W. Lotz u.a. : Die Deutsche 1933-1945

Lotz, Wolfgang; Ueberschär, Gerd R.: Die einer entscheidenden, angesichts der Mate- Deutsche Reichspost 1933-1945. Eine politische rialfülle zwar verständlichen, aber dennoch Verwaltungsgeschichte. : Nicolaische Ver- zu bedauernden Einschränkung des Unter- lagsbuchhandlung 1999. ISBN: 3-87584-915-9; suchungsfocus, der im Untertitel mitgeteilt 2 Bde. 319 S. + 380 S. wird: Behandelt wird lediglich die „politi- sche Verwaltungsgeschichte“ der Deutschen Rezensiert von: Jan-Otmar Hesse, Histori- Reichspost im fraglichen Zeitraum, nicht aber sches Seminar, Johann Wolfgang Goethe- Fragen aus dem Bereich der mir in diesem Universität Frankfurt am Main Zusammenhang äußerst interessant erschei- nenden Unternehmensgeschichte. Auch die Die Postgeschichte ist ein ebenso weites wie allgemeine Wirtschafts- und Sozialgeschich- undankbares Feld. Muß einerseits zur Er- te kommt sehr kurz, wenn beispielsweise die schließung von Unternehmen wie der Deut- Netzdichte von Telefon, Post, Telegraphie und schen Reichspost ein umfassendes Spezial- Funk nur in Form von statistischen Anhän- wissen mitgebracht werden (von der techni- gen präsentiert, aber eben nicht historisch er- schen Betriebsweise einer halbautomatischen klärt werden, wenn die Frage der industriel- Telefonvermittlung bis zu den scheinbar un- len Forschung bei der Reichspost oder die so- bedeutendsten Verwaltungsverfügungen), so ziale Rekrutierung und Ausbildung des Per- sind andererseits die Möglichkeiten, mit der sonals nicht thematisiert werden, ebenso wie Postgeschichte strahlende wissenschaftliche die ordnungspolitischen Diskussionen über Anerkennung zu erreichen, sehr begrenzt. staatliche vs. privatwirtschaftliche Kommuni- Aufwand und Ertrag posthistorischer For- kationssysteme, die zumindest in den 1920er schung stehen daher in einem merkwürdi- Jahren unter den Akteuren noch virulent war. gen Mißverhältnis und das Bekenntnis zu Nur zum Teil liegen zu diesen Fragen einige einem posthistorischen Forschungsanliegen neuere Spezialstudien vor, wie bspw. die Ar- löst beim Publikum nicht selten kindliche beit von Frank Postler über die gesellschaftli- Heiterkeit aus. Nicht zuletzt hierauf ist es che Funktionsbestimmung der Post bis 1945.2 wohl zurückzuführen, daß das Grundlagen- Nur die Arbeit von Ursula Nienhaus3 über werk des einstigen Staatssekretärs im Reichs- die Frauenbeschäftigung der deutschen Post- postministerium, die Deutsche Postgeschich- unternehmen 1867-1945 benutzt die Akten- te von Karl Sautter, seit ihrem Erscheinen überlieferung und ging damit über den Stand 1951 den Rang eines Standardwerkes bean- der Sekundärliteratur hinaus, die seit dem Ju- spruchen konnte, obwohl es nicht einmal an- biläum zum 500. Geburtstag der Post 1990, als satzweise wissenschaftlichen Ansprüchen ge- die Postgeschichte eine aktualpolitisch indu- nügt.1 zierte Konjunktur erfuhr, unzählige Male re- Für den Zeitraum 1933-1945 haben nun produziert wurde.4 Wolfgang Lotz und Gerd R. Ueberschär die- Die Funktion eines Standardwerkes wä- sen Anspruch in Frage gestellt. Zum ers- re es gewesen, diese Spezialforschungen zu- ten Mal erscheint mit der zweibändigen Ge- schichte der Deutschen Reichspost 1933-1945 1 Sautter, Karl: Geschichte der deutschen Reichspost, überhaupt eine aus den Akten gearbeitete 1871-1945. Frankfurt/Main 1951. 2 Postler, Frank: Die historische Entwicklung des Post- und handwerklich einwandfreie Geschichte und Fernmeldewesens in Deutschland vor dem Hinter- der staatlichen deutschen Post, die auf ei- grund spezifischer Interessenkonstellationen bis 1945. ne beinahe beängstigend dichte Überliefe- Eine sozialwissenschaftliche Analyse der gesellschaft- rung der entsprechenden Archivbestände re- lichen Funktionen der Post. Frankfurt 1991. kurriert. Schon der Bearbeitungszeitraum von 3 Nienhaus, Ursula: Vater Staat und seine Gehilfinnen. zwölf Jahren für einen Untersuchungszeit- Die Politik mit der Frauenarbeit bei der Deutschen Post 1864-1945. Frankfurt 1995. raum von zwölf Jahren weist darauf hin, 4 Heimann, Heinz-Dieter: Neue Perspektiven für die Ge- daß hieraus ein wahrhaft monumentales Buch schichte der Post. Zur Methode der Postgeschichte werden mußte. und ihrem operativen Verhältnis zur allgemeinen Ge- Daß es schließlich doch nicht in jeder Hin- schichtswissenschaft in Verbindung mit einem Litera- sicht ein Standardwerk werden kann, liegt an turbericht zum „Post-Jubiläum 1490-1990“. In: Histori- sche Zeitschrift 253 (1991), S.661-674.

© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. sammenzufassen und ihre Thesen anhand zum Minister 1937 vehement vorantrieb (22- der Akten zu überprüfen. Die Funktion ei- 27). nes Standardwerk wäre es gewesen, den die Der Wechsel der Führungsspitze der Deut- Postgeschichte offenbar auf Ewigkeit beherr- schen Reichspost, der - zumindest was die schenden Dualismus zwischen Verwaltungs- Person Ohnesorges anbelangt - kein wirkli- und Personalgeschichte einerseits und Tech- cher Generationswechsel gewesen ist, wur- nikgeschichte andererseits zu beseitigen. Nun de dann in der Folge des „Gesetzes zur drängt sich zu einem solchen Experiment der Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ Zeitraum des Nationalsozialismus nicht gera- auf andere Ebenen der dienstlichen Hierar- de auf, da die Deutsche Reichspost niemals chie ausgedehnt: 11% aller höheren Beamten so viele Funktionen auf sich vereint hatte, und insgesamt 2,6% des gesamten Personals wie in dieser Zeit: Brief-, Telegraphen- und der Deutschen Reichspost seien in den Jah- Telefonverkehr, Zeitungsmonopol, aber auch ren 1933 und 1934 in den Ruhestand getre- Funk und Rundfunk und dann später Fern- ten und hätten für politisch loyale Beschäf- sehen, Luftpost und Personenposten mittels tigte Platz gemacht, ein geradezu überwälti- Omnibussen, Paketpost, Postscheck und Post- gender Austausch gerade des hochqualifizier- sparkassenwesen, Forschungsanstalt, Versi- ten Personals mit ganz erheblichen betriebli- cherung, Wohnungsbau und -verwaltung, So- chen Effekten (eine Vermutung, die zu verfol- zialfürsorge, und und und - alles in allem gen lohnenswert gewesen wäre) (43-48). Auch rund 540.000 Beschäftigte um 1939 und damit die Ausführungen über die „Nationalsozia- eines der größten Unternehmen in Deutsch- lisierung“ der Reichspost (dem eigentlichen land. Nüchtern betrachtet ist die Herstel- Hauptanliegen des Buches), also der nicht so lung eines Standardwerkes damit zum jetzi- leicht zählbaren politischen und damit au- gen Zeitpunkt wohl eine Utopie. ßerökonomischen Einflußnahme auf Rekru- Band I, 1933-1939 tierung und Beförderung des Personals, ver- Hat man schließlich von dem Anspruch, weisen immer wieder (aber eben nur implizit) ein Standardwerk zur Postgeschichte des NS auf die ökonomischen Effekte einer solchen vorzufinden, Abstand genommen, so bietet Personalpolitik, die dann im Zeichen des für das Buch für die politische Verwaltungsge- die Reichspost ungeheuer problematischen schichte des NS allerhand neues. Wolfgang Überhangs an Arbeitsnachfrage in den Jahren Lotz beginnt die Ausführungen zum Zeit- 1938/39 relativiert werden mußte (78, 235). raum 1933-1939 im ersten Band einem litera- Unter „Nationalsozialisierung“ der Reichs- rischem Drama gleich mit der biographischen post versteht Lotz freilich viel mehr als die Vorstellung der zentralen Akteure im Reichs- Bevorzugung von Mitgliedern von NSDAP postministerium, dem Verkehrs- und Postmi- oder anderen Organisationen bei Beförderun- nister in Personalunion, Paul Freiherr von gen. Ebenfalls unter diesen Terminus subsum- Eltz-Rübenach, dem zunächst heimlichen, ab miert werden die intensiven Bemühungen ei- 1937 dann tatsächlichem Chef des Postmi- ner ideologischen Indoktrinierung des Perso- nisteriums, Staatssekretär Wilhelm Ohnesor- nals sowohl auf einer rein rhetorischen Ebe- ge (ab 1937 Minister) und einigen politisch be- ne mit der Stilisierung des Begriffs der Ka- deutsamen Staatssekretären und Ministerial- meradschaft in den Reden Ohnesorges, die an räten, die mit einem teilweise beachtlichem die Stelle einer betriebsbezogenen Unterneh- Aufwand an Intriganz ältere Kollegen (wie menskultur trat (95), als auch mit den zahl- Karl Sautter) aus dem Amt drängten. Die Per- reichen sozialpolitischen Initiativen, für die son des 1872 geborenen Wilhelm Ohnesorges Ohnesorge (im übrigen auch in den besetz- steht hierbei für einen paradigmatischen Füh- ten Gebieten nach 1938) eine besondere Ver- rungswechsels bei der Deutschen Reichspost antwortung empfand. Eine weitere Stufe der im Jahr 1933, den er als begeisterter Anhänger ideologischen Indoktrination der Reichspost Hitlers und Gründer der ersten außerbayeri- wird von Lotz in einem eigenen Kapitel unter schen Ortsgruppe der NSDAP in dem Begriff der „Judenpolitik“ zusammenge- 1923 bereits in seiner Funktion als Staatssekre- faßt. Während allerdings der personelle Effekt tär, verstärkt dann aber mit seiner Ernennung der „Arisierung“ in Folge der Nürnberger Ge-

© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. W. Lotz u.a. : Die Deutsche Reichspost 1933-1945 setze von 1935 von Lotz als eher unbedeu- schaftliche Erwägungen nicht maßgebend. Sie tend eingestuft wird, erweist sich die auf die dient dem ganzen Volke! Ihr Zweck ist die Einstufung des Personals im Sinne der NS- Förderung der kulturellen Aufgaben und Be- Rassenpolitik verwandte Energie der Reichs- dürfnisse des Staates und der Volksgemein- post als „erstaunlich“, häufig wurde sogar schaft und nicht Gewinnerzielung.” (78). über das von außen vorgegebene Maß hin- Band 2: 1939-1945 ausgegangen (206), so daß sich die Reichs- Auf Grundlage einer derartigen Interpre- post bei näherer Betrachtung als ein beson- tation des „Unternehmensziels“ ließ sich die ders fruchtbarer Nährboden für den Antise- Reichspost für die militärischen Ziele des mitismus zeigt. Nationalsozialismus natürlich trefflich instru- Schon als sensationell einzustufen sind Lot- mentalisieren. Hiervon handelt der zweite zens Ergebnisse über die Wahrung des Post- Band, der die Geduld des Lesers nun aller- geheimnisses im Nationalsozialismus. Würde dings auf eine wahrlich harte Probe stellt. man hier zunächst a priori von einer lücken- Nicht nur, daß die Einleitung zum zweiten los im Sinne der totalitären Staatsorganisati- Band bis hin zur Vorstellung der Literaturlage on auch zum Zweck von Spionage und Über- noch einmal dieselben Informationen enthält, wachung eingesetzten Reichspost ausgehen die bereits im ersten Band verabreicht wur- (zumal eine solche Funktionalisierung in den den. Auch die Ausführungen über Kamerad- ideologischen Bereichen doch offenbar erfolg- schaftssemantik und Führungsstruktur an der reich war), so machte Lotz sogar einen zu- Spitze des Reichspostministeriums wiederho- weilen offenen Konflikt zwischen der Gesta- len sich. Ausführungen über den Übergang po, die die Post zur intensiven Mitarbeit bei von der Friedens- zur Kriegswirtschaft bei der Überwachung von Staatsfeinden zwingen der Deutschen Reichspost erschöpfen sich da- wollte, einerseits und der Post andererseits gegen in Erläuterungen über die Funktions- aus, die die betrieblichen Belastungen aber weise der Feldpost (38-48), während die Be- auch das Postgeheimnis als Wert an sich zu ei- deutung der Abschaffung der Vorprüfung des ner Verweigerung dieser Mitarbeit veranlaß- Haushalts der Reichspost durch den Rech- ten (189f.). nungshof (19) nur erwähnt wird. Die Entste- Daß der erste Band gänzlich ohne zusam- hung von ganz unterschiedlichen Organisa- menfassendes Schlußwort endet, ist dem Au- tionsformen der Postverwaltung in den be- tor wohl angesichts der zweibändigen Kon- setzten Gebieten, die zum Teil der Reichspost zeption des Werkes nicht anzulasten - nur daß und zum Teil der Zivilverwaltung der Be- eine solche Zusammenfassung auch im zwei- satzung unterstanden, wird im wesentlichen ten Band nicht erfolgt. Hier scheint es Abstim- auf einen fast persönlichen Konflikt zwischen mungsprobleme gegeben zu haben. Die vie- den gleichermaßen eitlen (Ge- len unterwegs gesammelten interessanten De- neralgouvernement), Kurt Daluege (Protek- tails sind daher vom Leser selbst zu kompi- torat) und Wilhelm Ohnesorge (Reichspost) lieren, bevor er zum zweiten Band übergeht: reduziert, während die betrieblichen Folgen Die Deutsche Reichspost, ein durchaus erfolg- dieser Vielgestaltigkeit der Organisation für reiches Unternehmen in der Weimarer Repu- die Reichspost nicht erwähnt werden. blik, geriet unter den vollständig veränder- Der zweite Band der Postgeschichte krankt ten Vorzeichen des Nationalsozialismus in ei- an einem vermeidbaren und daher ärgerli- ne im Grunde politische Unternehmensfüh- chen Gliederungsfehler: Weil Ueberschär die rung, die „Kameradschaft“, Antisemitismus dargebotenen Details ohne Not in eine pene- und sozialpolitische Leistungen wesentlich trat chronologische Ordnung zwingt, gehen höher bewertete, als eine betriebswirtschaft- Zusammenhänge verloren und es schleichen liche Unternehmenspolitik, die bei der Deut- sich ärgerliche Redundanzen ein. Auf Seite schen Reichspost in den 1920er Jahren durch- 266 erfahren die Leser bereits zum vierten Mal aus noch existent war. Staatssekretär und (nach den Seiten 264, 255, 236), daß der von Ohnesorge-Intimus, Jakob Nagel, 1937: „Die der Reichspost bewältigte Briefverkehr 1943 Deutsche Reichspost ist kein Wirtschaftsun- um 50% gegenüber dem Jahr 1938 zugenom- ternehmen. Für ihre Arbeit sind erfolgswirt- men habe.

© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. Während derartige Redundanzen indes steigen und bei der Zuteilung von Arbeits- höchsten ärgerlich sind, schwächt die militant kräften bevorzugt behandelt zu werden (238). chronologische Gliederung an anderen Stel- Diese Ausführungen verlieren sich allerdings len entscheidend die Aussagekraft des Bu- im Zusammenhangslosen, zumal im Fazit ches. Am wichtigsten sicherlich bei dem The- fast stolz von den besonderen Leistungen ma Zwangsarbeiterbeschäftigung, das freilich der Reichspost während des Krieges berich- erst in jüngster Zeit eine Bedeutung erfährt, tet wird, die bis 1944 einen fast unbeschränk- die für Ueberschär bei der Konzeption des ten zivilen Postverkehr sicherstellte und da- Buches nicht prognostizierbar gewesen ist. bei den Personalbestand gegenüber der Vor- Trotzdem ist es unverständlich, warum er das kriegszeit sogar noch auf 572000 Personen Thema derart zerreißt und auf die einzelnen (Ende 1944) ausdehnen konnte. Rechne man Kapitel verteilt, daß weder eine schnelle In- die Bediensteten in den „Nebenländern“ mit formationsentnahme für Spezialisten auf die- ein, umfaßte das Personal der Reichspost zu sem Gebiet möglich ist, noch für den inten- diesem Zeitpunkt sogar mehr als 800000 Be- siven Leser das Thema Konturen annimmt. schäftigte. (291). Ein systematisierendes Ka- So finden sich vereinzelte Informationen über pitel über diese Zusammenhänge von Perso- „Fremdarbeiter“ aus Holland und dem „Pro- naldefizit, Personalexpansion, Zwangsarbeit tektorat Böhmen und Mähren“ im geogra- und Frauenbeschäftigung hätte hier im Ge- phisch gegliederten Kapitel über den Aufbau gensatz zu der chronologischen Darstellungs- der Postverwaltungen nach der Besetzung weise Klarheit bringen können. dieser Gebieten, wo sich die 6500 (1943) hol- Dies gilt auch für die andere interessan- ländischen Postbediensteten indes nicht mit te Erkenntnis Ueberschärs: den Zusammen- den 2500 aus dem „Protektorat Böhmen und hang von Reichspost und SS, die zwischen Mähren“ addieren (110,117). Erst wesentlich beiden Institutionen „während des Krieges“ später ist zu lesen, daß es weitere „Fremd- entstehende „feste Kooperation“ (292). Auch arbeiter“ aus Frankreich und Italien gegeben diese Entwicklung ist zu komplex, um sie hat - insgesamt seien es Anfang 1943 rund weit verstreut in unterschiedlichen Kapiteln „17000 Kräfte“ gewesen, zu denen dann En- häppchenweise abzuhandeln. Hier gab es de des selben Jahren noch „10000 ausländi- auf der einen Seite die noch aus der Vor- sche Arbeitskräfte“ hinzu gekommen seien kriegszeit stammenden Kontakte zwischen (237), sowie später noch einmal 5000 italieni- SS-Funktionären und hohen Ministerialbeam- sche Kriegsgefangene (238). Kaum eine Sei- ten des Reichspostamtes. Auf der anderen te wird der Unterbringung und Behandlung Seite gab es aber auch die Instrumentalisie- der Fremdarbeiter gewidmet, was in einem rung des seit 1933 existierenden „Postschut- merkwürdigen Mißverhältnis zu fast zehn zes“, der eigentlich eine bewaffnete postin- Seiten Ausführungen über die „Briefmarken terne Bürgerwehr zum Schutz der postali- im Dienst der NS-Kriegspropaganda“ steht. schen Einrichtungen gewesen ist, während Genauso tropfenweise fließen die Informa- des Kriegsverlaufs dann aber dem Befehl tionen zur Personalpolitik der Reichspost ins- der Waffen-SS unterstellt und mit Sonder- gesamt, die angesichts der Annexion weiter aufgaben innerhalb der Kampfhandlungen Landstriche im Westen und Osten des Rei- betraut wurde, „für die Bandenbekämpfung ches und angesichts des während des Krie- hinter der Front“ (209) beispielsweise. Auch ges rasch wachsenden Personalbedarfs der die „Fronthilfe der Deutschen Reichspost Wehrmacht und SS das wohl drängendste (SS-Kraftfahrstaffel)”, immerhin 6000 Mann Problem der Reichspost während des Krie- (1943) mit rund 900 Fahrzeugen, die klei- ges gewesen ist. Zwar wird hier immer wie- nere Truppen- und Verletztentransporte mit der vom Scheitern Ohnesorges berichtet, die dem Fuhrpark der Reichspost organisierten, Personalansprüche der Militärs abzuwehren war der SS unterstellt und wurde von dieser und gleichzeitig die Post als kriegswichtigen „zu sogenannten ’Bandenkämpfen”’ (hier al- Wirtschaftsbereich festzulegen, um auf der so in Anführung!) herangezogen (216). Nur Prioritätenliste des „Generalbevollmächtigen ein systematisches Kapitel hätte diesen Kom- für den Arbeitseinsatz“, Fritz Sauckel, aufzu- plex aufhellen können. So bleibt Ueberschär

© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. W. Lotz u.a. : Die Deutsche Reichspost 1933-1945 dagegen die Beantwortung der sich geradezu aufdrängenden Frage schuldig, ob der große Einfluß der SS, die in der Reichspost offen- bar die Basis für einen direkten Zugriff auf die Kommunikationskanäle des Reiches nach dem Krieg sah (205), sich auch auf die Un- ternehmenspolitik der Reichspost insgesamt auswirkte, zumal Ohnesorge trotz des Nim- bus, Nationalsozialist der ersten Stunde und alter Freund Hitlers zu sein, zusehends an Einfluß verlor. Ein Buch nach dem zu beurteilen, was es nicht enthält, ist sicherlich in keinem Fall angemessen, auch wenn ich im Fall von Lotz/Ueberschär Ausführungen über die For- schungsanstalt der Reichspost, das Reichs- postzentralamt, die Fernkabelgesellschaft al- so dem gesamten Bereich der telefon- und funktechnischen Forschung und Entwick- lung sowie (damit zusammenhängend) über die Beziehungen dieses größten Nachfragers nach Schwachstromelektronik zur Elektro- industrie sehr gerne gelesen hätte (ebenso wie etwas ausführlichere Bemerkungen zur Sozialgeschichte des Personals). Aber auch die stattdessen präsentierte „Verwaltungs- geschichte“ der Reichspost weist erhebliche Mängel auf, die sich am deutlichsten im lieb- los unsystematisch zusammengestellten Ma- terialhaufen des zweiten Bandes zeigen. Bil- dete für den Ersten Band der Übergang von einer ökonomischen zu einer ausschließlich ideologisch geführten Organisation noch ei- ne gewisse spannende Rahmenhandlung, so wird diese Spannung im zweiten Band gleich zu Beginn aufgelöst, dann aber keine neue Spannung aufgebaut, die der Stoff mit den Verflechtungen der Reichspost in Zwangsar- beit und SS-Hierarchie sicherlich geboten hät- te. Das letzte Wort scheint daher über die Reichspost noch nicht geschrieben.

Jan-Otmar Hesse über Lotz, Wolfgang; Ueber- schär, Gerd R.: Die Deutsche Reichspost 1933- 1945. Eine politische Verwaltungsgeschichte. Ber- lin 1999, in: H-Soz-Kult 21.10.2000.

© H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved.