Das Bernbiet ehemals und heute : Pieterlen, ein Dorf am Jurasüdfuss

Autor(en): Rauscher, Heinz

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Historischer Kalender, oder, Der hinkende Bot

Band (Jahr): 275 (2002)

PDF erstellt am: 08.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-655465

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http://www.e-periodica.ch DAS BERNBIET EHEMALS UND HEUTE

Pieterlen, ein Dorf am Jurasüdfuss

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Wanderst du, liebe Leserin, lieber Leser, Sïec//M«g, KzVcAe ßwrg ewAie/ze« oder fährst du von Biel aus mit Bahn oder Auto Richtung Solothurn, so gerätst du aus- Auf Pieterler Boden haben als Erste die serhalb von Mett und Bözingen in ein flaches, Kelten und Römer und als Zweite die germa- wenig besiedeltes Tal, das Pieterlenmoos. Es nischen Burgunder, die von den Gallo-Römern liegt zwischen dem Bözingen- oder Vorberg, die lateinische Sprache und die christliche also der südlichsten Jurakette, und dem bewal- Religion übernahmen, deutliche Spuren hin- deten Hügelzug, der Büttenberg heisst. Kaum terlassen: Die Archäologen förderten beim erkennst du, dass ein kleiner Bach, die Leuge- «Badhaus» unter der «Westerfluh» Überreste nen, das Tal nach Osten, aarewärts, entwäs- eines römischen Gutshofes zutage und östlich sert. Zunächst versperren dir vier Reihen von der Kirche einen burgundischen Reihengräber- Schutzwaldungen die Aussicht. Aber dann tau- Friedhof, der wohl zu einer benachbarten chen das Schlössli Wildermeth und das Dorf Siedlung gehörte. Hier wurde u.a. eine sehr Pieterlen vor dir auf. Beherrscht vom mittelal- schöne mit Silber verzierte Gurtschnalle ge- terlichen Kirchturm erstreckt es sich über die funden (heute im Bernischen Historischen ganze Talsohle gerade an der Stelle, wo sich Museum). die Landschaft gegen Lengnau und Grenchen Im 7. Jh. rückten von Osten die germani- wieder öffnet. sehen Alamannen vor und liessen sich auch am Jurasüdfuss nieder. Zwischen ihnen und den Burgundern ent- stand die heutige deutsch-französische Sprachgrenze. So wur- de aus dem lateini- sehen «petrula» kleiner Fels (gemeint ist die heutige «Kir- chenfluh») das deut- sehe «Pieterlen» und das französische «Per- les». Die Nachkommen der Alamannen errich- teten unterhalb der «Kirchenfluh» und am Dorfbach zwei Die Hauptstrasse am Mittwoch, 31. Januar 2001 mit Geschäfts- wichti- und Wohnblöcken und dem Verkehr ein halbes Jahr vor der Eröffnung ge Gebäude, eine Kir- der Nationalstrasse A5. So kennen die Passanten Pieterlen. che und eine Burg. Die

68 älteste erhaltene Ur- künde mit Bezug auf Pieterlen stammt von 1228 und erwähnt die St. Martinskirche im Bistum Lausanne. Die heutige reformierte Kir- che enthält vor allem Bauteile aus der roma- nischen und frühgoti- sehen Zeit und zwei vor- reformatorische Martins- Glocken sowie Glas- maiereien. Vom Freiher- rengeschlecht mit Na- men Pieterlen liest man erstmals im Jahr 1244 und letztmals 1321. Von der Burg ist nichts als der Standort westlich der Zur gleichen Zeit bietet die Alte Landstrasse ein Bild von Ruhe Kirche bekannt. und Wohnlichkeit, z.B. mit dem Restaurant «Pfauen» und dem spätgotischen Thellung-Haus: das Pieterlen der Kenner.

Die //errsc/ta/i! c/er Fürv/bwc/to/e vo« Base/ auf dem Vorberg der ersten Jurakette gehörten, wnc/ der Be//e/a;y-ÄZ>fe abhängig von den beiden «B». Diese doku- mentierten mit ihren erhalten gebliebenen Bisher hatte das den Grafen von Wappen in der Kirche ihre rechtliche Stellung. Neuenburg- als Lehen der Könige des Als der reformierte Staat Bern, dem auch Römisch-Deutschen Reichs gehört. Aber ums unsere Nachbarn von Lengnau, Büren und Jahr 1370 kamen unsere Vorfahren unter die angehörten, die nach Gerichtsbarkeit der Fürstbischöfe von Basel. Biel und in die Vogtei (St. Immertal Der neue Landesherr und zugleich Gross- und Pieterlen) ausbreitete, änderte an den grundbesitzer liess im so genannten «Rodel rechtlichen Strukturen wenig: Der Abt setzte von Pieterlen» seine hiesigen Rechte aufzeich- in Pieterlen wie bisher den Geistlichen ein. nen (heute im Stadtarchiv Biel). Gegenüber den andern Amtsgemeinden war Inzwischen waren die obgenannten Freiher- Pieterlen bevorzugt: Hier war der Sitz des ren von Pieterlen ausgestorben und ihre Rech- Ammanns, der im Auftrag des bischöflichen te über Land und Leute an bischöfliche Edel- Vogts das weltliche und das geistliche Gericht knechte aus dem Baselbiet übergegangen, an präsidierte, hierher musste man zur Predigt in die Eptingen-Wildenstein. Diese verkauften die Kirche kommen, in der hiesigen bischöf- sie 1416 weiter an das Kloster Bellelay. Nun liehen Lehenmühle wurde das Korn gemahlen. zinsten die Pieterler Bauern auch dem Abt als Vom wirtschaftlichen Aufschwung des Dorfes ihrem neuen Kirchenherrn und als zweitem im 17. Jh. zeugen die stattlichen Steinhäuser Grundherrn neben dem Bischof. Deren Urbare an der alten Landstrasse, z.B. das Haus des befinden sich im Staatsarchiv. Landvogts Thellung mit dem Speicher, das Während 400 Jahren waren Amt und Kirch- Mühlegut sowie das Haus zum Himmel. Hier spiel Pieterlen, zu denen auch und wohnte Johannes Laubscher, Kammerrat und Reiben an der und das welsche Romont Finanzminister am bischöflichen Hof zu

69 Pruntrut. Von dessen Grossneffen, dem Geo- zum Industrieort. Die Uhrenbranche bescherte meter Johann Heinrich (III.) Laubscher, exis- der Bevölkerung abwechselnd Krisenzeiten tiert die Kopie eines Plans vom Dorfbrand von und Hochkonjunktur. 1726 (heute im Gemeindearchiv). Um den alten Dorfkern und die neue Haupt- Strasse mit ihren typischen Jurafuss-Bauern- häusern aus dem 19. Jh. - z.B. Scholl «Pfaue- Ber/zerßär zzzz

70 dem laut Burgerbrief vom 9. Juni 1674 Herr Johann Peter Wilder- mett von Biel, als Ge- meindsburger von Pie- terlen um die bezahlte Summe der 600 Pfund und zwei angeschaffte silberne Becher ange- nommen worden, mit der gegenseitig einge- gangenen Verbindlich- keit, dass nur er, Herr Wildermett, einzig und nach seinem Absterben seine allfällig hinter- lassene Witwe und nach deren Absterben oder erlangter Mehr- Das Schlössli Wildermeth (Mitte 19. Jh.), heute zum jährigkeit einer seiner «Haus für Betagte» gehörend allfällig hinterlassenen Söhnen dieser, aber nie mehr als eine Person Sigmund Heinrich (II.) wurde am 11. De- das Bürgerrecht allda zu gemessen haben solle.» zember 1801 in Biel geboren und ist allgemein Als Pieterler Burger folgten auf Johann bekannt erstens als Erbauer des romantischen Peter dessen Sohn Jakob (II.), Enkel Alexan- «Schlössli» samt Gutshof in Pieterlen (ab der Jakob, Urenkel Alexander und Ururenkel 1838 anstelle des bescheidenen Rebhauses) Joseph Alexander. Auch dieser letztgenannte und zweitens als Stifter des Kinderspitals Wil- Wildermeth verbrachte nach langjähriger poli- dermeth in Biel. Ich zitiere aus Marcus Bour- tischer Tätigkeit in Biel seinen Lebensabend quins zum 100. Todestag im «Bieler Tagblatt» in Pieterlen. 1817 verkaufte er der Gemeinde erschienener Familiengeschichte: «Aufge- südlich des Leugenen-Baches und am Fuss des wachsen im väterlichen Haus an der Schmie- Büttenbergs die Scheuermatte, auf der 1834 dengasse, kam Sigmund Heinrich Wildermeth die Burgerziegelei gebaut wurde (ab 1906 Zie- zur weiteren Erziehung in ein akademisches gelwerke Lauper AG). Da Joseph Alexander Institut in Colmar. Nach anschliessenden Stu- keine männlichen Nachkommen besass, ver- dien in Bern ging er nach Preussen und trat kauften seine Erben das Rebhaus-Gut unter 1818 als Kadett ins Potsdamer Fussregiment der «Westerfluh» an dessen Neffen, den ein, wurde Fähnrich, dann Leutnant und avan- Hauptmann Karol, der anschliessend als Bur- eierte bis zum Rittmeister im 1. Regiment der ger von Pieterlen aufgenommen wurde. Auch Gardedragoner. Nach seinem Abschied verhei- das Klösterli-Gut veräusserte die Witwe Ka- ratete er sich am 24. Dezember 1834 in der tharina Wildermeth geborene Gerber: Der Kirche Pieterlen mit der Nidauerin Johanna damalige Amtsschreiber zu Pieterlen, Jakob Esther Schneider. Als letzter Gutsbesitzer der Sieber von Reichenbach, erwarb es 1819. Da- Wildermeth verwaltete er nun das von ihm rauf hatte das «Klösterli» ein eigenes Schick- erbaute in Pieterlen, das er nach sal. eigenen Plänen so umbauen liess, wie es der Nach Karols frühem Tod als russischer Zeichner Nieriker in seiner Ansicht von 1859 Offizier folgte sein Coucousin Karl August festgehalten hat. Als Pferdeliebhaber, Freund und schliesslich der letzte Wildermeth: der Jagd und der schönen Künste griff Wilder-

71 meth selbst des Öfteren zum Pinsel und ver- werden solle. Am 5. Mai 1883 starb Sigmund lebte mit seiner Gattin unbesorgte Lebensjahre Heinrich (II.), zehn Jahre nach seiner Gattin, auf seinem Alterssitz, auf dem ihn jeweils 1884 wurde die Stiftung Kinderspital Wilder- viele Bekannte aus dem In- und Ausland zu meth in Biel gegründet und 1903 das Spital besuchen pflegten. Da die Ehe kinderlos blieb eingeweiht. Heute ist die Kinderklinik Wilder- (Ergänzung H.R.: und da seines Bruders Sohn meth ein Teil des Spitalzentrums Biel. schon 1858 gestorben war), liess er mit seiner Bei der Einweihung der 1858/59 renovier- Frau bezeiten ein Eheverkommnis ausarbeiten, ten Pieterler Kirche rühmte Pfarrer Dick den wonach der überlebende Ehegatte sich ver- grossen Einsatz Wildermeths, dessen Sach- pflichtete, das ganze restliche Vermögen einst kenntnis und dessen finanzielle Vorschüsse an zur Gründung einer gemeinnützigen Anstalt> den Kirchenkassier, damit dieser die laufen- zu testieren.» Erst in der am 22. Januar 1869 den Rechnungen bezahlen konnte. Er erwähn- abgefassten letzten Willensäusserung be- te auch die von Wildermeth gestifteten und stimmten die beiden Ehegatten, dass ihre von einem führenden Glasmaler aus Nürnberg, dereinstige Hinterlassenschaft zur Errichtung Johann Jakob Röttinger, in seinem Zürcher eines «Kinder-Kranken-Spitals» verwendet Atelier geschaffenen drei Kirchenfenster. Im Jahr 1875 schenkte der Schlössli-Gutsbesitzer der Gemeinde noch ein Kabinettfenster, näm- lieh eine Wappenscheibe der Wildermeth aus der Werkstatt Kuhn in Basel. Im Jahr 1941 wollten Uhrenstein-Fabrikant Ernst Lüthy-Trachsel und seine Frau der Kirchgemeinde ein vom Künstler Paul Zehn- der und vom Glasmaler Louis Halter, beide aus Bern, geschaffenes Auferstehungsfenster stiften. Darum musste das bisherige Ostfens- ter, das sowieso renovationsbedürftig war, weichen. Bei der umfassenden Kirchenrenova- tion von 1956/57 wurden die zwei übrigen Wildermeth-Fenster auch herausgenommen. Sie müssen für die damaligen Verantwort- liehen als wertlos gegolten haben und blieben vierzig Jahre lang verschollen. Architekt Peter Indermühle und der Kirchgemeinderat liessen damals auch alle dunklen Holzelemente (Decke, Nordlaube, Chorabschrankung, Chor- täfer etc.) entfernen, um die Kirche möglichst als unveränderten hellen Raum wirken zu las- sen, so wie es dem Zeitgeschmack entsprach. Im November 1999 machten Monika Jufer als Kirchgemeinde-Präsidentin und der Glas- maier Martin Halter (im Auftrag der Kantona- len Denkmalpflege) mit Heinz Rauscher, der die Fenster Anfang 1997 gefunden hatte, im Estrich über der Sakristei eine Bestandesauf- nähme. bekundete der Die reformierte Kirche, früher St. Martin, in einem Darauf Kantonale Kranz von geschützten Buchsbäumen. Im Vordergrund Denkmalpfleger sein grosses Interesse an den die Burgstelle der Freiherren von Pieterlen zwar beschädigten, aber qualitätvollen und

72 seltenen Glasgemälden von Röttinger. An ei- nem «Tag der offe- nen Türe» präsentierte der Kirchgemeinderat die Wildermeth-Fens- ter der Öffentlichkeit und liess sie von Jürg Schweizer (Kantona- 1er Denkmalpfleger), Stefan Trümpier (Lei- ter des Schweizeri- sehen Glasmalereimu- seums Romont FR) und Brigitte Kurmann- Schwarz (Dozentin für Kunstgeschichte, wohn- haft in Pieterlen) kom- mentieren. Zurzeit be- reitet eine Kommission Uhrensteinfabrik und Villa Lüthy vom Beginn des 20. Jh., heute Wohn- und Ausbildungsheim für Jugendliche zuhanden der Kirchge- meinde die Finanzie- rung der Restauration und der Wiedereinsetzung sung immer nötiger machte und als sie auch der noch bestehenden zwei Wildermethfenster immer mehr Menschen den Besitz einer Uhr («Weihnacht» und «Karfreitag») vor. ermöglichte. In der Küche, im Küchenstübli oder sonstwo in der Wohnung, auf dem Söller des Bauernhauses oder im einfachen Anbau (//zrercsfeme öi« wurden Etablis (Arbeitstische der Uhrmacher) aufgestellt und mit den Füssen Transmissio- Wenn man bedenkt, dass ausgerechnet in nen und Geräte in Bewegung gesetzt. In die Pieterlen, dessen Name ja auf den Stein seiner neuen Arbeitsräume wurde mit Mehrfachfens- Kirchenfluh zurückgeht, ein Stein, nämlich tern mehr Tageslicht hereingeholt. Abends der Uhrenstein, im 20. Jh. das wichtigste Pro- zündete man das «Gänggi» (fr. Quinquet für dukt und den wichtigsten Exportartikel darge- Uhrmacherlampe) an, das zuerst mit Petro- stellt hat! Rubin, dieser hell- bis dunkelrot leum, später elektrisch betrieben wurde und gefärbte Edelstein, hat einen sehr geringen die Weiterarbeit bis in alle Nacht erlaubte. Abnützungsgrad. Dadurch wird die Reibung Am Anfang stellten die Pierristin oder der von Räderachsen, die sich in einem Rubinla- Pierrist, wie man die Steinhersteller nannte, ger einer mechanischen Uhr drehen, reduziert. den ganzen Uhrenstein von Hand her, und Dies erhöht die Ganggenauigkeit und die zwar aus dem natürlichen Edelstein Rubin. Lebensdauer der Uhr. Uhrensteine aus Pieter- Um 1900 kam der künstliche Rubin auf. Die- len trugen einst zur sprichwörtlichen Qualität ser synthetische Stein besteht aus Aluminium- der Schweizer Uhr bei. Wie kam es dazu? oxyd, das aus Tonerde gewonnen und durch Gegen Ende des 19. Jhs. wurden auch in Pie- Chromoxyd rot gefärbt wird. Die Spezialisten terlen wie im übrigen Seeland die Heimarbei- bearbeiteten ihr Produkt nun immer öfter ter und -arbeiterinnen, die Uhrensteine bear- arbeitsteilig, d.h., jeder beherrschte nur seine beiteten, immer zahlreicher. Es war die Zeit, «Partie»: Loch bohren und schleifen, rund als die Industrialisierung die genaue Zeitmes- schleifen, Ölsenkung graben, plan schleifen

73 und polieren, Bohrung ausrunden. In den C/tromT des letzten /a/zrze/tnts Zwanzigerjahren wurde die Handarbeit von t/es zweiten /a/zrftzMsent/s der Maschinenfertigung abgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg bedienten die in der Uh- 1991: Auch die Pieterler Bevölkerung erin- rensteinindustrie Beschäftigten immer mehr nerte sich an historische Ereignisse: Die Stadt Halbautomaten und Automaten. Damit konn- Bern feierte ihr 800-Jahr-Jubiläum, die Eidge- ten Arbeitsplätze eingespart und die Produk- nossenschaft 700 Jahre. Von deren Geschichte tion trotzdem ins Millionenfache gesteigert waren wir allerdings erst seit 1815 direkt werden. betroffen und pflegten deshalb in erster Linie Von den ältesten Pieterler Ateliers sind uns die Dorfgemeinschaft. Ein Pieterlen-Lied folgende bekannt: In den 1890er-Jahren jenes erlebte dabei seine Uraufführung, und zwar von Caesar Scholl, «Dängu-Zesu», einem Ein- jenes von Gertrud Burkhalter (1911-2000). heimischen, am Romontweg; jenes von Jakob Die Wahlzürcherin schrieb Gedichte in unse- Frieden, einem ehemaligen Polizisten aus rer Pieterler Mundart, z.B. «Mys Dorf unger Bern, am Kürzeweg und dasjenige von Karl der Chiucheflue het auti Hiiser no, het Linge- Siegfried Moosmann aus Meinisberg, an der böim u Brunnetrög, u Mejezüüg hets o. Am Bielstrasse. Dazu kamen nach der Jahrhun- blaue Jurahang, do wohne mir scho lang.» dertwende das Atelier von Karl Renfer aus Wirtschaftlich ging es uns weniger gut als Lengnau, am Käsereiweg, sowie der Atelier- auch schon: Die Uhrensteinfabriken standen anbau am Haus zum Himmel von Albert leer, von den grösseren Firmen waren noch Scholl, ebenfalls einem Pieterler Burger, an Stähli-Läpptechnik und «HAMO»-Waschauto- der Alten Landstrasse. Besonders wichtig wur- maten auf Erfolgskurs, während «Perles»- den schliesslich Samuel und Sohn Ernst Lüthy Elektromotoren und die Bauwirtschaft inklusi- aus Aarberg, die 1904 an der Solothurnstrasse ve die Ziegelwerke Lauper ums Überleben eine Fabrik errichteten und die Firma Lüthy & kämpften. Trotzdem nahm die Öffentlichkeit Cie. gründeten. Erwähnen wir noch das Jahr grosse Aufgaben an die Hand: Nachdem der 1921, als Fritz Gliomen aus Lengnau und letzte Wirtshaussaal geschlossen worden war, Werner Rüfenacht aus Grenchen an den Bass- herrschte Mangel an grossen Versammlungs- beltweg zogen und dort eine Firma, die später räumen. Die Burgergemeinde kaufte das statt- als Litos S.A. bekannt wurde, eröffneten. liehe Haus zum Himmel, renovierte es mit Weitere Betriebe waren ebenfalls tätig, Hilfe der Denkmalpflege und baute das Tenn allerdings meist nur auf einzelnen «Partien». und den Stall zu einem kleinen Saal um In guten Zeiten fanden gleichzeitig 150 bis (Architektur: Canal & Hofer, Pieterlen, Eröff- 200 Männer und Frauen aus Pieterlen und den nung 1993). Dann erarbeiteten die beiden Nachbargemeinden Arbeit in der Uhrenstein- Kirchgemeinden, die grosse reformierte und branche. Wegen der strukturellen Krise der die kleine katholische, ein Projekt für ein öku- schweizerischen Uhrenindustrie schlössen sich menisches Zentrum mit Sälen für verschiede- die in der ASUAG organisierten Pieterler Fir- ne Zwecke und mit einer kleinen katholischen men um 1965 unter dem Dach der Litos S.A. Kirche, die einen Holzbau von 1956 ersetzte zusammen. Aber wegen des in Japan einge- (Architektur: Andry & Partner, Biel, Eröff- leiteten Aufschwungs der elektronischen Uhr, nung 1995). Schliesslich konnte die Bevölke- die ja ohne Uhrensteine auskommt, wurde rung im Schulareal an der Bielstrasse eben- Anfang der Achtzigerjahre die Produktion in falls 1995 ihr Mehrzweckgebäude einweihen. Pieterlen eingestellt. Die hiesigen Beschäftig- Dank einer Landschenkung, günstigen Bau- ten verloren ihre Arbeitsstellen. Ein hundert- preisen und einem Investitionsbonus des Bun- jähriges Kapitel Pieterler Geschichte war des zur Ankurbelung der Bauwirtschaft und damit abgeschlossen — und museumsreif dank Subventionsgeldern für Zivilschutz- und geworden. Militärbauten konnte sich die Einwohner-

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Die Wappen der zwanzig

Kantone Zürich Luzern und sechs 1351 1353 1332 Halbkantone

Schwyz Obwalden 1291 1291

Zug Freiburg Solothurn 1352 1481 1481

Basel-Stadt Basel-Landschaft Schaffhausen 1501 1501 1501 35 St. Gallen Graubünden Aargau Tessin 1803 1803 1803 1803

ET

Waadt Neuenburg 1803 1815 gemeinde diese Anlage für nur 4,5 Mio. Fran- tems statt. Die einen erhofften sich davon eine ken leisten (Architektur: Meier-Bachofner- grössere Chance für die Primarschüler, die Hächler, Biel). Hier empfingen z.B. die Turn- anderen befürchteten eine Qualitätseinbusse vereine von nun an jedes Jahr ihre vielen für die Sekundärschule. Pieterlen vereinigte Soirée-Gâste, hier deckte der Frauenverein die 7. bis 9. Klassen der Real- und der Sekun- den Betagten den Tisch für die Weihnachts- darschule im bisherigen Sekundarschulhaus. feier, hier präsentierte das Gewerbe der Es benötigte für seine etwa 400 Schulpflichti- Öffentlichkeit seine Produkte, hier trat die gen jedes Jahr 22 Klassen, nämlich zwei für Theatergruppe Galerie auf, und hier fanden den Kindergarten, zwölf für die Primarstufe, die Gemeindeversammlungen sowie kantonale sechs für die Sekundarstufe und zwei Spezial- und schweizerische Delegiertenversammlun- klassen. Eine Anzahl Schüler besuchte zusätz- gen statt. Tagsüber besetzten die Schulen, lieh das Gymnasium in Biel oder Privatschu- abends die Gesangs- und vor allem die Turn- len. In dieser Zeit Hessen sich vier Lehrer pen- vereine die neuen Lokalitäten. Fast gleichzei- sionieren, die seit den Fünfzigerjahren das tig bekam die Musikgesellschaft von einem Schulleben geprägt, sich auch politisch betä- Gönner ein eigenes Haus geschenkt. Am Ein- tigt und vor allem kulturell engagiert hatten; gang des Mehrzweckgebäudes wurde übrigens erwähnt sei hier auch die Pensionierung des in einer Vitrine der Uhrensteinindustrie in Pie- langjährigen Einwohner- und Kirchgemeinde- terlen ein Denkmal gesetzt, dank grosszügigen kassiers. Die Schulen gerieten nun auch unter Sponsoren, z.B. dem Gemeinnützigen Frauen- den Druck der Sparmassnahmen der Kantons- verein, der 1999 sein Hundertjahrjubiläum behörden. Arbeitslosigkeit und eine Zunahme feierte. der Sozialfälle, die wachsende Zahl von Dro- Was die Vereine betrifft: Die Korbballsek- genabhängigen und von Asylsuchenden aus tion des Turnvereins spielte damals noch in Ex-Jugoslawien und aus Afrika resp. Asien der Nationalliga A, und zu den Theaterauffüh- verunsicherten grosse Teile der Bevölkerung rungen der «Galerie» kamen (und kommen) auch in Pieterlen. die Zuschauer von weit her. Zum regen Ver- Sehen wir uns die Finanzlage der Einwoh- einsleben gehörte auch die Jugendarbeit: Zwar nergemeinde an, so stellen wir in unserem gab es im Dorf weder einen autonomen Zeitraum Folgendes fest: Die Erträge und die Jugendtreff noch eine Disco, noch eine Skater- Aufwendungen nahmen von 12,6 Mio. Fran- bahn. Dafür bemühten sich Vereine darum, die Kinder und Jugendli- chen zu beschäftigen und zu integrieren, be- sonders die Musikge- Seilschaft sowie die Turn- und Fussballver- eine. Hier wurde auch Leistung gefordert in einer Zeit, als Leistung verpönt war. Unter die- ser negativen Haltung litten bekanntlich auch die Schulen, und zusätz- lieh fand ja im Kanton Bern ein gewaltiger Turnhalle und Schulhauserweiterungsbau (Architektur: Ernst Bützberger, Umbau des Schulsys- Burgdorf, 1932) an der Bielstrasse

75 ken im Jahre 1991 auf 15 Mio. im Jahre 2000 1999 Volksinitiative «zum Schutz von Leben zu, was einer Zunahme um 18% entspricht. und Umwelt vor Genmanipulation» Das Wachstum erfolgte — mit einem Unter- 324 Ja 400 Nein bruch zwischen 1996 und 1998 - stetig und 2000 Bilaterale Verträge mit der EU war u.a. zurückzuführen auf die Teuerung, auf 611 Ja 263 Nein die wieder leicht zunehmende Einwohnerzahl Volksinitiative «für ein flexibles Ren- und auf die Mehrbelastung durch kantonale tenalter ab 62 für Frau und Mann» Ausgleichszahlungen. Jährliche kleine Über- 347 Ja 429 Nein schüsse und Fehlbeträge lösten einander ab. Der Steuerfuss bewegte sich zwischen 2,4 und Die Zahl der Stimmberechtigten bewegte 2,6 (1995-98) und liegt zurzeit bei 2,5. Am sich zuletzt um 2220, und die Einwohnerzah- Ende des zwieten Jahrtausends hatte die Ge- len präsentierten sich am 1. Februar 2001 wie meinde Bruttoschulden von 10 Mio. Franken. folgt: total 3315, davon 2760 Schweizer und Das politische Verhalten der Pieterler 555 Ausländer respektive 1439 weibliche und Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zeigt 1321 männliche Einwohner. sich in den Resultaten der eidgenössischen Abstimmungen. Auch in diesem Jahrzehnt verhielt sich das hiesige Stimmvolk gleich wie das schweizerische, was die Mehrheiten betrifft. Einige Beispiele:

1991 Bundesbeschluss über die Herabsetzung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 18 Jahre 367 Ja 125 Nein 1992 Abstimmung über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 833 Ja 839 Nein Bundesbeschluss über die Einführung eines Zivildienstes für Dienstverweigerer 604 Ja 102 Nein Bundesbeschluss über den Bau der Schwei- zerischen Eisenbahn-Alpentransversale 594 Ja 296 Nein 1993 Bundesbeschluss über den Anschluss des bernischen Amtsbezirks Laufen an den Kanton Basel-Landschaft 605 Ja 456 Nein 1994 Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht 730 Ja 199 Nein Änderung des Schweiz. Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Rassen- diskriminierung) 684 Ja 557 Nein Türkenbundlilie mit hell karminrot leuchtenden 1998 Uber eine Blüten aus dem Naturschutzgebiet (Foto: Lerch). Bundesgesetz leistungsab- Siehe auch das Buch mit Farbbildern «Felsenheide hängige Schwerverkehrsabgabe von Pieterlen» von Fritz Schmid 645"ja 471 Nein (auf der Gemeindeverwaltung erhältlich)

76 Auf lokaler Ebene besassen die bürger- prägen! Noch ein Wasserbauprojekt ist zu liehen Parteien FDP und SVP weiterhin die erwähnen: Die Burgergemeinde pachtete den Mehrheit vor der SP, und die Freisinnigen ehemaligen Burggraben der Freiherren von stellten - ausser während einer Amtsperiode - Pieterlen und weihte 2000 ein Seelein ein, das den Gemeindepräsidenten: Hansruedi Sutter vom Quellwasserüberlauf ihrer Wasserversor- (FDP), Hugo Udry (SVP) und Ueli Anliker gung gespeist wird. (FDP). Zwei von den sieben Gemeinderäten Zurück zum Verkehr: Ein altes Anliegen der waren seit den Achtzigerjahren Frauen. Nach Pieterler ging in Erfüllung, als die Städtischen dem Ende der Amtszeit von Martin Hutzli Verkehrsbetriebe Biel eine Buslinie via Alters- (FDP) im Grossen Rat hatte Pieterlen keinen heim Schlössli und Dorfzentrum zur SBB-Sta- Volksvertreter mehr in Bern, und für einen tion eröffneten. Möglich war dies allerdings Nationalrat reichte es weiterhin nicht... erst, als die SBB planten, den Regionalverkehr Eine Nationalstrasse führt über Pieterler nach Grenchen Nord-Münster/Moulier einzu- Boden: Seit 1960 war die Linienführung der stellen. Seit dem Jahr 2000 wird erstmals seit N5 festgelegt, 1992 wurden die «Kleeblatt- fast 150 Jahren unser Bahnhof nicht mehr Initiativen» (u.a. gegen die N5 gerichtet) vom bedient... Volk abgelehnt. Seit 1996 baut das Autobahn- Auch auf andere Dienstleistungsbetriebe amt des Kantons Bern in unserer Gegend, lernten wir zu verzichten: Die Kantonspolizei 1999 wurden die Kreisel Meinisberg und Pie- und das Zivilstandsamt sind nicht mehr im terlen eröffnet. Im Jahr 2001 wurde die Dorf. Ein Quartierladen, eine Bäckerei, die Strecke zwischen dem Anschluss Lengnau und letzte Metzgerei wurden geschlossen. Zurzeit Biel-Bözingen für den Verkehr freigegeben, gibt es neben der Drogerie Renfer noch das und zur Expo 02 wird die A5 dann Solothurn Primo-Geschäft Matter und eine Coop-Filiale mit Yverdon verbinden und an das schweizeri- sowie die Bäckerei Schneider. Die vier tradi- sehe und europäische Autobahnnetz anschlies- tionsreichen Wirtschaften «Pfauen», «Klöster- sen. Während viele vom Durchgangsverkehr Ii» (mit Hotel), «Sternen» und «Bahnhof» sind geplagte Anwohner der T5 seit einem Viertel- immer noch in Betrieb, dazu ein Pub und eine jahrhundert eine Entlastung forderten oder Pizzeria, die sinnigerweise «Perla» heisst, was einen wirtschaftlichen Aufschwung erhofften, die Perle bedeutet, aber auch der Name für machten sich andere Bürgerinnen und Bürger unser Dorf in mittelalterlichen lateinischen Sorgen um zusätzliche Immissionen und den Urkunden war... Landverschleiss durch den Autobahnbau. Die Verzögerung in der Realisierung brachte uns schliesslich einen Tunnel im Bereich des Dor- fes und das Anschlussbauwerk «Lengnau», WETTBEWERB das erstmals in der Schweiz über das Trassee Volksbräuche zu liegen kommt und damit Land Weiter spart. Fulehung ist eine Güterzusammenlegung in den Ge- einer lärmenden Kinderschar meinden Lengnau, Pieterlen und Meinisberg Von gejagt, im Gang. Die Gesamtmelioration bringt einer- springt im Herbst in einer Stadt des Kantons seits landwirtschaftliche Verbesserungen (Ar- Bern eine Gestalt im Narrenkleid mit Schellen rondierung der Felder, Erschliessung durch und einer Teufelsmaske durch die Gassen. Er Flurwege, Entwässerung), anderseits eine Auf- tut dies im Rahmen eines Kadetten- und Schüt- Wertung der Natur. So wird unser Dorfbach, zenfestes und stellt den einstigen Pritschen- die zurzeit und bis Leugenen, renaturiert, zwar meister dar, der früher auf dem Schiessplatz für ins Pieterlenmoos hinauf. Die Jahrhundertbau- Ordnung hatte. werke Autobahn und Güterzusammenlegung gesorgt werden also von nun an unsere Landschaft S/'e/ie l/l/eff-bewenbsfragen auf Se/'fe 722.

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