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Sendung vom 09.06.2009, 20.15 Uhr

Helmut Ruge Kabarettist im Gespräch mit Dr. Wolfgang Habermeyer

Habermeyer: Herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser Gast ist heute der Kabarettist Helmut Ruge. Ich freue mich, dass Sie heute zu uns in Studio gekommen sind. Gehen wir doch gleich mitten ins Thema: Wir leben ja momentan nicht wirklich in einfachen Zeiten – ist das gut für den Kabarettisten? Ruge: Als Bürger sind mir ruhigere Zeiten lieber, aber für einen Kabarettisten ist so eine Zeit natürlich sehr interessant. Vor allem das Gebiet der Wirtschaft ist interessant und wichtig: Da muss man sich als Kabarettist aber auch zuerst einmal gut einarbeiten. Denn heute noch die Politiker zu kritisieren, macht meiner Meinung nach keinen großen Sinn mehr: Sie haben eh nicht mehr viel zu sagen und müssen das alles jetzt ausbaden oder wieder hinbiegen, was ihnen die Wirtschaft hinterlassen hat. Also muss man sich mit der Wirtschaft beschäftigen: Das ist interessant, aber eben auch viel komplizierter als die bloße Politikerbeschimpfung. Habermeyer: Es könnte ja sein, dass Sie als Kabarettist darunter zu leiden haben: Möglicherweise müssen Kleinkunstbühnen schließen, weil das zahlende Publikum ausbleibt, wenn es mit der Wirtschaft noch weiter bergab geht. Das ist dann auch nicht so gut, oder? Ruge: Ich glaube, das Publikum bleibt nie aus. Satire als Kunstform wird nie sterben. Sie wird immer wieder andere konkrete Formen annehmen, das stimmt. Außerdem schreibe ich ja auch gerne fürs Theater, es wird für mich also immer auch andere Möglichkeiten geben. Habermeyer: Ich frage das deshalb, weil ich mir vorstellen kann, dass man als Kabarettist ja doch ein bisschen in einer Schizophrenie lebt: Als Privatmensch hätte man es gerne angenehm und ruhig, aber als Kabarettist können einem die Zeiten gar nicht aufregend genug sein. Ruge: Ich streue als Kabarettist ja schon auch immer ein bisschen Hoffnung und Poesie hinein, ich will das nicht immer nur im Negativen belassen, denn damit könnte auch ich nicht leben. Habermeyer: Sie sind also kein geborener Berufszyniker? Ruge: Nein, ich bin kein Berufszyniker und werde hoffentlich auch keiner mehr. Habermeyer: Sie leiden also nicht unter dieser Déformation professionnelle, also unter dieser Berufskrankheit der Kabarettisten? Ruge: Da hätte ich ein schönes Gedicht, das ich mal darüber geschrieben habe: "Zuerst, da ist die Wut noch echt, / man empört sich und ist ungerecht. / Dann schleicht sich die Gewöhnung ein / man will stilistisch auf der Höhe sein: / Man sieht die Welt nicht mehr, man liest sie weg. / Und was man sieht und hört, das hat nur einen Zweck: / Pointen, Pointen, Pointen. / Wir sind doch nur Schmalspurhumanisten, / im besten Fall verletzte Idealisten, / die jedem Streit gern aus dem Wege gehen. / Auf der Bühne könnt Ihr uns gegen Geld streiten sehn. / Und das Morgenland der Träume und der Liebe gerät zum Sand im Kabarettgetriebe." Habermeyer: Aha. Noch einmal, wie war das mit dem Morgenland? Ruge: "Das Morgenland der Träume und der Liebe gerät zum Sand im Kabarettgetriebe." Habermeyer: Auf die Liebe werden wir ohnehin später noch zu sprechen kommen, aber Sie sprechen in diesem Gedicht davon, dass Sie Humanist sind und im günstigsten Fall ein verletzter Idealist. Ruge: Ja. Habermeyer: Ich glaube, Sie sind beides, Humanist und Idealist. Ruge: Ja, ich bin beides. Ich habe ja auch sehr viel mit dem Hanns Dieter Hüsch zusammengearbeitet, der ebenfalls ein Humanist gewesen ist. Er war derjenige, der mich eigentlich zur Bühne gebracht hat, denn ihn habe ich schon als Schüler gesehen und mir gedacht: "So etwas möchte ich auch gerne machen!" Er war immer sehr human, menschlich, politisch, obwohl er natürlich schon auch mal reingehauen hat. Und mir selbst liegt das auch eher. Habermeyer: Das heißt, Sie waren bereits Fan von Hanns Dieter Hüsch, lange bevor Sie mit ihm zusammengearbeitet haben? Ruge: Ja, genau. Ich war schon als Schüler Fan von ihm. Er kam damals mit seinem kleinen Örgelchen nach Baden-Baden und hat dazu wunderschöne Geschichten und Gedichte vorgetragen. Da dachte ich mir: "Ja, genau, das möchte ich auch einmal werden!" Ich war dann Volontär beim Südwestfunk und der Redakteur dort sagte immer zum Hanns Dieter Hüsch: "Hanns Dieter, du kommst jeden Monat hierher, lieferst ein neues Lied ab, für das du 50 Mark bekommst. Damit kannst du deine Wohnung in Mainz bezahlen!" Ich dachte mir: "Oh, ja, das möchte ich auch so haben!" Habermeyer: Das heißt, damals konnte man mit 50 Mark noch eine Wohnung bezahlen? Ruge: Ja, wenngleich nur eine sehr bescheidene. Aber nicht nur wegen dieser 50 Mark habe ich mir gedacht, dass ich das mal so machen möchte. Habermeyer: Sie waren damals also Volontär beim Südwestfunk. War das vor dem Studium oder nach dem Studium? Ruge: Das war kurz nach dem Abitur. Also zwischen Schule und Studium. Habermeyer: Dann bleiben wir doch gleich mal bei der Biografie und gehen ein Stück weit zurück in Ihre Kindheit. Aufgewachsen sind Sie in Baden-Baden, und zwar in einer Familie, die doch ein wenig mit Kultur und Musik zu tun hatte. Ruge: Ja, mein Vater war zwar Jurist, aber eben auch Musiker. Sein Vater wiederum war Hornist bei der Frankfurter Oper gewesen. Auch die Geschwister meines Vaters waren im künstlerischen Fach. Eine Schwester von ihm war Pianistin, eine andere Schauspielerin am Deutschen Theater in Ostberlin. Sein anderer Bruder war ebenfalls Jurist, hatte aber eigentlich Dirigent werden wollen. Habermeyer: Was bedeutete das für Sie in Ihrer Kindheit? – Sie sind Jahrgang 1940, haben also den Zweiten Weltkrieg als Kind noch miterlebt. – Was hat diese musikalische Prägung für Sie als Kind bedeutet? Ruge: Ich habe von Kindheit an eine große Lust an der Musik mitbekommen. Ich habe dann auch Klavier gelernt, aber die Klavierlehrerin war sehr streng: Sie hat mir immer auf die Finger gehauen! Es ist schade, dass ich deswegen aufgehört habe und eben nicht Klavier gelernt habe. Aber ich singe gerne und mein Sohn Boris, der auch wieder Musiker und Kabarettist geworden ist, komponiert mir heute meine Lieder, die ich dann auf der Bühne vortrage. Leider kann ich kein Instrument dazu spielen. Habermeyer: Aber es wurde bei Ihnen zu Hause jedenfalls Musik gemacht. Ruge: Ja, viel, sehr viel. Mein Vater spielte Klavier, Trompete und Flöte, meine Mutter spielte ebenfalls Klavier und mein Bruder Geige. Habermeyer: Waren denn in Ihrer Jugend die Besuche bei Hüsch quasi Akte gegen die Hochkultur der Eltern? Oder sind Ihre Eltern da auch mitgegangen? Ruge: Die sind da auch mitgegangen. Wir hatten diesbezüglich eigentlich nur wenig Differenzen. Mein Vater war genau wie ich und meine Mutter ebenfalls immer schon sehr frankophil gewesen. Dass Baden-Baden so nahe an Frankreich liegt, ist halt doch sehr prägend. Mein Vater war, wie gesagt, Jurist, hatte aber nicht in den nationalsozialistischen Juristenverband eintreten wollen. Ohne diese Mitgliedschaft wurde man aber nichts als Jurist, konnte also noch nicht einmal als Rechtsanwalt arbeiten. Aus dem Grund ist er in der Zeit des Nationalsozialismus mit einer kleinen Combo durch die Hotels getingelt und aus dem Grund hatte ich auch immer großen Respekt vor meinem Vater. Habermeyer: Sie hatten also innerfamiliär nicht diese Aufarbeitungskonflikte? Sie mussten nicht nachfragen, was Ihre Eltern in der Zeit des Nationalsozialismus gemacht hatten? Ruge: Nein, das mussten wir nicht: Mein Vater hasste die Nazis schon immer. Er ist übrigens in Frankfurt mit Elias Canetti zur Schule gegangen und sie haben sich auch später nach dem Krieg noch oft getroffen. Habermeyer: Bleiben wir doch gleich mal bei Ihrer Familie: Stimmt es denn tatsächlich, dass Arnold Ruge ein Vorfahre Ihrer Familie gewesen ist? Ruge: Genau, Arnold Ruge hat schon in der Paulskirche eine Rede zur Abrüstung der Heere in Mitteleuropa gehalten. Habermeyer: Arnold Ruge hat ja zusammen mit einem gewissen Karl Marx aus Trier die "Deutsch-Französischen Jahrbücher" herausgegeben. Ruge: Richtig, genau. Habermeyer: Der Widerspruchsgeist scheint also in Ihrer Familie tief verwurzelt zu sein. Ruge: Genau, da weht der Wind her! Habermeyer: Deutsch-Französische Jahrbücher, Baden-Baden, frankophil: Warum ist Ihre Familie so frankophil? Alleine die Tatsache, dass man an einer Grenze wohnt, kann ja nicht der Grund dafür sein. Denn es gibt ja viele Menschen, die an einer Grenze wohnen und mit den Menschen jenseits der Grenze nichts zu tun haben wollen. Ruge: Baden-Baden war nach dem Krieg das Hauptquartier der französischen Armee in Deutschland. Wir als Jugendliche sind immer zum Tanzen zu den Franzosen gegangen: Wir wollten nämlich alle eine Französin als Freundin haben. Das war damals das Größte für uns, was man haben konnte. Habermeyer: Sie wollten mit den Siegern fraternisieren? Ruge: Die waren einfach hübsch und charmant und sie haben nicht so gezickt wie die deutschen Mädchen. Bei den deutschen Mädchen hieß es hinterher doch immer: "Was denkst du jetzt von mir?" Eine Französin jedoch sagte ja oder nein. Wenn Sie ja sagte, dann meinte sie auch ja, und wenn sie nein sagte, dann meinte sie auch nein. Für uns war das natürlich einfacher und schöner. Es gab einen deutsch-französischen Jugendklub und zusammen mit einem französischen jungen Mann war ich dort Jugendpräsident. Dessen Schwester habe ich dann geheiratet. Denn sie kam eines Tages auf Besuch zu ihm und er meinte zu mir, ich solle doch mal seiner Schwester die Stadt zeigen. Habermeyer: Und dann haben Sie seiner Schwester die Stadt gezeigt. Ruge: Genau, und jetzt haben wir zwei Kinder und sind schon lange zusammen. Habermeyer: Wie lange sind Sie mittlerweile verheiratet? Ruge: Wir rechnen immer, wie lange wir bereits zusammen sind: Am 1. Januar 1960 haben wir uns kennengelernt. Am 1. Januar 2010 feiern wir daher unser 50-jähriges Kennenlernen. Habermeyer: Gibt es ein Geheimnis, warum diese Beziehung so lange halten konnte? Denn irgendwie gehören Sie ja doch auch der Showbranche an und waren und sind viel unterwegs auf den Bühnen Deutschlands, was wiederum längere Trennungsphasen beinhaltet. Wie funktionierte das? Oder war das alles so normal, dass Sie sich nie Gedanken darüber machen mussten? Ruge: Natürlich, da gab es schon auch Gefährdungen, das ist völlig klar. Aber ich glaube, eine Ehe als eine Verbindung zwischen zwei Kulturen ist von vornherein sehr spannungsreich und interessant und hält daher länger. So glaube ich das zumindest. Habermeyer: Wie schauen denn solche Spannungen zwischen den Kulturen aus? Ruge: Als meine Frau ein bisschen Deutsch konnte, hat sie mich immer nur auf Deutsch beschimpft. Wenn sie nett zu mir war, dann sprach sie immer nur Französisch mit mir. Habermeyer: Und Sie? Ruge: Zuerst habe ich auch viel Französisch mit ihr gesprochen. Es ist halt charmanter, was da in dieser Sprache rüberkommt. Habermeyer: Hatten Sie denn bereits in der Schule Französisch gelernt? Ruge: Ja, ich hatte neun Jahre lang Französisch und nicht Englisch als erste Fremdsprache. Und wir hatten dort in Baden auch bereits das Zentralabitur. Habermeyer: Also keine klassisch-humanistische Schulausbildung mit Griechisch und Latein? Ruge: Das nicht, aber neben Französisch noch Spanisch und Englisch. Habermeyer: Darf ich noch einen Schritt zurückgehen? Wir hatten schon vom Humanismus und Idealismus und von Ihren Erfahrungen mit Hanns Dieter Hüsch gesprochen. In den ersten fünf Jahren Ihres Lebens herrschte ja noch Krieg: Haben Sie von diesem Krieg etwas mitbekommen? Haben Sie noch Erinnerungen daran? Oder waren Sie aufgrund einer behüteten Kindheit von Kriegserlebnissen verschont? Ruge: Oh ja, den Krieg habe ich sehr wohl miterlebt. Wir wohnten dann nämlich in einem Schwarzwalddorf, nämlich in Bad Dürrheim bei Villingen- Schwenningen. Dort sahen wir immer die Bomber über uns hinwegfliegen. Meine Großmutter zog mich dabei aber immer in irgendeinen Keller – wo ich doch als Kind immer so gerne diese Flieger sehen wollte. Schwenningen, eine Industriestadt, hat nach einem Bombenangriff fürchterlich gebrannt: Man sah von der Ferne diesen roten Schein der brennenden Stadt. Im Mai 1945 waren die Franzosen bereits drin in unserem Schwarzwalddorf – aber da kamen doch auf einmal die Deutschen noch einmal aus dem Wald heraus mit Panierwagen, mit von Pferden gezogenen Pritschenwagen, denn Benzin hatten sie keines mehr für ihre Fahrzeuge. Sie mussten sich unbedingt noch mit den Franzosen eine Schlacht liefern! An sich war der Krieg ja bereits vorbei. Habermeyer: Das war im Mai 1945! Ruge: Wir waren in einem Haus untergebracht, das gegenüber einem kleinen Lazarett stand. Vor diesem Lazarett haben sich die Deutschen mit den Franzosen noch eine Schlacht geliefert! Wir Kinder haben dabei durch die Gitterfenster des Kellers geschaut und sahen dabei zu, wie sie sich gegenseitig die Bajonette in den Leib stießen und die Pferde die ganz Zeit über furchtbar wieherten. Das ist für mich das Bild vom Krieg, das prägend geblieben ist. Deshalb habe ich mich immer sehr in der Friedensbewegung engagiert. Ich höre heute noch diese Pferde vor Schmerz wiehern und habe dieses Bild vor Augen, wie sie sich die Bajonette reinrammen. Und das zu einem Zeitpunkt, als der Krieg eigentlich schon vorbei war. Was für ein Wahnsinn! Habermeyer: Waren das Fanatiker oder waren das einfache Soldaten, die man da zum Kampf gezwungen hat? Ruge: Ich denke, das müssen Fanatiker gewesen sein. Die armen Franzosen. So etwas vergisst man nicht! Habermeyer: Das bringt Sie auch bis heute dazu, den Krieg als Mittel der Politik radikal abzulehnen. Ruge: Ja, genau. Ich habe zu diesem Thema sogar einige Theaterstücke geschrieben, eines zusammen mit einem wunderbaren französischen Theatermenschen, nämlich mit Jérôme Savary. Das Stück, das wir zusammen gemacht haben, hieß "Weihnachten an der Front". Habermeyer: Savary ist heute der Direktor der Opéra-Comique in Paris. Ruge: Als wir uns mal getroffen haben, haben wir festgestellt, dass sein Großvater genau wie meiner in Verdun gestorben ist. Wir haben uns dann vorgestellt, dass sich diese beiden möglicherweise nur wenige Meter voneinander entfernt in den Schützengräben gegenüberlagen. Wir haben dann viele Soldatenbriefe aus dieser Zeit studiert und gesammelt und haben uns dann diese Begegnung an Weihnachten 1914 ganz konkret vorgestellt. Das ist so wie in diesem Film, der vor einiger Zeit in den Kinos lief. Habermeyer: Hatte denn der Film "Weihnachten an der Front" etwas mit Ihrem Stück zu tun? Ruge: Unser Stück gab es sehr viel früher. Habermeyer: Baute denn dieser Film auf Ihrem Stück auf? Oder wurde diese Idee quasi nur geklaut? Ruge: Ich würde sagen, diese Idee war geklaut. Der Inhalt dieses Stücks ist diese Hoffnung, dass sie sich bei der ersten Weihnacht im Krieg an der Front begegnen und miteinander feiern und Karten spielen usw. Das war damals ein Stück, das in ganz Europa gespielt worden ist: in Mailand, in Paris usw. Habermeyer: Premiere hatte das Stück 1981 in Hamburg. Ruge: Genau, in Hamburg. Ich habe dieses Stück dort zusammen mit dem Jérôme Savary erarbeitet. Ich habe damals sofort alles andere bleiben lassen, auch das Fernsehen, weil Savary für mich der größte Theatermensch war, den ich kannte. Ich hatte immer schon davon geträumt, mit ihm zusammen mal etwas zu machen. Und eines Tages sagte er doch tatsächlich zu mir: "Wollen wir ein Stück zusammen schreiben?" Habermeyer: Wie haben Sie Savary kennengelernt? Denn Jérôme Savary begegnet man ja nicht auf der Straße, wo er einen dann fragt, ob man mit ihm zusammen ein Stück machen möchte. Ruge: Ich habe mit meinem Kabarettprogramm auch hin und wieder in Bochum gastiert, im dortigen Schauspielhaus. Damals gab es dort den Dramaturgen Greiffenhagen, der zu mir sagte: "Schreib doch mal ein paar Szenen für uns, wir machen nämlich gerade am Schillertheater in das Stück 'Jeder stirbt für sich alleine' von Fallada. Der Zadek macht die Schauspielregie und Savary die Showregie." Ich habe also ein paar Szenen dafür geschrieben und so habe ich Savary kennengelernt. In Berlin und Paris haben wir uns dann darüber unterhalten, was unsere Großväter im Ersten Weltkrieg gemacht haben. Habermeyer: Zadek und Savary haben also in Bochum zusammengearbeitet. Ruge: Ja, auch dort. Habermeyer: Und das ging gut? Ruge: Ja, das ging gut. Am Schillertheater in Berlin haben sie zusammen dieses Stück gemacht und dabei haben wir uns kennengelernt. Habermeyer: Und dabei sind Sie auf die Idee gekommen, zusammen ein Stück zu erarbeiten. Ruge: Ja, er sagte: "Komm, lass uns doch gerade darüber ein Stück zusammen schreiben!" Und das haben wir dann in Hamburg auf die Bühne gestellt: Er arbeitete dabei mit seinem Ensemble "Le Grand Magic Circus" und ich betreute dabei die Schauspieltruppe des Hamburger Schauspielhauses. Wir haben in der Erarbeitung die Geschichte grob skizziert und dann gleich mit den Schauspielern gearbeitet und mit ihnen improvisiert. Anschließend ging es dann wieder zurück an den Schreibtisch zum Schreiben. Das war ein Arbeitsprozess von ungefähr einem Jahr. Ich bevorzuge genau so einen Prozess, wenn ich Theater mache. Ich mag es nicht so gerne, wenn von Anfang an alles fertig ist, wenn also von irgendwoher ein Buch von einem Verlag kommt und dann der Dramaturg sagt: "So machen wir das!" Gut, man braucht schon immer eine Grundstruktur, aber im Erarbeitungsprozess ist es doch schön, wenn man auch die Schauspieler berücksichtigen kann. Denn über die Schauspieler kommen ja auch manchmal wichtige Anregungen mit herein, wenn man sich sagt: "So, wie der ist, wie der spielt, da gehört noch eine Szene rein!" Und genau so haben wir das gemacht. Habermeyer: Worum geht es denn genau in diesem Stück? Es spielt Weihnachten an der Front. In welchem Jahr? Ruge: Es spielt während des Ersten Weltkriegs und es geht darum, wie die Leute aus ihrem normalen Leben gerissen und an die Front geschickt werden. Darum gibt es wie in diesem Film auch Rückblenden. Es gibt einen französischen Bauern, es gibt einen deutschen Bauern aus dem Bayerischen Wald: Deren Leben wird auf der Bühne gezeigt. Und bei jedem kommt eben eines Tages der Postbote und überbringt die Nachricht: "Morgen früh um 8.30 Uhr geht's ab an die Front!" Wir zeigen darin also auf, welche Schicksale diese Soldaten erleiden, diese jeweils drei deutschen und französischen Soldaten. Wie gesagt, das wird in Rückblenden erzählt, während sie bereits an der Front sind. Sie kommen von der Front aber auch zwischendrin mal nach Hause, um anschließend doch wieder jedes Mal im Schützengraben zu landen. Das Wichtigste in diesem Stück ist aber eben diese Begegnung an Weihnachten, dieses gemeinsame Feiern. Am nächsten Tag müssen sie sich aber voneinander verabschieden: "Es war schön, mon cher. Nach dem Krieg werden wir uns wiedertreffen und dann feiern wir wieder schön zusammen! Jetzt aber müssen wir rüber, sonst werden wir erschossen." Habermeyer: Sie versuchen also die Sinnlosigkeit des Krieges aufzuzeigen, denn eigentlich haben diese jungen Männer ja überhaupt kein Problem miteinander. Ruge: Ja, überhaupt nicht. Sie hätten wirklich zusammenbleiben und sagen können: "Lasst uns gemeinsam Fußball spielen und zusammen kochen und gut ist es! Kein Schießen mehr!" Aber sie mussten stattdessen aufeinander schießen. Und all die, die da an Weihnachten fraternisiert hatten, wurden ja auch bestraft, und zwar von beiden Heeresleitungen. Denn da waren sich beide Kriegsparteien einig: So etwas geht nicht! Habermeyer: Wird dieses Stück noch gespielt? Ruge: Vor zwei Jahren ist es zum letzten Mal in Wuppertal gespielt worden. Es wird also hin und wieder einmal neu aufgeführt. Habermeyer: Und trägt den Titel "Weihnachten an der Front". Ruge: Ja, "Weihnachten an der Front" bzw. "Noël au front". Habermeyer: Wurde es auch in Frankreich gespielt? Ruge: Ja, es wurde in Avignon gespielt, in Straßburg, in Lyon usw. Es gab auch eine Bearbeitung des österreichisch-italienischen Kriegs. Da gab es dieselbe Struktur und in Italien hieß das Stück dann eben "Natale al fronte". Ich habe das damals für das Wiener Volkstheater so umgeschrieben. Am Wiener Volkstheater ist dieses Stück auch oft gelaufen, allerdings ging es dabei eben um österreichische und italienische Soldaten. Habermeyer: Bevor wir nun zu Ihrer unmittelbar aktuellen kabarettistischen Arbeit kommen, würde ich gerne darauf zu sprechen kommen, wie Sie eigentlich Kabarettist geworden ist. Sie waren in Baden-Baden, lernten eine Französin kennen und lieben, machten Abitur und gingen dann zum Südwestfunk. Aus welchen Gründen haben Sie denn beim Südwestfunk volontiert? Ruge: Mein Vater war nach dem Krieg beim Südwestfunk, er leitete dort die Honorar- und Lizenzabteilung. Habermeyer: Als Jurist? Ruge: Ja, als Jurist. Der Südwestfunk war ja ursprünglich eine französische Gründung. Und die Franzosen haben ihn geholt, weil er eben nicht belastet war. In dieser Funktion hat er dann immer zu mir gesagt: "Die Künstler verdienen zu viel!" Ich habe mich halt immer schon für dieses Metier interessiert. Ursprünglich wollte ich eigentlich Drehbuchautor werden. Man konnte sich damals genau wie heute als Volontär bewerben und so kam ich dazu. Ich war dann Regieassistent bei verschiedenen Dokumentationsfilmen usw. In der Zeit meines Studiums habe ich dann tatsächlich zwei Jahre als Volontär und Regieassistent beim Südwestfunk zugebracht. Das Fernsehen hat mich immer schon sehr fasziniert: wegen des Ausdrucks des menschlichen Gesichts. Es ist nämlich nirgends ein Gesicht so interessant wie im Fernsehen, wenn die Kamera ganz nahe rangeht. Nachdem ich viel gemacht hatte, war es so, dass ich an dieses Medium auch wirklich heran wollte: um einige Dinge auch mal ein bisschen breiter erzählen zu können. Und so kam es dann auch, dass ich bei den "Notizen aus der Provinz" immer mitgeschrieben habe. Habermeyer: Wenn man als Volontär beim Südwestfunk arbeitet, will man beim Fernsehen etwas machen, das ist klar. Aber wie war das mit dem Kabarettisten? Ein Kabarettist muss ja auch lustig sein: War das immer schon angelegt in Ihnen? Wollten Sie zum damaligen Zeitpunkt bereits Kabarettist werden? Oder war das noch sehr weit weg? Ruge: Einen schönen Blödsinn habe ich immer schon gerne gemacht: Den Hang zum Blödsinn hatte ich immer schon. Schon in der Schule war ich der Pausenclown. Wir sind damals ja während des Kriegs von Stuttgart aus zwangsweise in dieses Schwarzwalddorf geschickt worden. Die Schwarzwaldbuben dort haben mich, den Fremden, natürlich immer verprügelt. Ich habe aber recht bald gemerkt: Wenn ich komisch bin und Quatsch mache, dann habe ich eine Chance. So gab es dann auch bald welche, die mich wiederum bewundert haben, sodass ich denen dann sagen konnte, wem Sie eins auf die Glocke hauen sollten – ich musste mich also schon nicht mehr selbst prügeln. So kam ich darauf, dass die Komik geradezu einen nahrhaften Zweck haben kann. Habermeyer: Das ist ein wahrhaft archaischer Grund für einen Witz. Ruge: Ja, so war es. Habermeyer: Sie haben dann nach dem Volontariat in Berlin studiert, und zwar Soziologie. Warum Soziologie? Ruge: Ich fand das einfach interessant, mich haben diese gesellschaftlichen Strukturen interessiert. Auch Psychologie hat mich immer schon interessiert. Ich sagte mir: "Was geschieht mit den Menschen? Darüber möchte ich mehr erfahren." Die Philosophie war mir dafür aber zu vage. Aber gut, ich hätte letztlich auch Philosophie studieren können. Es ging jedenfalls in diese Richtung, ich wollte etwas von den Menschen erfahren, wie sie miteinander leben, in welchen Strukturen sie auf gesellschaftlicher Ebene leben usw. Als Thema fand ich die Soziologie jedenfalls sehr interessant. Habermeyer: Diplomsoziologe wurden Sie dann 1966. Ruge: Genau. Habermeyer: Haben Sie denn damals auch mit Leuten studiert, die genau wie Sie später bekannt geworden sind? Denn auch schon vor 1968 ging es an der FU in Berlin recht turbulent zu. Ruge: Ja, ja. Ich habe z. B. mit Fritz Teufel studiert. Er war auch dabei, als wir damals unser Studentenkabarett gegründet haben. Er wollte damals ein schwäbischer Humorist wie Willy Reichert werden! Auch mit Dutschke saß ich im Seminar, ebenso mit Bernd Rabehl usw. All diese Leute habe ich dort an der Universität kennengelernt, in dieser Atmosphäre des "Muffs von 1000 Jahren unter den Talaren". Wir haben damals, also lange vor 1968, bereits die ersten Sit-ins gemacht: Das fing schon 1963/64 und teilweise bereits 1962 an. Wir hatten aber auch ein paar Professoren auf unserer Seite. Ein Professor, der mir aus der damaligen Zeit diesbezüglich in Erinnerung geblieben ist, war der Professor Wilhelm Weischedel, ein schwäbischer Philosoph: Der ist immer schon für seine Studenten eingetreten. Und der Theologe Helmut Gollwitzer war natürlich auch auf unserer Seite. Habermeyer: Der spätere Freund von Rudi Dutschke. Ruge: Diese Leute haben auch tolle Vorlesungen gehalten. Gollwitzer und Weischedel hielten z. B. mal eine Vorlesung zum Thema "Denken und Glauben". Da waren im Audimax so viele Leute, dass ein Großteil auf den Gängen stehen musste. Das war eine großartige geistige Auseinandersetzung zwischen den beiden. Habermeyer: Sie sind also 1966 Diplomsoziologe geworden und gingen weg von Berlin. Ruge: Ich brauchte einen Job, denn ich hatte bereits ein Kind und eine Frau. Also wollte und musste ich ein bisschen was verdienen. Es gab dann für mich die Gelegenheit, nach München zur Firma "Insel Film" zu gehen: Für dieses Unternehmen habe ich zunächst einmal Werbespots und an Programmheften geschrieben. Ein Jahr lang habe ich dort gearbeitet: Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass mir diese Sache mit den Vorgesetzten nicht so sehr liegt. Mein Wunsch war daher, dass ich in meinem Leben ohne Vorgesetzte auskomme. Also bin ich wieder auf die Bühne gegangen. Und bisher hat das auch geklappt. Habermeyer: Sie hatten nämlich noch in Berlin ein Studentenkabarett gegründet. Ruge: Ja, das waren die "Hammersänger" gewesen. Habermeyer: Diese "Hammersänger" haben Sie dann in München wiederbelebt. Ruge: Genau, und zwar zweit. Früher waren das mal mehr gewesen: Wir waren zu viert und als Quartett immer schon recht fleißig von der FU aus in die Bundesrepublik auf Gastspielreise gegangen. Dabei sind wir an der DDR- Grenze natürlich immer kontrolliert worden. Wir hatten damals ein Programm mit dem Titel "Dies irae. Der Tag des offenen Sarges", das von der Demokratie handelte. Dazu hatten wir selbstverständlich immer einen Sarg mit dabei. Die DDR-Grenzer haben natürlich immer in ihrem sattsam bekannten Dialekt gesagt: "Machen Sie mal den Sarch auf! Was ham'se denn da drin?" Die dachten natürlich, wir würden in diesem Sarg einen Republikflüchtling transportieren. Habermeyer: Dabei wollten Sie ja nur die Freiheit exportieren. Ruge: Genau. Einmal lag da aus Versehen ein Text von Volker Ludwig drin, der damals beim "Reichskabarett Berlin" war. In dieser Satire ging es darum, dass man auch Ostberlin mit Napalm verseuchen müsste. Wie gesagt, das war eine Satire. Der Grenzer ließ uns wie immer den Sarg aufmachen und entdeckte prompt diesen Text. "Was wollen Sie? Die Hauptstadt der DDR mit Napalm verseuchen?" Ich habe ihm geantwortet: "Entschuldigen Sie bitte. Das ist nicht von mir, das ist nur aus Versehen dort hineingeraten. Außerdem ist das Satire." Ich musste natürlich trotzdem mitkommen zu einem höheren Offizier: "Was wollen Sie? Die Hauptstadt der DDR mit … Das wird Sie teuer zu stehen kommen!" Zum Schluss stand ein leibhaftiger DDR-General vor mir. Er las etwas länger als die anderen in diesem Text und meinte dann: "Das ist gar nicht schlecht! Fahren Sie weiter!" So viel zur Satire in Deutschland damals. Habermeyer: Sie reaktivierten dann in München also die "Hammersänger". Konnten Sie denn davon sofort Frau und Kind ernähren? Wie ging das? Ruge: Das war das Erstaunliche! Ich war ein Jahr lang bei der "Insel Film", bis ich endgültig gemerkt habe, dass das nicht geht. Also bin ich ganz frech zum Samy Drechsel gegangen und habe ihn gefragt, ob man bei ihm mal spielen könnte. Er antwortete mir: "Ja, eine Woche, Anfang Januar." Ich habe sofort meinen Job gekündigt, aber mehr als eine Woche Engagement bei der "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" hatte ich nicht, weswegen viele meiner Mitmenschen meinten, ich hätte einen Vogel. Aber mir haben dann der Samy Drechsel und der Dieter Hildebrand so sehr geholfen, dass es eben doch ging. Sie meinten z. B., sie hätten da eine Sendung im Fernsehen, bei der ich auch mal was mitschreiben könnte. Die Kritiken in der "Süddeutschen Zeitung" auf unser Programm in der "Lach und Schieß" waren gut und so fing das an. Wir haben dann auch gleich eine Tournee für das Goethe-Institut nach Skandinavien bekommen. Von da an konnte ich wirklich davon leben. Habermeyer: Wie lange war der Vorlauf zwischen Ihrer Kündigung und diesem Januar in der "Lach und Schieß"? Ruge: Zwei Wochen. Habermeyer: Zwei Wochen? Sie haben in zwei Wochen ein Programm geschrieben? Ruge: Das hatte ich schon während der Zeit bei der "Insel Film" gemacht, weil ich mir ja die ganze Zeit schon dachte, dass ich da nicht ewig bleiben werde. Ich schrieb deswegen mein Programm im Büro, weil mich der Chef dort mies behandelt hatte. Also dachte ich mir: "Gut, dann bekommst du täglich nur noch zwei Stunden von meiner Arbeitsleistung, die restlichen sechs Stunden am Tag schreibe ich für mich selbst! Du kannst ja eh nicht nachprüfen, was ich da schreibe." Habermeyer: Mit wem sind Sie damals aufgetreten als "Hammersänger"? Ruge: Das war der Ulf Borchardt. Ich kannte ihn noch von Berlin her, wo er bei den "Wühlmäusen" gewesen war. Ich traf ihn hier in München wieder und meinte gleich zu ihm: "Komm, lass uns zusammen was machen!" Später war dann der Jörg Hube mein Partner bei den "Hammersängern": Mit ihm habe ich zwei, drei Jahre zusammengespielt. Habermeyer: Welche Art von Kabarett haben Sie damals gemacht? Ich wollte ja eigentlich unser Gespräch mit Ihrem Leitmotiv anfangen, aber dann dachte ich mir, dass das vielleicht doch nicht so gut wirken würde. Ich weiß auch gar nicht, ob dieses Leitmotiv heute noch gilt für Sie, aber bis vor ein paar Jahren lautete Ihr Leitmotiv jedenfalls: "So poetisch wie möglich und so brutal wie nötig." Ruge: Das ist richtig, das gilt noch. Habermeyer: War das damals auch schon so? Was war das für ein Kabarett? Ruge: Wir haben damals fast mehr Theaterkabarett gemacht. Ein Programm damals hieß: "Vorsicht, die Mandoline ist geladen". Das war eigentlich eher schon ein satirisches Stück, für das wir auch gleich für den Grimme-Preis nominiert wurden. Es ging darin um einen Frikassee-Unternehmer, der in aller Öffentlichkeit stirbt und der vor seinem Tod den Leuten noch erklärt, wie er sie alle beschissen hat. Es kommen dann aber alle an und meinen zu ihm: "Nein, das stimmt nicht!" Sie bestätigen ihn also mit seinen früheren Sätzen. Und so geht das durch, bis er tatsächlich stirbt usw. Das war also ein durchgehendes Stück. Habermeyer: War es bei den "Hammersängern" immer so, dass es kein Nummernkabarett, sondern ein durchgehendes Stück war? Ruge: Am Anfang war das so. Ein anderes Stück, das wir gemacht haben, hieß "Maria hilf!", das auf einer Begegnung in Bern beruhte. Wir gastierten dort und gingen spazieren und trafen dabei an einer Treppe zwei Damen mit gestärkten Blusen, die Armensuppen ausgaben. Es kam aber keiner, der diese Armensuppe haben wollte. Die Schweizer waren damals noch oder schon so reich, dass diese Suppe keiner benötigte. Diese beiden Damen waren jedoch ganz gierig darauf, ihre Armensuppe loszuwerden. Wir fanden aber heraus, dass diesen beiden Damen letztlich die halbe Stadt gehörte. Wir haben dieses Erlebnis dann zur Grundlage unseres Stücks "Maria hilf oder Krümel für die Welt" gemacht. Denn diese beiden Damen haben dort in Bern die Leute quasi zwangsernährt. Selbst wenn nur der Gasmann zufällig vorbeikam, musste er Suppe löffeln. Auch das war ein durchgehendes Stück. In unserem Stück war es dann so, dass die Damen damit drohten, die Mieten zu erhöhen, wenn niemand käme, um ihre Suppe zu löffeln. Wenn sie dann auch noch die Kredite verteuern, dann werden schon wieder Leute zu ihnen kommen und um eine Armensuppe bitten. Habermeyer: Sie konnten damals bereits von Ihrer Arbeit als Kabarettist leben, dies u. a. auch deshalb, weil Sie über die "Lach und Schieß" den kennengelernt hatten und deswegen auch relativ bald damit anfingen, für "Notizen aus der Provinz" zu schreiben. Sind Sie dort auch aufgetreten oder haben Sie "nur" geschrieben? Ruge: Ich habe meistens nur geschrieben, aber ich bin schon auch aufgetreten dort. Habermeyer: Haben Sie Texte für den Dieter Hildebrandt geschrieben oder für seine Mitstreiter? Ruge: Das waren damals ja meistens Filmbeiträge, d. h. da wurden einzelne satirische Filmbeiträge gezeigt. Wir waren dort ein festes Team: Neben Dieter Hildebrandt war u. a. auch Klaus Peter Schreiner mit dabei. Wir haben uns getroffen und ausgemacht, wer was schreibt: "Wen wollen wir geißeln? Wen greifen wir an?" Wir trafen uns drei Mal vor jeder Sendung und so hatte jeder seine Aufgabe. Ich fand das ganz schön, denn dabei ergab sich immer ein ganz toller Austausch. Ich habe damals bei jeder Sendung mitgeschrieben. Habermeyer: Für welchen Sender war das damals? Ruge: Die "Notizen aus der Provinz" liefen im ZDF. Habermeyer: Waren Sie frei in Ihrer Arbeit? Ruge: Ja, schon. Einmal war etwas mit dem Abtreibungsparagrafen 218. Da gab es Schwierigkeiten und das wollten sie dann abschalten. Ja, jetzt erinnere ich mich: Diese Sendung wurde dann ausgesetzt, das stimmt. Aber sonst gab es eigentlich keine Schwierigkeiten. Habermeyer: Waren Sie auch noch mit dabei, als sich die "Notizen aus der Provinz" in den "Scheibenwischer" wandelten? Ruge: Kurz. Ich hatte damals nämlich mit der Rockgruppe "Floh de Cologne" im WDR eine monatliche Sendung mit dem Namen "Dreizack". Habermeyer: Das war zusammen mit dem Dick Städtler. Ruge: Genau, mit dem Dick Städtler. In dieser Sendung gab es auch Filmbeiträge wie früher bei den "Notizen". Die Zuschauer bei dieser Sendung waren jünger, weil eben auch Rockmusik mit dabei war. Ich fand, dass das eine gute Mischung war. Habermeyer: Irgendwo zwischendrin muss es dann passiert sein, dass Sie quasi Ihr Idol kennengelernt haben, nämlich den Hanns Dieter Hüsch. Wie kam das zustande? Sie kannten ihn ja aus Ihrer Jugend als Fan. Wie haben Sie ihn dann beruflich kennengelernt? Haben Sie sich seine Programme noch alle angesehen, als Sie selbst bereits auftraten? Oder war da eine lange Pause zwischendrin, bis Sie sich dann zum ersten Mal wirklich begegnet sind? Ruge: Begegnet sind wir uns schon sehr früh. Als ich noch Studentenkabarett machte, gab es damals die Kabaretttage von Essen. Dabei gab es immer ein paar große, bekannte Kabarettisten, die sich angeschaut haben, was der Nachwuchs so macht. Damals kamen die jungen Kabarettgruppen fast alle von den Unis und der Hanns Dieter Hüsch hat sich dabei mit Rat und Tat mit ihnen auseinandergesetzt. Bei dieser Gelegenheit habe ich ihn kennengelernt und wir beide bemerkten sofort, dass wir irgendwie einen Draht zueinander haben. Als wir mit unserem Studentenkabarett mal in Basel im "Fauteuil" gastierten, spielten wir dort im kleinen Haus. Hüsch spielte dort gleichzeitig im großen Haus. Es gab da so eine Klappe zwischen den beiden Bühnen, durch die wir uns in den Pausen unterhalten haben. Anschließend sind wir dann immer ganz furchtbar schön trinken gegangen in Basel. So hat sich unser Verhältnis dann verfestigt. Und einige Jahre später sagte dann beim WDR-Hörfunk ein Redakteur zu mir: "Schreib doch mal mit dem Hüsch zusammen eine Sendung! Er schreibt einen Teil und du schreibst einen Teil und das nehmen wir dann auf." Wir trafen uns dann zu unserer ersten Sendung, mussten aber beide feststellen, dass wir, weil wir so beschäftigt waren, keine einzige Zeile geschrieben hatten. Der Redakteur sagte daraufhin: "Dann müsst ihr jetzt improvisieren!" Das taten wir auch gerne, denn das fanden wir ohnehin viel besser. Über zehn Jahre hinweg haben wir das dann 250 Mal gemacht. Habermeyer: Diese Sendung hieß "Hammer und Stichel". Ruge: Genau, und der Hüsch war darin der Niederrheiner und ich der Schwabe. Wir haben jedes Mal 20 Minuten frei improvisiert, und zwar ohne Schnitt! Habermeyer: 20 Minuten improvisiert? Wie lange war da jedes Mal der Vorlauf? Wie lange haben Sie sich vorher besprochen, über was Sie überhaupt reden werden? Ruge: Eine halbe Stunde vielleicht. Habermeyer: Sie kamen also ins Studio, haben eine halbe Stunde miteinander geredet und dann 20 Minuten ohne Schnitt improvisiert. Ruge: Genau. Manchmal kamen wir beim Improvisieren auch wohin, wohin wir eigentlich gar nicht hatten kommen wollen. Das ist klar, denn bei so etwas ergibt ja immer eins das andere. Das war wie bei zwei Bergsteigern, die sich absolut aufeinander verlassen können. Da hat nicht der eine den anderen zu Tode monologisiert, sondern wir hatten einfach die richtige Chemie miteinander. Es hat einen irrsinnigen Spaß gemacht, weil es natürlich jedes Mal ein großes Abenteuer war, wo wir denn landen werden. Einmal landeten wir doch tatsächlich im Folterkeller des Passauer Bischofs und haben in unseren Rollen dort dann die verschiedenen Instrumente ausprobiert. Wir beide haben uns nämlich in unseren Rollen immer an verschiedenen Orten wiedergetroffen. Das war wirklich eine Kultsendung, die uns Machern großen Spaß gemacht hat. Anschließend haben wir dann natürlich jedes Mal noch viel geredet, über das Leben, über die Arbeit, über die Liebe usw. In diesen zehn Jahren sind wir sehr zusammengewachsen. Habermeyer: Das war ungefähr von Mitte der 70er Jahre bis zur Mitte der 80er Jahre? Ruge: Das fing Ende der 70er Jahre an und ging bis Ende der 80er Jahre. Und dann hat man diese Sendung, obwohl sie sehr beliebt war, abgesetzt. Na gut, zehn Jahre waren ja auch schön: Wenn man 250 Sendungen machen kann, ist das doch eine schöne Sache. Diese Sendung wurde dann auch immer vom Hessischen Rundfunk und vom Norddeutschen Rundfunk übernommen. Habermeyer: Schade, dass es damals so etwas wie Podcasts oder Internetradio noch nicht gegeben hat. Denn aus diesem Grund hat man damals von den Radiosendungen in den anderen Bundesländern nichts mitbekommen. In Bayern haben wir davon also nichts gehört. Heute wäre das ein Leichtes. Ruge: Ja, heute wäre das kein Problem mehr. Habermeyer: Apropos, arbeiten Sie denn selbst auch mit den modernen Medien? Sind Sie ein Internetsurfer? Sind Sie einer, der am Computer die Texte schreibt? Oder schreiben Sie noch mit der Hand? Ruge: Ich schreibe sie immer noch mit der Hand und tippe sie dann in die Schreibmaschine. Anschließend überträgt sie meine Frau in den Computer. Ich muss mich da wirklich noch ein bisschen einarbeiten. Das heißt, ich verordne mir da demnächst mal einen Intensivkursus, vielleicht noch dieses Jahr, um das Ganze ein bisschen genauer zu studieren. Habermeyer: Aber bis jetzt sind Sie selbst noch nicht am Surfen? Ruge: Nein, noch nicht. Ich weiß, ich bin da schwach auf der Brust. Ich staune ja, wie sich die Menschen da heute austauschen untereinander. Und ich glaube auch, dass Obama ohne Internet nicht gewonnen hätte. Habermeyer: Ja, es sieht so aus. Ruge: Also: Ruge, beschäftige dich mal ein bisschen damit! Habermeyer: Wann war das mit den "Hammersängern" zu Ende? Wann wurden Sie Solokabarettist? Ruge: Das muss so zu Beginn der 70er Jahre gewesen sein. Wann habe ich den Deutschen Kleinkunstpreis bekommen? Ich glaube, das war 1974. Habermeyer: Ja, 1974, Sie waren der dritte Preisträger des Deutschen Kleinkunstpreises. Ruge: Genau, nach Hüsch und Hohler. Also bin ich 1973 Solokabarettist geworden. Denn mein Freund Jörg Hube, der wunderbare Schauspieler, ging nämlich zu den Kammerspielen in München. Er war ein ganz toller Partner gewesen, ein Traum. Er spielte unglaublich gut. Habermeyer: Jörg Hube macht ja bis heute immer noch ein bisschen Kabarett. Ruge: Ja, wir haben vor einem Jahr zum 50-jährigen Jubiläum des "Unterhauses" in Mainz noch gemeinsam eine Szene aus "Weihnachten an der Front" gespielt. Das wollte er unbedingt machen, weil ihm dieses Stück so gut gefallen hat. Das war wieder einmal toll! Er ist ein riesengroßer Schauspieler, ein toller Kabarettist und auch ein toller Regisseur. Er hat die Fähigkeiten, die auch Qualtinger hatte: Er ist ein allumfassendes Talent. Habermeyer: Weil er als derart genialer Partner wegfiel, haben Sie sich dann gedacht: "Lieber alleine weitermachen, als einen schlechteren Partner nehmen." Ruge: Genau, dann lieber alleine. Habermeyer: Und auch das funktionierte. Ruge: Ja, das ging dann auch. Später habe ich mich dann aber für einige Zeit mit dem Dick Städtler zusammengetan, weil wir ja ohnehin schon viel gemeinsam gemacht hatten mit "Dreizack" usw. Wir hatten auch schon mehrere Theaterstücke zusammengemacht. Also haben wir eines Tages gesagt: "Komm, lass uns doch zusammenspielen!" Auch das war eine schöne Zeit. Das ging so lange, bis er ein Kind bekam und seine Frau meinte, er solle jetzt ein bisschen mehr zu Hause bleiben. Habermeyer: Wäre es eine Beleidigung, wenn man Sie als Philosophen des bezeichnen würde? Ruge: Nein, nein, diese Bezeichnung finde ich schön. Habermeyer: Es gibt natürlich einen Grund, warum ich das frage. Obwohl es in Ihrem Motto heißt, "so brutal wie nötig", ist die Brutalität bei Ihnen gar nicht vorhanden, denn Sie sind nur poetisch. Sie sind als Kabarettist eher jemand, der mit dem feinen Florett ficht und nicht mit dem groben Säbel. Sie machen schon sehr, sehr stark das, was man früher literarisches Kabarett nannte. Ruge: Ja, ich würde mich auch selbst eher als Literat bezeichnen, obwohl ich viel Kabarett gemacht habe und immer noch mache. Aber ich habe eben auch zehn Theaterstücke geschrieben. Ich habe auch manchmal Theater inszeniert. Das reichte sogar bis zu einem Rockmusical, das ich im zarten Alter von 50 Jahren geschrieben habe. Habermeyer: Darauf will ich gerne noch zurückkommen, aber beim Stichwort "Philosophie" fällt mir ein, dass zur Philosophie das Problem von Sein und Haben gehört. Ruge: Das stimmt. Habermeyer: Genau dazu haben Sie einen Text geschrieben, der in Ihrem Schaffen ein Klassiker geworden ist. Ruge: Der Text trägt den Titel "Sein oder Haben – Haben oder Sein" und geht so: "Damit Du was bist, / Musst Du was werden. / Damit Du was wirst, / Muss Vater was sein. // Doch dazu muss Vater / Erst mal was haben. / Denn ohne zu haben, / Gibt es kein Sein. // Hat aber Vater / Nichts als sein Sein, / Musst Du halt selber / Ein Habender sein, // Um das zu werden, / Tummle Dich rum, / Schlage die andern, / Oder bringe Dich um. // Haperts am Haben, / Kannst Du nix werden. / Bist nix geworden, / Bist Du nicht wer. // Bist Du nicht wer, / Bist du ein Niemand. / Mit Niemand / Läßt niemand sich bei uns gern ein. // Bist Du ein Niemand, / Hast Du auch Niemand, / Niemanden haben / Jetzt immer mehr. // Immer mehr haben / heißt: Immer mehr / haben von ihrem Leben / weniger was. // Nur wenige haben von ihrem Haben / immer noch mehr. / Und mehr / haben Nichts. // Und könn´ nicht mehr werden, / Weil sie nichts haben. / Also haben vom Haben / sie nichts. // Niemand zu werden, / Jemand zu sein, / Könnte das Sein / vom Haben befrein. // Wir können nichts mehr werden. / Wir können nur noch sein. //Es gibt niemand, der nichts ist, / und Niemand allein." Habermeyer: Bravo! Ich kann mir vorstellen bzw. ich weiß es aus eigener Erfahrung, dass man sich nicht unbedingt auf die Schenkel klatscht, wenn man zu Ihnen ins Kabarett kommt. Da geht es nicht um die kurze Pointe, zu der man lacht und klatscht, wenn man sie kapiert hat. Es kann sogar sein, dass nach einem Vortrag wie dem soeben Gehörten das Publikum zuerst einmal stutzt und ruhig ist. Denn darüber muss man zuerst einmal nachdenken. Ruge: Ja, das ist so. Habermeyer: Hat sich denn das Publikum verändert in all den Jahren? Es gibt ja diese wunderbare Definition von Kabarett: "Kabarett ist das Spiel mit dem Wissen des Publikums." Müssen Sie heute mehr Rücksicht nehmen, weil sich das Publikum in seinem Wissen verändert hat? Ruge: Den Unterschied zu früher macht etwas anderes aus. Früher war im Kabarett die Aufklärung sehr wichtig. Früher wussten die Leute vieles nicht. Heute wissen sie alles, sie wissen nur nicht, was sie damit anfangen sollen. Und deswegen ist das philosophische Interpretieren vielleicht wichtiger geworden als die reine Aufklärung. Denn Informationen haben sie alle, und zwar in Hülle und Fülle und fast schon zu viel. Aber die Leute wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Das ist der große Unterschied zu früher. Habermeyer: Trotzdem muss das alles ja, damit die Leute in einem Programm sozusagen bei der Stange bleiben, in Zucker, in farbiges Papier verpackt werden, sprich es muss irgendwie auch ein Witz mit dabei sein: Es muss lustig, es muss humorvoll sein. Was ist denn die Art Humor, über die Sie selbst am meisten lachen können? Was amüsiert Sie? Ruge: Mich amüsiert z. B. der Schwejk, wenn er sich dumm stellt. Habermeyer: Schwejk, dieser "staatlich anerkannte Depp". Ruge: Ja, der so tut, als sei er ganz blöd, der aber alles ganz genau durchblickt. Darüber kann ich sehr lachen. Natürlich kann ich auch über Charlie Chaplin lachen und über Dario Fo und z. B. sein Stück "Der zufällige Tod eines Anarchisten". Auch Dario Fo lässt in seinen Stücken die Oberen, also diejenigen, die die Macht haben, sozusagen auf der Bananenschale ausrutschen: Er führt sie dabei unglaublich hinterfotzig vor. Darüber kann ich wahnsinnig lachen. Ich habe es nämlich gerne, wenn dabei die Schwächeren auch gewinnen. Ich mag es überhaupt nicht, wenn auf Schwächeren herumgehackt wird; die Großen müssen schon ab und zu mal eine verpasst bekommen. Nehmen wir ein Beispiel, nehmen wir diese Geschichte von Polt und dem Schäferhund. Polt redet auf einen imaginierten Zuhörer ein und erklärt ihm mit Blick auf den Hund, dieser Hund sei gar nicht gefährlich, sei überhaupt nicht gefährlich. Nur wenn er "fass!" sagt, dann würde der Hund ganz bestimmt zubeißen. Bei mir würde die Pointe so aussehen, dass am Schluss der Hund ihn beißt. Habermeyer: Ja, das wäre ein Unterschied. Ruge: Ja, das wäre das Befreiende. Habermeyer: Sie haben wenig parodiert in Ihren Programmen, aber es gab einen Politiker der bayerischen jüngsten Geschichte, den Sie sehr wohl parodiert haben, und zwar oft und oft. Für diese Parodie waren Sie auch bekannt. Da wir hoffentlich auch ein paar jüngere Zuschauer haben, müssen wir kurz erklären, um wen es sich dabei handelte. Dieser Mann war bayerischer Ministerpräsident. Ruge: Genau. Habermeyer: Ich kann jetzt unser Publikum vor dem Fernseher nur bitten, kurz die Augen zuzumachen und nur zu hören. Sie werden dann trotzdem wissen, wer gemeint ist. Haben Sie denn diesen Politiker noch drauf? Ruge: (zieht den Kopf zwischen die Schultern und spricht im typischen Tonfall von Franz Josef Strauß) "Meine sehr verehrten Damen und Herren, was sich hier abspielt, gell, das ist eine grenzenlose … Haben Sie überhaupt Abitur?" Habermeyer: Das war der Ministerpräsident Franz Josef Strauß. War das auch in Bayern nur lustig oder haben Sie deswegen auch ab und zu Ärger bekommen? Ruge: Nein, die Bayern können eigentlich gut über sich selbst lachen – selbst dann, wenn sie diesen Mann gewählt haben. In Bayern hatte ich jedenfalls nie Schwierigkeiten, dass die Leute nicht über sich oder ihren Ministerpräsidenten lachen könnten. Das klappt in Bayern wunderbar. Darum lebe ich auch so gerne in Bayern: weil die Menschen hier über sich selbst lachen können. Habermeyer: Sie sind irgendwann vor vielen, vielen Jahren wegen dieses Jobs nach München gekommen. Sie sind dann aber auch hier geblieben. Warum? Ruge: Ich bin z. B. ein großer Fan der bayerischen Sprache. Bayerisch ist für mich, wie ich immer sage, gesprochener Blues im Fön. Habermeyer: Aha, und das sagt ein Schwabe! Obwohl, ich muss mich korrigieren, Sie sind ja in Baden-Baden aufgewachsen und damit kein Schwabe, sondern Badener. Ruge: Ja, ich bin Badener! Habermeyer: Und damit eigentlich gar kein Schwabe. Ruge: Stimmt. Habermeyer: Und Badener und Schwaben verstehen sich eigentlich nicht wirklich. Ruge: Ja, die haben große Schwierigkeiten miteinander. Da gibt es etliche Animositäten. Ich habe auch mal ein Stück über die badische Revolution geschrieben, weil ich einfach stolz darauf bin, dass ich Badener bin. Und wie war das damals? Die Schwaben haben zusammen mit den Preußen die badische Revolution kaputt gemacht. Habermeyer: Georg Schramm, der Kabarettkollege von Ihnen, sieht das ja in seinem Programm ganz anders, denn er wirft den Badenern Provinzialität vor. Aber das wollen wir hier nicht vertiefen. Was machen Sie denn aktuell an Programm? Sie gehen noch auf die Bühne? Ruge: Ja, selbstverständlich. Zurzeit spiele ich das Programm "Der Welt- Optimierer". Heute muss doch alles optimiert werden: Heute werden die Dinge nicht verbessert, sondern optimiert. Das Programm spielt hauptsächlich in der Zukunft, denn ich habe da eine sehr interessante Brille auf, mit der ich in die Zukunft schauen kann: Eigentlich geht es in diesem Programm also um Zukunftsvisionen. Ein anderes aktuelles Programm von mir heißt "Top oder Hopp", in dem es um einen Manager geht. Dieser Mann war früher in seiner Jugend mal links, aber wie das eben häufig so läuft, wenn man Karriere macht: Man verändert sich. Als Zukunftsprojekt arbeite ich momentan an einer ganz anderen Geschichte: Mich interessiert, wie die Lola Montez mit der Franziska von Reventlow zusammentrifft – und zwar dort oben im Himmel. Habermeyer: Denn im realen Leben haben sie sich ja doch um ein paar Jahre verpasst. Ruge: Ja, die Lola Montez starb gerade, als die andere geboren wurde. Mich würde interessieren, wie diese beiden sich über die Männer, über ihre Männer unterhalten. Habermeyer: Lola Montez war ja u. a. der Grund für den Rücktritt von Ludwig I. Und die Gräfin Reventlow war die berühmte … Ruge: ... Bohémienne. Habermeyer: Die Erfinderin der Bezeichnung "Wahnmoching" für den Münchner Stadtteil Schwabing. Über diese beiden Frauen würden Sie also gerne etwas schreiben. Ruge: Ja, deswegen habe ich mit meinem Theaterverlag, dem Bloch/Erben Verlag in Berlin, bereits Kontakt aufgenommen: Ich möchte darüber ein Musical machen. Ich würde diese beiden Frauen also gerne portraitieren und sie dann dort oben im Himmel zusammentreffen lassen. Habermeyer: Herr Ruge, wir freuen uns darauf, noch viele Jahre von Ihnen zu hören. Sie werden es nicht glauben – oder sie wissen es sogar, denn sie sind ja viel routinierter als ich --, aber unsere Sendezeit ist zu Ende. Ruge: Schon? Habermeyer: Ja, die Dreiviertelstunde ist rum. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für dieses angenehme Gespräch. Ruge: Ich danke auch. Habermeyer: Und ich bedanke mich bei Ihnen, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, für Ihre Aufmerksamkeit. Gast im Studio war heute der Kabarettist Helmut Ruge. Bleiben Sie uns gewogen bis zum nächsten alpha-Forum, auf Wiedersehen.

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