Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Februar 2010

Vom Glück des Glücklichseins

Lorin Maazel

Lorin Maazel feiert seinen 80. Geburtstag. Und Wien feiert mit ihm. Am 9. Februar steht der Jubilar auch am Pult eines Gesellschaftskonzerts der Musikfreunde.

Als er siebzig wurde, sagte er in einem Interview, „irgendwann sollte man doch die Entscheidung treffen, wie lange man noch aktiv sein kann. Bei dieser Überlastung in jedem Bereich muss man mal sagen: Schluss! Nur noch das, was Freude macht!“ Lorin Maazel sagte das vor genau zehn Jahren. Jetzt feiert er seinen Achtziger. Und die Frage, ob er diese Vorstellung für sein Leben tatsächlich verwirklicht hat, bleibt offen. Völlig offen. Denn bei allem Arbeitspensum, das er Jahr für Jahr zwischen New York, Tokio und Sydney absolviert und in dem er auch das Komponieren mehr und mehr zu seinem Recht kommen lassen will, fühlt er sich unglaublich fit. Gestählt u. a. durch Tennisspielen, stürzt der Genauigkeitsfanatiker Maazel sich jedes Jahr erneut in sein enormes Arbeitsprogramm. Und fühlt sich, auch wegen der hohen Ansprüchen, die er an sich stellt und die er stets mit höchster Perfektion erfüllt, dabei sehr wohl: „Ich bin ein glücklicher Mensch.“

Aus Fehlern lernen Man hat ihn einmal gefragt, was er, zurückschauend, in seinem Leben und seiner Karriere falsch gemacht habe. „Jeder begeht Irrtümer“, meinte er damals. „Ich habe sehr viel Zeit in meinem Leben der Administration gewidmet. Über vierzig Jahre. Man hätte doch sagen können: Wozu? Manchmal frage ich mich, ob das richtig war. Aber ich habe auch viel gelernt, hatte mit Menschen zu tun, die ich sonst nie getroffen hätte. Ich glaube, ich bin zu sehr Amerikaner. Aber ich bin glücklich, ein glücklicher Mensch zu sein. Man lernt aus Fehlern so wie aus jeder Krankheit: Ich habe mich zweimal in einen Finger an der linken Hand geschnitten, weil ich eine Zitrone aufschneiden wollte. Es tat weh, aber ich war gar nicht erschrocken – und ich habe gelernt, die Geige eben mit einem Loch im Finger zu spielen. Ich habe große Lust, wieder viel als Geiger im Konzert aufzutreten.“

Debüt in Moscow Diese Haltung hat Maazel für sein Leben zu einer Art Prinzip gemacht. Sie wurde dem 1930 in Neuilly-sur-Seine bei Paris Geborenen zur Leitlinie für sein Leben und seine Arbeit. Nach der Rückkehr der Familie 1932 nach Amerika, beim ersten Geigen- und Klavierunterricht – sehr bald galt er als das Wunderkind Amerikas! –, bei der Ausbildung zum Dirigenten und beim Studium der Mathematik, Philosophie und von Sprachen. 1938 debütierte er als Dirigent in Moscow im Staate Idaho, 1940 bei den New Yorker Philharmonikern, 1948 wurde er Erster Kapellmeister beim Pittsburgh Symphony Orchestra. 1955 wagte er sein Europa-Debüt bei Konzerthausdirektor Egon Seefehlner und in Mailand. 1956 holte Bayreuth den 26-jährigen für „Lohengrin“ als ersten amerikanischen Dirigenten auf den Grünen Hügel, 1962 folgte mit seiner Einladung an Maazel, in Salzburg „Hochzeit des Figaro“ zu dirigieren.

Egon Seefehlner, inzwischen nach übersiedelt, und Gustav Rudolf Sellner entschieden sich 1965 für Maazel als GMD der Deutschen Oper Berlin (bis 1971) und Chef des Radio- Symphonie-Orchesters Berlin (bis 1975). 1972 war er bereits Chefdirigent des berühmten

1 / 3 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Februar 2010

Cleveland Orchestra geworden, 1976 außerdem beim London Symphony Orchestra und beim Orchestre National de France. 1984 bis 1996 agierte er als Chef des Pittsburgh Symphony Orchestra, 1993 übernahm er die Chefposition beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, 2002 bis zur vergangenen Konzertsaison 2008/09 leitete er die New Yorker Philharmoniker.

1984 in Wien 1982 bis 1984 war Maazel Intendant der Wiener Staatsoper, die er jedoch wegen zahlloser Attacken der Politiker gegen ihn verließ: Der Vorwurf, dass er viel zu wenig anwesend wäre und anderswo lukrativer arbeiten könne, führte zu einer unhaltbaren Situation, die noch durch Maazels etwas arrogant wirkende Kommentare verschärft wurde. Seine Anmerkung, dass doch seine „ständige geistige Präsenz“ bemerkt werden müsste, nützte da wenig. Und als er sich bei einer Japan-Tournee zu Bemerkungen hinreißen ließ, die den damaligen Unterrichtsminister Helmut Zilk empörten, wurde der Direktorensitz für ihn zum Schleudersitz. Erst 1998 sollte er wieder, von Direktor Ioan Holedner und den Wiener Philharmoniker eingeladen, mit Mahler Achter Symphonie ins Haus am Ring zurückkehren. Immerhin dirigierte er aber Oper noch an der Mailänder Scala – „Aida“ 1985 und in der Folge „Madama Butterfly“ sowie die italienische Premiere Berios „Un re in ascolto“ – und im Münchner Prinzeregenten-Theater.

Globale Präsenz Er war auch für spektakuläre Musikfilmerfolge mitverantwortlich: so für John Loseys „Don Giovanni“, Rossis „Carmen“ und Franco Zeffirellis „Otello“, brachte Video-Produktionen, etwa seiner Wiener „Turandot“ und der Mailänder „Aida“ heraus und präsentierte zahllose zeitgenössische Werke, u. a. mit Isaac Stern.

1985 startete er eine zweieinhalbjährige Welttournee, wie sie in ihrer Art kaum jemals von einem klassischen Künstler unternommen wurde. Um „seinem Publikum zu begegnen“, das ihn nur von seinen Schallplatten, viele Millionen verkaufter LPs, und aus dem TV kennt, dirigierte er mehr als 200 Konzerte mit den Wiener Philharmoniker, bei denen er auch heute noch ein besonders gern gesehen er Gast ist, und dem Orchestre National de France. Hinzukamen bei dieser Tournee die Pittsburgh Symphony, das London Symphony Orchestra, die Münchner Philharmoniker, das Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks und das Chamber Orchestra of Europe.

Grenzenüberschreitende Begabung Die Geige hat Lorin Maazel ein Leben lang begleitet. Immer wieder griff er nach dem Instrument, und nicht nur um seinem Publikum im Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker eine Sensation zu bescheren und mit dem Instrument seinen Spaß zuhaben. Fragt man Lorin Maazel, warum das Geiger-Wunderkind, das bereits in frühester Jugend eine programmierte Weltkarriere vor sich hatte, dann doch unter die Dirigenten gegangen ist, findet er selbst: „Meine Entscheidung hatte damals etwas mit dem Repertoire zu tun. Als Geigensolist hätte ich vierzig Jahre lang rund zwanzig Stücke spielen müssen. Das wollte ich nicht. Als Dirigent sah ich für meine Interessen doch viel mehr Möglichkeiten.“ Keine Frage, da stehen für ihn die Wiener Klassik, die Romantiker, besonders Bruckner, Wagner, , Mahler, aber auch die Wiener Schule und nicht zu vergessen die klassische Moderne mit Hunderten und

2 / 3 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Februar 2010

Hunderten Werken offen. Dabei hat ihn gerade die Moderne stets besonders fasziniert. „Vielleicht weil ich selber das Komponieren als Teil meines Lebens und meiner Arbeit sehe!“

Herkömmliche Instrumente und unerhört neue Klänge Von Einflüssen auf seine schöpferische Arbeit durch andere Musiker hört Maazel, der Komponist der 2005 in London uraufgeführten Oper „1984“ nach George Orwell, nicht gern. „Ich bin jemand, der nur von sich selbst klaut. Es gibt natürlich manchmal – sehr selten – Zitate aus Werken anderer, aber das haben alle Komponisten so gemacht, Strauss, Wagner. Manchmal bitte ich andere Musiker, sich meine Kompositionen daraufhin anzuhören, ob sie so klingen, als hätte ich von jemandem etwas übernommen. Bisher ist noch niemand etwas aufgefallen. Das hat nichts mit der Qualität der Musik zu tun, die kann trotzdem schlecht sein, aber geklaut ist nichts!“

Und über seine Kompositionstechniken, die er u. a. auch in „1984“ konsequent angewandt hat: „Ich schätze Zwölftonpassagen, habe jedoch keine Hemmungen, tonal zu schreiben. Ich setze Synthesizer ein, die meiste Zeit arbeite ich aber mit einer normalen Orchesterbesetzung und versuche, mit herkömmlichen Instrumenten Töne zu finden, die man bisher nicht gehört hat. Bei 1984 musste ich etwa Klänge erfinden, die die Brutalität dessen wiedergeben, was am Ende der Geschichte passiert, die Folterung und Zerstörung des Helden. In den Folterszenen wird das Orchester zu einem Folterinstrument. Diese Musik kann ich selbst kaum hören. Zu der Zeit, als ich sie schrieb, konnte ich nicht einmal schlafen.“

Karlheinz Roschitz Dr. Karlheinz Roschitz ist Kulturressortleiter der „Neuen Kronen Zeitung“ in Wien.

3 / 3

Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)