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Rezension: Daniel Hornuff: Bildwissenschaft im Widerstreit. Belting, Boehm, Bredekamp, Burda Kanter, Heike

Veröffentlichungsversion / Published Version Rezension / review

Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with: Verlag Barbara Budrich

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Kanter, H. (2013). Rezension: Daniel Hornuff: Bildwissenschaft im Widerstreit. Belting, Boehm, Bredekamp, Burda. [Rezension des Buches Bildwissenschaft im Widerstreit: Belting, Boehm, Bredekamp, Burda, von D. Hornuff]. Zeitschrift für Qualitative Forschung, 14(1), 159-161. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-393418

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(2003): Dokumentarische Me- schen Spass und Ernst“ bietet sich ein thode und sozialwissenschaftliche Her- Blick in das sprachwissenschaftliche Feld meneutik. In: Zeitschrift für Erzie- m.E. an. hungswissenschaft 6(4), S. 551–570. Der dritte und letzte Teil widmet sich Bohnsack, R. (Hrsg.) (2006): Das Gruppen- der abschließenden Diskussion und dem diskussionsverfahren in der For- Ausblick. Die in konsolidierter Form prä- schungspraxis. Opladen. sentierten Ergebnisse der Studie werden Witzel, A. (1982): Verfahren der qualitati- nochmals in einen direkten Bezug zur The- ven Sozialforschung. Überblick und Al- orie gestellt. Die Einordnung in eine For- ternativen. Frankfurt a.M. schungstradition, Überlegungen zu weiter- Witzel, A. (2000): Das problemzentrierte führenden Fragen wie auch die Kontextua- Interview. In: FQS 1(1), http://nbn- lisierung der Forschungsarbeit im Feld der resolving.de/urn:nbn:de:0114- Jugendforschung finden hier ihren Platz. fqs0001228 [10.03.2013]. Deutlich wird, dass das sich bewährte For- schungsdesign der Studie auch auf andere Untersuchungsgegenstände übertragbar sein dürfte und einen wichtigen Beitrag Heike Kanter zur Jugendforschung leisten kann, die der Vielfältigkeit unterschiedlicher Lebens- Daniel Hornuff: Bildwissenschaft im Wi- räumen der befragten Akteure Rechnung derstreit. Belting, Boehm, Bredekamp, trägt. Burda. München: Wilhelm Fink 2012, Abschließend erlaube ich mir eine Be- 130 S., 978-3-7705-5236-8. 19,90 Euro. merkung, die für die Leserschaft der vor- liegenden Zeitschrift von Interesse sein Ziel Daniel Hornuffs ist es nicht, mit die- könnte: M.E. zeichnet sich die Studie eben- sem Band einen umfassenden Überblick falls aufgrund ihres Anspruchs aus, nicht über bildwissenschaftliche Konzepte zu lie- nur Erkenntnisse zu generieren und ver- fern, stattdessen verweist bereits der Titel fügbar zu machen, sondern auch den epis- des Werks auf dessen programmatische temologischen Anforderungen wissenschaft- Ausrichtung. Inhaltlich akzentuiert Hor- lichen Forschens zu entsprechen. Gerade nuff aktuelle Positionen von vier Kunsthis- in der methodologischen Reflexion wechselt torikern, die sich im Hinblick auf die me- die Autorin wiederholt von einer deskripti- thodologische Bestimmung des Gegen- ven Ebene zu angewandten forschungsme- stands Bild unterscheiden. In den folglich thodischen Konzepten und der Offenlegung auch methodisch disparaten Zugängen zum ihrer eigenen Rollendefinition als aktiv im Bild werden die Auseinandersetzungen um Interpretationsprozess eingeschlossene Bildwissenschaft als anthropologische Forscherin. Die Herausforderung, zwischen (Hans Belting) oder philosophisch-herme- ausreichender Transparenz zur Gewähr- neutische () Denk- und leistung intersubjektiver Interpretations- Arbeitsweise, als bildgeschichtliche Diszip- prozesse und einer nicht zu überspannten lin () oder bildverglei- Absicherung und Ausweisung wissen- chende Praxis (Hubert Burda) deutlich. schaftlicher Qualität abzuwägen, dürfte für Der überaus kenntnisreich geschriebene die Leserschaft der Studie einmal mehr Beitrag liefert einen Einblick in die grund- spürbar werden. Es versteht sich von legende Problemstellung eines adäquaten selbst, dass eine allzu große Prägnanz in Umgangs mit dem Eigensinn des Ikoni- einer Dissertationsschrift auch als Defizit schen. Die kontrastierende Zusammen- interpretiert werden könnte. Die Autorin schau ausgewählter Ansätze ist vom Autor 160 ZQF Heft 1/2013, S. 157-164 strategisch gewählt. Nicht nur fordert er um den Status angelegt. Bei Bredekamp die „Selbstreflexion“ (S. 17) einer Bildwis- werde Kunstgeschichte zu einer „gesell- senschaft, sondern sieht auch die Notwen- schaftspädagogischen Disziplin“ (S. 23), die digkeit „einer Divergenz bildwissenschaft- als Geschichte des Bildes Bildkompetenz licher Methoden“ (S. 16). Der Titel des ers- schulen könne und solle. Letztlich ist es ten Kapitels „Arbeit an der Differenz“ zeigt Bredekamps Bildpraxis, die in den Augen die Rahmensetzung des gesamten Bandes Hornuffs vorbildhaftes bildwissenschaftli- auf. Über die sowohl ikonische als auch ches Arbeiten zeigt. Diese umfasse neben diskursive Beschäftigung mit unterschied- der Themenaneignung vor allem inter- lichsten Schriften, von den großen Mono- pretatorische Detailgenauigkeit verknüpft graphien bis hin zur Nennung kurzer Auf- mit einer visuellen Kontextforschung. Ge- sätze, verfolgt er seinen Vergleich der vier rade die Berücksichtigung des Zusammen- Autoren. Darin markiert er nicht nur Stär- hangs, in dem das Bild erscheint, trete ken und Schwächen, sondern ergänzt de- dann beim Bildhermeneuten Gottfried ren Darstellung durch die Einflechtung Boehm in den Hintergrund zugunsten ei- weiterer theoretischer Ansätze und metho- nes Sinns des Bildes aus diesem selbst discher Zugänge (beispielsweise um die heraus. Die ikonische Differenz fasse das Arbeiten von Wiesing, Didi-Huberman und „Verhältnis zwischen Bildmaterie und dem Geimer) sowie eigener Überlegungen. Von auf ihrer Grundlage Repräsentiertem“ (S. dieser Belesenheit profitiert die Monogra- 49) als bildliche Logik des Kontrastes; die- phie. So zeigt Hornuffs Arbeit am Bild ‒ se sei nur starken Bildern inhärent. Die Voraussetzung jeglichen bildwissenschaft- inzwischen sehr bekannte Formel Boehms lichen Vorgehens ‒ die Bemühung, der viel- wird von Hornuff in einigen Facetten wei- fältigen Komplexität des Phänomens Bild tergedacht. In Bezug zu Boehms Anleihen gerecht zu werden. Er skizziert vor allem bei dessen Lehrer Hans-Georg Gadamer Gegensätze im Vorgehen der vier Bildwis- müsse sich diese auch praktisch in einer senschaftler, in deren Fassung des Gegen- ,interpretatorischen Differenz‘ äußern. stands und in deren Bildpraxis, was im Weiterhin sei sie der „Idealbegriff“ (S. 127) Folgenden kurz umrissen wird. bildwissenschaftlichen Arbeitens, denn die In der durch Hans Belting initiierten Bildung von Kontrasten lasse sich über die anthropologischen Bildwissenschaft liege innerbildliche Logik hinaus auch in der der Fokus nicht nur auf dem materiellen Analyse von „Wesen, Wirkung, Geschichte, Gegenstand, sondern es werde die Bindung Inhalt und Stil“ (S. 127) der Einzelbilder an den Menschen herausgestellt. So sei es anwenden. Es ist genau dieses Aufzeigen der Körper, der als Medium fungiere; be- von Kontrasten bzw. das „Vergleichsden- tont werde die „bildschaffende Kraft des ken“ (S. 31), welches den letzten der hier Menschen“ (S. 43). Durch die Trias von diskutierten Kunsthistoriker, Hans Burda, menschlichem Körper ‒ Bild ‒ Medium ver- auszeichne. Dessen Schwerpunkt liege auf knüpfe Belting innere und äußere Bilder. den Rahmungen, auch favorisiere Burda Seine zusammenhängende Darstellung der (beispielsweise in Magazinen) die Infogra- Bildkultur sei das Gegenteil eines „hyper- fik, die Fakten auf visueller Ebene in einen generalisierenden Deutungsverfahrens“ (S. Zusammenhang bringt. Die Betonung des 46). Diese Gefahr sieht Hornuff in anderen Rahmens ‒ das (materielle) Bild wird erst bildanthropologischen Überlegungen, z.B. durch seinen Rahmen zum Bild ‒ wirkt im denen von . Beltings Arbeit an bildwissenschaftlichen Diskurs möglicher- einem Bildverständnis, welches in seinen weise profan. Dennoch geht er mit Burda Begrifflichkeiten zuweilen unscharf bleibe, d’accord, Bilder über „die sie ausrichtende bilde einen gewissen Gegensatz zu Horst und mit Bedeutung versehende Einbettung“ Bredekamps Werk. Diesem ginge es in sei- (S. 78) zu analysieren. Mit der Aufnahme ner historischen Reflexion der Bilder vor des heutigen Verlegers Burda in die Debatte allem um die „Verteidigung eines Fachs“ um methodologisch-methodische Zugänge (S. 42). Bereits in den Arbeiten der histori- zur bildlichen Vielfalt hebt Hornuff dessen schen Vordenker einer Kunstgeschichte als Bedeutung für die Methodik eines (strategi- Bildwissenschaft (Erwin Panofsky, Alois schen) In-Beziehung-setzen und die „Kon- Riegel, Aby Warburg) sei diese Diskussion textbeachtung“ (S. 125) hervor. Rezensionen 161

In seiner bildwissenschaftlichen Ausei- So ist die Darstellung der Thematik nandersetzung arbeitet Hornuff Bedeu- nicht nur eine empfehlenswerte Lektüre tungsebenen des Bildes, die für ihn zentral für KennerInnen der Kontroverse, sondern sind, heraus: Körperlichkeit, Ikonizität, Ge- bietet sich (bedingt) auch für EinsteigerIn- schichtlichkeit sowie Kontextualisierung. nen in bildwissenschaftliche Fragestellun- Letztlich interessieren ihn die Kontraste in gen an. Den Lesenden sollte klar sein, dass der gemeinsamen Orientierung am Bild als hier eine Streitschrift vorliegt. Der Autor eigenständiger Entität, wie sie von den vier vertritt einen klaren Standpunkt, von dem fokussierten Kunsthistorikern sowie ihm aus der Blick auf das Phänomen gelenkt selbst vertreten werden. Diese Verschieden- wird. Dies ermöglicht eine interessante heiten äußern sich in den je eingesetzten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Modi der Differenzierung dessen, was zur Bild, für eine Vertiefung wird man um das Analyse des Bilds als notwendig erachtet Lesen der Primärliteratur nicht herum wird. Damit geht nicht nur eine erkenntnis- kommen. Dementsprechend können die ge- theoretische Auseinandersetzung einher; legentlich abschweifenden Einbettungen ebenso gilt es, die Art und Weise der Kon- anderer Ansätze als spannende Anregun- textualisierungen der Bilder in den Blick zu gen gelesen werden, um aufgezeigte Lü- nehmen. Dies leistet Hornuff in seiner Ge- cken zu verfolgen oder neue zu entdecken. genüberstellung der vier Ansätze und im Letztendlich entsteht der Wunsch, nicht Rekurs auf weitere Arbeiten. Dass jedoch nur über Bilder zu lesen, sondern sich die- Belting, Boehm, Bredekamp und Burda als sen selbst zuzuwenden. Sowohl im Inter- prägende Köpfe herausgestellt werden, ver- pretieren von Bildern und ihren Verwen- weist einerseits auf eine Darstellung, die dungsweisen als auch im Nachvollziehen Kontraste zugunsten einer strategischen gelungener Deutungen liegt der Schlüssel Finesse zuweilen überspitzter darstellt, als zur Erweiterung der ikonischen Analyse- es den Konzepten entspricht, andererseits fähigkeit. Insgesamt liefert der Band eine leistet er damit einen Beitrag zu deren Ka- Fülle von Empfehlungen zu einer wertvol- nonisierung. Deutlich wird so Hornuffs len Beschäftigung mit dem Ikonischen. Standortverbundenheit, die kunstwissen- schaftlich geprägt ist. Diese erklärt mög- licherweise auch, warum er für die Beach- tung der Heterogenität bildlicher Zusam- Literatur menhänge und ihrer Analyse plädiert und im Titel von einer Bildwissenschaft im Sin- Bohnsack, R. (2011): Qualitative Bild- und gular spricht. Im Gegensatz zur proklamier- Videointerpretation. Die dokumentari- ten Notwendigkeit einer methodischen Viel- sche Methode. 2. Aufl. Opladen/Far- falt (und damit auch einhergehender Kritik mington Hills. an der Überhöhung des Einzelbilds) werden Pilarczyk, U./Mietzner, U. (2005): Das re- kontextualisierende Ansätze, die Bilder flektierte Bild. Die seriell-ikonografische entweder in ihren Arrangements untersu- Fotoanalyse in den Erziehungs-und So- chen (Ganz/Thürlemann) oder gar selbst zialwissenschaften. Bad Heilbronn. im Forschungsprozess zusammenstellen (Wyss), gewürdigt, jedoch nicht in den Vor- dergrund gerückt. Dies überrascht ange- sichts der konstatierten Analysefähigkeit Michaela Frohberg eines Sinns des Bildes, der nicht nur in die- sem selbst, sondern auch in dessen Kontex- Detka, Carsten: Dimensionen des Erlei- tualisierung liegt. Profitieren könnte die dens. Handeln und Erleiden in Krank- Darstellung hier durch Seitenblicke in die heitsprozessen. Opladen: Verlag Barba- Sozialwissenschaften, die bereits methodi- ra Budrich 2011, 363 S. ISBN 978-3- sche Instrumente für die Relationierung von 86649-432-9. 39,90€ Bildern mittels Einzelbild und Serie oder durch die komparative Analyse entwickelt In seinem Buch untersucht der Autor haben (etwa Mietzner/Pilarczyk 2005; Krankheitsprozesse und nimmt diese dabei Bohnsack 2011). als komplexe biographische Prozessgestal-