März 2010

Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik Diskurs

Geschlechterkampf von rechts Wie Männerrechtler und Familienfundamentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren

Arbeitsbereich Frauen- und Geschlechterforschung

1 2 Expertise der Friedrich-Ebert-Stiftung

Geschlechterkampf von rechts Wie Männerrechtler und Familienfundamentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren

Thomas Gesterkamp WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung

Inhalt

Vorbemerkung 3

1. Das Thema 4

2. Zentrale Denkfi guren 5 2.1. Behauptungen und Realität 5 2.2. Umdeutung von Begriffen 5 2.3. Argumentationsmuster und Feindbilder 6

3. Forschungsstand 7

4. Medienanalyse 9 4.1. Gender Mainstreaming als „Kaderprinzip der feministischen Lobby“ 9 4.2. Der „Dissens“-Konfl ikt 9 4.3. Medienboykott? 10 4.4. Junge Freiheit statt Feminismus 10 4.5. Frauenhäuser abschaffen! 10 4.6. Männer, das geschwächte Geschlecht 11 4.7. Geschlechterkampf online 11

5. Akteure 13 5.1. MANNdat 13 5.2. Väteraufbruch für Kinder 13 5.3. Familiennetzwerk Deutschland 14 5.4. AGENS / „Befreiungsbewegung für Männer“ 14 5.5. Weitere Akteure und Strategien 15

6. Reaktionen und Kontroversen in der „Männerbewegung“ 16

7. Ergebnisse, offene Fragen und weiterer Forschungsbedarf 17

8. Quellen, Literatur 18 8.1. Bücher 18 8.2. Zeitungen und Zeitschriften 19 8.3. Internetforen und Blogs 20

9. Dokumente im Wortlaut 21 9.1. Das Berliner Mannifest des Vereins AGENS 21 9.2. Offener Brief der Männerarbeit der EKD an Gerhard Amendt 22

Der Autor 24

Diese Expertise wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Fried rich- Ebert-Stiftung veröffentlicht. Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind vom Autor in eigener Verantwortung vorgenommen worden.

Impressum: © Friedrich-Ebert-Stiftung Herausgeber: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Godesberger Allee 149 53175 Fax 0228 883 9205 www.fes.de/wiso Gestaltung: pellens.de Druck: bub Bonner Universitäts-Buchdruckerei ISBN: 978-3-86872-270-3 WISO Wirtschafts- und Sozialpolitik Diskurs

Vorbemerkung

Geschlechterpolitik hat mit Interessen und deren sich nur auf einige Vorarbeiten beziehen. Über politischer Durchsetzung zu tun. Und auch in der den antifeministischen Geschlechterkampf von Geschlechterpolitik sind diese Interessen nicht Männerrechtlern und FamilienfundamentalistIn- homogen. Die Differenzlinie, nach denen sich In- nen in Deutschland existiert bislang keine einzige teressengruppen bilden, folgt nicht der einfachen, umfassende Darstellung, auch eine wissenschaft- dual bestimmten Geschlechterdefi nition: hier die lich abgesicherte Empirie fehlt. Aus diesem Grund Frauen, da die Männer. Weder sind alle Frauen bezieht sich der Autor bei seinen Recherchen Feministinnen, noch alle Männer Chauvinisten, neben den gedruckten Quellen in den Massen- weder denken alle Frauen gleich, noch tun dies medien und den eher fl üchtigen, teilweise schnell alle Männer. Der geschlechterpolitische Stand- wieder verschwindenden Spuren im Internet punkt lässt sich nicht einfach am Geschlecht fest- auch auf persönliche Beobachtungen im Kontext machen, vielmehr basiert er auf unterschiedli- von Veranstaltungen. Die so gewonnenen Er- chen Weltsichten, auf verschiedenen Vorannah- kenntnisse sind ein geschlechterpolitischer und men und heterogenem Denken über die Ge- damit gesellschaftspolitisch wertvoller Zwischen- schlechter, auf Interessen. stand, der zu weiteren Forschungen anregen soll. In der hier vorliegenden Expertise hat der Sie können aber bereits jetzt schon zur Sensibili - Journalist und Autor Dr. Thomas Gesterkamp be- sierung dienen, nicht nur von AkteurInnen, die gonnen, Denkformen und Aktivitäten geschlech- geschlechterpolitisch tätig sind. terpolitischer Akteure zu untersuchen, die neo- Die genaue Wahrnehmung und Beobach- konservative und antifeministische Argumente tung sowie die öffentlichen Auseinandersetzun- kreieren und vertreten. Zunehmend versuchen gen mit diesen Positionen vom Standpunkt eines diese Personen, die Debatte zu bestimmen und geschlechterdemokratischen Verständnisses wird sich einzumischen. Diese Akteure, überwiegend in Zukunft immer notwendiger. Die vorliegende männlichen Geschlechts, führen seit einigen Jah- Expertise soll die Diskussion anregen und sen- ren einen Geschlechterkampf und stehen in sibilisieren, damit der Geschlechterkampf von bedenklicher Nähe, mal mehr, mal weniger, zu rechts durchschaubarer wird und nicht zur Stär- rechtsextremem Gedankengut. Dabei erwecken kung des neokonservativen und antifeministi- sie den Eindruck, als seien sie die Hüter des Wah- schen Denkens führt. ren und Guten, das von anders Denkenden ge- fährdet wird. Dr. Barbara Stiegler Es ist an der Zeit, hinzuschauen und eine kri- Leiterin des Arbeitsbereiches tische Analyse dieser Form des Geschlechter- Frauen- und Geschlechterforschung kampfes zu beginnen. Dr. Thomas Gesterkamp der Friedrich-Ebert-Stiftung betritt mit seiner Analyse Neuland, und er kann

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1. Das Thema

Der Soziologe Gerhard Amendt verlangt in der vative und antifeministische Ideen. Ein unüber- Welt am Sonntag, Frauenhäuser nicht mehr zu sichtliches Gefl echt von Akteuren formiert sich, fördern – in diesen „Horten des Männerhasses“ denen in der Geschlechterpolitik die ganze Rich- seien „Ideologinnen“ mit „antipatriarchaler Kampf- tung nicht passt. Diese neuen Netzwerke stellen rhe torik“ am Werke. „Im Windschatten von die Errungenschaften der Frauenbewegung in Frauenemanzipation und Gender Mainstreaming Frage; zumindest teilweise verfolgen sie dezidiert ziehen Männer gesellschaftlich den Kürzeren”, das Ziel, diese rückgängig zu machen. Die Gleich- behauptet der Publizist Paul-Hermann Gruner stellung im Geschlechterverhältnis, so heißt es, in der Monatszeitschrift Cicero und ruft gleich sei längst hergestellt. Als Folge einer jahrzehnte- eine „Befreiungsbewegung für Männer“ aus. „Im langen Bevorzugung von Frauen würden inzwi- Zweifel gegen den Mann“, überschreibt das schen die Männer diskriminiert. Die „organisier- Nachrichtenmagazin Focus eine Titelgeschichte, te Besserstellung“ des weiblichen Geschlechts, die die „Klage über Frauenunterdrückung“ als durch Strategien wie das Gender Mainstreaming „ sicheres Mittel der Machtausübung“ denunziert. „staatlich gefördert“, müsse ein Ende haben. „Freiheit statt Feminismus!“ fordert die Junge Geschlechterkampf von rechts: Konservative Freiheit. Die rechtslastige Wochenzeitung pran- Publizisten, Männerrechtler, Familienfundamen- gert ein angebliches Denkverbot der „politisch talisten, militante Abtreibungsgegner, evangelikale Korrekten“ an: Kritik an der Benachteiligung von Christen und rückwärts gewandte katholische Kir- Männern sei schlicht unerwünscht. chenobere wenden sich gegen ein gemeinsames Mediale Momentaufnahmen, Schlaglichter Feindbild: den Feminismus. Sie prangern eine aus Veröffentlichungen, die deutlich machen, angebliche Bevormundung in geschlechterpoli- dass sich etwas Neues entwickelt in der geschlech- tischen Fragen an: Der „ausufernde Gouvernan- terpolitischen Debatte. Im rechten Spektrum – ten- und Umerziehungsstaat“ fördere einseitig und von diesem nahe stehenden Zeitungen und die Frauen und benachteilige die Männer. Zeitschriften aufgegriffen – kursieren neokonser-

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2. Zentrale Denkfi guren

2.1. Behauptungen und Realität männliche Schüler pauschal als „Bildungsverlie- rer” zu betrachten. Zuletzt hat darauf im Septem- Männerrechtler begnügen sich häufi g mit schlich- ber 2009 die Expertise „Schlaue Mädchen – Dum- ten Welterklärungen. Sie stellen zerrbildhaftige me Jungen“ des Bundesjugendkuratoriums hin- Behauptungen auf, die mit der Realität wenig ge- gewiesen. Ob Frauen oder Männer unterrichten, mein haben – und schon gar nicht einer wissen- sei nicht entscheidend für den Lernerfolg; zudem schaftlichen Überprüfung standhalten. Es folgen spielten Kriterien wie die soziale Schicht und die zwei Beispiele. ethnische Herkunft eine größere Rolle als die Geschlechtszugehörigkeit der Schüler. Das Sach- „Schlechtere Bezahlung von Frauen ist keine verständigengremium wendet sich „gegen Verkür- Diskriminierung“ zungen im aktuellen Geschlechterdiskurs“: Es gebe nicht „die Jungen“, die automatisch benach- Im europäischen Vergleich ist die Lohndifferenz teiligt sind. Männliche Mittelschichtsjugendliche der Geschlechter in Deutschland besonders hoch: zum Beispiel erbringen in Mathematik und in den Frauen erhalten im Durchschnitt rund 23 Prozent Naturwissenschaften sogar überdurchschnittliche weniger. Das Ziel, für mehr Entgeltgleichheit zu Leistungen. Selbstverständlich braucht es päda go- sorgen, wird von den Antifeministen angezwei- gische Konzepte, etwa für benachteiligte männ- felt und delegitimiert. Nach ihrer Auffassung ver- liche Migrantenjugendliche. Das aber macht dienen Männer zu Recht mehr, weil sie anstren- Frauen- und Mädchenförderung an Schulen und gendere Berufe ausüben und durchgehende Er- Hochschulen, in Unternehmen und Institutionen werbsbiografi en vorweisen können. Frauen hät- keineswegs überfl üssig. ten nur deshalb berufl iche Nachteile, weil sie sich aus freien Stücken gegen den üblichen Karriere- weg entschieden hätten; Frauenförderprogram- 2.2. Umdeutung von Begriffen me oder Quoten seien daher unnötig. Die ge- schlechtsspezifi sche Arbeitsteilung – Männer als Im Kulturkampf um die Deutungshoheit im Familienernährer, Frauen als nicht entlohnte Gender-Diskurs versuchen die Männerrechtler, Sorgearbeiterinnen und/oder „Hinzuverdienerin- ur sprünglich emanzipatorisch interpretierte Be- nen“ – wird einfach vorausgesetzt, die Stabilisie- griffe umzudeuten. Worte wie „Befreiung“ oder rung dieser Paarkonstellation durch gesellschaft- auch „Geschlechterdemokratie“ werden anders liche Rahmenbedingungen (Steuer- und Versiche- defi niert und in einen konservativen Kontext rungssystem, fehlende Kinderbetreuung) nicht gestellt. Die Antifeministen verwenden „interes- kritisiert. santerweise teils eine Rhetorik der Gleichheit“, analysiert die Geschlechterforscherin Ilse Lenz „Jungen sind die Bildungsverlierer“ in einer kommentierten Quellensammlung zur Geschichte der neuen Frauenbewegung. Eine von weiblichen Werten geprägte „femini- Zudem präsentieren sich die Vertreter rück- sierte“ Schule ignoriert nach Auffassung der Män- wärts gewandter geschlechterpolitischer Konzepte nerrechtler die Probleme von Jungen. Die wissen- als Bewahrer freiheitlicher und zivilgesellschaft- schaftliche Forschung hält es dagegen für falsch, licher Werte. So trägt der Online-Auftritt Die freie

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Welt, ein Forum militanter Männerrechtler, den sundheitspolitik, beim Thema Gewalt oder im harmlosen und irreführenden Untertitel „Die In- Scheidungsrecht: Überall greift nach dieser Lesart ternet- & Blogzeitung für die Zivilgesellschaft“. ein plattes „Winner-Loser-Schema“: Männer seien verunsichert und steckten in der Identitätskrise, weil sie durch Frauenförderung und einen „über- 2.3. Argumentationsmuster und Feindbilder triebenen Feminismus“ diskriminiert würden.

Biologismen Anti-Etatismus

Populäre Sachbücher, in denen Männer nicht Unter Berufung auf „freiheitliche“ und zivilge- zuhören und Frauen schlecht einparken, feiern sellschaftliche Prinzipien polemisieren Antifemi- riesige Verkaufserfolge. Das macht deutlich, wie nisten gegen staatliche Bevormundung. Sie war- populär die simple These „Männer sind vom nen vor „Umerziehung“ durch öffentliche Insti- Mars, Frauen von der Venus“ nach wie vor ist. tutionen, die sich angeblich viel zu sehr in die Immer wieder berufen sich Männerrechtler (wie Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau ein- auch ihre publizistischen Begleiter in den Medi- mischen. Das anti-etatistische Schüren von Res- en) auf Genetik, Hirnforschung oder Verhaltens- sentiments – gegen die Verschwendung von Steu- biologie, um fragwürdige Behauptungen zur Ge- ergeldern und gegen alles, was „von oben“ kommt schlechterdifferenz zu untermauern. Zitate aus – bedient gängige Klischees und stützt sich auf Forschungsberichten, Alltagswissen und Zeitgeist- eine ohnehin vorhandene Staatsverdrossenheit. Meinungen vermengen sich zu einem fl ott ge- schriebenen Einheitsbrei, der stets die Unter- Tabubruch schiedlichkeit von Gehirnhälften, Hormonen oder Genen betont. So entstehen klar struktu- Häufi g bemüht wird in rechtsintellektuellen Krei- rierte, angeblich „natürliche“ Rollenstereotypen sen der Gestus des Tabubrechers. Dieser sonnt und ein polarisiertes Muster von Zweigeschlecht- sich darin, „politisch korrekte“ Denkverbote zu lichkeit, das nicht der realen Vielfalt entspricht. missachten und als vorgestrig zu bekämpfen – Den Befürwortern des Gender Mainstreaming vor allem, wenn diese vermeintlich von „68ern“ werfen die Verfechter dieses grundlegenden Dua- dekretiert wurden. In der Geschlechterpolitik lismus vor, eine „anthropologische Neutralisie- gehört in diesen Kontext vor allem die ständig rung“ anzustreben und die Fakten der Biologie zu wiederholte These, Frauen seien gar nicht mehr leugnen. Auf diese Weise bleiben gesellschaftlich benachteiligt, die Frauenemanzipation sei abge- konstruierte Ungleichheiten zwischen den Ge- schlossen, der Feminismus habe sein Ziel längst schlechtern festgeschrieben. erreicht. Unerklärt bleibt, wie sich diese Behaup- tung mit der nach wie vor existierenden – und bei Opfermythen einem beliebigen Blick in die Führungsetagen offensichtlichen – „hegemonialen Männlichkeit“ Männerrechtler stilisieren ihr Geschlecht pau- in zentralen gesellschaftlichen Bereichen wie schal zum Opfer in nahezu jeder Lebenslage. Ob Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien in in der Arbeitswelt, im Bildungswesen, in der Ge- Einklang bringen lässt.

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3. Forschungsstand

Über den antifeministischen Kampf von Männer- einer selbstbewussten Männlichkeit mit der Rhe- rechtlern und Familienfundamentalisten existiert torik gesellschaftlicher Entsolidarisierung Hand noch keine einzige umfassende Darstellung, ge- in Hand geht”. schweige denn eine wissenschaftlich abgesicherte Anja Wolde publizierte 2007 eine Studie Empirie. Wenn überhaupt, widmen sich Publika- über männerrechtliche Strömungen im „Väter- tionen zu den Verbindungen von Rechtsextre- aufbruch für Kinder“. Die Ergebnisse dieser Un- mismus und Geschlechterpolitik meistens den tersuchung sind leider weitgehend überholt. Frauen. Bezüglich der Männer gibt es große For- Mit ihrem Schwerpunkt auf der Debatte um das schungslücken und bisher kaum Literatur. Buch des Spiegel-Redakteurs (und Väterrechtlers) Pionierarbeit leistete 2004 Oliver Geden mit Matthias Matussek bezieht sich Wolde auf eine einer Studie über „Männlichkeitskonstruktionen“ Kontroverse, die vor allem Ende der 1990er Jahre im zeitgenössischen Rechtspopulismus. Gegen- erbittert geführt wurde. stand seiner Untersuchung ist die Freiheitliche Eine aktuelle originäre Quelle bildet das Buch Partei Österreichs. Geden analysiert zwei der FPÖ „Befreiungsbewegung für Männer – Auf dem Weg nahestehende Publikationen (das offi zielle Partei- zur Geschlechterdemokratie“. Der Sammelband, organ Neue Freie Zeitung sowie das rechtsintellek- herausgegeben von Paul-Hermann Gruner und tuelle Wochenblatt Zur Zeit) und wertet Gruppen- Eckhard Kuhla, erschien 2009 im Psychosozial- diskussionen mit FPÖ-Funktionären zu ihrem Verlag. Gruner, Redakteur bei der Tageszeitung Männlichkeitsverständnis aus. Darmstädter Echo, hatte erste Entwürfe seiner Unter dem Titel „Gender Mainstreaming als Thesen bereits 2000 in der Streitschrift „Frauen rotes Tuch im braunen Wahlkampf“ hat sich Re- und Kinder zuerst – Denkblockade Feminismus“ gina Frey mit dem Buch „MenschInnen“ der FPÖ- (Rowohlt) vorgelegt. Politikerin Barbara Rosenkranz auseinander ge- Familienfundamentalistische Strömungen setzt. In einer Besprechung für die Internet-Platt- meldeten sich in Buchpublikationen vor allem in form querelles-net macht Frey deutlich, wie sehr der schon länger andauernden Debatte um ein sich dieses antifeministische „Pamphlet“ aus Erziehungsgehalt – das heute als „Betreuungsgeld“ Österreich auf entsprechende Veröffentlichungen oder despektierlicher unter dem Stichwort „Herd- der „bürgerlichen deutschen Presse“ stützt (vgl. prämie“ diskutiert wird – zu Wort. Christian Kapitel 4). Leipert vom Institut für Sozialökologie in Gabriele Kämper untersuchte 2005 in ihrem hat im Auftrag des „Deutschen Arbeitskreises für Buch „Die männliche Nation“ die „Politische Rhe- Familienhilfe“ (vgl. Kapitel 5.3.) zwei Sammelbän- torik der neuen intellektuellen Rechten“. Im glei- de zur „Aufwertung der Erziehungsarbeit“ (1999) chen Jahr schrieb sie im Schweizer „Medienheft” und zur „Familie als Beruf: Arbeitsfeld der Zu- einen Aufsatz über „Journalismus und Wissenschaft kunft“ (2001) herausgebracht. Sie erschienen im Dienst neurechter Politiken“. Beispielhaft un- damals in dem sozialwissenschaftlichen Verlag ter die Lupe nimmt sie das Themenheft „Die Leske und Budrich. Herren der Erschöpfung“ im NZZ-Folio, einer Bei- Der zweite Band dokumentierte einen „Euro- lage der Neuen Zürcher Zeitung. Die Forscherin päischen Kongress zur Aufwertung der Erzie- zeigt auf, „wie der geschlechterpolitische Diskurs hungsarbeit“ im französischen Straßburg, an dem

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der Verfasser dieser Expertise im November 2000 schützern und Rechtskonservativen. So ist es kein als Referent teilnahm. Er kann sich gut erinnern, Zufall, dass der Vorwortschreiber in Leiperts zwei- dass schon auf der Empfangstheke der Tagung tem Sammelband, der Deutschlandfunk-Redak- Fotos von Embryos auslagen: Die Föten-Bilder, teur Jürgen Liminski („Familie als Beruf oder: unübersehbar präsentiert von radikalen Abtrei- Vom Management des Familienglücks“), später bungsgegnern, machten deutlich, woher der poli- in der rechtslastigen Wochenzeitung Junge Frei- tische Wind auf dieser Veranstaltung wehte. Die heit auf sich aufmerksam machte. Vorträge etwa des Verfassungsrechtlers Paul Kirch- Eine öffentliche Debatte über Familienfun- hof („Die Zukunftsfähigkeit einer freiheitlichen damentalismus und Männerbenachteiligung fi n- Gesellschaft durch Ehe und Familie“) oder der det vorwiegend in Zeitungen und Zeitschriften erzkonservativen Pädagogin Christa Meves („Neu- statt, weniger in Funk und Fernsehen – von den rosenprophylaxe in den ersten drei Lebensjah- Auftritten der ehemaligen Tagesschau-Sprecherin ren“) bestätigten diesen Eindruck. Eva Herman einmal abgesehen. Die Welt, die Nur wenn Mütter möglichst lange zu Hause Frankfurter Allgemeine Zeitung, Cicero, Focus und bleiben, geht es Kindern und der Partnerschaft auch der Spiegel bilden hier die Vorreiter des neu- zwischen Mann und Frau gut: Mit dieser Welt- en Geschlechterkampfes in den Leitmedien. Auf sicht sind die Verteidiger traditioneller Familien- dem Buchmarkt hat das Thema bisher relativ we- formen in den letzten Jahren in die Defensive nig Resonanz gefunden. Eine wachsende Bedeu- geraten. Die am Leitbild der erwerbstätigen Frau tung hat das Internet: Online-Foren und das orientierte Familienpolitik der Großen Koalition (kurzlebige) „Posten“ in den einschlägigen Blogs (2005–2009) unter Leitung der „konservativen bilden das wichtigste Diskussionsmedium der Feministin“ Ursula von der Leyen (CDU) vergrätz- neuen Männerrechtler. te sie und trieb sie weiter in die Nähe von Lebens-

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4. Medienanalyse

4.1. Gender Mainstreaming als wärts gewandtem Inhalt ergänzten das Kuriosi- „Kaderprinzip der feministischen täten-Kabinett für den sich alternativ gebenden Lobby“ Mittelstand.

Den publizistischen Alpha-Tieren der Republik war das spröde Wortpaar Gender Mainstreaming 4.2. Der „Dissens“-Konfl ikt lange Zeit höchstens ein Witzchen am Stamm- tisch wert. Da mochten die Herren vom Spiegel, die sich zum 2005 hatte der Stern den komplizierten An- sechzigsten Geburtstag des Nachrichtenmagazins glizismus als „neue Geschlechtergefühligkeit“ ab- auf Erinnerungsfotos als rein männliche Kon- gewertet und darüber gelästert, wie „Bürokraten ferenzrunde präsentierten, nicht nachstehen. angestrengt über den kleinen Unterschied nach- Gender Mainstreaming, lautete ihr Vorwurf, sei ein denken“. Die ironische Schlagzeile „Ich Mann, du „Erziehungsprogramm für Männer und Frauen“. Frau“ war illustriert durch eine Filmszene mit Mit Rundumschlägen und aus dem Zusammen- Johnny Weismüller als „Tarzan, der Affenmensch“. hang gerissenen Zitaten zeichnete Redakteur Die Ergebnisse der „Genderologen“, so der Stern, René Pfi ster Anfang 2007 ein düsteres Bild auto- seien „trivial und teuer“: Rund sieben Millionen ritärer Pädagogik, das Jungen „früh zu Kritikern Euro habe die Bundesregierung bisher für weit- des eigenen Geschlechts“ mache. gehend sinnfreie Projekte „vergendert“. Unter dem Titel „Der neue Mensch“ attackier- In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) te der Spiegel vor allem das Berliner Männerfor- wetterte ein Jahr später gleich mehrfach Volker schungsinstitut Dissens, das in Fachkreisen aner- Zastrow gegen das „angewandte Kaderprinzip der kannte Methoden der Jungenarbeit entwickelt feministischen Lobby“, die angeblich eine „poli- hat. Diese Konzepte stellen traditionelle Ge- ti sche Geschlechtsumwandlung“ plane. Unter schlechterrollen in Frage, stärken aber zugleich „einer sozialdemokratischen Familienministerin die Persönlichkeit. Einfach formuliert lernen die noch schamhaft verborgen“, habe Gender Main- verunsicherten Jugendlichen, wie sie auch ohne streaming „auf der Internet-Schauseite ihrer christ- Gewalt und Sexismus richtige Männer sein kön- lich-demokratischen Nachfolgerin inzwischen den nen. großen Auftritt“, haderte die FAZ mit Ursula von Dieses Ziel hielt auch die damals zuständige der Leyen. „Möglichst schon in der Krippener- Ministerin von der Leyen für förderungswürdig – ziehung“, malte Zastrow das Schreckensbild an was sie zu einer bevorzugten Angriffsfl äche der die Wand, „soll mit der geistigen Geschlechtsum- Anti-Gender-Polemiker machte. Die Junge Freiheit wandlung begonnen werden“. warf der CDU-Politikerin vor, einer „totalitären Seine Zurichtungsfantasien verbreitete der Ideologie“ anzuhängen, die „durch eine aus- heutige FAZ-Politikchef auch in einem schmalen erwählte Truppe Linientreuer von oben nach un- Bändchen des Versandhauses Manufactum. Dort ten durchgesetzt werden soll“. Als wissenschaft- fand sich, neben den „guten Dingen“ wie Gänse- lichen Kronzeugen präsentierte das rechte Wo- kielen, Weinkrawatten oder Schuhen aus Kängu- chenblatt den Bremer Geschlechterforscher Ger- ruh-Leder, zusätzlich die passende Ideologie im hard Amendt, der die pädagogische Arbeit von Angebot. In Leinen gebundene Aufsätze mit rück- Dissens als „Identitätszerstörung“ bezeichnete.

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4.3. Medienboykott? 4.4. Junge Freiheit statt Feminismus

Es ging keineswegs um ein Vermittlungsproblem, Das Bild in der Wochenzeitung Junge Freiheit war um eine lediglich missverständliche Interpreta- drastisch: Stiletto tritt auf Krawatte. Ein Mann lag tion des in der Tat nicht besonders eingängigen bäuchlings am Boden, schaute fl ehend nach Begriffes Gender Mainstreaming. Beharrliches oben, wo von der Besitzerin der hochhackigen Trommeln sollte gleichstellungspolitische Anlie- Schuhe nur Unterschenkel und Rockansatz zu se- gen und Akteure pauschal diskreditieren. Der ge- hen waren. „Modernes Geschlechterverhältnis“ druckte Unmut über die „unerklärliche und letzt- lautete die Schlagzeile zur plumpen SM-Symbo- lich anonyme Strömung des Zeitgeistes”, wie lik; die Titelzeile verlangte „Freiheit statt Feminis- Autor Zastrow raunte, deutete auf massive Irrita- mus!“ Die Junge Freiheit läuft Sturm gegen angeb- tionen hin. Den Meinungsführern passte schlicht liche Denkverbote der „politisch Korrekten“: Sie die ganze Richtung nicht. spricht von einem Tabu, die Benachteiligung von Männerrechtler prangern immer wieder die Männern zu thematisieren. Opfer und Trottel sei „öffentliche Nichtbeachtung“ ihrer Anliegen an. der heutige Mann – betrogen und zum Depp der Eine „Kaste der Genderfunktionäre“ habe die Nation geworden. kulturelle Hegemonie in den Medien erobert, ein Das publizistische Aushängeschild des Rechts- omnipräsenter weiblicher Diskurs unterdrücke konservatismus wittert überall Betrug. „Verrat an jede männliche Opposition. Faktisch wird das der Familie“ titelte die Junge Freiheit im Sommer Thema alles andere als ignoriert: Spätestens seit 2008 kurz nach ihrem Schwerpunkt zum Ge- der Zeit-Serie über „Männer in Not“ und nach schlechterkrieg. Die Politik, so hieß es da, „ent- diversen Titelgeschichten in Focus und Spiegel zieht der Keimzelle des Volkes schleichend die („Was vom Mann noch übrig blieb“) kann von Lebensgrundlage“. Verfasser des Aufmachers war Medienboykott überhaupt keine Rede sein. der Radiojournalist Jürgen Liminski (vgl. Kapitel 3). Vor allem FAZ-Herausgeber Frank Schirrma- Der zehnfache Vater, ob seiner guten Verbin- cher und seine Redaktionskollegen profi lieren dungen und seines Kinderreichtums häufi g gela- sich seit Jahren mit einer neokonservativen Sicht dener Talkshowgast, ist publizistischer Unter- auf die Geschlechterfrage. Zur Seite stehen ihnen stützer des „Familiennetzwerkes Deutschland“ Intellektuelle wie Udo Di Fabio oder Norbert Bolz: (vgl. Kapitel 5). Die Frauen, so der einhellige Ruf, seien schuld an Zum ausführlichen Interview bereit war in den niedrigen Geburtenzahlen in Deutschland. derselben Ausgabe der Jungen Freiheit auch der be- Assistenzdienste leistete Eva Herman mit ihrem kannte Kinderpsychologe und Buchautor Wolf- Appell an die Mütter, zur natürlichen Bestim- gang Bergmann, der gegen den Ausbau der Krip- mung des Weibes am heimischen Herd zurück- pen polemisierte. Es sei „auffällig, dass alle totali- zukehren. tären Systeme ihre Hand gerne nach den Kindern Schirrmacher thematisierte in der Frankfurter ausstrecken und darauf achten, dass diese mög- Allgemeinen Zeitung immer wieder den angebli- lichst früh von der Familie getrennt werden“. chen Bedeutungsverlust des Mannes. Schon 2003 Bergmann ließ es sich nicht nehmen, an pas- schrieb er dem weiblichen Geschlecht die öffent- sender Stelle gleich auch noch „den Verlust an liche Deutungshoheit zu. Frauen hätten die „Be- freiheitlicher Nationalkultur in Deutschland“ zu wusstseinsindustrie“ übernommen – weil sie als beklagen. Moderatorinnen den politischen Männerrunden die Stichworte lieferten. Müttern warf Schirrma- cher unter Verweis auf neue Erkenntnisse der Ver- 4.5. Frauenhäuser abschaffen! haltensbiologie vor, ihre natürliche Aufgabe als „Hüterinnen der Flamme“ und „natürlicher Kitt“ Der Bremer Soziologe Gerhard Amendt hat sich in den Familien zu vernachlässigen. in den 1970er und 1980er Jahren mit Analysen über Gynäkologie und Verhütungspolitik wie

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auch als Vorkämpfer für die Legalisierung der auf. „Das schwächelnde Geschlecht“ variierte im Abtreibung einen guten Ruf in linken und links- Juli 2009 das Monatsblatt Cicero nur unwesent- liberalen Kreisen erworben. In jüngster Zeit aller- lich die Schlagzeile: „Die neue Männerbewegung dings irritiert er durch Vorschläge und Ansichten, fordert Gleichverpfl ichtung, Gleichwertigkeit und die man eher in einem anderen politischen Spek- Gleichbehandlung – statt der organisierten Besser- trum verortet. Im Konfl ikt um die Jungenpäda- stellung des weiblichen Geschlechts.“ Im Herbst gogik unterstützte er die Kampagne gegen „Dis- 2009 dann wieder der Focus: „Benachteiligt? Wer sens“ (vgl. Kapitel 4.2.); in Vorträgen über seine denn?“ Frauen hätten auf vielen Gebieten die Studie zu Trennungsvätern behauptete er regel- Männer überholt, die Klage über Frauenunterdrü- mäßig, Frauen seien in Beziehungen inzwischen ckung diene heute als „Mittel der Machtaus- mindestens so gewalttätig wie Männer. übung“. „Warum das Frauenhaus abgeschafft werden Auf dem Titelbild des 2009 erschienenen muss“, überschrieb Amendt im Juni 2009 einen Sammelbandes „Befreiungsbewegung für Männer Text in der Welt am Sonntag: „Frauenhäuser ver- – Auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie“ ist schärfen Scheidungskonfl ikte statt sie beherrsch- neben Altglas-, Dosen- und Altpapiercontainern bar zu machen.“ Wegen ihres militanten Feminis- ein weiterer Müllschlucker zu sehen, auf dem mus, „ihrer Ideologie vom Mann als Feind aller groß „Männer“ steht. Das Foto, eine Postkarte der Frauen“, seien die dort Tätigen zu „professionel- Künstlerin Claudia Jares de Pulgar, steht nach len Interventionen“ nicht fähig. Die Arbeit der Meinung der Herausgeber „für den breit gedul- Frauenhaus-Mitarbeiterinnen sei geprägt durch deten Sexismus, den das ideologisch vorgekne- „narzisstische Hochgefühle“ und „moralische tete Publikum für spaßig hält, weil er sich ja nur Überlegenheit über den Rest der Welt“, „eine Mi- gegen Männer richtet“. schung aus Elitismus und vermeintlicher Selbst- Richtig daran ist, dass sich (männliche wie aufopferung“. Fazit des Geschlechterforschers: weibliche) Konsumenten der Unterhaltungsin- „Wir brauchen keine Frauenhäuser mehr.“ Über dustrie seit Jahren mehr über Männer als über diese Forderung ließ die Welt ihre Leser in einer Frauen amüsieren. Die Werbespots der ARD für Online-Befragung abstimmen. die (wegen schlechter Quoten schnell abgesetzte) Mit klaren Worten bezog daraufhin in einem Handwerkerin-Seifenoper „Eine für alle“ titulierte Offenen Brief die Männerarbeit der Evangelischen Männer pauschal als Schweine, dumme Gockel Kirche in Deutschland (EKD) Position gegen und lebende Verkehrshindernisse. Vom „beweg- Amendt. Dessen Frauenhaus-Schelte sei „kurz- ten Mann“ im Kino über die weibliche Rotzigkeit schlüssig und unverantwortlich“, die Argumen- in der pseudofeministischen Unterhaltungslite- tation „pauschal“ und „ohne jede Wertschät- ratur bis zu den Witzchen eines Mario Barth: zung“. Die Bedeutung der „Zufl uchtsorte für ge- Männlichkeit wird in der Tat deutlich häufi ger schlagene und in Not befi ndliche Frauen“, so die satirisch abgewertet als Weiblichkeit. Daraus aber EKD-Männer, werde ignoriert. Kritik an einzelnen lässt sich nicht gleich eine „etablierte Misandrie“, Aktivistinnen dürfe „nicht zu einer Verharmlo- also ein allgemeiner Männerhass im Kulturbe- sung der Erfahrung der Opfer führen“ (vgl. An- trieb ableiten. hang Dokumente).

4.7. Geschlechterkampf online 4.6. Männer, das geschwächte Geschlecht Das Internet ist das ideale Medium für Verschwö- „Emanzipation nächste Stufe: Gegen die Benach- rungstheoretiker jeglicher Couleur. Hier kann je- teiligung und Abwertung von Männern formiert der „posten“, was ihm gerade einfällt – und sich sich eine neue Bürgerrechtsbewegung“: So machte durch die Einträge Gleichgesinnter bestätigt füh- das Wochenmagazin Focus im Herbst 2008 eine len. Ob der Inhalt durch Quellen belegt ist oder Titelgeschichte über das „geschwächte Geschlecht“ nicht, spielt im Gegensatz zum seriösen Journa-

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lismus keine Rolle. Kein Wunder also, dass auch de.altermedia.info verlinkt. Deren homophobe Be- der neue „Geschlechterkampf“ vorwiegend online treiber riefen 2009 zu „nationalen Protesten“ ge- geführt wird. Zeitungstexte nehmen die meisten gen den Christopher Street Day in München auf Beteiligten nur als Spuren im Netz wahr – ohne und unterstellten Oberbürgermeister Christian ihren redaktionellen Kontext, als bruchstückhaf- Ude, schwul zu sein – aus ihrer Sicht offenbar ein tes Zitat, als aus dem Zusammenhang gerissenen beträchtliches Manko. Textbaustein. Typisch für die Beiträge ist ein trot- Auf der Seite free-gender.de tauschen sich Mit- zig-beleidigter „Da seht ihr’s mal wieder“-Tonfall; glieder und Sympathisanten der rechtsextremen auf unliebsame Kritiker wird zum Teil eine regel- Initiative „Raus aus den Köpfen – Genderterror rechte Hatz veranstaltet. Beschimpfungen als „lila abschaffen“ aus. Gender Mainstreaming, so heißt Pudel“, falsche Behauptungen und die Enthül- es dort, sei „eine unbekannte Gefahr, die sich lung der Klarnamen von Bloggern mit anderer seit gut 25 Jahren immer tiefer in den politischen Meinung sind an der Tagesordnung. Alltag der BRD und der restlichen Welt hinein- Die in den Foren Diskutierenden sind über- gebohrt hat“. Die vor allem in Ostdeutschland wiegend keine Neonazis. Allerdings ergeben sich aktive Gruppe veranstaltet „Aufklärungsvorträge“ immer wieder Überschneidungen und Verbin- zum Gender-Thema („Langfristige Ziele des GM“ dungen zu rechtsextremen Kreisen und Publika- sind danach „die Vernichtung der Geschlechter- tionen. So versorgt Arne Hoffmann, der Betreiber identitäten“ und „die frühkindliche Sexualisie- des Blogs Genderama, die maskulinistische Seite rung“), besucht aber auch Treffen von Neonazis „Wieviel Gleichberechtigung verträgt das Land“ re- wie zum Beispiel das „Fest der Völker“ im Sep- gelmäßig mit Artikeln aus der Jungen Freiheit. Das tember 2009 in Thüringen. Forum wgvdl.com wiederum ist mit der Seite

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5. Akteure

Vorbemerkung MannDat fühlt sich von Institutionen, Be- hörden oder Medien ständig ignoriert und miss- Eine „Entlarvung“ männerrechtlicher Akteure achtet. Daraus leitet die Organisation ab, nicht nach dem Muster der früher üblichen, viel zu sche- wählerisch sein zu können, wo und in welchem matischen Rechtsextremismusforschung („Guilt Kontext die eigenen Anliegen auftauchen. So gab by association“) führt zu Trugschlüssen. Nicht der Psychologe und MANNdat-Vorsitzende Eugen jeder, der zu einem Rechtsextremen Kontakt hält Maus der rechtslastigen Jungen Freiheit im Februar oder in einer rechtslastigen Zeitschrift publiziert, 2008 ein ausführliches Interview: „Benachteili- ist automatisch selber rechtsextrem. Trotzdem ist gung der Frau, Männer mit Privilegien – alles es wichtig, den ideologischen Dunstkreis zu be- Legende!“ leuchten, inhaltliche und personelle Überschnei- dungen festzustellen, gemeinsame autoritäre Ein- stellungen zu benennen, zu große Offenheit und 5.2. Väteraufbruch für Kinder fehlende Berührungsängste von Männerrechtlern dem rechtsextremen und rechtskonservativen Der bereits seit 1988 existierende Väteraufbruch Milieu gegenüber zu skandalisieren. für Kinder ist eine sehr heterogene Selbsthilfe- organisation von Trennungsvätern. Mit seinen rund 3.000 Mitgliedern dürfte er eine der größten 5.1. MANNdat „män nerbewegten“ Gruppierungen überhaupt sein. Viele Männer treten bei, um in einer akuten MANNdat mit Hauptsitz in (viele der persönlichen Krise Beratung und Unterstützung Aktiven kommen aus Baden-Württemberg) ist zu erhalten. Meist geht es um Streitigkeiten mit eine der wichtigsten männerrechtlichen Grup- ihrer Ex-Partnerin um das Sorge- und Umgangs- pen. Die 2004 gegründete „geschlechterpolitische recht für die gemeinsamen Kinder. Die Betrof- Initiative“ hat rund 350 Mitglieder und ist auch fenen verlieren aber häufi g das Interesse an wei- im Internet sehr aktiv. Auf der Suche nach angeb- terem Engagement, wenn ihr individuelles Pro- lichen feministischen Privilegien durchforstet sie blem gelöst ist. Die Folge ist eine starke Fluktua - Publikationen, Politik und Wissenschaft, sam- tion innerhalb des Verbandes. melt akribisch Daten über männliche „Diskrimi- Einzelne Mitglieder, seltener die Funktions- nierungen“ und konfrontiert Bundes- und Lan- träger, haben eine fragwürdige männerrechtliche desparlamente regelmäßig mit entsprechenden Schlagseite. Der Bundesvorstand ist moderat be- Anfragen. Themen und Thesen sind dabei unter setzt, die Ortsgruppen präsentieren sich sehr un- anderem: terschiedlich in Zielsetzung und Grad der Radika- lität. Gemeinsam ist den meisten Aktivisten eine • Trennungsvätern werden ihre Kinder entzogen. große persönliche Verbitterung darüber, dass sie • Jungen sind Verlierer in einem für Mädchen ihre Kinder nicht sehen dürfen – was teilweise optimierten Bildungssystem. durchaus verständlich ist. Verbindungen zur • Nur Männer müssen zum Militär. „Neuen Rechten“ lassen sich nur in Einzelfällen • Frauen sind ebenso gewalttätig wie Männer. nachweisen. • Die Männerarbeitslosigkeit steigt. • Die Männergesundheit wird vernachlässigt.

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5.3. Familiennetzwerk Deutschland trotz seines in der Jungen Freiheit praktizierten Sprachduktus („Verrat an den Familien“, „Die Das Familiennetzwerk ist ein Dachverband von Politik entzieht der Keimzelle des Volkes schlei- mehreren Dutzend Organisationen und Grup- chend die Lebensgrundlage“) im öffentlich-recht- pen. Hier haben sich all jene versammelt, die sich lichen Radio für tragbar gehalten wird, ist eine von der Politik Ursula von der Leyens in ihrer Zeit berechtigte Frage an den Intendanten – und als CDU-Familienministerin der Großen Koali- eigentlich ein Thema für den Rundfunkrat. tion im Stich gelassen fühlten. Die Aktivisten Die großen konfessionell gebundenen – und zeichnen ein düsteres Zukunftsbild schrumpfen- politisch heterogenen – Familienverbände arbei- der Gesellschaften, skandalisieren sinkende Gebur- ten aus guten Gründen nicht mit dem Familien- tenzahlen und wettern gegen angeblich genuss- netzwerk zusammen. Berührungspunkte gibt es süchtige Kinderlose. Im Stil des erzkatholischen dagegen mit dem erzkonservativen „Bundesver- Augsburger Bischofs Walter Mixa (Frauen als „Ge- band Lebensrecht“. Unter dem Motto „1.000 bärmaschinen“) wenden sie sich gegen den Aus- Kreuze für das Leben“ riefen die radikalen Abtrei- bau der „Fremdbetreuung“ in Krippen und for- bungsgegner im September 2009 zu einer De- dern statt dessen Prämien für Vollzeit-Mütter. monstration gegen die „jährlich hunderttausend- Gemeinsam ist den Beteiligten ein rückwärts fache Tötung ungeborener Kinder“ in Berlin auf. gewandtes Frauenbild, dem eine ebenso traditio- Dagegen formierte sich Widerstand aus linken nelle Vorstellung über die Aufgaben des Mannes und antifaschistischen Kreisen, Beifall erhielt die entspricht. Männerrechtliche Forderungen werden Aktion dagegen von Neonazis. Das rechtsextreme nicht explizit erhoben, wohl aber Stimmung ge- Internet-Portal altermedia lobte die „Übereinstim- macht gegen gleichstellungspolitische Konzepte mungen mit unseren Ansichten: Mehrfach wird („Zeit zum Widerstand! Warum Gender Main- von unserem deutschen Vaterlande gesprochen, streaming die Gesellschaft zwangsverändert“). Im in einem Grußworte gar von der Ehre unseres Vordergrund steht die Klage über die „Verstaatli- Volkes“. chung unserer Kinder“, die „Ausplünderung von Familien“ und den Verlust eines Wertsystems, in dem die Geschlechterrollen klar festgelegt waren. 5.4. AGENS / „Befreiungsbewegung für Mit dem Netzwerk verbunden ist das „Hei- Männer“ delberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit“. Mitbegründer ist der Sozialrichter Ein im Sommer 2009 vorgelegter Sammelband Jürgen Borchert, der zeitweilig den hessischen von überwiegend männerrechtlich orientierten Ministerpräsidenten Roland Koch beraten hat. Autoren (und Autorinnen!) fordert eine „Befrei- Wichtiger Finanzier ist der südbadische Unter- ungsbewegung für Männer“ und bezeichnet das nehmer Gerhard Wehr, der im Schwarzwald Kur- im Untertitel als „Weg zur Geschlechterdemo- kliniken für Mütter betreibt. Er ist Vorsitzender kratie“. Wie beim Freiheitsbegriff wird hier ein des „Deutschen Arbeitskreises für Familienhilfe“, Wort mit emanzipatorischer Tradition von rechts befürwortet eine nationalistische Bevölkerungs- umdefi niert. Die Herausgeber Paul Hermann politik und fordert schärfere Sanktionen gegen Gruner und Eckhard Kuhla betrachten ihr Buch Abtreibung. Wehr war an mehreren Kongressen als längst überfällige „Publikation für die Zeit zur „Aufwertung der Erziehungsarbeit“ (vgl. Kapi- nach dem Feminismus“. Sie fordern „das Ende tel 3) beteiligt. des weiblichen Geschlechtermonologs“ und ver- Massive publizistische Unterstützung leistet stehen sich als politische Aktivisten: Eine „offen- der bereits erwähnte Deutschlandfunk-Redakteur sive Interessenvertretung der Männer“ soll die Jürgen Liminski, der die Anliegen des Netzwerkes Debatte über die vermeintlichen „Kulturverlie- mit Beharrlichkeit in den politischen Magazinen rer“ anregen. seines Senders platziert. Warum der Journalist

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Zumindest ein Teil der Beiträge treibt im Fahr- 5.5. Weitere Akteure und Strategien wasser der Männerrechtler, die von der „Machter- greifung der Frau“ und einem „neuen Tugend- Der Band der „Männerbefreier“ schmückt sich staat“ fabulieren. Autoren wie Arne Hoffmann, der mit bekannten Experten wie Klaus Hurrelmann in seinem Blog Genderama gegen alles Feminis- oder Wolfgang Schmidtbauer. Hier wird ein Mus- tische hetzt, oder auch Gerhard Amendt, der Op- ter deutlich, dass auch in anderen Zusammen- fererfahrung von Frauen als „fantasiertes Leid“ hängen auffällt – etwa bei dem „Männerkongress“ denunziert und eine (weibliche!) „Sehnsucht nach im Februar 2010 an der Universität Düsseldorf traditioneller Männlichkeit“ ausmacht – was die („Neue Männer, muss das sein? – Über den männ- kirchliche Männerstudie von Rainer Volz und lichen Umgang mit Gefühlen“). Paul Zulehner gerade empirisch widerlegt hat – Die Veranstaltung, von Medizinern und sind alles andere als geschlechterdialogisch orien- Therapeuten organisiert, war bestimmt kein Tref- tiert. fen von Rechtsradikalen. Respektable Referenten Die Polemik auf die Spitze treibt Karl-Heinz wie der Gesundheitswissenschaftler Elmar Bräh- Lier, ein Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung ler oder der Historiker Martin Dinges wurden in Rheinland-Pfalz, der Gender Mainstreaming eingeladen, aber eben auch der umstrittene Ger- als „Hydra im trojanischen Pferd“ geißelt. In sei- hard Amendt, dessen Teilnahme Frauenaktivis- nem Text schimpft er über „obskure Ideen“, „Um- tinnen im Vorfeld zu verhindern versucht hatten. erziehungsaktionen“, „staatlich betriebene Frei- Mitveranstalter in Düsseldorf und Vor tragsredner heitsberaubung“ und „systematische Täuschung zum Thema Vaterlosigkeit war Matthias Franz, durch die politische Kaste“, um schließlich gar der beim „Deutschen Institut für Jugend und Ge- Marx und Engels als „Väter der Gender-Perspek- sellschaft“ der „Offensive Junger Christen“ veröf- tive“ (!) auszumachen. Lier organisierte im Juli fentlicht hat. Diese evangelikale Gruppe, 2008 2009 mit öffentlichen Geldern eine Netzwerk- durch eine Großveranstaltung in aufge- Tagung der Autoren und weiterer Referenten. Of- fallen, bietet Seminare zur „Heilung“ von Homose- fenbar gab es bei der fi nanziellen Unterstützung xualität an und opponiert vehement gegen Gender aus der Staatskasse keine Probleme. Mainstreaming. Der „harte Kern“ der Beteiligten an dem Buch- Bei der Männerrechtler-Tagung der Adenauer- projekt gründete im Dezember 2009 den Verein Stiftung in Mainz war Franz als Redner ebenso AGENS – „Arbeitsgemeinschaft zur Verwirklichung vertreten wie Hartmut Steeb, der Generalsekretär der Geschlechter-Demokratie“. Zu den Gründungs- der „Deutschen Evangelischen Allianz“. Diese mitgliedern gehört neben Gruner, Kuhla, von Dachorganisation pietistischer Gruppen inner- Lier und Hoffmann auch Gerhard Amendt. Als halb und außerhalb der EKD zählt nach eigenen gemeinsame politische Plattform dient das so Angaben 1,3 Millionen Mitglieder. Sie vertreten genannte „Berliner Mannifest“. Das eher dürftige einen fundamentalistischen Protestantismus, hal- Positionspapier nennt als Ziel unter anderem den ten als „Kreationisten” am Wortlaut der Schöp- „gemeinsamen Dialog auf Augenhöhe zwischen fungslehre fest und betrachten gleichgeschlecht- der befreiten Frau und dem befreiten Mann“ (vgl. liche sexuelle Orientierungen als psychische Stö- Anhang Dokumente). rung. Neu gegründet hat sich in diesem Spektrum die „Initiative Vaterliebe“ im Bund Evangelisch- Freikirchlicher Gemeinden, die sich als Anwalt von Trennungsvätern versteht.

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6. Reaktionen und Kontroversen in der „Männerbewegung“

In der deutschen „Männerbewegung“ (wenn man dem lässt sich aus all dem keine pauschale von einer solchen überhaupt sprechen will) exis- Diskriminierung qua Geschlecht ableiten. tieren progressive und rückwärts gewandte Strö- Dem Geschlechterforscher Hans-Joachim Lenz mungen von jeher nebeneinander. Auseinander- ist zuzustimmen, wenn er für sein Spezialgebiet setzungen unter Männern über Profeminismus davor warnt, Gewalt gegen Männer „als falsches und Antifeminismus, über traditionelle und mo- und unredliches Argument im populistisch ge- derne Selbstverständnisse hat es seit den 1970er wendeten Geschlechterkampf zu missbrauchen“, Jahren immer wieder gegeben. Ein einheitlicher indem „männliche Täterschaft geleugnet und ent- Kurs war und ist nicht erkennbar. schuldigt“ oder „gar die Schließung von Frauen- Auf der einen Seite „argumentieren dekons- häusern verlangt wird“. Ein Beispiel, das sich auf truktivistische, identitätskritische Ideen mit der andere Arbeitsfelder übertragen lässt: Nur mit- Behauptung, ‚Männliches‘ (wie ‚Weibliches’) sei einander und nicht gegeneinander lässt sich Ge- und werde ausschließlich kulturspezifi sch orga- schlechterdemokratie umsetzen. Vereinfachungen nisiert“, skizziert Alexander Bentheim in der und die umgekehrte Stilisierung von Männern zum Fachzeitschrift Switchboard die zentrale Kontro- Opfer „des Feminismus“ helfen nicht weiter. verse der jüngeren Zeit. Auf der anderen Seite „Ein vermeintlicher Dialog, der von vorne- werde „nicht zuletzt aufgrund neuerer Forschun- herein mit klischeehaften Zuweisungen arbeitet, gen in Biologie und Genetik einer Renaissance kann nur ein Monolog bleiben. Hier wird genau des bipolaren Geschlechterdeterminismus das das konstruiert, was an der Gegenseite kritisiert Wort geredet“. Konfl iktfelder bei der Bewertung wird“, analysiert Lenz im Switchboard. Wie Mar- der Frage, ob Männer weiterhin privilegiert oder kus Theunert, Vorsitzender des Dachverbands der inzwischen strukturell benachteiligt sind, seien Schweizer Männerorganisationen (maenner.ch), vor diesem Hintergrund „vorprogrammiert“. distanziert sich Lenz mittlerweile von seinen Ko- Einige der von den Männerrechtlern ange- autoren des Sammelbandes „Befreiungsbewegung sprochenen Themen sind diskussionswürdig – für Männer“. Mit ihrer Erklärung gegen Gerhardt etwa die Schwierigkeiten von Jungen in der Schule, Amendt hat die Männerarbeit der EKD ebenso die vernachlässigte Männergesundheit und die Ta- klar Position bezogen – und zugleich deutlich ge- buisierung der gegen Männer gerichteten Gewalt. macht, was sie von den evangelikalen Strömun- Dass Frauenpolitik manchmal einfach nur mit dem gen innerhalb der eigenen Kirche hält. Wort „Gender“ neu etikettiert wird, ist auch nicht Offen (und umstritten) bleibt, wie geschlech- völlig falsch. Von einer durchgehenden gesell- terdialogisch orientierte Organisationen, Institu- schaftlichen Benachteiligung „der Männer“ kann tionen und Aktivisten künftig mit den Männer- aber keinesfalls gesprochen werden. rechtlern umgehen sollen. Sollten Fachblätter Aus teilweise richtigen Grundgedanken zie- wie Switchboard ihnen eine Bühne geben oder sie hen die Männerrechtler generalisierende Schluss- eher ausgrenzen, sich klar distanzieren? Ähnliche folgerungen. Selbstverständlich haben vor allem Fragen wie in der Publizistik stellten sich im öf- Jungen mit Zuwanderungsgeschichte massive fentlichen Raum. Sollen Vereine wie MANNdat Schwierigkeiten in der Schule. Nur Männer müs- oder AGENS im „Bundesforum Männer“ mitar- sen zum Militär. Es gibt einen Gesundheitsbericht beiten dürfen, das sich als Pendant zum Deut- über Frauen, aber keinen über Männer, trotz ge- schen Frauenrat gebildet hat? Sollten parteipoli- ringerer Lebenserwartung. Dass Gewalt nicht nur tische Stiftungen oder andere Veranstalter Män- von Männern ausgeht, sondern sich auch über- nerrechtler auf Tagungen einladen, ihnen damit wiegend gegen sie richtet, ist in der Tat ein unter- Gewicht beimessen und sie fi nanziell unterstüt- belichtetes Thema. In der jüngsten Wirtschafts- zen? Kurz: Sollte man mit den Männerrechtlern krise ist die Männerarbeitslosigkeit deutlich ge- oder nur über sie reden? Die Debatte darüber hat stiegen, die der Frauen konstant geblieben. Trotz- gerade erst begonnen.

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7. Ergebnisse, offene Fragen und weiterer Forschungsbedarf

Ohne antifeministische Strömungen unnötig Haben Sozialdemokraten, Grüne und Linke aufwerten zu wollen, lässt sich feststellen, dass ein politisches Zukunftsthema verschlafen? Die sich die Forderungen nach „Männerbefreiung“ Oppositionsparteien im Bundestag verweisen auf stärker als früher öffentlich artikulieren. Unbe- die Erfahrungen in Österreich, wo eine schwarz- stritten ist ebenso, dass einige der in diesem Spek- braune Regierung auf Betreiben der FPÖ und ge- trum artikulierten männerpolitischen Forderun- gen den massiven Widerstand von Frauenverbän- gen einen wahren Kern enthalten. Themen wie den eine „männerpolitische Grundsatzabteilung“ Männergesundheit, Gewalt gegen Männer oder im Sozialministerium installierte. Einige der zahl- die Schwierigkeiten von Jungen im Schulsystem reichen Publikationen, die die fi nanziell gut aus- (auch wenn diese manchmal zu pauschal als „Bil- gestatteten Männeraktivisten der Alpenrepublik in dungsverlierer“ betrachtet werden) sind lange hohen Aufl agen unters Volk brachten, zeigten eine Zeit kaum ins öffentliche Blickfeld gerückt. Ver- explizit männerrechtliche Schlagseite. bergen sich dahinter auch Versäumnisse der Eine Idee muss aber nicht grundsätzlich falsch Frauenbewegung und eines männerbewegten sein, nur weil sie der politische Gegner mangelhaft Profeminismus, die diese Probleme verharmlost in die Praxis umgesetzt hat. Eine genderdialogische oder schlicht ignoriert haben? Männerpolitik, die sich eindeutig abgrenzt von Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat 2009 rechtskonservativem oder gar rechtsextremem Ge- im Koalitionsvertrag eine „eigenständige Jungen- dankengut, die sich von Familienfundamentalis- und Männerpolitik“ angekündigt. Familienminis- ten oder evangelikalen Christen nicht vereinnah- terin Kristina Schröder (CDU), die sich aus dem men lässt, kann militanten und konfrontativ orien- Schatten ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen tierten Männerrechtlern durchaus den Wind aus zu lösen versucht, erwähnt in Interviews regel- den Segeln nehmen. Der Gestus des „Tabubrechers“, mäßig das neue Arbeitsfeld. Im Ministerium ist der „politisch korrekte“ Denkverbote missachtet, das Referat 408 „Gleichstellungspolitik für Män- wäre dann weniger erfolgreich. Auch die Umwid- ner und Jungen“ mit drei Planstellen geschaffen mung von Schlüsselbegriffen wie Befreiung oder worden – vorrangig mit dem Ziel, männlichen Geschlechterdemokratie wäre erschwert. Jugendlichen mehr Perspektiven in erzieherischen Seit einigen Jahren fi nden Männerrechtler und pfl egerischen Berufen zu ermöglichen. und Familienfundamentalisten deutlich mehr Re- Abgesehen von dem ausgelagerten Projekt sonanz in den Medien. Einzelfälle werden verall- „Neue Wege für Jungs“ hat es weder unter Rot- gemeinert und mit Verweis auf die Biologie wissen- grün noch in der Großen Koalition eine derartige schaftlich kaum haltbare Thesen aufgestellt. Hier Schwerpunktsetzung gegeben. Die einzigen par- geht es darum, Gegenöffentlichkeit herzustellen, lamentarischen Anfragen zum Thema Männer Aufklärungsarbeit zu leisten und Tarnungen aufzu- und Jungen stellten die CDU-Fraktion (2004) und decken. Spätestens wenn, wie nach den Morden die FDP-Fraktion (2008). Beiden Initiativen lag von Winnenden geschehen, Amokläufer zu Op- allerdings keine geschlechterpolitisch oder gar fern des Feminismus erklärt werden („Benachtei- männerrechtlich fundierte Positionierung zu ligte Jungs drehen eben durch“), ist klarer Wider- Grunde. Ausgelöst wurden sie vielmehr durch spruch nötig. alarmistische Interventionen aus der Wirtschaft, Innerhalb der „Männerszene“ sollte der Blick die sich Sorgen um das schlechte Qualifi kations- noch stärker auf blinde Flecken innerhalb des niveau männlicher Schulabgänger machen. Es männlichen Verständigungsdiskurses gelenkt und drohe ein vorwiegend „männliches Proletariat“, zur Selbstrefl exion angeregt werden. Ziel könnte warnte schon vor fünf Jahren eine Stellungnah- hier die Entwicklung von Kriterien für eine klare me des Deutschen Industrie- und Handelskam- Abgrenzung zu rechtsextremen Organisationen mertages. Zu ähnlichen Ergebnissen kam 2009 und Publikationen sein. ein Gutachten des Aktionsrates Bildung im Auf- trag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.

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8. Quellen, Literatur

8.1. Bücher

Bundesjugendkuratorium: Schlaue Mädchen – Dumme Jungen. Gegen Verkürzungen im aktuellen Ge- schlechterdiskurs. Deutsches Jugendinstitut, München 2009. Geden, Oliver: Männlichkeitskonstruktionen in der Freiheitlichen Partei Österreichs. Eine qualitativ- empirische Untersuchung. Verlag Leske und Budrich, Opladen 2004. Gruner, Paul Hermann: Frauen und Kinder zuerst. Denkblockade Feminismus – eine Streitschrift. Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. Gruner, Paul Hermann/Kuhla, Eckhard (Hrsg.): Befreiungsbewegung für Männer. Auf dem Weg zur Ge- schlechterdemokratie. Psychosozial-Verlag, Gießen 2009. Hollstein, Walter: Was vom Manne übrig blieb. Aufbau Verlag, Berlin 2008. Kämper, Gabriele: Die männliche Nation. Politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten. Böhlau Verlag, Köln 2005. Kämper, Gabriele: Der männliche Mann – Mediale Propaganda der Ungleichheit. Journalismus und Wissenschaft im Dienst neurechter Politiken. Medienheft Katholischer Mediendienst und Refor- mierte Medien, Zürich 2005. Leipert, Christian (Hrsg.): Aufwertung der Erziehungsarbeit. Europäische Perspektiven einer Struktur- reform der Familien- und Gesellschaftspolitik. Leske und Budrich, Opladen 1999. Leipert, Christian (Hrsg.): Familie als Beruf: Arbeitsfeld der Zukunft. Verlag Leske und Budrich, Opladen 2001. Lenz, Ilse: Wie entdecken Männer ihr Geschlecht? In: dies. (Hrsg.): Die neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. VS Verlag, Wiesbaden 2009, S. 1077–1079. Matussek, Matthias: Die vaterlose Gesellschaft. Überfällige Bemerkungen zum Geschlechterkampf. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998. Rosenkranz, Barbara: MenschInnen. Ares Verlag, Graz 2008. Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (Hrsg.): Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem. Jahresgut- achten des Aktionsrat Bildung. VS Verlag, Wiesbaden 2009. Volz, Rainer/Zulehner, Paul: Männer in Bewegung. Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland. Nomos Verlag, Baden-Baden 2009. Wolde, Anja: Väter im Aufbruch? Deutungsmuster von Väterlichkeit und Männlichkeit im Kontext von Väterinitiativen. VS Verlag, Wiesbaden 2007.

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8.2. Zeitungen und Zeitschriften

Cicero: Titelthema „Das schwächelnde Geschlecht“. Beiträge von Paul-Hermann Gruner, Marc Luy, Hanne Seemann; Interview mit Klaus Hurrelmann. Ausgabe 7/2009, S. 109–113. Focus: Das geschwächte Geschlecht. Emanzipation, nächste Stufe: Gegen die Benachteiligung und Ab- wertung von Männern formiert sich eine neue Bürgerrechtsbewegung. Von Michael Klonovsky; Interview mit dem Soziologen Walter Hollstein. Ausgabe 41/2008, S. 126–131. Focus: Titelthema „Im Zweifel gegen den Mann“. Von Michael Klonovsky und Alexander Wendt; Inter- view mit Ministerin Ursula von der Leyen. Ausgabe 38/2009, S. 90–102. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Männerdämmerung. Wer uns denkt: Frauen übernehmen die Bewußt- seinsindustrie. Von Frank Schirrmacher, Ausgabe vom 1. Juli 2003. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Politische Geschlechtsumwandlung. Von Volker Zastrow, Ausgabe vom 19. Juni 2006. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Der kleine Unterschied. Von Volker Zastrow, Ausgabe vom 7. Septem- ber 2006. Junge Freiheit: Freiheit statt Feminismus! Geschlechterkampf: Die „positive“ Diskriminierung von Frauen beschädigt den Rechtsstaat. Beiträge von Michael Paulwitz und Ellen Kositza; Interview mit Eugen Maus von der Männerrechtsinitiative MANNdat. Ausgabe 7/2008, S. 1, 3 und 10. Junge Freiheit: Verrat an der Familie. Die Politik entzieht der Keimzelle des Volkes schleichende die Lebensgrundlage. Aufmacher von Jürgen Liminski; interview mit dem Kinderpsychologen Wolf- gang Bergmann. Ausgabe 23/2008, S. 1 und 3. Männerforum der Evangelischen Kirche in Deutschland: Ein Ort des Männerhasses? Streit um die Frauenhäuser. Warum der Bremer Soziologe Gerhardt Amendt sie abschaffen möchte und die Evangelische Männerarbeit sie verteidigt. Ausgabe 41/2009, S. 18–19. Querelles-net: Gender Mainstreaming als rotes Tuch im braunen Wahlkampf. Rezension des Buches „MenschInnen“ von Barbara Rosenkranz. Von Regina Frey. Ausgabe 1/2009. Der Spiegel: Der neue Mensch. Unter dem Begriff „Gender Mainstreaming“ haben Politiker ein Erzie- hungsprogramm für Männer und Frauen gestartet. Von Rene Pfi ster. Ausgabe 1/2007, S. 27–29. Stern: Ich Mann, du Frau. In Deutschland denken Bürokraten unter dem Stichwort „Gender Main- streaming“ angestrengt über den kleinen Unterschied nach. Von Kerstin Schneider, Ausgabe 12/2003, S. 64–66. Switchboard, Zeitschrift für Männer und Jungenarbeit: Titelthema „Richtungsdiskurse“. Beiträge von Alexander Bentheim, Hans-Joachim Lenz, Eckhard Kuhla, Thomas Gesterkamp, Walter Hollstein, Marc Gärtner; Interview mit Markus Theunert. Ausgabe 190, Herbst/Winter 2009, S. 4–27. Welt am Sonntag: Warum das Frauenhaus abgeschafft werden muss. Von Gerhard Amendt, Ausgabe vom 21. Juni 2009.

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8.3. Internetforen und Blogs

www.genderama.blogspot.com Blog des Buchautors und fanatischen Antifeministen Arne Hoffmann, der bei seinen Verlinkungen keine Berührungsängste zu rechtsextremen Seiten hat www.manndat.de Homepage der „geschlechterpolitischen Initiative“ www.mannifest.eu Die „Männerbefreier“ von AGENS stellen sich vor www.pappa.com Forum von Väterrechtlern www.familie-ist-zukunft.de Online-Auftritt des „Familiennetzwerkes“ www.freiheit.org Hier bewirbt die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung das Buch „Der Staat als Super Super Nanny“: „Dass wir alle Gutmenschen sein sollen, ist Ziel seiner erzieherischen Bemühungen.“ Eugen Maus von MANNdat lästert in dem Band über die „Schöne neue durchgegenderte Welt“ www.rotemaenner.de „Ein kleines, unbeugsames antifeministisches Dorf innerhalb einer Partei, der SPD“ (Selbstdarstel- lung) www.maskulist.de Die Betreiber nennen sich bewusst „Maskulisten“ und nicht „Maskulinisten“ www.sonsofperseus.blogspot.com Blog radikaler Männerrechtler, die sich auf die Antike berufen www.ef-magazin.de Die elektronische Version der Monatszeitschrift „eigentümlich frei“. Männerrechtler Arne Hoff- mann gehört zu den regelmäßigen Autoren, Herausgeber Andre Lichtschlag veröffentlicht auch in der Jungen Freiheit www.wgvdl.com Wieviel Gleichberechtigung verträgt das Land? Wenig, glauben die Betreiber, die ein taktisches Verhältnis zum Rechtsextremismus pfl egen und auch Texte von Naziseiten wie altermedia zitieren und verteidigen www.dijg.de Webauftritt des „Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft“ der evangelikalen „Offensive Junger Christen“, die Homosexuelle „heilen“ wollen www.bv-lebensrecht.de Internetpräsenz der radikalen Abtreibungsgegner www.freiewelt.net „Blogzeitung für die Zivilgesellschaft“ – in Titel und Untertitel ein Beispiel für die rechte Umdeu- tung von Begriffen www.de.altermedia.info Eindeutig neonazistisch orientierte Seite mit Verbindungen zu Online-Auftritten von Antifemi- nisten und Männerrechtlern www.free-gender.de Forum der rechtsextremen Initiative „Raus aus den Köpfen – Genderterror abschaffen“

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9. Dokumente im Wortlaut

9.1. Das Berliner Mannifest des Vereins AGENS

„Eine zukünftige Selbstdefi nition von Männern basiert auf eigenem Antrieb und ist Voraussetzung für den gesellschaftlichen Prozess einer Befreiungsbewegung. Politik muss diese Eigenständigkeit annehmen und stellt Leitplanken für die Entwicklung einer Geschlechterdemokratie bereit.

Männern steht dieselbe Vielfalt bei der Wahl ihrer Rollen zu wie Frauen. Es darf nicht länger nur der feministische Mann der politisch erlaubte Mann sein.

Aus dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes folgt, dass Gender Mainstreaming als verdeckte, ein- seitige Frauenförderung demokratisch hinterfragt werden muss. Wenn beispielsweise Frauen weniger als Männer verdienen oder weniger hoch aufsteigen, ist dies größtenteils eine Folge eigenständiger Entschei- dungen der betroffenen Frauen und keine Diskriminierung durch Männer.

Zu einer Geschlechterdemokratie gehört Kooperation, gegenseitige Loyalität und Empathie in einem gemeinsamen Dialog auf Augenhöhe zwischen der befreiten Frau und dem befreiten Mann.

Die wachsenden Bildungsdefi zite der Jungen mit Folgen einer Kriminalisierung und/oder Radikalisierung erfordern eine identitätsbildende männliche Solidarität.”

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9.2. Offener Brief der Männerarbeit der EKD an Gerhard Amendt

„Sehr geehrter Herr Prof. Amendt,

wir haben Ihre Ausführungen zu Frauenhäusern in Deutschland zur Kenntnis genommen und reagieren darauf in einem offenen Brief.

Die Männerarbeit der EKD ist der Dachverband der Einrichtungen für Männerarbeit in allen Glied- kirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Arbeit mit Männern geschieht fl ächen- deckend in über 3.000 Männergruppen in Deutschland. Die Arbeitsgemeinschaft der Männerarbeit hat sich in den vergangenen Jahren bezüglich männerpolitischer Fragestellungen mehrfach zu Wort gemeldet und kann sich in ihren Positionen auf eine große Anzahl profi lierter Studien mit soliden empirisch-wissenschaftlichen Forschungsergebnissen stützen. Nicht zuletzt auf die aktuelle empirische Männerstudie von Paul Zulehner und Rainer Volz, die im Frühjahr 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte.

Sie kommen in Ihrem kritischen Artikel über die Situation von Frauenhäusern in Deutschland zu dem Ergebnis, dass eine öffentliche fi nanzielle Unterstützung von Frauenhäusern nicht mehr sinnvoll und angemessen sei, da sich hinter der Bewegung der Frauenhäuser eine Form des mili- tanten Feminismus verberge, der die Einrichtungen zu Horten des Männerhasses mache.

Wir halten diese These für undifferenziert. Sie kritisieren die Frauen, die in Frauenhäusern arbeiten, pauschal, ohne jede Wertschätzung, und ignorieren die Frauenhäuser als Zufl uchtsorte für geschlagene und in Not befi ndliche Frauen. Sie wählen eine Form, die weder im Stil noch in der Argumentation einer seriösen Problemlösung angemessen ist, sondern im Gegenteil polarisiert und diffamiert.

Nach allen uns bis heute vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen kommen wir um die Feststellung nicht herum, dass physische Gewalt in Beziehungen überwiegend männlich ist. Zwar sind mehr Männer Opfer von Gewalt als Frauen – allerdings in der Regel als Opfer männlicher Gewalt. Leider gehört Gewalt zum Lebensalltag von Männern, sie erleben sie als Jungen in Schule, Ausbildung und Peergroup, als Erwachsene beim Militär, im Beruf – vor allem aber auf der Straße.

Es widerspricht nach unserer Einschätzung ethischen wie auch empirischen Erkenntnissen, dass sich die Situation der Opfer von häuslicher Gewalt grundsätzlich geändert hätte. Die Kritik an der theoretischen Grundlage einiger Frauenhausaktivistinnen – deren ideologischer Background keines- falls einheitlich ist – darf nicht zu einer Verharmlosung der Erfahrung der Opfer führen. Dies gilt insbesondere für die Kinder, die die Hauptleidtragenden von häuslicher Gewalt – übrigens auch weiblicher Gewalt – sind.

Unabhängig von Ihrer Argumentation muss festgestellt werden, dass auch die Familie bzw. die Beziehung zum Ort wird, an dem auch Männer Gewalt erfahren – von der Partnerin oder vom homosexuellen Partner. Es hilft, das Tabu der erlittenen Gewalt bei Männern zu brechen, wenn immer mehr Männer über ihre Gewalterfahrungen sprechen – so wie auch Frauen durch die Veröf- fentlichung und Skandalisierung ihrer Gewalterfahrungen für sich persönlich und in der Öffent- lichkeit Initiative und Selbstachtung zurückerlangt haben.

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Die reformierte Gesetzgebung, die den Platzverweis für Täter oder Täterin vorsieht, macht geschlechtsspezifi sche Schutzräume für Opfer von Gewalt nicht überfl üssig. Im Gegenteil. Selbst- verständlich ist – und da hätte es Ihrer Polemik nicht bedurft –, dass Frauenhäuser wie alle öffent- lich fi nanzierten Sozialeinrichtungen professionellen Qualitätsstandards zu entsprechen und auch die spezifi schen Bedürfnisse der Opfer zu treffen haben. Seriöse und objektive Untersuchungen zur Qualität der Arbeit in Frauenhäusern – wie sie beispielsweise von Brigitte Fenner und Peter Döge für das Land Thüringen vorgenommen wurden – sollten auch in anderen Regionen Deutschlands durchgeführt werden.

Die starre Rollenzuschreibung „Gewalttäter = männlich“, „Gewaltopfer = weiblich“ lässt sich sicherlich so nicht mehr lange aufrechterhalten. Auch Frauen – so die Studie von Zulehner und Volz – nehmen Gewaltneigung zunehmend als einen Anteil weiblicher Identität wahr. Darüber hinaus ist sicherlich auch die Defi nition von „Gewalt“ geschlechterkritisch in den Blick zu nehmen und darauf zu überprüfen, wie Gewalt, die von Mädchen ausgeht, juristisch und medial im Ver- gleich zu Gewalt behandelt und dargestellt wird, die von Jungen ausgeht.

Wenn Sie zu Recht die Rolle von Männern als Opfer auch von häuslicher Gewalt aus dem Tabu- bereich holen wollen, warum setzen Sie sich dann nicht für männliche Netzwerke ein, in denen sich Männer mit Gewalterfahrung psychologisch, medizinisch und logistisch gegenseitig Hilfe leisten könnten? Eine familientherapeutische Strategie allein kann die geschlechtsspezifi sche Aus- einandersetzung mit der Gewalterfahrung nicht ersetzen. Dies gilt für die Opfer- wie die Täter(innen)- Therapie gleichermaßen. Vielmehr müssen ambulante Interventionsmaßnahmen (Frauenhäuser und Männernetzwerke) und systemisch-familientherapeutische Beratungsangebote effi zient und sachgemäß kombiniert werden. Doch auch bei letzteren ist der Aspekt der zweidimensionalen geschlechtsspezifi schen Perspektive unerlässlich.

Gern sind wir bereit, eine öffentliche Diskussion über das Gewaltproblem und die Rolle von Frauen und Männern dabei zu führen. Wir bevorzugen allerdings einen differenzierten und lösungsorien- tierten Diskurs, an dem möglichst viele Perspektiven und Ansätze beteiligt sein sollten. Das Ziel sollte dabei nicht in der Desavouierung des jeweils anderen bestehen.“

Mit freundlichen Grüßen für den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Männerarbeit der EKD Martin Rosowski, Hauptgeschäftsführer

23 WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung

Der Autor

Dr. Thomas Gesterkamp ist Journalist und Buchautor zu geschlechterpolitischen Themen. www.thomasgesterkamp.de

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27 ISBN: 978-3-86872-270-3

Neuere Veröffentlichungen der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik

Projekt Zukunft 2020 Gesprächskreis Verbraucherpolitik Deutschland 2020 Flächenkonkurrenz zwischen Tank und Teller Aus der Krise in eine soziale Zukunft WISO direkt WISO Diskurs Arbeitskreis Innovative Verkehrspolitik Projekt Zukunft 2020 Eckpfeiler einer zukünftigen nachhaltigen Zukunft 2020 – ein Modell für ein soziales Verkehrspolitik Deutschland WISO Diskurs WISO Diskurs Gesprächskreis Sozialpolitik Projekt Zukunft 2020 Kurzfristige Auswirkungen der Finanzmarktkrise Eine soziale Zukunft für Deutschland – auf die sozialen Sicherungssysteme und mittel- Strategische Optionen für mehr Wohlstand für alle fristiger Handlungsbedarf WISO Diskurs WISO Diskurs

Wirtschaftspolitik Gesprächskreis Sozialpolitik Die Zukunft der Landesbanken – Zwischen Grundstruktur eines universellen Konsolidierung und neuem Geschäftsmodell Alterssicherungssystems mit Mindestrente WISO Diskurs WISO Diskurs

Wirtschaftspolitik Gesprächskreis Arbeit und Qualifi zierung Einkommen und Leistung: Mindestlöhne in Deutschland Es wächst auseinander, was nie zusammengehörte WISO Diskurs WISO direkt Arbeitskreis Arbeit-Betrieb-Politik Mehr Demokratie wagen – auch in der Wirtschaft Wirtschaftspolitik WISO direkt Die offenen Grenzen des Wachstums WISO direkt Arbeitskreis Dienstleistungen Arbeitsplatz Hochschule Wirtschaftspolitik Zum Wandel von Arbeit und Beschäftigung in Die deutsche Wirtschaftspolitik: der „unternehmerischen Universität“ Ein Problem für Europa? WISO Diskurs WISO direkt Gesprächskreis Migration und Integration Steuerpolitik Übergänge in eine berufl iche Ausbildung – Mit mehr Transparenz zu einem gerechten Geringere Chancen und schwierige Wege für Steuersystem junge Menschen mit Migrationshintergrund WISO Diskurs WISO Diskurs

Arbeitskreis Mittelstand Frauen- und Geschlechterforschung Fachkräftemangel in KMU – Antworten aus der feministischen Ökonomie Ausmaß, Ursachen und Gegenstrategien auf die globale Wirtschafts- und Finanzkrise WISO Diskurs WISO Diskurs

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28 www.fes.de/wiso