausgleich. Dies geschieht unter dem Gesichts- der Mitarbeiter nicht verloren. punkt: Wie kann ich mehr Zeit und mehr Flexibilität in der Frage der Vereinbarkeit von Beruf, Pflege und Fami- (Beifall bei der CDU/CSU) lie erreichen? Diese drei Komponenten werden nun zu- Zweitens. In der realen Betrachtung haben wir gese- sammengebracht. hen, dass durch die Pflege eines Angehörigen nicht nur Es war unser Ansatz in der Großen Koalition, zu sa- die Familie aus der Bahn geworfen wurde, sondern dass gen: Wir haben drei Bausteine, die für sich genommen diese neue Situation auch Konsequenzen auf das Ver- gut sind. Aber wir müssen sie jetzt zusammenbringen. hältnis zum Arbeitgeber hat. Wir wissen, dass sich viele Pflege kann nicht alleine gesehen werden, sondern Arbeitnehmer in den ersten Tagen haben krankschreiben Pflege muss von einer kurzfristigen Wahrnehmung der lassen, weil sie mit der Situation nicht mehr zurechtka- Dinge bis hin zu einer langfristigen Aufgabe in der Fa- men. Ihre Motivation am Arbeitsplatz ließ durch die milie organisiert werden. Deswegen haben wir gesagt: neue Situation nach. Deswegen sind die Planungssicher- 6358 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) heit und die Stabilisierung finanzieller und zeitlicher Art Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) gut für die Unternehmen, weil die Motivation und die NEN): Zufriedenheit mit der Arbeit bei den Arbeitnehmern stei- Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen; denn sie wissen, dass es verbindliche Regeln gibt, gen! Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben einen wei- an die sich alle halten müssen. Dadurch bekommen sie teren Gesetzentwurf vorgelegt. Das sieht zunächst ein- es besser hin – das wird niemals perfekt werden –, ihren mal sehr fleißig aus, aber wenn man genauer hinschaut, nahen Angehörigen zu pflegen. wird deutlich: Diese schnelle Aktion ist eine ganz schöne Luftnummer. Damit wurde nur eine schlechte Auch für die Unternehmen bedeutet es eine Entlas- Vorlage ein wenig repariert. tung, dass wir so die Beiträge zur Pflegeversicherung stabil halten können. Man könnte ja sagen: Wenn wir die Mit der Vorlage meine ich das schlecht gemachte Fa- familiäre Pflege nicht stärken, müssen wir möglicher- milienpflegezeitgesetz von Kristina Schröder. Es wurde weise die professionelle Pflege stärken, was durch eine schon gesagt: Dieses Gesetz haben exakt 135 Menschen Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung gesche- in Anspruch genommen, und zwar nicht etwa auf Berlin hen könnte. Ich glaube, es ist nicht im Sinne des Mittel- beschränkt, sondern deutschlandweit. Das war ein Flop, standes und der deutschen Wirtschaft, die Beiträge zu er- und ich befürchte, dass diese Nachbesserung genauso höhen. Daher ist unser Gesetz ein gutes Zeichen. floppen wird. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zurzeit sind 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig, über 1 Million Menschen wird zu Hause betreut. Für das Was sind denn die Reparaturen, die Sie uns mit vielen Jahr 2050 müssen wir mit der doppelten Anzahl an pfle- Worten anbieten? Es gibt jetzt einen Rechtsanspruch auf gebedürftigen Menschen rechnen. In wenigen Jahren die Familienpflegezeit. Das haben wir immer gefordert, wird die Wahrscheinlichkeit größer sein, auf der Straße und es ist gut, dass er jetzt eingeführt werden soll. Aber einen 80-Jährigen zu treffen als eine junge Mutter oder leider gilt dieser Rechtsanspruch nur in Betrieben mit einen jungen Vater mit einem Kinderwagen. Das heißt, mehr als 15 Beschäftigten. Damit ist dieser Gesetzent- auf diese Entwicklung müssen wir uns einstellen. wurf nicht geschlechtsneutral, wie es in der Begründung heißt, Frau Ministerin; denn weitaus mehr Frauen als Hier sind zwei Dinge zu nennen. Das eine ist der Männer arbeiten in kleinen Betrieben. Wunsch der Menschen, zu Hause in ihrer Umgebung ge- pflegt zu werden. Es ist gut, dass Menschen das in unse- Es gibt nun einen Anspruch auf ein zinsloses Darle- rer Gesellschaft machen und auch machen wollen. hen. Das bedeutet in der Tat etwas mehr Flexibilität für (B) die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; denn bisher (D) Das andere ist die Gewissheit, die sie brauchen – Stich- gab es die Verpflichtung, vorab gezahltes Gehalt nach- wort Zeitmanagement –, dass sie sich in dieser schwieri- träglich wieder abzuarbeiten. Aber nach wie vor wird die gen Situation die Zeit besser einteilen können und dass Hauptlast auf den Schultern der berufstätigen Pflegen- sie zumindest ein wenig finanziell entlastet werden. den abgeladen. Sie müssen zuerst auf Gehalt verzichten. Kein Pflegefall und kein Mensch, der sich in der Pflege Das Darlehen gleicht die Differenz zum vollen Gehalt engagiert, sieht das als Geschäftsmodell oder will damit nur zur Hälfte aus. Es fehlt also letzten Endes ein Viertel irgendwie Missbrauch treiben. Es hinzubekommen, die des monatlichen Lohns. Familie zu versorgen, der Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich um einen Pflegefall zu kümmern: Das ist der Nach der Pflegezeit müssen die pflegenden Angehöri- höchste Anspruch, den man haben kann. Deswegen ist gen das Darlehen zurückzahlen. Das heißt, auch dann es, glaube ich, wichtig, dass wir mit dem vorliegenden geht wieder etwas vom monatlichen Einkommen ab, was Gesetzentwurf jetzt auch den nächsten Schritt gehen. sonst der Familie zur Verfügung steht. Im Klartext heißt das, weiter auf Gehalt zu verzichten. Ich komme noch einmal zum Anfang zurück. Die Menschlichkeit einer Gesellschaft spiegelt sich darin wi- Geringverdiener ohne gut verdienenden Partner kön- der, wie wir mit den Schwachen, den Kleinen, den Kran- nen sich das nicht leisten. Das sind in der Mehrheit wie- ken und auch den Alten umgehen. Deswegen ist es gut, der die Frauen. dass wir uns dieses Themas angenommen haben. Denn Wem also soll denn dieses Familienpflegezeitgesetz ich glaube, die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und überhaupt nutzen? Frau Ministerin, ich schlage vor, Sie Beruf wird eine große Herausforderung sein. Dabei sind setzen Ihre rosarote Brille ab und wir schalten einmal wir auf einem guten Weg, der sicherlich noch einige wei- kollektiv den Weichzeichner aus. Was ist denn die Reali- tere Schritte mit sich bringen muss. Aber der Gesetzent- tät in diesem Land? Stellen Sie sich vor, ein älterer Mann wurf ist gut, und ich bitte um Unterstützung dafür. wird plötzlich pflegebedürftig, und seine Tochter nimmt Herzlichen Dank. die zehntägige Auszeit, um eine Pflege für ihren Vater zu organisieren. Dass es dafür jetzt eine Lohnersatzleistung (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gibt, ist schön. Zehn Tage sind aber in einer solchen Si- tuation nicht viel. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wie geht es weiter in der realen Welt und im echten Das Wort erhält nun die Kollegin Elisabeth Leben? Die Tochter hatte nie zuvor mit Pflege zu tun. Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. An wen wendet sie sich zuerst? Sie muss sich erst ein- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6359

Elisabeth Scharfenberg (A) mal kundig machen. Der Vater muss begutachtet werden. und bessere Unterstützungs- und Entlastungsangebote. (C) Ob er eine Pflegestufe bekommt oder nicht, ist entschei- Wir brauchen ein gutes Netzwerk, ein Netzwerk, das für dend dafür, wie es weitergeht. alle zugänglich und überschaubar ist. Die Tochter muss gemeinsam mit dem Vater bespre- Ich fordere Sie auf: Denken Sie ganzheitlich! Machen chen, wie er sich seine Zukunft weiter vorstellt, aber Sie hier nicht ein Low-Budget-Gesetz, das auf dem Rü- auch, wie sie in dieser Situation ihr weiteres Leben pla- cken der pflegenden Angehörigen finanziert werden soll. nen möchte oder überhaupt planen kann. Ob sich die bei- Die Lohnersatzleistung – das sind 100 Millionen Euro – den für eine stationäre Einrichtung oder für die Pflege wird durch die Pflegeversicherung finanziert. Das Darle- zuhause mit ergänzender ambulanter Pflege entscheiden: hen kostet Sie im nächsten Jahr 1,3 Millionen Euro. Ich In jedem Fall muss sehr viel erledigt werden. Die Ver- wiederhole: 1,3 Millionen Euro kostet dieses Gesetz sorgung des Vaters in dieser Zeit geht zusätzlich weiter. diese Regierung. Das finde ich unlauter. Denken Sie Viele Anbieter müssen kontaktiert werden. Es muss be- ganzheitlich! Arbeiten Sie nicht einfach ohne Sinn und sichtigt werden. Es muss eingeschätzt werden, und das Verstand Ihre Agenda ab, sondern tun Sie etwas im alles unter hohem Zeitdruck. Wie soll man das alles in Sinne der Pflegebedürftigen und der Angehörigen! zehn Tagen schaffen? Danke schön. Was ist aber, wenn der Vater dement ist und gar keine Pflegestufe erhält? Die Tochter hat dann keinen An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – spruch auf das Pflegeunterstützungsgeld, also auf die [SPD]: Das ist jetzt völlig zehntägige Lohnersatzleistung. Die Tochter hat dann überzogen!) auch keinen Anspruch auf die Familienpflegezeit. Heute leben etwa 1,1 Millionen Demenzkranke in Deutschland Vizepräsidentin : in privaten Haushalten. Alle möchten so lange wie mög- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Guten Morgen von lich in der vertrauten Wohnung oder in der Nachbar- meiner Seite aus, liebe Kolleginnen und Kollegen und schaft bleiben. Alle brauchen Unterstützung. Aber: liebe Gäste auf der Tribüne. Wenn keine Pflegestufe vorliegt, müssen die pflegenden Angehörigen alleine eine Lösung finden. Dann lassen Die nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Carola Sie als Große Koalition genau diese Menschen weiterhin Reimann für die SPD. im Regen stehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Warum, Frau Ministerin, denken Sie die Dinge nicht (B) Dr. Carola Reimann (SPD): (D) endlich zusammen? Der neue Pflegebegriff, der auch Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Demenzkranke berücksichtigen wird, kommt irgend- und Kollegen! Erst in der letzten Woche haben wir das wann. Vielleicht kommt er auch nie. Aber er ist eben das Elterngeld Plus als wichtigen Baustein für eine bessere Herzstück einer Pflegereform. Vereinbarkeit von Kindern und Beruf hier im Bundestag Ihre Familienpflegezeit soll zum 1. Januar 2015 in verabschiedet. Heute legen wir den nächsten Gesetzent- Kraft treten; das ist in sechs Wochen. Was können wir da wurf vor, diesmal zur besseren Vereinbarkeit von Pflege noch groß beraten? Das ist ein Witz! Für Demenzkranke und Beruf. Wir rücken damit das Thema Zeitpolitik er- und ihre Angehörigen wird diese Familienpflegezeit neut in das politische Rampenlicht und machen die Zeit- nicht gelten. Das ist nicht der einzige Stolperstein. Was konflikte deutlich, die viele von uns Tag für Tag fast zer- passiert, wenn sich jemand für die häusliche Pflege ent- reißen. schieden hat? Die Familienpflegezeit ist auf zwei Jahre Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur begrenzt, und danach endet sie. Das Rückkehrrecht auf eine Herausforderung für Eltern. Den täglichen Spagat die volle Arbeitszeit endet ebenfalls nach zwei Jahren. zwischen Pflichten als Arbeitnehmerin und Arbeitneh- Die Pflegerealität sieht aber ganz anders aus: Die Pflege- mer auf der einen Seite und der Verantwortung für die zeit dauert oft viel länger als zwei Jahre. Ihre Regelun- Angehörigen auf der anderen Seite müssen auch Be- gen passen einfach nicht in die Lebenswirklichkeit der schäftigte bewältigen, die pflegen. Mehr als 2,5 Millio- Menschen. Ihre Regelungen gehen an den Bedürfnissen nen Menschen sind pflegebedürftig. Sieben von zehn, der pflegenden Angehörigen und der Pflegebedürftigen also 70 Prozent, werden zu Hause gepflegt, auch oder vorbei. ausschließlich von ihren Angehörigen. Deshalb sind Fa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) milien, wie gern gesagt wird, der größte Pflegedienst der Nation. Das sage ich ohne Wertung und ohne das gegen Jede Pflegesituation ist anders. Darum brauchen Pflege- die professionelle Pflege ausspielen zu wollen. bedürftige und pflegende Angehörige als Allererstes eine gute und umfassende Beratung. Es gibt einige un- Für Pflegende stellt sich aber das Vereinbarkeitspro- terstützende Angebote für Pflegebedürftige und ihre Fa- blem sogar verschärft; denn der Pflege des Partners oder milien: Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege sowie der Eltern fehlt das Niedliche, das Hoffnungsfrohe, das zusätzliche Betreuungsleistungen. Aber viele dieser An- Eltern, die ihre kleinen Kinder auf dem spannenden Weg gebote sind oft nicht bekannt. Eine gute Beratung kann ins Leben begleiten, täglich erleben. Es ist schwer, dem hier Wunder wirken. Natürlich kann eine gute Beratung eigenen Ehemann nach einem Schlaganfall bei den allein nicht alles richten. Zusätzlich brauchen wir mehr kleinsten Verrichtungen helfen zu müssen. Es ist fast un- 6360 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Dr. Carola Reimann (A) erträglich, die demente Mutter in das Reich des Verges- auch noch ein Stück weit mehr vom Alleinverdienermo- (C) sens entgleiten zu sehen. Kollegin Scharfenberg, De- dell und kommen in der Realität der Gegenwart unserer menz ist in der Tat nicht immer von Anfang an mit einer Familien an; denn die meisten Frauen wollen mehr als Pflegestufe versehen, aber in schweren Fällen sehr wohl. Kinder, Küche und Kanüle. Auch immer mehr Männer wollen mehr familiäre Verantwortung übernehmen und (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE übernehmen sie auch – für ihre Kinder, für ihre Partnerin GRÜNEN]: Da müssen die schon ganz schön und auch für ihre Eltern. schwer sein!) Sechs von zehn Pflegenden geben an, dass sie die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Pflege sehr viel von ihrer eigenen Kraft kostet. Drei von der CDU/CSU) zehn fühlen sogar die eigene Gesundheit beeinträchtigt. Für sie, Frauen wie Männer, wollen wir Wege aufzei- Das ist der alarmierende Befund der aktuell vorgelegten gen, wie sie Beruf und familiäre Aufgaben unter einen Pflegestudie der Techniker Krankenkasse. Hut bekommen können, ohne daran selbst zu zerbre- Zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf – eine große chen. Herausforderung – hat unsere Gesellschaft – da gebe ich Auch die Wirtschaft wird von unseren neuen gesetzli- Ihnen recht – bislang noch keine ausreichenden Antwor- chen Regelungen profitieren; denn es geht nicht darum, ten gegeben. Ja, Beschäftigte haben Anspruch auf eine den Ausstieg aus Erwerbsarbeit zu organisieren, sondern zehntägige Auszeit für Pflege, aber dieser Auszeit fehlte ganz im Gegenteil: Es geht darum, dass Beschäftigte den bislang der Lohnersatz, weil wir das in der letzten Gro- Spagat zwischen Erwerbsarbeit und der Pflegeverant- ßen Koalition so nicht beraten konnten. Ich finde gut, wortung besser bewältigen können und im Job bleiben. dass jetzt beide Koalitionspartner dahinterstehen und das Das gelingt heute noch zu selten. Von den nicht erwerbs- für richtig halten; denn viele konnten diese Pflegezeit in tätigen Pflegenden hat jeder neunte seine Arbeit aufge- der Tat deshalb nicht nehmen. geben. Viele gehen wegen der Pflege von Angehörigen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) früher in Rente. Uns geht es deshalb auch darum, dass die Beschäftigten mithilfe der neuen Regelungen leichter Die Familienpflegezeit von Kristina Schröder aus der im Job bleiben können und als Fachkräfte ihren Unter- letzten Legislaturperiode war sicher gut gemeint, aber nehmen erhalten bleiben. nicht gut gemacht. Angesichts der 135 Fälle pro Jahr ist klar, dass das bei 3,5 Millionen Leuten, die in unserem Mir persönlich sind zwei Aspekte noch besonders Land pflegen, kaum in Anspruch genommen wurde, weil wichtig. Wir regeln erstmals eine Auszeit für Sterbebe- den Beschäftigten der Rechtsanspruch fehlte. Ferner ha- gleitungen. Wenn Eltern und Partner im Sterben liegen, (B) ben sie diese Hilfe nicht leisten können, weil es keine bekommen die Angehörigen das Recht, bis zu drei Mo- (D) Lohnersatzleistung gab. nate ganz oder teilweise aus dem Job auszusteigen. Das Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf erleichtern ist für viele eine wichtige Hilfe. wir diese Vereinbarkeit. Die zehnjährige Pflegezeit Gestern haben wir hier intensiv über mögliche rechtli- – Entschuldigung, natürlich die zehntägige Pflegezeit – che Regelungen zur Sterbehilfe und Sterbebegleitung statten wir mit einem Lohnersatz aus. Es wird hier der diskutiert. Dabei ist in ganz vielen Reden auf die Angst Eindruck erweckt, die zehn Tage reichen so gar nicht, es Sterbender vor Einsamkeit und die Bedeutung der müssen eher zehn Jahre sein. So ist das ist bei mir ange- menschlichen Begleitung hingewiesen worden. Deshalb kommen. Deswegen der Versprecher. – Diese zehn Tage ist es konsequent, dass wir die Begleitung von Angehöri- sind dafür da, um Krisen und Pflegesituationen, die sich gen mindestens von der rechtlichen Seite her leichter nicht so entwickeln, wie man es erwartet hat, abzude- machen. cken. Sie sind für eine Unterstützung in einer Notfall- situation gedacht. Das Pflegeunterstützungsgeld erlaubt Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir moder- es jetzt den Pflegenden, sich einigermaßen frei von fi- nisieren mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Ange- nanziellen Nöten auf das Organisatorische und die Un- hörigenbegriff. Künftig können auch Stiefeltern, terstützung ihrer Angehörigen zu konzentrieren. Das ist Schwägerinnen, Schwäger und gleichgeschlechtliche eine echte Verbesserung. Partnerinnen und Partner die Familienpflegezeit in An- spruch nehmen. Auch diese Lösung orientiert sich stär- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ker an der Lebenswirklichkeit. Auf die Familienpflegezeit bekommen die Beschäf- Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir bei den tigten einen Rechtsanspruch, damit sie diese Familien- Angehörigen noch einen weiteren Schritt machen, näm- pflegezeit auch tatsächlich in ihren Betrieben und Be- lich dass wir auch Freunde und Nachbarn unterstützen, hörden durchsetzen können. Die Möglichkeit, ein wenn sie die Pflege anderer auf sich nehmen. Diese Be- Darlehen zu bekommen, verbessert die Inanspruch- reitschaft ist vorhanden. Hilfenetzwerke im Freundes- nahme. Das hilft den Beschäftigten. Weil wir die Ge- kreis oder in der Nachbarschaft nehmen an Bedeutung währung des Darlehens zu einer öffentlichen Aufgabe zu. Um das festzustellen, muss ich nur den Blick in mein machen, helfen wir auch den Arbeitgebern. eigenes Büro richten: Die Mütter meiner Mitarbeiterin- Mit unseren beiden Gesetzesinitiativen, einmal zum nen und Mitarbeiter wohnen in Hamburg, im Ruhrge- Elterngeld Plus, zum anderen mit dem heute vorliegen- biet, in Bayern; meine eigene Mutter wohnt in Nord- den Gesetzentwurf, verabschieden wir uns natürlich rhein-Westfalen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6361

Dr. Carola Reimann (A) Das tägliche Kümmern, das tägliche Nach-dem-Rech- auch respektiert werden. Dies kann natürlich auch mit (C) ten-Sehen können wir gar nicht allein leisten. Das über- professioneller Pflege sichergestellt werden. Nur, wer nehmen in allen Fällen gute Nachbarn und Freundinnen. kann sie sich leisten? Das sind die wenigsten. Die Men- Dieses Engagement von Nachbarn und Freundinnen, ins- schen, die ihren Arbeitsplatz aufgeben müssen, um eine besondere bei gesundheitlichen Krisensituationen – da ist andere Person zu pflegen, kommen ebenfalls ihrer ge- das Pflegeunterstützungsgeld angesprochen worden – samtgesellschaftlichen Aufgabe nach, müssen dafür aber würde ich gern nicht nur im Rahmen von Reden zum weit stärkere Einschränkungen hinnehmen als diejeni- bürgerschaftlichen Engagement loben, sondern auch gen, die von dem Gesetz profitieren. wirklich unterstützen; Bei den 5,6 Millionen Betroffenen sind noch nicht die (Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜND- erfasst, die in Teilzeit arbeiten. Bei den geringfügig Be- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schäftigten handelt es sich um weitere 5 Millionen. Der überwiegende Teil davon arbeitet in kleinen Betrieben. denn für die Pflegeverantwortung ist nicht der Verwandt- Daher muss man noch draufsatteln. Da liegen mir noch schaftsgrad entscheidend, sondern die Bereitschaft, ihr keine genauen Zahlen vor. verlässlich nachzukommen. Danke. Die vorgeschlagene Kombination von Pflegezeit und Familienpflegezeit läuft darauf hinaus, dass nach Ablauf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Pflegezeit von höchstens sechs Monaten als Voraus- der CDU/CSU) setzung für eine Inanspruchnahme der Familienpflege- zeit die Wochenarbeitszeit im Betrieb mindestens Vizepräsidentin Claudia Roth: 15 Stunden betragen muss. Damit sind wir wieder bei der magischen Zahl 15: 15 Stunden, 15 Beschäftigte. Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der Wenn aber die Pflegesituation dies nicht zulässt oder die Debatte: Jörn Wunderlich für die Linke. Arbeitsbedingungen nicht entsprechend gegeben sind, (Beifall bei der LINKEN) sind möglicherweise die Voraussetzungen für die Fort- setzung des Arbeitsverhältnisses gar nicht da; dann ent- fällt der Anspruch. Andererseits können auch die Bedin- Jörn Wunderlich (DIE LINKE): gungen für das Darlehen als vorrangige Leistung nicht Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen erfüllt werden. Es bricht also im Grunde alles zusam- und Kollegen! „Entwurf eines Gesetzes zur besseren men. Anders ausgedrückt, die Kopplung des Anspruchs Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf“ – man liest auf Familienpflegezeit an die Voraussetzung der wö- den Titel des vorliegenden Gesetzentwurfs und denkt, (B) chentlichen Restarbeitszeit von 15 Stunden hat offen- (D) ein Quantensprung vollzieht sich. In der letzten Legisla- sichtlich nur die berufstätigen, gutbezahlten Vollzeitbe- turperiode haben wir noch von der Vereinbarkeit von Fa- schäftigten im Blick. Ziel ist, deren Ausstieg aus dem milie und Beruf gesprochen. Jetzt haben wir die Pflege Berufsleben – es hieß ja auch: nicht auf die Fachkräfte in die Vereinbarkeit aufgenommen – denkt man im ers- verzichten – zu verhindern. Teilzeitbeschäftigte mit ge- ten Moment. Zu einigem hat meine Kollegin ringer Stundenzahl sind im Grunde von der Inanspruch- Zimmermann hier schon ausgeführt. Ich möchte noch nahme der Familienpflegezeit und damit auch des Darle- auf einen Punkt eingehen, der aus Sicht der Linken ein hens ausgeschlossen, und das, obwohl das Darlehen, wie ganz wesentlicher ist. es so schön heißt, vorrangig vor Sozialleistungen in An- Aus den Erfahrungen mit dem verfehlten Pflegezeit- spruch zu nehmen ist. Im Baugewerbe und Gaststätten- gesetz von Frau Schröder – wir haben es schon gehört; gewerbe ist nahezu jeder zweite Beschäftigte von den es ist nicht in Anspruch genommen worden; die Zahlen Segnungen der Familienpflegezeit ausgeschlossen, im sind hier genannt worden – hat man nun den Rechtsan- Handel immerhin jeder vierte. spruch auf Pflegezeit entwickelt. Dieser Rechtsanspruch, Außerdem – das ist hier auch schon angeklungen – der die Möglichkeit, eine Pflegezeit zu nehmen, nicht vermisse ich in dem Gesetzentwurf Anreize, die sich auf mehr vom Willen des Arbeitgebers abhängig macht, ist die Geschlechtergerechtigkeit beziehen. zwar ein guter Schritt; andererseits werden dabei 5,6 Millionen Beschäftigte außen vor gelassen. (Beifall bei der LINKEN) Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes vom Nach Angaben des DGB sind 75 Prozent der Pflegenden 31. Mai 2014 – diese Angaben sind also noch kein hal- weiblich. Ich glaube nicht, dass der Gesetzentwurf, je- bes Jahr alt – sind 5,6 Millionen Menschen in Betrieben denfalls in der Form, wie er momentan vorliegt, im Hin- mit 15 oder weniger als 15 Mitarbeitern beschäftigt. Sie blick auf geschlechtergerechte Inanspruchnahme der alle haben durch die im Gesetzentwurf verankerte Klein- Pflegezeiten irgendetwas bewirkt. Aber ich hoffe erneut betriebsklausel eben keinen Anspruch auf Pflegezeit. auf die Ausschussberatungen und die Ausschusssitzun- Als Alternative bleibt ihnen dann nur, das Beschäfti- gen. Irgendwann muss sich doch einmal etwas zum Posi- gungsverhältnis aufzugeben, wenn die Pflege nicht an- tiven ändern. Und, wie wir alle wissen: Die Hoffnung ders sichergestellt werden kann. stirbt zuletzt. Von der ambulanten Pflege haben wir schon gehört. Danke für die Aufmerksamkeit. Viele wollen zu Hause gepflegt werden, möchten also in ihrem häuslichen Umfeld bleiben. Dieser Wunsch sollte (Beifall bei der LINKEN) 6362 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: gezeit in Anspruch genommen werden kann. Neu ist (C) Danke, Jörn Wunderlich. – Nächste Rednerin in der auch, dass für dieses Darlehen keine Ausfallversicherung Debatte: Astrid Timmermann-Fechter für die CDU/ mehr abgeschlossen werden muss. Das Ausfallrisiko trägt CSU-Fraktion. hier der Bund allein. Härtefallregelungen sorgen im Falle einer Langzeitarbeitslosigkeit oder im Todesfall für eine (Beifall bei der CDU/CSU) soziale Abfederung.

Astrid Timmermann-Fechter (CDU/CSU): Für die Darlehen sieht der Etat des Bundesfamilien- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ministeriums für das kommende Jahr 1,3 Millionen Euro Kollegen! Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von vor. Familie, Pflege und Beruf steht für eine Vielzahl von Im Zuge der Neuregelung werden im Übrigen auch Verbesserungen – Verbesserungen, mit denen wir die die Arbeitgeber entlastet. Die Beschäftigten beantragen häusliche Pflege stärken, Pflegebedürftige unterstützen, jetzt nämlich die Darlehen direkt beim Bundesamt für die pflegenden Angehörigen entlasten. Das entspricht Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Der Ar- dem Wunsch vieler Menschen in unserem Land, vor al- beitgeber muss keine Wertguthaben mehr für seine An- lem vieler Pflegebedürftiger, die so lange wie möglich in gestellten führen. Hier werden bürokratische Hürden ab- ihrer gewohnten Umgebung bleiben möchten. Dafür gebaut. führen wir die beiden schon bestehenden Gesetze, das für die Pflegezeit sowie das für die Familienpflegezeit, (Beifall bei der CDU/CSU) zusammen und machen sie mit zahlreichen Neuregelun- Die teilweise Freistellung von Arbeitnehmern hat zu- gen noch attraktiver. dem den Effekt, dass langfristig den Unternehmen, den So haben Arbeitnehmer künftig einen Rechtsan- Betrieben ihre Fachkräfte mit all ihren wertvollen spruch, für die Pflege ihrer Angehörigen die Arbeitszeit Kenntnissen erhalten bleiben. Niemand soll seine Arbeit über einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten auf mindes- aufgeben müssen, um einen Angehörigen zu versorgen. tens 15 Stunden in der Woche zu reduzieren. Das heißt, Das neue Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, der bereits bestehende Rechtsanspruch gemäß Pflege- Pflege und Beruf sichert somit Fachkräfte – angesichts zeitgesetz wird hier auch auf die Familienpflegezeit aus- des demografischen Wandels mit den einhergehenden geweitet. Dieser Rechtsanspruch soll zu Beginn des Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ein ebenfalls kost- kommenden Jahres in Kraft treten – ein Rechtsanspruch, bares Gut. der vielen Menschen in unserem Land ein ganz kostba- Meine Damen und Herren, es kann für kein Unterneh- res Gut gibt, nämlich Zeit: Zeit für die Pflege, Zeit für men von Interesse sein, Mitarbeiter zu beschäftigen, die (B) Zuspruch und Trost, Zeit für die kranke Mutter, für den sich den ganzen Tag über Sorgen machen müssen, was (D) hilfsbedürftigen Vater, für die hochbetagte Großmutter mit ihren pflegebedürftigen Angehörigen passiert. Wer oder den schwer erkrankten Partner, Zeit also für Men- kann da noch gute Leistungen erbringen? Hier ist eine schen, die uns lieb und teuer sind, die uns wichtig in un- rechtlich klar geregelte Freistellung wesentlich ökono- serem Leben sind, denen wir selber vieles verdanken. mischer – für alle Beteiligten. Darum sind die pflegenden Angehörigen auch bereit, dieses Opfer, das die Pflege ja in der Tat darstellt, für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ihre Verwandten zu erbringen. neten der SPD) Dazu zählt neben Zeit und Kraft auch Geld. So müs- Denn einen Pflegebedürftigen zu Hause zu versorgen, ist sen Arbeitnehmer bislang meist Gehaltseinbußen in harte, kräftezehrende Arbeit, die viele Angehörige nicht Kauf nehmen, wenn sie im Rahmen des Pflegezeitgeset- selten an die Grenzen der Belastbarkeit führt. Dies auch zes für die kurzfristige Organisation einer Pflegesitua- noch mit der eigenen Vollzeitberufstätigkeit zu vereinba- tion in der Familie die bis zu zehntägige Auszeit nutzen. ren, ist in aller Regel ein Ding der Unmöglichkeit. Wol- Die Neuregelung sieht hier nun ein Pflegeunterstüt- len wir, dass sich diese Menschen in solchen Stresssitua- zungsgeld vor, mit dem Arbeitnehmer ähnlich wie beim tionen um ihre Angehörigen kümmern müssen? So Kinderkrankengeld eine Lohnersatzleistung erhalten, etwas kann niemand wollen, und es kann auch nicht im welche zulasten der Pflegekasse des zu pflegenden An- Interesse der Gesellschaft sein. Denn wir wünschen uns gehörigen abgerechnet wird. alle eine menschliche, eine humane Pflege. Finanzielle Einbußen entstehen aber erst recht, wenn Diesem Bedürfnis wollen wir auch mit einer weiteren man seine Wochenarbeitszeit langfristig reduzieren Neuregelung Rechnung tragen. So sieht der Gesetzesent- muss; denn mit einer 15-Stunden-Woche lässt sich in der wurf nämlich auch eine Freistellung für die Begleitung Regel der Lebensunterhalt oft nicht bestreiten. Erst recht von Angehörigen in ihrer letzten Lebensphase sowie für für eine Familie sind solche finanziellen Belastungen die Betreuung von pflegebedürftigen schwerkranken eine extrem hohe Herausforderung. Kindern vor, die sich in stationären Einrichtungen befin- den. Das ist eine wirkliche Hilfe für viele Menschen in (Beifall bei der CDU/CSU) besonders schwierigen Lebenssituationen sowie eine Entlastung, die auch unserem christlichen Menschenbild Deshalb sieht das Familienpflegezeitgesetz hier ein zins- entspricht. loses Darlehen vor, um den Verdienstausfall wenigstens zu einem Teil zu kompensieren. Neu ist jedoch, dass die- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ses Darlehen nun auch für die bis zu sechsmonatige Pfle- neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6363

Astrid Timmermann-Fechter (A) Meine Damen und Herren, erfreulicherweise leben wir ihnen selbst überlassen. Der Staat kann hier nur Rah- (C) wir immer länger und werden immer älter. Umso mehr menbedingungen setzen. Dafür ist das geplante Gesetz wird aber auch die Pflege langfristig eine immer größere zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Be- Herausforderung für unsere Gesellschaft. Von den rund ruf ein sehr gutes, ein hervorragendes Beispiel; denn die- 2,6 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden ses Gesetz lässt mit seinen flexiblen Wahlmöglichkeiten derzeit etwa zwei Drittel zu Hause betreut, ein Großteil die Familien mit ihren individuellen Lebensverhältnis- davon von Angehörigen. Für das Jahr 2050 erwartet das sen selbst entscheiden, wie sie die Pflege ihrer Angehö- Statistische Bundesamt sogar 4,5 Millionen Pflegebe- rigen organisieren wollen. dürftige. Auch in Zukunft werden also Pflegebedürftige von ihren Angehörigen gepflegt. Deshalb haben wir den Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Begriff der Angehörigen ausgeweitet. Dieser umfasst (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) künftig auch Stiefeltern, Schwägerinnen und Schwäger oder lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften. Da- mit tragen wir den vielfältigen Lebensmodellen in Vizepräsidentin Claudia Roth: Deutschland Rechnung – Lebensmodelle, in denen sich Vielen Dank, Frau Kollegin Timmermann-Fechter. – Menschen in ihrem Leben gegenseitig begleiten, Le- Nächste Rednerin in der Debatte: Katja Dörner für bensmodelle, in denen Partner füreinander einstehen und Bündnis 90/Die Grünen. Pflichten übernehmen. Diese Bereitschaft und diesen Zusammenhalt wollen wir mit der Erweiterung des An- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gehörigenbegriffes unterstützen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Liebe Kollegen! Berufstätigkeit und die Pflege von An- neten der SPD) gehörigen, von Menschen, die einem nahestehen, besser oder überhaupt vereinbaren zu können, ist tatsächlich Die Neuausrichtung der beiden Gesetze für die Pflege- eine drängende Herausforderung, der wir uns stellen zeit wie auch für die Familienpflegezeit bietet somit müssen und auf die wir politische Antworten finden nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ eine Viel- müssen. Insofern ist es wichtig, dass wir heute diese De- zahl neuer Möglichkeiten für eine bessere häusliche batte führen. Wir müssen aber endlich zu Lösungen Pflege – neue Möglichkeiten, die von einer nunmehr kommen, die auch praxistauglich sind und die Familien größeren Zahl von Angehörigen in Anspruch genommen im Alltag tatsächlich unterstützen. Da habe ich bei dem werden können; auch das entlastet die Familien. vorliegenden Gesetzentwurf leider einige Fragezeichen. Mit seinen Neuregelungen liefert das Gesetz zur bes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) (D) seren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf somit sowie bei Abgeordneten der LINKEN) einen weiteren wichtigen Baustein für die Stärkung der Pflege insgesamt. Das ist in dieser Legislaturperiode Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich selbst komme nicht nur eines der Schwerpunktthemen dieser Koalition, aus einem kleinen Dorf im Westerwald. sondern auch für die CDU/CSU ein ganz wesentliches Anliegen. Denn gute Pflege, meine Damen und Herren, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schöne Ge- ist eben nicht nur eine hervorragende und innovative me- gend!) dizinische Versorgung; das ist vor allem Liebe, Zunei- Als ich ein Kind war, da war die Sache klar – ich be- gung und Aufmerksamkeit – eben all das, was Familie schreibe es jetzt etwas scherenschnittartig –: Die Frauen und Partnerschaft, was unser Leben überhaupt ausmacht: kümmerten sich um die Kinder, manche waren danach (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- halbtags berufstätig, viele auch nicht, und wenn, dann neten der LINKEN und des Abg. Sönke Rix haben sie ihren Job wieder aufgegeben, um sich um ihre [SPD]) Mütter und Schwiegermütter, um ihre Väter und Schwie- gerväter und auch um die kinderlosen Tanten zu küm- das verlässliche Füreinander-Einstehen auch in schwe- mern, wenn diese pflegebedürftig wurden. Ich will hier ren Zeiten. Für dieses Familienbild steht auch die CDU/ gar nicht die Frage stellen, ob das gut und gerecht war, CSU. Denn Familie ist nicht allein nur dort, wo Kinder ob die Frauen, aber auch die Pflegebedürftigen sich das sind, sondern vor allem auch dort, wo die Menschen für- so vorgestellt haben, obwohl man, glaube ich, diese einander Verantwortung übernehmen. Ebendieses Fami- Frage sehr wohl stellen sollte. Das war einfach so, aber lienbild wollen wir mit unserem neuen Gesetzentwurf so ist es eben nicht mehr bzw. wird immer weniger so stärken. Wir wollen die Familie als Verantwortungsge- sein. meinschaft unterstützen, damit sich die Menschen noch besser und flexibler um ihre pflegebedürftigen Angehö- Wir leben im demografischen Wandel. Die Anzahl rigen kümmern können. pflegebedürftiger Menschen steigt. Frauen sind berufstä- tig. Sie wollen berufstätig sein, aber sie müssen es auch, Als Gesellschaft können wir gar nicht dankbar genug sonst ist Altersarmut vorprogrammiert. Viele Menschen sein, dass so viele Menschen in unserem Land diesen an- haben keine Kinder. Die Kinder vieler Menschen leben strengenden, oft auch entbehrungsreichen Dienst für ihre ganz woanders. Trotzdem sagen viele – und das finde ich Angehörigen erbringen. Familie ist das, was uns prägt sehr gut –, dass sie ihren Eltern, dass sie Menschen, die und uns Geborgenheit gibt, was uns aufgehoben sein ihnen nahestehen, etwas zurückgeben wollen, wenn lässt. Wie sich aber die Familien organisieren, müssen diese pflegebedürftig sind. Ich finde es sehr wichtig, 6364 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Katja Dörner (A) dass wir das unterstützen. Aber mit diesem Gesetz wird (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) uns das nicht weitergehend gelingen. Der zweite Punkt. In Anspruch nehmen können die Fa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) milienpflegezeit – wir haben es schon gehört – nahe An- gehörige. Zu denen zählen jetzt auch Stiefeltern, Personen Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in der vergange- in lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft, Schwägerin- nen Legislaturperiode hat sich Kristina Schröder schon nen und Schwäger. Aber warum werden Nachbarn, die Zähne an einer Familienpflegezeit ausgebissen. Die Freunde, Wahlverwandtschaften vom Anspruch auf die positiven Aspekte des damaligen Vorschlags sind zwi- Familienpflegezeit ausgeschlossen? Ich kann mich da schen Referentenentwurf und der Beschlussfassung des Frau Reimann anschließen, die das auch problematisiert Gesetzes komplett ausradiert worden. Das Gesetz war hat. Das macht in einer Zeit, in der Lebensformen viel- ein Rohrkrepierer: Seit 2011 haben gerade einmal – wir fältiger werden und in der Wahlverwandtschaften eine haben es schon gehört – rund 300 Menschen die Fami- immer größere Rolle spielen, überhaupt keinen Sinn. lienpflegezeit überhaupt in Anspruch genommen. Von den damals im Haushalt eingestellten 400 Millionen In meiner Heimat Bonn gibt es ganz großartige Mehr- Euro flossen mickrige 17 000 Euro ab. Warum war das generationenwohnprojekte, wo gemeinsames Leben al- so? Die Antwort ist: Das Gesetz ging trotz massiven Be- ler Generationen ohne biologisch-familiäre Bezüge statt- darfs an der Lebensrealität der Familien vorbei. Meine findet, wo es eine Verantwortungsübernahme in solchen Sorge ist, dass es dem Gesetz, das wir heute beraten, lei- Zusammenhängen gibt. Es macht aus meiner Sicht über- der genauso ergehen wird. haupt keinen Sinn, dass die Verantwortungsübernahme, die Fürsorge für Menschen in solchen Konstellationen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier nicht gewürdigt wird, sondern von der Familienpfle- und bei der LINKEN) gezeit explizit ausgenommen wird. Ich hoffe, dass sich da im Gesetzgebungsverfahren noch etwas ändert. Aus Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, richtig ist, dass der SPD-Fraktion höre ich, dass es Bereitschaft gibt, sich die neue Familienpflegezeit einen zentralen Fehler des dahin zu bewegen. Dann kann es ja auch in der kurzen Schröderschen Konzepts beseitigt: Es soll zukünftig ei- Beratungsphase noch die Möglichkeit geben, an solch nen Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit geben. wichtigen Stellen im Sinne der Familien, im Sinne von Das ist gut, aber es reicht eben nicht, um die Familien- Wahlverwandtschaften, im Sinne der Verantwortungs- pflegezeit wirklich praxistauglich auszugestalten. Es übernahme und Fürsorge im Kontext von Pflege noch et- reicht vor allem nicht, um eine praxistaugliche Regelung was zu verbessern. für alle Familien, also auch für Familien mit einem nied- rigen Einkommen, zu gewährleisten, aber auch nicht, um Vielen Dank. (B) Menschen, deren nahe Verwandte weiter entfernt woh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) nen, tatsächlich zu unterstützen. Ich möchte das an zwei Punkten erläutern. Die Fami- Vizepräsidentin Claudia Roth: lienpflegezeit in Anspruch zu nehmen, ist mit Gehalts- Vielen Dank, Katja Dörner. – Nächster Redner in der einbußen verbunden. Debatte ist Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. Statt diese aber über eine Lohnersatzleistung abzufe- (Beifall bei der CDU/CSU) dern, setzt die Familienministerin auf ein zinsloses Dar- lehen. Familien mit einem ausreichenden Einkommen Paul Lehrieder (CDU/CSU): brauchen das nicht; sie werden das nicht in Anspruch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe nehmen müssen. Vor allem Familien mit einem niedri- Kolleginnen! Liebe Kollegen! Pflegebedürftigkeit ist ein gen oder mit einem mittleren Einkommen werden dieses Thema, das im Alltag gern verdrängt wird. Zwar ist sich Darlehen in Anspruch nehmen. Es gibt also faktisch jeder bewusst, dass die Eltern wohl irgendwann einmal keine finanzielle Entlastung für die pflegenden Angehö- auf Hilfe angewiesen sein werden; aber meist setzt man rigen; die Belastung wird einfach in die Zukunft ver- schoben. Die Problematik verschärft sich massiv. Das er- sich erst dann wirklich ernsthaft mit dem Thema Pflege kennt man, wenn man mit in den Blick nimmt, dass der auseinander, wenn der Ernstfall eintritt und ein Angehö- Kredit nur über zwei Jahre hinweg gewährt wird. Dabei riger plötzlich zum Pflegefall wird. Ein Unfall, ein ist die Zeitspanne, in der Angehörige ihre Familienmit- Schlaganfall, eine schwere Krankheit oder eben das Al- glieder pflegen, oft deutlich länger. Nach zwei Jahren ter können der Grund dafür sein, dass Menschen pflege- stehen pflegende Angehörige da, haben kein Anrecht auf bedürftig werden. Familienpflegezeit mehr; stattdessen haben sie einen In dieser Situation brauchen Angehörige kurzfristig Kredit an der Backe, den sie abzahlen müssen. Liebe Zeit für die Organisation der neuen Situation. Sie sehen Kolleginnen, liebe Kollegen, das ist aus meiner Sicht sich vielen Herausforderungen und Fragen gegenüber keine gute Perspektive. und müssen sich durch den Dschungel der Pflegestufen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Richtlinien kämpfen: Wie beantragt man eine Pfle- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gestufe? Was macht der Medizinische Dienst? Wann und wo bekommt man das Geld? Wie verbleibe ich mit mei- Auch Menschen mit einem geringen Einkommen müs- nem Arbeitgeber? sen eine Familienpflegezeit in Anspruch nehmen kön- nen, ohne sich zu verschulden. Deshalb plädieren wir für Meist liegt der Wunsch nahe, die Pflege seines Ange- eine Lohnersatzleistung während der Familienpflegezeit. hörigen selbst leisten zu können, ohne finanzielle und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6365

Paul Lehrieder (A) berufliche Nachteile fürchten zu müssen. Zudem ent- kleinen Handwerksmeister, der seine Mitarbeiter noch (C) spricht es auch fast immer dem dringenden Wunsch des mit Vornamen kennt. In vielen solcher kleinen Hand- Pflegebedürftigen, in der vertrauten Umgebung von ei- werksbetriebe ist durch das Zusammenwirken, das Dis- ner nahestehenden Person gepflegt zu werden. Nach ei- kutieren der Probleme natürlich ein anderes Verhältnis ner aktuellen Umfrage des Politbarometers erwarten vorhanden als in Großunternehmen und die Bereitschaft 95 Prozent der Menschen von den Neuregelungen eine der Arbeitgeberseite, auf die Belange des Arbeitnehmers erhebliche Verbesserung in der Pflege. Da bin ich also einzugehen, in vielen Fällen auch anders ausgeprägt. etwas anderer Meinung als die Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann gen der Opposition, die gesagt haben: Es reicht nicht [DIE LINKE]: Und was machen Sie da? Ha- aus. – Viele Menschen werden das als deutliche Verbes- ben Sie eine Antwort darauf?) serung in der Pflege empfinden können. Ich darf Ihnen versichern: Ich habe viele Handwerksmeis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ter aus meiner Region vor meinem geistigen Auge. – Frau neten der SPD) Kollegin Zimmermann möchte eine Frage stellen. Meine Damen und Herren, mit dem heute in erster Lesung zu beratenden Entwurf eines Gesetzes zur besse- Vizepräsidentin Claudia Roth: ren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf kom- Vielen Dank, dass Sie mich darauf hinweisen. Ich men wir dem im Koalitionsvertrag verankerten Ziel der habe aber auch Augen. Vereinbarkeit von Pflege und Berufsleben nach. Unser wichtigstes Ziel ist dabei, die Wertschätzung der familiä- Paul Lehrieder (CDU/CSU): ren Pflege zu verbessern und die Pflege insgesamt besser Ich wollte nur signalisieren, dass ich bereit bin, die abzusichern, darüber hinaus den Menschen die Gewiss- Frage anzunehmen. heit zu geben: Es ist eine Pflege auch in der häuslichen Umgebung möglich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir den Dann muss ich Sie also gar nicht mehr fragen, ob Sie schon bestehenden Rechtsanspruch auf eine zehntägige bereit sind. – Langer Rede kurzer Sinn: Was wollen Sie Pflegeauszeit bei akut auftretender Pflegesituation eines ihn denn gerne fragen? nahen Angehörigen mit einer Lohnersatzleistung analog zum Kinderkrankengeld ausgestalten. Beschäftigte haben Pia Zimmermann (DIE LINKE): künftig einen Rechtsanspruch auf Pflegeunterstützungs- Vielen Dank. – Mich würde interessieren, wie Sie geld. Dabei handelt es sich um eine Lohnersatzleistung denn den Beschäftigten in den Betrieben mit weniger als (B) für eine bis zu zehntägige Auszeit, die Beschäftigte (D) 15 Mitarbeitern – es geht ja nicht um eine Handvoll, son- kurzfristig für die Organisation einer akut aufgetretenen dern um Millionen von Menschen – erklären wollen, wie Pflegesituation eines nahen Angehörigen in Anspruch sie die Pflege zu Hause gestalten sollen, weil es ja ge- nehmen können. Die hierfür erforderlichen Mittel im rade diese Menschen sind, die bei den, wie man im Umfang bis zu 100 Millionen Euro – es wurde bereits Volksmund sagt, sogenannten Krauterfirmen arbeiten? darauf hingewiesen – werden von der sozialen Pflege- Darunter sind ja auch Menschen, die möglicherweise versicherung getragen. wenig Geld haben, und viele, die im Handel – nicht in Wir haben den Kreis der Berechtigten auf nahe Ange- großen Kaufhäusern, sondern in kleinen Lebensmittellä- hörige und Stiefeltern beschränkt. Wir sind anders als den oder anderen Läden – unter prekären Beschäfti- Sie, Frau Kollegin Dörner, der Auffassung, dass wir die- gungsbedingungen arbeiten. Wie sollen die denn die sen Kreis nicht willkürlich auf Wahlverwandtschaften Pflege zu Hause gestalten? Sie sagen doch selber, dass bzw. Wahlbeziehungen ausweiten sollten. Wir müssen Sie es so wichtig finden, dass Menschen zu Hause ge- erst einmal die nahen Angehörigen, die bereit sind, Ver- pflegt werden und dass der familiäre Zusammenhang antwortung zu tragen, mit dieser Leistung ausstatten und vorhanden ist. dürfen den Kreis der Berechtigten auch im Interesse der Arbeitswelt nicht beliebig ausweiten. Ich bitte daher um Paul Lehrieder (CDU/CSU): Verständnis, dass es bei den nahen Angehörigen bleibt. Frau Kollegin Zimmermann, herzlichen Dank für die (Beifall bei der CDU/CSU) Frage. – Zunächst einmal muss ich klarstellen: Ich kenne keine Krauterfirma. Ich kenne viele Unternehmen, in de- Wer einen nahestehenden Menschen pflegt, braucht nen tüchtig gearbeitet wird. „Krauter“ ist ein abwerten- dafür Zeit und muss die Pflegetätigkeit mit seinem Be- der Begriff, der in meinem Vokabular nicht vorkommt. rufsleben vereinbaren können. Daher haben wir einen (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit eingeführt, der [DIE LINKE]: So nennen die sich selber!) für Betriebe mit mehr als 15 Beschäftigten gilt. Die Kol- legen Zimmermann und Wunderlich haben darauf hinge- Es gibt auch viele kleine Unternehmen, die genauso wiesen, dass damit ein Fünftel der Unternehmen, also auf die Belange der Arbeitnehmer eingehen wie große. Kleinbetriebe mit unter 15 Beschäftigten, nicht erreicht Wissen Sie, wir haben ein anderes Verständnis vom Ver- wird. Das ist natürlich gewollt. Meine Damen und Her- hältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. ren, wir reden hier nicht von volkseigenen Betrieben mit Wir sind nicht so dogmatisch eingeengt wie Sie und Ihre mehreren Hundert Beschäftigten. Wir reden über den Partei. Wir sagen: Jawohl, der Arbeitnehmer hat die 6366 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Paul Lehrieder (A) Möglichkeit, zu sagen: Lieber Chef, ich brauche jetzt et- erkennen; zumindest sind das die, die ich kenne. Ich (C) was Zeit, um in den nächsten sechs bis acht Monaten wünsche Ihnen, Frau Zimmermann, dass es auch in Ihrer meine Angehörigen zu pflegen. Wie schaut es aus? Kann Region solche Handwerksbetriebe gibt. Die sind be- ich meine Zeit reduzieren? – Wenn der Arbeitgeber sagt: stimmt zu finden. – Jetzt bin ich mit der Beantwortung „Das geht aber absolut nicht“, dann hat der Arbeitneh- fertig. mer doch aufgrund des Fachkräftemangels, der mittler- weile in vielen Branchen herrscht – auch in denen, die (Beifall bei der CDU/CSU) von Ihnen schmählich als Krauterfirmen bezeichnet wur- den –, die Möglichkeit, zu sagen: Gut, lieber Chef, wenn Vizepräsidentin Claudia Roth: du mir das nicht gewährst, dann muss ich leider in ein Danke, Frau Zimmermann. – So, jetzt geht es weiter Unternehmen gehen, wo ich diesen Anspruch habe. – in Ihrer Rede, Herr Lehrieder. Das heißt also, es wird in vielen Bereichen funktionie- ren. Schauen Sie sich die Realität an. Wie gesagt, ich halte von dogmatischen, klassenkämpferischen Parolen Paul Lehrieder (CDU/CSU): in diesem Bereich sehr wenig. – Frau Zimmermann, Der neue Anspruch auf Familienpflegezeit kann, wie bleiben Sie stehen. Ich bin noch nicht fertig. bereits ausgeführt, mit dem bereits geltenden Anspruch auf Pflegezeit verbunden werden. Mit dieser Regelung (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Meine Frage leisten wir einen zentralen Beitrag zur Fachkräftesiche- war, wie Sie helfen!) rung. Das dient den Interessen der Arbeitgeber, weil das Erfahrungswissen der Fachkräfte im Unternehmen blei- Vizepräsidentin Claudia Roth: ben kann. Moment. Noch bin ich die Chefin hier. Ich weiß, dass Ihnen das nicht leichtfällt. Frau Kollegin Zimmermann, Sie haben die fehlende Beteiligung der Arbeitgeber an den Kosten angespro- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und chen. Wir haben heute den 14. November. Heute in zehn des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Tagen, also am 24. November, werden wir zu dieser Frau Zimmermanns Frage war noch nicht beantwor- Thematik – Herr Kollege Wunderlich, das haben Sie sich tet. Deswegen kann Sie gerne stehen bleiben. – Herr gewünscht – eine sehr umfangreiche Anhörung im Aus- Lehrieder, bitte. schuss durchführen, zu der auch Arbeitgeberverbände eingeladen sind. Es wird um die Kostenbeteiligung, aber Paul Lehrieder (CDU/CSU): auch um die Probleme gehen, die die Arbeitgeber haben, Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Danke für das wenn es darum geht, Ersatzpersonal für die Mitarbeiter (B) (D) Entgegenkommen. einzustellen, die sich eine Auszeit für die Pflege nehmen wollen. Es ist nicht für jedes Unternehmen leicht, für eine begrenzte Zeit von einem halben Jahr bis zu 24 Mo- Vizepräsidentin Claudia Roth: naten schnell mal eine Teilzeitstelle zu besetzen, weil So bin ich. sich ein Mitarbeiter der Pflege widmen will.

Paul Lehrieder (CDU/CSU): (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist Selbstverständlich wird das Gespräch in diesen Un- richtig!) ternehmen zu sinnvollen Lösungen führen, die es in vie- Aber das muss möglich sein. In einem Unternehmen mit len Bereichen schon gibt. Im Übrigen darf ich darauf über 15 Beschäftigen ist das nach unserer Auffassung hinweisen, dass ich in meiner letzten Rede vor einer Wo- organisatorisch leichter zu bewältigen als in kleinen Un- che gesagt habe, dass in vielen Tarifverträgen durch die ternehmen. Gewerkschaften für die Arbeitnehmer auch in Bezug auf die Kinderbetreuung schon sinnvolle Regelungen ver- Darüber hinaus erhalten Beschäftigte, die Pflegezeit einbart wurden. Viele arbeiten daran mit, und wir wer- oder Familienpflegezeit in Anspruch nehmen, zur besse- den erleben, dass die Unternehmen, vor allem die klei- ren Absicherung ihres Lebensunterhalts während der nen Betriebe, in Zeiten des Fachkräftemangels darauf Freistellung einen Anspruch auf Förderung. Sie können achten werden, mit ihren Arbeitnehmern einen Modus beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Vivendi hinzubekommen, sodass beide Seiten zufrieden Aufgaben, kurz BAFzA, ein zinsloses Darlehen beantra- sind. Was nützt es dem Unternehmen, dem kleinen gen. Die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass Handwerksbetrieb, wenn der Arbeitnehmer durch Über- das Darlehen während einer Erkrankung selbstverständ- lastung einen Burn-out bekommt, weil er versucht lich automatisch gestundet wird. Wenn aber wieder gear- – vielleicht ein paar Tage, vielleicht ein paar Wochen – beitet wird, dann muss dieses Darlehen, das aus Steuer- nebenher die Pflege eines Angehörigen zu managen. Da- mitteln finanziert worden ist, um finanzielle Freiräume mit ist dem Unternehmer auch nicht gedient. für die Zeit der Pflege zu ermöglichen, natürlich sukzes- sive zurückgezahlt werden. Die Rückzahlungsmodalitä- (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist ja ten werden so gestaltet, dass kein Arbeitnehmer überlas- interessant!) tet wird. Das Darlehen soll in moderaten, zumutbaren Der Mitarbeiter ist dann sechs Wochen krank. Und wer Raten zurückgezahlt werden können. Der Vorteil für die zahlt das? Das zahlt allein der Arbeitgeber. Ich glaube, Arbeitnehmer, Frau Kollegin Zimmermann, besteht da- dass die Handwerksbetriebe clever genug sind, das zu rin, dass durch das zinslose Darlehen für die Zeit der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6367

Paul Lehrieder (A) Pflege wirtschaftliche Freiräume gewährt werden. Das werker, oft allein oder nur mit wenigen Angestell- (C) sollte man nicht zu gering schätzen. ten arbeitend. Die Bezeichnung wird heute oft he- rabsetzend als Synonym für „unseriös arbeitend“ (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. verwandt. Das kenne ich Sönke Rix [SPD]) – sagt jemand aus dem Osten – Dass eine Weiterentwicklung und Verzahnung des Fa- milienpflegezeitgesetzes und des Pflegezeitgesetzes nötig von früher in dieser Form nicht unbedingt. sind, verdeutlichen die zum Teil bereits vorgetragenen Also, wir sind eine vielfältige, bunte Republik Deutsch- Zahlen: Rund 2,6 Millionen Menschen in Deutschland land. sind auf Pflege angewiesen. 1,8 Millionen Menschen werden zu Hause versorgt, zwei Drittel von ihnen durch (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Angehörige, der Rest durch ambulante Dienste. – In den Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nächsten Jahrzehnten wird die Zahl der Pflegebedürfti- NEN]) gen merklich steigen. Die Notwendigkeit einer besseren Die nächste Rednerin in der Debatte ist Petra Crone Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ist gerade für die SPD. angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Lande groß. Ich bin ziemlich sicher, dass uns die The- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men „Pflege“ und „demografische Entwicklung“ auch in der CDU/CSU) den nächsten Jahren periodisch immer wieder beschäfti- gen werden. Wir werden immer wieder nachjustieren Petra Crone (SPD): müssen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben es angesprochen, Frau Scharfenberg: Das Liebe Gäste auf den Tribünen! Jetzt haben wir festge- geltende Gesetz hat bisher leider nicht so gut gegriffen. stellt, dass nicht nur die Opposition, sondern auch die Deshalb müssen wir es verbessern. Wir müssen prüfen: Koalitionsfraktionen recht haben. Wunderbar. Es ist al- Wie wirkt das Gesetz? In welchen Bereichen besteht in les geregelt. zwei, drei, vier oder fünf Jahren weiterer Handlungsbe- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist das darf? Ich bin sicher: Auch da ist nicht das Ende der Fah- herrlich!) nenstange erreicht. Ich habe mir Ihren Änderungswunschkatalog und Ihre (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE Kritik zu dem heute eingebrachten Gesetzentwurf genau GRÜNEN]: Noch lange nicht!) angehört, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppo- sition. Einiges davon ist bedenkenswert – ohne Frage –, (B) Wir müssen auf das Problem der demografischen Ent- (D) aber einiges – das muss ich schon sagen – ist reichlich wicklung in unserer Gesellschaft Antworten finden. Das überzogen. Wenn Sie ganz genau hinschauen, dann müs- ist natürlich primär Aufgabe der Politik. Deswegen wer- sen Sie zugeben: Dieser Entwurf eines Gesetzes zur bes- den wir das Thema hier immer wieder diskutieren. seren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf hat Die Bereitschaft und das Interesse in der Bevölkerung seinen Namen wirklich verdient. sind vorhanden. Die überwiegende Mehrheit der Berufs- (Beifall bei der SPD) tätigen möchte ihre Angehörigen, soweit möglich, selbst betreuen. Auch von den Pflegebedürftigen wird das so Das kann ich gleich auch noch belegen. gewünscht. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE Frau Präsidentin, ich habe gerade einmal fünf Sekun- GRÜNEN]: Bitte!) den überzogen und das Licht leuchtet schon auf. Das ist keine Luftnummer. Wir haben vor drei Jahren (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) das Gesetz über die Familienpflegezeit verabschiedet. Das allerdings war ein zahnloser Tiger: Es gab keinen Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue Rechtsanspruch und stattdessen jede Menge Kleinge- mich auf die Ausschussanhörung in zehn Tagen. – Herz- drucktes. lichen Dank. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- GRÜNEN]: Jetzt kriegt er ein Gebiss!) neten der SPD) Wer die Not kennt, die Angehörige umtreibt, die dem Wunsch von pflegebedürftigen Angehörigen nachkom- Vizepräsidentin Claudia Roth: men und sie pflegen wollen, der muss zugeben, dass Vielen Dank, Herr Kollege. Ich habe gegoogelt – ich Ministerin Manuela Schwesig den vorliegenden Ge- weiß, das darf ich eigentlich nicht –, was unter einer setzentwurf richtig angegangen ist, indem sie einen Krauterfirma zu verstehen ist. Ich weiß, dass dieser Be- Rechtsanspruch und Lohnersatzleistungen während ei- griff im Süddeutschen, auch bei uns im Schwäbischen, ner zehntägigen Auszeit verankert hat, zudem einen genau den Beiklang hat, den Herr Lehrieder angespro- Kündigungsschutz und die Möglichkeit, die Arbeitszeit chen hat. Jetzt lese ich aber – das will ich zitieren –: bis zu 24 Monate lang zu verringern. Das ist ein Riesen- unterschied. Unter einem Krauter versteht man im Osten Deutschlands einen kleinen selbstständigen Hand- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 6368 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Petra Crone (A) Es ist kein Wunder, dass die Arbeitnehmerinnen und Ar- Liebe Kollegen und Kolleginnen, das Thema Pflege (C) beitnehmer dieses Angebot vorher nicht angenommen ist durch die demografische Entwicklung in unserem haben. Jetzt geben wir ihnen ganz andere Möglichkeiten. Land eine riesengroße Herausforderung. Die Familien- Deswegen finde ich die Kritik überzogen. pflegezeit ist da ein Baustein eines ganzen Pakets. Wir brauchen und schaffen weitere Bausteine. Wir haben (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul jetzt das Erste Pflegestärkungsgesetz vereinbart, mit Lehrieder [CDU/CSU]) dem die Pflegeversicherung und ihre Leistungen moder- Endlich wird die wichtige Aufgabe, die Angehörige nisiert werden. Wir werden die Pflegeausbildung refor- mit der Pflege übernehmen, erleichtert. Pflege ist eine mieren und attraktiver machen. Durch die Zuschussva- Aufgabe, die unsere allergrößte Hochachtung verdient. riante bei der Förderung altersgerechten Umbaus werden Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir die Menschen in ihrem Wunsch unterstützt, so lange wie endlich realistischere Bedingungen. Arbeitnehmer und möglich in den eigenen vier Wänden bleiben zu können. Arbeitnehmerinnen müssen ihre finanziellen Einbußen Letztendlich aber ist ein Familienpflegezeitgesetz nur nicht länger alleine tragen. Der aufgezwungene Abschluss so gut wie die Pflegestruktur in den Städten und Kom- einer privaten Versicherung wird zurückgenommen. Damit munen. Da brauchen wir eine gute, unabhängige Bera- wird privates Engagement von Angehörigen nicht länger tung, die betroffene Bürger aufsucht, haushaltsnahe bestraft. Außerdem kommen wir dem Wunsch vieler An- Dienstleistungen sowie ambulante Betreuung und Pflege, gehöriger entgegen, die gerne zu Hause pflegen möch- auch Tagespflege. Wir benötigen weiter ein dichtes Netz ten. von Ärzten, Anbietern der Wohlfahrtspflege, privaten und kommunalen Anbietern, Ehrenamt, Palliativmedizin Auch in meinem Wahlkreis ist es so – wir haben das und Hospizen. Eine gute Sozialplanung sollte unser Ziel Thema vorhin schon angesprochen –, dass viele Unter- sein. nehmen schon einen Schritt weiter gegangen sind und betriebsinterne Vereinbarungen anbieten. Ich komme aus Ich danke Ihnen. Südwestfalen, einer ganz starken Wirtschaftsregion. Für (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die mittelständischen Unternehmen dort ist das ein ganz wichtiges Thema, weil sie ihre Fachkräfte nicht verlieren wollen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin Crone. – Die nächste (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Rednerin in der Debatte ist für die CDU/ CSU-Fraktion. Deswegen unterstützen sie Vorhaben für eine bessere (B) Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. (Beifall bei der CDU/CSU (D) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Fin- den die denn auch Ersatzkräfte?) Antje Lezius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Solche Regelungen gibt es aber auch überregional. Rewe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Entwurf und Real zum Beispiel bieten auch betriebsinterne Ver- eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, einbarungen an. Pflege und Beruf ist ein wichtiger Gesetzentwurf. Er spiegelt wider, was wir von der CDU/CSU gemeinsam Lebensnah und realistisch ist es auch, entferntere An- mit der SPD im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Wir gehörige zum Empfang von Pflegegeld zu berechtigen. wollen gemeinsam dafür sorgen, dass Menschen, die Immer öfter wohnen Kinder nicht mehr in der Nähe, sind Angehörige pflegen, sich weiterhin auch ihrem Beruf Pflegebedürftige alleinstehend. Wir müssen verlässliche widmen können. Warum ist das notwendig? Der demo- Strukturen fördern, damit Angehörige gepflegt werden grafische Wandel sorgt für zahlreiche Veränderungen können, auch unabhängig vom ehelichen Status. Ehrlich und Herausforderungen in unserer Gesellschaft. In Zu- gesagt – da gebe ich meiner Kollegin Carola Reimann kunft werden wir nicht nur aufgrund der guten gesund- recht –: Vielleicht müssen wir den Personenkreis noch heitlichen Versorgung deutlich älter werden als Genera- ausweiten. tionen vor uns. Gott sei Dank! Ich freue mich aber auch besonders über die Möglich- Jüngere Menschen – gerade wenn sie gut ausgebildet keit für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, ihre An- sind – gehen dorthin, wo sie meinen, die besten Bedin- gehörigen in den letzten Wochen zu begleiten, auch gungen für ihren Lebensentwurf vorzufinden. Häufig wenn diese in Hospizen leben. Wir haben gestern eine geschieht das zulasten gerade ländlicher Regionen. In Debatte darüber geführt und immer wieder betont, wie meinem Wahlkreis, in Rheinland-Pfalz, sehen wir dies wichtig es ist, Angehörige auf dem letzten Weg zu be- besonders deutlich. Der Bevölkerungsrückgang bei- gleiten und sie würdevoll sterben zu lassen. spielsweise im Kreis Birkenfeld liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt. Deswegen müssen wir dem demo- Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass die bisherigen grafischen Wandel so umfassend wie möglich und auch Regelungen zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und so schnell wie möglich begegnen. Beruf nicht ausreichend waren. Mit Blick auf die Zu- kunft brauchen wir deutlich mehr Maßnahmen. Die Be- Das Bundesfamilienministerium erwartet deutliche troffenen brauchen flexible Lösungen für ihre individu- Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung schon für ellen pflegerischen und beruflichen Herausforderungen. 2020, wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Er- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6369

Antje Lezius (A) werbsleben ausscheiden. Wir werden älter, und wir wer- zeitiger Beendigung der Familienpflegezeit ebenfalls be- (C) den weniger – und das regional verschieden. Die Bun- endet werden könnte. Zu den Konditionen einer befriste- desregierung hat sich deswegen diesem Thema schon ten Beschäftigung oder eines Zeitarbeitsverhältnisses 2012 mit einer umfassen Demografiestrategie gewidmet. sind beispielsweise ein Betriebstechniker oder eine Ver- In diese fügt sich der vorliegende Gesetzentwurf ein. fahrensspezialistin nicht zu bekommen. Die Pflege hat aufgrund der zu erwartenden Alters- Durch Wirtschaftsverbände wird insbesondere der struktur einen besonderen Stellenwert in der aktuellen Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit kritisch gese- und der zukünftigen Gesetzgebung. Bundesgesundheits- hen. Dem werden die freiwilligen Vereinbarungen ge- minister Gröhe nennt Verbesserungen der Pflege aus- genübergestellt, die schon heute in vielen Betrieben üb- drücklich einen Schwerpunkt dieser Bundesregierung lich sind. Laut DIHK bieten bereits 75 Prozent aller und stellt dies mit dem Pflegestärkungsgesetz unter Be- Unternehmen ab 1 000 Mitarbeitern gezielt Arbeitszeit- weis. modelle an, die die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gewährleisten sollen. Seit der Einführung (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder der Familienpflegezeit im Jahre 2012 ermöglichen über [CDU/CSU]: Guter Mann!) 25 Prozent der Unternehmen mit über 20 Mitarbeitern Dieses enthält zahlreiche Verbesserungen für Pflegebe- diese ihren Angestellten; 32 Prozent wollen in Zukunft dürftige und ihre Angehörigen. Das zeigt, wie bedeutend nachziehen. rechtzeitige Weichenstellungen für die Zukunft sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine zunehmende Anzahl an Pflegebedürftigen erfor- Weitere Beispiele für die unternehmerische Kreativi- dert auch einen zunehmenden Bedarf an Pflegekräften. tät, dem demografischen Wandel zu begegnen, finden So rechnet das Gesundheitsministerium damit, dass ab sich auch in regionalen Netzwerken, in Kooperationen 2015 pro Jahr durch die Pflegeversicherung bis zu mit anderen Unternehmen oder kommunalen und kirch- 45 000 zusätzliche Betreuungskräfte für die stationäre lichen Trägern. Die Unternehmen leisten dies im urei- Pflege finanziert werden können. Das ist richtig und gensten Interesse: zur Bindung vorhandener Mitarbeiter wichtig, um die vorhandenen Pflegekräfte zu entlasten und erfolgreichen Gewinnung neuer Mitarbeiter. Das und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. sind Sorgen der Arbeitgeber, die wir genauso ernst neh- Die häusliche Pflege ist aber deutlich wichtiger. So men müssen, wenn wir verantwortungsvolle Politik für werden zwei Drittel aller Pflegebedürftigen von ihren die Zukunft unseres Landes gestalten wollen. Angehörigen liebevoll zu Hause gepflegt. In einer Positiv sind die zahlreichen Verbesserungen, die der menschlichen Gesellschaft haben wir Verständnis dafür, Gesetzentwurf auch für die Unternehmen bringt. Die (B) (D) dass viele ältere Menschen nicht aus ihrem gewohnten Ankündigungsfristen für die Pflegezeit im Anschluss an Wohnumfeld gerissen werden möchten. Viele Pflegebe- die Familienpflegezeit und umgekehrt von zwölf Wo- dürftige fühlen sich wohler, wenn sie von ihren Angehö- chen halte ich für richtig und zielführend. Wir geben rigen betreut werden, anstatt Fremden anvertraut zu sein. Arbeitgebern damit die Möglichkeit, sich mit ihrer Per- Diese pflegenden Angehörigen sind aber heute häufig sonalplanung auf die veränderten Bedingungen einzu- selbst berufstätig. stellen. Als ehemalige Unternehmerin habe ich auch hier Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, für die Einwände der Unternehmer Verständnis, weil ich Pflege und Beruf kommt sozusagen ergänzend von der selbst erlebt habe, wie komplex Personalplanung, unter anderen Seite. Es schafft Erleichterung durch bessere anderem auch im Schichtbetrieb, sein kann. Gerade klei- Bedingungen für diejenigen, die pflegen. Der Kern des nere Unternehmen, die mit einem übersichtlichen Perso- vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Zusammenführung nalstamm auskommen müssen, können oft niemanden von Pflege- und Familienpflegezeit. Uns als Union geht entbehren. Wir begrüßen, dass es nun auch für kurzfris- es neben der Planungssicherheit für betroffene Arbeit- tige Auszeiten zur Organisation von Pflege klare Regeln nehmer und deren Familien aber auch um diejenigen, die geben wird. Wer pflegt, braucht einen sicheren Lebens- Arbeitsplätze schaffen. Uns als CDU/CSU liegen die Fa- unterhalt. milien am Herzen, und wir haben auch ein offenes Ohr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für die Wirtschaft. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Das bisherige Wertguthaben, das durch den Arbeitge- ber verwaltet wurde, wird durch ein direktes zinsloses Ich möchte hier nicht unerwähnt lassen, dass es zu Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesell- diesem Gesetz in der Wirtschaft reale Bedenken gibt. In schaftliche Aufgaben ersetzt. Das ist uns wichtig; denn meinem Wahlkreis, der ländlich geprägt ist, gibt es ei- auch dies entlastet besonders kleine Unternehmen von nige Unternehmen, die schon heute mit dem Fachkräfte- unnötiger Bürokratie. mangel erheblich zu kämpfen haben. Es ist dort bereits jetzt sehr schwer, gute Leute zu bekommen. Von einem Unternehmen wie Mitarbeiter wünschen sich für die mittelständischen kunststoffverarbeitenden Betrieb mit Vereinbarkeit von Pflege und Beruf flexible Lösungen, 160 Mitarbeitern werde ich zum Beispiel darauf hinge- die beiden Seiten gerecht werden. Zwei Drittel aller Be- wiesen, dass die Rekrutierung passender Ersatzkräfte im triebe hätten sich darüber hinaus über die bereits beste- Rahmen der Familienpflegezeit schwerfällt. Vor allem hende Familienpflegezeit bessere Informationen ge- ist das dann der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis bei vor- wünscht. Deswegen wünsche ich mir, dass wir mit 6370 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Antje Lezius (A) diesem Gesetz sorgsam umgehen und sowohl Arbeitge- Richtung der Grünenfraktion: Pflege und die Hilfe, die (C) ber als auch Arbeitnehmer besser und praxisnah darüber gebraucht wird, sind nicht schwarz-weiß zu sehen. Was informieren. wir machen, ist Folgendes: Wir vergrößern einen Bau- kasten und gestalten ihn für all diejenigen, die in einem Um sicherzustellen, dass die getroffenen Regelungen Pflegefall Hilfe brauchen, flexibler. zielgerichtet umgesetzt werden, setzen wir weiterhin ei- nen unabhängigen Beirat für die Vereinbarkeit von Beruf (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann und Pflege ein, was ich sehr begrüße. Durch die vorge- [DIE LINKE]: Wo ist denn das Gesamtkon- nommene Evaluation können die Bedürfnisse angepasst zept?) werden. Auch können wir über diesen Weg erfahren, wie Ich erwähne in diesem Zusammenhang, dass wir be- diese Instrumente angenommen und genutzt werden. reits das Pflegestärkungsgesetz 1 verabschiedet haben, Ein wesentlicher Aspekt des Themas „Pflege und fa- das deutlich mehr und flexiblere Leistungen für Pflege- miliäre Fürsorge“ ist die Konzentration auf die Frauen, bedürftige und deren Familien mit sich bringt. Ich nenne die traditionell im Wesentlichen damit befasst sind. Uns als Beispiel – das möchte ich ganz besonders betonen –, als Union ist bewusst, dass Frauen ihre berufliche Tätig- dass wir dafür gesorgt haben, dass Pflegesachleistungen keit und Weiterentwicklung aus familiären Gründen oft in niederschwellige Leistungen umgewandelt werden unfreiwillig hintanstellen. Hier wollen wir Hilfestellung können, damit die Familien flexibler handeln können. leisten. Gemäß der Zahlen der Initiative Neue Soziale Ich nenne aber auch das Pflegestärkungsgesetz 2, das Marktwirtschaft legen über 40 Prozent der Frauen zwi- 2017 verabschiedet werden soll und mit dem wir deutli- schen 20 und 39 Jahren ihre Berufstätigkeit auf Eis, um che Verbesserungen für Demenzkranke auf den Weg Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen. Dabei bringen werden. Da heute in der Debatte der Pflegebe- liegt der Anteil der Frauen, die in Deutschland familien- dürftigkeitsbegriff angesprochen worden ist: Wir erpro- bedingt auf Teilzeit ausweichen, mit 55 Prozent deutlich ben bereits die Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbe- über dem EU-Schnitt von 46 Prozent. griffes, und wir werden ihn spätestens 2017 im Gesetz festschreiben. Ich habe in zahlreichen Gesprächen, die ich zu diesem Thema geführt habe, die Sorge gehört, dass die Fami- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lienpflegezeit schon aus diesem Grund für Frauen pro- neten der SPD) blematisch sein könnte. Ich wünsche mir auch hier Aus- gewogenheit. Was wir neben gesetzlichen Regelungen Ich erwähne auch das Versorgungsstärkungsgesetz, aber genauso brauchen, ist ein gesellschaftlicher Be- über das wir derzeit diskutieren, in dem es um konkrete wusstseinswandel. Neben generationengerechten Lösun- Verbesserungen der medizinischen Versorgung von Pfle- gebedürftigen geht. Ich erwähne in diesem Zusammen- (B) gen brauchen wir hier einen gesellschaftlichen Werte- (D) wandel hin zu mehr Miteinander statt Nebeneinander. hang das Pflegeberufegesetz, das in nächster Zeit disku- Daher lautet mein Appell – das ist gleichzeitig meine tiert wird und in dem es um die Verbesserung der große Hoffnung –, dass Männer und Frauen genauso wie Pflegeausbildung und der Arbeitsbedingungen in der Politik und Wirtschaft mit diesem Gesetzentwurf in Pflege geht. gleichwertiger Verantwortung die richtigen Weichen für Aber ich denke im Rahmen unserer Krankenhauspoli- die Zukunft stellen. tik auch an unsere Krankenhausgesetzgebung. Qualität Herzlichen Dank. im Krankenhaus wird in Zukunft daran gemessen wer- den müssen, ob die Strukturen stimmen, ob es ein gutes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Entlassmanagement gibt, wie die Übergänge vom Kran- neten der SPD) kenhaus in die Pflege sind, wie Palliativversorgung und Hospizarbeit ausgestaltet sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: Bei all dem, was wir in der Pflegepolitik machen, Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Redner in die- steht für uns im Mittelpunkt: mehr Qualität, mehr Be- ser Debatte: Erwin Rüddel für die CDU/CSU-Fraktion. treuung und mehr Hände für gute Pflege in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe es mehrfach gesagt: Es wird in dieser Legisla- turperiode kein Gesundheitsgesetz geben, in dem der Aspekt der Pflege keine Rolle spielen wird. Ich kann in Erwin Rüddel (CDU/CSU): dieser Aufzählung auch das Präventionsgesetz erwäh- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen nen, in dem die Pflege wieder eine große Rolle spielen und Herren! Die Pflege ist in dieser Legislaturperiode wird. ein zentrales Thema. Die Koalitionsfraktionen haben den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und den Pfle- (Beifall bei der CDU/CSU) gekräften einen großen Wurf versprochen. Wir werden Wir haben den Pflegebedürftigen und ihren Familien so- Wort halten. wie all denen, die in der Pflege arbeiten, in unserem (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Da sind wir Koalitionsvertrag ein Versprechen gegeben. Dieses Ver- ja mal gespannt!) sprechen werden wir stringent einlösen. Wir setzen diesen großen Wurf Schritt für Schritt um. In dieses Gesamtkonzept fügt sich der Entwurf eines Die Familienpflegezeit ist ein wichtiger Baustein eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege großen Gesamtkonzeptes. Ich sage ganz bewusst auch in und Beruf sehr gut ein. Für meine Fraktion ist die Unter- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6371

Erwin Rüddel (A) stützung pflegender Angehöriger ein zentrales Anliegen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: (C) Ältere Menschen haben Anspruch auf ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben, und zwar Erste Beratung des von den Abgeordneten ungeachtet der Tatsache, dass Alter auch Leid und Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Krankheit, Hilfe und Pflegebedürftigkeit bedeuten kann. Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und Schicksalsschläge wie Demenz treffen nicht nur die der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Kranken, sondern ebenso auch die unmittelbaren Ange- wie den Abgeordneten Halina Wawzyniak, hörigen, die sehr oft zugleich berufstätig sind. Herbert Behrens, Dr. Petra Sitte, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion DIE LINKE einge- Beschäftigte haben künftig einen Rechtsanspruch auf brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Pflegeunterstützungsgeld aus der sozialen Pflegeversi- rung des Telemediengesetzes – Störerhaftung cherung. Wir haben bereits in der letzten Legislatur- Drucksache 18/3047 periode die Familienpflegezeit eingeführt und sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weiterentwickelt. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Die meisten Menschen wollen die Pflege naher Ange- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) höriger nicht delegieren. Sie möchten ihre Angehörigen Innenausschuss Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur nach Möglichkeit selbst betreuen und in ihrer gewohnten Ausschuss für Kultur und Medien Umgebung belassen. Umgekehrt gilt dies auch für die Ausschuss Digitale Agenda meisten pflegebedürftigen Menschen: Sie bauen auf die Federführung strittig Unterstützung ihrer Angehörigen in den vertrauten vier In einer interfraktionellen Vereinbarung wurde festge- Wänden. Diesem Anliegen trägt der vorliegende Gesetz- halten, dass dafür 38 Minuten vorgesehen sind. – Ich entwurf, auch in Verbindung mit all den Gesetzesinitia- höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so be- tiven, die ich eben vorgetragen habe, mit einer Vielzahl schlossen. von hilfreichen Angeboten Rechnung. Dabei gewinnen alle: die Pflegebedürftigen, die pflegenden Beschäftigten Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat und die Unternehmer. Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen. Als Pflegepolitiker wünsche ich mir, dass wir diese (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [Die Angebote künftig durch noch mehr niederschwellige und Linke] – Marcus Held [SPD]: Wenigstens je- familiennahe Maßnahmen ergänzen und unterstützen. mand von links für die Grünen!) Dabei denke ich an aufsuchende Angebote für ältere – Der Fanklub ist auch schon da. Menschen, an Vernetzung und Kooperation in der Alten- (B) hilfe und Gesundheitsförderung sowie an die Stärkung (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) professioneller und ehrenamtlicher Strukturen in den NEN und bei der LINKEN) Kommunen. Ein letztes Wort zu den Unternehmen; denn ich weiß, Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE dass es aus der Wirtschaft vereinzelt Kritik gibt. Kluge GRÜNEN): und weitblickende Unternehmer haben längst erkannt, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dass ihnen die demografische Entwicklung, die langfris- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vo- tige Finanzierung unserer Sozialsysteme und der Bedarf raussetzung für die Teilhabe in und an der digitalen Ge- an qualifizierten Erwerbstätigen künftig gar keine andere sellschaft ist ein möglichst barrierefreier Zugang zum Wahl lässt, als die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu Netz. verbessern. Deshalb sage ich den Kritikern, dass wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durchaus im wohlverstandenen Interesse der Unterneh- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) men handeln, und knüpfe daran die Hoffnung, dass unser Vorhaben weiterführende und innovative Lösungen in Dem steht aber eine 2010 durch ein BGH-Urteil entstan- den Betrieben selbst befördert. dene Rechtsunsicherheit für die Betreiber von WLAN- Netzen entgegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Für meine Fraktion sage ich ganz deutlich: Wir müs- sen die verloren gegangene Rechtssicherheit endlich Vizepräsidentin Claudia Roth: wieder herstellen. Deswegen ist eine gesetzliche Rege- lung überfällig. Vielen Dank, Herr Kollege – Ich schließe die Aus- sprache. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksachen 18/3124 und 18/3157 an die in Vollmundig haben Sie in den letzten Wochen von Ih- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- rer unterfinanzierten und ideenlosen Digitalen Agenda gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Diese gibt geredet, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen es nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Koalition. Jetzt gibt es wahrscheinlich einen Platzwechsel. Ich (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ bitte Sie, das zügig zu tun. CSU und der SPD) 6372 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Dr. Konstantin von Notz (A) – Ah, Sie leben noch, das ist gut. – Aber gute Politik ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) scheidet sich nicht an wohlfeilen Reden auf irgendwel- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) chen IT-Gipfeln, sondern daran, was man konkret tut. Ihr Umgang mit dem Problem der Störerhaftung steht dabei Ihr Unterlassen geschieht vorsätzlich. In Ihrem Koali- sinnbildlich für Ihr anhaltendes Fremdeln mit dem Digi- tionsvertrag schreiben Sie selbst, liebe Kolleginnen und talen. Kollegen von der SPD, dass Sie die Rechtssicherheit für Betreiber von WLAN-Netzen herstellen wollen. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt, Sie attestieren dem Status quo Rechtsunsicherheit. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Doch was machen Sie? Ihre drei federführenden Minis- ter verheddern sich erneut in einem Kompetenzgerangel, Er steht für eine Verweigerungshaltung, den digitalen das seinesgleichen sucht. Plötzlich wollen Sie Provider- Wandel unserer Gesellschaft aktiv zu gestalten – im privilegierung nur noch auf kommerzielle, nicht aber auf Sinne der Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die private Anbieter ausweiten. Wirtschaft in unserem Land, für Start-ups, kleine und mittelständische Unternehmen und die Industrie. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Hier könnte die Regierung Merkel/Gabriel fernab al- ler Hochglanzagenden und Sonntagsreden tatsächlich Sonst könnte möglicherweise jeder sein Netz öffnen. einmal etwas Richtiges tun und gesetzgeberisch gestal- Aber genau darum geht es. Herzlichen Glückwunsch! ten. Aber sie tut es nicht, und wir müssen hier zum x-ten Mal über dieses Thema diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Unser Gesetzentwurf schafft eine Regelung sowohl Thomas Jarzombek [CDU/CSU]) im Sinne derjenigen, die ihre WLAN-Netze anderen Menschen gegenüber öffnen wollen – darunter Privat- – Herr Jarzombek, schön, dass Sie da sind. personen, Freifunkinitiativen, aber auch Betreiber von Warum halten Sie das Funknetz einer Privatperson ei- Hotels, Gaststätten, Bahnhöfen, Flughäfen usw. –, als gentlich für eine solche Gefahr, Herr Jarzombek, auch im Sinne derjenigen, die diese Netze nutzen wol- len, weil sie sich beispielsweise keinen eigenen Zugang (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das tun wir leisten können oder – Achtung, ganz lebenspraktisch – nicht!) wenn sie unterwegs arbeiten wollen. das Netz bei McDonalds, in einem Hotel oder einem (Marcus Held [SPD]: Das muss man hier da- Café aber nicht? Das ist doch offensichtlich wider- zusagen!) sprüchlich. (B) (D) Die Liste derjenigen, die sich für eine gesetzgeberi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sche Reform einsetzen, ist lang. Klar ausgesprochen ha- und bei der LINKEN) ben sich zahlreiche Landesparlamente, der Bundesrat, die Justizministerkonferenz, die Freifunkinitiativen und Warum haben Sie Angst vor einer Regelung, die überall zahlreiche Wirtschaftsverbände. Und nicht zuletzt haben sonst auf der Welt zu keinerlei Problemen führt? Warum wir uns selbst erst in der Enquete-Kommission und dann schwadronieren die zuständigen Minister in völliger Un- im Deutschen Bundestag ganz klar dafür ausgesprochen, kenntnis des § 13 des Telemediengesetzes in der Bun- meine Damen und Herren. despressekonferenz erneut von Einfallstoren für ano- nyme Kriminelle, die man schaffe? Das erinnert mich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr, Kollege Jarzombek, an das Vermummungsverbot und bei der LINKEN) im Internet. Alle fordern eine Reform. Niemand ist mit dem Status (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN quo zufrieden. Sie versprechen sogar diese Reform. Seit und bei der LINKEN) Jahren aber geschieht nichts. Bis heute ist nichts passiert. Ich sage Ihnen, warum das so ist. Hier kommen die alten Sie haben in den letzten Wochen großspurig erklärt, Ressentiments durch, die wir lange überwunden ge- Sie wollen Deutschland zum „digitalen Wachstumsland glaubt haben. Auf die netzpolitischen Podien werden Nummer 1“ machen, und schaffen es nicht einmal, die gerne Sie geschickt, Herr Jarzombek. Störerhaftung zu beseitigen. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: So viel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ehre gebührt mir auch nicht!) und bei der LINKEN) Die Netzpolitik aber macht . Das ist netz- Wer soll denn Ihre digitale Wirtschaftspolitik mit all den politische Steinzeit. lustigen Schlagworten wie Industrie 4.0 ernst nehmen? Wer soll Ihnen abnehmen, dass Sie die seit Jahren unbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arbeiteten netzpolitischen Großbaustellen im Breit- und bei der LINKEN) bandausbau, Datenschutz, Urheberrecht und bei der Die SPD freut sich jetzt. Aber auch Sie muss ich fra- Netzneutralität meistern werden, wenn Sie selbst beim gen: Wo stehen Sie eigentlich auf dem Feld? kleinen Einmaleins scheitern, meine Damen und Her- ren? (Marcus Held [SPD]: Mittendrin!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6373

Dr. Konstantin von Notz (A) Auf der letzten Bundespressekonferenz haben Sie noch aus, dass sich dieser Trend fortsetzt. Ende 2017 soll die (C) einen schnieken Antrag vorgelegt. Heute hört man von Marke von 20 Milliarden Geräten weltweit überschritten Ihnen in der Debatte nichts mehr, außer subversiven sein. In Deutschland ist die Verbreitungsrate WLAN-fä- Kram von Herrn Gabriel. Das reicht nicht. higer Endgeräte bereits heute weit überdurchschnittlich. Gerade der Trend hin zu Smartphones, Tablets oder (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- WLAN-fähigen Fernsehern hat dazu geführt, dass die NEN – Lachen bei der SPD) Adaptionsrate mit rund drei Geräten pro Kopf deutlich Wir fordern Sie gemeinsam mit den Kolleginnen und über dem derzeitigen weltweiten Durchschnitt liegt. Kollegen der Linken sowie einer höchst engagierten Auch in Deutschland wird sich der Trend weiter fortset- Szene rund um die digitale Gesellschaft, aus deren Mitte zen. 2018 rechnen Experten mit einer Gerätezahl in immer wieder Impulse für diese Debatte kamen und Deutschland von 400 Millionen. kommen, auf: Ermöglichen Sie bei uns endlich, was Es existieren neben den eingangs erwähnten Bahn- überall sonst auf der Welt bis auf China, Russland und und Busreisen eine Vielzahl von Situationen, in denen Nordkorea eine Selbstverständlichkeit ist! sich Menschen Zugang zum Netz über öffentlich zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gängliche Hotspots wünschen, zum Beispiel in Einkaufs- bei der LINKEN – Lachen bei der SPD) zentren, auf Messen, in Museen, Bibliotheken oder im Bereich der Gastronomie. Die wirtschaftlichen Potenziale Geben Sie sich einen Ruck, und beheben Sie mit uns ge- und Vorteile, die sich aus einer flächendeckenden meinsam diesen unerträglichen Zustand! Versorgung mit WLAN-Zugängen ergeben, sind vielfäl- Ganz herzlichen Dank. tig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE und bei der LINKEN – Thomas Jarzombek GRÜNEN]: Dann mal los!) [CDU/CSU]: Das war Kabarett! Kommen wir Der flächendeckende Einsatz von WLAN-Technologie jetzt zur Sache!) wird ganz generell einen Beitrag zur digitalen Grundver- sorgung Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege von Notz. – Es ist schön, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE dass das eine so spannende und lebendige Debatte ist. GRÜNEN]: Alles richtig!) Nächster Redner ist Hansjörg Durz, Augsburg-Land, sowie zur Versorgung mit breitbandigen Internetzugän- für die CDU/CSU-Fraktion. gen insbesondere in ländlichen Räumen leisten. Darauf (B) aufbauend können durch die bessere Verfügbarkeit von (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- WLAN innovative Dienste und Services besser und in- neten der SPD) tensiver genutzt werden und sich dadurch neue Produkte Ich bin aus Augsburg-Stadt. Deswegen darf ich Augs- und Anwendungen schneller entwickeln und auf dem burg-Land ganz herzlich begrüßen. Markt etablieren. Auch der Einzelhandel kann durch die Bereitstellung Hansjörg Durz (CDU/CSU): von WLAN für seine Kunden profitieren. Indem der sta- Frau Präsidentin, Sie haben Augsburg perfekt ausge- tionäre mit dem elektronischen Handel verknüpft wird, sprochen. etwa durch die Nutzung mobiler Bezahlsysteme Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! GRÜNEN]: Alles wahre Worte!) Heute in einem Monat wird die Deutsche Bahn ihren oder die Bereitstellung zusätzlicher Produktinformatio- Fahrgästen in allen 255 ICEs kostenlosen Internetzugang nen durch QR-Reader, bieten sich hier neue Chancen. So über WLAN anbieten. betont auch der Handelsverband Deutschland die Bedeu- (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! – tung von öffentlich zugänglichem WLAN – ich zitiere –: Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- „WLAN-Angebote könnten … dazu beitragen, dass In- NEN]: Jetzt kommt die Nummer!) nenstädte wieder lebendiger und attraktiver werden.“ Das ist zunächst zwar nur beschränkt auf die 1. Klasse. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Aber geplant ist, das Angebot zu erweitern. Dahinter GRÜNEN]: Dann machen Sie es endlich! – steht der Wunsch der Kunden, der in Fernbussen bereits Gegenruf des Abg. Marcus Held [SPD]: Jetzt erfüllt ist, auf ihren Reisen mobile Endgeräte kostenlos bleib doch mal cool, Mensch!) nutzen zu können. Die Menschen wollen nahezu immer Im Tourismus ist die Bedeutung von WLAN riesig. und überall Zugang zum Netz haben. Nach einer Umfrage unter Hotelgästen wird die Verfüg- Die Verbreitung WLAN-fähiger Endgeräte entwickelt barkeit von Internet mit weitem Abstand als die wich- sich sowohl in Deutschland als auch global in einer tigste zusätzliche Annehmlichkeit während eines Auf- atemberaubenden Rasanz. Ende 2013 übertraf mit rund enthalts benannt, noch vor Fernseher und Badewanne. 7,5 Milliarden die Zahl der Geräte erstmals die Zahl der Übrigens: Drei Sterne und mehr erhält nur das Hotel, das auf der Erde lebenden Menschen. Experten gehen davon seinen Gästen einen Internetzugang im Hotel zur Verfü- 6374 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Hansjörg Durz (A) gung stellt. Der praktische Nutzen sowie die wirtschaft- tung der Providerprivilegierung auf jeden, auch privaten (C) lichen Vorteile sind unbestritten. Da sind wir uns einig. Inhaber eines WLAN-Zugangs ohne jegliche Form von Registrierung, wie auch immer die aussehen mag, kann Dennoch: In Deutschland existieren vor allem im Ver- aber nicht die Lösung sein. gleich zu vielen anderen führenden Industrienationen zwar sehr viele WLAN-Zugänge, aber deutlich zu we- nige offene WLAN-Hotspots, auf die jeder kostenfrei Vizepräsidentin Claudia Roth: zugreifen kann. Woran liegt das? Das wurde bereits aus- Herr Kollege. geführt. Fakt ist: Nach derzeitiger Rechtsprechung des BGH riskiert in Deutschland derjenige, der ein offenes Hansjörg Durz (CDU/CSU): WLAN betreibt, die Gefahr teurer Abmahnungen bei Bei allen Vorteilen offener Internetzugänge: Wir müs- Rechtsverletzungen Dritter. Diese Rechtsunsicherheit sen uns mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass ein für WLAN-Betreiber ist der wesentliche Hemmschuh höheres Maß an Anonymität beim Internetzugang auch für die Bereitstellung solcher Hotspots. negative Folgen entfalten kann. Das Problem haben die Koalitionsfraktionen erkannt, und sie greifen es im Koalitionsvertrag auf. Es findet Vizepräsidentin Claudia Roth: sich in der Digitalen Agenda wieder. Bundesminister Herr Kollege. Gabriel hat angekündigt, in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen. Hansjörg Durz (CDU/CSU): (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Der Vorschlag der Opposition zu Ende gedacht – so- GRÜNEN]: Das kündigt er seit Monaten an! – fort –, bedeutet, – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir haben ihm die Arbeit abgenommen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das will ich nicht unterbrechen. Bedeutet was? Nun haben die Oppositionsfraktionen einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Problem lösen soll, in- (Heiterkeit) dem das sogenannte Providerprivileg durch eine Ergän- zung des Telemediengesetzes auf kommerzielle und pri- Hansjörg Durz (CDU/CSU): vate WLAN-Betreiber erweitert wird. Dadurch würden – dass sich im Zweifel jeder WLAN-Besitzer, auch Betreiber öffentlicher WLANs haftungsrechtlich ge- der kriminelle, auf das Providerprivileg zurückziehen werblichen Internetanbietern, die bereits heute von der und nicht mehr haftbar gemacht werden kann. Haftung freigestellt sind, gleichgestellt. Um es vorweg- (B) (D) zunehmen: Der vorgelegte Ansatz ist zu simpel; denn für (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Rechtsverletzungen Dritter werden keine Lösungen vor- GRÜNEN]: Das ist ja ungeheuerlich!) geschlagen. Das Thema wird im Antrag nicht einmal er- wähnt. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU) So, jetzt fragt Ihr von allen Podien bekannter Kollege, ob er Ihnen eine Frage stellen oder eine Bemerkung ma- Wir sind uns alle der Potenziale von WLAN bewusst, chen darf. und es herrscht Einigkeit hier im Deutschen Bundestag über das Ziel, die Verbreitung von WLAN-Zugängen zu Hansjörg Durz (CDU/CSU): erhöhen. Die Bundesregierung hat im Rahmen der Digi- Bitte. talen Agenda angekündigt: Wir werden Rechtssicherheit für die Anbieter solcher WLANs im öffentlichen Be- (Marcus Held [SPD]: Das darf ja wohl nicht reich, beispielsweise Flughäfen, Hotels, Cafés, schaffen. wahr sein! – Weiterer Zuruf von der SPD: Diese sollen grundsätzlich nicht für Rechtsverletzungen Streber! – Gegenruf des Abg. Dr. Konstantin ihrer Kunden haften. – Sie hat aber auch erklärt: Wir von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da werden die Verbreitung und Verfügbarkeit von mobilem mault der Koalitionspartner!) Internet über WLAN verbessern. Dabei werden wir da- rauf achten, dass die IT-Sicherheit gewahrt bleibt und Thomas Jarzombek (CDU/CSU): keine neuen Einfallstore für anonyme Kriminalität ent- Ich habe einen großen Wissensbedarf, Herr Kollege stehen. – In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Durz. Ihr Vorredner, der Kollege von Notz, hat umfang- (Beifall bei der CDU/CSU) reiche konkrete Kritik an einem Gesetzentwurf geübt. Dabei ging es um die Unterteilung zwischen kommer- Ich bin sicher, dass die Bundesregierung mit Hoch- ziellen und nichtkommerziellen Anbietern. Jetzt möchte druck an einer Regelung arbeitet, die es erlaubt, die Vor- ich einmal fragen, Herr Kollege Durz, ob ein entspre- teile einer flächendeckenden Verfügbarkeit von WLAN chender Gesetzentwurf vorliegt, sich in der Abstimmung im öffentlichen Raum zu nutzen, gleichzeitig aber einen befindet oder Ihnen bekannt ist? praktikablen Weg findet, dass sich die Nutzung nicht komplett anonym abspielt. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Für Flughäfen, Hotels, Cafés, Gewerbetreibende usw. Mir ist nicht bekannt, dass ein Gesetzentwurf wie der, wird es sicher Lösungen geben. Eine einfache Auswei- der in der Rede erwähnt wurde, vorliegt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6375

Hansjörg Durz (A) (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Vielen Jetzt sind Sie vielleicht verwirrt und sagen: Das ist (C) Dank!) Quatsch. – Zu Recht; es ist Quatsch. Aber das ist der jet- zige Zustand bei der Störerhaftung, beim Zugänglichma- Vizepräsidentin Claudia Roth: chen von WLANs für Dritte. Dieser Zustand ist natürlich nicht zu akzeptieren. Vielen Dank. – Jetzt geht es weiter in Ihrer Rede, Herr Durz. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Um es noch einmal jenseits des Autobeispiels deut- Meine sehr geehrten Damen und Herren, um einer- lich zu machen: Wer heute für Dritte seinen WLAN-An- seits die Potenziale zu heben schluss öffnet und damit anderen den Zugang zum Inter- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: net ermöglicht, wird für Urheberrechtsverletzungen Sie verheben sich gerade!) verantwortlich gemacht und muss gegebenenfalls den Schaden ersetzen. Dazu gibt es jede Menge Urteile des und andererseits den beschriebenen Problemen zu be- Bundesgerichtshofes, und der sagt: Das Haftungsprivi- gegnen, bedarf es einer intelligenten, aber auch pragma- leg gilt nicht. tischen Lösung. Dieser Zustand ist verheerend. Erst letzte Woche hat (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE der Internetverband eco aufgeschlüsselt, wie die Situa- GRÜNEN]: Ja, wie sieht die aus?) tion in Deutschland aussieht: Nur 15 000 von 1 Million Der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung Hotspots sind frei zugänglich. In Deutschland kommen soll in Kürze folgen. Diesen sollten wir abwarten. Dann auf 10 000 Einwohner deutlich weniger Hotspots als in haben wir wieder die Gelegenheit, uns über einen Vor- anderen Ländern. Als Konsequenz fordert eco – was schlag zu unterhalten, der dann aber alle Aspekte be- wohl? – die Abschaffung der Störerhaftung, und zwar zu rücksichtigt. Recht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Die Vorteile offener WLANs liegen auf der Hand: Gewerbetreibende hätten die Möglichkeit, ihren Kunden einen weiteren Service anzubieten, Kommunen könnten Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) offene WLANs aufbauen, und jeder könnte sein WLAN (D) Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der für seinen Nachbarn öffnen – ohne Angst. Vor allem aus Debatte ist Halina Wawzyniak für die Linke. sozialen Gesichtspunkten ist dies etwas, was ausge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. sprochen sinnvoll ist; denn Menschen mit geringem Ein- Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE kommen könnten so die Möglichkeiten des Internets GRÜNEN]) kostenlos nutzen. Das wirkt sich insbesondere auf die Bildungschancen von Kindern aus; denn Kinder ohne In- ternetzugang sind von Onlineangeboten, die kostenfrei Halina Wawzyniak (DIE LINKE): verfügbar sind, abgeschnitten. Offene WLANs könnten Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen also einen Beitrag dazu leisten, die digitale Spaltung der und Kollegen! Herr Durz, ich habe bis zur Hälfte Ihrer Gesellschaft zu verringern. Rede gedacht, dass Sie sich bei den Grünen und der Lin- ken dafür bedanken, dass wir Ihre Arbeit gemacht und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Leider Gottes des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) musste ich zum Ende Ihrer Rede feststellen, dass Sie an die Störerhaftung offensichtlich überhaupt nicht heran- Nachdem wir den Koalitionsvertrag gelesen hatten, wollen. dachten wir zunächst, auch die Koalition habe begriffen, dass die Abschaffung der Störerhaftung sinnvoll ist. Stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie fahren mit Ih- rem Auto eine Straße entlang. Dann passiert es: Ein kur- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE zer Moment der Unachtsamkeit, zu spät gebremst, und GRÜNEN]: Zu früh gefreut!) Sie fahren mit Ihrem Auto auf das Auto Ihres Vorder- – Ja, Konstantin von Notz sagt es: „Zu früh gefreut“; manns oder Ihrer Vorderfrau auf. Normalerweise ist das denn irgendwann kam die Digitale Agenda. Über die hat eine sehr teure Angelegenheit. Aber zum Glück brau- er im Übrigen gesprochen und nicht über den Gesetzent- chen Sie sich keine Sorgen zu machen; denn Sie waren wurf. Mit der Digitalen Agenda geht es wieder einen ja auf einer Straße unterwegs, und deswegen werden Schritt zurück. Denn nach ihr soll die Störerhaftung nur nicht Sie für den Unfall belangt, sondern ein Dritter. abgeschafft werden für gewerbliche Betreiber und Ge- Schließlich hatte der Dritte Ihnen die Straße zur Verfü- schäfte, nicht aber für Private. Das ist einfach unver- gung gestellt, und hätte er dies nicht getan, hätten Sie da- ständlich und nicht nachvollziehbar. rauf nicht fahren können und hätten auch keinen Unfall bauen können. Ergo muss der Dritte für den entstande- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten nen Schaden geradestehen und nicht Sie. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 6376 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Halina Wawzyniak (A) Wir haben Ihre Arbeit gemacht. Wir und die Grünen Marcus Held (SPD): (C) haben gemeinsam einen Gesetzentwurf vorgelegt, des- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und sen Verabschiedung das Problem beheben würde. Wir Herren! Die digitale Welt ist schon heute grenzenlos, sie haben uns dabei auf Expertise der Digitalen Gesellschaft macht nicht Halt an Schlagbäumen und unterscheidet bezogen. Wir können es ganz einfach machen: Wir über- keine Kontinente. Wir Bürgerinnen und Bürger sehen weisen den Gesetzentwurf, beraten ihn in den Ausschüs- den Zugang zum Internet heute als Normalität an. Den- sen, und noch am Ende dieses Jahres wäre es möglich, noch ist der Zugang vielen Menschen verwehrt, oder sie die Störerhaftung abzuschaffen. können nur sehr eingeschränkt auf das Internet zugrei- fen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Deshalb müssen wir dringend sicherstellen, dass auch Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE in Deutschland ein flächendeckender Zugang zum Inter- GRÜNEN]: Ganz große Politik! – Tankred net möglich ist, schrankenlos, räumlich wie auch zeit- Schipanski [CDU/CSU]: Schlimme Rechtsun- lich. Diese Aufgabe müssen wir sehr ernst nehmen; denn sicherheit! Das wurde Ihnen eingehend er- nur so garantieren wir gesellschaftliche Teilhabe an der klärt! Es ist nicht besser geworden!) Wissensvermehrung und somit auch an Bildung. Wir können es uns nicht leisten, dieses enorme Potenzial für Der vorliegende Gesetzentwurf kommt Ihnen viel- unser Land nicht zu heben. Ich spreche ganz konkret die leicht bekannt vor: Er lag in der letzten Legislaturpe- Versorgungsproblematik im ländlichen Raum an; denn riode schon einmal vor. Da hat er leider keine Mehrheit das Internet kann in Deutschland leider noch immer gefunden. nicht flächendeckend in einer angemessenen Geschwin- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Er ist nicht digkeit genutzt werden. besser geworden!) Um zügig Verbesserungen zu erreichen, brauchen wir Aber wenn Sie Ihren Koalitionsvertrag ernst nehmen, einfache, niederschwellige Lösungen, die auch Kleinan- dann könnte er diesmal eine Mehrheit finden. Wir kön- bieter wie Cafés, Campingplätze, Schulen oder auch nen Sie einfach nur dazu auffordern, das gemeinsam mit Museen erfüllen können. Wir dürfen keine zusätzlichen den Grünen und uns hier mit großer Mehrheit zu be- bürokratischen Schranken aufbauen. Dies gilt auch und schließen. gerade für den Mittelstand, für Angebote von Bil- dungseinrichtungen und Möglichkeiten in touristi- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schen Zentren. Dass die Versorgung mit einem schnel- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) len Internetzugang für die wirtschaftliche Stärke und für Chancengleichheit bei der gesellschaftlichen Entwick- (B) (D) Wir schlagen als Lösung des Problems vor, die in § 8 lung in Städten, aber auch ganz besonders im ländlichen des Telemediengesetzes geregelte Haftungsfreistellung Raum eine große Rolle spielt, zeigt uns der internatio- auf gewerbliche und nichtgewerbliche Betreiber von nale Vergleich; denn andere Länder machen es uns heute WLANs auszuweiten. Zum einen wollen wir klarstellen, schon vor: In Italien beispielsweise wird der öffentliche dass auch Betreiber von WLANs als Diensteanbieter im WLAN-Ausbau durch staatliche Zuschüsse gefördert. In Sinne des § 8 Telemediengesetz gelten; damit würden Estland hat man schon 1997 begonnen, alle Schulen mit die dort aufgeführten Regelungen ebenfalls für diese öffentlichem WLAN zu versorgen. Und in den USA hat zutreffen. Dabei soll es egal sein, ob sie den Zugang ab- Barack Obama jetzt angekündigt, 3,2 Milliarden Dollar sichtlich oder, aufgrund unzureichender Sicherungsmaß- investieren zu wollen, um alle Schulen in den Staaten bis nahmen, fahrlässig anbieten. Es geht uns mit dem Ge- 2018 zu versorgen. setzentwurf darum, die Störerhaftung in diesem Bereich zu beseitigen und die Haftungsfreistellung auch auf An- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE sprüche auf Unterlassung auszuweiten. GRÜNEN]: Muss man auswandern!) Noch einmal: Es ist sehr einfach, der Gesetzentwurf In Deutschland gibt es kommunale Leuchttürme wie liegt auf dem Tisch. Lassen Sie uns ihn heute überwei- zum Beispiel in Passau, wo nach der Jahrhundertflut sen! Lassen Sie uns ihn Anfang Dezember in den Aus- 2013 kostenfreies ganzheitliches WLAN zur Verfügung schüssen beraten, und dann lassen Sie uns an dieser gestellt wurde Stelle den Koalitionsvertrag ernst nehmen und alle ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) meinsam die Störerhaftung abschaffen. – da klatschen die Passauer, jawohl –, um die Wirtschaft Danke schön. und die Einwohnerschaft entsprechend mit Wissen ver- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sorgen zu können. NIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir Wettbewerbsfähigkeit ernst nehmen, dann brauchen wir, meine Damen und Herren, flächendecken- Vizepräsidentin Claudia Roth: des WLAN, um in Bereichen wie dem Tourismus inter- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der national ernst genommen zu werden und gewerbliche Debatte: Marcus Held für die SPD. Ansiedlungen überall in Deutschland zu ermöglichen. Gerade im ländlichen Raum ist es für Neuansiedlungen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der elementar, arbeiten zu können, und das kann man heute CDU/CSU) eben nur mit entsprechend schnellem Internetzugang. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6377

Marcus Held (A) Wie können wir dieses Ziel erreichen? ganz abgeschlossen, werden aber sicherlich in Kürze be- (C) endet sein, sodass hier ein entsprechender Vorschlag auf (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE den Tisch kommt. Sie können sich also darauf verlassen, GRÜNEN]: Ja, wie?) dass die Umsetzung dieses Punktes der Koalitionsver- Mit Investitionen im gewerblichen Bereich. Aber auch einbarung für die SPD von großer Bedeutung ist, damit im privaten Sektor müssen Hürden genommen werden, offene Funknetze in öffentlichen Räumen auch in die eben schon angesprochen worden sind. Deutschland zur Normalität werden, so wie sie bereits heute in vielen anderen Ländern in Europa und der Welt (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Normalität sind. GRÜNEN]: In unserem Gesetzentwurf!) Vielen Dank. Hier spreche ich insbesondere das Thema der Störer- haftung an. Es wäre nicht nachzuvollziehen, wenn die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Störerhaftung für Gewerbetreibende abgeschafft würde, der CDU/CSU) sie aber für Private erhalten bliebe. Mit Privaten meine ich zum Beispiel auch engagierte WLAN-Vereine, die es Vizepräsidentin Claudia Roth: in Städten und Gemeinden, gerade auf dem flachen Vielen Dank, Herr Kollege Held. – Nächster Redner Land, sehr häufig gibt. Ich denke, das Know-how dieser in der Debatte: Axel Knoerig für die CDU/CSU-Frak- WLAN-Vereine sollten wir dringend nutzen; wir sollten tion. die Vereine positiv mit in die Verantwortung nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Axel Knoerig (CDU/CSU): Die Störerhaftung muss für alle abgeschafft werden; Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten denn Anbieter von WLAN dürfen nicht dafür verant- Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wortlich gemacht werden, was die Nutzer tun. Es ist heute alltäglich, dass wir in allen Lebenslagen on- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten line sind: Wir nutzen den Laptop am Flughafen, das der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Smartphone beim Einkaufen oder das Tablet im Café, GRÜNEN) um drahtlos im Internet zu surfen. Derzeit sorgt die Regelung zur Störerhaftung dafür, dass (Zuruf von der SPD: Vor allen Dingen im Bun- eben nicht beim Rechtsverletzer angesetzt wird, sondern destag!) (B) der Anbieter als Dritter in die Pflicht genommen wird. Dafür werden an vielen Orten WLAN-Netze bereitge- (D) Das muss sich ändern; ich glaube, da sind wir uns einig. stellt. Ich danke deshalb im Namen der SPD-Fraktion für (Dr. [DIE LINKE]: Nein!) die Vorlage des Gesetzentwurfs, der dem Ausbau der di- gitalen Infrastruktur einen Impuls gibt. Sie haben heute Die Oppositionsfraktionen haben nun einen Gesetz- einen Musterentwurf vorgelegt, der der digitalen Gesell- entwurf zur Änderung des Telemediengesetzes vorge- schaft entspringt und somit auch gute, wichtige Impulse legt. Es geht dabei um die sogenannte Störerhaftung. der Zivilgesellschaft aufgreift. Selbstverständlich wird Diese bezieht sich auf die Inhaber von WLAN-An- der von Ihnen eingebrachte Entwurf in die weiteren schlüssen: Wer seinen Internetzugang anderen zur Verfü- Überlegungen innerhalb der Koalition einbezogen. Denn gung stellt, muss für deren Rechtsverstöße haften. Das auch für uns, die SPD, ist es wichtig, die Nutzung der betrifft zum Beispiel Familienmitglieder, Mitbewohner, Potenziale der digitalen Infrastruktur voranzubringen, Gäste und Kunden. die aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten lei- Allerdings hat der Bundesgerichtshof entschieden, der noch brachliegen. Wir werden uns also um Rechtssi- dass man nur haften muss, wenn man seine Prüfpflichten cherheit kümmern, was dringend geboten ist. verletzt hat. Die Wahrung dieser Pflichten geschieht Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Poten- durch Verschlüsselung und individuelle WLAN-Pass- ziale der lokalen Funknetze auszuschöpfen und mobiles wörter sowie durch Einwilligung der Nutzer in eine Internet über WLAN für jeden verfügbar zu machen. Datenspeicherung. Die Opposition fordert nun, dass flä- Denn das Recht auf freie und unbeobachtete Kommuni- chendeckend WLAN-Netze für jedermann frei zugäng- kation hat in Deutschland Verfassungsrang. Natürlich lich sein sollen. muss auch ermittelt werden, wenn es Anhaltspunkte für (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Rechtsverletzungen gibt – das ist völlig klar –; aber das GRÜNEN]: Der Bundesrat auch!) kann nicht gleichzeitig bedeuten, dass alle Bürgerinnen und Bürger, die freies WLAN nutzen, unter einen Gene- Dazu will sie das Haftungsprivileg der Internetprovider ralverdacht gestellt werden; das muss auch für die digi- auf alle ausweiten, die ihren WLAN-Zugang für weitere tale Gesellschaft gelten. Die Digitale Agenda hat dieses Nutzer öffnen. wichtige Ziel des Koalitionsvertrags aufgegriffen. Ich möchte das derzeitige Haftungsproblem an einem Im Moment finden zwischen den Ressorts die Ab- Beispiel aus meinem Wahlkreis Diepholz – Nienburg I stimmungen zur Vorlage eines entsprechenden Gesetz- veranschaulichen. Dort hat nämlich der Betreiber des entwurfs statt. Die Beratungen hierzu sind noch nicht Hotels „Roshop“ in Barnstorf den Service der Nutzung 6378 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Axel Knoerig (A) des WLAN-Netzes angeboten. Da die Gäste immer wie- Ich ergänze: Internetkriminelle dürfen sich nicht länger (C) der illegale Downloads vornehmen, hat er schon zahlrei- hinter den Inhabern von WLAN-Anschlüssen vor Straf- che Abmahnungen von Rechteinhabern erhalten. verfolgung verstecken können. Deswegen ist die Bun- desregierung gefordert, zügig ihren Gesetzentwurf Welche Möglichkeiten hat nun der Hotelier als An- vorzulegen. Wir sagen: Unsere Netzpolitik ist voraus- schlussinhaber? Er bietet seinen Gästen den WLAN-An- schauend und auch verantwortungsvoll. Wir müssen alle schluss nicht weiter an und ist somit in der Hotelbranche rechtlichen Seiten prüfen, und zwar zusammen mit allen nicht mehr wettbewerbsfähig. betroffenen Ressorts. Das unterscheidet uns von Ihnen, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Herr Notz, da Sie mit Ihrem Antrag im Grunde einen GRÜNEN]: Da ist der Gesetzgeber gefragt!) Schnellschuss vorlegen. Oder aber, er bietet weiter freien Zugang zum WLAN- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin Netz an und muss ständig steigende Abmahnkosten be- von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zahlen. Oder drittens, er vergibt an jeden Gastnutzer ein Und vom Bundesrat!) individuelles Passwort und holt zugleich die Einwilli- Wir setzen lieber darauf, zusammen mit allen beteiligten gung zur Erfassung der Nutzerdaten ein. Im Falle eines Akteuren einen ausgewogenen, umfassenden Gesetzent- Rechtsverstoßes kann er so nachweisen, wer diesen be- wurf zu erarbeiten. Ob Rechteinhaber, Internetprovider, gangen hat. Anschlussinhaber oder WLAN-Nutzer, sie alle müssen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE in einem Entwurf gleichermaßen berücksichtigt werden. GRÜNEN]: Oder er wählt Grün und Links und Doch Ihr Entwurf von den Grünen und den Linken geht kriegt ein gutes Gesetz!) zulasten der Rechteinhaber und insgesamt zulasten der Datensicherheit. Wir von der Union halten fest: Das Für diese Variante hat sich der Hotelier in meinem Wahl- geistige Eigentum muss geschützt werden. Es darf kei- kreis entschieden. nen Freifahrtschein für Urheberrechtsverletzungen ge- Doch selbst dieser bürokratische Aufwand entlässt ben. Das ist gerade für den Forschungs- und Wissen- ihn nicht aus der Haftung. Das ist entscheidend. Als An- schaftsstandort Deutschland außerordentlich wichtig. schlussinhaber muss er beweisen, dass er jede einzelne (Beifall bei der CDU/CSU) betroffene Webseite nicht besucht hat. Das bedeutet ständige Anwaltskosten und zusätzliche Belastungen in Ein wichtiger Aspekt beim Thema Störerhaftung ist einer weiterhin unsicheren Rechtslage. außerdem die digitale Kompetenz der Nutzer. Jüngsten Studien zufolge ist der Digitalisierungsgrad in Deutsch- (B) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE land nur auf mittlerem Niveau. Da müssen wir ansetzen. (D) GRÜNEN]: Und deswegen?) Wir stehen in der Verantwortung, Internetnutzer aufzu- – Und deswegen müssen wir gewerbliche WLAN-Inha- klären, damit sie ihren digitalen Umgang sicherer gestal- ber wie den Hotelier in Barnstorf schützen. ten. Wir müssen die digitale Bildung und den verantwor- tungsbewussten Umgang mit IT-Systemen in allen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Altersstufen fördern. Schließlich sind in unserer heuti- GRÜNEN]: So ist es!) gen Welt unsere Daten unser höchstes Gut. In dieser Sache geht es grundsätzlich nicht nur um Urhe- Es wird schon seit Jahren gefordert, auch im Deut- berrechtsverletzungen, sondern vielmehr um den Daten- schen Bundestag den Internetzugang auf WLAN-Tech- schutz im Internet insgesamt. Doch das, Herr von Notz, nik auszuweiten. klammern Sie als Opposition in Ihrem Antrag völlig aus. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!) GRÜNEN]: Der Bundesrat auch!) Wir wissen doch, dass hier im Regierungsviertel nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Ver- nur Mobiltelefone, sondern auch WLAN-Netze extrem deutlichung möchte ich eine Zahl nennen, die uns auf- abhörgefährdet sind. schrecken lässt. Im vergangenen Jahr wurden rund 21 Millionen Menschen in Deutschland von Internetkri- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE minellen geschädigt. GRÜNEN]: Das ist der Status quo! Geht ohne WLAN!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hinterwäldlerisch ist das!) Daher bedarf auch dieses Thema, Herr Notz, einer um- sichtigen Debatte. Wir von der Union fordern deshalb verschlüsselte Funk- netze; denn im Gegensatz zu offenen Netzen schützen Genauso muss uns bewusst sein, dass die sichere Ver- sie vor Hackerangriffen, Wirtschaftsspionage und Da- netzung eine wesentliche Grundlage für unseren wirt- tenklau. schaftlichen Erfolg ist. Unser Ziel ist die bestmögliche IT-Sicherheit zum Schutz unserer Unternehmen. Dieses Thema drängt. Die bestehende Rechtslage muss den Entwicklungen im Netz angepasst werden. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach abschalten! Gar kein In- (Beifall bei der CDU/CSU) ternet!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6379

Axel Knoerig (A) Dazu haben wir ein Projekt, das wir als Leuchtturmpro- Axel Knoerig (CDU/CSU): (C) jekt herausstellen, nämlich das Zukunftsprojekt Industrie Herr von Notz, wir sind uns sicherlich einig, dass wir 4.0, das aufzeigt, dass unsere Leitbranchen nur durch dann, wenn wir nationale Angelegenheiten durchdenken, weltweite Vernetzung, Digitalisierung und Internet inter- als Erstes natürlich den europäischen Markt und dann national wettbewerbsfähig bleiben. auch den internationalen Markt in den Blick nehmen müssen. Das heißt im Klartext für unsere Software- und (Beifall bei der CDU/CSU) IT-Branche, dass nationale Vorgaben uns auf internatio- Das alles darf aber nicht dazu führen, dass wir durch nalen Märkten im Grunde genommen hemmen. falsche oder übertriebene Sicherheitsbedenken Furcht Sie haben die europäische E-Commerce-Richtlinie vor Big Data und der Digitalisierung entwickeln; denn angesprochen. dann werden wir, wie unsere Bundeskanzlerin in diesem Jahr auf dem IT-Gipfel vortrefflich formulierte, nicht zu (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE den Wertschöpfungsketten vorstoßen. GRÜNEN]: Genau!) (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das unter- Wo befindet die sich zurzeit? Wir erwarten jetzt – dabei scheidet uns von den Grünen!) ist mit „jetzt“ eher gemeint: in ein bis zwei Jahren –, dass der EuGH zu einer Rechtsprechung kommt und uns Das geplante IT-Sicherheitsgesetz zielt daher auf die auf diese Weise hilfreiche Vorgaben gibt. richtige Balance zwischen Schutz und Umsetzbarkeit Es bleibt dabei: Es ist nicht im Interesse deutscher von Sicherheitsstandards ab. Unternehmungen, wenn wir auf nationalem Feld voran- Ich komme zu einem weiteren Aspekt, den der Ge- marschieren; wir müssen es europäisch und international setzentwurf der Opposition vernachlässigt, Herr Notz. anpacken. Sie haben nämlich völlig vergessen, dass die Haftungs- (Beifall bei der CDU/CSU) frage im europäischen Kontext zu sehen ist. Ihr Entwurf verkennt die Tatsache, dass wir es beim Internet mit ei- Haftungsfragen, meine sehr verehrten Damen und nem globalen Netz zu tun haben. Alle Äußerungen, die Herren, müssen in der digitalen Welt auf internationaler Sie hier gemacht haben, waren lediglich auf nationale Ebene gelöst werden. Sie dürfen nicht bei kleinen natio- Themen fokussiert. nalen Regelungen enden und einer Umsetzung des euro- päischen digitalen Binnenmarkts vorgreifen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich wiederhole es gern: Auch der Europäische Ge- Herr Kollege, erlauben Sie eine Bemerkung oder richtshof beschäftigt sich mit dieser Haftungsproblema- (B) Zwischenfrage von Konstantin von Notz? tik. Sein Urteil wird zur Klärung der Rechtslage beitra- (D) gen. Axel Knoerig (CDU/CSU): Darüber hinaus – das ist nicht im engeren Zusammen- Herzlich gern. hang damit zu sehen, aber im weiteren Zusammenhang damit – muss die EU-Datenschutz-Grundverordnung zü- gig verabschiedet werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Wenn man diese Themen aneinanderreiht, mit einer europäischen Komponente, dann kann auch die natio- nale Politik hier sinnhaft Vorgaben machen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. Das ist nett. Ich mache es auch kurz, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und ich habe mich nur gemeldet, weil Sie mich jetzt neten der SPD) dreimal darauf angesprochen haben. Wissen Sie denn, was die E-Commerce-Richtlinie der Vizepräsidentin Claudia Roth: Europäischen Union besagt? Ihre Unterscheidung zwi- Vielen Dank, Herr Kollege Knoerig. – Letzter Redner schen öffentlichem Hotel-WLAN und privatem WLAN in dieser Debatte: Christian Flisek für die SPD. kommt darin überhaupt nicht vor. Gerade weil Sie euro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten päisch denken müssen, müssen Sie freie WLAN-Netze der CDU/CSU) gewährleisten. Das tun Sie aber nicht. Sie regieren jetzt schon so viele Jahre; das sage ich gerade in Richtung der Union. Es ist hinterwäldlerisch, dass in Deutschland Christian Flisek (SPD): diese Regelung noch existiert; vom Bundestag will ich Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen gar nicht reden. In vielen anderen Ländern ist das nicht und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als 1997 das der Fall. So können Sie nicht argumentieren. Mit Europa Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz vom brauchen Sie gar nicht zu kommen; das geht genau in die deutschen Gesetzgeber verabschiedet wurde, haben wir andere Richtung. tatsächlich Neuland betreten. Dieses Gesetz war eine Pioniertat. Es war das erste spezifische Internetgesetz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Man hat damals gleichsam Maßstäbe für ganz Europa und bei der LINKEN) gesetzt – und das, wohlgemerkt, in einer Zeit, als es 6380 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Christian Flisek (A) Google noch nicht gab und jemand wie Mark Zuckerberg konstruktiven Beitrag zur Debatte zu loben. Die einlei- (C) mit 13 Jahren vielleicht noch andere Dinge im Kopf tende Rede war dann weniger konstruktiv. hatte als die Gründung von Facebook; von Twitter, Spotify und Skype ganz zu schweigen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ehrt mich, Herr Flisek!) Zehn Jahre lang spiegelte dieses Gesetz die föderale Ich betone aber ausdrücklich, dass ein solcher Beitrag Ordnung unseres Landes wider mit dem Nebeneinander von uns ernst genommen wird, weil er – darauf wurde ja von Teledienstegesetz und Mediendienste-Staatsvertrag. bereits vom Kollegen Held hingewiesen – eben mitten Der Bund hat die Regelung der Individualkommunika- aus der Zivilgesellschaft stammt. tion für sich reklamiert, die Länder haben die Zuständig- keit für die Massenkommunikation für sich beansprucht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Dieses Nebeneinander und die daraus resultierenden Ab- GRÜNEN]: Der war sehr viel konstruktiver grenzungsschwierigkeiten waren eher eine Arbeitsbe- als Sie jetzt!) schaffungsmaßnahme für Rechtswissenschaftler; es war keine vernünftige Regelung. Ich hoffe, dass ich mit diesem Lob durch die Blume deutlich gemacht habe, dass wir diesem Gesetzentwurf Seit 2007 werden die Regelungen zu diesem Bereich nicht zustimmen werden, schlicht und ergreifend des- im Wesentlichen im Telemediengesetz zusammenge- halb, weil wir in der Großen Koalition einen eigenen er- fasst. Dieses Gesetz regelt die Anbieterkennzeichnung, arbeiten werden, der noch einige weitere Aspekte, die die Informationspflichten, den bereichsspezifischen Da- dringend notwendig sind, berücksichtigt und genau für tenschutz für das Internet und eben auch die Provider- diesen angemessenen Ausgleich der Interessen aller Be- haftung. teiligten steht. Wesentliche Weichenstellungen bei der Providerhaf- Herzlichen Dank. tung haben sich somit seit 1997 eigentlich nicht verän- dert. Die Rechtsprechung hat darauf aufgebaut und die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Grundsätze weiterentwickelt. Das wurde in der heutigen Debatte auch schon angesprochen. Was sich allerdings Vizepräsidentin Claudia Roth: verändert hat, ist die technische Entwicklung. Durch Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich leistungsfähige, vor allen Dingen mobile Endgeräte ist diese Aussprache. der Bedarf an WLANs, in die wir uns überall einschalten können, gestiegen. Auch das Nutzerverhalten hat sich Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf weiterentwickelt. Streaming mag hier als ein Stichwort Drucksache 18/3047 an die in der Tagesordnung aufge- (B) genügen. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Es gibt aber einen (D) Streit über die Federführung. Darüber müssen wir jetzt Auf diese Entwicklung hat sich die Koalition einge- entscheiden. lassen. Sie hat sich vorgenommen, hierauf angemessen Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen zu reagieren. Wir wollen ein mobiles Internet in ganz Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Ener- Deutschland für jedermann verfügbar machen. Wir wol- gie, die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die len das Potenzial lokaler WLANs nutzen, vor allem des- Linke wünschen Federführung beim Ausschuss für wegen, weil wir dies als einen ganz wesentlichen Beitrag Recht und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst über den zum digitalen Fortschritt in Deutschland sehen. Ich bin Überweisungsvorschlag der Fraktionen Bündnis 90/Die dem Kollegen Held dankbar, dass er Passau als Beispiel Grünen und Die Linke abstimmen, also Federführung zitiert hat. Danke für diesen Werbeblock. Das ist natür- beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer lich ein schönes Beispiel für die funktionierende und his- stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer torisch gewachsene pfälzisch-bayerische Freundschaft. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei- Zu dem notwendigen Breitbandausbau gehört auch sungsvorschlag ist trotz Zustimmung von Bündnis 90/ eine Novellierung des Telemediengesetzes. Das eine hat Die Grünen und der Linken mit der Mehrheit von CDU/ mit dem anderen viel zu tun. Wir werden die Haftungsre- CSU und SPD abgelehnt. gelungen so ausgestalten, dass der Betrieb eines WLANs Wir müssen jetzt aber trotzdem über den Überwei- nicht zu einem unkalkulierbaren Haftungsrisiko wird, sungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der aber auch nicht zu einer Einladung zu massenhaften SPD abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Rechtsverletzungen. Berücksichtigt man dann noch, dass Wirtschaft und Energie. Wer stimmt für diesen Überwei- eine freie und unbeobachtete Kommunikation Verfas- sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sungsrang hat, dann genügen, glaube ich, diese wenigen sich? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Aussagen, um das sehr komplexe Problemfeld zu skiz- Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen zieren und deutlich zu machen. Wir werden als Große von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenom- Koalition auf einen angemessenen Ausgleich der Inte- men. ressen aller Beteiligten hinarbeiten. Die Nutzer spielen hier eine wesentliche Rolle, die WLAN-Betreiber, aber Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: eben auch die Rechteinhaber. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Lieber Konstantin von Notz, bis zu Ihrer Rede hätte eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ich eigentlich vorgehabt, auch die Grünen für diesen Umsetzung von Empfehlungen des NSU- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. 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Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Untersuchungsausschusses des Deutschen das Nebeneinander verschiedener Untersuchungen kön- (C) Bundestages nen wertvolle Informationen verloren gehen, weil der eine nicht weiß, was der andere bereits herausgefunden Drucksache 18/3007 hat. Um genau das zu verhindern, wollen wir in diesen Überweisungsvorschlag: Fällen eine zentrale Ermittlungstätigkeit bei den Exper- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss ten des Generalbundesanwalts möglich machen. Der Wechsel des Bundeslandes darf nicht mehr dazu führen, b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker dass sich Täter der Strafverfolgung entziehen können. Beck (Köln), Luise Amtsberg, Kai Gehring, wei- Auch das ist eine Lehre aus den Geschehnissen, und wir terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ziehen jetzt die Konsequenzen. NIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hasskriminalität wirkungsvoll statt symbo- der CDU/CSU) lisch verfolgen Der zweite Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit Drucksache 18/3150 der sogenannten Hasskriminalität. Wir stellen im Straf- Überweisungsvorschlag: gesetzbuch nun ausdrücklich klar: Bei der Festsetzung Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) der Strafe sind auch rassistische, fremdenfeindliche oder Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe sonstige menschenverachtende Beweggründe des Täters zu berücksichtigen. Dadurch soll die Bedeutung dieser Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Motive für die Strafzumessung der Gerichte hervorgeho- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- ben werden. Damit bezwecken wir aber vor allen Din- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gen, dass Staatsanwaltschaft und Polizei ihre Ermittlun- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Bun- gen von vornherein auch auf solche Motive erstrecken. desminister Heiko Maas für die Bundesregierung. Die Taten rechter Gewalttäter können so künftig nicht mehr als Kneipenschlägereien, Nachbarschaftskonflikte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten oder Jugendsünden abgetan werden. Wir erhoffen uns der CDU/CSU) davon, dass bereits bei der Ermittlung der Fokus darauf gelegt wird, ob Taten vorliegen, die möglicherweise ei- Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver- nen rassistischen Hintergrund haben. braucherschutz: Der Untersuchungsausschuss hat festgestellt, dass das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und oft halbherzige Vorgehen der Ermittlungsbehörden im (B) Herren! Vor einer Woche haben wir hier an die Aufde- Fall des NSU, aber auch das Vorgehen der Justiz in den (D) ckung der Verbrechen des sogenannten Nationalsozialis- 90er-Jahren die rechte Szene in dieser Zeit sogar radika- tischen Untergrundes erinnert. Wir waren uns dabei ei- lisiert hat. Das galt ganz besonders für das NSU-Trio im nig, dass wir aus der Mordserie und aus den Fehlern, die Thüringer Heimatschutz. bei ihrer Aufklärung gemacht worden sind, die richtigen Konsequenzen ziehen müssen. Solchen Entwicklungen wird der Staat in Zukunft ent- schiedener entgegentreten, entgegentreten müssen und mit Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir den gesetzlichen Grundlagen, die wir schaffen, auch ent- die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses gegentreten können. Rechte Gewalttaten sollen als das zur Zuständigkeit des Generalbundesanwalts um und än- ermittelt und bestraft werden, was sie tatsächlich sind, dern das Strafgesetzbuch. Der Gesetzentwurf enthält nämlich besonders verwerfliche Angriffe auf schutzbe- zwei Teile, mit denen wir die unterschiedlichen Lehren, dürftige Opfer und auf unsere offene Gesellschaft insge- die wir aus dem Geschehenen gezogen haben, abbilden samt gerichtete Gewalttaten. Deshalb ist diese Änderung wollen. bitter notwendig. Der erste Teil erweitert den Spielraum des General- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bundesanwaltes. Er soll die Ermittlungen in Zukunft der CDU/CSU) schon dann an sich ziehen können, wenn eine Tat beson- dere Bedeutung und objektiv staatsschutzfeindlichen Das sind – daraus mache ich gar keinen Hehl – kleine Charakter hat. Bislang ging das nur, wenn zusätzlich Schritte auf dem Weg zu einer verbesserten Aufklärung auch noch feststand, dass der Täter eine staatsschutz- solcher Taten, auch von Hassverbrechen und insbeson- feindliche Zielvorstellung hatte. Das ist zu Beginn der dere solch abscheulicher Hassverbrechen wie die, die Ermittlungen aber oft noch gar nicht bekannt. Deshalb wir heute dem sogenannten NSU zuschreiben können. wollen wir das ändern. Wir wollen so sicherstellen, dass Ich glaube dennoch: Jeder einzelne Schritt, auch wenn es der Generalbundesanwalt frühzeitig eingeschaltet wird, nur ein kleiner ist, ist wichtig, wenn wir unser Ziel, dafür wenn es um rassistische Taten geht, wie es bei denen des zu sorgen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommen NSU der Fall gewesen ist. Der Gesetzentwurf stellt au- kann, erreichen wollen. ßerdem klar, dass gerade bei länderübergreifenden Fäl- Halit Yozgat ist am 6. April 2006 in Kassel erschos- len mit Staatsschutzbezug eine Zuständigkeit des Gene- sen worden. Als er erschossen wurde, war sein Vater ralbundesanwalts gegeben sein kann. Ismail ganz in seiner Nähe. Er wollte ihn nachmittags Aus den Versäumnissen bei den Ermittlungen zum hinter dem Tresen des Internetcafés ablösen, das die Fa- NSU haben wir vor allen Dingen eines gelernt: Durch milie betrieb. Als Ismail Yozgat ankam, lag sein Sohn 6382 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Bundesminister Heiko Maas (A) bereits im Sterben. Bis die Hintergründe dieser Tat fünf Schon nach der jetzigen Fassung von § 46 StGB sind (C) Jahre später endlich geklärt waren, stand Ismail Yozgat, Richter und Staatsanwälte gehalten, die Tatmotivation der Vater, auch selbst lange im Fokus der Ermittlungen. bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Sie machen Er hatte seinen Sohn verloren und wurde nun auch noch dies aber vor allem bei rassistisch motivierten Gewaltta- zum Verdächtigen gestempelt. Trotzdem sagte und sagt ten in der Regel nicht, wie nicht zuletzt die skandalösen Ismail Yozgat, sein Vertrauen in die deutsche Justiz sei Urteile zu rassistischen Angriffen in Pirna und Bernburg immer groß gewesen und es bleibe groß. Meine Damen eindrücklich gezeigt haben. und Herren, ich finde, wir müssen nun alles tun, um die- Richter und Staatsanwälte, die in Fällen von rechter ses große Vertrauen in unsere Justiz zu rechtfertigen. Gewalt keine rassistische Tatmotivation anerkennen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie weil der Angriff, wie sie sagen, spontan und unter Alko- bei Abgeordneten der LINKEN) holeinfluss erfolgt sei, werden auch in Zukunft am Kern des Problems vorbeigehen: Rassismus ist eine Haltung, Dieser Gesetzentwurf ist ein Baustein dafür. Das ist die sich in unterschiedlichster Form und bei unterschied- ein Baustein, um aus einem nachlässigen wieder einen lichen Gelegenheiten gewaltförmig Bahn bricht. Des- wehrhaften Staat zu machen. Das sind wir ihm, Ismail halb sagen wir: Dieser Gesetzentwurf ist verfehlt. Yozgat, und allen Opfern der Verbrechen des NSU bitter (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. schuldig. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich danke Ihnen. NEN]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch der erleichterten Übernahme von Verfahren durch die Generalbundesanwaltschaft stehen wir skeptisch ge- genüber. Was nützt diese Maßnahme, wenn zum Beispiel Vizepräsident : in Fällen von 23 Brandanschlägen auf Flüchtlingsunter- Die Kollegin Martina Renner spricht jetzt für die künfte, die in den ersten drei Quartalen dieses Jahres ge- Fraktion Die Linke. zählt wurden, die Generalbundesanwaltschaft in keinem einzigen Fall tätig geworden ist, obwohl sie die Über- (Beifall bei der LINKEN) nahme der Ermittlungen geprüft hat? Ich sage dazu: Wir brauchen eine inhaltliche Neujustierung in Bezug da- Martina Renner (DIE LINKE): rauf, wie Justiz mit rechtsextremer und rassistischer Ge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegen walt umgeht, und keine symbolische Gesetzesänderung. und Kolleginnen! Noch immer ereignen sich täglich (Beifall bei der LINKEN) zwei bis drei politisch rechts motivierte oder rassistisch (B) geprägte Gewalttaten in Deutschland. Daran hat sich An anderer Stelle hinkt die Bundesregierung weiter (D) nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen bei der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Unter- Untergrunds überhaupt nichts geändert. Im Gegenteil: suchungsausschusses hinterher, nämlich bei der Forde- Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine rung, dass zukünftig bei allen Gewalttaten gegen Mig- Kleine Anfrage meinerseits hervorgeht, haben die Poli- rantinnen und Migranten auch Rassismus als Tatmotiv zeien der Länder seit dem 4. November 2011 über mitermittelt werden muss. Dafür hat der Untersuchungs- 200 rechte Straf- und Gewalttaten registriert, mit denen ausschuss eine Änderung der sogenannten RiStBV vor- die Täter sich explizit und für alle erkennbar offen und geschlagen. Im Sommer sollte hierzu eine Abstimmung positiv auf den NSU beziehen und seine rassistischen in der Justizministerkonferenz stattfinden. Nun ist es Morde und Anschläge verherrlichen. Herbst, und diese wirklich dringende Vorgabe lässt im- mer noch auf sich warten. Wir unterstützen deshalb aus- Einige Beispiele für rassistische Gewalttaten aus den drücklich den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der letzten Monaten: Ende September wird ein syrischer sich dieser Thematik annimmt. Arzt in Lößnig bei Leipzig von einem maskierten Mann (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- mit einem Baseballschläger angegriffen und rassistisch NIS 90/DIE GRÜNEN) beleidigt. Mitte Juli schlagen und bedrohen in Gardele- gen ein Dutzend Neonazis, die T-Shirts mit der Auf- Unsere Forderungen nach Umsetzung der gemeinsam schrift „Kameradschaft Kommando Werwolf“ trugen, beschlossenen Empfehlungen aus den NSU-Untersu- eine Wirtin, die öffentlich Flüchtlinge unterstützt. chungsausschüssen gehen aber weiter. Die Untersu- chungsausschüsse haben deutlich gemacht, dass institu- Ob die Strafverfolgungsbehörden, die rassistische und tioneller Rassismus die polizeilichen Ermittlungen zur politisch rechte Motivation dieser Taten erkennen und Ceska-Mordserie sowohl im Umgang mit den Angehöri- vor Gericht angemessen würdigen werden, ist leider gen geprägt als auch bei der Suche nach den Tätern mas- vollständig offen. Daran wird auch der vorgelegte Ge- siv behindert hat. Wir fordern eine umfassende Studie, setzentwurf überhaupt nichts ändern. Denn die vom die nach Rassismus im Polizeiapparat fragt und uns end- Bundesjustizministerium vorgeschlagene Änderung des lich verlässliche Zahlen gibt, damit die Debatte insbe- § 46 StGB ist inhaltlich beliebig und viel zu weit gefasst. sondere bei denen, die dieses Phänomen negieren, auf Sie verfehlt das Ziel und beschränkt sich auf eine gefähr- sachliche Grundlagen gestellt werden kann. Das Gleiche liche Symbolpolitik. gilt übrigens für die längst überfällige Einrichtung von unabhängigen Polizeibeschwerdestellen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6383

Martina Renner (A) Noch ein paar Worte zum Bundesprogramm. Auch des NSU-Untersuchungsausschusses. Das sind wir uns, (C) bei der Umsetzung der dringend empfohlenen Unterstüt- das sind wir den Opfern schuldig. zung der Projekte gegen Rechtsextremismus ist die Ko- alition, so sagen wir, auf halber Strecke stehen geblie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ben. Statt die Mittel auf 50 Millionen Euro zu erhöhen, Der Gesetzentwurf der Bundesregierung trägt dieser fehlen jetzt immer noch 10 Millionen Euro. Das macht Verpflichtung Rechnung. Mit dem Gesetzentwurf wer- sich vor allem im Westen bemerkbar, wo beispielsweise den im Bereich der Justiz und Strafverfolgung zwei in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen im- wesentliche Anker gesetzt, die vielleicht nicht die Welt mer noch spezialisierte Opferberatungsstellen fehlen. verändern, die aber im Zusammenspiel der Strafverfol- Auch wenn der Haushaltsausschuss in letzter Minute gungsbehörden und auch bei der Bemessung der Strafe das Förderprogramm auf 40 Millionen Euro aufgestockt die notwendigen Akzente setzen, um vergleichbare hat, entspricht dies meiner Meinung nach keineswegs Sachverhalte zukünftig zu verhindern. den Schlussfolgerungen, die wir aus dem NSU-Komplex (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ziehen: Mit den Erhöhungen sollen nämlich in Zukunft GRÜNEN]: Verbrechen!) auch noch Salafismus und Islamismus als Schwerpunkte bearbeitet werden. Ich bin durchaus der Meinung, dass Wir ändern die Zuständigkeit des Generalbundesan- Salafismus und Islamismus ein drängendes Problem walts in Staatsschutzsachen. Das ist eine sensible Mate- sind. Allerdings benötigt die Auseinandersetzung damit rie. Denn es geht hier nicht nur um die Frage, wofür der ein eigenes differenziertes Programm. Generalbundesanwalt zuständig ist, sondern es handelt sich auch um eine Frage im Kernbereich des Verhältnis- (Beifall bei der LINKEN) ses zwischen dem Bund und den Ländern. Die Länder Die Lehren aus dem NSU-Komplex zu ziehen, bedeu- sind nach unserem Grundgesetz grundsätzlich auch zur tet eine verstärkte gesamtgesellschaftliche Auseinander- Verfolgung und Aburteilung von Strafsachen zuständig. setzung mit Rassismus auf allen Ebenen, auch in den In- Der Bund hat nur eine sehr begrenzte Zuständigkeit, die stitutionen. Ein antiextremistischer Gemischtwarenladen er vor dem Hintergrund unseres Verfassungsgefüges sehr wird diesem Problem keineswegs gerecht werden. sensibel und zurückhaltend wahrzunehmen hat. Den- noch sind die hier vorgeschlagenen Maßnahmen vor Wir hatten versucht, zwei Änderungsanträge in die dem Hintergrund unserer Verfassungsordnung notwen- heutige Debatte einzubringen. Mit dem einen wollten dig. Ja, ich meine, sie sind auch geboten. wir die Aufstockung der Mittel für das Bundesprogramm auf 50 Millionen Euro erreichen. Die Frage der Zuständigkeit des Generalbundesan- walts bei Staatsschutzsachen darf sich zukünftig nicht (B) mehr stellen, wenn die Straftaten „bestimmt und geeig- (D) Vizepräsident Johannes Singhammer: net sind“. Denn im Untersuchungsausschuss ist zu Recht Frau Kollegin Renner, Sie denken an die vereinbarte festgestellt worden, dass die Frage der subjektiven Mo- Redezeit! tivlage des Vorsatzes nur sehr schwer zu bemessen ist. Wenn dann der Generalbundesanwalt im Zweifel, weil Martina Renner (DIE LINKE): diese subjektiven Umstände nicht vorhanden sind, auf Okay. – Mit dem anderen wollten wir uns für ein hu- seine Möglichkeiten verzichtet, dann ist der Staat viel- manitäres Bleiberecht für die Opfer rassistischer Gewalt leicht nicht so wehrhaft, wie er tatsächlich sein müsste. engagieren. Beides durfte der Beratung heute nicht bei- Deswegen ist es richtig, dass zukünftig die objektive Be- gefügt werden. Wir bedauern das sehr und glauben, dass stimmung einer Tat ausreicht, die Kompetenz des Gene- diese Entscheidung der Sache schadet und allein partei- ralbundesanwalts zu begründen. politisch motiviert ist. Das tut der Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex nicht gut. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Es ist auch richtig, dass die Staatsanwaltschaften der Länder zukünftig eine Vorlagepflicht gegenüber dem Vizepräsident Johannes Singhammer: Generalbundesanwalt haben. Damit soll sichergestellt Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Volker werden, dass der Generalbundesanwalt bei länderüber- Ullrich. greifenden Sachverhalten – seien wir ehrlich, Verbrecher (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und Feinde unserer Freiheit halten sich nicht an Länder- grenzen – von sich aus prüft, ob seine Kompetenz be- gründet ist und er mit seinem Apparat und mit seinen Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Möglichkeiten die Strafverfolgung an sich zieht. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor zehn Tagen hat der Deutsche Bundestag in Das setzt etwas voraus, worüber wir in den nächsten einer würdigen Debatte des dritten Jahrestages der Auf- Jahren sprechen müssen, nämlich die tatsächliche Fähig- klärung der Terrorzelle des Nationalsozialistischen Un- keit des Generalbundesanwalts als Behörde, diesem er- tergrunds gedacht. Das Gebot der Stunde ist nicht nur die höhten Arbeitsaufwand Rechnung zu tragen. Es kann weitere Aufklärung der noch offenen Fragen, sondern nicht sein, dass wir in einem Gesetzentwurf wohlfeile auch ein entschiedenes und entschlossenes Handeln. Das Worte und mehr Kompetenzen begründen, aber dem Ge- bedeutet für uns die Abarbeitung der 47 Empfehlungen neralbundesanwalt dann nicht die Möglichkeiten bieten, 6384 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Dr. Volker Ullrich (A) diese Kompetenzen auszufüllen. Deswegen bedeutet den? Das ist nur ein Beispiel; es gibt ja auch viele andere (C) eine Stärkung des Generalbundesanwalts auch eine per- Verfahren, in denen es um ähnliche Themen und Verbre- sonelle und sachliche Aufstockung. Anders geht es chen geht. Sind Sie also der Auffassung, dass Motive nicht. wie Hass und Ähnliches, die Sie jetzt ins Gesetz aufneh- men wollen, bei der Strafzumessung derzeit nicht be- (Beifall bei der CDU/CSU) rücksichtigt werden? Auch die zweite Stufe dieses Gesetzesvorhabens ist ein wichtiger Schritt im Bereich unserer Strafrechts- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): pflege: die Verankerung von rassistischen, fremden- Herr Kollege Ströbele, ich nehme den Verfassungs- feindlichen und menschenverachtenden Motiven bei der grundsatz der Gewaltenteilung ernst. Deswegen werde Strafzumessung. ich mich als Mitglied des Deutschen Bundestages nicht (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE zu einem laufenden Strafverfahren äußern. GRÜNEN]: Das gibt es doch schon! Nichts ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Neues!) NEN]: Er hat ja allgemein gefragt!) Bislang ist im § 46 des Strafgesetzbuches eine Aufzäh- Wenn Sie aber allgemein fragen, ob diese Strafbemes- lung von Motiven spezieller Art nicht zu finden. Es ist sungsvorschriften eine Relevanz haben oder nicht, so ein Paradigmenwechsel in der Systematik des Straf- muss ich Ihnen erwidern, dass Sie nicht ordentlich zuge- rechts, dass wir von einer allgemeinen Grundlage der hört haben. Strafzumessung hin zu speziellen Motiven kommen. Auch bislang finden besondere Motive, wenn es um die ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Er kann aber lesen!) Schuld geht, schon Berücksichtigung. Wir haben im Grunde genommen also keine strafrechtliche, sondern Ich habe gerade gesagt, dass die Motivlage eines Täters eine rechtspolitische und moralische Regelungslücke. schon nach dem jetzigen § 46 Strafgesetzbuch Berück- Diese schließen wir mit diesem Gesetzentwurf. sichtigung findet und finden muss, (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber warum Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im wird es nicht gemacht? Es wird ja nicht ge- Strafrecht!) macht!) Auch wenn hier „rassistisch“ und „fremdenfeindlich“ dass es hier aber um die rechtspolitische und moralische steht und es damit in erster Linie, wie Sie formuliert ha- Grundsatz- und Wertentscheidung des Gesetzgebers ben, um die Opfer rechtsextremer Gewalt geht, geht die- geht, besondere Motive in Worte zu fassen, (B) ser Gesetzentwurf natürlich weiter. Er richtet sich gegen (D) (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Feinde unserer Freiheit insgesamt. Er richtet sich ge- NEN]: Weiße Salbe) gen Linksextreme. Er richtet sich gegen Dschihadisten, gegen Salafisten, gegen alle, die aus tiefster Überzeu- um damit die Wertentscheidung, die der Gesetzgeber ge- gung unsere Freiheit und andere Menschen angreifen. troffen hat, deutlich zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/ neten der SPD) CSU]: Sehr richtig! Nicht nur gegen die Ich darf abschließend sagen: Wir müssen aufpassen, Rechtsextremisten!) dass diese Änderung des § 46 Strafgesetzbuch so formu- Es wird abzuwarten sein, wie sich die besondere Strafzu- liert und von der Rechtspraxis so gelebt wird, dass die messung in der Rechtspraxis bewähren wird. Vertreter unserer rechtsprechenden Gewalt revisions- feste Urteile schreiben können. Es darf nicht so sein, Vizepräsident Johannes Singhammer: dass wir Gutes gewollt, letzten Endes aber für eine schwierige Situation gesorgt haben. Herr Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischen- frage oder Bemerkung des Kollegen Ströbele? Aber abgesehen von der Frage einer rechtlichen Än- derung ist es wichtig, dass wir insgesamt das Bewusst- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): sein eines demokratischen und wehrhaften Rechtsstaates Ja. pflegen und dass wir alle aufgerufen sind, dafür einzu- treten, dass Unrecht dem Recht weicht, dass die Men- schenwürde und der demokratische Rechtsstaat in keiner Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sekunde und bei keiner Gelegenheit zur Diskussion ge- NEN): stellt werden. Herr Kollege, danke. – Wenn Sie sagen: „Da muss das Strafrecht verändert werden“, meinen Sie damit, dass in Das ist die wichtigste Botschaft dieses Gesetzentwur- dem laufenden Prozess vor dem Oberlandesgericht Mün- fes. Deswegen lassen Sie uns mit diesen Grundlagen ge- chen, wenn es zu einer Verurteilung kommen sollte – das meinsam in die Beratung gehen. wissen wir ja nicht; wir wollen dem auch nicht vorgrei- Vielen Dank. fen –, solche Überlegungen, die Ihrer Meinung nach der- zeit im Gesetz noch nicht hinreichend Berücksichtigung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- finden, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt wür- neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6385

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: auch nicht mit der geplanten Paragrafenkosmetik än- (C) Danke schön. – Die Kollegin Monika Lazar spricht dern. als Nächste für Bündnis 90/Die Grünen. Wer etwas anwenden soll, muss dafür sensibilisiert werden. Die verschiedenen Formen von Hassdelikten Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): müssen in Aus- und Fortbildungen vermittelt werden, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das damit die staatlichen Behörden und diejenigen, die dort Auffliegen des NSU setzte viele Aktivitäten in Gang: arbeiten, damit umgehen können. Menschenrechtsarbeit Untersuchungsausschüsse tagten, Aktenberge wurden und interkulturelle Bildung sind wichtig, und der Nach- angehäuft, und parlamentarische Beschlüsse wurden ge- holbedarf ist leider nach wie vor groß. fasst. Die rechtsterroristischen Morde haben Staat und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesellschaft aufgerüttelt – für die Opfer und ihre Ange- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) hörigen leider zu spät. Hat all die Geschäftigkeit dazu geführt, dass potenzielle Opfer in Zukunft wirksamer In unserem grünen Antrag zur Bekämpfung der Hass- vor rassistischer Gewalt geschützt sind? Werden die kriminalität betonen wir die Bedeutung einer konse- Missstände in den staatlichen Strukturen, die das Fiasko quenten Ermittlung der Motive und der Verfolgung von ermöglichten, beseitigt? Nun, damit stehen wir erst ganz Hasskriminalität. Sie richtet sich nicht nur gegen die ein- am Anfang. zelnen Menschen. Das Opfer wird aufgrund seiner tat- sächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einer Gerade jährte sich die NSU-Selbstenttarnung zum bestimmten Gruppe angegriffen. Besonders oft werden dritten Mal. Wir gedachten vor wenigen Tagen der Op- Menschen aufgrund der ethnischen Herkunft, sexuellen fer, während die Angehörigen bis heute vergebens auf Orientierung oder Geschlechtsidentität, der Religion die lückenlose Aufklärung warten, die ihnen einst auch oder Weltanschauung oder einer Behinderung zum Ziel Kanzlerin Merkel versprach. Weder wurde die Vernet- von Hassverbrechen. Auch diese Motive gehören unbe- zung des NSU umfassend offengelegt, noch das gravie- dingt bei der rechtspolitischen Präzisierung in den Blick. rende Versagen der Sicherheitsbehörden konsequent ge- ahndet. Im Fokus steht das Fehlverhalten einzelner In einer Pressemitteilung des Lesben- und Schwulen- Bediensteter, aber nicht der strukturelle Rassismus, der verbandes vom heutigen Tag wird darauf verwiesen, das Klima für solche Ermittlungsfehler schafft und ver- dass es hier eine Regelungslücke gibt. Zudem gibt es stärkt. weitere Kriterien, die von einer Expertenkommission hinsichtlich ihrer Berücksichtigung geprüft werden müs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen. Das gilt zum Beispiel für Geschlecht, Alter, politi- (B) und bei der LINKEN) sche Einstellung und den sozialen Status in Bezug auf (D) Rassismus zerstört unseren gesellschaftlichen Zusam- Wohnungslose und andere offenkundig sozial Ausge- menhalt. Wir müssen ihn deshalb auf allen Ebenen be- grenzte. kämpfen. Alle genannten Kriterien sind Formen von gruppen- bezogener Menschenfeindlichkeit. Ohne einen gesamt- Nun legt die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf gesellschaftlichen Ansatz kann eine Auseinandersetzung vor, in dem unter anderem auf ein härteres Durchgreifen nicht gelingen. gegenüber Tätern von Hasskriminalität gesetzt wird. In § 46 Absatz 2 des Strafgesetzbuches sollen die Tatmo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tive „rassistisch“, „fremdenfeindlich“ und „menschen- sowie des Abg. Dr. André Hahn [DIE verachtend“ künftig explizit benannt und bei der Strafzu- LINKE]) messung stärker berücksichtigt werden. Ein Beitrag zur umfassenden Prävention ist auch die Längere Haftstrafen hätten dann eine abschreckende Stärkung des Bundesprogramms gegen Rechtsextremis- Wirkung und dies wiederum würde zu weniger Opfern mus. Schon mehrfach jammerte Ministerin Schwesig öf- führen, so in etwa hat sich das Justizminister Maas wohl fentlich, dass sie mehr Geld für ihr neues Bundespro- gedacht. Außerdem sollen die Staatsanwaltschaften be- gramm „Demokratie leben!“ braucht. In der Regierung stimmte Tatmotive mehr beachten. Die Vorschläge aller- konnte sie sich allerdings nicht durchsetzen. dings gehen am Kern des Problems vorbei; denn wenn bereits bei der polizeilichen Erfassung rassistische Tat- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir disku- motive unerkannt bleiben, können diese später auch bei tieren hier über den Justizbereich, Frau Kolle- der Strafzumessung keine Berücksichtigung finden. gin! Können Sie mal zur Sache sprechen? Es geht um das BMJ! – Dr. Konstantin von Notz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist keine sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Haushaltsberatung!) Zudem ist es so, dass viele Straftaten erst in den Sta- – Ich habe fünf Minuten zu Ihrem Gesetzentwurf gespro- tistiken der zivilgesellschaftlichen Opferberatungsstellen chen. Ich nehme an, dass Ihnen, jedenfalls den Kollegin- als Hasskriminalität sichtbar gemacht werden. Deren nen und Kollegen der SPD, das Bundesprogramm „De- Zahlen liegen regelmäßig höher als die der offiziellen mokratie leben!“ am Herzen liegt. Deshalb wollte ich Polizeistatistik. Ein solches Erfassungsdefizit ist aber Sie zum Schluss noch loben. Aber Sie haben es wahr- kein Problem der geltenden Rechtslage und lässt sich scheinlich nicht verdient. 6386 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Monika Lazar (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Justiz. Justizminister Heiko Maas hat dazu gute und (C) und bei der LINKEN – Dr. Eva Högl [SPD]: wichtige Vorschläge vorgelegt. Wir nehmen das Lob sehr gern an, Frau Lazar! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Frau Zunächst geht es um die Stellung des Generalbundes- Schwesig ist doch gar nicht da!) anwalts. Bei der NSU-Mordserie wäre, so haben wir im Untersuchungsausschuss festgestellt, eine zentrale Über- – Frau Schwesig ist nicht da, aber die Mittel für ihr Bun- nahme durch den Generalbundesanwalt oder auch ein desprogramm wurden gestern in der Bereinigungssit- staatsanwaltschaftliches Sammelverfahren nicht nur zung zum Haushalt um 10 Millionen Euro erhöht. denkbar, sondern auch erfolgversprechender gewesen. Zumindest die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bun- destagsfraktion haben sich darüber gefreut. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und notwen- dig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der – Das wäre notwendig gewesen. – Die Forderung nach CDU/CSU und der LINKEN) einem zentralen Ermittlungsverfahren wurde auch sei- tens der Staatsanwaltschaften Rostock und München er- Die grüne Bundestagsfraktion fordert seit vielen Jah- hoben. Deswegen haben wir uns entschlossen, genau an ren eine Erhöhung der Bundesmittel für Maßnahmen ge- diesem Punkt anzusetzen und dem Generalbundesanwalt gen Rechtsextremismus und andere Formen gruppenbe- dies zu ermöglichen. Er hat auch selbst geprüft, ob eine zogener Menschenfeindlichkeit auf jährlich mindestens Übernahme des Verfahrens in Betracht kommt. Aber 50 Millionen Euro. Deshalb ist das, auch wenn es noch weil dafür eine subjektiv staatsschutzfeindliche Zielvor- nicht weit genug geht, ein Schritt in die richtige Rich- stellung Voraussetzung ist, hat er das abgelehnt. Zu den tung. Ich will hier das Positive in den Vordergrund stel- Details, wie er das geprüft hat – nämlich leider nur auf len und mich lobend äußern. Grundlage von Presseberichten –, könnte man durchaus Ich hoffe, dass die 10 Millionen Euro auch der Opfer- noch etwas anmerken. beratung und den mobilen Beratungsstellen zugutekom- Aber wir sind jedenfalls zu der Erkenntnis gekom- men. Denn auch diese tragen dazu bei, Hasskriminalität men, dass für die Übernahme des Verfahrens durch den besser zu erkennen. Dazu gehört auch, sich weiterhin an Generalbundesanwalt ein objektiv staatsschutzfeindlicher entsprechenden Aus- und Fortbildungen zu beteiligen. Charakter der Tat ausreicht und wir dies nicht zusätzlich Mir war es jedenfalls wichtig, dass auch dieser Aspekt in mit der Voraussetzung einer subjektiv staatsschutzfeindli- dieser Debatte eine Rolle spielt. chen Motivation verbinden dürfen. Das regelt der Ge- Ich bedanke mich. setzentwurf. Außerdem soll der Generalbundesanwalt (B) bei länderübergreifenden Straftaten die Verfahren über- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmen können, sodass ein Kompetenzgerangel, wie wir sowie bei Abgeordneten der LINKEN) es beim NSU erlebt haben, künftig vermieden werden kann. Wir erleichtern die Führung eines Sammelverfah- Vizepräsident Johannes Singhammer: rens. Die Kollegin Dr. Eva Högl spricht jetzt für die Sozial- Ich finde einen Punkt sehr wichtig, den ich hervorhe- demokraten. ben möchte: Der Generalbundesanwalt wird mit dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gesetz die Möglichkeit bekommen, frühzeitig in lau- der CDU/CSU) fende Ermittlungen eingebunden zu werden, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass seine Zuständigkeit in Betracht kommt. Das ist eine sehr wichtige Änderung. Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kollegen! Liebe Frau Lazar, ganz herzlichen Dank für das Lob, das wir sehr gerne entgegengenommen haben. Ich nehme gerne Stellung zu § 46 Absatz 2 StGB und auch zu dem Vorwurf, es handele sich hierbei um sym- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bolische Gesetzgebung. § 46 Absatz 2 sieht selbstver- ständlich schon jetzt vor, lieber Kollege Ströbele, dass 10 Millionen Euro sind kein Pappenstiel. Dass das Pro- eine rassistische, rechtsextreme, fremdenfeindliche Mo- gramm jetzt auf mehr als 40 Millionen Euro aufgestockt tivation strafverschärfend beim Strafurteil berücksichtigt wird, war gestern ein guter Beschluss. Darüber haben werden kann. Wir wissen aber, dass das in der Praxis wir uns sehr gefreut. – das wurde hier schon angesprochen – nur in Ausnah- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit dem mefällen geschieht. Die Gerichte berücksichtigen diese Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses Motivation häufig nicht. im September 2013 50 Maßnahmen vorgeschlagen, die Ich möchte den Fall eines Paars aus Hoyerswerda die Zustimmung aller Fraktionen im Deutschen Bundes- schildern, den ich schon einmal angesprochen habe. Die tag fanden. Deswegen sind diese Empfehlungen eine ge- Polizei in Hoyerswerda hat das Paar aufgefordert, umzu- meinsame Verpflichtung für uns alle im Bundestag. ziehen, weil sie das Paar nicht mehr schützen konnte. Wir brauchen Reformen – das wurde bereits festge- Die Wohnung des Paars wurde stundenlang von rechts- stellt – bei der Polizei, beim Verfassungsschutz und auch extremen Tätern belagert. Das Paar erhielt Todes- und bei der Justiz. Heute geht es in unserer Debatte um die Vergewaltigungsdrohungen. Die Täter traten gegen die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6387

Dr. Eva Högl (A) Wohnungstür und sangen Naziparolen. Der Spion wurde (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) zugeklebt. Die Täter wurden im Januar 2014 verurteilt. neten der SPD) Ihre rechtsextreme Tatmotivation und politische Einstel- lung wurden nur deshalb berücksichtigt, weil die Betrof- Tankred Schipanski (CDU/CSU): fenen als Nebenkläger im Prozess sehr engagiert auftra- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mit- ten und darauf gedrungen haben. glied des NSU-Untersuchungsausschusses der 17. Legis- Ich möchte Ihnen ein weiteres Beispiel nennen, das laturperiode freue ich mich natürlich, dass nunmehr auch Sie sicherlich in den Medien verfolgt haben. Eine Fami- das BMJV die Umsetzung der Empfehlungen des Unter- lie aus Syrien wurde auf dem Volksfest „Eisleber Wiese“ suchungsausschusses vorantreibt. Schnell wurde bei un- brutal zusammengeschlagen. Wir alle haben diesen Fall serer Aufklärungsarbeit klar, dass es nicht nur Polizei zur Kenntnis nehmen müssen. Teilweise konnte das Le- und Verfassungsschutz sind, die einer kritischen Be- ben der Betroffenen nur mit Mühe gerettet werden. Die trachtung bedürfen, sondern allen voran auch die Rolle Vorsitzende Richterin fand – das ist ein positives Bei- der Staatsanwaltschaften und der Gerichte. spiel – bei ihrem Urteil deutliche Worte, hob die fremden- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE feindliche Gesinnung der Täter hervor und verurteilte sie GRÜNEN]: Das stimmt!) scharf. Wie wir sehen, gibt es also Möglichkeiten. Aber wir wollen § 46 Absatz 2 ändern, damit es nicht bei der Die Staatsanwaltschaft als die Herrin des Verfahrens, der Möglichkeit bleibt und dies den Gerichten überlassen bis zur NSU-Aufklärung über Zweifel erhabene Gene- bleibt – in der Praxis wird eine solche Motivation, wie ralbundesanwalt und einfachste Anordnungen durch das gesagt, selten strafverschärfend gewürdigt –, sondern da- Gericht im Rahmen klassischer Ermittlungsarbeit, auf mit es eine Verpflichtung dazu gibt, solche Motivationen allen diesen Feldern mussten wir eklatante Mängel fest- strafverschärfend zu berücksichtigen. stellen. Ich erinnere mich an den Zeugen Dr. Förster, bei dessen Aussage wir fast den Glauben an die Arbeits- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) weise des GBA verloren haben; Frau Högl hat das be- Ich halte Folgendes für sehr wichtig – deswegen ist es reits angesprochen. Ich erinnere mich an die Aussage keine symbolische Gesetzgebung –: Eine solche Klar- des Zeugen Staatsanwalt Schultz aus Gera, bei der wir stellung und Verdeutlichung in § 46 Absatz 2 wird Aus- feststellen mussten, dass die Justiz in Thüringen in den wirkungen auf die strafrechtlichen Ermittlungsverfah- 90er-Jahren absolut überfordert war; der Minister hat das ren, auf das Vorfeld vor einem strafrechtlichen Urteil, bereits angesprochen. Wir haben fraktionsübergreifend haben. – darauf hat Frau Högl zu Recht hingewiesen – Hand- lungsempfehlungen beschlossen, die auch den Bereich (B) (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Hoffentlich!) der Justiz betreffen. (D) Denn Polizei und Staatsanwaltschaft sind natürlich ganz Einen Baustein beraten wir heute hier in erster Le- anders gehalten, auch in diese Richtung zu ermitteln, sung. Ich sage ganz bewusst: einen Baustein; denn wir wenn sie wissen, dass die Strafgerichte diese Motivation wissen um die Maßnahmen, die bereits in der letzten Le- dann strafverschärfend berücksichtigen. Deshalb ist das gislatur ergriffen wurden, gerade im Hinblick auf Num- eine gute und wichtige Änderung. mer 15 und Nummer 202 in der RiStBV. Ich denke auch an die Standards, die sich der Generalbundesanwalt für Eine letzte Bemerkung zur RiStBV. Ich denke – ich seine Arbeit gegeben hat. Heute erfolgt nun ein nächster, hoffe, dass ich hier im Namen vieler Kolleginnen und aber nicht der letzte Schritt mit Blick auf die Anpassung Kollegen spreche –, dass die Dienstanweisungen und Er- des Gerichtsverfassungsgesetzes. mittlungsrichtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren nun so geändert werden müssen, wie es der NSU-Untersu- Mit der vorliegenden Anpassung des GVG wollen wir chungsausschuss vorgeschlagen hat. Es ist unsere Forde- die Begründung der Zuständigkeit des Generalbundes- rung Nummer eins, dass eine fremdenfeindliche Motiva- anwaltes vereinfachen sowie sicherstellen, dass der tion zwingend geprüft werden muss. Wir erwarten mit GBA frühzeitig in laufende Ermittlungen einbezogen Spannung, dass sich die Justizministerinnen und Justiz- wird. Die Anpassung des GVG tut not, weil wir im Rah- minister entsprechend positionieren und einen Beschluss men der NSU-Aufklärung praxisnah erlebt haben, dass fassen. die Zusammenarbeit zwischen dem GBA und den Staatsanwälten eben nicht richtig funktioniert. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die weitere Umsetzung der Beschlüsse des Einen eigenen Akzent setzen die Kollegen des Rechts- NSU-Untersuchungsausschusses. ausschusses, wenn sie nunmehr im Bereich der Strafzu- messung über die Empfehlung des Untersuchungsaus- Herzlichen Dank. schusses hinausgehen und eine ausdrückliche Regelung aufnehmen, um fremdenfeindliche Beweggründe bei ei- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ner Tat schärfer zu ahnden.

Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs- Das sind richtige Schritte, und ich erinnere zugleich punkt ist der Kollege Tankred Schipanski von der CDU/ daran, dass weitere im Bereich der Justiz umgesetzt wer- CSU. den. Es bedarf sicherlich mit Blick auf den Informations- 6388 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Tankred Schipanski (A) austausch zwischen Staatsanwaltschaften und Polizei (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (C) oder auch im Hinblick auf den Opferschutz weiterer und somit eine effektive Extremismusbekämpfung ver- Maßnahmen; denn noch heute erleben wir in der Praxis hindert. Mich schockiert, dass dieses Bündnis, statt Defizite beim Umgang mit Opfern extremistischer Ge- Staatswohl zu fördern, nunmehr das Staatswohl gefähr- walt. Die Opferberatungsstelle ezra der Evangelischen det. Kirche in Mitteldeutschland in Neudietendorf hat in die- sem Jahr einen Bericht vorgelegt, der aufzeigt, wo noch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Handlungsbedarf besteht. Zurufe von der SPD) Der Name der Studie „Die haben uns nicht ernst ge- In Thüringen wird das Gegenteil von dem gemacht, nommen“ zeigt exemplarisch, wo in der Praxis noch Op- was der NSU-Untersuchungsausschuss hier im Bundes- timierungsbedarf bei der Arbeit mit Opfern extremisti- tag empfohlen hat. Ich kann die Kollegen der SPD und scher Gewalt vorhanden ist. Da geht es nicht immer um der Grünen nur eindringlich vor einem solchen Bündnis große Gesetzesänderungen, sondern es reicht oftmals warnen. Liebe Grüne, unter diesem Blickwinkel relati- schon die Anpassung von Verhaltensrichtlinien oder Be- viert sich auch Ihr Antrag, den Sie heute vorlegen. lehrungsvorschriften. Dreh- und Angelpunkt ist oftmals (Abg. Martina Renner [DIE LINKE] meldet diese RiStBV, bei deren Anpassung auch die Bundeslän- sich zu einer Zwischenfrage) der gefordert sind. Ich gehe davon aus, dass Sie, Herr Minister, regelmäßig im Rechtsausschuss über die Um- setzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsaus- Vizepräsident Johannes Singhammer: schusses und auch über die Zusammenarbeit mit den Herr Kollege. Landesjustizministern in diesem Zusammenhang berich- ten werden. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich freue mich auf eine Kurzintervention. Ich bin Wir als Parlament bleiben dran, wir machen Druck. nämlich gleich fertig. Der Bericht der Bundesregierung vom 18. Februar die- ses Jahres zum Umsetzungsstand der Empfehlungen des Mit Bernhard Lichtenberg kann ich Ihnen nur sagen: NSU-Untersuchungsausschusses zeigt einen klaren Die Taten eines Menschen sind die Konsequenzen seiner Fahrplan auf. Wir werden anhand dieses Berichtes sowie Grundsätze, und sind die Grundsätze falsch, so werden anhand der Empfehlungen kontrollieren, inwieweit diese auch diese Taten nicht richtig sein. Umsetzung erfolgt. Die Debatte zum dritten Jahrestag der NSU-Aufklärung hat dies, denke ich, hier im Bun- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (B) destag sehr deutlich gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Im Übrigen verbietet sich da jegliche Empörungsrhe- torik. Noch nie haben eine Bundesregierung oder ein Vizepräsident Johannes Singhammer: Parlament so planvoll und detailliert auf die Ergebnisse Vielen Dank, Herr Kollege. – Bevor wir zum Schluss eines Untersuchungsausschusses reagiert. der Debatte kommen, gibt es noch zwei Wünsche nach Kurzinterventionen von der Kollegin Renner und vom (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kollegen Ströbele. neten der SPD) Wir beginnen mit der Kollegin Renner. Neben den Maßnahmen im Bereich der Justiz sind es vor allem Maßnahmen im Bereich des Verfassungsschut- Martina Renner (DIE LINKE): zes und der Polizei, die wir als Konsequenz aus dem Herr Kollege Schipanski, Ihre Ausführungen eben NSU-Komplex ergreifen. Ziel ist es dabei, dass wir entbehrten jeden Stils. unseren Staat weiterhin aktiv vor Extremismus und Ter- rorismus schützen. Ich erinnere an die Worte unseres (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Bundesinnenministers Thomas de Maizière: keine Maß- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hendrik nahme ohne Kenntnis. Hoppenstedt [CDU/CSU]: Haben Sie nicht richtig zugehört?) Kenntnis erlange ich nur durch Vorfeldaufklärung. Im Freistaat Thüringen schickt sich die Linke an, gemein- Ein Ergebnis der Untersuchungsausschüsse, insbe- sam mit einer unheiligen Allianz aus SPD und Grünen, sondere des Untersuchungsausschusses in Thüringen, war, dass festgestellt wurde, in welcher Art und Weise (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Spitzel die Neonazi-Szene in den 1990er-Jahren großge- NEN]: Das musste jetzt kommen!) macht haben, abgeschirmt haben vor Strafverfolgung und ausgestattet haben mit Geld, Handys, Mobilität und diese Vorfeldaufklärung abzuschaffen. einer ganzen Menge mehr, was dazu geführt hat, dass (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE insbesondere die militanten Strukturen, denen der NSU LINKE]) entstammte – die Anti-Antifa und das Netzwerk Blood & Honour –, sich in einer Art und Weise bundesweit ent- Mich schockiert es, heute in den Medien lesen zu müs- wickeln konnten, wie es ohne den Einsatz der Spitzel sen, dass Rot-Rot-Grün in Thüringen die V-Leute ab- – das kann man mittlerweile wirklich nachweisen – in schaffen will dieser Form nie geschehen wäre. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6389

Martina Renner (A) Wir sagen ganz klar – ich bin darüber sehr froh –, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) dass es auch in Zukunft unter Rot-Rot-Grün in Thürin- Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist heute nicht das gen Kanon ist, dass eine Trennlinie zwischen denen, die Thema! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE das Lebensrecht von Menschen negieren, die die Demo- GRÜNEN]: Geht es noch ein bisschen klei- kratie gefährden, die sich in die Historie und die Vergan- ner?) genheit des NS einreihen, und denen, die den Staat, die Demokratie und die Menschenwürde schützen sollen, Vizepräsident Johannes Singhammer: gezogen werden soll. Es darf keine Vermischung zwi- Herr Kollege Ströbele, Sie haben ebenfalls die Mög- schen Demokratie und Feinden der Demokratie geben, lichkeit zu einer Kurzintervention. wie es durch die Führung von quasi hauptamtlichen Neonazis durch die Verfassungsschutzbehörden passiert Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE ist. GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Herr Kollege Schipanski, ich bedauere es außeror- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE dentlich, dass Sie den Konsens der fünf Fraktionen der GRÜNEN) 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hiermit heute aufgekündigt haben, diese schreckliche Mordserie Ich finde, das ist eine zentrale Schlussfolgerung aus parteipolitisch nicht zu missbrauchen. Es war ein Kon- den Erkenntnissen der NSU-Untersuchungsausschüsse. sens – er war für die Arbeit dieses Untersuchungsaus- Ich glaube, dass diese Maßnahme zu einer Stärkung von schusses prägend –, dass es uns hier einheitlich darum Demokratie und zu einem sensibleren Umgang mit den geht – auch ich musste mich manchmal zurückhalten –, Bedrohungen durch militanten Neonazismus führen wird das Ganze aufzuklären und alles zu tun, dass so etwas und auch ein höheres Maß an Schutz für diejenigen be- nie wieder passiert. deuten wird, die potenziell Opfer rechtsextremer Gewalt sind, zum Beispiel in Thüringen. Ich hoffe, dieses Bei- Zwei Jahre lang haben wir das durchgehalten – bis spiel wird auch in anderen Ländern diskutiert. heute –, und Sie stellen sich nun hier in den Deutschen Bundestag hin und nutzen für einen ganz billigen Ver- Sie sollten sich mit der Arbeit und den Ergebnissen such der parteipolitischen Profilierung dieses Thema, der Untersuchungsausschüsse und insbesondere den weil Sie mit der möglichen Koalition in Thüringen Pro- Praktiken der Verfassungsschutzbehörden mit Blick auf bleme haben. Sie nutzen diese Mordserie, um damit die Neonazi-Szene wirklich etwas detaillierter auseinan- Wasser auf die Mühlen Ihrer Partei zu gießen. dersetzen. Das täte insbesondere Ihnen als Thüringer Abgeordneten sehr gut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (B) bei der SPD und der LINKEN – Zuruf vom (D) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schäbig ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das!) Das ist überhaupt nicht in Ordnung. Ich meine, Sie soll- Vizepräsident Johannes Singhammer: ten sich in Ihrer Erwiderung dafür entschuldigen, Herr Kollege Schipanski. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) das zurücknehmen und wenigstens versuchen, den Kon- Tankred Schipanski (CDU/CSU): sens bei der Aufarbeitung und Verhinderung solcher Ver- Frau Kollegin Renner, ich habe ja gesagt, ich bin Mit- brechen wiederherzustellen. glied des Untersuchungsausschusses gewesen. Wir ha- ben fraktionsübergreifend 47 Handlungsempfehlungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen. Darin steht, dass wir die V-Leute nicht ab- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schaffen wollen, sondern dass wir das V-Mann-Wesen der SPD) reformieren wollen. Wir haben dazu ganz konkrete Vor- schläge ausgearbeitet. Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Schipanski, Sie haben das Wort. Ich kann nur noch einmal sagen: Mich schockiert, dass Rot-Rot-Grün in Thüringen die V-Mann-Praxis ab- schaffen will, in diesem Rahmen keine Voraufklärung Tankred Schipanski (CDU/CSU): mehr leisten möchte. Also, Kollege Ströbele, einen Konsens hat hier heute überhaupt niemand aufgekündigt. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das stimmt doch nicht!) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch! – Doch, Sie!) Ich kann nur noch einmal wiederholen: ohne Kenntnis Ich habe darauf verwiesen, dass wir einen Konsens ha- keine Maßnahme. Ich stehe zu dem, was wir hier frak- ben; wir haben diese Handlungsempfehlungen ja einver- tionsübergreifend beschlossen haben: V-Leute erhalten, nehmlich beschlossen. Wenn jetzt ein Bundesland aus klare Richtlinien festlegen. Ich bin davon überzeugt, diesem Konsens ausbricht dass die designierte thüringische Landesregierung mit der Maßnahme, die heute den Medien zu entnehmen ist, (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wie denn? Wo- das Staatswohl gefährdet und nicht fördert. durch denn?) 6390 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Tankred Schipanski (A) und etwas macht, was absolut nicht in diesen Hand- Überweisungsvorschlag: (C) lungsempfehlungen steht, dann wird man darauf wohl Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss hinweisen dürfen, ohne dass hier behauptet wird, es Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO werde ein Konsens irgendwie aufgekündigt. b) Erste Beratung des von den Abgeordneten (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Halina Wawzyniak, Dr. Dietmar Bartsch, Jan NEN]: Reden Sie sich doch nicht noch tiefer Korte, weiteren Abgeordneten und der Fraktion da rein!) DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Fünf- – Nein, ich will Ihnen das so sagen, wie es ist. – Wenn ten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitie- SPD und Grüne in Thüringen es unterstützen, V-Leute rungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der abzuschaffen, dann ist das etwas völlig anderes als das, politischen Verfolgung in der ehemaligen was wir hier beschlossen haben. DDR (Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist hier nicht das Drucksache 18/3145 Thema! – Weitere Zurufe von der SPD) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Darauf habe ich zu Recht hingewiesen, und ich bin da- Innenausschuss mit, dass ich mir Sorgen mache, nicht allein. Am 9. No- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO vember waren in Erfurt 4 000 Leute mit Kerzen auf dem Domplatz und haben darauf hingewiesen, was da pas- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für siert. diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Das darf doch nicht wahr sein! Schämen Sie Gegenrufe von der CDU/CSU) sich! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungs- GRÜNEN]: Schämen Sie sich! – Widerspruch punkt und bitte, sich darauf zu konzentrieren. bei Abgeordneten der LINKEN) Das Wort hat als erster Redner Bundesminister Heiko In diesem Sinne: Schauen Sie jetzt auf die nächste Maas. Debatte! Es geht um die Rehabilitierung in der DDR politisch Verfolgter; dazu können Sie sich gerne äußern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unwürdig! – (D) Gegenruf des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver- Das geht Sie doch nichts an! – Weitere Zurufe braucherschutz: der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und GRÜNEN] – Weiterer Gegenruf des Abg. Herren! Vielleicht ist dieses Gesetz geeignet, etwas mehr Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ihr habt nicht zu Ruhe ins Hohe Haus zu bringen; denn es geht um ein zensieren, warum Leute demonstrieren!) Thema, das, wie ich glaube, uns allen wichtig ist. Ich freue mich, dass wir gerade in diesen Tagen den Vizepräsident Johannes Singhammer: Regierungsentwurf für ein Fünftes Gesetz zur Verbesse- Damit sind wir am Schluss unserer Aussprache zu rung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer diesem Tagesordnungspunkt angekommen; deshalb der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR bera- schließe ich diese Aussprache. ten können. Vor dem historischen Hintergrund des 25. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer wollen wir (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ein Gesetz auf den Weg bringen, das die wirtschaftliche Gegenrufe von der CDU/CSU) Situation der Opfer der politischen Verfolgung in der Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf ehemaligen DDR verbessert. Es soll zugleich den Ein- den Drucksachen 18/3007 und 18/3150 an die in der Ta- satz jener Menschen, die sich als Vorkämpfer für Frei- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – heit, Demokratie und ein vereinigtes Deutschland gegen Weil ich keinen Widerspruch sehe, gehe ich davon aus, das SED-System aufgelehnt haben und deshalb Zwangs- dass Sie damit einverstanden sind. Dann sind die Über- maßnahmen erdulden mussten, stärker würdigen. weisungen so beschlossen. Wie Sie wissen, hat sich der Deutsche Bundestag schon Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b in der letzten Legislaturperiode mit breiter Mehrheit für auf: eine Überprüfung der Höhe der sogenannten Opferrente starkgemacht. Sowohl von der damaligen Regierungs- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- koalition als auch von der Opposition hatte es hierzu gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes Entschließungen gegeben. Auf dieser Linie haben CDU, zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag für diese Le- Vorschriften für Opfer der politischen Verfol- gislaturperiode eine Erhöhung der Opferrente vereinbart. gung in der ehemaligen DDR Nun setzen wir diese Vereinbarung mit dem heute in ers- Drucksache 18/3120 ter Lesung vorliegenden Gesetz um. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6391

Bundesminister Heiko Maas (A) Die Opferrente wird um 50 Euro angehoben und Aber wir wollen mehr. Deswegen haben wir einen eige- (C) steigt damit von 250 auf 300 Euro monatlich. nen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht neu: In der vergangenen Legislaturperiode haben (Beifall im ganzen Hause) wir einen Entschließungsantrag vorgelegt, und das, was Ich will gar nicht erst den Versuch machen, den Ein- in diesem Entschließungsantrag stand, setzen wir jetzt in druck zu erwecken, dass man mit Geld überhaupt das Gesetzesform um. Unrecht wiedergutmachen könnte, das den Betroffenen widerfahren ist; aber ich glaube, nach so vielen Jahren Was ist dieses Mehr? Wir wollen, dass diejenigen, die ist man denjenigen, die unter dem Regime gelitten ha- wegen asozialen Verhaltens im Zusammenhang mit den ben, eine Weiterentwicklung der Beträge schuldig. Weltfestspielen der Jugend und Studenten verurteilt wur- den, ebenfalls anspruchsberechtigt sind. Meine Damen und Herren, die Opferrente wird politi- schen Häftlingen gewährt, die mindestens 180 Tage (Beifall bei der LINKEN) Freiheitsentzug erlitten haben. Zudem werden wir die Erhöhung auf eine Leistung nach dem Beruflichen Reha- Wir wollen, dass diejenigen, die von Zersetzungs- bilitierungsgesetz übertragen: Die monatlichen Aus- maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit be- gleichsleistungen für beruflich durch die SED-Diktatur troffen waren und deren Lebensführung durch diese Geschädigte werden ebenfalls angehoben. Die Aus- Maßnahmen erheblich beeinträchtigt wurde, mit denje- gleichsleistung nach dem Beruflichen Rehabilitierungs- nigen gleichgestellt werden, gegen die Urteile gespro- gesetz wurde das letzte Mal vor gut zehn Jahren erhöht. chen wurden, die mit wesentlichen Grundsätzen einer Das zeigt, wie notwendig es jetzt ist, sich mit dem freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar Thema auseinanderzusetzen. sind; auch sie sollen anspruchsberechtigt sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen, dass der Anspruch ab dem ersten Tag der Haft gilt und nicht erst nach 180 Tagen. Bei der Opferrente ist es die erste Anhebung seit Inkraft- treten der Regelung im Jahr 2007. Auch da kann man sa- (Beifall bei der LINKEN) gen: Es ist wirklich an der Zeit. Wir wollen, dass die Leistungen unabhängig vom Wir wollen, dass die Betroffenen schon sehr bald, Einkommen gewährt werden, als Anerkennung und nämlich ab dem 1. Januar 2015, in den Genuss der ange- Würdigung des Einsatzes für Freiheit und Bürgerrechte hobenen Leistungen kommen. Die Erhöhung wird über in der SED-Diktatur. Wir finden es nicht akzeptabel, (B) 45 000 ehemaligen politischen Häftlingen zugutekom- dass Menschen, die ein Einkommen haben, das mehr als (D) men, die bereits jetzt im laufenden Bezug sind. 1 173 Euro beträgt, von diesen Leistungen ausgeschlos- Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass auch sen sind. Die Leistungen müssen unabhängig vom Ein- diese Leistungserhöhungen, wie alle Leistungen nach kommen gewährt werden. dem Strafrechtlichen und dem Beruflichen Rehabilitie- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- rungsgesetz, von Bund und Ländern gemeinsam finan- NIS 90/DIE GRÜNEN) ziert werden. Trotz angespannter Haushaltslagen in vie- len Ländern zeigt sich in der weiterhin einvernehmlichen Wir wollen, dass es keine Begrenzung der Frist zur Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern die ge- Antragstellung gibt. Wir wollen, dass im Zweifelsfall lebte gemeinsame Verantwortung für die Unterstützung eine Kausalität zwischen Haft und Gesundheitsschädi- der Opfer politischer Willkür in der ehemaligen DDR. gung als gegeben angesehen wird und es nicht den Be- Insofern bitte ich Sie um Unterstützung für diesen Ge- troffenen aufgebürdet wird, diese im Detail nachzuwei- setzentwurf. sen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In einer Anhörung im Ausschuss für Kultur und Me- der CDU/CSU) dien am 5. November – da war unser Gesetzentwurf schon im innerfraktionellen Verfahren – sind genau diese Vizepräsident Johannes Singhammer: Forderungen von der Union der Opferverbände aufge- Vielen Dank, Herr Minister. – Nächste Rednerin ist stellt worden. Ich sage Ihnen: Es gibt keinen Grund, die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die diese Erweiterung abzulehnen. Linke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN)

Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Sie haben in den vergangenen Jahren unsere Gesetz- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- entwürfe immer wieder mit dem Argument abgelehnt, ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregie- dass wir, juristisch gesehen, die Nachfolgepartei der rung will den Betrag der SED-Opferrente erhöhen. Das SED sind. ist richtig, das ist gut. Wir werden dem zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Arnold Vaatz (Beifall bei der LINKEN und der SPD) [CDU/CSU]: Das ist auch so! – Dr. André 6392 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Halina Wawzyniak (A) Hahn [DIE LINKE]: Es geht doch um die Be- Halina Wawzyniak (DIE LINKE): (C) troffenen!) Frage eins. Sie haben recht, wir müssten darüber nicht reden, hätte es die SED-Diktatur nicht gegeben. Deswegen mache ich einen ganz einfachen Vorschlag: Schreiben Sie auf unseren Gesetzentwurf „Gesetzent- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE wurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des GRÜNEN]: Das stimmt!) Bündnisses 90/Die Grünen“, und wir stimmen trotzdem zu. Frage zwei. Wir können gerne einen Verein gründen. Ich bin auch gerne dazu bereit, Gründungsmitglied zu (Beifall bei der LINKEN) werden und persönlich Geld zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie etwas tun wollen, dann ersetzen Sie einfach Frage drei. Was die Kosten angeht: Ihnen ist sicher- die einreichende Fraktion. Wir werden dem zustimmen. lich bekannt, dass im Jahr 1990 circa 4 Milliarden DDR- Ich sage Ihnen aber auch: Keine andere Partei in der Mark vom Vermögen der SED in den Staatshaushalt der Bundesrepublik hat sich so intensiv mit der eigenen Ge- DDR überführt worden sind. Ihnen ist sicherlich be- schichte beschäftigt wie unsere Partei, kannt, dass im Jahr 1995 ein rechtsgültiger Vergleich ge- schlossen worden ist, in dem wir auf das Vermögen, das (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – La- nicht rechtsstaatlich erworben wurde, verzichtet haben. chen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) ( [CDU/CSU]: Den Rest haben Sie versteckt!) angefangen mit dem Referat über den Bruch mit dem Stalinismus als System, mit der Entschuldigung bei den Ihnen ist sicherlich bekannt, dass es eine Blockpartei Bürgerinnen und Bürgern der DDR im Dezember 1989. CDU gab, die auch rechtsstaatlich nicht gerechtfertigtes Vermögen besessen hat. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und behalten Frau Kollegin Wawzyniak, gestatten Sie eine Zwi- hat!) schenfrage des Kollegen Vaatz? Sie können sich wieder setzen; denn ich würde gerne in meiner Rede fortfahren, wenn das okay ist. – Danke. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Selbstverständlich. Ich wäre beleidigt, würde keine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) Zwischenfrage kommen. (D) Ich sage Ihnen aber auch: Wir haben Schlussfolgerun- Arnold Vaatz (CDU/CSU): gen aus unserer Geschichte gezogen. Soziale Gerechtig- Frau Wawzyniak, ich kann Ihnen ein solches Beleidi- keit und Freiheit sind zwei Seiten derselben Medaille. gungserlebnis ersparen. – Ich habe mehrere Fragen. Ers- Keine von beiden hat, abstrakt gesehen, einen höheren tens. Sie sind doch sicher mit mir einer Meinung, dass es Wert; das eine ist ohne das andere nichts, aber auch gar überhaupt keiner Opferpensionen bedürfte, wenn es nichts wert. nicht das Unterdrückungssystem der SED gegeben hätte. Wir haben Ihnen vor dem Hintergrund dieser Ge- Wenn dem so ist, dass Sie damit übereinstimmen, schichte diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich habe Ihnen dann frage ich Sie zweitens, ob Sie sich vorstellen kön- jetzt zwei Wege aufgezeigt, wie Sie diesem Gesetzent- nen, dass die Erben der SED einen eingetragenen Verein wurf zustimmen können und wie statt Worten tatsächlich gründen, in den sie jeden Monat 5 Prozent ihres Einkom- auch Taten folgen können. Variante 1: Sie stimmen unse- mens einzahlen, um all die noch vorhandenen Mängel, rem Gesetzentwurf zu. Variante 2: Sie schreiben einfach die Sie gerade anführen, zu begleichen. „CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke“ obendrüber, wobei Sie „Linke“ auch weglassen können; wir stimmen trotzdem (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Opfer- zu. fonds!) Ich will Ihnen zum Schluss noch etwas sagen. Dinge, Meine dritte Frage. Sie sagen, Sie hätten die inten- die geschehen sind, können wir nicht ungeschehen ma- sivste Aufarbeitung von allen Parteien überhaupt betrie- chen. Ich selbst war zur Wendezeit 16 Jahre alt. Ich habe ben. Wie stehen Sie dazu, dass Sie alles, was Sie hinter- 25 Jahre meines Lebens damit verbracht, mich mit dieser lassen haben, in die Haftung der Gemeinschaft schieben Geschichte auseinanderzusetzen. Die Auseinanderset- wollen, aber keinerlei Bereitschaft zeigen, auch nur ei- zung mit dieser Geschichte hat dazu geführt, dass wir nen Pfennig persönliche Haftung für das von Ihnen an- genau diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Wir kön- gerichtete Unglück zu übernehmen? Ganz im Gegenteil: nen es nicht ungeschehen machen, aber wir können da- Sie feilschen um jeden einzelnen Pfennig gegenüber der für sorgen, dass den Opfern der SED-Diktatur mehr Ge- Gemeinschaft, wenn es beispielsweise um die Renten rechtigkeit widerfährt. von ehemaligen Stasileuten geht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6393

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: (Zurufe der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] (C) Der Kollege Dr. Stefan Heck spricht als Nächster für und [Havelland] [DIE die Unionsfraktion. LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU) Das haben wir auch in der Freude über die Wiederver- einigung nicht vergessen. Unsere Vorgänger im Deut- schen Bundestag haben damals das nachgeholt, was die Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): DDR versäumt hatte. Wir haben die Entschädigung für Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am die NS-Opfer beschlossen, die in der Zeit bis 1945 auf vergangenen Sonntag feierte ganz Deutschland den dem Gebiet der späteren DDR Opfer von Verfolgungs- Mauerfall vom 9. November 1989 und damit den end- maßnahmen wurden. Hier hat sich die SED 40 Jahre gültigen Niedergang des SED-Unrechtsstaats. Heute, nur lang ihrer gesamtdeutschen Verantwortung entzogen. wenige Tage später, beraten wir hier über die Erhöhung der SED-Opferrente. Das ist nach so langer Zeit beileibe Liebe Frau Wawzyniak, es ist eigentlich kein weiterer keine Selbstverständlichkeit. Deswegen möchte ich mit Beweis dafür mehr erforderlich, dass Sie in dieser Frage einer eigentlich ganz naheliegenden Frage beginnen: Ist keine besonders glaubwürdigen Vertreter sind. es nach nunmehr über 25 Jahren tatsächlich noch not- (Beifall bei der CDU/CSU – Halina wendig, sich im Deutschen Bundestag weiterhin mit Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie können unse- dem Unrechtsregime eines inzwischen untergegangenen rem Gesetzentwurf trotzdem zustimmen!) Staates zu befassen? Ich bin der festen Überzeugung, dass es notwendig ist. Lassen Sie mich dafür drei Herr Minister, Sie haben es gesagt: Eine finanzielle Gründe nennen: Entschädigung kann geschehenes Leid niemals rückgän- gig machen. – Aber sie ist das Mindeste, was wir für die Es ist erstens notwendig, weil wir im Aufarbeitungs- Opfer tun können. Staatliches Unrecht auf deutschem prozess immer weiter fortschreiten und bestehende Re- Boden geht uns alle etwas an. gelungen schon deswegen immer wieder überprüfen müssen. Es ist zweitens notwendig, weil der Umgang Inzwischen konnten 47 000 Menschen von der soge- mit geschehenem staatlichen Unrecht immer auch ein nannten Opferrente profitieren. Allein diese Zahl sollte Gradmesser für die Selbstachtung eines Rechtsstaats ist. Anlass genug sein, dass wir uns heute wieder mit diesem Es ist drittens notwendig, weil wir – das finde ich eigent- Thema beschäftigen, zumal – auch das haben Sie gesagt – lich am wichtigsten – diejenigen niemals vergessen dür- die Beträge der Opferrente seitdem nicht erhöht worden fen, die der zweiten Diktatur auf deutschem Boden als sind. Wir tragen damit den berechtigten Interessen der Opferverbände Rechnung. Was die Höhe der Entschädi- (B) Erste den Gehorsam verweigerten. Die Opfer der politi- (D) schen Verfolgung in der ehemaligen DDR verdienen un- gung angeht – auch da gibt es ja ganz unterschiedliche sere Solidarität und unsere Anerkennung. Forderungen –, glaube ich, dass wir gut beraten sind, weiterhin an dem Grundsatz festzuhalten, dass die Höhe (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Entschädigungsleistungen für die NS-Opfer die bei Abgeordneten der LINKEN und des Obergrenze für die Entschädigungsleistungen für die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Opfer des SED-Unrechts bildet. Die monatliche Beihilfe für NS-Opfer beträgt nach dem Abkommen gegenwärtig Die Entschädigung der Opfer staatlichen Unrechts auf 310 Euro. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns an- deutschem Boden hat in der Bundesrepublik gute Tradi- gemessen, dass die monatlichen Zuwendungen nach tion. Während sich die DDR nach dem Zweiten Weltkrieg dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz um 50 Euro der Entschädigung der NS-Opfer mit dem zynischen Ar- auf nunmehr 300 Euro angehoben werden. So bleibt gument entzog, sie gehörten zu den antifaschistischen auch die Verhältnismäßigkeit zwischen den Opfergrup- Siegern des Zweiten Weltkriegs – das gehört zur Ge- pen und den dahinterstehenden Schicksalen gewahrt. schichte dazu, Frau Wawzyniak –, war für die Bundes- republik von Anfang an das klar, was Konrad Adenauer Ich möchte noch einmal sagen: Kein Geldbetrag kann im Deutschen Bundestag am 27. September 1951 gesagt das Leid rückgängig machen. Eine Opferrente wird im- hat – Zitat –: mer einen symbolischen Charakter haben. Wir sollten heute, denke ich, auch anerkennen, dass die Opfer will- Im Namen des deutschen Volkes sind … unsagbare kürlicher SED-Haft mit den genannten Beträgen besser- Verbrechen begangen worden, die zur moralischen gestellt werden als jemand, der nach erlittener Untersu- und materiellen Wiedergutmachung verpflichten … chungs- oder gar Strafhaft als unschuldig entlassen und Die Erklärung Adenauers wurde damals, wie das Proto- entschädigt wird. Die Situationen sind nur schwer ver- koll vermerkt, im ganzen Hause mit lebhaftem Beifall gleichbar, aber es gibt ja auch den Fall, dass jemand bedacht, außer bei der KPD und auf der äußersten Rech- sozusagen ganz rechtsstaatlich, aber am Ende doch un- ten. schuldig bestraft wurde und der Zahlung einer staat- lichen Entschädigungsleistung als Wiedergutmachung Die junge Demokratie – sie war damals ja erst wenige bedarf, die das Gesetz heute schon vorsieht. Die Gewäh- Jahre alt – hatte erkannt: Es bedarf zur Selbstachtung ih- rung einer Geldrente bleibt aber mit guten Gründen den rer eigenen Werte sichtbarer Zeichen der Wiedergutma- Opfern totalitärer Diktatur vorbehalten. Damit erkennen chung zugunsten derjenigen, die in den Zeiten totalitärer wir das besondere Unrecht an, das diesen Opfern wider- Diktatur schwer gelitten hatten. fahren ist. 6394 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Dr. Stefan Heck (A) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und 177 schädigung gewartet haben. Insofern ist es schon beacht- (C) Tage Knast reichen nicht, oder was?) lich, dass ausgerechnet Sie sich hier heute an die Spitze derjenigen stellen, die eine Entschädigung fordern. Frau Wawzyniak, gerade weil die Opfer willkürlicher Haft in der DDR zu Recht in privilegierter Weise ent- Frau Wawzyniak, bei all dem, was Sie hier gesagt ha- schädigt wirken, müssen wir den Kreis der Anspruchs- ben, was Sie hier ja wortreich und konziliant vorgetra- berechtigten auf die wirklichen Opfer eingrenzen und gen haben, habe ich einen Satz vermisst. Wenn Sie wirk- Missbrauch erschweren. Deswegen halte ich auch nichts lich etwas für die Wiedergutmachung des durch Ihre von Ihren Vorschlägen, die Erhöhung jetzt an eine Art eigene Partei verursachten Unrechts tun wollen, dann Beweislastumkehr zu knüpfen, bis hin zu einem Amts- schlage ich Ihnen vor: Stellen Sie sich hier vorne hin, ermittlungsgrundsatz, oder sie an eine Kausalitätsvermu- und sagen Sie uns ohne Wenn und Aber, dass die DDR tung zu koppeln. Wir müssen doch dafür sorgen, dass ein Unrechtsstaat war. vor allem diejenigen weiterhin von der Gewährung der (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Definieren SED-Opferrente ausgeschlossen bleiben, die wissent- Sie „Unrechtsstaat“!) lich und willentlich mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Das wäre ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, Damit tun Sie mehr für die Opfer dieses Systems als mit die hinreichend nachweisen können, dass sie Opfer die- Ihren Vorschlägen, die heute hier vorliegen. ses verbrecherischen Regimes waren. (Beifall bei der CDU/CSU – Halina Uns ist es wichtig, dass wir auch weiterhin dafür sor- Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie wollten doch gen, dass diejenigen, die eine Stasivergangenheit haben, etwas zu unseren Vorschlägen im Detail sagen! die schwerste Verbrechen begangen haben, von der Ge- Kommt das noch?) währung der SED-Opferrente ausgeschlossen bleiben. In dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wird zum Deshalb ist es wichtig, dass der Beweis über das Vorlie- einen ein wichtiger Punkt des Koalitionsvertrags zwi- gen der Rehabilitierungsvoraussetzungen, wie es das schen CDU/CSU und SPD umgesetzt. Zum anderen Gesetz vorsieht, weiterhin vom Antragsteller erbracht würdigen wir – und das ist noch viel wichtiger – durch werden muss. Die privilegierte Entschädigung durch die Erhöhung der SED-Opferrente den Einsatz all derje- eine Opferrente wollen wir auch weiterhin auf die nigen Menschen, die in der DDR, ungeachtet persönli- wirklich bedürftigen Opfer beschränken. Das, Frau cher Nachteile, für Freiheit und Demokratie gekämpft Wawzyniak, ist auch der Sinn der Mindesthaftdauer von haben und dafür verfolgt und eingesperrt wurden. Die 180 Tagen in diesem Gesetz. Erhöhung der Opferrente ist ein wichtiger Ausdruck un- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: 175 waren serer Wertschätzung ihres Einsatzes. (B) (D) nicht so schlimm, oder was?) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. – Selbstverständlich, Frau Wawzyniak, ist jeder Tag, den (Beifall bei der CDU/CSU) ein Unschuldiger in Haft verbringt, ein Tag zu viel. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Deshalb bekommen auch Opfer der SED-Diktatur, die Grünen die Kollegin Katja Keul. kürzer als diese Mindesthaftzeit eingesessen haben, eine Entschädigung, nämlich eine einmalige Entschädigung gemessen an der Haftzeit. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!) Kollegen! Wer wie ich zur Zeit der Mauer im Westen Aber eine Haftzeit von wenigen Tagen oder Wochen groß geworden ist, hat in der Regel wenig Bezug zu Op- kann eben nicht verglichen werden mit dem Leid, dem fern von SED-Unrecht gehabt. Unrecht und auch den psychischen Folgen, die Men- Mir ist die Realität erstmals als Scheidungsanwältin schen erlebt haben, die über ein halbes Jahr im Gefäng- begegnet, als eine Mandantin aus unerfindlichen Grün- nis eingesessen haben. den trotz meiner unterstützenden Hinweise die Formu- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist lare zum Versorgungsausgleich partout nicht ausfüllen doch absurd!) konnte oder wollte. Sie kam aus dem Osten, aber im Üb- rigen schien es ein Routinefall ohne besondere Um- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak- stände zu sein. tion, ich will zum Abschluss noch einmal in besonderer Weise auf Ihre Vorschläge eingehen. Sie haben ja hier in Irgendwann brach es während einer Beratung aus ihr beeindruckender Offenheit gesagt, dass es Ihre Partei heraus, wobei sie am ganzen Körper zitterte: Sie war als war, die bis 1989 das Unrecht in der DDR an allererster Jugendliche als asozial eingestuft und bereits mit 16 in- Stelle verantwortet hat. haftiert worden. Was sie mir an diesem Tag schilderte, hat mir erstmals auch emotional nahegebracht, was (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!) SED-Unrecht bedeutet. Damals war an Entschädigung derjenigen, die Unrecht Die Bundesregierung hat uns heute einen Gesetzent- erlebt haben, nicht zu denken. Ich habe von den NS-Op- wurf zur Aufstockung der Opferrente für die von der fern gesprochen, die in der DDR 40 Jahre auf ihre Ent- politischen Verfolgung in der ehemaligen Sowjetischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6395

Katja Keul (A) Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Re- Die dadurch erlittenen Einbußen wie Schwerbehinderun- (C) publik Betroffenen vorgelegt. Zum 1. Januar 2015 soll gen und Persönlichkeitsstörungen werden für diese Per- die monatliche Zuwendung nach § 17 a des Strafrechtli- sonen mit zunehmendem Alter gravierender, sodass es chen Rehabilitierungsgesetzes um 20 Prozent, die mo- mit einer Einmalzahlung in diesem Bereich nicht getan natliche Ausgleichszahlung nach § 8 des Beruflichen ist. Rehabilitierungsgesetzes von 184 auf 214 Euro aufge- stockt werden. Dies sind die ersten Erhöhungen seit der Meine Fraktion hat bereits im Februar 2013 einen An- Einführung der Zuwendungen im Jahre 2007 bzw. 2003 trag zur Einführung einer Rente für Dopingopfer der und damit längst überfällig. DDR eingebracht. Getan hat sich bislang nichts. Herr Maas, Sie haben sich kürzlich zusammen mit Herrn de Der eingeschlagene Weg ist zu begrüßen. Auch vor Maizière auf einen Entwurf für ein Anti-Doping-Gesetz dem zeitlichen Hintergrund des 25. Jahrestages des verständigt. Die Dopingopfer wurden jedoch auch hier Mauerfalls hat dies durchaus eine symbolische Wirkung. nicht berücksichtigt. Das ist bedauerlich. Doch ist dies auch ausreichend? Mit der jetzigen Gesetzesänderung bewegt sich die In der Denkschrift der Bundesregierung zum Eini- Bundesregierung lediglich mit kleinen Schritten in die gungsvertrag heißt es ausdrücklich, dass die Rehabilitie- richtige Richtung. Die Opfer benötigen jedoch eine deut- rung aus rechtspolitischen, humanitären und sozialen lichere und offensivere Gangart, um die angemessene Gründen geboten sei, um das Unrecht und seine Auswir- Anerkennung – und darum geht es ja, jedenfalls mehr als kungen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu be- um die Beträge – des erlittenen Unrechts zu erfahren. seitigen. Eine Erhöhung um 50 Euro erscheint mir zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umsetzung dieses Zieles zu wenig. und bei der LINKEN) Seit der Einführung der Opferrente werden die Au- Aus diesem Grund fordern wir Grüne, dass alle Be- ßerachtlassung bestimmter Opfergruppen sowie das Kri- troffenen der Zersetzungsmaßnahmen des Staatssi- terium der finanziellen Bedürftigkeit vonseiten des cherheitsdienstes in die Gewährung der Opferpension Dachverbandes der SED-Opfer zu Recht kritisiert. Die einbezogen werden und vollständig auf die Bedürftig- Rente dient als Ausgleich für das erlittene Unrecht und keitsprüfung verzichtet wird. Zudem sollen Personen mit wird ohne hinreichenden Grund zu einer Sozialleistung einer Haftzeit von weniger als 180 Tagen zumindest eine gemacht. Herr Maas, Sie haben gesagt, man will die anteilige besondere Zuwendung erhalten. wirtschaftlichen Bedingungen für die Opfer verbessern. Aber wenn der höhere Betrag auf Sozialleistungen ange- Der zu diesem Thema vorgelegte Gesetzentwurf der rechnet wird, dann ändert sich für die Betroffenen nichts. Fraktion Die Linke greift einige der genannten Punkte (B) auf, etwa die Unabhängigkeit vom Einkommen. Wir (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in der letzten Legislaturperiode Ihrem Entschlie- und bei der LINKEN) ßungsantrag zugestimmt. Wir werden jetzt den vorlie- genden Gesetzentwurf prüfen. Ich bin aber zuversicht- Um dem eigentlichen Ziel gerecht zu werden, sollte sie lich, dass wir zusammenkommen. Ich hoffe auch, dass also einkommensunabhängig ausbezahlt werden. die Anhörung in der nächsten Sitzungswoche weitere (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ist es!) Wege aufzeigt, wie wir angemessen mit dem Thema um- gehen können. Ebenso ist die Beschränkung des Kreises der An- spruchsberechtigten auf ehemalige Häftlinge, die min- Vielen Dank. destens 180 Tage im Gefängnis verbringen mussten, sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN problematisch. Was ist denn mit denen, die nur wenige und bei der LINKEN) Wochen im Stasigefängnis malträtiert wurden? Sind sie deshalb keine Opfer? Was ist mit den verfolgten Schüle- Vizepräsident Johannes Singhammer: rinnen und Schülern, wie die eingangs erwähnte Man- Der Kollege Matthias Bartke spricht jetzt für die So- dantin? Was ist mit den aus dem Grenzgebiet Zwangs- zialdemokraten. ausgesiedelten? Diese Gruppen erhalten bislang keine Ausgleichsleistungen. Das ist ungerecht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Dr. Matthias Bartke (SPD): Auch die Leistungssportler der DDR, denen die Ein- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Koali- nahme von Dopingmitteln oft ohne deren Wissen bereits tionsvertrag haben wir vereinbart, die Zuwendung für im Kindes- und Jugendalter staatlich verordnet wurde Opfer des SED-Unrechts zu erhöhen. Ich finde, es gibt und die bis heute mit den schweren gesundheitlichen keinen besseren Zeitpunkt hierfür als den Monat, in dem Langzeitfolgen dieser Vorgehensweise zu kämpfen ha- sich der Mauerfall zum 25. Mal jährt. ben, müssen in den Kreis der Anspruchsteller mit aufge- nommen werden. Jeder Betroffene reagiert unterschiedlich auf Repres- sionen eines Unrechtssystems. Manche stecken dies weg (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und leben danach unbeschwert weiter und auch beruflich und bei der LINKEN) erfolgreich weiter. Andere allerdings erholen sich nie 6396 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Dr. Matthias Bartke (A) wieder wirklich von dieser Erfahrung und kommen nicht rechts. Für viele ist das noch viel wichtiger als die Geld- (C) mehr auf die Beine. Die beiden Opferrenten, die wir mit leistung: die Anerkennung, dass man selbst keine Schuld dem vorliegenden Gesetzentwurf aufstocken werden, hatte und dass es der Staat DDR war, der verbrecherisch sind gerade für diese Opfer gedacht. Sie sind für diejeni- gehandelt hat. Gerade für die vielen Opfer des SED-Re- gen, die die traumatischen Erfahrungen der Haft und der gimes war es daher wichtig, dass Rot-Rot-Grün in Thü- Repression nicht verwunden haben und wirtschaftlich ringen klargestellt hat, dass die DDR ein Unrechtsstaat nicht mehr auf die Beine gekommen sind. war. Ich finde, Frau Wawzyniak, dass Sie hier noch ein- mal sehr beeindruckend klargestellt haben, dass dies der Das klingt abstrakt. Ich habe vor einigen Wochen mit Fall gewesen ist. einer meiner Besuchergruppen das Stasigefängnis Ho- henschönhausen besucht. Ich kann das nur jedem emp- (Dr. Stefan Heck [CDU/CSU]: Habe ich nicht fehlen. Ich war von diesem Besuch tief erschüttert. Das gehört!) war nämlich überhaupt nicht mehr abstrakt, sondern be- Für eine zukunftsorientierte Politik ist es von eminen- klemmend konkret. Das Stasiuntersuchungsgefängnis in ter Bedeutung, dass das historische Fundament stimmt. Hohenschönhausen war nur eines von 17 Stasiuntersu- Hierzu gehört in erster Linie eine gemeinsame Bewer- chungsgefängnissen in der DDR. Das Prinzip dieser Ge- tung der jüngeren Vergangenheit unseres Landes. Zu einer fängnisse bestand darin, die Häftlinge zu erniedrigen zukunftsorientierten Politik gehört auch, dass man sich zu und zu brechen. Mit staatlichen Repressionen mussten seiner Vergangenheit bekennt und daraus die Lehren nicht nur Republikflüchtlinge rechnen. Das galt bei- zieht. Weiter gehört dazu, dass die Opfer des DDR-Un- spielsweise auch für Teilnehmer des Aufstands vom rechts für ihre erduldeten Leiden wertgeschätzt werden 17. Juni 1953, für die Zeugen Jehovas und auch für in und eine Entschädigung erhalten. Die geplanten Opfer- Ungnade gefallene Politiker wie etwa Walter Janka und rentenerhöhungen sind daher ein wichtiges und richtiges Wolfgang Harich. Signal zu einem symbolträchtigen Zeitpunkt. Seit Gründung der DDR kamen aus politischen Grün- Ich danke Ihnen. den zwischen 200 000 und 250 000 Menschen ins Ge- fängnis. Aber natürlich waren die Gefängnisse nur die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Spitze des Eisbergs, des Repressionssystems der DDR. neten der SPD und der LINKEN) Noch wichtiger als die Verhaftung und Verurteilung von Fluchtwilligen und Andersdenkenden war die abschre- Vizepräsident Johannes Singhammer: ckende Wirkung, die davon ausging. Den meisten Men- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der schen in der DDR war eben immer bewusst, dass man Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU. (B) sie, wenn sie sich auflehnten, jederzeit verhaften konnte. (D) Sie wussten, dass sie der Stasi dann schutzlos ausgelie- (Beifall bei der CDU/CSU) fert waren, dass sie ihre Arbeitsstelle und jede berufliche Perspektive verlieren konnten. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Der Kontroll- und Überwachungsapparat des MfS Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und wurde im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut. Am Herren! Die Mauer ist vor 25 Jahren gefallen – und da- Ende verfügte die Stasi über 91 000 hauptamtliche und mit der SED-Unrechtsstaat. Die Opfer leiden noch heute. über 180 000 inoffizielle Mitarbeiter, die sogenannten „Zu viele Verbote und zu wenig Rechte gab es in diesem IMs. Zum Vergleich: Das ist mehr als die Bundeswehr Land“ – das schreibt der Autor Jürgen Brand in seinem heute an Soldaten hat. Buch „Hafterlebnisse eines DDR-Bürgers“. Er wollte frei sein, seine Meinung äußern, und war dann Opfer von Ganz besonders tragisch sind in meinen Augen die Stasibespitzelung und Bedrängung. Er musste 20 Mo- Fälle, bei denen die Stasi die psychische Bedrängnis der nate inhaftiert in einer Stasihaftanstalt verbringen. Dort Opfer in ihren Gefängnissen ausgenutzt hat, um sie zu wurde er in Einzelhaft gehalten, durfte nicht schreiben einer Zusammenarbeit zu drängen. Das lief dann häufig und nicht lesen. Er befand sich in Isolation und ist durch nach dem Motto „Wir könnten Ihre Haft natürlich ver- Mitarbeiter der Staatssicherheit bedrängt worden. kürzen; Sie müssten sich nur etwas kooperationswilliger zeigen“. In solchen Situationen, Herr Heck, sind dann „Die Haft dauert an“, schreibt Angelika Cholewa in doch viele Menschen schwach geworden und haben die der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Auch sie wollte IM-Erklärung unterzeichnet. Ich finde, man sollte vor- frei sein und in den Westen übersiedeln. Bei einem sichtig sein mit Vorwürfen und Verurteilungen denen ge- Fluchtversuch an der Grenze zur damaligen Tschecho- genüber, die in einer solchen Situation schwach gewor- slowakei wurde sie verhaftet und musste über drei Jahre den sind. in DDR-Haft verbringen. Sie wurde in der Haft schwer krank und bekam nicht die notwendige medizinische (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Versorgung. Ganz im Gegenteil: Man hat ihr sogar noch der LINKEN) gedroht und vorgemacht, dass ihre Mutter im Sterben liege und sie diese nur sehen dürfe, wenn sie Mitglied Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erhöhen wir die der Stasi werde. Opferrenten nach dem Strafrechtlichen und dem Berufli- chen Rehabilitierungsgesetz. Das ist nicht nur eine Jürgen Brand und Angelika Cholewa sind nur zwei monetäre Maßnahme. Es ist vor allem auch von Staats von vielen Hunderttausend Opfern dieser Diktatur. Wenn wegen eine moralische Anerkennung des erlittenen Un- beinahe 40 000 Menschen zurzeit eine SED-Opferrente Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6397

Dr. Volker Ullrich (A) beziehen, dann geht es um 40 000 Schicksale. Es handelt Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen (C) sich um 40 000 Menschen, die allesamt länger als ein auf den Drucksachen 18/3120 und 18/3145 an die in der halbes Jahr in Stasihaft waren und über ein halbes Jahr Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Verzweiflung und schreckliche Erlebnisse durchmachen Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall; denn mussten. Wer vor dem Hintergrund dieser Schicksale ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- immer noch nicht erkannt hat, welche Dimension der sen. Unrechtsstaat der SED hatte, der verhöhnt die Opfer, Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf: meine sehr verehrten Damen und Herren. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Lenkert, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, wei- neten der SPD und der Abg. Halina terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wawzyniak [DIE LINKE]) Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom Wir müssen bei der Bemessung der SED-Opferrente eine kluge und rechtsstaatlich exakte Abwägung vorneh- Drucksache 18/3050 men. Natürlich kann gesagt werden, dass 350, 400 oder Überweisungsvorschlag: 450 Euro immer noch besser seien als das, was wir in Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) diesem Gesetzentwurf vorschlagen. Der entscheidende Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Punkt aber ist, dass wir bei der Bewältigung der Leiden Reaktorsicherheit der Opfer zweier Diktaturen auf deutschem Boden die Frage der Gleichmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch zu beachten haben. Deswegen meine ich, sollten die Op- für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre fer der SED-Diktatur so behandelt werden wie die Opfer keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. der NS-Diktatur, nicht schlechter, aber auch nicht besser. Ich eröffne zugleich die Aussprache. Das Wort hat der Dieser Staat behandelt diese Opfergruppen gleich, weil Kollege Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke. damit auch das Signal ausgeht: Wir wollen weder auf dem Boden dieses Landes noch in Europa jemals wieder (Beifall bei der LINKEN) Zustände wie in der SED-Diktatur oder während des NS- Regimes haben. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen Natürlich kann Geld eine verwundete Seele nicht hei- und Kollegen! Die Linke bringt ihren Antrag für bundes- len oder den Rechtsstaat wieder in die Balance bringen; einheitliche Netzentgelte von der Ostsee bis zu den Al- aber wir sind vor dem Hintergrund unserer Geschichte pen ein. Der Forderungsteil ist kurz – ich zitiere –: (D) (B) und dem, was die Opfer durchgemacht haben, sowie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Selbstachtung verpflich- Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie- tet, sensibel mit diesem Thema umzugehen und die rung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine SED-Opferrente an dieses Niveau anzupassen. Die Tat- bundeseinheitliche Wälzung der Stromnetzentgelte sache, dass wir erst im Jahr 2007 – übrigens auch damals für Privat- und Gewerbekunden vorsieht. unter der Führung einer Großen Koalition – die SED- (Beifall bei der LINKEN) Opferrente eingeführt haben, zeigt, dass wir da vielleicht zu lange gezögert haben. Wälzung ist die Umlage der Kosten des Netzes über den Strompreis. An dieser Stelle sei auch den Opferverbänden gedacht und gedankt, die dieses Thema über viele Jahre hinweg Warum fordern wir dies? Die Netze und ihre Betrei- im Bewusstsein der Öffentlichkeit halten und die Opfer bung sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber vertreten, die angesichts des ihnen beigefügten Leides gerade in strukturschwachen Regionen sind die Netzent- oftmals gar nicht in der Lage sind, ihre Erfahrungen in gelte am höchsten. Nach einer Studie der TU Dresden, der Öffentlichkeit zu artikulieren. Ich habe mich lange beauftragt durch die Sächsische Staatsregierung, betru- genug geschämt, sagt ein Opfer der SED-Diktatur. Das gen im Jahr 2013 die Netzentgelte in Düsseldorf Symbol und die Botschaft dieser heutigen Debatte müs- 4,03 Cent je Kilowattstunde, gleichzeitig 9,29 Cent je sen auch sein: Es darf und es muss sich kein Opfer mehr Kilowattstunde im Havelland. schämen. Die Symbolik muss auch sein: Die Opfer der (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) SED-Diktatur sind nicht allein. Sie haben unsere Solida- rität und unsere Unterstützung, weil es unser aller Anlie- Bis 2023 würden diese Unterschiede, würden wir so gen ist, dass sie rehabilitiert werden und einen Ehren- weitermachen wie bisher, von 4,77 Cent bis auf platz in der Mitte unserer Gesellschaft finden. 14,3 Cent je Kilowattstunde ansteigen. Das wären inklu- sive Mehrwertsteuer Preisunterschiede beim Endkunden Vielen Dank. zwischen heute 6 Cent und über 11 Cent im Jahr 2023. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Schweinerei!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Welche sind die Ursachen dafür? Eine Ursache ist das Vielen Dank, Herr Kollege Ullrich. – Damit schließe Alter der Stromleitungen. Ältere Leitungen verursachen ich die Aussprache. weniger Abschreibungskosten; sie sind damit tendenziell 6398 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Ralph Lenkert (A) billiger. Auch die Bevölkerungsdichte ist entscheidend: Aber wir fordern von den strukturstarken, dicht besiedel- (C) Wenn in einer Region weniger Stromkundinnen und -kun- ten Regionen Solidarität ein. Auch sie sollen ihren Bei- den leben, ist natürlich auch die Anzahl derer, die die trag zu den Netzentgelten leisten. Deswegen fordern wir Netzentgelte tragen müssen, geringer. Und: Sondertatbe- einheitliche Netzentgelte. stände werden unterschiedlich gewichtet. Die Kosten (Beifall bei der LINKEN) von KWK-Anlagen, also von Kraft-Wärme-Kopplungs- Anlagen, werden bundeseinheitlich umgelegt. Die Kos- Dies würde im Übrigen auch dazu führen, dass Investo- ten von Offshore-Anlagen werden bundeseinheitlich ren keinen Bogen mehr um strukturschwache Regionen umgelegt. Industrierabatte werden bundeseinheitlich machen würden, weil der Strom dort einfach zu teuer ist. umgelegt. Die Aluminiumhütten in Hamburg beispiels- Gemeinsam können wir die Akzeptanz der Energie- weise, die für zusätzliche Arbeitsplätze und Gewerbe- wende erhöhen, wenn es uns gelingt, die Netzentgelte zu steuereinnahmen in Hamburg sorgen, bekommen die vereinheitlichen. Wir haben unseren Antrag vorgelegt. Stromrabatte von allen Kundinnen und Kunden bundes- Er ist ein Diskussionsbeitrag. weit finanziert. Es gibt weitere Ungerechtigkeiten, die wir nicht er- Hingegen: Die Kosten für Transportverluste beim wähnt haben, zum Beispiel die Ungerechtigkeit der Strom, die Redispatch-Kosten, das heißt die Kosten zur Netzentgeltbefreiung. Durch die Abschaffung der Netzent- Sicherung der Netzstabilität, und die Regelenergiekosten geltbefreiung könnten im Übrigen auch die notwendigen werden nur regional umgelegt, und zwar dort, wo sie an- Erhöhungen in einigen Gebieten kompensiert werden. fallen, und das, obwohl die damit bezahlten Leistungen Wir haben bewusst darauf verzichtet, dies anzusprechen, für ein funktionierendes gesamtdeutsches Stromnetz damit die bei einigen Fraktionen bekannten Reflexe, zwingend erforderlich sind. Wir fordern ein Ende dieser wenn man an Subventionen für die Industrie herangeht, Ungleichbehandlung. nicht auftreten. Wir wollen offen diskutieren. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt weitere Probleme. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, ob man die Netzentgelte zukünftig viel- Ein weiterer Grund ist der Ausbau der erneuerbaren leicht nicht mehr nach dem Kilowattstundenverbrauch, Energien. Gerade in den Regionen, in denen besonders sondern nach der Anschlussleistung berechnet. Wir kön- die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, fallen vor nen über alles reden; wir sind offen. Das Ziel muss aber allem hohe Netzentgeltkosten an, zum Beispiel aufgrund sein, bei der Verteilung der Lasten für Gerechtigkeit zu von Netzverstärkung. sorgen, damit wir gemeinsam eine erfolgreiche Energie- wende hinbekommen. Deswegen bitte ich Sie ausdrück- Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: Eon lich: Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Netzentgelte erzeugt im Windpark Schönwalde Südost im Landkreis (B) in der Bundesrepublik einheitlich werden! (D) Dahme-Spreewald Strom. Die dortigen Bewohnerinnen und Bewohner zahlen auf den Strompreis Netzentgelte Vielen Dank. in Höhe von 9,11 Cent je Kilowattstunde. Die Gewinne (Beifall bei der LINKEN) dieses Windparks fließen zur Eon-Zentrale nach Düssel- dorf. Dort beträgt das Netzentgelt 4,03 Cent. Schön für die Düsseldorferinnen und Düsseldorfer! Der Landkreis Vizepräsident Johannes Singhammer: Dahme-Spreewald hat einen Windpark mit unverstell- Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Thomas tem Blick auf Windräder, es findet dort eine Zerschnei- Bareiß. dung der Landschaft durch die Stromtrassen statt, und (Beifall bei der CDU/CSU) wegen dieses Windparks sind die Stromkosten um 6 Cent höher. Das ist ungerecht. Thomas Bareiß (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN – Harald Petzold Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Lieber [Havelland] [DIE LINKE]: Schweinerei! – Herr Lenkert, die Forderung nach einer bundeseinheitli- Dr. [DIE LINKE]: Das chen Wälzung der Stromnetzentgelte für Privat- und Ge- muss beendet werden!) werbekunden scheint auf den ersten Blick nachvollzieh- bar zu sein. Ungleiche Preise sind immer für diejenigen Diese Ungerechtigkeit betrifft Regionen in Oberfran- ein Ärgernis, die davon negativ betroffen sind. Beispiele ken, in Niedersachsen, in Vorpommern, in Brandenburg, gibt es zur Genüge: Der Münchner Mieter wünscht sich in Thüringen. Diese Regionen haben eine Belastung die Mieten von Schwerin, der Nutzer des öffentlichen durch die Erzeugung der erneuerbaren Energien und eine Nahverkehrs in Stuttgart würde gerne Berliner Preise be- Belastung durch die Stromtrassen, ihre Natur wird zer- zahlen, und das Kilo Äpfel kostet auf dem Land wahr- schnitten, und dafür müssen sie auch noch zusätzliche scheinlich etwas weniger als in der Stadt. Netzentgelte zahlen. So wird die Energiewende nicht funktionieren. Auch bei den Netzentgelten gibt es Unterschiede. Hier trifft es viele Regionen in den neuen Ländern, wie (Beifall bei der LINKEN) gerade schon beschrieben, aber auch vermehrt den länd- Wir fordern natürlich nicht, dass Windräder auf der lichen Raum in ganz Deutschland. Die Verbraucher aus Düsseldorfer Kö installiert werden. diesen Regionen zahlen höhere Netzentgelte und damit auch höhere Strompreise, da die Kosten im Verteilnetz (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja, auf die betroffenen Kunden nur regional umverteilt wer- eine Idee wäre es!) den. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6399

Thomas Bareiß (A) Auch wenn ich den Unmut der Betroffenen nachvoll- und entsprechend höheren Netzentgelten. Das gilt natür- (C) ziehen kann, so gilt grundsätzlich: Eine Marktwirtschaft lich auch für die dünn besiedelten Gebiete der neuen braucht auch Preisunterschiede. Nur so können Angebot Bundesländer, in denen derzeit ein starker Ausbau von und Nachfrage effizient ausgeglichen werden. Gleich- erneuerbaren Energien erfolgt. So ist die Ökostrompro- macherei ist zwar die vermeintlich leichte Lösung, je- duktion in Ostdeutschland um 10 Prozent höher als im doch nicht nachhaltig und auch nicht immer gerecht. Westen. Bundeseinheitliche Netzentgelte sind weder gerecht, noch schaffen sie ausreichend Anreize, den Netzausbau Eines kann man schon heute sagen: Der Schwerpunkt stärker mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu der hohen Netzentgelte wird sich in den kommenden synchronisieren. Im Gegenteil: Sie schaffen weitere Ge- Jahren noch stärker in den ländlichen Raum verlagern, rechtigkeitsdebatten und Ineffizienzen. auch in den alten Bundesländern. Dadurch ergibt sich aber nicht nur ein höheres Netzentgelt, sondern auch eine hohe regionale Wertschöpfung, Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Zwischen- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nein! frage oder eine Zwischenbemerkung des Kollegen Eben nicht!) Lenkert? die durch den Ausbau der erneuerbaren Energien gewollt ist und die von diesem Pult aus oftmals beschrieben und Thomas Bareiß (CDU/CSU): gelobt wurde. Nein. Der ländliche Raum hat mit der Energiewende ein (Dr. [CDU/CSU]: Er muss neues Wachstumsfeld bekommen, noch zum Flieger!) (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die Re- Es gibt gute Gründe für regionale und differenzierte gionen haben nichts davon!) Netzentgelte. Erster Grund: In den neuen Bundesländern das im Übrigen von allen Stromverbrauchern mit über wurden die Netze nach der Wiedervereinigung umfang- 20 Milliarden Euro jährlich subventioniert wird. Nie- reich modernisiert; das wurde gerade beschrieben. Das mand profitiert von der Energiewende mehr als die länd- war auch dringend notwendig. Die daraus resultierenden lichen Räume. Landwirte, Kommunen, Häuslebauer und langfristigen Abschreibungskosten sind nun von den ört- Handwerksbetriebe auf dem Land profitieren in beson- lichen Kunden zu tragen. Auch diese profitieren von den derer Weise von der Energiewende; denn wo erneuer- Investitionen. bare Energien ausgebaut werden, entsteht auch regionale (B) Das wird sich aber in den nächsten Jahren ändern; Wertschöpfung. (D) denn in den nächsten Jahren sind verstärkt Neuinvesti- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Eben tionen in die Netze in den alten Bundesländern erforder- nicht!) lich. Auch hier braucht es moderne Netze, die sich an die zukünftigen Herausforderungen anpassen. Deshalb wird Einheitliche Netzentgelte sind nicht gerechter, son- es in den nächsten Jahren zwangsläufig auch hier zu Ver- dern sie hebeln die bestehende Anreizregulierung aus; schiebungen kommen. denn das derzeitige Anreizregulierungssystem setzt Effi- zienzanreize für die verschiedenen kommunalen und re- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein!) gionalen Netzbetreiber. Zweiter Grund – auch dieser wurde schon genannt –: (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So ein Der zukünftige enorme Ausbau der erneuerbaren Ener- Quatsch!) gien findet vor allem in den ländlichen Regionen und nicht in Ballungsräumen statt. Solche regulatorischen Effizienzanreize sind erforder- lich, um ineffiziente Investitionen zulasten der Strom- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Eben verbraucher zu vermeiden. drum!) Ein einheitliches Netzentgelt würde den Effizienz- Das gilt sowohl für den Westen als auch für den Osten wettbewerb zunichtemachen. Das wäre kontraproduktiv. unseres Landes. Deshalb kann man Düsseldorf auch Damit würde beispielsweise auch die Sinnhaftigkeit, nicht mit dem Havelland in Brandenburg vergleichen dass wir 900 Verteilnetzbetreiber haben, infrage gestellt. – das war das Beispiel, das Sie vorhin genannt haben –, Denn wenn wir ein einheitliches Netzentgelt einführen, so wie das auch in Ihrem Antrag zu finden ist. dann würde auch ein großer Verteilnetzbetreiber völlig (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Lesen ausreichen. Die immer wieder von vielen propagierte Sie doch noch einmal nach! Die Argumenta- Rekommunalisierung, die auch von Ihnen gewünscht tion war anders!) wird, wäre damit endgültig überflüssig. Auch in meiner Heimat, in Baden-Württemberg, gibt Meine Damen und Herren, wer tatsächlich die es ländliche Gebiete mit einem stärkeren Zubau der er- Netzentgelte mindern will, muss das System der „ver- neuerbaren Energien miedenen Netzentgelte“ angehen und die erneuerbaren Energien netztechnisch besser steuern. Das System der (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Deswe- vermiedenen Netzentgelte ist überholt; seine Abschaf- gen wollen wir ja bundesweit!) fung würde bei den Netzentgelten um 350 Millionen 6400 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Thomas Bareiß (A) Euro entlasten. Das käme vor allem den Regionen mit Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) höheren Netzentgelten, also auch den vorhin genannten Der Kollege Lenkert hat jetzt die Möglichkeit zu ei- Regionen, nachhaltig zugute. Vermiedene Netzentgelte ner Kurzintervention. basieren auf der Annahme, dass dezentrale Stromein- speisungen den Netzausbaubedarf auf der vorgelagerten Ralph Lenkert (DIE LINKE): Netzebene reduzieren. Dadurch würden, so die An- Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Bareiß, nahme, Infrastrukturkosten vermieden. ich möchte Ihnen kurz ein paar Punkte erklären, die Sie Diese Grundannahme ist nachweislich falsch. unserem Antrag wahrscheinlich nicht komplett entnom- men haben. Das bundeseinheitliche Netzentgelt führt (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) nicht zu Effizienzverlusten bei den Netzbetreibern. Denn wir planen – wenn Sie den Antrag richtig gelesen hätten, Denn gerade die Anlagen für fluktuierende erneuerbare dann wüssten Sie das –, dass die Netzbetreiber sich wie Energien wie Wind- und Sonnenenergie sind die Ursa- bisher von der Bundesnetzagentur ihre jeweiligen Netzent- chen für den erheblichen Netzausbau, der gerade auch gelte genehmigen lassen. Dann wird das Netzentgelt wie die Verteilnetzumlagen ständig nach oben treibt. Bei den bisher, aber eben bundesweit einheitlich, mit der Strom- erneuerbaren Energien ist die Einspeisung nicht planbar, rechnung von allen Stromkunden eingezogen. Das Geld und die Anlagen sind nur schwer steuerbar, da eine Ab- fließt in einen Fonds, aus dem dann die Netzbetreiber die nahmepflicht existiert. Es entstehen erhebliche Kosten ihnen jeweils zustehenden und genehmigten Netzent- für den Ausbau des bestehenden Netzes, da der Über- gelte zurückerhalten. Damit werden keine Effizienzver- schussstrom ins vorgelagerte Netz gedrückt wird. Da- luste eintreten. Das ist der erste Punkt. rüber sollten wir reden, statt über die Art und Weise, wie wir die Netzentgelte zulasten der Verbraucher anders Der zweite Punkt ist: Sie sagten, das wäre ein Vorteil verteilen können. für die einheimische Wirtschaft. Wenn zwischen zwei Regionen im Industriebereich ein Strompreisunterschied (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) von 100 Prozent besteht, dann liegt eine Wettbewerbs- verzerrung vor und wird die strukturschwache Region Meine Damen und Herren, auch die erneuerbaren noch strukturschwächer. Dann müssen die dortigen Energien müssen in Zukunft netzverträglicher ausgebaut Handwerksbetriebe aus Kostengründen – wegen der hö- werden. Wir sollten uns ernsthaft überlegen, ob die heren Energiekosten – in die ohnehin schon strukturstar- Netzanschlusspflicht und die Entschädigungsregelun- ken Regionen wegziehen. Das verstärkt das Ungleichge- gen in der jetzigen Form noch sinnvoll sind. Denn der wicht weiter, und damit wird es noch schwieriger, die Ausbau von Windanlagen in netzschwachen Regionen Energiewende zu meistern. Diesen Aspekt sollten Sie (D) (B) geht lediglich zulasten der Verbraucher, die die stillste- also auch nicht vergessen. henden Windräder über die EEG-Umlage entschädigen. Ein letzter Punkt: Die TU Dresden hat, beauftragt Deshalb ist es gut, dass wir dieses Problem zeitnah durch die sächsische Staatsregierung, ermittelt, dass in- angehen möchten. Wir sollten ernsthaft über eine deutli- klusive der Modernisierung der Netze im Westen die che Senkung der Entschädigung für stillstehende Anla- Schere zwischen Regionen mit den niedrigsten Netzent- gen nachdenken. gelten und denen mit den höchsten sich immer weiter öffnen wird. (Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) Im Übrigen kann ich Ihnen einen der Kreise nennen, Heute erhält ein stillstehendes Windrad 95 Prozent die die höchsten Netzentgelte im Jahr 2023 haben wer- der EEG-Vergütung. Wenn man diesen Wert absenken den. Das ist der Wahlkreis Vorpommern-Rügen Ihrer würde, gäbe es einen Anreiz für Anlagenbetreiber, in Bundeskanzlerin. Dieser Kreis wird den dritthöchsten Regionen mit ausreichenden Netzen zu investieren. Das Netzentgeltpreis aus den eben genannten Gründen ha- wäre volkswirtschaftlich sinnvoll; es wäre aber auch für ben. die betroffenen Regionen eine spürbare Entlastung in der Wir sind der Meinung, dass alle gleichmäßig an den Zukunft. Lasten der Energiewende beteiligt werden sollten. Un- Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich auch terschiede zwischen 4,7 Cent und 14 Cent Netzentgelt die Netze weiter ausbauen. Denn das zeigt auch diese sind einfach nicht vermittelbar. Obendrauf kommt die Debatte: Der Ausbau der erneuerbaren Energien alleine Mehrwertsteuer. Dadurch wird man noch mehr ge- reicht nicht aus. Neuer Strom muss auch abtransportiert schröpft. Reden Sie also nicht von Maßnahmen, die Sie werden: vom Land in die Stadt, vom Norden in den Sü- vielleicht ergreifen wollen! Ergreifen Sie endlich Maß- den. Das bedeutet, Netze müssen ausgebaut und ertüch- nahmen! Wenn Sie mit anderen Maßnahmen die tigt werden. Hierfür haben wir bisher die gesetzlichen Netzentgelte senken, werden wir dem nicht entgegenste- Rahmenbedingungen geschaffen. Jetzt müssen wir auch hen. den Ausbau vorantreiben. (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Kollege Bareiß, Sie haben die Möglichkeit, da- neten der SPD) rauf zu erwidern. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6401

(A) Thomas Bareiß (CDU/CSU): benannt. Sogar die Bundesnetzagentur weist darauf hin, (C) Herzlichen Dank. – Herr Lenkert, der Unterschied dass hier etwas getan werden muss. Aber, Herr Bareiß, zwischen uns beiden ist, dass Sie erhöhte Preise neu ver- auch dazu habe ich nichts gehört. Es wäre interessant, zu teilen wollen. Ich möchte versuchen, erhöhte Preise zu erfahren – vielleicht sagt der Kollege Becker gleich noch reduzieren. Ich glaube nicht, dass es günstiger wird, in- etwas dazu –, wie der Stand ist und wann wir mit etwas dem wir alles sozialisieren. rechnen können. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es geht Last, but not least haben wir – auch das ist ein wesent- um Gerechtigkeit, nicht um Sozialisieren!) licher Punkt – ein absurdes Sammelsurium von Ausnah- metatbeständen. Ich will nicht wieder die Golfplätze er- Auch wenn ich Ihr Anliegen verstehen kann, müssen wir wähnen. Nur so viel: Mir kann keiner erklären, warum berücksichtigen, dass in den Regionen, die erhöhte der Betreiber eines Golfplatzes verminderte Netznut- Netzentgelte haben, eine regionale Wertschöpfung statt- zungsentgelte zahlt. Wir müssen § 19 Absatz 2 der Strom- findet; netzentgeltverordnung reformieren, Stichwort: Mitter- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist nachtsparagrafen. Dazu höre ich von Ihnen gar nichts. aber nicht so!) Aber das würde die Verbraucher entlasten und tatsäch- lich etwas bringen. darauf bezog sich ein großer Teil meiner Rede. Es gibt also sowohl Vorteile als auch Nachteile für die betreffen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Regionen. Wir werden darüber in den nächsten Mo- und bei der LINKEN) naten intensiv sprechen. Es handelt sich aber nicht um ein Ost-West-Problem, sondern um ein generelles Pro- Nun haben die Kollegen von der Linken einen Antrag blem der Energiewende. Das muss fein austariert wer- eingebracht, der ein Problem beschreibt, das real exis- den. Wir müssen unsere Anstrengungen darauf verwen- tiert. Ich finde es nur ein bisschen schade, Ralph den, die Kosten zu reduzieren. Für mich bietet eine Lenkert, dass das hier als Ost-West-Problem aufgezogen Sozialisierung keine Grundlage. Sie wird nicht zu einer wird. Lösung führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herzlichen Dank. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Wenn überhaupt, dann ist das ein Problem zwischen Bal- Tackmann [DIE LINKE]: Das haben Sie ein- lungsgebieten und ländlichen Regionen. fach falsch verstanden!) (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Habe ich doch (B) gesagt!) (D) Vizepräsident Johannes Singhammer: Jetzt hat der Kollege Oliver Krischer für Bündnis 90/ Wenn man für die Energiewende ist, sollte man das dif- Die Grünen das Wort. ferenziert darstellen und hinzufügen – hier bin ich Kolle- gen Bareiß ausnahmsweise dankbar –, dass ländliche Regionen von der Energiewende überwiegend profitie- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ren. Damit wird Wertschöpfung in die ländlichen Regio- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es nen verlagert. Das heißt, das ist etwas Positives. ist in der Tat richtig: Die Netzentgelte in Deutschland sind reformbedürftig. Vor allen Dingen muss eine Leis- Sie stellen das Problem so dar, als ob die hohen Netz- tungskomponente eingeführt werden, weg von der rei- entgelte allein durch die Energiewende verursacht wä- nen Kilowattorientierung der Netzentgelte; denn es ent- ren. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Gerade im Os- stehen Kosten dadurch, dass das System vorgehalten ten haben wir hohe Netzentgelte, weil in den vergange- werden muss, egal wie viele Kilowattstunden bezogen nen 25 Jahren nach der Wiedervereinigung stark in die werden. Die Große Koalition hat das als wichtiges Netze investiert worden ist und deshalb die Kosten dort Thema erkannt; das steht auch im Koalitionsvertrag. gestiegen sind. Im Westen steht das in vielen Regionen Aber ich hätte mir gewünscht, Herr Bareiß, dass Sie sa- noch bevor. Das hat gar nichts mit der Energiewende zu gen, wie der Stand ist und was Sie unternehmen. Dazu tun, das hat etwas mit dem Alter der Netze zu tun. Bei habe ich leider nichts gehört; ich habe nur von der Abre- mir zu Hause steht ein Verteilerkasten aus den 50er-Jah- gelung der Windkraftanlagen gehört. Das ist eigentlich ren vor der Haustür. Der wird irgendwann ausgetauscht nicht das Thema. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie eine werden müssen, und dann stehen Investitionen an. Wenn Ansage zur Einführung einer Leistungskomponente bei es so läuft, wie Sie es machen wollen, dann führt das am den Netzentgelten machen. Ende dazu, dass der Osten die Umlage des Westens be- zahlt. Das kann nicht in Ihrem Sinne sein. Da schießen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie an der Stelle ein Eigentor. und bei der LINKEN) (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Lesen Sie die Der zweite Punkt ist: Wir müssen die Anreizregulie- Studie von der TU Dresden!) rungsverordnung novellieren; denn im Moment werden Verteilnetzbetreiber, die nicht in ihre Netze investieren, Worüber wir wirklich reden müssen, ist die Frage, wie tendenziell eher belohnt werden als diejenigen, die vor- wir die Kosten für die Ausbaukomponenten, die durch angehen und moderne Netze, sogenannte Smart-Netze, die Energiewende verursacht werden, tatsächlich gerecht bauen. Auch dieses Problem wird im Koalitionsvertrag verteilen können. Da, finde ich, haben Sie mit Ihrem An- 6402 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Oliver Krischer (A) trag einen Punkt getroffen, über den man reden muss. Präsident. Dort ist nämlich das festgehalten, was Oliver (C) Das ist aber Teil der Frage, wie wir modernisieren und Krischer eben gesagt hat. wie wir den ganzen Komplex der Netzentgelte neu ord- nen. Das steht auf der Tagesordnung. Wenn Ihr Antrag Die Koalition wird das System der Netzentgelte auf einen Anlass bietet, darüber zu reden und auch einmal zu eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der hören, welche Vorstellungen die Große Koalition dazu Netzinfrastruktur überprüfen. hat, dann ist das insgesamt gut. Es ist klar: Wir haben in den Koalitionsverhandlun- Man muss aber auch ein bisschen aufpassen, was man gen erkannt, dass es hier Handlungsbedarf gibt. Es gibt mit so einer Debatte anfängt. Das haben wir gerade vom Unterschiede, die aus den eben dargestellten Gründen Kollegen Bareiß gehört. Ich würde sagen: Der Kollege herrühren. Wir wollen uns das anschauen und dann für ist nicht immer ganz so auf der Seite der erneuerbaren eine fairere Verteilung sorgen. Energien; diesen Eindruck habe ich, wenn ich die Debat- Aber, lieber Ralph Lenkert, man darf das Thema nicht ten so verfolge. Es wird die Frage gestellt: Brauchen wir an diesem Punkt beenden. überhaupt 900 Verteilnetzbetreiber? Wenn wir Netzent- gelte komplett ausgleichen, dann muss man auch die (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein!) Frage beantworten, wie wir dafür sorgen, dass weiter re- gional und dezentral effizient gewirtschaftet wird. Man darf nicht nur eine Gerechtigkeitsdebatte daraus machen, sondern es handelt sich auch um eine Frage der Das haben Sie zwar angesprochen, man sucht aber in Technik, der neuen Herausforderungen, der Weiterent- Ihrem Antrag vergeblich die Lösung. Die findet man wicklung und ob wir Leistungskomponenten brauchen. nicht. Das geht an der Stelle nicht. Deshalb hoffe ich da- Auch das ist im Koalitionsvertrag genauso adressiert. rauf, dass wir im Wirtschaftsausschuss eine vernünftige Das heißt, es geht nicht nur um die Frage, ob es gerecht fachliche Debatte führen; denn das ist etwas für Fein- oder fair ist, sondern auch darum, wie ich die künftigen schmecker der Energiewende. Ich hoffe, dass wir am Herausforderungen angehen kann. Man muss aufpassen Ende eine Lösung finden werden. – das hat Oliver Krischer gesagt –, dass man die Anreize Wenn der Antrag der Anlass dazu ist, dass wir insge- für Effizienzmaßnahmen hochhält, dass man aber die samt die vielen fachlichen Detailfragen, von der Leis- ungerechten Differenzierungen, die gesamtsystematisch tungskomponente über die Anreizregulierungsverordnung entstanden sind – denn die Energiewende ist eine ge- und die Ausnahmetatbestände bis hin zur regionalen samtdeutsche Herausforderung –, ausgleicht. Verteilung und zu regionaler Gerechtigkeit, unter einen Lieber Thomas Bareiß, gestatte mir einen Hinweis. Hut bringen können, dann wäre das am Ende ein gutes (B) Möglicherweise könnte hier und da der Eindruck entste- (D) Ergebnis. Darauf freue ich mich. Wenn das der Anlass hen, dass wir in dieser Debatte grundsätzlich noch ein- ist, dann ist das okay. mal die Frage der Entschädigungsregelung diskutieren. Danke schön. Du kennst die offizielle Sprachregelung in der Koalition. Wir haben das im Rahmen der EEG-Novelle diskutiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind zu einer anderen Überzeugung gekommen, und die gilt bis zum Ende dieser Legislaturperiode. Ich sage Vizepräsident Johannes Singhammer: das nur, damit für Außenstehende an dieser Stelle keine Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Becker für die Verunsicherung entsteht. Sozialdemokraten. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Beifall bei der SPD) Danke für die Klarstellung!) Was mir relativ wichtig ist, ist, dass wir Folgendes Dirk Becker (SPD): noch einmal miteinander besprechen – das klang eben an –: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist die Frage, ob Annahmen der Energiewende heute Ich habe gerade zu Oliver Krischer aus Spaß gesagt: noch so zutreffen wie beispielsweise zu dem Zeitpunkt, Mensch, du kannst ja auch vernünftig sein. als wir über die vermiedenen Netznutzungsentgelte ge- sprochen haben. Wir haben vor einigen Jahren angenom- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men, dass wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Ener- NEN]: Ich bin vernünftig! Ich bin die Vernünf- gien weniger Investitionen in die Netze zu tätigen haben. tigkeit in Person!) Der Gegenbeweis ist heute an vielen Stellen erbracht: Was will ich damit sagen? Ich bin der Fraktion Die Die Netze haben neue Funktionen erhalten; sie müssen Linke durchaus dankbar, dass sie sich dem Energiethema anders aufgestellt werden; andere Investitionen sind er- widmet, mit dem man in der Tat vielleicht keine Wahl- forderlich. Von daher müssen wir an dieser Stelle in Er- kämpfe gewinnt. Es sind etliche Themen in der Pipeline, wägung ziehen, dass die vermiedenen Netznutzungsent- die für die Energiewende unverzichtbar sind, und das gelte heute eigentlich nicht mehr zeitgemäß sind, und Thema der Verteilnetze, der Übertragungsnetze gehört müssen darüber hinaus – wir haben das beim Thema Ei- unstrittig dazu. genverbrauch und beim EEG diskutiert – schauen, wie wir alle stärker an den Kosten der Infrastruktur beteili- Ich will zu Beginn auch mit Blick auf Thomas Bareiß gen, unabhängig davon, ob sie sie ständig nutzen oder kurz den Koalitionsvertrag zitieren, wenn ich darf, Herr nur als Rückfalloption betrachten. Diese Investitionen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6403

Dirk Becker (A) sind für das gesamte System erforderlich, und alle sind Dabei müssen wir aber auch berücksichtigen, dass der (C) daran zu beteiligen. Aus- und Umbau unseres Stromnetzes je nach regionaler Beschaffenheit unterschiedliche Anforderungen auf- Von Oliver Krischer wurde eben die Frage gestellt: weist und dadurch auch unterschiedlich intensiv ausge- Wie seid ihr denn aufgestellt? Es ist so – ich glaube, das prägt ist. Dies hat vor allem zwei Gründe – auf sie sind weißt du auch; der Zeitplan ist ja nicht geheim –, dass die Vorredner schon eingegangen; deswegen, denke ich, bis zur Sommerpause des nächsten Jahres die Regierung muss ich das nicht auch noch tun –: Diese betreffen zum eine Reform der Anreizregulierungsverordnung plant einen die Entwicklung in den neuen Bundesländern und und dass wir in dem Zusammenhang die vom Kollegen zum anderen all die Regionen, wo erneuerbare Energien Lenkert aufgeworfenen Fragen prüfen. in stärkerem Umfang installiert worden sind als an- Ich will an dieser Stelle eines aber auch sagen – ich derswo. habe es Ihnen vorweg schon gesagt –: Wir haben natür- Ich möchte einmal ganz nüchtern auf die von der Lin- lich schon Gespräche mit den Akteuren im Markt ge- ken präsentierten Zahlen eingehen. Sie sprechen in Ih- führt; denn so etwas macht man nicht am Reißbrett und rem Antrag davon, dass es teilweise eine Kostendiffe- nicht, indem man das nur als Gerechtigkeitsfrage behan- renz von 100 Prozent geben würde, bei einem Verbrauch delt. Dabei hat man es mit etwas zu tun, was oft vor- von 3 500 Kilowattstunden eine Kostendifferenz von kommt: Jeder Übertragungsnetzbetreiber hat eine andere 192 Euro. Da habe ich selber angefangen, ein bisschen Position. Den Vorschlag, den Sie machen, sehe ich ge- zu rechnen. Gehen wir davon aus, dass die Netznut- genwärtig – ich sage es einmal vorsichtig – noch am zungsentgelte ungefähr 22 Prozent des Strompreises aus- weitesten weg. Es gibt viele Vorschläge dazu, wie man machen. so etwas in einem Übergang, vielleicht in verschiedenen Stufen, modellieren kann. (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein!) All das werden wir besprechen, gern mit der Opposi- Ich habe die Netzentgelte in ungefähr gleich großen tion, in jedem Fall aber mit den Akteuren am Markt. Das Städten im Westen und im Osten miteinander verglichen Problem ist angekommen, es steht auf der Agenda der und erhielt ganz andere Zahlen. Sie haben in Ihrem An- Großen Koalition, und wir werden es entsprechend lö- trag – darauf ist schon hingewiesen worden – eine Groß- sen. stadt, nämlich Düsseldorf, mit einer Region, dem Havel- land, verglichen. Damit ändern Sie Vergleichsparameter. Vielen Dank. Jeder Statistiker wird Ihnen sagen, dass das nicht geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich habe die Netzkosten der Kleinstädte Wittenberge (B) der CDU/CSU) in Brandenburg und Bad Saulgau in Baden-Württem- (D) berg miteinander verglichen. Beide Städte haben rund 17 000 Einwohner. Vergleicht man nun auf Grundlage Vizepräsident Johannes Singhammer: des von Ihnen zitierten Vergleichsportals Verivox, müs- Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Sie hatten ge- sen die Wittenberger bei einem Verbrauch von 3 500 Ki- fragt, ob das Zitieren des Koalitionsvertrags zulässig ist. lowattstunden rund 168 Euro an Netzkosten bezahlen, Ich möchte Ihnen hier eindeutig erklären: Es ist zulässig; die Bad-Saulgauer rund 170 Euro. Ich glaube, das ist allerdings wird es auf die Redezeit angerechnet. kein allzu großer Unterschied. (Heiterkeit) (Dr. [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU. Dieser Vergleich belegt, dass Sie Ihre Argumente offen- sichtlich nur mit einer bestimmten Brille gewählt haben; (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. denn höhere Netznutzungsentgelte – das ist heute schon [SPD]) deutlich geworden – sind nicht nur im Osten und in strukturschwachen Regionen zu finden. Vielmehr zeigt Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU): sich, dass diese Netznutzungsentgelte regional unter- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schiedlich hoch ausfallen, und zwar im Westen wie im Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Netze Osten. sind in allen drei Spannungsebenen ein unverzichtbarer (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Habe ich doch Teil unseres Energiesystems – ich glaube, da sind wir gesagt! Sie können nachlesen, dass ich das ge- uns einig –, und sie sind auch das Rückgrat unserer sagt habe!) Energieversorgung. Daraus folgt: Ohne eine ausrei- chende Netzkapazität kann letztendlich auch die Ener- Regionale Unterschiede müssen aus meiner Sicht aber giewende nicht gelingen. Um dieses Rückgrat der Ener- auch regional gelöst werden. giewende kontinuierlich stabil zu halten, arbeiten wir (Beifall des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/ seit vielen Jahren daran, die Netzinfrastruktur mit der CSU]) Energieerzeugung und dem Energieverbrauch in Ein- klang zu bringen; denn Netzausbau und Ausbau der er- Genau aus diesen Gründen werden die Netznutzungsent- neuerbaren Energien bedingen einander und müssen des- gelte gemäß dem Verursacherprinzip regional gewälzt und wegen eng verzahnt miteinander gestaltet werden. dort getragen, wo sie anfallen. Wir haben in Deutschland 6404 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

Dr. Herlind Gundelach (A) doch auch ganz bewusst keinen Einheitsmietpreis und Um die Wirkungsweise des Anreizregulierungssys- (C) keinen Einheitswasserpreis. So etwas wie ein Länderfi- tems beurteilen zu können, haben wir die regelmäßige nanzausgleich für Netze wäre nicht marktwirtschaftlich Erstellung eines Evaluierungsberichts durch die Bundes- und aus unserer Sicht auch nicht umsetzbar. netzagentur eingeführt. Dieser Evaluierungsbericht ist bis zum 31. Dezember 2014 dem Bundesministerium für Davon abgesehen ignorieren Sie einen weiteren Wirtschaft und Energie vorzulegen. Der Bericht wird un- Punkt, auf den ich jetzt nur kurz eingehen möchte, näm- ter anderem Angaben zum Investitionsverhalten der lich dass mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Netzbetreiber und zur Notwendigkeit von Maßnahmen durchaus auch Wertschöpfung in diesen Regionen er- zur Beseitigung von Investitionshemmnissen enthalten. folgt, was zu erhöhten Steuereinnahmen und auch mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätzen führt. Durch eine bun- Sollten wir bei Überprüfung der Anreizregulierung desweite Vereinheitlichung der Netzentgelte würden wir feststellen, dass die vorhandene Netzentgeltsystematik den gewünschten Standortwettbewerb der Länder unter- nicht ausreichend greift, müssen wir uns Gedanken ma- binden. Die Höhe der Netzentgelte stellt gerade für chen, wie wir eine Novellierung systematisch angehen stromintensive Unternehmen einen bedeutsamen Stand- können, ohne dass bereits bestehende marktwirtschaftli- ortfaktor dar, der durch die Schaffung bundeseinheitli- che Instrumente ausgehebelt werden. cher Netzentgelte nicht nachteilig beeinflusst werden Ich sehe beispielsweise in der steigenden Eigenstrom- sollte. Für die industriell geprägten Bundesländer, die versorgung durchaus eine Herausforderung, der wir uns nicht von einer gestärkten Wertschöpfung durch die auch im Bereich der Netze stellen müssen. Hier könnte Energiewirtschaft profitieren, könnten einheitliche man zum Beispiel über eine Änderung der Netzanschluss- Netzentgelte zu einer Mehrbelastung von bis zu 40 Pro- kosten oder anderes nachdenken. Nicht durchdachte zent führen. Schnellschüsse, wie sie Ihrem Antrag zugrunde liegen, Die Energiewende führt, wie Sie in Ihrem Antrag sollten wir aus meiner Sicht in jedem Fall vermeiden. richtig ausgeführt haben, zu einer Dezentralisierung un- Herzlichen Dank. seres Energiesystems. Daher ist in der Vergangenheit auch immer wieder über die sachgerechte und angemes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sene Ausgestaltung der Netznutzungsentgelte diskutiert neten der SPD) worden. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Netzentgelte dahin gehend zu überprüfen; das hat Herr Vizepräsident Johannes Singhammer: Becker gerade gesagt. Das werden wir auch machen. Vor Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs- diesem Hintergrund haben wir bereits 2007 die Berech- punkt ist der Kollege , SPD. (B) nung der Netznutzungsentgelte auf das Anreizregulie- (D) rungssystem umgestellt. Ich kann mich erinnern, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich damals im Vermittlungsausschuss, als wir die ersten der CDU/CSU) Überlegungen dazu anstellten, auf Länderseite dabei war. Das war ein schwieriger Komplex; aber ich glaube, Johann Saathoff (SPD): der Ansatz, den wir damals gewählt haben, war richtig. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Dieses System soll Netzbetreibern gerade Anreize zur Kollegen! Als ich den Antrag der Linken zum ersten Mal Steigerung der Effizienz geben und damit zu Kostensen- gelesen habe, dachte ich, ich müsste in meiner Rede kungen für den Verbraucher führen. Die Genehmigung heute Details aus der Evaluierung der Anreizregulie- der Netzentgelte erfolgt durch die Bundesnetzagentur, rungsverordnung vortragen, was ich gar nicht kann, weil die diese Prüfung sehr sorgfältig durchführt und dabei der Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Ich diskutiere stets das Interesse der Verbraucher im Blick hat. über dieses Thema oft genug mit meinem Sohn Christian, einem Auszubildenden im Bereich der erneu- Eine Vereinheitlichung der Netzentgelte würde hinge- erbaren Energien. Diese Gespräche sind für den Rest un- gen nach unserer Auffassung zu einer Aushebelung des serer Familie, liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Wettbewerbs und damit zu einer Entkopplung der An- große Freude. reizmechanismen führen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Zuhören!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Netzbetreiber hätten dann keine großen Anreize mehr Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine effiziente Bewirtschaftung ihrer Netze. Im Netz ist denn in der Familie Saathoff los?) darf der Effizienzdruck nicht über Regulierung erfolgen, Ich denke, Sie werden mir alle dankbar sein, wenn ich sondern muss weiterhin über den marktwirtschaftlichen uns das so kurz vor dem Abschluss dieser Sitzungswo- Mechanismus des Preises funktionieren; alles andere che erspare. geht aus meiner Sicht in Richtung Planwirtschaft. Sie fordern im Prinzip eine Situation ein, die einer Verstaat- Stattdessen möchte ich lieber den Gedanken Ihres An- lichung der Netze gleichkommt. Planwirtschaft und Ver- trags aufgreifen. „Entsolidarisierung“ war der erste Be- staatlichung durch die Hintertür, das wollen wir nicht griff, der mir dabei einfiel. Es ist nicht richtig, dass die unterstützen. Lasten des regionalen Netzausbaus ungerecht verteilt werden. Wir alle wollen im Sinne der Gerechtigkeit und (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der gleichen Lebensverhältnisse insbesondere der Men- NEN]: Das ist nun auch Quatsch!) schen in den ländlichen Räumen einheitliche finanzielle Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6405

Johann Saathoff (A) Rahmenbedingungen bei den Netznutzungsentgelten Die Netzentgelte sind für uns aber nur ein Teilaspekt (C) schaffen. zukünftiger Aufgaben, zu denen ich noch einige Sätze sagen möchte: Das Bundesministerium für Wirtschaft Wenn Sie einen Blick in unseren Koalitionsvertrag und Energie hat kürzlich ein Grünbuch zum Strom- geworfen haben – er ist schon zitiert worden –, haben marktdesign vorgelegt. Dieses Grünbuch ist ein Diskus- Sie gesehen, dass wir das System der Netzentgelte über- sionspapier, und wir in der SPD-Bundestagsfraktion be- prüfen wollen – was wir ja bereits tun –, und dies vor al- raten dieses Thema schon seit einiger Zeit sehr intensiv lem mit Blick auf eine faire Lastenverteilung bei der Fi- unter Federführung meines Kollegen Dirk Becker. Dabei nanzierung der Netzinfrastruktur. Liebe Kolleginnen und ist eine ganz zentrale Frage, ob die notwendigen Reser- Kollegen, wie es aussieht, besteht Konsens über das vekapazitäten allein in einem Strommarkt 2.0 wirtschaft- Ziel; nur über den Weg dahin sind wir uns uneins. lich vorgehalten und eingesetzt werden können oder ob wir dafür einen zweiten Markt oder Mechanismus, einen Den fairen Lastenausgleich dürfen wir aber nicht nur Kapazitätsmechanismus, brauchen. Eine weitere Auf- auf die Netzentgelte beziehen. Die Energiewende ist eine gabe besteht darin, einen möglichst großen Teil des ge- gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb muss sich planten Netzausbaus zu vermeiden, indem wir den Be- auch die gesamte Gesellschaft an den Lasten beteiligen. darf mit intelligenten Netztechnologien oder smarter Der Zustand, den Sie in Ihrem Antrag beschreiben, näm- Steuerung kompensieren. Dadurch würden bestimmte lich dass Stromkunden in ländlichen Räumen und Regio- Kosten erst gar nicht entstehen, und gerade die Kosten, nen mehr Netzentgelte zu zahlen haben als Stromkunden die nicht entstehen, sind doch die besten. Ich denke, da in Ballungsgebieten, ist ein gutes Beispiel für die wach- sind wir uns einig. sende Kluft zwischen den Ballungsgebieten und den ländlichen Regionen. Nun, am Ende meiner Rede am Ende dieser Sitzungs- woche, freue ich mich auf eine fünfstündige Zugfahrt in Ich komme aus einer ländlichen Region. Mein Wahl- diese wunderbare Region ohne Autobahn und ohne kreis ist einer der wenigen Wahlkreise in Deutschland schnelles Internet, die für mich trotzdem die schönste ohne einen einzigen Autobahnkilometer. Region Deutschlands ist, dahin, wo Deiche hoch und Berge Fehlanzeige sind, (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Meiner auch!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Schnelles Internet gibt es längst nicht überall, und wir GRÜNEN) führen immer wieder Diskussionen über den Erhalt von in das schöne Ostfriesland. (B) Institutionen der Daseinsvorsorge. Er ist ein Beispiel für (D) viele ländliche Regionen in Deutschland, die in ihrer Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Komm’t Entwicklung einfach mehr und mehr abgehängt werden. gaud na Huus hen! Für dort lebende Menschen macht das die Sache nicht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem einfacher. Deshalb freue ich mich darüber, dass wir in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dieser Legislaturperiode zum Beispiel die Gemein- schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Vizepräsident Johannes Singhammer: Küstenschutzes“ zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Länd- Lieber Herr Kollege Saathoff, vielen Dank für die liche Entwicklung“ weiterentwickeln wollen. Damit Schilderung der Heimatregion. – Damit sind wir am können wir künftig viel für die Menschen in den ländli- Ende unserer Aussprache angelangt. chen Räumen tun. Dieses Projekt werden wir im Früh- jahr 2015 starten. Auch beim Breitbandausbau wollen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf wir viel Geld in die Hand nehmen. Ziel ist es, bis 2018 Drucksache 18/3050 an die in der Tagesordnung aufge- alle Haushalte in Deutschland mit einer Übertragungsge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- schwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde zu versor- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung gen. so beschlossen. Um wieder zur Energie zurückzukehren, möchte ich Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- den Bundeswirtschaftsminister zitieren, der dieses Jahr ordnung und auch dieser Woche. nicht müde wurde, zu betonen, dass wir die Lasten der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Energiewende wieder auf mehr Schultern verteilen wol- destages ein auf Dienstag, den 25. November 2014, len, und das wollen wir auch nach der Novelle des EEG. 10 Uhr. Allerdings werden wir dabei nicht den von Ihnen vorge- Die Sitzung ist geschlossen. Kommen Sie alle gut schlagenen Weg eines Gesetzes beschreiten; denn die für nach Hause. die Netzentgelte maßgeblichen Bestimmungen sind Ver- ordnungen. (Schluss: 15.10 Uhr)

Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6407

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Alpers, Agnes DIE LINKE 14.11.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 14.11.2014

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 14.11.2014 Strässer, Christoph SPD 14.11.2014 DIE GRÜNEN Strobl (Heilbronn), CDU/CSU 14.11.2014 Behrens, Herbert DIE LINKE 14.11.2014 Thomas

Bülow, Marco SPD 14.11.2014 Tack, Kerstin SPD 14.11.2014

Dağdelen, Sevim DIE LINKE 14.11.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 14.11.2014 DIE GRÜNEN Hänsel, Heike DIE LINKE 14.11.2014 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 14.11.2014 Helfrich, Mark CDU/CSU 14.11.2014 DIE GRÜNEN

Henn, Heidtrud SPD 14.11.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 14.11.2014

Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ 14.11.2014 Wöllert, Birgit DIE LINKE 14.11.2014 DIE GRÜNEN Zypries, Brigitte SPD 14.11.2014 Klein-Schmeink, BÜNDNIS 90/ 14.11.2014 (B) Maria DIE GRÜNEN (D) Anlage 2 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ 14.11.2014 DIE GRÜNEN Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) zur na- Kömpel, Birgit SPD 14.11.2014 mentlichen Abstimmung über den Änderungs- antrag des Abgeordneten Kai Gehring, weiterer Dr. Launert, Silke CDU/CSU 14.11.2014 Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem von der Bundesregierung einge- Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 14.11.2014 brachten Entwurf eines Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungs- Dr. Nick, Andreas CDU/CSU 14.11.2014 förderungsgesetzes (25. BAföGÄndG) Druck- sache 18/3182 (66. Sitzung, Tagesordnungs- Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ 14.11.2014 punkt 13a) DIE GRÜNEN Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht da- Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ 14.11.2014 bei. Mein Votum zum Änderungsantrag der Drucksache DIE GRÜNEN 18/3182 ist „Nein“. Pau, Petra DIE LINKE 14.11.2014

Pronold, Florian SPD 14.11.2014 Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Dr. Riesenhuber, CDU/CSU 14.11.2014 Heinz Der Bundesrat hat in seiner 927. Sitzung am 7. No- vember 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen Roth, Michael SPD 14.11.2014 zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: Schlecht, Michael DIE LINKE 14.11.2014 – Gesetz zum Erlass und zur Änderung von Vor- schriften zur Durchführung unionsrechtlicher Schön (St. Wendel), CDU/CSU 14.11.2014 Vorschriften über Agrarzahlungen und deren Nadine Kontrollen in der Gemeinsamen Agrarpolitik 6408 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014

(A) – Gesetz zur Teilauflösung des Sondervermögens Georgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (C) „Aufbauhilfe“ und zur Änderung der Aufbauhil- auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und feverordnung vom Vermögen – Erstes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Ver- – Gesetz zu dem Zweiten Zusatzprotokoll vom sorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften 8. November 2001 zum Europäischen Überein- (Erstes Pflegestärkungsgesetz – PSG I) kommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen – Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungs- gesetz 2014/2015 (BBVAnpG 2014/2015) – Gesetz zu dem Abkommen vom 22. Juni 2010 zur zweiten Änderung des Partnerschaftsabkom- – Sechstes Gesetz zur Änderung des Verwaltungs- mens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Vollstreckungsgesetzes Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im – Gesetz zur Änderung des Antiterrordateigesetzes Pazifischen Ozean einerseits und der Europäi- und anderer Gesetze schen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Zweites Änderungsabkommen zum – Gesetz zu dem Vertrag vom 14. April 2014 zwi- AKP-EG-Partnerschaftsabkommen) schen der Bundesrepublik Deutschland und der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen – Kör- – Gesetz zu dem Internen Abkommen vom 24. Juni perschaft des öffentlichen Rechts – 2013 zwischen den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten der Euro- – Gesetz zur Erleichterung der Umsetzung der päischen Union über die Finanzierung der im Grundbuchamtsreform in Baden-Württemberg mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum sowie zur Änderung des Gesetzes betreffend die 2014 bis 2020 vorgesehenen Hilfe der Europäi- Einführung der Zivilprozessordnung und des schen Union im Rahmen des AKP-EU-Partner- Wohnungseigentumsgesetzes schaftsabkommens und über die Bereitstellung – Zwölftes Gesetz zur Änderung des Bundes-Im- von finanzieller Hilfe für die überseeischen Län- missionsschutzgesetzes der und Gebiete, auf die der vierte Teil des Ver- trags über die Arbeitsweise der Europäischen – Gesetz zur Änderung des Umweltstatistikgesetzes Union Anwendung findet (Internes Abkommen) und des Wasserhaushaltsgesetzes – Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht – Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgeset- zur Erleichterung der Unterbringung von Flücht- (B) zes, der Gewerbeordnung und des Bundeszentral- lingen (D) registergesetzes – Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesfern- Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie straßenmautgesetzes gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans absehen: des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2015 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2015) – Gesetz zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Auswärtiger Ausschuss Rates zur Änderung der Verordnung (EWG, – Unterrichtung durch die Bundesregierung EURATOM) Nr. 354/83 im Hinblick auf die Hin- Vierter Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen terlegung der historischen Archive der Organe zur Umsetzung von Resolution 1325 des Sicherheitsrats beim Europäischen Hochschulinstitut in Florenz der Vereinten Nationen zu Frauen, Frieden und Sicher- heit im Zeitraum August 2010 bis Dezember 2013 – Gesetz zu dem Abkommen vom 13. Februar 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Drucksachen 18/1003, 18/1702 Nr. 1.1 der Republik Costa Rica zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern Innenausschuss vom Einkommen und vom Vermögen – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Gesetz zu dem Protokoll vom 24. Juni 2013 zur Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses zu Änderung des Abkommens vom 4. Oktober 1991 Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inan- zwischen der Bundesrepublik Deutschland und spruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch dem Königreich Norwegen zur Vermeidung der Angehörige der EU-Mitgliedstaaten Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- Drucksache 18/960 hilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom- men und vom Vermögen sowie des dazugehörigen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Protokolls Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses zu „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inan- – Gesetz zu dem Protokoll vom 11. März 2014 zur spruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Änderung des Abkommens vom 1. Juni 2006 zwi- Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ schen der Bundesrepublik Deutschland und Drucksache 18/2470 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. November 2014 6409

(A) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ratsdokument 11970/14 (C) Drucksache 18/3110 Nr. A.6 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 13680/14 Bericht über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfall- Drucksache 18/3110 Nr. A.7 verhütung im Straßenverkehr 2012 und 2013 Ratsdokument 13683/14 (Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2012/2013) Drucksachen 18/2420, 18/2530 Nr. 11 Haushaltsausschuss Drucksache 18/2055 Nr. A.5 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben KOM(2014)300 endg. mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Drucksache 18/2055 Nr. A.6 Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- Ratsdokument 10340/14 Drucksache 18/2055 Nr. A.7 ner Beratung abgesehen hat. Ratsdokument 10341/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.35 Ratsdokument 11775/14 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/2677 Nr. A.5 Drucksache 18/2533 Nr. A.1 Ratsdokument 12621/14 EuB-BReg 56/2014 Drucksache 18/2677 Nr. A.6 Drucksache 18/2533 Nr. A.2 Ratsdokument 12659/14 EuB-BReg 60/2014 Drucksache 18/2677 Nr. A.7 Drucksache 18/2533 Nr. A.7 Ratsdokument 12698/14 Ratsdokument 7224/14 Drucksache 18/2845 Nr. A.1 EuB-BReg 72/2014 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/2935 Nr. A.1 EuB-BReg 73/2014 Drucksache 18/2935 Nr. A.3 Drucksache 18/2935 Nr. A.2 Ratsdokument 13426/14 Ratsdokument 13519/14

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Innenausschuss Drucksache 18/1935 Nr. A.11 Drucksache 18/419 Nr. A.30 Ratsdokument 10070/14 Ratsdokument 15369/13 Drucksache 18/1935 Nr. A.12 Drucksache 18/2533 Nr. A.15 Ratsdokument 10201/14 Ratsdokument 11260/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.53 Drucksache 18/2533 Nr. A.19 Ratsdokument 12370/14 (B) (D)

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